Es war eine absolut
dämliche Entscheidung gewesen. Aber diese Erkenntnis traf ihn erst, als er
bereits appariert war. Als er bereits den Feldweg entlang stürmte und das
taufrische Gras an seinen teuren schwarzen Lackschuhen klebte. Wasser war
verflucht schwer aus Leder rauszubekommen, und selbst Magie konnte gewisse
Rückstände nicht beseitigen.
Er wusste, das war relativ
nebensächlich. Seine blöden Schuhe waren nämlich eigentlich das letzte, woran
er gerade dachte. Er hatte nicht inne gehalten, nicht nachgedacht und stand
jetzt missmutig vor dem Gemäuer, was unmöglich als Haus bezeichnet werden
konnte.
Es wuchs schräg in den
Himmel, mit bestimmt sieben Stockwerken, und Efeu rankte sich die brüchige
Mauer empor. Er wusste, Efeu konnte Schäden verursachen, die ganze Häuser zum
Einsturz brachten. Die Hühner liefen munter an ihm vorbei, und er konnte sich
nicht entsinnen, jemals andere Vögel als Pfauen in einem Garten gesehen zu
haben. Aber ein Garten war das hier nicht.
Es war eher eine Müllhalde.
Ungepflegt, vollgestopft, unterprivilegiert und keine Umgebung für jemanden wie
ihn!
Seine Hände hatten sich in
den Taschen seines hellen Jacketts zu nervösen Fäusten geballt, während er in seinem
Kopf weitere Beleidigungen für dieses Kleinod an Armut und Unmenschlichkeit
ersann.
Es war alles egal, denn er
war hier.
Und egal, wie viele
Beleidigungen sein Bewusstsein für ihn parat hatte, es änderte nichts an der
Tatsache, dass er freiwillig hier her gekommen war. Er strafte also alle seine
Gedanken mit diesem Akt Lügen.
Und er hasste diesen
Zustand. Er wandte den Blick nach links zu der kleinen Scheune, vor der alle
Besen der Familie lehnten.
Anscheinend durften sie
nicht ins Haus, obwohl er eher annahm, dass der Schmutz im Haus, den Besen
schaden könnte. Seine Mundwinkel zuckten angespannt. Noch eine Beleidigung. Draco, lass es sein, mit den blöden
Beleidigungen, schalt ihn sein Verstand verärgert.
Er zählte und verzählte
sich wieder und wieder. Zwölf? Fünfzehn? Zehn? Wie viele verfluchte Besen waren
es, bitteschön? Neben der Scheune lehnte ein Zweirad. Er wusste, man nannte es Fahrrad, aber gesehen hatte er noch
keines. Es war ihm unbegreiflich, wie man solche Sachen sammeln konnte. Kein
gestandener Zauberer brauchte so etwas. Aber er vergaß, er war hier ja bei Blutsverrätern und Schlammblutfreunden. Er
schloss die Augen. Nein! Keine
Beleidigungen. Hör auf damit! Hör einfach auf, zu denken! Er blendete alles
aus und öffnete die Augen wieder.
Aus dem hohen Schornstein
stieg bleicher Qualm. Er machte einige Schritte im knöchelhohen,
nassen Gras. Er überschlug die Galleonen, die die Reinigung seiner Schuhe
kosten würde. Unsinn. Völlig egal. Er hatte Gold! Ja, er hatte ziemlich viel
Gold. Er hatte es überhaupt nicht nötig, Schuhe reinigen zu lassen. Er konnte
sich neue kaufen, wohingegen die Menschen hier sich überhaupt nichts leisten
konnten und ihre Läuse verseuchten Klamotten wahrscheinlich unter hundert
Generationen weiter vererbten.
Fuck. Verflucht! Keine
Beleidigung.
„Ist es so schwer?“,
knurrte er sich selber an und kannte die Antwort darauf bereits. Natürlich war
es schwer! Es war unmöglich. Was hatte ihn geritten, hier her zu kommen? Er
hätte es schon überlebt, sich Jahre lang schlaflos im Bett zu wälzen, mit
Schuldgefühlen und Hass und sämtlichen anderen Regungen, die er tagsüber gut
verdrängen konnte. Er hätte nicht hier her kommen müssen! Es war sowieso
sinnlos. Dachte er, es würde etwas ändern? Dachte er wirklich, sein Gewissen
wäre dann besänftigt?
Vor einigen Wochen hatte er
nicht einmal gewusst, ein Gewissen zu besitzen. Und jetzt? Jetzt versaute er
sich in ungemähtem Gras und Hühnerdreck seine teuren Elfenleder Schuhe! Er
schloss erneut die Augen. Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen und seine Finger
umschlossen durch den Jackenstoff seinen Zauberstab, der in seinem Hosenbund
steckte.
Es war sein neuer
Zauberstab. Bei weitem nicht so gut wie der alte, aber den hatte ja der
verfluchte kleine Narben-Bastard und beging damit dämliche, scheiß Heldentaten!
Argh! Er
musste es versuchen. Weshalb war er sonst hergekommen? Aber sein natürlicher Instinkt
befahl ihm, eine Beleidigung nach der nächsten auszuspucken. Aber das war
dämlich. Er brauchte das nicht. Er konnte darüber stehen. Er musste es sogar,
um sich besser zu fühlen. Aber weshalb sollte er sich besser fühlen, wenn er
vor den Blutsverrätern, den elenden feigen Schwächlingen zu Kreuze kroch?
„Salazar“, murmelte er verzweifelt.
Was konnte er Nettes denken? Irgendwas? Es musste etwas geben, was er ehrlich
sagen konnte. War er neidisch? Vielleicht auf Kleinigkeiten. Ja, immer gewesen.
Aber im Großen und Ganzen hatte er bessere Karten. Er war reich, war mit dem
Leben davon gekommen und würde auch ein ausgezeichnetes Leben führen, wenn er
endlich seinen Verstand anschalten würde und wieder nach Hause apparierte,
bevor die Elfen bei seiner hellhörigen Mutter Alarm schlugen, dass er nicht in
seinem Bett war.
Das Geräusch kam von einem
Fenster, das in einem Erker saß. Wenn man diese bauliche Fehlleistung überhaupt
so nennen konnte! Es sah aus, als wäre dieser Teil des Hauses betrunken
zusammen gebaut worden und ragte nun über den geplanten Bau hinaus und deshalb
hatte man es kurzerhand zum Erker ernannt.
Manchmal sah er einen
Schatten vorbeihuschen.
Die Mutter, nahm er an. Die
Mutter, die für hundert Familienmitglieder Frühstück machen musste, weil die
Elfen ihr nicht jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Was tat er hier noch mal?
Er atmete gereizt aus,
blickte wieder empor und war wohl gerade rechtzeitig angekommen, als dieser
billige, lächerliche Abklatsch von einem Haus zum Leben erwachte. Im
Treppenhaus lärmte es, und er biss sich auf seine Wange, bis er schmeckte, dass
sie gleich anfangen würde zu bluten. Merlin, wieso nahm er so etwas in Kauf? Es
wäre wahrscheinlich einfacher, Zuhause in seinem Palast zu sitzen, als hier im
Dreck zu stehen und einfach gar nichts zu tun.
Merlin, die Feigheit lähmte
ihn. Dabei war es gut, was er wollte. Er wusste, es war irgendwo ansatzweise
das richtige. Und er war wie gelähmt.
Er hatte sich den Tag ausgesucht,
an dem der Tagesprophet zum ersten Mal nicht den Namen des Idioten, der
überlebte auf der Titelseite gebracht hatte.
Er wollte es ihm nicht
gönnen, dass auch er ihm Aufmerksamkeit zollte. Er wollte nicht! Dabei war es
auch lächerlich. Denn als ob das Narbengesicht vergessen würde, dass er der
beliebtes scheiß Kandidat Englands wäre! Arschloch. Dämlicher scheiß Mistkerl!
Draco schloss die Augen
wieder.
„Harry Potter. Harry scheiß
Arschloch, dämlicher Wichser Potter!“, knurrte er den Hühnern zu, die an ihm
vorbei huschten und zu seinen Füßen nach Körnern suchten.
„Nein“, maßregelte er sich
ruhig und die Hühner glucksten verwirrt. „Nur Harry Potter.“ Er zwang sich
still zu sein. Merlin, war es schwer! Schwerer als Lucius nicht zu
widersprechen. Damit hatte er nicht gerechnet. Wenn es zu diesem Thema kam,
hatte er sich nicht unter Kontrolle. Aber er musste. Es zeugte von Größe, dass
er so etwas tat! Dass er hier her kam. An einem Samstagmorgen.
Er atmete langsam aus, denn
er spürte einen Hauch von Panik, als die Mutter kurz am Fenster stehen blieb.
Aber sie konnte ihn unmöglich sehen, er stand zu weit weg. Natürlich konnte er
die Haustür mit wenigen Schritten erreichen, aber da dieses lachhafte Gemäuer
in einem riesigen Kreis gebaut worden war, konnte ihn die Mutter nicht sehen.
Aber das war wohl auch gar nicht ihr Ziel, nahm er an. Er hörte den Schrei einer
Posteule aus der Entfernung. Er hob den Blick, schirmte die Augen vor der Sonne
ab und erkannte die schäbige Eule, die den rothaarigen Inzestkindern in
Hogwarts schon immer die Post gebracht hatte.
Er seufzte wieder auf. Was
macht er sich vor? Er würde kein freundliches Wort herausbringen können. Das
hatte er auch nicht vor, aber das, was er sagen wollte, würde er niemals sagen
können. Er hätte Glück, würde er vor der Mittagssonne nicht schon ein Häufchen
Asche sein. Vom Narbengesicht persönlich zu Staub verwandelt.
„Harry Potter“, wiederholte
er, um die Beleidigungen zu vertreiben. Vielleicht sollte er die Namen der
rothaarigen Inzestkinder auch aufsagen, überlegte er krampfhaft. Aber er kannte
nur zwei Namen. Und den Namen aus der Todesanzeige. Merlin, sie hatten sogar
Verwandte verloren. Gut, er hatte Tante Bellatrix verloren, aber um die war es
nicht besonders schade. Er hatte sie schon immer gehasst, würde es aber niemals
laut vor seiner Mutter zugeben.
Wieder atmete er aus. Jetzt
wurde es lauter. Er hörte sogar Stimmen in der Küche. Und er blieb unbewegt.
Was war jetzt? Wollte er entdeckt werden, wie er wie der letzte Idiot im Garten
des Pöbels stand?
„Weasley“, sagte er
langsam, um sich den Namen besser einprägen zu können. „Weasley, Weasley,
Weasley“, wiederholte er gereizte und kam sich albern vor. „Rothaariges
Affengesicht“, fügte er knurrend hinzu. Es war, als müsse er sich persönlich
den Teufel austreiben. Und das am besten in den nächsten Minuten. „Quidditchspielendes, mit den Torringen verheiratetes
Affengesicht.“ Er musste kurz Lächeln. Dann seufzte er wieder. „Ok. Ronald
Weasley“, sagte er langsam und arbeitete seine mentale List des Grauens langsam
ab. „Ronald Weasley“, wiederholte er, um es sich einzuprägen. „Kein
Affengesicht. Kein Wiesel.“ Dabei war er genau das, die enttäuschende Version
eines Reinblüters!
„Oh Merlin, ich sterbe“,
murmelte er. „Granger“, sagte er schnell. „Granger.“ Schlammblut, fügte er in Gedanken hinzu. „Dämliches, hässliches,
verfluchtes Schlammblut, was vor mir auf die Füße fallen sollte“, sagte er böse,
und die Hühner hatten sich still um ihn geschart. „Was guckt ihr so?“, rief er
ärgerlich und trat in das frische Gras. Er zwang sich zur Ruhe, grub seine
manikürten Nägel in die Haut seiner Handflächen und spürte, wie sich alle
Muskeln in seinem Gesicht anspannten.
„Hermine Granger“, sagte
er, beinahe ruhig. Dann atmete er aus, als hätte er eben alle körperliche
Anstrengung aufbringen müssen, die er in sich trug.
„Warum ziehe ich mich nicht
einfach komplett nackt aus und renne schreiend durch die Winkelgasse?“, wandte
er sich zornig an die gackendern Hühner, die wieder
vor ihm zurückwichen. Aber anscheinend nur, weil er sie langweilte, denn sie
hatten begriffen, dass er wohl nur ein Idiot im Gras war und niemand, der ihnen
mehr Körner brachte.
„Vielleicht, weil das
wirklich keiner sehen wollen würde, Malfoy?“, hörte er plötzliche eine
missbilligende Stimme, die seinen Atem gefrieren ließ. Oh, verfluchte Scheiße, noch mal! Er hob langsam den Blick zur
Scheune. Das verflixte Schlammblut war aus dem Stall gekommen. Einen Korb,
gefüllt mit Hühnereiern, über dem Arm. Er spürte, wie ein unterschwelliger Wall
Hitze in seine Wangen stieg. Er hoffte nur, dass er nicht rot werden würde.
Seine Stimme war irgendwo verloren gegangen. Zusammen mit seiner
Schlagfertigkeit. Wieso war sie nicht drinnen?
Wieso war sie hier? Und was
genau hatte sie ihn alles sagen hören?
„Was willst du hier?“ Sie
klang nicht freundlich. Wenn er darüber nachdachte, dann hatte sie auch keinen
Grund, freundlich zu sein. Eine Narbe zog sich über ihre linke Wange. Sehr
schmal, schon fast verheilt. Also ein Fluch. Nur Flüche konnte man nicht mit
Heilzaubern sofort zum Verschwinden bringen. Er fragte sich, welcher Todesser
dafür verantwortlich war. Er mochte sie nicht. Er wollte einfach gehen. Ohne
ein weiteres Wort. Wahrscheinlich hielten ihn Stolz und Scham und Wut auf.
„Ich…“, begann er ratlos,
und die Stimme nahe an der Grenze der Unhöflichkeit. Die Hölle würde sich
auftun, wenn er jetzt auch nur etwas Freundliches denken würde.
„Ja?“, erwiderte sie
gereizt, und ihre Lippen wurden schmal wie die von McGonagall.
„Ich… - das geht dich
überhaupt nichts an!“, schnappte er aus seiner Lethargie heraus. Sie zuckte
kurz zusammen. Er versuchte in seinem Kopf wieder das Harry-Arschloch-Potter-Mantra
zu aktivieren, um irgendwas Freundliches zu Stande zu bringen. Aber jedes nette
Wort war wie weggeblasen.
„Am besten verschwindest du,
bevor-“
„- bevor du Potty und das Wiesel zur Hilfe rufst?“, unterbrach er sie
hart und schalt sich augenblicklich selbst. Sie sah ihn abschätzend an.
„Ich bin sicher, du bist
hier her gekommen, um uns zu beleidigen. Du bist so erbärmlich, Malfoy! Du
kannst froh sein, dass mein Zauberstab drinnen liegt. Ansonsten wärst du nur
noch ein Haufen Dreck neben dem Hühnermist!“ Und seine knappe Zeit lief ab,
denn sie setzte sich in Bewegung, ohne ihn noch mal anzusehen.
„Warte!“, rief er also. Sie
war genauso gut wie jeder andere der verdammten Weasley-Bande.
„Worauf? Ich hab besseres
zu tun. Sei ein Feigling, geh zu deinen Eltern und lass uns gefälligst in
Ruhe!“ Und er tat, was ihm der Ärger riet. Er machte einen weiten Schritt nach
vorne und griff nach ihrem Unterarm, um sie aufzuhalten. Ohne nachzudenken. Und
jetzt gerade war sie einfach nur, was sie eben war: Ein aufmüpfiges, dämliches
Mädchen, was nicht wusste, mit wem es überhaupt sprach!
„Ich muss wirklich verrückt
gewesen sein, herzukommen!“, knurrte er, während sie vor Schreck fast den Korb
hatte fallen lassen. „Eine Entschuldigung würdest du wohl nicht erkennen, auch
wenn sie sich den Zauberstab an die Schläfe halten würde, und drohe sich
umzubringen, richtig?“
„Ha ha!
Eine Entschuldigung? Du weißt doch überhaupt nicht wie so etwas funktioniert,
Malfoy! Dafür braucht man Courage. Und Aufrichtigkeit! Und vor allem – ich kann
auf eine Entschuldigung von dir verzichten. Bei dir kommt nichts ohne
irgendwelche Hintergedanken oder irgendeine andere Agenda!“, fuhr sie ihn an.
„Agenda?“, wiederholte er
knapp. „Ich wüsste nicht, dass wir überhaupt jemals miteinander-“ Sie
unterbrach seine Worte, indem sie ihren Arm aus seinem Griff losriss. Dabei
entglitt ihr der Korb mit den Eiern. Hastig wich er zurück. Sie zerplatzten auf
der untersten Treppenstufe. Granger schoss ihm einen so wütenden Blick zu, dass
er sich fast nach den zerbrochenen Schalen gebückt hätte. Aber nur fast.
„Nein! Wir haben noch nie
miteinander gesprochen, Malfoy! Und jetzt entschuldige, ich muss die Eier heile
hexen, verdammt.“ Er fuhr sich müde durch die Haare.
„Granger, Eier kann man
nicht heile hexen. Sie verändern dadurch die Struktur. Hast du Murphys Gesetze
nicht gelernt? Essen lässt sich nicht einfach…“ Seine Stimme brach ab, als er
ihren Blick auffing.
„Dann werde ich eben nur
sauber hexen!“ Sie hatte sich kopfschüttelnd abgewandt.
„Granger!“, rief er ihr nach, und wütend wandte sie den Kopf.
„Lass mich endlich in Ruhe!
Wieso gehst du nicht? Deine Entschuldigung ist nicht erwünscht, Malfoy!“, fügte
sie hinzu, aber er schüttelte den Kopf.
„Es wäre verflucht gut,
wenn es in deiner Entscheidungsmacht läge, aber das tut es nicht, ok? Nur weil
du es sagst, werde ich nicht besser schlafen können, ok? Und ich will wirklich
endlich wieder schlafen können!“, fuhr er sie zornig an. Plötzlich wirkte sie
reichlich sprachlos. Er witterte seine Chance. Genau hier.
„Hör zu…, ich weiß, ich
kann das alles nicht ungeschehen machen. Und ich weiß, ich hätte… vielleicht
irgendwas tun sollen, als Bellatrix dich in unserem Haus… - du weißt schon! Ich
wollte auch, ok? Ich hätte Potter niemals verraten! Und… im Raum der Wünsche,
als wir… - ich wollte längst… ich hätte schon…“ Er schloss kurz die Augen.
„Es tut mir leid, ok?
Wirklich leid! Ich… kann euch alle nicht leiden!“, fügte er eilig hinzu. „Alle
wirklich nicht! Aber zumindest seid ihr bessere Menschen als…“ Er atmete
langsam aus, während ihre Augenbraue höher wanderte. „Als ich“, schloss er den
Satz verärgert. „Und mehr wollte ich nicht sagen. So schmerzhaft kann es
unmöglich gewesen sein, du verdammter Besserwisserin.“
„Was soll das sein?“,
fragte sie ruhiger. „Erleichtert das dein Gewissen? In deinem kleinen reichen
Palast? Du fühlst ein Zwicken im Hinterkopf, weil du dein Leben irgendwelchen
Unwürdigen schuldest?“
Sein Mund klappte auf.
„Hast du nicht zugehört, Granger?“, schrie er jetzt ungehalten, denn sie schien
einfach nicht hören zu wollen.
„Oh doch, Malfoy. Ich habe
gehört. Du denkst doch wohl nicht, dass ich dir irgendwas glaube! Du wolltest
helfen? Schön. Hast du aber nicht. Du bist dir doch viel zu bequem, um auch nur
irgendwas zu tun! Du denkst doch nur über den Dreck auf deinen Schuhen nach,
und wie du ihn wegbekommst! Du denkst doch nur darüber nach, wie du diese Zeit
hättest besser verbringen können als ausgerechnet hier! Ich fasse nicht, dass
ich immer noch mit dir rede! Du verzogener, verlogener, aufgeblasener
Mistkerl!“
„Was?!“ Er starrte sie an.
„Das tue ich nicht! Ich bin doch hier!“
„Ja! Weil du dein Leid
nicht mehr aushältst!“
Er starrte sie an. „Du bist
so dämlich!“, sagte er schließlich. „Und meine Schuhe sind mir egal,
verdammt!“, fuhr er sie böse an.
„Ja, richtig. Klar! Draco
Malfoy ist alles egal. Das sagst du jetzt, weil es in einer Stunde wieder
völlig irrelevant ist! Dein Gewissen ist beruhigt, weil du denkst, etwas Erhebliches
getan zu haben. Bullshit!“, rief sie aus. „Du apparierst gleich gemütlich
zurück. Unbemerkt zurück in dein Schloss!“
Und Salazar persönlich
musste ihn reiten. Sie war verflucht schwer von irgendwas zu überzeugen. Er
nahm an, der Krieg war verantwortlich. Oder die Tatsache, dass sie wusste, dass
er auch einer von denjenigen war, der ein Dunkles Mal auf dem Unterarm trug. Er
zog also seinen Zauberstab aus der Tasche.
„Oh! Und jetzt willst du
mich verfluchen? Wie wahnsinnig aufopferungsvoll von-“ Sie unterbrach sich
selbst, als er seinen Zauberstab vor ihren Augen zerbrach. Er musste verrückt
geworden sein. Wirklich verrückt. „Du…“ Sie starrte ihn sprachlos an, als er
die beiden zerbrochenen Teile einfach achtlos in das taufrische Gras fallen
ließ.
„Besser?“, erkundigte er
sich. „Man kann dich wohl nicht überzeugen, oder?“ Er blickte nach unten, zu
den zerbrochenen Eiern. „Vielleicht willst du meine Würde, Granger?“, ergänzte
er ruhig und sank auf die Knie. Sie hob die Hand zu ihrem Gesicht. Er spürte,
wie die Eierschalen unter seinen Knien zerbrachen, wie das Eiweiß seine
Hosenbeine tränkte und er die unangenehme Nässe auf der Haut fühlte. Aber
anscheinend hielt sie endlich den Mund. „Ok? Meine Schuhe sind mir egal. Meine
Hose ist mir egal. Mein verfluchter Zauberstab ist mir egal!“, erklärte er
plötzlich relativ gelassen.
„Ich möchte mich
entschuldigen. Und wenn du willst, dass ich meine Klamotten völlig verbrenne,
bevor du mich ernst nimmst, dann-“
„Schon gut“, unterbrach sie
ihn kleinlaut.
„Was?“, fragte er lauter nach, und sie verdrehte die Augen.
„Ich sagte, schon gut.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schien sich
tatsächlich etwas unwohl zu fühlen. „Oh, steh schon auf, Merlin noch mal“,
murmelte sie resignierend.
„Es tut mir leid, Granger“,
wiederholte er. Ihre braunen Augen schienen sein Gesicht nach einer Lüge abzusuchen.
Er stellte sich vor, wie verflucht lächerlich er gerade aussehen musste.
Absolut lächerlich. So lächerlich, dass er sich eigentlich selber schämen
musste. Kurz zuckten jetzt ihre Mundwinkel.
„Ok“, sagte sie leise.
„Ok?“, wiederholte er, und sie atmete genervt aus.
„Jaah, ok“, bestätigte sie
langsam. „Ich nehme deine Entschuldigung… wohl an.“ Er erhob sich ächzend. Er
verzichtete darauf, an sich herabzublicken. Ihr flüchtiges Grinsen reichte ihm
aus.
„Möchtest… du mir
vielleicht noch eine kleben oder so was? Das schien dir vor einigen Jahren gut
gefallen zu haben.“ Sie wirkte kurz etwas ertappt. Dann verzog sie den Mund.
„Nein, danke. Ich bin
zurzeit nicht sauer auf dich“, informierte sie ihn, und ihre Stimme klang…
eigentlich neutral. Und jetzt erst – warum zum heiligen Salazar auch ausgerechnet
gerade jetzt! – fiel ihm auf, dass Granger Brüste besaß. Wie lang ihre Haare
wohl ihren Rücken hinunter fielen, wenn sie nicht in dieser seltsamen gerade-aufgestanden-Frisur steckten? Er schüttelte sachte
den Kopf.
Anscheinend konnte er
annehmen, dass er teilweise von seiner Schuld geheilt war, wenn er plötzlich
begann, in Granger so etwas wie ein Mädchen zu sehen. Obwohl er ähnliche
Gedanken bereits gehabt hatte, als sie kurzzeitig Gefangene auf Malfoy Manor
gewesen war. Dieser Gedanke wiederum war wieder schlechter.
Er nickte also schließlich.
Und wieder musste es Salazar sein, der ihm diese Frage auf die Zunge legte.
„Sag mal, bist du eigentlich mit Weasley zusammen?“
Und so sah sie ihn auch an:
Als hätte er den Verstand verloren. Tatsächlich klappte ihr Mund einen Spalt
weit auf, als sie ihn musterte. Wahrscheinlich vermutete sie Vielsafttrank
hinter seiner Erscheinung.
Dann riss sie sich
zusammen, obwohl ihre Augen ihn immer noch verengt fixierten.
„Ja. Ich bin mit Ron
zusammen.“ Sie klang fast herausfordernd als sie die Worte sagte. Er nickte
dann.
„Dachte ich mir.“
„Wieso fragst du das?“,
fragte sie ihn ziemlich ungläubig. Und immer noch starrte sie ihn an, wie einen
Verrückten.
„Unwichtig, Granger.
Absolut unwichtig“, erklärte er lächelnd. Sie wandte endlich den Blick von ihm
ab. „Ich muss los“, fügte er schließlich hinzu.
„Du willst… laufen?“, erkundigte sie sich, als er
sich abgewandt hatte. Er hielt inne.
„Sicher. Ich werde mich
bestimmt nicht auf das Fahrrad schwingen“, beantwortete er lächelnd ihre Frage,
mit einem Blick auf das klapprige Gestell.
„Der Weg ist ziemlich
weit“, gestand sie ein, und sie blickte an ihm vorbei über das weite Feld und
den schmalen Weg, der hinunter ins Dorf führte. Aber er zuckte die Achseln. Das
konnte für ihn gerade noch verrückt genug sein, heute Morgen.
„Na und?“
Wieder öffnete sich ihr
Mund ein Stück. „Mach’s gut, Granger“, sagte er und schenkte ihr tatsächlich
ein Lächeln. „Und danke“, fügte er knapp hinzu, während er die Hände in den
Taschen seiner Hose vergrub. Sie blieb unbewegt zurück und starrte ihm wohl
nach. Er fragte sich, ob sie es Potter und Weasley erzählen würde. Wahrscheinlich
schon. Wahrscheinlich wohl eher nicht.
Ob sie noch einen weiteren
Gedanken an seine seltsame Weasley-Frage verschwenden
würde? Wahrscheinlich schon. Und wenn er sich jetzt umdrehen würde, und sie
immer noch vor der Türe stand, dann hatte sie wohl bereits schon weitere
Gedanken an seine seltsamen Regungen verschwendet. Aber nur ein Loser würde
sich jetzt umdrehen. Er widerstand der Versuchung also. Nur schwer.
Leicht schüttelte er den
Kopf. Er hatte seinen Zauberstab zerbrochen, sich die Schuhe versaut. Ganz zu
schweigen von seiner Hose!
Und anscheinend nur, um
Aufmerksamkeit von Hermine Granger zu bekommen.
Aha… - was sagte ihm das
jetzt genau?
Eigentlich sagte es ihm
nur, dass er wohl langsam seltsam wurde.
Denn anscheinend mochte er
Hermine Granger doch leiden, entgegen seiner kühnen Äußerung, er könne keinen
von ihnen ausstehen.
Sein Kopf wandte sich über
seine Schulter, ehe er es kontrollieren konnte.
Fuck! Dumm von ihm. Aber sie stand immer noch vor der Tür
und sah ihm nach. Hastig wandte er den Kopf wieder nach vorne und musste
unwillkürlich grinsen.
Verdammt, er hätte wirklich
einen coolen Abgang hinlegen können.
Das nächste Mal, wenn er
vor ihrer Tür stehen würde, beschloss er. Der Abgang wäre dann um einiges
cooler.
Jetzt müsste er erst mal
zur Winkelgasse und sich seinen dritten Zauberstab kaufen.
Seltsamerweise verschwand
das nervige Grinsen nicht von seinen Zügen.
Es musste an der Müdigkeit
liegen, nahm er an.
Oh ja. An der Müdigkeit….