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Teile

Teil 1 , Teil 2 , Teil 3 , Teil 4 , Teil 5 , Teil 6 , Teil 7 , Teil 8 , Teil 9 , Teil 10 ,

Teil 11 , Teil 12 , Teil 13 , Teil 14 , Teil 15 , Teil 16 , Teil 17 , Teil 18 , Teil 19 ,

Teil 20 , Teil 21 , Teil 22 , Teil 23 , Teil 24 , Teil 25 , Teil 26 , Teil 27 , Teil 28 ,

Teil 29 , Teil 30 , Teil 31 , Teil 32 , Teil 33

 

 

Teil 1

 

Mit jedem Schritt spürte er die Energie durch seinen Körper pulsieren. Schweiß rann ihm in feinen Perlen über die Stirn und sein Atem hallte dumpf in seinen Ohren wieder. Es war das einzige Geräusch, das er hören konnte.

Er verlor jegliches Zeitgefühl. Nichts war wichtig.

Es war unwichtig, weshalb er trainierte und jetzt Runden um den See joggte. Es war vollkommen unwichtig, wie lange er brauchte, oder wann seine Beine nicht mehr konnten.

 

Er lief weiter. Schritt um Schritt. Der See schien unendlich zu sein, und doch hatte er seine zehnte Runde bereits fast beendet. Wie viel Zeit er für eine Runde brauchte? Er konnte es nicht schätzen.

Er konnte gar nichts, in diesen Momenten der Ruhe und der Einsamkeit.

 

Denn der einzige Ort, wo er wirklich einsam war, war dieser hier. Und auch nur zu dieser Zeit. Der Tau hing noch frisch auf den Blättern, Nebel lichtete sich langsam über den Wiesen. Der Riese hatte den Kamin gerade erst angezündet und dichter, schmutziger Rauch schälte sich in Schwaden aus dem kleinen Schornstein.

 

Das Schloss über ihm schlief noch ruhig und ahnungslos. Wie spät es war? Er wusste es nicht. Er sah nur einmal auf die Uhr. Und das war, bevor er anfing zu laufen. Es dauerte aber meistens zwei Stunden.

Er nahm an, gleich war es also sechs Uhr.

Stoßweise brach sein Atem aus seinen Lungen, kondensierte vor seinem Gesicht zu weißem Dampf und stieg langsam nach oben, ehe er sich abkühlte und wieder zu Wasser wurde.

 

Es war ein schöner Kreis. Alles war ein schöner Kreis. Wenn er sich die Zeit nahm, seinen Geist abzuschalten, seinen Körper auf die nötigsten Sinne herunter fuhr und sein Gehirn auf Standby laufen ließ, dann erst wurden ihm die wichtigen Dinge vollkommen bewusst.

 

Seine Muskeln wurden hart. Er spürte seine Grenzen deutlicher. Er wusste, würde er noch eine Runde nach dieser hier laufen, würde er Muskelkater bekommen. Gleich war also Schluss mit seinem Ritual.

 

Dann begann sein Tag. Allerdings war heute Sonntag.

Sein Kopf ging stoisch die Pläne durch, die er hatte. Gleich würde er sein Bad nehmen, frühstücken, später trainieren und heute Abend gegen Gryffindor spielen.

 

Er hatte die Runde beendet, machte direkt kehrt und lief die letzten Meter hoch zum Schloss. Er kam am Quidditchfeld vorbei. Es lag leer und verlassen da und er konnte schon die Rufe hören und die Massen an Schülern und Lehrern sehen, die sich heute Abend hier tummeln würden.

Es waren immer mehr, wenn Slytherin gegen Gryffindor spielte.

Ihm war völlig klar, warum das so war.

 

Potter war im Begriff den Pokal auch in seinem letzten Jahr abzuräumen. Interessant war allerdings, dass die weiblichen Zuschauer nicht wegen Potter kamen. Es war das, was Draco über die ständigen Niederlagen half. Den Mädchen war dieser Sport bei Merlin egal. Das war gut. Er hatte danach freie Wahl, von wem er sich trösten lassen konnte.

 

Quidditch passte nicht besonders gut in sein Leben. Er war Kapitän der Mannschaft. Eher wegen populärer Entscheidung als wegen wirklichem Talent. Er nahm in Kauf, dass es wahrscheinlich Mittel und Wege gab, Slytherin zum Sieg zu führen, in dem er seinen Posten aufgab und an jemanden abtrat, der wesentlich begabter war als er.

 

Aber das würde ihm nicht gefallen, den Mädchen nicht gefallen und wozu sollte er auf die Gefühle von irgendwelchen Sportfanatikern Rücksicht nehmen?

Aber abgesehen von Quidditch, hatte er alles bestens im Griff. Er war Schulsprecher, Jahrgangsbester, ungekrönter König seines Hauses und er konnte in den Spiegel sehen, ohne sich umbringen zu wollen.

Er nahm an, Gregory hegte nicht diese gesunde Selbstliebe.

 

Er stieß die Eichenportale auf. Die Große Halle war noch immer leer. Niemand kam ihm in die Quere. Das war der Grund, warum er Sonntage liebte. Natürlich verhängt er gerne Strafarbeiten und zog Punkte ab, weil er es eben konnte, aber das bedeutete nicht, dass er nichts Besseres zu tun hatte.

 

Still gefiel ihm das Schloss sowieso besser, denn auch, wenn er kein Problem mit seiner Beliebtheit hatte, war es doch ab und an angenehmer, nicht inne halten zu müssen, einen Gang schweigend entlang zu gehen und einfach nur er selbst zu sein. Natürlich war er immer er selbst. Aber jetzt… jetzt konnte er schwitzend durch die Gänge laufen, ohne dabei übertrieben großartig auszusehen. Und selbst jetzt sah er noch besser aus als andere.

 

Die Portraits wachten in manchen Gängen auf, gähnten ihn an und starrten missbilligend zu ihm hinunter. Manche kannten ihn bereits. Manche waren höflich und grüßten, andere sagten nichts und ließen ihn passieren.

Frauen winkten ihm zu, Kinder liefen neben ihm, von Portrait zu Portrait und freuten sich, dass jemand schon genauso früh wach war, wie sie selber.

 

Seine ungetrübte Laune verfinsterte sich ein winziges Stück als er tatsächlich einen Schüler entdeckte. Dieser Junge stand vor einem der Bilder im zweiten Stock und Draco konnte auch aus dieser Entfernung sehen, dass er nicht die hübsche Landschaft darauf betrachtete. Seine Finger fuhren über verschiedene Stellen auf dem Portrait und ab und tippte er mit seinem Zauberstab gegen die Farbe und murmelte Worte, die Draco nicht verstehen konnte.

 

„Was wird das?“ Seine Stimme gehorchte ihm überraschend gut, wenn man berücksichtigte, dass er sie vor sechs Stunden das letzte Mal benutzt hatte. Er brauchte nicht besonders viel Schlaf. Zumindest nicht am Wochenende. Das war für ihn überraschend, denn nur am Wochenende kam er dazu den Verführer zu spielen. Unter der Woche war er schnell müde und noch schneller gereizt.

 

Der Junge zuckte zusammen. Er konnte ihn nicht direkt einem Haus zuordnen, geschweige denn, einem Jahr. Kein Slytherin. Wahrscheinlich viertes Jahr. Oder erst drittes. Er war kleiner als er selber und starrte mit großen Augen zu ihm.

 

„Ich… ich…“, stammelte er und Draco wusste, dass es unschwer etwas Verbotenes war.


„Wolltest du das Bild zerstören oder erwartest du dahinter einen verfluchten Geheimgang? In beiden Fällen ist es dir verboten, das Bild zu beschädigen, hast du verstanden?“

 

Der Junge öffnete den Mund und schloss ihn wieder.


„Ob du mich verstanden hast? Was ist, bist du ein Hufflepuff?“ Zwar war Sonntag, aber für Beleidigungen über Hufflepuffs war immer Zeit.

 

„Nein, ich… ich wollte nur… ich hab mir das Bild nur angesehen“, verteidigte sich der Junge und reckte mutig das Kinn nach oben. Draco zog die Stirn in Falten.


„Mit deinem Zauberstab? Also… mal sehen…“ Er wischte sich über die Stirn. Der Schweiß klebte unangenehm an seinem Körper. „Du lügst den Schulsprecher an… zehn Punkte Abzug. Du beschädigst ein Bild… noch mal zehn Punkte…“ Er tat so, als müsse er noch überlegen.


„Hey! Das ist unfair! Ich habe nichts getan, Malfoy!“ Er mochte es, wenn die jüngeren Schüler wussten, wer er war. Aber er bezweifelte, dass es irgendjemanden gab, der es nicht wusste.

 

„Du willst dich tatsächlich mit mir anlegen?“ Seine Mundwinkel zuckten. Dann war der Junge ein Gryffindor. Dummheit gepaart mit unpassendem Mut – es waren immer Gryffindors. „Weil du mich hier heute Morgen besonders störst sind es insgesamt… dreißig Punkte Abzug für Gryffindor.“

 

Er hatte richtig gelegen, der Junge öffnete entrüstet den Mund.


„Du kannst mir keine dreißig Punkte dafür abziehen, dass ich ein Bild angeguckt habe!“, widersprach er und jetzt hatte Draco genug. Er lehnte sich langsam runter. Der Junge wich an die Wand zurück.

 

„Nein. Ich werde dir nicht nur dreißig Punkte abziehen, ich werde dir auch noch eine nette Strafarbeit verpassen. Wie gefällt dir das?“ Der Junge sah fast so aus, als ob er gleich anfangen würde zu weinen. „Sag mir deinen Namen.“ Es war nicht so, dass er das Gesicht des Jungen vergessen würde, aber es war sicherer, den Namen auch zu wissen.

 

Der Junge schwieg tatsächlich. Draco legte ihm bedrohlich die Hand auf die schmale Schulter. „Wenn du mir deinen Namen nicht sagen willst, bekommst du noch zwei Tage Nachsitzen dazu, du kleines Weichei.“ Es verging ein Moment, in dem der Junge noch panischer wurde. „Deinen Namen!“, knurrte Draco ungehalten.


„Holden Devonport“, sagte er schließlich.

 

„Ausgezeichnet. Dreißig Punkte Abzug, eine Strafarbeit und zwei Stunden Nachsitzen mit Filch.“ Er lächelte böse.


„Du hast gesagt, du…“ Er ließ von dem Jungen ab.

 

„Ich hab meine Meinung geändert. Du bekommst das volle Programm, Devonport.“ Er hatte sich abgewandt. Bei Gelegenheit würde er mal nachforschen, ob wirklich irgendein Geheimgang hinter diesem Bild lag.

 

Sein Sonntag schien nur besser zu werden, dachte er grimmig. All sein Elan, all seine entspannte Energie fiel mit einem Mal von ihm ab.

 

„Du kannst ihm keine dreißig Punkte abziehen. Du missbrauchst deine Macht.“ Hunderttausend Antworten fielen ihm darauf ein.


„Ich bin Schulsprecher. Es geht dich einen verdammten Scheißdreck an. Geh mir aus den Augen. Am besten jetzt sofort.“ Er fixierte sie zornig und sie erwiderte den Blick mit Ekel. Sie betrachtete seine Aufmachung anscheinend mit großem Abscheu.

 

„Ich bin ebenfalls Schulsprecherin, Malfoy, und ich werde mich beschweren gehen. Du denkst doch wohl nicht, dass du damit durch kommst?“ Sie machte ihn wahnsinnig. Er hasste jede noch so winzige Kleinigkeit an ihr. Sie war ihm ständig im Weg, obwohl er darauf bedacht war, dass sich ihre Wege niemals – niemals – kreuzten.

 

Die Vertrauensschülertreffen hatten sie aufgeteilt. Die Fächer, die sie zusammen hatten, liefen ebenfalls in stiller Ignoranz ab. Es gab keinen Grund, weshalb er auch nur einen einzigen Satz mit diesem Schlammblut sprechen musste.

Na ja, ganz abgesehen davon, dass er ihr ab und zu mal jemand klar machen musste, wie weit unten sie in der Gesellschaft und in dieser Schule stand.

 

„Granger, ich komme überall mit absolut allem durch“, klärte er sie übertriebenerweise auf. Als ob sie es nicht wüsste. Sie schob das schwere Buch unter den andern Arm und ihre Wut zuckte über ihre Züge.

 

„Du wirst dich entschuldigen, Malfoy.“ Sie musste Witze machen! Er lachte laut auf.


„Es geht hier um Respekt, Granger. Ich bin Schulsprecher. Ich bin es, zu dem die Schülerschaft aufsieht, und der hier für die richtige Ordnung und Rangverteilung sorgen muss. Ich lasse mich von einem Drittklässler nicht demütigen.“ Sie schüttelte fassungslos ihren Kopf.

 

„Du machst das nur, weil er ein Gryffindor ist!“, warf sie ihm jetzt bitter vor. Er musste schon wieder lächeln.


„Hör zu, du dämliches Miststück, es ist mir absolut egal, zu welchem Haus er gehört. Wenn er mich nicht respektiert, dann muss er dafür zahlen.“ Seine dunkle Hose klebte ihm an seinen Beinen und er konnte sich tausend bessere Dinge vorstellen, als sich hier mit dem Schlammblut zu streiten.

 

„Das ist eine faschistische und vollkommen bescheuerte Einstellung!“ Kurz überlegte er. Er glaubte, das Wort zu kennen, das sie gerade benutzt hatte, aber es interessierte ihn kaum. Wann hatte sie eigentlich aufgehört Angst vor ihm zu haben? Es störte ihn sehr. Am liebsten hätte er ihr hundert Punkte dafür abgezogen, aber bedauerlicherweise konnte er ihr keine Punkte abziehen.

 

„Wieso nimmst du nicht dein verfluchtes Buch und lässt mich mit deinem Scheiß in Ruhe? Ich könnte mir nicht vorstellen, was mich weniger interessiert als die Meinung eines dreckigen Schlammbluts.“ Tatsächlich wirkte sie für einen Moment sprachlos.

 

„Wenn du doch nur endlich damit aufhören könntest, du scheiß Bastard.“ Es war immer das größte Vergnügen, sie fluchen zu sehen. Er glaubte nicht, dass sie fluchte, wenn Potter oder das Wiesel mit ihr unterwegs waren. Es jagte ihm förmlich Schauer über den Rücken.

 

„Aber warum denn? Du bist doch ein…“ Er machte eine kurze Pause, „…dreckiges Schlammblut. Sei nicht traurig, Granger.“ Sie sah ernsthaft so aus, als ob sie ihn gleich mit ihrem Zauberstab verfluchen wolle. „Das bedeutet nur, dass, egal wie sehr du dich anstrengst, du in der magischen Welt niemals wirklich etwas besseres sein wirst.“

 

Er wünschte sich fast, dass sie etwas tun würde, dass sie ihn schlagen würde, verfluchen würde, dass sie ihr Buch nach ihm warf. Dass sie winzige Schlammbluttränen weinte und ihn beschimpfte. Er lechzte danach wie nach Luft zum Atmen. Und er wusste, warum er es darauf anlegte. Er wusste es.

Und das Miststück wusste es auch.

 

Er wusste wieder, warum er sich nicht mit ihr anlegte.

 

„Ja?“ Ihre Stimme bebte als sie sprach. „Ich hätte ja angenommen, Squibs stehen wesentlich tiefer.“ Ihre verfluchten braunen Augen. Ihre verfluchten Lippen, die verfluchte Worte sprachen. Seine verfluchte Wut.

Sie hatte ihm seinen Sonntag verdorben. Potter würde ihm sein Spiel verderben und er hatte schon keine Lust mehr auf sein Bad, denn jetzt würden ihre Worte nachhängen. Den ganzen Tag würden sie das tun.

 

„Halt deinen verdammten Mund! Verschwinde, bevor ich dir wirklich weh tun muss, Granger.“

 

„Dafür müsstest du mich anfassen, oder Malfoy?“, setzte sie noch einen drauf und er wollte sie wirklich schlagen. Er wollte sie anfassen, wollte ihre verseuchte Haut spüren und ihr Schmerzen zufügen, damit sie wieder Angst vor ihm hatte.

 

Er gönnte ihr den Triumpf nicht. Es war kein Triumpf. Kein echter zumindest. Er hasste sie. Denn er wusste, sie meinte die Worte nicht, die sie sagte. Er würde sie so meinen. Aber er war nicht der König, weil er seine Wut nicht unter Kontrolle hatte. Nein. Sie würde ihn nicht reizen können.

 

„Richtig.“ Seine Stimme hatte sich wieder abgekühlt. „Und auch wenn ich jetzt kaum noch schmutziger werden könnte,“ Er machte eine kurze Pause und zog seine verschwitzte Jacke aus, weil es unerträglich heiß darunter war, „würde es mir Unglück für das Spiel bringen, wenn ich dich berühren würde.“ Diesen einen schenkte er ihr.

 

„Dafür brauchst du mich nicht, Malfoy.“ Er lächelte wieder. Natürlich hatte sie diesen Konter genutzt.

 

„Jaah… ich brauche dich für überhaupt nichts, Granger. Perfekt, nicht wahr?“ Ihr Mund hatte sich geöffnet, aber er ließ sie einfach stehen. Es war die wichtigste Regel. Er ging als erstes. Er hatte das letzte Wort, er gewann am Ende. Ansonsten machte es überhaupt keinen Sinn, sich mit Leuten anzulegen. Und es machte vor allem keinen Spaß. Das kleine Schlammblut stehen zu lassen war immerhin ein kleiner Sieg.

 

Vielleicht würde er seine eiserne Regel brechen und vor dem Spiel doch Sex haben. Er hatte keine Lust, die gesamte Zeit daran zu denken, dass Scorpio in einen Squib-Kindergarten gehen würde.

Er hatte absolut keine Lust, sich den Tag versauen zu lassen, weil er seinen Bruder dafür verabscheute, die Familienehre auf dem Gewissen zu haben.

 

Seine Arroganz bewahrte ihn vor Schuldgefühlen. Zumindest die meiste Zeit über. Wenn er Zuhause war, dann war er sich fast sicher war, dass sein Bruder keine Ahnung hatte, wer er war. Er wusste auch nicht, ob Scorpio wusste, wer Lucius war. Nur seine Mutter hatte es über sich gebracht, den Jungen tatsächlich anzuerkennen und zu lieben. Er wusste, das würde ihm nicht passieren.

 

Und er wusste, wie es klang. Er wusste, wie es aussah. Aber daran konnte er nichts ändern. In seinem Herzen war kein Platz für Mittelmäßigkeit oder gar für Unfähigkeit. Und er bereute seine Entscheidung, keinen Bruder zu haben, mit keinem Gedanken. In keiner Sekunde. An keinem Tag.

 

Und hier, meilenweit von Zuhause entfernt schaffte es tatsächlich nur eine einzige Person, dass er für den Bruchteil einer Sekunde ein annähernd schlechtes Gewissen hatte. Nur annähernd, aber es reichte völlig aus.

Und dafür hasste er Hermine Granger noch mehr, als er es sowieso schon tat.

 

 

Teil 2

 

 

„Du kommst doch, oder?“ Zwar machte es jetzt nicht den Anschein, als ob Ron sich für diese Antwort interessieren würde, aber sie nickte gereizt.

 

„Ja. Ich denke zwar, dass es wichtigere Sachen zu tun gibt, als euch beim Quidditch zuzusehen, auf einem ziemlich schlechten Platz, aber ich bin ja immer dabei, oder nicht?“ Ron warf ihr einen Blick zu, der ihr wohl sagen sollte, dass Lernen definitiv ganz unten auf seiner Liste stand.

 

„Vielleicht würde es dir leichter fallen in Quidditch-Stimmung zu kommen, wenn du mich aufbauen würdest, Mine.“ Er war immer aufgeregt. Er hatte immer Angst, den ersten Schuss durch zu lassen.

 

„Ron, du bist der beste Hüter“, leierte sie ihren Satz runter und Ron wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu. Er trug bereits den Hut, die Uniform, die Schoner und setzte ein grimmiges Gesicht auf.

Obwohl er groß und ziemlich kräftig war, hatte er doch jedes Mal Angst. Hermine fand, dass machte ihn ziemlich menschlich. Aber sie würde nicht den Fehler machen und ihm ausgerechnet das sagen.

 

Sie wusste, niemand durfte auch nur andeuten, dass er Angst haben könnte, zu versagen. Deswegen war Ginny auch kurz vorm Spiel nicht mehr im Gemeinschaftsraum erlaubt, wenn Harry und Ron sich noch mal absprachen.

 

Harry hatte besonders schlechte Laune. Gedankenverloren zupfte er an seinen Haaren, obwohl sie immer gleich lagen. Und er hatte sich auch schon daran gewöhnt. Angestrengt fixierten seine Augen das Feuer im Kamin, während er auf der Couch wartete, dass Ron bereit war.

Seit letztem Sommer hatte Harry das Problem, dass er einfach nichts mehr zu tun hatte.

 

Es war nicht so, dass er sich entspannte. Nein. Das wäre wirklich schön. Das Todesserregime war zerstört, Voldemorts Macht war gestürzt worden und er war verschwunden. Und das regte Harry auf. Denn, obwohl Voldemort zwar fort war, war er in Harrys Augen nicht vernichtet. Denn nur weil sein Körper nicht zu finden war, bedeutete das nicht, dass er jetzt für immer fort war.

 

Hermine befürchtete, dass Harry das vielleicht für immer mit sich rum tragen würde. Vielleicht würde Voldemort wirklich nie wieder auftauchen, sie nie wieder jagen und dennoch würde Harry keine ruhige Nacht verbringen können.

Es bestand natürlich auch die Chance, dass Harry richtig lag und Voldemort wieder kommen würde.

 

Aber selbst Dumbledore hatte Harry zu erklären versucht, dass es mehr als unwahrscheinlich war, denn Voldemorts Seele sei verdammt und ein Körper ohne Seele, der einmal vernichtet worden war, konnte sich nicht mehr regenerieren.

Harry reichte diese Erklärung allerdings nicht.

 

Und auch, wenn Gryffindor heute also gewinnen sollte, würde es nichts an Harrys Gemüt ändern. Sie würde am liebsten hier bleiben, im Gemeinschaftsraum. Dann konnte sie lernen und musste sich keine Sorgen machen. Aber so einfach war es eben nicht mit ihren besten Freunden.

Es war nämlich einfach nur furchtbar für sie. Harrys größtes Ziel war jetzt nämlich eigentlich nur, offene Konfrontationen zu suchen.

Und natürlich konnte sie ihm nicht übel nehmen, dass er sich Draco Malfoy als Ziel ausgesucht hatte.

 

Aber sie konnte jetzt schon vorhersagen, wie dieser Abend ausgehen würde. Selten ging eine solche Quidditchkonfrontation ohne Aufenthalt im Krankenflügel zu Ende. Zwar war es recht bemerkenswert, dass sich Malfoy kaum auf Harrys Angriffe einließ, aber wenn es doch einmal dazu kam, dann endete es blutig.

 

Vor einem Monat hatte Malfoy Harry das Nasenbein zertrümmert und Harry hatte sich Rache geschworen und wartete nun auf den geeigneten Zeitpunkt. Hermine würde ihm gerne vorhalten, dass Gewalt nur für die Dummen der Weg zur Lösung sei, aber sie hatte aufgegeben. Sie wusste nicht, warum es für Jungen immer nur eine Lösung zu geben schien.

 

Gut, sie musste zugeben, wenn es zum Thema Malfoy kam, dann konnte sie auch nicht behaupten, immer ruhig und ausgeglichen zu sein.

Immer, wenn sie ihn sah, dann wünschte sie ihm auch die Pest an den Hals, aber sie hatte andere Gründe als Harry. Malfoy war ein Arschloch.

Und nicht nur weil er einen jüngeren Bruder hatte, den es für ihn nicht zu geben schien, nein, weil er sich über alle Regeln hinwegsetzte. Weil er alles bekam, ohne es zu verdienen und weil Mädchen einfach alle dumm waren.

 

Wie konnten sie jemanden nur so großartig finden, der das Dunkle Mal auf dem Arm trug, der anderen immer nur Befehle erteilte und immer nur sein eigenes Wohl im Hinterkopf trug?

 

Sie konnte es nicht verstehen. Sie wollte es nicht verstehen.

Sie glaubte immer an das Gute im Menschen. Sie glaubte, dass sich Menschen ändern könnten, wenn sie wollten und dass eigentlich in jedem Menschen ein guter Kern wohnte.

 

Aber sie machte eine Ausnahme. Eine einzige Ausnahme.

Sie hasste Draco Malfoy.

 

Es war soweit. Ron hatte sich von seinem panischen Spiegelbild losreißen können. Harry erhob sich prompt.


„Ok, bist du bereit?“ Er stellte die Frage jedes Mal. Es war wie ein seltsames Ritual.

 

„Nein.“ Ron schüttelte panisch den Kopf. Jedes Mal dasselbe.

 

Der Weg zum Quidditchfeld war jedes Mal beschwerlich. Wenn denn Gryffindor gegen Slytherin spielte. Sie war sich nicht sicher, ob Harry wusste, wie viele den Kampf zwischen ihm und Malfoy als Highlight empfanden.

Sie gehörte definitiv nicht dazu.

 

Aber Harry schien nicht mehr besonders viel aufnehmen zu können. Sie würde nächste Woche wieder mal ihr Glück versuchen, denn ihr größter Fehler war, dass sie glaubte, mit Menschen wirklich über ihre Probleme reden zu können.

Sie hatte schon bittere Lektionen mit Harry gelernt.

Im Moment war es erträglich. Er redete ab und an nicht mit ihr, aber genauso wenig redete er ab und an auch nicht mit Ron.

 

Sein Blick folgte Ginny, die im Zelt der Mannschaft verschwand. Hermine wusste, dass er sie vermisste. Aber Harry hatte aufgehört diese Dinge auszusprechen.

Er hatte mit Ginny Schluss gemacht, weil er sie nicht hatte in Gefahr bringen wollen.

 

Erst vor zwei Monaten hatten sie einen riesigen Streit gehabt.

 

Denn es war für Harry eine Zwickmühle. Er wollte Ginny zurück. Er wollte mit ihr zusammen sein, weil er sie liebte. Das wusste Hermine, das wusste Ginny, das wusste Harry. Ron ignorierte es, denn er fand die Idee immer noch nicht so großartig, dass Harry mit seiner kleinen Schwester zusammen war.

 

Aber Ginny hatte Harry gesagt, er hätte schließlich mit ihr Schluss gemacht, wegen der drohenden Gefahren. Und solange er nicht einsah, dass keine Gefahr mehr akut drohte, würde sie sich nicht noch einmal von ihm verletzten lassen.

Und Hermine verstand ihren Punkt.

Harry musste einsehen, dass er nicht alles haben konnte. Er musste einsehen, dass, selbst wenn die Möglichkeit bestand, dass Voldemort irgendwann wiederkam, er Menschen in sein Leben lassen musste. Und viel wichtiger – dass er wieder anfing zu leben.

 

Er musste sich eben entscheiden. Und sie wusste, er brauchte nur noch ein bisschen Zeit. Dann würde er einsehen, dass seine Sorge zwar ehrenhaft war, aber unnötig. Sie wusste nur nicht, wie lange es dauern würde und wie lange Ginny noch warten würde.

Cormac McLaggen gab sich große Mühe. Auch das nahm Ron mit äußerstem Unbehagen zur Kenntnis, aber die Zeiten, in denen er Ginny Vorschriften machen konnte, waren bedauerlicherweise vorbei. Zum Glück für Ginny.

 

Jedenfalls würde Hermine nur zu gerne allen mal die Meinung sagen. Angefangen von Harry über Ron bis zu Draco Malfoy.

 

Die Mädchen schrieen wie wild, als er sich vom Boden abstieß und eine Runde flog. Sie schüttelte fassungslos den Kopf.

Er verlor jedes Mal. Seltsam, dass es ihn nicht störte. Aber eigentlich gönnte sie es ihm, dass ihm das Leben hier nicht auch noch einen Bonus zu kommen ließ.

 

Die Jungen verschwanden ebenfalls im Zelt, wo Harry noch letzte Anweisungen gab. Sie begab sich in Richtung Tribünen. Lavender hatte noch einen freien Platz neben sich. Sie verdrehte kurz die Augen. Großartig.

Lavender gehörte zu den Mädchen, die keine Minute auf dem Platz sitzen bleiben konnten.

 

„Er ist so arrogant.“ Das waren zwar Lavenders Worte, aber Hermine wandte angewidert den Blick ab, denn Lavender schien Malfoy mit den Augen auszuziehen. Sie setzte sich und war froh, dass sie sich leichte Lektüre mitgenommen hatte. „Ob er wohl trainiert?“ Lavender lehnte sich weiter vor.

 

„Er geht joggen.“ Am liebsten hätte sie sich die Hand vor den Mund geschlagen. Was tat sie da? Das gleiche dachte wohl Lavender auch.

 

„Ja? Woher willst du das wissen?“ Hermine zuckte schließlich mit den Schultern.

 

„Ich weiß es nicht. Ich… hab ihn nur gesehen. Das ist alles.“ Sie schlug demonstrativ ihr Buch auf. Lavender sah sie noch eine weitere Minute lang an.

 

„Wo?“, fragte sie schließlich, betont gleichmütig. Hermines Blick wurde kälter. Lavender räusperte sich. „Nicht, dass es mich wirklich interessiert.“ Hermine drehte sich auf dem Sitz zur Seite und ignorierte Lavender. Malfoy drehte eine Runde und kam dann vor den Slytherintribünen zum Stehen. Dort schrieen die Mädchen seinen Namen. Sie wollte Lavender schon vorschlagen, einfach rüber zu gehen, aber sie verkniff sich den Kommentar.

 

Nach weiteren fünf Minuten kamen dann auch die Gryffindors aufs Feld.

 

„Du willst doch wohl nicht lesen!“ Lavender sah sie schockiert an. Hermine bemühte sich nicht einmal, den Blick zu heben, als sie antwortete.

 

„Nein, will ich nicht.“ Im Endeffekt hatte sie in den letzten sieben Jahren höchstwahrscheinlich zehn Minuten Quidditch aktiv ertragen. Das war auch mehr als sie eigentlich hatte sehen wollen. Sie hatte genug davon, für den Rest ihres Lebens. Sie wusste, das mochte für manche engstirnig und egoistisch wirken, aber Harry und Ron kümmerten sich auch nicht um die Dinge, die ihr wichtig waren.

 

Sie traf alle Schulsprecherentscheidungen, auch wenn Malfoy es ihr nicht einfach machte, und sie tat ihr bestes, um die besten Noten zu bekommen.

Harry und Ron machten sich lustig, boten an, Malfoy zu verprügeln und spielten Quidditch.

 

Deswegen hatte sie ihre Schuldigkeit getan, wenn sie einfach nur auftauchte. Physische Anwesenheit war alles, was ihre Freunde von ihr verlangten. Die konnte sie bieten. Sie blätterte um. Ein wildes Raunen ging durch die Menge. Dann hörte sie Jubel von der anderen Seite.

 

Anscheinend hatte Slytherin es geschafft, ein Tor zu ergattern. Sie hoffte nur, Ron würde keinen Anfall bekommen.

 

„Dieser Goyle-Mistkerl hat den Klatscher auf Ron gejagt! Das ist nicht fair!“, schrie Lavender neben ihr. Hermines Augen verließen die Seite, die sie gelesen hatte, um zu sehen, ob Ron noch auf seinem Besen saß. Und das tat er. Harry war neben ihm, soweit sie es erkennen konnten.

 

Sie sprachen irgendwas ab.

 

Gut. Keiner war verletzt.

 

Professor Vektor hatte ihr dieses Buch empfohlen. Es ging um die Sprache im Wandel und um die Übersetzungen und die Fehler, die immer häufiger passierten, weil es früher ein ganz anderes Sprachschema gegeben hatte.

Es ging um Wortwandel, Lautverschiebungen und es war spannender als sie angenommen hatte. Jedenfalls spannender als Quidditch.

 

Außerdem war es möglich, dass sie dieses Thema in der Abschlussklausur behandeln musste.

 

Das nächste Tor fiel für Gryffindor.

Irgendein Klatscher traf irgendwen.

Irgendwer schrie wütend.

Es gab einen Strafstoß und Gryffindor schoss noch ein Tor.

 

Alles lief so langweilig, wie es sonst auch immer lief.

Solange die Herren auf ihren Besen blieben, gab es keinen Grund für sie aufzusehen oder den Sitz tatsächlich zu verlassen.

Sie hatte erst ein Kapitel geschafft, aber sie befürchtete, dass sie es später noch einmal lesen musste.

 

Lavender schien neben ihr etwas wesentlich spannenderes zu sehen, als sie. Sie kaute auf ihren schlecht lackierten Fingernägeln und würde die Farbe bestimmt bis zum Ende des Spiels beseitigt haben, stellte Hermine trocken fest.

 

Manche Mädchen… Nein, sie würde den Satz nicht einmal in ihrem Kopf beenden.

Sie hob irritiert den Blick. In drei Meter Entfernung sah sie den kleinen geflügelten Ball. Er flatterte unruhig hin und her. Wo war Harry? Er würde bestimmt in der nächsten Sekunde von irgendwoher auftauchen und bessere Laune bekommen. So war es immer.

 

Bevor sie sich entspannen konnte, weil somit das Spiel bestimmt gleich wieder vorbei sein würde, schoss Draco Malfoy aus dem Nichts hervor, und bevor sie begriff, was passierte, schlossen sich seine Finger um den goldenen Ball.

 

Für einen Moment passierte gar nichts.

 

Niemand hatte damit gerechnet. Absolut niemand. Lavender schrie neben ihr. Ob aus verräterischer Freude oder aus Schock, wusste sie nicht zu sagen. Draco Malfoy schien mindestens genauso überrascht zu sein wie alle anderen, ehe sich nach einer Endlosigkeit seine Hand in die Höhe reckte.

 

Hermines Blick suchte das Feld ab. Harry saß steif auf seinem Besen, in der Mitte des Felds. Es war recht still, denn die Gryffindors reagierten überhaupt nicht, die Hufflepuffs hassten die Slytherins und die Slytherins hatten wohl selber noch nicht begriffen, dass sie so eben das erste Spiel seit… einer Ewigkeit gewonnen hatten.

 

Unglaube und wahnwitzige Euphorie zeichneten sich auf Malfoys Zügen ab.

Ein Schrei des Triumphs entrang sich seiner Kehle und sie hätte am liebsten die Augen verdreht.

 

Dann brach der Jubel tatsächlich los.

Sie hörte überwiegend Mädchen schreien. Sie klappte das Buch gereizt zu. Jetzt hatte er noch einen Grund mehr, widerlich zu sein und Harry hatte noch einen Grund mehr, Malfoys Genick zu brechen.

 

Genau das schien jetzt auch zu passieren, denn mit einer unglaublichen Geschwindigkeit schoss Harrys Besen direkt auf Malfoy zu.

Und ihr verflixter Mund öffnete sich, ehe sie darüber nachdenken konnte.

 

 

Teil 3

 

 

„Malfoy, pass auf!“

 

Er wandte den Blick in ihre Richtung. Er ärgerte sich schon fast, dass er auf ihre Stimme reagiert hatte. Er hatte überhaupt nicht gemerkt, wohin er geflogen war! Das Glücksgefühl war gerade viel zu großartig, als dass die Aussicht auf Hermine Granger irgendetwas daran hätte trüben können.

 

Das Schlammblut allerdings starrte panisch über seine Schulter. Es ging alles viel zu schnell, als dass er begreifen konnte. Instinktiv wandte er sich um, Adrenalin putschte durch seinen Körper.

 

Er hatte den verdammten Schnatz gefangen!

Zum verflucht ersten Mal in seinem Leben!

Er wollte sich einprägen, wie es sich anfühlte.

Er sah Potter in der letzten Sekunde.

 

Fuck. Er zog den Besen in der Luft herum und wich in der allerletzten Sekunde aus. Potter krachte an ihm vorbei, direkt in die Tribüne. Das Holz knirschte unter dem Aufprall und Dracos Freude dämpfte sich rasch. Die Flügel des Schnatzes schlugen träge gegen das Leder seiner Handschuhe.

Potter war über das Geländer der Tribünen gestürzt. Das war Glück für ihn, denn der Sturz in die Tiefe hätte sich bestimmt auf sieben Meter belaufen.

 

Und er schien ok zu sein, denn er kam fluchend auf die Beine.

Unter ihm brüllte Madame Hooch den finalen Punktestand in die Runde. Mit hundertachtzig zu vierzig befand sich Slytherin anscheinend wieder im Rennen. Er musste kurz nachdenken. Das hieß, er hatte doch noch nicht Ruhe.

Die Mannschaft würde noch mal gegen alle Häuser spielen müssen.

 

Der Lärm erreichte seine Ohren nicht. Er hatte den Schnatz gefangen! Nicht Potter! Nein, er hatte es getan! Für einen Moment kam es ihm absurd vor. Völlig falsch. Er wurde ein wenig sauer auf Potter, weil dieser vielleicht nicht sein bestes gegeben hatte, und Draco bestimmt nichts geschenkt haben wollte.

Aber er wusste, es war verrückt. Er hatte gewonnen! Er war besser!

 

Noch nie hatte er sich Gedanken darüber gemacht, dass er tatsächlich den Pokal bekommen würde! Das Schlammblut kletterte über die Sitze hinweg, runter zu Potter. Draco wollte eigentlich zum Sinkflug ansetzen, aber er wartete noch einen Moment.

 

„Was sollte das?“, schrie Potter außer sich, als das Schlammblut ihn erreicht hatte. „Auf welcher verfluchten Seite stehst du, Hermine?“ Potter hielt sich schnaubend seine Schulter. Grangers Mund öffnete sich, ohne dass sie etwas sagen konnte.

 

Verflucht fantastisch, fand Draco das! Granger bekam er selten sprachlos zu Gesicht. Und wegen ihr, war er unverletzt und Potter hatte nicht nur verloren, sondern wurde durch seine Schlammblut-Prinzessin auch noch gedemütigt!

Großartiger Tag. Er würde nicht vergessen, darauf noch mal zu sprechen zu kommen, wenn der geeignete Zeitpunkt erreicht war.

Bis dahin verdrängt er auch die Tatsache, dass sie ihn wahrscheinlich vor einigen hässlichen Verletzungen und schlaflosen Nächten im Krankenflügel bewahrt hatte.

 

Er konnte gut verdrängen.

 

Er stürzte sich in die Tiefe und genoss die Beifallstürme der Slytherins.

Ob ihm der Rummel zu Kopf steigen würde? Das hoffte er doch sehr!

 

 

~*~

 

 

 

Er war tatsächlich müde.

 

Das Mädchen unter ihm kam, bevor er es tun konnte. Für gewöhnlich gönnte er es keiner seiner Eroberungen, dass sie mehr Spaß hatten als er. Er wusste, das war ein seltsamer Gedanke, aber er hatte sich schon zu sehr daran gewöhnt.

 

Seine Gedanken waren immer noch beim Spiel, immer noch bei seinem Sieg!

 

Sie schrie seinen Namen. Er schloss die Augen, zwang sich zur Konzentration, denn wenn er nicht kam, dann war es verschwendete Zeit gewesen. Schweiß trat ihm wieder auf die Stirn, seine Muskeln waren komplett überbeansprucht und kaum noch zu gebrauchen. Er brauchte ein Bild in seinem Kopf, das ihn mit Garantie über die Klippe brachte!

 

Er hatte das perfekte Bild vor Augen! Potter schrie das Miststück an, beraubte es all ihrer Überlegenheit und Granger würde allein und verlassen, völlig wertlos, zusammen brechen.

 

Ein Grollen entrang sich seiner Kehle und er ergoss sich heiß in der Sechstklässlerin unter ihm. Seine Ellbogen gaben nach und er sank auf die Brust des Mädchens. Sie hob ihre Finger zu seinen Haaren.

Er hasste das! Mehr als alles andere. Sie sollte ja nicht den Anschein bekommen, er hätte Interesse, noch länger bei ihr zu verweilen. Das war nämlich ein herber Irrtum, sollte sie es denken.


Er zwang sich also zum Rande der Herzlosigkeit und rollte sich von ihr runter.

 

„Wir sind fertig“, keuchte er rau. Sie warf ihm einen verletzten Blick zu.

 

„Willst du vielleicht noch…“

 

„Nein“, gab er zurück, ohne sich ihren Vorschlag anzuhören. Er hörte sie die Luft hochziehen. Hoffentlich würde sie nicht anfangen zu weinen. Aber sie riss sich wohl zusammen, warf ärgerlich die Bettdecke zurück und zog sich hastig ihre Sachen an.

 

Manchmal fragte er sich, weshalb sie immer wieder zu ihm kamen. Seine einzige Erklärung war, dass sie wirklich auf seine Ablehnung standen. Das machte sie aber ziemlich verrückt.

 

Kaum war sie verschwunden, schlossen sich seine Augen vor Erschöpfung und er atmete aus. Pansy kam keine Minute später herein. Sie sagte nichts Entsprechendes, aber er nahm an, dass sie nur gewartet hatte, dass er das Mädchen wegschickte, dessen Namen er kurzzeitig vergessen hatte.

 

„Du hast gewonnen, Draco.“ Sie legte sich geschmeidig neben ihn.

 

„Nicht jetzt, Pansy“, knurrte er, der Erschöpfung ziemlich nahe. Er wusste, es war nicht zu vermeiden, mit Pansy Parkinson zu diskutieren.


„Draco, wir haben seit drei Tagen nicht mehr gevögelt, ich denke, ich werde bleiben. Ansonsten kannst du dir wen anders suchen, der dich von der Gewöhnlichkeit der Anfängerinnen ablenkt.“ Er atmete langsam ein.

 

Er war völlig fertig. „Pansy, heute nicht.“ Seine Stimme war gefährlich ruhig, aber sie ließ sich nicht beirren.

 

„Draco, ich möchte, dass du mich heute vögelst, und wenn du es nicht tust, dann werde ich mich für immer verwehren.“ Würde sie nicht. Er wusste, das würde sie niemals tun. Dazu war sie viel zu sehr von ihm und seiner Perfektion eingenommen.

 

„Du willst, dass ich dich vögel, obwohl ich gerade meinen Schwanz bis zum Anschlag in einer anderen Schlampe vergraben hatte?“ Er benutzt die Beleidigung wohl weißlich. Pansy konnte es nämlich verkraften. Worte waren viel zu anstrengend, stellte er am Rande des Bewusstseins fest.

 

Sie schnalzte mit der Zunge. „Es ist mir völlig egal, wo dein Schwanz gewesen ist, solange er in der nächsten Minute alleine mir zur Verfügung steht.“

 

„Ich mache mir auch eher Sorgen, dass du zu schmutzig für mich sein könntest. Wen hast du in der Zwischenzeit schon alles rangelassen?“, fragte er herablassend und rührte sich immer noch nicht.

 

„Als ob es dich nicht anturnen würde, Draco“, gab sie kalt zurück und zog sich das Shirt über den Kopf. Ihre Brüste quollen förmlich aus ihrem BH. Seine Mundwinkel zuckten kurz.

 

„Mach, was du willst, du kleine Hure, aber erwarte nichts von mir.“ Er schloss die Augen erneut. Ihre langen Fingernägel kratzten über seine Brust und ihre Hand umschloss schließlich ungeduldig seinen Schwanz. Langsam pumpte sie auf und ab. Er ärgerte sich fast darüber, dass er wieder hart wurde unter ihrem Griff.

Sie ließ sich rittlings auf ihm nieder und er spürte ihre Enge um seinen Schwanz.

 

„Hm… ich bin sicher, Potter ist nach seinen Siegen wesentlich aktiver.“ Ihre Stimme war tiefer und sie hatte den Ton angeschlagen, der ihn reizen sollte. Seine Augen öffneten sich. Was sie sagte, war absurd. Das wusste sie selber. Aber tatsächlich schaffte sie es, dass er zornig wurde. Er wurde augenblicklich härter in ihr und seine Hände legten sich hart auf ihre kurvigen Hüften.

 

„Oh ja, ist das so?“, fragte er lauernd, während er sich hart in sie rammte. Sie schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Ihr übertrieben geschminktes Gesicht verzog sich in süßer Qual. Am liebsten hätte er ihren Mund gevögelt, aber er war zu müde, um noch solche Initiativen zu ergreifen.

 

„Beweis mir das Gegenteil“, verlangte sie gepresst und er kam ihrer Aufforderung zornig nach. Natürlich war er besser als Potter! Er war besser als jeder hier! Das konnte er ihr verflucht noch mal jeden gottverdammten Tag beweisen! Das konnte er Granger ohne Probleme beweisen!

 

Er brauchte ihre Hilfe nicht! Kurz wünschte er sich fast, sie hätte nicht gerufen und Potter hätte ihn gerammt, Potter hätte ihm tatsächlich Schmerzen zugefügt! Sie musste ihn nicht retten! Weshalb hatte es das Miststück überhaupt getan?

„Verfluchtes Miststück!“, keuchte er. Und Merlin sei Dank hatte Pansy keine Ahnung, wen er gerade vor seinem inneren Auge hatte, so oft beschimpfte er Pansy mit diesen Worten.

Zur reinen Demütigung hatte er das Schlammblut vor Augen! Oh ja, er wünschte sich, das Granger ihm zusehen würde, dass sie sehen würde, wie wenig ihm ausmachte, was sie sagte oder was sie tat!

 

Am liebsten würde er auch sie von ihrem hohen Ross vögeln, ihr die verfluchten Worte aus dem Mund schlagen! Nicht, weil sie ihn erregte, nein, einfach um ihr die Worte zu nehmen, ihre verfluchte Überlegenheit! Ihm wurde selber schlecht von diesen Gedanken. Auf eine perverse Art turnte es ihn unglaublich an.

Mit letzter Kraft stieß er sich noch einmal tief in Pansy, presste sie hart auf seinen Schoss und fiel dann kraftlos zurück auf die Matratze.

 

„Jetzt verschwinde“, befahl er rau. Pansy lachte, ehe sie sich anzog.

 

„Du kannst dir die groben Worte sparen, Draco. Ich weiß, du stehst auf dieses Spiel.“ Er war nicht in der Lage, nach einer schlagfertigen Beleidigung zu suchen. Er würde das morgen nachholen. Er konnte Pansy morgen noch demütigen. Jeder Tag bot ihm eine neue Gelegenheit dazu.

 

Er war ihr absolut jeden Tag überlegen.

 

 

~*~

 

 

„Wie geht es deiner Schulter?“ Sie konnte nicht begreifen, wie schuldig sie sich fühlte. Dabei war es ihr nur darum gegangen, dass Harry sich nicht von der Wut überrollen ließ, dass er sich nicht dazu herab ließ, Gewalt anzuwenden, um seine Gefühle zu kontrollieren! Er war völlig unberechenbar! Mit keiner Sekunde hatte sie gewollt, dass er sich verletzte!

 

Er warf ihr einen bitteren Blick zu. Es tat ihr schrecklich weh, dass er sie so ansah. „Harry, es tut mir leid! Wie oft soll ich es noch sagen?“, beteuerte sie und verlor langsam die Geduld. „Es war… ein Reflex gewesen!“, fügte sie verzweifelt hinzu.

 

Er blieb stehen. „Ein Reflex? Malfoy vor Schmerzen zu bewahren ist ein Reflex, Hermine?“, knurrte er und sie verdrehte die Augen.

 

„Harry, du musst damit aufhören. Es ging nicht um Malfoy.“

 

„Oh doch, verflucht! Es geht um Malfoy! Dieser verfluchte Bastard hat den Schnatz nur gefangen, weil einer seiner Treiber ein unfaires Spiel gegen Ron gespielt hat!“, schrie er jetzt. Hermine zwang sich, darüber hinweg zu sehen. Er schrie nur, weil er sauer auf das Spiel war, nicht auf sie.

 

„Es ist eben schlecht gelaufen. Das passiert“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Seine Augen flammten auf.

 

„Schlecht gelaufen? Ja, es ist schlecht gelaufen! Jetzt hat Slytherin auch noch Pokalchancen! Begreifst du nicht, was das bedeutet?“ Sie sprach, ohne nachzudenken. Anscheinend entwickelte sie eine Schwäche dafür.

 

„Das bedeutet, dass er dich in noch einer Sache schlagen könnte.“ Seine Pupillen wurden plötzlich kleiner. Sie wusste, gerade hatte sie einen Fehler gemacht. Wahrscheinlich hatte sie sich für die nächsten Tage wieder die Schweigestrafe von Harry eingefangen. „Du musst darüber hinweg kommen, Harry“, fügte sie leiser hinzu. Er sah sie an, als wäre sie eine völlig Fremde.

 

„Du hast mich lächerlich gemacht! Vor allen Gryffindors, Hermine!“ Sie hätte gerne behauptet, dass er sich selber lächerlich gemacht hatte, aber diesmal schwieg sie. „Weißt du, was die andern denken? Weißt du das?“

 

„Wahrscheinlich denken sie, was zum Teufel in diesen verrückten, jähzornigen Trottel gefahren ist!“ Ihre Hände stemmten sich in die Hüften und ihr Puls beschleunigte sich. „Sei lieber froh, dass ich ihn gewarnt habe. Du hättest ohne Probleme vom Spiel suspendiert werden können. Du hättest von der Schule suspendiert werden können, weil du unkontrolliert Gewalt anwenden willst, Harry!“

 

„Es ist mir scheiß egal, Hermine! Was willst du tun? Mir Punkte abziehen?“ Sie wusste, sein Schlag unter die Gürtellinie war zu erwarten gewesen. Für einen Moment vergaß sie fast, dass es Harry war, mit dem sie hier sprach. Es war ihr bester Freund. Seit Jahren. Sie hatten Seite an Seite gekämpft. Eine solche Kleinigkeit, wie Schulstreitereien sollte sie beide völlig kalt lassen.

 

Aber das war nicht der Fall. „Du hättest ihn nicht warnen dürfen! Du hättest den Mund halten sollen! Nicht, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte – nein, verflucht!“ Er war näher gekommen und er war noch lauter geworden. „Ganz einfach deshalb, weil es Malfoy war!“, schrie er jetzt auf der Höhe seiner Lungen und sie wich vor ihm zurück.

 

„Harry, dein Hass nimmt solche Ausmaße an, dass es völlig verrückt ist!“

 

„Mich wundert, dass du – unter allen – diese Meinung nicht teilst, Hermine! Wann zum Teufel hat er angefangen, dich mit Respekt zu behandeln?“ Sie sagte darauf nichts, denn es war rein rhetorisch. Natürlich war Malfoy immer noch ein Arschloch. Und sie war sich schon nicht mehr ganz sicher, worum dieses Gespräch eigentlich ging.

 

Es ging doch darum, dass Harry nicht immer alles mit Gewalt lösen konnte. Aber anscheinend ging es mittlerweile darum, dass sie sich für Malfoy einsetzte – was sie nicht tat! Sie hätte jeden anderen genauso gewarnt!

 

„Hör auf mich anzuschreien! Ich habe es satt, Harry!“ Sie wandte sich zornig von ihm ab. In Verwandlung würde sie bestimmt nicht neben ihm sitzen. Sie hatte auch keine Lust neben Ron zu sitzen, der in seiner Depression versunken war. Er war auch sauer auf sie, aber trotzdem war er mehr sauer auf sich selbst, denn er gab sich die Schuld, dass Harry den Schnatz nicht gesehen hatte.

 

Sie hasste Jungs manchmal. Nein, eigentlich hasste sie Jungs die meiste Zeit über!

 

Und dass Harry dankbar darüber war, dass er sich nicht die Schulter gebrochen oder sich gar noch schlimmere Verletzungen zugezogen hatte, das war natürlich unmöglich! Es ging nur darum, dass er Malfoy nicht das Gesicht hatte zertrümmern können.

 

Sie war sich nicht sicher, wie lange dieser Streit anhalten würde. Und sie war sich im Moment nicht sicher, ob sie Lust hatte, etwas an der Situation zu ändern. Denn jetzt gerade – in dieser Sekunde – war sie so wütend auf Harry wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr.

Er hatte nicht das Recht, über sie zu bestimmen, ihr vorzuschreiben, wie sie sich verhalten und wen sie hassen sollte.

 

Sie hatte erwartet, ihr letztes Jahr würde einfach und unbeschwert sein, wo doch alles Böse endlich gebannt war, aber sie schien sich damit einfach geirrt zu haben. Schlicht und einfach geirrt.

 

 

Teil 4

 

Der Brief kam morgens mit den Eulen. Wäre der Brief nicht gekommen, dann könnte er sich sogar einbilden, dass er selbst auf die Sonne Einfluss hatte. Auf eigentlich alles in dieser Welt. Aber die Sonne verschwand nicht, wurde nicht von dunklen Wolken verdeckt, als er den Brief entfaltete. Also musste er annehmen, dass er doch nicht über alles Macht hatte.

 

Es war wieder einer von diesen Briefen. Einer der Briefe seiner Mutter. Nein, einer der Versuche seiner Mutter, ihn zu erwärmen.

Erfolglos. Seit drei Jahren mehr als erfolglos. Lächelnd überflog er die Zeilen, schmunzelte über den Vorschlag, dass er am Wochenende nach Hause kommen sollte, damit sie den glorreichen Tag feiern konnten, an dem seine Missgeburt von Bruder im Club der anderen Missgeburten aufgenommen worden war.

 

Als ob er sich wirklich dazu herablassen würde. Dass seine Mutter zur äußersten Lösung griff – nämlich ihn hier in Hogwarts zu belästigen – musste bedeuten, dass sich Lucius bereits dagegen entschieden hatte.

 

Obwohl ihm das Anliegen seiner Mutter nichts ausmachte, versaute es seine Laune. Er war nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Nicht mal heute, wo sein Nachmittag dadurch versaut wurde, dass er bis fünf Uhr Strafarbeiten beaufsichtigen durfte.

 

Er zerknüllte das Pergament gereizt zwischen seinen Fingern und ließ es achtlos in seine Tasche gleiten. Er würde es später entsorgen. Er glaubte nicht wirklich, dass seine Mutter eine Antwort von ihm erwartete. Wieso bürgte sie ihm überhaupt so eine Last auf? Er hatte nie erwartet, dass er seine Mutter verabscheuen würde, aber sie wollte es ja nicht anders. Sie schrie ja danach, dass er nichts als Mitleid für sie empfand. Mitleid, weil sie so schwach war. So schwach, dass sie nicht anders konnte, als ein Herz für Missgeburten zu haben.

 

Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht ließ er sich doch leicht aus der Fassung bringen. Aber nur von zwei Dingen. Von Squibs und Schlammblütern. Er schloss kurz die Augen. Der Lärm der Halle füllte seine Ohren, ließ ihn vergessen, machte ihn taub für seine eigenen Gedanken. Für einen Moment.

 

 Nur für einen Moment. Dann ging sein schlechter Tag nahtlos weiter.

 

„Hier.“ Ihre Stimme… Fingernägel, schmutzige, widerliche Fingernägel auf einer verflucht unwürdigen Tafel. Ihr Timing war schlicht und einfach… schlecht. Wirklich schlecht. Er hasste sie.

Roter Hass. Tiefroter, blutiger Hass.

 

Er hob den Blick, zögerte es so lange raus, bis er wieder Kontrolle gewann, bis er es über sich bringen konnte. Sie zu sehen… Sie. Zu. Sehen.

Sie versaute ihm seinen Tag. Immer und immer und immer wieder. Er verachtete tatsächlich alles an ihr. Ihre plumpe, unförmige Gestalt und ihre Intelligenz, von der sie selber so vereinnahmt war, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie dennoch vollkommen wertlos war. Er verachtete sie dafür, dass sie sich in seinen Verstand schleichen konnte, wenn er gerade Jungfrauen das Gehirn aus ihren Köpfen vögelte.

 

Sie hielt ihm emotionslos einen Brief entgegen. Oh, er würde einiges an Gold dafür geben, dass sie seine Gedanken jetzt lesen konnte. Jetzt gerade in diesem Moment. Dann würde ihr die Überheblichkeit vergehen. Ihre Hand zitterte allerdings. Wahrscheinlich vor Zorn. Er kannte sie. Zu gut. Er hasste es, sich diese Tatsache eingestehen zu müssen, aber dann wiederum – es war niemals schlecht den Feind so gut zu kennen, wie sich selbst.

 

Er entnahm den Brief ihrer Hand, ohne ihre Finger zu berühren. Langsam, so dass sie noch eine endlos, quälend lange Sekunde vor ihm stehen musste. Er wusste, er erweckte dieses Gefühl in ihr. Dieses Gefühl, dass er von weitem schon orten konnte. Dieses Gefühl, das er in ihrem Blick erkannte, wann immer sie seiner Anwesenheit gewahr wurde.

 

Und es gefiel ihm, dass er es in ihr wecken konnte. Es gefiel ihm ausgesprochen gut; denn so klug das verfluchte Schlammblut auch war, sie konnte sich nicht dagegen wehren. Niemand wehrte sich gegen seine Präsenz. Niemand wehrte sich gegen seine Erhabenheit. Und da es ihre maßgeblichen Tugenden ihr verboten, ihn zu vergöttern, musste sie eben das genaue Gegenteil tun!

 

Oh ja! Er genoss ihre Qualen. Und er fühlte sich nicht danach, sie schon zu entlassen, aus der verhassten Umgebung.

 

„Ein Liebesbrief?“, erkundigte er sich kalt und ließ seine Stimme vor Sarkasmus und Verachtung triefen. Ihre Lippen wurden schmal. Sie schien alle Farbe zu verlieren. Er wusste, es bereitete ihr physische Qualen dass es ihr in seiner Gegenwart unmöglich war, ihre kühle Kontenance aufrecht zu halten.

 

„Bild dir bloß nichts ein, Malfoy“, erwiderte sie nach einem kurzen Moment ihrer stummen Verachtung. Er nahm an, es bereitete ihr ein perverses Vergnügen, seinen Namen auf diese Art und Weise auszusprechen. Als wäre er etwas giftiges, etwas gefährliches, etwas, dass sie niemals begreifen und niemals kontrollieren würde.

 

„Ich hielt es für naheliegend, denn… du hast mich schließlich vor Potter gerettet.“ Natürlich meinte er die Worte nicht ernst. Aber es schien Grangers wunder Punkt zu sein. Aus den Augenwinkeln schielte sie bereits Richtung Gryffindortisch, als würde Potter jedes ihrer Worte belauschen.

Wahrscheinlich tat er das auch.

 

„Oh, halt die Klappe“, fuhr sie ihn schließlich an. Er musste lächeln.

 

„Wenn du willst, dann gehe ich zu Potter und erklär ihm, dass ich ihn jederzeit in den Boden rammen könnte, wenn ich will.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich würde ihm klar machen, dass ich wirklich nicht auf die Hilfe eines Schlammbluts angewiesen bin“, fuhr er fort. Sie fixierte ihn zornig.

 

„Lass Harry in Ruhe. Du bist die Mühe nicht wert.“ Verärgert zuckten seine Mundwinkel.

 

„Du erwartest doch wohl nicht, dass ich mich bei dir bedanke, oder Granger?“, erwiderte er jetzt und sie lächelte tatsächlich.

 

„Bedanken? Malfoy, ich glaube nicht, dass so etwas in deinem Wortschatz enthalten ist.“ Warum hatte sie es dann getan? Die Frage ließ ihn nicht los. Egal, ob es ihn störte oder nicht. „Und der Brief ist von Dumbledore. Es geht um dein unfaires Verhalten gegenüber Schülern und den Machtmissbrauch, den du ausübst.“ Kurz entglitten seine Züge. Dieses Miststück.

 

Sie wandte sich von ihm ab und zu spät bemerkte er, dass sie das letzte Wort gehabt hatte. Stumm folgte ihr sein Blick. Er hörte nicht mal, was Pansy zu ihm sagte. Sein Blick traf auf Potters als Granger sich gesetzt hatte und ihm den Rücken zukehrte.

 

Armer Harry… Jaah, er würde ihm noch die Chance geben, Kräfte mit ihm zu messen. Potter war ein Gegner, den er gerne zum Feind hatte. Potter stand mit so viel Gefühl hinter jeder kleinen Vendetta, dass es Draco schon fast Freude bereitete, sich auf einen Streit mit Potter einzulassen. Es war erfrischend belustigend.

 

Darum würde er sich später kümmern.

In Dumbledores Notiz stand wirklich nur, dass er nach seiner Aufsicht zu ihm ins Büro kommen sollte. Er würde Granger einfach umbringen. Jetzt konnte er sich auch noch vor Dumbledore rechtfertigen. Neben Granger war Dumbledore der zweite Mensch, der sich nicht von seinen Taten oder seinem Aussehen beeindrucken ließ.

 

Nun, da war noch Lucius, der immer unbeeindruckt war, aber Draco zählte ihn zu einer neutralen Person. Lucius Malfoy zählte nicht. Sein Vorbild kritisierte man schließlich nicht. Gut, er würde den Abend mit Dumbledore schon überleben, würde ihm den braven Jungen vorspielen und dann wäre das gegessen.

Damit Granger ihm das nicht noch einmal antun würde, würde er ihr bei Gelegenheit klar machen, dass sie mehr als ihren Ruf als Schulsprecherin zu verlieren hatte, wenn sie es wagte, sich mit ihm anzulegen.

 

„Irgendwas Interessantes am Gryffindortisch entdeckt, Draco?“, erkundigte sich Pansy kalt und er löste seinen Blick von Grangers Hinterkopf.

 

„Nein, Pansy. Eifersüchtig?“, fragte er scheinheilig, denn er wusste, Pansy war schnell in Rage zu bringen.


„Auf dieses Pack dort drüben? Bestimmt nicht. Sehen wir uns heute Abend, Draco?“ Ihre Hand legte sich auf seinen Oberschenkel. Er grinste kurz.

 

„Wenn ich Lust habe, dann ja.“ Die Antwort ärgerte sie, das konnte er sehen, aber sie zog ihre Hand nicht zurück. Sein Blick glitt noch ein weiteres Mal an den Gryffindortisch. Potter hatte den Blick abgewandt.

 

 

~*~

 

Erst als er das Gesicht des schlecht gelaunten Devonports sah, fiel ihm wieder ein, dass er ja selber noch nach dem Bild sehen wollte. Vielleicht wusste dieser Gryffindor ja mehr, als er zugab. Er betrachtete ihn kurz und es amüsierte ihn schon fast, dass Devonport mit voller Absicht verbissen auf seinen Zettel starrte.

 

Er würde ihn gerne fragen, ob Dumbledore ihm das Nachsitzen mit Filch gestrichen hatte. Aber eigentlich interessierte es ihn nur am Rand.

Es saßen keine Slytherins im Raum.

Anscheinend war Granger diese Woche noch nicht dazu gekommen, aus reiner Gleichberechtigung, ein paar Slytherins hier reinzustecken.

Tatsächlich verhängt er nie Strafen an Slytherins. Aber das lag nur daran, dass sie eben bessere Schüler waren als die anderen.

 

Dracos Strafarbeiten waren meistens simpel, denn das störte vor allem die Gryffindors. Für Devonport hatte er sich den großartigen Satz „Ich darf die Bilder im Schloss nicht beschädigen, nur weil ich ein Gryffindor bin“ ausgesucht. Den durfte der Junge jetzt hundertmal schreiben. Dann war er bestimmt so aggressiv, dass Draco ihm für nächste Woche gleich noch eine Strafarbeit aufdrücken konnte.

 

Er lächelte unverschämt. Er konnte es nicht unterdrücken.

Ab und an passierte es, dass einige Schüler schlechte Laune bekamen, dann war es nicht so langweilig und er konnte noch ein paar Extrapunkte abziehen.

Heute würde dies allerdings nicht so einfach werden, stellte er fest.

 

Denn jetzt erschien Granger in der Tür.

Er wusste, sie kam nur, damit sie prüfen konnte, dass er die armen kleinen, dämlichen Gryffindors nicht ärgerte. Er kannte ihre Methoden.

 

„Sieh mal einer an, die Schulsprecherin persönlich.“ Die Schüler wandten die Köpfe in Richtung Tür, und vielleicht bildete er es sich nur ein, aber er glaubte, dass er über jedes Gesicht einen dankbaren Ausdruck huschen sehen konnte. Kleine Jungen waren einfach undankbar und dumm.

Wenn Mädchen hier waren, dann wurde er meistens mit Fragen und Komplimenten gelöchert. Aber Granger hatte ihm diesen Spaß genommen.

 

Aus naheliegenden Gründen, wie sie es nannte. Denn sie betreute die Mädchen größtenteils. Manchmal gelang ihm doch ein Triumpf. Dann konnte er seine Überwachung mit ein wenig Sex auf den Toiletten verbinden.

 

„Alles klar hier?“ Sie stellte nicht ihm diese Frage. Die Schüler nickten alle hastig. Anscheinend hatten sie alle ausnahmslos Angst vor ihm. Gut. Das wollte er auch.

 

„Vergiss nicht, dass du hiernach zu Dumbledore musst.“ Er seufzte theatralisch.


„Granger, wenn ich dich nicht hätte, dann würde ich wahrscheinlich nicht überlebensfähig sein.“ Keiner wagte zu lachen. Wenn Mädchen da wären, dann würde Granger schon vor Scham im Boden versunken sein.

 

„Vergiss es, Malfoy.“


„Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs? Hast du mich vermisst? War unser Gespräch heute Morgen nicht zufriedenstellend gewesen?“ Sie schien ein wenig verwirrt zu sein. Wahrscheinlich, weil seinen Worten noch keine Beleidigung gefolgt war. Als ob er nicht wissen würde, wie er sich verhalten müsste. Manchmal.

 

Aber er musste zugeben, dass seine Laune nach seinem Sieg Streckenweise wirklich unerschütterlich war. Und hier zu sitzen und Leuten zugucken zu können, wie sie grauenhafte Arbeiten verrichteten, die er nicht machen musste, gehörte definitiv zu seinen angenehmsten Pflichten.

 

„Nein, Malfoy. Nur Kontrolle.“

 

„Kontrolle? Wir verstehen uns hier alle ganz wunderbar, nicht wahr, Devonport?“, fügte er mit einem teuflischen Grinsen hinzu. Gequält erwiderte Devonport seinen Blick. Nur zu schnell hatte er ihn wieder auf sein Pergament gesenkt.

 

Granger schritt zu seinem Tisch und lugt dem Gryffindor über die Schulter. Ihr gereizter Blick traf ihn, als sie den Satz gelesen hatte, den Devonport schreiben musste.

 

„Wirklich clever, Malfoy. Und die Botschaft dahinter, die wird ihm wirklich nützlich sein.“ Er konnte es nicht ändern, aber je schlechter ihre Laune wurde, umso besser wurde sein. Er lächelte nur. Etwas verloren stand sie nun im Klassenraum. Sie strich sich die Haare, die aus ihrem Zopf gefallen waren, hinter die Ohren. Sie mied immer seinen Blick.

Er wusste, die meisten taten das aus Unsicherheit, deswegen blickte er den Menschen direkt in die Augen. Bei Granger war er sich nicht sicher.

 

Sein Blick verfing sich an ihren Lippen. Sie sprach mit einem anderen Schüler, so leise, dass er es nicht verstehen konnte. Es war seltsam, ihren Mund normale Worte sprechen zu sehen. Er hörte sie immer nur Formeln aus dem Lehrbuch sprechen, wenn er Unterricht mit ihr hatte,  oder er hörte ihre Wut, denn etwas anderes kannte er von ihr nicht.

 

Wollte er auch nicht.


Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden, auch wenn ihm nicht ganz klar war, weshalb er diese masochistische Ader hatte. Es war kein Vergnügen, dem Schlammblut zuzusehen. Er wusste, es war reiner, männlicher Instinkt, und nichts, was er irgendwie ändern konnte, aber es störte ihn, dass er die Wölbung ihrer Brüste unter ihrer Bluse zur Kenntnis nahm. Vielmehr war es nicht, als zur Kenntnis nehmen.

 

Er fühlte sich nicht angezogen.

Er würde sie gerne fragen. Würde gerne wissen, weshalb sie ihn gewarnt hatte. Es stand einfach im Gegensatz zu allem, was er von ihr kannte.

Und es störte ihn auch, dass er nicht wusste, weshalb sie etwas tat. Sonst war es ihm völlig klar, weshalb sie ihn verabscheute. Er beleidigte sie, weil sie eben unter seiner Würde war. Ihre Reaktion darauf war Verteidigung und Hass. Damit konnte er umgehen. Aber wenn das Schlammblut plötzlich anfing gegen die Gewohnheit zu arbeiten, dann musste er wissen, warum.

 

Und er musste es unterbinden! Aber zuerst wollte er wissen, warum.

 

Gleich war es fünf. Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach hier zu bleiben und den Direktor sitzen zu lassen. Einfach nur, damit sie sich aufregte. Ihr ging es immer um das perfekte Bild des Schulsprechers, das sie nun bei weitem nicht verkörperte, fand Draco.

Er wusste, weshalb sie hier war und sicher stellte, dass er auch ja seinen dämlichen Termin einhielt. Es ging immer um die äußere Erscheinung. Überall. Niemals würde sie sich gehen lassen, niemals würde sie ihn vor ihrem heiligen Potter als Bastard beschimpfen.

 

Niemals würde sie ihn aus irgendeiner Notlage retten.

Und doch hatte sie genau das getan. Warum, zum Teufel?

Den Abscheu, den er empfand, wenn er nur daran dachte, sie zu fragen, wurde fast überschattet von der grenzenlosen Neugierde, die an ihm nagte.

Aber nicht heute.

 

„Beobachtest du mich?“, hörte er ihre scharfe Stimme seine Gedanken durchbrechen und er bemerkte ärgerlich, dass sie den Blick wieder ihm zugewandt hatte.

 

„Das hättest du wirklich gerne, oder Granger?“ Ehe sie darauf etwas Entsprechendes hätte erwidern können, stand einer ihrer jämmerlichen Retter in der Tür.

 

„Was hätte sie wirklich gerne, Malfoy? Deine Fresse poliert? Das würden wir alle ziemlich gern tun“, fuhr er knapp fort. „Ich wollte dich abholen“, fügte er an Granger gewandt hinzu. Draco konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen. Sie ließen Granger nie allein. Weasley am allerwenigsten. Wahrscheinlich ließ Granger ihn gelegentlich an ihre weißen Schulsprecherinnen-Höschen.

 

Der Gedanke widerte ihn an.

 

„Ich kann alleine laufen, Ron.“ Immerhin nervte Weasley sie auch. Seine roten Haare lagen schon genauso ungekämmt wie Potters. Wahrscheinlich würde er seine Geschwister verkaufen, könne er genauso ein tragischer Held sein, wie Potter.

 

„Ja, aber Harry hat gesagt, dass du…“ Sein Blick traf ihn. Als ob sich Draco wirklich dafür interessierte, was das Wiesel zu sagen hatte! „Na ja, dass du hier zu ihm gehst“, fügte er leiser hinzu.

 

„Ron, ich gehe bestimmt nicht zu ihm, ich sehe nach dem Rechten hier“, gab sie gepresst zurück.

 

Draco beschloss, dass sie ihn heute ruhig noch einmal hassen konnte. Er erhob sich schließlich.

 

„Ich bin dann weg. Viel Spaß noch hier.“

 

„Malfoy, deine Aufsicht ist noch nicht vorbei“, gab sie zurück und er zuckte gelangweilt mit den Achseln.

 

„Mir egal.“ Er grinste, schulterte seine Tasche und ließ sie stehen. Er hatte schließlich noch nachholen müssen, das letzte Wort vor ihr zu haben. Er hörte, wie sich Weasley lautstark beschwerte, Granger anbot, ihm nachzusetzen, aber sie lehnte dieses Angebot ab. Jetzt musste er seine Zeit tatsächlich damit verschwenden, dem alten Mann zuzuhören.

 

Mit jedem Schritt in Richtung Büro verlor er ein wenig an Mut. Dumbledore schüchterte ihn nicht ein, aber… etwas an seiner Ausstrahlung gefiel Draco gar nicht. Er wusste auch, was es war. Es war dasselbe, was er auch bei seinem Vater empfand. Wann immer Dumbledore mit ihm sprach, machte er sich mentale Punkte auf einer Liste.

 

Es gab immer etwas, das er gerne kopieren würde. Sei es nur eine Geste, eine Redewendung, ein Blick… Und immer, wenn ihm auffiel, dass er sich etwas einprägen wollte, dann ärgerte es ihn.

 

Wenn ihm irgendwo nämlich auffiel, dass er vielleicht nicht perfekt sein könnte, dann zerrte es für einen Moment in seinem Innern. Es brachte seine ganze Welt ins Wanken und das konnte er nicht leiden. Er war niemals unvorbereitet. Niemals. Er atmete ein letztes Mal aus, ehe er das Passwort sagte, um zu Dumbledores Tür zu kommen.

 

Für sein Ego war es außerdem unvorstellbar, dass er Eigenschaften eines Mannes übernehmen wollte, der sich als Passwort Bananen-Creme-Torte ausgesucht hatte.

Er streckte den Rücken durch und klopfte so selbstbewusst wie möglich an die Tür des Direktors.

 

„Kommen Sie rein, Draco.“

 

 

Teil 5

 

 

Sie war müde. Sie wollte sich nicht mit Ron anlegen. Denn wenn sie es sich auch noch mit Ron verdarb, dann blieb ihr eigentlich nur noch Ginny.

Bei Ron war es so, dass er ihrer Ansicht war. Er fand auch, dass sich Harry zu sehr verändert hatte, dass er sich zu sehr runterziehen ließ, von der Tatsache, dass Voldemort nicht vor seinen Augen gestorben war.

 

Aber Ron wagte es nicht, Harry irgendetwas vorzuwerfen. Dazu hatte er nicht den Mut. Außerdem nahm er an, Harry könne ihn aus dem Team werfen lassen, wenn er es wagte, Harrys Stimmung zu kritisieren.

Ron war sogar bei ihr geblieben. Bis die Aufsicht zu Ende war. Das war nett von ihm. Sie wusste, er hatte immer ein besonderes Auge auf sie. Vor allem, seit sie Schulsprecherin zusammen mit Malfoy war.

Zwar glaubte sie nicht ernsthaft daran, dass es wirklich für sie gefährlich werden könne, denn Malfoy markierte schließlich nur den Bösewicht.

 

Es war völlig unnötig. Aber auch Ron liebte Konflikte mit Malfoy. Jungen schienen es dringend zu brauchen, sich Ablenkung durch Schlägereien zu verschaffen. Zu viel Testosteron, nahm sie an.

 

Immerhin kam Ron nicht auf die Tatsache zu sprechen, dass sie Malfoy gewarnt hatte. Sie hatte ja nur verhindert, dass es blutig wurde! Harry führte sich auf, als wäre sie persönlich daran schuld, dass Malfoy den Schnatz gefangen hatte. Als hätte sie ihn Malfoy zugeworfen, oder so etwas. Das stimmte ja nun schon mal gar nicht!

 

„Denkst du…“ Ron sah nachdenklich nach vorne. Er war so viel größer als sie. Sie erinnerte sich nicht mehr an den Tag, an dem er so weit über sie gewachsen war. Es musste schon eine Weile her sein.

 

„Was?“, fragte sie und war sich sicher, es würde etwas Unangenehmes folgen. Ron machte eigentlich keinen Hehl aus seinen Gedanken.

 

„Denkst du, er hat irgendeine Absicht?“ Sie sah Ron kurz an. Dann zuckte sie die Schultern.

 

„Ich denke, er braucht Zeit, um sich zu beruhigen. Ich glaube nicht, dass er irgendwas tun wird, Ron. Ich meine… das Böse ist besiegt, nicht wahr?“ Sie ruckte mit dem Kopf.

 

„Nein, nicht Harry, Hermine“, fuhr Ron sie leise an. „Ich rede von Malfoy“, fügte er mit absoluter Selbstverständlichkeit hinzu.

 

„Malfoy?“, wiederholte sie jetzt langsam und spürte die tausend fragenden Falten, die auf ihrer Stirn erschienen.

 

„Ja! Ich meine… manchmal denke ich, er… guckt dich an.“ Sie war stehen geblieben. Ron war noch ein paar Schritte gegangen, ehe er sich jetzt unwillig zu ihr umwandte.

 

„Er guckt mich an?“ Ihre Stimme war ein paar Lagen höher gerutscht. Das war so absurd, dass sie am liebsten den Kopf geschüttelt und Ron geschubst hätte.

 

„Ja. Gestern beim Frühstück und gerade im Klassenzimmer und beim Spiel gegen Gryffindor war er ständig an der Gryffindortribüne.“ Sie fragte sich unwillkürlich, ob Ron überhaupt verstand, was er da sagte.

 

„Ron, wir reden hier von Malfoy. Von Draco Malfoy.“

 

„Ich weiß das. Ist es dir noch nicht aufgefallen?“ Jetzt klang er wütend, als würde sie sich über eine Theorie lustig machen, die völlig legitim sei.

 

„Nein, ist es nicht“, gab sie ruhig zurück. Sie zwang sich einfach, Ron ernst zu nehmen, so gut es eben ging. „Und das liegt daran, dass Malfoy andere Dinge zu tun hat, als mich anzugucken, Ron. Er ist Malfoy bei Merlin noch mal. Er hat jeden Tag ein neues Mädchen und er trägt seinen Muggelhass jetzt wirklich nicht versteckt zur Schau.“

 

Ron schloss den Abstand und wirkte noch zorniger. „Ja, das mag sein, aber du weißt nicht, wovon ich rede“, knurrte er jetzt tatsächlich wütend. Und nein, anscheinend wusste sie es nicht. „Er… guckt dich anders an, verstehst du? Er guckt dich an, wie ein Junge ein Mädchen ansieht. Nicht, wie wir uns ansehen, sondern…“ Er hob in Ermanglung besserer Worte die Hände.

 

Hermine begriff. Aber das war unmöglich.


„Du irrst dich“, sagte sie deshalb schlicht.

 

„Ich hoffe wirklich, dass ich mich irre, denn sonst werde ich ihm seine Gedärme aus dem Leib fluchen müssen“, fuhr er geflissentlich fort. „Ich will nur, dass du vorsichtig bist.“

 

„Ron, kennen wir uns nicht? Du weißt, dass ich niemals irgendetwas tun würde, was nicht hundertprozentig sicher und vorher geplant ist.“

 

„Sowie Malfoy vor Harry zu warnen, ja?“ Derber Schlag ins Kontor. Sie verzog den Mund.

 

„Ich habe Harry schon gesagt, dass es ein Versehen war. Ein… Reflex.“ Etwas in ihr weigerte sich, schon wieder zu betonen, dass sie es aus Reflex gemacht hatte. Aber Ron sagte daraufhin nichts. Es reichte ihr ohnehin schon, dass Ron sich dazu genötigt sah, sie noch mehr zu beschützen. Sie brauchte seine Hilfe wirklich nicht.

 

„Und du irrst dich…“, fügte sie noch einmal höchst verärgert hinzu. Ron sagte dazu nichts mehr.

 

„Wollen wir in den Gemeinschaftsraum zurück?“, fragte er jetzt versöhnlicher. Sie schüttelte den Kopf.

 

„Ich muss noch in die Bibliothek. Ein Buch zurückgeben. Sonst kostet es mich einen Knut“, fügte sie leiser hinzu. Ron musste grinsen.

 

„Oh, ein Knut, das ist schon eine Menge an Reichtum. Da musst du wirklich aufpassen. Wer den Knut nicht ehrt, ist den Sickel nicht wert“, fuhr er immer noch grinsend fort. Sie verdrehte die Augen.

 

„Vergiss es. Ich will einfach nur keine Schulden machen.“ Sie hätte es nicht sagen sollen. Wieso erzählte sie immer alles? Gott, manchmal wünschte sie sich, sie würde einfach nur den Mund halten.

 

 

~*~

 

 

Er war bereits an die seltsamen Gerätschaften gewöhnt, die sich in Dumbledores Büro stapelten. Er kam sich immer eher vor wie ein Eindringling als wie jemand, der die Erlaubnis hatte, hier zu sein.

 

„Bitte, setzen Sie sich.“ Der alte Mann saß an seinem Schreibtisch und wirkte müder, als Draco ihn in Erinnerung hatte. „Miss Granger hat mich informiert, dass Sie bevorzugterweise Gryffindors bestrafen, Draco.“ Natürlich hatte das kleine Biest so etwas behauptet.

 

„Ich bestrafe nur, wer es verdient hat bestraft zu werden. Gryffindors genauso sehr wie Slytherins oder Ravenclaws und Hufflepuffs, Sir.“ Er zwang sich, Blickkontakt zu halten.

 

„Ich gratuliere zu dem Sieg über Gryffindor“, sagte der Schulleiter jetzt, ohne einen erfindlichen Grund. Draco war kurz überrascht. Aber nur kurz. „Das bedeutete, Slytherin hat zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder Pokalchancen. Ich nehme an, Professor Snape wird begeistert sein“, fügte Dumbledore jetzt hinzu.

 

„Ja, Sir“, erwiderte Draco, denn was sollte er darauf schon sagen?

 

„Wird Ihr Vater zu Ihrem nächsten Spiel erscheinen?“ Lucius? Es ging um Lucius? Draco verstand die Absichten hinter Dumbledores Worten nicht. Und das regte ihn auf.

 

„Ich schätze nicht, Sir, nein.“

 

„Aha.“ Dumbledore setzte die Brille ab und räusperte sich schließlich. „Wirklich schade. Ich habe gehört, Ihr Bruder kommt nun in den Kindergarten, Draco?“ Seine Gedanken rasten und sortierten sich sehr schnell. Wollte Dumbledore etwa über seinen Bruder reden? Oder über seine Familie? Waren Schulsprecherpflichten und Quidditchgeplänkel nur der Einstieg gewesen?

 

„Jaah, Sir“, wiederholte er langsamer als zuvor.

 

„Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Draco?“

 

Es war unnötig, diesen Wunsch abzulehnen, denn Draco war sich sicher, Dumbledore würde seine Frage sowieso stellen. Er nickte also. Seine Augen verengten sich. „Haben Sie Respekt vor Ihrem Bruder?“

 

Die Antwort auf diese Frage, formte sich als Gegenfrage, und Draco war nicht in der Lage sie aufzuhalten. „Hat Granger Ihnen das gesagt?“ Er bereute seine schnellen Worte sofort.

 

„Miss Granger hat mir nichts über Ihren Bruder erzählt, Draco. Weshalb sollte sie?“ Dracos Mund öffnete sich. Dann schwieg er mit einem gewissen Trotz. „Draco…“ Der Mann vor ihm legte seine Fingerspitzen aneinander und betrachtete ihn. „Sie sind Schulsprecher geworden, weil sie erster Vertrauensschüler waren, Sie haben ausgezeichnete Noten und haben sich sehr um Slytherin gekümmert.“ Dieser Satz schrie nach einem Aber. Draco hätte wissen müssen, dass er in eine Falle gelaufen war.

 

Er hätte niemals unvorbereitet hier erscheinen dürfen. Er wappnete sich, setzte sich gerade hin und ließ den Mann vor sich nicht aus den Augen.

 

„Ihre Pflichten haben sich jetzt erweitert. Sie müssen begreifen, dass Sie sich nicht mehr um Slytherin kümmern. Sie stehen als Repräsentant für alle Häuser. Sie haben jeden mit Respekt zu behandeln, egal aus welchem Haus, egal, wie sein magischer Stammbaum aussieht. Haben Sie sich nie gefragt, weshalb ich Sie zum Schulsprecher ernannt habe und nicht jemand anderen?“

 

Potter.

 

Weshalb er und nicht Potter? Draco ärgerte sich maßlos darüber, dass er die Worte dachte, Dumbledore sie aber gar nicht ausgesprochen hatte. Er war Schulsprecher, weil er es verdient hatte. Er war nun mal der Beste! Potter war nur… er war nur… ein gewöhnlicher Held. Nichts Besonderes. Er hatte einen Haufen Glück gehabt! Und Menschen, die seinen Hinter hundertmal gerettet hatten! Nichts weiter!

 

„Nein, Sir, habe ich nicht“, log er deshalb und hielt seine Stimme im Zaum.

 

„Ich hielt Sie für klug genug, Unterschiede begreifen zu können. Die Pflicht von dem Vergnügen zu trennen. Hogwarts würdig widerzuspiegeln. Und ich halte Sie immer noch für vollkommen geeignet. Ich weiß, dass Sie und Miss Granger Differenzen haben.“ Draco wären ungefähr fünfhundert andere Worte dafür eingefallen ihr Verhältnis zu umschreiben, aber er widersprach nicht.

 

„Aber machen Sie es ihr nicht schwerer als nötig, nur weil sie eine Muggel ist, Draco.“ Sein Mund öffnete sich. Das war doch überhaupt nicht der Punkt dieser ganzen Sache! „Weil jemand anders ist als Sie es vielleicht sein mögen, bedeutet das nicht, dass dieser jemand weniger wert ist. Sie lieben Ihren Bruder doch auch, nicht wahr?“

 

Fangfrage. Er sah es in Dumbledores Augen. Was hatte Granger diesem Narren erzählt? Er konnte sich denken, dass sie ihn nicht in den schillerndsten Farben beschrieben hatte. Miststück. Damit er nicht wirklich antworten musste, ruckte er, mehr oder weniger, unverbindlich mit dem Kopf.

 

„Wir haben uns verstanden, Draco?“ Er war sich nicht wirklich sicher, ob es eine Frage war. Er erhob sich schließlich.

 

„Ja Sir, ich werde alle Schüler gleich bestrafen.“ Er wusste, das war es nicht, was Dumbledore hören wollte. Aber dieser lächelte jetzt. Nicht sofort sichtbar, aber Draco kannte diesen Mann.

 

„Viel Glück beim nächsten Spiel“, fügte Dumbledore hinzu und Draco verließ endlich das Büro, nachdem Dumbledore ihn aus seinem Blick entlassen hatte. Das war noch so eine Sache. Die sollte er sich auch merken. Mit seinem Blick Kommandos erteilen! Wahrscheinlich würde er den Effekt nicht zur Perfektion bringen können, aber er könnte es versuchen.

 

Und er hasste diesen Mann!

 

Er durchschritt die Gänge. Es waren keine Schüler mehr unterwegs. Aber es gab auch gleich schon wieder Abendessen. Wahrscheinlich hockten sie schon an den Tischen und warteten darauf, dass Dumbledore wie immer das Buffet für eröffnet erklärte.

 

Zwar hatte Dumbledore gesagt, Granger hätte nichts gesagt, aber er hatte dennoch eine enorme Wut auf sie. Wegen eigentlich allen Gründen! Er wusste nicht, ob Dumbledore es darauf angelegt hatte, aber für einen Moment wunderte er sich tatsächlich, weshalb er Schulsprecher war. Und nicht sein verfluchter Sankt Potter!

 

„Danke.“

 

Er blieb abrupt stehen.

 

„Sie sollten sich nicht immer so viel vornehmen, Hermine. Glauben Sie wirklich, Sie schaffen alle Bücher bis nächste Woche?“

 

„Oh, machen Sie sich keine Sorgen, Madame Pince. Ich werde es schon schaffen.“ Sie verabschiedete sich von der Bibliothekarin und schlug den Weg Richtung Halle ein. Ehe er es sich anders überlegen konnte und eine kluge Entscheidung traf, hatte er schon aufgeholt und lief jetzt neben ihr. Die Wut pochte gegen seine Schläfen.

 

Sie nahm ihn mehr oder weniger gereizt zur Kenntnis.

„Ist dein Treffen schon vorbei?“ Gott, wie er sie jetzt gerade verabscheute.

 

„Hast du ihm gesagt, er soll damit anfangen?“ Er hatte es satt neben ihr zu laufen, also versperrte er ihr an der nächsten Biegung einfach den Weg mit seiner vollen Größe. Sie sah ihn ruhig von unten an.

 

„Womit anfangen? Und geh mir aus dem Weg.“ Draco folgte ihren Worten nicht.

 

„Von meinem Bruder. Hast du ihm gesagt, er soll…“

 

„Geh mir aus dem Weg, Malfoy! Ich habe Dumbledore überhaupt nichts gesagt.“ Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, aber so leicht würde er sich damit nicht zufrieden geben. Es war ätzend genug, dass es das dritte Gespräch mit dem Schlammblut war, dass er heute führte, aber dann wollte er auch seine verfluchten Launen an ihr loswerden!

 

„Überhaupt nichts, ja? Bist du dir wirklich sicher, Granger?“ Er fixierte sie zornig und sie verlagerte das Gewicht der Bücher auf die andere Seite.


„Ja, verflucht, ich bin mir sicher. Was willst du von mir, Merlin noch mal?“

 

Das wusste er selber nicht genau. Er wollte sie bestrafen, wollte sie beschimpfen, wollte ihr die Schuld an all den wenigen Dingen geben, die sein Leben beschissen machten.

 

„Du hast ihm nichts von Scorpio erzählt?“ Es kostete ihn zornige Überwindung, den Namen seines Bruders zu sagen.


„Was zur Hölle soll ich ihm erzählt haben, Malfoy? Ich weiß nichts über deinen Bruder, denn in deinem Universum existiert er schließlich nicht, oder? Und falls du fragen wolltest, nein, ich habe mich bei Dumbledore nicht darüber beschwert, dass du mich Schlammblut nennst“, fügte sie jetzt hinzu und er verzog ärgerlich den Mund.

 

„Darum geht es nicht“, gab er laut zurück.


„Dann geh mir zum Teufel noch mal aus dem Weg, Malfoy! Ich habe es satt, hier zu stehen und mir Vorhaltungen machen zu lassen!“

 

„Wieso hast du es ihm nicht gesagt?“ Er fragte, ehe er den Sinn dahinter begreifen konnte.

 

„Was? Bist du verrückt, Malfoy? Was willst du? Lass mich einfach-“

 

„Du hättest es ihm sagen können. Ich denke sogar, nach seiner kleinen Ansprache wäre das der Punkt gewesen, der das Fass zum Überlaufen hätte bringen können, und dann hätte er mich des Postens entledigt. Vielleicht hätte er Potter dann genommen.“ Granger starrte ihn an, wie einen Verrückten. So fühlte er sich für einen Moment auch.

 

„Harry kann nicht Schulsprecher werden. Er war kein Vertrauens-“ Schon wieder unterbrach er sie.

 

„Es ist mir scheiß egal!“ Jetzt wurde sie auch wütend.


„Gut. Dann lass mich gehen!“


„Ich halte dich nicht auf, Granger!“, gab er gereizt zurück.

 

„Ach nein?“, schrie sie jetzt beinahe. „Du stehst mir im Weg, Malfoy!“

Ja, sie stand auch in seinem verfluchten Weg! Eigentlich immer. Nahezu überall.

 

„Wieso hast du mich gewarnt, Granger?“ Auch diese Frage löste sich aus einem Wust an Fragen, den er vorhatte zu verdrängen. Er hatte keine Ahnung, woher sein Mitteilungswunsch auf einmal kam.


„Was?“ Ihre Stimme war nur ein Zischen.


„Wieso hast du Potter nicht einfach…“ Er schüttelte unverständlich den Kopf. „Wieso, Granger?“ Ihr Mund öffnete sich. Und er schloss sich. Granger war sprachlos. Das war nett. Dann verseuchten ihre Worte zumindest nicht sein Gehirn. Aber jetzt wollte er ziemlich dringend eine Antwort haben. Er wusste selber nicht, warum.

 

„Es ging nicht um dich“, sagte sie schließlich nach einer Ewigkeit. „Was bildest du dir eigentlich ein, Malfoy? Denkst du wirklich, es macht mir etwas aus, dich bluten zu sehen?“

 

Ja. Er nahm das an. Er dachte das tatsächlich, fiel ihm auf.

 

„Es ging nur um Harry. Denn Harry hätte dann Ärger bekommen. Obwohl du den Ärger viel eher verdient hättest! Und jetzt, lass mich durch, du Arschloch.“

 

„Nein.“

 

„Was?“

 

Was? Hatte er nein gesagt? Was wollte er noch? Natürlich hatte sie es wegen Potter getan. Aber das stimmte nicht! Irgendetwas in ihm glaubte ihr kein Wort. Aber das war unsinnig. Es machte ihn wahnsinnig! Denn es war ihm egal, und selbst wenn – nein. Es gab hier nichts mehr für ihn zu sagen.

 

Sie fluchte wieder. Wieder betrachtete er ihre Lippen. Nur Flüche und Formeln. Flüche und Formeln. Etwas anderes kannte er nicht von ihr.

 

„Lass. Mich. Durch.“ Sie betonte jedes Wort. Er wollte zurückweichen, wollte aus ihrem Weg, aber genauso dringend wollte er es nicht.

 

„Du lügst, Granger“, sagte er plötzlich. Etwas flammte in ihren Augen auf. Sie umgriff den kleinen Stapel Bücher fester.

 

„Warum, zum Teufel, sollte ich dich anlügen, Malfoy?“, zischte sie jetzt.

 

„Ich weiß es noch nicht.“ Was tat er denn hier?

 

„Du weißt es noch nicht?“ Sie sah ihn wieder an, als hätte er den Verstand verloren. Es war ihm unmöglich vor ihr zu stehen, es war ihm unmöglich logisch zu denken, wenn sie da war. „Was willst du von mir, Malfoy? Was gibt es noch für unsinnige Dinge in deinem Kopf, die du mir noch nicht vorgeworfen hast?“ Er öffnete den Mund, bereit sie zu beleidigen, aber sie war tatsächlich schneller.


„Ist dir nicht völlig klar, dass Dumbledore keine Entschuldigung wie mich braucht, um dir Vorhaltungen zu machen, wie scheiße du bist? Wie schlecht du alle anderen behandelst?“ Wieder öffnete sich sein Mund. „Denkst du wirklich, dein Aussehen bringt dir irgendetwas in der richtigen Welt?“ Sein Aussehen? Granger sprach von seinem Aussehen? Was zum Teufel meinte sie damit überhaupt?

 

„Denkst du wirklich, er zweifelt an deinen Qualitäten als Schulsprecher, nur weil ich es ihm nahe lege? Nein, Malfoy! Denn es ist völlig offensichtlich, weshalb du nicht geeignet bist!“

 

Er wartete. Sie würde es sagen. Er wusste, sie würde es sagen.

 

Sie sagte es nicht.


„Sag es“, forderte er ruhig. Sie schüttelte plötzlich den Kopf. Anscheinend war sie sauer auf sich selbst.

 

„Sag es, Granger“, wiederholte er ärgerlicher und er wünschte sich, sie würde es sagen. „Sag es, damit du heute Nacht besser schlafen kannst. Am besten sagst du es Dumbledore auch noch.“ Er hasste es, dass sie ihren Blick von ihm abgewandt hatte. Er hasste es noch mehr, als dass sie ihm die Worte verweigerte. Die Worte, die er hören musste, damit er sie wirklich noch mehr hassen konnte. Sieh mich an und sag es, verflucht!

Seine Hand umfing ihr Kinn, zwang sie ihn anzusehen, ehe ihm wirklich aufging, dass er sie dafür hatte anfassen müssen.

 

Jetzt spürte er ihre Haut. Es war das erste Mal, dass er ihre Haut berührte, fiel ihm am Rande seines Bewusstseins auf. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, Sie sah ihn wieder an. Nein, sie starrte ihn förmlich an. Ihr Mund öffnete sich, ihre Lippen… ihre Lippen. Wo blieb der nächste Fluch, der nächste Vorwurf?

 

Seine Finger lösten sich. Nur noch sein Zeigfinger lag unter ihrem Kinn. Ihre Haut war warm. „Wieso änderst du die Regeln, Granger? Wieso hast du mich gewarnt? Hass mich einfach“, befahl er jetzt mit rauer Stimme. Ihr Mund war immer noch vor Schock leicht geöffnet. Er sah die Spitze ihrer hellen Zunge. Sie hatte die Regeln geändert!

 

Sie war schuld. Das Schlammblut war schuld.

 

Er fragte sich unwillkürlich, wann sie ihn schlagen würde. Er hatte alle Grenzen überschritten. Er war viel zu weit vorne, er konnte das Ende gar nicht mehr sehen.

 

Er wollte ihren Hass. Er wollte es spüren! Irgendwas! Er hatte zwar alles, aber alles war einfach nicht richtig! Er brauchte das jetzt. Sie sollte ihn gefälligst hassen, sie sollte ihn beleidigen. Sie sollte ihn nicht ansehen, wie einen Fremden!

Bei Gott, was musste er tun, dass sie ihn schlagen würde? Damit er wieder klar denken konnte.

 

Damit nicht alles nur Schmerz und Wut sein würde. Er hasste sie dafür. Er hasste sie dafür, dass er diese Seite hatte. Diese Seite tief in sich drin, die niemals das Tageslicht sah, denn wenn sie zum Vorschein kam, dann nur nachts, dann nur wenn er träumte und sich schämte für all die schlechten Dinge. Für all die falschen Entscheidungen. Für all den Hass.

 

Spürte ihren Atem gegen seine Hand, sah, wie sich ihre Brust hob und senkte, merkte, wie schnell ihr Gehirn hinter diesen dunklen Augen arbeitete. Ihre Augen jagten über sein Gesicht, schienen alles aufzusaugen, damit sie zu irgendeinem logischen Schluss kommen könnten.

 

Da war keine Logik. In gar nichts mehr. Sie war ein Mädchen, verflucht. Wieso war sie nicht wie die anderen Mädchen? Wie konnte sie es wagen, ihm zu widerstehen? Wie konnte sie die eine sein, die es tatsächlich vollbringen konnte, dass er sich schlecht in seinem perfekten Körper, in seiner perfekten Welt fühlte?

 

Was war ihr verfluchtes Geheimnis? Die letzten Sekunden seines manischen Countdowns verstrichen. Es waren ohnehin schon zu viele Sekunden vergangen.

Ehe er einen Plan in seinem Kopf entwerfen konnte, ehe er den strategischen Rückzug eines Wahnsinnigen beenden konnte, öffnete sich ihr Mund, ihre Lippen teilten sich, ihre Zunge schnellte hervor.

 

„Nimm sofort deine Hände von mir, du widerlicher Mistkerl.“ Ihre Stimme zitterte gefährlich. Ihre Knöchel traten weiß hervor, so fest umkrallte sie die Bücher. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Er würde alles geben, wenn diese Lippen einmal – nur einmal kein böses Wort sprechen würden. „Malfoy!“ Die Warnung kam zu spät, zu zögerlich, zu leise.

 

Er hatte keine Ahnung, was passierte. Seine Wut war verschwunden. Verzweiflung hatte sich breit gemacht, hämmerte in seinem Kopf, in seinem gesamten Körper gegen die Außenwände.

Sanft strichen seine Lippen plötzlich über ihren geöffneten Mund.

Es bestand die Chance. Die winzige Möglichkeit; der Hauch einer Chance. In dieser einen Sekunde hatte sie alle Zeit der Welt gehabt ihn von sich zu stoßen, zu schreien, den Zauberstab zu ziehen und ihn zu verfluchen.

 

Die Sekunde verstrich.

 

Seine Hand schlang sich umstandslos um ihren Nacken. Seine Lippen krachten voller Begierde auf die ihren und sie wich zurück. Die Bücher rutschten aus ihrer Hand, als sie gegen die Flurwand stießen.

Sie keuchte gegen seine Lippen, zog den Kopf zur Seite, um ihren Mund freizubekommen. „Malfoy, nein!“ Ihre Hände waren überall, versuchten ihn von sich zu schieben. „Lass mich…!“ Wieder senkte er den Kopf, er küsste sie ein weiteres Mal. Es war beinahe ein pervers nagendes Verlangen, ihre Haut zu spüren.

 

Ihre Lippen, so weich unter seinen. Diesmal wandte sie mehr Kraft an. Hart stieß sie ihm vor die Brust. Nicht hart genug, als dass sie ihn von sich hätte schieben können, aber hart genug, dass er den Kopf zurückzog.

„Ich hasse dich, du Scheißkerl!“, keuchte sie. Zu spät. Die Worte kamen einfach zu spät. Er hörte sie nicht einmal. Er sah die Tränen in ihren Augen nicht.

 

Egal. Völlig egal. Herz. Verstand. Blut. Alles verschmolzen zu einer unwichtigen Einheit.

 

Sie. Nur sie.

 

Er brachte seine Lippen wieder gegen ihre. So musste man es wohl beschreiben. Sie hatte sie fest geschlossen. Seine Hände wagten, sich um ihre Hüften zu legen, sie näher an sich zu bringen, ehe er sich mit ihr gegen die Wand lehnte, den Arm um sie geschlungen. Er hob sie fast vom Boden hoch.

 

Verfluchtes Miststück! Er gewann wieder Fokus. Eigentlich wollte er sie leiden sehen. Eigentlich war das der verdammte Plan gewesen. Fester presste er sich gegen sie. Er öffnete den Mund und teilte ihre Lippen mit seiner Zunge. Es war wohl etwas gewesen, womit sie nicht gerechnet hatte.

Sie protestierte gegen seinen Mund, aber schon war seine Zunge in ihren Mund geglitten und ihre Proteste verstummten.

 

Er konnte nicht aufhören. Das schien wohl eher das Problem zu sein.

Verflucht! Seine Zunge stieß in ihren heißen Mund und traf plötzlich auf ihre. Zuerst war es ein träger, zurückhaltender Kampf, aber dann wehrte sie sich in einer Art und Weise, die er nicht zuordnen konnte. Ihre Zunge versuchte die seine zu verdrängen, ihre Hände waren in sein Hemd gekrallt, halb zogen sie ihn enger zu ihr, halb stießen sie ihn fort.

 

Es war ein erstklassiger Kampf. Und er war vollkommen überwältigt von ihrer Zerrissenheit. Selten hatte ihn je etwas so angeturnt wie gerade eben dieses Verhalten. Hart und hungrig ließ er sich auf ihr Spiel ein, berührte sie zögerlich, ehe er schließlich fest in ihre Haare griff, sie näher an sich brachte, ihre Münder einfach verschmolzen und er bunte Punkte vor seinen Augen tanzen sah.

 

Er hatte keine Ahnung, wann genau sie die Zeit gefunden hatte –

 

Stupor!“

 

Der Zauber war schwach, also taumelte er nur zurück an die andere Wand. Sie starrte ihn keuchend an. Die Wangen herrlich gerötet, die Lippen so geschwollen, wie sich auch seine eigenen anfühlten. Der Zauberstab zitterte gefährlich in ihrer Hand. „Was zum Teufel tust du?“ Ihre Stimme war nicht mehr vorhanden.

 

Er war nicht in der Verfassung auf ihre Frage zu antworten. Seine Erektion pochte ungeduldig gegen den Stoff seiner Hose. Seine Gedanken waren zu aufgewühlt, als dass sie so eine Frage auch nur ansatzweise beantworten konnten. Aber ja, verflucht, was zum Teufel tat er da?

Er küsste ein Schlammblut. Mitten auf einem der unzähligen Flure! Ohne einen gottverfluchten Grund! Sein Blick hob sich zu ihrem Gesicht und er hatte keine Ahnung, wie er aussehen musste, aber anscheinend doch so schlimm, dass sie ihren Zauberstab noch höher hielt.

 

Wahrscheinlich sah er so aus, als ob er sich gleich hungrig auf sie stürzen würde. Das schlug ihm auch sein Körper vor, aber er bewegte sich erst mal nicht.


„Du hast mich verflucht“, stellte er schließlich fest, seine Stimme rau und für ihn unkenntlich.

 

„Ich… dich…? Ja, was erwartest du, verdammt noch mal!“, schrie sie jetzt und wischte sich einige Strähnen aus dem Gesicht.

 

„Nicht… das“, erwiderte er mehr als wage. Und ihr Mund öffnete sich empört, während sie völlig verständnislos den Kopf schüttelte.

 

„Wag das nicht noch einmal, Malfoy! Fass mich nicht noch einmal so an!“ Sie nicht noch einmal so… ja, so sollte er überhaupt niemanden anfassen. Kein Mädchen verdiente so viel Verlangen auf einmal!

 

„Hast du mich verstanden, Malfoy?“ Er hatte vergessen ihr zu antworten. Und als er es tat, tat er es, ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken.

 

„Du wolltest das, Granger.“ Granger, Granger, Granger… Gott, er war verrückt geworden! Die Antwort lautete: Natürlich werde ich dich nicht mehr anfassen, Miststück! Sag das! Sag es einfach, Draco!

 

Zu spät.

 

„Ich wollte was?“, keuchte sie jetzt und schüttelte wieder den Kopf. „Du bist ein scheiß Wichser! Ich…“ Gut. Sie fand keine Worte mehr. Er konnte auch einfach nicht mehr. Er hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war, aber schlimmer war, dass er keine Sekund bereute.

 

Keine einzige. Er war sich sicher, morgen würde er bereuen. Morgen würde er Mittel und Wege finden, sich völlig dieses Gefühls zu entsagen. Er wusste, mit etwas Zeit sah er wieder klar, verstand, wo sein Fehler lag und würde niemals etwas derartig Verrücktes tun. Nie wieder.

Seine Wut war verraucht, hatte sich aufgelöst.

 

Es verging noch ein stiller Moment, der viel zu lange dauerte, ehe Madame Pince um die Ecke kam, und tadelnd die Bücher auf der Erde bemerkte.

Er ließ Granger ohne ein weiteres Wort zurück. Er wusste, das war nicht unbedingt der beste Abgang, aber sie hielt ihn nicht auf.

 

Das war ihm klar gewesen. Er musste raus hier.

 

 

Teil 6

 

 

„Also ein Karneval? Das heißt, wir müssen uns verkleiden?“ Ihr Blick traf ihn zornig und er hob die Hände. „Hermine, ich meine nur, das ist etwas albern.“ Ja, es war auch verflucht albern, aber sie konnte daran nichts ändern, da die Mehrheit des Schlosses nun einmal dafür gestimmt hatte.

 

„Ron, ich habe dich wirklich nicht nach deiner Meinung gefragt. Es ist beschlossene Sache. Der Maskenball ist also in drei Wochen am Freitag um achtzehn Uhr in der Großen Halle.“ Sie ließ ihren Blick durch das Klassenzimmer gleiten. Sie hoffte wirklich, dass sich irgendjemand auflehnen würde, sie wünschte es sich wirklich! Jemand anders als Ron, denn ihn wollte sie wirklich nicht anschreien.

 

Denn solange sie schreien konnte, musste sie sich nicht in ihrem Kopf mit der Tatsache rumärgern, dass sie Draco Malfoy geküsst hatte. Das war ein absolut normaler Gedanke für jedes andere Mädchen dieser Schule. Aber eben nicht für sie. Sie war sich sicher, er hatte schon hunderte gehabt, aber sie… sie wollte nicht dazu gehören. Und sie gehörte einfach auch nicht dazu!

 

„Was ist das Thema?“ Susan Bones sah sie lauernd an.

 

„Das Thema?“, fragte sie etwas verwirrt und schüttelte dann den Kopf. „Oh, das Thema ist noch nicht ganz klar. Also, es ist nicht, wie Ron es gerne hätte. Verkleidungen soll es nicht geben.“ Ron murmelte etwas unwirsches, sie verstand es nicht. „Es gibt Masken. Die werden ausgeteilt. Damit es eine gewisse Einheit gibt.“ Die Mädchen begannen zu tuscheln.

 

„Müssen wir Partner wählen?“ Ernie fragte es, als wäre es eine Strafe. Hermine schüttelte den Kopf.

 

„Nein. Ein Partner ist nicht nötig. Du würdest ihn sowieso nicht erkennen.“ Eigentlich fand sie es gut, Masken tragen zu dürfen. Sie würde am liebsten schon jetzt damit anfangen, denn dann wäre es leichter, Malfoy aus dem Weg zu gehen. Sie war seit zwei Tagen erfolgreich, aber sie wusste, es würde sich nicht vermeiden lassen, schon alleine der Fächer wegen, die sie hatten.

 

Sie nahm an, dass es ihm sowieso egal war. Sie schämte sich. Wirklich.

Und am allerwenigsten wollte sie, dass er auch noch annahm, dass es ihr gefallen hatte. Hatte es nämlich nicht. Es war falsch, widerlich und so unnatürlich, dass ihr übel wurde, wenn sie auch nur für eine Sekunde daran dachte.

 

Da sie den ganzen Tag lang aber an nichts anderes denken konnte, war ihr also die meiste Zeit Übel. Es war die Art von Unwohlsein, die vorausgeht, wann immer das schlechte Gewissen einen einholt.

 

Dieses schlechte Gewissen holte sie meistens ein, wenn sie auf Ron, Harry oder Ginny traf. Denn dann musste sie sich eingestehen, dass es passiert war. Dass sie tatsächlich so etwas getan hatte.

Und sie fragte sich, warum sie nichts unternahm! Weil – er hatte angefangen! Sie konnte ohne Probleme Ron und Harry auf ihn hetzen. Die beiden wären wahrscheinlich begeistert darüber.

Aber… sie hatte es nicht getan. Sie hatte es für sich behalten und wusste nicht einmal, warum.

 

Es war dasselbe Phänomen wie beim Quidditchspiel.

Sie hatte Malfoy gewarnt, ohne dass sie es wollte, ohne dass sie es hätte verhindern können.

Sie hatte Malfoy geküsst, vielleicht nicht mit voller Absicht, aber sie hatte ihn nicht aufgehalten. Sie hatte es gemerkt! Sie hatte sofort gemerkt, wann die Stimmung plötzlich umgeschlagen war.

 

Sie hatte den Blick in seinen Augen gesehen. Ansonsten sah sie es ihm an: Den Hass, die Verachtung, als wäre sie alles Schlechte auf der Welt, in einem Körper zusammen. Ron hatte ihr gesagt, Malfoy würde sie angucken, ja. Das wusste sie. Er hasste sie. Er würde sie am liebsten hängen sehen! Ja, das wusste sie auch.

Aber die Art und Weise war anders gewesen. Es war natürlich der übliche Hass, aber… dieses Mal war da noch etwas.

 

Und selbst jetzt, wenn sie daran dachte, machte ihr Magen einen Satz. Es war ein so unangenehmes Gefühl, und sie hätte niemals für möglich gehalten, dass Malfoy so etwas auslösen konnte. Seine grauen Augen waren plötzlich nicht mehr spöttisch, nicht mehr abweisend gewesen. Nein, er hatte sie angesehen wie… Beute. Ja, als wäre sie gewöhnliche Beute für ihn.

 

Er hatte sie berührt. Genau an diesem Punkt hätte sie weglaufen sollen. Oder nicht weglaufen, aber zumindest hätte sie irgendwas anderes tun sollen, als da zustehen wie eine Salzsäule, die auf einmal nicht mehr bis drei zählen konnte!

Er hatte sie noch nicht, noch nie, in ihrer Hogwartszeit berührt. Nicht einmal aus Versehen. Sie sind niemals in den Fluren aneinandergestoßen, es gab niemals ansatzweise auch nur eine Gelegenheit, wann so etwas hätte passieren können.

 

Es ärgerte sie maßlos, dass sie darüber nachdachte.

Und er hatte es einfach getan! Nach seinen endlosen Predigten darüber, dass ihre Haut verseucht sei, dass sie Krankheiten übertragen würde, dass sie Übelkeit verbreitete, wenn man sie auch nur zu lange ansehen würde! Es regte sie mehr auf als alles andere, dass sie genau wusste, wer er war! Sie wusste, wen sie vor sich gehabt hatte.

 

Und nein, sie hatte überhaupt keine Regeln geändert! Es hatte sich überhaupt nichts geändert! Sie war immer noch Hermine Granger. Und sie konnte nicht mit Worten fassen, was passiert war, als plötzlich Draco Malfoy alles, was ihn ausmachte, abgelegt hatte, und sie am Kinn berührt hatte.

 

Alles in ihr hatte sich plötzlich ausgeschaltet. Alle Alarmsysteme, alle Zeichen der Vorwarnung. Und dann hatte er den Kopf gesenkt. Und sie war sich sicher gewesen, er hatte ihr die Zeit gegeben. Die Zeit, zu verschwinden, ihn zu töten, sich in Luft aufzulösen.

 

Sie war sich sicher, er hatte ihr diese Zeit gegeben!

 

Und sie hatte sie nicht genutzt. Sie hatte gar nichts mehr tun können, als seine Lippen nur für eine winzige Sekunde ihre eigenen berührt hatten. Sie hatte sofort vollkommen in Flammen gestanden. Sie hatte gar nichts tun können.

Und dann hatte er sie geküsst. Erst dann war ihre Starre gefallen.

 

Und sie glaubte zu wissen, woran es lag. Sie glaubte zu wissen, weshalb sie so reagiert hatte, wie sie eben reagiert hatte. Und nichts machte sie so wütend, nichts konnte sie so sehr beschämen, wie dieses Wissen.

 

Sie war Hermine Granger. Sie war widerstehlich. Sie wusste nicht einmal, ob das überhaupt ein Wort war. Sie war nicht unwiderstehlich, wie Malfoy, dem alle Mädchen förmlich hinterherrannten, wenn er einen Raum betrat.

Nein, sie war das genaue Gegenteil. Und Malfoy selber hatte eine ganze Menge an Zeit darauf angesetzt, ihr dies verständlich zu machen.

 

Und nicht nur er machte es deutlich. Die Sache mit Viktor Krum und Ernie MacMillan war schon Ewigkeiten her. Seit mehr als einem Jahr hatte sie kein einziger Junge mehr auf irgendeine Art und Weise begehrlich gefunden.

 

Das war eben so. Und sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich dieser Zustand bis zum Abschluss noch ändern würde.

Und es war ihr auch verflucht egal gewesen, denn darauf kam es nicht an. Sie war Schülerin. Nicht nur das. Sie war Schulsprecherin. Es hatte sie gefälligst nicht zu interessieren, ob irgendjemand an ihr interessiert war, denn nur so konnte sie ihre Arbeiten gewissenhaft erledigen.

 

Sie war keine Lavender, die sich morgens stundenlang schminken musste, keine Pansy, die den Stempel Hure mit Absicht und Ehrfrucht vor sich her trug.

So war sie eben einfach nicht. Dafür war sie clever. Und zielstrebig. Sie ließ sich nicht von Jungen ablenken.

Weil es eben einfach noch niemals vorgekommen war.

Sie erinnerte sich noch an die Zeit mit Krum. Es war so seltsam gewesen. Nichts hatte mehr Bedeutung gehabt. Die Schule war ihr egal gewesen. Leistungen hatten sie nicht mehr geschert. Sie wollte nur noch bei Krum sein, wollte dass er sie küsste und sie ansah, als wäre sie die perfekte Frau.

 

Als es vorbei war, hatte sie sich geschämt, weil sie ihre wichtigen Ziele so sehr aus den Augen verloren hatte. Sie hatte nie darüber gesprochen. Nicht mit Ginny und schon gar nicht mit ihren besten Freunden.

 

Und jetzt – kurz vor Ende, machte er so etwas!

 

Sie wusste, sie durfte sich nicht verwirren lassen. Unter keinen Umständen durfte sie wirklich darüber nachdenken. Denn es fehlte ihr nicht. Es fehlte ihr überhaupt nicht, eines dieser Mädchen zu sein. Denn diese Mädchen waren keine Schulsprecherinnen. Nein, diese Mädchen machten einen schlechten Abschluss, weil sie ihre Zeit darauf verschwendeten, Jungen zu gefallen.

 

Vielleicht war das etwas einseitig betrachtete, aber sie wusste, sie würde so werden, wenn sie sich auch nur im Ansatz erlaubte, darüber nachzudenken.

 

Sie durfte es nicht.

 

Und deshalb durfte sie Malfoy auch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ausgerechnet Malfoy! Was Lavender wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass Draco Malfoy sie geküsst hatte… Sie schüttelte leicht den Kopf.

Es war völlig unwichtig. Es war passiert. Es war nicht mehr zurück zu nehmen.

Aber er würde es nicht wagen, darüber zu sprechen.

Er würde nicht wagen, sie so anzusehen, als wäre irgendetwas passiert.

 

Malfoy hatte seinen eigenen Ruf zu schützen.

Sie wünschte sich, sie wäre irgendwem anders aufgefallen. Oder eben gar keinem. Sie würde sich nicht mehr so verhalten. Sie würde sich nie mehr so gehen lassen. Komme was da wolle! Und nie mehr, würde sie Draco Malfoy die Chance geben, sie eiskalt zu erwischen.

 

„Die Masken, sind die Häuserorientiert?“, fragte Susan jetzt. „Also nach Farben oder so?“ Hermine riss sich unwillig aus ihren Gedanken.

 

„Das können wir machen. Dann gibt es Anhaltspunkte, wer unter der Maske ist. Aber sie verdecken nur die Hälfte des Gesichts.“, erklärte sie, denn Madame Malkin hatte ihr bereits eine Probe geschickt.

 

„Und… wenn wir diese Masken nicht aufsetzen würden… Gebe es irgendwie Strafpunkte?“, fragte Ron mit scheinheiligem Unterton. Hermine musterte ihn streng.

 

„Ron, auch du wirst eine Maske tragen, oder du wirst nicht in die Halle gelassen.“ Sie sah ihm an, dass er wohl gerade erklären wollte, dass er dann nicht kommen würde. Sie unterbrach ihn eilig. „Aber in der Halle steht auch das Fünf-Gänge-Buffet“, fügte sie glatt hinzu und sein Mund schloss sich.

 

Essen war Rons Schlüssel. Für eigentlich alles.

 

„So, das war’s für heute. Wir besprechen nächste Woche nur noch das Essen und die Musik.“ Die Jungen erhoben sich dankbar. Susan Bones war aber noch nicht fertig.

 

„Und was ist mit den Farben? Ich meine, wir müssen doch die passenden Kleider zu den Masken haben. Wir können ja nicht irgendwas überziehen!“, entrüstete sie sich. Hermines Blick wurde finster. Genauso ein Mädchen würde sie nicht werden.

 

„Das kannst du gerne privat klären. Hier klären wir nur die wichtigen Dinge.“ Damit hatte sie sich Ron angeschlossen und hatte die verblüffte Susan zurückgelassen.

 

 

~*~

 

 

„Draco, ich habe das Vertrauensschülertreffen bestimmt nicht geschwänzt, damit du mich überhaupt nicht beachtest!“ Pansy sah ihn vorwurfsvoll an – oder zumindest versuchte sie das.

 

„Ich beachte dich, Pansy“, gab er tonlos zurück. Als ob er das nicht tun könnte, wo sie ihn doch die ganze Zeit schon nervte.

 

„Ach wirklich? Du hast mich die ganze Arbeit machen lassen, Draco.“ Sie war jetzt beleidigt, aber daran konnte er nicht ändern. Zwar hatte sie nicht ganz unrecht, aber das war ihm jetzt egal. Dann war er eben einmal abgelenkt gewesen, als er sie gevögelt hatte. Sie würde schon drüber weg kommen.

 

„Sprichst du jetzt nicht mehr? Ist das deine neue Masche? Soll mich das irgendwie reizen?“ Fast hätte er geschrieen. Nur fast.

 

„Parkinson, wie wäre es, wenn du jetzt wieder deinen Kram erledigst und ich mich um meinen kümmere?“ Ihr Mund klappte zu und sie verengte zornig die Augen.

 

„Draco, was zum Teufel ist dein Problem?“

 

Du bist mein Problem, Pansy. Du und deine verdammte Klappe!

 

„Ich habe kein Problem. Ich habe nur noch Dinge zu erledigen.“ Gelogen. Er hatte überhaupt nichts zu tun. Er musste noch ein, zwei Hausarbeiten schreiben, die liegen geblieben waren, aber ansonsten hatte er absolut überhaupt nichts zu tun.

 

„Schön. Aber erwarte nicht, dass ich gesprungen komme, wenn du das nächste Mal rufst“, erwiderte sie kalt.

 

„Wollen wir wetten?“, knurrte er jetzt leise und sie wandte den Kopf.

 

„Was hast du gesagt?“, zischte sie gefährlich leise, aber er ruckte nur mit dem Kopf.

 

„Nichts.“

 

Pansy sah ihn noch einen momentlang an, als wolle sie noch etwas sagen, entschied sich aber anscheinend dagegen und ließ ihn endlich allein.

Er zog sich nicht an, sondern ging direkt in die Duschräume.

Eigentlich bevorzugte er das Badezimmer der Vertrauensschüler, aber der Weg war ihm heute zu weit.

 

Er stellte das Wasser an und wartete, bis es heiß genug war.

 

Er betrachtete sein Spiegelbild. Sein Bauch war flach, waagerechte Muskelstränge zeichneten sich in mehreren Reihen darauf ab.

Sein Penis hing mittlerweile schlaff herunter.

Er stellte mit gerunzelter Stirn fest, dass er schlaff beinahe genauso lang war, wie wenn er erigiert war.

Normalerweise sah er wohl in den Spiegel, wenn sein Penis steif war. Er schloss die Augen und atmete langsam aus.

 

Die letzten Tage lagen ihm schwer im Magen. Obwohl er sich gerne übergeben hätte, bis nichts giftiges mehr in seinem Körper war, hatte er sich dagegen entschieden.

 

Er hatte das Gefühl, dass sie ihm aus dem Weg ging.

Zwar hätte er sie ohne Weiteres sehen können, wenn er gewollt hätte, denn heute war schließlich eines ihrer geschätzten Vertrauensschülertreffen gewesen, aber sie hatten sich vor Monaten geeinigt, dass er dort nicht auftauchen brauchte.

 

Es interessierte ihn sowieso nicht.

 

Aber er hatte keine Lust gehabt, heute hier alleine zu sein. Pansy hatte zu gerne geschwänzt und ihre Aufmerksamkeit ganz alleine ihm gewidmet.

Das war auch gut, denn wenn er alleine war, dachte er zu viel nach. Er war eigentlich bereit gewesen, Granger in den Boden zu rammen, sie fertig zu machen, sich über sie lustig zu machen, bis sie heulen würde.

Aber sie war ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen.

 

Deswegen hatte er sich begnügen müssen, nach ihr Ausschau zu halten. Allerdings wollte er das auch nicht wirklich. Und es war nicht mal etwas passiert. Er hatte nicht einmal mit ihr geschlafen, und selbst die Mädchen, mit denen er schlief, blieben ihm nicht besonders lange im Gedächtnis.

 

Er wusste nicht genau, warum, aber es störte ihn, dass sie sich versteckte und ihn ignorierte. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, irgendwen zu suchen, denn meistens kamen die Leute sowieso zu ihm.

Er wollte auch nicht, dass sie womöglich dachte, er würde sie noch einmal anrühren wollen. Das wollte er nämlich nicht.

Dieser Ausrutscher würde sich nicht wiederholen.

 

Er hatte kein Interesse daran, die Haut eines Schlammbluts zu berühren. Und er hatte bestimmt nicht vor ihre verfluchten Lippen noch einmal zu küssen.

Er wollte ihr nicht noch einmal so nahe sein, dass er die goldenen Flecken in ihren dunkelbraunen Augen erkennen konnte. Er wollte sich nicht mehr daran erinnern müssen, wie sich ihre weichen, gewölbten Lippen unter seinen geöffnet hatten. Er wollte nicht wissen, wie ihr Kuss geschmeckt hatte oder wie fest ihre Hüften unter seinen Händen gewesen waren.

 

Es interessierte ihn einen verfluchten Scheißdreck!

 

Er ignorierte seine steinharte Erektion und ließ das heiße Wasser all den Schmutz, den er mit sich trug, fortwaschen. Würde es doch einfach auch alle Gedanken fortspülen. Alle Erinnerungen würden im Abfluss verschwinden und er müsste sich nicht mehr mit ihnen befassen.

 

Er schlug seine Faust hart gegen die Marmorfliesen und die Wucht des Schlags hallte von den Wänden wider. Er spürte den Schmerz kaum. Wenn Schmerz ausreichen würde, alle Gedanken und Gefühle zu vernichten, gegen die er jetzt gerade kämpfte, dann wäre ihm wahrscheinlich kein Weg zu weit.

 

Lucius würde ihm schon erlösende Qualen zufügen, würde er es ihm erzählen. Seine Mundwinkel zuckten, ohne ein Lächeln anzudeuten. Oh ja, sein Vater würde einige Wege finden, ihn zu foltern. Denn würde er es wissen, dann hätte er gleich zwei Söhne, von denen er enttäuscht sein konnte.

 

Draco keuchte auf. Fast spürte er die Tränen in seinen Augenwinkeln. Er riss sich zusammen, stellte das Wasser auf eisige Kälte und schüttelte alles ab, was ihm gefährlich werden könnte. Kein Gefühl würde durch seine kalte Haut dringen können. Wassertropfen perlten seine Nase hinab, fielen auf seine Oberlippe und er leckte sie mit der Zunge fort.

 

Eigentlich nur um zu testen, ob sie vielleicht doch salzig schmeckten.

 

 

Teil 7

 

 

„Ist dir klar, dass das bedeutet, dass wir noch mal gegen Slytherin spielen müssen?“ Harry überflog den Plan und nickte schließlich.

 

„Jaah. Wollen wir nur hoffen, dass Hermine nicht wieder einschreitet.“ Sie verzog den Mund. Immerhin sprach Harry wieder ansatzweise mit ihr.

 

„Wahrscheinlich hatte Malfoy sich schon gedacht, dass er nicht mehr aufs Feld müsste. Tja, jetzt muss er doch trainieren.“ Hermine hörte nur mit halbem Ohr zu, denn wieder einmal interessierte sie dieses Thema eher weniger. Quidditch war schon langweilig, aber das Thema Malfoy war noch um einiges langweiliger geworden.

 

Sie hatte es ziemlich gut hinter sich gebracht, ihn zu verdrängen.

Heute hatten sie bedauerlicherweise Zaubertränke, aber sie hatte ja Harry und Ron. Sie wusste gar nicht, ob es den beiden aufgefallen war, aber sie hielt sich viel mehr in ihrer Gegenwart auf. Das war etwas anstrengend, wenn Harry nicht mit ihr sprach, aber anscheinend hatte er das jetzt halb überwunden.

 

Sie war sogar bereit, sich völlig zu entschuldigen, denn damit sie nicht allein in irgendwelchen Gängen umherschleichen musste, sprang sie schon mal über ihren Schatten.

 

„Hast du den Aufsatz vollständig fertig, Hermine?“ Ron sah sie so an, wie er sie immer ansah, wenn er dringend noch Hausaufgaben von ihr abschreiben musste. Sie seufzte. Schließlich gab sie nach. So wie sie es immer tat. Selten war sie wirklich zu dieser Zeit in der Großen Halle. Denn normalerweise war sie eher hier, damit sie vor allen andern mit dem Frühstück fertig war, aber heute tat sie den Jungen den Gefallen und frühstückte mit ihnen.

 

Sie erzählte ihnen, dass sie viel nacharbeiten musste, aber ewig konnte sie diese Ausrede auch nicht anwenden. Ihr Blick glitt sofort durch den Raum, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Sie setzten sich an ihren Tisch und sie musste zugeben, es war schon angenehmer hier zu essen, wenn die anderen auch da waren. Aber solche Opfer musste sie eben bringen, damit sie absolut nichts an ihrem Tag ärgern konnte. Würde sie ihn morgens schon sehen müssen, wäre sie schlecht gelaunt – den ganzen Tag über.

 

Aber bis hierher war alles noch perfekt. Außer natürlich, dass Ron ihren Aufsatz abschreiben würde. Professor Snape würde nichts dazu sagen. Er würde ihr wahrscheinlich ein paar Punkte abziehen, weil sie Ron hatte abschreiben lassen. So lief es meistens. Aber es war ihr schon egal.

In den wichtigen Prüfungen musste Snape sie immer bestehen lassen, denn es gab absolut keinen Grund, weshalb sie nicht die höchste Punktzahl erreichen sollte.


„Guckt er dich an?“ Das war Harrys Stimme und ihr Atem beschleunigte sich, ohne dass sie es kontrollieren konnte.


„Ich hab es doch gesagt! Ich hab das Gefühl, das tut er ständig!“, meldete sich Ron augenblicklich zu Wort, während er, die Feder im Mund, durch ihre Aufzeichnungen blätterte. Es war der erste Satz, den Harry direkt an sie richtete. Sie wünschte, es wäre ein anderer Satz gewesen.


„Wer guckt mich an, Harry?“ Natürlich wusste sie, wer auf der Welt Harry zum Kochen bringen konnte, aber sie wollte es gar nicht hören.

 

„Dieser dämliche Mistkerl aus Slytherin. Was hat er hier überhaupt hinzusehen?“ Anscheinend lieferte sich Harry gerade ein wildes Wettstarren mit Malfoy. Da! Sie hatte den Namen gedacht. Seit Tagen hatte sie ihn nicht mehr gedacht. Sie hätte einfach eher frühstücken sollen. Aber sie sah ihn ja heute sowieso.


„Wir können ihn nachher besuchen. Er trainiert ja heute Abend“, murmelte Ron, während er hastig ein paar Zeilen abschrieb. Hermine biss demonstrativ in ihr Brötchen.


„Ich wäre euch verbunden, wenn ihr nichts dergleichen tätet“, sagte sie knapp und Harry schnaubte auf.


„Warum? Weil du einen Beschützerinstinkt im Bezug auf Malfoy entwickelt hast, Hermine?“ Sie warf ihm einen kalten Blick zu.

 

„Du weißt, dass das nicht stimmt, Harry. Ich wünschte, du würdest aufhören, mir das zu unterstellen.“ Für einen Moment sah er tatsächlich nicht mehr wütend aus. „Können wir uns nicht einfach vertragen? Wäre das möglich?“ Sie hatte nämlich keine Lust mehr, ständig mit ihm zu streiten.

 

„Fein“, gab er schließlich nach. Sie glaubte, Ron lächeln zu sehen, während er vorgab konzentriert abzuschreiben.

 

„Gut.“ Sie überlegte, ob sie Harrys Hand schütteln sollte, entschied sich aber dagegen. Sie waren zu lange Freunde, als dass sie so etwas nötig hatten. Sie trank einen Schluck Kaffee und hatte ihre schlechte Laune schon fast wieder vergessen.


„Granger.“

 

Es klang beinahe teilnahmslos, wie er es sagte. Sie versteifte sich augenblicklich in ihrem Sitz. Sie wusste nicht genau, was sie machen sollte. Sie wollte eigentlich gar nichts tun. Der Moment sollte vergehen.

 

„Was willst du?“, knurrte Harry, der wohl nur nach einem guten Vorwand suchte, hier in der Halle den Zauberstab ziehen zu können.

 

„Musst du für sie sprechen? Läuft das so bei euch?“, hörte sie seine gelassene Stimme jetzt und musste sich zusammenreißen, nicht panisch zu werden.

 

„Malfoy, am besten verschwindest du. Das hier ist nicht dein Tisch, du bist hier nicht erwünscht.“ Harry war schon halb aufgestanden.

 

„Harry, nicht“, sagte sie nur und wandte schließlich den Kopf zur Seite. Sie konnte ihn hinter sich stehen sehen. Groß und in den Farben von Slytherin.

 

„Ja, genau, Harry…“, bestätigte Malfoy und betonte Harrys Namen wie etwas besonders Lächerliches. Jetzt erhob sich auch Ron. Malfoy hatte Mut, den spöttischen Ton auf den Lippen zu behalten. Sie hatte sich erhoben und atmete tief ein. Dann wandte sie sich um.

 

„Was willst du, Malfoy?“, fragte sie und sah ihm nicht direkt in die Augen. Sie wollte nichts in seinem Gesicht lesen. Und sie wollte ihn auch nicht ansehen und feststellen, dass es auch nichts in seinem Gesicht zu lesen gab, weil er den Kuss schon völlig verdrängt hatte. Gott, sie war erbärmlich. Schulsprecherin!, ermahnte sie sich in Gedanken, sie war Schulsprecherin!

 

„Kann ich dich sprechen?“ Seine Stimme klang aalglatt. „Allein?“, fügte er hinzu und sie hätte ihn am liebsten erwürgt.

 

„Ich denke, es gibt nichts, was du mit Hermine alleine besprechen solltest“, erwidert Ron anstatt ihrer ziemlich angriffslustig. Tintenspritzer von der Feder zierten seine Nase. Malfoy grinste jetzt.

 

„Darf sie das entscheiden, oder muss sie euch erst fragen?“


„Malfoy-“

 

„Harry, schon gut. Ich bin gleich wieder da“, fuhr sie dazwischen und stieg über die Holzbank. Sie zog ihren Umhang gerade und mied immer noch den Blick auf den Slytherin vor ihr. Einige sahen ihnen jetzt zu.

 

„Hermine, was soll das?“, fragte Harry jetzt völlig entgeistert.


„Ich werde euch hier keine Szene machen lassen. Ich bin gleich wieder da. In fünf Minuten, spätestens“, fügte sie hinzu und marschierte vor ihm aus der Halle. Er folgte ihr auf dem Fuße.

Draußen liefen nur wenige Schüler durch die Gänge. Die meisten waren in der Halle und frühstückten. Dort wäre sie jetzt auch wirklich gerne, denn sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt sagen sollte.

 

Sie verschränkte die Arme und bot ihm kein Ziel. „Was willst du?“, fragte sie also. „Geht es um das Vertrauensschülertreffen? Ich hätte dir schon die Notizen zu kommen lassen, Malfoy“, fügte sie hinzu, damit er nicht viel sagen musste. Ihre Augen glitten zurück zur Halle. Vielleicht sollte sie ihn einfach stehen lassen.

 

„Nein, es geht nicht um das Vertrauensschülertreffen.“ Seine Stimme hatte sich merklich verändert. Sie war nicht mehr spöttisch und kalt. Sie war sich ihrer Erscheinung auf einmal völlig bewusst, würde sich gerne die losen Strähnen hinter die Ohren stecken, wollte aber garantiert nicht so erscheinen, als ob es sie stören würde, dass sie ihren Zopf heute nicht unbedingt mit Sorgfalt gebunden hatte.

 

Saß ihr Blazer schief? Warf er Falten? Waren Flecken darauf? Sie hatte darauf überhaupt nicht geachtet und ärgerte sich maßlos, dass sie ausgerechnet jetzt darüber nachdenken musste. Sie mied immer noch den Blick in sein Gesicht und starrte deshalb auf seine Brust. Eher auf seinen Kragen.

 

Er saß perfekt gestärkt, warf keine Falten, war bis obenhin geknöpft. Die Weste schloss an und auf dem schwarzen Stoff war die silbergrüne Schlange eingestickt. Sie meinte, seinen Duft riechen zu können, obwohl sie sich nicht sicher war, ob er überhaupt einen benutzte. Er hing schwer und verführerisch in der Luft. Es benebelte sie beinahe, aber noch hielt sie völlig lässig stand.

Er würde es niemals schaffen, ihre Deckung zu durchdringen.

 

Nie wieder!

 

„Um was geht es dann? Die Aufsicht? Du hast diese Woche keine Aufsicht, also wüsste ich nicht, worüber du dich beschweren möchtest!“ Sie klang aggressiver als es nötig war, aber sie hatte die Wahl, überhaupt nichts zu sagen oder ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Sie entschied sich für letzteres.

 

Er atmete ungehalten aus. „Könntest du deinen Mund halten? Es geht nicht um irgendeinen Schulsprecher-Scheiß“, fuhr er sie jetzt an.

Bei Gott, ging es nicht? Ihre Fassade war schwer aufrecht zu erhalten. Sie wechselte ihr Standbein und verzog gereizt den Mund. Er wandte den Blick jetzt ab. Er tat beinahe so, als hätte sie ihn gezwungen, mit ihr zu kommen.

 

Dabei war er es doch, der sie hier raus geholt hatte. Eigentlich hätte sie ihm nicht Folge leisten sollen. Sie hätte einfach… sie hätte nein sagen sollen. Sie hätte Harry ihretwegen ruhig zuschlagen lassen können.

Aber nein. Wieder einmal hatte sie versagt.

 

„Fuck“, murmelte er jetzt und fuhr sich durch die hellen Haare, für die er bestimmt Ewigkeiten brauchte, damit sie lagen, wie er wollte. Sie wünschte ihm, dass seine ganze Aufmachung Ewigkeiten dauerte.

 

„Du wolltest mich sprechen, Malfoy. Nicht umgekehrt“, merkte sie jetzt an. Aus den Augenwinkeln sah sie ihn freudlos lächeln.

 

„Ja, natürlich nicht umgekehrt. Du scheinst mir ja aus dem Weg zu gehen. Versteckst du dich unter Potters Umhang?“, fragte er jetzt angriffslustiger und ihr wurde es zu bunt.

 

„Wenn du vorhattest, mich zu beleidigen, dann werde ich ablehnen und gehen, Malfoy.“ Sie wandte sich von ihm ab und machte einen Schritt Richtung Halle.

 

„Granger, verflucht!“ Seine Stimme wurde lauter. Die wenigen Schüler, die draußen waren warfen ihnen neugierige Blicke zu. Sie wandte sich um.


„Könntest du hier bitte nicht laut werden, Malfoy? Ginge das?“


„Du kannst mich nicht mal ansehen, oder Granger?“ Erwischt. Wieder einmal. Eiskalt erwischt! Er hatte die Stimme jetzt gesenkt. „Denk ja nicht, du wärst irgendwas besonderes, ok? Denk bloß nicht, dass…“

 

„Halt deine Klappe, Malfoy!“, zischte sie jetzt und wusste, sie wurde rot. Sie spürte es. Sie sollte sich Makeup kaufen, dann konnte sie wenigstens das verdecken. Nein, sie würde sich einfach die Maske doch schon jetzt aufsetzen!

„Was zum Teufel willst du eigentlich?“, fuhr sie ihn jetzt an und sah ihm endlich in die Augen. Wenn auch widerwillig. Sein Mund war geöffnet. Die nächste Beleidigung lag ihm schon auf den Lippen, sie sah sie förmlich kommen.

 

Sie begriff nicht, warum sie ihn das tun ließ! Sie wusste wirklich nicht, warum sie ihm die Kontrolle gab. Sie hätte nein sagen sollen. Einfach immer nein. Und worüber wollte er bitte reden? Hier in aller Öffentlichkeit? Am helllichten Tage?!

 

„Ich will dir nur klar machen, dass du dich verflucht noch mal nicht verstecken musst, Granger! Du schmeichelst dir nur selbst damit“, fügte er ruhig hinzu.

 

„Du bist so ein überhebliches Arschloch, Malfoy!“, gab sie zurück und versuchte, nicht zu schreien, nicht völlig wütend zu werden.

 

„Wissen deine kleinen Freunde, welche Worte über deine Lippen kommen? Wissen sie eigentlich überhaupt irgendwas, Granger? Sie standen noch nicht vorm Portrait meines Gemeinschaftsraums um mich umzubringen, also kann ich wohl davon ausgehen, dass du ihnen nichts von-“

 

„Natürlich habe ich es ihnen nicht erzählt!“, unterbrach sie ihn, ehe er weitersprechen konnte. Sie wollte es ihn nicht sagen hören! Bei Gott, nein, das wollte sie nicht! „Und vor allem, ich habe dich nicht hier raus bestellt! Mir ist es völlig gleich. Ich schmeichel mir nicht selber. Wenn das hier einer tut, dann nur du, wenn es dich stört!“ Sein Mund öffnete sich daraufhin.

 

Sie sah es schon wieder! Schon wieder lag es in seinem Blick! In seiner gesamten Körpersprache, in allem, was er tat. Ihre Augen verengten sich. Sie musste irgendwas tun!


„Ich will, dass du vergisst, was passiert ist“, knurrte er jetzt rau und versuchte sich zu beherrschen.

 

„Was genau, Malfoy?“ Seine Augen wanderten über ihr Gesicht. Sie hatte keine Ahnung, weshalb sie ihn reizte. Sie wollte eigentlich nur weg, verschwinden, sich auflösen unter seinem grauenhaften Blick.

 

„Alles, Granger. Einfach absolut alles.“ Sie hörte die Worte. Er sagte die Worte. Aber sie konnte sie nicht sehen. Sein Gesicht zeigte nichts von seinen Worten. Er sah sie an, schien ihr Gesicht mit seinem Blick fesseln zu wollen.

Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal in ihrem Leben ein so langes Gespräch mit Draco Malfoy geführt hatte, aber sie war bereit zu sagen, dass dies niemals der Fall gewesen war.

 

Und jetzt standen sie hier. Voreinander. Mitten vor der Großen Halle.

 

„Dann hast du ja alles gesagt“, gab sie zurück. Sie gab sich nicht mal Mühe, ihre Stimme zornig klingen zu lassen. Es war völlig unmöglich, dass sie all das vergessen konnte. Konnte sie sowieso nicht. Wie auch?

„Geh“, fügte sie hinzu und sah, wie er die Fäuste ballte.

 

In ihm tobte ein Kampf, den sie nur in seinem Gesicht erkennen konnte.

Sie wusste nicht, um was er kämpfte. Um Fassung? Um Kontrolle? Um Macht?

 

„Ich…“, begann er und sie wusste nicht, was er ihr sagen wollte. Sie wusste plötzlich nicht mehr, wie sich seine Lippen anfühlten. Sie wusste nicht, warum sie gerade diesen Gedanken denken musste, aber das hieß doch fast schon, dass sie vergessen hatte. Wenn sie sich gar nicht mehr an dieses Ereignis erinnern konnte, war es dann überhaupt passiert?

 

„Hermine, die Post ist da.“ Harry war nach draußen gekommen. „Bist du hier fertig?“ Sie erschrak heftig. Sie zwang sich äußerlich zur Ruhe und atmete langsam aus. Sie warf Malfoy noch einen letzten Blick zu. Sein Mund hatte sich geschlossen und er fixierte Harry ausdruckslos.

 

„Ja, wir sind fertig“, sagte sie nur. Wieder traf sie sein Blick. Kurz und intensiv. Und irgendwas sagte ihr, dass sie noch nicht fertig waren. Aber sie irrte sich. Vielleicht.

 

 

Teil 8

 

 

„Wo ist Draco Malfoy?“

 

Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich diese Frage auch schon gestellt hatte, aber jetzt wo Snape sie stellte, war sie noch viel greifbarer.

 

„Sir, er hatte Beschwerden und wollte zum Krankenflügel.“ Pansy gab sich nicht einmal Mühe, ihre Besorgnis zu unterdrücken. Aber Hermine konnte ihren Worten nicht recht glauben, denn Malfoy würde sich niemals die Blöße geben und zum Krankenflügel gehen.


„Worüber habt ihr gesprochen, Hermine?“, fragte Harry jetzt bestimmt schon zum zehnten Mal. Sie ruckte unwirsch mit dem Kopf.


„Harry, es war völlig belanglos. Nur über den Maskenball.“ Es war eine Lüge. Und eigentlich wollte sie Harry nicht anlügen, aber da er sowieso schon dachte, sie würde Malfoy jetzt neuerdings verteidigen, blieb ihr nichts anderes übrig.

 

„Aha, heute Morgen kann er also noch mit dir über Maskenbälle reden und danach ist er einfach krank?“ Harry fixierte sie. Sie stand hier also unter den Farben eines Verhörs.

 

„Harry, was genau wirfst du mir eigentlich vor? Denkst du, ich habe irgendwas damit zu tun, dass Malfoy hier nicht auftaucht? Habe ich nämlich nicht. Und ich wüsste wirklich nicht, wie du zu so einem Schluss kommen könntest!“ Sie bemühte sich, die Stimme ruhig zu halten, damit Snape sich nicht gehalten sah, ihnen Punkte abzuziehen.

 

Irgendetwas brannte Harry auf der Seele, aber sie war nicht in der Lage zu sagen, was es war. Sie wollte es auch nicht. Sie wollte sich jetzt nicht mit ihm über Malfoy streiten, denn im Moment hatte sie wirklich die Nase voll von Malfoy.

Sie wollte nicht mehr an ihn denken, denn er war einfach ein schlechter Mensch. Sie wusste nicht, weshalb alles auf einmal so kompliziert und falsch geworden war, aber sie wollte, dass es aufhörte.

 

Harry sah sie an, als würde sie ihm etwas verheimlichen. Und er hatte sogar recht. Sie wandte den Blick von ihm ab und begann die Rezeptur zu befolgen, die Snape an die Tafel gehext hatte, nachdem er Malfoy als fehlend eingetragen hatte.

 

Ihre Hände gehorchten ihr zumindest. Ihr Geist beschäftigte sich nur mit dem heutigen Morgen. Wo war er denn? Und weshalb war er dort? Sie konnte sich nicht entsinnen, dass er jemals Zaubertränke versäumt hatte. Eines der Fächer, wo er wirklich ein arroganter Slytherin sein konnte. Und nicht bestraft wurde.

 

Wieso war es ihr nicht einfach egal? Sie konnte es nicht sagen.

Sie wollte ihn nicht mal sehen, nicht mit ihm sprechen, aber sie fand, dass er nicht das Recht hatte, wegzubleiben. Sie hatte das Monopol auf die Unerreichbarkeit gepachtet. Zwar war es vermessen anzunehmen, er wäre wegen ihr nicht hier, aber ihrem seltsamen neuen Ego gefiel dieser Grund ganz gut, so absurd es auch war.

 

Je mehr sie arbeitete, umso mehr vergaß sie all ihre wirren Gedanken. Es war fast wie sonst auch. Ron bekam Schweißausbrüche, weil er schon vor drei Zutaten einen entscheidenden Fehler begangen hatte, den er nicht mehr ausbügeln konnte, Harry war auch nicht völlig konzentriert, aber weil er nur halbherzig in seinem Kessel rührte, hatte der Trank eben nicht die perfekte Farbe erhalten.

 

Ihrer hingegen war wie immer makellos. Aber sie wusste, dass langte natürlich nicht dafür, dass Snape sich ein Kompliment von den Lippen ringen konnte. Ihr Kessel könnte sich in pures Gold verwandeln, und Snape hätte immer noch auszusetzen, dass das Gold eventuell anlaufen könnte.

 

Es war einfach wie es war.

Snape schritt durch die Reihen, machte Kommentare, mal bissig, mal weniger bissig, nur bei ihr schwieg er. Sie würde sich schon über einen bissigen Kommentar freuen. Sie hasste es, wenn ihre Arbeit nicht gewürdigt wurde. Vor allem, wenn sie wirklich alles richtig machte.

 

Die Stunde verging schließlich. Schweißnass übergab Ron seinen Flakon mit der Probe des verhunzten Tranks und den zum Teil abgeschriebenen Aufsatz über den Wolfstrunk. Sein Stress würde erst von ihm abfallen, sobald sie die Kerker verlassen hatten.

 

Harry füllte ebenfalls wenig enthusiastisch etwas Flüssigkeit ab, aber bei ihm lag es nur am reinen Hass, den er auf Snape projizieren konnte. Manchmal kam es ihr so vor, als brauche Harry unbedingt einen bösen Gegenpart um zufrieden zu sein.

 

Es ging niemals anders. Niemals war es ihm möglich einfach glücklich zu sein. Hermine nahm an, dass nach einem gewissen Maß an Schmerz vielleicht nicht mehr möglich war, einfach glücklich zu sein.

Aber sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Sie wollte nicht wissen, dass Harrys Glück in Form von Ginny irgendwo im Schloss wartete, und dass Harry nur zu stur und faul war, seinem Glück auf die Sprünge zu helfen.

 

Gut. Sie würde das auch nicht tun.

 

„Was den Maskenball angeht, wäre es nicht sinnvoll, die Masken vorher zu verteilen?“ Lavender hatte sie erreicht, ehe sie die Klasse verlassen hatte. Sie verdrehte die Augen. Ja, das war jetzt wirklich ihre erste Sorge.

 

„Dann müsste ich die Bestellung jetzt schon abschicken. Aber ja, eigentlich wäre es möglich“, sagte sie so eisig sie konnte. Lavender strahlte aber.

 

„Gut, dann machen wir es doch so. Susan meinte, mit dir könne man nicht reden, aber die irrt sich ja meistens. Nicht wahr, Ron?“ Es war das erste Mal seit Monaten, dass Lavender wieder mit Ron sprach. Er war genauso überrascht wie Hermine.

 

„Äh… ja, kann sein?“ Er war überrumpelt.


„Vielleicht können wir ja zusammen hingehen. Nicht als Paar oder so. Einfach nur so. Was meinst du?“ Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf, das sie morgens vor dem Spiegel probte. Hermine hatte sie schon des Öfteren dabei beobachtet.


„Ok?“ Sie warf lachend die Haare zurück und versprach, noch einmal darauf zurückzukommen. Hermine nickte schließlich.

 

„Super, Ron. Du hast sie anscheinend wieder.“ Ron runzelte die Stirn.

 

„Jaah, scheint so. Ist das gut oder schlecht?“, fragte er unsicher und er schritt unsicher neben ihr und Harry nach draußen in den Flur.

 

„Ich weiß es nicht“, gab sie schließlich zu.

 

„Ihr habt bisher immer Schluss gemacht, also wird es nicht anders sein“, bemerkte Harry kalt. Ron sah missmutig aus.

 

„Du hast nicht immer recht“, sagte er schließlich und Harry ließ sich tatsächlich auf diese Diskussion ein. Hermine war es mehr oder weniger egal.


„Ich muss eben die Listen der Teilnehmenden aus dem Klassenzimmer holen. Dann mach ich die Bestellung per Eule gleich fertig. Wir treffen uns in der Großen Halle“, rief sie über die Schulter und ihr war egal, ob die Jungen sie hörten.

 

Sie hoffte nur, dass Ron Harry die Meinung sagen würde, und dass sich vielleicht etwas an Harrys Stimmung änderte, sei es nur, dass er sich auf so einen Streit einließ. Sie hechtete durch die Flure, denn wenn sie zu spät zum Mittagessen kam, war es möglich, dass ihr Teller leer blieb.

 

Mittag gab es nur bis zu einer bestimmten Zeit. Und wenn sie hungrig in Verwandlung ging, dann würde sie nicht so konzentriert aufpassen, wie sie es wollte. Sie kannte das von sich. Manchmal konnte ihr Verstand noch so effizient sein, dennoch gewannen dann ihre Instinkte.

 

Einer ihrer Instinkte hätte sie irgendwie warnen müssen.

Gefahren nahm der Mensch ja eher unterbewusst wahr. Aber dieses Mal versagten alle ihre Instinkte auf einmal.

 

Sie öffnete die Tür zum Raum, wo sie die Treffen abhielten und erstarrte.

 

Malfoy war hier. Allein. Er saß auf dem Pult und hatte den Blick aufs Fenster gerichtet. Es war zu spät, um umzudrehen, denn er hatte sie bemerkt.

In einer unwirschen Geste fuhr er sich über die Augen.

 

„Was willst du?“, knurrte er so zornig, dass sie zurückwich.


„Nichts“, gab sie hastig zurück. Und sie ärgerte sich darüber, dass sie schon wieder Angst vor ihm hatte. „Nichts, was dich etwas angeht!“, fügte sie also selbstsicherer hinzu als sie sich fühlte. Sie würde keine Angst zulassen.

 

„Gut. Dann verschwinde, Granger.“ Sie wusste nicht, weshalb er so wütend war. Sie wusste nicht, ob er auf sie wütend war oder sich selbst.

 

„Du warst nicht in Zaubertränke“, stellte sie eher unbeabsichtigt fest.

 

„Wie schrecklich. Hast du mich schon vermisst?“ Es war kaum eine Frage. Seine Mundwinkel zuckten freudlos und sie streckte den Rücken durch.


„Nein, habe ich nicht.“ Sie würde sich nicht auf so einen Streit einlassen. Nicht mit ihm. Nicht schon wieder!

 

„Wo sind deine Wachhunde?“, fragte er rau. Sie ging direkt zur Pinnwand und nahm die Listen ab.

 

„Harry und Ron sind nicht bei mir, wenn du das meinst.“ Sie versuchte so distanziert wie möglich zu reagieren.

 

„Seltsam, ich dachte, sie wären an deinem Hintern festgebunden.“ Sie zog es vor, darauf nicht zu antworten. „Du holst die Listen? Für was?“ Es klang nicht wirklich so, als ob es ihn interessierte. Sie wandte sich gereizt um.


„Unwichtig, Malfoy. Du beschäftigst dich doch sowieso nicht mit diesen Kleinigkeiten, richtig?“ Er stieß sich von der Kante des Pults ab, und sofort wurden ihre Handflächen schwitzig. Sie konnte mit ihm umgehen, wenn er blieb, wo er war. Nicht wenn er sich plötzlich in Bewegung setzte.

 

„Ich bin Schulsprecher, Granger. Darf ich diese Frage etwa nicht stellen? Geht sie mich nichts an? Ich denke, in diesem Raum geht mich so ziemlich alles etwas an, oder nicht?“ Er kam näher, sie wich zurück. Er folgte ihr, aber sie brachte schließlich ein Pult zwischen sich und ihn.

 

Amüsiert stellte er diese Tatsache fest. „Was ist? Hast du plötzlich Angst vor mir? Ja, das hast du am besten auch!“, fuhr er wütend fort. Sie wusste nicht, was in ihn gefahren war. Manchmal verlor er völlig seine Kontenance. Ohne jeden Grund.

 

„Ich habe keine Angst vor dir, Malfoy. Ich möchte nur einen Sicherheitsabstand haben“, bemerkte sie kalt. Er musste lächeln.


„Denkst du, ich habe es so nötig, Granger? Denkst du, ich möchte mich auf dich stürzen, sobald ich dich sehe?“ Sie sagte darauf nichts. Sie wollte seine Worte nicht hören.

 

„Was tust du überhaupt hier?“, fragte sie jetzt, damit er nicht sah, wie ihre Hände zitterten.

 

„Was geht es dich an?“, entgegnete er.

 

„Schön. Dann lass mich in Ruhe.“

 

„Ich habe dir nichts getan“, rechtfertigte er sich und wich vor ihr zurück. Sie erkannte seine Tasche auf dem Lehrerpult. Daneben lag ein Bild. Es sah aus, als wäre es gezeichnet. Mit Buntstiften auf Pergament. Ehe sie ihre Neugierde verhindern konnte, öffnete sich ihr Mund.


„Was ist das?“ Sie bereute, dass sie gefragt hatte.


„Wieder etwas, das dich nichts angeht, Granger, oder?“ Er schritt zu seinen Sachen. „Willst du es wirklich wissen? Aber… warum nicht? Gerade dir müsste es gefallen“, knurrte er und hielt es ihr spöttisch entgegen.

Sie wollte nicht. Sie wollte gehen. Sie wollte nicht bleiben.

Aber die Neugierde siegte wieder einmal über die Vernunft.

 

Sie ging zu ihm, legte die Listen zur Seite und betrachtete das Bild. Es war kein großes Kunstwerk. Eigentlich war es kaum zu erkennen. Alles, was sie sah, waren ein paar Strichmännchen und eine Sonne.

Ein Kinderbild, durchfuhr es sie schließlich. Sie betrachtete es genauer.

Malfoy stand immer noch neben ihr und verschränkte jetzt die Arme vor der Brust.

 

Es waren vier Personen mit gelben Köpfen. Und sie standen auf einer grünen Wiese über der die Sonne schien. Es war unschwer zu erraten, was das Bild darstellen sollte. Unwillig hob sie schließlich den Blick zu seinem Gesicht.

Für einen Moment glaubte sie, Schuld in seinem Gesicht sehen zu können. Oder etwas Ähnliches.

 

Als er sprach lächelte er bitter. „Mein Bruder hat es gemalt.“ Er sah sie nicht an. Sie legte es zurück auf das Pult vor sich.

 

„Tja, leider denkt dein Bruder, dass-“

 

„Nicht“, unterbrach er sie ruhig. „Sag es einfach nicht, Granger.“ Jetzt sah er sie an. Sein Ausdruck war wie immer. Oder zumindest so, wie sie ihn kannte. Kurz, ganz kurz, tat er ihr leid. So wie er hier stand. Verloren und anscheinend das erste Mal völlig ratlos. Aber dieser Gedanke währte nicht besonders lange.

 

Und tatsächlich folgte sie seinen Worten. Wahrscheinlich das erste Mal in ihrem Leben. Sie seufzte schließlich. „Du musst nicht so sein“, gab sie zu bedenken. Er hob eine Augenbraue.

 

„Erspar mir das.“

 

„Mir ist es egal, Malfoy. Du bist der einzige, der ein Problem hat.“ Er lachte hart auf. Dann drehte er sich zu ihr und machte einen Schritt auf sie zu.

 

„Ja? Wieso bist du dann nicht schon längst gegangen? Wieso versteckst du dich nicht, wie du es die letzten Tage auch getan hast?“

 

„Du bist krank, Malfoy“, erwiderte sie leise und schüttelte den Kopf. Was tat er denn, zum Teufel noch mal? Sein Ausdruck wirkte merklich angespannter.

 

„Weißt du, wie es ist, wenn man sich eine einzige Frage stellt, und sie nicht mehr aus dem Kopf bekommt, egal, was man versucht? Weißt du, wie das ist, Granger?“ Sie hielt die Luft an. Was sollte sie darauf sagen? Dass sie genauso eine Frage hatte? Wie war es dazu gekommen, dass sie schon wieder einmal vor ihm stand? „Weißt du, warum ich dich geküsst habe?“, fragte er jetzt und ihr Mund öffnete sich vor Schreck.

 

„Nein, nicht, Malfoy!“ Sie schüttelte hektisch den Kopf und wich vor ihm zurück.

 

„Nicht, was?“, fragte er und folgte ihr.


„Hör auf, darüber zu reden! Sag einfach gar nichts, ok?“ Sie schloss die Augen für einen Moment, um wieder klar denken zu können. Er spielte mit ihr. Es war irgendein krankes Spiel!

 

„Ich soll aufhören? Ich habe noch nicht einmal angefangen zu reden, Granger! Und ich muss darüber reden. Wir müssen-“

 

„Wir müssen gar nichts, Malfoy!“, schnappte sie wütend und unterband jeglichen Redefluss seinerseits. Nicht nur, weil es keinen Sinn machte, nein, weil es ihr Angst machte, dass er solche Worte überhaupt aussprach! Sie wünschte sich, dass sie nicht schreien würde, aber sie konnte es gar nicht verhindern. „Es gibt nichts mehr zu sagen! Du hast gesagt, ich soll es vergessen. Das tue ich!“ Sie konnte nicht fassen, dass er tatsächlich darüber sprach. Ihre Stimme zitterte schon wieder.

 

„Das ist wirklich schön für dich, aber ich tue es nicht!“ Er fuhr sich durch die Haare und wirkte völlig neben sich. Sein Blick traf sich voller Überlegenheit. „Und du tust es auch nicht.“ Ihr Mund öffnete sich im Protest, aber er sprach bereits weiter. „Ich habe keine Lust an dich zu denken, aber…“ Er schien sich korrigieren zu wollen. Wusste er, was er da sagte? Wie absurd seine Worte klangen? Er konnte das nicht ernst meinen! Er konnte einfach nicht. „Wieso tust du das?“, fragte er schließlich unbeherrschter als zuvor. Sie riss die Augen schockiert auf.

 

„Ich tue überhaupt nichts, Malfoy! Ich habe nie etwas getan!“ Er schüttelte unwirsch den Kopf und kam noch näher. Sie ballte die Hände zu Fäusten.

 

„Wieso hältst du mich nicht auf, verflucht?“ Jetzt hatte er den Abstand geschlossen, stand vor ihr und sie spürte die Hitze seines Körpers nahe an ihrem eigenen. Er schien um Fassung ringen zu müssen und ihr Mund öffnete sich hilflos. Ihr Gehirn lag blank.

 

Sie starrten sich an. Viel zu lange starrten sie sich an. „Siehst du nicht, was du tust?“, knirschte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen und sie konnte nicht reagieren. „Ich will das nicht! Denkst du wirklich, ich würde es wollen?“ Seine Stimme war leiser geworden. Er neigte den Kopf langsam.

 

Gleich würde er sie berühren! Gleich würde er sie wieder berühren, schoss es ihr nur durch den Kopf, während sich ihr Herzschlag radikal beschleunigte. Was tat sie denn? Wieso hatte er recht? Wieso ließ sie es denn nur zu, bei Merlin, noch mal? Er hatte recht, durchfuhr es sie eiskalt. Aber sie wusste nicht, warum….

 

Die Luft entwich ihren Lungen in nur einem Atemzug.

„Nein“, sagte sie leise und es war bestimmt kein Nein, was dazu gedacht war jemanden wie Draco Malfoy aufzuhalten, aber er hielt inne.

 

„Ist es nötig, dass du immer nein sagst, bevor du mich tun lässt, was ich will?“, fragte er rau und ihr Magen überschlug sich beinahe. Würde er sie berühren, dann würde sie sich wieder über sich selbst ärgern, sich schämen, sich alles Schlechte vorwerfen, weil sie schwach war. Es würde sich wiederholen. Das durfte es nicht!

 

Sie war nicht schwach! Das war sie nicht!

 

Endlich riss sie sich von seinem Blick los und endlich drängte sie sich an ihm vorbei. „Ich weiß nicht, was es ist, das du tust! Aber ich werde dich garantiert nicht gewähren lassen, Malfoy!“, keuchte sie jetzt und konnte kaum Atem fassen. Er öffnete den Mund und wollte auf sie zu kommen, aber sie hielt ihn mit der ausgestreckten Hand auf Abstand.

 

„Irgendwas läuft hier furchtbar schief! Ich weiß nicht, was das hier ist, aber es wird nicht passieren, hast du verstanden?“ Ihr fehlte die nötige Luft zum Atmen, die nötige Luft, um ihre Worte glaubhaft klingen zu lassen. Seine grauen Augen fixierten sie stumm. Sie konnte nicht mehr klar denken. „Lass mich in Ruhe, Malfoy! Das ist dir doch vorher auch nicht schwer gefallen!“, fügte sie bitter hinzu und er stieß spöttisch die Luft aus.

 

Zuerst sah es so aus, als ob er antworten würde. Laut, unbeherrscht, eben so, wie er es immer tat. Immer! Dann aber schloss er seinen Mund. Er senkte den Blick und sein Kiefermuskel spannte sich an. Sie sah es genau.

 

„Wenn du willst, dass ich dich in Ruhe lasse, dann gib mir keinen Grund, es nicht zu tun.“ Sie wusste nicht, was er mit diesen Worten meinte, oder ob irgendein Funke Wahrheit in ihnen enthalten war. Oder was er überhaupt damit meinte? Seit wann hatte sie irgendeine Art Macht über ihn?

Sie schüttelte nur den Kopf. Es konnte alles nicht passieren! Wie konnte sie so derart von Malfoy eingenommen sein?

 

„Schön. Wie du willst, Malfoy.“ Damit wandte sie sich ab. Auf ihrem Weg griff sie nach den Listen und der Tasche, die sie abgestellt hatte und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

Wenn er nicht der Stärkere sein konnte, dann würde sie es eben sein. Sie würde es beweisen müssen. Das hier alles war krank! Sie würde sich nicht in dieses Netz aus Schmerz und falschen Entscheidungen verwickeln lassen.

Wieso war er überhaupt hier gewesen? Vor was hatte er sich versteckt? Wieso kümmerte ihn das Bild seines Bruders überhaupt?

 

Und insgeheim ärgerte sie sich darüber, dass sie glaubte Malfoy gut genug zu kennen, um zu wissen, warum er so war, wie er war.

Sie atmete ruhig aus. Sie würde sich jetzt beruhigen, vergessen, was passiert war und dann würde sie mit Harry und Ron zu Mittag essen.

 

So, als wäre nichts passiert.

 

 

 

Teil 9

 

 

„Sollten wir Mädchen ins Team nehmen?“, fragte er, seine Stimme bereits tief vom Alkohol. Eigentlich hatte er sich sehr daran gestört, dass Zabini ihm plötzlich Gesellschaft leistete. Er hatte begonnen, alleine zu trinken. Pansy hielt er damit auf Abstand. Jetzt aber hatte er Zabini schon beinahe vergessen. Jedenfalls in so weit, dass ihn seine Gesellschaft nicht störte.

 

„Mädchen? Es gab noch nie, seit tausend Jahren, keine Mädchen im Slytherinteam“, gab Zabini jetzt zurück. Er hob eine dunkle Augenbraue und trank einen großen Schluck der braunen Flüssigkeit.

 

„Vielleicht sollten wir welche haben“, entgegnete er grimmig.


„Du hast doch gesagt, wir sollten keinen Sex vor den Spielen haben, Draco. Damit machst du es ziemlich schwer“, bemerkte Zabini mit einem feinen Lächeln. Ja, wahrscheinlich hatte er recht. Mädchen im Team, die auch noch die richtige Figur hatten, um Quidditch zu spielen, würden eine zu große Ablenkung sein.

 

Er überlegte seit Tagen, wie er die Mannschaft verbessern konnte. Und Mädchen aufzunehmen war nur eine von vielen verzweifelten Lösungen.

 

„Wolltest du heute nicht lernen?“, fragte Zabini jetzt und lehnte sich im dunklen Ledersessel entspannt zurück. Er hatte recht. Donnerstags war Dracos Lerntag. Aber er hatte es völlig vergessen. Mittlerweile hatte er eigentlich alles vergessen.

Alles, was wichtig war. Nur sie nicht.

 

Er versuchte, sie zu ertränken. In Alkohol. In viel Alkohol. Versuchte, sich nicht mehr zu erinnern. Aber sie jagte ihn durch den Tag. Und durch die Nacht.

 

„Nein“, erwiderte er gleichgültig. Der Gemeinschaftsraum war mittlerweile leer. Es wurde langsam spät. Er wusste, würde er nicht schlafen, dann sähe er morgen ziemlich beschissen aus.

Der Kamin knisterte laut. Er wandte träge den Kopf. Und er erschrak über das, was er sah. Es ärgerte ihn fast, dass er so erschrocken war.

 

„Würde es dir was ausmachen, zu gehen?“, fragte er schroff und Zabini leerte wortlos sein Glas und erhob sich.

 

„Bis dann“, sagte Zabini recht gleichmütig. Draco nahm an, dass er bereits betrunken war. Zabini vertrug überhaupt nichts.

Er wartete, bis die Tür zum Schlafsaal ins Schloss fiel, ehe er sich umwandte.

 

„Mutter“, begrüßte er die Frau im Kamin mit ungewollter Kälte in der Stimme.

 

„Ich weiß, für gewöhnlich machen wir Termine aus, aber ich hatte gehofft, dich ohne Termin anzutreffen.“ Er ging seufzend auf die Knie und betrachtete ihr Gesicht.

 

„Wieso bist du wach?“, fragte er, denn er erinnerte sich, dass seine Mutter nie nach zehn aufblieb. Er ignorierte ihre vorherigen Worte.

 

„Scorpio konnte nicht schlafen und… ich dachte, ich sehe nach, ob du noch wach bist.“ Sie kommentierte nicht mal, weshalb er nicht im Bett war. Er nahm an, sie wollte nicht, dass er das Gespräch sofort unterbrach, weil sie von Scorpio angefangen hatte.

 

„Aha. Zuhause ist alles in Ordnung?“, fragte er desinteressiert, um das Thema zu wechseln. Sie nickte nur. Er erkannte, dass sie einige Falten mehr um Mund und Augen bekommen hatte. Sie war einst eine sehr schöne Frau gewesen. Das Alter holte sie ein. Draco gab der Missgeburt die Schuld daran. Sein Gewissen ließ ihn in Frieden, wenn er getrunken hatte. Das war der einzige Vorteil, den er am Trinken entdecken konnte.

 

„Ja, alles ist… in Ordnung.“ Ihr Blick wandte sich zur Seite. Er hörte dumpfe Geräusche im Hintergrund. Dann sah sie ihn wieder an. „Du bist nicht gekommen“, stellte sie schließlich fest. Sein Ausdruck wurde härter.

 

„Nein, ich hatte… keine Zeit“, schloss er diplomatisch. Seine Mutter nickte und er wusste, sie glaubte ihm kein Wort, kommentierte es aber nicht weiter.

 

„Kommst du zu seinem Geburtstag, Draco?“ Ihre Stimme hatte sich merklich abgekühlt.

 

„Zu… wann soll der denn sein?“ Er hatte keine Lust, vorzugeben, dass er wüsste, wann das Balg Geburtstag hatte.

 

„In zwei Wochen, Draco. Dein Bruder hat in zwei Wochen am Sonntag Geburtstag. Er wird vier, falls es dich interessiert.“ Anscheinend hatte sie kein Glück bei Lucius, deswegen stritt sie sich jetzt mit ihm.

 

„Hier in Hogwarts ist ein Maskenball, ich weiß nicht…“

„Ich habe gehört, dieser Ball sei am Freitag. Nicht am Sonntag.“

 

„Mutter…“

 

„Draco, es ist keine Bitte. Es ist eine familiäre Verpflichtung. Also, wag es nicht, dir eine fadenscheinige Ausrede einfallen zu lassen, hast du mich verstanden?“ Es war schon einige Zeit her, dass er sich von seiner Mutter eine Strafpredigt eingehandelt hatte. Schon wirklich sehr lange her. Er sagte nichts darauf. Es hatte keinen Zweck zu widersprechen, wenn er nicht eine ewige Vendetta mit seiner Mutter führen wollte. „Und trink nicht so viel“, fügte sie missbilligend hinzu.

 

Er lächelte daraufhin. „Hat dir das Bild gefallen, Draco?“, fragte sie unvermittelt. Er wollte vorgeben, nicht zu wissen, wovon sie sprach, aber das war albern.

 

„Sehr“, erwiderte er lakonisch, aber sie reagierte nicht darauf.

 

„Bis Sonntag dann.“ Es klang eher wie eine Drohung, als wie eine freundliche Einladung. Sie zog den Kopf ruckartig aus dem Kamin und er war wieder allein. In seinem Magen rumorte es wieder.

Er wünschte, seine Mutter würde ihn in Frieden lassen. Aber er kam wohl nicht um sein Schicksal herum.

 

~*~

 

 

„Ich bin froh, dass wir uns auf ein-“

 

Dass sie alle Worte zu vergessen schien, nur weil er durch die Türe schritt gefiel ihm besonders gut. Mit einem gewöhnlichen Grinsen lehnte er sich gegen einen der Tische und betrachtete sie unverhohlen.

 

Granger schluckte schwer. Sie riss ihren Blick von seinem Gesicht los und nahm ihre Worte wieder auf. „… also, gut, dass wir uns geeinigt haben. Essen ist immerhin… wichtig.“

 

„Was tust du hier?“ Pansy hatte sich zu ihm gesellt und zischte ihm nun ins Ohr. Zwar kam sie nicht dran, aber sie gab sich die größte Mühe. Immer noch lehnte er gelassen am Tisch, die Arme verschränkt, die Beine voreinander gekreuzt.

Es war zwar ziemlich beschissen, aber er fühlte sich gleich um einiges wohler, wenn er Granger zusehen konnte.

Die Tagelange Abstinenz, die er streng befolgt hatte, hatte ihm nicht gut getan. Er lernte nicht mehr, er schrie willkürlich und hatte bereits fünf Slytherins Strafen auferlegt.

Er musste sich mit der unbequemen Tatsache abfinden, dass sein Geist sich auf dieses verfluchte Schlammblut fixiert hatte. Weiß der Teufel, warum!

 

„Ich bin Schulsprecher, Pansy“, gab er schlicht zurück, denn er hatte keine Lust, sich ausgerechnet vor Pansy erklären zu müssen. Sie schien mit dieser Antwort unzufrieden.

 

„Na und? Du warst noch nie hier! Was soll das auf einmal?“ Er gönnte ihr einen kalten Blick.

 

„Ich habe meine Meinung geändert. Und jetzt halt den Mund.“ Pansy den Mund zu verbieten kam einer Straftat nahe.

 

„Ich soll was? Spinnst du, Draco?“

 

„Pansy, möchtest du irgendwas zum Thema beitragen?“, durchschnitt Grangers Stimme Pansys Wut. Diese wandte sich zu ihr um.

 

„Nein, Schlammblut, dein dämlicher Essensplan interessiert mich überhaupt nicht!“ Pansy verlor ihre Geduld ziemlich schnell.

 

„Ron, nicht, bleib sitzen, ok?“ Das Wiesel war bei seinem Lieblingswort natürlich sofort aufgesprungen, um seine kleine Prinzessin zu verteidigen. Plötzlich kam Draco der widerliche Gedanke, ob Weasley und Granger wirklich jemals… Nein. Sein Körper spannte sich unangenehm hart an.

 

„Das nimmt sie zurück!“, dröhnte Weasleys Stimme jetzt durch den Raum. Pansy stellte sich gerader hin und reckte das Kinn vor. Eine Eigenschaft, die Draco noch vor ein paar Wochen äußerst attraktiv gefunden hatte, und der er jetzt nichts mehr abgewinnen konnte.

 

„Ron, es ist egal.“ Granger sprach gepresst und mied jeden Blick in seine Richtung.

 

„Pansy, vielleicht…“, begann er, aber diese durchbohrte ihn mit ihrem Blick.

 

„Was, Draco? Was willst du mir sagen?“ Es hing viel von seinen Worten ab. Er durfte keinen Fehler machen. Er spüre es selber. War er etwa gerade drauf und dran gewesen, Pansy vorzuschlagen, dass sie sich entschuldigen sollte? Für einen Moment war er zu schockiert, um etwas zu sagen. Und das wirklich Schlimme war, dass Pansy es sehen konnte! Sie schien es in seinem Gesicht förmlich ablesen zu können!

 

„Am besten, du haust ab und wir verzichten auf deine Anwesenheit, Parkinson!“ Er war tatsächlich ein wenig dankbar, dass Weasley die Aufmerksamkeit von ihm lenkte. Jedenfalls Pansys Aufmerksamkeit. Er ignorierte Grangers unlesbaren Ausdruck gekonnt.

 

„Du hast mir gar nichts zu sagen, Weasley“, spuckte sie ihm nun entgegen und Weasley baute sich mit seinen knappen zwei Metern bedrohlich vor ihr auf.


„Ach nein? Wie wäre es, wenn ich dich einfach rausschmeißen würde?“ Er schien sogar ziemlich willig zu sein, das zu tun.

 

„Ron, hör auf damit! Es ist mir egal. Es ist nur ein dummes Wort.“ Grangers Stimme klang gepresst. Sie wusste wohl selber, dass es natürlich nicht nur ein dummes Wort war, sagte er sich. Natürlich war es das nicht! Er konnte sich selber nicht begreifen. Was war nur in ihn gefahren?

 

„Draco, kommst du?“, fragte Pansy jetzt mit einer Herausforderung, die Draco überraschte. Es lag etwas auf ihren Zügen, das er nur wage als Skepsis erkennen konnte. Etwas unschlüssig stand er da.

 

„Tut mir leid, Pansy. Ich bin Schulsprecher.“ Schon wieder sagte er diese Worte. Worte, die ihm vor ein paar Monaten vollkommen gleichgültig waren. Zumindest im Bezug auf Partyplanungen. So sah Pansy ihn auch an.

 

„Seit wann ist es dir wichtig, hier zu sein, Malfoy?“ Weasley ärgerte sich anscheinend darüber, dass er seine Kraft gegenüber Pansy nicht hatte wirken lassen können.

 

„Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten, Weasley, ja?“, gab er nur zurück und bewegte sich keinen Millimeter. Granger seufzte mittlerweile und fuhr sich über die Stirn.

 

„Hört auf mit dem Unsinn! Es kann bleiben, wer will und gehen, wer will!“ Weasley sah sie an, als ob er gerne noch zwei, drei Dinge richtig gestellt hätte und Draco hätte eigentlich nur zu gerne all seine angestaute Wut und seine Verwirrung an Weasley ausgelassen. Aber Weasley gab nach.

 

„Fein. Aber noch ein Wort und ich bringe ihn um.“ Und Draco glaubte ihm. Es lag keine Angabe oder Prahlerei in Weasleys Blick. Völliger Ernst hatte die Wut in seinen Zügen ersetzt. Seine Sorge um Granger schien von tieferer Natur zu sein, als Draco angenommen hatte.

Das störte ihn nur noch mehr.

 

„Du wirst das bereuen, Draco“, zischte Pansy jetzt und zu seinem großen Ärger warf sie Granger noch einen kurzen,  beinahe wissenden, Blick zu, obwohl sie überhaupt keine Ahnung hatte. Keine! Dann verließ sie das Klassenzimmer.

Es kehrte wieder Ruhe ein. Weasley stand zwar immer noch kurz vor der Explosion, aber Granger schenkte dem keine Beachtung mehr.

 

Er konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Unsicher warf sie einen Blick in ihre Notizen. Er erkannte ihre gedrungene Handschrift. Immer etwas unordentlich, immer über den Zeilenrand hinaus. Psychologisch betrachtet, hatte er keine Ahnung, was es bedeuten mochte. Wahrscheinlich, dass sie sich zu viel vornahm. Dass sie zu viele Gedanken auf einmal hatte.

Das sie eben einfach… einfach ein dämliches Miststück war.

 

Gott, was war es denn an ihr, was ihn gefangen hielt?

 

Er hatte sich geirrt, ihre Figur war nicht plump und unförmig. Aber es war unwichtig, denn ihre Figur war absolut nicht perfekt. Sie trug sowieso ständig die Uniform. Und wenn nicht das, dann eben völlig ungeeignete Strickjacken.

Er atmete langsam aus, während er ihren Anblick weiter in sich aufsog.

 

Sie war schön. Tatsächlich. Absurd, für ein Schlammblut.

Ihr Gesicht wies feine Züge auf. Sie hatte ein rundes Kinn, straffe Haut und ihre Wangen waren wieder einmal gerötet. Sie erzählte von den Gängen, die sie haben würden. Ihre Lippen sprachen die Worte schnell, ohne Fehler und so, als wäre es absolut das wichtigste auf der Welt, dass dieses Essen serviert würde.

 

Sie ließ sich begeistern. Von allen Dingen. Nur nicht von ihm, natürlich. Ihn beäugte sie, wie ein widerliches Tier, ein Monster. Und das war gut so.

Ihre Finger waren voller Tintenkleckse. Sie strich sich damit ständig die Strähnen hinter ihre Ohren. Dichte dunkle Locken würden wahrscheinlich über ihre Schultern fallen, wenn sie nicht ständig einen Zopf tragen würde.

 

Aber es waren die Dinge, die sie sagte. Kombiniert mit allem anderen.

Sie verteidigte Grundsätze, Moral und Ethik vehement. Blut hatte für sie keine Bedeutung. Genauso wenig wie Vermögen.

Draco hatte keine Ahnung, weshalb er sie dann dennoch anstarren musste. Sie widersprach allem. Sie war etwas, dass er überhaupt nicht nötig hatte, anzusehen. Sie war so weit unter ihm, wieso machte ihr das überhaupt nichts aus?

 

Wieso begriff sie nicht? Am liebsten würde er sie hier jetzt vor allen anschreien!

Und er wusste, würde er das tun, dann würde sie ihm nur herausfordernd ihr hübsches Kinn entgegen strecken.

Und er wusste, es würde ihn wahnsinnig machen. Was noch wichtiger war, war, dass er wusste, sie würde ihn nicht aufhalten! Vielleicht war es krank, so wie sie es nannte, aber vielleicht war es ein Wort, das sie erfand, weil sie genauso wenig widerstehen konnte.

 

Ihre sinnlichen Lippen standen im Gegensatz zu allem! Und ihre Augen. Wenn sie ihn ansah und ihre Worte eigentlich dazu dienen sollten, ihn aufzuhalten, dann wusste er genau, dass sie ihn mit kompletter Neugierde und Verlangen ansah.

Er wusste, es ging lediglich um Macht. Sie hatte vielleicht die Macht, sein Gewissen zu wecken, weil ihre unschuldige Weltansicht ihn wahnsinnig machte. Aber er hatte die Macht, ihr all die Unschuld zu nehmen.

Sie war nicht so keusch, wie sie von außen hin den Anschein vermittelte.

 

Er hatte sie gespürt! Er hatte ihr Verlangen gespürt! Und wenn er es schaffen konnte, dass ihre Worte nicht mehr an seiner Seele nagten, dann würde er diesen Weg gehen. Sei es auch, dass er seinen Verstand ignorieren musste, der ihm riet, das Schlammblut in Ruhe zu lassen. Etwas in ihm war wesentlich stärker. Und dieses Etwas wollte beweisen, dass nicht einmal Hermine Granger mit all ihren Worten und Wertvorstellungen vor ihm sicher war.

 

Sie war nicht erhaben. Er würde sie zu sich holen, runter in seine Welt, die sie so verabscheute. Voller Lust und Unanständigkeit. Er würde mit ihr Dinge tun, für die sie von Weasley und Potter die Verachtung ernten würde, die er ihr schon so lange zollte.

 

Er wusste, es war völlig verrückt. Völlig unmöglich.

Aber er wollte Hermine Granger. Er wollte sie so dringend, dass er jetzt kaum noch an sich halten konnte. Und sie tat so, als wüsste sie überhaupt nicht, was für eine Auswirkung sie hatte. Selbst Weasley starrte sie an. Selbst Weasley musste sich gerade vorstellen, wie es wäre, ihre verdammte Bluse von ihrem Körper zu reißen und sich an ihrer Prozellanhaut zu verbrennen!

 

Er biss die Zähne fest zusammen. Seine Arme hielt er verschränkt vor der Brust. Er hatte keine Ahnung, was für eine Ausstrahlung er gerade vermittelte.

Er war sich den Blicken der anwesenden Mädchen bewusst, aber seine Augen verließen sie keine Sekunde. Ihre Körpersprache war scheu, unschuldig und unsicher. Es machte ihn wahnsinnig!

 

Sie hatte sich mehrere Schritte von ihm entfernt, während sie weiter darüber sprach, was noch getan werden musste. Er hörte gar nicht zu.

Dann traf ihn ihr unwilliger Blick. Er war sich sicher, sie sprach ihn an, weil sie es gerne wollte. Sie wollte seine Stimme hören, wollte, dass er mit ihr sprach.

 

„Was denkst du? Kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?“ Sie klang gereizt. Ihre Mimik war aufgewühlt und sie hatte sich nicht unter Kontrolle. Sie schämte sich. Sie schämte sich für das, was sie dachte. Für das, was sie gefühlt hatte, als er ihr so nahe war. So verflucht nahe, dass sie überhaupt nicht mehr leugnen konnte, dass sie es nicht wollte! Er sah es ihr genau an.

 

„Es war wohl doch völlig unnötig, dass ich mich dazu herabgelassen habe, hier aufzutauchen. Es sind Entscheidungen, die selbst du treffen kannst, Granger.“ Ihr Name glitt fast zu leicht über seine Lippen. Er hatte sich längst ergeben.

Und er wusste, es handelte sich nur um eine Frage der Zeit, ehe sie einsah, dass auch sie keine andere Wahl hatte, als ihrer Verführbarkeit nachzugeben.

 

„Wieso gehst du dann nicht einfach? Wir hatten uns schon lange vorher darauf geeinigt, dass ich dich hierfür nicht brauche, Malfoy!“, knurrte sie jetzt und war immer noch herrlich rot.

 

„Ich wusste gar nicht, dass du mich überhaupt brauchst, Granger“, erwiderte er mit einem feinen Grinsen. Sie schien sauer auf ihre eigenen Worte zu sein und verzog den Mund. „Aber… es überrascht mich nicht.“

 

„Halt deine Klappe, Malfoy!“ Das war wieder Weasley. Er passte auf, wie ein verfluchter Wachhund. Aber Weasley würde nicht immer in ihrer Nähe sein.

Tatsächlich hielt sie seinem Blick stand. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Was auch immer sie ihm damit sagen wollte, es amüsierte ihn ungemein.

Er nickte ihr knapp zu, ehe er schließlich verschwand.

 

 

Teil 10

 

Er quälte sie.

 

Das war alles. Er wollte sie leiden sehen, und er wusste, womit er sie fertig machen konnte. Sie musste sich von ihm fernhalten, aber sie wusste nicht genau, wie sie das fertig bringen konnte. Sie verbrachte nahezu die gesamte Zeit im Gryffindorturm, ging nicht mehr allein in die Bibliothek, aber selbst Ginny hatte schon keine Lust mehr, Zeit mit ihr zu verbringen.

 

Die Tage verstrichen nur zäh. Das Lernen fiel ihr schwer, denn sie dachte tatsächlich an ihn. Es waren keine beruhigenden oder schönen Gedanken, nein. Sie hatte Angst, dass er es erzählen würde. Egal, wem. Sie hatte Angst, dass er seinen Ruf einfach aufgeben würde, nur um sie zu demütigen. Und es würde ihm gelingen! Und sie bereute so sehr, dass sie sich selber nicht vertrauen konnte und zu einem von den Mädchen wurde, die sie selber so verabscheute.

Sie war sehr stolz darauf gewesen, sich vor Draco Malfoy für sechs Jahre hatte verschließen zu können.

 

Und es ärgerte sie, dass sie es jetzt nicht mehr konnte, nur weil er es sich anders überlegt hatte. Würde er sie immer noch wie Dreck unter seinen Schuhen behandeln, dann würde es überhaupt nicht zu solchen Situationen kommen! Sie war schwach.

 

„Hermine, kann ich dich etwas fragen?“ Ginny und sie saßen vor dem Kamin und erledigten stumm Hauarbeiten. Hermine seufzte. Sie hatte ihre friedliche Einsamkeit aufgeben, und jetzt musste sie mit unangenehmen Fragen leben.

 

„Ja?“

 

„Du verbringst nur Zeit mit mir, damit ich wieder mit Harry zusammen komme, oder?“ Ihre Freundin wirkte nicht zornig, aber auch nicht all zu freundlich.

 

„Ich verbringe Zeit mit dir, weil ich dich gerne hab, Ginny.“ Und weil ich Angst habe, draußen alleine durch die Flure zu laufen, fügte sie in Gedanken hinzu.

 

„Ich habe nicht vor, Harry zu vergeben“, beharrte Ginny weiterhin. Hermine hatte das ganze Harry-Thema schon Monate zuvor mit Ginny durchgekaut und hatte jetzt eigentlich nicht unbedingt Lust, es schon wieder zu tun.


„Fein“, sagte sie deshalb nur.


„Ich meine es ernst, Hermine! Sieh ihn dir an. Was würde ich ihm denn helfen? Er würde mir nur Vorhaltungen darüber machen, dass ich mich aufführen würde, als ob alle Gefahr gebannt sei.“ Hermine bekam langsam das Gefühl, als wolle Ginny darüber reden.

 

„Schon gut. Du willst Harry nicht.“ Ginny sah jetzt reichlich wütend aus.

 

„Ich will ihn nicht? Ich wollte ihn seit dem ersten Jahr in Hogwarts, Hermine. Denkst du, ich liebe ihn nicht? Denkst du das? Natürlich liebe ich ihn, aber… ich glaube, ich kann mir das nicht antun!“ Hermine Mund öffnete sich unsicher. Was sollte sie denn sagen? Sie hatte genug andere Probleme.

 

Sie hätte gerne einen Psychopaten wie Harry zur Auswahl, der jede Sekunde von seinem Heldenkomplex erschlagen werden könnte. Aber nein. Sie hatte nur… Nein, zwang sie sich zur Raison. Sie hatte niemanden. So!

 

„Gut, dann… weißt du ja, was du willst“, wich Hermine ihr aus und vertiefte sich wieder in ihre Aufzeichnungen.

 

„Ja“, bestätigte Ginny. „Ich will, dass er aufhört mit seinen Sorgen und wieder Harry wird“, fuhr sie fort. Hermine unterdrückte ein Stöhnen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Ginny vorhatte, sich emotional bei ihr zu entladen. Großartig.

 

„Dann sag ihm das doch einfach“, schlug Hermine vor, ohne ihre Ungeduld verdrängen zu können. Sie bekam noch Kopfschmerzen. Es war völlig unmöglich mit Menschen zu lernen. Sie dachte, man säße still beieinander, aber wenn sie neben Ron saß, dann erzählte er vom Quidditch oder er beschrieb ihr, wie er auf Malfoy losgehen würde, was sie nicht gerade ablenkte.

 

Neben Harry war es meistens still, aber Harrys Stille war genauso unangenehm, denn sie wusste, eigentlich musste sie ihrem besten Freund helfen und ihn nicht in seiner Stille zurücklassen. Also mied sie Harry schon alleine wegen ihres Gewissens.

 

Mit Ginny war es gut gegangen. Bis zu dem heutigen Tag.

Jetzt schien Ginny explodieren zu wollen und Hermine musste lernen, dass Ginny doch nicht so kühl zum Thema Harry zu sprechen war. Aber das nervte sie jetzt gerade.

 

„Ich soll mit ihm reden? Nein. Er war vor Monaten so ungerecht zu mir, er soll gefälligst zu mir kommen. Könntest du ihm nicht…?“

 

„Ginny, nein!“ Sie klappte sauer die Bücher auf ihrem Schoss zusammen und erhob sich. „Ich habe wirklich keine Zeit für eure Geschichten, denn ich muss lernen. Es ist das letzte Jahr, und das scheint keinen zu interessieren. Wenn du mit Harry sprechen willst, dann sprich mit Harry.“ Damit rauschte sie aus dem Gemeinschaftsraum und fand sich draußen auf dem Flur wieder.

 

Sie blickte hektisch nach links und rechts, aber natürlich verbarg er sich nicht in einer Ecke des Flurs. Sie benahm sich albern. Es war schließlich nicht so als verfolge er sie. Nur in ihren Gedanken tat er das. Und sie hasste es.

Morgen war Freitag. Und dann in sieben Tagen war der Maskenball. Die Zeit verging; sie konnte nicht leugnen, dass die Zeit wirklich verging. Bald war das Jahr vorbei, aber es dauerte ihr viel zu lange.

 

„Hey, Granger!“ Sie erschrak so sehr, dass sie fast ihre Unterlagen fallen gelassen hatte.

 

„Neville! Wieso sprichst du mich mit meinem Nachnamen an?“, herrschte sie den ahnungslosen Neville jetzt an, der Hand in Hand mit Luna um die Ecke gebogen war. Er schien nicht weniger überrascht.

 

„Oh, ich… hab ich gar nicht drüber nachgedacht. Tut mir leid, Hermine“, entschuldigte dieser sich schnell. Hermine kam sich schon vor wie eine Wahnsinnige. Natürlich hätte sie seine Stimme erkannt. Sie überlegte schon, ob sie sich bei Neville entschuldigen musste, aber sie sah davon ab, weil sie nicht unbedingt auch noch ihre Schwäche zeigen wollte.

 

„Ok… Longbottom.“ Neville schien zu begreifen und nickte.

 

„Gut, das klingt einfach schlecht. Passiert mir nicht noch mal.“ Er spazierte mit Luna weiter. Sie wusste, heute Abend hatte sie Aufsicht beim Nachsitzen. Und sie war diese Woche großzügig gewesen. Wann immer sie wen entdeckt hatte, der auch nur ansatzweise etwas Verbotenes im Schilde führte, den hatte sie zur Rechenschaft gezogen.

 

Denn sie wollte nicht schon wieder niemanden haben. Es würde auffällig aussehen, denn es gab viel zu viele Unruhstifter hier an der Schule. Da sie die meiste Zeit versteckt war, hatte sie also reichlich Schüler zu Strafarbeiten verdonnert.

 

Viele Mädchen. Im Moment hasste sie auch alle Mädchen, die selbstsicherer waren als sie. Jetzt würde sie irgendwo hingehen, wo Menschen waren, die sie ablenkten. Oder die wenigstens in ihrer Nähe saßen und andere Menschen abschreckten.

 

 

~*~

 

 

Verwirrt strich sie sich durch die losen Strähnen. Sie atmete langsam aus. In Verwandlung kam sie überhaupt nicht mehr hinterher. Sie hatte sich zu oft von Ginny ablenken lassen in den letzten Tagen. Ihr Aufsatz war zwar fertig, aber er war nicht ihre beste Arbeit. McGonagall würde sich dazu bestimmt noch äußern, fürchtete sie.

 

Sie war noch ganz verstört von seltsamen Gesprächen, die sie in der Großen Halle geführt hatte, ehe sie hier zur Aufsicht gegangen war. Sie hatte neben Gryffindors gesessen, mit denen sie noch nie gesprochen hatte.

Tatsächlich hatte sie sich breitschlagen lassen über den Sinn von Koboldsteinen zu diskutieren.

 

Sie hatte sich am Ende fast geschämt, dass sie darüber lieber gesprochen hatte, als für Snape die Hausarbeit fertigzustellen. Diese ganzen Veränderungen bekamen ihr ganz und gar nicht.

 

Vor ihr tuschelten einige Mädchen angeregt. Die Bestrafung war wohl keine Einschüchterung. Hermine hatte sie vor fünf Minuten schon gemaßregelt. Gleich würde sie noch einmal laut werden. Sie musste nur diesen Abschnitt für Zaubertränke beenden.

 

„Und weißt du, er ist einfach ein Gott! Und jetzt, wo Slytherin den Pokal gewinnen wird, sind noch mehr Mädchen scharf auf ihn.“ Hermine versuchte ihre Ohren zu verschließen.

 

„Du denkst doch wohl nicht, nur weil du ihn einmal hattest, dass er dich noch einmal haben will? Ich meine, nur Pansy schafft es, dass er sie will.“

 

„Das glaube ich nicht, Vicky, denn Pansy ist im Moment wirklich schlecht drauf. Das kann ja wohl nur daran liegen, dass Dray kein Interesse mehr an ihr hat.“ Hermine verdrehte gereizt die Augen. Sie hasste die Schlampen aus Slytherin.

 

Und sie hasste sich selber dafür, dass sie annehmen könnte, Malfoy sei nun hinter ihr her, wo er doch offensichtlich so beschäftigt damit war, seine ganze Anhängerschaft zu vögeln. Hastig strich sie die Zeile durch, die sie geschrieben hatte.

 

„Vielleicht heißt es auch was ganz anderes“, widersprach das Mädchen, das Victoria Steel hieß.

 

„Mir ist Pansy auch egal. Es geht darum, dass er einfach heiß ist!“

 

„Eigentlich geht es darum, dass Sie hier Ihre Strafarbeiten schreiben, Ms Adams, Ms Steel“, ermahnte Hermine sie gereizt. „Nebenbei bemerkt ist es strengstens verboten innerhalb der Schule Sex mit Draco Malfoy zu haben“, fügte sie kalt hinzu. Tatsächlich wurden die Mädchen immerhin noch rot.

Sie senkten ihre Blicke auf ihre leeren Seiten und fingen an zu schreiben.

 

Eigentlich war es verboten überhaupt mit irgendwem Sex in der Schule zu haben. Aber in dieser Situation beschränkte sich wohl alles auf Draco Malfoy. Sie ignorierte die Blicke der anderen Schüler und ihre Feder kratzte über das Pergament. Noch fünf Minuten, dann konnte sie hier Schluss machen.

 

Morgen war dann das letzte Vertrauensschülertreffen vor dem Maskenball nächste Woche. Hoffentlich gab es jetzt nicht noch Änderungen. Die Masken trafen nämlich ebenfalls morgen ein. Zumindest sollten sie das. Dann würden sie diese Verteilen und ihre letzte große Amtshandlung würde hoffentlich ein Erfolg werden.

 

Was konnte aber auch wirklich bei einem Maskenball schief gehen? Sie organisierte schließlich kein Pferderennen in der Halle.

Die Mädchen schrieben mit roten Köpfen ihre Sätze aufs Papier. Einige andere hatten aufgegeben und lagen bereits mit den Köpfen auf ihren Pulten, aber Hermine hatte keine Lust mehr, maßzuregeln.

 

Sie war froh, dass sie jetzt selber mit ihren Hausarbeiten hinterher gekommen war. Das war eine der längsten Wochen. Dabei war ihr absolut nichts passiert.

Es hatte keine Vorfälle gegeben.

 

Sie rollte das Pergament ordentlich zusammen, versiegelte es mit ihrem Zauberstab und beschriftete es für Snape. Dann klopfte sie mit dem Zauberstab auf ihr Pult

 

„Ok, Nachsitzen ist für heute vorbei. Bitte gebt eure Arbeiten bei mir ab, dann könnt ihr gehen. Und lasst es euch eine Lehre sein. Wenn nicht, dann sehen wir uns nächste Woche wieder“, drohte sie. Zwar hatte sie nächste Woche keine Aufsicht, aber die Schüler würden nächste Woche ja trotzdem da sein.

 

Unter großen Gescharre und Gemurmel bekam sie alle Blätter nach vorne gereicht und einer nach dem anderen verließ den Raum. Sie wollte ihnen noch zurufen, dass sie die Stühle gefälligst hoch stellen sollten, aber jetzt war es zu spät.

 

Seufzend begann sie selber mit dem Hochstellen. Missbilligend entdeckte sie auf einem Tisch, dass ein Schüler „Granger Gestapo“ in das Holz geritzt hatte. Ein Muggel, wie sie annehmen musste. Mit ihrem Zauberstab ließ sie diese Beleidigung verschwinden. Hätte sie heute besser aufgepasst, hätte sie bestimmt gesehen, welcher Schüler es war. Oder sie hätte sich zumindest erinnert, wer hier an diesem Tisch gesessen hatte.

 

Mürrisch beendete sie ihre Aufräumarbeiten. Sie hievte den letzten Stuhl auf den Tisch, damit die Elfen nicht zu viel Mühe beim Saubermachen hatten. Sie wollte ja sowieso nicht, dass die Elfen arbeiteten, aber sie waren ja nicht abzuhalten.

Sie war außerdem keine Gestapo. Sie hielt sich einfach nur an die Regeln. Und es wäre schön, wenn es die anderen auch tun würden.

 

„Ja, es wäre wirklich schön“, murmelte sie dem letzten Stuhl zu. Sie schritt nach vorne und gefror, als sie einem Schatten im Türrahmen gewahr wurde.

 

„Was wäre schön?“, fragte seine glatte, tiefe Stimme ruhig.

 

Sie hatte keinen Nerv. Absolut keinen Nerv dafür. Sie wandte sich beinahe zornig zu ihm um.

 

„Gar nichts. Ich habe wirklich keine Zeit für deine Kopfspiele, Malfoy.“ Er schritt langsam, beinahe desinteressiert in das leere Klassenzimmer. Sie hatte ihm bereits den Rücken zugewandt und schulterte zielstrebig ihre Tasche.

Er würde sie nicht aufhalten.

 

„Flüchtest du vor mir, Granger?“

 

„Ja. Verstecken scheint nicht auszureichen“, gab sie zurück. Mutig und unerschütterlich. Er musste flüchtig grinsen.

 

„Denkst du, ich lauer dir auf? Ich weiß, dass heute Aufsicht ist, denn ich mache das jede zweite Woche“, klärte er sie ruhig auf. Sie schob sich an ihm vorbei. Völlig ungerührt. Sie wusste ja, dass er nichts dergleichen tat, wie ihr aufzulauern. Er schien jede Menge damit zu tun zu haben, Mädchen aus unteren Klassen zu verführen.

 

„Ist mir egal. Ich wünsch dir einen schönen Abend, Malfoy.“

 

„Wegen morgen…“, hielt seine Stimme sie jetzt doch noch auf. Genervt wandte sie sich zu ihm um.

 

„Was ist mit morgen?“, fragte sie unwirsch.

 

„Wirst du irgendwas besprechen, was wichtig für mich ist?“

 

„Für deine persönliche Existenz? Nein, Malfoy. Absolut überhaupt nichts. Aber morgen werden die Masken verteilt. Aber ich denke mal, Pansy wird sich darum kümmern, dass du nicht maskenlos auftauchen musst.“

 

„Ich glaube nicht, dass ich überhaupt einen Auftritt auf diesem albernen Karneval haben werde“, erwiderte er gelangweilt und sie seufzte laut.

 

„Gut. Das ist natürlich auch völlig ok.“

 

„Musst du dringend irgendwo sein?“, fragte er jetzt amüsiert und sie haderte eine kurze Sekunde.

 

„Ja“, erwidert sie knapp.

 

„Ach ja? Wartet Weasley auf dich?“ Kurz warf sie das etwas aus der Bahn.

 

„Wieso sollte Ron…? Weißt du, es ist auch egal.“

 

„Granger?“ Sie versuchte ruhig zu bleiben, versuchte nicht zu denken, dass er sie mit Absicht aufhielt und wollte einfach nur ungerührt und unnahbar sein. Sie sah ihm fest in die grauen Augen.


„Was, Malfoy?“

 

Es entstand eine kurze Pause. Sein Mund öffnete sich. Die Worte schienen vor seinen Lippen zu gefrieren, während sein Blick sich in ihren bohrte. Sie begann sich unwohler zu fühlen. Ihr Atem ging schwerer als noch vor einer knappen Sekunde. „Ich habe nachgedacht…“, begann er schließlich. Und sie wollte es gar nicht hören.

 

Sie wollte keines von seinen Worten je wieder hören.

 

 

Teil 11

 

„Ich werde jetzt gehen“, informierte sie ihn.


„Ich will gerade mit dir reden“, gab er zurück.

 

„Na und? Nur weil du gerade jetzt als einen Zeitpunkt erachtest, den du geeignet findest, heißt das noch lange nicht, dass ich Lust habe, mit dir zu reden.“ Sie konnte nicht fassen, dass er sich wieder einmal herausnahm, sie manipulieren zu wollen. Er kam unbeeindruckt näher.

 

„Wie wäre es, wenn du mir einfach nur zu hören würdest? Du müsstest einmal überhaupt nichts sagen. Du würdest deine Lippen geschlossen halten. So wie jetzt! Genauso wie jetzt. Dein Gesicht einfach nur auf mich fixiert, deine Augen wie immer voller Ablehnung, dabei bin ich dir nicht zuwider, sondern-“ Er unterbrach sich hastig und hob die Hand, als sie ihm gerade widersprechen wollte.

 

„Nein, einfach still sein, Granger“, wiederholte er und sie schüttelte ungläubig den Kopf.

 

„Malfoy, kannst du dir eine Sekunde lang vorstellen, dass es mich überhaupt nicht interessiert, was du zu sagen hast?“ Irgendwas passierte in seinem Gesicht. Seine Gelassenheit drohte zu verschwinden.


„Ich bin mir sicher, dass es dich nicht interessiert. Es interessiert mich auch nicht, ob es dich interessiert, denn ich kann es nun mal nicht ändern!“ Er war lauter geworden. Sie schloss kurz die Augen.

 

„Was willst du von mir?“

 

„Ich will gar nichts von dir.“

 

„Warum hältst du mich dann auf?“ Er schwieg daraufhin, ohne dass sie eine Regung in seinem Gesicht wahrnehmen konnte – oder wollte. „Ich werde jetzt gehen.“

 

„Wieso kündigst du es immer an und tust es dann doch nicht, Granger?“, fragte er und kam noch näher. Es wurde gefährlich. Seine Stimme war schon wieder gefährlich tief, sein Blick war gefährlich nahe an der Grenze, ehe er hungrig zu werden schien. Sie wandte sich ohne weitere Worte ab.

 

„Granger“, hörte sie seine Stimme erneut und sie hatte nur eine Sekunde Zeit, sich zu entscheiden. Sie entschied sich dafür, dass sie klären würde, dass sie keine Lust mehr hatte, mit ihm dieses seltsame Gespräch zu führen.

 

Er grinste siegessicher, als sie sich noch einmal umwandte.

 

„Malfoy, was willst du von mir?“, fragte sie erneut und versuchte in seinem Gesicht lesen zu können.

 

„Ich will, dass du aufhörst wegzulaufen“, gab er gereizt zurück. Er fuhr sich jetzt durch die Haare und wirkte ein wenig, nur ein wenig, überfordert.

 

„Das hast du nicht zu entscheiden. Ich will nicht hören, was du zu sagen hast. Es kann unmöglich etwas sein, das mich interessiert!“ Er kam jetzt noch näher. „Hör auf, näher zu kommen“, fügte sie zornig hinzu.

 

„Was soll ich sonst tun, Granger? Wenn ich nicht mit dir reden darf, dann… dann muss ich irgendwas tun, um…“

 

„Um was?“

 

„Damit du es verstehst!“, knurrte er jetzt und umfing grob ihre Schultern. Sie zuckte vor Schreck zusammen und keuchte auf.

 

„Du fasst mich schon wieder an! Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht anfassen, Malfoy!“

 

„Wieso, weil du dann nicht mehr gehen kannst?“ Er sah sie lauernd an. Sie wusste nicht, worauf er wartete. Dass sie sich wehrte? Dass sie ihn schlagen würde? Sie sollte sich auch wehren, sie sollte ihn schlagen! Er tat es schon wieder, ohne dass sie es wollte!

 

„Malfoy, lass mich los.“ Ihre Stimme war ruhiger geworden. Er konnte sie unmöglich gegen ihren Willen festhalten. Er konnte es unmöglich wollen! Es war nicht möglich!

 

„Ich würde gerne, Granger. Denkst du, ich will meine Hände an einem Schlammblut schmutzig machen? Denkst du das?“ Beinahe verzweifelt starrte er sie an. Jetzt wand sie sich in seinem Griff.

 

„Du bist krank! Wenn ich ein Schlammblut bin, dann lass mich gefälligst in Ruhe, Malfoy!“

 

„Granger, du bist nichts für mich!“, erwiderte er, als hätte sie nichts gesagt. „Du bist… ein Fehler. Du bist nur… eine Unebenheit auf meinem verfluchten Weg. All deine Worte sind völlig unwichtig. Was du denkst, was du sagst, was du von mir hältst! Es ist unwichtig, denn…“ Er neigte plötzlich den Kopf. Sie zuckte wieder zusammen und schüttelte den Kopf. „…denn ich weiß, du würdest dich nicht verweigern.“ Sie schnaubte auf.


„Malfoy, siehst du nicht, dass ich mich weigere? Siehst du nicht, dass du mich gegen meinen Willen hältst, du verdammtes Arschloch? Denkst du, so funktioniert alles in deiner Welt? Du willst etwas haben, deswegen nimmst du es dir einfach?“ Er wurde wütend.

 

„Ich will dich nicht haben, ich will…“ Er unterbrach sich und brachte sie näher an sich. Sein Atem hatte sich auch beschleunigt. Jetzt erkannte sie die Farbe seiner Pupillen. Es war ein kaltes Blau. Ein eisiges Blau. Seine Haut war bestimmt auch kalt, würde sie sie jetzt mit ihren Fingern berühren. Ihre Schultern schmerzten.

 

„Ich will, dass du mich willst, Granger. Ich will, dass du es sagst!“ Sie öffnete den Mund. Ihre Lippen zitterten.

 

„Das… das ist nicht dein Ernst? Wie kannst du sowas auch nur annehmen? Du bist ein Todesser, Malfoy.“

 

„Ja“, erwidert er nur. „Ja, ich bin all das wogegen du nur zu gerne in deiner kleinen heilen Welt rebellierst, Granger. Aber das ist unwichtig, denn du hast keinen Grund, mir aus dem Weg zu gehen, wenn du doch stark genug bist, mir einfach zu widerstehen. Darum geht es dir doch, oder nicht?“ Sie öffnete den Mund. Schon wieder schüttelte sie sprachlos den Kopf.

 

Sie wollte schreien. Wollte um Hilfe rufen, wollte irgendwas tun. Er war böse, er war so unsagbar kalt und gemein! „Das ist dein ganzer Konflikt, oder? Dabei ist es nur Heuchelei. Du sagst dir diese Dinge, damit du einen fadenscheinigen Vorwand hast, mich nicht zu wollen. Dabei stimmt das nicht, richtig?“ Seine Augen wanderten über ihr Gesicht. „All die Dinge… all diese Sachen. Mach es dir leichter und gib zu, dass du nichts davon wirklich so meinst“, flüsterte er, während er noch näher kam.

 

„Bist du wahnsinnig?“, presste sie hervor. „Denkst du das? Bist du so krank? Denkst du, ich tue nur so? Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mich anwiderst! Deine ganze scheiß Arroganz.“ Sie weinte. Die Tränen rollten über ihre Wangen. Seine Augen folgten jeder einzelnen Träne. Sein Griff wurde nur fester.

 

„Ich hab keine Ahnung, was in dich gefahren ist! Du bist alles wogegen ich immer gekämpft habe! Bis zum Schluss. Bis zu Voldemorts Fall! Der Kampf ist vorbei, aber du bist immer noch da! Du bist immer noch in meinem Weg.“ Sie versuchte sich zu beruhigen, versuchte Kraft in ihre Stimme zu bringen, aber sie konnte nicht.

 

„Du bist Schulsprecher! Womit in der Welt hast du das verdient? Ich weiß es wirklich nicht. Du bist kein netter Mensch. Du bist unwürdig, Malfoy! Du verdienst keines der Worte, die ich jetzt sage. Keins!“, schluchzte sie. „Und du verstehst es nicht mal, oder?“ Sie wand sich wieder unter ihm, doch er hielt sie nur fester. Sein Mund hatte sich zornig geöffnet. „Du begreifst nicht, dass das hier kein Spiel ist! Du vögelst alle Mädchen hier auf dieser Schule. Und warum? Weil du dir beweisen musst, dass du der Beste bist? Dass dich alle haben wollen? Dass keiner sieht, was für eine grauenhafte Entschuldigung du bist? Was für ein schwacher Abklatsch von einem Mann?“

 

Sein Griff wurde noch fester. Sie keuchte auf vor Schmerzen.


„Halt deinen verfluchten Mund“, knurrte er jetzt.

 

„Sonst was? Sonst zwingst du mich, meinen Mund zu halten? Wieso machst du dir den Aufwand? Ignorier mich, wie du es sonst auch getan hast. Was ist los, Malfoy?“ Er schüttelte kaum merklich den Kopf, bedeutete ihr mit seinem mörderischen Blick, zu schweigen. Aber sie schwieg nicht.

 

„Meldet sich dein Gewissen nach sieben Jahren das erste Mal? Merkst du, wie falsch du gelegen hast? Bereitet es dir Übelkeit mich festzuhalten, weil du merkst, dass du derjenige bist, der ein seelenloses Monster ist?“

 

„Halt den Mund, Schlammblut, halt deinen Mund!“, schrie er jetzt. Sie glaubte, er würde sie schlagen. Sie war überzeugt, dass er sie schlagen würde. Aber er hielt sie einfach fest.

 

„Du bist nicht fähig, irgendwas zu ändern, oder Malfoy? Und deswegen willst du es an mir auslassen? Deswegen willst du mich quälen, weil es nicht anders geht? Du gibst mir die Schuld, obwohl es ganz allein deine ist? Deine Schuld, dass du nicht weißt, wie du damit umgehen sollst, dass dein eigener Bruder über keinen Funken Magie verfügt? Was ist, Malfoy? Liebst du ihn etwa doch? Dazu bist du doch gar nicht fähig!“, fügte sie böse hinzu. Immer noch weinte sie. „Du liebst nur dich. Wenn dein Gewissen dich wieder erschlägt, dann sag dir das einfach, Malfoy!“

 

„Hör auf zu reden.“ Seine plötzlich ruhige Stimme überraschte sie völlig. Sie stand gegen seine ganze Körperhaltung, gegen den Schmerz, den er ihr zufügte.

 

„Warum, Malfoy? Habe ich recht?“, fragte sie mit einer Herausforderung, die noch mehr Tränen aus ihren Augenwinkeln auf ihre Wange fallen ließ. Ihre Stimme war heiser. Vom Weinen, von den bitterbösen Worten, die sie nicht hatte aufhalten können. „Ich habe recht, oder?“ Sie wollte, dass er reagierte. Sie wollte, dass er irgendwas tat.

 

„Wieso schreist du nicht um Hilfe? Wieso machst du dir die Mühe, Granger?“, fragte er jetzt. „Denkst du, ich halte dich für schwach, wenn du um Hilfe schreist?“ Sie biss die Zähne zusammen, aber ihre Unterlippe bebte heftig.

„Denkst du, ich würde es nicht genießen, Weasleys Kiefer zu brechen, wenn er mich hier findet?“ Sie spürte mehr Tränen. Viel mehr Tränen, als sie für möglich gehalten hätte.

 

„Lass mich gehen. Wir sind fertig, Malfoy“, flüsterte sie. Er lächelte plötzlich.

 

„Was denn? Du darfst all diese… all diese Worte sagen und ich darf überhaupt nichts sagen?“ Es war gefährlich. Hier zu sein würde ihr nicht gut tun. Sie wusste nicht, was er wollte, warum er sie aufhielt. Aber sie wollte nicht um Hilfe schreien. Sie wusste nicht, warum. Sie wollte sich nicht die Blöße geben. Sie wollte nicht gegen den Todesser Malfoy verlieren. Dafür hatte sie nicht gekämpft, dass er die Kontrolle bekam! Dafür nicht!

 

„Sag, was du sagen willst, und lass mich verflucht noch mal gehen!“, presste sie hervor. Sein Geruch benebelte sie. Seine ganze Gestalt nahm sie völlig ein. Sie wollte ihn nicht überall sehen, nicht überall spüren. Sie wollte nicht, dass das hier passierte.

 

„Du verstehst es nicht“, flüsterte er fast. „Alles, was du sagst…. Meinetwegen ist alles wahr. Meinetwegen hast du mit allem Recht. Wenn du willst, gebe ich es dir schriftlich.“ Seine Stimme wurde noch leiser. „Es ändert nichts“, fügte er lautlos hinzu.

 

Sein Blick traf ihre Augen und wanderte tiefer. „Die schmutzigen Worte sollten deine Lippen hässlich machen, aber ich kann nicht wegsehen. Ich kann anders, als sie küssen zu wollen, als sie zu besitzen, als zu denken, dass du sie für mich öffnest, nur um meinen Namen zu stöhnen.“ Seine Hand löste sich plötzlich von ihrer Schulter. Der Druck verschwand auf der linken Seite.

 

Sie konnte nicht zurückweichen, denn sie war wie gelähmt, als seine Fingerknöchel federleicht über ihren geöffneten Mund strichen, ihre Oberlippe berührten, ihren Mundwinkel entlang fuhren, und er mehr als nur Beherrschung aufbringen musste, um weiter sprechen zu können.

 

„Dein Körper sollte mehr als nur abstoßend sein. Dein Blut macht dich wertlos in meinen Augen. Du warst nie etwas anderes als ein verfluchtes Schlammblut! Und ich kann nicht gehen! Ich weiß es besser, und ich kann nur bleiben. Kann nur immer wieder hier her kommen, hier her zu dir, damit ich mich vergewissern kann, dass du nichts Besonderes bist, dass nichts an deiner mittelmäßigen Figur mich reizen sollte und doch… bist du nichts, als wunderschön.“ Er flüsterte wieder. Die Hand fiel von ihrem Gesicht ab, ergriff ihre eigene Hand und presste sie gegen seinen Schritt.

 

Sie keuchte erschrocken auf. Noch niemals hatte sie so etwas gespürt! Noch niemals hatte sie so etwas angefasst, oder auch nur erahnt! Hart spürte sie es gegen ihre Hand pochen. Ein tiefes Grollen entwich seiner Kehle. Er hatte die Augen geschlossen atmete unter Erleichterung aus.

 

Sie zog die Hand zurück, starrte ihn mit offenem Mund an und eine weitere Träne fiel auf ihre Wange. „In meinen Träumen weinst du nicht“, sagte er rau und strich die Träne mit seinem Daumen einfach fort. „In meinen Träumen hasst du mich nicht, Granger. Verrückt, nicht wahr?“, fügte er ruhig hinzu.

„Und es ist egal, was du sagst, es ist egal, wie oft du es sagst. Wie krank und abnorm und verabscheuungswürdig und unverständlich mein Verhalten ist…“ Er machte eine knappe Pause. „Ich weiß nicht mehr, wie es sich anfühlt, dich zu küssen“, fügte er hinzu. „Und auch, wenn das das letzte in meinem Kopf sein sollte, was von Wichtigkeit ist, so kann ich es nicht ändern. Ich kann nur immer wieder und immer wieder daran denken.“

 

„Und wenn du mich nur noch ein einziges Mal lässt, dann lass ich dich gehen, Granger.“

 

Endlich schloss sich ihr Mund. Ihr Schluchzen erstickte. Verlangen verschleierte seinen Blick. Seine Augen hatten sich an ihren Lippen verfangen.

Worte, es waren nur Worte, mit denen er sie fangen wollte. Es war nur ein Spiel. Er hatte sie längst losgelassen. Sie stand völlig reglos vor ihm. Er schien auf ein Signal zu warten. Auf etwas, dass ihm sagte, dass sie sich nicht verweigern würde. Und würde sie noch länger hier stehen, dann wäre das so gut wie ein verfluchtes Zeichen, dass sie ihn gewähren lassen würde!

 

Sie konnte nicht! Das konnte sie nicht! Sie hatte alle Worte so gemeint wie sie sie gesagt hatte. Sie hatte ihm alles gesagt, alles, was sie von ihm hielt. Alles, was wichtig war. Er wusste alles. Wie konnte er es wagen, ihr so etwas zu sagen? Wie konnte er es wagen, so etwas von ihr zu verlangen?

Wieso stand sie hier? Wieso war sie noch immer hier?

Wieso schlug ihr Herz so schnell, sie spürte ein undeutliches Ziehen in ihrer Bauchgegend.

 

Und etwas in ihr, etwas Dunkles und Unbekanntes, wollte, dass er weitersprach. Dass er noch stundenlang diese Worte sagte.


„Ich hasse dich, Malfoy. Du bist ein Mistkerl, ein Arschloch, ein herzloses Biest“, flüsterte sie. Die Worte kamen schwer über ihre Lippen. Jedes war scharf wie hundert giftige Messer. Jedes bohrte sich in seine Brust, blieb dort stecken, klebrig und tödlich.

 

„Hass mich morgen“, erwiderte er nur, ehe er den Kopf senkte, ehe passierte, womit sie sowieso schon gerechnet hatte. Als seine Lippen ihren Mund berührten, fiel eine weitere Träne auf ihre Wange. Sie sog die Luft scharf durch die Nase ein, als sich sein Arm um ihre Taille schlang. Ihre Augen schlossen sich in der nächsten Sekunde. Hart spürte sie seine Erektion an ihrer Hüfte, hart lagen seine Lippen auf ihren.

 

Sie realisierte mit Schrecken, dass es ihr fast gefehlt hatte, das Gefühl seines Körpers. Wie konnte so ein schöner Mann nur so böse sein?

Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Ihre Knie waren weich wie Pudding. Seine Anspannung löste sich schließlich. Der Kuss wurde sanfter, als er sich sicher war, dass sie nicht zurückweichen würde.

 

Seine Lippen lösten sich kurz von ihren. Er küsste sie sofort noch einmal. Ohne Forderung, ohne Zwang. Nicht einmal seine Zunge bat um Einlass. Es war nur ein kleiner Kuss. Sie zog den Kopf schließlich zurück. Ihr war heiß, ihr Herz klopfte so laut in ihrer Brust. Ihre Wimpern waren nass vor Tränen, sie spürte es, als sie die Augen wieder öffnete.

 

Draco Malfoy.

 

Es war tatsächlich Draco Malfoy.

 

Sie sah ihn schlucken, sah, wie er sie ansah: Als wäre sie alles auf der Welt, was zählte. Hier in dieser Sekunde. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie konnte nicht mal den Willen finden, zu gehen.

 

Sie wollte seine Lippen spüren. Sie wollte seine Zunge in ihrem Mund spüren. Sie wollte, dass er sie berührte. Sie wollte diese animalischen, hungrigen Geräusche hören, die er von sich gab, wann immer er sie berührte. Sie wollte, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Sie wollte ihn tatsächlich noch einmal küssen.

Sie wollte ihre Worte Lüge strafen, wollte nicht nachdenken und war bereit ihn gewinnen zu lassen.

 

Ihre Augen verließen die seinen und sie musste einfach seine Lippen ansehen. Perfekte Lippen. So perfekt. Noch nie war sie geküsst worden. Mit so viel Drang, so viel Verlangen, als hinge alles von nur einem einzigen Kuss ab.

 

Und sie sah es. Er würde sie an sich ziehen, würde seinen warmen, festen Körper gegen ihre pressen, er würde nicht mehr an sich halten können.

Und sie wollte es. Wollte, dass er sie wieder gegen die Wand presste, wollte so nah sein, dass kein bisschen Luft mehr zwischen sie passte. Sie wusste, gleich würde sie ihre Arme um seinen Nacken legen, würde sich in seine Haare krallen und würde ihn alles tun lassen, was er-

 

„Hermine?“

 

Luft entwich ihren Lungen. Der Zauber, der Fluch, was auch immer es war – er brach in dieser Sekunde.

 

Keine Sekunde später stand Ron im Türrahmen. Eine Scheibe Toast mit Butter in der Hand. Sie fuhr sich hastig über die Augen. Es war unmöglich, dass er nicht verstand, was gerade passiert war. Malfoy war vor ihr erstarrt. Er riss unter größter Anstrengung den Blick von ihrem Gesicht und schaffte es tatsächlich gezwungen teilnahmslos auszusehen.

 

„Was zum…? Was tut er hier?“, fragte Ron jetzt und der Toast in seiner Hand sank ein Stück.

 

„Nichts“, gab sie zurück und erschrak vor ihrer rauen Stimme.

 

„Hermine? Du weinst, oder?“ Sie öffnete den Mund. Sie wusste nichts zu sagen. „Du Wichser!“, entfuhr es ihm, und er fixierte Malfoy voller blinder Wut. „Du hast sie geschlagen, du verfluchter Todesser!“ Ehe Malfoy auch nur reagieren konnte, hatte Ron seine Toast achtlos fallen gelassen und sich mit voller Kraft auf Malfoy gestürzt.

 

„Ron!“, schrie sie panisch und schlug sich die Hand vor den Mund, als Rons Faust in Malfoys Gesicht krachte. „Hör auf! Bist du wahnsinnig geworden!“, schrie sie jetzt und wieder fielen Tränen auf ihre Wange.

 

„Dieser Bastard bekommt, was er verdient!“, keuchte Ron, ehe er erneut mit der Faust ausholte. Knapp wich Malfoy aus und stemmte sich mit voller Kraft gegen Ron. Sie tat, was sie tun musste.

 

Sie richtete den Zauberstab gegen ihren besten Freund.


Stupor!“, rief sie laut und Ron flog nach hinten, krachte gegen ein Tischbein und sprang erzürnt auf die Beine.


„Hermine, was…“, begann er zornig aber sie hielt den Zauberstab in die Höhe.


„Ron, bist du wahnsinnig geworden? Hast du komplett den Verstand verloren?“


„Der Wichser hat dich geschlagen!“, schrie er zurück.

 

„Hat er nicht! Er hat mich nicht geschlagen, du Idiot!“ Sie wandte sich an Malfoy, der taumelnd auf die Beine gekommen war und zu überlegen schien, mit welchem Fluch er Ron ans Leben wollte. „Auseinander“, fügte sie laut hinzu.

 

„Was hat er hier zu suchen, Hermine? Wieso ist er ständig in deiner Nähe? Wieso verfluchst du mich?“ Ron starrte sie völlig entgeistert an. Sie hatte nicht auf alle Fragen eine Antwort.

 

„Er ist Schulsprecher, Ron! Und ich verfluche dich, damit du nicht von der Schule fliegst!“ Ron schüttelte unwirsch den Kopf.

 

„Er hat es verdient“, beharrte er und schüttelte sein Faust, als wäre sie taub. Sie sah, wie Malfoys linke Wange langsam anschwoll.

 

„Ja? Bist du schon fertig, Weasley? Ist das alles, was du kannst?“ Seine Stimme troff vor Zorn und Provokation. „Du schlägst zu, wenn ich nicht damit rechne? Wie mutig. Na komm schon, ich warte…“, knurrte er haltlos.


„Malfoy, nicht“, warnte sie ruhig. Sie sah ihn an, versuchte zu erkennen, was er dachte, aber sie konnte selber nicht richtig denken. „Du musst in den Krankenflügel“, fügte sie hinzu.

 

„Ich brauche deine Hilfe nicht, Granger“, erklärte er jetzt und er war wieder er selbst. Es versetzte ihr einen kalten Stich.

 

„Hermine, was redest du überhaupt mit ihm?“, fuhr Ron dazwischen und kam näher.

 

„Ich werde dich verfluchen, wenn du nicht sofort aufhörst“, gab sie eisig zurück und Ron hielt tatsächlich inne. „Wir werden jetzt gehen.“ Sie wartete auf Rons Bestätigung. Er warf einen letzten Blick auf Malfoy.

 

„Ich kann nicht fassen, dass du ihn verschonst“, war alles, was Ron zu ihr sagte. „Mich bedrohst du und ihn beschützt du. Schon wieder“, fügte er grimmig hinzu.

 

„Er führt sich auch nicht auf wie ein Wahnsinniger!“ Doch, tat er. Tat er wohl!

 

„Harry hatte Recht.“ Rons Blick war voller Kälte. Die Besorgnis um sie war verschwunden. Skepsis und Unglaube lagen jetzt darin.

 

„Ich beschütze Malfoy nicht. Du willst wirklich von der Schule fliegen, Ron? Bitte. Tu, was du willst. Aber vergiss nicht, Malfoy hat auch einen Zauberstab.“ Damit ließ sie ihren sinken und griff nach ihrer Tasche, die irgendwann zu Boden gerutscht war. Sie warf keinen Blick zurück, als sie das Klassenzimmer verließ.

Sie war unendlich dankbar, dass Ron gekommen war. Nicht, weil es Ron war.

 

Nein. Einfach nur, weil sie sonst wahrscheinlich niemals gegangen wäre.

Harry und Ron glaubten ihr beide nicht mehr. Und wenn Malfoy gleich die Wahrheit sagen würde…, dann wusste sie nicht, wie sie aus der Sache lebend raus kommen sollte.

 

Sie wusste nur, das würde niemals wieder passieren! Sie hatte gesehen, wie er wieder war. Wie er sie wieder ansah. Als wäre nichts passiert. Für ihn war wohl auch nichts passiert. Er hatte es wieder einmal geschafft, das dämliche Schlammblut zu demütigen. Sie war so dumm.

So unsagbar dumm. Sie war wieder auf Draco Malfoy reingefallen.

 

Sie weinte, als sie an der Großen Halle vorbei stürmte. Hunger hatte sie nicht. Sie hatte gar nichts mehr. Nicht einmal mehr ihren Stolz.

 

 

Teil 12

 

„Und hast du ihm eine verpasst?“ Greg sah ihn gespannt an. Draco wusste, die Schwellung war so gut wie verschwunden. Natürlich war er nicht zum Krankenflügel gegangen. So etwas tat er nicht, wegen einer lächerlichen Faust im Gesicht. Er hatte es selber behandelt. Und Greg machte es nicht unbedingt besser, in dem er auf seine Wange starrte.

 

Natürlich hatte das in Slytherin die Runde gemacht. Und er hatte absolut keine Lust darüber zu reden. Greg hatte erst jetzt davon erfahren, was Draco zeigte, wie weit er sich von seinen üblichen Freunden entfernt hatte.

 

„Nein, habe ich nicht, Gregory“, erklärte er, während er sich Tee nachschenkte.

 

„Wieso hat er dich überhaupt geschlagen? Ist er einfach ausgerastet, ohne Grund? Ich meine, du bist Schulsprecher, du könntest ihn von der Schule werfen lassen.“ Draco verzog den Mund.

 

„Er ist ausgerastet, weil er dachte, ich hätte Granger geschlagen“, erwiderte Draco ungerührt und rührte den Zucker in seinem Tee unter.

 

„Du hast sie geschlagen?“ Greg hatte sich die Hand vor den Mund geschlagen und starrte ihn an. „Wirklich?“ Draco warf ihm einen gereizten Blick zu.

 

„Nein, Greg, das habe ich natürlich nicht!“ Als ob er sie schlagen würde! Als ob er jemals ein Mädchen geschlagen hätte!

 

„Also…“ Es schien schwierig für Greg zu sein, die Zusammenhänge zu begreifen. „Dann schlägt dich Weasley ohne Grund und du schlägst nicht zurück und du… ziehst ihm nicht mal Punkte dafür ab?“ Und es klang genauso lahm, wie Greg es sagte. Draco wandte den Blick zurück in seine Teetasse.

 

„Ja, seltsam, nicht wahr, Goyle? Frag ihn lieber, weshalb Weasley überhaupt dazu kam ihn zu schlagen.“ Pansy stand vor ihm, eine Hand in die Hüfte gestützt, in der anderen ein Päckchen. Draco hatte keine Lust darauf, dass Pansy Gerüchte verbreitete, die überhaupt nicht stimmten.


„Was willst du?“, fragte er also so unfreundlich er es zustande brachte. Kurz glitt ihr Blick über seine Wange, ehe sie seine Augen traf.

 

„Hier ist deine Maske, du undankbarer Mistkerl.“ Mit einem Lächeln warf sie das Päckchen neben ihn auf den Tisch. „Es ist das letzte Mal, dass ich was für dich entgegen nehme. Frag nächstes Mal dein Schlammblut, Draco.“ Er ignorierte ihre Worte, die nur dazu ausgerichtet waren, ihm irgendeine Art von Geständnis zu entlocken.

 

Pansy saß jetzt neben Zabini. Sie frühstückte mit Zabini. Wahrscheinlich vögelte sie auch nur noch mit Zabini. Aber eigentlich war ihm das recht, denn er hatte sie über. Pansy hatte sich wieder abgewandt und war verschwunden.

 

„Darf ich gucken?“ Draco hob spöttisch eine Augenbraue, als Greg bereits das Papier zurückgeschlagen hatte. Ein Mann sollte wirklich nicht Spaß daran haben, eine Maske anzusehen. Aber er war dankbar, dass Greg nicht Pansys Worte aufgriff und ihn tatsächlich fragte, weshalb er und Weasley überhaupt aneinander geraten waren.

 

Pansy hatte überhaupt keine Beweise. Er nahm an, sie war leidglich eifersüchtig. Auf ein Hirngespinst. Was… leider Wahrheit geworden war. Natürlich war sie nicht in der Halle. Er hatte sie das Wochenende über nirgendwo gesehen, dabei war er sogar zu seinem großen Ärger zweimal in der Bibliothek gewesen, war länger als nötig durch die Gänge gestreift, auf der Suche nach Unruhestiftern.

 

Granger schien kein Frühstück zu sich zu nehmen. Oder sie tat dies unten in der Küche bei den Elfen. Er wusste es nicht, und er wollte auch nicht darüber nachdenken. Denn er kam zu keinem guten Schluss. Es war gefährlich geworden. Für sie. Nicht für ihn. Ihre Worte waren vergiftete Worte gewesen. Er hatte keines vergessen.

Jedes Mal, wenn er auch nur versuchte, zu vergessen, erfasste ihn eine Übelkeit, die er nicht abschütteln konnte.

 

Er wollte sie nicht. Er war nicht dumm. Er begriff, wie krank es war. Er wusste, würde er durchziehen, was er im Begriff war zu tun, dann würde es schlecht ausgehen. Nicht nur für sie. Nein, es würde für ihn unerträglich sein. Unerträglich, mit dem Wissen zu leben, dass er ein Schlammblut hatte vögeln müssen.

Und er wusste, er würde es müssen, würde sich die Gelegenheit ergeben.

 

Im Moment sah es nicht so aus, als würde das passieren.

Er wusste, er könnte sie finden. Er könnte sich hinter die feindlichen Linien begeben, könnte Potter und Weasley auflauern, könnte zum Gemeinschaftsraum der verfluchten Gryffindors pilgern und dort warten, bis die verdammte Schulsprecherin sich blicken ließ.

 

Aber er konnte nicht.

 

Er hatte Angst.

 

Er hatte tatsächlich Angst vor all den Konsequenzen, die sich förmlich aufzudrängen schienen, wann immer er über sie nachdachte. Was war nur in ihn gefahren? Er wusste, er befand sich auf Entzug. Auf kaltem Granger-Entzug. Und es war gut für ihn. Er spürte es.

Zwar war er rastlos und reizbar, aber seine Finger kribbelten nicht vor ungestilltem Verlangen, was er nur dadurch beruhigen konnte, ihre Haut zu berühren.

 

Er wollte, dass sie sich versteckte. Denn er wusste, sie musste dasselbe fühlen! Exakt dasselbe. Nur eben… aus einer andere Perspektive.

Und er wünschte sich, die Übelkeit, die er sich selber bereitete, würde vergehen. Er sollte seine Augen auf Pansy richten. Er sollte sich Pansy nehmen. Sie war willig all das zu tun, was er als Spaß empfand.

Granger würde niemals seinen Schwanz so tief in ihren Mund aufnehmen, dass sie nicht mehr atmen könne. Allein der Gedanke daran verschaffte ihm so ein schlechtes Gefühl, dass er kurz die Augen schließen musste.

 

Pansy. Ja. Er sollte Pansy in seinem Kopf haben. Er sollte von Pansy träumen. Sollte Pansy diese Aufmerksamkeit schenken.

Das wäre wirklich einfacher.

 

Aber so war es nicht. Es gab nichts mehr an Pansy, das er nicht schon tausendmal mit Granger verglichen hatte. Und Granger gewann diesen verfluchten Vergleich. Und es war nicht ihr Aussehen, es war überhaupt nichts Greifbares. Es war… ihre Überlegenheit.

Es war fast lächerlich, wie dieses Wort in seinem Kopf klang. Sie war ihm natürlich nicht überlegen. Nicht in seinen schulischen Leistungen, die er besser als sie absolvierte, da er kaum lernen musste, für seine Erfolge. Und natürlich hatte er auf der sexuellen Ebene so viel Erfahrung, wie sie sich nur in ihren dunkelsten Träumen vorstellen konnte.

 

Aber so etwas würde sie gar nicht haben, dachte er grimmig.

 

Nein. Sie hatte nur eine Waffe. Nur eine.

Und gegen die kam er nicht an. Er wusste, das Gute siegte über das Böse. Menschen erreichten Dinge eher, die aus einem positiven Reiz entstanden waren, nicht aus einem negativen. Es war einfache Logik.

Das Böse lohnte sich nicht. Er wusste, Blut war Blut. War Wasser, war Flüssigkeit, war… eben einfach nur Blut.

 

All sein Hass richtete sich gegen eine Unwichtigkeit.

 

Es hätte sich am liebsten übergeben. Aber dass er das wusste, sollte nicht bedeuten, dass sie es auch wusste! Sie sollte in Furcht leben, in Unterwerfung, in Scham! Sie konnte zaubern. Sie konnte kämpfen. Sie konnte dabei sogar noch passabel aussehen, aber es sollte ihr nicht leichtfallen. Sie hatte es einfach nicht verdient!

 

Das, was ihm bedrohlich im Nacken saß, war die Tatsache, dass er ihre Lust entfachen konnte, dass er sie Dinge fühlen lassen konnte, wie niemand sonst. Er wusste das! Er hatte es gesehen! Hatte gesehen, wie sie ihn gewollt hatte. Er hatte keine Kontrolle mehr gehabt. Er wäre nicht in der Lage gewesen, sie gehen zu lassen. Er hätte es nicht geschafft. Er hätte nicht die Überwindung finden können, die er sonst immer im Bezug auf unwichtige Schlammblüter parat hielt. Er hätte es nicht geschafft.

 

Aber, selbst wenn das alles so war; selbst wenn er sie verführen konnte, wenn er sie dazu bringen konnte, all ihre Werte aufzugeben, dann blieb danach das bittere Ende: Sie würde ihn hassen und er sich auch.

Denn es gab keine andere Lösung zu diesem Problem. Er würde sie solange wollen, bis er sie endlich am Boden hatte. Bis sie nicht mehr die Nase hoch tragen konnte, weil sie ihm überlegen war. Und dann… dann wäre er erlöst von diesem Fluch.

 

Aber sie würde dann nicht dankbar sein. Nein. Denn das war eben die grausame Logik. Wenn das Böse von einem Besitz ergriffen hatte, dann war man am Ende nicht froh darüber. Sie würde sich nicht voller Überschwang bedanken. Nein, würde sie nicht. Ja, sie würde einwilligen.

Und dann wäre es geschehen. Er hätte gewonnen. Denn nur darum ging es, rief er sich ins Gedächtnis.

 

Und dann war da noch ein geringes Risiko… Das Risiko, dass er vielleicht nicht gewonnen hätte, dass er vielleicht nicht erlöst wäre.

Aber das war ein Problem, über das er erst nachdenken konnte, wenn es soweit war.

 

Er kannte sich mit Gefühlen nicht besonders gut aus, aber er war sich sicher, dass er für das Schlammblut nichts fühlen konnte. Es war einfach genetisch nicht möglich. Er fühlte für niemanden etwas. Er war nie verliebt gewesen. Es war nicht nötig. Er musste sich nicht herablassen zu irgendwelchen Gesten oder besonderen Worten. Die Mädchen kamen alle zu ihm, ohne dass er sich Mühe geben musste.

 

Granger kostete ihn auch keine Mühe. Sie kostete ihn Jahre seines Lebens. Ja, das tat sie. Aber es war keine Mühe, sie schließlich zu überzeugen.

Es kostete ihn Überwindung, Stolz und Zeit. Nein, es bereitete ihm schon beinahe Vergnügen. Aber eben nur beinahe.

 

Die Faszination lag auch darin, dass sie neben seinem Äußeren Dinge sah, die kein anderes Mädchen zu sehen schien. Keines. Sie versuchte gegen ihre Oberflächlichkeit zu kämpfen, aber er wusste, sein Aussehen überzeugte sie.

Sein Charakter tat es nicht. Sie war tapfer. Sie wehrte sich gut, aber eben nicht gut genug.

 

Er wünschte sich fast, sie würde sich wehren, würde ihm nicht zeigen, dass er haben konnte, was er haben wollte. Es war ganz einfach: Sie musste nur einwilligen, und alles wäre dann vorbei. All diese ganzen zerstörerischen Kleinigkeiten. Kein Schlammblut würde ihn mehr reizen, denn dann konnte er mit Gewissheit sagen, selbst die Schlammblüter ließen sich ohne Weiteres von ihm einnehmen.

 

„Sie ist ziemlich schön, nicht wahr?“, bemerkte Greg jetzt. Er hatte schon fast vergessen, dass er hier nicht allein am Tisch saß. Draco betrachtete die Maske nachdenklich. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Granger sie ausgewählt hatte. Natürlich trug sie die Farben Slytherins. Sie hatte einen grünsilbernen Rand. Ansonsten glänzte sie in einem matten Schwarz und schluckte das Licht, dass auf sie fiel. Die Löcher für die Augen waren hoch ausgeschnitten und verziert mit wenigen dunklen Steinen. Sie bedeckte wohl das halbe Gesicht und über die rechte Seite zog sich ein schmaler silbrig glänzender Halbmond. Die Farbe leuchtete nur schwach durch das tiefe Schwarz.

 

Sie nahm wohl an, dass er vorhatte zum Maskenball zu gehen.

 

Er wusste nicht genau, wie er das werten sollte, oder ob er es überhaupt werten musste. Wahrscheinlich hatte sie nur die Schulsprecherpflichten verfolgt und dachte nicht daran, dass sie sich vielleicht begegnen würden, auf dem Ball.

 

Er sagte nichts auf Gregs Worte. Er ruckte nur unwirsch mit dem Kopf.

 

„Heute Abend ist Training, oder?“, fragte dieser jetzt unsicher. Draco nickte nur.

 

Das Training lief nicht gut. Er glaubte langsam selber, dass es nur ein außergewöhnliches Versehen war, dass er den Schnatz gefangen hatte. Er würde glorreich untergehen im nächsten Spiel gegen Gryffindor. Denn Gryffindor hatte beim Spiel am Samstag gegen Hufflepuff an Punkten so weit aufgeholt, dass sein Team noch einmal gegen sie fliegen musste.

 

Das nur, wenn sie gegen Ravenclaw gewannen. Sie hatte einen Punktevorsprung, den ein Schnatzfang brachte. Hundertfünfzig Punkte. Würde Ravenclaw also gewinnen, ehe sie Punkte machen konnten, dann wäre das ein unentschieden und Slytherin und Gryffindor müssten wieder gegeneinander fliegen.

 

„Denkst du, in dem du deine Mannschaft bis zur Erschöpfung trainieren lässt, steigen deine Chancen?“ Er hasste diese Stimme. Er wandte müde den Kopf.


„Verpiss dich, Narbengesicht.“ Diesen Spitznamen hatte er schon länger nicht mehr verwendet. Potter schenkte ihm ein freudloses Lächeln.

 

„Ja, am besten fürchtest du dich, Malfoy.“

 

„Was willst du, Potter?“

 

„Ich weiß nicht, was es ist, aber ich weiß, du hast irgendwas mit Hermine angestellt. Bedrohst du sie?“

 

„Behauptet sie das?“, erwiderte er mit einem flüchtigen Grinsen. Natürlich kam Potter deswegen.

 

„Dass du eine Maske hast und sie nicht, bedeutete für mich eigentlich schon genug. Sie hatte nie Angst vor dir, Malfoy. Was auch immer du tust oder vorhast, du wirst damit nicht durchkommen.“ Er war sich nicht sicher, ob er Potter wirklich richtig verstand. Und er hatte keine Lust, dass Goyle irgendwelche Fragen stellte.

 

Er erhob sich also und stieg über die Bank. Er entfernte sich einen Schritt und Potters Augen verengten sich. Draco wusste, sie erregten Aufmerksamkeit. Überwiegend weibliche. Und Granger hatte keine Maske. Das war die andere Möglichkeit. Sie würde ihm sogar auf dem Ball ausweichen. Es störte ihn.

 

„Potter, möchtest du mir irgendwas sagen?“, fragte er gefährlich ruhig. Potter tat ihm den Gefallen und schloss zu ihm auf.

 

„Ich will, dass du dich von ihr fern hältst! Ich kann zwar nicht nachweisen, dass du…“ Er unterbrach sich. Anscheinend wusste er nicht genau, wie er es sagen sollte.

 

„Was? Denkst du, ich habe sie in aller Heimlichkeit über ein Pult geworfen und mich in ihrem schmutzigen Körper vergraben, Potter? Wirklich, das ist es, was du denkst?“ Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Potter atmete stark durch die Nase und biss die Zähne fest zusammen.

 

„Am besten hältst du dein Maul, Malfoy.“ Er hatte die Fäuste bereits geballt und das Sprechen schien ihm einigermaßen schwer zu fallen.

 

„Wieso? Tust du das etwa? Fühlst du dich bedroht, Potter?“ Er wusste nicht, woher die Worte kamen. Er wusste nicht, weshalb er auf einmal das Bild vor seinem inneren Auge hatte.

 

„Riskier diese Worte besser nicht“, knurrte er jetzt.


„Was ist? Du drohst mir mit Worten? Wieso schlägst du nicht zu? Du bist bestimmt neidisch, dass Weasley dir etwas voraus hat, oder?“ Er musste lächeln. „Hat Weasley dir etwa auch das voraus? Teilt ihr euch Granger? Oder lässt sie dich nicht-“ Potter hatte so schnell in seinen Kragen gegriffen, dass Draco kurz überrascht war.

 

„Hör auf zu sprechen!“ Seine Stimme war leise. Und voller Hass. „Du wirst nichts mehr mit ihr zu tun haben. Du bekommst es mit mir zu tun, Malfoy. Du wirst sie zu nichts zwingen, hast du mich verstanden?“ Draco schlug Potters Arm unsanft zur Seite. Um sie herum war es still geworden. Die Spannung konnte man förmlich mit dem Messer schneiden.

 

„Ich zwinge sie zu nichts!“, erwiderte er ungehalten. Die Worte waren nicht unbedingt dazu geeignet, das Thema zu wechseln. Er hörte das selber.

 

„Wenn du sie schlägst… wenn du sie auch nur anrührst, dann bringe ich dich um.“ Potters grüne Augen waren dunkel vor Wut.

 

„Keine Sorge. Ich werde deinem Schlammblut schon nicht all ihre Verehrung zu dir aus ihrem verfluchten Körper vögeln – das überlass ich d-“ Potter hatte ausgeholt, aber dieses Mal war Draco vollkommen vorbereitet. Er fing die Faust gekonnt ab, und rammte Potter seine eigene Faust präzise in den Bauch. Dieser krümmte sich stumm nach vorne und Draco griff in Potters Hemd, um ihn auf seiner Augenhöhe zu halten.

 

„Wenn du mich umbringen willst, dann ist das eine verfluchte Einladung. Ich will sehen, wie du bei dem Versuch dabei scheiterst.“ Aus den Augenwinkeln sah er Snape mit wehendem Umhang auf sie zu kommen. Potter befreite sich aus Dracos Griff und hustete hart, um wieder zu Luft zu kommen.

Um sie herum flüsterten die Schüler angeregt und schienen auf mehr zu warten.

 

„Was passiert hier?“, durschnitt Snapes Stimme scharf die Luft. Potter fing sich schnell. Er räusperte sich und Draco sah mit Genugtuung die Träne in seinem Augenwinkel.

 

„Gar nichts. Sir“, fügte Potter gepresst hinzu.

 

„Sie werden hier keine Szene veranstalten!“, drohte Snape gefährlich und fixierte nun ihn.

 

„Nein“, bestätigte Draco mit einem spöttischen Blick auf Potter. „Das würde Potter nicht wagen“, fügte er wissend hinzu. Dieser warf ihm einen letzten undeutbaren Blick zu, ehe er zornig die Halle verließ.

 

„Draco, Sie werden sich auf keinen Streit einlassen, haben Sie gehört? Ich weiß nicht, was hier vorgefallen ist, aber Sie sind Schulsprecher und sind besser an keiner Aktion beteiligt, die ihre Position gefährden könnte.“ Snape durchbohrte ihn mit dem Blick der dunklen Mahnung. Draco nickte nur. Er war in seiner Position eigentlich immer gefährdet. Er war nur clever genug, es nie soweit kommen zu lassen.

 

„Und noch etwas. Ich weiß, zwischen Ihnen und Ms Granger herrschen Schwierigkeiten. Dumbledore hat mich informiert, dass sie nicht am Ball teilnehmen will. Sie hätte sich von der Veranstaltung nachträglich abgemeldet, obwohl sie diese organisiert. Es ist nicht meine Angelegenheit, Ihre Kindereien zu schlichten, aber Sie werden sich entschuldigen, Draco.“

 

Sein Mund öffnete sich im Protest. „Was? Ich habe nichts mit-“

 

„Sie werden sich nicht mit mir anlegen“, informierte ihn Snape jetzt.

 

„Aber ich-“

 

„Beide Schulsprecher werden zu diesem Ball kommen.“

 

„Wenn sie nicht will, dann-“

 

„Draco, diese Diskussion ist beendet. Sie und Ms Granger werden sich einigen und ihre Differenzen begraben und sei es nur für einen Abend. Das gleich gilt für Sie und Mr Potter“, fügte er gereizt hinzu und warf Draco einen letzten Blick zu, als wäre er in Fünfjähriger, der ihm unangenehme Probleme bereitet hatte.

 

Draco empfand denselben Hass auf Snape, den er bei Potter empfand.

Er würde das Schlammblut bestimmt nicht überreden zu einem dämlichen Ball zu kommen, zu dem er selber nicht gehen wollte.

Außerdem würden seine Worte ihre Meinung nicht ändern können. Und Potter würde ihn vorher umbringen. Snape ging zurück zum Lehrertisch.

Greg kam eilig auf ihn zu, die Augen geweitete vor Neugierde.

 

Draco gab Granger die Schuld an allem. Auch daran, dass er heute Training hatte und dass er gestern wieder nicht joggen war und Ärger mit Snape riskierte, weil er sich nicht mehr konzentrieren konnte.

 

 

Teil 13

 

 

Es war tatsächlich unmöglich.

Er hatte nach der Aufsicht versucht, sie zu finden. Und er hatte sich darüber geärgert, dass er es versucht hatte. Sein Stolz war noch nicht völlig verschwunden. Seine Triebe hatten noch nicht übernommen. Und das Gefühl, dass sie sich endlich nähern sollte, war beinahe schon absurd. Er wusste, sie würde es niemals tun.

 

Und das war noch schlimmer als die Tatsache, dass er es wollte.

Er hasste ihre Macht, der sie sich selber wahrscheinlich nicht bewusst war.

Er hatte jetzt schon zum zweiten Mal die falsche Zutat benutzt. Snape würde ihn noch für untalentiert halten.

 

Immer wieder warf er einen Blick nach vorne. Sie saß natürlich zwischen Potter und Weasley. Es war bemerkenswert, dass sich beide um ein Schlammblut prügelten. Weasley sprach leise mit ihr, aber sie sagte nichts darauf. Scheinbar konzentriert füllte sie das Nesselkraut in den Trichter.

 

Verflucht, das dämliche Kraut hatte er noch gar nicht zerkleinert. Er griff gereizt über den Tisch. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Pansy über Zabinis Arm strich. Greg neben ihm sah es auch. Es schien ihn verdrießlich zu stimmen. Draco wollte darüber jetzt nicht unbedingt nachdenken. Er hatte das Gefühl, sein Kragen säße zu eng.

 

„Hier.“ Vincent hatte ihm den Mörser zu geschoben. Er sprach eher selten. Noch seltener als Greg.

 

„Danke“, gab Draco zurück und während er mörserte blickte er wieder nach vorne. Sie waren alle schon recht dysfunktional in ihrer Gruppe. Zabini war einfach nur ein Opportunist und genoss Pansys Schlampendiesnte, die eigentlich Draco zu Teil werden sollten, Greg war anscheinend in Pansy verliebt und bei Vincent wusste er nicht genau, ob er überhaupt irgendwas wollte oder wusste oder verstand.

 

Und er selber…? Ja, das war etwas, was er nicht beschreiben konnte.

 

Snape beschritt seine dritte Runde. Wieso bekam er die grüne Farbe nicht hin? Warum zum Teufel nicht. Zu seinem Ärger sah er, dass Granger alles richtig gemacht hatte. Dieses Biest ließ sich durch absolut nichts stören. Hastig gab er die Nesseln hinzu. Das Blau seines Tranks wurde heller, wurde grünlich. Aber eben nicht wirklich grün.

Hätte er weniger nehmen sollen? Langsam atmete er aus und legte den Zauberstab zur Seite.

 

„Schon fertig, Mr Malfoy?“ Normalerweise akzeptierte er es ohne Widersprechen, dass Snape seinen Vornamen benutzte. Man kannte sich schließlich mehr oder weniger gut aus mehr oder weniger guten Gründen. Aber jetzt benutzte er seinen Nachnamen.

 

„Ja, Sir“, seufzte er unwillig.

 

„Sind Sie sicher?“, fragte sein Lehrer und Draco sah förmlich die Enttäuschung und den Erfolgsdruck in Snapes Gesicht. Widerwillig nahm Draco den Zauberstab wieder zur Hand.

 

„Nein“, erwiderte er jetzt und Snape schritt weiter. Zu Granger sagte er nichts.

Draco war es schon aufgefallen. Anscheinend erwartete sie auch kein anerkennendes Wort von Snape. Er wusste aber, dass sie dennoch am Ende die beste Note von Snape bekam.

 

Und dann wie aus Versehen und Zufall, hatte sie den Blick gehoben. Ihre Augen sahen direkt in seine. Er war wie elektrisiert. Zwar war sie hier direkt in diesem Raum und er sah sie das erste Mal nach fünf Tagen, nach dem er sie das zweite Mal geküsst hatte und sie es wollte, aber es fühlte sich an als wäre sie meilenweit, jahrelang entfernt gewesen.

 

Er wusste nicht, was ihr Blick ihm sagen sollte. Ihr Gesicht wirkte streng und verschlossen wie immer. Als wäre er selber eine Frage in einer besonders schweren Prüfung. Zu schnell senkte sie den Blick auch wieder. Als würde sie sich schämen, als könne sie es nicht ertragen. Ja, sie sollte sich auch schämen.

Und er hätte es Weasley sagen können. Nachdem Granger am Donnerstag verschwunden war, hätte er es durchaus tun können, hätte sich durchaus dazu herabgelassen und ihn verflucht.

 

Aber er hatte gar nichts getan. Weasley hatte ihn angesehen und Draco hatte sofort gewusst, dass er Grangers Worten Folge leisten würde, dass er kaum noch warten konnte, ihr nachzulaufen.

In dieser Sekunde war es ihm mehr als deutlich geworden: Weasley hatte darüber nachgedacht. Er hatte über sie so nachgedacht, wie er es tat.

Und er nahm an, dass Weasley es auch wusste. Weasley würde auch wissen, dass er es tat.

 

Vielleicht bestand die Chance, dass Weasley es nicht begriffen hatte, aber er nahm nicht an, dass er einen besonders guten Eindruck hinterlassen hatte bei dem Versuch, es zu verbergen. Die Lust hatte ihm bestimmt noch direkt im Gesicht gestanden.

 

„Beenden Sie Ihre Arbeit jetzt, füllen Sie eine Probe in die Flakons und säubern Sie die Kessel“, zerschnitt Snapes Stimme seine Gedanken und er setzte sich sofort in Bewegung als sie es tat. Die anderen folgten langsam. Er sah, dass Weasley und Potter beide noch mit Mühe einige Zutaten in ihre Kessel rührten. Er hatte sie vorne erreicht, als sie nach einem Flakon griff. Seine Hand umschloss ihre und er zog sie näher an sich, damit Pansy es nicht sehen konnte.

 

Sie kam mit Zabini nämlich ebenfalls nach vorne. Er wandte den beiden den Rücken zu und beugte sich näher zu Granger, deren Mund sich vor Schreck etwas geöffnet hatte. „Warte kurz“, sagte er leise. Sie schüttelte den Kopf und wollte ihm ihre Hand entziehen, die den kleinen Flakon umschloss. Sie hatte den Kopf umgewandt, anscheinend um zu sehen, ob ihre Retter schon unterwegs waren. Er wusste, er hatte nur ein paar Sekunden.

 

„Du musst zum Ball kommen“, sagte er jetzt genauso leise. Sie schoss einen Blick zu ihm hoch.

 

„Ich muss überhaupt nichts!“ Ihre Stimme… und immer noch klang sie, wie sie immer klang, wenn sie mit ihm sprach. All ihre Worte kamen ihm in den Sinn. Er war unwürdig, er war es nicht Wert, er war ein billiger Abklatsch eines Mannes... Er musste schlucken, damit er nicht zornig wurde.

 

„Doch, du musst, denn Dumbledore gibt mir die Schuld, dass du es nicht tust und hetzt Snape auf mich“, sagte er schnell und gepresst.

 

„Ach wirklich? Und damit hat er Unrecht?“, zischte sie und zog wieder an ihrer Hand.

 

„Granger, hör auf damit. Du kannst deine Pflichten nicht einfach-“

 

„Meine Pflichten?“, knurrte sie jetzt und fixierte ihn zornig. „Meine Pflichten gehen dich einen Scheißdreck an, Malfoy. Lass mich los, bevor…“

 

„Bevor was? Bevor Weasley und Potter mir wieder mit den Fäusten drohen?“, flüsterte er ungehalten und sie schnaubte leise auf.

 

„Du kannst es nicht lassen, oder? Was fällt dir eigentlich ein! Du hast Harry geschlagen und bist damit durchgekommen.“ Jetzt sah er Potter kommen. Und zwar ziemlich eilig. Er hatte ihn im Visier.

 

„Ich habe mich bloß verteidigt, Granger. Halt mir nächste Mal deine Garde vom Hals, wenn du beschließt, dass du das willst.“ Wie um seine Worte zu bestätigen, ließ er den Daumen über ihren Handrücken kreisen. Ihr so nahe zu sein, versetzte seinen Kopf in einen statischen Zustand. Er musste sich zwingen, ihre Hand loszulassen, die warm in seiner gelegen hatte. Er hatte keine Zeit mehr, in ihr Gesicht zu sehen, denn bevor Potter ihn erreicht hatte, hatte er sich schon abgewandt und auf den Rückweg gemacht.

 

Er riskierte gerne ein Annehmbar in Zaubertränke, wenn er sie nur kurz aus ihrer Ignoranz hatte locken können.

 

 

~*~

 

 

Sie hatte keinen Hunger. Die Stimmung war recht gespannt. Das war sie schon seit Tagen. Erst mit Ron, mit dem sie noch einen langen Streit darüber hatte, dass sie Malfoy nicht verteidigte und dass nur dumme Menschen Gewalt anwandten, um ihre Meinung zu vertreten und jetzt die Sache mit Harry, der sich gestern nicht hatte beherrschen können und ihr versuchte klar zu machen, dass Malfoy wohl andere Absichten mit ihr hatte.

 

Sie wusste das. Dachte er, sie wusste es nicht?

 

Jetzt hatte Harry ihr vorwerfen wollen, dass sie Malfoy zu viele Gelegenheiten gab, ihr nahe zu kommen. Er stach zornig in eine Kartoffel, führte sie aber nicht zu seinem Mund. Es schlug ihr schwer auf den Magen. Manchmal hatte sie das Gefühl, es war alles einfacher. Aber nur dann, wenn sie vor Malfoy stand. Wenn er eben nicht Malfoy war, sondern ein Junge, der seine Gefühle nicht halten konnte.

Sie spürte immer noch seine Hand, wie sie ihre umschloss. Der Schock von heute Morgen war noch nicht völlig abgeklungen. Diese Geheimniskrämerei war unerträglich. Sie nahm an, er wollte sie nur quälen. Er hatte es Ron nicht verraten und Harry anscheinend auch nicht. Aber Harry wollte ihr auch nicht sagen, was Malfoy überhaupt gesagt hatte, dass ihn so wütend gemacht hatte.

 

„Auf dem Ball wird er nicht wagen aufzutauchen. Du kannst also mitkommen“, fing Ron jetzt wieder an. Sie hatten schon geklärt, dass sie nicht kommen würde. Aber sie hatte über Malfoys Worte nachgedacht. Wahrscheinlich war es albern, ihre Pflichten zu vergessen.


„Ich bin Schulsprecherin, wahrscheinlich muss ich kommen“, gab sie schließlich nach. Beide sahen sie an.


„Das finde ich besser, als wenn du alleine bleibst“, sagte Harry jetzt.

 

„Harry, ich bin kein kleines Kind. Ich brauche euch nicht, um…“

 

„Nein? Hermine, siehst du nicht, dass er mich über dich treffen will?“, fuhr Harry sie an und sie konnte nicht anders, als empört die Luft einzuziehen.

 

„Denkst du wirklich, alle wollen dir ans Leben, Harry?“ Er fixierte sie zornig.

 

„Es ist Malfoy, Hermine! Das ist mein Streit. Du bist einfach nur… ein Ventil für ihn. Siehst du das nicht? Es geht nicht um dich. Es geht um mich und Malfoy.“ Harry war ein Arschloch. Sie erhob sich.

 

„Weißt du, er sitzt direkt da hinten. Wieso gehst du nicht noch mal zu ihm und führst dich auf wie ein kleines Kind?“, rief sie ärgerlich und verließ den Tisch.

 

Harry sagte nichts mehr darauf. Sie hatte diese Stimmung satt. Am liebsten wollte sie ihm sagen, dass sich nicht alles auf der Welt nur um ihn drehte, und dass Malfoy nicht… ja, aber, was wenn doch? War sie nur irgendein Mittel zu einem blöden Zweck? Ein Zweck eines Streites zwischen dummen Jungen?

War sie das Objekt einer dummen Vendetta? Benutzte sie Malfoy tatsächlich, damit er Harry endlich schlagen konnte?

 

Anscheinend dachte Harry das. Und wenn Harry es dachte, dann dachte Ron es wahrscheinlich auch. Alle Jungen waren gleich dumm.

 

Immer wieder suchte sie nach Wegen, über denen sie sich mit Ginny vertragen konnte. Sie war nicht beim Essen gewesen. Bestimmt war sie im Gemeinschaftsraum. Jetzt, wo sie doch zum Ball ging, musste sie sich noch eine Maske besorgen. Sie hatte zwar wohlweißlich auf ihre verzichtet, aber jetzt… Jetzt sah es so aus, dass sie sich tatsächlich wieder von Malfoy überreden ließ, ihre Pflichten zu erfüllen, damit er keinen Ärger bekam.

 

Sie seufzte schwer.

 

Sie vermisste die ruhigen Zeiten, in denen sie gelernt hatte. Und das war alles. Lernen und fleißig sein. Sie wünschte sich fast, dass Malfoy ihr niemals Beachtung geschenkt hätte. Sie wünschte sich, dass sie nicht mit Harry befreundet wäre, dass sie nicht Schulsprecherin wäre und in einem anderen Haus…

 

Kurz hielt sie in ihren Gedanken inne. Sie konnte ihr Haus nicht ändern. Und Malfoys Beachtung konnte sie auch nicht abwenden. Aber… Schulsprecherin musste sie nicht sein. Sie könnte ihren Posten aufgeben. Sie könnte, zum allgemeinen Wohl – und vor allem ihrem Wohl – ihren Posten aufgeben.

 

Nach dem Ball, beschloss sie schließlich. Es tat ihr weh. Aber sie hatte das Gefühl, ihren Pflichten nicht nachkommen zu können. Sie hatte das Gefühl, dass sie versagt hatte. Sollte Malfoy ruhig Schulsprecher sein. Vielleicht musste man kalt und verabscheuungswürdig für diesen Posten sein.

 

Und wenn das bedeutete, dass sie nichts mehr mit Malfoy verband, dann wäre es einen Versuch mehr als wert. Es war nur ein Titel. Es bedeutete gar nichts. Wenn sie die letzten Wochen verzichten wollte, dann konnte sie verzichten.

 

Jetzt musste sie einen Brief aufsetzen und versuchen, sich mit Ginny zu vertragen, denn jetzt brauchte sie auch noch ein Kleid. Und dazu Beratung von einer Freundin. – Die hoffentlich noch ihre Freundin war.

 

 

Teil 14

 

 

Sie hatte den Brief Dumbledore bereits zukommen lassen. Zuerst schrieb sie einen Brief, in dem sie Malfoy kritisierte und keine paar Wochen später schrieb sie einen Brief, in dem sie sich als Schulsprecherin zurückzog.

McGonagall hatte ihn Dumbledore gebracht. Nachdem sie sich mit Hermine über den schwachen Aufsatz unterhalten hatte.

 

Er war immer noch besser gewesen als Rons, aber sie nahm an, es war ihr erstes Erwartungen übertroffen in Verwandlung.

Sie hatte McGonagall erklärt, es sei eben nicht ihre beste Arbeit gewesen, aber auch nicht eine schlechte. McGonagall hatte das natürlich bestätigt, sich aber gefragt, ob es im Moment etwas gäbe, was ihren Kopf ablenken würde von den Aufgaben und dem Lernpensum.

 

Natürlich. Aber Hermine hatte bloß mit den Achseln gezuckt und gelächelt.

 

Was sollte sie auch sagen? Sie kam sich schon schlecht dabei vor, dass sie ihren Posten aufgab. Davon hatte sie Ginny nichts gesagt. Sie hatte sich entschuldigt und hatte Ginny erklärt, dass sie natürlich gerne über die Probleme reden würde, die Ginny mit Harry hatte. Auch wenn das gelogen war.

Sie verband das Nötige mit dem Nützlichen und deswegen saß Ginny jetzt heute neben ihr bei der Aufsicht.

 

Ein Junge kam später und entschuldigte sich, weil Dumbledore ihm noch einen Brief übergeben hatte. Er ging an sie. Natürlich. Es ging nicht einfach über ihren Brief. Sie hatte jetzt keine Lust, ihn zu öffnen und wollte Ginny auch nicht erklären müssen, weshalb sie ihr Amt aufgab.

 

Sie bedankte sich bei dem Jungen, der missmutig begann seine Strafarbeit zu schreiben. Ginny lehnte sich näher zu ihr.

 

„Auf dem Ball… meinst du, Harry wird mit mir sprechen?“ Hermine war sich sicher, dass Harry das nicht tun würde, weil er mit seinem Stolz viel zu beschäftigt war.

 

„Kannst du nicht mit ihm reden? Kannst du nicht einfach anfangen und alle Problem beseitigen?“ Sie hatte das Gefühl, dass sie das auch auf sich und Malfoy anwenden müsste, aber sie wusste, dass konnte sie auch nicht.

 

„Nein. Denn… wenn er nicht reden will? Oder wenn ich alleine rede, weil er einfach zu egoistisch ist, um etwas zu ändern?“ Ja, das war auch Hermines Problem.


„Dann… dann musst du ihn eben zwingen. Ich meine, du liebst ihn und er liebt dich. Und es gibt einfach immer eine Möglichkeit das zu regeln. Denkst du, Harry gefällt es, so zu sein? Er kommt einfach nicht mehr aus seinem Loch raus, Ginny.“ Sie überlegte, ob auch Malfoy ein Loch hatte, aus dem er nicht mehr rauskam, aber eigentlich wollte sie nicht darüber nachdenken und Parallelen zu Harry ziehen.

 

„Aber was soll ich denn sagen? Was, wenn es ihm schon völlig egal ist, Hermine?“ Sie dachte kurz nach.


„Du wirst keine andere Wahl haben. Manchmal… müssen wir eben über unseren Schatten springen und zu den Jungen gehen und sagen, was uns stört, und was sie ändern müssen. Und… du musst einfach stark bleiben. Und wenn er dich verführen will, ohne dass sich etwas ändert, dann… dann sagst du einfach nein“, redete sie sich leise in Fahrt. Ginny sah sie an.


„Du denkst, er würde mich verführen wollen? Das hat er noch nie getan, Hermine.“

 

„Ja…“ Sie überlegte schnell. Vielleicht war nicht alles einwandfrei auf Ginny anwendbar. Mist. „Na ja, ich meine… Harry ist auch ein Junge. Und… er hat jetzt lange keine Freundin mehr gehabt, und wenn er sieht, dass du vielleicht bereit dazu wärst, ihn wieder zu nehmen, dann…“ Sie zuckte mit den Achseln.

 

„Du denkst, er würde mich wollen?“ Ginny kam ihr so unsicher vor, wie schon lange nicht mehr.

 

„Natürlich, Ginny. Aber du musst ihm klar machen, dass er aufhören muss, nur das schlechte zu sehen“, schloss sie schließlich. Ginny nickte.

 

„Jaah. Und gehst du mit Ron?“, wechselte sie plötzlich das Thema und Hermine war mehr als überrascht.

 

„Mit Ron?“

 

„Oder geht er mit Lavender?“ Hermine wusste es gar nicht.

 

„Äh… ich gehe nicht mit Ron.“

 

„Ich dachte, du magst ihn?“ Ginny betrachtete sie mit schräg gelegtem Kopf.

 

„Ich… sicher mag ich Ron. Aber… nicht so. Weißt du? Er ist mein bester Freund, aber… da ist nicht mehr.“


„Das war doch mal anders, oder?“ Ja, ungefähr mit fünfzehn fand sie Ron ganz toll. Aber dann… na ja, sie war jetzt Schulsprecherin. Jedenfalls noch für eine kurze Zeit. Und Ron war eben… Ron.

 

„Ginny, ich brauche wirklich keine Begleitung für den Ball. Außerdem tragen wir sowieso alle Masken“, fügte sie hinzu, als wäre das ein wichtiges Kriterium.

„Wann gehen wir nach Hogsmeade?“, fragte sie stattdessen, denn sie hatte sich die Erlaubnis von McGonagall schon geholt, dass sie jemanden mitnehmen durfte, aber nur um ein Kleid zu besorgen. Nichts weiter. Und sie bekam auch nur zwei Stunden dafür.

 

Aber Hermine nahm nicht an, dass sie länger brauchen würde. Das lenkte Ginny ab. „Es ist so toll, dass wir einfach nach Hogsmeade dürfen! Und ich finde es super, dass du mich fragst, Hermine.“ Sie strahlte jetzt. Hermine bereute die Entscheidung nicht, dass sie sich mit Ginny vertragen hatte. Zwar würde sie gerne mit ihr über Malfoy reden, aber eigentlich… wollte sie nicht mal mit sich selber über Malfoy reden. Da war es einfacher, Ginnys Glück zu retten.

 

Nicht, dass sie über Glück sprach, wenn sie an sich und Malfoy dachte. Es war pervers und… krank. Und genau das wäre ungefähr das, was Ginny sagen würde.

 

Sie sprachen den Rest der Zeit nur noch über den ungefähren Schnitt ihres Kleides. Hermine hatte sich kaum Gedanken gemacht. Aber da die Maske rote und goldene Farben haben würde, sollte das Kleid auch eher rot sein. Nicht blau, wie Hermine überlegt hatte. Sie könnte sich mit Rot anfreunden. Wahrscheinlich passte es ganz gut zu ihren Haaren.

 

„Ginny könntest du eben die Arbeiten einsammeln, dann kann ich den Brief lesen?“, fragte sie freundlich und Ginny nickte. Hermine wusste, Ginny hätte bestimmt gerne gewusst, was Dumbledore ihr mitteilen wollte, aber sie sagte dazu nichts.

 

Sie entfaltete eilig das Pergament.

 

Miss Granger,

Ihren Brief habe ich mit großer Bekümmerung gelesen und möchte Sie bitten, mich nach Ihrer Aufsicht heute aufzusuchen. Gerechterweise teile ich Ihnen mit, dass Draco Malfoy auch eine Einladung von mir erhalten hat.

Ich glaube, es gibt kein Problem, was wir nicht beheben könnten.

Herzlichst,

A.D.

 

Sie verzog den Mund. Großartig, jetzt wollte er auch noch eine Sitzung daraus machen. Hermine hatte erwartet, dass er persönlich mit ihr reden wollte, aber sie wusste nicht, was Malfoy dort zu suchen hatte.

Sie wollte ihn nicht dabei haben. Er würde wissen, dass sie wegen ihm aufgab, und die Genugtuung wollte sie ihm wirklich nicht verschaffen.

Und ihm war es doch sowieso egal. Er würde es wohl unterstützen und etwas sagen, wie, dass sie sowieso ungeeignet gewesen war.

 

Ginny kam zurück. Die Schüler verließen eilig den Raum.

 

„Hör zu, ich muss eben zu Dumbledore“, entschuldigte sie Hermine bei ihrer Freundin. „Ich denke, es geht noch um letzte Vorbereitungen für den Ball“, log sie und bekam sofort ein schlechtes Gewissen, dass sie Ginny nicht die Wahrheit sagen konnte. Diese erklärte sich natürlich einverstanden und sagte, sie würde dann im Gemeinschaftsraum warten, damit sie noch ausführlicher über den Ball und die Möglichkeiten sprechen konnte, wie sie Harry ansprechen sollte.

 

Damit verabschiedeten sie sich und Hermine fielen die Schritte zu Dumbledore Büro äußerst schwer.

 

Es überraschte sie kaum, dass Malfoy an der Abzweigung zum zweiten Stock auf sie wartete. Es war der einzige Weg, der zu Dumbledores Büro führte, und sie nahm an, dass er wusste, dass sie früher oder später hier vorbei kommen musste. Er lehnte an der Wand und sein Ausdruck war nicht zu deuten.

 

Sie fühlte sich nicht allzu schlecht, wenn sie ihn ansah. Wenn Harry und Ron nicht in ihrem Rücken saßen, dann schrumpfte das schlechte Gewissen auf ein kleines Maß.

 

„In was für Probleme möchtest du mich jetzt bringen?“ Es klang kaum wie ein ernstgemeinter Vorwurf. Denn anscheinend wussten sie beide, dass das hier ihr kleines Geheimnis war. Kein schönes Geheimnis, nein. Sie mochte es, ihn anzusehen. Tatsächlich. Es war so widerlich, dass sie sein Anblick beruhigen konnte.

 

Sie lächelte traurig. „Gar keins“, erwiderte sie nur und schritt an ihm vorbei. Er folgte ihr skeptisch.

 

„Ach nein? Es wird damit enden, dass er mich von der Schule wirft, weil du ihm gesteckt hast, dass ich Potter geschlagen habe, oder? Oder Weasley? Oder dich? Oder nein, du hast ihm gesagt, ich hätte dich vergewaltigt, oder Granger?“ Sein Blick durchbohrte sie. Er hatte tatsächlich angst. Das gefiel ihr ganz gut. Und dass er sowas von ihr dachte, zeigte ihr nur, dass er ein egoistisches Arschloch war. Wie eigentlich alle Jungen.

 

„Es geht nicht um dich. Es geht einmal nicht um dich, Malfoy. Es geht nur um mich. Kannst du dir das vorstellen? Wahrscheinlich nicht“, beantwortete sie ihre eigene Frage und blickte nur nach vorne.

Es war so demütigend von Dumbledore, dass er Malfoy dabei haben wollte. Aber wahrscheinlich war sie schon so weit von Demütigung entfernt, dass es jetzt auch nichts mehr ausmachte.

 

„Granger, am besten sagst du mir, worum es geht, wenn du es sowieso schon weißt. Ich habe keine Lust auf deine kleinen Spiele.“ Das musste er gerade sagen! Aber schön. Sie informierte ihn vorher. Dann konnte er sich jetzt lustig machen und würde bei Dumbledore seine Klappe halten. Sie würde anwenden, was sie Ginny geraten hatte: Sie würde reden. Sie würde es klären. Sie war klug genug, ihm zu widerstehen. Es hatte alles nur mit Logik und den richtigen Entscheidungen zu tun. Und wenn sie ihm eben nicht aus dem Weg gehen konnte, dann musste sie andere Wege finden, die ihn eben unerreichbar für sie machten.

 

„Ich habe Dumbledore gebeten, dass er mich von meinem Posten als Schulsprecherin befreit“, erklärte sie und raubte ihm damit wohl all seine bösen Worte, die er auf den Lippen gehabt hatte. Seine Augen verengten sich.

 

„Und warum? Hast du ihm auch einen Grund genannt?“ Immer noch dachte er, sie wollte ihn in die Pfanne hauen. Sie seufzte.


„Malfoy, ich habe ihm nichts von dir gesagt. Ich habe ihm gesagt, ich könnte nicht mehr.“ Und das stimmte. Wenn sie sich jetzt sah, wenn sie die Worte hörte, die sie sagte, die Müdigkeit und Wahrheit in ihnen, dann wusste sie, es war eine gute Entscheidung.

 

„Wegen mir? Du gibst das wegen mir auf?“, fragte er und sie musste auflachen.

 

„Wegen was sonst? Ich sehe keinen anderen Weg. Und das scheint mir dann noch der Beste zu sein.“ Er sah sie an. „Lass uns gehen. Er wartet. Und mach mich da drinnen nicht lächerlich. Meinst du, das schaffst du? Meinst du, den Gefallen könntest du mir tun?“

 

„Ich soll dir… du erwartest von mir, dass ich dir den Gefallen tue, dich deines Amtes entheben zu lassen?“, fragte er ungläubig und wurde mit jedem Wort lauter.

 

„Nein, natürlich nicht. Du tust keinem einen Gefallen, hab ich wohl vergessen.“

 

„Granger, bist du verrückt?“ Er war näher gekommen. Sie hielt dieser Geste stand. Sie war jetzt so weit unten, dass er sie nicht mehr ängstigen konnte. „Das ist dein Ausweg?“, fragte er ungläubig und sie schloss kurz die Augen.

 

„Lass mich das einfach tun“, erwiderte sie leise, denn sie wollte sich nicht mehr rechtfertigen. Sie tat schon nichts anderes mehr!

 

„Ich bin dir so zuwider, dass du nicht mal mehr Schulsprecherin sein willst?“, fragte er und jetzt klang er zornig. Sie öffnete die Augen und starrte in sein wütendes Gesicht. Seine Züge waren trotz der Wut immer noch schön.

 

„Was erwartest du, Malfoy? Dass ich einfach weiter mache? Dass ich zulasse, dass du mich zerstörst? Was für eine Lösung hast du, bitte schön? Du willst doch gar nichts tun. Du überlässt es mir, dass ich uns aus dieser kranken Sackgasse raushole!“, gab sie zurück und wollte nicht schon wieder weinen.

 

„Ich habe es satt, dass du mir die Schuld gibst! Du bist genauso hier wie ich!“, knurrte er, nur damit er nicht schreien musste. Sie verstand überhaupt nicht, weshalb er sie wollte, wenn es ihm doch solche Qualen bereitete. Vielleicht wollte er sie auch überhaupt nicht. Sie hatte Draco Malfoy satt! Genauso satt, wie er es satt hatte, dass sie ihm die Schuld gab. Und das tat sie überhaupt nicht. Obwohl… eigentlich gab es keine andere Auslegung. Und eigentlich gab sie ihm auch die verdammte Schuld!

 

„Was soll ich tun, Granger?“, fragte er jetzt zornig. „Willst du, dass ich meinen Posten aufgebe? Willst du das? Dann sag das. Verdreh nicht alles. Du musst überhaupt nichts auf dich nehmen! Wenn du denkst, diese Distanz löst dich von… deinem Problem, dann bitte. Aber ich habe dir gesagt, es ist alles vorbei, wenn du aufhören würdest dich zu wehren! Es kostet nur Zeit.“

 

Sie konnte nicht fassen, dass er das schon wieder diskutierte!

 

„Draco, du willst das nicht! Du willst mich nicht!“

 

Sein Name. Sie hatte zum ersten Mal seinen Namen gesagt. Sie war so verzweifelt, so wütend, dass sie überhaupt nicht anders konnte, als seinen Vornamen zu sagen. Es schien ihr, als wäre sein Nachname zu unpersönlich, als würde er gar nicht durch seine dicke unnahbare Schicht durchdringen können. Als könne sie nur mit seinem Vornamen zu ihm sprechen.

 

Er hatte es auch gemerkt. Noch eher als sie selber. Sie musste den Blick plötzlich abwenden.

 

„Granger, ich habe dir schon erklärt, dass ich keine Macht mehr darüber habe.“ Er sagte das so sanft, dass sie ihm fast glaubte. Nur fast. „Wenn du mich lässt… wenn du es einfach zulassen würdest, dann… dann gebe ich meinen Posten auf. Es ist mir egal“, fügte er leise hinzu. „Ich kann nicht mehr“, sagte er ohne Spott. Ohne überhaupt irgendein Gefühl.

 

Sie schüttelte nur den Kopf. Sie konnte nicht sprechen. Konnte nichts sagen. Sie hatte seinen Namen gesagt. Damit hatte sie alle anderen Worte schon verwirkt.

 

„Ich habe Angst“, sagte er jetzt. „Verfluchte Angst. Aber ich verspreche dir, es geht vorbei. Ich werde nie wieder in deinem Weg sein. Es wird nichts weiter geben als das.“ Er suchte ihren Blick. „Bitte“, fügte er hinzu.

 

„Du musst nichts aufgeben, Malfoy. Du denkst doch wohl nicht wirklich, dass ich es soweit kommen lasse?“ Ihre Stimme klang kalt. Ungerührt.

 

„Ich dachte mir nur, es wäre leichter für dich, wenn ich dir die Wahl lasse, zuzugeben, dass du es selber willst. Natürlich gibt es andere Wege.“ Sie sah ihn ungläubig an. Drohte er ihr?


„Was willst du damit sagen?“

 

Er kam näher, ohne den Blick von ihr zu nehmen, schloss den Abstand und sie wich an die Wand hinter sich zurück. Er stützte die Hand neben ihrem Gesicht ab und seine Lippen berührten schon fast ihren Mund als er sprach.

„Muss ich wirklich sagen, was ich damit meine, Granger?“, fragte er, die Stimme so rau, so tief, so voller Hunger und Verlangen, dass ihr der Atem stockte.

 

Zwar wusste sie, dass sie felsenfest überzeugt war, ihn niemals wieder so nahe kommen zu lassen, aber ihr Körper war von ihrem festen Willen gänzlich unbeeindruckt geblieben. Sie reagierte, wie eben eine siebzehnjährige auf solche Avancen reagierte. Und sie hasste sich dafür. Sie fühlte sich verraten. Er raubte ihr all ihre Glaubwürdigkeit, nur weil er sich überlegen fühlte!

 

Sie zwang eine unbeteiligte Miene auf ihre Züge.


„Wir kommen zu spät“, stellte sie nüchtern fest. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem schönen Lächeln. Er blieb unbewegt. Sie schob ihn zur Seite, in dem sie beide Hände vor seine Brust stemmte. Er schlang seinen Arm um ihre Hüfte und sie machte einen überraschten Laut.

 

Sie war eng an ihn gepresst, sie spürte sein Herz unter ihren Händen schlagen, spürte seine Muskeln an ihrem Körper und sie fühlte seine Erektion so deutlich, dass sie sie sogar an ihrem Bein pulsieren spürte. Völlig überrumpelt hob sich ihr Blick zu seinen Augen, die vor Verlangen dunkel waren.

 

„Keine Angst, Granger, ich halte dich nur“, erklärte er und er gab sich keine Mühe seine Erregtheit zurückzuhalten. „Und jetzt erzähl mir noch mal, dass du es nicht so weit kommen lassen wirst. Sag es noch einmal“, forderte er ruhig.

 

Und so sehr sie es wollte, so sehr sie wollte, dass er sie in seinen Armen hielt, dass er sie so ansah, genauso sehr schrie ihr Verstand, dass er, sobald er es bekommen hatte, was er wollte, er sie niemals wieder so ansehen würde.

Und wenn er auch sagen konnte, dass er danach befreit wäre von seiner Faszination, so genau wusste sie, dass ihr Fluch nicht gelöst sein würde.

 

Es schmerzte sie. Sie versuchte sich einzuprägen, wie sich das Gefühl von Macht über Draco Malfoy anfühlte. Sie wollte es nicht vergessen. Sie hob ihre Hand zaghaft zu seiner Wange. Ihre Finger strichen über seine Haut.

Sie spürte, wie er die Luft anhielt. Sie wusste, er hatte nicht damit gerechnet, wusste, dass er seine Kontrolle verlieren würde, sobald sie ihn berührte. Dieses Gefühl war so unbeschreiblich und groß in ihrem Innern, dass es viel zu gefährlich wäre, es zu behalten.

 

Seine Augen weiteten sich für einen Moment. „Lass mich los“, sagte sie ruhig. „Du bist doch der Überlegene. Also, lass mich los.“ Seine Haut war weich unter ihren Finger, wie Samt. Ihre Hand fuhr über seinen Nacken und griff dann in den Stoff der schwarzen Weste über seiner Brust, und sie zog ihn näher zu sich. „Oder kannst du das nicht?“ Ihre Stimme klang nicht mehr so sicher, wie sie es wollte. Sie war nicht gut in diesem Spiel. Er schien es aber nicht mehr zu merken. Alles, was ihn ausmachte, verschwand aus seinem Gesicht und er ergab sich.

 

„Küss mich, Granger“, bat er mit geschlossenen Augen. Sein Atem ging heftig und schnell. Seine Stimme kratzte rau an ihrer Entschlossenheit. Seine Körperwärme hüllte sie ein.

Sie war zu weit gegangen. Viel zu weit. Tränen füllten ihre Augen erneut. Sie durfte nicht! Und sie wollte es gar nicht. Sie durfte es einfach nicht wollen!

 

„Nein“, flüsterte sie so leise, dass sie es selber kaum verstehen konnte.

 

Es verging eine Sekunde. Sie war endlos.

 

Dann öffneten sich seine Augen. Seine Hände fielen von ihr ab. Seine Wärme verschwand mit einem Schlag und er fuhr sich durch die Haare.

Sie hatte gewonnen! Sie hatte das erste Mal gewonnen.

Und würde sie noch eine Sekunde bleiben, würde sie sich den Sieg nehmen, sie würde seine Arme wieder um sich legen und ihm geben, was er wollte.

 

Deswegen wollte sie gar nicht sehen, wie er sie ansah und wandte sich ab und schritt zügig zu Dumbledores Büro. Sie wusste nicht, ob er ihr folgte.

 

 

Teil 15

 

Er hatte sie eingeholt, als sich Dumbledores Tür schon fast geschlossen hatte. Seine Erektion war noch nicht abgeklungen und er wünschte sich, er hätte einen Umhang übergezogen. Er hatte ihr Vorsprung gelassen, hatte sich zurückgehalten, hatte mit sich kämpfen müssen, hatte gegen seinen Willen gehandelt und sie gewähren gelassen.

 

Dann hatte er seine Faust gegen die Wand geschlagen. Sie pochte jetzt und er ballte die Hand zur Faust. Der Schmerz hatte den Nebel gelichtet. Wenigstens etwas. Er hielt die Tür mit der anderen Hand auf, begrüßte Dumbledore knapp und setzte sich auf den Stuhl neben sie.

 

Sie sah nicht halb so aufgewühlt aus, wie er sich fühlte. Die Spannung hing schwer in der Luft. Sie hatte den Blick von ihm abgewandt. Sie saß gerade auf dem Stuhl, sein Blick glitt über ihren Busen. Ihre Brust hob und senkte sich unter jedem kurzen Atemzug. Ihre Unterschenkel blitzten unter der Rockkante hervor, ehe die Strümpfe begannen und er würde sie am liebsten hier und jetzt berühren.

 

Er war schon weit über den Punkt hinaus, an dem er solche Sachen bereute, wie, dass er sie bat, ihn zu küssen. Es war einfach notwendig gewesen, dass er diese Worte gesagt hatte! Es wäre noch viel notwendiger gewesen, dass sie es getan hätte!

 

„Danke, dass Sie beide gekommen sind.“ Es war ihm schon völlig schleierhaft, weshalb sie hier waren. „Vielleicht hatten Sie schon Gelegenheit über das Anliegen zu sprechen? Draco, wissen Sie um was es geht?“

 

Er musste sich zwingen. Sein Puls raste, sein Körper war heiß und er war ungeduldig vor Verlangen. Er musste sie berühren! Er musste!

 

„Ja, Sir“, sagte er bemüht um eine gleichgültige Stimme. Er wusste nicht, ob es ihm gelang. Er betrachtete ihr Gesicht. Sie musste den Blick nach vorne zwingen. Er wusste, sie wollte ihn ansehen. Er wusste, sie wollte das genauso wie er! Er wusste, sie dachte auch nur an ihn, an seinen Körper, an all die Dinge, die er mit ihr anstellen würde!

 

„Was halten Sie davon?“

 

Er musste tief einatmen. Er musste Sauerstoff in sein Gehirn bringen. Er wollte Dumbledore am liebsten anschreien, wollte sie aus dem Stuhl ziehen und sie küssen, ihre Lippen verschlingen und ihre Ablehnung spüren, die sich dann verwandeln würde. Wie sie es immer tat!

 

„Ich finde, es ist unnötig, dass Gran… dass Hermine ihren Posten aufgibt, Sir.“ Er schmeckte seltsam. Ihr Name in seinem Mund. Aber wenn sie es konnte, dann konnte er es auch. Es war nur ein Name. Nur ein Name. Ihr Name. Jetzt hatte sie ihn angesehen. Mehr unbewusst. Und er sah, dass sie sich wünschte, es nicht getan zu haben. Sie wurde rot. So herrlich rot unter seinem Blick.

 

„Konnten Sie Ihre Differenzen beilegen?“, erkundigte sich der Mann und Draco zwang den Blick nach vorne. Dumbledore musterte ihn prüfend.

 

„Nein, Sir. Das ist nicht der Fall“, gab er ehrlich zu. „Aber… diese Differenzen haben noch niemals die Pflichten unserer Stellung beeinträchtigt“, fügte er hinzu und dankte seiner Eloquenz dafür, noch halbwegs gebildete Worte auszuspucken.

 

„Sie glauben also, Miss Granger übertreibt, Draco?“ Er erkannte die Fangfrage.

 

„Ich glaube… wir können daran arbeiten.“ Oh ja. Er würde daran arbeiten. Er würde an ihr arbeiten! Sie war einfach nur… Sie wollte ihn einfach nur quälen, das war alles!

 

„Hermine, denken Sie, dass Mr Malfoy richtig liegt? Ich fände es nämlich schade, wenn Sie den Posten wirklich aufgeben wollten.“ Er sah sie schlucken, sah, wie sie ihre Hände in ihrem Schoss nicht ruhig halten konnte.

 

„Es hat nichts mit Malfoy zu tun.“ Nein, es hatte damit zu tun, dass sie ein verklemmtes Miststück war!

 

„Nehmen Ihre Pflichten Sie so sehr in Anspruch? Und Sie müssen wirklich nicht lügen, oder muss sie das, Draco?“ Es war ihm schon völlig klar, dass Dumbledore ihm die Schuld geben wollte. Sollte er ihn ruhig von der Schule werfen, sollte er ihn verfluchen, solange sie ihn nur wieder ansah. Solange er nur so schnell wie möglich unter ihrer Berührung verbrennen konnte… Sie hatte ihn berührt. Sie hatte es gewollt!

 

Und es war unglaublich gewesen. Er war es immer, der alles zwang. Er war es, der alles unter Kontrolle hatte. Und sie erlaubte sich diese kleine Geste, und er war noch schneller verbrannt, als er es tat, wenn er sie berührte!

 

„Sir, wenn…“ Er musste schluckten, musste sich beruhigen. „Wenn sie sich unwohl fühlt, weil ich den anderen Posten belege, dann bin ich bereit, dieser Pflicht zu entsagen. Sie… soll sich nicht durch mich gezwungen fühlen, ihre Stellung aufzu-“

 

„Es geht überhaupt nicht um dich!“, zischte sie jetzt und konnte sich wohl nicht mehr zurückhalten. Er hätte ihr gerne widersprochen, hätte gerne erwidert, dass nur ihre verfluchte Scham und Unwilligkeit dazu geführt hatte, dass sie so einen dämlichen Brief hatte schreiben müssen! Aber er fing sich.

 

„Dann gibt es auch nichts, was wir nicht lösen könnten, richtig?“, erkundigte er sich und sog ihren Anblick auf. Sie wandte den Blick hastig nach vorne.

 

„Sie würden Ihre Position aufgeben, Draco?“, fragte Dumbledore jetzt nach und über seine Brille hinweg betrachtete er ihn eingehend.

 

„Ja, Sir“, erwiderte er nach kurzem Überlegen. Ja, würde er.

 

„Das ist ziemlich großzügig von Ihnen.“

 

„Nein“, sagte er darauf und verzog den Mund. „Ich sehe es nur nicht ein, dass sie daraus ein so großes Problem macht. Und… sie ist wahrscheinlich ein besserer Schulsprecher als ich, also…“ Er machte eine eindeutige Handbewegung.

 

„Hermine, denken Sie, Sie können es sich noch einmal überlegen, wo sich doch Mr Malfoy zu einer so offenen Verhandlung bereit erklärt?“ Wieder traf ihn ihr Blick. Er genoss es zu sehr. Sie konnte ihren Atem nur schwer kontrollieren und er sah ihr an, dass sie am liebsten schreien wollte.


„Ich werde es mir überlegen, aber wenn ich wirklich beschließen sollte, meine Stelle aufzugeben, dann möchte ich es gerne tun, ohne dass Sie glauben, es hätte etwas mit Malfoy zu tun, Sir.“ Ihm fiel auf dass sie ihn vor anderen nicht beim Vornamen nannte. Er hatte ihren Vornamen noch nie nur zu ihr gesagt.

 

Es war seltsam verquer in ihrer Welt.

 

„Gut, wenn Sie wirklich darüber nachgedacht haben, werde ich Ihre Entscheidung nicht mehr in Frage stellen. Alles läuft also nach Plan mit dem Ball? Sie nehmen beide teil?“, fuhr er jetzt fort. Und sie nickten beide. Granger widerwillig, genau wie er auch.

 

„Ausgezeichnet. Dann danke ich Ihnen für Ihre Zeit und hoffe, wir müssen dieses Problem nicht ein weiteres Mal besprechen.“ Kurz glaubte er, ihn zwinkern zu sehen. Er könnte sich aber auch irren. Sie erhoben sich fast gleichzeitig. Sie würde vor ihm weglaufen wollen. Entweder das, oder sie würde ihn fertig machen. Beides war möglich.

 

Sie verließen das Büro. Er ließ ihr den Vortritt, denn anscheinend gehörte sich das so. Stumm betraten sie die Wendeltreppe und warteten, bis sie durch den Torbogen traten und die Lehrerräume hinter sich gelassen hatten. Jedenfalls nahm er an, dass es darum ging. Granger war so ein Streber.

 

Im nächsten Flur wandte sie sich plötzlich so zornig um, dass er überrascht inne hielt. „Du bist ein verfluchter Mistkerl! Wolltest du Dumbledore etwa auf die Nase binden dass wir…“ Sie unterbrach sich selbst und schüttelte zornig den Kopf.

„Wenn ich kein Schulsprecher mehr sein möchte, dann wirst du dich zur Hölle noch mal da raushalten, hast du verstanden, Malfoy?“

 

Er schwieg. Er würde sie reden lassen. Was sollte er sagen? Dass ihm selten etwas so egal war, wie dass sie Schulsprecher war oder eben zur Hölle noch mal nicht? Dass sie so viel schreien konnte, wie sie wollte?

Er wollte sie ansehen, er genoss, dass sie ihm Beachtung schenkte, wenn auch nur negative. Er genoss, dass er hier mit hier sein konnte, ohne Potter, ohne Weasley, ohne irgendwelche Hürden.

 

Er genoss ihre tödlichen Blicke, ihre Zerrissenheit, er genoss es, dass er kaum noch an sich halten konnte, obwohl er schon hundert Mädchen gehabt hatte. Er genoss jede ihrer Bewegungen. Er musste nicht sprechen. Solange sie sprach musste er es nicht tun. Es reichte, wenn einer von ihnen ein Gespräch führte. Es war kaum wirklich ein Gespräch. Es war eher… ein Vorspiel. Ein endloses, vielleicht. Aber das war unwichtig.

 

„Sag doch was! Hörst du mir überhaupt zu? Ist es dir völlig egal, Malfoy?“, schrie sie jetzt und wischte sich zornig über die Wange. Sie weinte. Das tat sie oft. Und das war das einzige, was die Gespräche - was das Vorspiel - so bitter für ihn machte.

 

„Du weinst“, stellte er also grimmig fest.

 

„Was?“, schrie sie ihm entgegen und schüttelte unwirsch den Kopf. „Ich will nicht mehr streiten!“

 

„Gut. Dann lass uns nicht mehr streiten“, sagte er nur. Er konnte leider nichts anderes antworten. Sein Körper stand immer noch in Flammen.

 

„Malfoy, bitte“, brachte sie gepresst hervor.

 

„Malfoy bitte, was?“, wiederholte er ruhig. „Warst du nicht schon längst bei meinem Vornamen?“, fragte er glatt und sie schnaubte auf.


„Nein“, erwiderte sie müde.

 

„Nein? Ich war mir ziemlich sicher, dass du ihn gesagt hast, Granger.“

 

„Hör auf“, befahl sie jetzt.


„Womit?“

 

„Hör einfach auf, verflucht!“

 

„Ich habe nichts-“

 

„Du hast nichts getan? Wirklich nicht? Sieh dich doch an!“ Sie raufte sich die Haare. Ihr Zopf fiel langsam auseinander. Es gefiel ihm. Wenn er in der Nähe war, vergaß sie alles um sich herum. „Sieh uns doch an!“, korrigierte sie sich verzweifelt. „Du sagst, du kannst nicht mehr und deshalb erwartest du von mir, dass ich gegen mein besseres Wissen handele?“

 

Ja, das erwartete er.

 

„Wieso willst du mich kaputt machen, Malfoy? Wieso?“ Sie weinte wieder.

 

„Was? Das will ich nicht. Ich will…“


„Nein, Malfoy, dein einziges Ziel ist es seit Jahren, mir zu zeigen, wie weit ich unter dir stehe!“ Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und er konnte nicht anders, als näher zu kommen. Er konnte einfach nicht anders!

 

„Wieso ist all das jetzt wichtig? Es geht nicht um Blut, um Status um irgend so was, Granger!“, knurrte er jetzt ungeduldig.


„Was?“

 

Ja. Er redete Unsinn. Es ging immer um Blut. Er wollte sie nur, um… er wusste nicht mehr, was er ihr antun wollte, wusste nicht mehr, warum es so wichtig war, sie zu bekommen. Sein Kopf schmerzte. Sein ganzer verfluchter Körper schmerzte, verlangte nach ihr. Wieso gab sie es ihm nicht einfach? Wieso waren alle Hintergründe immer so absolut wichtig? Wieso, zum Teufel? Wieso konnte sie sich nicht einfach fallen lassen? Wieso nicht?

 

„Es ist unwichtig! Es ist mir gleichgültig, verflucht!“ Er atmete schwer. „Sieh mich an!“, schrie er. „Sehe ich aus, als ob es mir wichtig ist, wer du bist oder wer ich bin? Hör auf zu denken, Granger! Hör auf zu denken und akzeptier es einfach!“

 

„Oh ja, ich soll aufhören zu denken! Damit wir beide Idioten sind? Und was soll ich akzeptieren? Dass du ein Arschloch bist?“

 

„Du sollst akzeptieren, dass du mich willst“, sagte er ruhig. „Nichts weiter.“

 

„Ich will dich nicht.“

 

Sie log.

 

„Du lügst“, erwiderte er.

 

„Nein, ich lüge nicht.“

 

Doch, tat sie.

 

„Ich bin ein Schlammblut, Malfoy!“, rief sie jetzt. Und er verdrehte tatsächlich die Augen. Dann zwang er sich zu einer Antwort.

 

„Ich weiß.“ Sie sah voller Hass zu ihm auf. „Aber das ist mir egal. Wie findest du das, Granger?“, fügte er hinzu.

 

„Ich kann nicht mehr, Malfoy“, erwiderte sie müde.

 

„Gut.“

 

„Nein. Geh einfach, bitte.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Bitte, geh.“

 

„Ich kann nicht gehen“, erklärte er leise. Würde er auch nicht! Weiß der Teufel, wann er sie noch mal alleine erwischen würde!

 

„Gut, dann gehe ich“, schloss sie schwer.


„Merlin, verflucht, was willst du denn von mir? Was soll ich tun, Granger?“

 

Sie wandte sich um. „Du sollst gar nichts tun, Malfoy!“

 

„Sag mir einfach, was ich tun soll!“ Er hatte ihren Oberarm umfangen, dass sie nicht mehr weglaufen konnte. Er hasste es, wenn sie vor ihm davon lief. Er hasste es!

 

„Lass mich einfach in Ruhe.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will das jetzt nicht mehr diskutieren. Es endet immer gleich!“

 

„Wenn es sowieso immer gleich endet, wieso machst du dir dann den ganzen Aufwand und streitest es ab, Granger? Was brauchst du denn? Was soll ich sagen, was soll ich tun?“ Er wusste es nicht. Er wollte, dass sie es wollte. Nicht, dass sie sich wehrte! Denn er verstand nicht, warum sie es sich selber so schwer machen musste.

 

„Du sollst mich in Frieden lassen! Du sollst das tun, was du sowieso tun würdest, wenn ich dir tatsächlich erlaube…“ Sie klappte den Mund wieder zu. Für einen Moment hatte er den Punkt begriffen. Für einen Moment hatte er verstanden…-

Dann war der Moment wieder fort.

 

„Granger, wieso hast du Angst vor mir?“


„Ich habe keine Angst vor-“

 

Er schloss ungeduldig die Augen.

 

„Ich will, dass du es fühlst, dass du dich nicht mehr wehren kannst, dass du einfach genau dasselbe willst! Hör auf, alles zu kontrollieren. Du kannst das hier nicht kontrollieren. Ich sterbe, wenn ich dich nicht berühren kann!“ Worte sprudelten hervor, rollten über seine Zunge, verließen seinen Mund, ohne, dass er es verhindern konnte.

 

Und er sah es. Sah, wie sie seine Worte in sich aufnahm, wie sie verstand, wie sie unsicher wurde, unter seinem Blick. Ihr Wille schwand. Noch nie hatte es ihn so viel Überwindung gekostet. Er war völlig leer. Er stand vor ihr völlig leer. Er hatte sich geirrt. Sie erforderte viel Mühe. Sie brachte ihn bis zum Ende. Er konnte kaum noch denken. Er wollte nicht mal mehr denken.

 

„Ich werde niemals akzeptieren, dass du deinen Bruder schlecht behandelst“, erwiderte sie ruhig. Sein Mund öffnete sich entgeistert. Sein Bruder? Was…?

„Und ich weiß, du denkst, du könntest mich damit zerbrechen, aber das kannst du nicht.“ Noch ein weiterer Satz, der keinen Sinn ergab. „Und wenn du mich benutzt, um an Harry ran zu kommen, dann-“

 

Er hatte ihr den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, ehe sie weiter sprechen konnte. Fast hatte er das Gefühl, als lehnte sie sich gegen seine Haut. Es war unbeschreiblich.

 

„Potter ist mir verflucht egal. Es ist mir alles egal!“ Seine Stimme wurde unbeherrschter. Er erinnerte sich wieder an ihre Worte. Und wieder bekam er von ihr nur Worte, die böse waren. Sie sollte ihn zum Teufel noch mal vergöttern, nicht verabscheuen. Alles andere war ihm egal. Nur das nicht! Und er sah die nächste Träne auf ihre Wange fallen. Und dieses Mal lehnte er sich vor und küsste sie fort.

 

Er verharrte über ihrer Wange. Seine Lippen wanderten tiefer, tiefer zu ihrem Ohr. Sanft küsste er diese Stelle und ihre Luft entwich stoßweise aus ihrem Mund. Dann küsste er ihren Hals. Ihre Haut war so weich, duftete verführerisch und seine Lippen fuhren über ihre Kinnlinie, wollten alles spüren. Dann küsste er ihren Mundwinkel. Ihre Lippen waren geöffnet und er spürte, wie sie nach Luft schnappte.

 

Dieser Moment. Er war absolut perfekt.

Sie verhielt sich, als würde sie Dinge empfinden, die sie noch nie zuvor empfunden hatte, als wäre er in der Lage…

Sachte zog er den Kopf zurück. Er wusste, er begab sich auf Glatteis. Er riskierte, dass sie ihn von sich stieß. Jetzt würde sie ihn gewähren lassen! Er hatte die Erlaubnis. Aber er musste fragen. Er konnte plötzlich gar nicht mehr anders.

 

„Du… bist keine Jungfrau, oder?“ Er flüsterte, denn er wollte die Antwort gar nicht wissen. Oh Gott, bitte lass sie keine Jungfrau sein! Bitte nicht. Es war ihm egal, ob Weasley sich an ihr vergriffen hatte, oder Potter oder der dämliche Quidditchspieler Krum. Selbst Longbottom hätte sie schon haben können und es war ihm jetzt gerade egal.

 

Ihr Blick traf seinen.

 

Merlin, verflucht. Er wäre der Erste. Und sie ließ es zu! „Deswegen wehrst du dich so“, fügte er noch leiser hinzu.

 

Und genau jetzt hatte er Mist gebaut. Hart stieß sie ihm vor die Brust und ihre Hand kam schneller als er reagieren konnte. Hart knallte sie in sein Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite und er wich fluchend einen Schritt zurück.

 

„Malfoy, ich wehre mich, weil du ein scheiß Todesser bist!“, schrie sie so laut, dass sie bald bestimmt neugierige Gesellschaft bekommen würden. „Ich wehre mich, weil du mich nur willst, damit du dein Gewissen beruhigen kannst!“

 

Er wollte ihre Worte nicht begreifen. Er wollte nicht.

 

„Ich wehre mich, weil ich zu schwach bin. Aber vielleicht denkst du jetzt wieder normal. Ich bin Jungfrau, Malfoy. Bist du so krank und dachtest wirklich, dass Harry mich gevögelt hätte? Oder Ron? Oder beide gleichzeitig?“ Sie wurde noch wütender. „Hat dich das angeturnt? In deinem widerlichen, kranken Kopf? War es das, was dich so fasziniert hat? Dass das Schlammblut wirklich schmutzig sein könnte?“

 

Ihre Worte… Gott, wie sie diese Worte sagte.

 

„Wird dir jetzt klar, dass es Vergewaltigung wäre, würdest mich dazu zwingen? Begreifst du es jetzt?“, schrie sie und strich die nächsten Tränen achtlos fort.

„Was ist? Bin ich in deinen Träumen eine Hure, wie Pansy? Ist es das, was du dir vorgestellt hast?“

 

Er hatte sich gar nichts vorgestellt. Es war ihm eigentlich vollkommen gleichgültig, ob sie Jungfrau war oder eben nicht. In seinen Träumen war sie nicht erfahren oder schmutzig. Sie war einfach… Granger.

Er wollte sie immer noch. Nur jetzt begriff er... Würde er es tun, würde er… dann würde er es noch weniger ertragen können.

Sie würde ihn noch mehr hassen und plötzlich wurde ihm klar – er wollte nicht, dass sie ihn hasste.

 

Er wusste, würde er sie einmal haben – und er wäre auch noch der erste – dann würde er sie noch mal haben wollen. Aber das konnte er nicht sagen!

Er wusste nicht, weshalb er plötzlich so sicher war, aber… es war ein Gefühl, so sicher und fest, dass er nicht wagte, es näher zu ergründen.


„Du hast Recht“, sagte er deshalb trocken. Es fiel ihm schwer. So endlos, unsagbar schwer. Aber es würde sie weniger verletzten, als alles andere. In seinem Kopf passierte folgendes: Er sagte ihr, dass es egal sei, dass alles egal sei, dass er Potter und Weasley einfach umbringen würde. Er würde sie als erster haben und er würde sie danach haben. Und danach. Niemand sonst würde sie jemals haben, nur er!

Sie würde nur ihn wollen, denn sie wollte ihn ja jetzt schon. Sie hätten den besten Sex der ganzen verfluchten Welt, und auch wenn es unmöglich war, würde das für immer so bleiben!

 

Jetzt, hier in Wirklichkeit, auf diesem Flur passierte etwas anderes.

 

„Wir sind hier fertig“, fügte er kalt und so herablassend hinzu, als würde er gerade mit Pansy sprechen, nachdem sie jeden Tropfen seiner Wichse geschluckt hatte.

 

Grangers Mund öffnete sich. Und schloss sich nach einem Augenblick wieder. Ihre Unterlippe bebte, aber er wandte den Blick ab. Er konnte nicht ertragen, sie nicht anzufassen! Er konnte nicht ertragen, ihre Haut nicht mehr zu spüren.

 

Und dann ging sie. Ohne ein weiteres Wort. Eilig lief sie den Flur hinunter, bog um die nächste Ecke und war verschwunden. Es war still auf dem Flur. Nur zwei Bilder hingen in diesem Gang, beide zeigten Landschaften bei Regen.

Er ließ seinen Rücken gegen die Wand fallen und sank daran zu Boden.

Dann vergrub er seinen Kopf in seinen Händen.

 

Er fühlte sich so elend.

Und das erste Mal in seinem Leben fühlte er sich allein. Das erste Mal glaubte er, zu begreifen, warum sich Granger so gegen ihn gewehrt hatte. Da war nichts Gutes in ihm. Das einzig Gute, dass er in all den Jahren erlebt hatte, hatte er gerade eben mit nur ein paar Worten verloren. Und er würde es nicht zurück bekommen.

 

Er schloss die Augen und zwang sich, an gar nichts zu denken. All die Jahre hatte er es versucht, hatte alles dran gesetzt, um genauso zu sein. Und jetzt hatte er es tatsächlich geschafft. Er war Lucius geworden.

Und es bereitete ihm Übelkeit.

 

 

Teil 16

 

„Eine Extraarbeit?“ Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. Sie schenkte ihm nur ein flüchtiges Lächeln.

 

„Ja, ich dachte, es würde nicht schaden und ich nehme an, niemand sonst hat sich um eine Extraarbeit bemüht, Sir?“ Snape sog langsam die Luft durch die Nase.

 

„Nein, niemand hat eine Extraarbeit abgegeben, Ms Granger.“ Sie schulterte ihre Tasche neu und nickte schließlich.

 

„Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit dafür nehmen, Professor.“ Dann verschwand sie. Jetzt hatte sie McGonagall, Snape und Professor Vektor schon eine Arbeit zukommen lassen.

 

Drei Tage hatte sie jetzt durchgeschrieben, hatte so viele Bücher durchsucht, so viel gelernt und kaum geschlafen, dass sie es in ihrem Kopf schon summen hörte. Ihr Körper war schwer und müde. Aber sie konnte jetzt nicht schlafen und aufhören, Dinge zu tun.

 

Sie konnte nicht, denn dann fing sie nur an nachzudenken. Sie würde sich Fragen stellen, die sinnlos waren und sie würde sich solange hin und her wälzen, dass nichts mehr Sinn in ihrem Kopf ergab. Dann würde sie sich sogar im Spiegel ansehen, sie würde sich wieder und wieder fragen, was falsch an ihr war, was nicht schön genug an ihr war, und dass sie nichts daran ändern konnte.

 

Und deswegen ließ sie es nicht zu. Sie hatte nicht geweint, kaum geschlafen, hatte gelernt, gearbeitet und ihre Pflichten erfüllt. Sie teilte Strafarbeiten aus, sie führte die Aufsicht, sie unterstützte Ginny in ihren Plänen, Harry wieder in einen Menschen zu verwandeln, sie machte Ron Komplimente, damit er das nächste Spiel überstand.

 

Und das war es, was sie auch die letzten sechs Jahre über getan hatte.

Sie lernte, sie half Menschen.

 

Auf diese beiden Dinge, ließ sich ihr Leben reduzieren. Und es reichte vollkommen aus.

 

Sie durchquerte die Flure, ohne auf irgendwen zu achten, ohne irgendwem Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Schritte wurden erst langsamer, als sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatte. Sie sprach eilig das Passwort, schlüpfte durch das Portrait und sah Harry auf der Couch. Ginny war nicht bei ihm. Sie wartete tatsächlich bis morgen, ehe sie einen Schritt wagen würde.

 

Sie ließ sich neben Harry auf der Couch nieder und holte ihr Buch für Verwandlung raus. Es gab da noch einen Abschnitt, mit dem sie sich nicht ausführlich beschäftigt hatte.

 

„Alles ok?“ Seine Stimme klang vorsichtig, bemüht höflich zu sein. Sie sah nicht auf, als sie antwortete.

 

„Sicher“, gab sie zurück, zückte die Feder und las mit der Zungenspitze zwischen den Lippen weiter, ehe sie einen Satz unterstrich, den sie vorhatte auswendig zu lernen.

 

„Du… siehst müde aus“, bemerkte er jetzt.

 

„Unsinn“, gab sie zurück und lächelte kurz.

 

„Sag mal… willst du über irgendwas reden?“ Sie hob kurz den Blick, zuckte die Achseln und las weiter.

 

„Keine Ahnung. Ich denke nicht. Du?“, fragte sie, ohne wirklich zuzuhören und entdeckte den nächsten wichtigen Satz, der McGonagall wohl gefallen würde.

 

„Nein, ich nicht. Hermine?“ Sie hob wieder kurz den Blick.

 

„Ja, Harry?“

 

„Was ist passiert?“, fragte er und sah zum ersten Mal seit einer Ewigkeit aus, wie Harry.

 

„Was? Wann? Ich war gerade eben bei Snape und habe den Aufsatz abgegeben und dann bin ich hier hin gekommen“, erklärte sie verwirrt. „Was soll passiert sein?“

 

„Wieso bist du so…?“ Anscheinend fiel ihm kein passendes Wort ein.

 

„Harry, bald kommen die Prüfungen. Ich hätte schon eher mit Lernen anfangen müssen.“

 

„Hermine, ich kenne dich wenn du lernst. Und das, was du tust, das ist nicht lernen, das ist wahnsinnig. Du hast noch niemals nächtelang durchgeschrieben, hast Extraarbeiten gemacht. Was ist passiert? Hat Mal-“

 

Sie hatte sich übergangslos erhoben, legte ein Stück Pergament in ihr Buch und steckte es zurück in die Tasche.

 

„Können wir heute Abend weiter reden? Ich muss Ginny schon in einer Viertelstunde in der Halle treffen. Wir kaufen doch heute ein Kleid in Hogsmeade. Also, ich hab meinen Kopf heute wirklich woanders.“ Sie schenkte ihm ein letztes Lächeln. „Wir reden später, ok?“, versprach sie und betete, dass er ihre Worte glaubte, dass er keinen Unterschied bemerkte.

 

Er nickte nur verwirrt. „Ok, dann heute Abend. Viel… Spaß?“, fügte er etwas unsicher hinzu.

 

„Oh, danke. Nett von dir. Bis später.“

 

Sie verließ den Gemeinschaftsraum wieder. Sie hatte gelogen. Sie hatte noch eine Stunde, ehe sie mit Ginny los musste. Sie würde in die Bibliothek gehen. Da konnte sie wenigstens in Ruhe lernen.

Sie lief wieder eilig durch die Gänge. Vor der Bibliothek warf sie einen Blick aus dem großen Fenster runter auf Ländereien. Dort entdeckte sie tatsächlich Ron und Lavender, wie sie über die Wiesen spazieren gingen.

 

Heute war ein relativ warmer Tag gewesen. Sie waren nicht die einzigen.

Und sie sah ihn. Sie war sich sicher, dass er es war. Eine einsame Gestalt lief Runden auf dem Quidditchfeld, mit silbrig blonden Haaren.

In ihrem Innern wurde es taub. Sie wandte den Blick ab und setzte geschäftig ihren Weg fort.

 

In der Bibliothek war es ruhig. Madame Pince begrüßte sie stumm und verschwand in ihrem Büro. Sie hatte die Bibliothek für sich. Das mochte sie am liebsten. Bevor sich ihre Gedanken noch beruhigen konnten und sie an etwas anderes dachte als ihre Arbeit, griff sie sich einen ganzen Haufen an Büchern aus den Regalen. Nicht nur für Verwandlung, aber auch für Zauberkunst und Zaubertränke. Es waren schließlich die wichtigsten Fächer, neben Verteidigung, aber Harry hatte ihr schon erklärt, für Verteidigung sollte man sich nicht auf Bücher verlassen.

 

Für Verteidigung würde sie bei Gelegenheit üben müssen. Am besten mit einem Partner. Vielleicht hatte Ginny ja Lust, oder sogar Harry selbst.

Ja, er schien ihr anders. Anders als sonst.

 

„Ich dachte, Ginny wartet auf dich.“ Sie erschrak zutiefst. Ihr rutschte sogar eines der Bücher aus der Hand. Gott, sie hatte wirklich Schlafmangel. Sie erschrak bei den kleinsten Dingen. Und vor allem konnte sie über keine simple Ausrede nachdenken. Harry setzte sich neben sie. Sein Ausdruck war ernst und besorgt.

 

„Ahem, ja… sie… äh… ich…“ Sag irgendwas. Egal, was. Sag, dass sie… Doch nicht mal ihr vertrauter Verstand kam auf eine gute Idee. „Sie… musste noch eine Kleinigkeit erledigen und ich hab gesagt, das wäre ok und deswegen… bin ich noch mal hier her gekommen und-“

 

„Ich habe sie gerade getroffen. Sie sagt, ihr trefft euch in einer Stunde.“ Sein Blick blieb auf ihrem Gesicht. Ihr Mund öffnete sich und sie lachte übertrieben auf.

 

„Ja, richtig… ich meinte ja, dass… Ginny und ich erst gleich dann… Bitte, sieh mich nicht so an“, fügte sie leise hinzu.

 

„Hermine, was ist los?“ Er legte seine Hand auf ihren Unterarm. „Bitte, sag mir, was los ist. Ich bitte dich.“

 

„Es ist gar nichts. Ich… bin nur müde“, erwiderte sie und fuhr sich über die Augen.

 

„Wieso schläfst du nicht?“

 

„Seltsame Sache, wirklich. Ich… kann im Moment nur schlecht einschlafen. Und deswegen nutze ich eben die Zeit“, entgegnete sie lapidar.

 

„Und die Wahrheit ist…?“ Sie hasste es, dass er sie durschauen konnte.

 

„Seit wann interessiert dich das Leben von irgendwem anders, Harry?“, gab sie wütend zurück.

 

„Was? Ich interessiere mich immer für dein Leben, Hermine.“

 

„Oh ja, wirklich?“ Sie musste sich zusammen reißen. Es bekam ihr nicht gut, nicht zu schlafen. Sie durfte ihre Laune jetzt nicht an ihm auslassen. „Tut mir leid. Ich bin im Moment einfach nur…“

 

„Vielleicht habe ich euch vernachlässigt, aber…“, rechtfertigte sich Harry plötzlich. „Aber gestern habe ich dir zugesehen und… du warst meilenweit entfernt, Hermine. Und… du sahst so traurig aus, und ich musste mich fragen, wann ich dich das letzte Mal so gesehen hatte. Und es war furchtbar, dich so zu sehen“, schloss er.

 

Plötzlich begann sie zu weinen. Einfach so. Tränen liefen aus ihren Augenwinkeln, als wäre ein Schalter umgelegt worden. „Hermine!“ Harry war aufgesprungen und zog sie einfach in seine Arme. Und sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schloss die Augen.

 

Seine Hand strich langsam über ihren Rücken. „Ok, ist doch alles ok!“, sagte er leise und hielt sie fest. Dann sagte er eine Weile gar nichts. Genauso wie sie.

Schweigend hielt er sie fest und strich über ihren Rücken.

 

Er fühlte sich an wie Harry, er roch wie Harry. Er war tatsächlich Harry. Der richtige Harry. Wo war er nur gewesen? Wo war er die ganze Zeit gewesen, als sie sich mit Ron hinter seinem Rücken Sorgen gemacht hatte? Als sie ihn heimlich als wahnsinnig abgestempelt hatte und Angst gehabt hatte, dass er sich nie wieder erholen würde?

 

Es vergingen Minuten. Minuten, in denen sich keiner bewegte.

Dann versiegten ihre Tränen langsam. Sie hätte noch Stunden so weiter heulen können, das wusste sie, aber sie durfte nicht. Es war nicht die richtige Zeit und bestimmt nicht das richtige Thema. Sie löste sich aus seiner Umarmung.

 

Seine Hand strich ihr die Tränen von der Wange. „Ich will nicht, dass du weinst“, informierte er sie jetzt. „Und ich will nicht, dass es um ihn geht, Hermine. Ich will es nicht!“, fügte er gepresster hinzu. Ihr Herz drohte einen gefährlichen Satz zu machen, ihre Augen drohten wieder in Tränen zu schwimmen, aber sie tat, was sie eben tun musste.

 

Sie tat, was sie tun musste, um ein sorgloses und für Harry fröhliches Gesicht zu wahren. Sie lachte. Sie lachte laut und frei, sie lachte, bis keine Träne mehr an die Oberfläche kommen konnte. „Wo bist du nur gewesen?“, fragte sie atemlos und hob ihre Mundwinkel zu einem Grinsen.

 

„Ich war hier“, erwiderte er und verdrehte die Augen. „Ich weiß, was du tust“, fügte er wissend hinzu und meinte damit ihre versuchtes Ablenkungsmanöver, aber er schien es ihr nicht übel zu nehmen.

 

„Das ist gut, Harry“, sagte sie und sie umarmte ihn noch mal. „Das heißt, du bist wieder normal?“ Jetzt lachte er.

 

„Ich mag dich auch“, entgegnete er leise. Ehe er wieder mit dem Thema anfangen konnte, dass sie nicht hören wollte, löste sie sich aus der Umarmung.

 

„Wegen Ginny…“, begann sie vorsichtig und er lächelte jetzt.

 

„Ich nehme mal an, dass du sie überredest mit mir zum Ball zu gehen?“ Sein Lächeln wurde charmant und sie legte sich die Hand über den Mund vor lauter Überraschung. Er war wieder Harry! Gott, wie hatte sie ihn vermisst. Sie konnte gar keine Worte dafür finden, wie sehr sie ihn gebraucht und vermisst hatte.

 

Sie nickte schließlich. „Gut, dann haben wir vierzig Minuten, ehe sie dir erzählen wird, was ich vorhin im Gemeinschaftsraum getan habe.“ Er hob eindeutig seine Augenbrauen und seine grünen Augen schienen zu leuchten. So, wie sie es niemals wieder von ihm erwartet hatte….

 

 

~*~

 

 

Sie gingen noch gemeinsam zur Halle, wo sie Ginny treffen würde. Diese hatte schon ziemlich aufgeregt Ausschau gehalten. Als sie Harry neben ihr erkannte, wurde sie plötzlich steif. Sie zauberte ein Lächeln auf ihre Züge und Harry erwiderte es mit einem Zwinkern.

 

„Wir sehen uns morgen“, sagte er zu Ginny. Dann wandte er sich an sie. „Und glaub nicht, dass ich vergessen habe, über was wir noch reden müssen.“ Er war plötzlich wieder ernst geworden.

 

„Harry, es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest.“ Sie fühlte sich sogar schon besser. Sie fühlte sich nicht mehr vollständig verloren.

Nein. Sie hatte ja Harry wieder.

 

„Hermine, Hermine!“, zischte Ginny, als Harry aus ihrer Sicht verschwunden war. „Er hat mich geküsst. Du glaubst ja gar nicht, wie er mich geküsst hat!“, flüsterte sie verschwörerisch und ihre Wangen flammten auf. Hermine konnte nicht anders, als sich für ihre Freundin zu freuen.

 

Sie verließen das Schloss und liefen den Weg nach unten, an spazierenden Schülern vorbei und alles wirkte beinahe so lustig und vertraut wie früher.

„Zuerst dachte ich, mich trifft der Schlag!“, fuhr Ginny in ihrer Geschichte fort.

„Ich hatte ja niemals damit gerechnet, also natürlich hatte ich geplant, dass alles wieder so wird, aber eigentlich ja erst morgen. Und dann hatte ich nicht damit gerechnet, dass es schnell wieder so werden würde, weißt du? Ich meine…“

 

Für Hermine verschwand Ginnys Stimme für einen kurzen Moment.

 

Die Zeit schien zäher zu werden. Sekunden schienen zu verschmelzen, zogen sich ewig lange hin. Sie erkannte ihn, als er keine zwanzig Meter von ihnen entfernt war. Sein Atem ging laut, als seine Schritte auf dem Boden widerhallten. Er joggte wohl wieder hoch zum Schloss. Schweiß perlte in feinen Tropfen seinen Nacken hinab. Seine hellen Haare wurden vom Wind in seine Stirn geweht, er wischte sie unwirsch weg, als er fast auf ihrer Höhe war.

 

Ihr Herz fühlte sich so rau und leer an, als hätte es niemals einen sonnigen Tag erlebt. Alle Wärme war verschwunden und eine eisige Kälte erfasste ihren gesamten Körper. Sie fühlte sich unscheinbar, klein, hässlich und so unwichtig, dass sie am liebsten geschrieen hätte.

 

Und er sah sie nicht an. Nicht einmal aus den Augenwinkeln. Keine Sekunde lang, als hätte er sie nicht gesehen, noch nie gesehen, gar nicht gekannt.

Ihr Atem wollte nicht aus ihren Lungen weichen, wollte ihren Mund nicht verlassen.

 

Sein Duft war an ihr vorbeigezogen. So vertraut, so schwer hing er noch einen Moment in der warmen Frühlingsluft. Sie wandte den glasigen Blick wieder nach vorne. Ginny hatte nichts bemerkt, erzählte weiter von ihrem perfekten Kuss und Hermine zwang sich, Ginnys Stimme wieder einzublenden, zwang sich, sich von Ginnys Erlebnis begeistern zu lassen, bis sie endlich wieder vergessen hatte, wie sehr sein Duft ihr gefehlt hatte.

 

Teil 17

 

Die Kunst jemanden verletzten zu können, war nichts, was Draco für gewöhnlich in den Wind geschlagen hätte. Denn jemanden wirklich zerstören zu können, erforderte echte Intimität. Und hier hatte er alle Möglichkeiten offen.

Er verfügte jetzt über Informationen, die alleine schon völlig ausreichen sollten, dass er keine Sekunde länger über Granger und ihre seltsame Macht nachdenken sollte.

 

Sein Atem ging schwer, der Schweiß lief ihm über das Gesicht. Er wusste, wie ungesund es war, jeden Tag joggen zu gehen, aber es war das einzige, was seinen Verstand nur für einen Moment klären konnte, was ihn davon abhielt, wahnsinnig zu werden. Gestern Abend hatte er mit Pansy geschlafen und es lag ihm so schwer im Magen, wie eine Lebensmittelvergiftung.

Es hatte ihn Überwindung gekostet, zu ihr zu gehen, sich mehr oder weniger zu entschuldigen und ihre Lippen zu küssen, die keinerlei Reiz für ihn bargen.

 

Es hatte ihn noch mehr Überwindung gekostet, sich in ihr zu vergraben, sie wieder einmal zu besitzen und danach einzuschlafen, ohne zu schreien.

 

Jetzt hatte er sie gesehen. Seit drei Tagen hatte er sie nicht gesehen. Es war nicht weiter verwunderlich, denn sie hatte sich ja auch die gesamte Zeit vorher vor ihm versteckt, aber dieses Mal wusste er, dass, wenn er sie sehen würde, sich nichts verändern würde, denn dann würde sie auch nicht mit ihm reden.

 

Sie hatte ihn angesehen. Er hatte es gespürt, hatte es beinahe gesehen, aber er hatte sich nicht erlaubt, ihren Blick zu erwidern, denn hätte er es getan, dann wäre er womöglich noch stehen geblieben, hätte gesprochen, oder geschrien und hätte, weiß Merlin, was noch getan.

 

Es war ihm nichts anders übrig geblieben, als weiterzulaufen. Sie nicht anzusehen, war das schwerste gewesen, das er jemals versucht hatte. Es war schwer gewesen, sie nicht zu küssen, sie nicht zu berühren – aber sie nicht anzusehen! Das war das äußerste, das er seiner Seele zugemutet hatte. Seit einer Ewigkeit.

 

Und jetzt blieb ihm nichts anders, als zu akzeptieren, dass er sie nicht verletzten konnte. Nicht, weil er nicht wollte, nein! Er wollte das wirklich dringend denn sie war ja schließlich schuld, dass er sich aufführte, wie er sich eben aufführte. Als hätte sich auf einmal alles geändert. Und das stimmte ja nun mal nicht.

Er fürchtete sich vor sich selbst, vor der Tatsache, dass er seinem Ziel nahe war: Seinem Ziel, Granger zu beweisen, dass sie ihm nichts anhaben konnte, aber was tat er?

Er quälte sich damit, es nicht zu tun.

 

„Könntest du vielleicht weiter gehen?“, hörte er eine genervte Stimme hinter sich, die einem Erstklässler gehörte, der an ihm vorbei in die Halle wollte. Draco hatte gar nicht gemerkt, dass er tatsächlich stehen geblieben war. Jetzt wandte er sich um.

 

„Was ist? Kommst du nicht vorbei?“, entgegnete er unfreundlich und kalt. Der Junge sah ihn mit großen Augen an, denn er zog einen Koffer hinter sich her. Wahrscheinlich stand Draco tatsächlich im Weg. „Weißt du, es ist unhöflich, den Schulsprecher von hinten anzusprechen.“ Er wischte sich gereizt den Schweiß von der Stirn. „Zehn Punkte Abzug dafür.“ Der Junge sah ihn an, als wäre er kurz davor zu weinen.

 

Draco wusste nicht, wie viele Punkte Granger schon abgezogen hatte, aber er hatte in den letzten Tagen sein altes Level erreicht. Hundert an Steinen rieselten täglich durch die Stundengläser. Es musste sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln, wann er dafür von Snape Ärger bekommen würde.

 

Aber er fühlte sich nicht danach, deswegen ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Er schritt schließlich weiter und warf einen letzten Blick aus den hohen Fenstern. Er sah ihren Rücken in der Ferne. Und Weasleys Schwester. Sie schienen das Gelände verlassen zu wollen.

Er wollte gar nicht darüber nachdenken.

 

„Da bist du ja, Draco. Ich habe dich schon gesucht. Gehst du jetzt jeden verdammten Tag Runden laufen?“, herrschte Pansy ihn an und er verzog den Mund. Er war im Moment nicht besonders gut, was den Kontakt zu Menschen betraf.

 

„Es lenkt mich ab und hält meinen Körper in der Form, die du doch so verehrst, Pansy“, gab er trocken zurück.

 

„Ich habe dir noch nicht vergeben, Draco“, erwiderte sie, aber dass sie mit ihm geschlafen hatte, ließ ihr Argument nicht unbedingt glaubwürdiger klingen.

„Ich habe überlegt, dass wir morgen zusammen zu dem Ball gehen sollten. Weißt du?“ Sie hob die Augenbrauen, als er nichts erwiderte. „Als Paar?“

 

„Als Paar?“, wiederholte er ungläubig und Pansy nickte.

 

„Ja.“

 

Was wollte sie darauf hören? Dachte sie, dass er sie als seine Freundin an seiner Seite tatsächlich haben wollte? Dachte sie das wirklich? Hielt sie ihn für so dankbar, weil sie ihm erlaubt hatte, ihren Körper zu missbrauchen?

 

„Vielleicht solltest du mit Zabini gehen“, schlug er vor und begann seinen Weg in den Keller fortzusetzen. Sie folgte ihm ärgerlich.

 

„Was? Wieso sollte ich mit Blaise gehen wollen?“, schnappte sie wütend.


„Wieso sollte ich mit dir gehen wollen?“, konterte er und fühlte sich nicht danach, mit Pansy zu streiten.

 

„Was? Wieso nicht, Draco?“

 

„Weil du…“ Er unterbrach sich. Das hatte er wirklich nicht nötig. Außerdem befürchtete er, etwas Dämliches zu sagen, nur weil er seine Wut und seine ganzen anderen Gefühle nicht unter Kontrolle hatte.

 

„Weil ich was? Was willst du sagen? Und überleg es dir besser gut, Draco Malfoy!“ Ihr Blick war kalt und tödlich. Er glaubte zwar nicht, Pansy wirklich verletzten zu können, aber es bestand die Chance, dass sie ihm seine Worte übel nehmen konnte.

 

Und wenn er morgen Granger sehen würde und wusste, er würde nicht zu ihr können, dann brauchte er irgendwas zum abreagieren, irgendwas, was billig genug war, um seine Nerven zu beruhigen. Und sei es nur die Illusion, dass er Pansy haben konnte, wann immer er wollte. Er wollte sie nämlich gar nicht mehr.

 

„Meinetwegen, Pansy“, gab er schließlich nach. „Und jetzt lass mich in Ruhe.“ Er wartete ihren Ausbruch gar nicht erst ab und verschwand im Badezimmer der Vertrauensschüler, damit er sein Bad nehmen konnte.

 

Nicht, dass ihm das irgendwie half! Denn wenn er onanierte, dann hatte er nur ein Bild vor Augen. Es jagte ihn. Es war kein schönes Bild. Nein, er hatte nicht mal eine Wahl! Er wusste, es war nicht das, wonach es aussah.

Er wusste es. Tief in seinem Innern wusste er, dass es seine Triebe waren, die seiner Kontrolle vollständig verloren gegangen waren.

Sie waren weit gewandert und jetzt hatte er sich den ganzen Mist selber eingebrockt.

 

Er war sich nicht mal sicher, ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, wieder normal zu werden. Wahrscheinlich würde es besser werden, wenn er nicht mehr im selben Gebäude sein würde. Die Nähe, war sie auch noch so unerträglich weit weg, war einfach tödlich für seinen Geist.

 

Sie. Nur sie sah er. Jeden Tag. Seit…? Seit wann? Es kam ihm vor, wie eine Ewigkeit.

 

Und was, wenn die Distanz nicht half? Was, wenn er es nicht schaffte von seiner Sucht loszukommen? Was, wenn er daran zu Grunde ging?

Er kannte sich zwar nicht damit aus, aber Liebe konnte es nicht sein.

Er hatte zu viel über Liebe gelesen, hatte gehört, dass Liebe alles überwinden konnte, dass Liebe das einzige Gefühl war, dass den Hass überschatten konnte. Das war das einzig Interessante, was er jemals über Liebe erfahren hatte, aber das hier…

 

Nein. Erst mal war er Draco Malfoy und dann kam hinzu, dass es völliger Unsinn war, sich gleich die schlimmste aller Optionen auszumalen.

Er stand nicht in der unmittelbaren Gefahr, in Hermine Granger verliebt zu sein.

Dafür müsste er ja schließlich wahnsinnig sein, ein Schlammblut, oder ein Gryffindor.

 

Und keine der drei Sachen traf auf ihn zu.

 

Gut, vielleicht war er wahnsinnig. Aber er war nicht völlig verrückt!

Er war noch nicht völlig verlassen von seinem Ich, dem er immer noch vertraute.

Auch wenn es ihm große Angst bereitet hatte, dass er womöglich nicht nach seinem Vater schlagen wollte. Dass er vielleicht doch nicht das Maß an Grausamkeit und Erhabenheit erreichen konnte, das Lucius Malfoy ausmachte.

 

Und er wusste noch nicht, ob es nicht ein furchtbarer Fehler war, nicht so zu sein wie Lucius. Denn sollte es so sein, dass er doch etwas anderes wollte, dann war es das erste Mal, dass er so etwas dachte. Nach siebzehn Jahren wäre es das erste Mal, dass das Bild seines Vorbilds einen schlechten Eindruck hinterließ.

 

Und einen bitter bösen Geschmack in seinem Mund.

 

Er schloss unbeherrscht die Augen. In seinem Kopf lachte sie. Sie drehte sich zu ihm um, lachte, strich sich die Haare zurück, schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn.

Nicht, weil er sie zwang.

Nicht, weil er sie stundenlang überredet hatte – nein.

Weil sie es wollte.

 

 

~*~

 

 

„Also, ich finde, es steht dir wirklich ausgezeichnet“, sagte Ginny zum zehnten Mal. Denn sie hatte jetzt schon zehn Kleider anprobiert. „Ich meine, es ist nicht zu lang, nicht zu weit ausgeschnitten, es ist einfach elegant und schlicht.“ Aber Hermine wollte nichts Schlichtes mehr.

 

Wovor sie im Schlafsaal flüchtete, das wollte sie jetzt ändern. Sie wollte ihrem Aussehen etwas geben, damit sie sich besser fühlte. Nein, nicht besser… Sie wollte sich absolut überlegen und herausragend fühlen!

 

„Nein. Ich bin nicht zufrieden. Ich will dieses Kleid nicht. Es hat keinen… Glanz“, beendete sie den Satz etwas unsicher.

 

„Was? Du hast gesagt, du möchtest wenn dann ein dunkles Rot, damit es nicht zu auffällig ist. Du willst die Haare doch hochstecken, dann passt der Ausschnitt doch“, widersprach Ginny verwirrt.

 

„Nein. Ich will ein bombastisches Kleid, Ginny“, entgegnete Hermine und wusste instinktiv, dass sie dieses Wort noch niemals benutzt hatte. „Und ich habe keine Lust, meine Haare hochzustecken. Ich will sie offen tragen und dafür möchte ich ein Kleid, was keine Ärmel hat. Und ich will, dass es eng ist. Und am besten sollte es eine Farbe haben, die man auch noch aus einem Kilometer Entfernung sehen kann!“

 

Ginny starrte sie an. „Was?“

 

„Ich möchte ein großartiges Kleid. Haben Sie so etwas?“, wandte sie sich an Madame Malkin und diese zog die Brauen zusammen.

 

„Schon. Aber nicht hier in dieser Ecke. Hier sind nur die gebrauchten Kleider. Die sind eben etwas… schlichter, Miss.“ Hermine überlegte ungefähr eine Sekunde. Und sie wusste, es sprach der Schlafmangel aus ihr. Und die Wut auf Draco Malfoy, die Wut, dass sie es nicht gemerkt hatte, dass er nur gespielt hatte. Sie hasste es, dass niemand sie zum Ball gefragt hatte und würde es trotzdem niemals zugeben. Sie wollte so aussehen, dass sich alle Männer nach ihr umdrehen würden und bereuten, dass sie nicht gesehen hatten, wie die Schulsprecherin unter ihren Büchern, unter ihrer Uniform und unter ihrer Unschuld aussah.

 

„Schön. Ich will sowieso ein neues Kleid. Ein brandneues“, fügte sie hinzu.

 

„Die sind dann aber teurer, Miss“, warf Madame Malkin vorsichtig ein.

 

„Das ist mir klar. Zeigen Sie mir Ihr schönstes Ballkleid.“ Sie folgte der Frau, die plötzlich reichlich geschäftiger wurde.


„Hermine! Was ist in dich gefahren? Wieso willst du plötzlich so viel Geld ausgeben?“, flüsterte Ginny völlig verwirrt.

 

„Weil ich es eben will“, war alles, was Hermine darauf erwidern konnte. Und sie wollte es tatsächlich. Sie konnte zwar nicht ausstehen, dass ihr Gehirn so etwas dachte, aber sie war wild entschlossen diesem Arschloch zu zeigen, was er verpasste und was er niemals, niemals bekommen würde!

 

 

Teil 18

 

 

„Hermine, hast du vor da auch rauszukommen?“

 

Sie antwortete nicht, denn jetzt sah sie erst, was sie getan hatte.

Sie hatte nicht nur viele, viele Galleonen für dieses Kleid ausgegeben, sie hatte sogar ihren Verstand an Madame Malkins Kasse gelassen, so kam es ihr vor.

 

„Ja, es müssen auch noch andere ins Bad!“ Das war Lavender. Vielleicht konnte sie Ginny davon abhalten noch hundertmal in den großen Spiegel zu gucken, aber nicht Lavender, die heute noch von Ron verführt werden wollte.

 

Sie fuhr über den Stoff. Er war zu fein, zu auffällig. Keiner würde so ein Kleid tragen. Und jeder würde sehen, dass sie es aus Absicht tat. Dass sie so unsicher und verrückt geworden war, dass sie sich ein Kleid weit über ihre Verhältnisse gekauft hatte, nur um… Nur um was? Aufzufallen?

Sie war doch verrückt geworden!

 

Lang fiel es auf den Boden, warf sanfte runde Kreise von ihrer Hüfte abwärts. Goldene Seidenfäden funkelten im Licht, wenn sie sich nur ein wenig bewegte. Ihre Arme fühlten sich kalt und schwer an. Sie glaubte nicht, im Schloss jemals etwas Ärmelfreies getragen zu haben. Sie hatte nur den Überwurf aus roter Seide, der sie nicht vor Kälte schützen würde.

Ihre Brüste wirkten größer in dem roten Stoff, der sich eng über ihren Oberkörper spannte.

Auch hier blitzte das Gold ihr entgegen. Sie konnte nicht bestreiten, dass es ihrer Haut schmeichelte.

 

Fast alle Bräune aus dem Urlaub, den sie mit ihren Eltern nach dem großen Kampf zu Erholung gemachte hatte, war abgeklungen, aber sie sah nicht mehr aus wie Hermine. Sie sah aus, als würde sie versuchen, jemand zu sein, der sie niemals sein konnte.

 

Sie war schon kurz davor, ihre Haare zusammen zu binden, aber Ginny hatte es ihr verboten. Bevor sie das Kleid angezogen hatte, hatte Ginny sich nämlich um ihre Frisur und ihr Makeup gekümmert.

Jetzt fielen dichte, weiche Wellen über ihre Schultern und ihren Rücken.

Sie glänzten anders, und die Locken waren gezähmter als sonst. Beinahe wie Korkenzieher Locken und nicht so wüst, wie Hermine sie sonst kannte.

 

Selbst ihre Haare taten so, als wären sie etwas anderes und gehörten jemand ganz anderem. Das Rouge auf ihren Wangen brachte das Dunkel ihrer Augen gefährlich zur Geltung, als würde sie es darauf absehen, dass sie irgendjemand auch noch näher ansah.

Es zeigte viel zu viel von ihrem Körper. Das Makeup zeigte sie zu viel von ihrem Gesicht, und das Kleid lag so eng, dass nichts verborgen blieb. Zumindest nicht bis zur Hüfte.

Ihre Brüste erschienen ihr unpassend in diesem Kleid. Sie wirkten größer, als sie es in der Uniform taten, und dabei trug sie nicht einmal einen BH! Denn der passte nicht unter das enge, delikate Kleid.

 

Sie würde ein bunter Hund sein. Und jeder würde sehen, wie unwohl sie sich fühlte!

 

„Hermine!“ Das war wieder Ginny. Sie atmete langsam aus. Sie spürte die Hitze in den Wangen. Aber das Makeup verbarg die Röte immerhin.

Sie seufzte und griff kopfschüttelnd nach der Maske. Sie war golden, aber rote Seide spannte sich vereinzelt in der Maske über ihre Wangen. Helle Perlen säumten den Rand, Pailletten machten die Maske auch noch viel zu aufwendig, fand sie und war schon fast bereit, sich umzuziehen und nicht zu gehen.

 

„Komm raus!“ Es würde nur schlimmer werden, wenn sie drin bleiben würde. Ehe sie noch weinen würde, öffnete sie die Tür.

Die Worte ihrer Mitschülerinnen schienen ihnen auf der Zunge stecken zu bleiben. Gott, sie wussten nicht einmal, was sie sagen sollten, so lächerlich sah sie anscheinend aus!

 

„Hermine…“, flüsterte Ginny schließlich. „Du bist… du bist wunderschön! Dieses Kleid! Im Laden sah es bei weitem nicht so elegant aus!“ Log sie? Ginny tat es bestimmt mit Absicht, damit sie sie nicht zum Weinen bringen würde.

 

„Wow… ich wusste nicht, dass wir auch solche Kleider tragen dürfen!“, brachte Lavender schließlich etwas bitterer hervor. „Sind das… deine echten Haare, oder hast du sie verhext?“ Hermine konnte nicht verhindern die Bitterkeit und den Neid in ihren Worten zu hören. Das war doch gar nicht möglich!

 

„Ahem… nein, ich trage sie nur offen, Lavender“, sagte sie etwas beschämt.


„Du siehst fantastisch aus. Dabei hast du doch gar keine Verabredung, oder? Warum machst du dir den Aufwand eigentlich?“ Parvati war auch in den Schlafsaal gekommen. „Ron geht doch mit Lavender“, fügte sie mit einem Lachen hinzu. Ginny musste ebenfalls grinsen. Hermine fand das nicht witzig. Genauso wenig wie Lavender, die sich sauer an ihr vorbei ins Badezimmer schob.

 

„Na toll, jetzt bleibt sie da auf ewig drin“, prophezeite Ginny verärgert. „Wieso musstest du diesen Kommentar machen, Parvati?“, fragte sie jetzt.

 

„Weil wir alle gewettet haben, dass Ron Hermine fragen würde und garantiert nicht noch mal Lavender, weil sie ihn schlecht behandelt.“ Anscheinend war es unter solchen Freundinnen üblich, dass man schlecht von der anderen sprach.

 

„Tja, hat er aber nicht.“ Selbst Ginny klang darüber verärgert.

 

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich mich gar nicht für Ron interessiere“, bemerkte Hermine nachdrücklich und mit gepresster Stimme, denn eigentlich wollte sie über dieses Thema überhaupt nicht reden und dann bestimmt nicht vor Parvati.

 

„Ach? Ist mein Bruder nicht gut genug, Hermine?“ Sie wusste nicht, ob Ginny Scherze machte oder nicht.

 

„Was? Er geht mit Lavender. Wir müssen darüber nicht reden. Und ich gehe mit mir selber. Ich brauche keinen Jungen an meiner Seite, um mich schön für den Abend zu machen!“ Ihre Stimme klang fester, als sie erwartet hatte. „Ich bin Schulsprecherin“, fügte sie hinzu, als ob es das rechtfertigen würde.

 

„Fein. Ich finde es nur schade, denn wahrscheinlich siehst du heute am besten aus. Das wird Lavender noch fertig machen.“ Sie lächelte bei diesen Worten und zog ihr wesentlich kürzeres Kleid zurecht.

 

„Ich helfe dir mit der Maske, Hermine“, bot Ginny jetzt versöhnlicher an und Hermine gab schließlich nach. Wieso sollte sie sich mit Ginny jetzt über Ron streiten? Es machte keinen Sinn. Der Abend würde noch lang genug werden. So viel Sekt würde sie gar nicht trinken können, bis ihr schlechtes Gefühl verschwinden würde.

 

Die Schuhe erlaubten ihr auch gar nicht so viel Alkohol, wie sie trinken wollte, denn bei dem Absatz musste sie nüchtern schon höllisch aufpassen, dass sie nicht fallen würde. Zaghaft band Ginny die Schleife hinter ihrem Kopf. Es war warm unter der Maske, aber sie fühlte sich schon ein wenig unerkannter. Aber sie wusste, die Masken waren nicht gerade dafür gedacht, unbekannt zu sein, denn jeder würde sie dennoch an ihren Haaren und ihrem Restgesicht erkennen.

Ihre Nase und ihr Mund blieben schließlich frei.

 

Aber dennoch… Es verbarg sie wenigstens in so weit, dass ihr Blick nicht zu erkennen war. Vielleicht schenkte ihr ja auch niemand Beachtung.

Dann hatte sie zwar zu viel Aufwand für den Abend veranstaltet, aber immerhin würde sie sich dann nicht schämen müssen, wenn sie sich selber fragte, weshalb sie es überhaupt getan hatte…

 

 

~*~

 

 

Die Ähnlichkeit war so erschreckend, dass er für einen Moment gar nichts tun konnte, als vor dem Spiegel zu verharren. Er hatte den Umhang abgelegt, denn er war noch ein weiteres Utensil, das ihn nicht glücklich stimmte.

 

„Draco, worauf wartest du?“ Es war da schon angenehmer, Gregory anzusehen, der kaum den obersten Knopf von seinem Festanzug geschlossen bekommen hatte. Eigentlich bevorzugte Draco die formale Kleidung. Sie unterschied ihn von der Masse und bestätigte Reichtum, aber jetzt würde er lieber seine Schuluniform tragen als noch eine Sekunde länger seinen Vater im Spiegel zurück blicken zu sehen.

 

„Auf nichts“, erwiderte er schließlich und wandte sich in einer einzigen Bewegung von seinem Spiegelbild ab.

 

„Wo ist dein Umhang?“, fragte Gregory jetzt und Draco sah bereits Schweiß auf der Stirn seines Freundes.

 

„Ich werde ihn nicht tragen“, erklärte Draco mit wenig Begeisterung.

 

„Nicht?“ Gregory schien nicht zu begreifen, aber er war zu aufgeregt, um weitere Fragen zu stellen. „Und deine Maske?“ Gregory schien also zu zweifeln, ob Draco sich an überhaupt irgendwelche Regeln halten würde. Aber die Maske hatte er schon auf seinem Bett liegen. Er griff nach ihr mit einer widerwilligen Geste und band sie sich um, ohne in den Spiegel zu blicken.

Er wollte die dunklen Farben nicht sehen.

 

Seine Anzug hatte kein einziges bisschen grün irgendwo eingenäht. Und er war froh, dass man von seinem Anzug nicht auf sein Haus schließen konnte, warum auch immer ihm das jetzt wichtig war! Grün war zwar immer seine Lieblingsfarbe gewesen, aber heute Abend hatte er kein Verlangen danach, dies zur Schau zur tragen.

 

„Pansy wartet“, fügte Gregory jetzt mit noch mehr Aufregung hinzu. Alkohol, Draco brauchte viel Alkohol, beschloss er jetzt und spürte seinen Magen rebellieren. Pansy hatte er schon fast verdrängt. Natürlich nur fast, denn sie blieb ihm wie ein schwarzer Fleck immer im Gedächtnis, um ihn an all seine Fehler und Unvollkommenheiten zu erinnern.

 

Immerhin verstand Pansy es, seine Gedanken von Granger zu lenken, denn sie würde weit ausgeschnitten tragen, ihr Körper würde es wahrscheinlich fertig bringen, seine Erektion oberflächlich zu wecken, während Granger wahrscheinlich ihre Uniform tragen würde.

Er konnte sich nicht denken, dass sie heute seine Aufmerksamkeit erregen würde, denn es waren immer noch die Mädchen aus Slytherin, die sich am auffälligsten in Szene setzen konnten.

 

Und das Gott sei Dank mit Erfolg.

 

Sie verließen den Schlafsaal. Draco bereitete sich auf einen langen Abend vor. Alkohol und Sex sollten ihn für seine schlechte Laune wenigstens für ein paar Stunden entschädigen können.

 

Pansy wartete schon. Und Draco hatte sich nicht geirrt. Das Kleid war über das Wort eng so weit hinaus, dass ihm kein Wort dafür einfiel, was es war.

Alle Rundungen zeichneten sich auf dem dünnen Stoff ab. Ihre schwarzen Haare hatte sie zurückgekämmt und sie lagen eng an ihrer Kopfhaut, bevor sie hinten in einem Knoten zusammen liefen. Ihre Augen konnte er nicht erkennen, aber er nahm an, sie waren stark geschminkt, von ihren blutroten Lippen zu schließen.

 

Sie wartete darauf, dass er ihr seinen Arm bot. Die Pflicht gebot es ihm, er wahrte die Form. Widerwillig. Zabini beäugte ihn misstrauisch und voller Neid, während sie den Gemeinschaftsraum verließen. Zabini sah gut aus. Sein Anzug war nicht völlig schwarz. Die Maske war dunkelgrün und passte ausgezeichnet zu seiner dunkleren Haut.

 

Er hörte nicht wirklich, was Pansy ihm erzählte. Er nahm auch nicht aktiv an den Gesprächen um sich herum teil. Sie sprach teils zu ihm, teils zu Zabini, zu Greg und Vincent. Er kam sich reichlich förmlich vor.

Das ganze Schloss kam ihm so vor. Er wusste nicht einmal genau, ob er als Schulsprecher irgendetwas tun musste.

Er wusste nicht mal, ob er solange bleiben würde, denn, würde er etwas sagen müssen, dann wäre sie auch da.

 

Sie erreichten die Große Halle. Es herrschte ein heilloses Durcheinander, ein Gedrängel und Geschiebe. Alle sahen aus, wie aus einem Märchenbuch. Alle trugen tatsächlich ausnahmslos Masken. Aber natürlich waren sie eher Dekoration und nicht wirklich effektiv.

 

Er erkannte die Gryffindors, denn ihre Masken funkelten golden in der Menge. Er sah Potter am Ende an der Tür stehen, die kleine Weasley neben ihm. Seine Maske war eher schmal und von einem sehr dunklen Rot. Er zog ständig an seiner Krawatte und warf Blicke in verschiedenen Richtungen.

 

„Mr Malfoy.“ Es hätte ihn schwer gewundert, würde der Meister der Zaubertränke etwas anderes tragen, als seinen dunklen Umhang. Snape sah ihn auffordernd an. Natürlich trug er auch keine Maske.

 

„Sie haben mich also erkannt?“, versuchte er einen Scherz, aber dabei hoben sich seine Mundwinkel nicht.

 

„Sie eröffnen den Maskenball“, erwiderte Snape, ohne seinen Worten Beachtung zu schenken. „Am besten bald, denn Dumbledore hat bereits seinen Hunger verkündet.“ Draco konnte genau sagen, wie sehr es Snape gegen den Strich ging, dass er von Dumbledore deswegen losgeschickt wurde. „Ach, und über ihre Strafpunkte müssen wir auch noch sprechen. Aber nicht heute“, fügte er hinzu, als Draco den Mund zur Rechtfertigung schon geöffnet hatte.

 

„Also?“ Snape schien auf etwas zu warten.

 

„Was? Ich soll mit Ihnen kommen?“

 

„Erwarten Sie, dass ich Sie trage? Ms Granger ist schon in der Halle.“ Draco gefror neben Pansy, die sich von ihm gelöst hatte, damit er gehen konnte.

 

„Ist das notwendig, Sir?“, fragte er gezwungen ruhig.

 

„Was? Die Eröffnung? Nein, ich denke nicht. Aber der Form halber wollte es der Direktor so.“ Snape schien nichts egaler zu sein als dieser Abend.

 

„Muss ich dort rein, wenn Granger schon eröffnet? Sie ist Schulsprecherin. Sie braucht mich da drinnen nicht, richtig, Sir?“

 

„Mr Malfoy, wenn Sie jetzt von mir erwarten, dass ich Ihnen sage, dass Sie getrost hier draußen mit den anderen warten können, dann muss ich Sie enttäuschen. Ich könnte Ihnen auch hundert Punkte abziehen“, fuhr er ungeduldig fort.

 

„Fein.“

 

Draco atmete langsam aus. „Wieso tragen Sie keinen Umhang, Draco?“, fragte Snape, als sie bereits in die Halle marschierten.

 

„Wieso wechseln Sie ständig zwischen meinem Vor- und Nachnamen?“, entgegnete er, ohne auf die Frage zu antworten. Er erntete einen prüfenden Blick von Snape, allerdings bekam er ebenfalls keine Antwort.

 

Die Halle war so dekoriert, dass sie kaum zu erkennen war, stellte er fest. Bunte Lampions zogen sich durch die gesamte Halle und tauchten sie in ein warmes mediterranes Licht. Tische reihten sich mit großartigen Speisen aneinander, Stehtische zum Trinken und eine riesige Fläche zum Tanzen.

Leise spielte bereits Musik. Woher sie kam, konnte er nicht orten.

 

Vertrauensschüler huschten von hier nach da, einige Schüler strömten bereits durch die Eingangshalle, da sie wohl nicht länger warten wollten. Dort, wo für gewöhnlich das Lehrerpult stand, war nun eine Art riesiger Brunnen aufgebaut worden, stellte er fest. Er war beleuchtet und funkelte wie flüssige Diamanten im Licht.

 

Anscheinend beinhielt er Sekt. Gut. Er hatte also Alkohol gefunden, der ihn relativ schnell ziemlich betrunken machen würde.

Das war mitunter sein größtes Ziel an diesem heutigen–

 

Dunkle Seide.

Tiefer Ausschnitt.

Nackte Haut. Verlockend.

Haare wie Wellen aus flüssiger Schokolade.

 

„Na, kommen Sie. Ich habe keine Lust, dass Dumbledore mich noch einmal losschickt, Draco.“ Snape legte ihm die Hand auf den Rücken. „Draco?“, wiederholte er mit unverkennbarem Nachdruck.

Und er tat einen Schritt. Noch einen.

 

Sie wandte sich um, als er sie erreicht hatte. Er hatte genügend Zeit, ihren Anblick in sich aufzunehmen, ihn nie wieder zu vergessen und völlig überwältigt zu sein. Da war nichts. Kein Wort, keine Beleidigung, kein Kompliment, was angebracht wäre.

 

Ihre Maske war mit Perlen verziert. Er glaubte ihre Augen erkennen zu können, aber sie hatte den Blick bereits geschäftig abgewandt.

„Die Blumen“, rief sie irgendeinem Mädchen zu. „Könntest du die etwas vom Feuer abrücken? Ich will nicht, dass sie noch brennen“, fügte sie hinzu und strich über den Stoff ihren Kleides.

 

„So, wir können anfangen“, bemerke Snape und ließ ihn sofort allein.

 

Jetzt war er auch allein.

 

Dumbledore trug eine dunkelblauen Umhang und eine Maske, passend dazu. Sie war mitternachtsblau und mit Sternen verziert. Ähnlich wie sein Hut, den er nur zu Schulanfang aufsetzte.

 

„Gut, gut. Kommen Sie. Kommen Sie beide.“ Dann wandte er sich zur Tür. „Kommt rein, die Schulsprecher eröffnen jetzt den Ball!“, rief er vergnügt und Granger neben ihm streckte den Rücken durch. Dumbledore hatte ihn einfach neben sie geschoben. Dort stand er reichlich verlassen. Immer noch ohne Worte.

 

Er sah sie immer noch an, konnte dieses Mal nicht wegsehen. Wollte es nicht einmal. Ihre Finger steckten in langen Handschuhen, bemerkte er. Sie waren wohl ebenfalls aus feiner Seide und er fragte sich unwillkürlich, ob sie dieses Kleid schon immer in Aussicht gehabt hatte, für diesen Abend.

 

Und mit wem war sie gekommen?

 

Ihre Lippen öffneten sich, schlossen sich und er hörte kein Wort.

So schön. Schöner als alles, was er jemals gesehen hatte. Sie war die Perfektion. Er wünschte sich beinahe, dass sie die Maske abnehmen würde, damit er ihr ganzes Gesicht sehen konnte, damit er sich auch den Rest von ihr einprägen konnte.

 

Natürlich nahm sie sie nicht ab.

 

„- du auch was sagen?“, hörte er dumpf und jetzt sah sie ihn an. Nur kurz, ohne Gefühl, ohne irgendwas in ihrer Haltung, in ihren Gesten, in ihrer Sprache. Und er starrte zurück. Wie ein Idiot. „Malfoy?“ Sein Name. Endlich sagte sie ihn.

Sein Verstand schlug ihm vor, zu antworten, aber er hatte bereits die Frage vergessen, die sie gestellt hatte. Die Maske in seinem eigenen Gesicht war ihm mehr als nur unbequem.

Er hatte das Gefühl, die Krawatte würde ihm außerdem die Luft zum Atmen nehmen.

 

Er wollte hier fort. Aber er wollte sie mitnehmen.

 

„Anscheinend nicht“, fügte sie schließlich hinzu und wandte den Blick wieder nach vorne. Sie klatschte abschließend in die Hände und der Lärm schwoll an. Sein Kopf war leer.

Alles war unwichtig.

Sie ging fort.

 

Wo ging sie hin? Sein Blick folgte ihr und sie verschwand schließlich zwischen den Gestalten, die ihm gleichgültig waren. Wieso war sie nicht bei ihm geblieben? Wieso funktionierte sein Körper nicht mehr?

Menschen schoben sich zum Buffet und schließlich atmete er aus.

Es würde schwerer werden als er angenommen hatte. In einer angewiderten Bewegung zog er sich die Maske vom Gesicht und warf sie neben die Teller auf einen der Tische.

 

Er würde trinken. Und wenn er nach zehn Gläsern immer noch Lust hatte, einen Fehler zu begehen, dann würde er eben nach zehn Gläsern entscheiden, wie er diesen Fehler am besten beging.

Potter und das Wiesel hätten ihr eigentlich verbieten sollen, so etwas anzuziehen.

Hatten sie denn keine Augen im Kopf?

Er vertraute auf seinen Freund Alkohol, der es ihm ermöglichen würde, ein Arschloch zu sein. Denn jetzt gerade brauchte er das Arschloch in ihm. Jetzt musste dieser Teil in ihm zum Vorschein kommen.

 

Nicht dieser seltsame, feige Idiot, der keinen geraden Satz mehr formulieren konnte. Nicht mal in seinem Kopf.

 

Grimmig trank er sein erste Glas Sekt.

Gut, seine Wahrnehmung der Dinge nahm langsam an Schärfe ab. Er würde das erste Zusammentreffen mit Granger später noch einmal neu konstruieren.

Sie hatte ihn überrascht, das war alles. Sie trug schließlich nur ein Kleid, verflucht!

Sie war nicht über Nacht zur Königin geworden. Es war nur ein Kleid.

Ohne Kleid wäre sie einfach nur… - nackt, ging ihm auf. Ohne Kleid wäre sie nackt. Sein Körper spannte sich an, alle Muskeln taten weh und mit Macht konzentrierte er sich auf alles, nur nicht auf seine wachsende Erektion.

 

Das nächste Glas, einfach das nächste Glas. Irgendwann, das wusste er, würde der Alkohol über seine Erregung siegen. So war es immer. Immer gewesen. So würde es immer sein.

Sie wollte gewinnen? Sie würde gar nicht erst zum Spielen kommen, wenn er erst mal betrunken genug war, Sitte und Anstand zu vergessen.

Er hoffte, dass er einfach nur sie vergessen würde.

Einfach nur sie….

 

 

Teil 19

 

Ihr Atem hatte sich beruhigt. Sauer auf ihn zu sein, war etwas, was ihr für gewöhnlich sehr leicht gefallen war. Aber jetzt, wo sie wusste, dass er sie auf alle erdenklichen Arten verletzten konnte, war es sehr viel schwerer.

Er hatte kein Wort gesagt. Wahrscheinlich verabscheute er sie so sehr, dass er nicht mal mehr mit ihr sprechen wollte.

 

Sie wusste nicht mal, ob er überhaupt gesehen hatte, dass sie ein Kleid getragen hatte und völlig anders aussah, als sonst. Wahrscheinlich sah er nicht über seinen Todesser Tellerrand hinaus! Und es störte sie, dass sie ihn überhaupt angesprochen hatte. Sie hatte gar keine Wahl gehabt, es nicht zu tun. Er sah so elegant aus. Diese formelle Kleidung stand ihm viel besser, als würde er jeden Tag damit aufwachen.

 

Er sah völlig lässig und großartig aus. Sie konnte kaum einen selbstsicheren Schritt tun, während er wahrscheinlich niemals über sein Äußeres nachdachte. Das unterschied sie auch noch voneinander: Er war einfach… schön. Und sie… war eben nicht wirklich schön. Nicht ohne größere Anstrengung. Sie wusste, Äußerlichkeiten waren unwichtig, wenn man einen Charakter hatte, der es wett machte, aber immer wenn sie die Slytherins sah, war es vollkommen egal, wie viel besser sie im Innern auch war.

 

Vor allem bei solchen Anlässen kam es wohl eher weniger auf ihren fantastischen Charakter an, sondern eher auf ihren Auftritt vor einer großen Menge.

Dabei hatte sie heute kaum Sorgen, denn alle Mädchen mit denen sie gesprochen hatte, waren neidisch oder begeistert gewesen.

Lavender zum Beispiel, hatte kein einziges Wort mehr mit ihr gesprochen und hielt Ron mit Erfolg auf großem Abstand.

 

Harry hatte auch noch nicht viel zu ihr gesagt, außer, Wow, großartig und du siehst unglaublich aus.

 

Und hier auf einer der unzähligen Damentoiletten zu stehen, machte es nicht unbedingt besser oder leichter oder angenehmer.

Sie hatte es vielleicht zwanzig Minuten ausgehalten, ehe sie gegangen war. Es war einfach zu schwer gewesen, nicht zu ihm zu blicken, nicht zu sehen, wie alle anderen Mädchen mit so viel Selbstbewusstsein zu ihm gingen, und wie er sich auch noch großartig zu unterhalten schien.

 

Das einzige, was ihr gefallen hatte, war die Tatsache, dass er sofort angefangen hatte zu trinken. Sie versuchte sich einzureden, dass er das nicht tat, weil Alkohol eben zu dem luxuriösen Lebensstandard gehörte, sondern weil er sonst den Abend nicht ertragen konnte.

Das war zwar recht vermessen von ihr, weil sie bezweifelte, dass es ihn wirklich alles so sehr mitnahm wie sie, aber es war tröstlicher als zu denken, dass er über diese ganzen Wochen ohne Spuren hinweg gekommen war.

 

Noch hatte sich keiner auf die Suche nach ihr gemacht. Aber Ginny war auch wirklich mit ihren Gedanken woanders, denn Harry benahm sich zum ersten Mal… na ja, wie er es eben sollte! Er war glücklich, er hatte die ganze Zeit ihre Hand in seiner gehalten und für einen Moment war sie sehr neidisch gewesen. Beinahe eifersüchtig! Deswegen hatte sie gehen müssen.

Vielleicht sollte sie auch anfangen zu trinken, aber sie wollte es gar nicht.

 

Sie wollte sich nicht gehen lassen. Außerdem bekam sie schon keinen Bissen runter. Erst mal, weil der Abend sie viel zu sehr mitnahm und dann, weil sie nicht mehr in ihr Kleid passen würde, wenn sie jetzt essen würde. Das war ein entschiedener Nachteil bei Frauen, die gerne so etwas zur Schau trugen.

Sie konnten nicht essen, nicht trinken, sich nicht hinsetzen, und dass nur, um für ein paar Stunden toll auszusehen.

 

Ihr war völlig klar, dass sie nach diesem Abend nie wieder ein so enges Kleid anziehen würde!

 

Mit sehr schwerem Herzen verließ sie die Toiletten und machte sich auf den Weg zurück in die Halle.

Es war wärmer in der unteren Etage. Die Schüler verbrauchten allen Sauerstoff und schienen sich prächtig zu amüsieren. Zwar waren natürlich nicht alle Jahrgänge anwesend, da erst ab dem fünften Jahrgang Schüler zugelassen waren, aber es gab tatsächlich einige Fünftklässler, die jüngere Mädchen eingeladen hatten.

Hermine war eigentlich dagegen gewesen, aber gegen dieses Argument stand immer noch die Tatsache, dass die Vertrauensschüler auch jünger waren.

Sie hatte zwar behauptet, dass die jüngeren Vertrauensschüler auch wesentlich verantwortlicher waren als ihre Klassenkameraden, aber davon hatte keiner etwas hören wollen.

 

Sie wollte ungern heute Abend Punkte abziehen, aber sie würde bestimmt nicht zurückschrecken. Das wäre wenigstens eine Sache, die ihr heute Abend vertraut vorkommen würde, denn ansonsten war da nicht viel, was sie an sich selbst erinnerte.

 

Ihr Aussehen war ihr so fremd. Die Halle war ihr genauso fremd.

 

Sie betrat die geschmückte Halle. Das Licht war weich und angenehm. Es lief relativ langsame Musik. Die unsichtbare Band war eine gute Idee gewesen. So konnte wenigstens keiner irgendwelche absurden, lauten Musikwünsche äußern.

Sie wusste nicht mal, ob die Leute davon wussten, oder ob sie annahmen, die Musik käme einfach aus dem Nichts.

 

„Willst du vielleicht tanzen?“, fragte eine männliche Stimme direkt hinter ihr.

Cormac McLaggen. Sie glaubte nicht, dass sie überhaupt je einmal zu ihm gesprochen hatte. Sie wusste, sie hatte ihn verhext, damit Ron das Quidditchauswahlspiel gewinnen konnte, aber sonst?

 

„Ich? Tanzen?“, fragte sie etwas verwirrt und war sich nicht sicher, ob er wirklich mit ihr sprach. Sie erkannte sein Grinsen unter seiner Maske. Er trug ebenfalls einen Anzug und machte eine sehr gute Figur. Und er war Gryffindor.

Er schien auch nicht übermäßig betrunken.

 

„Ja. Hat dich noch keiner heute gefragt?“, erkundigte er sich ungläubig und sie öffnete überrascht den Mund. „Bist du überhaupt alleine hier?“, fügte er jetzt unsicher hinzu. „Ich meine…“ Er deutete auf ihr Kleid. „Wie du aussiehst, ist es schwer vorstellbar, dass dich keiner gefragt hat.“

 

Es klang nicht gerade nett. Nun, zumindest würde es nicht mehr nett klingen, wenn sie sagen würde, dass sie tatsächlich nie jemand gefragt hatte.

„Als… äh… Schulsprecherin wollte ich keinen Partner, weil… ich mich um so viel zu kümmern hatte“, log sie einfach und hoffte, es würde nicht auffallen.

 

„Verstehe“, erwiderte Cormac und sie wusste nicht, ob er log, oder ob er wirklich verstand. „Und?“, fragte er schließlich. Sie knetete ihre Finger in ihren langen, sehr warmen Handschuhen.

 

„Und was?“

 

„Willst du tanzen?“ Wieder lächelte er. Und sie nickte schließlich. Zwar hätte sie bevorzugt, wenn das Lied schneller gewesen wäre, damit sie hätten frei tanzen können, aber dieser Gefallen wurde ihr nicht erfüllt. Es blieb ein langsames Lied und Cormac führte sie ohne Umstände mitten auf die Tanzfläche und legte ihr eine Hand auf die Taille und griff mit der anderen nach ihrer behandschuhten Hand.

 

„Weißt du überhaupt, wer ich bin?“, fragte er schließlich nach einer kleinen Weile, in der sie schon tausend Tode gestorben war, weil sie ihm schon zweimal auf seine Zehen gestiegen war. Er war aber ein Gentleman und sagte dazu nichts.

 

Sie lachte kurz auf. „Sicher. Wir sind ein Jahrgang“, erwiderte sie, während sie gestresst nach unten blickte, ohne dass es zu auffällig war. Wieso hatte sie zugestimmt, mit ihm zu tanzen? Sie konnte überhaupt nicht tanzen! Gut, dass er führte. Gut, dass sie nichts getrunken hatte.

 

„Ja und? Wir haben noch nie gesprochen. Außerdem bewegst du dich ja eher in… diesen Heldenkreisen. Ich meine, du bist mit Harry befreundet und das… ist ziemlich stark.“ Sie hätte fast laut gelacht. Wenn doch jeder so denken würde! In Heldenkreisen. Das würde Harry bestimmt auch gefallen.

 

„Oh… na ja, Harry ist eher… ein Einzelgänger in dem Fall“, erklärte sie leise.

 

„Unsinn. Du warst auch in allen Berichten erwähnt. Genau wie Ron.“ Seine Stimme hatte sich bei diesem Namen merklich abgekühlt. Wahrscheinlich wegen der ganzen Quidditchsache, überlegte sie und bekam ein schlechtes Gewissen, nur für einen kurzen Moment. Wahrscheinlich hätte Cormac sogar das Ausscheidungsspiel gewonnen, wäre sie nicht gewesen.

Aber das würde sie ihm bestimmt nicht erzählen, denn dann hätte sie keinen, der mit ihr tanzen wollte.

 

„Jaah, vielleicht.“ Tatsächlich war es ihr unangenehm, dass er ihr Komplimente machte.

 

„Ok, du willst darüber nicht reden. Schon klar“, sagte er jetzt wieder mit einem Lächeln. „Dann etwas anderes“, fügte er hinzu und ließ seinen Blick über die Menge streifen. „Du siehst sehr schön aus. Aber das haben dir heute bestimmt schon hundert andere gesagt, richtig?“

 

Er war so anders. Es schien ihm überhaupt nicht schwer zu fallen, etwas Nettes zu ihr zu sagen. Wieso nicht? Aber sie wusste, eine normale Person konnte diese Frage unmöglich stellen. Deswegen würde sie es auch nicht tun. Sie lächelte nur beschämt.

 

„Ja, hundert andere“, erwiderte sie lächelnd. „Tut mir leid, ich kann nicht tanzen“, fügte sie jetzt hinzu, um zu rechtfertigen, dass ihm jetzt schon viermal auf den Fuß gestiegen war. Er lachte jetzt auch.

 

„Völlig egal, Hermine. Denkst du wirklich, das stört mich? Vielleicht sollten wir das mit dem Tanzen einfach sein lassen und uns ein Glas Sekt holen. Wir können uns auch unterhalten, wenn du willst.“ Sie war dankbar für dieses Angebot. „Ich meine, klar, ist es schön dich hier zu halten, aber wenn dir das keinen Spaß macht, müssen wir das nicht.“

 

Gott, er war so höflich. Wieso hatte sie ihn vorher nie gesehen? Langsam kamen ihr wieder ein paar Fakten in den Sinn.

 

„Warst du nicht mit Cho Chang zusammen?“, erkundigte sie sich leise und ihr Blick suchte bereits den Raum nach Cho ab. Aber natürlich war sie nicht hier. Sie hatte schließlich letztes Jahr schon ihren Abschluss gemacht.

 

„Das fällt dir jetzt ein?“, fragte er und er verzog ungläubig den Mund, während er sie langsam weiter über die Tanzfläche schob, und sie höllisch auf seine Füße achtete. Wahrscheinlich ärgerte sich Cormac bereits, dass er sie aufgefordert hatte, mit ihm zu tanzen.

 

„Nein, ich…“ Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.

 

„Ich bin nicht mehr mit ihr zusammen“, fügte er hinzu, wahrscheinlich falls sie sich darüber Sorgen gemacht hatte.

 

„Ja, das nehme ich an. Wollen wir was Trinken?“ Sie wollte nicht mehr darüber reden, weshalb Harry ihn nicht leiden konnte. Denn wahrscheinlich mochte er ihn immer noch nicht besonders. Cormac nickte nur und sie war dankbar, nicht mehr wie ein Idiot auf der Tanzfläche zu sein.

 

Sie sah Lavender, die Ron führte, weil Ron ebenso wenig tanzen konnte wie sie.

Lavender schien es nichts auszumachen, während Rons Blick sehnsüchtig zum kalten Buffet ging.

 

Sie folgte Cormac zum Sektbrunnen, der tatsächlich Pansys Idee gewesen war. Natürlich kamen solche extravaganten Alkoholvorschläge von den Slytherinmädchen. Sie hatte nichts anderes erwartet, aber er war ein voller Erfolg gewesen.

 

„Ok, du wartest und ich stell mich ritterlich an“, schlug er vor und schenkte ihr noch ein Lächeln. Er sah wirklich nicht schlecht aus. Seine Lippen waren etwas schmal, aber dafür hatte er ein schönes, kantiges Kinn. Sie nickte und wagte es tatsächlich ihm auch ein Lächeln zu schenken.

 

Sie sollte irgendeine Kleinigkeit essen, denn der Alkohol würde sie wahrscheinlich sofort betrunken machen, so aufgeregt, wie sie war.

 

„Wahrscheinlich wäre es für McLaggen einfacher gewesen, einen Troll über die Tanzfläche zu schieben.“ Ihr Herz gefror in derselben Sekunde. Genau wie ihr Atem. Seine Stimme war tief vom Alkohol, nahm sie an.

Es war das erste Mal, dass er zu ihr sprach. Sie wagte nicht ihn anzusehen, denn natürlich sprach er genau das aus, was sie von Anfang an gedacht hatte.

 

Sie dachte von sich selber, dass sie ein Troll auf der Tanzfläche war. Und ihr war nicht zum Heulen zumute, nur weil sie es dachte. Wieso hätte sie jetzt sofort weinen können, nur weil er es sagte? Er war derselbe Gedanke, verflucht. Sie konnte nicht tanzen, schön. Nimm es einfach hin, Hermine. Lass ihn reden, nimm es hin!

 

Langsam gewann sie an Fassung und hob den Blick. Er lehnte neben ihr an einem der Tische, über die eine schwere, steife Tischdecke aus Taft geworfen worden war. Er nippte an seinem Sektglas, ohne sie anzusehen.

Immer noch sah er so gut aus, wie zu Beginn des Abends. Der Alkohol schien keinen Effekt auf seine äußere Erscheinung zu haben. Sie überlegte, ob das eher ein gutes oder eher ein alarmierendes Zeichen war.

 

Gerne hätte sie ihn ebenfalls beleidigt, aber sie war zu schockiert von der Tatsache, dass er überhaupt mit ihr sprach. Sie wusste, es wäre untypisch und schwach von ihr, nicht zu antworten, nur weil er tatsächlich ein herzloses Monster war.

 

„Wie wäre es, wenn du wen anders belästigen würdest“, sagte sie also und drehte sich um, so dass sie jetzt nebeneinander auf die Tanzfläche starrten.

Er schien diese Worte zu ignorieren.

 

„Ist dieser Vollidiot jetzt dein neuer Freund?“, fragte er und sein Grinsen war einfach nur böse. Er machte sich lustig. Sie konnte nicht schätzen, wie betrunken er war.

 

„Geht dich das irgendwas an, Malfoy?“ Jetzt senkte er plötzlich den Blick auf ihr Gesicht. Qualvoll laut und verzweifelt schlug ihr Herz gegen ihre Brust und alles in ihr zog sich unter seinem Blick zusammen. Er trug keine Maske mehr. Er sah ihr direkt in die Augen. „W…wo ist Pansy?“, fragte sie jetzt, damit sie ihn nicht einfach nur anstarrte. Irgendwo in ihrem Kopf, sagte ihr Verstand, dass sie überhaupt nicht mehr mit ihm reden sollte!

 

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich vögelt sie Zabini. Ist das wichtig?“, fragte er unwirsch und sah sie immer noch an. Seine Worte waren scharf und kalt.

 

„N…nein.“ Sie ärgerte sich, dass sie stotterte. Wahrscheinlich war Alkohol doch nicht schlecht. Er wandte den Blick schließlich ab. Sie wusste nicht, ob ihm das schwer fiel, oder ob er sie sowieso nicht ansehen wollte.

 

„Und? Hast du heute vor McLaggen an dein weißes Höschen zu lassen, Granger?“ Ihr Name rollte förmlich über seine Zunge, als würde er ihn hundertmal am Tag sagen. Ihr Mund öffnete sich empört.

 

„Nein, Malfoy. Und wenn, dann geht es dich nichts an!“, fügte sie hinzu. In ihrem Kopf überlegte sie dumpf, dass sie wahrscheinlich noch nie daran gedacht hatte, heute irgendjemand an irgendein Höschen zu lassen. Und was, wenn Cormac das aber dachte? Hatte er sie nur angesprochen, weil heute der magische Abend für One Night Stands war? War es das?

 

„Und wenn?“, wiederholte er spöttisch ihre Worte und sah sie wieder an. „Wirklich, Granger? Was sagen denn deine Anstandsdamen dazu? Ich habe sie noch gar nicht gesehen. Wahrscheinlich haben sie dich einfach nicht erkannt, in diesem lächerlichen Aufzug. Das Kleid steht dir übrigens nicht“, fügte er leichthin hinzu und sein Lächeln war bitterböse. Er trank gleichgültig einen weiteren Schluck.

 

Hastig wandte sich ihr Blick nach vorne. Tränen nahmen ihr kurz die Sicht. Sie wusste, würde sie weinen, dann wäre Ginnys Arbeit völlig umsonst gewesen. Würde sie weinen, dann hätte er wieder einmal gesiegt. Sie hätte niemals – niemals – mit ihm sprechen dürfen! Kein Wort. Keine Silbe.

 

„Es zwingt dich keiner hinzusehen, Malfoy“, erwiderte sie schließlich, ohne den Blick noch einmal zu heben. Ihre Stimme klang schrecklich. Wo blieb Cormac? Wo blieb der Junge, der sie nicht behandelte wie ein Stück Dreck, sondern sie sogar als Held beschrieb? Wo zum Teufel war er denn?

 

„Oh, weinst du jetzt, Granger?“, flüsterte er und lehnte sich näher zu ihr. Sie zwang sich steif neben ihm stehen zu bleiben, sich nicht reizen zu lassen, sich nicht quälen zu lassen, von seinen giftigen Worten. „Wenn sich das Schlammblut solche Mühe gibt, dann kann ich doch nicht anders, als das zu… würdigen“, fügte er abschätzend hinzu.

 

Sie biss die Zähne fest zusammen. Wie schaffte er es, alles zu Nichte zu machen, wofür sie hart kämpfte? Wie hatte sie ihm jemals die Chance geben können, sie zu verletzen? Wie hatte sie so dumm sein können?

Und wieso sagte er das alles? Wieso? Und wieso versicherten ihr alle anderen, dass sie gut aussah? Tat sie es nicht? Hatte er recht? War sie in seinen Augen einfach nur ein Schlammblut? War das derselbe Draco Malfoy, der nicht mehr hatte an sich halten können? Der sie noch vor einer Woche mit heiserer Stimme gebeten hatte, ihn zu küssen, ehe er erfahren hatte, dass sie eine Jungfrau war?

 

War es etwas Schlechtes?

 

Sie sah ihn plötzlich an.

 

Sie musste es sehen. Sie musste ihre Augen zu seinem schönen Gesicht heben.

 

Sie musste in seinem Gesicht die Wahrheit sehen.

 

Sie musste wissen, dass er meinte, was er da sagte!

 

Sie wollte es noch mal hören. Sie wollte definitiv hören, dass er sie tatsächlich für Abschaum hielt. Denn dann würde sie ihn einfach verfluchen können, ohne nachher ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

 

Ihre Hände zitterten vor Wut, vor Tränen, vor Hass.

 

Er hatte die Augen abgewandt. Sein Glas war leer. Schließlich stieß er sich von der Kante ab. „Malfoy“, sagte ihre Stimme plötzlich mit einer Dringlichkeit, die sie von sich nicht kannte. Tatsächlich hielt er inne und wandte sich zu ihr um. Sein Blick war verschlossen, seine Mimik kalt und gleichgültig, wie sie es von ihm immer gewöhnt war.

 

„Entschuldige mich, Granger“, sagte er und seine Mundwinkel zuckten freudlos. „Wenn ich nicht noch mehr Alkohol trinke, werde ich den Abend in deiner Anwesenheit nicht überstehen können.“ Ein flüchtiges Lächeln erhellte seine Züge. Es wirkte reichlich fehl am Platze.

 

Sie merkte es in dieser Sekunde. Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel, lief unter der Maske über ihre Wange und blieb an ihrem Kinn hängen.

Langsam wischte sie sie mit ihrer Hand fort. Der Stoff ihrer Handschuhe wurde dunkler, dort wo der Tropfen sich in die Fasern sog.

 

Sie glaubte, dass er noch etwas sagen würde, dass er seinen Triumpf auskosten würde, dass er… irgendwas Gemeines und Herzloses noch auf Lager hatte. Nur für sie. Anscheinend ertrug er sie wirklich nicht mehr, denn er verschwand ohne ein weiteres Wort, ohne einen weiteren Blick in ihre Richtung.

Ausgerechnet jetzt kam Cormac wieder.

 

„Hey, das ist wirklich voll. Kaum gibt es einmal Alkohol im Schloss, zeigt sich die wahre Seite der-“ Er unterbrach sich. „Alles klar?“, fragte er besorgt, aber sie griff nach seinem Arm.

 

„Es ist heiß hier. Wollen wir raus aus der Halle?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab und er folgte ihr schließlich. Alle Gesichter schwammen an ihrem Auge vorbei. Endlich waren sie draußen und endlich konnte sie wieder atmen.

 

„Alles ok, Hermine? Ist es dir drinnen wirklich zu heiß gewesen?“ Immer noch sah sie seine Sorge. Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen.

 

„Nein, ist wieder ok. Komm, wir setzen uns auf die Stufen.“ Dort saßen noch zwei andere Mädchen und tuschelten aufgeregt. Hermine war es egal. Sie atmete langsam aus, als sie saßen. Die Schuhe waren so unbequem und das Kleid war sehr eng, aber als sie ihren ersten Schluck Sekt getrunken hatte, beruhigte sie der süße Geschmack. „Sag mal… meintest du das ernst? Denkst du wirklich, ich sehe schön aus?“, fragte sie nach einer Sekunde und wappnete sich für die Antwort.

 

Er lächelte und trank ebenfalls einen Schluck.

„Warum sollte ich lügen? Ich finde, du bist das schönste Mädchen auf dem ganzen Ball. Ich war eben… nur der schnellste. Ansonsten würdest du hier jetzt mit wem anders sitzen, der dir das gleiche erzählen würde“, erwiderte er und ein kleines Lächeln stahl sich tatsächlich auf ihre Lippen.

 

„Ha ha“, sagte sie leise und trank noch einen Schluck. „Fürs Schleimen kann ich dir Punkte abziehen, das weißt du, oder?“, fragte sie und sie fühlte sich nicht mehr ganz so elend. Er grinste jetzt, stützte seine Arme auf seinen Knien ab und lächelte dem Boden entgegen, ehe er den Kopf wieder hob und sie ansah. Sie erkannte sogar die Farbe seiner Augen hinter seiner Maske. Sie waren grün. Wie Harrys.

 

„Mal aus Interesse gefragt… wie viel Punkte ziehst du mir ab, wenn ich dich jetzt küsse?“ Ehe sie begriff, was er gesagt hatte, hatte er sich näher zu ihr gelehnt. Seine Nase berührte ihre und unbewusst schlossen sich ihre Augen unter der Maske und seine Lippen schlossen ihren überraschten Mund.

 

 

Teil 20

 

 

Er hatte sich schon öfters von Alkohol übergeben müssen. Aber das heute war die Krönung gewesen. Er widerte sich selber an. Er hatte seinen Mund ausgespült, hatte sogar einen Zauber angewandt, damit es niemand riechen konnte. Mit Niemand meinte er Pansy, die er nachher noch abfangen würde.

Zwar war er ziemlich gemein zu ihr gewesen, weswegen sie jetzt wahrscheinlich auch mit Zabini irgendwo war, aber er würde sie einfach zur Seite ziehen und sie auf die Knie zwingen, dann würde sie nicht widersprechen.

 

Er warf seinem Gesicht einen bösen Blick zu. Es gelang ihm nicht, denn seine Augen waren immer noch gerötet. Der Alkohol war aus seinem System, aber die Tränen waren noch sichtbar.

 

Scheiße.

 

Gott, wann hatte er das letzte Mal geweint? Er konnte sich nicht erinnern. Nicht mal unter Lucius‘ Schlägen hatte er noch geweint. Zumindest nicht mehr seit er zwölf war. Es war schon eine Ewigkeit her.

Seine Hände zitterten vor… Wut, Zorn, Verzweiflung. Noch nie hatte er sich selber so gehasst, wie er es jetzt in dieser Sekunde tat.

 

Er hatte es gar nicht gewollt. Er hatte gar nicht zu ihr gehen wollen, hatte überhaupt nicht vorgehabt, sie anzusprechen, und wenn doch, dann bestimmt nicht so! Er hatte sie nicht beleidigen wollen, aber er hatte keinen anderen Weg gesehen. Ansonsten hätte er wahrscheinlich wieder wie ein Idiot geschwiegen.

Aber das wäre wohl besser gewesen, als diese verseuchten Worte, die er von sich gegeben hatte!

 

Gott… Sein Kopf sank auf seine Brust, während er tatsächlich wieder Tränen in seinen Augen spürte. Er war so ein Arschloch. Und es tat ihm leid. Es tat ihm tatsächlich leid. Es zerriss ihn, so sehr tat es ihm leid!

Die Tür zur Toilette öffnete sich schließlich. Er hatte sowieso Glück gehabt, dass hier niemand rein gekommen war, während er sich tatsächlich übergeben hatte.

Nur weil sie geweint hatte, nein, weil er sie zum Weinen gebracht hatte!

 

Ein Blick in den Spiegel holte ihn eilig zurück in diese Welt.

 

Potter zog sich die Maske vom Kopf und sah reichlich erhitzt aus.

„Oh, hey Malfoy“, sagte er anscheinend verwirrt und betrunken, ehe er sich ans Pissoir stellte und seine Hose öffnete.

Es war völlig absurd. Draco wischte sich übers Gesicht, ließ dann das Wasser laufen und fragte sich, ob er Potter jemals beim Pinkeln gesehen hatte.

Die Antwort war nein, denn er hatte noch nie das Verlangen verspürt, überhaupt gemeinsam mit anderen männlichen Individuen zusammen pinkeln zu gehen.

 

Eilig kühlte er sein Gesicht mit Wasser ab und ignorierte, dass Potter tatsächlich kein Problem damit hatte, zu Pinkeln, wenn er dabei war.

Potters Penis sollte jetzt wirklich das letzte sein, was seine Gedanken ablenkte.

Er griff nach einem der Papiertücher und trocknete sich ab.

Er hörte wie Potter seinen Reißverschluss schloss und neben ihn ans Becken trat.

Er wusch sich ebenfalls die Hände und betrachtete dann sein Gesicht im Spiegel.

 

Draco konnte nicht anders, als ihm dabei zu zusehen. Er fuhr mit dem Zeigefinger beinahe verärgert über seine Narbe. Draco hatte sie noch nie so nahe gesehen. Bemerkenswert, dass sie tatsächlich künstlich aussah, als hätte er einfach einen Blitz mit der Feder auf seine Stirn gezeichnet.

 

Potter war genauso groß wie er, fiel ihm auf. Er zog an seinen Haaren, zog sie in seine Stirn, aber die schwarzen Strähnen gehorchten ihm scheinbar nicht.

Dann fuhr er sich mit der Hand über die Wange als spürte er Bartstoppeln und verzog schließlich den Mund. An seiner Hand schimmerte ein schwerer Ring. Draco kannte das Zeichen, das der Stein in der Mitte trug. Das Zeichen der Unsterblichkeit. Der Stein hatte einen dicken Riss, direkt durch die Mitte.

Warum trug Potter das?

 

Seine Finger waren übersät mit kleinen Narben, verheilten Schnitten und zum ersten Mal empfand Draco tatsächlich so etwas wie einen Hauch Respekt.

Potter atmete unzufrieden aus, zog sein Jackett zurecht, was sich leicht über seine Schultern spannte. Anscheinend war es schon älter und er war beinahe raus gewachsen, stellte Draco fest. Dabei war er sich sicher, Potter verfügte über einiges an Gold.

 

Potter nickte ihm schließlich im Spiegel zu, als er wieder verschwand.

Seine Maske hatte er am Spülstein vergessen. Die Tür war bereits ins Schloss gefallen. Draco tat etwas Eigenartiges.

Er nahm die Maske und führte sie zu seinem Gesicht, hielt sie sich vor die Augen und betrachtete sich einen Momentlang.

 

Potters Maske. Granger hatte sich besondere Mühe damit gegeben. Wahrscheinlich hatte es eine Extranfertigung für diese Maske gebraucht.

Der Gryffindorlöwe war mit Pailletten in die rote Seide eingelassen worden. Er hatte ihn vorher gar nicht bemerkt.

Rot stand ihm nicht, fand er. Vielleicht war es einfach nur ungewohnt.

Er schüttelte unwirsch den Kopf und ließ die Maske wieder sinken.

Er stellte fest, dass er sich beruhigt hatte.

 

Mit einem prüfenden Blick stellte er außerdem fest, dass er zwar besser aussah als Potter, sich aber nicht besser fühlte.

Er verließ die Toilette und war wieder auf dem heißen Flur. Pärchen drückten sich an die Wände, flüsterten und berührten sich so, dass es sie eigentlich einiges an Strafpunkten kosten würde, aber er hatte keine Lust, Sanktionen zu verteilen.

 

Potter konnte noch nicht besonders weit weg sein. Die Maske lag warm in seiner Hand. Seltsam. Seine eigene Maske war ihm völlig gleichgültig, also warum lief er jetzt dem Idiot Potter hinterher, um ihm seine zu bringen? Die Antwort war wohl relativ einfach. Wo Potter war, da war bestimmt auch Granger. Irgendwo.

 

Das Verlangen sie zu sehen, stand im perversen Gegensatz zu den Schmerzen, die er dabei empfand.

 

Es geschah das Unvermeidliche. Und es geschah in dieser präzisen Sekunde. Seine Finger schlossen sich hart um den weichen Stoff der Maske, als er in den Flur vor der Halle trat. Er spürte es. Er wusste, es wäre wesentlich klüger, sich zurückzuhalten, aber sein rationaler Teil seines Körpers war winzig klein geworden. Er sah nur tatenlos zu, während der andere, weitaus wütendere Teil, die Macht übernahm.

 

Seine Füße bewegten sich automatisch, sein Puls hämmerte so laut in seinen Ohren, dass er das Blut rauschen hörte. Es war das Gefühl, wenn er sah, wie Potter den Schnatz vor seinen Augen fing, wenn die Menge anfing zu toben, während er im Sturzflug gen Boden sauste, um danach seine Faust gegen die Umkleidekabine im Slytherinzelt zu schlagen.


Es war das Gefühl, wenn er den Tagespropheten aufschlug und den Namen seines Vaters auf der Liste der möglichen Todesser fand und Potters Namen in den Schlagzeilen der Helden der magischen Welt.

Das Gefühl, wenn er zwar Schulsprecher war, aber jemand anders ohne Probleme besser war, ohne sich anzustrengen.

 

Dieses Gefühl. Es war rote Wut. Es war grüner Neid. Es war kalter, verabscheuungswürdiger Hass. Es war etwas, womit er noch nie hatte umgehen können. Doch, schon. Er konnte damit umgehen, aber er nahm an, es war die falsche Art und Weise.

 

Sein Verstand ließ ihn nicht weiter nachdenken, denn grob schlug er dem miesen Arschloch auf die Schulter. McLaggen wich erschrocken von Granger zurück.

 

„Tut mir leid, aber kann ich mir die Schulsprecherin für eine Sekunde ausleihen?“ Sein Mund weigerte sich zur Kenntnis zu nehmen, dass er den Namen des Jungen kannte. Noch nie war er so etwas wie Konkurrenz gewesen, obwohl ihm bewusst war, dass Cormac McLaggen ebenfalls einen beachtlichen Berg an Mädchen als Kerbe in seinen Himmelbettpfosten ritzen konnte.

 

Etwas überrumpelt erhob sich McLaggen, denn bisher hatte noch nie jemand – nicht mal eine Junge – gewagt, ihm zu widersprechen.


„Das ist unhöflich, Malfoy.“ McLaggen gab nicht mal vor, dass er nicht wusste, wer er war. Draco wusste, Eifersucht sollte kein Grund sein. Es sollte keine Rechtfertigung sein, seine Position zu missbrauchen. Aber er konnte nicht anders.

 

„Das ist mir ziemlich egal. Sei froh, dass ich dir keine Punkte abziehe!“ Arschloch, Wichser, verfluchter scheiß Gryffindor, fügte er in Gedanke zornig hinzu. Jetzt erhob sie sich auch noch.

 

„Es gibt nichts, was wir besprechen müssten, Malfoy.“ Ihre Wangen waren gerötet. Unter der Maske war das meiste von ihrem Gesicht verborgen, aber er konnte es sehen. Dieses Arschloch hatte es gewagt, sie zu berühren, hatte es gewagt, ihre Haut unter seinen Finger zu spüren! Gott, wie gerne würde er ihn einfach umbringen.

 

„Das sehe ich anders. Du bekommst sie gleich wieder“, fügte er an McLaggen gewandt hinzu.

 

„Malfoy, was soll das?“ Anscheinend war er tatsächlich traurig, dass er Granger wegnahm. Anscheinend wollte er sie hier auf der Treppe nehmen! Arschloch, elendes!

 

„Reg dich ab. Ich bring sie dir gleich wieder. Neben euch unwichtigen Schülern, gibt es ein paar, die übrig bleiben, um die Kontrolle zu haben, McLaggen.“ 

Scheiße, jetzt hatte er seinen Namen doch ausgesprochen. Mist.

McLaggen wollte wohl noch einiges mehr sagen, aber Draco würde ihm sonst seinen Schwanz verfluchen, also zog er Granger erbarmungslos mit sich. Seine Finger hatten sich um ihren Oberarm geschlossen, blind zog er sie durch die Gänge, sie strauchelte und fluchte, aber er hörte ihre Worte nicht.

 

Nicht wirklich zumindest. Sein Nebel aus Eifersucht und blinder Wut in seinem Kopf hatte sich noch nicht gelegt.

Sie roch anders, intensiver als sonst. Sie war ihm so nahe. Er wusste, er brach gerade alle seine Regeln und er wusste, er hätte das nicht tun sollen!

Aber er hatte es tatsächlich nicht ertragen. Sie zu beleidigen, wenn sie allein war, das war eine Sache. Da konnte er sich vergewissern, dass es niemanden gab, der sie tröstete. Aber das hier! Wenn jemand anders es wagte, sie anzufassen! Das war zu viel!

 

„Malfoy!“ Sie riss sich mit einem Schrei von ihm los und wich zurück. „Wie kannst du es wagen? Was fällt dir eigentlich ein, du mieser Scheißkerl!“ Jetzt fluchte sie wieder. Jetzt beleidigte sie ihn wieder. Als ob er das Arschloch wäre!

 

„Mir? Was fällt dir ein, Granger? Ich dachte, du hattest nicht vor, ihn ranzulassen. Ist dir klar, dass es verboten ist, mitten auf den Treppen Sex zu haben?“, schrie er außer sich und vergaß, sie eigentlich noch zu beleidigen, was er definitiv vorgehabt hatte, in seiner Wut. Sie hatte die Arme verschränkt und blitzte ihn unter der Maske so zornig an, dass er die Hitze förmlich spürte, die von ihr ausging.

 

„Das kann nicht dein Ernst sein, Malfoy! Das kann jetzt nicht wirklich dein Ernst sein!“ Ihm war klar, dass man sie auch noch zehn Gänge weiter hören musste. Er wartete förmlich nur darauf, dass McLaggen kam und ihm in die Fresse schlug. Er betete förmlich darum. Dann konnte er sich woanders abregen und nicht hier, nicht an ihr, nicht mit Worten! Worte waren sein Feind geworden. Er schien immer nur die falschen zu wählen.

„Das sagst du mir? Ausgerechnet du?“, schrie sie lauter als vorher. „Du vögelst alles, überall, ohne dir Gedanke zu machen über irgendwelche scheiß Konsequenzen, also komm mir nicht mit den verdammten Regeln! Wenn du es nicht ertragen kannst, dass mich jemand anderes-“

 

Schnell hatte er den Abstand geschlossen, schnell hatte er ihre Schultern umfangen und sie verzog schmerzhaft das Gesicht. Er berührte ihre nackte Haut. Sämtliche Synapsen in seinem Kopf brannten dabei durch und es fiel ihm mehr als schwer, noch zu denken.

 

„Überleg dir, was du sagst! Mir ist es gleichgültig, wer deine verfluchte Haut, berührt, Granger!“ Er würde weinen. Er würde vor Verzweiflung noch anfangen zu weinen, wie eine kleine Erstklässlerin. Verflucht… Er ließ von ihr ab und wich zurück. Das schien sie zu überraschen. Es überraschte ihn selbst.


„Oh ja, richtig“, bemerkte sie jetzt bitter und zog sich zornig die Maske vom Kopf. „Ich bin ein Schlammblut, du kannst mich nicht anfassen, sonst verlierst du deinen Status, richtig Schulsprecher?“ Sie betonte das Wort voller Bitterkeit und Hass.

 

Sie war noch schöner. Noch viel schöner, als sie es sein durfte. Ihre Augen waren dunkel geschminkt. Das warme Braun war dunkel und voller Zorn.

Ihre Wangen hatten eine ebenmäßige Farbe. Sie war zu schön, als dass irgendjemand sie berühren durfte! Nicht einmal er.

 

„Ich werde jetzt gehen, Malfoy. Du hast meinen Abend schon genug versaut. Ich brauche dich und deine Scheiße wirklich nicht“, sagte sie und er wusste, ihre Stimme würde gleich brechen.

 

„Granger“, sagte er leise, zu leise. Was wollte er damit überhaupt sagen? Wollte er nur ihren Namen aussprechen, damit sie ihm noch eine Sekunde Aufmerksamkeit schenkte?


„Nein, Malfoy. Nein! Wir sind fertig. Das hast du doch gesagt, richtig? Wir sind fertig“, wiederholte sie und er öffnete seinen Mund. Kein Ton verließ seine Lippen. Keiner. Er sah sie zittern, sah sie vor Wut vibrieren, so schien es ihm.

„Wieso hast du Harrys Maske?“, fragte sie jetzt zornig. Er sah an seiner Hand hinab. Richtig. Noch so eine Sache, die er nicht erklären konnte.

 

„Hermine?“

 

Gott, dieser dämliche Wichser. Er hatte gar keine Wahl. Gar keine. „Komm“, befahl er rau, griff um ihre Taille und zog sie mit sich um die nächste Ecke.

 

„Lass mich sofort los!“ Sie wehrte sich, aber anscheinend hatte sie genügend Probleme auf den hohen Schuhen aufrecht zu stehen. Es war irgendein Klassenzimmer, dass er mit dem Fuß auftrat, sie hineinschob und die Tür hinter sich schloss.


Cor-“, rief sie, aber er presste sie mit seinem Gewicht gegen die Holztür und legte eine Hand über ihren Mund. Sie protestierte gegen seine Finger, aber er lehnte den Kopf gegen ihre Stirn. Als wäre sie plötzlich erstarrt, erstickte ihre Stimme.

 

McLaggen lief auf dem Flur hinter der Tür vorbei und rief ihren Namen. Er verhielt sich bescheuert, kindisch und völlig falsch. Sollte McLaggen sie vögeln. Sollte er nur! Allein der Gedanke war zu viel. Er schloss kurz die Augen.

Ihre Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug, hob sich gegen seinen Körper. Seine Erektion erwachte schlagartig. Ihre Haut gegen sein Jackett. Noch immer verschloss er ihren Mund mit seiner Hand und er spürte ihre Lippen gegen seine Haut zittern.

 

Er musste den Kopf senken, musste ihren Hals einfach küssen und seine Lippen verbrannten wieder einmal. Sie sog die Luft ein und schüttelte heftig den Kopf. Tränen fielen auf seinen Handrücken. Ihre Tränen. Heiß und unschuldig.

 

„Nein“, sagte er nur. „Nicht weinen, Granger.“ Er nahm die Hand von ihren Lippen und sie atmete heftig ein.

 

„Was willst du von mir?“ Oh, sie war so böse mit ihm. Er fragte sich, warum sie jetzt nicht nach McLaggen schrie. „Wag es ja nicht, mich hier in diesem Klassenraum zu vergewaltigen, Malfoy!“ Ihre Worte waren leise, aber messerscharf.

 

Sie war so… wunderschön. Wieso sagte er es nicht? Wieso sagte sein Mund es nicht einfach? Die Worte waren nicht schwer. Es waren nur drei Worte. Verfluchte drei Worte! Du bist wunderschön. Ganz einfach. Völlig leicht und völlig wahr. Er müsste nicht einmal lügen! Wieder war sie unter ihm gefangen. Wieder spürte er ihren Körper und er war so dankbar, sie zu spüren. Er wäre sonst gestorben.

 

„Ich bin lächerlich, hast du das vergessen, Malfoy? Ein hässliches Schlammblut!“, spuckte sie ihm seine eigenen Worte entgegen.

 

Sag. Irgendwas. Nettes.

 

Er wusste, er musste irgendwas sagen. Denn zu seiner großen Ironie, waren Worte zwar seine Feinde, aber nur mit Worten konnte er sie noch aufhalten. Er würde sie küssen, wenn sie es wollte! Er würde sie berühren, wenn sie darum bat! Nicht umgekehrt! Denn anders ging es nicht. Vielleicht bei allen anderen Mädchen, aber nicht bei ihr. Nicht bei Hermine Granger. Wie hatte es McLaggen geschafft, dass sie ihn nach keiner Stunde küsste? Wie, zum Teufel?

 

„Es…“ Oh ja, diese Worte würgten ihm im Halse, denn er hatte sie noch nie gesagt! Zu niemanden. Bisher hatte er es noch nie tun müssen! Noch nie. Wo war der Alkohol, der seinen Verstand beruhigte?

 

„Es… tut mir leid.“ Schnell sagte er es, denn er glaubte, sich sonst wieder übergeben zu müssen. Ihre Augen weiteten sich ungläubig.

 

„Was?“, knurrte sie wütend und wehrte sich unter ihm. „Halt deinen Mund und lass mich gehen, Malfoy!“ Er wusste, es würde bald eine Drohung folgen, irgendetwas, was es ihm schwer machte, sich zu konzentrieren.

 

„Es tut mir leid.“ Da! Er hatte es noch einmal gesagt. Sie schüttelte nur den Kopf. Ihre Haare flogen über ihre Schulter, berührten seine Wange, kitzelten seinen Hals. Sie trug sie offen. Viel zu schön… „Es tut mir leid“, wiederholte er und stellte fest, wie einfach und befreiend diese Worte waren. Ihr Mund öffnete sich stumm.

 

„Es tut mir leid“, flüsterte er.

 

„Halt deine Klappe!“, schrie sie und erschrak über ihre Stimme, so schien es ihm. „Ich brauche deine Entschuldigung nicht!“ Sie weinte wieder heiße Tränen. Die Wimperntusche drohte zu verschwimmen.

 

„Es tut mir leid“, sagte er erneut und glaubte, all seine Worte, all seine Schlagfertigkeit gegen diese vier Worte eingetauscht zu haben. Es gab nichts anderes, was er immer wieder sagen konnte. Es machte schon kaum noch einen Sinn in seinem Kopf. Es machte keinen Unterschied mehr, was er sagte.


„Verzeih mir.“ Seine Stimme war rau. Es brannte und stach in seinen Augen. Es rebellierte gegen die Wände seines Körpers. Es war gleichgültig. Es war völlig egal, was er jetzt tat. Als er weinte, schloss er allerdings seine Augen, denn er wollte ihren Ausdruck nicht sehen. Er hatte nicht vorgehabt, all seine Restmacht auf einmal aufzugeben.

 

Er spürte ihre Hand. Sie berührte ihn zum zweiten Mal. Seine Augen flogen auf. Sie sah angespannt aus. Sie strich sanft eine seiner Tränen fort, sah ihn an, als wäre es etwas völlig Unmögliches. Sie nahm eine weitere Träne auf ihren Finger, wie etwas Kostbares. Sein Atem ging ungleichmäßig. Seine Wimpern waren nass und schwer, so kam es ihm vor.

 

Ihr Mund war geöffnet und… tat er ihr leid? War das der Blick, den sie ihm schenkte? Wollte sie ihm das damit sagte? Sorgte sie sich? War das ihre Art von Sorge?

Er wusste es nicht. Er fühlte sich krank und elend und nicht wirklich wie er selbst.

Schon lange nicht mehr, wie er selbst. Sein Kopf sank träge nach vorne, sank auf ihre Schulter, und er konnte nicht verhindern, seine Arme um ihre Taille zu schließen und sie festzuhalten. Er hatte seine Regeln wieder gebrochen, er hatte sie nicht berühren wollen, aber wahrscheinlich würde er umkippen, würde er sich nicht festhalten. Er brauchte irgendeinen Halt. Egal. Irgendeinen.

Sie überließ es sowieso immer nur ihm, irgendwas zu tun.

 

Sie tat etwas, was er zwar schon häufig gesehen, aber niemals für erstrebenswert gehalten hatte. Sie legte die Arme um seinen Körper. Und sie umarmte ihn. Wann wurde er das letzte Mal umarmt? Er wusste es nicht.

Als er klein gewesen war, hatte seine Mutter ihn bei Gewitter immer umarmt. Irgendwann hatte er aber keine Angst mehr gehabt, also brauchte er keine Umarmung mehr.

 

Aber jetzt hatte er Angst.

 

So große, von so großer Macht, dass er es nicht mehr alleine tragen konnte.

Und ihre Hand strich über seinen Rücken, seinen Arm, über seine Haare, seinen Nacken, und er schloss fest die Augen.

War das ihre Vergebung? Sah so ihre Vergebung aus? Oder brachte sie es einfach über sich? Sprang sie gerade nur über ihren Schatten, weil er ein feiges Arschloch war?

 

Er wagte nicht zu fragen, wagte nicht, sich zu bewegen und er würde sie nicht loslassen. Nicht, solange sie ihn freiwillig in ihrer Nähe hielt. Nicht solange sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte.

 

Er spürte, wie sein Atem ruhiger wurde, wie er ohne Worte, weiter um Verzeihung bat. Er roch ihren Duft, versank in ihren weichen Haaren. Sie rochen nach Vanille, nach Rosen, nach Tee, nach Büchern, nach Gryffindor, nach Recht und Moral, nach Feuer, nach Granger…

 

Er versank tief, tief in ihrer Anwesenheit, ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Berührung.

 

Ganz leicht, ganz langsam, ganz leise berührten ihre Lippen seinen bloßen Nacken. Es war kaum als Kuss zu bezeichnen. Es war nur ein Hauch. Sie hinterließ einen Hauch auf seiner Haut. Er wusste, er musste seinen Kopf heben, er musste das hier unterbrechen, damit er sie ansehen konnte.

 

Träge hob er den Kopf aus ihrer warmen Nähe, verharrte nur Zentimeter vor ihrem Gesicht. Er wollte etwas sagen, wollte ihr sagen, was er dachte.

Aber er konnte nicht.

 

Plötzlich konnte er nicht mehr.

 

Er verschloss ihren Lippen mit seinem Mund, ohne zu warten, ohne noch länger zu zögern. Er hörte sie unter sich die Luft einziehen. Seine Oberlippe glitt zwischen ihre Lippen und er sog ihre Unterlippe in seinen Mund, voll und weich. Er ließ sie mit einem Stöhnen fahren und seine Zunge glitt nahezu übergangslos zwischen ihre heißen Lippen.

 

Er hatte keine Ahnung, ob sie ihm verziehen hatte – und was sie ihm überhaupt verzieh. Er hatte keine Ahnung, was passieren würde, aber es war ihm unwichtig. Potters Maske glitt aus seiner Hand, als er sie tief in ihren Haaren vergrub, um ihr Gesicht näher an seins zu bringen.

Ihr Mund öffnete sich bereitwillig und ihr leises, sanftes Stöhnen brannte sich in seine Wahrnehmung, in sein kaltes Herz.

Und er stand wieder einmal in Flammen.

 

 

Teil 21

 

Sie konnte nicht anders.

 

Es ging nicht. Er tat es schon wieder, das wusste sie. Aber sie war sich sicher, dieses Mal hätte er es nicht getan, hätte sie sich beherrschen können. Sie hatte seine Haut küssen müssen. Wenn auch nur ganz leicht.

Es brach ihr Herz. Seine Tränen brachen ihr Herz in tausend winzige Teile.

Er hatte geweint. Noch nie hatte sie das gesehen. Noch nie!

 

Und all seine Entschuldigungen… Worte, die nicht böse waren. Worte, die nicht dazu ausgerichtet waren, sie zu demütigen, sondern nur, um ihn allein verletzen zu können, wenn sie es darauf anlegte.

Sie hatte nichts anderes tun können, als ihn zu umarmen, ihn festzuhalten

Sie verstand nichts von seinen Gedanken, von seinen Worten, von seinen Gefühlen.

Aber sie wusste, er war genauso verzweifelt wie sie.

 

Und dieser Kuss! Es war das, was gefehlt hatte. Seine Lippen hatten gefehlt.

Beinahe besitzergreifend hielt er sie jetzt fest. Immer wieder drang seine Zunge in ihren Mund und egal, wie falsch es war, das zu tun, das zu wollen – sie konnte nicht anders.

 

Seine Haare waren weich unter ihren Fingern. Durch die Handschuhe spürte sie es kaum. Und es erschrak sie selbst, wie dringend sie ihre Kleidung loswerden wollte, wie sehr sie ihn jetzt wollte! Sie hatte gemerkt, wie sie langsam vollkommen besessen von ihm geworden war, aber das hier übertraf alles.

Sie wusste nur nicht, wie sie es zeigen sollte.

 

Sie wusste nichts anderes zu tun, als über seine Armen zu streichen, über seinen Rücken, seine Haare. Es frustrierte sie so sehr, dass sie sich enger an ihn presste, damit er irgendwas tat!

Und er stöhnte ungehalten auf. Es war ein absolut magisches Geräusch. Und sie war es, die es verursachen konnte. Bestimmt waren alle Mädchen, mit denen er sich sonst abgab erfahren und selbstsicher. Es versetzte ihr einen Stich, dass es für ihn keine große Sache war, und für sie war es… es war einfach das Größte, was sie jemals gefühlt, jemals erlebt hatte!

 

Sie tat das naheliegende, um zu bekommen, was sie wollte: Sie schob sein Jackett ungeduldig seine Arme hinab. Er wich übergangslos zurück. Sein Atem ging schnell, sein Blick war hungrig und sie wusste, gleich würde er sie wieder küssen.

 

„Nein, nicht“, sagte seine raue Stimme dann mit großer Überwindung. Sie erschrak so sehr über diese Worte, spürte schon wieder Scham und einen tiefen Stich in ihrem Innern. Er hielt sie fest, wie als ob er ahnen würde, dass sie gleich gehen wollte. „Nicht… hier“, fügte er mit Gewalt hinzu. Sie sah ihn unsicher an.

 

Sie wollte ihn wieder küssen. Sie machte sich von ihm los, griff in seinen Nacken und küsste ihn zum ersten Mal. Verlangend, völlig frei und selbstverständlich. Es zog heftig in ihrer Mitte als er unbeherrscht um ihre Hüfte griff und sie enger an sich brachte. Er war so hart! Sie spürte es an ihrem Bein.

 

Ihre Hände strichen über seine Brust und lockerten grob seine Krawatte, damit sie den ersten Knopf seines Hemdes öffnen konnte. Wieder riss er sich unter Anstrengung von ihr los. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete fast verzweifelt aus. „Nicht, Granger“, wiederholte er. Es ärgerte sie maßlos.

 

„Wieso nicht? Willst du… das nicht?“ Ihre Stimme war nicht zum Sprechen geeignet, aber sie musste nicht sprechen denn er hatte sie wieder an sich gezogen, küsste sie erneut, presste sie so eng an sich, dass sie aufkeuchen musste. Wieder glitt seine Zunge in ihren Mund. Seine Finger schienen nicht genug von ihrem Körper zu bekommen, sie nicht genug berühren zu können, schienen sie nicht fest genug halten zu können.

 

Doch dann ließ er wieder von ihr ab. Er musste flüchtig lächeln, ehe er wieder sprach. „Ich glaube… ich wollte noch nie etwas so sehr“, sagte er schließlich gepresst. Es jagte Schauer über ihren Körper. „Aber ich kann das nicht hier tun. Nicht hier. Nicht hier in einem Klassenzimmer, während unten der Ball ist. Ich will nicht, dass…“

 

Jedes Wort schien ihm schwer zu fallen. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte nicht hören, dass er sie hier nicht wollte, nur weil die Räumlichkeit eben unbequem war. Zwar hatte sie zu wenig Alkohol getrunken, aber, ohne ihn aus den Augen zu lassen, wanderten ihre Finger tiefer zu seinem Gürtel. Ehe er begriff, hatte sie ihn geöffnet.

 

„Gott, Granger!“, keuchte er rau und hielt ihre Hände gewaltsam auf. „Tu das nicht. Ich bitte dich. Du willst das so nicht. Ich will das so nicht!“, fügte er verzweifelt hinzu. „Ich tue es immer so“, fügte er unwillig hinzu. „In irgendwelchen Räumen, auf den Toiletten, an Flurwänden… Du bist nicht so ein Mädchen.“

 

„Ich bin kein Mädchen, das man gegen eine Flurwand nehmen kann?“, fragte sie entgeistert. „Nicht auf dem Pult? Nicht auf dem Klo?“ Sie konnte nicht anders als den Kopf zu schütteln. „Was ist das? Denkst du, ich gehe kaputt dabei? Ich denke, du hast schon Dutzende Mädchen so entjungfert. Denkst du, Muggel brauchen Betten oder mehr Zeit oder…“ Sie wusste nicht, weshalb es sie so verletzte, was er sagte.


„Granger!“, unterbrach er leise ihren Vortrag. „Du willst nicht, dass ich das hier tue. Du willst nicht, dass ich dein Kleid hochschiebe und…“ Er schien es nicht einmal sagen zu können.

 

„Was ist, wenn ich es jetzt will, Malfoy?“, entgegnete sie zornig. Er atmete langsam aus.


„Dann muss ich dir sagen, dass du keine Ahnung hast.“ Alles, was gerade da gewesen war, drohte jetzt zu verschwinden.

 

„Von Sex und Demütigung, die du andern dabei zufügst? Nein, habe ich wohl nicht, Malfoy. Ich verlange kein verdammtes Jungfrauen-Programm von dir, ich…“ Sie konnte nicht fassen, dass sie sich jetzt darüber streiten mussten!

 

„Granger, denkst du, das ist leicht? Denkst du, ich kann dich einfach…“ Er machte eine knappe Handbewegung, die ihr wohl bedeuten sollte, dass er damit meinte, ihre Jungfräulichkeit zu nehmen. Gott, er konnte nicht mal mehr das Wort sagen! „Denkst du, ich würde vergessen, wer du bist?“

 

Sie schnappte nach Luft. „Malfoy, wenn es dir so zuwider ist…“ Sie musste gehen! Wieder wollte er sie nur demütigen.

 

„Du bist ein verfluchtes Miststück!“, erwiderte er jetzt und schien seine Hose zu richten. „Es geht nicht um dich, hierbei! Es geht nicht um deine scheiß Muggelkomplexe, Granger. Wenn ich das tue, wenn du willst, dass ich das tue, dann muss dir eine Sache verflucht noch mal klar sein!“ Er hielt sie wieder fest, zwang sie, den Blick zu heben und sie hatte ihn noch nie so ernst und angespannt erlebt.

 

„Dir muss völlig klar sein, wer ich bin“, sagte er jetzt und sah sie immer noch an. Sie konnte seinen Blick nicht deuten.

„Ich weiß, wer du bist“, sagte sie widerwillig.

 

„Wirklich, Granger? Wirklich, Hermine? Weißt du, wer ich bin? Du willst meine Kleidung ausziehen? Du willst das wirklich? Du willst wirklich das Dunkle Mal sehen? Willst du das? Denn, wenn du mir jetzt sagst, dass es völlig egal ist – ob heute oder morgen oder übernächstes Jahr – dann werde ich dich verfluchte noch mal vögeln. Hier und jetzt. Auf dem scheiß schmutzigen Boden hier!“

 

Ihre Gegenwehr erstarb.

Das bereitete ihm also Sorge. Das war es. Meinte er das wirklich ernst? Dachte er, sie wüsste nicht, wer er war? Das, worüber er sich jetzt Gedanken machte, war der ganze Knackpunkt ihrer ganzen Geschichte!

Jetzt bekam er also dieses Gewissen? Jetzt erst war er da angelangt? Und selbst wenn, dann hatte sie von ihm eigentlich erwartet, dass es ihm scheiß egal sein würde, nicht, dass er jetzt darüber diskutieren wollte!

 

Und wollte sie ihn morgen auch noch? Oder übermorgen oder übernächstes Jahr? Könnte sie das vereinbaren? Hatte sie verdrängt, dass er das Dunkle Mal trug? Nein, hatte sie nicht! Natürlich nicht.

Er hatte ihren Vornamen benutzt. Das zweite Mal.

 

„Na los, sag es, Granger“, forderte er sie auf. Er war fast zu nüchtern. Er erwartete, dass sie nein sagen würde, durchfuhr es sie. Nein – entweder, er wartete darauf oder er hoffte es, damit er sich nicht mit einem Gewissen plagen musste.

 

Dann fiel ihr wieder ein, was er gesagt hatte. Für ihn war es einmalig. Gott, wie hatte sie diese Information verdrängen können? Machte er den Aufwand, damit… damit sie ihm nachher nichts vorwerfen konnte? Sie wagte nicht, ihm zu antworten.

 

„Was willst du jetzt von mir hören, Malfoy?“, erwiderte sie müde. „Du willst mein ok, dass ich dir nichts nachtrage, wenn du einmal mit mir schläfst?“ Sie musste den Blick von seinem ernsten Gesicht abwenden. „Was ist, wenn… was ist, wenn du dich irrst, und es hier nach nicht vorbei ist mit…“ Sie wollte nicht diesen Gefühlen sagen. Sie wusste nicht einmal, ob da überhaupt Gefühle waren.

 

Sie wollte das nicht diskutieren! Sie wollte, dass er sie küsste, dass er sie einfach von den Füßen riss, mit seinem Verlangen, dass sie nicht darüber nachdenken musste, wer er war und wofür sein Name stand.

Sie wollte die Schule nicht als Jungfrau verlassen. Und sie wollte ihn. Wieso konnte er jedes Mädchen einfach nehmen, nur sie nicht?

Wieso nicht, zum Teufel?

 

Was war an ihr so furchtbar, dass er diskutieren musste?

 

„Ich habe dir versprochen, dass ich danach nichts mehr von dir verlangen werde“, erwiderte er schließlich.

 

„Was, wenn das nicht geht?“, fragte sie fast verzweifelt.

 

„Deine Sorge, ist dass ich dich danach anrühren könnte? Granger, wenn es dir so zuwider ist, dass-“

 

„Gott, du bist so ein Idiot!“, rief sie schließlich aus.

 

Sie schwiegen für einen zornigen Moment.

 

„Du trägst das Mal?“, fragte sie schließlich mehr als widerwillig, denn sie kannte die Antwort doch schon lange. Wenn auch nur vermuteter Weise.

 

„Sicher“, erwiderte er ruhig. Kurz erfasste sie ein Schauer. „Du weißt, wer ich bin. Das hast du doch gerade erklärt, Granger“, fügte er leiser hinzu. Er fuhr sich durch die Haare und verschloss den Gürtel, den sie gerade geöffnet hatte.

Sie schluckte schwer.

 

„Wieso willst du das überhaupt, Malfoy?“, fragte sie schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Ich dachte, du hast alle deine Theorien dafür schon fertig zusammen gebastelt, Granger?“ Sie wusste, es war nur eine Frage der Zeit, ehe sie sich wieder trennten und sie nicht wusste, wie es weiter gehen würde.

 

„Wieso machst du das immer wieder? Wieso tust du so, als würdest du mich wollen, und dann nimmst du alles zurück?“ Es war ihr egal, was sie sagte. Es war ihr egal, dass es schwach von ihr war. Es war ihr auch gleich, dass sie ihm kein Geständnis entlocken konnte.

 

„Was? Ich will dich immer. Ich weiß nicht, warum. Wahrscheinlich, weil…“ Er schüttelte den Kopf, als würde er abschweifen. „Ich habe nur keine Lust mehr, dich zu wollen, wenn… es bedeutet, dass du ignorierst, wer ich bin und… mich danach dann noch mehr hasst als jetzt – Gott, ich glaube, das hier ist der schlimmste Moment.“ Sie nahm an den letzten Teil hatte er nicht ihr gegenüber laut geäußert. Der galt nur ihm selbst.

 

„Du redest Mist“, sagte sie nur.

 

„Was?“ Er sah sie beinahe wütend an. „Ich habe nur keine Lust, das Arschloch zu sein, wenn es nicht sein muss, Granger. Ich meine, sieh dich an, du bist nicht gerade gegen all das hier, aber morgen – sobald du wieder im Kreise deiner verfluchten Idioten bist – wirst du den Todesser dafür hassen, dass er dich…“

 

Er brach ab.

 

„Seit wann stört dich das?“, entfuhr es ihr plötzlich.

 

„Was? Denkst du, es ist mir egal? Denkst du, das hier ist mir egal? Denkst du, ich hätte solange gewartet, wenn es mir egal wäre?“, schrie er jetzt und riss sich augenblicklich wieder zusammen. „Du kannst mich hassen, wofür du willst. Für meinen Vater, meine Erziehung, mein scheiß Verhalten gegenüber meines Bruders – aber nicht dafür, dass wir das hier tun. Denn das ist nicht meine Schuld. Nicht nur. Nicht mehr, zumindest.“


Es war das erste Gespräch, das sie mit Draco Malfoy führte. So lange hatte sie noch nie mit ihm gesprochen.

 

„Ich hasse dich für alle diese Dinge, Malfoy“, erwiderte sie jetzt böse. „Du bist ein schlechter Mensch. Ob du mich nun noch dazu nimmst oder nicht. Das hier…“ Sie deutete auf ihn und dann auf sich, „das ist etwas anderes. Das ist mir egal. Ich hasse nur mich dafür. Nicht dich. Ich werde dir nicht übel nehmen, dass du mich soweit bringst, dass ich dich will. Ich hasse dich dafür, dass du andere Menschen schlecht behandelst.“

 

Er schien kurz darüber nachzudenken. „Du hasst dich selbst dafür?“

 

Was wollte er eigentlich von ihr hören?

 

„Draco, du bist ein schlechter Mensch! Es gibt keine andere Auslegung dafür.“ Und sie fühlte sich abscheulich dafür, dass sie das zu ihm sagte. Aber es stimmte doch! Sie musste nicht so tun, als würde es nicht stimmen.

 

„Wieso tust du es dann überhaupt?“, fragte er schließlich und ihr Mund öffnete sich langsam. Sie wollte es nicht denken. Und sie wollte nicht, dass er es dachte. Es sah allerdings gefährlich danach aus. Sein Mund öffnete sich ebenfalls.

 

Oh nein! Das würde nicht passieren.

Es würde nicht so sein!

 

„Ich liebe dich nicht! Denk das bloß nicht, Malfoy!“, fuhr sie ihm zwischen seine Worte, schneller und lauter als beabsichtigt. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an.

Er sah sie an. Es verging ein Moment, in dem die Zeit einfach nur stehen blieb.

 

„Dann wieso?“, fragte er erneut.

 

„Weil ich krank bin. Genauso wie du“, fügte sie zornig hinzu. Sie hatte den Blick wieder abgewandt.

 

„Es ist ganz einfach, Granger. Ich kann dich nicht haben, wenn ich weiß, dass du mich hasst. Am besten verliebst du dich ziemlich schnell in mich. Ich werde nicht dein Sündenbock für alles sein“, sagte er schließlich und vergrub die Hände in seinen Taschen.

 

„Hörst du, was du da sagst?“, fragte sie ungläubig. „Wieso soll ich alles ändern?“

 

„Weil ich kein Problem damit habe, mit dir zu schlafen“, entgegnete er gereizt.

 

Wieder sahen sie sich an. „Wenn du nicht willst, dass ich dich hasse, dann musst ein bisschen mehr tun, als von mir zu verlangen, zu vergessen, wer du bist, Malfoy.“

 

„Oh, ach ja? Soll ich Potters bester Freund werden? Soll ich böse Zauberer mit ihm jagen gehen? Ein Wettessen mit Weasley veranstalten? Allen Gryffindors Sonderpunkte zuschanzen? So was in der Art? Soll ich meine Leute in Slytherin zurücklassen, damit du es ertragen kannst, wenn ich dich berühre?“

 

„Du hast damit ein Problem, nicht ich“, wiederholte sie erschöpft.

 

„Sag es doch einfach!“ Er war wieder lauter geworden.


„Was?“

 

„Sag, dass du das willst! Sag, dass du willst, dass ich mich ändere“, verlangte er und war schon kurz davor, sie an den Schultern zu schütteln, fing sich aber noch rechtzeitig.

 

„Du musst dich für mich nicht ändern. Es ist mir egal.“

 

„Ist es nicht.“

„Schön, ist es nicht. Zufrieden, Malfoy?“ Sie fuhr sich durch die Haare, strich sie aus ihrem Gesicht und wünschte sich, sie würde einen Zopf tragen. „Aber du kannst mich nicht zwingen, dich zu mögen“, fügte sie leise hinzu und hob die Hand zu seiner Wange. Er musste die Augen schließen als sie ihn berührte.


„Wie kannst du das dann tun, wenn du es hasst?“, fragte er, immer noch mit geschlossenen Augen.


„Ist das wichtig?“ Sie hob die andere Hand auch zu seinem Gesicht und zog es langsam zu sich herunter. Vor ihrem Mund hielt er inne und öffnete die Augen.

 

„Ich will, dass du das willst“, sagte er bitter. „Ich will nicht, dass… wenn ich es noch mal tun will…“ Er sah ihr direkt in die Augen. Braun auf Blau. Schwarz auf Weiß. Für einen Moment farbenblind.

Und in ihrem Kopf hatte plötzlich nur noch die eine Frage Bedeutung. Es kam ihr vor als schnitten die Worte wie Klingen in ihre Zunge, als sie sprach.


„Du magst mich?“, fragte sie ganz leise.

 

„Denkst du, wir hätten diese ganze scheiß Diskussion, wenn das nicht so wäre?“, knurrte er ungehalten und zog sie näher an sich. Draco Malfoy mochte sie? Was?! Sie hatte keine Lust mehr darüber nachzudenken. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass sie morgen vielleicht alles bereuen würde, nur weil er sie jetzt in einem schwachen Moment erwischt hatte. Sie wollte nicht zugeben, dass er richtig lag, dass sie ihn morgen hassen würde, weil er sie besiegt hatte.

Und sie wollte nicht überlegen, was es bedeutete, dass er sie mochte.

 

Es war so falsch.

 

Denn er war nicht ihr Freund. Immerhin störte ihn nach sieben Jahren, dass sie ihn hasste, aber das reichte doch nicht aus!

Nein, sie würde jetzt nicht mehr nachdenken. Es reichte ihr. Es waren genug Worte hier in diesem Raum gesagt worden. Mehr als zu viele!

 

Und sie wusste, was sie tat, würde ihr morgen nicht helfen. Aber es ging doch nicht anders! Sie konnte nicht anders….

 

Sie lehnte sich vor und küsste ihn. Er atmete sie förmlich ein, hob sie vom Boden hoch und küsste sie hart. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und sie wusste nicht, was morgen passieren würde.

Sie wusste nicht mal, ob er morgen noch mit ihr sprechen würde. Es war unwichtig.

 

Es kam ihr schon fast vertraut vor, wie er sie küsste, wie er sie in seinen Armen hielt. Er zog seinen Kopf zurück. „Ich habe gelogen“, flüsterte er jetzt. „Du siehst verflucht schön aus“, fügte er rau hinzu. Und sie wollte, dass er aufhörte zu sprechen. Sie zog ihn wieder zu einem Kuss zu sich. Und er folgte ihrer Aufforderung.

 

Wieso konnte Draco Malfoy zugeben, dass er sie mochte – aber sie nicht?

Aber heute Nacht wollte sie nicht darüber nachdenken. Sie wollte auch nicht wissen, wie viel Beherrschung es ihn kostete, nicht mit ihr zu schlafen. Denn sie wusste, er würde sich ihr verweigern.

Das hatte er ziemlich klar gemacht. Aber… sie konnte doch niemals in der Welt zugeben, dass sie ihn mochte.

 

Denn dann würde er mit ihr schlafen, ohne sich schlecht zu fühlen – und war frei wieder zu gehen. Aber sie würde sich trotzdem schlecht fühlen. Sie bezweifelte, dass er sie wirklich wollen würde.

Nicht mehr als einmal.

 

Es zerriss sie, dass das Gefühl seiner Lippen liebte. Nur das Gefühl – nicht ihn, versicherte sie sich selber. Ihre Gedanken zerfielen zu dumpfem Nichts, als er den Arm um ihre Hüfte schlang und von ihren Lippen abließ, nur um ihren Hals zu küssen.

 

 

Teil 22

 

 

Sein Arm schmerzte.

 

Nein – eigentlich schmerzte alles. Sein gesamter Körper war steif und sein Kopf dröhnte. Nur leicht, nur dumpf, hämmerte der gestrige Abend gegen seine Schläfen. Er öffnete träge die Augen und erwartete über sich eigentlich den See im Sonnenlicht dunkelgrün schimmern zu sehen.

Denn die dicke Scheibe zum See zog sich schließlich durch den gesamten Schlafsaal der Slytherins.

 

Er blinzelte. Die Scheibe war fort.

 

Sein Verstand brauchte noch eine knappe Sekunde. Das war nicht sein Schlafsaal, nicht sein Bett, nicht mal ein Raum zum Schlafen. Sein Blick glitt durch den Raum und beinahe erschrak er, als er neben sich blickte.

Granger!

 

Sie hatten den Klassenraum nicht verlassen, wurde ihm schlagartig bewusst. Kurz musste er rekapitulieren. Er hatte sie geküsste, war gestorben, weil er sie nicht völlig hatte haben können, und dann… dann waren sie wohl eingeschlafen. Wahrscheinlich wollten sie nur kurz ausruhen, nicht direkt hier bleiben.

 

Sie verzog den Mund und räusperte sich im Schlaf.

Sein Arm war komplett eingeschlafen. Hatte er sie die gesamte Nacht gehalten? Hatten sie sich die gesamte Nacht nicht bewegt? Ihr Kleid schimmerte rot und golden im Licht. Wie spät war es wohl? Hier hing keine Uhr im Klassenzimmer. Jetzt fiel ihm auf, dass es das Klassenzimmer für Zauberkunst war.

 

Die Ironie lag darin, dass Flitwick im Schrank hinten Kissen aufbewahrte, die als mobile Objekte ständig für sämtliche Zauber benutzt wurden. Dämlich waren sie beide, dass sie nicht daran gedacht hatten.

 

Jetzt schlug sie die dunklen Augen auf. Sie sah ihn müde an, ehe sich ihre Augen weiteten und sie sich aufsetzte. Er konnte endlich seinen Arm bewegen und stöhnte auf, als er ihn an seinen Körper zog und langsam massierte.

Wann war er das letzte Mal neben einem Mädchen eingeschlafen? Diese Frage war recht leicht zu beantworten.

 

Noch nie.

 

„Wo…?“ Sie sah sich desorientiert um. „Oh, der Raum für Zauberkunst“, stellte auch sie jetzt fest. „Hast du gewusst, dass Kissen im Schrank sind?“, fuhr sie heiser fort und wischte sich die Haare aus der Stirn nach hinten.

Er konnte nicht sagen, dass ihn ihr Anblick morgens enttäuschte. Sie war genauso schön wie gestern Abend.

 

Jetzt sah sie ihn wieder an. „Alles ok?“, fragte sie plötzlich und ihr Ausdruck wurde kühler. Er holte langsam Luft.

 

Hmm“, sagte er nur. Seine schlechte Laune war morgens so ziemlich jedem in Slytherin bekannt.

 

„Hast du… einen Kater? Ich hab dir weh getan, richtig? Wieso hast du mich nicht eher geweckt? Ich hätte deinen Arm zum Schlafen nicht gebraucht!“, rechtfertigte sie sich und er konnte ihren vielen Worte gar nicht auf einmal aufnehmen. „Ich weiß sowieso nicht, warum…“ Er hob den Zeigefinger gereizt zu ihren Lippen und sie schwieg abrupt und sah ihn an.

 

Dann erhob er sich und bedeutete ihr mit der Hand, sitzen zu bleiben. Seine Beine waren genauso müde, wie der Rest seines Körpers. Der Anzug saß steif und war reichlich unbequem am Morgen. Er öffnete die Schranktüren und griff sich zwei Arme voll Kissen, die er zurück zu der Stelle trug auf der sie geschlafen hatten.

 

Er baute also eine Insel aus Kissen und legte sich zurück auf den weichen Boden. Ah… viel besser so, stellte er zufrieden fest.

 

„Du… du willst doch wohl nicht liegen bleiben?“, fragte sie völlig entrüstet. „Es ist bestimmt schon halb acht, und das Frühstück steht nicht länger als-“ Er hatte sie am Arm zu sich gezogen. Er knurrte eine Erklärung, die nur er verstand und sie lag wieder in seinem Arm, diesmal auf den Kissen.

 

„Malfoy?“, fragte sie. Er schenkte ihr ein weiteres Hmm und spürte sie gegen seine Brust lächeln. „Du bist ein Morgenmuffel? Wirklich?“, erkundigte sie sich und er zog bestätigend die Luft ein. Darauf würde er nicht antworten.

 

„Wir können nicht hier bleiben!“, fing sie von neuem an. „Wenn jemand kommt!“ Mit einer zornigen Bewegung griff er nach seinem Zauberstab, der ein Stück weiter neben ihm lang und verriegelte stumm die Tür.

 

„Malfoy, wenn…“

 

„Wenn die ganze Nacht über niemand hier reingekommen ist, dann wird auch in den nächsten Stunden niemand reinkommen, Granger, verflucht noch mal!“ Seine Stimme war eklig morgens. Rau und heiser und tief. Er wusste nicht, wann er jemals so früh gesprochen hatte. Nicht einmal unter der Woche sprach er, ehe der Unterricht anfing.

 

Sie sah ihn erschrocken an.


„Ich werde gehen“, informierte sie ihn nur.

 

„Wohin?“, rang er sich ein paar letzte Worte ab.


„Wohin?“, wiedeholte sie ungläubig. „In meinen Schlafsaal. Mich umziehen, duschen, frühstücken, lernen… was denkst du, Malfoy?“

 

„Bleib“, erwiderte er nur kurz.


„Damit du deine schlechte Laune an jemanden auslassen kannst? Nein.“ Sie wollte sich erheben, aber er hielt sie zurück.

 

„Bleib, bitte. Ich muss gleich nach Hause fahren“, fügte er mehr als widerwillig hinzu und fuhr sich über die Stirn. Sie sah ihn an.

 

„Nach Hause? Nach Malfoy Manor?“, fragte sie, und er ruckte mit dem Kopf. „Wieso?“ Er verzog den Mund.

 

„Mein Bruder hat Geburtstag. Morgen. Und ich habe versprochen da zu sein.“ Ihr Ausdruck änderte sich für einen kurzen Momentlang.

 

„Du… willst mit deinem Bruder Geburtstag feiern? Wirklich?“

 

„Granger, bestimmt nicht, weil ich will. Wenn du… sagen würdest, dass ich nicht gehen sollte, dann…“ Er wackelte kurz mit den Augenbrauen. Zu mehr Obszönität war er so früh noch nicht fähig. Sie schnappte nach Luft.

 

„Nein! Nein, ich will nicht, dass du bleibst!“, erwiderte sie hastig.

 

„Nett“, erwiderte er knapp.

 

Sie beugte sich plötzlich näher zu ihm und küsste ihn auf die Wange. Flüchtig, eilig. „Ich muss gehen“, wiederholte sie ihre Worte.

 

„Warte“, sagte er müde. „Warte nur noch… einen Moment“, bat er und kam sich lächerlich vor. Sie seufzte, sah ihn prüfend an und legte sich wieder neben ihn. Er zog sie in seinen Arm, atmete den Duft ihrer Haare ein und war sogar ziemlich zufrieden.


„Sie werden schon nach mir suchen“, merkte sie kleinlaut an.


„Sollen sie ruhig“, erwiderte er und hatte die Augen schon wieder geschlossen.


„Malfoy, ich…“

 

„Ruhig, Granger. Nur noch fünf Minuten, ok? Dann lass ich dich gehen. Dann kannst du wieder mit Potter spielen, während ich diese dämliche Fahrt nach Hause machen muss“, entgegnete er wütend.

Ihre Hand strich über seine Brust. Mehr unbewusst als wirklich bewusst. Es gefiel ihm gut.

 

„Wie oft…?“ Sie schien die Frage nicht beenden zu wollen.

 

„Wie oft, was?“, fragte er also gereizt. Sie machte es ihm mehr als schwer, wieder einzuschlagen.


„Wie oft… bist du schon so aufgewacht?“, fragte sie schließlich.

 

„In einem Klassenzimmer? Im Anzug? Nach einer Party? Mit einem Mädchen?“, fasste er gähnend zusammen. „Noch nie, Granger. Ich muss dich enttäuschen, ich bin ein schrecklich langweiliger Typ“, fügte er hinzu und zog sie fester in seine Umarmung. Es war ihm egal, dass sein Arm wieder anfing weh zu tun, wenn er das tat.

 

„Was passiert jetzt?“, fragte sie weiter. Er seufzte. Er würde wohl nicht mehr schlafen, sah er jetzt ein. Also stützte er sich auf die Ellenbogen, um sie anzusehen. Gott, sie raubte ihm seinen Atem.

 

„Wann exakt? Nachdem du hier raus gestürmt bist und wieder bei Potter in Sicherheit bist? Keine Ahnung“, sagte er schließlich.

 

„Ich renne nicht zu Harry, wegen Sicherheiten“, erwiderte sie gepresst. Er hatte es schon häufiger gemerkt. Sie hielt seinem Blick nie besonders lange stand.

 

„Wieso machst du das?“, fragte er plötzlich.

 

„Was? Gehen? Soll ich etwa hier liegen bleiben? Bist du völlig-“


„Nein“, unterbrach er sie und seine Finger strichen sanft über ihre warme Wange. „Wieso guckst du weg, wenn ich dich ansehe?“ Er runzelte die Stirn. Sie wurde tatsächlich rot und wandte den Blick von ihm ab.

 

„Mach ich überhaupt nicht, Malfoy. Am besten du schläfst wieder.“ Sie wollte sich erhoben, aber er zog sie einfach wieder zurück.

 

„Wieso lässt du mich nicht gehen?“, fragte sie fast verzweifelt.

 

„Wieso beantwortest du nie meine Fragen?“, fragte er die Gegenfrage.

 

„Das ist nicht dein Ernst?“, erwiderte sie schließlich. Er wollte etwas sagen, aber sie entzog ihm ihren Arm. „Ok, weißt du was, ich bin müde, ich bin erschöpft, ich habe hier nichts zu verlieren, also bitte – ich gucke weg, weil…“ Sie hatte Luft geholt und sprach nicht weiter. Sie zwang sich, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Weil du schön bist“, endete sie ärgerlich.

 

Er musste lachen. Es war rau und klang seltsam. Vielleicht, weil er seit Wochen nicht mehr gelacht hatte. „Was?“, fragte er grinsend und musste husten vor Lachen. Sein Rücken fiel wieder zurück auf die Kissen und er lachte immer noch.

Sie schlug ihn unsanft in die Seite und er verzog grinsend die Lippen zu einem Lächeln. „Weil ich schön bin?“, wiederholte er spöttisch und jetzt stand sie auf. Er kam auf die Knie und griff nach ihren Händen.

 

Sie blickte zu ihm hinab und er sah genau, dass sie sich ärgerte, dass sie es ihm gesagt hatte. „Was soll das überhaupt bedeuten? Soll das irgendwas Psychologisches sein? Denkst du… ich würde dich ansehen, um dann irgendwann einen Fehler in deinem Gesicht zu sehen, um dann eher wegzugucken als du?“, fragte er verwirrt. Sie verzog den Mund.

 

„Nein“, erwiderte sie, aber er glaubte nicht, dass sie wirklich ernsthaft antworten wollte. Er hob ihre Hände zu seinem Gesicht und küsste die linke, dann die rechte. Sie sah ihm unbeweglich dabei zu. Jetzt hob er den Blick.

 

„Ich knie vor dir, Granger“, begann er grinsend. „Also, bitte bleib noch“, fuhr er fort und lehnte seinen Kopf gegen ihren Bauch. Der Stoff ihres Kleides war angenehm kühl und weich. „Wie viele Schichten hat dein Kleid, eigentlich?“, fragte er jetzt und hob ihren Saum an. Hastig wich sie zurück.

Er hob eine Augenbraue. „Wieder Angst vor mir?“, fragte er also und rechnetet fest damit, heute keine Antwort mehr zu bekommen.

 

„Ich habe keine Angst vor dir! Wie oft soll ich es dir sagen?“, sagte sie jetzt lauter als er angenommen hatte.

 

„Wieso weichst du dann zurück? Denkst du wirklich, ich würde… hier jetzt irgendwas tun?“ Gott, wieso konnte er nicht mal mehr richtig sprechen, wenn er sie sah. Er hatte nicht mal Lust, schmutzige Wörter zu benutzen oder Andeutungen zu machen. „Ich habe dir gesagt, ich tue es nicht, wenn du mich hasst“, wiederholte er die Worte, die ihm nur allzu deutlich im Gedächtnis geblieben waren, von gestern Nacht.

 

„Richtig, ich könnte dich ja sowieso nicht überzeugen“, entgegnete sie spöttisch und er hörte ihre Wut durchaus.

 

„Denkst du wirklich, ich wäre so verzweifelt, Granger? Das hier ist kein Spiel für mich“, fügte er grimmig hinzu. Sein Kopf tat doch noch gehörig weh.

 

„Ok. Schön, fein. Dann beweis es, Malfoy.“

 

Und ehe er etwas tun oder sagen konnte, hatte sie ihren Reißverschluss geöffnet und das wuchtige Ballkleid fiel von ihrem Körper ab, wie ein Kokon.

Sein Mund öffnete sich, ohne dass er etwas sagen konnte.

Er konnte sie nur anstarren, denn sie trug nur noch ein dunkelrotes Höschen.

Tapfer sah sie ihn an. Ihre Wangen rot, das Kinn nach vorne geschoben. Ihre Brüste hoben sich bei jedem Atemzug.

 

Verflucht wunderschöne Brüste. Sie würde in seine Hände passen. Perfekt, das wusste er! Seine Erektion erinnerte ihn daran, dass es sie auch noch gab und seine Müdigkeit und seine Kopfschmerzen waren vom Adrenalin, das durch seinen Kreislauf peitschte, abgelöst worden. Langsam schüttelte er den Kopf.

 

Sein Mund fühlte sich sehr trocken an. „Das ist unfair“, flüsterte seine unbrauchbare Stimme.

 

„Kein Angst. Ich werde dir einen Abschiedskuss geben und dann werde ich gehen.“ Es klang wie eine Drohung aus ihrem Mund. Eine verflucht scharfe Drohung aus ihrem Mund. Er wollte ablehnen, wollte erneut den Kopf schütteln, aber sie war schon aus ihrem Restkleid gestiegen und ging nun auf die Knie. „Und denk dran, nicht anfassen“, flüsterte sie so leise, damit er wohl ihre Stimme nicht zittern hören sollte.

 

Sie lehnte sich langsam zu seinem Gesicht. Ihr wunderschöner Körper kam näher.

Sie war ein gemeines Biest. Eine verfluchte Gryffindor und natürlich hatte er nie eine Chance. Keine.

 

Als ihre Lippen seine zaghaft trafen, tat es ihm fast leid, dass sie so gespielt hatte. Er hatte ihr alles absolut perfekt bieten wollen. So wie… er es noch nie getan hatte. Hungrig zog er sie an sich. Seine Hände wagten nicht einmal ihre nackten Hüften zu verlassen.

 

Sie stöhnte plötzlich und er warf sie ungehalten auf die Kissen und war über ihr, ehe sie etwas sagen konnte. Worte waren überflüssig. Er küsste sie erneut. Seine Zunge drang endlich zwischen ihre Lippen. Der unangenehme Geschmack war nur für eine Sekunde existent in seinem Kopf.

 

Es war alles scheiß egal! Die verdammte Schule könnte gerade über ihnen einstürzen, und auch das war verflucht egal! Er löste sich von ihr und küsste ihren Hals, ihr Schlüsselbein und ihre Hände gruben sich in seine Haare.

Er konnte nicht begreifen, dass das jetzt passierte.

 

Er durfte das nicht zulassen. Eigentlich musste er stärker sein als das!

 

„Draco…“

 

Nein, nein. Nichts in der Welt konnte ihn halten. Gar nichts! Seine Hand umschloss ihre Brust. Gott, und wie sie passte! Gierig sog er ihren dunklen Nippel in seinen Mund und konnte in derselben Sekunde nicht fassen, dass er das wirklich tat!

 

Sie keuchte auf, und er konnte nur wage annehmen, dass das für sie vollkommen neu war. Er hatte so viele Möglichkeiten gehabt! Er hätte das beste erste Mal ihres Lebens geplant und sie versaute es ihm mit billigen Tricks. Er hatte nicht mal mehr die Geduld irgendein Vorspiel in seinen Kopf zu planen.

 

Er küsste ihre andere Brust, während erstickte Laute ihre perfekten Lippen verließen. Seine Mund fuhr ihren Bauch entlang, küsste ihren Bauchnabel und ehe sie reagieren konnte, zogen seine Finger ihr Höschen ihre Beine hinab.

Er küsste ihre Schenkel und spürte wie sie sich verkrampfte.

 

Er hatte keine Zeit. Er hatte physisch keine Zeit mehr! Sie war schuld! Nur sie! Ihre Finger krallten sich in die Kissen neben ihr und er wusste, würde er jetzt aufhören, hätte er für immer versagte. Seine Hände spreizten ihre Schenkel mit ein wenig Gewalt.

 

„Nein, Draco-“

 

Doch er konnte sich nicht beherrschen. Schon leckte seine Zunge über ihr weiches Fleisch. Ihr Duft machte ihn völlig wahnsinnig. Er hörte sie keuchen, hörte sie schlucken, sie fluchte sogar unterdrückt.

Er schloss die Augen, ließ seine Zunge kreisen und stieß sie schließlich in ihre enge Hitze.

 

Der Laut, der sich aus ihrer Kehle rang, war das schönste, was er jemals gehört hatte. Er stieß seine Zunge noch einmal tief in sie und ihr Schrei war kehlig und hoch. Er hätte gerne mehr Zeit darauf verschwendet, hätte gerne, dass sie fünfhundertmal kommen würde, ehe er nicht mehr konnte – aber es ging nicht.

 

Ungeduldig öffnete er sein Hemd, zog es aus, die Hose folgte nur zu schnell – und er hatte gar nicht mehr daran gedacht. Ihr Gesicht war wunderschön, die Wangen rot, die Augen leuchteten und waren beinahe glasig vor Ekstase, aber ihr Blick war kurz – ganz kurz – über seinen Arm gewandert. Jetzt sah sie ihm fest in die Augen.

 

Zum ersten Mal schämte er sich tatsächlich für den schwarzen Schädel auf seinem Arm. Noch nie hatte er es in dem Maße als störend empfunden, dieses Tattoo zu tragen. Jetzt war es völlig offiziell. Jetzt hatte sie es gesehen.

Er zögerte einen kurzen Moment.

 

Ihr nackter, perfekter Körper lag auf den Kissen, die Haare wie ein Fächer um ihren Kopf gebreitet, die Augen groß und ihr Mund geöffnet. Seine Erektion hatte jetzt nur noch die dunkle Shorts, die allem im Wege stand.

 

Und er sah sie schlucken, sah, wie sie sich aufrichtete und all ihren Mut zusammen nahm. Sie zog seine Shorts einfach seine Schenkel hinab und er konnte nicht zählen, wie viele Mädchen das vor ihr getan hatten, aber er war sich sicher, das hier würde er niemals – niemals – vergessen.

 

Ihre Augen verfingen sich an seinem Penis. Ihre Wangen wurden noch röter. Dann sah sie plötzlich auf. Er musste kurz die Augen schließen, so überwältigt war er von diesem einen Moment! Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich ihr Blick wieder neugierig gesenkt.

 

Ehe sie noch auf die Idee kam, ihn zu berühren öffnete er den Mund. „Leg dich hin“ sagte er ruhig. Das hatte er schon ewig nicht mehr sagen müssen. Würde sie ihn jetzt auch noch berühren, würde er wahrscheinlich sofort kommen.

Sie folgte seinen Worten unsicher. Schon war er über ihr.

 

Er stützte seine Hände neben ihr ab. Sie hatte die Beine schon willig gespreizt.

 

„Hör zu…“, sagte er gepresst, denn er konnte nicht mehr wirklich Worte in seinen Mund zwingen. „Wahrscheinlich tut es weh“, sagte er nur. Jungfrauen waren nicht seine Spezialität. All die Vorsicht, die man anwenden musste, war ihm immer nur lästig gewesen. Er kam sich schäbig vor. Widerlich und furchtbar.

 

Potter würde ihn köpfen! Er würde ihn kastrieren! Er würde sich wahrscheinlich selber hier nach kastrieren, ging ihm auf. Wie konnte er – ausgerechnet er – sich anmaßen, sie zu besitzen?

 

Sie musste es in seinen Augen gesehen haben.

 

„Ich habe keine Angst“, sagte sie fest und zog ihn zu einem Kuss zu sich. Ihm war klar, dass sie gerade sich selber in ihrem Mund schmecken musste, aber sie schreckte nicht zurück, nein sie spreizte ihre Beine weiter, zog ihn enger an sich.

Und sein Kopf konnte nicht anders, als auszuschalten. Er vergaß seine Vorsicht, er vergaß alles und bevor er wieder denken konnte, bevor die Lichter in seinem Kopf wieder angegangen waren, hatte er sich mit einem tiefen Grollen, nach vorne gestoßen.

 

Tief in ihre Hitze, durch die Enge, die zuerst viel zu eng erschien und dann schließlich nachgab. Alles geschah innerhalb von zwei Sekunden.

Ihre Hände hatten sich in seinen Nacken gekrallt, ihre Lippen hatten sich unter einem Keuchen von seinen gelöst und unbewegt verharrte er in ihr.

Sein Atem ging schnell und in unregelmäßigen Abständen.

Tränen rollten aus ihren Augenwinkeln. Scheiß Bastard, das war er! Nichts weiter.

 

„Tut mir so leid“, flüsterte er und wagte nicht, sich zu bewegen. Sie war furchtbar blass geworden. Sie sah nicht ihn an, sondern direkt an ihm vorbei. Er hatte keine Ahnung, was sie fühlte, was sie dachte. Er wusste nur, er war derjenige, der die Erfahrung hatte, er war derjenige, der zu Ende bringen musste, was er hier begonnen hatte.

 

Langsam zog er sich aus ihr zurück, küsste ihren Hals und stieß langsam wieder nach vorne. Er sog scharf die Luft ein, als er ihre Enge nur zu deutlich spürte. Auch sie keuchte auf.

Sie hatte sich fest auf die Lippe gebissen als er sich wieder aus ihr entfernte.

Ihre Augen öffneten sich. Er sah sie an und sie erwiderte schließlich den Blick.

Er beugte sich zu ihr, küsste die Tränen fort und verschloss ihre Lippen als er das nächste Mal in sie stieß. Sie keuchte diesmal in seinen Mund und er verschlang ihre Lippen, seine Zunge stieß gegen ihre.

 

Wieder drang er hart in sie ein, versuchte es leichter zu machen und plötzlich erwiderte sie seinen Kuss. Zaghaft, scheu, aber er spürte, wie sie reagierte. Langsam stieß er wieder in sie, pinnte sie hart in die Kissen und das erste Mal begegnete sie seinem Stoß, fiel in seinen Rhythmus.

 

Er musste die Augen schließen und den Kopf zurückziehen, sonst würde er augenblicklich kommen.

Ihre Hände fanden seine Haare, zogen ihn wieder zu sich und er hätte sich gerne entschuldigt, hätte ihr versprochen, dass er das nächste Mal warten würde, nicht so eilig wäre – dass alles besser werden würde.

 

Das nächste Mal…

 

Er stöhnte ungehalten in ihren Mund, rammte sich ein letzten Mal tief in sie, seine Hände umfassten grob ihre Hüften, sie keuchte laut auf, klammerte sich an ihn und er brach erschöpft auf ihr zusammen, völlig unfähig noch einen Gedanken zu fassen.

 

Er spürte ihren Herzschlag. Er hatte geglaubt, nichts in der Welt könne ihn noch überraschen, nichts könne ihn jemals wieder unerwartet treffen.

Aber das hier… dieser Moment, dieses Mädchen unter ihm, übertraf all seine kühnsten Träume.

 

 

Teil 23

 

 

Sie hatte die Hand zu seinen Haaren gehoben. Gedankenverloren strichen die Finger durch die hellen Strähnen. Sein Atem ging tief und er beruhigte sich langsam. Ihre Körper waren so heiß, sie mussten mittlerweile schon verschmolzen sein.

 

Sie fühlte sich wund. Selbst ihre Beine schmerzten in dieser Position. Aber sie wollte sich nicht bewegen. Denn sobald sie das hier unterbrach, sobald er aus ihr verschwinden, aufstehen und gehen würde, wäre sie wieder sich selbst überlassen.

 

Und sie hatte es so gewollt. Sie konnte nicht mehr rekonstruieren, was sie gedacht hatte, als sie sich das Kleid einfach ausgezogen hatte.

Sie musste verrückt geworden sein. Und sie hatte es so dringend gewollt.

Ihn hier zu sehen, neben ihm aufgewacht zu sein….

 

Und jetzt war es passiert. Und es hat wehgetan. Verflucht weh. Es schmerzte immer noch. Sie mochte das Gefühl seiner Haut unter ihren Fingern.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte oder ob sie überhaupt sprechen musste.

Sein Gesicht hatte sich völlig in die Hornhaut ihrer Augen gebrannt.

Sie hatte diese Macht gehabt, wegen ihr hatte er völlig die Kontrolle verloren.

 

Sie spürte, wie er sich bewegte, sich auf die Ellenbogenstützte und sie schließlich ansah. Die Strähnen in seiner Stirn waren feucht vor Anstrengung.

Gott, er war so wunderschön. Seine Lippen geschwollen und voll, die Augen hell vor Sorge und seine blonden Augenbrauen bildeten ein winzige, schmale Falte zwischen seinen Augen. Er wartete. Nein, es war Ungeduld.

 

Ihre Mundwinkel hoben sich ein winziges Stück.

 

Es war, als wäre es ein Zeichen gewesen, ein winziges Zeichen. Er senkte den Kopf sofort und küsste leicht ihren Mund. Es kam ihr vor, als würde er sie einatmen, als löse er sich von ihrem Mund, nur um sich wieder in ihren Haaren zu vergraben. Er war schwer, fiel ihr auf, so wie er über ihr lag.

Sein Mund fand ihre Halsbeuge, küsste sie und wäre der Schmerz nicht unerträglich, würde sie es vielleicht genießen.

 

Es war neu. Es war alles neu. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte doch nicht einfach hier liegen? Sollte sie nicht duschen gehen? Verhütungszauber anwenden? Was passierte jetzt? Wie lange wollte er sie jetzt noch hier halten?

 

„Was…“, begann sie und er hob den Kopf wieder. „Was ist mit Verhütung?“, flüsterte sie heiser. Und sie sah es: Irgendwas in seinem Gesicht veränderte sich. Hinter seinen Augen wurde etwas kälter. Vielleicht die Farbe, der Ausdruck, egal. Plötzlich war etwas anders.

 

Und wenn sie die simpelsten Worte nehmen musste, um es zu beschreiben, dann würde sie behaupten Malfoys Gesicht hatte innerhalb von einer Sekunde alle Wärme verloren. Aber sie wusste nicht, warum.

 

„Sicher“, sagte er nur, entfernte sich so schnell wie er eingedrungen war, rollte von ihr und griff nach seinem Zauberstab. Er setzte sich auf, fuhr sich durch die Haare und sprach eine stumme Formel, während er den Zauberstab auf sie richtete. Sie fühlte ein kaltes Gefühl in ihrem Innern und es war auch nicht angenehm.

 

Für einen Moment bewegte er sich nicht. Sie lag immer noch auf den Kissen, und wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Er zog schließlich sein Hemd und über griff nach seiner Shorts.

 

„Und dieser Spruch wirkt?“, fragte sie, damit sie überhaupt irgendwas sagen konnte. Er verzog spöttisch den Mund.

 

„Nicht mein erster Spruch“, entgegnete er mit einer sehr kühlen Stimme. Es tat ihr weh, dass er so war. Wieso war er so? Sie wollte nicht, dass er jetzt ging und sie hier zurück ließ.

 

„Und… was für eine Formel war das? Wirkt sie auf die…?“ Er war in einer einzigen Bewegung aufgestanden.

 

„Was soll das? Du willst jetzt wirklich über diese Verhütung reden? Jetzt? Das ist alles, was in deinem Kopf ist? Nichts sonst, Granger?“ Seine Stimme klang wütend, scharf und kalt. Ehe sie antworten konnte, war er in seine Hose gestiegen und verschloss den Reißverschluss. Sein Hemd war noch offen und sehnige Muskeln zogen sich über seine ausnahmslose schöne Brust. „Es ist ein Postcontraceptivum. Es richtet sich gegen die Spermien in deinem Körper, ausschließlich gegen Fremdkörper. Wahrscheinlich hast du die Kälte gespürt, das bedeutete, der Spruch hat natürlich gewirkt und sie sind soeben abgestorben.“ Er hatte das schnell gesagt.

 

Er war also sauer auf sie, weil sie nichts anderes gesagte hatte? Was hätte sie sagen sollen? Dass es weh getan hatte? Dass… sie nahm an, dass sie wusste, was er hören wollte. Er wollte hören, dass sie ihn nicht dafür hasste, dass sie ihn mochte, dass… er sich keine Sorgen machen sollte.

Aber sie konnte nicht!

Sie konnte nichts anderes als Draco Malfoy in ihm zu sehen. Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass sie ihn wollte. Dass es unerträglich war, ihn jetzt gehen zu sehen.

 

Sie setzte sich abrupt auf und griff nach ihrem Kleid. Sie versuchte es so gut wie möglich vor ihren bloßen Körper zu halten. Wahrscheinlich war er es von seinen anderen hundert Huren gewohnt, wie ein König gelobt zu werden.

Aber dann wäre sie doch nur eine andere seiner hundert Huren.

 

Das war sie schon jetzt, ging ihr plötzlich auf. Mit wem würde er gleich schlafen, um diese Erinnerung wegzuwaschen? Gut konnte es für ihn ja wohl kaum gewesen sein! Sie hatte geweint, hatte völlig still gelegen, es war dieselbe Position gewesen, sie hatte nicht mal seinen…

 

Heiße Tränen stiegen in ihr hoch.

Sie hatte alles hierüber gelesen, hatte sämtliche Gesprächsfetzen über Sex aufgeschnappt, war immer fasziniert gewesen von der geteilten Meinung, die sagte, Sex sei nützlich und Sex sei das großartigste auf der Welt.

Sie hatte das erfahren wollen! Sie hatte wissen wollen, worüber die Menschen sprachen, wo von sie schwärmten.

 

Hätte sie etwa seinen verdammten Penis in den Mund nehmen müssen, damit er jetzt bei ihr blieb? Aber nein, er hatte ihr dazu keine Zeit gelassen!

Und sie hatte es gar nicht gewollt. Hätte sie es wollen müssen, vor dem ersten Mal? Hätte sie?!

Wieso sah er selbst jetzt schön aus? Wieso sah sie wahrscheinlich aus wie eine verheulte Hure? Gott, sie konnte das Wort nicht mehr unterdrücken, es kam immer wieder an die Oberfläche.

 

Wenn er sie jetzt noch bezahlen würde, dann hätte sie wenigstens die gesamte Schuldigkeit getan. Ehe sie noch wirklich anfing zu weinen, erhob sie sich. Sie wollte nicht, dass ihre Lippen anfingen zu beben, dass sie schluchzen würde und sich wieder mal vor ihm blamierte.

Sie war Hermine Granger, zum Teufel. Nach allem war sie immer noch sie selbst.

Sie stieg achtlos in ihr Kleid, bemühte sich nicht einmal den Reißverschluss vollständig zu schließen und sah hinab auf die Kissen.

 

Dort war ein winziger Fleck verblieben. Dunkelrot, wie ihr Kleid. Sie bückte sich nach ihrem eigenen Zauberstab, sprach die Formel, um das Kissen zu säubern, stumm, aber zu ihrem großen Ärger explodierte das Kissen und Federn stoben in die Luft.

Sie war erschrocken zurück gewichen und zornig mit sich selbst.

Die Formel war eine der ersten, die sie gelernt hatten und sie schaffte es jetzt nicht einmal mehr diese zu sprechen?

 

Großartig, wirklich.

 

Sie wischte sich über das Gesicht und wandte sich dann zu ihm um. Er hatte das Jackett schon übergezogen und natürlich sah man ihm nicht an, dass sich ihr Leben gerade völlig verändert hatte. Sie wünschte, man würde es nur ihm ansehen und nicht ihr. Sie hatte das Gefühl, ihre Haare waren ein grauenhafter Anblick, buschig und wild. Nicht schön und lang und lockig.

Sie hatte keine Ahnung, wieso sie sich ihm gegenüber immer hässlich vorkam.

 

Vielleicht lag es daran, dass er nie etwas Entsprechendes sagte.

Obwohl das nicht stimmte. Er hatte ihr gesagt, dass er sie schön fand. Sicher, als sie stundenlange Arbeit darauf verwendet hatte und sich so viel Mühe mit ihrem Aussehen und ihrer Frisur gegeben hatte, dass es fast schon verrückt gewesen war.

 

Natürlich hatte er unter diesen Voraussetzungen mit ihr schlafen wollen!

Gott, sie musste sich abregen. Sie musste einfach.

 

Er würde sie nicht mehr küssen, wurde ihr klar. Wie konnte sich alles so verändert haben? Wo war der Draco Malfoy von gestern? Wieso war es so einfach für ihn, einfach den Schalter umzulegen von nett auf Arschloch? War das alles nur Fassade? Sie konnte nur annehmen, dass es wirklich so war.

Aber sie hatte keine Lust es herauszufinden. Sie hatte keine Lust, erst wieder mit viel Arbeit hinter seine Fassade zu steigen, nur weil er sich niemals erlaubte Schwäche zu zeigen. Sie zeigte ständig Schwäche.

 

Sie zeigte ihm gegenüber nur Schwäche. Und das war es nicht, was sie wollte.

 

Und genau das war der Grund, weshalb es unmöglich war, dass sie ihn nicht verabscheuen konnte. Er vertraute niemandem.

Nicht einmal sich selbst.

 

Er wollte, dass sie sich in ihn verliebte? Wieso? Es wäre doch viel einfacher so. Er wäre ein Arschloch, sie würde ihn hassen und er müsste sich niemals wieder mit ihr befassen. Er log. Er mochte sie nicht. Wie konnte bei ihm alles so völlig widersprüchlich sein?

 

Sie hatte einen großen Fehler gemacht. In ihrem Kopf war sie überzeugt, dass sie sich beide einfach zu schnell verletzen konnten, aber sie wusste nicht, warum es so war. Und sie wollte auch nicht darüber nachdenken.

Sie hatte mit ihm schlafen wollen, aber sie hatte sich keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht. Sie hatte ihn so dringend gewollt, dass sie gar nicht überlegt hatte, was passieren würde, wenn sie fertig waren, wenn er alles bekommen hatte.

Und sie hätte wissen müssen, dass er nicht damit umgehen konnte, mit einem Schlammblut geschlafen zu haben. Er würde es nicht können.

Sie hasste es, die stärkere Person in diesem Zimmer zu sein.

 

Und der andere Teil ihres Körpers, ihr dämliches Herz schrie gegen ihren Verstand. Er hatte sich entschuldigt, er hatte geweint, er hatte gar nicht mit ihr schlafen wollen, ehe sie ihn nicht wirklich wollte, ohne ihn zu verabscheuen! Sie überhörte ihr Herz mit kalter Ignoranz.

Denn würde sie auch noch diese Gedanken durchgehen, dann stünde sie nämlich ziemlich schlecht da. Am Ende würde es ihr Herz noch so drehen, dass sie sich entschuldigen würde.

 

Und das würde sie nicht tun. Regeln hin oder her – er hatte gerade ihre Jungfräulichkeit bekommen. Und sie war nicht diejenige, die dafür verantwortlich war, dass es ihm danach besser ging.

 

„Am besten gehst du. Wir sollten nicht zusammen gehen. Ich räum das hier auf.“ Oh Gott, sie klang als würde sie auf einem Vertrauensschülertreffen die Pflichten für die nächste Woche vorlesen. Seine Augen brannten sich in ihren Blick. Sein Mund öffnete sich kurz.

 

Sag doch was! Bitte, sag doch was! Irgendwas! Es war nur ihr Herz, das das wollte. Ihr Verstand hatte sich schon völlig damit abgefunden, dass… dass er gehen würde, dass er nicht weinen würde, wenn der Morgen vorbei war.

Er zog den Zauberstab. Für einen wilden Moment befürchtete sie, dass er sie verfluchen wollte, aber er entriegelte lediglich die Tür.

 

Er hatte ihren Blick wohl bemerkt, voller Panik. Sie ärgerte sich darüber. Natürlich würde er sie höchstwahrschienlich nicht verfluchen.

Sie wollte keine Angst vor ihm haben. Hatte sie auch nicht. Sie hatte keine Angst davor, dass er sie verfluchen würde.

Sie hatte nur Angst davor, dass er ihr Herz mitnehmen, und sie es nicht mehr wieder bekommen würde.

 

Er steckte den Zauberstab zurück und riss endlich den Blick von ihrem Gesicht. Jetzt hatte er tatsächlich den Blickkontakt als erster gebrochen.

Und er hatte keine zehn Sekunden später den Raum ohne ein weiteres Wort verlassen.

 

Leise sank sie auf die Kissen zurück. Der Raum roch nach ihm. Sein Duft hing schwer in jeder Ecke. Sie atmete ihn tief ein und erlaubte sich erst jetzt, stumme Tränen zu weinen. Und sie wollte so sehr, dass es anders war.

Aber sie wusste, wenn sie wollte, dass er sich änderte, dann durfte sie nicht schweigen, dann musste sie ihm sagen, dass sie es wollte.

Sie hielt nichts von Kompromissen.

Es war zu schwer. Sie riskierte zu viel.

 

Völlig stumm saß sie zwischen den Kissen, den Federn, den Sonnenstrahlen und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, während die Tränen den Stoff ihres Kleides dunkler färbten.

 

 

Teil 24erzH

 

 

Die Auffahrt kam ihm länger vor als sonst. Das Haus erschien ihm auch größer. Kurz dachte er darüber nach, dass er wohl der einzige in Hogwarts war, der in so einem kalten Palast aufgewachsen war.

 

Nach einer Ewigkeit erreichte er die Tür, brachte es über sich zu klopfen und der alte Elf erkannte ihn kaum. Jedenfalls nahm er das an.

„Mr Malfoy“, begrüßte er ihn mit Reibeisenstimme und wich zurück. Draco betrat die Halle.

 

Es war lächerlich, dass sie beinahe größer war als die Halle in Hogwarts. Ballons hingen von der Decke, und er fragte sich, in welchem Teil des Hauses, sich sein Vater versteckt halten musste.

 

Er durchschritt die Halle und betrat das Wohnzimmer. Es kam ihm ebenfalls größer vor. Vielleicht, weil er noch immer niemanden angetroffen hatte.

Er war sich sicher, die Ruhe war nur eine Ruhe vor dem Sturm. Er hatte genug von Stürmen.

 

Aber zum ersten Mal war er fast gerne gekommen, denn Hogwarts machte ihn wahnsinnig und krank. Sein Haus lenkte seine Gedanken davon ab, dass Granger ihn hasste. Nicht besonders gut oder für lange Zeit, aber es lenkte ihn ab.

Und er wollte nichts anderes, als Ablenkung.

 

„- weil ich gehen werde!“, hörte er die kalte Stimme seines Vaters.

 

„Wenn du jetzt gehst, dann brauchst du gar nicht erst wieder zu kommen!“

 

„Du wirfst mich aus meinem Haus, Narzissa? Das sieht dir sowas von ähnlich. Wenn überhaupt, dann könnte ich dich hier rauswerfen. Dich und dein widerliches Kind, was unsere Ehre bis auf das Letzte blamiert und zerstört hat!“

 

„Du bist ein scheiß Kerl, Lucius! Scorpio ist dein Kind – genauso wie es mein Kind ist! Denkst du, weil Draco sich in deine Richtung entwickelt hat, ist er ein besserer Sohn?“

 

„Er ist in Hogwarts, er ist Schulsprecher und er kann einen Zauberstab verwenden, damit ist die Antwort, ja! Draco ist der bessere Sohn. Wie kannst du das in Frage stellen? Und wie kannst du es wagen, ihn hier her zu holen, nur weil deine Missgeburt wieder ein Jahr älter wird?“

 

Er hörte den Schlag.

 

Er nahm an, seine Mutter hatte seinen Vater geschlagen. Nicht umgekehrt. Frauen wurden im Hause Malfoy nicht geschlagen. Sie wurden gedemütigt und angeschrieen – aber nicht geschlagen.

 

Es waren Worte, die er gar nicht hören wollte. Wirklich nicht.

 

„Ich kann nicht fassen, wie sehr du mich anwiderst, Lucius! Ich kann absolut nicht begreifen, wie ich dich jemals hatte heiraten können!“ Draco räusperte sich verhalten und blickte auf seine Schuhe. Sie müssten nach der Reise wirklich poliert werden, überlegte er.

 

„Du willst die Scheidung? Sag es doch einfach, Narzissa. Dann stehst du mit nichts mehr da! Kein Geld, kein Haus – nur deinem Squib!“, schrie er und so sehr Draco die Stimmen versuchte auszublenden, umso deutlicher blieben sie ihm im Gedächtnis.

 

„Ich will die Scheidung! Schon seit Jahren, du Arschloch!“

 

Das Scheidungs-Gespräch. Er wusste nicht, wie oft sie es in den letzten Jahren geführt hatten. Er setzte sich auf einen der Sessel und wartete gelassen. Würde er sich wirklich noch darum kümmern oder es sich zu Herzen nehmen, wie seine Eltern miteinander umgingen, dann würde er wahrscheinlich zerbrechen.

Aber mittlerweile bröckelte seine Überzeugung, dass er auf der Seite seines Vaters stand etwas.

 

Seit er Granger… wollte? War es das Wort? Seit er sie wollte, nahm er in Kauf, dass er sich ändern wollte. Tatsächlich wollte.

Nur wusste er noch nicht, wie er es tun sollte. Denn er konnte es nicht wirklich länger ertragen, sich zu schämen, sich schlecht zu fühlen, und er wusste bei Gott nicht, wie sein Vater es aushielt, dass seine Mutter ihn so beschimpfte, und er doch jahrelang hier in diesem Haus blieb.

 

„Ist das so? Wieso tust du dann-“

 

Beide hatten sich ins Wohnzimmer gestritten. Sein Vater trug bereits seinen Reiseumhang. Sie verloren beide nicht die Fassung. „Draco, du bist da! Ausgezeichnet, was hältst du davon, wenn wir zwei Tage im Kingdom Court verbringen?“ Es war das bevorzugte Hotel seines Vaters. Draco nahm an, wegen der Massagedamen.

 

Er hatte zwei Möglichkeiten. Nein, eigentlich hatte er nur ein. Er seufzte.

 

„Tut mir leid. Ich bleibe.“ Er wusste nicht, was sein Vater erwartet hatte, aber das war es nicht.

 

„Und wieso das?“

 

Ja, mir geht es gut, danke. Dir auch? Die Reise war in Ordnung, ging sehr schnell. Herrliches Wetter für die Jahreszeit, ja… Er ignorierte, dass er keine Begrüßung bekommen hatte.

 

„Weil ich extra für den Geburtstag gekommen bin, Lucius.“ Vater. Eigentlich hatte er Vater sagen wollen. Jetzt war ihm der Vorname aus Versehen rausgerutscht.

 

„Wie du willst. Einen schönes Wochenende.“ Damit verschwand er auch schon. Draco hatte nicht mal genug Zeit, sich einzuprägen, wie sein Vater eigentlich aussah. Die Haare trug er lang wie immer in einem Zopf gebunden. Die Schuhe waren schwarz und sauber gewesen, aber hatte er einen Reiseumhang, einen normalen Umhang oder einen langen Gehrock getragen? Er konnte es schon nicht mehr ganz genau bestimmen.

 

Seine Mutter sah schön aus.

Sie trug ein helles Kleid. Allerdings wirkte sie erschöpft vom Schreien. Draco erhob sich, weil er nicht genau wusste, wie er sich verhalten sollte. Allein mit seiner Mutter hatte er… vor zehn Jahren gesprochen? Wenn man von der Unterhaltung im Kamin vor zwei Wochen absah.

 

„Wie geht es dir?“, fragte sie und lächelte wohl nur für ihn. Er umarmte sie, weil er nicht nachgedacht hatte. Fast bereute er die Geste, aber jetzt war er schon auf sie zugekommen und hatte die Arme um sie geschlossen. Es wäre jetzt schwach, zurückzuweichen. Überrascht legte sie die Arme um seinen Rücken.

„Draco, was ist los?“, fragte sie beunruhigt.

 

Er löste sich von ihr. „Nichts, Mutter.“ Es tat ihm leid, wie sein Vater mit ihr sprach. Das tat es zum ersten Mal wirklich. „Ich freue mich, hier zu sein.“ Sie sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an.

 

„Dann muss es ja wirklich schrecklich in Hogwarts sein“, gab sie zurück und er fragte sich, ob er vielleicht doch mehr von seiner Mutter als von seinem Vater geerbt hatte. Er beschloss darauf nicht zu antworten.

 

„Wo ist Scorpio?“, fragte er schließlich. Und seine Mutter sah ihn beinahe ungläubig an.

 

„Du willst ihn sehen?“, fragte sie verstört und er ruckte mit dem Kopf.

 

„Ich bin wegen ihm hier oder nicht?“

 

„Draco, was ist auf einmal passiert? Gibt es Probleme?“ Er musste sich zwingen, nicht zu schreien. Er war im Moment gefährlich nahe an sämtlichen Abgründen.

 

„Ist er hier oder nicht?“, riss er sich also zusammen und seine Mutter nickte langsam.

 

„Er ist in seinem Zimmer, mit dem Kindermädchen“, fügte sie hinzu. Er nickte und beschloss seinen Bruder zum ersten Mal zu begrüßen.

Die Treppen erklomm er mit einem flauen Gefühl im Magen. Die Stufen kamen ihm höher vor, alles schien unerreichbar weit und fremd.

Er betrachtete das Haus mit den Augen eines anderen Menschen, so kam es ihm vor.

 

Und er stellte fest, dass er im Südteil des Hauses eher selten gewesen war. Hier war das Schlafzimmer seiner Eltern, in dem sowieso nur noch seine Mutter schlief und eine Etage darüber war Scorpios Zimmer.

Er betrachtete die fremden Bilder und war sich nicht sicher, überhaupt schon mal darauf geachtet zu haben.

Zwar kannte er sich im Haus aus, sicher, es war schließlich sein Haus, aber dennoch… Hier war er vielleicht mit Absicht einmal gewesen, seitdem sein Bruder geboren war.

 

Er klopfte an die helle Tür. Das Mädchen bat ihn herein.

 

Die Tapete war bunt, wie er sie in Erinnerung hatte. Das Spielzeug war jedoch anderes als vor ein paar Jahren. Das Bett war winzig, im Vergleich zu seinem eigenen. Auf dem Boden saß das Mädchen und sie und Scorpio arbeiteten an einem Puzzle. Es war verzaubert und die Gestalten winkten vom Deckel der Verpackung entgegen.

 

Draco kannte die Gestalten nicht. Es waren kleine Männer. Sieben, wenn er richtig zählte und ein Mädchen mit schwarzen Haaren, mit einem Apfel in der Hand. Er hatte keine Ahnung, weshalb man so ein Puzzle legen wollte, aber er fragte nicht.

 

„Hi“, sagte er und sein Bruder hob kurz den Blick. Es lag kein Widererkennungswert in seinen Augen. Seine Augen waren blau wie seine eigenen. Sein Mund verzog sich in Anstrengung als er das nächste Teil in seine kleine Hand nahm. Die Haare waren so hell, dass sie fast weiß waren. Sie fielen weich und glatt in seine Stirn.

 

„Sie sind Draco.“ Das Mädchen erhob sich und erkannte ihn anscheinend. Es war neu. „Ihre Mutter hat mir erzählt, dass sie heute kommen würden. Ich bin Amber“, stellte sie sich vor. Unter gewöhnlichen Umständen, würde er nicht zögern. Sie war bestimmt so alt wie er selber, vielleicht etwas älter. Sie war hübsch, ihre Brüste waren enorm und nichts hätte ihn aufhalten können.

 

Aber er schenkte ihr kein charmantes Lächeln.

 

„Draco Malfoy.“ Er schüttelte knapp ihre Hand und wandte den Blick wieder auf seinen Bruder. Er seufzte und ging in die Hocke. „Na, was machst du?“, fragte er und glaubte seit langem nicht mehr eine direkte Frage an seinen Bruder gerichtet zu haben. Aber er wusste nicht mal, ob er ihn überhaupt verstand.

 

„Bist du blind? Ein Puzzle“, erwiderte er ungeduldig, ohne den Blick zu heben. Seine Stimme war hoch und klar. Er konnte also sprechen.

 

„Aha. Und was für eins?“ Jetzt sah er ihn mit kindlicher Abschätzung an. Beinahe so, als wolle er sich lustig machen.

 

„Oh, es ist ein Märchen. Ein Muggelmärchen. Es heißt Schneewittchen. Das da sind die sieben Zwerge“, erklärte das Kindermädchen und er runzelte die Stirn. Ein Muggelpuzzle? Aber das Bild war magisch.

 

„Ein Muggelmärchen?“, wiederholte er jetzt und das Mädchen nickte.

 

„Ja, ohne Magie“, erklärte Scorpio und Draco hatte das sichere Gefühl, sein Bruder konnte den Hass seiner Eltern aufeinander nicht einfach ignorieren.

 

„Darf ich… helfen?“, fragte er nur, ohne zu wissen, ob er das wirklich wollte.

 

„Nein“, war die schlichte Antwort seines kleinen Bruders und Draco schwieg kurz.

 

„Oh, das ist aber nicht nett, Scor. Wenn denn Bruder gerne helfen möchte?“ Amber schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. Gott, er hätte es sogar ziemlich leicht mit diesem Mädchen. Vielleicht würde er… nein. Würde er nicht. So konnte er bestimmt nicht Grangers Gesicht vergessen, ihre verfluchten Tränen, in dem er sich ein dummes Mädchen nahm, was ihn sogar sofort wollte.

 

„Ich will aber nicht, dass er hilft! Ich will ihn auch nicht hier in meinem Zimmer“, schrie er jetzt mit schriller Stimme.

 

„Aber Scorpio!“, versuchte das Mädchen ihn zu beruhigen, aber anstatt zuzuhören, sprang er auf seine Füße und trat hart gegen den Karton in dem die Puzzleteile waren und der gesamte Inhalt flog durch den Raum.

„Nein, so spielen wir hier nicht, Scorpio. Du wirst die Teile wieder aufsammeln!“ Sie konnte sogar autoritär klingen. Sie wäre bestimmt passabel im Bett, überlegte er dumpf.

 

Aber er schüttelte diesen Gedanken ab. Es würde ihm sowieso nicht gefallen, musste er bitter gestehen. Er wollte nur noch eine einzige verfluchte Person in seinem Bett. Und die wollte ihn nicht. Grimmig zog er seinen Zauberstab.

 

„Schon gut“, sagte er nur, sprach die Formel stumm und die Teile sammelten sich in der Luft zusammen und flogen wieder in den offenen Karton. Das war ein mobiler Zauber mit Dingen der gleichen Art. Flitwick hätte ihm dafür zehn Punkte verpasst. Alles, was er von seinem Bruder bekam, war ein neidischer Blick auf seinen Zauberstab und einen Schubs gegen seinen Oberschenkel. Dann hatte er sein eigenes Zimmer verlassen und Amber stand etwas verloren auf dem Kinderteppich.

 

„Das tut mir sehr leid, er ist nur… er hat nicht viel geschlafen, wegen seines Geburtstags morgen“, versuchte sie zu rechtfertigen, was für Draco ziemlich klar auf der Hand lag.

 

„Schon gut. Ich hatte nichts anderes erwartet“, erklärte er schlicht. Was hatte er denn erwartet? Dass ihm sein Bruder in die Arme fliegen würde? Das wäre etwas Neues. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er nicht mal ein Geschenk für seinen Bruder hatte. Er war tatsächlich ein abscheulicher Mensch.

Er würde sich später darum kümmern. Jetzt würde er… ja, er würde in sein Zimmer gehen. Denn… was sonst sollte er tun?

 

„Vielleicht könnten wir zusammen mit ihm sprechen. Er ist sehr klug und bestimmt nicht lange sauer.“ Er zuckte die Achseln.

 

„Ich denke, ich weiß, dass er das jetzt nicht will“, erwiderte er, denn er wusste, wenn er früher sauer gewesen war, dann wollte er auch nicht mit Menschen über seine Probleme sprechen. Insoweit würde ihm sein Bruder bestimmt ähnlich sein. Sie berührte plötzlich seinen Arm und etwas zögerlich entzog er ihn ihr.

 

„Du erkennst mich nicht, richtig?“, fragte sie plötzlich mit einem wissenden Gesichtsausdruck. Sein Atem gefror. Oh nein. Er hatte sie schon gehabt. Scheiße.

„Amber Tate?“, sagte sie ihren Namen ungeduldig und er konnte sich nicht erinnern. „Du hattest gegen Ravenclaw verloren und wir haben zusammen getrunken? Ich war ein Jahrgang über dir.“ Sie schien von ihm nicht mehr zu erwarten, dass er sich erinnern würde. Stattdessen verzog sie den Mund. „Dachte ich mir schon.“ Damit verließ auch sie das Kinderzimmer. Und er seufzte langsam.

 

Er sank auf den Teppich und griff nach einem Puzzleteil. Schneewittchen… was für ein seltsamer Name. Sie sah aus wie Granger, fiel ihm auf. Nur ihre Haare waren noch dunkler, und Granger war schöner und würde sich nicht mit sieben kleinwüchsigen Männern durch die Wälder schlagen.

Er suchte die Ecken aus der Schachtel. Erst die Ecken. Dann der Rest, hatte ihm seine Mutter gesagt.

 

Er wollte eigentlich vor seiner Vergangenheit fliehen, er wollte nicht, dass ihn irgendwelche betrunkenen Errungenschaften hier einholten.

Aber gut, dann sollte ihn eben noch ein Mädchen für ein Arschloch halten. Außerdem war seine Sorge, dass dieses Mädchen vielleicht gut im Bett sei, beseitigt, denn… wenn er sich nicht mal mehr erinnerte, dann konnte es nicht besonders gut gewesen sein.

 

Seine Gedanken schweiften wieder ab. Mehr als einmal hatte er schon überlegt, sie anzuflohen. Aber die Chance wäre zu große, dass er hundert andere eher erreichen würde. Es wäre außerdem gewagt und sehr dumm von ihm, wirklich mit ihr Kontakt aufzunehmen.

Er könnte sich dafür verfluchen, dass er heute Morgen nichts weiter zu ihr gesagt hatte. Aber er war tatsächlich verletzt gewesen. War es so schlimm für sie gewesen? Hatte es ihr nicht gefallen?

 

War er etwa wirklich nicht gut im Bett? Wieso logen die Mädchen dann? Aber nein. Unsinn. Er war der Beste, bei Merlin, sie hatte ihm nur nicht die Möglichkeit gelassen, es ihr zu beweisen! Er wusste, er war besser als das. Er wusste, kein Mädchen würde als erstes von Verhütung anfangen, nachdem er gekommen war! Kein Mädchen würde sich als erste Sorgen darüber machen, dass sein Samen in ihrem Körper bloß keine Wurzeln schlagen sollte!

 

Nein, er hatte keine Ahnung, ob Granger es nur so gesagt hatte, damit sie nicht ihre wahren Gefühle zum Ausdruck bringen musste. Aber er hatte versucht die Sache von ihrem Standpunkt aus zu sehen.

Es war nur sehr schwer. Er erinnerte sich nicht einmal mehr an sein erstes Mal. War es mit Pansy gewesen? Er wusste es nicht. Es war unwichtig. Es war nicht erwähnenswert gewesen.

 

War es für sie auch nicht erwähnenswert? War es böse von ihm, nur daran zu denken, ihr zu zeigen, wie er wirklich war? Denn, er musste dann auch in Betracht ziehen, dass er keine zweite Chance bekommen würde – oder, er bekäme eine, aber sie würde ihn dann nur noch mehr verabscheuen, weil er einfach nicht… richtig für sie war. Aber es wäre wirklich das erste Mal, dass er ein Mädchen nicht befriedigen konnte.

 

Himmel, selbst das Kindermädchen wollte ihn nach Jahren immer noch haben! Er war ein Gott. Er wusste das. Und er machte es nicht unbedingt publik. Das machten die Mädchen für ihn. Sie musste doch wissen, wie gut er war! Wieso sah sie das nicht? Oder war er schlecht?

 

Ärgerlich drückte er ein Teil in die Mitte des Puzzles. Ein Kopf von einem der Trolle oder Elfen oder was auch immer es für kleine Idioten waren, die um die heiße Schnitte standen.

 

Er beendete das Puzzle nur wenig später. Es hatte nicht besonders viele Teile.

Dann erhob er sich wieder. Er betrachtete kurz die selbstgemalten Bilder an den Wänden. Seltsam, dass sie immer eine lachende Sonne zeigten. Er hatte keine Ahnung, woher sein Bruder die Freude nahm. Aus diesem Haus konnte sie nicht stammen.

 

Auf einer kleinen Kommode neben dem Kinderbett seines Bruders stand ein Bild. Ein magisches Portrait der Familie. Er erinnerte sich nur dunkel an diesen Nachmittag. Sein Bruder war in eine Decke gewickelt und seine Mutter hielt ihn auf dem Arm. Er selber hatte ebenfalls einen Arm um seinen Bruder gelegt und Lucius einen Arm um seine Mutter.

Da wussten sie noch nicht, dass er magisch unbegabt war.

Für einen Moment fragte er sich tatsächlich, was für einen Unterschied es eigentlich unterm Strich machte, dass sein Bruder eben nicht zaubern konnte?

Vielleicht wäre er dafür noch besser im Bett als er, wenn er erst mal das Alter erreicht hatte.

 

Es traf ihn beinahe augenblicklich, dass Scorpio nicht nach Hogwarts gehen würde. Und es stimmte ihn tatsächlich traurig. Sein Bruder würde niemals zaubern. Auch das war sehr traurig und eigentlich ein Grund, Mitleid zu haben, nicht, ihn dafür zu verabscheuen.

Wahrscheinlich konnte er nichts dafür.

 

Das waren eigentlich schon viel zu viele Gedanken, die er hatte.

Er verließ das Zimmer endgültig und schritt die langen Flure und Treppen wieder hinab. Das Haus musste seinem Bruder wie ein verrückter Irrgarten vorkommen. Aber jetzt, wo seine Eltern sich nicht mehr wie die Krähen stritten, war es ruhiger.

 

Im Esszimmer war sein Bruder. Das Kindermädchen hatte ihm wohl Kekse und Milch gebracht. Verwöhnt war er also wie jeder Malfoy.

Als sie ihn sah, suchte sie immerhin das Weite. Einer weniger, mit dem er reden musste. Unaufgefordert setzte er sich an den Esszimmertisch. Er war ziemlich riesig, deswegen entschied er sich, sich einfach neben seinen Bruder zu setzen.

 

Es war seltsam, wie ihm jemand, der ihm so ähnlich sah, so fremd sein konnte.

„Hast du dich abgeregt?“, fragte er jetzt und versuchte wenigstens ein wenig freundlich zu klingen.

Scorpio warf ihm lediglich einen kurzen bösen Blick zu. „Wieso bist du sauer auf mich?“ Eine selten dämliche Frage, entschied selbst Draco. Sein Bruder hatte einen finsteren Ausdruck im Gesicht.

 

„Geh einfach weg, Draco.“ Er glaubte, sich nicht mehr erinnern zu können, wann sein Bruder das letzte Mal seinen Namen gesagt hatte.

 

„Du weißt, wie ich heiße. Beeindruckend, Scorpio“, gab er zu und sein Bruder sah ihn ungläubig an. Er war sich nicht sicher, ob man mit ungefähr vier Jahren Sarkasmus verstehen konnte, aber er hatte das ungute Gefühl, dass sein Bruder kein dummer Junge war.

 

„Was willst du überhaupt hier? Wieso bist du nicht mit Dad mitgegangen?“ Anscheinend wusste er ziemlich genau, was hier immer vor sich ging. Wie es sich wohl anfühlte, von Lucius gehasst und nicht respektiert zu werden? Er wollte es sich eigentlich gar nicht vorstellen, aber wenn er diese Granger Sache nicht in den Griff bekam, dann würde er wohl auch noch Lucius‘ Zorn auf sich ziehen.

 

Aber er war schon fast bereit, das in Kauf zu nehmen.

 

„Es ist dein Geburtstag morgen, also bleibe ich bei dir.“

 

„Seit wann?“

 

Gott, er war wirklich ziemlich altklug. Und frech. Draco mochte ihn. „Seit jetzt, du Hippogreifgesicht“, gab er zurück und stieß ihm die Faust gegen die kleine Schulter. Scorpio sah ihn an.

 

„Was für ein Gesicht?“ Er hatte die Beleidigung einfach abgetan. Draco überlegte kurz.

 

„Das ist wie ein… Strauß. Nur mit einem Adlerkopf“, erklärte er schlicht. „Und du kannst auf ihm fliegen“, fügte er hinzu und Scorpio blickte wieder zur Seite.

 

„Zauberst du morgen?“, fragte er schließlich leise und Draco runzelte die Stirn.


„Was soll ich zaubern?“

 

„Mum zauber nie.“ Draco hatte seine Eltern nie Mum oder Dad genannt, wurde ihm plötzlich klar.

 

„Sie zaubert nicht?“

 

„Nein, nicht mehr seit…“ Anscheinend bereitete es ihm Qualen darüber zu sprechen. Stattdessen schlug er seine kleine Faust auf einen der Kekse, die auf dem Teller lagen.

 

„Ich kann auch jetzt für dich zaubern.“ Es war ein seltsamer Satz. Draco kam sich fast vor wie eine Attraktion. Sein Bruder sah ihn nicht an. Draco zog den Zauberstab.

 

Reparo“, murmelte er ruhig und die Kekskrümel setzten sich wieder zusammen.

Scorpio starrte auf seinen Teller.


„Wow!“, rief er jetzt aus. „Kannst du noch mehr?“ Draco hätte fast gelacht. Als ob sie in Hogwarts nur Kekse zusammen hexen würden.

 

„So ziemlich alles, was du willst“, gab er jetzt etwas an. Natürlich nicht alles. Aber so ziemlich.


„Weil du Schul… äh, Schulredner bist?“, fragte sein Bruder und Draco war sich nicht sicher, ob Scorpio Interesse zeigen oder ihn eigentlich lieber ignorieren wollte.

 

„Schulsprecher, ja.“

 

„Bist du der einzige? Bist du so was wie… der Coolste?“ Das Wort klang seltsam.


„Klar bin ich der Coolste“, erwiderte er, weil – etwas anderes war er nun wirklich nicht! Natürlich war er der Coolste. „Hier“, sagte er jetzt und hob den Zauberstab.

Mobilo!“ Sein Bruder wurde aus dem Stuhl gehoben und schwebte einen Meter über dem Tisch. Er kreischte auf vor Freude und strampelte mit Armen und Beinen.

 

„Oh Mann! Ich fliege, Draco, guck!“ Draco sah es. Er hielt den Zauberstab ruhig, damit sich sein Bruder nicht weh tun würde, aber dieser hatte gerade mächtig Spaß. „Du solltest mit ihn meinen Kindergarten kommen! Die wären so was von neidisch!“, jauchzte er.

 

„Was macht ihr denn da? Draco, hör sofort damit auf!“, peitschte die Stimme seiner Mutter zu ihnen herüber. Er beendete den Zauber und Scorpio sank mit einem Protestschrei wieder auf seinen Stuhl zurück. „Du ärgerst deinen Bruder mit so einem Zauber?“, schrie seine Mutter jetzt, aber ehe Draco antworten konnte, war sein Bruder aus dem Stuhl gerutscht. Er reichte gerade an die Tischkante. Er war winzig, stellte Draco jetzt fest.

 

„Er hat gespielt, Mum! Wir haben nur gespielt!“

 

Seine Mutter schien zu überlegen, was sie glauben sollte. Dann wandte sie sich an ihn. „Keine Magie, Draco“, sagte sie scharf. Scorpio stöhnte auf.

 

„Magie ist das Beste, Mum!“

 

„Nein, ist es nicht. Und ich möchte nicht, dass dein Bruder dir so etwas einredet, hast du gehört, Scorpio? Draco, ich brauche dich in der Küche. Amber hat gesagt, sie möchte nicht in deiner Nähe sein. Was ist da vorgefallen?“ Sein Bruder schien nicht zu begreifen, aber das war auch überhaupt nicht nötig.

 

Draco zwinkerte ihm zu. Und tatsächlich zwinkerte Scorpio zurück. Jetzt konnte er sich noch eben eine Ausrede aus den Fingern saugen, weshalb das doofe Kindermädchen einen Schaden hatte und dann würde er über ein Geschenk nachdenken. Vielleicht hasste ihn nicht jeder hier in diesem Haus.

Vielleicht gab es einen winzig kleinen Jungen, den er noch für eine kurze Zeit beeindrucken konnte. Das war kein schlechter Gedanke.

 

 

Teil 25

 

Solange man ein Geheimnis für sich behielt, konnte es keinen Einfluss auf etwas haben, sagte sie sich. Wenn sie es niemandem erzählte, dann würde die Nachricht keine Wellen schlagen, sie würde sich nicht schlecht fühlen und niemand würde schlechter von ihr denken, als sie es selber tat.

 

Das war eine Lösung, mit der sich Hermine mehr als nur zufrieden gab. Sie lebte sie aus. Niemand, der sie sah, hätte annehmen können, dass sie gestern Morgen noch Sex mit Malfoy gehabt hatte. Nicht nur das. Niemand konnte von ihrer Mimik und Körpersprache jemals darauf kommen, dass sie ihr erstes Mal nur vor ungefähr vierundzwanzig Stunden gehabt hatte.

 

Sie war müde und erschöpft. Ihr Unterleib schmerzte, aber sie ignorierte das so gut es ging. Sie saß mit Harry und Ron auf der Couch. Ginny war in der Bibliothek, aber zum ersten Mal hatte sie keine Lust gehabt, mitzukommen.

Die Jungs spielten Zauberschach und sie hatte die Beine an den Körper gezogen und starrte träge ins Feuer.

 

Der gestrige Tag spielte sich immer wieder vor ihrem inneren Auge ab, ohne dass sie es sich ansehen ließ. Sie hatte schon darüber nachgedacht, ihn anzuflohen, es aber wieder verworfen, denn… was sollte sie ihm schon sagen?

Das Problem war einfach. Sie hatte Angst. Ganz furchtbar, große Angst.

Was, wenn sie sich öffnete? Was würde dann wirklich passieren? Er würde niemals in der Lage sein, zu erwidern, was sie… sie schluckte hart… was sie fühlte.

 

„Ist dir kalt?“, fragte Ron plötzlich, der sich immer wieder umwandte, wahrscheinlich wollte er Lavender nicht begegnen. Denn Lavender hatte nämlich keinen Sex bekommen. Ron hatte sie nämlich einfach stehen gelassen und gesagt, er käme gleich wieder.

Seitdem war sie ziemlich sauer, so viel Hermine mitbekommen hatte.

Harry hingegen hüllte sich in Schweigen. Aber er trug ein Lächeln auf den Lippen.

Sie wusste, Ginny hatte mehrere Gründe gehabt, in die Bibliothek zu gehen, aber Hermine hatte keine Lust gehabt, sie zu begleiten, damit Ginny ihr alles ausführlich erzählen konnte.

 

Es wäre zwar das gewesen, was sie ihrer Freundin schuldig war, aber sie hatte einfach keine Lust gehabt.

 

Die Tür zum Jungenschlafsaal öffnete sich quietschend und jemand schlurfte die Treppe runter. Und zum ersten Mal seit zwei Tagen hatte sie ein schreckliches Gefühl. Ein ganz furchtbares Gefühl. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen und heiße Schuldgefühle durchfuhren sie. Und wieder einmal Angst.

 

Ihn hatte sie völlig vergessen.


„Wo bist du gewesen?“ Cormac trug einen Trainingsanzug und sah sogar darin recht gut aus. Ron und Harry hoben beide den Kopf. „Hat Malfoy dich verschleppt? Ich hab dich gesucht, Hermine. Hast du mich völlig vergessen?“ Er war also tatsächlich böse und hatte mit seinen Worten viel mehr preisgegeben, als ihm wohl bewusst war.

 

Harry hatte sich sofort umgewandt. Auch Ron sah sie mit offenem Mund an.

„Du und Cormac? Was hast du mit ihm zu tun?“

 

„Harry, es geht dich wirklich nichts an“, versuchte Cormac jetzt zu beschwichtigen.

 

„Es geht mich natürlich etwas an!“, widersprach Harry ungeduldig und fixierte sie wieder.

 

„Was soll das heißen, Malfoy hat dich verschleppt?“, fragte Ron aufgebracht und Hermine sah ihm an, dass er gerne sofort aufstehen würde, um ihn zu verprügeln, wieder einmal. „Was hat dieser Bastard gemacht?“

 

„Ja, das würde ich auch gerne wissen. Zuerst war alles in Ordnung, und ihr habt euch auf dem Flur unterhalten und dann – dann warst du weg!“ Cormac war tatsächlich eifersüchtig. Sie hatte keine Antwort parat.

 

„Was?“ Harry starrte sie an. „Was soll das heißen, du warst weg, Hermine? Mit Malfoy? Wo warst du denn?“ Seine Stimme wurde lauter und ein paar Erstklässler mit Koboldsteinen wandten sich interessiert der Szene zu. Sie umschlang ihre Beine fester.

 

„Ich… nirgendwo, Harry!“, erwiderte sie heftig. Aber sie wusste nichts weiter zu sagen. Sie wusste, sie musste sich bei Cormac entschuldigen und irgendwie erklären, warum sie ihn komplett vergessen hatte!

 

„Und ich erfahre das erst jetzt? Tage später?“


„Sie gehört dir nicht, Harry“, bemerkte Cormac ein wenig besitzergreifend.


„Oh, dir gehört sie auch nicht!“ Ron hatte sich plötzlich erhoben.


„Am besten mischst du dich nicht ein, Weasley, denn es geht hier nicht um dich.“ Cormac nannte ihn beim Nachnamen, fiel ihr auf. Gott, was hatte sie jetzt angerichtet?

 

„Nicht um mich? Nein, verflucht. Es geht um Hermine!“ Er wandte den Blick wieder auf sie. „Hermine, du hast doch wohl nicht vor, mit diesem…“ Er deutete mit wüsten Bewegungen auf Cormac, „Idioten irgendwas anzufangen!“

 

„Es geht dich nichts an!“, wiederholte Cormac. „Sie hat mich geküsst, nicht dich, Weasley. Ist das so hart für dich?“ Rons Augen flammten förmlich auf.

 

„Du hast ihn geküsst?“, knurrte er. „Wann?“

 

„Sie sitzt nicht die gesamte Zeit auf deinem Schoß, Weasley. Sie darf auch ohne dich wohin gehen, oder?“ Das war besser, fand Hermine. Sollten sie sich darüber streiten.

 

„Wenn du sie auch nur angefasst hast..!“, drohte Ron.


„Halt deinen Mund. Außerdem rede ich mit Hermine. Wieso bist du überhaupt mit ihm mitgegangen? Malfoy ist ein verdammter Wichser!“ Ja. Das war völlig korrekt. Harry sah sie immer noch an.

 

„Ich habe… tut mir so leid, Cormac. Ich war… nach dem Gespräch mit Malfoy fertig und wollte nur noch schlafen. Ich hab völlig vergessen, dass du wartest.“

Ron war kleiner geworden, denn Lavender war wieder da.


„Nach dem Ball? Du bist nie ins Bett gekommen, Hermine.“ Lavender war immer noch böse auf sie, merkte sie jetzt. Ron vergaß, dass er sich eigentlich verstecken wollte. Sie schoss Lavender einen bösen Blick zu.


„Was? Bist du sicher?“, fragte Ron verstört. „Was soll das bedeuten? Wo warst du denn die ganze Nacht?“ Ihr Mund öffnete sich. Schnell! Sie musste ganz schnell reagieren.

 

„Lavender erzählt Unsinn. Sie war danach bei mir und ich habe sie später noch beim Schlafsaal verabschiedet.“ Sie hatte wenig Zeit, um sich zu entscheiden. Sie hatte keine Ahnung, warum Harry ihr half, aber sie konnte nur vermuten, dass sie später dafür zahlen würde.

 

„Was? Wo wart ihr denn? Du warst danach bei Harry?“ Cormac sah sie an, als hätte sie ihn mit Harry hintergangen.

„Bei Harry? Wieso habt ihr mir nicht Bescheid gesagt?“, fragte Ron verärgert.

 

„Ach ja? Damit du noch eher hättest abhauen können?“, zischte Lavender, ehe sie höchst beleidigt die Treppen zum Schlafsaal hoch stieg. Ron sah aus, als wolle er ihr noch etwas nachrufen, aber entschied sich doch anders.

 

„Das erklärt noch lange nicht, warum du mit Malfoy mitgegangen bist!“, begann Cormac von Neuem.

 

„Es waren… blöde Schulsprecherangelegenheiten, griff sie Malfoys Lüge auf und ruckte mit den Schultern, als ob das alles erklären würde.

 

„Und was jetzt?“, fragte er etwas ratlos und sah sie wartend an.

 

„Was?“, fragte sie unsicher.

 

„Wenn ich dich… um ein Date bitten würde, verschwindest du dann wieder, oder gehst du mit?“ Sie musste schlucken, ihr Mund war trocken geworden.


„Am besten, du verpisst dich!“ Ron war näher gekommen.

 

„Was wird das? Du willst dich doch wohl nicht schlagen, Weasley? Du kannst gerade mal eben einen Ball davon abhalten durch das Tor zu fliegen. Denkst du wirklich, du solltest dich mit mir anlegen?“ Ron stieß ihm hart vor die Brust und Cormac war sofort bereit alle Vorsicht fahren zu lassen.

 

Harry hatte sich erhoben und seinen Zauberstab gezogen. „Ich habe schon andere Leute verhext, glaubt mir. Und ich würde wirklich ungern Chaos im Gemeinschaftsraum machen.“ Seine Stimme klang ruhig, aber böse.

 

„Ich will sowieso nur mit Hermine reden“, erklärte Cormac zornig. Ron schien sich wieder zu fangen und wich zurück.


„Du willst ihn doch nicht, oder Hermine?“ Und sie sah etwas in Rons Blick, dass ihr mehr Angst machte, als die Wahrheit, die sie so krampfhaft zu verschweigen versuchte. Da lag eine Frage in seinen blauen Augen.

 

„Hey! Du hast sie nicht aufgefordert mit dir zum Ball zu gehen, Weasley! Deine Chancen sind vorbei!“ Es war so seltsam.

 

Vor einer Woche wollte sie niemand haben und jetzt hatte sie drei Jungen, die wahnsinnig wurden?

 

„Ich hätte sie schon gefragt, wenn…“ Ihm ging wohl auf, was er sagte, denn plötzlich schwieg er. Seine Ohren wurden rot. Er biss die Zähne fest zusammen und sank auf seinen Stuhl zurück. „Sie soll einfach entscheiden“, endete er schließlich leise und mied ihren Blick.

Wollte sie ein Date mit Cormac? Nein. Oder mit Ron? Nein. Nicht wirklich. Aber Ron tat ihr so leid. Sie schämte sich so sehr. Vielleicht sollte sie die Wahrheit sagen, dann würde weder Cormac noch Ron mit ihr ausgehen wollen.

 

„Ihr führt euch auf wie Kinder!“, sagte sie schließlich und erhob sich übergangslos. „Ich glaube, ich möchte jetzt gerade keinen von euch ertragen müssen.“ Und ihre Worte waren wahr, denn was erlaubten sie sich alle eigentlich? Sie war Schulsprecherin, verflucht noch mal! „Ihr könnt froh sein, dass ich euch keine Punkte abziehe. Ich bin immer noch die höchste Schülervertretung hier.“ Ihre Worte gaben ihr sogar wieder etwas Macht.

 

Sie warf Cormac noch einen letzten bösen Blick zu, ehe sie den Gemeinschaftsraum durch das Portraitloch verließ. Sie hatte zwar keine Ahnung, wohin sie gehen wollte, aber sie wollte nicht in der Nähe dieser drei Jungen sein.

Niemand hatte angezweifelt, dass sie den Rest der Nacht bei Harry verbracht hatte.

Gut, dass Ginny nicht da gewesen war! Wo sollte sie jetzt hin?

 

Das Portrait schwang erneut zur Seite. Sie erschrak für einen Moment heftig. Und dann wurde ihr Magen wieder schmerzhaft von Schuld zusammen gepresst.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Harry und lehnte im Rahmen.


„Ich gehe?“, erwiderte sie unsicher und er hob die Augenbrauen.

 

„Willst du mit Cormac ausgehen?“, fragte er schließlich leiser und sie schüttelte knapp den Kopf. Sie wartete auf die nächsten Worte. Auf die Worte, die unweigerlich folgen mussten. Und diese Worte mussten den Namen Malfoy beinhalten. „Warst du wirklich nicht in deinem Bett? Die ganze Nacht nicht?“ Sein Blick änderte sich. Er war verschlossen.

 

„Nein, nicht… unbedingt, nein“, erklärte sie jetzt.

 

„Hast du… hast du mit ihm geschlafen in dieser Nacht?“, fragte er und seine Knöchel traten weiß hervor.

 

„Mit Cormac?“, fragte sie heiser. „Nein, Harry, habe ich nicht.“

 

Er sah sie weiterhin an. „Nein, nicht mit… Cormac“, rang er sich die Worte gepresst ab.

 

„Nein, ich habe in der Nacht nicht mit Malfoy geschlafen, wenn du das meinst.“ Und das war sogar die Wahrheit. In dieser Nacht hatte sie keinen Sex mit Malfoy gehabt. Oh Gott, diesen Satz laut zu sagen war schlimm.

Der Name kam kaum über ihre Lippen.

 

„Gut.“

 

„Wieso… wieso hast du das getan?“, fragte sie plötzlich. „Wieso hast du mich gedeckt, Harry?“ Sie gab es auf, mit Harry zu spielen. Es war sowieso zu spät dafür.

 

„Ich… schulde dir was, Hermine. Das war der eine Gefallen, den ich dir getan habe. Wenn es um dieses Arschloch geht, dann… Ich habe es wegen Ron gemacht. Es würde ihn wahrscheinlich umbringen zu wissen, dass… dass…“ Er konnte nicht die richtigen Worte finden.

 

„Aber… wieso? Seit wann will Ron…?“ Sie wollte es gar nicht fragen. Sie wollte es nicht mal wissen.

 

„Oh bitte, Hermine! Es ist so offensichtlich. Genauso offensichtlich wie deine seltsame Anziehung zu Malfoy.“ Ihr Mund öffnete sich.

 

„Meine was?“, fragte sie tonlos und Harry atmete laut aus.

 

„Komm schon, seit ihr Schulsprecher seid ist es… unerträglich!“

 

„Das ist überhaupt nicht wahr! Er behandelt mich wie Dreck, immer! Er ist nicht anders. Ich habe nie etwas getan, um das zu ändern!“, rechtfertigte sie sich lauter als sie vorgehabt hatte.

 

„Na und? Das hält dich ja anscheinend nicht auf, oder?“

 

„Harry, kommst du? Lass es sein.“ Das war Rons geknickte Stimme.

 

Sie sahen sich an. „Ich kann dir nicht verbieten, ihn zu sehen. Oder was es auch immer ist. Aber ich kann dir sagen, womit er dich auch ködern will, es ist nur ein Spiel, Hermine. Egal, was er dir verspricht – lass dich nicht auf Malfoy ein!“ Ihr Mund öffnete sich automatisch.


„Er verspricht mir überhaupt nichts, Harry“, sagte sie jetzt leise.

 

„Er ist ein Todesser“, fügte er zornig hinzu.

 

„Ich weiß das.“

 

„Wirklich?“

 

„Ja“, erwiderte sie knapp.

 

Er nickte schließlich. Er war wohl noch lange nicht fertig, darüber zu reden, aber Ron schien auf ihn zu warten. Plötzlich tat ihr alles leid, was sie getan hatte.

„Harry!“, hielt ihre Stimme ihn noch auf. Er wandte sich noch einmal um. „Danke“, sagte sie so leise, dass sie gar nicht sicher war, dass er es gehört hatte. Aber er amtete langsam ein und nickte erneut.

 

Dann verschwand er wieder im Gemeinschaftsraum. Der Tag war schlimm. Schlimmer, als sie angenommen hatte. Und Ron? Das hatte sie nicht kommen gesehen. Und es sollte sie eigentlich freuen. Ron wäre eine tausendmal bessere Wahl als Malfoy. Tausendmal besser!

Aber es war unerheblich, denn sie hatte Malfoy ja gar nicht. Er war nicht mal hier. Sie musste all die Vorwürfe ertragen, während er gemütlich Zuhause war!

Sie konnte nicht einmal behaupten, dass sie sich entscheiden müsste, denn es gab keine Entscheidung zu treffen. Selbst wenn sie sich gegen Cormac und Ron entschied – dann blieb sie allein.

 

Denn es gab gar keine Alternative. Sie hatte nur die Qual. Malfoy brachte ihr nur Leid und Qual. Etwas anderes wollte er ihr wohl auch nicht bringen. Und sie hatte Harry angelogen. Malfoy hatte ihr zwar nichts versprochen – nein, nicht einmal das – und dennoch hatte sie ihm das gegeben, was wohl noch am kostbarsten für sie gewesen war.

Und es war nicht mal gut gewesen. Wahrscheinlich hatte bei Malfoy alles etwas mit Schmerzen zu tun. Nie mit etwas anderem.

Nie.

 

Sie hoffte wirklich, dass ihr sein Bruder den Gefallen tat und ihn verabscheute, ihm nicht verzeihen würde, oder was sich Malfoy erhoffte. Sie hoffte, er würde nicht essen können, nicht schlafen können – genau wie sie.

Und sie hoffte, er würde sich fragen, ob sie an ihn dachte. Denn sie war sich sicher, dass das den Unterschied eigentlich ausmachte.

Es war schlimm an jemanden zu denken, von dem man ziemlich genau wusste, dass er seine Zeit niemals damit vergeuden würde an einen zu denken.

 

Eine Träne verfing sich in ihren Wimpern. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aus der Sache rauskommen sollte. Absolut keine Ahnung. Sie würde runter gehen. Bald gab es sowieso Abendbrot. Nicht, dass sie wirklich etwas essen würde.

Nein. Aber sie nahm sogar ungewollte Gesellschaft in Kauf, um einmal nicht alleine sein zu müssen.

 

 

Teil 26

 

Sein Vater ließ sich nicht blicken.

Es war ihm eigentlich schon völlig klar gewesen. Und seine Mutter war sauer auf ihn, weil das neue Kindermädchen schon gekündigt hatte. Als ob das nun seine Schuld wäre! Bitter waren die Worte seiner Mutter gewesen, die ihn mit seinem Vater gleichgesetzt hatten. Aber immerhin hatte sie nicht geschrieen, nicht geflucht, so dass er sich nicht völlig wie sein eigener verkommener Vater vorkam.

 

Heute Morgen war er sich sogar sicher gewesen, dass sein Bruder durch seine Tür gelugt hatte. Aber das hatte er vielleicht auch geträumt. Es wäre natürlich seltsam, weil ausschließlich Granger seine Träume beherrschte und er hatte sich grauenhafter weise schon damit abgefunden, - nein, nicht nur das! Er vermisste es schon, wenn er einmal nicht von ihr träumte.

Aber das gab er natürlich nicht zu. Nicht vor sich, nicht vor Gott, nicht vor dem Teufel.

 

Vor niemandem.

 

Er hatte sich geduscht, angezogen und sein Geschenk verpackt. Es lag winzig in einer Schachtel auf seiner Handfläche. Er würde es ihm heimlich geben müssen.

Aber das war kein Problem. Die grüne Tapete warf ein fahles Licht ins Zimmer.

Der Spiegel lief vor Silber schon an den Seiten an.

Sein Himmelbett war mit schweren Schnitzereien überzogen, deren Ursprung oder Aussage er nicht zuordnen konnte. Eigentlich missfiel ihm dieses Zimmer, aber dann wiederum gab es wohl nur noch wenige Momente, an denen er wirklich hier her zurückkommen wollte.

 

Das war noch so eine Sache, die sein Kopf akzeptieren musste… Er hatte sich ebenfalls damit abgefunden, dass er hier nicht wohnen wollte.

Er wusste, es war im Gespräch gewesen, wer von Lucius‘ Söhnen das Herrenhaus erben sollte, aber seit sich dann rausgestellt hat, dass Scorpio über keinen Funken Magie verfügte, war völlig klar, dass der Besitz alleinig an Draco ging.

 

Und das wollte er vielleicht ändern.

Ziemlich sicher sogar.

 

Er hörte leise Musik von unten. Natürlich war sein Bruder bestimmt seit sechs Stunden auf. Deswegen würde er auch schon heute Abend um sechs müde werden, aber Draco plante, dann auch schon wieder auf dem Rückweg zu sein. Auf dem Weg zu dem Ort, wo ihn auch die Leute nicht mochten, bei denen es ihm drauf ankam.

 

Seine Schritte verursachten kein Geräusch auf dem schweren Teppich und lautlos schritt er die ausladende Treppe hinunter.

Im Esszimmer traf er endlich auf seine kleine Restfamilie an. Elfen wuselten hin und her, brachten Geschenke und Frühstück. Er nahm an, die Geschenke kamen lediglich von seiner Mutter und von Menschen, die nicht wie Lucius dachten.

Scorpio hob den blonden Schopf und grinste ihn an.

 

Draco hob die Hand und seine Mutter ignorierte ihn komplett.

 

„Glückwunsch, Kleiner“, flüsterte er und als wäre es eine absolute Selbstverständlichkeit kletterte sein Bruder von dem hohen Stuhl und drückte sich an ihn. Zwar reichte er ihm nur bis zum Oberschenkel, aber er drückte seine Beine fest. Für eine kurze Sekunde befiel ihn ein seltsames Gefühl. Es war warm, tief in seinem Bauch, es verdrängte für einen Moment alles andere aus seinem Kopf.

 

Seine Hand legte sich von selbst auf den kleinen Kopf seines Bruder und zerstrubbelte seine Haare. Er war kurz überrascht, dass sie die gleichen Haare hatten. Es fühlte sich bei ihm genauso an.

Und er stellte noch etwas fest: Es war sein Bruder! Tatsächlich. Magisch oder eben nicht, dieser kleine Mann vor ihm, war sein Bruder! Fleisch und Blut.

 

Er ging langsam auf die Knie, als Scorpio seinen Klammergriff gelöst hatte.

 

„Hier“, sagte er tonlos, aber seine Mutter beachtete ihn überhaupt nicht. „Versteck das, und zeig es Mutter unter keinen Umständen“, fügte er eindringlich hinzu. Er wusste nicht, ob sein Bruder es überhaupt verstand.

 

„Was ist das?“, fragte Scorpio jetzt voller Neugierde, genauso leise wie sein Bruder.

 

„Magie“, erwiderte Draco und kam sich wie einer dieser Medizinmänner der Muggel vor, die Magie als faulen Zauber darstellten. Fast hätte er gelächelt.

 

„Magie?“, wiederholte Scorpio mit großen Augen und Draco nickte hastig.

 

„Ich… ich habe einen Stein verhext. Nein, eigentlich nicht. Ich habe ihn mit Magie aufgeladen. Keine Ahnung, wie lange sie hält. Ein paar Tage nehme ich an.“ Scorpio betrachtete die Schachtel wie etwas höchst Heiliges. „Wenn du den Stein in die Hand nimmst… und dann Gegenstände deiner Wahl berührst…“ Er lächelte plötzlich und schwieg. „Du wirst schon sehen.“

 

„Scorpio sah so aus, als würde er den Stein am liebsten jetzt auspacken und seine Mutter berühren wollen.

 

„Am besten zeigst du es keinem“, fügte Draco jetzt grinsend hinzu. Scorpio nickte mit offenem Mund.

 

„Du schenkst mir Magie…“, flüsterte er mit einem breiten Lächeln.

 

„Scorpio, deine Eier werden kalt“, tönte die Stimme seiner Mutter vom Tisch zu ihnen her. Draco wollte aufstehen, aber Scorpio beugte sich noch einmal vor und Draco verharrte.

 

„Ich wünschte… ich wünschte, ich wäre wie du.“ Dracos Mund öffnete sich, ohne dass ein Ton seine Lippen verließ. „Dann… könnte ich zaubern und… und dann könnte ich machen, dass Dad hier ist“, sagte er leise. Draco wusste nicht, was er sagen sollte. „Kann der Stein machen, dass Dad wieder kommt?“, flüsterte er und Draco sah, dass er sehr tapfer eine winzige Träne zurückhielt.

 

Er schüttelte schließlich knapp den Kopf.

„Nein, einen so starken Fluch kenne ich nicht“, fügte er hinzu und sein Ausdruck wurde bitter. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal zornig mit seinem Vater war, aber jetzt war einer dieser Momente eingetreten. „Und hey, wir brauchen ihn nicht.“ Die Worte klangen lapidar, wie eine Aufmunterung. Scorpio lächelte, aber in Draco selber hatte sich gerade eine Faust um seinen Magen geschlossen.

 

Wir brauchen ihn nicht? Was redete er da? Meinte er, was er da sagte?

 

Bevorzugte er seinen Bruder? Stellte er ihn etwa über Lucius? Warum? Warum zerriss sein Herz, wenn sich sein wundervoller kleiner Bruder wünschte, sein Vater wäre hier? Ihm kam eine etwas abstruse Idee.

 

„Wenn ihr nicht sofort zum Essen kommt, dann gibt es für beide von euch nichts mehr!“ Er hoffte ernsthaft, seine Mutter würde sich abregen. Irgendwann. Eventuell.

 

„Scor, ich hab da eine Idee, ok?“, sagte er jetzt und erhob sich wieder. „Ich muss da etwas nachforschen und jemanden fragen, aber… dann komme ich auf deinen Wunsch zurück.“ Er betonte das Wort Wunsch besonders hart.

Bemerkenswerterweise schien sein Bruder zu verstehen. Seine Augen leuchteten vor Neugierde, aber er zwang sich, den Mund zu halten.

 

„Seinen Wunsch? Hast du etwa kein Geschenk für ihn, Draco?“ Immerhin sprach seine Mutter wieder mit ihm, überlegte er.

 

„Er bekommt ein Geschenk“, versprach Draco bitter. Scorpio aber grinste breit.

 

„Typisch“, hörte er seine Mutter husten, aber er wollte nichts erwidern. Sollte sie denken, was zur Hölle sie eben denken wollte. Sie war auch nicht besser als sein Vater.

Es kam ihm fast vor, als wäre ein Intervention vollzogen worden. Eine Lucius Teufelsaustreibung, hier in seinem eigenen Haus.

 

Er wusste nur nicht, wie er das bewerten sollte. Er biss in den frischen Toast und nippte an seinem Tee, während seine Mutter wieder mit hoher Stimme zu seinem Bruder sprach, der mit seiner kleinen Faust Dracos Schachtel umschlossen hielt.

 

Jetzt musste er darauf hoffen, dass Granger ihm bei seiner Frage helfen konnte.

Nein – eigentlich musste er darauf hoffen, dass sie überhaupt noch jemals wieder mit ihm sprechen würde….

 

~*~

 

 

Hogwarts war ihm selten so feindlich vorgekommen, wie heute. Er war nach Hogsmeade appariert und hatte nun die Tore von Hogwarts hinter sich gelassen. Der Weg kam ihm lang vor. Dennoch hatte er ihn viel zu schnell zurückgelegt.

Er war nicht besonders stolz auf sich.

Zuhause kam er sich wie ein wesentlich besserer Mensch vor. Er hatte sich mit seinem Bruder beschäftigt, hatte Frieden geschlossen und jetzt – jetzt vermisste er seinen Bruder sogar. Nur ein wenig, natürlich.

 

Bei Merlin, nein, nicht viel.

 

Doch, vielleicht schon. Verflucht. Er hatte angenommen, Gefühle waren schwierig und schwer zu bekommen, überhaupt zu entwickeln, aber zum Teufel, es war schon fast viel zu leicht. Er würde es noch bereuen, dass er sich auf diesen ganzen Gefühlsschwachsinn eingelassen hatte! Er wusste das.

 

Er fühlte sich nicht gut. Jedenfalls nicht gut genug, um schon ins Schloss zurückzukehren. Er bekam regelrechte Magenschmerzen. Da würde Pansy auf ihn warten, wenn auch nur, um ihn böse anzusehen, Gregory würde Fragen stellen, weil er sonst nichts mit sich anzufangen wusste, und er selber wäre nur auf der Suche nach einer Person, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.

 

Mist.

 

Weißer Qualm stieg aus dem Schornstein des Riesen. Das Gras durchnässte seine Hose bis zu den Knien, als er plötzlich diesen Weg einschlug. Er konnte sich nicht entsinnen, jemals diesen Weg gegangen zu sein.

Der Riese war über ein ziemlich kahles Beet gebeugt und betrachtete die Erde grimmig.

 

Er erkannte ihn, als Draco keine zwei Meter mehr entfernt war. „Guten Abend“, begrüßte er den Riesen vor sich jetzt.

 

„N Abend. Kennen wir uns nich?“ Der Riese kratzte schwerfällig seinen Kopf und überragte Draco um mehr als einen Meter. Er musste den Kopf in den Nacken legen.

 

„Draco Malfoy“, stellte er sich kurz vor. Die dunklen Augen des Riesen wurden finster.

 

„Malfoy, ey? Ja, dich kenn dich. Und deinen Vater auch“, fügte er eisig hinzu. „Was willst du hier?“ Ja, Ablehnung. Damit kannte er sich aus.

 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er also ehrlich. Der Riese sah ihn missmutig an.

 

„Solltest lieber hoch zum Schloss gehen, sonst verpasste noch das Abendessen, Junge.“ Damit war das Gespräch wohl beendet. Draco blieb, wo er war.

 

„Sie sind eigentlich Zauberer, richtig?“, fragte er jetzt unaufgefordert und der Riese wandte sich wieder um.

 

„Was? Natürlich bin ich Zauberer.“

 

„Aber Sie zaubern nicht mehr. Jedenfalls nicht… öffentlich, richtig? Ist das… nicht hart?“ Wieso redete er mit einem wildfremden Riesen? Er konnte es nicht genau sagen.

 

„Ich glaube nich, dass ich mit dir darüber reden muss, Malfoy.“ Er fragte sich unwillkürlich, ob das verfluchte goldene Trio häufig über ihn gesprochen hatte, wenn sie hier zu Besuch beim Riesen gewesen waren. Wenn, dann wohl kaum über nette Sachen, die er getan hatte. Hatte er jemals nette Sachen getan? Unwichtig.

 

„Kommt sie eigentlich hier her? Zu Besuch?“, fragte er plötzlich und sein Blick glitt kurz über die Wiesen. Als würde sie jetzt gerade willkürlich in der Dämmerung hier herum laufen.

 

„Wer?“, fragte der Riese argwöhnisch und Draco musste den Namen erst in seinem Kopf sprechen, damit er ihn jetzt auch laut sagen konnte… Hermine…

„Hermine. Kommt sie noch zu Besucht?“

 

„Sie kommen alle nich mehr zu Besuch, Junge.“ Kurz glaubte er, den Riesen schniefen zu hören, aber es ging in seinem mächtigen Bart unter. „Die müssen jetz lernen, weißte? Ham keine Zeit mehr. Du solltest jetz gehen“, fügte er, anscheinend verärgert mit sich selbst, hinzu.

 

„Ich glaube, ich möchte nicht wirklich gehen.“ Er sagte das eher zu sich selbst als zu dem Riesen. Der nickte schließlich.

 

„Hast was ausgefressen, stimmt’s?“ Draco ruckte nur mit dem Kopf. So konnte man es auch nennen. „Bist nen hübscher Kerl, wahrscheinlich nimmtst dir keiner übel, hm?“ Das wäre natürlich auch wirklich schön. Aber wahrscheinlich hatte er mit dieser Auslegung kein Glück.

 

„Schätze schon.“

 

„Wieso fragst du überhaupt nach Hermine, Malfoy? Dachte, ihr Slytherins wärt nich gut auf die Gryffindors zu sprechen.“ Ja, das stimmte auch. Draco hob seine Schuhe aus dem hohen Gras, aber auch die waren schon durchweicht.

 

„Wir sind Schulsprecher.“

 

„Ach, Schulsprecher bist du? Hat sie mir nich erzählt. Aber… sie war auch schon lange nich mehr hier“, fügte er leiser hinzu, „Und du magst sie jetz plötzlich oder was?“ Der Riese kratzte sich am Kopf und musterte ihn mit einem prüfenden Blick. Draco musste lächeln. Kein fröhliches Lächeln war es, aber es war ein Lächeln.

 

„Ja. Ich denke schon.“ Er mied den Blick und betrachtete den Acker.

 

„Tja, dann sach ihr das. Hermine ist n guter Mensch. Die vergibt Fehler. Oder was auch immer du angestellt hast.“ Er hob den Blick.

 

Ich hab mit ihr geschlafen und sie dann zum Weinen gebracht. Ich hab ihre Jungfräulichkeit bekommen und behandel sie wie ein Stück Dreck.

Ich bin ein verfluchtes Arschloch.

 

Das hätte er gerne gesagt. Aber er nahm an, würde der Riese zuschlagen, dann würde er nicht so leicht davon kommen, als wenn Potter ihm drohte. Er seufzte also.

 

„Ok“, sagte er also schließlich.

 

„Und… grüß die anderen, hörst du? Sach denen… sach denen, die sollen mal wieder zu Besuch kommen. Wenn se wollen, natürlich.“ Etwas ruppig schlug ihm der Riese auf die Schulter. „Kannst ja mit Hermine auch mal kommen“, fügte er rau hinzu. Draco nickte und konnte sich dieses Bild innerlich wirklich nicht vorstellen.

 

Aber er wäre in der Lage, Granger ein schlechtes Gewissen einzureden. Sie konnte so etwas wie Schuld und Schuldigkeit nie wirklich gut vertragen. Dann konnte er sie dazu bringen, dass sie sich schlecht wegen des Riesens fühlte und dann… Ja, und dann… er wusste es nicht.

Seine Finger kribbelten als er an sie denken musste.

 

Er verließ das hohe Gras, ohne zurückzublicken. Der Riese tat ihm leid. Tatsächlich.

 

Er erreichte das Schloss in der Dämmerung. Helles Licht drang durch die hohen Fenster nach draußen und warf warme Schatten auf den Rasen.

Was machte er sich vor? Er konnte nicht für immer hier draußen stehen. Würde er auch nicht. Er konnte ihr nicht aus dem Weg können. Er konnte es wirklich nicht. Etwas zog ihn einfach zu ihr. Vor allem jetzt, wo sich diese Idee in seinen Kopf gesetzt hatte. Diese absurde, enterbende Idee.

 

Er hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn er recht hatte, wenn es wirklich einen Weg gab, das zu erreichen, was er wollte.

Er wusste es noch nicht.

 

Er betrat das Schloss. Das Abendessen war noch nicht vorbei. Die Halle lag einige Meter weit von ihm entfernt. Er sah die vielen Köpfe an den Tischen sitzen. Hatte er Hunger? Er musste sich wirklich fragen? Nein, das schlechte Gefühl nahm ihm jeden Appetit. Hielt ihn das davon ab, sie zu sehen? Nein, zum Teufel. Das tat es nicht.

 

Er betrat jetzt die Halle. Er hatte schon fast vergessen, dass seine Schuhe nass waren. Genau wie seine Hose. Wahrscheinlich sah er aus, als wäre er nicht appariert, sondern durch Wiesen und Felder zurück zur Schule gekrochen. Ein letztes bisschen seines Restegos wurde sich seiner Erscheinung gewahr, und er zog den Knoten seiner Krawatte fester. Ungern trug er in Hogwarts etwas anderes als seine Uniform. Er mochte Freizeitkleidung nicht besonders. Sie hob sich schließlich nicht von der breiten Masse ab.

 

Seine Anwesenheit erregte kurz Aufmerksamkeit. Sein Blick glitt als allererstes immer zu seinem Tisch. Natürlich sah Pansy ihn an. Einige Mädchen winkten ihm freundlich, aber er hätte ihnen keine Namen zuordnen können. Das hatte er noch nie gut gekonnt.

 

Dann löste sich sein Blick von seiner bekannten Umgebung. Seine Ohren blendeten bereits das abendliche Getratschte der Schüler aus und sein Blick fand den verhassten Gryffindortisch. Dort saßen sie. Alle vereint. Für einige Sekunde peitschte Adrenalin durch seinen Körper. Er war fast bereit, die Flüche abzuwehren, die ihn nur zu schnell treffen sollten.

 

Aber die Sekunden verstrichen. Sie hatte es keinem gesagt, schoss es hm durch den Kopf. Natürlich nicht. Hermine Granger zeigte keine äußerlichen Gefühle. Sie musste innerlich kochen. Ob vor Wut oder Verlangen war ihm egal. Er suchte sie an dem Tisch. Und er fand sie nur zu schnell. Faszinierend, wie selektiv sein Gehirn zu arbeiten schien. Er fand sie immer. Überall.

 

Er realisierte, dass er immer noch wie ein König an der Eingangstür stand. Er musste sich jetzt bewegen. Sein Kragen erschien ihm zu eng zum Atmen.

 

Ein schlechtes Gefühl stellte sich unmittelbar danach ein, denn jetzt sah er einen Schatten auf sich zu rauschen. Er wusste, es konnte absolut überhaupt nichts Gutes bedeuten, wenn Snape so zornig wirkte. Absolut überhaupt nichts Gutes.

 

„Mr Malfoy, könnte ich Sie für einen Moment in mein Büro bitten?“ Es klang nach keiner Bitte, nicht mal nach einer höflichen Aufforderung. Es klang nach einem kalten Befehl, die er von seinem Vater nur zu gewohnt war. Er schüttelte unbewusst den Kopf. Einige Schüler hatten den Kopf in seine Richtung gewandt.


„Ich würde Ihnen raten mir Folge zu leisten, Mr Malfoy. Glauben Sie mir.“

 

„Was… was ist passiert?“, fragte er jetzt etwas verwirrt und sein Blick glitt immer wieder zum Gryffindortisch, nur um zu sehen, ob sie ihm jetzt Aufmerksamkeit schenkte. Und das tat sie!

 

„Was passiert ist? Das könnte ich wohl eher sie fragen, Casanova“, knurrte sein Hauslehrer unbeherrscht und zerrte eine schwarze Maske aus den tiefen seines Umhangs. Nur am Rande bemerkte Draco, dass es seine eigene Maske war. Wo hatte Snape sie her? Er konnte nicht richtig denken. Sein Blick glitt immer wieder zur ihr. Er konnte ihren Ausdruck nicht erkennen. Könnte er doch nur näher…

„Sie stecken in ziemlich großen Schwierigkeiten, Draco!“ Jetzt riss er den Blick von ihr los.

 

„Schwierigkeiten? Was für Schwierigkeiten?“, fragte er jetzt und fixierten den Mann vor sich.

 

„Ich habe sehr lange mehrere Augen für Sie zugedrückt, Draco.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und sah mächtig wütend aus. Draco hatte ihn noch nie so gesehen. Noch nie. „Ich habe für Sie gebürgt, ich habe Sie verteidigt, wann immer es Fragen gab, die Sie Ihren Ruf hätten kosten können.“ Draco nahm an, es kam noch zu einem großen Crescendo hierbei.

 

„Aber das hier…!“ Wieder hob er die ziemlich mitgenommene Maske und wedelte damit in der Luft herum, zu zornig, sie still zu halten. „Das kann ich nicht mehr verantworten.“

 

„Was? Wovon sprechen…“

 

„Wovon ich spreche?“, unterbrach ihn Snape harsch und beugte sie näher zu ihm. „Was denken Sie, wo ich diese Maske gefunden habe?“ Er dachte kurz angestrengt nach. „Herrentoilette, Erdgeschoss? Oder Große Halle an den Buffettischen?“, vermutete er jetzt, denn dort hatte er sie möglicherweise liegen lassen können.

 

„Nein“, erwiderte er kalt. „Sie sollten mich begleiten.“

 

„Was? Wohin? Nein – hören, wo auch immer Sie diese Maske gefunden haben, es hat nicht-“

 

„Hatten Sie in der Nacht von Freitag auf Samstag geschlechtlichen Verkehr im Schloss, Draco? Haben Sie sich an diesem Wochenende etwas zu Schulden kommen lassen, wofür Sie Verantwortung übernehmen sollten?“ Sein Mund öffnete sich. Was?!

 

Snape deutete sein Schweigen sofort. „Dann werden Sie mit mir kommen.“


„Sir!“, entrüstete er sich jetzt. „Ich… ich…“

 

Was sollte er sagen? Dass er die Maske verloren hatte? Dass, wo auch immer sie aufgetaucht war, er nichts damit zu tun hatte? Dass er keinen Sex im Schloss gehabt hatte? Er resignierte. Er hatte hundertmal Sex im Schloss gehabt. Und auch an diesem Wochenende.

 

„Wohin haben Ihre Wege Sie geführt? In den Krankenflügel, Mr Malfoy?“ In den Krankenflügel? Welcher kranker Bastard hatte seine Maske dorthin mitgenommen? Er wollte den Mund öffnen, aber Snape war noch lange nicht fertig. „Sie und Mr Potter stecken in ziemlich großen Schwierigkeiten“, fuhr er jetzt fort.

Potter?

 

„Wieso Potter?“, fragte er verwirrt. Snape wirkte noch zorniger.

 

„Das geht Sie nichts an, Mr Malfoy. Aber es sollte Ihnen eine Lehre sein, Ihre Masken einfach zurückzulassen.

 

„Ich habe meine Maske am Buffettisch liegen lassen! Ich hatte meine Maske seit Beginn des Abends überhaupt nicht aufgehabt! Sie war mir lästig und ich habe sie verloren! Sie können gerne Hermine Granger fragen!“ Jetzt hatte sie damit hineingebracht.


„Hermine Granger?“, griff Snape seine Worte auf, und seine Stimme war ein Hauch lauter geworden. „Was hat Hermine Granger mit Ihnen zu tun?“ Jetzt konnte sein Gehirn anfangen zu arbeiten.


„Wir… wir haben uns getroffen und sie hat mich gefragt… wo… meine Maske ist und…“ Gott, was redete er für einen Stuss? Über Masken hatten sie nicht gesprochen.

 

„Ach? Und vielleicht hat sie sich bei Ihnen darüber ausgeweint, dass auch sie ihre Maske verloren hat?“

 

„Was? Sie hatte ihre Maske doch bis-“ Er biss sich auf die Lippe. Zu spät.

 

„Bis was…?“, fragte Snape glatt. „Bis Sie in den Klassenraum für Zauberkunst gegangen sind?“, führte er den Satz zu Ende. Dracos Mund öffnete sich erneut. Diesmal sprach er nicht mehr. „Wollen Sie mit in mein Büro kommen, Draco, oder bestehen Sie auf die öffentliche Erniedrigung, die folgen muss?“ Noch niemals hatte er Snape so wütend, so enttäuscht und so völlig außer Kontrolle erlebt.

 

Er bewegte sich nicht. „Schön.“ Snape griff grob nach seinem Umhang und zerrte ihn ein Stück nach vorn ins Licht. Kurz durchfuhr Draco ein stechender Schmerz, als Snape das Abzeichen in einer einzigen Bewegung vom schwarzen Stoff des Umhangs riss.

Sein Magen zog sich zornig zusammen. Und er wollte am liebsten schreien, so sehr missfiel ihm dieser Akt.

 

„Mr Malfoy, Sie sind des Amtes des Schulsprechers offiziell enthoben“, dröhnte Snapes Stimme jetzt durch die Halle. Draco wusste, er empfand Genugtuung dabei! Und natürlich Wut, denn sonst würde er nicht so eine Weltanschauung daraus veranstalten. „Zweihundertfünfzig Punkte Abzug für Slytherin wegen nächtlicher Umtriebe und Missachtung der Vorschriften. Strafarbeiten jeden folgenden Samstag bis zu Ihrem Abschluss, und leisten Sie sich keinen einzigen Fehltritt mehr oder Sie werden noch vor Jahresende von der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei suspendiert!“

 

Und damit ließ er ihn stehen. Er überlegte, dass es vielleicht doch sinnvoller gewesen wäre, mit ihm in sein Büro zu gehen. Noch immer blieb er unbewegt. Ihr Mund hatte sich tatsächlich geöffnet.

 

Was zum Teufel war passiert?

 

Er war keine zwei Minuten hier, da hatte er schon alles verloren. Und er konnte nur wage annehmen, dass keine Smaragde in seinem geliebten Stundenglas mehr übrig geblieben waren.

 

 

Teil 27

 

 

Er stand dort, als wäre er gar nicht wirklich anwesend. Sein Umhang saß etwas schief und er schien überhaupt nicht begriffen zu haben, was passiert war. Sie hatte nur Bruchstücke von Snapes Unterhaltung mit ihm mitbekommen. Sie hatte gar nicht zuhören wollen, aber es war gar nicht möglich gewesen, dass sie weggehört hätte.

 

Und dann hatte er das gesagt! Nicht nur hatte Snape gesagt, er wäre des Amtes enthoben, nein, er hatte ihm hier das Abzeichen abgenommen. Und ihm so unendlich viele Punkte abgezogen! Es lag wohl an der Maske…

Das war auch etwas, das sie nicht mehr wiedergefunden hatte. Ihre Maske.

Die war im Raum verschwunden gegangen und sie hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht gehabt.

 

Er stand immer noch an derselben Stelle. Und sie war sich nicht sicher, ob sein Blick ihr galt oder ziellos durch den Raum wanderte.

So sauer hatte sie Snape noch nie vorher erlebt. Und ein riesiger Teil in ihr wollte aufstehen, wollte zu ihm gehen, wollte irgendwas tun.

Er hatte – wie immer – die gesamte Aufmerksamkeit auf seiner Seite. Es war still. Sie hörte die Lehrer diskutieren.

 

Snape war aus der Halle gerauscht, als wäre er selbst es gewesen, dem das Abzeichen abgenommen worden war und nicht Draco.

Jetzt fuhr er sich durch die hellen Haare und wirkte noch immer nicht völlig bei Bewusstsein.

 

„Scheiße, der hat richtig Ärger bekommen“, flüsterte Ron kauend Harry zu. „Mensch, der hat bestimmt Sex gehabt. Malfoy ist so ein verfluchtes Schwein. Und so dämlich, wenn er sich danach erwischen lässt“, fuhr er grinsend fort und Hermine spürte eine plötzliche Wut in sich aufkeimen.

 

Denn eigentlich – eigentlich – war es nicht wirklich fair. Und so war es eigentlich auch nicht gewesen, wie Ron sagte.

Malfoy hatte keinen Sex gehabt. Nun, schon. Aber sie hatte es schließlich gewollt. Jetzt war er seines Titels enthoben worden, obwohl sie schon viel eher gesagt hatte, dass sie kein Schulsprecher mehr sein wollte?

 

Es war eine so irrationale Wut, dass sie die Hitze in ihren Wangen spüren konnte. Sie war sauer auf Snape, dass er einfach alles falsch verstand, sauer auf Dumbledore, dass er Malfoy seines Postens enthob, obwohl sie es war, die nicht mehr die Bürde hatte tragen wollen. Jetzt war Malfoy das Opfer und sie blieb völlig unbeschadet zurück. Und sie war sauer auf Ron, der natürlich alles falsch gedeutet hatte! Natürlich, denn sie war ja ihre kleine unschuldige Hermine, Schulsprecherin, mit den besten Noten, die niemals – niemals – in irgendwelche Skandale verwickelte werden könnte!

 

Sie war sich sicher, Snape hatte die Maske gefunden, nachdem sie sie mit dem Accio nicht hatte aufrufen können!

Und jetzt? Was passierte jetzt? Jetzt bekam Malfoy den Ärger, der ihr zu stand? Sie hatte es satt! Sie hatte es wirklich satt!

 

Sie merkte gar nicht, wie sie sich erhob. Wut rauschte durch ihren Körper. Heiße, blinde Wut. Sie hörte nicht, was Ron zu ihr sagte, oder Harry, oder Ginny. Sie stieg über die Bank, schritt nach vorne zum Lehrertisch und genoss es tatsächlich, dass Malfoy alle Aufmerksamkeit verloren hatte. Sie stand plötzlich und viel zu schnell Dumbledore gegenüber. Ihr Herz schlug so laut, dass sie ihre eigene Stimme kaum verstehen konnte.

 

Ihr Puls brach Rekorde, ließ ihre Finger brennen und ihr ganzer Körper vibrierte vor Wut.

 

„Mir haben Sie verweigert, den Posten als Schulsprecherin aufzugeben!“, knurrte sie plötzlich. Sie starrte Dumbledore an, der ihr wachsam entgegenblickte. „Denken Sie, ich hatte keinen guten Grund?“, fuhr sie lauter fort als beabsichtigt und McGonagall sah sie höchst beängstigt an. „Wenn Sie Malfoy das Abzeichen abnehmen, dann können Sie meins auch behalten. Ich belege dieses Amt nicht mehr!“, rief sie laut, damit Dumbledore auch ja jedes ihrer Worte verstand. Sie spürte Tränen der Wut in ihren Augen. „Wenn Draco Malfoy kein Schulsprecher mehr ist, wegen den Dingen, die Sie ihm vorwerfen, dann nehmen Sie auch meinen Rücktritt zur Kenntnis!“

 

Sie hatte das Abzeichen auf Dumbledores Teller geworfen.

Jetzt lag es glitzernd im Kartoffelpüree und Dumbledore sah sie immer noch wachsam und abwartend an. McGonagall hatte sich schockiert erhoben, aber Dumbledore blieb relativ gelassen. Das regte sie nur noch mehr auf. Sie wandte sich zornig ab, und rauschte zwischen den Tischen entlang.

 

„Bist du wahnsinnig geworden?“, unterbrach er ihre hasserfüllten Gedanken als sie an ihm vorbeischritt und wie selbstverständlich hatte sich seine Hand um ihren Oberarm geschlossen. „Granger!“ Sie riss sich von ihm los.

 

„Wag es ja nicht, mich anzufassen! Und wag es nicht, dich noch einmal bei irgendwem für mich einzusetzen! Wenn du von deinem Posten enthoben werden kannst, dann schaffe ich das allemal, Malfoy!“, schrie sie und Malfoy sah sie an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen.

 

„Das ist kein Wettkampf, Granger“, knurrte er jetzt ungehalten. „Du wolltest den Posten loswerden, ich wollte das nicht“, klärte er sie auf und folgte ihr tatsächlich.

 

„Halt deine Klappe, Malfoy! Dann habe wenigstens ich meinen Willen bekommen. Zu schade, dass du jetzt nicht mehr arme Schüler quälen kannst, aber ich werde darüber hinweg kommen!“


„Wirst du das?“, fragte er plötzlich. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie überhaupt mit ihm gesprochen hatte. Dass sie überhaupt – genau wie immer – auf ihn reagiert hatte. Dass es nicht einmal die Sekunde eines Zweifels in ihrem Innern gegeben hatte, dass sie mit ihm sprechen würde. Dass sie nicht einen momentlang gezögert hatte, bevor sie Dumbledore ihr Abzeichen hingeworfen hatte.

 

„Wieso musst du immer alle Worte verdrehen, du verdammter Mistkerl?“, fragte sie jetzt so leise, dass das Gespräch plötzlich zur Privatangelegenheit geworden war. „Aber schön! Ich werde drüber hinweg kommen, ja, Malfoy. Über verdammt noch mal alles, werde ich hinweg kommen. Glückwunsch, dass es dir leichter fällt, als allen anderen Menschen auf dieser Erde!“, knurrte sie jetzt und weinte schon wieder einmal! Sie hasste ihren Körper, dem sie nicht mehr vertrauen konnte.

 

„Gott, du bist so ein Miststück! Die Welt dreht sich nicht immer nur um dich, Granger!“ Sie hatte noch nicht einmal ganz verstanden, was er mit diesen Worten überhaupt hatte sagen wollen, aber sie hatte ihm so oder so die flache Hand ins Gesicht geschlagen.

 

Unter der Wucht taumelte er kurz zurück. Sie waren immer noch in der Halle. Zwar vor der Tür, aber die Schüler starrten sie an.

 

Was war in sie gefahren?

 

Hatte sie das gewollt? Hatte sie gewollt, dass das passierte? Nein, eigentlich hatte sie das nicht so gewollt. Überhaupt nicht so. Sie wusste nicht, ob sie verdiente, was er sagte, oder ob überhaupt noch irgendwas einen Sinn machte, was sie tat! Das einzig sinnvolle, was sie seit einer Ewigkeit getan hatte, war, dass sie so eben ihren Posten als Schulsprecherin aufgegeben hatte.

 

Er hielt sich die Wange und sein Blick war tödlich.

Plötzlich musste sie lächeln. Nicht weil irgendetwas besonders lustig war. Nein, weil sie gerade kurz davor standen, dass alles aufflog. Alles, woraus sie unter so viel Aufwand ein Geheimnis gemacht hatten, drohte aufzufliegen.

 

„Du solltest gehen“, sagte sie plötzlich, denn sie erkannte nur zu deutlich, dass sich Harry bereits erhoben hatte. Er wandte unbewusst den Blick über die Schulter. Dann blickte er sie wieder an.

 

„Ich habe keine Angst vor Potter.“ Sie wusste nicht, wie oft er diese Worte schon zu ihr gesagt hatte. „Er hat genauso einen weichen Schlag drauf wie du“, fügte er kühl hinzu. Sie wusste nicht, wo sie jetzt standen.


„Willst du jetzt etwa hier stehen bleiben und warten, bis er kommt?“, fragte sie ungläubig und so leise, dass er sich näher zu ihr lehnen musste.

Gott, sie hatte ihn vermisst! Ihre Wangen waren nass vor Tränen.

 

„Keine Ahnung“, sagte er langsam. Sie sah, dass er völlig ratlos und völlig überfordert wirkte. Sie wusste, wenn Harry jetzt ausrastete, dann konnte es nicht lange dauern, bis die Lehrer auch zu ihnen kommen würden.

 

Harry hatte sie erreicht. „Hermine, was soll das alles? Bist du verrückt geworden? Wieso gehst du zu Dumbledore und gibst dein Abzeichen ab? Wegen diesem verfluchten Arschloch?“ Er deutete auf Malfoy, als wäre er gar nicht wirklich anwesend.

 

„Nein, nicht wegen ihm. Ich wollte schon vor Wochen mein Abzeichen abgeben, Harry“, erwiderte sie ruhig, damit nicht alle zuhörten.

 

„Was? Wieso? Hat Malfoy dich gezwungen? Wenn du sie auch nur-“ Sie hielt Harry am Ärmel zurück, ehe er sich noch vor allen Augen auf Malfoy stürzen würde.

 

„Nein, Harry! Hat er nicht! Niemand hat mich gezwungen. Der Druck war mir zu groß und jetzt… und jetzt…“ Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. „Jetzt werde ich gehen. Ich bin… müde“, schloss sie langsam. Sie war nicht müde. Absolut nicht.

 

„Der Druck war dir zu groß?“, wiederholte Harry jetzt gedehnt und sie hörte, er glaubte ihr kein Wort. „Wie wäre es, wenn du mir nur ein einziges Mal die Wahrheit erzählen würdest? Ausgerechnet ihn, Hermine! An jeden! An jeden sonst, hättest du dein Herz verschenken können. Aber nein – es musste Malfoy sein, richtig?“

 

Ihr Mund öffnete sich sprachlos. „Du stehst anscheinend darauf, dass er dich schlecht behandelt, oder? Er ist ein verfluchter Todesser! Wie oft muss er dich als Schlammblut beschimpfen, damit du es begreifst?“, schrie Harry völlig außer sich und Hermine hatte keine Ahnung, was als nächste wirklich passiert war.

 

Die Zeit schien eingefroren. Zäh, wie in Zeitlupe bewegten sich die Bilder vor ihren Augen. Malfoy hatte Harry grob gepackt und seine Faust traf sein Gesicht nahezu übergangslos. Für Hermine verging eine schiere Ewigkeit.

 

Harry taumelte zurück, sein Körper schlug gegen den harten Türrahmen und ehe Draco hatte reagieren können, hatte Harry seinen Zauberstab gezogen.

Sein Fluch gellte durch die Halle, aber sie hatte ihn nicht verstehen können. Lila Blitze zuckten aus der Spitze von Harrys Zauberstab und trafen Draco direkt in die Brust.

Blut lief aus Harrys Nase über seinen Mund, sein Kinn und tropfte auf die Steinfliesen unter ihm. Hermine erwachte plötzlich.

 

„Draco!“, flüsterte sie und kniete sich sofort neben ihn. Es war wohl ein Schockzauber gewesen. Sie spürte seinen flachen Atem. Er ging ruhig. Also war er wohl nur bewusstlos. Dann kamen die Lehrer. Sie hörte wirre Fragen, wurde von Malfoy weggezogen und Harry stritt sich mit Dumbledore.

Pansy war auf das Geschehen zugestürmt und Hermine konnte nicht mehr zuordnen, wer sie wohin zog.

 

Flitwick hexte Malfoy auf eine Bahre und verschwand mit ihm. Ihr Körper wollte Flitwick folgen. Aber ihre Beine reagierten nicht. „Komm“, hörte sie eine Stimme an ihrem Ohr und wurde aus der Halle gezogen. „Lass uns nicht hier bleiben.“ Ron zog sie erbarmungslos hinter sich her. Sie wandte immer wieder Blick zurück, unfähig etwas anderes zu tun, als hinter Ron her zu stolpern.

 

Im Flur vor dem Gemeinschaftsraum machte sie sich von ihm los.

 

„Ron! Wieso laufen wir weg? Wir können doch nicht einfach-“

 

„Hermine, ich denke, die Leute reden schon genug, findest du nicht?“, fragte er gereizt.

 

„Über was genau?“ Zwar war sie aus der Halle raus, aber ihre eigene Wut war immer noch nicht vergessen.

 

„Muss ich es auch noch sagen?“, erwiderte er und konnte seine Stimme kaum noch kontrollieren. „Willst du jetzt etwa in den Krankenflügel rennen, Hermine?“

Ihr Mund öffnete sich zornig, aber Ron entwaffnete sie völlig mit seinem Blick. Er sah so verletzt aus, wie sie es noch nie gesehen hatte.

 

„Wieso hast du dein Amt aufgegeben? Doch nicht wegen ihm, oder?“

 

„Wegen Malfoy? Nein, nicht wegen ihm.“ Sie wusste nicht einmal mehr, ob sie log oder die Wahrheit sagte. Sie wusste nur, sie würde Ron nicht Recht geben! Sie wollte nicht mehr klein bei geben. Sie hatte eine eigene Meinung und es war ihr mittlerweile egal, wen sie damit verletzte.

 

„Was hast du dann mit ihm zu tun?“ Und sie sagte die Worte, ehe sie überhaupt den gesamten Sinn dahinter begriffen hatte.

 

„Geht dich das irgendwas an, Ron?“

 

Die Worte hingen noch im Flur als Ron schließlich antwortete. Ruhig und ausdruckslos.

 

„Ja, Hermine. Ich dachte bisher eigentlich schon. Ich dachte, Freunde reden über solche Dinge.“ Ja, das taten Freunde auch. „Dass du denkst, dass du nicht mit mir darüber reden kannst, zeigt mir, dass es dir wohl ein schlechtes Gewissen bereitet. Und weißt du was? Das solltest du auch haben! Und überleg mal ganz scharf, weswegen“, fügte er kälter hinzu.

 

Weil Draco Malfoy ein Todesser ist. Sie kannte die Antwort darauf. Und ja, sie hatte sich noch nie schlechter gefühlt als in diesen letzten Wochen. Aber war es nicht möglich, dass sie genau so etwas gebraucht hatte? Konnte es nicht einfach sein, dass sie eben einen Draco Malfoy gebraucht hatte? War das nicht möglich?

 

Sie antwortete ihm nicht. Sie wandte sich einfach von ihm ab. Sie wusste, den Schritt, den sie hier tat, konnte sie unmöglich unter keinen Umständen jemals wieder rückgängig machen. Das Schlimme war nur, dass sie das im Moment auch gar nicht wollte.

 

„Wo gehst du hin?“, hörte sie seine tonlose Stimme jetzt.

 

„In den Krankenflügel“, erwidert sie nach endlosem Zögern.

 

„Zu ihm?“ Seine Stimme klang gepresst vor unterdrücktem Zorn. Fast erwartete sie, dass er sie aufhielt. Aber so etwas tat Ron nicht. So etwas würde er niemals tun. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, warum sie sich vor Jahren gegen Ron entschieden hatte.

 

„Ja. Zu ihm“, sagte sie leise und darauf sagte Ron nichts mehr.

 

Ihre Schritte trugen sie eilig durch die Flure. Zwar hatte sie keine Ahnung, was genau sie eigentlich im Krankenflügel wollte, aber sie wusste, sie wollte ihn sehen. Und das war erst mal alles, was in ihrem Kopf gerade eben zählte.

 

 

Teil 28

 

Scorpio, Lucius… alles hatte wirre Formen angenommen. Sein Kopf schmerzte höllisch. Selbst seine Brust schmerzte unter schwachen Atemzügen.

 

„Wie lange muss er bleiben?“ Er kannte die Stimme. Vertraut. Doch ziemlich fremd. Er wusste nicht, weshalb sie ihm fremd erschien. Vielleicht weil sie besorgt klang?

 

„Nicht lange. Aber ein Schock aus solcher Nähe ist nicht ungefährlich, Ms Granger. Zur Beobachtung und natürlich bis der Heilungstrank wirkt, wird er hier im Bett bleiben.“ Madame Pomfrey klang streng.

Granger… er öffnete die Augen. Sie war hier.

Ihm wurde seine Blamage wieder bewusst. Ihm fiel wieder ein, was passiert war. Er hatte sein Abzeichen verloren, sie hatte ihres abgegeben, dann hatte Potter ihn verflucht.

 

Und jetzt war sie hier. Wie viel Zeit war vergangen? Er versuchte sich aufzusetzen und erregte damit ihre Aufmerksamkeit.

 

„Nein, du wirst liegen bleiben.“ Er wurde mit sanfter Kraft wieder zurückgedrückt.

 

„Schön, dich auch zu sehen, Granger“, gab er zurück und seine Stimme klang wie immer viel zu tief und rau. Er musste also länger bewusstlos gewesen sein. Verflucht, war das lächerlich und peinlich.

Potter hatte es tatsächlich geschafft. Ob es seine Rache gewesen war? Für das Nasenbein? Draco war sich da nicht sicher, aber Potter hatte es im ziemlich gut heimgezahlt, das stand fest. Denn immerhin lag er jetzt hier.

 

Hilflos und bis auf die Knochen blamiert. „Ich brauche deine Hilfe nicht“, fügte er jetzt ungeduldig hinzu. Sie sollte bloß nicht denken, dass er schwach und pflegebedürftig war.

 

„Gut. Fein, wie du willst!“ Sie wirkte müde und den Tränen nahe, er hörte es durchaus. „Dann geh doch am besten runter und versuch Harry zu finden. Denn etwas anderes tut ihr ja nicht, ihr Jungen, richtig?“ Sie hatte die Arme verschränkt und starrte böse aus dem Fenster. Anscheinend war sie sich nicht sicher, ob sie bleiben oder gehen sollte.

 

„Was ist passiert?“, fragte er schließlich widerwillig.

 

„Was?“ Das hatte sie verwirrt. „Was meinst du damit? Du weißt es nicht mehr?“, fügte sie verstört hinzu und er schüttelte den Kopf.


„Nein, ich meine… hast du dein Abzeichen wieder? Hat sich das geklärt? Wie viel Zeit ist vergangen?“ Er hasste es, Fragen zu stellen. Denn damit brachte er zur Kenntnis, etwas nicht zu wissen. Und Unwissen war so ziemlich das reizloseste, was er sich vorstellen konnte.

 

Sie sah ihn kurz an. „Nicht viel Zeit. Ein paar Stunden“, fügte sie lapidar hinzu. Sein Blick glitt zu den hohen Fenstern.

 

„Es ist hell. Was heißt, nur ein paar Stunden?“ Er hasste es, wenn er ihr Informationen aus der Nase ziehen musste.

 

„Ungefähr elf, Malfoy“, gab sie gereizt zurück. Sein Name. Wenn auch nur sein Nachname aus ihrem Mund. Ihr Mund… Schlagartig fiel ihm wieder ein, weshalb er noch nicht wirklich mit ihr hatte sprechen können, weshalb sie sauer war und was er ihr angetan hatte. Richtig, er hatte Hermine Granger ihre Unschuld geraubt. Und das auf ziemlich beschissene Art und Weise.

Und sie hasste ihn.

Es lag im schwer im Magen, dieser Gedanke.

 

Er beschloss, dass er sich nicht die Blöße geben konnte. Er konnte nicht. Was sollte er tun? Wieso ließ sie ihn dann nicht allein, wenn sie ihn sowieso nicht leiden konnte? Sie konnte sich doch unmöglich Sorgen machen? Das war doch absurd. Es widersprach ihrem goldenen Prinzip, dass er ein Bastard war.

 

Ihm fiel auch wieder ein, weshalb er sie brauchte. Sie musste ihm helfen. Er hatte viele Fragen und brauchte jemand brillantes an seiner Seite.

Er atmete langsam ein, ehe ihm tatsächlich der Sinn ihrer Worte klar wurde.

 

„Elf Stunden? Und du warst die ganze Zeit hier, Granger? Hast du kein eigenes Bett?“ Dämlich. Er hatte es gehört. Es hatte nicht so klingen sollen, wie es geklungen hatte. Morgens war er einfach ein Wrack.

Absolut. Sein Gehirn lag irgendwo anders und wartete darauf, dass er es fand und einschaltete.

 

Sie nickte nur und wandte sich von ihm ab. Er hatte sich hastig aufgesetzt. Bunte Punkte tanzten vor seinen Augen, denn er hatte den Schmerz in seiner Brust tatsächlich ein wenig unterschätzt. Ehe er die Augen schließen musste, ergriff er ihr Handgelenk und zwang sie zu bleiben.

 

„Du sollst liegen!“ Zwar war es ein Befehl, aber ihre Stimme klang sanfter. Er glaubte es zumindest.

 

„Wenn du ständig weg läufst kann ich wohl schlecht liegen bleiben, oder Granger?“, knurrte er unwillig und er hörte Schritte.

 

„Sie sind wach, Draco. Das ist gut. Bitte nehmen sie den Trank zu sich. Er entspannt die Schmerzen in der Brust. Wollen Sie, dass Ms Granger geht?“

 

Was für eine verfluchte Fangfrage. Was sollte er darauf bitteschön antworten, ohne dass es wie verflixte Schwäche klang? Dass sie bitte, bitte bleiben sollte? Dass er… Er wusste, je länger er zögerte, desto fragwürdiger würde seine Antwort klingen.

 

„Wenn sie will, kann sie bleiben“, sagte er also lapidar. Und er sah sie an. Hastig trank er den widerlichen Becher mit der widerlichen braunen Flüssigkeit leer.

Er sah in ihrem Kopf, wie sie ihn verurteilte für seine Feigheit. Und für eben alles andere. Er sah auch, dass sie die Antwort auf die Frage wohl gerne gehört hätte.

Und er wusste, sie wusste, was die Antwort sowieso gewesen wäre.

 

„Du bist ein Arschloch, Malfoy“, sagte sie deshalb nur. Sie wirkte immer wieder gehetzt, blickte zur Tür, aus dem Fenster und er erinnerte sich wage an ihre Worte.


„Siehst du mich wieder nicht an, weil ich schön bin? Auch jetzt?“ Er versuchte zu grinsen. Es funktionierte relativ gut. Es schmerzte, aber es ging. Kurz traf ihn wieder ihr Blick aus ihren dunkelbraunen, warmen Augen.

Sie hatte verflucht schöne Augen. Er hatte angenommen, blaue Augen wären reizvoller, aber braune Augen wirkten viel tiefer, viel geheimnisvoller, einfach viel einladender als kalte blaue Augen.

 

Seine Gedanken waren vollkommen nebensächlich, das wusste er.

 

„Nein, Malfoy“, gab sie langsam zurück. „Ich bereite mich darauf vor, aufzuspringen, wenn Harry oder Ron hier rein kommen.“

 

„Wieso sollten sie hier-“ Er unterbrach sich. „Du hast es ihnen gesagt? Du hast ihnen gesagt…“ Er wollte den Satz nicht wirklich beenden. Er konnte physisch auch gar nicht. Seine Zunge schien ihm plötzlich schwer im Mund zu liegen.

 

„Nein, Malfoy. Ich habe ihnen gesagt, wo ich hingehe“, erklärte sie nachsichtig und er erahnte ein Hauch von Röte auf ihren Wangen.

 

„Großartig. Weil du vorhast, mich noch vor dem Mittagessen aus dem Weg geräumt zu haben?“, fragte er knapp. Eigentlich hatte er nicht schnippisch und schlagfertig sein wollen. Er begriff langsam, dass jeder Spott und jede Beleidigung dazu dienten, seine Unsicherheit ihr gegenüber zu überspielen. Und das war ziemlich lahm. Und widerlich. Denn erst mal sollte er überhaupt nicht unsicher sein und dann – ja, dann was?

 

Sollte er ihr erzählen, dass er Genugtuung fühlte, weil sie sich von Potter abgenabelt hatte? Nein, er wusste genau, dass sie ihn dann wahrscheinlich noch einmal verfluchen würde. Er wusste die richtigen Worte einfach nicht.

Jedes nette Wort erschien ihm zu gefährlich.

Er hielt immer noch ihre Hand, fiel ihm auf. Und sie sagte dazu gar nichts. Sie zog sie nicht einmal weg. Es gefiel ihm.

 

„Deswegen möchte ich ja gehen“, erwiderte sie mit einem kühlen Lächeln.

Er seufzte.

 

„Granger, ist mir egal, ob sie mich foltern.“ Er gab schließlich nach. Sie konnte es unmöglich als Beleidigung oder Kompliment werten, beschloss er in seinem Kopf. Dabei wollte er nichts anderes als… als dass sie… genauso hier saß, wie sie es tat.

 

„Mir auch“, entgegnete sie. Und er sah, wie sich ihre Mundwinkel ein gewagtes Stück weiter hoben. Hatte sie ihn jemals angelächelt? Ohne böse Absichten? Ohne eine Beleidigung, die folgte? Gut, es waren keine netten Worte, aber er meinte das erste Mal zu sehen, dass Hermine Granger ihm gegenüber einen Witz gemacht hatte. Es war ziemlich verblüffend.

 

Er schloss für einen Moment beruhigt die Augen. Aber er ließ sie nicht los. Nein, das würde er nicht tun. „Ist das so?“, fragte er und atmete entspannter aus.

 

„Ja, du Idiot“, gab sie zurück und er hörte, wie sie immer noch lächelte. Es beruhigte ihn sehr.

 

„Weißt du… weißt du, ob ich noch auf der Schule bin?“ Die Worte schmeckten bitter. Ihre Hand zuckte kurz in seiner.

 

„Ich denke schon. Harry hat schließlich…“

 

„Jaah, ich weiß, aber…“ Er wusste nicht, was er sagen wollte. „Es wird bestimmt noch einmal Ärger geben. Snape hat ziemlich klar gemacht, dass ich fliege, wenn…“

 

„Draco, hör auf! Harry hat dich provoziert. Ich war schließlich dabei“, fügte sie leiser hinzu. Draco wusste, dass man es so oder so auslegen konnte. Und er war sich nicht sicher, welche Methode der Hauslehrer bevorzugte. Jetzt, unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse.

 

„Was war überhaupt im Krankenflügel?“

 

Er hatte sie wieder angesehen. Als sie seinen Namen gesagt hatte, hatte er sich nicht beherrschen können. Er hatte sie einfach ansehen müssen, um zu sehen, ob sie gemerkt hatte, dass sie seinen Vornamen benutzt hatte. Und ja, sie war röter als zuvor, sie hatte es wohl gemerkt.

 

„Ich bin mir nicht sicher“, begann sie jetzt. „Madame Pomfrey wollte dich zuerst nicht behandeln, weil sie immer noch böse darüber war, was du mit einem der Betten angestellt hättest. Deine Maske ist hier wohl aufgetaucht. Und dann habe ich ihr gesagt, dass du in dieser Nacht bestimmt nicht im Krankenflügel warst, weil…“

 

Er war sehr gespannt, was sie der Krankenschwester erzählt hatte.

 

„Weil?“, griff er ihr Wort nahezu gierig auf.

 

„Weil ich ihr gesagt habe, du wärst bei mir gewesen“, gab sie giftig zurück. „Bewusstlos, Malfoy. Ich habe ihr gesagt, du hättest so viel verfluchten Alkohol getrunken, dass du nicht mal mehr deinen Namen hättest sagen können.“ Es schien sie aufzuregen. Was genau, wusste er nicht. Wahrscheinlich einfach die Tatsache, dass sie vor der Krankenschwester hatte bürgen müssen.

Na ja, sie hätte es nicht tun müssen.

 

Aber nein – es war Hermine Granger. Natürlich hatte sie es tun müssen, ging ihm auf. Selbst die widerlichsten Kreaturen nahm sie, ihrer Meinung nach, in Schutz.

 

„Und mein Abzeichen will ich gar nicht wieder“, fügte sie leiser hinzu.


„Granger, es ist albern! Du solltest…“

„Nein! Ich wollte es sowieso nicht mehr haben.“

 

„Ja, wegen mir! Jetzt bin ich aus dem Weg. Jetzt kannst du deinen Thron alleine besteigen, verflucht!“ Es regte ihn auf, dass sie so stur und unverbesserlich war.

 

„Malfoy, nicht alles dreht sich um dich! Nicht alles in meinem Leben hat automatisch mit dir zu tun!“ Er wusste, Madame Pomfrey würde gleich wieder zu ihnen eilen, um sie zu maßregeln.

 

„Draco“, sagte er also und brachte damit Ruhe in seine Stimme. Sie sah ihn verwirrt an.

 

„Was?“

 

„Such dir einfach einen Namen aus, Granger. Und da dir mein Vorname leichter über die Lippen geht – zum Teufel, nimm einfach meinen Vornamen.“ Ja, sie reizte ihn. Das war alles, was sie immer tat. Ihre Haare fielen dicht über ihre Schulter. Der Pferdeschwanz sah etwas mitgenommen aus. Aber sie saß nun schon seit elf Stunden hier an seiner Seite.

 

Ihre Augen fixierten ihn kühl. Und er sah, wie sie es verabscheute, dass er sie erwischt hatte.

 

„Ich muss gehen“, sagte sie also. Das war der ausgemachte Hilfeschrei.  Es war wie ein Codewort. Die Unterhaltung war beendet, sie gab frühzeitig auf und wollte sich wieder verstecken gehen.

 

„Wohin?“, fragte er also.

 

„Es ist Montag, Draco.“ Jetzt betonte sie seinen Namen und es klang lächerlich. Er verdrehte tatsächlich die Augen.

 

„Das heißt, wir haben Unterricht?“, vermutete er träge.

 

„Nein. Du bist freigestellt. Ich habe Unterricht“, stellte sie richtig. Er musste grinsen. Und er hielt sie immer noch fest.

 

„Und du bleibst lieber hier bei mir, weil du Angst vor Potty und dem Wiesel hast, richtig?“ Wieder hatte er es gehört. Er fragte sich wirklich, warum sie noch bei ihm blieb. Sie sah traurig aus. Er war ein Arschloch.

 

Sie entzog ihm ihre Hand. Sein Mund öffnete sich kurz.

In dieser Sekunde wollte er alle bösen Worte zurücknehmen. Er war nicht blind! Er sah, dass sie auf etwas wartete. Er sah, dass sie eine Entschuldigung wollte. Oder auch nicht. Er wusste nicht genau, was es war, dass sie wollte.

Er wollte es ihr gerne geben! Alles, aber er wusste nicht wie! Wieso konnte sie ihm nicht helfen? Wieso machte sie nicht irgendeinen ersten Schritt?

 

Sie saß hier.

Sie hatte ihm gesagt, dass sie es den beiden Idioten erzählt hatte.

Sie wussten jetzt, dass sie hier bei ihm war!

Großer Gott!

Und was tat er?

Er machte dämliche Sprüche.

 

Sie hatte ihr Abzeichen aufgegeben!

Er hatte mit ihr geschlafen. Und er wollte sie immer noch. Und er sagte es nicht. Wieso sagte er es nicht? Wieso nicht? Was war bloß falsch? Wieso war er so ein Idiot?

 

„Granger“, begann er jetzt also. Sie schüttelte den Kopf.

 

„Schon gut. Ich muss…“

„Nein, warte!“ Er hatte sich wieder aufgesetzt. Sie erhob sich sofort, als wäre es eine bedrohliche Geste. Wahrscheinlich empfand sie jedes Näherkommen seinerseits als bedrohliche Geste. Es zerstörte ihn beinahe. Sie hasste ihn wirklich! Wieso tat er nichts, um das zu ändern? Weil er nicht wusste, was er tun sollte.

Das war die einfache Lösung dazu.

 

„Ich… ich brauche deine Hilfe.“ Die Worte schmeckten falsch und verlogen in seinem Mund. So etwas hatte er noch nie ansatzweise zu ihr gesagt. Und es fühlte sich falsch an, sie darum auch noch zu bitten, obwohl sie ihn nicht ausstehen konnte.

 

Und er wusste, sie hasste sich dafür, dass sie hier zu ihm gekommen war. Wahrscheinlich hatte sie erwartet, dass er sich dafür bedankte, dass sie hier. Dass er sie fragte, wie es ihr eigentlich ging…

Er wusste, er war ein kalter Idiot. Und er hasste sich selber bestimmt genauso sehr, wie sie es tat. Aber was konnte er schon tun? Er wusste es nicht.

 

„Meine Hilfe? Bist du sicher, Draco?“ Wieder seinen Namen auf die brutale Weise.

 

„Ok, weißt du, am besten lässt du es, überhaupt meinen Namen zu sagen, denn…“ Sie war gegangen. Noch ehe er den Satz hatte beenden können. Aber wahrscheinlich hätte dieser Satz sowieso kein gutes Ende genommen.

 

Scheiße. Es fühlte sich an, wie ein schmerzhafter Tritt in die Brust.

Sie hatte den Krankenflügel verlassen.

Madame Pomfrey war immer noch in ihrem Büro. Er stellte dies mit einem knappen Blick in ihre Richtung fest. Er schwang die Beine aus dem Bett.

Der Unterricht hatte seit zehn Minuten begonnen.

 

Na komm, Schulsprecher, ermahnte er sich. Zwar war er dieses Amtes enthoben worden, aber er war immer noch Schulsprecher. Jedenfalls in seinem Kopf.

Seine Sachen lagen auf einem Stuhl, ordentlich zusammen gelegt. Er wollte sich nicht vorstellen, dass Granger das getan hatte, aber er wollte sich kaum etwas Besseres vorstellen als das.

 

Er zog sich also an. Hastig und mit unterdrücktem Stöhnen.

Sie wollte große Gesten zeigen? Oder was auch immer sie ihm zeigen wollte? Schön. Das konnte er auch. Sie hatte keine Angst vor Potter? Er erst recht nicht.

Er durchsuchte seinen Kopf.

 

Die Gryffindors hatten montags in den ersten beiden Stunden Verwandlung.

McGonagall hatte ihm sowieso gesagt, er müsse sich anstrengen, um sein Ohnegleichen zu halten.

Dann würde er das jetzt mal tun. Irgendwas passierte in seinem Innern. Es zog und zerrte, es fühlte sich an wie Luftblasen, die nach oben stiegen. Es flatterte und bereitete ihm Übelkeit. Aber keine unangenehme.

Er spürte Aufregung, Erwartung. Ja, es war ein regelrechtes Kribbeln, dass seinen gesamten Körper in Besitz zu nehmen schien.

Und wann immer er an sie dachte, dann verstärkte sich das seltsame Gefühl.

 

Er blickte kurz in den Spiegel auf der anderen Seite. Seine Haare lagen nicht perfekt. Nein. Aber er sah besser aus als die meisten, befand er einfach. Mit einem letzten Blick auf Madame Pomfreys Büro, verschwand er aus dem Krankenflügel mit einem ziemlich genauen Ziel vor Augen.

 

Granger…

 

 

Teil 29

 

McGonagall hatte bereits mit dem Unterricht begonnen. Hermine bemerkte erst, nachdem sie sich gesetzt hatte, wie müde sie eigentlich war. Harry und Ron hatten keinerlei Anstalten gemacht, ihr zu bedeuten, sich neben sie zu setzen.

Also setzte sie sich zum ersten Mal in die letzte Reihe.

Parvati beäugte sie misstrauisch.

 

Hermine hatte schon wieder verdrängt, dass sie wahrscheinlich zum Schulgespräch Nummer eins geworden war, nach ihrem Auftritt gestern.

Und noch nie hatte sie hinten sitzen müssen.

Noch immer wurde sie von ihren Freunden ignoriert, die ernsthaft so taten als würden sie abschreiben, was McGonagall an die Tafel hexte.

 

Hermine fuhr sich müde über die Augen und versuchte, zu verdrängen, dass sie die meisten Schüler anstarrten. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, aber bestimmt sah man ihr an, dass sie die Nacht im Sitzen verbracht hatte. Sie war sauer auf sich selbst, denn sie hätte nicht bei Malfoy sein sollen.

Er hatte wie immer reagiert. Als wäre es absolut nichts besonderes, dass sie bei ihm gewesen war.

 

Es war auch völlig seltsam gewesen. Als sie bei ihm gewesen war, hatte sie keinen Gedanken an die Konsequenzen oder die Gefühle der anderen verschwendet. Es war ihr sogar vielleicht ein bisschen leichter vorgekommen.

 

Es klopfte laut und ihr Atem gefror.

 

Malfoy stand in der Tür des Klassenzimmers. McGonagall hatte ihren Zauberstab sinken lassen. „Mr Malfoy, Sie sind heute vom Unterricht befreit. Wieso sind sie nicht im Krankenflügel?“ Ehe er antwortete, suchten seine Augen den Raum ab.

Sie trafen auf die ihren und sie zuckte zusammen. Was tat er denn nur? War er verrückt?

 

Ich wollte nicht im Krankenflügel sein, Professor. Ich… hatte das Gefühl, ich sollte bei Ihnen lieber etwas lernen“, fügte er hinzu. Er sah besser aus als sie, stellte sie verärgert fest. Er wirkte ausgeschlafen.

 

Sie sah, wie sich Harry vorne zu erheben drohte.

 

„Mr Malfoy, Slytherin hat ein anderes Fach“, maßregelte McGonagall.

 

„Ich weiß, aber… wir haben Geschichte und ich dachte… ich würde wesentlich mehr Stoff lernen, würde ich meine freie Zeit dafür nutzen, Verwandlung zu besuchen. Wo ich es doch jetzt kann.“ Er schenkte McGonagall ein charmantes Lächeln. Diese fühlte sich wohl tatsächlich geschmeichelt. Hermine sah es ihr an, denn ihre Lippen waren bei weitem nicht mehr so schmal, wie noch vor einer Minute. Wahrscheinlich hörte sie gerne, dass ihr Unterricht spannender war, als der von Professor Binns.

 

„Gut, Malfoy, setzen Sie sich“, beendetet sie also die Unterbrechung.

 

„Professor!“ Harry hatte sie erhoben.

 

„Mr Potter, Sie sollten sich lieber bei Mr Malfoy entschuldigen.“

 

„Er ist nur hier, weil-“

 

„Setzen Sie sich augenblicklich, oder ich ziehe Ihnen Punkte ab!“, mahnte sie jetzt und Harry schluckte seine nächsten bösen Worte runter und verfolgte mit Argusaugen, wie sich Malfoy mit völliger Selbstverständlichkeit neben sie setzte.

 

Sie konnte nicht atmen. Sie hatte sich doch gerade erst mit ihm gestritten! Er hatte nicht das Recht, ihr zu folgen. Lavender stand der Mund offen, aber Malfoy ignorierte die Blicke gekonnt.

 

„Hey“, sagte er leise und streckte seine Arme über seinen Kopf, um sie hinter seinem Nacken zu verschränken.

 

„Du solltest schlafen“, flüsterte sie jetzt so leise, dass er sich zu ihr beugen musste.

 

„Als ob ich ohne dich schlafen würde, Granger“, entgegnete er ruhig und ihr Herz machte einen sehr unpassenden Satz. Sie verstand kein Wort mehr von dem, was McGonagall an die Tafel zauberte und hoffte inständig, bei irgendwem später abschreiben zu können. Sie konnte auch den Blick nicht mehr von ihm wenden.

 

„Was?“, flüsterte sie heiser und schüttelte den Kopf. „Bist du eigentlich verrückt?“, murmelte sie, damit McGonagall nicht doch noch Punkte abzog. „Warum kommst du hier her? Willst du, dass-“

 

„Dass was?“, fragte er lauernd. „Dass Potter hier hinten hin kommt und mich noch mal verflucht? Klingt verlockend…“ Er hob eindeutig die Augenbrauen. Sie wandte den Blick schließlich wieder nach vorne.

 

„Hör zu…“, begann er wieder und sie versuchte wirklich, ihn zu ignorieren. „Ich wollte noch nicht, dass du gehst. Ich habe mich scheiße verhalten, ich weiß das. Ich… wollte mich entschuldigen wegen hunderttausend Sachen, Granger. Du weißt das“, fügte er eindringlich hinzu. Sie blickte immer noch stur nach vorne.

 

„Und… du bist die einzige, die mir bei dem Problem helfen kann, dass ich habe. Und ich weiß, du willst mir nicht helfen. Aber… ich bitte dich, Granger“, sagte er noch leiser.

 

„Aha. Wenn du meine Hilfe brauchst, dann bist du auf einmal kein Arschloch mehr?“ Sie hatte die Worte nicht sagen wollen. Selbst, wenn sie sie leise sagte, hatte er sie dennoch verstanden.

 

„Du denkst, ich bin kein Arschloch mehr?“ Er hatte eine Augenbraue spöttisch gehoben. Wieso sah er so gut aus? Wieso war sie so schwach? Argh. Sie hätte schreien können.

 

„Sei still. Du wolltest lernen“, fügte sie abweisend hinzu.

 

„Richtig“, flüsterte er zurück und wandte plötzlich den Blick nach vorne. Seine Hand allerdings strich unter dem Tisch über ihr Knie. Sie spürte die Hitze in ihren Wangen. Das Adrenalin, was ihr Körper plötzlich ausschüttete, verscheuchte die Müdigkeit mit einem Schlag.

 

Sie blieb auf ihrem Unterschenkel liegen und seinem Gesicht war nicht anzusehen, was er gerade tat. Ihr Atem verließ ihren Mund stoßweise. Sie wusste nicht genau, ob sie wollte, dass er das tat oder ob sie seine Hand von sich schieben sollte.

Seine Augen waren konzentriert nach vorne gerichtet. Sie entschied sich, vernünftig zu bleiben. Ihre Hand legte sich auf seine und sofort schlossen sich seine Finger um ihre Haut.

 

Sie durchfuhren mehrere Stromstöße und sie musste den Atem anhalten.

Ihr Blick traf seinen als sie ihn verwirrt ansah. Und seine Augen schienen dunkler. Hungrig. Verlangend. Und nein, er konnte sich also auch nicht auf Verwandlung konzentrieren.

Sie spürte immer noch seine Hand auf ihrem Unterschenkel und musste kurz die Augen schließen. Nur kurz.

 

„- haben die verschiedenen Varianten? Mr Malfoy, vielleicht?“

 

Sie zuckte vor Schreck zusammen. Sie hatte kein Wort von dem verstanden, was McGonagall gesagt hatte. Oh Gott! Sie war hier im Unterricht. In einem Klassenzimmer! Mit Schülern!

 

„Die Auswirkungen sind abhängig von der Bewegung der Hand. Mit der Sprache des Körpers können Flüche oder Zauber immer gesteuert werden. Es hängt von der Intensität ab.“

 

„Völlig korrekt.“ McGonagall wandte sich wieder ihrer Tafel zu. Hermine konnte ihn nur anstarren. Er wirkte amüsiert.

 

„Granger, denkst du, ich könnte mich nur auf eine Sache konzentrieren?“ Zornig schob sie seine Hand von ihrem Schenkel. Das hätte sie schon vor Sekunden machen sollen!

 

„Mir würde es um einiges leichter fallen, wenn ich deine Stimme nicht mehr hören müsste“, gab sie gepresst zurück. Er zuckte die Achseln, griff über ihren Tisch und sie ärgerte sich, dass sie tatsächlich dachte, er wollte sie jetzt küssen.

 

Sie hatte es wirklich angenommen! Und er sah, dass sie genau das angenommen hatte. Seine Mundwinkel hoben sich in arroganter Manie. Aber er sagte nichts dazu.

 

Ehe sie ihn hindern konnte, hatte er auch ihre Feder genommen und schrieb nun eilig einige Worte auf das leere Pergament.

 

Ich brauche deine Hilfe

 

Seine Schrift war fließend, gerade und die großen Buchstaben waren geschwungen. Natürlich kannte sie seine Handschrift. Sie hatte sie oft genug zu Gesicht bekommen. Aber noch nie hatte sie solche Worte gelesen.

 

Sie warf ihm einen gereizten Blick zu. Er sollte sie in Ruhe lassen. Er zog den Zettel wieder zu sich. Diesmal brauchte er länger. Sie konnte nicht anders, als ab und zu, zu ihm hinzusehen. Sie war wirklich neugierig, wobei er ausgerechnet ihre Hilfe brauchte.

 

Immer wieder bemerkte sie auch, wie Ron den Kopf nach hinten wandte. Aber sie ignorierte ihn.

 

Jetzt bekam sie einen wesentlich längeren Text zu Gesicht.

Ihr Mund öffnete sich langsam beim Lesen.

 

Es klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich muss einen Weg finden, meinem Bruder Magie zu geben. Ich bin mir sicher, dass er zaubern kann. Es fehlt nur das Ventil. Bitte, du musst mir helfen!

 

Sie ergriff die Feder. Mehr aus Empörung, als wirklich bewusst.

 

Das ist doch nicht dein Ernst!

 

Das war alles, was sie zurück schrieb. Doch ehe er wieder schreiben konnte, nahm sie ihm die Feder noch einmal ab. Hastig kritzelte sie Worte nieder.

 

Du denkst doch wohl nicht, nur weil du in deinem Kopf nicht ertragen kannst, dass dein Bruder ein Squib ist, dass ich dir helfen werde!

 

Er nahm ihr die Feder ab.

 

Granger, du bist ein Idiot.

 

Sie funkelte ihn wütend an. Diese Worte geschrieben zu sehen, regte sie noch mehr, als wenn er es zu ihr sagte.

 

Ich will es nicht für mich. Oder weil ich es nicht ertragen könnte. Ich will es für Scorpio, denn er ist unglücklich. Sehr unglücklich.

 

Jetzt hob er den Blick. Ernst und voller Sorge. Sie schüttelte nur den Kopf.

 

Es gibt keinen Weg. Jedenfalls bestimmt keinen einfachen.

 

Sie ärgerte sich fast darüber, dass sie die letzten Worte dabei geschrieben hatte. Sie hatte zwar schon gelesen, dass selbst Squibs nach Jahrzehnten plötzlich angefangen haben, ungewollt zu zaubern, aber so etwas war wirklich selten.

 

Reden wir da gleich drüber, bitte?

 

Selbst in seinen geschriebenen Worten konnte sie erkennen, wie wichtig es ihm war. Sie schüttelte nur stumm den Kopf.

 

„Bitte, Granger“, flüsterte er leiser und lehnte sich unauffällig näher zu ihr. Sie blickte stur nach vorne. Ihr Puls raste wieder. „Bitte“, wiederholte er eindringlich.

Sie blieb stumm. „Ich will dich wirklich nicht nervös machen“, fügte er rau hinzu. Jetzt sah sie ihn an.

 

„Malfoy, ich habe überhaupt kein Problem damit, dir zu widerstehen. Für wie schwach hältst du mich?“, knurrte sie wütend.

 

„Gut.“ Sein Lächeln war gefährlich. „Dann treffen wir uns gleich in der Bibliothek. Vor der verbotenen Abteilung.“ Sie glaubte wieder sehen zu können, wie seine Augen eine hungrige Farbe annahmen. In ihrer Mitte zog es heftig und unangenehm. Fast war ihr egal, dass sie hier im Unterricht saßen. Sie konnte ihre Hände nur mit Mühe auf ihren Knien halten. Sie wollte sie in seinen Haaren vergraben und ihn küssen.

 

Jetzt sofort. Aber dann würde sie ihre Worten Lügen strafen und eigentlich war das nicht der Plan gewesen. Aber sie war so müde. Und sie war so unendlich dankbar, dass er wieder aufgewacht war… Das hatte sie ihm gar nicht gesagt.

Ihr Mund antwortete, ohne, dass Gehirn etwas mit der Antwort zu tun hatte.

 

„Gut.“

 

Als wäre jetzt alles geregelt, wandte er den Kopf nach vorne, verschränkte seine Finger auf dem Pult ineinander, so dass sie den Schlangenring betrachten konnte und sein Blick verriet nicht, dass sie gerade ein aufreibendes Gespräch geführt hatten.

 

Vor ihr lag das Pergament. Sie konnte sich immer noch nicht konzentrieren. Sie konnte immer noch nicht begreifen, dass Draco Malfoy neben ihr in Verwandlung saß und bis gerade eben noch seine Hand auf ihrem Schenkel hatte liegen lassen.

Er sah sie nicht mehr an. Bis zum Klingeln gönnte er ihr keinen einzigen Blick mehr.

 

Und das hasste sie an ihm.

Sie hatte zwar nicht gezählt, aber sie war sich sicher, sie hatte ihn aus den Augenwinkeln bestimmt noch zweidutzendmal angesehen. Wenn auch nur ganz kurz, nur um zu sehen, ob er sie ansah. – Was er natürlich nicht tat.

Und ihr Herz schlug immer noch furchtbar laut.

 

Nur, weil sie nicht wusste, was gleich passieren würde. Sie konnte ihm doch unmöglich helfen! Sie wusste nicht einmal, wie. Sie war sich nur nicht ganz sicher, ob sie ihm etwas abschlagen konnte. Egal, was.

Sie hoffte, er würde sie nicht darum bitten.

Es war einfacher, sauer auf ihn zu sein, wenn er sie zu Dingen zwang.

Ihr fiel jetzt erst auf, dass er sie wahrscheinlich noch niemals zu etwas gezwungen hatte.

 

Sie war nie sauer auf ihn. Sie war nur sauer auf sich selbst.

 

 

Teil 30

 

„Rennst du deinem Freund jetzt hinterher?“ Zu gerne wäre er noch geblieben, hätte Weasley erklärt, wo er ihn mal konnte, aber er wusste, würde er sich jetzt auf einen Streit einlassen, dann spielte er damit, dass Granger ihm nicht folgen würde.

 

Also unterdrückte er das Verlangen zu bleiben. Aber er hörte ihre Stimme auch so.

 

„Oh, Ron, du sprichst wieder mit mir?“ Er hörte ihre Wut. Er hoffte nur, sie würde diese Wut gleich nicht gegen ihn richten.

 

„Nein, nicht wirklich. Du gibst also zu, dass du mit Malfoy zusammen bist?“ Jetzt blieb er doch stehen. Zwar eine Ecke weiter, aber er konnte gar nicht anders. Er lockerte die straffe Krawatte um seinen Hals.

 

„Nein, Ron, bin ich nicht.“ Er konnte den Ton ihrer Stimme nicht zuordnen.

 

„Dann bist du einer seiner Schlampen, wirklich?“ Er hoffte, sie würde Weasley dafür schlagen, so wie sie ihn schon gefühlte hundertmal geschlagen hatte. Aber er hörte keinen Schlag.

 

„Wieso gehst du nicht einfach? Wenn du deine Meinung über mich schon völlig gebildet hast, wieso musst du dann trotzdem zu mir kommen und mich fertig machen?“ Ihm würde sie noch Fragen stellen, wenn er sie beleidigen würde. Aber ihm fiel wieder ein, dass er auch nicht einer ihrer Freunde war. Er spürte einen beißenden Schmerz in seiner Kehle. Heiß und undefinierbar.

 

„Ich will hören, dass du es sagst. Ich verdiene, dass du es wenigstens sagst, Hermine!“ Ihr Name klang aus seinem Mund viel leichter, viel glaubwürdiger.

 

„Was soll ich sagen?“, schrie sie jetzt außer sich. Ha! Den Ton erkannte er wenigstens.

 

„Liebst du Malfoy oder nicht, Hermine?“

 

„Was?“ Ihre Stimme brach sehr plötzlich. Er verzog den Mund. Verfluchter Tiefschlag von Weasley. Und plötzlich wollte er nicht, dass sie antwortete. Vor allem wollte er nicht hören, was sie antwortete.

 

„Wenn du ihn nämlich liebst, obwohl das vollkommen bescheuert, oberflächlich und gemein gegenüber uns und allem wofür wir gekämpft haben wäre, wäre das immer noch besser, als wenn du ihn nur wollen würdest, weil er dir eine Handvoll Aufmerksamkeit schenkt!“

 

„Ron, du gehst besser.“

 

„Fein“, schrie Weasley jetzt. „Du weißt, dass er keine Gefühle hat, richtig? Du weißt, dass sein Vater ihm Gefühle schon früh genug aus seinem Körper geprügelt hat? Du weißt, dass sein Mal ihn für immer davor bewahren wird, ein Schlammblut zu lieben, richtig?“

 

Jetzt hörte er den Schlag. Laut und dumpf hallte er im Flur wider. Er stand immer noch bewegungslos vor der Wand. Und es war absurd. Für gewöhnlich war er derjenige, der solche Worte sprach und dafür Prügel kassierte.

Dass Weasley es gewagt hatte, dieses Wort zu benutzen, ließ ihn erst erkennen, wie sinnlos und verletzend dieses Wort eigentlich war.

 

Er sah Granger in eine andere Richtung davon stürmen. Nicht in Richtung Bibliothek. Er trat aus seinem Schatten. Weasley stand völlig perplex vor dem leeren Klassenraum. Beinahe erschrocken sah Weasley ihn an.

 

„Das hätte ich niemals in dir schlummern sehen, Weasley. Vielleicht machst du einen besseren Todesser als ich es je könnte“, fügte er hinzu und sah, wie seine Worte Weasley die Tränen in die Augen trieben. Er ballte seine großen Fäuste und wirkte verloren, wie ein kleines Kind. Er schüttelte nur stumm den Kopf.

 

„Ich denke, es tut dir nicht weh, dass ich für die Worte einschreite, die Granger jetzt nicht berücksichtigen konnte. Fünfzig Punkte Abzug für…“ Er brach ab. Seine Mundwinkel zuckten kurz. Richtig, er war kein Schulsprecher mehr.

„Dann stell dir vor, ich hätte dir fünfzig Punkte abgezogen, Weasley“, knurrte er und bereute zum ersten Mal, nicht mehr Schulsprecher zu sein.

„Fühlt sich scheiße an, ich zu sein, richtig?“, fügte er kalt hinzu.

 

Weasleys Mund klappte wieder zu und er konnte immer noch nichts anderes tun als schockiert den Kopf zu schütteln.

 

„Ich wollte sie nicht… Ich weiß nicht, wie…!“ Er schien nicht einmal zu realisieren, dass er gerade mit Draco sprach.

 

„Sowas passiert, wenn… wenn man jemanden liebt, Weasley. Manchmal werden die Gefühle zu stark und dann reichen nette Worte nicht. Dann reichen nicht einmal Beleidigungen wirklich aus, aber irgendwie muss man seinen Gefühlen Ausdruck verleihen.“ Noch nie hatte er so mit Weasley gesprochen. Oder mit irgendwem. Nicht einmal mit sich selbst.

 

„Ich würde es begrüßen, wenn ihr euch aus meinen Angelegenheiten raushalten würdet. Anscheinend hast du deine Chance mit Granger verspielt, Weasley.“ Er spürte wie die Worte sich in seinem Mund formten. Heiß und unaufhaltsam. Er konnte gar nicht anders. „Granger gehört mir!“ Die Worte wollten an die Oberfläche. Und sie sollten genauso besitzergreifend klingen, wie er sie sagte.

Denn genau das wollte er sagen.

 

Zwar hätte er es nicht unbedingt zu Weasley sagen sollen, aber daran konnte er kaum etwas ändern. Sein heißer Zorn klang plötzlich ab. Er machte Platz für etwas wesentlich größeres. Angst.

 

Weasley starrte ihn an. Die Sekunden vergingen. Und er sehnte sich fast danach von Weasley verprügelt zu werden. Allerdings passierte etwas anderes.

Weasley ergab sich. Sein Blick senkte sich.

 

„Sie hasst dich“, flüsterte er leise. „Egal, wie sehr sie dich vielleicht auch will, sie hasst sich dafür, dass sie es tut.“ Er hob den Blick und Draco hasste es, die Tränen zu sehen. Er hasste es so sehr! „Sie hasst dich für das, was du bist. Und das wird sich nicht ändern, Malfoy. Und sobald sie merkt, was sie für einen Fehler begangen hat, werde ich da sein.“ Es klang wie eine Drohung, und Draco wusste, es sollte wohl auch genau das sein.

 

Und Draco hatte Angst, Angst, dass Weasley recht haben könnte. Weasley wischte sich unwirsch über die Augen und ließ ihn zurück. Ohne ein böses Wort. Ohne einen Schlag ins Gesicht.

 

Alles war plötzlich ziemlich ernst geworden. Nur weil Draco es verabscheute, dass sie überhaupt mit Weasley sprach.

Würde er es Potter sagen? Oder würde gar nichts passieren? Würde er ihm freie Hand lassen? Würde Weasley recht behalten und Granger würde nur zu schnell merken, wie sehr sie ihn wirklich verabscheute?

 

Und was sollte er dagegen tun können? Er konnte gar nichts tun. Temporär könnte er sie vielleicht halten. Oh großer Gott! Er wollte sie tatsächlich halten. Er wollte sie nicht gehen lassen. Und er wollte verflucht noch mal nicht, dass sie zu Weasley ging.

 

Er musste etwas tun.

 

Langsam verließ auch er den leeren Flur. In einer halben Stunde hatte Granger wieder Unterricht. Er musste sie finden. Nur, um sie zu finden. Er hatte keine Ahnung, was er dann anstellen sollte. Die Hilfe, die er von ihr erwartete, rückte immer weiter fort. Er wollte nicht nur ihre Hilfe. Er wollte verflucht noch mal alles an ihr!

 

Sie war nicht in der Bibliothek. Er musste nicht einmal rein gehen, um zu wissen, dass sie nicht auf ihn warten würde. Es war ihm klar.

Weasley hatte es versaut, hatte ihre Wände zum Einsturz gebracht. Sie versteckte sich vor ihm, weil… weil was?

Weil er sie dazu brachte, sich schlecht zu fühlen? Wären diese Idioten nicht immer ständig in seinem Weg, dann würde sich Granger niemals schlecht fühlen.

 

Er musste vorsichtig sein. Mehrere Slytherin starrten von der Bibliothek aus auf den Flur. Ihm fiel erst jetzt die Szene von gestern ein. Er musste sich auch vor den Lehrern in Acht nehmen. Pomfrey hatte sicher schon Alarm geschlagen.

Wahrscheinlich war Snape schon auf der Suche. Oder Potter aus Rache. Oder eben irgendwer. Pansy, zum Beispiel.

Nein, er musste schnell hier weg.

 

Die Prinzessin hatte sich wahrscheinlich im Gemeinschaftsraum verschanzt.

 

Eilig hastete er durch die Gänge. In seinem Kopf überlegte er kurz. Es hatte keiner eine Freistunde. Vielleicht ein paar Fünftklässler. Pansy und die anderen hatten gleich Verteidigung im Nordturm. Sie würden also bestimmt nicht in den Gemeinschaftsraum zurück gehen. Der Weg lohnte sich nicht.

 

Dort würde er also wenigstens nicht auf seine Freunde treffen. Er musste dort überlegen, wann er das nächste Mal Granger abfangen konnte, ohne auf ihre Nachhut zu treffen und ohne den Lehrern eine Chance zu geben, ihn aufzuhalten.

 

Er konnte sich vorstellen, dass sich Dumbledore geradezu danach sehnen musste, in seinen Geist zu blicken und herauszufinden, warum Potter so eine Wut auf ihn hatte. Er wollte nicht. Er wollte gar nichts mehr.

Er wollte fort von hier. Und er wollte nicht mal nach Hause zurück, denn da erwartete ihn auch keine Hoffnung.

 

Die Treppe in den Keller flog er förmlich hinunter. Er hielt nicht inne, er ignorierte die Rufe der Portraits und die Müdigkeit hing ihm plötzlich schwer in den Knochen. Der Trank von Pomfrey ließ nach und er spürte wieder den Schmerz in seiner Brust.

 

Er bog um die Ecke, in den Flur zu seinem Gemeinschaftsraum und wusste, er würde sich gleich hinlegen müssen.

 

Sie war da.

 

Sie lehnte neben das Portrait des blutigen Barons an der Wand und dieser beäugte sie mit größtem Unbehagen. Er hatte sich sogar etwas vorgelehnt.

Plötzlich füllte sich sein Körper mit Ruhe. Er konnte sie spüren. Die Angst schmolz langsam. Sie hatte geweint. Er konnte es sehen.

 

„Hey…“, sagte er leise. Der Baron musterte auch ihn. Er räusperte sich rau.

 

„Sie darf hier nicht rein.“ Der Baron sprach selten. Und so klang es auch. Draco hob müde den Blick.

 

„Sie ist mein Gast.“

 

„Malfoy, du hast den Posten verloren, wie ich gehört habe.“ Anscheinend sprachen sich gute Neuigkeiten auch unter den Portraits schnell rum.

 

„Und?“

 

„Wegen ihr?“ Der Baron verschränkte zornig die Arme vor der Brust und betrachtete Granger wie den Feind höchstpersönlich.

 

„Unwichtig, Baron.“

 

„Kennt sie das Passwort?“ Er warf Granger einen angewiderten Blick zu.

 

„Nein, ich kenne euer blödes Passwort nicht. Aber wahrscheinlich ist es etwas Feindliches gegen die Gemeinschaft, gegen Muggel, gegen alles, was gut ist, richtig?“ Der Baron warf die langen, strähnigen Haare nach hinten.

 

„Ohne Passwort wirst du hier auch nicht-“

 

Reinblütergesetz“, entgegnete Draco gereizt und wusste genau, was Granger gerade dachte.

 

„Malfoy!“, rief der Baron zornig aus.

 

„Sie ist mein Gast“, wiederholte er ruhig. Unter höchster Verachtung wandte der Baron den Blick ab und schwang langsam zur Seite. Er ließ Granger den Vortritt.

Im Raum blieb sie stehen. Ihr Blick richtete sich sofort gen Decke.

Denn dort zog sich das lange Fenster weiter.

 

Das Sonnenlicht warf trügerische Schatten auf den See. Dunkelgrüne Lichtspiele, schimmerten an den grünen Wänden. Das Feuer im marmorgrünen Kamin war  so gut wie abgebrannt. Er ging an ihr vorbei und ließ mit dem Zauberstab mehr Holz im Kamin erscheinen.

 

„Der Baron ist ein Mistkerl“, sagte er, damit er irgendetwas sagen konnte.

 

„Nein, er ist nur…“ Dabei beließ sie es. Sie betrachtete die Portraits an den Wänden. Ihr Blick blieb an einem Zauberer hängen, mit langen blonden Haaren und einem bösen Blick. Draco wollte dazu nichts sagen. Es war nur sein Großvater. Und dieser war nicht ernst zu nehmen. Er hing hier auch nur, weil er angeblich die Schule vor einem Brand gerettet hatte. Vor hundert Jahren oder so. Dabei war Draco sich ziemlich sicher, dass sein Großvater den Brand selber gelegt hatte.

 

Er wusste, würde er noch länger hier mit ihr bleiben, würde sein Großvater bestimmt etwas sagen. Zwar sprach er nie mit ihm, weil er meistens schlief, aber jetzt wirkte sein Blick äußerst wachsam. Das war wahrscheinlich das spannendste, was hier in hundert Jahren passiert war.

 

„Komm mit“, sagte er also und umfing ihren Arm. Sie folgte ihm die Treppe nach oben in seinen Schlafsaal. Sie sah sich verblüfft um. Er hatte keine Ahnung, wie die Schlafsäle der Gryffindors aussahen, aber sie viel anders konnte es nicht sein.

 

„Ihr werdet auf Grün geeicht, oder?“, mutmaßte sie und er konnte nicht genau sagen, ob sie gerade Kritik äußerte.


„Na ja, der See lässt uns keine große Wahl“, erwiderte er nur und setzte sich auf sein Bett. Er spürte wieder die Müdigkeit.

 

„Du hast das größte Bett?“ Jetzt hörte er ihren Unglauben.

 

„Ich bin Schulsprecher. Oder nein. Ich war Schulsprecher. Bis dahin stand mir eben das größte Bett zu“, erklärte er bereitwillig. Sie war in seinem Schlafsaal. Es gefiel ihm gut.

 

„So etwas haben wir bei uns nicht.“

 

„Nein, ihr Gryffindors seid alle gerecht und teilt eure Bettchen, richtig?“ Sie wandte sich zu ihm um. Dann ging ihr Blick an ihm vorbei.

 

„Wer schläft dort?“ Er folgte ihrem Blick. Er musste grinsen. Goyles Teddy lag noch neben seinem Kissen.

 

„Gregory“, erwiderte er ruhig. Oh, er wusste, dafür würde er noch büßen müssen.

 

„Wirklich?“ Sie lächelte jetzt ein wenig. Er hatte das Gefühl, dass er mehr sagen müsste.

 

„Wieso bist du hier runter gekommen?“, fragte er also.

 

„Ich… ich wusste nicht, wohin“, sagte sie lapidar.

 

„Du hast gleich Unterricht.“ Er wusste, sie wusste das. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete tief ein. Er spürte, wie sie sich vorsichtig neben ihn setzte. Er hielt die Augen geschlossen. Er wusste wirklich nicht, was er sagen sollte, damit sie bei ihm blieb. Vielleicht war gar nichts sagen auch mal etwas, dass er probieren musste.

 

Er spürte, dass sie ihn ansah. Er wandte den Kopf instinktiv nach rechts. Die Augen immer noch geschlossen. Es war einfacher, stellte er fest. Sie nicht zu sehen, ließ ihn seine Gedanken besser ordnen.

 

„Verzeih mir“, sagte er leise.

 

„Was?“, fragte sie genauso leise.

 

„Irgendwas“, erwiderte er. „Was du willst.“

 

„Ich… verzeihe dir, dass du ein Idiot bist“, gab sie zurück. Er spürte, wie er lächeln musste. Er öffnete die Augen wieder.

Sie sah müde aus. Aber immer noch unglaublich schön.

 

Er wusste, er hatte mit ihr über seinen Bruder sprechen wollen, aber plötzlich wurde etwas anderes wesentlich wichtiger. Und er sah, dass sie wusste, was er dachte, denn sie wich plötzlich zurück.

 

Er hob die Hand zu ihrem Gesicht und zwang sie still zu bleiben. Federleicht strichen seine Finger über ihre Wange. Sein Daumen fuhr über ihre Unterlippe. Er war viel zu lange fort gewesen. Er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

Fast unbewegt schüttelte sie den Kopf.

Und er wusste, er sollte es wirklich nicht tun.

Aber jetzt gerade konnte er nicht anders.

 

Er lehnte sich einfach vor, verharrte vor ihren Lippen – nur einen Moment – ehe er sie ungeduldig mit seinem Mund verschloss. Sie keuchte gegen seinen Mund.

Er zog sie an sich und sie öffnete ihre Lippen.

Seine Zunge traf auf ihre und es war elektrisierend. Sie zog ihn enger an sich und er musste stöhnen. Alles war plötzlich leicht. Scheiß egal…

 

Seine Hände griffen hart in ihre Hüfte, zogen sie auf seinen Schoss und ihre Arme schlagen sich um seinen Nacken. Wieder drang seine Zunge in ihren Mund. Unablässig und er presste sie härter in seinen Schoss.

Dann ließ er sich zurückfallen und zog sie mit sich. Sie saß über ihm und küsste ihn immer noch. Sie rieb sich jetzt an seinem Körper, bewegte sich über ihm und er spürte all seine Konzentration schwinden. Sie löste sich einfach in Luft auf und dann lösten ihre Finger seine Krawatte von seinem Hals, rissen sie unter seinem Hemd hervor und seine Hände schälten sie aus ihrer Jacke, öffneten die Knöpfe ihrer Bluse und sie stöhnte ungehalten über ihm.

 

Er hatte ihre Bluse bewältigt und warf sie mit seinem Gewicht um.

Sie keuchte auf als er übergangslos die Lippen auf ihr Dekolleté presste und seine Finger die Träger ihres BHs achtlos von ihren Schultern schoben.

 

Er zog sich seinen Pullunder über den Kopf und warf ihn neben sich auf den Boden. Sie zog ihn an sich, um ihn zu küssen und er gewährte ihr diesen Wunsch.

Seine Finger wanderten unter ihren BH und sie bog sich ihm entgegen. Er küsste ihren Hals, wanderte tiefer, während seine Hände ihren Rock ihre Beine hinab schoben.

 

Gott! Er wollte sie so dringend. Er öffnete schließlich ihren BH und seine Zunge fuhr über ihre Brustwarzen, bis sie schließlich aufschrie vor Lust. Seine Hand glitt zwischen ihre Beine. Ihr Höschen war feucht und er schob es zur Seite um mit den Fingern in sie eindringen zu können.

Ihre Hüften bockten auf. Er biss in ihre dunkle Brustwarze, deren Spitze augenblicklich hart wurde.

 

Ihre Finger gruben sich in seine Haare, zwangen ihn, den Kopf zu heben, sie zu küssen und ihre Hände öffneten seinen Gürtel, seine Hose und er half ihr. Er konnte nicht behaupten, dass er mit Geduld gesegnet war.

Er küsste sie erneut, drang tief in ihren Mund ein und genoss die Sensationen, die ihre Geräusche und Bewegungen über seinen Körper jagten.

Sie versuchte ihren eigenen Slip auszuziehen, aber er fing ihre Hände ab.

 

Er küsste eine Spur ihre Mitte entlang, über ihren Bauchnabel, ihren Venushügel, zog den Slip ihre Beine hinab, küsste ihre Oberschenkel, ihr Knie und zog dabei seine Shorts aus. Er war wieder über ihr. Sie spreizte verlangend die Beine, aber er gönnte es ihr nicht.

 

Er würde nicht in sie eindringen. Nicht so.

 

„Draco“, bat sie leise und er küsste sie hart. Er war direkt vor ihrem Eingang. Sie wurde wild unter ihm. Ihre Fingernägel kratzten über seinen Rücken und er liebte dieses Gefühl! Plötzlich spürte er, wie ihre Hand ihn umfasste und er keuchte auf, riss den Kopf los und starrte sie an. Sie brachte ihn selber in Position und viel zu leicht drang sein steinharter Penis in sie ein.

 

Ihr Kopf flog zurück.

 

Wieder diese heiße Enge! Er wollte warten, wollte nicht nach vorne stoßen, aber sie zwang ihn, in dem sie ihre Hüften verführerisch bewegte. Er gab nach. Er konnte gar nicht anders.

Er stieß hart nach vorne. Sie stöhnte so verflucht laut, dass er sich auf die Unterlippe beißen musste, um nicht sofort in ihr zu kommen.

Er versuchte sich zusammen zu reißen. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüften und er stieß wieder hart nach vorne.

 

Und sie wollte es! Er konnte es fühlen, konnte es hören, konnte es in ihren lustverhangenen Augen erkennen!

Seine Finger griffen erneut in ihre Hüften, ehe er eine Hand zwischen sie beide wandern ließ und über ihren empfindlichen Punkt strich. Sie starrte ihn plötzlich an. Er wiederholte die Bewegung.

Sie schluckte hart, schloss die Augen und ihre Lippen fanden seine eigenen.

Er küsste sie, während sein Daumen harte Kreise beschrieb.

 

Sie keuchte in seinen Mund, ihr Rhythmus wurde plötzlich schneller und Schweiß trat ihm auf die Stirn.

Er konnte nicht länger warten.

Dann spürte er, wie sich ihr Muskel um seinen Penis krampfte und er rammte sich ein letztes Mal tief in sie. So tief, dass sie aufschrie. Grollend folgte er ihr und brach über ihr zusammen.

 

Als er sich aus ihr entfernen wollte, hielt sie mit ihren Händen über ihr. Sie zog ihn wieder zu sich. Die Erschöpfung überkam ihn, aber sie zwang ihn, in ihr zu bleiben, während sie ihn auf den Rücken zwang.

Sie war über ihm. Wunderschön. Ihre Brüste hoben sich bei jedem Atemzug. Er nahm den Anblick in sich auf und würde ihn nicht vergessen.

 

Sie senkte den Kopf und küsste seinen Hals. Langsam, verlangend und ein Schauer befiel ihn. Sein Hals war sensibel und jetzt biss sie sanft in seine Haut. Er musste schlucken und spürte, wie seine Erektion tatsächlich erneut erwachte.

Sie spürte es auch. Sie sog scharf die Luft ein, denn plötzlich füllte er sie wieder komplett aus.

 

Ihre Hände stützten sich auf seiner Brust ab und sie legte den Kopf in den Nacken und sie langsam begann, sich auf ihm zu bewegen.

Seine Müdigkeit fiel wieder von ihm ab.

Gott, er würde nie wieder schlafen, wurde ihm bewusst.

 

Mit jeder Bewegung ließ sie sich härter auf ihm nieder. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Mund geöffnet und er krallte die Finger in ihre Hüften um ihrem Rhythmus Stabilität zu verleihen.

Sie wurde wieder schneller. Ein Schweißtropfen rann zwischen ihren Brüsten hinab und er setzte sich auf, um ihn mit den Lippen fangen zu können.

 

Erschrocken sah sie ihn an, ehe sie ihre Arme wieder um seinen Nacken legten. Er schlang ebenfalls einen Arm um sie und bewegte ihre Hüften nun schneller.

Er küsste ihre Schulter, ihren Hals, ihre Lippen, ihre Brüste und mit einem rauen Stöhnen kam er ein weiteres Mal. Ihre Arme schlangen sich um seinen Körper und keuchend sank ihr Kopf gegen seine Schulter.

 

Er hielt sie auf sich, würde sie nie wieder gehen lassen und spürte die Müdigkeit plötzlich wieder. „Bleib“, flüsterte er jetzt. Sie brauchte einen Moment, ehe sie sprechen konnte.

 

„Ich kann nicht“, erwiderte sie leise. „Schlaf erst mal.“ Ihr Atem ging immer noch schnell, als si sich von ihm losmachte und ihn zwang, sich hinzulegen.

 

„Granger…“ Er sah sie an. „Beim ersten Mal… ich wollte dir nicht wehtun“, sagte er zusammenhanglos. Sie küsste ihn, ehe er weiter sprechen konnte.

 

„Halt den Mund, Draco.“ Seine Augen fielen immer wieder zu.

 

„Sehe ich dich später?“, fragte er und spürte, wie schwer seine Zunge schon wurde.

 

„Ok“, erwiderte sie und er wollte sie halten, wollte, dass sie bei ihm blieb, aber ehe er handeln konnte, war er schon eingeschlafen.

 

 

 

 

Teil 31

 

 

„Ms Granger. Wir haben über ihre Worte nachgedacht. Ich nehme stark an, dass Sie aus einer Art Affekt heraus gehandelt haben?“ Sie konnte nicht sagen, ob Dumbledore müde wirkte, oder ob sie das einfach nur so sah, weil sie selber furchtbar müde war.

 

Sie war noch nicht dazu gekommen zu schlafen. Sie war noch nicht einmal dazu gekommen, nachzudenken, was sie heute getan hatte!

 

Sie hatte Sex gehabt. Schon wieder. Mit Malfoy. Schon wieder.

 

Und nicht nur das. Sondern auch noch im Schlafsaal der Slytherins. Und sie wusste noch nicht, wie sie es bewerten sollte. Sie hatte noch Zeit gehabt, einen Verhütungszauber anzuwenden, den sie selber nachgeschlagen hatte, war zum Unterricht gegangen und jetzt saß sie bei Dumbledore. Und sie wusste auch nicht, was sie sagen sollte.

 

„Ja, aus dem Affekt“, wiederholte sie deshalb etwas unsicher.

 

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diese Frage wirklich stellen sollte, aber…“ Dumbledores Lippen wurden kurz sehr schmal. „Haben Sie zurzeit eine Beziehung zu Draco Malfoy, Ms Granger?“ Es klang wie eine Unterstellung, die der Schulleiter stark anzweifelte.

 

Hermine war zu müde um in irgendeiner Weise rot zu werden.

 

„Ich… nein, Sir. Ich… habe keine Beziehung.“

 

„Nicht, dass es mich angeht oder in irgendeiner Weise interessiert, aber… ich kann nicht nachvollziehen, weswegen Sie sonst Ihr Abzeichen aufgeben sollten. Denn – ganz unter uns – an Ihren Noten kann es wohl weniger liegen. Sie sind immer noch eine ausgezeichnete Schülerin.“

 

Hermine kam sich eher vor, wie eine ausgezeichnete Lügnerin.

 

„Sir, ich…“ Sie unterbrach sich selbst. Was sollte sie dazu sagen? Sie spürte schon, dass sie jetzt auch genauso gut anfangen könnte zu weinen.

 

„Sie haben gesagt, Sie geben Ihr Abzeichen auf, wenn Draco Malfoy kein Schulsprecher ist. Sehen Sie, wir hatten unsere berechtigten Gründe, Draco sein Abzeichen zu nehmen.“

 

„Er war nicht im Krankenflügel, in dieser Nacht. Sir“, fügte sie noch hinzu.

 

„Sie wissen das, weil sie mit ihm zusammen waren?“, horchte Dumbledore sie jetzt aus und sie konnte nur unwirsch mit den Achseln zucken. Sie wollte das garantiert nicht zugeben.

 

„Das ist doch unwichtig, oder nicht?“, fragte sie etwas hilflos.

 

„Das ist nicht der einzige Grund, Ms Granger.“ Sie seufzte. Eigentlich hatte sie gehofft, dieses Thema wäre erledigt. „Wir würden Ihnen nur zu gerne Ihr Abzeichen wieder geben.“ Sie wartete, aber diesen Worten folgten keine weiteren.

 

„Aha…“, erwiderte sie also gedehnt. „Aber…?“

 

„Kein Aber. Es ist nur, dass sich Draco zu viel herausgenommen hat. Finden Sie nicht? Ich meine, Sie waren diejenige, die sich zuerst beschwert hat, Ms Granger“, merkte Dumbledore jetzt an, und Hermine erinnerte sich schwach.

 

„Sir, ich möchte meine Abzeichen nicht zurück.“

 

„Aber Ms Granger…“

 

„Malfoy verdient es genauso wie ich. Oder eben genauso wenig wie ich. Ich bin sicher, Sie werden Ersatz finden können? Es gab noch andere Vertrauensschüler“, fügte sie hinzu.

 

„Sicher… Das ist Ihre Entscheidung?“

 

„Definitiv.“

 

„Wenn Mr Malfoy nun zu mir kommt, und mich bittet, Ihnen Ihr Abzeichen wieder zu geben, dann soll ich ablehnen?“

 

„Das würde er niemals tun.“ Sie sagte die Worte, ehe sie nachgedacht hatte. Aber sie würde so ziemlich alles auf der Welt verwetten, dass Draco Malfoy so etwas Selbstloses niemals tun würde.

 

„Ist das so?“

 

„Ja, Sir.“ Dumbledore widmete ihr noch einen prüfenden Blick.

 

„Sie können gehen, Ms Granger. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.“

 

Damit erhob sie sich, nicht ganz sicher, was sie jetzt mit Dumbledores Worten anfangen sollte.

 

„Wiedersehen, Professor.“ Sie öffnete die Tür seines Büros und verließ eilig die Heiligen Hallen der Lehrer.

Sie hasste es, hier zu sein. Aber im Moment wollte sie eigentlich nirgendwo unbedingt sein. Harry und Ron hassten sie nämlich noch viel mehr als im Moment sowieso schon und sie wusste nicht, was sie tun sollte.

 

Abendessen. Ja, sie hatte Hunger. Aber sie würde angestarrt werden. Und wo zum Teufel sollte sie bitteschön sitzen? Sie konnte ja wohl schlecht zwischen Ron und Harry sitzen. Sie seufzte schwer und machte sich auf den Weg.

Ihr Körper schmerzte und rebellierte gegen die Bewegung.

 

Sie hatte wohl kaum eine Wahl, denn früher oder später musste sie sowieso essen.

 

Sie erreichte die Große Halle und es wunderte sie nicht, dass sie angestarrt wurde. Sie fuhr sich müde über die Haare und hielt den Blick nach unten gerichtet. Am Rand des Gryffindortisches war noch ein Platz frei, neben einem Schüler aus den niedrigen Klassen, dessen Namen sie nicht kannte.

Das war ihr völlig recht.

 

Das Essen war schon erschienen. Sie stach die Gabel in ein Stück Braten und legte es auf den Teller vor sich. Selbst Dumbledore schien sie überholt zu haben. Wahrscheinlich hatte sie doch länger getrödelt, als sie es beabsichtigt hatte. Sie verspürte nicht die Lust, den Blick zu heben, um sich zu vergewissern, dass Harry und Ron sie tatsächlich ignorierten.

Das brauchte sie jetzt nicht.

 

Sie spürte die Blicke in ihrem Rücken von den anderen Tischen. Selbst die Blicke der Gryffindors nahm sie aus den Augenwinkeln wahr.

 

Plötzlich durchfuhr es sie wie ein Blitz.

 

Sie saß kerzengerade am Tisch. Der Gryffindortisch war der erste Tisch in der Großen Halle. Sie erhob sich und warf einen Blick durch die Halle. Und sie sah Malfoy an seinem gewohnten Platz zwischen Pansy und Goyle sitzen.

Hastig stieg sie über die Bank, die Gabel noch in der Hand.

 

Ihre Schritte wurden merklich schneller. Sie hörte die Schüler tuscheln. Sie nahm sogar die Blicke von Harry und Ron wahr.

Sie hatte seinen Tisch erreicht. Er sah genauso müde aus. Wenigstens einmal sah der König von Slytherin auch angeschlagen aus.

 

„Ich weiß es“, sagte sie nur. Beinahe erschrocken hob er den Blick zu ihr.

 

„Was macht dieses-“ Sie würgte Pansy einfach ab.

 

„Draco, ich weiß die Lösung.“ Er sah sie an. Für einen Moment glaubte sie tatsächlich, dass er nicht mehr wüsste, wer sie war. Alle Slytherins starrten sie an. Es war still am Tisch geworden. Und sie glaubte tatsächlich, er würde gegen seinen Stolz kämpfen. Würde er wirklich nicht mit ihr reden?

Plötzlich spürte sie einen Hauch der verräterischen Hitze in den Wangen.

 

War es nicht gut, dass sie jetzt hier war? Versuchte er immer noch irgendein Bild aufrecht zu erhalten?

 

„Lösung?“, fragte er nur, und seine Stimme verriet mit keiner Spur, dass er vor wenigen Stunden mit ihr geschlafen hatte. Es schmeckte bitter in ihrer Kehle. Es brannte in ihren Augen, es war wie ein Schlag in ihren Magen, der ihr die Luft raubte.

 

„Wir reden also nicht?“, fragte sie jetzt und versuchte kalt und wütend zu klingen. Wahrscheinlich klang sie nur unsicher, wie schon so oft.

 

„Was?“, fragte er jetzt verwirrt.

 

„Ich meine – in der Öffentlichkeit? Wirklich, Malfoy?“ Sein Mund öffnete sich. Sie hing an seinen Lippen. Er sollte was sagen! Sag doch was, du Idiot. Sag was!

 

„Schlammblut, vielleicht solltest du deinen knochigen Hintern wieder an deinen Tisch zurückschieben. Oder stehst du mittlerweile drauf, jeden Tag eine Szene zu machen?“ Pansy starrte sie zornig an, als hätte sie feindliches Terrain überschritten und damit eine Kampfansage erklärt.

 

Hermine öffnete etwas ratlos und verloren den Mund. Sie sah, wie Malfoy die Gabel in ihrer Hand musterte. Sie kam sich reichlich albern vor.

Was tat sie denn nur?

 

„Die Waffe deiner Wahl?“, mutmaßte er jetzt. Sie sah seine Mundwinkel zucken. Sie hasste die Slytherins. Ihre Augen schlossen sich von selbst, um die Hitze und die Tränen zu verdrängen. Nur für einen Moment. „Und Pansy, halt deinen Mund“, fügte er schließlich gereizter hinzu.

 

Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich Draco Malfoy erhoben und war über die Bank gestiegen. Er überragte sie um einen ganzen Kopf und jetzt wusste sie, dass jeder in ihre Richtung blickte.

 

„Wovon sprichst du?“, fragte er leiser.

 

„Von… deinem Bruder. Du wolltest doch meine Hilfe, oder nicht?“ Sein Blick klärte sich langsam. „Blut! Du hattest Recht, es dreht sich alles um Blut!“, sprudelte es plötzlich aus ihr hervor.

 

Er sah sie an, als wäre sie verrückt geworden.

 

„Was redest du da?“, knurrte er leise und versuchte keine Aufmerksamkeit zu erregen. Erfolglos, natürlich.

 

„Ihr seid eine Familie!“, erwiderte sie ungeduldig. „Ihr habt dasselbe Blut. Du bist nur magischer als er. Bei ihm ist die Magie… irgendwie versteckt. Also, wenn ihr eine Art Bluttransfusion macht, dann kannst du seine Magie freisetzen. Es liegt im Blut, Draco!“

 

Er starrte sie noch einen weiteren Moment lang an.

 

„Woher weißt du das?“

 

„Verwandlung, fünftes Jahr“, erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen. „Präzedenzfall, 1926. Ein Zauberer hat dasselbe Prinzip bei seiner Frau angewandt. Er hat alle notwendigen Faktoren geprüft gehabt.“

 

„Hat es funktioniert?“, fragte Malfoy jetzt knapp.

 

„Na ja… nein, nicht wirklich, aber nur, weil sie keine Blutverwandte war. Seine Berechnungen waren völlig korrekt. Alles hätte klappen müssen, McGonagall hat gesagt-“ Er unterbrach sie.

 

„Was ist passiert?“

 

Sie zögerte eine zornige Sekunde. „Die Frau ist gestorben.“

 

„Nein, Granger.“

 

„Malfoy, es ist überhaupt nicht anders möglich! Es wird auf jeden Fall funktionieren!“

 

„Und wenn nicht, dann ist mein Bruder tot?“, knurrte er ungehalten.

 

„Das wird nicht passieren!“, versprach sie und sie wurde lauter.

 

„Ich werde das nicht riskieren“, widersprach er zornig. „Das war also dein Plan?“

 

„Es ist eine sichere Sache. Ich bin mir sicher, dass es keine Schwierigkeiten bei euch gibt. Ihr seid doch gleich. Ihr seid dasselbe Blut. Es muss nicht viel sein. Ein paar Tropfen. Eine winzige Injektion Blut.“ Er sah sie an. Hin und her gerissen.

 

„Das ist zu gefährlich. Wenn er stirbt, dann…“

 

„Er wird nicht daran sterben Draco.“

 

„Woher weißt du das?“, fuhr er sie plötzlich an.

 

„Ich weiß es, weil es wissenschaftlich keine andere Lösung gibt.“

 

„Was, wenn du dich irrst, Granger? Was dann?“

 

„Was, wenn du mir einfach mal vertrauen würdest, Malfoy, kannst du das?“, schrie sie jetzt und es war ihr egal, dass sie mindestens zwei Tische sehr gut verstehen konnten. Sein Blick glitt durch die Halle.

 

„Wir werden das bestimmt nicht hier besprechen, verflucht“, flüsterte er jetzt. Sie kam näher.

 

„Nein. Du wartest, bis ich in deinem Schlafsaal bin? Und dann bist du bereit zu reden? Vielleicht nachdem du mich gevögelt hast, Malfoy? Dann?“ Zornig wandte sie sich ab und nur zu schnell hatte er ihren Oberarm grob umfangen und hielt sie wütend auf.

 

„Hör auf so zu reden!“, knirschte er zwischen den Zähnen hervor. Sie verdrehte die Augen.

 

„Ich weiß nicht, wieso ich einem scheiß Arschloch wie dir überhaupt helfen will!“ Sie wollte sich losmachen, aber er hielt sie weiterhin fest.

 

„Hör auf damit!“

 

„Lass mich los“, presste sie ungehalten hervor. „Dein Tisch wird dich sonst noch verstoßen. Das Schlammblut darf dich doch bestimmt nicht anfassen!“ Sie flüsterte jetzt. Er verstand sie trotzdem.

 

„Du bist sicher, dass es funktioniert?“ Seine Augen bohrten sich in ihre. Eine Träne fiel auf ihre Wange, ohne dass sie es verhindern konnte. Kurz folgte sein Blick der Träne. Dann zwang er ihn wieder in ihre Augen.

 

Sie nickte einmal.

 

Es verging eine kleine Endlosigkeit, in der absolut gar nichts passierte. Sie konnte seinen Blick nicht deuten, sie konnte überhaupt nichts mehr deuten. Er sollte sie einfach gehen lassen. Dann konnte sie sich schämen. Irgendwo allein. Aber nicht hier. Nicht hier, wo sie jeder sehen konnte. Wo sich jeder ein Bild von ihr machen konnte, eine schlechte Meinung, einen unabänderlichen Ruf. Plötzlich verlor sein Gesicht an Härte. Seine Züge entspannten sich. Seine Augen wurden tatsächlich weich. Das eisige Blau wurde zu einer ganz normalen Farbe, die ihr manchmal schon vertraut vorkam.

 

Er atmete langsam aus.

 

„Ich vertraue dir“, sagte er schließlich. Sie schluckte hart. Sein Griff löste sich. Sein Daumen fuhr über ihre feuchte Wange und vor Schreck hielt sie die Luft an.

„Und… mein Tisch ist mir verflucht egal“, fügte er grimmig hinzu.

 

Und unmöglicherweise senkte er den Kopf. Nur für einen Moment. Seine Lippen berührten ihre fluchtartig, nur für eine Sekunde. Sie spürte seine Hitze, sein Verlangen, seine Wärme nur für eine Sekunde. Die Hitze jagte durch ihren Körper.

 

Ihre Augen schlossen sich und flatterten sofort wieder auf. Er war bereits zurückgewichen. Das Gemurmel an seinem Tisch war aufgeflammt, wie ein hungriges Feuer, aber sie verstand kein Wort.

 

Er hatte sie geküsst! Hier! In der Halle! Ihre Knie waren weich und sie wusste, ihr Mund hatte sich einen Spalt breit geöffnet.

Und sie glaubte zu sehen, dass es ihm schwer gefallen war, von ihr zurückzuweichen.

 

„Wir reden morgen früh darüber“, fügte er noch hinzu, ehe er sich wieder setzte und sie Pansys schrille Stimme hörte. Sie rastete neben Malfoy förmlich aus.

Pansy beachtete Hermine dafür überhaupt nicht.

Sie drehte sich um, kaum fähig zu gehen, aber sie erreichte ihren Tisch, erreichte ihren Platz und ignorierte Harry und Rons schockierte, weit geöffnete Münder.

 

„Draco Malfoy also?“ Ginny hatte sich neben sie auf die Bank geschoben und starrte sie mit großen und neugierigen Augen erwartend an.

 

„Was?“, fragte Hermine schwach und Ginny schüttelte eisern den Kopf.

 

„Komm mir nicht so. Seit wann läuft das denn, bitteschön? Und keine kurze Version, Hermine. Ich will jede Einzelheit oder ich überlege mir noch mal, ob ich noch deine Freundin sein will, oder nicht!“, drohte Ginny ernst und stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf ihre Hände.

 

Hermine atmete langsam aus.

 

Immerhin eine Person aus Gryffindor sprach noch mit ihr.

 

Es war verrückt, aber jetzt, wo Malfoy sie geküsst hatte, vor den Augen der gesamten Schülerschaft, hatte sie auf einmal kein Problem, Ginny die Wahrheit zu erzählen. Seltsam… Mit jedem geflüsterten Wort in Ginnys ungeduldiges Ohr, wurde ihr Herz ein kleines bisschen leichter.

 

 

Teil 32

 

„- weil sie ein Schlammblut ist, Draco!“

 

Er war überrascht, wie unbeeindruckt Pansys Gezeter ihn ließ. Sie schrie sich seit einer geschlagenen Ewigkeit ihre Lunge aus dem Leib. Der Gemeinschaftsraum war wie leer gefegt. Ein paar hartnäckige Erstklässler waren zurück geblieben und tauschten relativ stumm ihre Schokofroschkarten untereinander aus.

 

„Und was habt ihr da zu besprechen? Welche Lösung? Was tust du eigentlich? Ich erkenne dich nicht wieder! Hermine Granger? Wirklich, Draco? Hast du deinen Verstand verloren? Hast du dir überlegt, was dein Vater dazu sagen wird?“

Draco wartete nur darauf, dass sie vorschlug, sie können Grangers Platz viel besser einnehmen. Aber den Gefallen tat sie ihm nicht.

 

„Du hast einen Ruf! Einen verflucht guten Ruf. Jetzt natürlich nicht mehr! Aber, erinnerst du dich gar nicht mehr an die Regeln, die du aufgestellt hast?“ Er erinnerte sich sehr gut an seine dämlichen Regeln. Keine Schlammblüter, keine Gryffindors. Aber diese Regeln waren doch bescheuert.

 

„Du hast sie gevögelt, richtig, Draco? Du hast es tatsächlich getan?“ Pansy klang so empört, als hätte er Hochverrat begangen und das gesamte Haus Slytherins an die Hufflepuffs verkauft.

 

„Pansy, wie wäre es, wenn du hieraus keine Weltanschauung machen würdest“, schlug er vor, aber die Slytherinjungen schienen nicht allzu interessiert an dieser Geschichte.

 

„Weltanschauung? Du hast sie geküsst!“, schrie sie völlig heiser. „Vor allen Augen!“

 

„Und das stört dich?“, fragte er schließlich, um zu einem Ende zu kommen.

 

„Du bist verrückt! Es war mir immer vollkommen gleichgültig, mit wem du deine Nächte verbringst, solange du irgendwann zurück zu mir kommst, weil du einsiehst, dass es kaum eine bessere Partie für dich hier in Hogwarts gibt. Das war deine Meinung, Draco.“ Ja, er hatte so etwas mal behauptet, aber das war schon Ewigkeiten her.

 

„Und was jetzt?“

 

„Wie lange wird deine Wohltäter-Schlammblutphase denn anhalten?“ Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre blauen Augen waren hell. Gefährlich hell. Er hatte Pansy noch nie wirklich weinen sehen. Als ihr Pferd damals gestorben war, dachte er, sie würde eine Träne vergießen, aber selbst da hatte sie sich zusammen gerissen.

 

„Das ist keine Wohltäterphase, Pansy“, berichtigte er sie gepresst. „Und hör auf, dieses Wort ständig zu benutzen.“ Ihr Mund klappte auf.

 

„Draco, es ist dein Wort!“

 

„Es ist nicht mein Wort!“, widersprach er heftiger als er es selber erwartet hätte. „Ich habe es nicht erfunden, Pansy!“

 

„Du hast es angepriesen als wäre es Merlins Feder persönlich entsprungen!“ Ihre Brust hob und senkte sich in unregelmäßigen Abständen.

 

„Tut mir leid“, sagte er schließlich und hob ratlos die Hände.

 

„Was genau?“ Jetzt klang ihre Stimme ruhig. Sehr ruhig. Resignierend ruhig. „Dass du jetzt sie vorziehst? Willst du mir mit diesen abgedroschenen Worten etwa erklären, dass wir jetzt fertig sind, Draco?“ Kurz zitterte ihre Stimme.

 

„Du wirst doch jetzt nicht anfangen zu-“

 

„Antworte mir!“, forderte sie harsch. „War es das?“

 

„Da war doch nie etwas, Pansy.“ Und noch während er die Worte sprach, wusste er, dass das eine Lüge war. Vielleicht hatte es ihm nie so viel bedeutet wie Pansy, aber sie hatte es hervorragend gemeistert, das zu verbergen, wie ihm schien.

Sie biss hart auf ihre Unterlippe.

 

Pansy Parkinson weinte.

 

„Ich hoffe wirklich, Granger weiß, dass du ein herzloses Arschloch bist, Malfoy. Ich hoffe, sie weiß, dass, nachdem sie dir all ihre Gefühle gegeben hat, du sie fallen lassen wirst. Für irgendeine andere.“ Pansys Augen wirkten ungewöhnlich hell durch den Tränenschleier und Draco war so sprachlos, dass er absolut gar nichts tun konnte.

 

Diese Pansy kannte er nicht. Dass Pansy ein Mensch war, wurde ihm erst jetzt klar. Und dass sie ein Mädchen war, fiel ihm auch erst jetzt wirklich auf.

Wage wurde ihm bewusst, dass er gar nicht zählen konnte, wie oft er Pansy schon beleidigt und hintergangen hatte.

 

Für einen seltsamen Moment kam ihm die weinende Pansy genauso vor wie die weinende Granger. Wahrscheinlich waren Frauen nicht besonders kompliziert, weil sie alle gleich waren. Er hatte nie eine Beziehung geführt, aber es kam ihm schwer so vor, als würde er gerade eine Beziehung beenden. Für immer.

 

„Ja, sie weiß das“, sagte er schließlich müde und wandte den Blick von Pansys Gesicht, die ihn immer noch voller Verzweiflung anstarrte.

 

„Ich hab dich geliebt. Und es war pure Zeitverschwendung.“ Damit stürmte sie aus dem Gemeinschaftsraum. Und er würde ziemlich viel von seinem Gold dafür geben, wenn sie diese Worte nicht gesagt hätte.

Er warf einen zornigen Blick auf die Jungen, die ihn jetzt anstarrten.

 

Sein Reflex wäre es, ihnen sofort Punkte abzuziehen. Aber er hatte keine Möglichkeit mehr dazu.

 

~*~

 

 

„Und jetzt?“

 

Sie hatte gewusst, dass ihre Schonfrist ein Ende haben würde. Ron hatte rote Flecken auf den Wangen. „Weißt du, dass du uns kaum schlimmer hintergehen könntest?“

 

„Ich hintergehen überhaupt niemanden, Ron!“, rechtfertigte sie sich halbherzig, denn es war völlig egal, was sie sagte.

 

„Wie offen hätte ich noch sein müssen?“ Alle Gryffindors standen an irgendwelche Wände gedrängt und lauschten ihrem Gespräch. Eigentlich war es lautes Geschrei, nichts weiter. Und sie konnte niemanden zur Ordnung rufen, weil sie nicht mehr die Macht dazu hatte. Sie hätte einen Schweigefluch auf Ron legen können, aber sie bezweifelte, dass sie sich dann besser fühlen würde.

 

„Wovon sprichst du? Du warst offen genug, oder? Wie oft wolltest du mich schon als Schlammblut beschimpfen, Ron?“ Sie würde nicht weinen. Nein, würde sie nicht! Harry sah Ron mit milder Verblüffung an.

 

„Das… das habe ich nicht gemeint. Und du weißt, es tut mir leid. Und er nennt dich doch wohl ständig so! Wahrscheinlich auch, wenn… wenn ihr… wenn…“ Sein Atem ging schneller. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich habe alles richtig gemacht!“, unterbrach er sich selber.

 

„Was?“


„Ich war zurückhaltend! Ich war höflich. Ich habe dich immer mit Respekt behandelt! Hätte ich mich auch ständig mit dir streiten sollen? Hätte ich auch ein Todesser sein sollen? Was hast du denn gewollt? Wieso zum Teufel ausgerechnet ihn, Hermine?“ Sie hatte keine Ahnung.

 

„Hör auf damit! Ich kann es nicht ändern.“ Das konnte sie auch nicht mehr.

 

„Wie lange denkst du, wird es noch dauern? Wie lange, denkst du, hält er es noch bei dir aus? Denkst du wirklich, du bleibst mit Draco Malfoy zusammen?“

 

„Ich bin nicht…“ Sie unterbrach sich. Nein, sie war überhaupt nicht mit ihm zusammen. Oder? Hatte er irgendwas in diese Richtung angedeutet? Hatte sie tatsächlich mit einem Jungen geschlafen, ohne zu wissen, wo sie eigentlich stand? Ihr Herz setzte für mehrere Schläge aus, hatte sie das Gefühl. Als hätte sie mehrere Stufen verpasst. Plötzlich kribbelte ihre Haut unangenehm.

 

Ginny stand noch neben ihr, aber sie war sich sicher, dass sie gleich mit Harry gehen würde.

 

„Es fragt sich sowieso jeder, was er ausgerechnet an dir so toll findet“, warf Lavender missmutig vom anderen Ende des Raumes ein.

 

„Was ist, Lavender? Neidisch?“, konterte Ginny gereizt und Harry bedeckte kurz mit seinen Augen seine Hand.

 

„Ich kann nicht begreifen, dass ihr mit eurem Scheiß den ganzen Gemeinschaftsraum blockiert. Was interessiert uns denn, wer alles was von Hermine will? Ich kann es sowieso nicht begreifen. Sie hat keine Qualitäten.“ Lavender fühlte sich wohl persönlich verletzt.

 

„Das sieht Draco Malfoy anders“, widersprach ein Mädchen, dass sie wage als Fünftklässlerin einzuordnen wagte.

 

„Oh ja, und Malfoy hat ja den Ruf, Mädchen besonders zuvorkommend zu behandeln, richtig?“, erwiderte Lavender bissig.

 

„Nur weil er dich nicht gewollt hat, als du ihn nach dem Spiel gegen Hufflepuff trösten wolltest?“ Selbst Parvati mischte sich ein. Hermine konnte nur zusehen.

 

„Es geht hier nicht um mich!“, widersprach Lavender heftig. „Ich lass mich nicht von ihm zum Sex überreden.“ Hermine blickte zur Seite. Kurz fragte sie sich, wie alles so aus dem Ruder hatte laufen können. Sie hatte das Gefühl, sich selber nicht mehr zu kennen. Und so sehr sie jetzt gerade zu ihm wollte, so sehr fürchtete sie sich, den Gemeinschaftsraum zu verlassen. Selbst wenn hier alle gegen sie waren.

 

„Lavender hat recht“, sagte Harry plötzlich gereizt. Hermine öffnete empört den Mund. „Das hier geht keinen was an. Ehrlich gesagt, interessiert es mich auch überhaupt nicht.“ Er wandte sich an sie. „Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du unbedingt den allergrößten Fehler machen willst.“

 

„Du bist nicht besser als er, Harry“, sagte sie plötzlich. Und jetzt schwiegen alle erneut. Heuchler waren sie. Wollte es nicht hören, aber gehen wollte sie trotzdem nicht.

 

„Das ist vielleicht deine Meinung, aber tausend Zeitungen und Bücher sehen das ganz anders.“ Seine Stimme war lauter geworden. „Ich bin ein Held, weil ich die Welt gerettet habe. Er ist ein Held, weil… weil was? Weil er den Ruf von hundert Jungfrauen zerstört hat?“

 

Sie hörte, wie Ginny resignierend ausatmete.

 

„Du hast die Welt gerettet, Harry?“, fragte sie jetzt leise.

 

„Sicher. Denkst du, Malfoy hätte das getan? Beschäftigt wie er mit Geschlechtsverkehr und Muggelquälerei war?“

 

„Du ganz allein? Niemand hat dir geholfen, du arme Seele?“ Sie ignorierte seine Worte.

 

„Du weißt, was ich-“

 

„Nein. Weiß ich nicht, Harry. Ich hatte immer den Eindruck gehabt, wir alle wären dabei gewesen. Aber schön, dass du es anders siehst.“ Harry hatte den Mund wütend geschlossen.

 

„Und es ist meine Sache, mit wem ich meine Zeit verbringen will. Ich brauche deine Erlaubnis nicht. Und die von Ron brauche ich auch nicht“, fügte sie ungeduldig hinzu. „Entweder wir sind Freunde, oder wir sind es nicht mehr. Ich habe mich nicht verändert. Ich bin offen und freundlich und ich glaube noch daran, dass Menschen sich ändern. Aber du… du bist bitter und gönnst niemandem mehr Erfolg als dir selbst. Ist dir überhaupt bewusst, wie weh du Ginny getan hast? Wahrscheinlich nicht, richtig?“

 

Harry sah nicht so aus, als ob er ihr antworten würde. „Niemand außer dir verdient die zweite Chance, die Ginny dir gegeben hat, oder Harry?“

 

Er sah sie nicht mehr an. „Tut mir leid, Ron.“

 

Und obwohl sie nicht gehen wollte, konnte sie die Leute im Gemeinschaftsraum nicht mehr ertragen. All die Leute, die sie anstarrten wie einen Verräter.

Und zum ersten Mal wusste sie nicht, wohin sie in der Schule gehen sollte. Zum ersten Mal, wollte sie eigentlich nirgendwo sein.

Sie wollte sich einfach auflösen und nicht mehr denken müssen.

 

~*~

 

 

„Sie sagen mir also, dass Ms Granger ihr Abzeichen zurück verdient?“

Sein Tee dampfte vor ihm auf Dumbledores Schreibtisch. Er hatte tatsächlich keine Ahnung gehabt, was er mit sich hatte anfangen sollen.

Und ohne Aufforderung war er hier her gekommen und hatte um ein Gespräch mit dem Direktor gebeten.

 

Dumbledore wirkte wachsam.

 

„Unter anderem auch, ja.“

 

„Wissen Sie, wir hatten noch nie so viel Aufregung mit unseren Schulsprechern. Sie und Ms Granger sind nicht gerade pflegeleicht. Ich nehme an, Sie sprechen für Ms Granger, damit auch Sie Ihr Abzeichen zurück bekommen?“, fragte er schließlich und Draco schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück.

 

„Nein. Ich brauche das Abzeichen nicht. Ich will nur, dass… eigentlich möchte ich, dass alles wieder normal wird, Sir.“ Er wusste selber nicht, was er damit meinte.

 

„Ich bin mir sicher, Harry ist gegen diese neue Verbindung.“ Er wusste nicht, ob Dumbledore es im Bezug auf seine Worte sagte, oder völlig aus dem Zusammenhang heraus.

 

„Harry? Potter?“, vergewisserte er sich jetzt und Dumbledore musste lächeln.

 

„Ich hatte ja befürchtet, sie kämen mehr nach Ihrem Vater, Draco. Aber es überrascht mich positiv, dass sie Muggeln anscheinend mehr abgewinnen können, als er es je konnte.“ Wieder Lucius. Den verdrängte er eigentlich so gut es ging aus seinen Gedanken.

 

Und ja. Vielleicht konnte er Muggeln mehr abgewinnen. Es machte ganz den Anschein. Ihm kam Dumbledore auch wesentlich sympathischer vor, als noch vor zwei Wochen. Anscheinend änderten sich die Dinge. Oder er änderte sich. Er wusste es nicht. Er schloss die Augen wieder und genoss es, nicht angeschrieen zu werden.

 

 

Teil 33

 

Sie wartete, bis Lavender, Parvati und noch ein paar weitere Mädchen den Gemeinschaftsraum verlassen hatten. Alle wirkten an diesem Morgen besonders schlecht gelaunt. Sie hatte keine Ahnung, wie lange der Streit gestern noch gedauert hatte, aber sie wollte jetzt auf keinen Fall wieder damit anfangen.

 

Sie ließ sogar Harry und Ron vor, ehe sie aus dem Schatten der Treppe zum Mädchenschlafsaal trat. Sie stieg aus dem Portraitloch und sah, dass die Schüler sich nur zäh weiter bewegten. Sie erschrak beinahe, als sie ihn sah.

 

Er stieß sich von der anderen Wand ab, als er sie ebenfalls entdeckte.

Noch auffälliger konnte er sich kaum verhalten, ging ihr auf.

 

„Morgen“, begrüßte er sie mit rauer Stimme. Sie konnte nicht umhin, sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. Auch wenn er etwas wortkarg am Morgen war. Das kannte sie ja bereits.

 

„Ich dachte, du sprichst nicht vor dem Unterricht?“, sagte sie leise und konnte ein Lächeln kaum verhindern. Auch die Schüler, die sie ansahen, nahm sie kaum noch mehr wahr. Die Schüler aus ihrem Jahrgang drucksten sich an den Wänden rum. Vor allem die Mädchen, fiel ihr aus den Augenwinkeln auf.

 

„Dinge ändern sich“, gab er zurück. Seine Augen wanderten über die Gesichter.

„Ich glaube, die können mich nicht leiden“, bemerkte er jetzt leiser.

 

„Kann ich mir nicht vorstellen“, erwiderte sie und konnte immer noch nicht fassen, dass er hier war. „Du holst mich also tatsächlich ab?“ Er grinste plötzlich und ihre Knie wurden so weich, dass sie sich ablenken musste, und den Blick senkte.

 

„Dachte, das würde dir gefallen.“ Oh Gott. Was sollte das bedeuten? Dass sie jetzt doch… irgendwie… zusammen waren? „Aber eigentlich wollte ich dir etwas geben.“ Er griff in seinen Umhang und legte ihr das Abzeichen in die Hand.

 

„Woher…?“ Damit hatte sie eher weniger gerechnet.


„Ich war bei Dumbledore.“

 

„Um mein Abzeichen zu holen?“, fragte sie entgeistert und er schüttelte den Kopf.


„Nein. Um Tee zu trinken. Ich hatte einen Streit mit Pansy und… dem Rest der Welt, wie mir scheint und… dann wusste ich nicht genau, wohin.“ Er hatte genauso gefühlt wie sie. Ihr Herz flatterte in ihrer Brust. „Und… na ja, wir haben geredet und ich habe gesagt, dass es albern ist, keinen Schulsprecher zu haben und… dass wir erwachsen genug sind, um unsere Probleme zu klären…“ Er zuckte die Achseln. „Also könntest du bitte über deinen Gryffindorstolz springen und das Abzeichen wieder tragen? Für mich?“, fügte er leiser hinzu, als wären es gefährliche Worte.

 

Sie konnte nicht bestreiten, dass sie diese Geste zu schätzen wusste.

 

Also steckte sie das Abzeichen an ihren Umhang.

 

„Danke“, sagte sie schließlich.

 

„Ja, ja“, knurrte er und griff nach ihrer Hand. „Erzähl‘s nicht weiter. Sonst denken die Leute noch, ich sei weich geworden.“ Seine Hand war warm und es war ein absolut unglaubliches Gefühl.

Das Tuscheln gewann an Lautstärke im Flur. „Ist es bei euch immer so voll? Was macht ihr hier draußen? Gibt es bei euch einen Startschuss und dann rennt ihr alle zum Frühstück? So ein Gryffindorwettrennen oder so?“

 

„Nein. Wir haben selten Besuch aus Slytherin hier oben.“ Hermines Hand wurde steif in Dracos, als sie sah, dass Harry und Ginny an der Ecke warteten. Draco sagte nichts. „Kommt ihr?“ Sie konnte Ron nicht entdecken, aber anscheinend hatten Harry und Ginny mit Absicht gewartet. Ihr Blick suchte Ginnys, aber die lächelte nur wissend.

 

Harry wirkte müde und schlecht gelaunt und sah sie nicht an. Sein Blick ruhte auf Dracos Gesicht und dieser rang sich endlich dazu, zu sprechen.

 

„Was wird das? Eine Art Waffenstillstand, Potter?“

 

Harry verzog verärgert den Mund. Er sah aus, als legen ihm ganz bestimmte Worte auf der Zunge, aber Ginny drückte seine Hand plötzlich fester, denn er zuckte kurz zusammen.

 

„Meinetwegen“, erwiderte Harry und sah demonstrativ zur Seite. Hermine konnte gar nicht beschreiben wie dankbar sie Harry war. Auch wenn sie nicht wusste, wann er sie wider ansehen würde. Wahrscheinlich hatte sie alles Ginny zu verdanken. Die schien recht zufrieden mit sich zu sein.

 

„Frühstück?“ Sie grinste in die Runde. „Wir könnten einen Pärchentisch gründen, nicht, Malfoy?“ Hermine spürte die Hitze in ihren Wangen und Harry blickte gequält auf den Boden.

 

„Hat sie uns Pärchen genannt?“, fragte er angespannt in ihr Ohr. Sie ruckte nur unverbindlich mit dem Kopf, denn auf dem Flur wollte sie wirklich nicht über so etwas sprechen. „Wir sollten ein neues Wort erfinden, denn so nenne ich mich bestimmt nicht, nur weil ich mit dir zusammen bin.“

 

Sie hob den Blick. „Wir sind zusammen?“, fragte sie überrascht. Er runzelte die Stirn und eine Augenbraue wanderte in die Höhe.

 

„Was denkst du?“, fragte er lakonisch. „Muss ich eigentlich alles sagen, Granger?“, fügte er gereizt hinzu. Sie musste lächeln.

 

 

~*~

 

 

„Was ist, wenn mich ein Fluch trifft?“, fragte sie unsicher und rührte sich nicht von der Stelle.

 

„Hier im Haus?“, fragte er ungeduldig und wartete auf der anderen Seite der Halle.

 

„Ja, sicher hier im Haus!“, bemerkte sie nervös.

 

„Wir haben doch darüber gesprochen. Mein Vater ist nicht hier und meine Mutter…“ Er beendete den Satz nicht. Er wusste, nicht, was seine Mutter eigentlich dachte.

 

„Oh Gott. Ich werde sterben.“

 

„Granger, das ist ein Palast. Hier stirbt niemand“, fügte er gereizt hinzu.

 

„Das ist ein Anti-Muggel-Haus“, erklärte sie leise.

 

„Ja, wir sperren Muggel im Kerker ein und foltern Hauselfen auf dem Flur. Kommst du jetzt endlich?“ Er streckte ihr die Hand entgegen.

 

„Das ist nicht witzig.“

 

„Du bist witzig.“

 

„Malfoy, ich…“

 

„Bist du das, Draco?“ Er sah, wie Granger blass wurde. Die Augen wurden größer und sie sah aus, als ob sie gleich davon rennen würde. Seine Mutter betrat die Halle. „Schön, dass du da bist. Hallo, Ms Granger. Wir kennen uns ja bereits.“ Das war auch eine schöne Umschreibung.

 

„Hallo, Mutter.“

 

„Kommen Sie doch bitte rein.“ Seine Mutter warf Granger einen verstörten Blick. Schließlich überwand sich seine ängstliche Freundin tatsächlich und durchschritt die Halle. Ihr Blick wanderte nervös nach links und rechts, als erwarte sie tatsächlich in der nächsten Sekunde von einem Fluch getroffen zu werden.

 

Seine Mutter streckte Granger die Hand entgegen.

Sie musste tatsächlich alle Reflexe überwinden. Dann schüttelte sie die Hand seiner Mutter.

 

„Ich habe von Ihrem Plan natürlich gehört, aber ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist. Ich meine, was, wenn etwas schief geht?“ Granger wirkte mehr als überrascht. Vermutlich hatte sie erwartet, dass seine Mutter sie aus dem Haus fluchen würde.

 

„Ahem… es sollte keine Schwierigkeiten geben.“

 

„Er hat sich schon daran gewöhnt, über keine Magie zu verfügen.“

 

„Das ist nicht richtig“, korrigierte Draco seine Mutter.

 

„Draco, ihr solltet wirklich noch mal darüber nachdenken.“ Er kam nicht dazu zu antworten, denn sein Bruder kam in die Halle gestürmt.

 

„Draco!“ Er flog praktisch in seine Arme und Draco war froh, nicht mehr mit seiner Mutter diskutieren zu müssen. Er hatte nicht vor, noch länger nachzudenken. Denn auch, wenn seine Mutter keine Problem damit hatte, Scorpio als Squib zu erziehen, wusste er, wie gerne sen Bruder auch zaubern würde.

 

„Hey, Großer“, begrüßte er seinen Bruder und wie von selbst, umarmte er den Jungen.

 

„Ist das Herm-ine?“ Er versuchte den Namen richtig auszusprechen und Draco musste unwillkürlich grinsen.

 

„Ja, das ist Herm-ine“, erwiderte er lachend, während Granger ihm einen gereizten Blick zuwarf.

 

„Hi, Scorpio. Ich hab ja so viel von dir gehört.“

 

„Wirklich? Nette Sachen?“

 

„Natürlich nur nette Sachen“, bestätigte sie schnell und Draco konnte sofort erkennen, dass sie seinen Bruder mochte. Sie hatte sich gebückt und sah ihm mit einem so aufrichtigen Lächeln ins Gesicht, dass Draco nur annehmen konnte, dass sie ihn leiden konnte.

Aber er war ein Malfoy. Natürlich konnte sie ihn leiden.

 

„Und… ihr wollt mich magisch machen?“ Er flüsterte und Granger lächelte zaghaft.

 

„Du bist schon magisch. Wir werden es nur… aus dir rausbringen.“

 

„Versprochen?“, fragte der Junge heiser und sie warf ihm einen knappen Blick zu. Draco nickte, wie um sich selber zu bestätigen.


„Ja. Versprochen, Scor.“

 

Sein Bruder strahlte. „Wann?“

 

„Wann immer du willst.“

 

„Jetzt?“

 

„Scorpio.“ Das war seine Mutter. „Vielleicht solltest du dir das einfach noch mal gut überlegen. Du weißt, ich habe dir gesagt, du musst dafür Blut von deinem Bruder in deinen Körper aufnehmen.“

 

„Tut… tut das weh?“ Jetzt wirkte der Junge doch unsicher.


„Nein, das tut nicht weh. Es ist… nur ein winziger Piks. Eigentlich kaum… vorhanden.“ Er wusste nicht, ob Granger log, denn sie konnte ja schließlich genauso wenig wissen, wie er, ob es weh tat oder nicht. „Es dauert nicht lange. Und dann… na ja, dann ist es auch schon vorbei.“

 

„Wie lange?“

 

„Zwei Mississippis?“, bot sie seinem Bruder an und Draco musste grinsen.


„Na, zwei Mississippis sind doch auszuhalten, oder?“ Scorpio nickte langsam.

 

„Ok. Dann jetzt.“

 

„Bitte, ich will nicht, dass ihr das alles überstürzt!“

 

„Mrs Malfoy, es ist wirklich keine gefährliche Sache. Es wurde bisher nur nicht angewandt, weil die meisten Squib keine direkten magischen Blutsverwandten haben. Und nur die seltensten Familien mit so altem Zaubererblut haben Squibs in der Familie. Meistens ist es psychisch bedingt und die Magie schlummert nur, weil sie emotional unterdrückt wird.“

 

„Und was genau soll das heißen, Ms Granger?“ Die Stimme seiner Mutter war um einige Grad abgekühlt. Draco hörte es genau.


„Das… soll gar nichts heißen.“

 

„Nein? Es klingt so, als würden Sie meiner Familie die Schuld daran geben, dass mein Sohn nicht zaubern kann?“ Granger wandte sich hilfesuchend an ihn. Aber da würde er ihr nicht raushelfen.

 

„Bitte lassen Sie uns das tun“, bat Granger jetzt. „Bitte?“ Seine Mutter verzog den Mund. Draco wusste, dass sie Granger insgeheim sowieso recht gab. Granger hatte außerdem meistens Recht.

 

„Schön. Wenn etwas schief geht, werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.“ Granger öffnete den Mund. „Und dich auch, Draco“, fügte sie hart hinzu.

 

„Keine Sorge, Mutter“, versprach er, obwohl er sich selber nicht vollkommen sicher war.

 

 

~*~

 

 

„Ok. Gut so.“ Sie lief eilig zwischen ihnen hin  und her. „Ihr müsste parallel liegen, damit der Zauber keinen so weiten Weg gehen muss.“ In ihrem Kopf ging sie die Formel immer wieder durch, um ja keinen Fehler zu machen.

 

„Draco, ich werde dir jetzt das Blut abnehmen. Das tut wahrscheinlich weh“, fügte sie hinzu, nur damit er vorgewarnt war. Scorpio kaute auf seiner Unterlippe und blickte ängstlich zur Seite.

 

„Keine Angst, ok?“ Sie sah ihn direkt an. Der Junge nickte nur, unfähig etwas zu sagen.

 

Sie hob den Zauberstab, schloss kurz die Augen und überlegte nur für eine Sekunde, ob es wohl legal war, was sie da tat. Und sie betete, dass ein aufgebrachter Lucius nicht gleich hier rein kam, und sie aus seinem Haus fluchen würde.

 

Dann legte sie den Zauberstab auf Dracos Unterarm.

 

Infindo“, murmelte sie jetzt ruhig. Die Stimme machte den Schnitt aus. Wenn sie ruhig und in einer Tonlage blieb, dann war der Schnitt sauber und keine Narbe würde zurück bleiben.

 

Sie sah, wie Draco die Augen zusammen zog. Aber er gab keine Laut von sich. Seine Haut öffnete sich und Hermine beeilte sich den Zauberstab in die richtige Haltung zu bringen.

 

Custodire Sanguis“, fuhr sie fort und ein heller Film schloss sich um die rote Flüssigkeit, die nun in der Luft zu schweben schien. Sobald sich die nötige Menge gelöst hatte, verschmolz die Haut wieder. Sie hatte keine Zeit, nachzusehen, ob sie wirklich sauber geschnitten hatte. Ihr Puls rast als sie vorsichtig den Zauberstab mit dem gefangenen Blut zu Scorpio führte.

 

Der Junge sah mit großen Augen zu ihr auf.

 

„Augen zu“, flüsterte sie angestrengt und sofort folgte der Junge ihren Worten und schloss ganz fest die Augen.

 

Infindo“, wiederholte sie, diesmal noch konzentrierter. Scorpio keuchte kurz auf, als seine Haut aufriss. Es war nur ein winziger Schnitt und mit zittriger Hand brachte Hermine den Zauberstab nahe an seine Haut. „Inserere“, sagte sie klar und deutlich. Es war als sprang das Blut regelrecht in seine Haut.

 

„Ein Mississippi“, flüsterte Scorpio gepresst und hatte die Augen zusammengedrückt. Die Haut schloss sich augenblicklich und der helle Lichtschein erlosch in derselben Sekunde.

 

„Zwei Mississippi“, endete er und schlug die Augen wieder auf.

 

„Alles ok?“, fragte sie schwer atmend und Scorpio wartete einige Sekunden. Aber nichts geschah.

 

„Mir geht’s gut, ja.“ Aber er klang nicht gut. „Aber… ich fühle mich nicht magisch“, fügte er hinzu.

 

„Warte noch einen Moment. Draco?“, wandte sie sich jetzt an ihn. Er saß bereits wieder aufrecht.

 

„Was passiert jetzt?“, fragte er und rieb abwesend über seinen Arm.

 

„Jetzt… müssen wir warten. Die Magie sollte sich plötzlich, irgendwann zeigen. So, wie es sonst auch üblich ist.“ Sie hatte keine Ahnung mehr, wann sie gemerkt hatte, dass sie magisch begabt war.

 

Narzissa hatte die gesamte Zeit an der Wand gelehnt. Stocksteif und unbewegt. Jetzt trat sie vor und drückte ihren jüngsten Sohn fest an sich. Hermine zweifelte nicht daran, dass Narzissa sie, bei der kleinsten Gefahr umgebracht hätte.

 

„Bei Draco hat es sich auch erst später wirklich deutlich gezeigt. Als er wütend war, hat er das gesamte teure Porzellan in die Luft gesprengt. Vorher waren es nur kleine Funken oder fliegendes Besteck.“

 

„Cool!“, rief Scorpio aus.

 

„Ich werde Lucius hiervon nichts erzählen“, fuhr sie leiser fort. „Falls es nicht funktioniert hat, muss er es nicht wissen. Und wenn doch… dann war es eine gute Fügung“, erklärte sie mit Nachdruck. Aber Hermine wäre sowieso nie zu Lucius Malfoy gegangen und hätte ihm erklärt, dass sie seinen Sohn aufgeschnitten hatte.

 

Draco sah nicht begeistert aus, aber er widersprach nicht. „Er kommt übrigens in einer Stunde wieder. Seine Gesellschaft dauert nicht ewig.“ Das war ein klares Zeichen. Hermine erhob sich übergangslos und strich Scorpio wie von selbst über das helle Haar.

 

„Wiedersehen, Scorpio. Ich hoffe, es hat funktioniert“, fügte sie leise hinzu. Der Junge nickte nur.

 

„Musst du schon gehen?“, fragte er Draco jetzt und dieser seufzte.

 

„Ich komme wieder, sobald wir in der Schule mehr Zeit haben. Im Moment ist es eher… stressig“, fügte er gedehnt hinzu.

 

„Das kann ich mir denken.“ Hermine konnte nicht sagen, ob Narzissa mit diesen Worten mehr sagen wollte, als es den Anschein machte. Aber sie nahm es stark an. „Ich habe mich gefreut Sie zu sehen, Hermine“, fügte sie noch hinzu und Hermine gelang es nicht, den Spott in dem Gesicht der schönen Frau auszumachen.

 

Sie nickte nur.

 

Draco schob sie nach draußen in den Flur. „Mutter, wir reden über Floh.“ Es war alles, was er noch sagte. Auch ihm kam der Abschied wohl zu schnell. Aber die Aussicht, dass sie Lucius in die Arme laufen konnten, hielt auch ihn nicht länger auf.

 

„Mutig, Granger“, sagte er anerkennend, als sie draußen standen.

 

„Ha ha“, erwiderte sie lakonisch. „Ich hatte verfluchte Angst.“

 

„Ich auch“, gab er tatsächlich zu.

 

„Dir geht’s wirklich gut?“, erkundigte sie sich noch einmal und er lächelte plötzlich.

 

„Sorgst du dich etwa so sehr um mich?“ Sie spürte, wie sie rot wurde.

 

„Nein, tue ich nicht“, log sie jetzt und blickte nach vorne.

 

„Du weißt aber schon, dass du mich liebst, oder?“, fragte er plötzlich und ihr Herz machte einen Satz. Sie hielt den Blick nach vorne gerichtet, denn würde sie ihn jetzt ansehen, dann würde sie es wahrscheinlich laut in die Welt hinausschreien.

 

„Nein, bestimmt nicht“, erwiderte sie ganz leise und hörte sein raues Lachen.

 

„Nein?“ Seine Hand umfing ihr Kinn und drehte ihr Gesicht wieder zu sich. Sein Mund lag auf ihren Lippen, ehe sie reagieren konnte und jetzt erst spürte sie die echte Sorge, die sie vorhin hatte verdrängen müssen, als sie so getan hatte, als wäre es etwas vollkommen normales, Blut in einer Sphäre durch ein Zimmer schweben zu lassen. Sie schlang die Arme um Dracos Nacken und presste sich eng an ihn.

 

Es war ihr sogar egal, dass sie vor seinem Haus standen. Ihre Finger fuhren durch seine dichten, blonden Haare, berührten seine samtene Haut und sie verschwand völlig in seinem verzehrenden Kuss.

 

Er löste sich schließlich von ihr. Mehr widerwillig. „Wir… könnten das im Schloss zu Ende diskutieren?“, schlug er heiser vor und seine Augen waren dunkel vor Lust. Ihr Mund öffnete sich langsam.

 

Anstatt zu antworten, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn erneut. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, ehe er ihre Hüften umfasste und sie enger an sich zog. Die Beule in seiner Hose drückte hart gegen ihren Schenkel und sie mochte es, wie er stöhnte, wenn sie sich gegen ihn bewegte.

 

Sie wusste genau, dass es ganz genau das war, was sie für immer hören wollte. Sein Stöhnen, wenn sie ihn berührte. Sie konnte sich absolut nichts Berauschenderes vorstellen als genau dieses Geräusch.

 

Wieder war sie gefangen von seiner Präsenz, von seinen Bewegungen, und wieder riss er sich von ihr los. „Wenn… wenn du nicht willst, dass ich dich hier gegen die Wand nehme, dann… dann sollten wir jetzt verflucht noch mal gehen.“ Das Sprechen schien ihm bereits schwer zu fallen und sie ließ sich willig von ihm mitziehen, damit sie zurück apparieren konnten.

 

Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen und küsste sie in der Sekunde, als sie begannen, sich zu drehen. Kurz verschwanden sie im Nichts und alles, was sie spürte war sein Kuss auf ihren Lippen.

 

Sie schloss selig die Augen.

 

~*~

 

Sie hörten nicht mehr, wie mit einem lauten Knall, weiter hinten im Herrenhaus, eine Teetasse in der Luft zersprang und es regenbogenfarbene Funken rieselte, begleitet von jubelndem Kindergeschrei….

 

 

- The End -

 

 

 

 

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