Chapters
Chapter 1 , Chapter 2 , Chapter 3 , Chapter 4 ,
Chapter 5 , Chapter 6 , Chapter 7 , Chapter 8 ,
Chapter 9 , Chapter 10 , Chapter 11 , Chapter 12 ,
Chapter 13 , Chapter 14 , Chapter 15 , Chapter 16 ,
Chapter 17 , Chapter 18 , Chapter 19 , Chapter 20 ,
Chapter 21 , Chapter 22 ,
Catch-and-re-lease
(fan-gen-und-frei-las-sen)
Nomen
(unzählbar)
1. (Fischerei) Eine Variante des Angelns
(Fliegenfischen), wobei der Fisch gefangen und anschließend freigelassen wird.
2.
Da kein
höherwertiges Ziel als der Spaß des Angelfischers angestrebt wird, handelt es
sich um ein unnötiges Zufügen von Stress oder sogar Schmerzen. Umstritten ist
der tatsächliche Erfolg.
Part 1 – The End of all Good
„Courage doesn’t happen when you have all the answers.
It happens when you are ready to face the questions
you have been avoiding your whole life.“
- Shannon L. Alder
1. another
heartache, another failed romance
Seltsame
Kindheitserinnerungen überkamen sie, als der recht kühle Wind ihr Gesicht traf,
wie der erste Geschmack des salzigen Ozeans auf ihren Lippen, als sie das erste
Mal mit ihren Eltern die nördliche Küste besuchte. Sie waren am Loch Morlich
gewesen, im Nationalpark. Blütenweiße Strände und unendliches Grün. Es war
natürlich ein Muggelurlaub gewesen. Sie hatte von Zauberei noch keine Ahnung
gehabt, keine bewusste zumindest. Sie war sechs Jahr alt gewesen.
Ein
ähnliches Gefühl hatte sie jetzt hier, als sie ein wenig verloren auf der
alten, wenn auch gepflegten, Brücke aus Stein stand, die über einen windigen
unbegehbaren Abhang führte, der sich gähnend unter ihr erstreckte, bis hin zum
verborgenen Gemäuer, was über die Jahrhunderte mehrfach wieder hergerichtet worden
sein musste. Es lag verborgen vor den Augen der Muggel, in einem Abschnitt des
schottischen Hochlands, weit im Süden, welcher nur durch Apparieren mit
Portschlüssel erreicht werden konnten, da die magische Barriere zu Fuß nicht zu
überwinden war. Ein guter Schutz, und doch… erfüllte sie ein mulmiges Gefühl.
Die
Landschaft hier war so unberührt, Muggel würden direkt ihre Naturschutzschilder
in den Boden schlagen und hohe Zäune ziehen – wahrscheinlich sogar Eintritt
verlangen. Zauberer machten sich weniger Gedanken, hielten die Unberührtheit
der Natur mit Zauberei aufrecht, und so einsam, hier auf der Brücke,
eingefroren in der Zeit, kam sie sich fast vor, als wäre sie in eine
mittelalterliche Vergangenheit katapultiert worden.
Es
erinnerte sie auf nostalgische Art und Weise an die gothischen Romane der
englischen Weltliteratur, von denen wohl die wenigsten Zauberer eine
Vorstellung hatten. Und gleichzeitig bereute sie diese Gedanken, bereute, dass
sie diesen Anlass mit etwas so Schönem in Verbindung brachte, wie ihre
geliebten Muggel-Bücher. Sie versuchte, nicht beeindruckt zu sein, aber es
gelang ihr nicht wirklich.
Wie
dumm sie letztendlich doch war. Wie leicht sich ihr Verstand doch ablenken
ließ.
Es
war beruhigend, dass Harry neben ihr stand, den Kragen des Mantels
hochgeschlagen, denn der Wind war auch im Frühling recht erbarmungslos. Es war
stets kühl hier oben, und das Meer konnte sie zwar riechen, doch war es nur zu
erahnen, hinter den nahen Kuppen der begrünten Berge.
„Was
die Zeichen wohl bedeuten?“, vermutete Harry still neben ihr, mit halbherzigem
Interesse, und sein Augenmerk war auf die gälischen Schriftzeichen gefallen,
die ab und an in die Brückensteine geritzt worden waren. Zum ersten Mal hatte
sie das überwiegende Bedürfnis, mit den Achseln zu zucken, seine Frage abzutun
und nicht zu beantworten. Dann aber wäre das Gespräch wieder zu einem Halt
gekommen. Die Stille mit Harry war nicht unangenehm, aber sie wog doch
einigermaßen schwer. Und deshalb antwortete sie. Nicht, um Wissen zu demonstrieren,
sondern einfach nur, um zu sprechen.
„Es
sind Namen“, sagte sie. Sie war nicht sonderlich bewandert in diesem Dialekt,
gar nicht, wenn sie ehrlich wäre, aber aus Büchern – wusste Merlin, warum es in
ihrem Gedächtnis geblieben war – erinnerte sie sich an die Namenszüge einstiger
Herrscher. „Alte Familie, alte Namen“, ergänzte sie tonlos.
„Hm“,
machte Harry bestätigend. Aber er hielt das Gespräch am Laufen. „Warum stehen
sie hier?“ Er fragte sie direkt, wie er sie stets alle Dinge fragte, als hätte
sie auf jede Frage eine allwissende Antwort, und jetzt zuckte sie die Achseln.
„Abschreckung?“,
vermutete sie. „Oder… zur Kenntnisnahme, wer zurzeit Herrscher hier war?“
„Es
kamen Zauberer hier her, haben auf der Brücke gelesen, wer hier wohnt, und dachten
sich: Ach, du Schreck! Schnell weg hier!“ Fast lächelte er, aber auch Hermine
fielen solche banalen Abhandlungen heute schwer.
„Früher,
denke ich, konnte man zu Fuß zumindest bis hier her gelangen. Und die wenigsten
konnten lesen“, vermutete sie träge, wickelte sich fester in ihren Mantel und
blickte hinab in die tiefe Schlucht unter sich, aus der der eisige Wind nach
oben heulte. „Vielleicht lagen auch Bannflüche auf diesen Steinen, haben
unerwünschte ferngehalten oder direkt verflucht“, fuhr sie fort und schauderte
wieder.
„Angenehm“,
bestätigte er mit eindeutigem Blick. Wieder ging ihr auf, wo sie waren, und sie
hob den Blick zu seinem Gesicht. Der frische Wind hatte seine Wangen leicht
gerötet, und sie konnte nicht fassen, wie lange sie Harry schon kannte, und wie
selbstverständlich ihr seine Anwesenheit stets vorkam. Sein Bart war dichter
geworden, verbarg die Falten um seinen Mund, und immer mehr graue Haare
mischten sich mit der dunklen Pracht, aber das Leuchten seiner Augen war so
jung wie eh und je.
„Danke,
dass du hier bist“, sagte sie schließlich, und überrascht weiteten sich seine
Augen. Das Grün seiner Augen ähnelte dem Grün der saftigen Berghänge, und er
passte gut hier her, befand sie abwesend.
„Ginny
wollte unbedingt“, entgegnete er mit einem reumütigen Lächeln, „und natürlich
bin ich hier.“
„So
natürlich ist es nicht“, widersprach sie kopfschüttelnd und wandte den Blick,
bevor verräterische Tränen in ihre Augen traten. „Es ist schon
unwahrscheinlich, dass ich hier bin“, entfuhr es ihr ungläubig.
„Abstand
tut gut“, sagte er bloß. Sie schwiegen eine Weile, bis er schließlich fortfuhr.
„Weißt du, ich verstehe ihn, aber… er scheint nicht zu begreifen, dass es Dinge
gibt, die außerhalb seiner Macht liegen. Auf die er keinerlei Einfluss hat. Ich
liebe ihn, wie du ihn liebst, aber… dieses Mal hast du die richtige
Entscheidung getroffen, Hermine.“ Unglücklich blickte sie über die Berghänge
und verspürte schreckliches Heimweh. Nicht zwangsläufig Heimweh nach London,
aber Heimweh nach ihrer Familie, nach ihrem Ehemann, nach der ‚guten, alten
Zeit‘, als sie noch jung waren, die Kinder noch klein. Als alles noch in den
Anfängen steckte und nichts schlecht und böse gewesen war.
„Es
mag sein, aber ich weiß noch nicht, wie ich den nächsten Tag überleben soll.
Hier, auf dieser Brücke, ist alles einigermaßen in Ordnung. Der Ausblick, der
Wind, die Eindrücke lenken mich ab, aber… sobald ich in diesem Gemäuer sitzen
werde, umzingelt von ihnen…“, flüsterte sie fast, „ich weiß nicht, ob ich es
kann.“
„Du
wirst es können“, schloss Harry schlicht, denn Harry suchte nicht lange nach
Problemen. Er löste sie für gewöhnlich, überwand das Unüberwindbare, mit kaum
viel mehr als einem Achselzucken. Das hatte er stets getan, und diesen Maßstab
legte er für gewöhnlich auch Familie und Freunden an. „Hermine, du kannst alle
Dinge, die du tun musst, und das ist eines dieser Dinge, die wir… einfach
hinter uns bringen müssen. Sich zu weigern hat lediglich die Konsequenz, dass
deine Tochter kein Wort mehr mit dir sprechen wird.“ Harry war nicht altklug
von ungefähr. Er wusste, wie es war, wenn die eigenen Kinder nicht mit einem
sprachen, und diese Weisheit hatte er am eigenen Leibe gelernt.
Sie
seufzte schwer, wollte ihm nicht antworten, wollte ihm nicht widersprechen,
wollte eigentlich nicht weiter darüber nachdenken.
„Jetzt
mag es dir schlimm vorkommen, aber denk dran, die Sonne geht
höchstwahrscheinlich auch noch nächste Woche auf, und bis dahin sitzt du wieder
gemütlich in deinem Büro, und all diese Ängste liegen weit zurück.“ Sie hob den
Blick, um ihn anzusehen. Denn es stimmte nicht.
„Es
ist erst der Anfang, Harry“, entkam es ihr, stiller als beabsichtigt, schwerer
als gewollt. Er lächelte wieder und ließ den Blick schweifen.
„Ja,
aber das nächste Mal, dass ihr alle so zusammentrefft, ist wann? An irgendeinem
Geburtstag? An irgendeiner anderen Feier? Sie werden hierhin ziehen. Zwar nicht
in dieses Gruselschloss, aber Schottland ist groß und weit weg, und vielleicht…
hat es sein Gutes.“
Bitter
sanken ihre Mundwinkel. „Nichts daran ist gut, Harry. Und es wird enden, wie es
schon hundertmal geendet hat.“ Jetzt wandte sich Harry ihr zu.
„Und?
Dann ist es gut. Dann endet es, aber immerhin warst du heute an dem einen Tag
hier, wo es wichtig war, verstehst du? Sie wird sich dir nicht verschließen,
wenn es endet. Im Gegensatz zu Ron! Und das werde ich ihm vorwerfen. Das ist
sein Fehler!“ Seine Stimme klang bitter, und alter Schmerz brannte in seinen
Worten. Er vermisste James, sie wusste das. Seit fünf Jahren sprach Harry mit
seinem ältesten Sohn kein Wort mehr. Hermine hatte nie Verständnis dafür
aufbringen können, hatte nächtelang mit Harry darüber diskutiert, und
letztendlich, als Harry sich durchgerungen hatte, die Fronten mit seinem Sohn
zu klären, hatte James ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er kein
Interesse daran hatte.
Sie
wusste nichts zu sagen. Es tat ihr leid für Harry, und sie bemitleidete sich
selbst ungemein, jetzt, wo Ron denselben Keil zwischen sich und ihre Tochter getrieben
hatte. Harry atmete knapp aus, schüttelte die alten Dämonen scheinbar ab, und
hob die Augenbraue. „Es ist eine Hochzeit, kein Weltuntergang“, schloss er
schließlich, aber sie war sich da nicht ganz so sicher. „Es liegt außerhalb
unserer Macht. Und scheinbar außerhalb der Macht dieser archaischen Familie“,
ergänzte er, mit Blick zurück auf das drohende Anwesen hinter ihnen. „Ein
Schritt in eine neue Zukunft“, entfuhr es ihm etwas abwesend, aber Hermine
graute es vor dieser Zukunft.
Wieder
fiel Stille über sie, nach Harrys düsterer Ansprache. Es war nicht mehr, wie
früher. Nichts war mehr, wie es früher war. Und sie wusste nicht mal mehr, wann
genau sich alles geändert hatte. Hatte die Zeit sich einfach an ihr
vorbeigestohlen, ohne dass sie es wirklich bemerkt hatte? Sie legte den Kopf in
den Nacken, und ließ den Wind ihre Locken aus der Frisur ziehen.
Vereinzelt
sangen seltene Vögel, deren Gesang niemals in der Stadt zu hören war, und sie
fühlte sich wie ein Kind, als sie die Augen wieder öffnete.
„Das
ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mich wieder wie ein Muggel fühle“,
murmelte sie plötzlich, als sie den Mantel enger um sich schlang und sich
wieder umsah. Solche Ausflüge hatte sie nur mit ihren Eltern gemacht, damals.
Alles kam ihr so fremd hier vor, so eigenartig weit entfernt, aus ihrer eigenen
Welt.
„Ja“,
bestätigte Harry tatsächlich nickend, wieder etwas abwesend. Hermine führte es
nicht aus. Vielleicht verstand Harry es, wie sie es tat. Sie sah es so, dass
sie erst seit ihrem zehnten Lebensjahr eine Hexe war. Vorher war sie eine
Muggel gewesen. Hier zu stehen, zu wissen, dass es andere Menschen gab, zu
verstehen, was das Wort ‚Reinblut‘ überhaupt bedeutete, fühlte sich plötzlich
an, als wäre sie Tourist in dieser magischen Welt. Als wäre sie aus Versehen
hineingeraten. Wie lange diese Familie schon magisch war. Wie viel ihnen
gehörte, was für eine Tradition sie pflegen mussten. Unter diesen
Voraussetzungen war es doch ähnlich wie mit Adel und Neureichen, dachte sie
dumpf. Der Adel verabscheute die Neureichen ebenso, wie Reinblüter die
Halbblüter und Muggel.
Es
ängstigte sie. Und gleichzeitig war es absoluter Blödsinn.
„Wie
lange muss Hugo arbeiten?“, fragte Harry sie schließlich und riss Hermine aus
ihren sehr theoretischen Gedanken zurück in die Realität.
„Ich
– lange. Ich weiß nicht genau, wann er kommt“, erwiderte sie, denn dass sie
Zuhause im Wandschrank Stundenpläne und Kalender ihrer Kinder hängen hatte, war
nun eine ganze Weile her. Sie wusste nicht mehr, was ihre Kinder taten, wann
sie nach Hause kamen und womit sie ihre Freizeit verbrachten. Harry nickte,
aber Hermine wusste, dass Ginny Lilys und Albus‘ Leben strenger überwachte,
seit der Sache mit James. Dass Ginny nicht wüsste, wo ihre Kinder waren, war
fast abwegig. Aber Hermine wollte es gar nicht so genau wissen. Zumindest nicht
mehr bei Rose.
„Dann
ist er das wohl nicht“, bemerkte Harry und nickte weiter nach vorne. Hermine
hob den Blick, verengte die Augen, und das sanfte Flimmern in der Luft
intensivierte sich stetig. Jemand apparierte.
Und
vielleicht war damit zu rechnen gewesen. Sie und Harry gingen gerne raus, im
Gegensatz zu Ginny. Sie und Harry waren damals fast ein Jahr im Zelt unterwegs
gewesen, und bis heute hatte es eine enge Naturverbundenheit mit sich gebracht,
aber natürlich war es gerade jetzt ein Risiko, außerhalb des alten Schlosses zu
stehen.
Das
letzte Mal hatte sie Draco Malfoy vor etwa zwei Monaten gesehen. Gesprochen
hatte sie mit ihm nicht, sie hatte ihn lediglich gesehen, und das hatte ihr
auch gereicht. Jetzt sah sie ihn wieder, und allmählich erkannte sie auch die
vermummte Gestalt, die in einen übertrieben dicken Reiseumhang gewickelt war,
und nach ihm materialisierte.
Timothy
Greene, Notar-Beamter der Inneren Abteilung. Hermine hatte schon das ein oder
andere Problem mit ihm gehabt, und es hob ihre Laune nicht unbedingt. Denn sie
wusste, weshalb er hier sein musste.
Draco
war auf ihrer Höhe, als Harry, höflich wie er war, ihm wohlwollend zunickte.
Die Potters und ihr zwanghaft soziales Verhalten. Manchmal könnte Hermine sich
auf der Stelle übergeben. Bevor sie ihn begrüßen würde, hatte Hermine Timothy
ins Auge gefasst, und er schenkte ihr ebenfalls einen säuerlichen Blick. Dann
glitt ihr Blick hoch in das gealterte Gesicht von Draco Malfoy, der genauso
glatt und blass und widerlich war, wie sie ihn seit jeher in Erinnerung hatte.
Er war so groß geworden. Harry war nie über sie hinausgewachsen, und bei Ron
war es ihr nie so bewusst aufgefallen, aber sie erinnerte sich, dass sie und
Malfoy in der Schule, noch mit sechzehn, gleich groß gewesen waren, und jetzt
überragte er sie um mehr als einen Kopf, hatte bestimmt die
ein-Meter-neunzig-Marke längst geknackt, und es waren eigenartige Gedanken.
Sein Sohn war nicht so hochgewachsen. Seine linke Hand umschloss fest die
Träger einer modischen Reisetasche mit goldenen Schnappverschlüssen, und sein
Mantel war aus irgendeinem – höchstwahrscheinlich illegalen – Pelz gefertigt.
„Malfoy“,
rang sie sich das einzige Wort der Höflichkeit ab, zu dem sie im Stande war.
„Weasley“,
erwiderte er auf herablassende Art, Ablehnung im Blick. Aber vielleicht war
sein Ton auch neutral, und die allgegenwärtige Herablassung war einfach
angeboren. Wer wusste es schon zu sagen?
„Nichts
ist romantischer als Eheverträge und Verzichtserklärungen, nicht wahr,
Timothy?“, erkundigte sie sich in Richtung Timothy, und dieser sah sich geneigt
zu sprechen, sich stets und ständig für seine Arbeit zu rechtfertigen, selbst
hier und heute. So kannte Hermine diese feige Ratte. Aber er kam nicht dazu.
Malfoy erwiderte auf ihre kaum ernstgemeinte Frage.
„Er
ist auf Einladung hier. Bürokratie schläft nicht.“ Gewiss tat sie das bei den
Malfoys nicht, die höchstwahrscheinlich jeden Abend vor dem Zubettgehen jede goldene
Münze in ihren privaten Verliesen polieren und zählen ließen. Es würde Tage
dauern, alles aufzuzählen, was sie an den Malfoys störte, aber das unnütz viele
Gold stand sehr weit oben auf der Liste. Es gab an Draco Malfoy kaum einen
sozialen Makel zu finden. Kannte man ihn nicht von früher, mochte man glauben,
man hätte es mit einem gebildeten, höflichen Geschäftsmann zu tun. Aber
wahrscheinlich war es Show. Immer auf den äußeren Anschein bedacht, immer die
Mahnung im Kopf, dass ehemalige Todesser kein Anrecht hatten, sich weit mit
ihren Meinungen aus dem Fenster zu lehnen. Malfoy war Witwer, seit fünfzehn
Jahren alleinerziehender Vater und Geschäftsführer der magischen
Versicherungsgruppe für Rein- und Halbblutangelegenheiten, die sein Vater nach
Kriegsende gegründet hatte. Ob er das freiwillig tat, war wohl keine Frage, die
sich stellte. Weshalb er nicht wieder geheiratet hatte, war auch keine Frage,
die sie sich ernsthaft stellte.
Sie
nahm an, Malfoy kannte sich mit Verantwortung aus und demonstrierte dieses
Wissen lediglich damit, dass er zur Hochzeit seines Sohnes den Notar direkt
dabei hatte, um das Malfoy-Vermögen vor den armen Weasley-Klauen so gut zu
schützen, wie er nur konnte. Pflichtbewusst bis zum Ende.
Und
sie konnte nicht annehmen, dass Malfoy Senior diese Entwicklung mit gefalteten
Händen zur Kenntnis genommen hatte. Sie wusste nicht, ob es im Herrenhaus der
Malfoys zu unpassenden Ausbrüchen kam, ob goldene Teller flogen, ob sie sich
mit Schimpfworten verletzten, aber diese hochadelige Kontenance, mit der diese
Verlobung behandelt worden war, reizte sie ungemein.
Ron
war vor einigen Wochen ausgezogen, und die Sachen, die er nicht bei Ginny und
Harry hatte unterstellen können, befanden sich jetzt in dem schäbigen
Zwei-Zimmer-Apartment, was oberhalb des Scherzartikelladens leer stand. Hermine
wusste, dass sie Malfoy keine Schuld daran geben konnte, dass Ron sie verlassen
hatte, aber sie würde sich wünschen, dass auch die Malfoys mit dieser
Entscheidung zu hadern hatten, dass sie sich stritten, dass es Draco genauso
elend ging, wie ihr. Aber wahrscheinlich war dies nicht der Fall.
Wahrscheinlich bedeutete es für ihn keine persönliche Vendetta, wie es bei Ron
der Fall war. Und gerne würde sie fragen. Aber… das tat man wohl nicht. Leider.
In seiner
Gegenwart fühlte sie sich underdressed und unvorbereitet.
Und
ohne Ron fühlte sie sich auch machtlos und sehr entwaffnet.
So
viele Jahre hatte sie damit verbracht, ihren Kindern Recht und Moral
beizubringen, sie mitzunehmen, auf Touren und Trips, Zelten, Bootfahren, am
Lagerfeuer sitzen und sich mit Bescheidenheit begnügen, egal, wo sie herkamen
und was der Name Weasley bedeutete. Ihre Bemühungen mochten bei Hugo Früchte
getragen haben, aber bei Rose? Ihrer einzigen Tochter? Warum Scorpius Malfoy? Sie
hatte es Rose so oft gefragt, und Roses Antwort war nie gut genug für sie
gewesen. Es hatte nicht gereicht. Sie hatte nicht einsehen wollen, dass ihre
Tochter unterm Strich vielleicht einfach nur oberflächlich war. Sie konnte
nicht. Es war so falsch und ging gegen jede moralische Faser in Hermines
Innern. Man sagt nicht Nein zu einem Prinzen, war es, was Rose gesagt hatte.
Zwischen all dem anderen Unsinn natürlich. Scorpius war attraktiv und reich.
Und scheinbar reichte das aus, um ihre Tochter über alle Maßen zu beeindrucken.
Kein Gryffindor hatte es je geschafft, ihre Tochter zu gewinnen. Kein kluger
Ravenclaw, kein gutherziger Hufflepuff. Nein, ein missratener Slytherin. Kein
Slytherin, der ansatzweise in Ordnung war, nein. Es musste die schlimmste Version
eines Slytherin sein. Er hatte seinen Sohn verwöhnt, hatte ihm nichts
verweigert und hatte es nicht mal geschafft, ihm klarzumachen, wie wichtig es
wäre, die Reinblutlinie fortzuführen. Scorpius war dumm. Verwöhnt. Untreu. Und
ein riesiges Arschloch.
Sein
inquisitorischer Blick war unangenehm, aber mühelos hielt sie stand. Sie kannte
solche abartigen Exemplare wie ihn von ihrer Arbeit. Dort liefen sie zu
hunderten durch die Gänge.
„Irgendwelche
Strafen da drin?“, wollte sie gereizt wissen, und tatsächlich atmete er lange
aus.
„Sicher“, bestätigte er sehr trocken. „Drei Wochen kopfüber im Kerker hängen,
wenn sie ihn nicht ordentlich befriedigt. Schwebt dir so was vor?“, erkundigte
er sich fast bösartig bei ihr, und bevor sie ausrastete und ihn noch anschrie,
sprach er weiter. „Du kannst die Dokumente gerne lesen, du kannst der
Unterzeichnung beiwohnen, und genau deshalb habe ich Mr. Greene gebeten, zu
kommen, um mögliche Änderung einzufügen.“ Es war einigermaßen weitsichtig, das
gab sie zu. Auch wenn sie gerade ihm diese Weitsicht kaum unterstellte.
Immerhin kannten sie sich nicht. Nicht wirklich. Nicht gut genug, um zu
behaupten, dass man ‚sich kannte‘ zumindest. „Natürlich habe ich nicht
erwartet, alles gleich hier auf der Brücke zu klären, aber wenn das alles ist,
was dir am Herzen liegt…“ Er ließ den Satz unbeendet, und Hermine wusste, es
war nur der letzte Strohhalm. Sie musste sich nicht mehr mit ihm anlegen, denn
sie hatte bereits verloren. Sie war hier. Allein, ohne Ron. Und Rose bekam
ihren verdammten Willen, weil Hermine die Hände gebunden waren. Weil sie ihre
Tochter nicht mehr in ihrem Zimmer einsperren konnte.
Ihre
Zähne arbeiteten, und sie verabscheute diese Familie und alles, was damit
zusammen hing. Und vielleicht handelte er aus einer Art höflichen Absicherung
heraus, aber er kannte sie wahrlich schlecht. Natürlich würde sie unter
gewöhnlichen Umständen keine Sekunde mit einem solchen Vertrag zubringen! Ihr
Stolz würde sie abhalten, aber es ging wieder einmal ums Prinzip. Sie beäugten
sich mit mildem Zorn, und die Stille, die eingetreten war, war keine angenehme.
Und
es war Harry, der schließlich sprach, ruhig und angemessen.
„Ihr
solltet daran arbeiten, dass es zivilisiert verläuft und nicht… ausartet.“
Gerade Harry musste das sagen. Sie löste den kochenden Blick von Malfoys
Gesicht, um Harry beinahe beleidigt anzusehen. Sie hasste diese Unterstellung.
Als wäre es auf einmal nötig, Hermine von Anstand und Benehmen zu erzählen. Als
wäre sie tatsächlich vierzehn Jahre alt. Vielleicht würde sie gerne solche
Zusammentreffen verhindern, ja, aber sie war nicht gänzlich von jeder Etikette
verlasen. Ihr war bewusst, dass man sich auf Hochzeiten nicht vor seinen
Kindern duellierte. Und schade, dass Harry mittlerweile so abgehoben war, dass
er ausblendete, sich früher selber nicht mit Draco Malfoy verstanden zu haben!
„Ich
möchte keine Probleme“, machte Malfoy es sehr deutlich. Sein Blick war klar,
unverwandt und ein wenig mahnend. „Offen gesagt, möchte ich ankommen,
auspacken, und spätestens heute Abend den Vertrag unterzeichnet haben, damit
dieser endlose Tag sein Ende findet.“ Sie hörte, wie viel Kraft es ihn kostete.
Sie spürte es praktisch. „Wir könnten darüber diskutieren, warum es einen
Unterschied macht, dass deine Tochter einen Malfoy heiratet, oder umgekehrt –
Merlin, damit könnten wir ganze Wochen füllen!“, führte er entsprechend
eindeutig aus. „Wenn du ein Problem damit hast, dass meine Familie von alters
her darauf besteht, Eheverträge aufzusetzen – dann tut es mir leid“, ergänzte er
tatsächlich kopfschüttelnd. „Aber keiner von uns möchte einer Scheidung
beiwohnen, und garantiert keiner von uns möchte dies, wenn alles ungeregelt und
chaotisch ist. Es ist reine Form. Und Rose erhält eine Abfindung. Eine überaus
großzügige, vollkommen rechtssichere Abfindung“, sagte er dann. „Um also noch
einmal auf diese Worte einzugehen“, schloss er, während er sie aus seinem Blick
entließ, und Harry nun nachsichtig ansah, „von mir aus, läuft alles
zivilisiert. Ich bin nicht derjenige, der schreit“, ergänzte er eindeutig, und
Hermine nahm an, er sprach von Ron.
Als
wären sie ein dummer Haufen Trolle, der sich nur aufregen konnte und den Wert
des Goldes nicht begriff. Und Harry enttäuschte sie nicht, natürlich nicht.
Harry Potter enttäuschte nie.
„Ron
ist nicht hier, und… er kommt auch nicht.“ Hermine wünschte sich, Harry hätte
den Mund gehalten. Wirklich. Denn wie sah es aus? Zuerst runzelte er die Stirn,
bevor sein Blick schließlich fiel. Und tatsächlich verhielt sich Draco Malfoy
vernünftiger als sie. Es war nervtötend.
„Das
tut mir leid“, sagte er dann, aber Hermine reagierte sofort.
„Glaub
mir, das muss es nicht. Wir verzichten auf dein Mitleid“, sagte sie bitter.
„Ich habe nicht erwartet, dass meiner Tochter irgendeine Sonderbehandlung
zuteilwird. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Familie hier auf irgendeine
Weise blamieren werde“, knurrte sie praktisch. Er schien dazu noch das ein oder
andere sagen zu wollen, aber Harry löste Probleme und vertiefte sie nicht.
„Dann
lass es gut sein“, sagte er ruhig, bestimmt. Und dann wandte er sich direkt an
Draco. Hermine wusste, Harry hatte sein eigenes Drama Zuhause. „Ich denke,
Albus wird nicht erscheinen. Ich weiß nicht, inwieweit du darüber-“
„-nicht
im Detail“, reagierte Draco sofort, fast schon… dankbar. „Scorpius ist nicht
unbedingt auf… detaillierte Gespräche mit mir versessen“, ergänzte er, und
Harry nickte, als wisse er, wovon Draco sprach. „Es ist eine unglückliche
Sache“, sagte er schließlich, und ja, so würde Hermine es auch nennen. Es war
unglücklich, weil Scorpius Malfoy ein Mistkerl war. In einfach jeder Hinsicht.
„Ich
denke, Albus wird drüber wegkommen, nur eben nicht… jetzt gerade“, schloss
Harry fast entschuldigend.
„Nun,
ein anderer Trauzeuge ist bereits gefunden“, erwiderte Draco seufzend. Harry
nickte wieder, und immerhin sorgte Harry jetzt für einen schmerzhaften
Themenwechsel, auf den Hermine auch getrost verzichten könnte.
„Danke
trotzdem für die Einladung“, erwiderte er schließlich seufzend, und Hermine
fixierte Malfoy weiterhin, freute sich über jede Falte um seine Augen, über
jeden Anschein der Sorge auf seiner Stirn, und sie fand ihn lächerlich, denn
seine Frisur schien sich der neuesten Mode zu beugen, und anscheinend versuchte
der sechsundvierzigjährige Draco Malfoy, sich weiterhin vorzumachen, dass er
Anfang dreißig war. Sein Dreitagebart war eine Nuance dunkler, als sein
Haupthaar, und mit verengten Augen suchte sie nach einem grauen Haar, nach mehr
Beweisen für sein eindeutiges Alter.
„Kein
Problem“, sagte er in Harrys Richtung, und es war bemerkenswert, dass er sich
auf den Smalltalk konzentrieren konnte. „Habt ihr die Zimmer schon gesehen?“,
stellte er eine sinnlose Frage.
„Ja,
alles sehr angenehm. Alter Familienbesitz?“, fragte Harry, und es war Hermine
ein Rätsel, wie er Malfoy als Menschen wahrnehmen konnte, mit dem man ernsthaft
Gespräche führte.
„Ja“,
bestätigte er, mit neutralem Blick auf das alte Gemäuer. „Ich meine, es war das
Exil von irgendeinem Malcolm-Ahnen aus dem elften Jahrhundert,
Muggel-Zeitrechnung, weit nach dem ersten Zeitalter“, fuhr er nachdenklich
fort. „Und als Sohn magischer Begabung war er von der Familie verstoßen und
hierhin ‚ausgelagert‘ worden, so erzählt es mein Vater“, schloss er knapp,
keine Sympathie in der Stimme. „Es hat den Besitzer häufiger gewechselt, aber
wegen einer Reihe an Zufällen, blieb es doch in der Familie“, ergänzte er
schließlich.
„Inzest
heißen diese Zufälle“, bemerkte sie spitz, ohne es verhindern zu können, und
sein grauer Blick fiel zurück auf ihr Gesicht. Seine Plauderstimmung fand ihr
Ende.
„Gut,
dass wir diese Tradition aufrechterhalten, nicht wahr?“, entfuhr es ihm glatt,
und Hermine wusste, er spielte wohl darauf an, dass die Weasley-Linie
irgendwann die Malfoy-Linie kreuzte sowie auch die Linie der Blacks die der
Weasleys unweigerlich kreuzte, und Hermine nahm an, alle alten
Reinblüter-Familien mussten zwangsläufig verwandt sein, und es ekelte sie an,
obwohl Rose und Scorpius mehrere Generationen weit von diesen Verbindungen entfernt
lagen. Er schenkte ihnen ein hohles Lächeln. „Wir sehen uns drinnen“, beendete
er das kurze Gespräch, und Harry verabschiedete sich höflich, aber Hermine sah
ihm lediglich mit abschätzendem Blick hinterher. Timothy hatte Mühe, zu folgen,
mit seinen Taschen und seinem Kampf gegen die Gezeiten hier oben.
„Ich
nehme an, das war nötig?“, wollte Harry ruhig von ihr wissen.
„Was?“,
entkam es Hermine defensiv. Aber sie wusste, was. Sie konnte tatsächlich nicht
anders. Sie hatte ihre Probleme mit Ungerechtigkeiten und Unterdrückung. Und
damit, dass sie verloren hatte. Gegen Scorpius Malfoy. „Ich bin hier“, entkam
es ihr mahnend. „Für Rose. Aber ich muss es nicht mögen, ich muss es nicht gut
heißen. Und ich muss mich mit dieser Familie garantiert nicht besser verstehen,
als unbedingt nötig. Und keine Sorge“, wandte sie ein, als Harry sprechen
wollte, „ich benehme mich. Aber verlang nicht von mir, dass ich auch nur eine
Sekunde so tue, als wäre es ein gutes Wochenende. Eine gute Sache. Denn das ist
es nicht.“
Zornig
hatte sie sich abgewandt, und wusste, sie konnte sich nicht mit Harry streiten.
Denn dann blieb ihr erstaunlich wenig übrig hier oben.
Hermine
kochte innerlich vor Zorn. Ausgerechnet. Ausgerechnet einen Malfoy wollte sie
heiraten. Jeder andere hätte es sein können, und Hermine meinte es wörtlich.
Absolut jeder andere wäre in Ordnung gewesen. Ein Zwerg, ein Troll, ein Kobold
aus Gringotts! Wirklich jeder!
Sie
hatte sich genügend Arbeit mitgebracht, um sich abzulenken. Und sie hoffte,
ihre Kaminverbindung reichte bis nach London.
Abwesend
blätterte sie wieder und wieder durch die starren Seiten Papier. Der funkelnde
Ring blitzte an ihrem Finger, und in Gedanken versunken, versuchte sie, die Worte
wieder zu lesen. Es war schon mal ein Vorgeschmack auf das, was sie gleich
erwarten würde.
„Alles
ok?“, fragte er hinter ihr, und ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr, dass
auch er fertig war, sich umzuziehen. Alles unterlag einem strengen Zeitplan.
„Mh“,
machte sie bloß und legte die Zusammenfassung des Vertrags zurück auf die
Kommode. Scorpius trat neben sie, sanfte Falten auf der Stirn.
„Es
ist der Vertrag, oder? Es stört dich?“, wollte er wissen, aber sie machte eine
knappe Kopfbewegung.
„Nein,
es stört mich nicht. Mir war klar, dass… dass ich so etwas würde unterschreiben
müssen“, erwiderte sie tonlos.
„Dann
was?“, erwiderte er fragend, sah sie an, aber sie wich seinem stechendem Blick
aus. „Rose“, beharrte er streng, und sie schüttelte sachte den Kopf.
„Es
ist nichts.“
„Dir
gefällt nicht, dass wir es vor der Hochzeit unterschreiben müssen? Es ist
reiner Pragmatismus. Ich habe nicht-“
„-Scorpius,
es geht nicht um den verdammten Vertrag!“, entfuhr es ihr gereizter, als
geplant. Er schwieg abrupt. Sein Ausdruck wurde finster.
„Es geht um deine Eltern?“, vermutete er jetzt – und ja. Sicher ging es
teilweise darum. Hilflos verdrehte sie die Augen. „Es war unmöglich mit deinem
Vater zu reden, Rose. Ich-“
„-ich
weiß“, beteuerte sie bloß. Ihr Vater sprach nicht mehr mit ihrer Mutter, und er
sprach auch nicht mehr mit ihr. Dann waren ihre Großeltern mütterlicherseits
ebenfalls nicht hier, weil ihre Mutter ernsthaft davon ausging, dass es zu
gefährlich war, Muggel und Reinblüter auf engstem Raum zu haben. Und ihre
Mutter hatte nicht wirklich das Wort ‚Reinblüter‘ benutzt. Albus war nicht
hier, weil Scorpius den Streit nicht beendet hatte. Dabei hätte es ihn nicht
viel gekostet. Er hätte seine Würde opfern müssen, aber dafür wäre Albus hier gewesen.
„Dann
sag es mir“, verlangte er bitter. „Was denkst du dann?“
„Gar
nichts“, wiegelte sie ab, wandte sich ihrem Spiegelbild zu und wusste, es würde
gleich anstrengend werden, weil sich ihre Mutter nicht beherrschen würde.
„Wir
wussten, dass es kompliziert werden würde. Und… vielleicht habe ich mich nicht
genug angestrengt, aber es ist nicht mehr zu ändern. Wir heiraten morgen“,
schloss er, fast gepresst, und noch war es nicht ganz zu ihr durchgedrungen,
aber ja. Sie würde ihn heiraten. Es gab keine Ausflüchte mehr. Er… könnte jetzt
nicht einfach abhauen, wenn er wollte, konnte nicht Schluss machen, wenn es ihm
zu viel wurde. Er war jetzt… an sie gebunden. Sie hob den Blick und sah seinem
Spiegelbild entgegen. „Wir müssen wieder runter“, erklärte er, fast
entschuldigend. „Schaffst du das?“
„Sicher
schaffe ich das“, entgegnete sie kopfschüttelnd.
„Gut“,
sagte er, und sie hasste, wenn er genervt war. Er schritt zur Tür, aber sie
hielt ihn auf.
„Liebst
du mich?“, flüsterte sie, und er hielt seufzend inne.
„Rose,
was soll die Frage?“ Steile Falten standen auf seiner Stirn.
„Antworte
mir doch einfach, anstatt alles zu hinterfragen“, fuhr sie ihn tatsächlich an,
und er kehrte mit gereizten Schritten zu ihr zurück.
„Ja,
ok? Sicher liebe ich dich, Merlin noch mal. Was für eine absolut dämliche
Frage!“, knurrte er.
„Küss
mich, Scorpius“, bat sie ihn, und seine Nasenflügel bebten.
„Wir
haben keine Zeit dafür. Die Unterzeichnung ist in fünf Minuten, und ich will
keinen Lippenstift auf-“
„-küss
mich, Scorpius“, wiederholte sie gnadenlos, und kurz arbeitete sein Kiefer
angespannt, ehe er beherrscht den Kopf senkte. Es war kein liebevoller Kuss. Es
war ein Schmatzer auf die Lippen.
„Ich
bin nervös, Rose. Du weißt, dass ich-“
Aber
sie hörte ihm nicht weiter zu, ergriff seinen Nacken mit beiden Händen und zog
sein Gesicht zu sich. Verlangend verschlossen ihre Lippen seinen Mund, und er
atmete abgehackt die Luft ein, als sie die Zunge zwischen seine Lippen schob.
Sie drängte sich an ihn, rieb sich an seinem Körper, und ganz so nervös, wie er
vorgab zu sein, war er wohl nicht, denn sein Penis hatte die Zeit, hart zu
werden. Er schob sie von sich.
„Rose!“, entfuhr es ihm mit weitem Blick, aber ohne Scheu sah sie zu ihm auf.
„Wir können nicht-!“, begann er hilflos, und jedes Mal, wenn sein Großvater in
der Nähe war, verwandelte sich Scorpius in einen untertänigen Enkel. Und das
störte Rose so immens, dass das hier eine reine Trotzhandlung war.
„-ich
bin noch nicht soweit, Scorpius“, informierte sie ihn eindeutig, griff nach
hinten und zog den Reißverschluss ihres Kleides tiefer. Sein Mund öffnete sich
stumm.
„Du…
du willst jetzt…?“, verließ die Frage unbeendet seine Lippen, und Rose
schüttelte das enge Etui-Kleid ihren Körper hinab. Kurz blinzelte er, versuchte
nicht, ihre bloßen Brüste zu betrachten, aber sie nickte entschieden.
„Ja“,
bestätigte sie. „Morgen bist du mein Mann, ich bin dann deine Frau, und ich
will dich jetzt“, bestätigte sie. Kurz sah sie, wie die Sorge in seinen Blick
trat, der Wunsch, nach unten zu gehen, den Plan einzuhalten, bevor sie den Mann
wieder erkannte, in den sie sich verliebt hatte. Ein anziehend dreckiges
Lächeln zerrte an seinen Mundwinkeln, und er löste mit geübten Griffen seine
Krawatte.
„Sicher?“,
erkundigte er sich rau bei ihr, und sie nickte scheinheilig, bevor er sie
erreicht hatte, seine Finger über ihre Brustwarzen rieben und er den Kopf
senkte, um sie mit seinen Lippen zu verwöhnen. Seine Zunge leckte hart, seine Zähne
bissen sanft zu, bis sich ihre Brustwarze aufrichtete, und sie stöhnen musste.
„Meine
Eltern… haben mir von dir abgeraten“, murmelte sie lächelnd, und sie spürte
sein Grinsen auf ihrer Haut. Kurz unterbrach er sein Spiel.
„Und?
Schon Zweifel bekommen? Noch kannst du rennen, weißt du?“, fragte er lauernd,
und zur Antwort suchten ihre Finger seine Gürtelschnalle. Seine Erektion pochte
bereits beständig, und eilig öffnete sie seine Hose.
„Mh…
ich weiß nicht“, murmelte sie lächelnd, und er richtete sich wieder zur vollen
Größe auf.
„Oh
ja?“, erwiderte er herausfordernd, ehe er sie aus dem Kleid hob, was um ihre
Knöchel lag, und sie zum breiten Bett trug, was akkurat gemacht war, fast zu
schade, um es zu zerstören. Fast. Er legte sie auf die Matratze und war keine
Sekunde später über ihr. Sie zog seine lose Krawatte aus dem Kragen und öffnete
die Knöpfe ungeduldig. „Scheinbar muss ich Überzeugungsarbeit leisten?“,
vermutete er grinsend, und sie nickte unschuldig.
„Ich
denke schon“, bestätigte sie, und seine Finger hakten sich in ihr Höschen, um
es über ihre Schenkel zu ziehen. Sein Blick sog ihren Anblick praktisch auf,
und wohlwollend fuhren seine Hände über ihren nackten Körper.
„Fuck.
Du bist so verdammt perfekt“, entfuhr es ihm gedankenverloren, und sie musste
lachen.
„Hör
auf zu reden!“, befahl sie ihm, und er befreite seine Erektion halbherzig, zog
nicht mal die Hose vollständig aus, spreizte ihre Beine weit, nur um in einem
geschmeidigen Zug zur Gänze in sie zu dringen. Ihr Kopf flog zurück, und sie
liebte es, wenn sie sich vereinigten. Er zog sich zurück, und unter keuchenden
Atemzügen rammte er sich wieder in ihre enge Hitze. Rose wusste, dass es
unanständig von ihr war. Dass sie eigentlich etwas mehr Verantwortung zeigen
sollte. Dass sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen musste, dass ihre
Familie ein handfestes Problem mit den Malfoys hatte, aber sie konnte nicht.
Sie musste das verdrängen. Sie wusste, ihre eigene Mutter hoffte wohl noch,
dass sie die Hochzeit absagen würde.
Sie
biss sich auf die Lippe, als Scorpius zwischen ihre Körper griff, ihre Klitoris
berührte, und ihr Höhepunkt in Reichweite rückte.
Rose
wusste, dass der Trotz sie handeln ließ, und es war nicht sonderlich erwachsen.
Sie wusste, dass die Malfoys rund einhunderttausend Galleonen für diese Feier
ausgaben, und anstatt, dass es ihr ein schlechtes Gewissen verursachte, erregte
es sie lediglich, es reizte sie praktisch dazu, sich leichtsinnig zu verhalten.
Sie kratzte über seine Kopfhaut, schlang die Beine um seine Hüften, und er kam
ihr zu einem hungrigen Kuss entgegen.
Es
half nicht, dass sie immer wieder zu ihren Eltern gerannt war, wann immer sie
sich nicht genug beachtet von Scorpius gefühlt hatte. Es half auch nicht, dass
sie sich nicht für die Beziehung ihrer Eltern eingesetzt hatte, dass sie
tatsächlich ihre Familie auseinander brachte, weil sie kein stummer Ekel
befiel, wenn sie an die Malfoys dachte.
Und
sie hatte Zweifel gehabt, natürlich hatte sie Zweifel. Sie war fünfundzwanzig
Jahre alt, und ihr war durchaus klar, was es bedeutete, sich an eine solche
Familie zu binden. Und Scorpius war nicht perfekt. Er war nicht immer treu
gewesen, war nicht reflektiert und reif. Aber die gewichtige Tatsache, dass sie
seit drei Wochen schwanger war und es niemandem gebeichtet hatte, hatte ihre
Entscheidung doch nachhaltig beeinflusst. Selbst, wenn er letzte Woche die
ganze Nacht weggeblieben wäre, und nicht nur bis drei Uhr morgens, wäre sie
heute hier aufgetaucht und würde den beklemmenden Vertrag unterschreiben.
Und
wenn sich ihre Mutter mit seinem Vater hier und heute duellierte – sie würde
ihn morgen trotzdem heiraten. Sie dachte jetzt an sich, nicht an die anderen.
Sie dachte an das ungeborene Kind, und dass sie auf keinen Fall nicht mit dem
Vater verheiratet sein wollte, wäre es soweit.
Sie
hatte gesehen, wie schwer es für Dom war, alleinerziehende Mutter zu sein.
Und
das wollte sie nicht. Sie liebte Scorpius, natürlich. Sie liebte ihn über
alles! Und dass er bereit war, sich überhaupt auf diese Weise an sie zu binden,
machte sie unfassbar glücklich. Aber es gab ihr auch das Gefühl von Sicherheit,
was sie dringend brauchte.
Grollend
zog er den Kopf zurück, stöhnte laut und ungehalten, als er sich in ihr ergoss.
Seine Hüfte bockte noch einmal nach vorne, pinnte sie tief in die Matratze, und
sie klammerte sich an ihn, als sie ebenfalls die Wellen spürte. Kurz lagen sie
still, ineinander verschlungen, bevor er sich regte und von ihr stieg.
„Verhütungszauber?“,
fragte er sie, den Blick zufrieden und träge, während er versuchte seine Haare
zu ordnen, und dann Richtung Badezimmer schlurfte.
„Ich
kümmer mich“, versprach sie lächelnd, aber ihr Lächeln schwand, als er mit
hochgerecktem Daumen im Badezimmer verschwunden war.
Ja, das
hatte sie auch versprochen, in der Nacht, als sie höchstwahrscheinlich
schwanger geworden war. Sie hatte den Verhütungszauber schlicht und ergreifend
vergessen gehabt. Und sicher, sie könnte das Kind magisch ohne Probleme
entfernen lassen, aber… sie wollte nicht. Sie wollte es behalten. Sie wollte es
bekommen. Sie wollte eine Familie mit Scorpius Malfoy. Vor drei Wochen hatte
sie einen hysterischen Anfall bekommen, war kurz davor gewesen, ihre Mutter
über Floh zu erreichen, bevor sie durchgeatmet hatte. Bevor sie darüber
nachgedacht hatte, was ihre Optionen gewesen waren.
Und
wenige Tage vor dieser Schreckensnachricht hatte Scorpius ihr den Antrag
gemacht, nachdem sie ihm wie schon hunderte Male zuvor gedroht hatte, ihn zu
verlassen. Und noch war sie ihm eine Antwort schuldig gewesen. Und anstatt ihre
Mutter anzuflohen, hatte sie gewartet, bis Scorpius von seinem Männerabend
wieder zurückkam, und hatte ihm dann zugesagt. Sie hatte ihm zugesagt, dass sie
ihn würde heiraten wollen.
Kurz
war er überrascht gewesen, ein wenig überrumpelt, aber dann hatte er aus seinem
Zimmer den Ring geholt und ihr an den Finger gesteckt.
Und
am nächsten Morgen hatte sie ihre Mutter über Floh angerufen und ihr die
freudige Nachricht mitgeteilt.
Das
war vor drei Wochen gewesen, und Scorpius hatte wohl alle Räder in Bewegung
gesetzt, sie so schnell wie möglich unter den teuersten Voraussetzungen zu
heiraten. Ganz entgegen den Wünschen seiner Großmutter, die mit der Verbindung
ebenfalls nicht einverstanden war, und dann erst recht nicht mit so einem
kurzfristigen Termin. Scorpius‘ Vater hatte sich um nicht viel gekümmert, denn
Scorpius war direkt an seinen Großvater herangetreten und hatte ihn gebeten,
die beste magische Hochzeit für ihn auszurichten, denn er wolle seine Braut so
schnell wie möglich ehelichen.
Und
anders konnte sie es nicht sagen: Lucius Malfoy hatte sein Versprechen
gehalten. Es war ein unglaubliches Schloss, ein unglaublicher Aufwand. Und
jetzt wurde es Zeit, dass sie unten auftauchten, bevor ihre Mutter noch irgendwann
die Tür aufbrechen würde.
Rose
wusste nicht, wie lange sie dieses Geheimnis noch hüten würde. Sie wusste
nicht, was es ihrem Vater antun würde, es zu wissen, aber sie glaubte,
wesentlich schlimmer konnte es nicht werden. Sie glaubte auch, dass ihre Eltern
sich wieder vertragen würden. Sie waren zwei Hitzköpfe, und es wäre nicht der
erste Streit. Das war die einzige Hoffnung, die sie hegte, weswegen sie nicht
einfach heulend zusammengebrochen war, als ihre Mutter ihr eröffnet hatte, dass
sie und ihr Dad nicht mehr sprachen, und dass ihr Dad vorläufig ausgezogen war.
Rose kannte es schon.
Sie
konnte nicht für das Verhalten ihrer Eltern verantwortlich sein. Sie musste
sich jetzt um ihr eigenes Leben kümmern. Ab morgen wäre sie Rose Malfoy. Und
für eine Sekunde schlug ihr Herz unfassbar schnell. Sie wäre Rose Malfoy!
~*~
Sie
kamen zu spät.
Und
Hermine wurde immer nervöser. Sie war wahrlich kein Veteran, hatte keine
posttraumatische Kriegsstörung, aber vielleicht lag es auch daran, dass sie
sich für gewöhnlich nicht mit den ehemaligen Staatsfeinden traf und Verträge
unterzeichnete. Im Moment waren sie zu viert, und Hermines Blick war bereits
auf die verschiedenen Papierstapel gefallen. Innerlich hoffte Hermine ja, dass
Rose bereits ihre Koffer gepackt hatte und abgereist war. Sie vernahm das
Treiben draußen dumpf hinter den schweren, alten Türen. Es schien einst eine
Art Speisesaal gewesen zu sein. Altertümliche Rüstungen reihten sich an der
einen Wand, abscheuliche Portraits an der anderen. Die Portraits waren magisch
und betrachteten die Szene mit angewiderten Blicken. Lucius Malfoy war in
einige Unterlagen vertieft und Timothy sprach verhalten mit Malfoy. Es waren
keine weiteren Berater da, auch Narzissa wohnte dem Termin nicht bei. Wenn
Hermine richtig verstanden hatte, war Narzissa ähnlich begeistert, wie sie es
war. Hermine saß auf der anderen Seite des langen Tisches, alleine. Wie ein
unerwünschter Gast, ein Feind hinter den Linien. Lucius war schrecklich alt
geworden, und alles, was Hermine dachte, war, dass dieser Mann
höchstwahrscheinlich immer noch das Mal auf seinem Unterarm trug. Sie dachte
daran, dass sie gegen diese Familie im Krieg gekämpft hatte. Dass diese Familie
Voldemort Unterschlupf gewährt hatte, und dass wegen dieser Familie allein,
tausend Menschen den Tod gefunden hatten.
Unter
dem Tisch ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Dass Ron sie alleine ließ war
unverzeihlich, und sie würde es ihm auch niemals verzeihen. Niemals.
Es
kam ihr vor, wie ein Tag im Ministerium mit der Inneren Abteilung.
Anzugtragende Vollidioten, die dem Gold huldigten. Ihr war so schrecklich
schlecht. Langsam wurde es dunkel draußen, und das Feuer im Kamin auf der
linken Seite warf obskure Schatten auf den Boden.
Sie
hatte ihre Tochter noch nicht gesehen. Rose war irgendwann angekommen, nachdem
sie und Harry zurück ins Schloss gegangen waren, um Ginny zu treffen. Und Rose
hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, Hermine zu finden, sie zu begrüßen –
nein. Rose lebte nur noch für Scorpius Malfoy.
Hermines
Mundwinkel zuckten nach unten. Einmal zu oft hatte Rose weinend vor ihrer Tür
gestanden, den Namen Malfoy verflucht, wie es sich gehörte, weil Scorpius
wieder einmal nicht nach Hause gekommen war, wieder einmal nach fremdem Parfüm
gerochen hatte, wieder einmal ein Arschloch gewesen war, das sie schlechter
behandelte, als die Hauselfen, die laut der Malfoys in deren Haus eine
vorzügliche, unvergleichbare Behandlung bekamen. Hermine bezweifelte das. Sehr,
sehr stark.
Aber
sie war klug genug, zu wissen, dass sie ihrer Tochter verbieten konnte, was
auch immer sie wollte, aber es würde keine durchschlagende Wirkung haben.
Rose
wollte diesen jungen Mann heiraten, entgegen jeder Zweifel, entgegen aller gut
gemeinten Ratschläge der gesamten Familie. Und deshalb würde Hermine verdammt
noch mal nichts dagegen ausrichten können.
Sie
sah ja, was mit Ron passiert war. Rose hatte ihn eiskalt ausgeschlossen, nahm
billigend zur Kenntnis, dass ihr eigener Vater keine Rolle bei dieser Hochzeit
spielte, weil er seine Meinung geäußert hatte.
Zugegeben,
Ron hatte eine sehr bestimmte Meinung, und die kollidierte überwiegend mit
Roses Meinung, und Hermine hatte versucht, Ron begreiflich zu machen, dass Rose
nicht zuhören, und dass sie unter keinen Umständen von diesem Plan ablassen würde.
Hermine
hatte inständig darauf gehofft, dass Scorpius kalte Füße bekäme, seine Freiheit
dahin schwinden sah, irgendetwas in der Art. Bis gestern Abend hatte sie
gebangt und gewartet, ob es nicht vielleicht klopfen würde, ob ihre hübsche
Tochter, nicht mit verweinten Augen in ihre Arme fallen würde, um ihr wieder
einmal zu erzählen, was für ein Mistkerl Scorpius Malfoy war, und wie sie hatte
so dumm sein können, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, seine Frau zu
werden.
Aber so
war es mit den Sekunden. Manche brauchten eine Sekunde, um wieder aufzuwachen,
zu sehen, was es für ein immenser Fehler war, andere brauchten eine Sekunde, um
für sich zu entscheiden, dass es genau das richtige ist. – Was es nicht war.
Rose irrte sich. Und höchstwahrscheinlich würde sie dann Hermine anschreien und
ihr vorwerfen, was sie für eine schlechte Mutter wäre, dass sie sie an diesem
Tag nicht aufgehalten hatte. Sie biss die Zähne fest zusammen.
Aber
selbst wenn Rose sie anschließend hassen würde, sollte sie wieder zur Vernunft
kommen, Hermine hatte sich nichts vorzuwerfen. Lieber saß sie genau hier, an
einem Ort, an dem sie nicht sein wollte, bei dem sie das Bedürfnis verspürte,
Bannzauber zu sprechen und schreiend wegzulaufen, als auch nur eine Sekunde zu
verpassen. Denn sie würde recht behalten. Sie behielt meistens recht.
Ihre
Gedanken wanderten, und Hermine erinnerte sich an den Tag, an dem Rose zum
ersten Mal von Scorpius erzählt hatte. Sie war fünfzehn gewesen, und Hermine
hatte zum ersten Mal aktiv mitbekommen, dass Scorpius Malfoy als Date für den
Winterball in Frage gekommen war! Merlin!
Sie
hoffte nur, dass Draco Malfoy ähnliche Wellen der Übelkeit empfunden hatte –
und noch immer empfand, egal, wie gut er sich verstellte! Egal, wie gut er das
magische Aristokraten-Spiel hier auch spielte!
Und
an diesem Tag hatte sie ihren ersten großen Streit mit Ron über die Malfoys
gehabt. Und natürlich war Rose mit Scorpius Malfoy zum Ball gegangen. Sie hatte
Hermine alles im nächsten Brief haarklein berichtet. Hermine wusste auch vom
ersten Mal ihrer Tochter, mit besagtem jungen Mann. Scorpius Malfoy hatte
genügend Schaden in ihrer Familie angerichtet, und das nicht erst seit gestern.
Er war auch der erste Junge gewesen, der ihre Tochter zum Weinen gebracht
hatte, nachdem er sie sitzen gelassen hatte, um mit irgendeiner reichen
Slytherin anzubandeln. Das war im sechsten Jahr gewesen. Rose war untröstlich
gewesen, war in regelrechte Depressionen verfallen, bis sie die
vielversprechende Beziehung zu Troy Ferrars eingegangen war, einem
verantwortungsbewussten Gryffindor, Schulsprecher des höheren Jahrgangs.
Doch
kaum hatte diese Beziehung die Monatsgrenze überschritten, war alles Glück
vorbei. Scorpius war anscheinend vor Eifersucht vergangen, hatte seine reiche
Freundin verlassen, um sich dann mit Troy zu schlagen, was darin gegipfelt war,
dass Rose den vielversprechenden Jungen verließ, nur um schon wieder eine
lächerliche Beziehung zu Scorpius Malfoy zu beginnen.
Hermine
glaubte nicht, dass sie während Roses siebten Jahres auch nur eine Nacht ruhig
geschlafen hatte. Ron war regelmäßig ausgerastet, hatte sich mit Rose mehr als
ein Dutzend Male angelegt, ihr verboten, Scorpius Malfoy zu sehen, was
natürlich nichts gebracht hatte.
Rose
war ein stures Mädchen. Dann hatte Hermine Hoffnung geschöpft, denn Scorpius
hatte sich sehr auf seine Leistungsarbeit konzentriert, denn konnte man es
glauben, der Malfoy-Junge war Schulsprecher geworden. Rose hatte nicht einmal
den Posten der Vertrauensschülerin erworben, was Hermine allerdings nicht den
Schlaf geraubt hatte. Scorpius wollte seinen Ohnegleichen-Schnitt halten, wie
Rose Hermine in einem ihrer endlos langen Briefe berichtet hatte, und hatte
demnach keine Zeit mehr für sie gehabt, und ihrer Tochter war langweilig
geworden.
Und
kurz hatte es wohl eine Trennung gegeben. Zu kurz allerdings, als dass Hermine
die Partyhüte hätte verteilen können, denn anscheinend hatte Scorpius den
Entschluss gefasst gehabt, Rose unter keinen Umständen aufzugeben.
Von
Rose wusste sie, dass er deshalb keinen reinen Ohnegleichen-Schnitt vorzuweisen
hatte, was Hermine auf seltsame Weise sehr befriedigte, und immerhin hatten sie
und Ron es fertig gebracht, in den drei Jahren On-Off-Beziehungsdrama, nicht
ein einziges Mal mit den Malfoys in Kontakt zu treten.
Die
wenigen Male, die Scorpius an Weasley-Familienfeiern teilgenommen hatte, ließen
sich an einer Hand abzählen, und es war auch besser so.
Sie
wusste im Nachhinein nicht, wie diese Beziehung überhaupt hatte halten können.
Nach Hogwarts hatte Scorpius in der Liegenschaftsabteilung im Ministerium die
Ausbildung zum Finanzwalter begonnen, mit hervorragenden Aufstiegschancen, denn
die höchste Position dieser Abteilung belegte Lucius Malfoy. Wen auch immer er
hatte bestechen müssen, um dieses Amt zu ergattern. Rose hatte die
Auroren-Ausbildung begonnen, was Hermine löblich, wenn auch abwegig, gefunden
hatte, aber ihre Tochter hatte sie nicht enttäuscht, und diese schnell wieder
abgebrochen. Rose hatte nie Interesse an Auroren gezeigt, also wäre es
unwahrscheinlich gewesen. Danach hatte sie in die Strafverfolgung zu einem
Schreibtischjob gewechselt, hatte die magische Vollzugsausbildung auch
tatsächlich beendet, nur um dieses Jahr dann doch überraschend zu kündigen, und
jetzt war sie – wie sie es nannte – auf der Suche. Auf der Suche nach was,
wusste Hermine nicht. Rose wahrscheinlich auch nicht.
Zwischenzeitlich
waren sie und Scorpius zusammen gezogen. Vor etwa einem Jahr, was bei Ron zu
einem Herzvorfall geführt hatte, weswegen er zwei Wochen im Mungo hatte liegen
müssen. Er hatte sich nicht mehr beruhigen können, hatte tagelang geschrien,
bis sein Blutdruck so gefährlich in die Höhe geklettert war, dass er plötzlich
keine Luft mehr bekommen hatte und zusammengebrochen war.
Es
waren gute Jahre gewesen, wirklich. Und erst seit letztem Jahr war Rose immer
wieder Zuhause aufgetaucht, verweint, verzweifelt, denn Scorpius Malfoy war
nicht treu und er war nicht nett. Das zumindest wusste Hermine. Er nahm sich,
was er wollte, koste es, was es wolle.
Er
hatte Rose erst vor sieben Monate mit irgendeiner Hexe seiner Abteilung
betrogen, Hermine wusste die Details nicht, denn Rose hatte es nicht ausführen
wollen. Anschließend war Rose bei ihnen eingezogen, und Hermine hatte Hoffnung
geschöpft. Blinde, zaghafte Hoffnung, dass das Leben endlich wieder lebenswert
werden würde. Und dann hatte die schlimmste Zeit begonnen.
Scorpius
hatte sie praktisch täglich heimgesucht. Blumen, Pralinen, Goldgeschenke –
einen Hippgreif, Merlin noch mal! Er hatte die ganze Mannschaft der
Sheffield-Shooters für einen Tag gebucht, damit sie ein Match in ihrem Garten
spielen konnten. Und Rose war standhaft geblieben, hatte ihm nicht verziehen,
und Hermine war dankbar gewesen, für den unbrechbaren Stolz ihrer Tochter.
Aber
dann war Scorpius zu ihr gekommen – in ihr Büro, am helllichten Tag. Er hatte
geweint, hatte geschrien, hatte sich auf jeden Handel mit ihr einlassen wollen,
und Hermine hatte in diesen zwei Wochen so viel Malfoy-Kontakt gehabt, dass es
für ein ganzes Leben reichte. Sie hatte ihm erklärt, dass er selber schuld war,
dass das die Konsequenz seines Handelns wäre, und dass man sich zweimal
überlegen sollte, mit wem man schliefe.
Aber
er hatte es nicht hören wollen, hatte sie mit dutzenden Briefen belästigt, die
sie alle widerwillig ihrer Tochter übermittelt hatte.
Und
die Geschenke hatten nicht aufgehört. Ron hatte gewütet, hatte getobt – war
nahe seinem zweiten Herzanfall gewesen, und erst, als Scorpius Malfoy in ihrem
Garten ein Zelt aufgeschlagen hatte, hatte sich Draco eingemischt.
Und
sie glaubte, dass Draco Malfoy alles in seiner Macht stehende versucht hatte,
seinen Sohn fernzuhalten. Sie nahm an, er hatte ihm sämtliche junge Frauen
versprochen, alles Gold der Welt, wenn Scorpius nur wieder zur Vernunft käme.
Es hatte sogar eine Art Aussprache gegeben, in der Ron und Draco einen Plan
entworfen hatten, die Kinder zu trennen, dauerhaft. Draco hatte Scorpius ins
Ausland schicken wollen, hatte ihm dort schon eine Stelle beschafft, hatte ihn
gefügig machen wollen, aber sein Sohn hatte nichts davon hören wollen, hatte
lieber in ihrem Garten im Zelt genächtigt, als auch nur eine Nacht von Rose
getrennt zu sein. Drei Wochen lang.
Es
war so anstrengend gewesen, dass Hermine ernsthaft überlegt hatte, die Strafverfolgung
einzuschalten, aber Rose hatte das verhindert. Sie hatte gesagt, sie wolle
Scorpius nicht mehr sehen, aber sie wolle ihn nicht verhaften lassen. Sie hatte
gemeint, er könne nicht viel länger in ihrem Garten bleiben wollen. Es wäre
eine Frage der Zeit, und dass sie es aussitzen würde.
Ron
hatte täglich Beruhigungszauber anwenden müssen, um nachts nicht Scorpius‘ Zelt
zu stürmen, und ihn zu verfluchen. Aber auch er hatte die Zielgerade praktisch
sehen können. Nicht mehr lange. Nicht viel länger, und Rose hätte gesiegt.
Scorpius würde seinen Stolz wiederfinden und endlich verschwinden. Für immer.
Und
das Ende dieser Geschichte kannte Hermine nicht wirklich. Nur aus zweiter Hand.
Sie nahm an, Draco hatte letztendlich die Notbremse gezogen und Scorpius
gedroht, ihn aus dem Testament zu streichen, sollte er sich weiterhin so
lächerlich benehmen, denn von einem Tag auf den nächsten war das Zelt in ihrem
Garten verschwunden. Ron war erleichtert gewesen, Rose war es nicht.
Das
hatte Hermine schon zu denken gegeben, aber sie hatte nicht fragen wollen,
hatte es nicht forcieren mögen.
Sie
wusste, dass Scorpius in dieser Zeit viel getrunken hatte, Strafberichte der
Nachtstaffel hatten die Runde im Ministerium gemacht, und Scorpius Malfoy war
in mehr als einer betrunkenen Kneipenschlägerei der Winkelgasse involviert
gewesen, aber die Malfoys hatten Mittel und Wege, seinen Namen aus der Presse
zu halten. Jedenfalls kam es in dieser Zeit irgendwie dazu, dass Scorpius
scheinbar aus Verzweiflung Albus‘ Freundin ausgespannt hatte, dabei war Albus
wohl seine einzige Allianz gewesen, der letzte Freund aus der Familie. Nie ein
guter Freund, aber doch Freund genug, dass man so etwas wohl nicht tat. Das war
vor drei Monaten passiert.
Rose
hatte diese Neuigkeiten ähnlich schlecht aufgefasst, wie Albus, nur hatte Albus
Scorpius aufgesucht, und ihn scheinbar grün und blau geschlagen, was zu einer
unpassenden Verurteilung des jüngsten Potter-Sohns, mit anschließender
Sozialarbeit geführt hatte, bei Scorpius hingegen zu einem Mungo-Aufenthalt,
wegen mehrerer Knochenbrüche, und, wusste Merlin, warum, hatte Rose ihn dort
besucht.
Hermine
begriff es nicht. Wirklich nicht. Sie wusste nur, seitdem hatte Albus keinen
Kontakt mehr zu Scorpius, und Rose… Rose war Zuhause ausgezogen, um wieder in
die gemeinsame Wohnung zurückzuziehen, weil Scorpius anscheinend Hilfe
brauchte, denn er lief auf Krücken, nach einem komplizierten Bruch, den Magie
nicht direkt zu heilen vermocht hatte. Hermine glaubte, Scorpius hatte gelogen,
hatte Roses Mitleid ausgenutzt, damit sie sich genötigt sah, wieder bei ihm
einzuziehen. Zuerst hatte Rose behauptete, es wäre freundschaftlich, da sie
Scorpius nicht mehr vertrauen wollte.
Allerdings
war von Albus‘ Exfreundin nie wieder die Rede. Anscheinend war es eine einmalige
Sache, wie so viele Sachen für Scorpius Malfoy.
Hermine
hatte wieder jede Hoffnung verloren, nur Ron hatte kämpfen wollen, hatte Rose
zurückholen wollen, hatte diese verfluchte Beziehung der beiden nicht wieder
aufleben lassen wollen.
Aber
Hermine hatte ihm klar gemacht, dass er auf verlorenem Posten kämpfte. Dann kam
es zu so einem großen Krach, dass Hermine für eine Woche zu ihren Eltern
gezogen war, da sie nicht mehr ertragen konnte, über die Beziehung ihrer
Tochter zu streiten.
Ron
hatte sich anschließend entschuldigt, geschworen, sich zu bessern, sich Hilfe
zu suchen – was er nie getan hatte. Und als Rose eines Abends vor zwei Monaten
zu ihnen kam – und Hermines Hoffnungen hatten sich schnell zerschlagen, denn
sie hatte nicht geweint - und ihnen
erklärt hatte, dass sie und Scorpius nun glücklicher als jemals zuvor seien,
hatte Ron das Haus verlassen, ohne ein weiteres Wort.
Er
hatte den Kontakt zu seiner Tochter abgebrochen, bis zum heutigen Tag. Hatte
von Hermine verlangt, ebendies zu tun, seinem Beispiel zu folgen, und Rose so
mit emotionaler Erpressung zu zwingen, Scorpius zu verlassen.
Erfolglos,
natürlich. Hermine war nicht dumm.
Sie
war vollkommen machtlos, und deshalb saß sie heute hier. Vor etwa drei Wochen,
zu der Zeit, als Rose Hermine von der Verlobung berichtet hatte, war Ron
schließlich aus ihrem Haus ausgezogen.
Und
das war ihr Leben.
Sie
hatte begonnen, ihre Wut zu verdrängen, sich gänzlich auf ihre Arbeit zu
konzentrieren, um irgendwann den Ministerposten zu ergattern. Und sie leistete
einen guten Job. Hervorragend, wenn man so wollte.
Sie
ignorierte das Leben ihrer Tochter tagsüber, machte sich vor, dass alles in
bester Ordnung wäre – aber nachts… da war es schwerer. Da war es fast
unmöglich. Ginny erzählte sie nichts von ihren Ängsten. Sie machte schnippische
Bemerkungen, wann immer Ginny über Roses komplizierte Beziehung sprach, und
Hermine tat so, als wäre es kein Problem.
Ginny
hatte kein Verständnis für Ron, und nach der Trennung hatte sie Hermine sogar
gesagt, dass es vielleicht das Beste wäre, dass Ron auszog. Dass die Welt nicht
unterging, wenn Rose einen Malfoy heiratete.
Und
nein. Natürlich ging die Welt nicht unter.
Es
war einfach nur nicht mehr lebenswert und anstrengend.
Aber
Hermine vertraute ihrer Tochter einfach, dass sie schon wissen würde, worauf
sie sich einließ. Wie viele Schmerzen sie ertragen konnte, und was eben nicht.
Und wenn es Scorpius Malfoy war, der das Herz ihrer Tochter komplett
vereinnahmt hatte, dann… war es so. Hermine wusste nicht viel von epischer
Liebe, die einen zu unaussprechlichen Dingen zwang, sie wusste nichts von
diesem eigenartigen Verlangen, was selbst die schlimmsten Erfahrungen
überschattete, aber sie wusste, dass Rose und Scorpius dieses Spiel seit zehn
Jahren spielten, und anscheinend war es so, dass sie weder mit noch ohne
einander konnten. Hermine war rational, belastete sich nicht mit diesen Dingen
und war auch froh, dass sie es nicht musste – aber sie liebte ihre Tochter. Und
das bedeutete, dass sie es ertragen musste, was auch immer kam. Selbst die
Malfoys.
Sie
wusste, Ginny war manchmal neidisch, liebte die Geschichten und das Drama, und
manchmal, in dunklen Stunden, wünschte sich Hermine, dass es Ginnys Tochter
wäre, die all diese Entscheidungen traf, die dieses Leben lebte. Und manchmal
würde Hermine gerne tauschen. Lily gegen Rose. Nur manchmal, nur wenn die
Realität zu dunkel und schmerzhaft wurde. Nur dann. Und im Licht des nächsten
Tages bereute sie diese Gedanken.
Und
manchmal fragte sie sich auch, von wem Rose diese Eigenschaft hatte, sich das
Glück zu verwehren, sich in diese komplizierten, schmerzhaften Dinge zu
verwickeln, und Hermine tippte auf Ron. Nicht auf sich selbst. Niemals auf sich
selbst. Rose war nicht wie sie. So war Hermine nie gewesen. Niemals! Das zumindest
versicherte Hermine sich selbst.
Und
dann hob sich ihr Blick, und fast traten Tränen in ihre Augen. Nach kurzem
Klopfen, betrat Hugo den Saal. Ihr Sohn hatte wohl endlich die doppelte Schicht
im Mungo hinter sich gebracht. Hermine erkannte Hugos Lächeln von hier aus, und
Hugo war anders. Er unterstützte jede Entscheidung, die seine Schwester traf.
Und
insgeheim war Hermine dankbar dafür, dass zumindest einer aus ihrer Familie die
Weitsicht und Weisheit besaß, nicht auszuflippen, sondern einfach zu erdulden,
was auch immer kommen mochte.
„Schönen
Abend. Harry sagt, ihr wärt hier. Ich dachte, ich nehme einfach mal teil“,
begrüßte er die wenigen Anwesenden, schüttelte jedem die Hand, bis er zu ihr
kam, sich zu ihr neigte und ihre Wange küsste. „Hey Mum“, murmelte er und
schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie konnte nicht sprechen, wollte mit
Worten nichts zerstören und schenkte ihrem Sohn einfach ein schmales Lächeln.
Er war blitzgescheit und ihr ganzer Stolz. Ohne Frage, ohne Zweifel.
Und
endlich öffnete sich die Tür ein zweites Mal.
„Entschuldigt“,
begann Scorpius sofort, und kalter Ekel befiel Hermine, wie immer, wenn sie die
kleine Made sah. Er sah seinem Vater so ähnlich, so widerlich ähnlich. Rose
schloss strahlend den Abstand zu Hugo, schloss ihn in ihre Arme, bevor ihr
Blick auf sie fiel. Ihr Ausdruck kühlte sich ab, und Hermine wusste, es war
kompliziert. Aber dennoch erhob sie sich und umarmte ihre Tochter. Zaghafter,
unwilliger, als sie es bei Hugo getan hatte, aber sie tat es nichtsdestotrotz.
Schnell ließ sie aber von ihr ab, denn Scorpius‘ Geruch klebte praktisch an
Roses gesamtem Körper, und Hermine wollte sich nicht ausmalen, weshalb beide zu
spät gekommen waren. Es war widerlich.
„Dann
können wir anfangen“, beschloss Timothy mit großzügigem Lächeln, aber Hermine
erwiderte es nicht.
„Bitte“,
entkam es Lucius mit Nachdruck, und dann verlas der Beamte den Vertrag. Rose
erhielt keinerlei Ansprüche auf die Grundstücke und Immobilien, die sich bisher
in der Familie befanden und würde einen solchen Anspruch auch nur dann
erhalten, sofern sie und Scorpius zusammen Eigentum erwerben würden. Hermine
nahm nicht an, dass das passierte, denn Rose und Scorpius wollten schließlich
alten Familienbesitz beziehen. Sie bekäme kein Haus. Hugo fragte an einigen
Stellen wieder und wieder nach, aber zur Verhandlung stand keiner der Punkte.
Die Entschädigungssumme war siebenstellig und überschritt Hermines Jahresgehalt
um das Doppelte, wenn nicht mehr. Kurz schwirrte Hermine der Kopf, aber Rose
schien es nicht einmal zu interessieren.
Hermine
konnte fast spüren, wie kollektiv der Atem angehalten wurde, als Timothy in die
Runde fragte, ob alle Anwesenden soweit einverstanden waren, mit den
vorgelegten Konditionen und Malfoys Blick ruhte auf ihrem Gesicht, aber Hermine
fixierte Rose. Diese strahlte in Scorpius‘ Richtung, und es gab keinen Grund
für Hermine, um irgendwelche Rechte zu kämpfen. Sie wollte gar nichts von dem
Vermögen der Malfoys haben, und sollte Rose einen Millionenbetrag geschenkt
bekommen, wenn sie keine Lust mehr auf Scorpius hatte – umso besser.
„Dann
reiche ich zur Unterschrift“, schloss Timothy fast erleichtert, und zuerst
unterschrieb Scorpius, nur um die Feder Rose zu reichen. Ihre Tochter ergriff
die dokumentenechte, pechschwarze amtliche Feder mit ruhiger Hand. Sie tauschte
einen Blick mit Scorpius, und Hermine konnte ihren Ausdruck nicht erahnen. Rose
zögerte! Sie zögerte, und Hermines Herz klopfte vor Aufregung. Aber anscheinend
kam Rose zu irgendeiner mentalen Entscheidung
- und dann setzte sie die Feder aufs Papier. Sie zeichnete ihren
Namenszug, und alle Aufregung verließ Hermine, und zurück blieb nur ein
Gewicht, schwer wie tausend Tonnen. „Wunderbar, das war es schon. Ich wünsche
allen einen schönen Abend. Das Brautpaar sollte sich gut erholen, der Tag
morgen wird anstrengend werden“, prophezeite Timothy, und Hermine wollte ihn am
liebsten verfluchen. Lucius erhob sich als erster, sprach noch kurz mit Malfoy,
bevor er sich verabschiedete. Von Scorpius, nicht von Rose. Auch Hugo erhob
sich, schüttelte Scorpius‘ Hand und Rose drückte ihn noch mal grinsend an sich.
Die jungen Leute besprachen sich, wollten die Sauna in den Kellern aufsuchen,
und Hermine saß steinern auf ihrem harten Stuhl. Rose, Hugo und Scorpius
verließen gemeinsam den Raum, nachdem Hugo sich bei ihr vergewissert hatte, ob
alles in Ordnung war, und Hermine steif nickte. Timothy fasste die Dokumente
sauber zusammen und steckte sie in einen dicken Umschlag, den er magisch
versiegelte. Er und Malfoy verabschiedeten sich, und auch Malfoy verblieb auf
seinem Stuhl. Sein Blick war auf die blanke Tischplatte gerichtet.
Und
irgendwie wollte sie nicht, dass er sie ansah. Rose hatte unterschrieben und jetzt
fehlte wirklich nicht mehr viel. Ihr wurde plötzlich klar, sie kämen nicht mehr
aus der Sache raus, und vielleicht dachte Malfoy ähnlich.
Es
war so endgültig. Ohne ein Wunder wäre sie jetzt mit dieser Familie verbunden,
durch ihre starrsinnige Tochter. Und dass Ron gegangen war, die Familie
verlassen hatte, weil er es nicht mit sich hatte vereinbaren können, zu
bleiben…- kam ihr heute im Licht des schrecklichen Tages vielleicht
nachvollziehbarer vor.
Aber
sie waren nicht mehr vierzehn Jahre alt. Man konnte sich nicht mehr ohne Folgen
aus der Verantwortung ziehen.
Und
vielleicht hätten sie mehr tun müssen, hätten Rose den Kontakt mit zehn Jahren
verbieten sollen. Vielleicht….
Ron
war fort. Eingetauscht gegen Scorpius Malfoy und seine Familie.
Malfoys
Blick hob sich, als sie es nicht schaffte, das leise Schluchzen zu
unterdrücken, aber hastig fuhr sie sich über die Augen, erhob sich so schnell,
dass der Stuhl knarzte, und verließ praktisch fluchtartig den Raum. Aus den
Augenwinkeln sah sie, wie er reglos sitzen blieb.
Merlin,
sie war erwachsen! Es sollte sie nicht so fertigmachen, aber… egal, wie alt sie
war, wie viel sie erlebt hatte, sie wäre niemals so phlegmatisch, dass sie ihre
Gefühle verdrängen könnte. Ihr Mann hatte sie verlassen, und für Hermine war
das hier ein grauenvoll trauriger Anlass, und nichts sonst.
Sie
würde mit Mühe und viel Alkohol ein Lächeln auf ihre Züge zaubern müssen.
Oder
vielleicht kein Lächeln. Zumindest keine Tränen. Das war das Ziel der nächsten
Tage.
Sie
musste ohne Tränen überleben.
Es
gab nur eine Sache, die sie Scorpius zugutehalten musste, und das war die
Tatsache, dass er keine Kosten oder Mühen gescheut hatte, heute. Es war ein
beeindruckendes Spektakel, der Saal allein. Die hundert Lampions, die verzauberten
weißen Schmetterlinge an der Decke, die Gold schimmernde Deko, die Seidenbezüge
über den eleganten Stühlen, die Bouquets an teuren exotischen Blumen, die den
gesamten Saal mit einem exquisiten Duft zu erfüllen schienen, der Hermine an
Urlaub, an saftige Früchte, an unberührte Schönheit erinnerte.
Das
Personal war handverlesen ausgesucht worden, und sie schienen den Gästen die
Wünsche von den Augen ablesen zu wollen.
Hermine
hatte nur sehr kurz einen Blick über das geplante Festessen geworfen, was im
Anschluss folgen würde, und es war ein Zehn-Gänge-Menü, von dem sie gar nicht
wissen wollte, wie viele Galleonen es kostete. Der Vorteil dieser extravaganten
Familie war, dass Hermine nicht einen Knut hatte zahlen müssen. Es ging auf die
Malfoys, als wäre es ein simples Essen, ein Kegelabend, oder was auch immer. Es
kostete Hermine also nichts, diesem Fehler beizuwohnen. Außer ihre Nerven, und
vielleicht ein, zwei Lebensjahre.
Es
herrschte eine klare Trennung der Gäste, auf rechter und linker Seite. Rechts
saßen sie, die Generationen an Malfoys, mit ihren erschreckend vielen
Verwandtheitsgraden nach rechts und links, quer durch den Reinblüterstammbaum.
Und links die Weasleys, inklusiver ihrer und Harrys Familie. Abgesehen von Ron
und Albus und James.
Die
Nacht war kurz gewesen. Hermine hatte schlecht geschlafen in den zu weichen
Betten, und hatte sich auch noch zu lange mit Harry und Ginny unterhalten.
Sie
würde die Müdigkeit mit Alkohol wettmachen müssen.
So
der Plan.
„Sie
ist wunderschön“, wisperte Molly hinter ihr in ihr Ohr, die Stimme
tränenschwer. Hermine nickte unbewegt und konzentrierte sich auf ihre Tochter.
Sie hörte dem Ministeriumsbeamten nicht mal zu, der beide ewige Liebe und Treue
schwören ließ, und wusste Merlin, was noch! Auch Roses Kleid war ein teures
Geschenk der Malfoys gewesen – reine Seide, komplizierte Saumstickereien
–, obwohl Hermine annahm, dass es zum
Standard gehörte, und nichts, was sie ausgesucht hätte, wäre auch nur im Ansatz
gut genug gewesen. Ihr war es nur recht. Sie wollte nicht für ein
Hochzeitskleid für die Hochzeit mit dem Teufel bezahlen. Aber sie übertrieb.
Scorpius Malfoy war nicht der Teufel. Er war einfach nur ein reicher,
verzogener Reinblüter, der – wie auch immer das geschehen konnte – das
Augenmerk ihrer Tochter auf sich gezogen hatte. Aber Hermine sah es. Mit
grimmiger Miene glitt ihr Blick über den millionenschweren Erben eines
Vermögens, was ihr nachts Atemnot bereitete. Ihm stand der schwarze Anzug gut.
Selbst das widerlich anzügliche Lächeln, mit dem er Rose betrachtete, stand ihm
wohl gut. Immerhin schien er den Blick nicht von ihrer Tochter wenden zu
können, aber es entschuldigte nicht die Tatsache, dass er ein Mistkerl war.
Vielleicht machte ihn das viele Gold dazu, vielleicht konnte er nicht anders.
Hermine unterstellte dem jungen Mann nicht viel Gutes, wirklich nicht. Scorpius
hatte sich nicht darum gekümmert, dass sich Rose mit ihrem Vater versöhnt
hatte. Hermine glaubte sogar, Scorpius war es nur recht, dass Ron nicht
aufgetaucht war.
Beide
Männer hatten sich schon ausgiebig angebrüllt, und wahrscheinlich würde es
nicht in dieses postkartengleiche Bild passen, würde Ron um das Brautpaar
wüten, wie ein zornesblinder Troll. Obwohl es Hermines Anspannung lockern
würde. Garantiert.
„Mr.
und Mrs Malfoy“, schloss der Beamte feierlich, und wieder kontrollierte Hermine
den Würgereiz mehr schlecht als recht, „das magische Bündnis Ihrer
Eheschließung ist besiegelt. Küssen Sie Ihre Braut, Mr. Malfoy“, forderte der
Beamte Scorpius schließlich auf, und Hermines Oberlippe hatte sich angewidert
gekräuselt. Jetzt trug ihre dumme Tochter seinen Namen.
Sie
senkte den Blick, wollte es nicht mit ansehen und sparte sich den Applaus, der
verhalten erklang, als die Zeremonie beendet war.
Hermine
fühlte sich machtlos. So unfassbar hilflos, gegenüber dieser Allianz, und sie
konnte nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr es sie verletzte. Aber jetzt war
es zu spät. Offiziell zu spät, irgendetwas zu ändern.
Ihre
Tochter war verheiratet.
~*~
S
ie war
sechsundvierzig Jahre alt, und heute fühlte sie sich zum ersten Mal wie
sechsundvierzig. Sie sah auch zum ersten Mal so aus, als hätte sie eine Tochter
von fünfundzwanzig Jahren. Sie war früh schwanger geworden, obwohl sie hatte
warten wollen. Aber nach Ende des Krieges war es fast eine Erlösung gewesen,
neues Leben in sich zu spüren. Sie hatte Ron geliebt, und letztendlich war sie
froh gewesen, ihr süßes kleines Mädchen in den Armen zu halten.
Sie
erinnerte sich heute wieder an die Gespräche mit Harry und Ginny, und dass
Hermine Ginnys frühen Kinderwunsch massiv kritisiert hatte. Letztendlich war es
unerheblich gewesen. Ob man das Kind mit zweiundzwanzig oder mit zweiunddreißig
bekam – sie liebte ihre Kinder so oder so. Egal, was sie für Entscheidungen trafen.
Das zumindest versuchte sie, sich einzureden.
Der
Spiegel auf den Toiletten war schmeichelhaft, aber nicht schmeichelhaft genug,
um die Falten um ihre Augen zu verdecken. Nicht schmeichelhaft genug, um zu
verbergen, dass ihre Kleidergröße über die Jahre höher geklettert war.
Hermine
machte sich nicht viel aus Äußerlichkeiten, da sie unterm Strich nicht viel
zählten, aber sie hatte sich Mühe gegeben, sich nicht gehen zu lassen,
repräsentable auszusehen, denn sie würde sich gegen sehr viele Männer durchsetzen
müssen, würde sie sich für die Kandidatur zur Ministerin aufstellen lassen.
Wenn
dieser Tag denn irgendwann käme. Zurzeit belegte sie die Position der
Untersekretärin des Ministers, und Ron sagte stets, sie leiste ohnehin schon alle
Ministeraufgaben, denn Minister Abegnale war hoffnungslos überfordert und
vielleicht auch schon zu alt für diesen Posten.
Seine
Amtszeit lief in vier Monaten Jahr aus, und dann würde Hermine genug
Selbstbewusstsein haben müssen, um sich aufstellen zu lassen.
Und
sie bräuchte genug Glück, um zu gewinnen.
Jetzt
gerade half es nicht, dass ihr Leben in die Brüche ging. Aber ihr Privatleben
hatte nichts mit ihrem Beruf zu tun. Sie musste es trennen, wenn sie nicht
zusammenbrechen wollte. Es ging nicht anders.
Es
war auch nicht die erste Krise mit ihrem Ehemann. Es waren keine einfachen
achtundzwanzig Ehejahre gewesen. Aber Hermine wollte es auch nicht einfach.
Obwohl
sie sagen musste, das heute, das war das Äußerste.
Sie
war schon viel zu lange hier drin. Sie stand bestimmt seit zehn Minuten vor dem
getönten Spiegel und betrachtete gedankenverloren ihr Gesicht, was plötzlich
alt geworden war.
Die
Tür öffnete sich, und sie wusste wieder, warum sie sich so alt vorkam. Sie nahm
an, sie war die einzige Frau – abgesehen von den Frauen der Weasley-Familie –
die nicht Ganzkörper-Auffrischungsmagie betrieben hatte. Pansy Zabini sah nicht
aus wie sechsundvierzig, dabei wusste Hermine, dass sie dasselbe Alter hatten.
Kurz glitt Pansys Blick über sie, und sie rang sich ein Nicken ab. Pansys
Gesichtshaut war straff, ein wenig zu straff, und ihr Busen wirkte künstlich
steif. Aber alles in allem sah sie ziemlich fantastisch aus. Keinen Tag älter
als achtunddreißig – bei günstigem Licht.
Es
war sehr eigenartig. Hermine kam es vor, als wäre es eine Veranstaltung in
Hogwarts, nur waren sie alle schrecklich alt geworden. In einem Badezimmer vor
dem Spiegel zu stehen und zuzuhören, wie Pansy auf Toilette ging, erinnerte sie
erschreckend an ihre Schulzeit. Nicht, dass sie sich an eine Begebenheit
erinnern könnte, an der sie mit Pansy auf die Toilette gegangen wäre, aber… es
ging ums Prinzip. Es fühlte sich seltsam an.
Dann
spülte Pansy, verließ die Kabine und trat mit kritischen Augen vor den Spiegel,
wusch sich die Hände, trocknete sie gründlich, bevor sie ihr Makeup
kontrollierte. Es kostete bestimmt eine Menge Aufwand, so auszusehen.
„Meinen
Glückwunsch“, sagte Pansy schließlich, ohne sie anzusehen, und Hermine runzelte
die Stirn. Dann fiel ihr schmerzlich deutlich wieder ein, dass sie nicht in
Hogwarts waren, dass die Welt nicht gut war, dass es ein grauenhafter Tag für
sie war, und dass sie garantiert keine Glückwünsche hören wollte. Aus diesem
Grund war sie überhaupt erst auf die Toilette geflüchtet. Der Tag wollte und wollte
kein Ende nehmen. Sie hatte kaum Hunger gehabt, hatte einen Champagner nach dem
nächsten getrunken, und Ginny hatte sie zwei Stunden lang überzeugen müssen, zu
bleiben, auszunutzen, dass Rose reich geheiratet hatte, und einfach die Sorgen
zu vergessen, weil sie es sowieso nicht ändern konnte.
Es
war ein unangenehmes Klassentreffen – mit überwiegend Slytherins. Das war es,
was es war.
„Danke“,
erwiderte sie tonlos und unaufrichtig.
„Du
siehst gut aus“, sagte Pansy tatsächlich, mit einem sehr kurzen Blick. „Ein
wenig blass, aber sonst sehr gut.“ Hermine bezweifelte dieses Kompliment
aufrichtig.
„Danke“,
wiederholte sie lediglich resignierend. „Du auch“, gab sie das hohle Kompliment
zurück, aber Pansy lächelte daraufhin.
„Dafür
zahle ich auch monatlich viele Galleonen. Oder… Blaise tut es“, ergänzte sie
zwinkernd. Sie wollte sich tatsächlich unterhalten? Hermine kam es wirklich
komisch vor. Keiner sonst wollte sich mit ihr unterhalten. Und sie konnte
darauf auch verzichten. „Welcher ist der Weasley mit der Narbe am Hals?“,
fragte sie mit mildem Interesse und stiller Wachsamkeit im Blick.
„Ah…
Charlie?“, vermutete Hermine, denn Bill trug die Narbe im Gesicht. Charlie
hatte eine alte Drachenverletzung, die sich nicht hatte heilen lassen.
„Mh“,
machte Pansy anerkennend. „Hübscher Mann“, ergänzte sie, und ihre Mundwinkel
zuckten.
„Ja“,
bestätigte Hermine lediglich. Sie wusste es nicht wirklich, achtete darauf
nicht unbedingt. Pansys strenge Inspektion kam zu einem Ende, nachdem sie wohl
befunden hatte, dass sie gut genug aussah.
„Mutig
von deiner Tochter, in diese Familie einzuheiraten“, sagte Pansy mit einem
forschen Blick, und Hermine seufzte auf.
„Mutig
ist das falsche Wort“, murmelte sie bitter, und diesmal lächelte Pansy ein aufrichtiges
Lächeln.
„Liebe
muss nicht immer die klügste Entscheidung sein“, bemerkte Pansy, zog dann ihr
enges Kleid zurecht, so dass ihre Brüste mehr betont wurden, und Hermines Blick
war fast ein wenig neidisch. Aber wofür sollte man sich fliehende Jugend
kaufen, die nicht echt war? Sie hatte es nicht nötig. Und Pansys Worte machten
Sinn, waren sogar freundlich, aber Hermine konnte so objektiv nicht denken. Und
sie wusste es vor allem auch besser.
Aber
Schweigen war Gold, wie man so schön sagte.
„Ja“,
sagte sie deshalb nur, und Pansy verabschiedete sich mit einem Nicken. Was für
eine Ironie. Alle Reinblüter heirateten stets durch kluge Verhandlungen,
rationale Entscheidungen, die nur das Gold betrafen. Und sie glaubte, auch
Pansy hatte aus strategischen Gründen Blaise Zabini geheiratet, wohl kaum aus
Liebe. Zumindest nicht überwiegend. Seufzend wandte sie ihrem Spiegelbild
wieder ihre Aufmerksamkeit zu, und wieder stellte sie fest, dass sie wirklich
alt aussah. Müde, regelrecht. Es mochte daran liegen, dass sie die letzten drei
Wochen ungefähr zehn Stunden geschlafen hatte. Das war übertrieben – aber so
sah sie aus.
Dann
wiederum hatte sie seit zehn Jahren nur drei Stunden geschlafen.
Zumindest
so kam es ihr vor, wenn sie über ihre Tochter nachdachte und über Scorpius
Malfoy, der das erste Mal vor zehn Jahren in ihr Leben getreten war.
Es
war eine furchtbare Geschichte.
Aber
wohl nicht furchtbar genug, dass sie für immer im Badezimmer bleiben konnte.
Leider.
~*~
In
ihrem Kopf führte sie bereits eine Liste mit Dingen, die mental absolut
unerträglich waren. Auf Platz eins rangierte zurzeit der Tanz, den Draco Malfoy
mit ihrer Tochter getanzt hatte, weil Roses Vater bedauerlicherweise nicht da
war, weil er ein Arschloch sein musste. Platz zwei belegten die Malfoys mit
ihren elenden Geschenken für das Brautpaar und die Angehörigen. Ginny hatte als
Patentante und Hermines Vertraute versagt, denn immer wieder brach sie in
Begeisterungswellen über den Spa-Gutschein, die Badesalze, die goldene
Kobolbkristalluhr, und die tausend Dinge mehr aus, die sich in ihrem
Geschenkkorb befanden. Harry trug bereits die Platinmanschettenknöpfe, die die
Malfoys ihm geschenkt hatten, und auch er hatte eine unfassbar teure Uhr
bekommen, neben Parfüm und einem Gutschein für irgendein magisches
Sportgeschäft. Hermines Geschenkkorb stand unangetastet neben Rons Geschenkkorb
unter dem Tisch, und den Teufel würde sie tun, jetzt irgendwelche
Bestechungsgeschenke auszupacken.
Rose
hatte bereits so viele Tränen des Glücks vergossen, dass Hermine regelrecht
übel vor Ekel war, und auf Roses Kopf blitzte und funkelte ein Diadem, was
scheinbar aus irgendeinem Familien-Verlies extra für diesen Anlass entmottet
und poliert worden war. Hermine fragte sich bitter, ob Rose dieses ‚Geschenk‘ behalten
durfte, oder ob es lediglich eine Leihgabe war.
Scorpius
und sein Vater hatten steife Umarmungen getauscht, nachdem Draco ihm
irgendeinen Rennbesen vermacht hatte, den natürlich auch die liebe
Schwiegertochter fliegen durfte. Herrlich. Hermine hatte stur die Arme vor der
Brust verschränkt und hasste einfach alles und jeden. Es war einfacher so.
Es
half auch nicht – und das belegte Platz drei der Liste –, dass die Getränke
einfach zu gut und zu süffig waren. Sie wusste nicht, wie viel Gläser Champagner
sie getrunken, wie viele Weißweinschorlen sie tatsächlich schon bestellt und
genossen hatte, und das war erst die späte Nachmittagskarte.
Für
gleich gab es bereits Ankündigungen der speziellen Cocktails, die extra für den
Anlass entworfen wurden, und jede Sekunde bereitgestellt werden sollten. Harry
hatte Interesse am ‚Malfoy‘ bekundet, ein Brand-Cocktail, mit Whiskeynoten,
wohingegen Ginny vor wenigen Sekunden die ‚Rose‘ bestellt hatte. Eine Mischung
aus fruchtigen Säften, gemischt mit Vodka und Likör.
Nichts
davon konnte Hermine begeistern, nichts konnte sie beeindrucken, auch nicht
Platz vier der Liste – die versatile Band, die seit Stunden unermüdliche Songs
spielte, die weder aufdringlich noch einschläfernd waren. Bills Bein bewegte
sich seit einer Stunde im Takt der Musik, und sie schwor sich, sie würde auf
der Stelle gehen, würde er Fleur zum Tanz auffordern.
Noch
bestand die Dynamik, dass sich die Familien getrennt unterhielten. Kein Malfoy
kam freiwillig zu ihrer Seite des Saals, zu ihren vier Familientischen, und
Hermine hoffte, sie markierte die symbolische Grenze mit ihren tödlichen
Blicken ausreichend. Molly und Arthur hatten von Lucius persönlich eine
Urlaubsreise geschenkt bekommen. Eine Urlaubsreise! Konnte man sich das
vorstellen? (Platz fünf der verdammten Liste!) Sie würden in einem Luxushotel
in Frankreich zwei Wochen von vorne bis hinten bedient werden – und weswegen?
Weil sie Roses Großeltern waren. Ehrlich gesagt erwartete Hermine nach dieser
Logik ein ganzes Herrenhaus in ihrem Geschenkekorb, ansonsten wäre sie
ernsthaft enttäuscht.
Ginny
schob sich mit sichtlicher Freude immer wieder eine der individuell kreierten
Pralinen in den Mund, die auf jedem Tisch als Aufmerksamkeit standen – alle in Form
eines ‚R‘ oder eines ‚S‘. Es war lächerlich, es war pompös, es war so
übertrieben, dass Hermine es kaum ernstnehmen konnte.
Die
Übergabe der Geschenke füllte lediglich die Pause bis zum Abendessen, und
Hermine nahm an, dass sich ihre Tochter für diesen Anlass noch ein weiteres Mal
umzuziehen hatte. Sie trug schon nicht mehr ihr Hochzeitskleid, sondern eine
elegante kurze Version davon.
Alles
natürlich Ton in Ton mit dem gesamten Thema dieser Hochzeit. Gold und Weiß. Und
sie wirkte so glücklich, dass Hermine sich fragen musste, ob sie übertrieb, mit
ihrer schlechten Laune, aber das tat sie nicht. Für Hermine war es kein
glücklicher Tag, absolut nicht. Rose war eine Zier, mit der sich Scorpius
schmücken konnte, nichts weiter. Sie hatte unterschrieben, dass sie
höchstwahrscheinlich keinen müden Knut bekäme, sollte sie der hoheitlichen
Familienehre zuwiderhandeln – was für einen Effekt hatte also diese Hochzeit?
Absolut gar keinen.
~*~
Sie
hatte es nicht ertragen, hatte irgendetwas tun müssen, um sich abzulenken. Die
Bar war eine gute Idee. Sie lag ein wenig verborgen im Saal, und sie konnte
nicht viel länger auf ihrem Stuhl sitzen, und zusehen, wie Rose und Scorpius
eng umschlungen tanzten, wie alle ausgelassen feierten, wie es tatsächlich
möglich war, dass zwei Familien, die sich nicht leiden konnten, hier in diesem
Hotel so taten, als wäre alles in bester Ordnung. Sie begriff es einfach nicht.
Sie
trank den dritten ‚Rose‘ Cocktail, und leider schmeckte er vorzüglich.
„Mr.
Malfoy, Sir“, begrüßte der Barkeeper den Vater des Bräutigams, und Hermine
hatte seit gestern nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie trank eigentlich nur
noch, um sich davon abzuhalten, zu apparieren. Draco bestellte verhalten ein
Getränk und wartete neben ihr. Hermine bemühte sich nicht einmal, den Blick zu
heben. Es interessierte sie nicht mehr.
Dieser
Abend würde vergehen, ob sie sich nun mit den Leuten anlegte, oder eben nicht.
Ihre Tochter hatte auch nicht mehr mit ihr gesprochen, und Hermine wollte sich
einfach nicht irgendwann nachsagen lassen, dass sie die Hochzeit ihrer einzigen
Tochter verdorben hatte. Nun, zumindest die erste Hochzeit. Wer wusste schon,
wie viele noch folgen würden und wie lange ihre Tochter ‚Mrs Malfoy‘ sein
würde. Würgereiz! Furchtbar.
Sie
trug ihren Blazer schon lange nicht mehr, und es war warm genug, dass sie in
ihrem schlichten, eleganten schwarzen Kleid, nicht fror. Der Frühling war
gekommen, und die Sommersprossen bevölkerten langsam wieder ihre Arme. Und ja,
sie trug schwarz. Ihr entging die Ironie nicht.
Es
kümmerte sie auch nicht, dass Draco Malfoy neben ihr stehen blieb, nachdem er
sein Getränk entgegen genommen hatte.
Sie
wusste, sie hatten dieselben Dinge durchlebt. Vielleicht nicht unbedingt
dieselben, nahm sie an. Scorpius hatte selber entschieden, welche Fehler er
beging, und wahrscheinlich hatte er nicht heulend vor der Tür seines Vaters
gestanden, aber er hatte dafür wie ein Verrückter in ihrem Garten gezeltet.
Drei Wochen lang. Es waren solche Geschichten, die sie verbanden, nahm sie
bitter an. Ihre wahnsinnigen Kinder. Das Alter war gnädig mit ihm gewesen,
hatte Hermine festgestellt. Er hatte nicht zugenommen, der kurze Bart in seinem
Gesicht lenkte von den Sorgenfalten um seine Mundwinkel ab, und ansonsten
wirkte Draco Malfoy zeitlos. Wohl um die Vierzig, aber schwer zu schätzen.
Hermine konnte solche Menschen nicht leiden.
Sie
wusste, er hatte nicht wieder geheiratet, nachdem seine Frau gestorben war. Es
war traurig, ja, aber Hermine hatte kein Verständnis für die Leiden der
Malfoys. Musste sie auch nicht. Ganz und gar nicht. Wenn überhaupt, dann
verdiente diese Familie Schmerzen und Leid, wenn es nach ihr ging. Ganz
entschieden verdienten sie es!
Und
es musste schwierig sein, nahm sie bitter an. Natürlich würde sie Rose nichts
verbieten, aber für sie hatte es keine weitreichenden Konsequenzen, Merlin, es
kostete sie nicht einmal etwas hier zu sein – materiell gesehen. Hermine
glaubte aber, dass keine Entscheidung, die Scorpius Malfoy betraf, eine
vernünftige war oder eine gut überlegte.
Aber
anscheinend liebte Draco Malfoy seinen Sohn, und auch er schien seine
Zugeständnisse zu machen. Er hatte die Beziehung erlaubt, er zahlte hierfür mit
seinem Gold, er arrangierte sich mit dieser Situation, wie sie es tat.
Wie
tief ging sein Hass, fragte sie sich mit angespannten Mundwinkeln. Sein Blick
war ebenfalls in sein Glas gefallen, und es machte für einen Moment den
Anschein, als wären sie Leidensgenossen. Als könnten sie beide nicht aus ihrer
Haut, auch wenn sie dringend wollten.
Ehrlich
gesagt, brannte sie darauf, einen von ihnen zu verfluchen. Es juckte sie
regelrecht in den Fingern, und sei es nur aus Rache, um all die Schmerzen und
schlaflosen Nächte der vergangen Jahre zurückzuzahlen.
Sie
leerte ihren Cocktail in einem bitteren Zug, denn länger als nötig wollte sie
nicht in seiner Nähe stehen. Aus Prinzip nicht. Selbst, wenn er den Mund hielt.
Denn das schuldete sie Rose nicht. Sie hatte ihre Entscheidung, Scorpius zu
heiraten, zu akzeptieren, aber sie musste sich nicht bedanken, eingeladen worden
zu sein. Sie musste keine verdammten Geschenke entgegennehmen und sie musste
sich nicht entschuldigen, kein fröhlicher Partygast zu sein.
Wankend
stieß sie sich von der Theke ab, und sein Blick hob sich, wanderte ihren Körper
empor, über ihre bloßen Arme, und sein Blick festigte sich nach einer ruhelosen
Weile auf ihrem Gesicht.
Für
einen kurzen Moment kamen ihr schreckliche Gedanken in den Sinn. War das jetzt
ihr Leben? Endlose Familienfeiern, auf denen die Malfoys rumliefen? Sie
schluckte schwer, denn sie glaubte fast nicht, dass sie es für immer aushalten
würde, diese Familie zu ertragen. Seine Oberlippe kräuselte sich schließlich
voller Anstrengung, als wäre es so ermüdend für ihn, wie für sie.
Sie ertrug
sein Gesicht nicht mehr, wandte sich ab und verließ die Theke.
~*~
Irgendwann
waren Harry und Ginny verschwunden, und Hermine konnte kaum noch geradeaus
schauen. Sie betrachtete ihre Kinder, denn Hugo hatte seine Schwester jetzt zu
einem Tanz aufgefordert, und fast wollte Hermine lächeln.
Noch
diesen Tanz würde sie sich ansehen, und dann würde sie in ihr Zimmer
verschwinden, welches die Malfoys großzügigerweise bezahlt hatten.
Ihr
ging auf, sie hatte nicht getanzt heute, obwohl Harry sie mehrfach gefragt
hatte. Sie hatte nicht gekonnt. Hatte nicht gewollt, und sie war froh, dass
Scorpius sie nicht um einen Schwiegermuttertanz gebeten hatte.
Sie
wusste, sie saß am Tisch wie eine Schreckschraube, mit verschränkten Armen,
einem säuerlichen Ausdruck, und wahrscheinlich schämte sich ihre Tochter für
sie. Hermine Locken hingen wild aus ihrer Frisur, und es war ihr scheiß egal.
Sie
hatte bestimmt fünf Cocktails getrunken, sieben Gläser Champagner, vier
Weißweinschorlen, und sie war betrunken, wie noch nie in ihrem Leben. Es fühlte
sich gut an. Verdammt gut.
Bill
und Fleur rauschten über die Tanzfläche, und die Band spielte unermüdlich. Auch
Lucius und Narzissa wagten einen gemeinsamen Tanz, und beide wirkten sehr
abgehoben dabei. Sie würde schätzen, die Hälfte der Gäste war bereits in ihre
Zimmer verschwunden.
Dann
endete das Lied, recht plötzlich, fand Hermine, aber sie hatte auch überhaupt
kein Zeitgefühl mehr. Sie erhob sich wankend, und keine Sekunde später spürte
sie einen stützenden Arm und blickte in Hugos nachsichtiges Gesicht.
„Alles
ok hier, Mum?“, fragte er sie bestimmt, ganz der Heiler, und sie nickte
unwirsch.
„Sicher.
Ich gehe jetzt ins Bett“, nuschelte sie, und Hugo führte sie mit starkem Arm
hinaus aus dem Saal.
„Möchtest
du dich noch verabschieden?“, fragte er im Gehen, bereit, einen Schlenker zu
machen, aber Hermine verzog den Mund.
„Nein. Ich will ihren Abend nicht verderben“, lallte Hermine, und schämte sich
für ihren Zustand.
„Ok“,
erwiderte Hugo verständnisvoll, und Hermine hatte keine Ahnung, wie sie die
Treppen hochgekommen waren, geschweige denn, wie sie oben ankamen. Irgendwann
schloss Hugo jedenfalls ihre Zimmertür mit dem Wappen-Schlüssel auf, und es
beunruhigte sie, dass sie jetzt schon Blackouts hatte. „Mum, wir sehen uns zum
Frühstück, ja?“, sagte er sanft, und Hermine machte sich von ihm los. „Schlaf
gut“, schloss er lächelnd. „Und ärger dich nicht zu sehr“, ergänzte er stiller.
Hugo
brauchte nicht viele Worte, um das Wichtigste zu kommunizieren. Er legte ihren
Schlüssel auf die Kommode, bevor er ging und die Tür hinter sich schloss. Nein,
Hermine hatte keinen Spaß gehabt heute. Sie würde morgen einen unfassbaren
Kater haben, nahm sie an.
Sie
sah sich im Zimmer um, was sie vorher noch nicht inspiziert hatte. Ihre Tasche
stand neben dem Bett, und direkt auf den Laken hatte wohl das Personal ihre
Geschenkkörbe platziert. Sie wagte sich näher ran, Verachtung auf den Lippen,
während sie sich die halbhohen Schuhe von den Füßen trat. Barfuß schlich sie
über den weichen Teppich, der sich sehr angenehm unter den Füßen anfühlte, bis
sie das Bett erreicht hatte, und dann schlug sie das Seidenpapier zur Seite.
Ihre
Augenbraue hob sich überrascht, als sie in dem etwas fragileren, feminineren
Korb direkt eine Flasche Rosenchampagner erkannte, in leuchtend goldener Farbe.
Aber sie besaß noch genügend Verstand, die Flasche heute Nacht nicht mehr zu
öffnen. Sie wühlte sich durch die übrigen Geschenke, und fand neben Schals,
einem fein zusammengefalteten Designerkleid, Duftölen, und eine Samtschachtel
mit Diamantohrringen – Merlin, noch mal – eine schmale Karte. Es war eine
Einladung. Sehr förmlich, sehr steif. Sie verzog den Mund. Soweit sie es in
ihrem betrunken Kopf erkannte, handelte es sich doch tatsächlich um eine
Geburtstagseinladung zu Draco Malfoys siebenundvierzigstem Geburtstag, in
weniger als vier Wochen. Erstaunt erfasste sie auch ein Ticket im Umschlag
sowie eine Wegbeschreibung zu irgendeinem magischen Resort. Zu dumm, dass sie
genau an diesem Tag eine schlimme Erkältung bekommen würde, dachte sie bitter.
Ganz
am Boden des Korbes befand sich eine Holzschachtel. Hermine hob sie aus dem
Korb. War es Holz? Es war sehr kühles Material, sehr dunkel, und schwerer, als
sie angenommen hatte. Sie hatte eine vage Erinnerung im Hinterkopf, konnte sie
aber nicht benennen. Ihre Finger suchten nach einer Nische, einer Ritze – nach
irgendeiner Öffnungsvorrichtung, aber sie konnte nichts entdecken. Sie
schüttelte die kleine Kiste, aber sie hörte kein Geräusch.
Was war
es für eine Kiste? Sie hob sie näher vor ihr Gesicht, hielt sie höher ins
Licht, und mit bloßem Auge fast kaum zu erkennen, sah sie rotfunkelnde Linien,
die sich schimmernd über das Material zogen.
Magie,
ging ihr auf. Das war ein magisches Artefakt!
Wie
verbrannt ließ die Kiste fallen. War es schwarzmagisch? Was es ein gemeiner
Trick der Malfoys, und wenn sie die Box öffnete, verlor sie vielleicht ihre
Finger? Ihr Atem ging schnell. Sie starrte auf die schlichte Kiste, die
unbewegt auf dem Bett liegen geblieben war.
Unsinn.
Die Malfoys luden sie nicht in ihr Schloss ein, um sie mit einer Kiste
umzubringen. Es machte keinen Sinn. Nicht mal in ihrem betrunkenen Kopf. Sie
zog den Zauberstab. „Revalo!“,
murmelte sie und tippte auf die Box. Tatsächlich geschah etwas! Hermine
blinzelte verblüfft, als sich die rot schimmernden Linien deutlicher
abzeichneten. Und zwar in Form… einer Hand? Ihre Stirn runzelte sich, bevor sie
schließlich den Zauberstab beiseitelegte, um ihre rechte Hand auf die glühende
Fläche zu legen.
Und…
nichts passierte. Keine Funken, keine Schmerzen – gar nichts. Ein wenig
verstört starrte sie die flache Kiste an. Was sollte das für ein eigenartiges
Geschenk sein? War es Deko? Es passte nicht zum Rest der oberflächlichen
Geschenke. Sie legte es zurück in den Korb, um sich dann Rons Korb zuzuwenden.
Hier war alles etwas männlicher. Auch er hatte Manschettenknöpfe bekommen,
seine waren noch exquisiter als Harrys, denn hier befanden sich Diamanten in
der Fassung. Er hatte noch eine Seidenkrawatte bekommen, eine Flasche Glen
Odgen’s Feuerbrand, eine Schachtel Krautzigarren und ebenfalls ein Parfüm.
Allerdings erkannte sie keine Einladung in seinem Korb. Anscheinend war er
nicht zu Dracos Geburtstag eingeladen.
Frustriert
setzte sie sich auf die Bettkante.
…
Und
hier begann ihr Erinnerungsvermögen ein wenig… nebulös zu werden.
Die
Flasche Rosenchampagner war offen, wurde langsam warm in ihrer Hand, und warm
schmeckte der Champagner immer noch gut, aber eben nicht wirklich.
Der
Steinboden auf dem Flur war kalt unter ihren nackten Füßen, und schließlich
klopfte sie an Hugos Tür.
Ja,
irgendwie war sie aus ihrem Zimmer verschwunden.
Und
war auf den Fluren unterwegs. Hugo sollte mit ihr das Geheimnis der Box lösen.
Hugo
war clever, wie sie. Zu zweit sollten sie es schaffen.
Und
sie stellte gleichzeitig fest, dass sie Ihren Schlüssel nicht mitgenommen
hatte.
Zwar
war ihre Tür nicht verschlossen, aber sie glaubte nicht, den Raum
wiedererkennen zu können.
Nach
einer Weile öffnete sich die dunkle Tür, erlaubte ihr den Blick nach innen, und
sie gefror, bevor sie ein eigenartiges Gefühl überkam.
Ein
sehr eigenartiges, sehr gutes Gefühl.
Laut
atmete er aus. Sein Kopf schmerzte. Sein Körper schmerzte. Ihm war schlecht und
gleichzeitig war sein Magen schmerzhaft leer. Wieso hatte er so viel getrunken?
Merlin, wieso hatte ihn niemand abgehalten?
Neben
ihm bewegte sich etwas. Fast hielt er vor Schreck den Atem an. Langsam wandte
sich sein Kopf. Sein Kiefer gab fassungslos nach, als er ihre Gestalt erkannte.
Oh
scheiße.
Er
überlegte ernsthaft, aufzuspringen. Aber diese Intuition scheiterte schon
daran, dass er physisch nicht dazu in der Lage war. Und dann hätte er sie
geweckt, und die Chancen waren groß, dass sie schreien würde.
Es
war eine ganze Weile her, dass er neben einer Frau aufgewacht war. Neben einer
nackten Frau. Und er…- langsam hob er die Hand, griff sich die Decke und hob
sie ein Stück weit an- ja. Er war ebenfalls nackt. Perfekt. Es war auch eine
Weile her, dass er derartig viel getrunken hatte. Abartig viel. Für eine
gewisse Zeit hatte es sogar geholfen. Der Abend war nicht der schlimmste Abend
aller Zeiten gewesen. Bei weitem nicht der Beste, nicht mal unter den Top Ten,
aber nicht der schlimmste. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie an seine Tür geklopft
hatte.
War
es… vielleicht ein Traum, fragte er sich unwillkürlich, rieb sich hart die
Augen, aber er glaubte, in Träumen litt man nicht an dem Kater seines Lebens.
Träume waren weitaus angenehmer. Würde er sich übergeben müssen? Er hatte die
Hälfte seines Lebens hinter sich – die bessere Hälfte – und war ernsthaft in
der Situation, dass er tatsächlich abwägen musste, sich vom Alkohol zu
übergeben. Er hatte sich sein weiteres Leben anders vorgestellt. Sehr anders.
Dumpf
spulte sein müdes Gehirn den Abend vor. Sie war zu ihm gekommen, hatte an seine
Tür geklopft, und er war sich ziemlich sicher gewesen, es war nicht wirklich
ihre Absicht, an seine Tür zu klopfen. Denn kurz war sie ziemlich verwirrt
gewesen, bevor sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, natürlich.
Und
gestern schien ihm diese Ausrede plausibel genug gewesen zu sein, ihr heute
alle Schuld zu geben, aber die Oberhand, die er sich ausgemalt hatte zu haben,
verblasste etwas, im Lichte der Tatsache, dass er hätte nein sagen können. Oder
sollen. Oder vielmehr müssen. Denn… war sie nicht verheiratet? Zwar war der
Clown nicht hier (einer der Gründe, warum der Abend nicht der allerschlimmste
Abend war), aber das war wirklich kein Grund, sich derartig gehen zu lassen.
Nicht für sie und garantiert nicht für ihn!
Sie
wirkte so friedfertig neben ihm. Vollkommen entspannt. Unter ihren Augenlidern
bewegten sich ihre Augen. Sie träumte. Sommersprossen lagen auf ihrem
Nasenrücken, und verrückte Locken lagen über ihrem Gesicht, nussig braun, keine
Spur von Grau, und fast wirkte sie jung. Jünger als Mitte vierzig, so jung,
dass er sich fast nostalgisch an die Schulzeit erinnert fühlte.
Nicht,
dass so etwas auch nur ansatzweise in Hogwarts passiert wäre, aber in seinem
erwachsenen Leben pflegte er keinen Kontakt zu ehemaligen Gryffindors. Fast
keinen, dachte er dumpf.
Das
war gelogen, ging ihm schließlich auf. Scorpius‘ Freundschaft zu Albus Potter
reichte bis ins erste Jahr zurück, aber das hatte sich sein Sohn ja unbedingt versauen
müssen. Wenn man so wollte, hatte sich Scorpius sein restliches Leben gehörig
versaut. Und Draco war offen gesagt keine Hilfe, wenn er an der Hochzeit seines
Sohnes mit dessen Schwiegermutter schlief.
So
eine Scheiße, dachte er bitter. Er war ein Vollidiot. Ein dämliches Arschloch.
Das war nicht klug gewesen, nicht richtig, und bei Merlin, es war so einfach
gewesen, dachte er dumpf. Unterm Strich. Denn unterm Strich war es nicht die
Überwindung, die er sich vorgestellt hätte. Es war nicht schwierig gewesen,
kein Mitleidsfick, wenn man so wollte. Absolut nicht.
Er
hatte kaum Zeit gehabt über ihre Beweggründe nachzudenken. Jetzt, im
Nachhinein, kam es ihm seltsam vor. Wieso sollte sie zu ihm kommen, um mit ihm
zu schlafen? Es machte keinen Sinn. Selbst betrunken. Selbst wenn das ihre
persönliche Muggel-Hölle war, dann ergab es keinen Sinn. Wieder atmete er lange
aus, kämpfte mental gegen den Kopfschmerz, der langsam aber sicher heftiger
wurde.
Noch
weniger Sinn ergab es, dass er darauf eingegangen war. Wahrscheinlich war er
einsam gewesen. Wahrscheinlich war es ihm egal gewesen, wer sie war. Aber… war
es jemals egal? In diesem speziellen Fall würde er sagen, dass es niemals ok
war, niemals eine Rechtfertigung. Und er ging davon aus, Ron Weasley würde es ähnlich
sehen.
Fast
blieb sein Herz stehen, und die nächsten Sekunden zerstörten seine mentale
Läuterung der letzten Minuten. Sein Zauberstab vibrierte schließlich
erbarmungslos, und der Weckzauber ließ sie zusammen zucken. Und jetzt regte sie
sich neben ihm.
Es
war sieben Uhr, und so fühlte er sich auch. Der Plan war gewesen, aufzustehen,
vor allen anderen zu frühstücken, um auf keinen Fall in irgendwelche Gespräche
verwickelt zu werden, um dann still und leise abzureisen. Er hätte sich noch von
Scorpius verabschiedet, und dann wäre er verschwunden. Er würde umplanen
müssen, dachte er bitter.
Seine
Hand schlug auf den Zauberstab, der kläglich auf dem Nachttisch erstarb. Er
wandte wieder den Blick, konnte gar nicht anders, hatte den Gedanken an einen
seltsamen Albtraum noch nicht ganz abgeschüttelt, aber sie lag weiterhin neben
ihm. Die Farbe schwand aus ihrem Gesicht, schnell und unaufhaltsam. Sie wurde
schrecklich blass, fast grün um die Nase. Fassungslosigkeit zeichnete ihre
Züge, und er verzog den Mund, überlegte, was er überhaupt sagen könnte, was
Sinn machte und nicht direkt wie eine Anschuldigung klingen würde. Denn er
mochte zwar nicht unschuldig sein, aber ohne ihre Aktion, wären sie jetzt nicht
hier.
Aber
sie tat gar nichts, machte ein würgendes Geräusch, und ihr Blick weitete sich
panisch. Ihre Hand legte sich hastig über ihren Mund, und mit mehr Kraft, als
er es ihr zugetraut hätte, war sie praktisch aufgesprungen, hatte die Decke von
sich geschoben und hastete nackt ins angrenzende Badezimmer. Sein Blick folgte
ihrem nackten Körper ungeniert, und nein, sie sah nicht aus wie die magisch
bearbeiteten Hexen von gestern. Ihre Rundungen waren echt, ihre Haut voller
Sommersprossen und für ihr Alter waren ihre Brüste straff geblieben.
Sehr
geräuschvoll übergab sich Hermine Weasley auf seiner Toilette, und es war sein
Stichwort, bevor ihm noch schlechter wurde. Er griff sich den Zauberstab,
vollführte einen Zellregenerierungszauber, und fühlte sich direkt besser. Der
Zauber hielt nicht sonderlich lange vor, und die Müdigkeit würde ihn
anschließend einholen, aber er sollte es schaffen, zu frühstücken und wieder
nach Hause zu kommen, bevor das passierte.
Aber
vorher würde warten, bis seine fragwürdige Eroberung der letzten Nacht sein Bad
verließ. Er war kein Gentleman, falls sie das dachte – aber Merlin, warum
sollte sie das denken?
Es
gab Dinge zu klären. Zumindest musste sich sehr kurz abgesprochen werden. Er
wollte wissen, was in sie gefahren war, was es zukünftig bedeutete, denn er
hatte keine Lust, ihren Weg in nächster Zeit kreuzen zu müssen und nicht zu
wissen, ob Ron Weasley ihn verfluchen würde.
Es
verging eine kleine Weile, und als er glaubte, sie wäre vielleicht erstickt und
verstorben, hörte er die Spülung, anschließend den Wasserhahn, der eine lange
Weile lief, bevor die Tür sich langsam öffnete.
Abwartend
beobachtete er sie. Sie hatte sich einen der Bademäntel übergezogen, die
Narzissa dem Anlass entsprechend mit den Initialen ‚S‘ und ‚R‘ hatte versehen
lassen, und es hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund.
Ohne
Worte wankte sie zu seinem Nachttisch, griff sich seinen Zauberstab und
vollführte die Regenerierung stumm, säuberte sogar ihren Mund. Nahezu sofort
kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Der schmerzvolle Ausdruck verschwand von
ihren Zügen und Wachsamkeit kehrte in ihre dunklen Augen zurück. Sie fixierte
ihn fast vorsichtig, als wäre er im Begriff, sich jede Sekunde auf sie zu
stürzen.
Irgendetwas
analysierte ihr Verstand in immenser Geschwindigkeit, und ihr Blick wurde
anklagend, innerhalb einer halben Sekunde, schneller, als er schalten konnte.
„Wieso
hast du das gemacht?“ Ihre Stimme war still, rau, tonlos und unfassbarer
Unglaube schwang in ihren Worten mit, und kurz öffnete sich sein Mund,
ebenfalls ungläubig, und alle überlegenen Worte schwanden aus seinem
Gedächtnis.
Aber
nein! Sie würde es nicht verdrehen, ihn zum Schuldigen machen!
„Du
bist hier her gekommen!“, entfuhr es ihm dunkel, und nein, das war nur eine
Reflexreaktion. Das hatte er nicht sagen wollen.
„Ich
war unfassbar betrunken, Malfoy!“, knurrte sie praktisch, sah ihn an wie einen
Schwerverbrecher.
„Du
denkst ernsthaft, ich wäre nüchtern gewesen? Denkst du, ich kann nicht
erwarten, eine solche Situation auszunutzen, du dummes Miststück?“ Die Beleidigung
kam ihm so einfach, so sicher über die Lippen, als hätte er nie etwas anderes
getan, als diese Frau vor ihm zu beleidigen. Kurz überraschte es ihn, wie
schnell und selbstbewusst er in einfache, alte Muster zurückfallen konnte, aber
unwirsch schüttelte er bloß den Kopf, als er sich aufsetzte. „Nein“, sagte er
wütend. „Ich bin nicht verheiratet! Du bist verheiratet – das war dein
Fehler!“, kürzte er es ab. „Und es interessiert mich nicht“, fuhr er hastig
fort, als er schon ihre nächsten Worte antizipieren konnte. „Du bist zu mir
gekommen, du wolltest mich, ich habe dir lediglich einen Gefallen getan, und
ich würde es begrüßen, wenn wir nie wieder – und ich meine nie wieder – darüber
reden müssen. Mit keinem. Das muss keine Ehekrise werden, es muss kein
Scheidungsgrund sein – meinetwegen können wir diese Erinnerung löschen“,
schloss er finster. Er schlug die Decke zurück, und er sah die Hitze in ihr
Gesicht steigen, sah, was lediglich die Aussicht auf einen nackten Männerkörper
in ihr auslöste, und sehr angestrengt sah sie in sein Gesicht und sonst
nirgendwohin. Fast provozierend stand er auf, überragte sie, und blickte
herablassend auf sie hinab. Und sehr plötzlich klärte sich ihr Blick, ihre
Atmung ging flacher, und er würde niemals begreifen, was als nächstes
passierte.
Sie
hatte den Abstand so schnell geschlossen, dass er es nicht mal wirklich
registrierte, hatte mit beiden Händen sein Gesicht ergriffen, und niemals hätte
er geglaubt, dass es noch einmal passieren würde! Sie küsste ihn, war auf die
Zehenspitzen gestiegen, und ihr Mund fühlte sich warm auf seinem an.
Was,
verflucht noch mal, passierte hier?! Diesmal reagierte er, umfasste ihre
Schultern, zog sie zurück und starrte sie ungläubig an.
„Was-“,
begann er tonlos, aber sie unterbrach ihn beinahe zornig.
„-halt
den Mund!“, erwiderte sie kopfschüttelnd, und sein Mund schloss sich
tatsächlich perplex, als sie plötzlich den Bademantel wieder öffnete. Seine
Augen weiteten sich. War das… ihr verdammter Ernst? Und garantiert zeugte es
von einem schwachen, kranken, absolut schrecklichen Charakter, dass er… absolut
gar nichts tat. Er hatte ehrlich nicht damit gerechnet, dass sie… weitermachen
wollte! Dass sie…- was?! Es war so absolut eigenartig! So grundfalsch, und es
erregte ihn unheimlich.
Ihr
nackter Körper presste sich gegen seinen, und Geschenke hatte er noch nie
abgelehnt, egal, wie dunkel und falsch und unverdient.
Er
ließ zu, dass sie ihn küsste, dass sie ihn zurück aufs Bett stieß, dass sie
allen Ernstes über ihn stieg. Es war wie eine seltsame Trophäe, die er bekam.
Vor zwei Tagen hatte sie ihn mit den Augen erdolcht – und jetzt hatte sie Sex
mit ihm!
Was
zur…? Sie griff zwischen ihre Körper, fand seine halbharte Erektion, und er
schluckte hart, als ihre Hand zu pumpen begann. Nur zu schnell wurde er hart,
schloss die Augen, berührte ihre Haut, hob ihr Becken an, und sie platzierte
sich auf ihm. Er hatte keine Ahnung, ob es erlaubt war, was sie taten, aber es
fühlte sich verdammt richtig an. Sein Kopf fiel zurück, als er sie teilte.
Fuck! Er sollte ein besserer Vater sein als das, sollte es für Scorpius nicht
schwerer machen, aber das hier…- konnte er nicht ausschlagen! Er konnte nicht!
Hatte es schon gestern nicht gekonnt!
Hart
ritt sie ihn, stöhnte ungehalten, und er hatte keine Ahnung, ob die Wände in
diesem Schloss so dick waren, wie sie vermuten ließen, aber auch das war ihm
egal. Ihre Haut war weich unter seinen Fingern, als er sich in ihr Becken
krallte, irgendwann ihre Brüste umfasste, ihre Nippel reizte, und irgendwann
setzte er sich auf, schlang den Arm um ihren Körper, fand ihre Lippen, und ihre
Zunge drang in seinen Mund, und sie ergänzten sich verdammt perfekt. Physisch
zumindest.
Sie
kam, er spürte es, und er wollte sich nicht länger zurückhalten, stieß sich
hart nach oben, ergoss sich grollend, schlang die Arme fest um ihren Körper,
und kam sich vor wie ein junger Mann. Er wüsste nicht, wann er das letzte Mal
zwei Runden geschafft hätte. Innerhalb weniger Stunden.
Erschöpft
fiel er zurück, sie auf seiner Brust, und ihr Atem ging schnell.
Und
bevor er dieses Mal irgendetwas sagen – oder denken – konnte, löste sie sich
aus seiner Umarmung, kletterte von ihm runter, und träge folgte ihr sein Blick.
Sie zog den Bademantel wieder über, griff sich ihr Kleid und den Rest ihrer
Unterwäsche, der auf dem Boden lag, stieg über die leere Champagnerflasche und
lauschte an der Tür. Scheinbar hörte sie nichts, denn sie öffnete leise die
Tür.
Und
so plötzlich wie sie gestern Abend zu ihm gekommen war – so schnell war sie
auch wieder verschwunden. Seine Stirn zog sich in tiefe Falten.
Oh,
er würde nirgendwohin gehen, entschied er in einer spontanen Eingebung.
Diese
Hochzeit war tatsächlich interessant geworden.
~*~
Sie
hatte es gestern Abend gespürt, hatte es aber nicht zuordnen können, aber heute
Morgen war sie sich sicher gewesen.
Und
sie hatte gewusst, dass sie absolut gar nichts gegen diese Art von Magie hätte
unternehmen können. Sie hatte sich überm Waschbecken abgestützt, noch immer die
heißen Tränen auf dem Gesicht.
Magie.
Es war simple, wenn auch effektive, Magie. Und ob es legal war, bezweifelte
sie. Es hatte sich angefühlt wie die erste Zeit mit Ron. Aufregend,
triebgesteuert – nur war es nicht Ron, aber das war ihr in ihrem benebelten Kopf
egal gewesen. Kurz musste sie würgen, als sie daran dachte, dass es Malfoy
gewesen war. Neue Tränen stiegen in ihr empor, und zornig verließ sie ihr
Badezimmer. Angewidert griff sie sich die schmale Box, warf sie auf den Boden
und zögerte keine Sekunde, als sie die Box mit dem Diffindo zerstörte. Das Holz zerbarst und im Innern lag eine
zusammengerollte Krawatte. Mit spitzen Fingern hob sie sie auf. Sie war
schlicht, schimmerte olivgrün und nach näherer Inspektion konnte sie den Duft
zuordnen.
Malfoys
Aftershave. Es hing ihr nach dieser grauenvollen Nacht noch in der Nase, und
die Krawatte roch genauso.
Widerlich.
Grenzenlos widerlich.
Wäre
sie nüchtern gewesen, hätte sie diesen schwarzmagischen Schund durchschaut! Sie
hätte auf keinen Fall ihre Hand auf die Fläche gelegt! Niemals wäre ihr so
etwas passiert!
Sie
hatte keine Ahnung, wer sich erlaubt hatte, sie mit diesem Zauber zu belegen,
aber dieses Schloss bot genügend Täter zur Auswahl an! Lucius, Narzissa – und
natürlich Malfoy selbst! Wer war so krank, Lustzauber anzuwenden? Hermine nahm
an, wer ihr die Box untergejubelt hatte, hatte ihr auch die Einladung zukommen
lassen. Und ihr Verstand sagte ihr, dass es Malfoy persönlich gewesen sein
musste. Wer sonst? Fand er das womöglich komisch? Ihr ging es dreckig, sie
wollte nichts lieber, als hier weg – und er?! Er wagte es, seine Spiele zu
spielen! Sie war verheiratet! Sie mochte getrennt leben, aber… sie war
verheiratet!
Sie
sank an der Kommode zusammen, saß fast zusammengerollt auf dem Boden, den Kopf
auf die Knie gestützt, während die Tränen ungehindert liefen.
Und
es klopfte plötzlich.
„Mum?“
Sie vernahm Hugos Stimme, hörte, wie er die Knauf drehte, und hastig richtete
sie den Zauberstab auf ihr Gesicht, ließ die Tränen verschwinden und rappelte
sich vom Boden hoch, gerade als er die Türe öffnete. „Guten Morgen, alles ok?“,
fragte er, sah sich kurz um, runzelte die Stirn, als er die Holzfetzen auf dem
Boden entdeckte, und sie schob sie mit dem nackten Fuß beiseite.
„Mir…
ist eines der Geschenke aus den Körben kaputt gegangen“, wiegelte sie etwas
atemlos ab, lächelte unverbindlich, und es schmerzte, das zu tun.
„Ok?“,
entgegnete er, und er war bereits angezogen. „Ich dachte, wir gehen
frühstücken? Geht es dir einigermaßen?“, erkundigte er sich, musterte sie mit
dem Blick eines jungen Heilers, und Hermine bemühte sich um Kontenance.
„Sicher.
Zellregenerieung“, räumte sie achselzuckend ein.
„Dachte
ich mir“, erwiderte ihr kluger Sohn. „Und?“, fuhr er fort, ruckte kurz in
Richtung Bett. „Hast du gut allein geschlafen?“ Hermine schlief nun seit einer
ganzen Weile allein. Es machte fast keinen Unterschied mehr, aber tatsächlich…
hatte sie heute nicht alleine geschlafen. Merlin sei Dank war sie zu betrunken
gewesen, sich großartig an irgendetwas zu erinnern, aber… vorhin… heute
Morgen…- ihr wurde wieder schlecht.
„Ja“,
brachte sie knapp über die Lippen. „Ich… komme nach, ok? Ich mache mich eben
frisch“, sagte sie kurz angebunden, und Hugo nickte.
„Alles
klar. Bis gleich, Mum“, verabschiedete er sich, schloss die Tür, und Hermine
hatte das Bedürfnis, mehr zu weinen, beherrschte sich aber. Sie würde sich
anziehen, ihre Sachen packen, Hugo zum Frühstück treffen, sich von ihrer
Tochter verabschieden, nach Hause apparieren und im Boden versinken.
Das
klang nach einem guten Plan.
Sie
hatte Ron betrogen. Sie hatte Ron betrogen! Die feinen Anzeichen einer
Panikattacke machten sich schleichend bemerkbar, aber sie konnte das nicht
zulassen! Sie konnte nicht!
Sie
hatte Ron an Roses Hochzeit betrogen, mit dem Vater des Bräutigams. Sie schloss
die Augen, während ihre Atmung schneller ging. Sie zwang sich zur Ruhe, bereit,
einen Zauber einzusetzen, aber langsam… nach und nach, regulierte sich ihre
Atmung wieder.
Duschen.
Sie musste duschen. Sie stank nach Malfoy. Ihr Mund verzog sich. Sie hatte
keine Ahnung mehr, wann sie das letzte Mal Sex gehabt hatte. War es sechs
Monate her? Acht? Es war fast beschämend. Ihr Kopf schüttelte sich voller Ekel.
Mit
Malfoy! Diesem Riesen-Frettchen! Diesem bleichen Todesser!
Sein
Penis war in ihr gewesen! Sie schüttelte sich fast krampfartig und verschwand
im Badezimmer. Sie würde sich mit kochend heißem Wasser waschen! Am besten
setzte sich selbst in Brand und dann wäre das Problem gelöst.
~*~
„Du hast
wirklich lange ausgehalten“, sagte Ginny mit einem schmalen Lächeln, während
sie über das Gelände spazierten. Die Traumlandschaft konnte Hermine nicht
täuschen. Es war ein verfluchter, widerwärtiger Ort hier. „War es schlimm heute
Morgen?“, vergewisserte sie sich mitfühlend.
„Die
Hölle“, entkam es Hermine beinahe bitter.
„Gut,
dass es Zauber gibt“, erwiderte Ginny zwinkernd.
„Mh“,
machte Hermine dumpf. Rose war noch nicht aufgestanden, als Hermine
gefrühstückt hatte, und als Malfoy in Begleitung seiner Eltern nach unten
gekommen war, hatte Hermine fluchtartig das Schloss verlassen müssen, und Ginny
war nur zu gerne mitgekommen.
„Harry
und ich überlegen, heute die Sauna zu nutzen. Im Keller?“, ergänzte sie, als
sie Hermines leeren Blick bemerkte. „Es gibt ein ganzes Spa-Areal“, fuhr Ginny
aufmunternd fort. „Wäre das nicht was? Etwas Ablenkung?“ Ihre Freundin strahlte
praktisch. Hermine würde nicht noch einen Tag bleiben. Unter absolut überhaupt
keinen Umständen. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie Malfoy nicht vor dem
Ministeriumsgericht verklagen könnte, wegen vorsätzlicher magischer Schädigung
und Missbrauch – oder so etwas in der Art!
„Ich
werde abreisen, sobald ich mich von Rose verabschiedet habe.“
„Nein!“,
entfuhr es Ginny enttäuscht. „Du kannst nicht gehen. Wie sieht es aus, wenn
Harry und ich bleiben und die Brautmutter abreist?“
„Als
ob ihr Heuchler wärt“, erwiderte Hermine mit einem falschen Lächeln. Ginny
verzog den Mund.
„Es
gefällt mir hier. Es ist der einzige Urlaub, den ich in nächster Zeit haben
werde“, beschwerte sich Ginny unglücklich. „Harry hat keine Zeit für Urlaub –
und keine Lust, und du-“
„-bleibt“,
unterbrach Hermine sie bloß. „Macht, was ihr wollt. Ich habe so viel zu tun,
dass ich es mir nicht leisten kann, überhaupt wegzufahren.“
„Aber
du brauchst eine Auszeit. Die ganze Sache mit Ron-“
„-ich
will nicht drüber reden“, entfuhr es Hermine sofort. „Das ist vorbei.“ Als sie
es sagte, spürte sie, dass sie es ernstmeinte. Denn es stand fest, ob Zauber
oder nicht – sie hatte ihren Mann betrogen. Und das tat keine Frau ihrem Mann
an. Und für sie gab es kein Zurück mehr. Vorher war es vielleicht eine
Möglichkeit gewesen. Irgendwie hätten sie vielleicht daran arbeiten können,
aber das jetzt, diese furchtbare Nacht… es war der Schlussstrich. Sie war
fertig. Vielleicht war es der Anstoß, den sie gebraucht hatte, aber zumindest
markierte es ganz klar das Ende ihrer Ehe. Und wenn Ron es wüsste – wenn Malfoy
es ihm sagen würde – er würde nie wieder ein Wort mit ihr wechseln. Sie wusste
nicht mal, ob Malfoy das plante! Ob er sie erpressen wollte…? Ob er ihre
Kandidatur gefährden wollte – ob das sein krankes Motiv war?! Natürlich wäre es
erfolglos, aber zutrauen würde sie es diesem Arschloch.
„Was?“,
riss Ginnys erschütterte Stimme sie aus den Gedanken. „Das meinst du nicht
ernst“, entfuhr es ihr, aber Hermine meinte es sehr ernst. Todernst. Kurz
verließ Ginnys Blick ihr Gesicht, kehrte dann aber ernst und verschlossen zu
ihren Augen zurück. „Wir reden später darüber“, ergänzte sie stiller, und
Hermine wandte sich um.
Oh
nein. Ihr wurde übergangslos schlecht. Es ging ihr ohnehin nur mäßig gut.
Malfoy erreichte sie und Ginny mit zügigen Schritten. Er wirkte… ernst. Wollte
er beichten? Wollte er es Ginny sagen? Sofort reagierte sie.
„Ginny,
entschuldige mich kurz“, murmelte sie mit unterdrücktem Zorn und kam ihm mit
wenigen Schritten entgegen. Er würde keinen Showdown bekommen! Garantiert nicht
jetzt, garantiert nicht mit Rons Schwester!
„Nicht
hier“, warnte sie ihn lediglich tonlos, und seine Stirn legte sich in Falten,
aber sie marschierte in die entgegengesetzte Richtung weiter.
„Was?“,
vernahm sie seine gereizte Stimme, aber er folgte ihr.
„Du
wirst nichts vor Ginny sagen“, machte sie es deutlich, und sie sah, dass er sie
verständnislos anblickte, aber lange hielt sie es nicht aus, ihn anzusehen,
diesen Scheißkerl.
„Bleib
stehen“, knurrte er jetzt, und zornig wandte sie sich um.
„Ich
habe keine Lust, dass du hier draußen-“
„-deine
Tochter ist weg“, kürzte er es ab, hatte anscheinend kein Geständnis ablegen
wollen, und sie vergaß kurz, dass sie sterben wollte, bei seinem Anblick
allein.
„Was?“,
entkam es ihr entgeistert, aber dann schaltete sie. „Weg? Was heißt weg?“,
wiederholte sie besorgt. „Abgereist?“ Milde Hoffnung schwang in diesem Wort
mit, und scheinbar hörte er es, denn sein Mund verzog sich knapp.
„Wahrscheinlich
nicht. Ihre Sachen sind noch da, und Scorpius sagt, auch ihr Zauberstab liegt
oben“, fuhr er grimmig fort.
„Sie
ist weggelaufen?“, fasste Hermine ungläubig zusammen.
„Es
scheint so“, entkam es ihm eisig. Kurz war sie zu müde und erschöpft, weiter zu
fragen, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen.
„Wieso?“
Es war ein müdes Wort. Denn jetzt gerade hatte Hermine genügend eigene Übelkeit
erregende Probleme, und eigentlich wollte sie auch nicht wissen, was ihre
Tochter veranlasst haben könnte, keine zwölf Stunden nach ihrer so dringenden
Hochzeit, abzuhauen. Aber sie wusste, was. Sie wusste, wer. Aber sie nahm an,
Malfoy wusste keine Details. Dieser schürzte kurz die Lippen.
„Wenn
Scorpius es weiß, dann sagt er es mir nicht“, erwiderte er bloß. Kurz herrschte
unangenehme Stille. „Willst du sie suchen?“, fragte er schließlich, und kurz
sah sie ihn fassungslos an.
„Nein,
Malfoy“, erwiderte sie mit bösartigem Sarkasmus, „ich werde im Schloss sitzen
und Däumchen drehen – sicher will ich sie suchen, du absoluter-!“
„-was
ich meinte, ist“, begann er gepresst, unterbrach sie ungeduldig, „ob wir jetzt
losgehen sollen“, schloss er kalt.
„Wir?“,
wiederholte sie distanziert.
„Ich
kenne mich hier aus“, sagte er schlicht.
„Kennt
sich Lucius nicht aus?“, konterte sie schnell, denn selbst die Anwesenheit von
Malfoy Senior wäre ihr im Moment lieber.
„Ha
ha“, machte er tatsächlich bitter. „Vielleicht bietet sich bei der Gelegenheit
an, dass du mir verdammt noch mal erklärst, was gestern und heute passiert
ist?“, schlug er ihr mit vagem Interesse im Blick vor. Das war nicht sein
Ernst!
„Wenn
du es wagst, unschuldig zu tun, stoße ich dich die nächste Klippe runter“,
knurrte sie, aber das vermittelte ihr direkt die schaurige Aussicht, dass Rose
irgendwo abgestürzt sein könnte. Seine Augen verengten sich.
„Ich
wäre niemals in dein Zimmer gekommen, um-“
„-ich
weiß von dem verdammten Lust-Zauber, Malfoy“, zischte sie, und Röte stieg in
ihre Wangen. Jetzt weiteten sich seine Augen.
„Bitte
was?“, entkam es ihm absolut ungläubig.
„Oh,
tu nicht so!“, rief sie aus, aber sie konnte Ginnys Neugierde von hier aus
spüren und bedeutete ihm mit einer harschen Geste, sich in Bewegung zu setzen.
Er führte sie scheinbar fort vom Gelände des Schlosses, durch den hinteren Teil
der Anlage, wo ein schmaler Weg in die freie Landschaft führte. „Ich habe die
Box gefunden. Offensichtlich“, ergänzte sie bitter, und sein Blick war so
völlig frei von jedem Verständnis, dass sie ihn näher fixierte. „Das
Resort-Ticket, die Geburtstagseinladung, die schwarze Kiste mit deiner Krawatte
drin?“, half sie ihm gereizt auf die Sprünge, aber sein Mund öffnete sich
entgeistert.
„Du
sagst Worte, aber ich habe keine Ahnung, was du willst“, erwiderte er, nahe
dran gereizt zu sein.
„Der
Geschenkekorb, Malfoy.“
„Was
soll damit sein?“ Er wartete tatsächlich auf eine Antwort.
„In
meinem Geschenkekorb – ganz im Gegensatz zu Rons Geschenkekorb – befand sich
eine Einladung zu deinem Geburtstag, neben einer Box, die mit einem Lustfluch
belegt war.“ Er sah sie an, als wäre sie ehrlich verrückt geworden.
„Wieso
sollte ich dich zu meinem Geburtstag einladen wollen?“, war das erste, was er ihr
ins Gesicht sagte.
„Keine
Ahnung, Malfoy. Wieso solltest du Sex mit mir haben wollen?“, gab sie wütend
zurück, flüsterte das Wort ‚Sex‘ jedoch bloß, als könne sie alleine von diesem
Wort ohnmächtig werden.
„Ich
wollte keinen Sex mit dir haben!“, entgegnete er kopfschüttelnd. „Ich sage nur
nicht nein zu betrunkenen, verzweifelten Hexen“, ergänzte er kühl. Sie sah ihn
an. Wenn er spielte, dann spielte er gut. „Ich hatte nichts mit irgendwelchen
Geschenkekörben zu tun“, ergänzte er dann, als sie eine Reihe an Bäumen hinter
sich ließen und in eine offene Heidelandschaft traten. Der Anblick wäre
wunderschön, wäre sie nicht so wütend und abgelenkt.
„Was?“
Sie sah zu ihm auf.
„Meine
Mutter hat dieses Event geplant. So auch die Körbe. Ich halte es für überaus
abwegig, dass ausgerechnet meine Mutter dich zu meinem Geburtstag einladen
wollte, aber ich war es nicht.“
„Und
deine Mutter soll mir einen Lustfluch untergejubelt haben?“ Hermine bezweifelte
das.
„Woher
kennst du sowas?“, stellte er plötzlich die nächste Frage, und kurz fiel ihr
Blick. Es ging ihn allerdings einen Scheißdreck an.
„Ich
kenne es einfach“, blaffte sie, unwillig, es zu vertiefen.
„Ist
Weasley anders nicht zu ertragen?“, vermutete er, ansatzweise amüsiert, aber
ihr Blick schoss hoch in sein Gesicht.
„Ernsthaft?“,
zischte sie zornig, und der angespannte Zug um seinen Mund kehrte zurück.
„Ernsthaft, Malfoy?“, wiederholte sie, denn es war zu früh. Es war zu früh und
zu unangebracht, darüber Witze zu machen. Und es tat verflucht weh. Er atmete
aus.
„Narzissa
würde so etwas niemals tun“, sagte er dann.
„Es
macht keinen Sinn“, sagte sie, mehr zu sich selbst, denn ihr Blick ging leer
nach vorne, konzentrierte sich auf die Landschaft, konzentrierte sich darauf,
ihre Tochter zu finden.
„Und
du bist sicher?“, wollte er ruhig wissen, und sie verzog den Mund.
„Warum
sollte ich zu dir kommen? Warum, um alles in der Welt, sollte ich, am Tag der
Hochzeit meiner Tochter, ausgerechnet zu dir kommen?“ Und kurz sah er so aus,
als hätte er darauf passende Antworten. „Und nein, selbst betrunken bist du
keine Option. Niemals eine Option“, knurrte sie wütend. „Es ist einfach nur
ekelhaft!“, brachte sie angewidert über die Lippen. „Ganz zu schweigen davon,
dass wir… verwandt sind.“
„Wir
sind nicht verwandt.“ Er sagte es sofort, ohne jeden Hauch eines Zweifels.
„Oh
ja, ich weiß, natürlich nicht per Blut, denn euer nobles scheiß Blut würde
wahrscheinlich einfach explodieren, würde es mit schlammigem Blutsverräterblut gemischt
werden!“, erwiderte sie gepresst, und sein Seitenblick traf sie fast gereizt.
„Aber per Gesetz, Malfoy. Per Gesetz sind wir sowas von verdammt noch mal
verwandt, dass es widerwärtig ist.“ Und kurz lächelte er. Es war ein schmales
Lächeln, wenn auch aufrichtig. „Ich weiß nicht, was du daran witzig finden
könntest“, entkam es ihr kopfschüttelnd, aber er ruckte mit dem Kopf.
„Gar
nichts“, erwiderte er ruhig. „Dann war es ein Zauber?“, stellte er schließlich
klar, aber diese Feststellung klärte überhaupt nichts.
„Ja,
es war ein Zauber“, antwortete sie fast angriffslustig. „Das macht es nicht
besser“, ergänzte sie zornig. „Ganz und gar nicht. Deine Familie ist krank.“
„Und
es war meine Familie?“, bemerkte er durchaus zweifelnd.
„Ist
es deine olivgrüne Krawatte, oder nicht?“, erwiderte sie eindeutig, und
Erkenntnis trat auf seine Züge, als wüsste er genau, welche Krawatte sie
meinte.
„Sie
ist seit einer Weile weg“, murmelte er abwesend.
„Lassen
wir das“, sagte sie schließlich distanzierter.
„Es
lassen?“, wiederholte er bloß.
„Ja.
Ganz klar treibt irgendwer aus deiner Familie seine Späße mit mir, und ganz
klar war keine freundliche Absicht dahinter-“
„-du
warst nicht alleine beteiligt, Merlin noch mal“, entfuhr es ihm scharf.
„Nein,
aber dir macht es anscheinend überhaupt nichts aus!“, konterte sie gereizt, sah
ihn prüfend an und milder Zorn flackerte über seine Züge. Ihr wurde wieder
schlecht. Sie hatte Sex mit ihm gehabt. Ob nun gewollt oder ungewollt. Ob
Zauber oder nicht, sie erinnerte sich. Es war ihr Körper gewesen, ihre Hände,
die ihn berührt hatten, und sie wollte sich die Haut vom Körper ziehen.
„Es
bereitet mir keine Existenzkrise, nein“, bestätigte er grimmig. „Aber mir
bedeutet das auch weitaus weniger, als-“
„-oh halt deinen Mund!“, unterbrach sie ihn wütend, schüttelte zornig den Kopf,
so dass die Locken flogen.
„Was?“,
fuhr er sie ebenso zornig an.
„Es
bedeutet überhaupt nichts, du arroganter Wichser“, spuckte sie ihm entgegen,
und seine scheiß blonden Augenbrauen hoben sich tatsächlich. „So großartig bist
du nicht!“, ergänzte sie bitter. „Bild dir bloß nichts ein. Als ob es emotional
irgendwas bedeuten würde!“, brauste sie auf. „Es geht alleine darum, dass es
nicht rückgängig zu machen ist! Ich kann es nicht zurücknehmen!“ Ihr Atem ging
schnell. Und sie hatte nicht geplant darüber überhaupt zu reden. Mit keinem –
und garantiert nicht mit ihm.
„Wegen
Weasley?“, schloss er schließlich, und sie hasste, dass er ihn so nannte. Sie
blieb stehen.
„Wegen
Weasley?“, wiederholte sie schwach. „Wegen meinem Mann? Ja, Malfoy, wegen
meinem Mann. Wegen meiner Tochter. Wegen deinem Sohn. Schön, wenn es dir nichts
ausmacht, aber ich hätte ehrlich gesagt gedacht, dass du so etwas nicht
zulassen würdest, wenn du nicht für diesen Fluch verantwortlich bist!“
„Es
ist nicht meine Schuld!“, sagte er bloß.
„Doch,
es ist deine Schuld. Genauso wie es meine ist. Du kannst es nicht ablehnen, es
abtun, als hättest du nichts damit zu tun.“ Er stand vor ihr, groß und sehr
unnahbar. Sie erlaubte sich, ihn anzusehen. Dieser Lustfluch war ein
gefährliches Ding, hatte ihre gesamte Wahrnehmung ausgehebelt, denn jetzt würde
sie ihn niemals freiwillig anrühren. Niemals. Wie er vor ihr stand, in seiner
dunklen Hose, dem gestärkten Hemd mit dem goldenen Emblem einer teuren Marke,
dem Wildlederjackett mit den Ellbogen-Patches und dieser Frisur! Gott, diese
aufgesetzte Möchte-gern-Haltung! Unfassbar, dass zwei Menschen, die so
unterschiedlich waren, überhaupt irgendeine Verbindung hatten finden können.
Sein Mund öffnete sich, aber er entschied sich dagegen und wollte weitergehen.
„Was?“,
wollte sie herausfordernd wissen. „Du hast Input, du möchtest etwas dazu sagen?
Dann sag es einfach.“ Er machte sie wütend. So unfassbar wütend.
„Nein“,
entschied er schlicht, schüttelte den Kopf, aber sie spürte seinen Zorn
deutlich.
„Warum
nicht?“ Er blieb ihr ohnehin viel zu ruhig. Es machte sie fuchsig. Kurz wandte
er den Blick.
„Es
ist passiert, es ist vorbei, und ich habe nicht vor, jemals wieder darüber zu
reden“, informierte er sie knapp. „Wie ich dir auch heute Morgen schon sagte“,
ergänzte er warnend.
„Ja,
du möchtest über heute Morgen reden?“, entkam es ihr wütend, aber dieses Mal
erwiderte er ihre Wut. Er kam wieder näher, hielt direkt vor ihr inne.
„Weißt
du“, begann er kalt, „du versteckst dich hinter irgendeinem Fluch, den dir
vielleicht oder vielleicht auch nicht angeblich jemand aus meiner Familie
untergeschoben haben soll-“, ihr Mund öffnete sich im Protest, aber er ließ
sich nicht unterbrechen, „-und vielleicht solltest du dich einfach glücklich
schätzen und deinen verdammten Mund halten!“, schloss er äußerst kalt.
Ungläubig weitete sich ihr Blick.
„Mich
glücklich schätzen?“, wiederholte sie so leise, dass er Mühe hatte, sie zu
verstehen. Sie wollte so viel mehr sagen, aber der schiere Ekel hielt sie ab.
„Du
bist nicht gerade der Hauptgewinn“, informierte er sie bitter. Ihr Kiefer gab
nach, während sein inquisitorischer Blick ihre Gestalt musterte. „Du bist alt,
du bist nicht gerade in top Form“, fuhr er schnarrend fort, und er war genauso
alt wie sie! Aber sie sagte nichts. Glaubte dieses Arschloch wirklich, dass er
sie mit irgendwelchen Oberflächlichkeiten beleidigen könnte? Er war so
erbärmlich. Sie schloss zornig den Abstand. Sie war heute nicht in top Form,
aber sie wäre immer in besserer Form als er! Geistig, als auch körperlich. Er
wollte sie herausfordern? Konnte er haben.
„Ich
bitte dich“, sagte sie sehr leise, als sie sehr dicht vor ihm stand. „Ich bin
sehr wahrscheinlich das Großartigste, was dir in deinem jämmerlichen Leben
jemals passieren konnte, ob ich fünfzehn oder fünfzig bin! Und für mich braucht
es einen Fluch, um jemandem wie dir überhaupt einen zweiten Blick gönnen, aber
es wundert mich in keinster Weise, dass du nicht eine Sekunde gezögert hast,
als ich zu dir gekommen bin.“ Und tatsächlich ließen ihre Worte ihn verstummen.
Nahezu sofort. „Mach dir nichts vor, Malfoy. Im Vergleich zu dir bin ich immer
der verdammte Hauptgewinn.“ Zu einem großen Teil waren ihre Worte eine bloße
Trotzreaktion darauf, dass er ernsthaft annahm, sie bloßstellen zu können. Ein
kleiner anderer Teil in ihrem Innern meinte die Worte ernst. Und Hermine
arbeitete tagtäglich mit Vollidioten wie ihm, und sie wusste, alles, was diese
aufgeblasenen Pfauen brauchten, waren klare Ansagen. Räumte man diesen
Individuen gegenüber auch nur die kleineste Schwäche ein, hatte man verloren.
Sie kannte alle Draco Malfoys dieser Welt. Sie waren nicht komplex. Sie waren
gar nichts weiter, als oberflächliche Hüllen.
Sie
war eine Kriegsheldin, so blitzgescheit, dass sie Ministerkandidatin sein
würde, Merlin, so fähig und kompetent, dass sie Minister werden konnte.
Sicher,
betrunken betrachtete sie sich im Spiegel, erkannte ihr Alter und verfolgte
manchmal oberflächliche Gedanken – aber nie lange. Es war nie von Wert.
Draco
Malfoy war ein Staubkorn auf ihrem Weg nach oben. Sie hatte immer gewusst, dass
ihre Art, ihr Charakter, ihr viele Steine in den Weg legen konnte und dafür
verantwortlich sein würde, dass sie sich viele Beziehungen zu Menschen
verscherzte. Und natürlich war nicht nur Scorpius Malfoy daran schuld, dass ihr
Ehemann sie verlassen hatte. Aber es war einfacher, die Schuld dann und wann
mal auf wen anders abzuwälzen. Und wenn der Schuh passte, musste sie sich nicht
mit ihren Fehlern auseinandersetzen.
Aber
Draco Malfoy hatte nicht das Recht, sie bloßzustellen. Er hatte es sich nicht
verdient, ihr seine Meinung zu sagen. Sie konnte nichts ernstnehmen, was seine
Lippen verließ.
„Ich schaffe
es von hier allein, meine Tochter zu finden“, informierte sie ihn, ohne jede
Emotion. „Vielen Dank für deine aufschlussreiche Gesellschaft.“
Seine
grauen Augen waren auf sie geheftet, seine Mundwinkel ablehnend nach unten
gezogen, und sie brauchte keine Legilimens, um die Beleidigung auf seinen
Lippen zu erahnen, aber Malfoy war keine fünfzehn mehr. Zumindest Beherrschung
schien eine fragwürdige Tugend zu sein, die er nüchtern meistern konnte. Sein
Kiefermuskel arbeitete angespannt. Und mit diesem Blick konnte sie sich
ernsthaft vorstellen, dass er sie schlagen oder verfluchen wollte. Er könnte
auch um ihre Hand anhalten, ihr unter Umständen mit diesem Blick die Kleider
vom Leib reißen. Es lag viel in seinem Blick.
Und
ja, vielleicht. Sie hatte sich gestern den bestaussehendsten Mann der Party
genommen. Und vielleicht wusste der blonde Hüne, wie er mit seinem Penis
umzugehen hatte, und sie sah die Verlockung, die mit dieser Art der Arroganz
und Selbstüberschätzung einherging, denn sie spürte die Spannung zwischen sich
und ihm auch ohne den Einfluss eines verdammten Zaubers, aber sie war um Längen
klüger als ihre Tochter, die auf die billige Illusion des Malfoy-Charmes
hereinfiel, wenn man auf so etwas stand. Bleiche, blonde, aristokratische
Machtspiele.
Es
war nicht Hermines Geschmack. Es war reine oberflächliche Befriedigung. Und sie
kannte sich aus. So etwas reichte nie für mehr, als bedeutungslosen Spaß. Rose
würde es lernen. Sie war sich sicher.
Ron
hatte sie es nie klar machen können, dass es eine Phase war. Dass es vielleicht
für ein paar hitzige Jahre reichen würde, aber dass Rose auf lange Sicht
niemals an Scorpius‘ Seite bleiben würde.
Und
sie erinnerte sich an Rons Worte damals. Er hatte gewollt, dass Rose glücklich
war, dass sie sich von vornherein klug entscheiden sollte.
Aber
das würde sie nicht.
Das
hatte Hermine auch nicht getan. Manchmal sah sie klar. Manchmal wusste sie
selber auch, dass Ron damals eine Hals-über-Kopf-Entscheidung gewesen war. Dass
sie ihn hatte haben wollen, weil er es ihr schwer gemacht hatte. Es war keine
Kopfsache gewesen. Aber das waren die Steine in ihrem Weg.
So
etwas konnte man dem eigenen Ehemann nicht sagen, nicht wahr? Dass er nicht
ihre kluge Entscheidung gewesen war, sondern lediglich die Trotzreaktion.
Mit einem
mentalen Ruck schien sich Malfoy von ihrem Anblick zu lösen, der heute
garantiert nicht viel hermachte, aber es war fast zu leicht durch seine Deckung
zu kommen, und kurz zuckten ihre Mundwinkel, bevor ihr wieder einfiel, dass sie
ihre Tochter finden musste, die ihrem Vater nur zu sehr ähnelte und ewiges
Glück erwartete, obwohl sie sich einen elenden Trostpreis ausgesucht hatte.
„Dad?“
Draco hatte fertig gepackt. Er konnte nicht erwarten, zu
verschwinden. Über seine Mutter hatte er erfahren, dass Rose wieder aufgetaucht
war, dass ihre Mutter sie gefunden hatte, und anscheinend war das fragwürdige
Eheglück gekittet worden. Aber es interessierte ihn nicht. Wie konnte es diese
Furie wagen? Er zwang sich, ihre Worte abzutun. Bittere Worte einer bitteren
Frau. Nichts weiter als das.
„Nein,
Scorpius“, war alles, was er sagte. Er hatte genug. Es war genug für zwei Tage.
Merlin, es war genug für die nächsten zwei Jahre. Es war zu anstrengend. Er war
zu alt dafür. Und er konnte nicht ertragen, dass es nahtlos weiterging. Dass es
nie ein Ende fand. Oh, er hatte versucht, Rose Weasley seinem Sohn auszureden.
Mehr als einmal. Mehr als eintausendmal. Dass es nur Komplikationen brachte,
dass es niemals gut enden würde, denn er wusste, wo sie herkam, wem sie ähnelte
– und nein. Es war es nicht wert. Niemals wäre es so viel wert. Scorpius sah
müde aus, und Draco hatte es ihm prophezeit. Seit Jahren!
„Dad“,
sagte sein Sohn wieder, so gänzlich hilflos, dass Draco schreien wollte. Er
wollte es nicht wissen, wollte nicht wissen, was, bei Merlin, schon wieder
hatte vorgefallen sein können, das alles innerhalb von zwölf Stunden wieder
zerstörte. Dieses Mädchen würde seinen Sohn zu Grunde richten, und Draco hasste
das. Und es war nicht mal, weil sie an Gold interessiert war! Nein, diese
Familie war so verdammt eigenartig mit ihrer seltsamen Moral, ihren
Vorstellungen, dass Draco sicher war, Rose tat das alles nur, um Scorpius zu
quälen!
„Was?“,
würdigte er ihn mit einem knappen Blick. Gut, dass Astoria davon nichts
mitbekommen hatte. Absolut gar nichts. Sie hätte ihm persönlich die Schuld
gegeben, ihm Ohrfeigen rechts und links verpasst, und vielleicht war er
überfordert gewesen, hatte das Weasley-Warnsignal überhört, weil es umständlich
war. Und jetzt hatte er den Ärger. Und jetzt hatte er mit Hermine Weasley
geschlafen, die ihm auch noch erklärte, dass es sein verdammtes Glück gewesen
war! Merlin! Er knallte den Deckel seiner Tasche zu. Seine Nasenlöcher bebten
vor Zorn, als er seinen Sohn ansah. Seinen müden Sohn, der kaum mehr war, als
ein Kind.
„Sie
ist schwanger.“
….
Großartig. Dracos Mund verzog sich angewidert. Deshalb hatte sie ihn heiraten
wollen. Alleine deshalb! Draco wusste es, roch die Finte sofort, hätte seine Hand
ins Feuer gelegt. Das kleine Biest war an Scorpius nicht interessiert, alleine
an der Sicherheit, die sein Name brachte. Und Draco wartete ab, sah wie
Scorpius im Türrahmen rumdruckste, wusste, das war noch nicht das Ende.
„Und
ich… hatte ihr vorgeschlagen, dass wir es… loswerden können. Und dann… ist sie
abgehauen.“ So viel Weitsicht hätte Draco seinem dummen Sohn nicht zugetraut.
So viel Selbsterhaltungstrieb.
„Und
jetzt?“, erkundigte er sich glatt, und sein Sohn fuhr sich durch die dichten,
verstrubbelten Haare.
„Jetzt
ist sie wieder da und…“
„Und
sie will es behalten?“, nahm Draco dumpf an. Sicher wollte sie es behalten. Es
sicherte ihr ihren verdammten Lebensunterhalt, einen einigermaßen guten Namen
und unter Umständen die Treue seines Sohnes, was auch immer das Wert sein
mochte.
„Ja.“
„Du
hast sie geheiratet“, stellte Draco achselzuckend klar. „Das ist jetzt dein
Problem“, schloss er und zog sich den Mantel über. Scorpius‘ Schultern sanken.
„Was
soll ich tun?“, fragte er tatsächlich, und Draco mochte nicht, wie offen und
ehrlich sein Sohn mit ihm war. Es wäre ihm im Leben nicht eingefallen, mit
solchen Sorgen zu Lucius zu gehen. Er erinnerte sich, dass Astoria mit
einundzwanzig schwanger geworden war, sie war jünger als er gewesen. Scorpius war
jetzt schon zwei Jahre älter, als Draco es gewesen war. Er hatte keine Tipps
für seinen erwachsenen Sohn. Er hörte ja sowieso nicht auf ihn!
„Was
du tun sollst?“, wiederholte Draco angespannt. „Ich würde vorschlagen, du wirst
endlich erwachsen, lebst mit den Konsequenzen und hörst auf damit, dich selbst
zu sabotieren! Du hast in ihrem Garten gezeltet! Du hast Lucius in den Ohren
gelegen, bis er dir die teuerste Hochzeit ausgerichtet hat! Dachtest du, dass
sie nicht irgendwann vorhat, dein Kind zu bekommen? Was hast du geglaubt?“,
fuhr er ihn an.
„Wieso
schreist du mich an?“, entfuhr es Scorpius gereizt.
„Weil
ich deine Probleme nicht lösen kann – nicht lösen will, offen gesagt! Du
hättest jede haben können, aber du wolltest sie! Jetzt hast du sie.“ Scorpius
atmete aus.
„Ich
liebe sie, Dad“, sagte sein Sohn, beinahe hilflos. Wirklich? Tat er das
wirklich, wollte Draco fragen, aber er beherrschte sich.
„Dann…“,
begann Draco erschöpft und atmete selbst resignierend aus. „Dann gibt es kein
Problem, oder nicht?“, wollte er müde wissen. „Dann solltest du dich freuen“,
schloss er bitter.
„Ich…
ich will sie für mich. Ich will sie nicht teilen“, entkam es seinem Sohn.
„Jetzt habe ich sie endlich, für immer. Und sie… wird keine Zeit haben für
mich“, machte sein Sohn jetzt deutlich, und Draco begriff es nicht wirklich.
„Dir
ist schon klar, dass du dein Kind lieben wirst, egal, wie verbohrt und
unselbstständig und schwer von Begriff es sein wird?“, wollte er von seinem dummen
Sohn mit erhobener Braue wissen, und fast lächelte sein Sohn.
„Sicher,
aber…“
„Aber?“
Draco wartete ungeduldig.
„Aber
ein Kind ist anstrengend.“ Draco wollte auflachen.
„Meinst
du? Wirklich? Warte ab, Scor“, erwiderte er trocken. „Warte ab, bis es
erwachsen ist und Entscheidungen trifft, die deine Haare grau werden lassen“,
prophezeite Draco finster und griff sich seine Tasche.
„Du
könntest noch bleiben“, schlug Scorpius eindeutig vor, aber jetzt lachte Draco
trocken auf.
„Ja.
Ich könnte mich auch kopfüber von der Decke hängen lassen, während die Weasleys
mit Stöcken auf mich einschlagen und eine Malfoy-Pinata-Party veranstalten,
aber nenn mich ruhig langweilig, wenn ich vorziehe meinen Sonntag in Ruhe zu
verleben.“ Und sein Sohn lächelte tatsächlich.
„Dann
sehen wir uns in ein paar Wochen?“ Draco wog seine Tasche in der Hand.
„Ich
weiß noch nicht, ob ich dich dabei haben will“, gab er zurück, aber jetzt
lachte sein Sohn.
„Wir
sehen uns“, verabschiedete er sich und verließ das Zimmer wieder. Draco wollte
nicht. Er wollte einfach nicht. Einmal, nur einmal, sollte seine Mutter keinen
so großen Aufriss machen! Und er hatte mit ihr zu reden! Denn, wenn jemand
dafür verantwortlich war, dass Hermine Weasley zu seinem Geburtstag eingeladen
war, dann garantiert nicht Lucius! Und wenn er ehrlich war, würde er Narzissa
zutrauen, einen verdammten Lust-Zauber zu benutzen. Einfach, um ihn nervlich in
den Ruin zu treiben.
~*~
„Ich
beneide dich“, sagte Harry schließlich, mit einem milden Lächeln, und Hermine
musste ihn so fassungslos ansehen, dass er ein wenig zurückruderte. „Also,
nicht um alles natürlich“, wiegelte er ab, „aber du wirst Großmutter“, sagte er
lächelnd. Hermines Mundwinkel sanken. „Es sind gute Neuigkeiten“, schien Harry
sich gehalten zu fühlen, zu sagen.
„Es
geht“, war ihre sparsame Antwort.
„Du
hättest noch bleiben sollen. Malfoy ist abgereist und Ginny und ich hatten ein
herrliche Zeit auf dem Schloss.“ Manchmal wollte Hermine ihn schlagen. Nur
manchmal.
„Ich hatte
zu tun“, erwiderte sie bloß.
„Ist
irgendwas vorgefallen?“ Harry sah sie mit verengten Augen an. Harry war immer
sehr weitsichtig gewesen, hatte immer ein gutes Gespür für Menschen.
Sie
hatte mit Malfoy geschlafen.
„Nein“,
log sie achselzuckend. „Ich hatte einfach nicht die Kraft und nicht die Lust
noch länger in der Gesellschaft dieser Familie zu sein.“
„Sie
reißen sich sehr zusammen“, bemerkte Harry dann.
„Das
sehe ich“, knurrte sie praktisch, und Harry runzelte die Stirn. „Hör zu“, wich
sie aus, „ich denke, es ist ein riesiger Fehler, und Rose sollte das Kind
besser nicht bekommen, aber natürlich will sie es bekommen, also sage ich
nichts. Wie immer. Ich tue nichts, lasse sie machen, während Ron sich aus der
Affäre gezogen hat, und ich alles alleine tragen kann.“
„Du
könntest mit ihm-“
„-nein,
Harry. Ich könnte gar nichts. Ich will es auch nicht. Er hat seine Meinung
deutlich gemacht, und ich habe keine Lust, jedes Mal die Vernünftige zu sein.
Jedes Mal über meinen Schatten zu springen, obwohl ich wesentlich wichtigere
Dinge zu tun habe. Ich habe eine Karriere, ich habe ein Leben, außerhalb der
Familie. Wenn er sein Seelenheil alleine von den Entscheidungen seiner Tochter
abhängig machen möchte, dann hat er ein Problem – und nicht ich.“ Sie hatte
sehr viel gesagt, hatte eigentlich schon zu viel gesagt, dafür, dass es sie
nicht interessierte, aber es war egal. Sie musste dieses Wochenende
verarbeiten. Dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen, war schwer genug.
„Ja,
Frau Ministerin“, erwiderte Harry eindeutig sarkastisch, und sie atmete durch
die Nase aus. „Wirst du Ron von seinem Glück erzählen, Großvater zu werden?“,
wollte Harry schließlich ernster wissen, und Hermine lachte auf.
„Um
den nächsten Herzanfall zu forcieren? Warum nicht“, entgegnete sie bitter.
„Nein. Das kann seine Tochter alleine tun“, schloss sie kühl.
„Sie
und Ginny treffen sich heute übrigens, um Umstandsmode zu kaufen“, fuhr Harry
fort, als sie endlich die Schlange an der Kantine hinter sich brachten und
einen Tisch ergattern konnten. Hermine lächelte ein falsches Lächeln der
Entzückung.
„Super!“
Hermine wusste, sie könnte sich freuen. Sie hatte sich früher ausgemalt, wie
wunderbar es sein würde, Großmutter zu werden. Aber es waren Gedanken gewesen,
wo die andere Seite an Großeltern noch keine konkrete Form angenommen hatte. Es
war alles theoretisch gewesen, und sie wusste mittlerweile, diese Gedanken
waren kindisch. Es gab immer eine andere Seite, eine andere Familie, die dazu
gehörte, und für diese neue Familie hatte sie nichts übrig. Wahrscheinlich wäre
es besser, würde dieses Kind die Familien nur getrennt zu Gesicht bekommen. Es
war schon jetzt alles widerlich kompliziert.
„Du
wirst dich schon noch freuen können“, versprach Harry ihr zuversichtlich, und
Hermine hatte ihre Zweifel.
„Mhm“,
machte sie knapp und wünschte sich, alleine essen gegangen zu sein.
~*~
„Du
musst mitkommen“, sagte Rose, und Hermine hasste bereits jetzt, dass ihre
Tochter den neuen Reichtum ausnutzte. Wie sie aussah. Diese Kleidung, der Schmuck.
Sie kam ihr vor wie eine neureiche Ziege.
„Auf
gar keinen Fall“, sagte Hermine, ohne Raum für Verhandlung. Rose hatte sie im
Büro heimgesucht, und Hermine hatte keine Möglichkeit zu fliehen. „Hast du
eigentlich noch jemals vor, dir einen Job zu suchen?“
„Mutter,
ich bin schwanger“, sagte Rose, als löse es jedes Problem.
„Aha“,
machte Hermine, deutete um sich, und Rose verdrehte die Augen. Hermine war
arbeiten gegangen, Ron war Zuhause geblieben. Hermine hatte sich alleine
hochgearbeitet und Rose sollte bloß den Mund halten.
„Ich
bin nicht du. Ich möchte mich der Kindererziehung widmen“, erklärte ihre
Tochter mit einem ätzend seligen Ausdruck auf dem Gesicht.
„Während
du dich auf dem Malfoy-Vermögen ausruhst?“, vermutete Hermine finster.
„Mum,
die nächsten drei Jahre werde ich für das Kind da sein. Ganz einfach. Scorpius
ist auch dafür.“
„Ich
dachte, Scorpius wollte es loswerden?“, erwiderte sie mit scharfem Blick.
„Es
war eine erste Reaktion. Wir haben uns beide falsch verhalten“, wiegelte Rose
ab, und Hermine wollte nicht. Sie wollte nicht mit ihrer Tochter reden. Es
würde nur fatal enden. „Also, du kommst mit, ja? Ich habe mit Scorpius
gesprochen, und seine Großmutter hat bereits ein ganzes Tagesangebot für dich
zusammengestellt – was nicht stornierbar ist. Und es kostet ein Vermögen, Mum!“
„Rose,
ich muss gar nichts tun“, warnte Hermine ihre Tochter. „Ich habe genug getan.
Ich war auf deiner Hochzeit“, begann sie. Ich habe mit deinem Schwiegervater
geschlafen, fuhr sie in Gedanken fort, beherrschte sich aber. „Ganz im
Gegensatz zu deinem Vater“, ergänzte sie.
„Ich
will nicht über ihn reden“, beschwerte sich Rose sofort.
„Schön“,
entgegnete Hermine gereizt. „Dann lass mich in Ruhe mit irgendwelchen
Malfoy-Feiern!“
„Du
musst kommen“, wiederholte ihre Tochter verzweifelt. „Du bist alles, worauf ich
mich noch verlassen kann. Dad ist ein unmöglicher Vater, und es ist peinlich
genug. Und du bist das einzige Vorbild. Jeder sieht zu dir auf!“, rief Rose
unglücklich. Nicht jeder, dachte Hermine dumpf. „Ich sehe zu dir auf. Ich
möchte, dass du Teil meiner Zukunft bist, Mum!“ Die großen blauen Augen ihrer
hübschen Tochter füllten sich mit elenden Tränen, und Hermine wünschte, Rose
würde ihre Bürotür zumachen. Sie wollte vorschlagen, dass Rose Ginny mitnehmen
könnte, aber sie sagte nichts. „Und ist es nicht wirklich nett, dass die
Malfoys dich einladen?“, wollte Rose verständnislos wissen. „Dass sie
versuchen, eine Beziehung aufzubauen?“
„Wirklich
nett“, bestätigte Hermine lakonisch, und Rose stöhnte auf.
„Bitte,
Mum. Ich flehe dich an. Was soll ich noch tun? Du möchtest dein Enkelkind
sehen, oder nicht?“ Ihre Tochter war ein bösartiges Monster. Was für ein fieser
Zug. Hermines Ausdruck wurde grimmig.
„Ich
hasse diese Familie“, knurrte Hermine.
„Heißt
das ja?“, erkundigte sich Rose vorsichtig, strahlte aber bereits wieder.
„Und
ich hasse dich“, ergänzte Hermine gepresst. Rose verdrückte sogar eine Träne.
„Danke
Mum! Danke, danke, danke!“ Sie kam um den Schreibtisch, drückte sie an sich,
und Hermine fragte sich, wofür sie das alles tat? Die Beziehung würde enden,
niemanden würde interessieren, zu wie vielen scheiß Familienfeiern sie gegangen
war, und dann wäre sie trotzdem noch schuld.
Vor
allem nach der Ansprache, die sie Malfoy verpasst hatte….
Sie
war müde, erschöpft, depressiv. Alles auf einmal. Sie hatte sich nach der
Hochzeit in Arbeit gestürzt und arbeitete seit Wochen jeden Tag Überstunden, um
bloß nicht nachdenken zu müssen.
Ron
war seit sieben Wochen ausgezogen und hatte sich noch kein einziges Mal
gemeldet. Nicht, dass sie die Tage zählte. Nicht, dass es ihr irgendetwas
anhaben konnte. Äußerlich. Sie trauerte still für sich und es ging keinen etwas
an.
~*~
„Schuss!“,
rief Draco, hatte ein Auge fest zusammen gekniffen, zielte genau, verfolgte den
magisch verhexten Tonklumpen mit den Augen, der wilde Haken in der Luft schlug,
abtauchte, und kurz bevor er wieder hochstieg hatte er…-
Das
magische Gewehr sank unwillkürlich in seiner Hand.
„Malfoy,
was soll das?“, entrüstete sich Blaise enttäuscht und zerschoss den Ton selber
in der Luft. Aber Dracos Blick war an den beiden Frauen hängen geblieben. Was
bei Salazar sollte das werden? Er erkannte seine Mutter. Und er erkannte die
andere Frau. Sie trug ein helles Kostüm, kurz. Sehr kurz. Zu kurz, seiner
Ansicht nach, für dieses Wetter – und generell. Was tat sie hier?
War
sie ernsthaft gekommen, weil ihr irgendwer – seine Mutter! – eine Einladung
geschickt hatte? Hatte sie nicht ziemlich deutlich gemacht, wie widerlich er
war, was sie für ein Hauptgewinn war? Er hatte ihre Worte nicht vergessen. Sein
Mund verzog sich zu einer sehr schmalen Linie.
Blaise
folgte seinem Blick.
„Uh,
ist Mrs Weasley jetzt Dauergast?“, vermutete sein bester Freund grinsend, und
Dracos Kiefer spannte sich an.
„Es
scheint so“, erwiderte er gereizt. Seine Mutter zeigte ihr irgendwelche
Pflanzen, irgendeinen Quatsch, und Draco begriff nicht, wie sie Lust darauf
haben konnte. Warum war dieses Miststück hier?
„Schuss!“,
rief Draco zornig, zielte, und der nächste Klumpen Ton, den er traf, hatte ihr
Gesicht. In seinen Gedanken zumindest.
„Perfekt“,
rief Blaise, richtete den Blick Richtung Himmel und bedeutete anschließend dem
Personal, dass sie aufhören würden. „Es wird langsam Zeit. Die Sonne geht
unter“, erläuterte er, und Draco hatte keine Lust, sich umzuziehen, diesen
Abend zu beginnen. Er mochte das Resort, aber es waren entschieden zu viele
Leute anwesend, die ihm die Laune verdarben.
„Mh“,
machte Draco lustlos, ließ sich das Gewehr abnehmen, und Blaise schenkte ihm
einen fragenden Blick.
„Weißt
du, ich wollte nichts sagen, aber schon auf der Arbeit warst du ziemlich
angespannt. Wieso hast du dir kein Date mitgebracht?" Draco hob den Blick,
sah Blaise an, und dieser wirkte ernsthaft mitleidig. Draco blinzelte. „Es ist
alles etwas viel im Moment, nicht wahr? Dann wirst du auch noch Großvater, ich
meine… das ist schon ein Schock. So alt bist du immerhin auch nicht, und-“
„-Blaise“,
unterbrach Draco seinen Freund gefährlich ruhig, „danke für deine Fürsorge,
aber es geht mir bestens.“ So klang er nicht, so sah er nicht aus, aber es ging
Blaise nichts an.
„Sex
entspannt, Draco“, versicherte er ihm, und Draco atmete angespannt aus. Nein.
Nein, tat er nicht. „Du musst kein tragischer Witwer sein, der niemals
unkeusche Gedanken hat“, fuhr er fort.
„Blaise-“
„-ich
meine, sag ein Wort, und ich vermittel dir herrliche Ablenkungen aus dem Club“,
unterbrach er ihn achselzuckend. „Du siehst gut aus, hast gutes Gold. Ich sage
dir, die Hexen werden Schlange stehen!“
„Danke.
Aber nein“, schloss Draco, der garantiert nicht nötig hatte, dass Blaise den
Zuhälter spielte.
„Draco-“
„-ich
bin versorgt!“, log er glatt. War er nicht, aber der letzte Sex hatte ihm sehr
deutlich gemacht, wie gefährlich Sex doch tatsächlich war. Er war drüber weg.
Er brauchte im Moment absolut gar nichts und niemanden. Er hing es nicht an die
große Glocke, so wie es Blaise gerne hätte, aber Draco bekam, was er wollte –
wenn er es wollte.
„Was ist
eigentlich mit Emily?“, erkundigte sich Blaise mit gewisser Neugierde. Dracos
Mund öffnete sich knapp. Er hatte Monate nichts mehr von ihr gehört, hatte sich
auch Monate nicht mehr bei ihr gemeldet. Es war stressig gewesen. Emily war die
Tochter von Senator Bennett, siebzehnzehn Jahre jünger als Draco und alleine
deshalb schon ein aufwendiges Unterfangen.
Sie
hatten sich im Club kennengelernt, trafen sich alle paar Monate, verbrachten
Wochen am Stück miteinander, bevor einer von beiden schließlich die Notbremse
zog und einige Monate Pause einlegte.
Dieses
Mal war er es gewesen, weil Scorpius seine ganze Zeit in Anspruch genommen
hatte, erfolglos natürlich, denn geheiratet hatte er trotzdem.
„Keinen
Kontakt zur Zeit“, erwiderte Draco still. Vielleich wäre es an der Zeit, dass
er sich bei ihr meldete. Diese Art von Ablenkung könnte ihm gut tun.
„Lass
so eine Frau nicht zu lange warten, Malfoy“, warnte Blaise ihn. „Irgendwann ist
sie weg vom Markt.“
„Das ist
ok“, sagte er bloß. Blaise schenkte ihm eine dunkle erhobene Augenbraue.
„Emily
ist eine perfekte Zehn auf der Skala. Wenn du sie dir nicht nimmst, tut es wer
anders.“ Draco lachte auf.
„Ich
bitte darum. Emily ist unverheiratet und dreißig Jahre alt. Sie wird heiraten
wollen, Kinder haben. Ich bin… fertig damit.“
„Du
bist noch nicht tot, Draco“, mahnte Blaise und schnalzte mit der Zunge.
„Es
reicht, dass Scorpius das jetzt alles machen wird. Ich werde genug beteiligt
sein“, prophezeite er finster.
„Ok“,
sagte Blaise abwehrend. „Wenn das deine Logik ist. Du schlägst den Hauptgewinn
aus, dafür dass du ein ruhiges Leben bis ins Grab führen kannst. Wenn du das
willst.“ Hauptgewinn. Das Wort schwirrte in seinen Gedanken umher. Angeblich
war jemand anders der Hauptgewinn, dachte er spöttisch. Das wünschte sie. Zu
wenig Selbstbewusstsein besaß Hermine Weasley nicht, überlegte er. Aber das
sollte nur vorteilhaft sein für die Ministerkandidatur. Draco hatte Gerüchte
gehört. Und das Schlimme war, er nahm an, diese Person könnte tatsächlich
Chancen auf das Amt haben. Leute kannten ihren Namen, wussten, was sie
geleistet hatte. Aber er nahm, käme ihre neueste Affäre ans Licht würden die
Punkte fallen. Grimmig verzog er den Mund. Hauptgewinn. Als ob.
Er
konnte sie und Narzissa nicht mehr entdecken, ging ihm auf, als er das Gelände
absuchte. „Malfoy!“, fuhr Blaise ihn entrüstet an.
„Ich
überlege es mir“, erwiderte Draco diplomatisch.
„Ich
empfehle es dir. Lass uns reingehen, Geburtstagskind. Sonst jagt mir Pansy
sämtliche Flüche auf den Leib.“ Blaise musste gerade reden. Als ob er noch
einmal Lust darauf hätte, Vater zu werden, frisch verheiratet zu sein. Es war
leicht reden für alle anderen. Draco hatte sich noch keine Gedanken über seine
Zukunft gemacht. Die letzten zehn Jahre hatte er beide Hände damit zu tun
gehabt, Scorpius zu leiten und zu führen. Ins Verderben zwar, aber er hatte
sich gekümmert. Scorpius hatte eine gute Ausbildung gemacht, wäre ein perfekter
Reinblüter, was auch immer das bedeutete, wenn da nicht seine verdammte
Vorliebe für eine spezielle Weasley-Frau wäre. Draco hatte es nicht
nachvollziehen können, und es hatte ihn gute Lebensjahre gekostet, einfach
wegzusehen. Scorpius einfach machen zu lassen. Und er glaubte, er brauchte eher
eine Pause, als eine neue Frau. Eine so junge Frau. Er wurde schon müde,
alleine beim Gedanken daran.
Und
heute war sein Geburtstag. Geburtstage hörten auf, Spaß zu machen, ungefähr mit
neun. Mit neun hatte er zum ersten Mal von der Familienbürde gehört. Zum ersten
Mal ein ernstes Gespräch mit Lucius über seine Zukunft führen müssen. Darüber,
dass er einen perfekten Schnitt haben musste, Vertrauens- und
Schulsprecherabzeichen nach Hause zu bringen und Voldemorts Regime mit offenen
Armen zu begrüßen und zu verinnerlichen hatte. Ihm wurde deutlich erklärt, wer
ein Schlammblut war und wer nicht. Wer es wert war, seine Aufmerksamkeit zu
bekommen, und kalte Schauer befielen ihn manchmal immer noch, wenn er träumte,
dass der Krieg noch nicht vorbei war. Dass er noch immer auf der falschen Seite
feststeckte.
Nein,
er hielt nichts von Muggeln. Sicher nicht. Aber getan hatten sie ihm, soweit er
es beurteilen konnte, nicht sonderlich viel. Gut, zwei von ihnen hatten
scheinbar eine Hexe gezeugt, die ihm seinen Nerv raubte – und nicht nur sie,
nein, ihre Tochter gleich mit.
Aber
Hermine Weasley war kein Schlammblut. Fünf Jahre magische Therapie, und er war
immerhin soweit, dieses Zugeständnis zu machen. Zwar würde er ihr diesen
Fortschritt niemals ins Gesicht sagen, denn wozu? Es ging ihm unwesentlich
besser. Seine Frau war verstorben, sein Sohn war eine Qual, er hatte Geburtstag
und würde auch noch Großvater werden. Sein Mund verzog sich.
Und
zu allem Übel war sie aufgetaucht! Sie würde seinen Geburtstag gehörig
verderben. Und er würde Narzissa vierteilen dafür!
Hermine
kam es vor, als wäre es immer so gewesen. Sie alleine auf irgendwelchen
Malfoy-Festen. Es musste anstrengend sein, so viel Gold zu haben. Alle schienen
immer rauschende Partys zu erwarten. Sie nahm an, die Hälfte des
Malfoy-Vermögens ging drauf für teure-
„-wie
geht es Ihnen, Mrs Weasley?“
Sie
war nicht darauf vorbereitet gewesen, angesprochen zu werden.
„Ich
– danke, gut“, entkam es ihr reflexartig. Sie war es so sehr gewöhnt, zu lügen,
dass sie gar nicht ernsthaft darüber nachdachte, die Wahrheit zu sagen. Und
natürlich wollten die Leute auf so eine Frage nicht die Wahrheit hören. Es
würde den gesellschaftlichen Rahmen sprengen. Außerdem war diese Gesellschaft
hier sowieso verlogen.
„Schön,
dass Sie kommen konnten.“ Scorpius schien zwanghafte Konversation mit ihr zu
betreiben. Sie nahm an, Rose war daran schuld. Und er hatte Glück, denn hier,
vor versammelter Familie, würde sie ihn nicht ignorieren oder anschreien
können.
„Meine
Tochter hat mir nahe gelegt, dass es unhöflich wäre, eine Einladung
auszuschlagen“, erwiderte sie, absolut nicht um Höflichkeit bemüht. Er schenkte
ihr ein so absolut nichtssagendes Lächeln, dass sie erschöpft ausatmete. „Es ist
ein nettes Resort“, ergänzte sie mit einem knappen Blick in die Runde.
„Jaah“,
entgegnete er. „Wir sind hier jedes Jahr.“ Ihr fiel etwas ein. Wo er schon
gerade hier war, dieser kleine Mistkerl.
„Scorpius,
weißt du zufällig, ob deine Großmutter mich eingeladen hat?“ Sie hatte die
Stimme gesenkt. Sie war heute schon mit Narzissa durch den Park spaziert, hatte
mehr oder weniger subtil versucht, herauszufinden, ob Narzissa Malfoy sich in
irgendeiner Art und Weise mit Lust-Zaubern auskannte, aber sie hatte nichts aus
der alten Schachtel rausbekommen.
„Meine
Großmutter?“, wiederholte er bloß, etwas ratlos.
„Sie…
hat die Geschenkkörbe auf eurer Hochzeit gepackt, oder?“ Sie nahm an, Scorpius
zu fragen, war ähnlich fruchtlos, wie seinen Vater um Antworten zu drängen.
„Ich
– keine Ahnung“, entkam es ihm achselzuckend. „Wahrscheinlich.“ Hermine wusste,
sie käme so nicht weiter. Und sie wusste auch, es gab gerade andere
Meilensteine im Leben dieser jungen Idioten.
„Wie…
geht es dir?“, fragte sie also, mehr oder weniger interessiert. Hermine hatte
keine besonders große Lust, sich Mühe zu geben. „Mit der Schwangerschaft und
all dem“, machte sie deutlicher, als sie wieder seinen ratlosen Blick geschenkt
bekam. Und immer deutlicher erinnerte er sie an seinen Vater. Sie sahen sich
verblüffend ähnlich. Widerlich.
„Gut“,
sagte er, und sie kannte diese einsilbigen Gespräche schon von ihrer Tochter,
und es trieb sie immer zur Weißglut.
„Ok“,
gab sie sich geschlagen und atmete aus.
„Dann…
bis später“, verabschiedete er sich, genau passend, denn der Ehrengast betrat
den Saal und Korken knallten so laut, dass sie fast aufgesprungen wäre und
ihren Zauberstab ziehen wollte. Merlin! Die Kellner fingen sogar an zu singen.
Sie saß
etwas abseits an der Tafel, fixierte ihre Tochter, die sich schließlich nach
höflichem Applaus neben Scorpius setzte und ihr immerhin ein Augenzwinkern
schenkte. Hermine verzog den Mund, hasste, dass sie hier war, neben wildfremden
Reinblütern sitzen musste und so zu tun hatte, als interessiere sie sich einen
feuchten Eulendreck dafür, ob Draco Malfoy Geburtstag hatte. Ihr Geschenk für
ihn war sparsam ausgefallen, war auch das kleinste auf dem Haufen an Geschenken
und beinhielt nicht viel mehr, als die olivgrüne Krawatte, die ihr so viel Leid
beschert hatte. Sie hatte es witzig gefunden. Auf eine bittere Art und Weise.
Sie
beobachtete ihre Tochter, und Rose war nicht anzusehen, dass sie Ron vermisste.
Wie konnte es sein, dass beide, Ron und Harry, Kinder hatten, die nicht mehr
mit ihnen sprachen – und es störte keinen?! Darüber würde Hermine mit ihrer
Tochter irgendwann noch reden müssen. Sie war recht dankbar, dass Rose immerhin
ihre Unterstützung suchte, sie nicht verstieß. Immerhin. Aber der Preis war
sehr hoch.
So
begann der endlose Abend, und Hermine war dem Champagner auch heute nicht
abgeneigt. Anders waren die endlosen Gespräche über Gold und Anlagen auch nicht
zu ertragen.
~*~
Das
Essen hatte lange gedauert, sie war drei Gläser Champagner betrunkener, und
immerhin besaß Draco Malfoy den Anstand, seine Gäste früh zu entlassen, damit
diese im Resort ihren Spaß haben konnten. Es gab etliche Poolanlagen,
professionelle Masseure, die man buchen konnte, neben Sportangeboten, alle
extra heute für Malfoys Feier ausschließlich für die Gäste reserviert, und um
zehn Uhr wurde zum Abend-Snack geladen, und es würde eine Band spielen, während
Cocktails gereicht wurden.
In
ihrem Zimmer angekommen, sah sich Hermine einem endlos langen Abend gegenüber
gestellt. Rose zwang sie, aufzutauchen, verbrachte ihre Zeit aber natürlich mit
Scorpius – nicht mit ihr. Und Hermine glaubte auch nicht, noch ein Gespräch mit
Rose ertragen zu können, über Kindererziehung, oder was auch immer. Hermine war
von einer mäßig netten Hexe darüber aufgeklärt worden, dass man den unteren
Teil des Resorts nur in Badekleidung zu betreten hatte. Es wäre eine
Alternative, und Rose hatte ihr aus übertriebener Vorsicht tatsächlich einen
ihrer alten Bikinis mitgebracht. Man konnte es glauben oder auch nicht, aber
Hermine besaß keine Badebekleidung mehr. Sie konnte sich nicht mal erinnern,
wann sie das letzte Mal schwimmen gewesen war. Es war Jahrzehnte her.
Und
mehr aus Zufall war Hermines Blick auf den Garderobenschrank gefallen, als sie
mit der Badebekleidung ins Badezimmer hatte verschwinden wollen, um sich
umzuziehen. In dem kleinen Fach lehnte eine Karte, die ihren Namen trug. Zuerst
glaubte sie, es handele sich lediglich um ein Namensschild, oder etwas
ähnliches, aber als sie die Karte nahm und aufklappte, war sie überrascht, eine
handgeschriebene Notiz zu finden.
‚Triff
mich unten, Raum C. Wir müssen reden.‘
Sie
erkannte die Handschrift nicht, aber es wäre wohl auch nicht möglich, denn der
kurze Text war mit einer Schönschreibe-Feder verfasst, die immer gleich
schrieb. Benutzte Rose so etwas, fragte sie sich dumpf. War die Nachricht von
Rose? Von wem sonst? Wer hatte sonst Zutritt zu ihrem Zimmer – oder, wer
verschaffte sich sonst Zutritt? Sie atmete aus. Wahrscheinlich würde nur ihre
Tochter darauf verzichten, mit Namen zu unterschreiben. Aber würde Rose eine
Notiz an sie nicht mit ‚Mum‘ beschriften? Fast war sie neugierig. Zumindest
würde es bedeuten, dass ihre Tochter doch mit ihr Zeit verbringen wollte. Und
Hermine hatte ohnehin nach unten gehen wollen. Immerhin hatte Rose sich die
Mühe gemacht, einen privaten Raum zu buchen.
In
den weichen Bademantel gepackt, begab sich Hermine hinab in das Labyrinth aus
gefliesten Gängen und Lavendelduft. Pompöse tropische Topfpflanzen standen an
jeder Ecke, Wassertropfen erfüllte die feuchte Luft, und irgendwann fand
Hermine den Erholungsraum C. Die Tür war angelehnt und sie betrat das riesige
Areal.
Der
Ruheraum war ein schmaler, holzgetäfelter Gang, der zunächst an den Duschräumen
vorbeiführte, hin zu einer riesigen, privaten Sauna, die bereits vor Dampf
stand, und ganz am Ende öffnete sich der Gang, offenbarte eine hohe Decke,
einen magischen Sonnenuntergang und eine spiegelglatte Pooloberfläche eines
ovalen Pools, mit türkisen Mosaikfliesen. Es war kein Raum. Es war eine eigene
Badeanstalt. Es wäre nett, so was Zuhause zu haben, nahm sie an.
Sie
schritt zur Sauna, öffnete die Tür, aber natürlich saß Rose nicht im Innern.
Sie war auch schwanger und sollte überhaupt keine Sauna aufsuchen. Hermine wartete
also noch etliche Minuten, bevor sie gelangweilt zum Schwimmbecken schritt. Wo
blieb ihre Tochter? Sie war diejenige gewesen, die hatte reden wollen.
Irgendwann
stand sie vor dem künstlichen Sonnenuntergang und glaubte nicht mehr daran,
dass Rose noch auftauchen würde. Sie überlegte, ob sie eine Runde schwimmen
sollte und Roses Notiz einfach ignorierte, aber dann hörte sie, wie jemand den
Raum betrat. Merlin, endlich! Vielleicht wäre ihr erstes Thema auch, dass Rose
anfangen sollte, etwas mehr auf Pünktlichkeit zu achten, und dass man Leute
nicht warten ließ.
Sie
schritt um den Pool zurück zum Gang und verharrte direkt.
Unschlüssig
sah er ihr entgegen, den dunklen Bademantel fest verschlossen, und ihr Mund
öffnete sich, bevor sie gereizt ausatmete.
„Mach
es kurz“, schien er sie zu warnen, und alle Worte erstarben auf ihren Lippen.
Was?! Er schien nicht im Geringsten überrascht, sie vorzufinden. Absolut nicht.
Die Notiz war nicht von Rose gewesen, wurde ihr klar. Sie… war von Malfoy!
„Du…
du willst mit mir reden?“, entkam es ihr mehr als ungläubig, und er verzog den
Mund.
„Nicht
wirklich, nein“, widersprach er bitter.
„Warum
bist du dann hier?“, wollte sie ungläubig von ihm wissen. Er zitierte sie her
und verhielt sich, als wüsste er nicht Bescheid.
„Weil
du reden willst“, erwiderte er genervt.
„Ich?“
Das Wort verließ absolut entgeistert ihre Lippen.
„Ich
werde nicht mit dir schwimmen gehen“, schien er sagen zu müssen, und ihr Mund
öffnete sich verstört, als er ihre Aufmachung betrachtete.
„Ich
habe nicht vor, mit dir zu schwimmen, Malfoy“, sagte sie seltsame Worte, und er
nickte.
„Ich
werde auch nicht-“, begann er ablehnend, aber Hermine hatte begriffen. Sie war
nicht dumm. Die meiste Zeit über war sie ziemlich clever. Nur gab es Momente,
da setzte ihr Gehirn einfach aus.
„-du
hast auch eine Notiz bekommen?“, vermutete sie mäßig tonlos, und er schwieg
abrupt.
„Was?“ Jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit.
„Ich
hatte eine Nachricht in meinem Zimmer von einem Unbekannten Absender, und
anscheinend war das bei dir auch der Fall“, schloss sie grimmig. Er runzelte
die Stirn. Tatsächlich zog er seine schmale Karte aus der Tasche seines
Bademantels. Sie erkannte seinen Vornamen, kam näher und griff sich hastig die
Karte, als könne sie verschwinden. Seine Karte war nicht anonym, nein! Sie
hatte unterschrieben! „-ein Waffenstillstand wäre angemessen?!“, las sie
entrüstet und sah ihn ungläubig an. „Ernsthaft? Du denkst, so etwas schreibe
ich?“ Sein Mund schloss sich knapp. „Das ist kein Zufall!“, fuhr sie ihn jetzt
an. „Der dämliche Zauber, die Karten – die Tatsache, dass ich hierher
eingeladen wurde!“
Sein
Mund öffnete sich unschlüssig. „Deine Familie ist krank, Malfoy!“, zischte sie.
„Ich gehe!“, schloss sie wütend, marschierte an ihm vorbei, erreichte die Tür,
die mittlerweile geschlossen war – und zog.
Sie
gab nicht nach. Hatte Malfoy sie geschlossen? Sie hörte, wie er neben sie trat,
sie praktisch zur Seite schob, nur um selber nichts ausrichten zu können.
„Deinen
Zauberstab“, entfuhr es ihm befehlsgewohnt, und sie sah ihn an.
„Ich
habe ihn nicht mitgenommen. Nimm deinen Zauberstab“, knurrte sie, aber der
Blick aus seinen Augen sagte ihr, dass er sie nur fragte, weil er ebenfalls
keinen Zauberstab dabei hatte. So ein Mist.
Und mittlerweile
war sie sich absolut sicher, dass jemand die Tür mit voller Absicht
verschlossen hatte. „Scheiße!“, entkam es ihr, und blind schlug sie gegen das
dicke Holz. „Hallo?“, brüllte sie, aber draußen rührte sich nichts.
„Weg“,
informierte er sie lediglich, und sie wich zurück. Er warf sich praktisch gegen
die verschlossene Tür, brüllte anschließend nach Hilfe, hämmerte mit Fäusten so
hart gegen das Holz, dass sie fast befürchtete, dass es brechen würde, aber die
Tür blieb verschlossen und auf dem Flur draußen herrschte weiterhin Stille.
„Das…
das ist Absicht!“, äußerte er mit rauer Stimme ihre Gedanken.
Hermine
begriff es nicht. Wer sollte so etwas tun? Wer sollte so etwas wollen? Wie
konnte es sein, dass sie schon wieder mit Draco Malfoy in einem Raum war?!
Ein
weiteres Mal warf er sich gegen die Tür. „Fuck!“, entfuhr es ihm haltlos.
„Hallo? Irgendjemand?“, schrie er wütend, bevor er von der Tür abließ.
„Malfoy“,
flüsterte sie fast, als sie die feinen magischen Wellen und Funken um das Holz
erkannte, die je nach Lautstärke, ausschlugen und sich wieder beruhigten. „Der Muffliato liegt auf der Tür“, ergänzte
sie still.
Sofort
ließ er von der Tür ab, wich zurück, und schien etliche Sekunden zu benötigen,
um sich zu sammeln. Dann fuhr er zu ihr herum. „Wie kannst du so blöd sein,
hier alleine runter zu gehen? Hast du irgendwen im Gang gesehen? Irgendwen?“,
wollte er wütend wissen, aber sie war die falsche Person, die er anschrie.
„Was
willst du von mir? Du bist genauso alleine hier!“
„Du
bist doch angeblich so verdammt schlau, dann hättest du das durchschauen
können!“, blaffte er, mehr als nur etwas gereizt.
„Durchschauen?
Was zur Hölle hätte ich durchschauen sollen? Dass tatsächlich irgendjemand hier
so absolut krank ist, dass er dich und-“ Sie schwieg plötzlich. „Rose“,
flüsterte sie leer. Rose war zu ihr gekommen, hatte sie überredet, hier
aufzutauchen und Rose könnte die Notiz geschrieben haben. Es musste… Rose sein.
Oder? Sie blickte verzweifelt zur Seite.
„Rose?“, wiederholte er ungläubig. „Du denkst, deine Tochter ist
verantwortlich? Wie krank ist das bitteschön?“
„Es
macht keinen Sinn“, begann sie, und er lachte hart auf.
„Nein, es macht überhaupt keinen Sinn. Das denkst du doch wohl nicht?“
„Sie
kam zu mir. In mein Büro und hat mich gezwungen, hier aufzutauchen, weil…“ Noch
immer konnte sie ihn nicht ansehen.
„Weil
Rose einen neuen Daddy haben möchte?“, schloss er sehr scharf. „Garantiert“,
ergänzte er kalt. Hermines Blick hob sich angewidert.
„Nein!“,
sagte sie mit zitternder Stimme. Denn nein! Rose würde so nicht denken, würde
das nicht wollen. Es war… ekelhaft. Und dann schwieg sie plötzlich. „Die Box“,
entkam es ihr schwach.
„Die
Box?“, wiederholte er.
„Sie…
ist aus dem Scherzartikelladen“, flüsterte sie. Kurz schien er nicht zu
begreifen, bevor er den Mund verzog.
„Der
Laden verkauft Lust-Zauber?“, entkam es ihm angeekelt, aber Hermine atmete
gereizt aus.
„Nein,
der Laden verkauft aber dumme Scherzartikel, wie Liebeszauber-Boxen, die man
mit ein wenig Geschick umwandeln kann“, korrigierte sie ihn. Sie Augenbraue hob
sich.
„Das
hast du also ausprobiert, ja?“, wollte er angewidert wissen, aber sie stöhnte
auf.
„Darum
geht es nicht, Merlin noch mal!“, knurrte sie. „Es geht darum, dass es ein
Produkt aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze ist, verdammt!“, fuhr sie ihn
an. „Rose hätte-“
„-Rose
hätte was?“, unterbrach er sie fassungslos. „Den Zauber ändern, die Box
verstecken und meine Krawatte stehlen können?“ Es klang… nicht wirklich
schlüssig. Aber nichts machte noch Sinn! „Rose hat keinen Zugang zu den Zimmern
hier“, ergänzte er dann. „Aber Narzissa würde nicht in einen Scherzartikelladen
spazieren, um-“
„-deine
Mutter?“, unterbrach sie ihn stirnrunzelnd.
„Sie
hat dir die Einladung zukommen lassen“, erwiderte er, was er wohl
herausgefunden hatte.
„Das
weiß ich schon“, entfuhr es ihr, denn sie hatte auch gefragt.
„Vielleicht
ist das alles ein Zufall-“, begann er, und als sie protestieren wollte, hob er
die Hände, „-oder es ist eine Teamleistung“, fuhr er scharf fort, und sie
schwieg schließlich. Denn, egal, was es war, es klang nach einem Fehler. Es
klang… absolut willkürlich und nicht nach einem guten Plan. Weshalb sie Rose
überhaupt als Hauptverdächtigen in Erwägung zog. Ihre Tochter war nicht klug
genug. Aber sie glaubte nicht, dass Rose irgendein Interesse daran hatte, die
Familien zusammenzubringen – auf diese Art und Weise.
Abwesend
biss er auf seine Unterlippe, und sie sah zu ihm auf, ein wenig verloren, ein
wenig verzweifelt. Sie fühlte sich manipuliert, und sie war völlig bereit,
seiner Familie diese Aktion in die Schuhe zu schieben.
Sie
hatte mit ihm geschlafen. Zweimal!
Es
schüttelte sie mit einem Mal vor Ekel, und sie wandte sich ab. Sie kam sich
schäbig vor, und ein bisschen dumm, dass sie tatsächlich hier aufgetaucht war.
Dass sie sich tatsächlich von Rose ein schlechtes Gewissen hatte machen lassen.
Wegen Malfoy!
„Da!“,
vernahm sie seine Stimme, und sie wandte sich um, vergaß ihr eigenes Leid, und folgte
seiner Geste. Sein Zeigefinger deutete an die stuckverzierte Decke. Ihr Mund
öffnete sich perplex. So viel zum Zufall. In der Luft schwebte eine gefaltete
Notiz. Sie erkannte dasselbe dicke Pergament, auf der die Nachrichten verfasst
gewesen waren. „Jemand spielt mit uns“, erkannte er mit bitterer
Fassungslosigkeit.
„Wie
kommen wir da dran?“, wollte sie lediglich wissen und erntete seinen Blick.
„Es
interessiert mich einen Scheißdreck, was auf dieser Karte steht!“, informierte
er sie, und kurz war sie geneigt, ihm zuzustimmen, denn es interessierte sie
ebenso wenig. Aber darum ging es schon nicht mehr.
„Das
ist unser Ausweg. Ich habe auch keine Lust, an einem Spiel zu partizipieren,
was mich dieser Demütigung aussetzt, aber ich will so schnell wie möglich weg
von hier!“, fasste sie ihr Leid zusammen, und seine Augen verfolgten finster
die flatternde Notiz über ihnen.
„Sie
wird nicht runter kommen“, war alles, was er sagte. Sie sah ihn wieder an. „Das
heißt“, fuhr er gedehnt fort, „wir müssen da hoch“, schloss er schlicht.
„Wie?“
Die Notiz schwebte knapp drei Meter über ihnen.
„Es
wird dir nicht gefallen, so viel kann ich dir versichern“, entgegnete er mit
einem sehr eindeutigen Blick, und sofort machte sie einen Schritt weg von ihm.
„Nein“,
sagte sie schon einmal vorsintflutlich und schüttelte den Kopf.
„Zeig
mir einen Stuhl und ich löse das Problem ohne dich“, erwiderte er glatt, und
fast hilfesuchend sah sie sich um, umwanderte das kleine Areal, aber natürlich
ließ sich kein Stuhl finden.
„Nein“,
sagte sie wieder, als sie zu ihm zurückkam. Sein Ausdruck wirkte genauso
unbegeistert. „Du wirst mich fallen lassen“, prophezeite sie bitter.
„Du
fällst weich“, behauptete er, mit Blick auf den Pool, über dem die Notiz
beinahe schwebte. Ihre Augenbrauen hoben sich. „Und ich lasse dich nicht
fallen.“
„Wir
sind zu alt für so was“, kürzte sie diese Argumentenkette ab, und er belächelte
sie tatsächlich.
„Das
mag für dich zutreffen. Im Gegensatz zu dir, habe ich mich nicht gehen lassen.
Ich mache Sport“, behauptete er kalt, und sie verschränkte die frottierten Arme
vor der Brust.
„Ach
ja? Zwei Runden Sex und magisches Tontaubenschießen gilt neuerdings als Sport?“
Manchmal war sie schlagfertiger, als Menschen annahmen, und manchmal sollte sie
einfach den Mund halten.
„Schön,
wenn du mich beobachtest, aber nein“, bemerkte er ruhig. „Neben Sex mit dir und
Tontauben schießen verfolge ich noch wesentlich befriedigendere Tätigkeiten.“
„Du bist
so unfassbar ätzend, dass ich mich direkt übergeben könnte“, fasste sie ihre
direkten Gedanken in leere Worte, und er lächelte wieder.
„Danke,
gleichfalls“, erwidere er, ohne jede Freundlichkeit im Blick. „Bist du dann
fertig?“, wollte er kalt wissen.
„Ich
steige nicht auf deine Schultern, Malfoy!“, fuhr sie ihn gereizt an.
„Möchtest
du hier raus, oder möchtest du deinen Abend wieder einmal mit mir verbringen?“,
fragte er sie jetzt, und ihr Mund hatte sich fest geschlossen. „Denn ich bin
ehrlich – ich will hier raus. Ich würde es begrüßen, dich monatelang nicht zu
sehen, nicht deinen Namen zu denken und still zu hoffen, dass sich die Ehe
unserer Kinder klanglos zerschlägt“, entgegnete er bissig.
Ja,
so in etwa sahen ihre Hoffnungen ebenfalls aus.
„Fein“,
spuckte sie ihm schließlich entgegen, öffnete ihren Bademantel, und das
Déjà-Vue überkam sie mit aller Macht. Kurz überflog sein Blick ihren Körper,
der vielleicht in den letzten zwei Wochen durch massive Überstunden schlanker
geworden war, aber garantiert nicht jünger.
„Du
bist zu alt für diesen Look“, bemerkte er bloß, mit Blick auf den schwarzen
Bikini, den sie trug.
„Stell
dir vor, es interessiert mich nicht, was du denkst!“, knurrte sie böse.
Arrogant öffnete er ebenfalls seinen Bademantel, und sie erlaubte sich nicht,
den Blick zu senken, seine dunkle Badeshorts zu fixieren. Sein Oberkörper war
für sein Alter relativ muskulös und fest, und ja, er gewann wahrscheinlich ein
Kräftemessen mit ihr, was Fitness betraf, aber das reizte sie nur noch mehr.
Ihr fiel auf, was ihr letztes Mal nicht aufgefallen war, aber schnell hob sich
ihr Blick zu seinem ätzenden Gesicht. Er trug das Mal nicht mehr. Und sie
hoffte, das vernarbte Gewebe auf seinem Unterarm schmerzte ihn zumindest dann
und wann. Dämliches Todesser-Arschloch, dachte sie zornig. Unfassbar, was für
einen schlechten Geschmack ihre Tochter besaß. Und gnade ihr Merlin, sollte
Hermine herausfinden, dass Rose verantwortlich für all das hier war!
„Das
schaffst du niemals“, stellte Hermine schließlich fest, und auch Malfoy wirkte
kurz nachdenklich. Dann schritt er zur Einstiegleiter des Pools und ging in die
Hocke.
„Das
werden wir rausfinden.“ Er betrachtete sie von unten herauf. „Wie viel wiegst
du?“, fragte er sie knapp, und sie verzog den Mund, als sie näher kam.
„Weniger
als du“, behauptete sie lediglich, denn es ging ihn nichts an. Sie waren zu
nackt, ging ihr wieder einmal auf. Sie hasste, dass es sie nicht einmal groß
schockierte, dass sie genau wusste, wie er ohne Kleidung aussah. Und sie
hasste, dass sie weniger Scheu besaß, als sie besitzen sollte, als sie sich
hinter ihn stellte, und zaghaft seine Schultern berührte. Seine Hand hielt sich
an der glänzenden Leiter fest, und Hermines Magen fühlte sich nicht gut an. Sie
hatte Höhenangst. Das war der Grund, warum sie Quidditch immer gehasst hatte.
Das, und ihre massiven Koordinationsprobleme.
„Brauchst
du eine Extraeinladung, oder-?“, begann er gereizt, aber sie atmete gepresst
aus.
„-halt
den Mund“, murmelte sie, nicht mehr schlagfertig, und hob ihr Bein über seine
Schulter. Seine Haut war wärmer als ihre, und sie hasste jede Sekunde hiervon.
Sie stützte sich ebenfalls an der Leiter ab, als sie auch mit dem anderen Bein
über seine Schulter stieg. Wacklig saß sie auf ihm, und spürte, wie er tief
Luft holte.
„Bleib
gerade“, informierte er sie.
„Das
ist verdammt gefährlich, Malfoy“, flüsterte sie jetzt panisch, als ihr
tatsächlich aufging, dass dieses Manöver sehr leicht lebensbedrohlich werden
könnte, aber er machte ein gereiztes Geräusch.
„Nicht,
wenn du gerade bleibst“, erwiderte er wenig hilfreich, und sie hielt die Luft
an, als er sich plötzlich abstieß, in die Höhe stieg und sie jeden Halt unter
den Füßen verlor. Er war stärker, als sie angenommen hatte. Wesentlich stärker,
aber auch er schien seine ganze Kraft aufbringen zu müssen. Ihr Atem ging
schnell, und so weit oben wurde ihr schwindelig. Sie krallte sich praktisch in
seine dichten Haare, und war sehr froh, dass er es nicht kommentierte. Er
atmete angespannt durch die Nase, und keine Armlänge über ihr schwebte die
Notiz. Sie musste nur den Arm ausstrecken. Nur ein Stück. Sie wankte nach
hinten, als sich ihre Hand löste, und sofort reagierte er, glich die Balance
aus und schnappte wütend nach Luft.
„Du-sollst-verdammt-noch-mal-gerade-bleiben!“,
zischte er durch zusammengebissene Zähne, und es tat ihr tatsächlich leid, aber
sie sagte gar nichts, zwang ihre Ängste nieder, griff mit kalten zitternden
Fingern nach der Notiz, und als sie den Arm hastig wieder runter riss, krümmte
sie ihren Oberkörper, und dieses Mal konnte er ihren Fehler nicht ausgleichen,
wankte mit ihr nach vorne, und schon fielen sie kopfüber nach vorne und
durchbrachen die kühle Wasseroberfläche.
Sofort
legte sich ihre Angst, aber eilig strampelte sie an die Wasseroberfläche, denn
in ihrer Faust befand sich noch immer die Notiz. Er tauchte gleichzeitig mit
ihr auf, schüttelte die Haare aus dem Gesicht und schien sich sehr kurz zu
vergewissern, dass sie ok war, denn sein Blick flog über ihre Gestalt, bevor er
den Mund verzog.
„Immerhin
hast du uns nicht umgebracht“, sagte er gereizt, und sie schwamm eilig an den
Rand, um die nasse Notiz zu entfalten. Sie hoffte, sie war nicht zerstört. Sie
erkannte eine verlaufene Zeichnung. Darunter standen die Worte, kaum noch leserlich,
aber vorhanden: Such mich, wo die Hitze herrscht.
Er
schwamm neben sie, stützte sich ebenfalls ab und betrachtete die Notiz.
„Das
ist ein Schlüssel“, stellte er lediglich fest, und schien die Zeichnung zu
meinen.
„In der Sauna!“, kam ihr die Lösung, und sie würde Albträume von diesem Abend
bekommen, so viel stand fest.
„Ich
gehe“, erwiderte er, schwamm in wenigen Zügen zur gegenüberliegenden Leiter,
und sie war ganz froh, denn ihre Knie waren noch sehr weich. Sie warf die Notiz
zornig auf die Fliesen und war dankbar, nicht gestorben zu sein. Sie schwamm
zur Beruhigung einige Bahnen, während sie auf Malfoy wartete. Nach einigen
Minuten öffnete sich die Tür der Sauna, aber sein verschwitztes Gesicht wirkte
mäßig unzufrieden. „Ich finde ihn nicht“, informierte er sie und schien eine
Pause zu brauchen. Sie zog sich am Rand des Beckens nach oben, nur um dort
sitzen zu bleiben. Das Tropfen ihrer Haare ins Becken war das einzige Geräusch,
und kurz schloss sie die Augen, atmete lange ein und bedeckte anschließend ihr
Gesicht mit ihren Händen, um wieder auszuatmen. Sie lehnte sich vor, legte ihre
Arme auf ihren Beinen ab und starrte in das klare Wasser, was durch die
bewegten Mosaike absurde Formen annahm.
Sie
spürte seinen Blick auf sich, aber sie wollte ihn nicht ansehen. Sie wusste
nicht, ob die Person, die hierfür verantwortlich war, das ernsthaft witzig
fand. Ob sie Spaß daran hatte, ihr Leben durcheinander zu bringen.
Hermine
fand es furchtbar und geschmacklos. Und es hätte sehr viel schief gehen können,
gerade. Sie hätten stürzen können, hätten sich die Beine oder das Genick
brechen können.
Vor
allem könnte Hermine längst wieder bei Ron sein. Sie hätte sich entschuldigen
können, ihm versprechen können, einen Ausweg zu finden. Stattdessen war sie nun
gezwungen worden, hier zu sein, nur um in eine weitere Falle zu tappen. Sie
hätte nicht zur Hochzeit gehen dürfen. Das wusste sie jetzt. Dann wäre Rose
wütend gewesen – na und? Rose war ohnehin nicht das Kind, auf das Hermine stolz
war, so weh es tat, so zu denken. Aber wegen Rose war alles furchtbar geworden.
Und dann würde es nicht halten. Mit Kind oder ohne, Hermine war sich sicher.
Gott, Rose bekam ein Kind. Dann wären sie für immer mit den Malfoys verbunden,
egal, wie früh Rose sich scheiden lassen würde.
„Hey“,
riss sie seine Stimme beinahe ruhig aus ihren Gedanken. Er setzte sich neben
sie, und Hermine fühlte sich nicht wie Mitte vierzig, nicht wie eine erwachsene
Frau, die vieles besser wissen sollte. Irgendwie hatten die letzten Wochen
geschafft, sie einzuholen, ihr einen Dämpfer zu verpassen. Wer war sie, dass
sie von irgendwem verlangen konnte, sie zur Ministerin zu wählen? Wenn die
Wähler wüssten, was für eine Katastrophe sie war! Sie brauchte dringend Hilfe.
Aber wen sollte sie fragen? Wohin sollte sie gehen? Noch hatte sie sich nicht
mal mit der Familie auseinandergesetzt. Mit allen Weasleys, die natürlich über
kurz oder lang Rons Seite wählen würden. Sie war der Außenseiter. Sie war
angeheiratet. Und sollte Ron die Scheidung einreichen, dann… wäre sie die
Exfrau. Wenn er wen anders kennenlernen würde? Wenn er…-
Sie
schluckte schwer. Sie verdiente wirklich nichts Besseres, als das hier.
Eingesperrt sein, auf einer weiteren Feier, mit dem Teufel persönlich. Mit
leerem Ausdruck hob sie den Blick zu seinem Gesicht. Er hatte Recht. Sie wollte
sein Gesicht auch nicht mehr sehen, auch nicht mehr seinen Namen denken. Sie
hatte genug. Ruckartig erhob sie sich, ließ ihn sitzen, wischte sich wütend die
aufkommenden Tränen vom Gesicht und riss die Tür zur Sauna auf. Sie war
magisch, und deshalb entwich kein Dampf nach draußen. Sie kniff die Augen
zusammen, tastete die warmen hölzernen Wände ab, griff blind nach den Bänken
und hörte wie er die Sauna betrat.
„Warte!“,
sagte er gepresst. „Ohne System-“
„-ich
will hier raus, Malfoy!“, unterbrach sie ihn, ohne Geduld, ohne ihre
Aufgelöstheit verbergen zu können.
„Das
will ich auch, aber ohne Plan wird es ewig dauern!“, widersprach er gereizt.
„Dann
such die Bänke ab, ich suche am Boden!“, fuhr sie ihn zitternd an, ging auf die
Knie, und zornig tastete sie den Boden ab, krabbelte schluchzend weiter, bis
sie spürte, wie sich seine Hände um ihre Oberarme legten und sie in die Höhe
zogen. „Lass mich, Malfoy!“, rief sie wütend, aber sein Griff wurde lediglich
fester und er zog sie nach draußen. Schweiß lief über ihre Stirn und wütend sah
sie zu ihm auf.
„Beruhige
dich“, informierte er sie, ruhiger, als sie geglaubt hatte. „Es ist ok.“
„Nichts
ist ok!“, entkam es ihr ungläubig, fast hysterisch.
„Wir
kommen hier raus. Selbst ohne Schlüssel ist es nur eine Frage der-“
„-das
ist mir klar!“, fuhr sie ihn wieder an, während ihr Atem sich beschleunigte,
die Panikattacke nicht mehr weit entfernt. „Es geht mir nicht um diese scheiß
Feier hier!“
„Ich
weiß“, sagte er lediglich, und kurz vergaß sie, panisch zu werden. „Ich weiß
das, ok?“, wiederholte er beherrschter. „Das hier ist furchtbar, und glaub mir,
sobald ich rausgefunden habe, wer verantwortlich ist, werden es schwarze Tage
für diese Person werden. Aber du musst dich beruhigen“, sagte er wieder, und
sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht.
„Rose
hat ihn geheiratet“, flüsterte sie fast, schüttelte ungläubig den Kopf, und ihr
Blick schwamm. „Sie… sie hat ihn einfach geheiratet, ohne… nachzudenken, ohne…“
Sie schluckte schwer.
„Ich
weiß“, sagte er wieder. „Und es tut mir leid.“ Unglücklich sah sie ihn an.
„Dir
tut es leid?“, wiederholte sie.
„Ja“,
sagte er bloß. „Es tut mir leid, dass ich Scorpius nicht davon abbringen
konnte. Es tut mir leid, dass du alleine auf diese Hochzeit kommen musstest,
und es tut mir leid, dass…“ Er beendete den Satz nicht, aber sie nahm an, sie
wusste, was ihm sonst noch leid tat. „Dass deine Ehe deshalb endet“, wählte er
andere Worte. Sie schniefte und wandte den Blick ab. „Aber dann ist es nicht
schlimm“, fuhr er bitter fort. Sie sah ihn wieder an.
„Was?“,
flüsterte sie verzweifelt.
„Wenn
dein Mann wegen der Beziehung eurer Tochter seine eigene Ehe schmeißt, dann ist
es kein Verlust. Dann ist er ein Arschloch, und dann tut mir nicht mal die
Hälfte von dem Leid, was vor zwei Wochen passiert ist“, schloss er tonlos, und
wieder schluckte sie schwer. „Nettes Geschenk, übrigens“, wechselte er ruhig
das Thema, und sie sah ihn überfordert an. „Es hatte mich interessiert, also
habe ich es ausgepackt. Geschmackvoll“, ergänzte er eindeutig, und sie begriff,
dass er von der Krawatte sprechen musste. Minimal hoben sich ihre Mundwinkel.
„Herzlichen
Glückwunsch, Malfoy“, erwiderte sie schließlich. „Ich nehme an, du hattest dir deinen
Abend anders vorgestellt?“
„Etwas“,
entgegnete er ausweichend. Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Also, lass uns den
verdammten Schlüssel finden. Dann besorge ich dir persönlich einen Fahrenden
Ritter und du kannst nach Hause.“ Er öffnete die gläserne Tür erneut, und
Hermine streckte den Rücken durch. Sie trat in den heißen Dampf und atmete den
sanften Pinienduft ein.
Sie
spürte ihn neben sich, konnte seinen Umriss schemenhaft erkennen. „Du links, ich
rechts“, sagte er, und sie wusste nicht, warum es gut tat, dass er nicht
wahnsinnig wurde, dass er einen kühlen Kopf bewahrte, dass er da war und den
Durchblick hatte. Sie machte so viele Fehler, tat sich schwer mit jeder neuen
Entscheidung, und sie wusste, diese Entscheidung war genauso dumm wie alle
bisherigen, aber bevor er im Nebel verschwinden konnte, griff sie nach seinem
Arm, zog ihn näher, und dachte wieder nicht nach. Sie vergaß den Ekel und die
Wut. Vergaß, was es bedeutete, und sie lehnte sich nach oben, griff mit der
freien Hand in seinen Nacken, und es war ein Kuss ohne Widerstand. Er fand ihre
Lippen sofort, und sie hasste, dass sie ihn küssen wollte, weil er der einzige
Mann war, der nett zu ihr war. Für eine Sekunde. Denn er war nicht mal nett.
Aber
hier im Dampf der Sauna, wo nichts wirklich echt erschien und die Hitze ihren
Verstand benebelte, erschien es nicht mal verwerflich – dabei war es das.
Sein
Körper war heiß gegen ihren gepresst, die Wärme seiner Haut absolut beruhigend,
und dann war es eben ihr Geburtstagsgeschenk. Ein letzter Kuss. Denn das war
es. Mehr gab es nicht.
Für
sie war das der Abschied. Sie würde ihn nicht mehr sehen, bis es nicht absolut
nötig war. Zur Scheidung, zur Geburt – zu was auch immer. Deshalb öffnete sie den
Mund unter seinen Lippen, seine Zunge drang nach vorne, und es war das letzte
Verrückte, was sie tun würde.
Part 2 – Sense and Merit
„Her coming was my hope each day
her parting was my pain.
The chance that did her step delay
was ice in every vein.“
-
Charlotte Bronte
Er
studierte den Artikel, mehr oder weniger aufmerksam. Aber es war die Titelseite
des Propheten – und zwar die gesamte
Seite. Ein rundgerahmtes Portrait von ihr strahlte ihm entgegen, ein wenig
nervös, ein wenig überfordert. ‚Madame Minister‘ hieß der Titel des Berichts
und erfasste die Geschehnisse der letzten Wochen in knappen Worten.
„Du
kennst sie persönlich, oder?“, fragte Emily interessiert. „Ich meine, ihr habt
gesprochen?“ Draco hob langsam den Blick aus der Zeitung. „Merlin, Draco sieh
mich nicht so an!“, sagte sie dann kopfschüttelnd.
„Wir
kennen uns“, erwiderte er reserviert, denn mehr Worte würde er zu dem Thema
Hermine Weasley nicht verlieren.
„Die
erste Ministerin – und dann auch noch muggelgeboren.“ Emily schüttelte lächelnd
den hübschen Kopf. „Die Zauberer sind weit gekommen“, fuhr sie beeindruckt
fort. Draco warf die Zeitung von sich und fragte sich sehr kurz, wo die Zeit
geblieben war.
„Mh“,
machte er bloß.
„Rose
muss wahnsinnig stolz sein“, bemerkte sie dann. „Oder vielleicht auch nicht.
Ich frage sie heute.“
„Ok“,
sagte er dann. Anscheinend sahen sich beide heute? Dann glaubte er, sich zu
erinnern. „Du hast heute den Termin?“, fragte er zur Sicherheit, und Emily
nickte glücklich.
„Rose
hat heute ebenfalls einen Termin. Wir gehen zusammen und danach noch in die
Stadt. Ich brauche ein paar neue Kleider“, erläuterte sie vielsagend. „Außerdem
treffe ich deine Mutter später wegen der Planung des Empfangs?“, erinnerte sie
ihn lächelnd, und Draco atmete langsam aus. Richtig.
„Ich…
muss ziemlich lange arbeiten heute, also-“
„-ich
habe nicht mit deiner Anwesenheit gerechnet, um Blumen und Farbmuster
auszusuchen, Darling“, unterbrach sie ihn amüsiert.
„Gut.
Wirklich gut“, erwiderte er mit einem schmalen Lächeln.
Emily
war schwanger. Im zweiten Monat. Draco erinnerte sich an das Gespräch mit
Blaise an seinem Geburtstag. Es hatte etwas in ihm wachgerüttelt. Er war noch
keine hundert, sein Leben noch nicht vorbei. Irgendwie war eines zum anderen gekommen.
Nach… seiner letzten Begegnung mit Hermine Weasley war er… um sein Seelenheil
besorgt gewesen und hatte den Kontakt zu Emily Bennett gesucht, war wieder mit
ihr ausgegangen, und nach einigen Wochen hatte sie mit ihm reden wollen, hatte
das Gespräch führen wollen, hatte wissen müssen, wohin die Beziehung führte,
und Draco hatte ihr gesagt, dass er für alles zu haben wäre.
So
ungefähr. Und jetzt, neun Monate später war er verlobt, würde heiraten, erneut
Vater werden, und noch wirkte es alles… neu und seltsam und ungewohnt und es
machte ihm Angst. Blaise hatte ihm gratuliert, ihm erklärt, dass er alles
richtig mache, aber Draco kam sich vor, wie sein eigener Sohn. Scorpius wurde
langsam nervös, denn in weniger als einem Monat würde sein Sohn geboren werden.
Ein neuer Malfoy-Erbe. Emily und Rose verstanden sich hervorragend, waren sie
auch fast gleichalt. Manchmal schämte sich Draco, aber nur manchmal. Er
verstand nicht alles von dem, was Emily bewegte, was sie antrieb. Hörte weder
ihre Musik, interessierte sich nicht für ihre Lieblingsbücher, aber sie war
eine hübsche, junge Frau, die seine Vorstellungen im Schlafzimmer mehr als nur
befriedigte.
Und
an Hermine Weasley hatte er die letzten Monate keinen Gedanken mehr
verschwendet. Er hatte die Wahlkampagne verfolgt, und vielleicht lag es daran,
dass es keine echte Konkurrenz gegeben, und dass Minister Abegnale harte
Werbung für sie betrieben hatte, aber… es hatte früh festgestanden, wie das
Wahlergebnis ausgehen würde.
Jetzt
war sie tatsächlich Ministerin für Zauberei, und im Artikel hatte er gelesen,
dass sie zum Ende des Monats in die Minister-Villa nach Wiltshire ziehen würde.
Sie lebte in Trennung, und fast überraschte ihn, dass sie tatsächlich nicht
wieder mit Weasley versöhnt war. Rose hatte er einige Male gesehen, aber auch
sie schien nicht mit ihrem Vater zu reden. Alles äußerst tragisch. Er hatte nie
rausgefunden, wer aus seiner Familie verantwortlich dafür war, dass er in den
Genuss ihres Körpers hatte kommen dürfen, und mittlerweile war es so lange her,
dass er sich schon nicht mehr sicher war, ob es tatsächlich passiert oder einer
seiner wirren Träume gewesen war.
Die
Minister-Villa war einen Spaziergang von Malfoy Manor entfernt. Er nahm an, sie
wusste das nicht. Und er ging davon aus, es interessierte sie auch nicht
sonderlich. Rose und Scorpius waren für die Geburt nach Malfoy Manor gezogen,
hatten Schottland verlassen, um bei der Familie zu sein, und vielleicht hatte
‚Madame Minister‘ dies auch in ihre Kalkulation miteinbezogen – er wusste es
nicht. Scorpius wusste überhaupt nichts, war heillos mit der Situation an sich
überfordert, und Rose war nicht gerade die einfachste Person.
„-ist
das ok?“, unterbrach seine Verlobte seine Gedanken, und er sah sie
verständnislos an.
„Mh?“,
machte er träge, und Emily schüttelte den Kopf über ihn.
„Draco“,
mahnte sie lächelnd. „Scorpius und Rose kommen heute Abend vorbei. Ist das ok?“
„Übernimmst
du dich nicht etwas?“, erkundigte er sich, aber sie winkte ab.
„Es ist
ein Termin beim Heiler, ein Treffen mit deiner Mutter und ein Abendessen mit
deinem Sohn. Ich weiß, für einen Senior wie dich ist das viel, aber-“
„-sei
bloß vorsichtig“, warnte er sie rau. Sie schenkte ihm einen aufreizenden Blick.
„Sonst?“,
wollte sie lauernd wissen, aber er erhob sich direkt. Sie wich grinsend zurück.
„Sonst
zeige ich dir, was meinem Alter entspricht“, sagte er ruhig, kam näher, und sie
biss sich auf die Lippe. Er berührte sie gerne, griff gerne in ihre feste,
straffe Haut, liebte es, wie sich ihr Körper anfühlte, und sie ließ es nur zu
gerne zu. Er zog sie zu sich, und sie schlang die Arme um seinen Nacken. Er
küsste sie und überlegte bereits, im Büro Bescheid zu geben, dass er später
kommen würde, aber sie löste sich wieder von ihm.
„Darling,
ich muss gleich los“, murmelte sie lächelnd. „Aber ich liebe dich, und
vielleicht können wir diese Idee heute Abend fortsetzen?“, schlug sie
unschuldig vor.
„Ich
bitte darum“, erwiderte er und betrachtete stolz die Frau vor sich. Jung und
schön, seine Verlobte, schwanger mit seinem Kind – und er hatte ihr noch nicht
gesagt, dass er sie liebte. Es war… noch nie dazu gekommen. Er tat sich etwas
schwer. Aber anscheinend gab sie ihm die nötige Zeit. Das war beruhigend. Er
würde sich bei Gelegenheit mal mit seinen Gefühlen auseinandersetzen müssen.
„Soll
ich Hermine Weasley zum Empfang einladen?“, wollte sie schließlich wissen, und
er runzelte die Stirn. „Ich meine, die Ministerin persönlich zur Bekanntgabe
der Verlobung und der Schwangerschaft?“ Sie schien regelrecht begeistert von
der Idee zu sein. Dracos Mundwinkel zuckten kurz. „Immerhin seid ihr verwandt“,
bemerkte sie stolz. Und diese Worte lösten dasselbe Gefühl in ihm aus, wie
schon damals, als Weasley es selber zu ihm gesagt hatte. Sie waren nicht
verwandt. Es war ihm unangenehm, aber er sagte etwas anderes.
„Sie
wird nicht kommen“, schloss er knapp. Enttäuscht sah Emily zu ihm auf. „Ich
habe sie seit der Hochzeit nicht mehr gesehen, und sie wird genug zu tun haben
mit ihren Aufgaben, ihrem Umzug, der Geburt ihres Enkelkindes, der Scheidung“,
zählte er lediglich auf, und Emily seufzte schließlich.
„Wahrscheinlich.“
Aber Entschlossenheit war in ihren Blick getreten. „Aber eine Einladung kostet
nichts. Absagen kann sie immer noch“, behauptete sie dann.
Und
das würde sie, dachte Draco, sagte aber nichts dazu.
~*~
Es
war so, dass sie es nicht einmal bemerken würde, selbst wenn sie eine objektive
Sekunde Zeit gehabt hätte, sich selber zu betrachten. Ihre Gestalt sprach
Bände, ihre Bewegungen verrieten ihren Gemütszustand, und wer behauptete, sie
hätte sich übernommen, würde zerschmettert werden. Nicht mit qualifizierten
Argumenten, mit Struktur oder Überlegenheit. Sondern mit entwaffnender Wut,
schreiender Hysterie. Hermine Weasley, Vorstand der Kommission für Magisches
Innenwesen, Vorsitzende der kompletten Abteilungsriege und Oberhaupt des
Ministeriums, tobte durch ihr Büro, wie eine wildgewordene Furie, riss die
Schubladen auf, schlug die fliegenden Memos mit zitternden Fäusten zur Seite,
und sie merkte nicht einmal, wie sie sich in der heillosen Überforderung
verlor.
Mit
einem Ruck schloss sie die Schreibtischschublade, und die Familienbilder
verloren ihren wackligen Halt. Sie fielen flach nach vorne, aber blind starrte
sie über den Schreibtisch hinweg.
Sie
suchte etwas. Etwas wichtiges, was sie beim Leben ihrer Eltern nicht mehr zu
finden vermochte. Sie bemerkte nicht, dass sie die Kontrolle längst verloren
hatte.
Dieses
Unterfangen war zu groß für sie, aber die maßlose Überschätzung machte es ihrem
Verstand unmöglich, die Aussichtslosigkeit zu erkennen.
Selten
passierte es, dass sie derart die Nerven verlor. Es lag nicht in ihrer Natur,
ihren genetischen Blaupausen. Sie war die Ruhe selbst. Kühl und überlegen,
selbst bei größten Herausforderungen. Sie war eine Kriegsheldin, mit einem
messerscharfen Verstand, Fähigkeiten, von denen ihre Kollegen wohl nur träumen
mochten. Umso wütender machte es sie, dass sie heute nach Fassung ringen
musste.
Sie stellte
sich aufrechter hin, und mit fahrigen Fingern strich sie ihr Kostüm glatt.
Wilde Locken waren aus ihrer strengen Frisur gefallen, verrieten schamlos das
Momentum der Hilflosigkeit, das über ihr zu schweben schien, so greifbar, dass
es sie wahnsinnig machte. Sie zog den Bauch ein, denn natürlich hatte die
Kampagne ihre Spuren hinterlassen. Sie war zum Stressesser geworden, verließ
sich auf Schokolade, kam jeden Tag zu spät nach Hause und aß erst in der Nacht.
Natürlich half es ihrer Figur nicht, dass sie siebenundvierzig Jahre alt war
und Sport verabscheute. Aber sie hatte zwei Kinder geboren, sie hatte Tag und
Nacht geschuftet, um die Position zu erreichen, die sie jetzt innehatte – und
keiner verlangte von den übergewichtigen, glatzköpfigen sechzigjährigen
Reinblütern in der Abteilungsriege, dass sie den Körper eines Adonis‘
vorzuweisen hatten! Was sie auch nicht taten.
Leider.
Und leider gab es den doppelten Standard, selbst so weit oben in der
Hierarchie, und sie befand sich in der Zwickmühle der natürlichen
Alterserscheinungen und dem schlichten Mangel an Zeit. Sie hatte keine Zeit für
diese Dinge, und wenn sie ehrlich war, war sie mittlerweile heilfroh, dass die
Kinder groß waren, dass sie in Trennung lebte, denn wäre ihre Familie zu Hause,
wäre sie mit Sicherheit längst verhungert. Oder durch Verwahrlosung verstorben.
Sie
pustete eine unbändige Strähne aus der Stirn und hasste ihre Haare. Wie konnten
sie es wagen, grau zu werden?! Sie hatte erst heute Morgen ein verräterisches
graues Haar entdeckt, welches sie sofort braun gehext hatte!
Ihr
war aufgefallen, dass sie die jüngeren Kolleginnen neuerdings länger
betrachtete als nötig, dass sie wie die Schlange des Neides zischelnd und
gereizt um die Teeküche kreiste, wann immer Sophia Graph oder Victoria
Hawthorne ihren Auftritt hatten. Sie waren Anfang zwanzig, kamen frisch aus der
Ausbildung und gehörten ihrem Team an. Sie waren jenseits ihrer Liga, Hermine
konnte sich nicht mit zwanzigjährigen Hexen messen. Und Hermine hasste, wie sie
auf den Plakaten ausgesehen hatte. Unerhört alt und streng. Sie erinnerte sich
selber an eine jüngere Form von McGonagall, und es nagte an ihr.
Aber
wem sollte sie das erzählen? Wer hatte Zeit für diese oberflächlichen Probleme?
Sie garantiert nicht! Sie hatte nicht einmal Zeit, unten zum Training zu gehen.
Ihr Arbeitstag endete, wenn alle Memos verschwunden waren, und das war meist
nie der Fall. Die Beförderung war, was sie sehnlichst erwartet hatte. Und die
Beförderung war gleichzeitig das Ende ihres Lebens. So wie sie es kannte. Sie
beschwerte sich nicht. Natürlich nicht, denn es war eine unglaubliche Chance.
Es war kaum zu überbieten. Durch absolut gar nichts. Es war der Jackpot. Aber
es brachte Schattenseiten mit sich.
Sie
verengte die Augen, versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, sich zu
erinnern, wo sie die Unterlagen vergraben hatte, die sie heute dringend
benötigte, aber sie konnte sich nicht entsinnen. Das Alter. Es kam heimlich.
Egal, wie viele Geburtstage es ihr angedeutet haben mochten, sie hätte niemals
damit gerechnet, dass ihr Verstand jemals müde werden würde.
„Madame
Minister?“ Victoria Hawthorne hatte den Kopf zu ihrem Büro hineingeschoben. Sie
wirkte munter, freundlich, absolut liebenswürdig mit ihren einundzwanzig
Jahren, und Hermine spürte, wie die Falten um ihren Mund tiefe Furchen
bildeten, als sie zu ihr aufblickte. Blonde, glänzende Haare, strahlende blaue
Augen, eine Figur, von der Männer träumten – und Hermine hatte darauf
bestanden, von den jungen Kolleginnen mit ihrem Titel angesprochen zu werden,
um Autorität zu demonstrieren. Langsam glaubte sie, alles, was sie
demonstrierte, war der Mangel an Coolness und Kompatibilität. Und vor allem
hatte sie Victoria Hawthorne persönlich untersagt, die Unterlagen
aufzubewahren, weil sie – mit Hermines Worten – zu wichtig gewesen waren, um in
unbedarfte Hände gegeben zu werden. Ihre Naseflügel bebten, als sie versuchte,
ruhiger auszuatmen.
„Miss
Hawthorne?“ Sie versuchte ein Lächeln, versuchte, Kompetenz und Lässigkeit zu
vermitteln, aber sie glaubte nicht, dass es funktionierte. Nicht heute. Und sie
wusste, warum ihre Kollegin hier war. Der Termin. Es wurde Zeit, aber sie hatte
die Unterlagen nicht.
„Die
Riege erwartet Sie“, verkündete sie mit erwartungsvoller Miene, und Hermine
unterdrückte ein Stöhnen. Sie arbeitete seit zwanzig Jahren in der Inneren
Abteilung. Und manchmal fand sie es unglaublich, dass sie es so weit nach oben
geschafft hatte. Denn sie gab nicht nach, sie fügte sich nicht, sie schmierte
niemandem Honig um den Mund. Sie tat nie irgendetwas, von dem sie nicht voll
und ganz überzeugt war, aber so weit oben an der Spitze, stieß sie an ihre
Grenzen. Denn manche Rädchen funktionierten im Gefüge nicht, ohne geschmiert zu
werden. Und damit hatte sie keine Erfahrung.
„Ok“,
entkam es ihr, schlicht und ergreifend resignierend. Denn was sollte sie tun?
Das Büro mit dem Diffindo zerstören,
nur um die Problemstatistiken zu finden? Nein. Sie würde sich auf ihren
Verstand verlassen. Sie wusste, was die magische Bevölkerung wollte. Sie war das
Paradebeispiel dafür!
Victoria
und Sophia begleiteten sie, wie sie sie schon durch den Wahlkampf begleitet
hatten. Sie sammelten wichtige Erfahrungen. Es war ein interner Machtkampf in
den heiligen Hallen des Ministeriums, wie er seit Jahrhunderten ausgetragen
wurde. Innenpolitik gegen Außenpolitik. Liberal gegen Konservativ. Natürlich
nicht gänzlich schwarz und weiß, aber Grauzonen gab es wenige. Ihre halbhohen
Schuhe klackerten auf dem Steinboden. Sie waren hoch genug, um weiblich zu
sein, aber niedrig genug, um nicht die Blicke auf sich zu ziehen. Ihr Kostüm
war blau. Schlicht und verhüllend. Es zeigte wenig Haut, bot keine
Angriffsfläche, und sie hasste diese oberflächlichen Äußerlichkeiten, auf die
sie achten musste, um niemandem vor den Kopf zu stoßen.
Vor
dem Besprechungssaal wartete ihre Grauzone. Es war eine unwahrscheinliche
Allianz, aber ihr einziger Kontakt zur offensiven Gegenposition.
„Hallo
Desmond“, begrüßte sie den hochgewachsenen Mann, einigermaßen erleichtert.
„Madame Minister“, benutzte er ebenfalls den Titel, aber es war nur für den
Effekt. Nur vor den jungen Damen. Sie kannte Desmond Ferrars seit Rose
eingeschult worden war. Insgeheim hatte sie immer auf diese Verbindung gehofft
gehabt, aber sie lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung, denn über ihre
Tochter wollte sie jetzt nicht nachdenken. „Bereit?“, erkundigte er sich
gelassen, und Hermine streckte den Rücken durch, völlig bereit, sich lächerlich
zu machen.
„Bereit“,
erwiderte sie seufzend. Bevor sie den Saal betraten drückte Desmond ihr noch
kurzerhand einen schmalen Folianten in die Hand, und Hermine schenkte ihm einen
knappen Blick.
„Ich
habe mir erlaubt, die Statistiken noch mal in Stichpunkten zusammenzufassen“,
raunte er ihr zu. „Zur Sicherheit“, ergänzte er zwinkernd, und kurz lockerte
sich ihr Kiefer. Dieser Mann war ein Engel in Reinblütergestalt.
„Desmond,
das-“, begann sie aufgelöst, aber mit einem knappen Blick auf ihre jungen
Begleiterinnen ruckte er lediglich mit dem Kopf.
„-Kopf
hoch, Rücken gerade. Mach sie fertig“, wisperte er nahezu lautlos, legte ihr
die Hand auf die untere Rückenpartie, und zwei Beamte öffneten die Türen von
innen, als hätte es einen lautlosen Startschuss gegeben. Hermine zwang das
Lächeln von ihren Zügen, betrat als Oberhaupt den Saal als erstes und
marschierte, ohne zu warten, ohne zurückzublicken voran. Ihre kleine Entourage
folgte ihr hörig, und mit sicheren Schritten betrat sie die Empore, denn sie
saß höher, als der Rest.
„Madame
Minister“, wurde sie murmelnd begrüßt, währen die Herren und Damen sanft die
Köpfe neigten.
„Guten
Abend, Kolleginnen und Kollegen. Es tut mir leid, dass ich Sie noch bis in die
Abendstunden mit meinen Vorträgen langweilen muss“, begrüßte sie die Vertreter
der inneren Abteilung, die der äußeren, den Finanzausschuss, als auch die hohe
Riege. Wohlwollend wurde ihr zugenickt, und es war so, wie es schon damals in
der Schule gewesen war. Hatte sie ihre Hausaufgaben erledigt, wusste sie genau
Bescheid, kannte sie den Stoff auswendig – dann brauchte sie auch keine
Hilfsmittel.
Sie
warf den Folianten vor sich auf das glatte Holz, zog den Zauberstab und hexte
die Statistiken aus dem Gedächtnis in die Luft. Die Aufmerksamkeit galt ihr,
und nur ihr allein. „Es gibt einige Dinge, die ich im Haushaltsplan ändern
möchte, Gold, das ich umverteilen will. Ich habe mir ausführliche Gedanken
gemacht, und ich bin vollkommen sicher, dass alle Änderungen zum Wohle und
Profit des Ministeriums sein werden.“ Die Stille war andächtig. Sie nahm an,
die Riege verstand, was sie tat, was sie ihnen gerade präsentierte, aber
niemand sagte etwas, niemand widersprach. „Als Vorstand und Vertretung dieser
Einrichtung ist es mir ein Anliegen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Das, und
natürlich Sinn und Verstand.“ Es war ihre dritte Amtsbesprechung. Die ersten
beiden hatte sie locker gehalten, kurz und diplomatisch. Heute packte sie
schwere Geschütze aus.
„Ich
weiß, dass die äußere Abteilung mir bestimmt einige Entscheidungen übelnehmen
wird“, prophezeite sie mit einem wissenden Lächeln, aber es lag die deutliche
Mahnung in ihrem Blick. „Aber ich erwarte Zusammenhalt und absolute
Rückendeckung. Dies ist eine sechsmonatige Testphase, ein Konzept, welches ich
seit zehn Jahren studiert habe und was wirtschaftlich unfassbaren Nutzen
bringen wird.“
„Madame
Minister“, wagte nun Theodore Farlane, Vorsitzender des magischen Außenwesens,
das Wort zu ergreifen, und Hermine gestattete es. „Mit Verlaub, woher gedenken
Sie eine solche Summe aus öffentlichen Geldern umzuverteilen?“
Er
kam direkt zum Punkt, und sie hatte auch nicht die Absicht, zu lügen, es schön
zu reden. Sein Blick war schon jetzt eher nachsichtig, und es stieß ihr negativ
auf. Aber gleich würde sich diese Nachsicht wahrscheinlich in Wut wandeln. Sie
nahm es stark an.
„Theodore,
ich danke für Ihre Frage“, ging sie höflich auf ihren Gegenüber ein, aber auch
ihre Höflichkeit war eher Nachsicht. „Ich werde die Dementoren aus Askaban
abziehen. Diese Phase läuft für sechs Monate, und dann sehen wir weiter“,
schloss sie knapp, brach den Blickkontakt nicht, und Theodore wirkte absolut
nicht begeistert.
„Abziehen?“,
wiederholte er, die Höflichkeit gänzlich vergessend. „Was meinen Sie damit, Sie
wollen sie abziehen?“ Dass er sie noch siezte, war alleine ihrem Amt geschuldet,
nahm sie an.
„Das
letzte Mal, dass die Dementoren abgezogen worden sind, war unter Voldemorts
Regime“, warf Morgaine Black-MacArthur, ohne Handzeichen oder Höflichkeitsform
ein, und Hermine gefiel es nicht. Aber natürlich hatte sie gewusst, dass dieser
Vorschlag garantiert nicht mit übermäßiger Freude aufgenommen werden würde.
Morgaine belegte keine sonderlich hohe Rangposition, besaß allerdings einen
Namen, der es ihr nie schwer machte, Stimmen für sich zu gewinnen. Morgaine
hatte nicht nur die Stimmen der Finanzhoheit hinter sich, sie stand auch in der
Gunst von Lucius Malfoy. Lucius war Merlin sei Dank nicht hier. Seine Position
im Rat war eher eine symbolische, und nächstes Jahr würde die Position sowieso
an das nächste Steinzeitfossil übergeben werden.
„Richtig“,
räumte Hermine mit Engelsgeduld ein, „allerdings wurden die Dementoren
abgezogen, um im Kampf gegen Zivilisten eingesetzt zu werden. Ich habe nicht
vor, die Dementoren anderweitig einzusetzen. Sie dürfen zurückkehren in ihre
Sümpfe und ihr Hochland“, versicherte sie. „Das erspart uns die Kontrollen
durch externe Angestellte und wir sparen Millionen ein.“
„Und
wer bewacht Askaban? Welche andere Strafe als der Kuss soll eingesetzt werden?“
Morgaine fixierte sie streng, und Hermine hätte sie gerne in ihre Schranken
gewiesen, aber sie verzichtete darauf.
„Die
Schutzzauber bewachen Askaban. Die Gefangenen haben immer noch keine
Zauberstäbe, und es sind genügend Auroren abgeordnet. Auch die Wachen tun ihrer
Funktion genüge, Morgaine“, sagte sie strenger. „Was die Höchststrafe angeht,
so sehe ich es als erstrebenswerter an, dass die Gefangenen ihre Strafe leisten
und wieder eingegliedert werden.“
„Es
kostet sehr viel mehr Gold, die Gefangenen Jahre lang zu versorgen und dann
auch noch wieder einzugliedern, als den Kuss bestehen zu lassen“, warnte
Theodore sie jetzt, und Hermine tat einen langen Atemzug.
„Tatsächlich
nicht“, widersprach sie ruhig, aber darum ging es nicht. „Aber der Kuss ist
eine Grausamkeit, die nur noch die magische Justiz in England praktiziert. Es
ist der geeignete Zeitpunkt, Alternativen auszuprobieren.“ Alle sahen sie an,
alle schienen abzuwägen, ob es der richtige Zug gewesen war, sie als Ministerin
einzusetzen, aber Hermine hatte nicht vorgehabt, stilles Muggel-Mäuschen zu
spielen, eine gute Figur abzugeben, alleine als Vorzeigefrau zu dienen, und
bereits in ihrem ersten Monat schien sie genügend Gemüter zu verstimmen. Gut,
dachte sie grimmig. Immerhin würde man sie so nicht vergessen
„Madame
Minister, die Riege fügt sich Ihrer Entscheidung“, sagte Desmond schließlich,
und Hermine schenkte ihm einen dankbaren Blick. „Ich würde den Moment nutzen
wollen, um meine mögliche Versetzung zu besprechen“, ergänzte er jetzt, und
Hermine runzelte die Stirn. „Mit Ihrer Amtsernennung wird der Posten als
Untersekretär ebenfalls besetzt, und ich möchte meinen Namen vorschlagen.“
Hermine betrachtete ihn. Einige Köpfe wandten sich verstört in seine Richtung.
Desmond befand in direkter Linie zum Vorsitz der Äußeren Abteilung.
Vorzuschlagen, Untersekretär zu werden, würde ihn direkt aus der Rangfolge
werfen, und Hermine hatte bereits Kandidaten für das Untersekretariat vorgelegt
bekommen. Angemessenere, von weniger hohem Stand. Verwaltungsdrachen, die den
Job erledigen würden, Erfahrung hatten, aber hier saß ihre heimliche Allianz
und bewarb sich für einen Job, weit unter seiner Stellung.
Sie
zog ins Kalkül, dass es Absicht war. Dass Desmond die rechte Ministerhand
werden wollte, um politische Entscheidungen zu lenken, dass er sie nur in
Sicherheit wiegen wollte, um seine eigene Agenda durchzusetzen. Dass er sich
einen Namen machen wollte, dass er vielleicht sogar anstrebte, selber den
Amtsvorsitz zu belegen, sollte ihre Zeit enden.
„Lord
Ferrars“, entrüstete sich Jasper Barnaby augenblicklich, der zurzeit den
Vorsitz der Äußeren Abteilung innehatte und Desmond seit Jahren dazu
ausgebildet hatte, zu übernehmen. „Das ist… eine unerhörte Anfrage“, fuhr er
bestürzt fort.
„Jasper,
ich mache einen guten Job“, erwiderte Desmond, nicht halb so aufgewühlt.
Anscheinend hatte er genügend Zeit gehabt, über diese Entscheidung
nachzudenken. „Und ich würde einen noch besseren Job machen, in einer Position,
die ich wesentlich ansprechender finde.“ Hermine schwieg, aber sie hörte, wie
Morgaine verhalten mit ihrer Sitznachbarin sprach. Es würde ein Lauffeuer an
Gerüchten auslösen, wurde ihr klar. Ein Reinblüter-Lord der höchsten Stellung
wollte sich der muggelgeborenen Ministerin unterordnen – einfach nur, weil er
es wollte? Weil er es ansprechend fand. Oh, was dachte er sich bitteschön?
„Die
Ministerin wird diese Bewerbung ablehnen, Lord Ferrars. Es gibt Regeln, die
befolgt werden müssen“, mischte sich der Verwaltungsstabsvorsitz und
Personalchef Maxwell Tavish aus der inneren Abteilung ein.
„Mr.
Tavish, ich bin durchaus fähig, selber zu antworten“, maßregelte Hermine den
Mann links neben sich. „Lord Ferrars, ich nehme Ihre Bewerbung an, aber sie
wird der Prüfung unterzogen, und sollte sich das Amt für Sie als nachteilig
oder unangemessen herausstellen, werde ich ablehnen müssen. Ich denke, Sie
kennen die Prozedur“, schloss sie mahnend. Sie würden noch zum Gespött werden.
„Ich
verzichte auf den Rang“, entgegnete er ernst, benutzte ihren Titel nicht.
„Das
ist löblich, aber ganz so einfach ist es nicht“, widersprach sie, minimal
gereizt. Sobald die Presse mitbekam, dass solche Gespräche im Kabinett geführt
wurden, wäre sie ein gefundenes Fressen.
„Was
gibt es da zu prüfen, Madame Minister? Dem Augenschein nach, ist die Position
als Sekretär für Lord Ferrars eine gesellschaftliche Degradierung!“, mischte
sich Morgaine schließlich ein.
„Ach
ja?“, antwortete Hermine, und fasste die Hexe ins Auge. „Ist das so?“, fragte
sie direkt, und Morgaine sah sie an. Dann verzog die Hexe angespannt den Mund.
„Nicht
weil Sie eine Frau sind. Oder muggelgeboren, oder grundsätzlich zu jung für
diese Position“, erwiderte sie gepresst. Hermine hob die Augenbraue.
„Wäre
ich also ein sechzigjähriger Lord aus alter Familie, wäre es nicht unschicklich
für Lord Ferrars Rang und Namen aufzugeben, um Untersekretär zu werden,
verstehe ich das richtig?“ Sie mochte Morgaine nicht. Und Morgaine schien es zu
spüren. Und tatsächlich hielt sie den Mund. „Ich beende diese Diskussion. Wer
Untersekretär wird ist belanglos für mein Amt. Es ist ein rein oberflächliches
Problem, und ich kann Oberflächlichkeiten nicht leiden. Wir haben eine lange
Liste abzuarbeiten, Vorschläge zu entscheiden, und ich habe nicht geringste
Lust bis spät in die Nacht hier zu sitzen, um über die Sittlichkeit zu
entscheiden, ob ein Mann sich einer Frau unterordnen darf. Und ich werde mich
in keiner zukünftigen Sitzung dazu äußern. Wer ein Problem damit hat, den bitte
ich jetzt und endgültig den Saal zu verlassen. Ansonsten erwarte ich absolute
Einigkeit unter den Vorsitzenden“, schloss Hermine am Rande des Zorns. Sie
wartete, ließ den Blick wandern, aber keiner wagte, sich zu erheben,
tatsächlich sein Amt zu gefährden, und sie hatte nichts anderes erwartet. „Gut.
Dann weiter im Programm.“
8. your daddy’s
rich and your momma’s good looking
Sie
war den Tag über sehr kurzatmig gewesen, aber dann wiederum war sie das seit
Wochen schon. Sie hatte kaum essen können, und den Nachtisch, den die Elfen vor
einer halben Stunde serviert hatten, stand unangetastet vor ihr.
„Rose?“
Scorpius hatte sich ihr zugewandt. Sie hob den Blick, erlaubte den Einflüssen
um sich herum wieder in ihre Gedanken zu dringen.
„Hm?“,
fragte sie bloß, denn es war schwer geworden zu sprechen.
„Geht
es dir gut?“ Scorpius arbeitete viel. Mehr als sonst, denn er würde Stunden
kürzen, sobald das Baby geboren wäre, damit er die ersten Monate miterleben
konnte, so gut es ging.
„Ja“,
brachte sie knapp hervor.
„Vielleicht
war es zu viel heute?“, wollte Emily besorgt wissen, aber ein Hauch von eigener
Panik spiegelte sich in ihrem Blick, denn in wenigen Monaten würde Emily
dieselben Probleme durchleben, wie sie es tat.
„Nein,
nein. Alles gut“, brachte Rose hervor und fühlte sich etwas benommen.
„Du
bist blass“, ließ Scorpius nicht locker, und sein Tonfall änderte sich
innerhalb einer Sekunde. „Rose, du wirst immer bleicher“, sagte er, und ihr
Bauch spannte unangenehm hart, und sie musste die Luft anhalten, um nicht
unpassend zu stöhnen.
„Es
ist heute einfach schwieriger“, presste sie schließlich hervor, hielt sich die
Seiten, und Scorpius war im Begriff aufzustehen.
„Wie
lange noch?“, fragte Draco jetzt, musterte sie mit derselben Sorge wie sein
Sohn, und Rose wusste es auswendig, hatte schon keine Lust mehr, es immer
wieder und wieder zu sagen, aber sie tat es dennoch.
„Noch
27 Tage“, entgegnete sie beschwichtigend. „Es ist nichts weiter. Die Heilerin
sagte schon, dass Übungswehen auftreten können. Aber es dauert noch.“ Sie
schloss kurz die Augen, um den stechenden Schmerz zu ignorieren, der ihren
Unterleib erfasste. Dann flogen ihre Lider auf, denn sie spürte etwas
wesentlich unangenehmeres. Merlin, sie fühlte sich seit Monaten nicht mehr
begehrenswert, und ausgerechnet jetzt hatte ihre Blase nachgegeben. Oh nein!
Das durfte nicht sein! Nicht bei ihrem Schwiegervater am Esstisch! Der Schmerz
klang langsam ab.
Ihr
Blick fiel beschämt auf ihren Schoß, aber ihr Atem stockte plötzlich. „Scor“,
wisperte sie hilflos, und sofort folgte er ihrem Blick. Überraschte Tränen
stiegen in ihre Augen, und Scorpius war aufgesprungen.
„Dad,
ruf die Paramagier, ich hole die Tasche“, sagte er gefasst, und bevor er den
Raum verließ nahm er sie in den Arm, küsste ihre Stirn, und sie spürte seinen
schnellen Herzschlag. Emily und Draco waren ebenfalls aufgestanden, und Emily
war zu ihr gekommen, aber sie schlug sich die Hand vor den Mund, als sie neben
ihr stand.
„Draco,
beeil dich! Sie blutet stark!“, fuhr sie Draco an, und dieser machte sich nicht
die Mühe, sich zu vergewissern, sondern hatte den Salon im Laufschritt
verlassen.
„Es…
es tut mir so leid“, flüsterte Rose völlig neben sich, aber Emily machte eine
hastige Handbewegung.
„Unsinn!
Du musst ins Mungo! Sofort! Was kann ich tun, Rose?“ Emily wirkte vollkommen
aufgelöst, wartete auf irgendeine Absolution und Rose konnte nur einen einzigen
Gedanken fassen. Nur eine einzige Sache, die sie jetzt wollte! Die sie jetzt
absolut dringend brauchte!
„Mum“, flüsterte sie. „Ich brauche meine Mum!“ Ihre Worte waren tonlos, aber
Emily nickte blind.
„Ok!“,
sagte sie sofort. „Ok, ich sage ihr Bescheid! Ich sage ihr sofort Bescheid!“
Draco hatte das Zimmer wieder betreten.
„Hast
du wen gerufen?“, wollte Emily hysterisch wissen, und er nickte schroff.
„Sind
auf dem Weg. Rose, wie geht es dir? Bist du in der Lage mit der Kutsche zu
fahren?“, fragte er sie ruhig und ernst. Ihr Atem ging schneller, während sie
mit dem Kopf ruckte, nicht sicher, ob sie in der Verfassung war, noch großartig
irgendwas zu tun.
„Meine-Mum!“,
presste sie heiser hervor.
„Was?“,
erwiderte Draco unschlüssig, aber Emily antwortete, statt ihrer.
„Sie
will ihre Mutter, Draco. Sie hat gesagt-“
„-bitte!“,
unterbrach Rose Emily still, sah ihren Schwiegervater verzweifelt an, und es
verging eine knappe Sekunde, während er ihren Blick hielt, ehe er hastig
nickte.
„Ok“,
entfuhr es ihm gefasst. „Ja, ok. Sicher“, erwachte er wieder zum Leben und
erhob sich mit Tatendrang. „Ich versuche, sie zu erreichen, Rose“; versprach
er. „Emily bleib bei ihr. Die Paramagier kommen jeden Moment. Wenn sie nicht in
er Lage ist, zu reisen, passiert es hier“, informierte er Emily, aber Rose
hörte kaum zu, denn jetzt erfasste sie ein besonders schlimmer Schmerz und fast
tat ihr leid, dass Emily ihr ihre Hand anbot, um zuzudrücken – denn das tat
Rose. Und so heftig, dass Emily ebenfalls aufkeuchte.
Ihre
Mum. Sie brauchte ihre Mum. Die würde wissen, was zu tun war. Mum wusste immer,
was zu tun war!
~*~
Er zögerte.
Nicht sonderlich lange, nicht wirklich ernsthaft. Er warf das Flohpulver in den
Kamin, sprach die Adresse der Minister-Villa, die für ihn noch immer
freigeschaltet war, denn sein Vater, er selbst und Carnegie waren zusammen zur
Jagd gegangen. Deswegen besaß er mehr oder weniger das Privileg, die Villa zu
kontaktieren. Er wartete in unbequemer Position vor dem Kamin, nicht sicher,
was gleich passieren würde. Aber tatsächlich passierte gar nichts. Niemand nahm
den Anruf entgegen. Es verging eine stille Minute, während der fremde Kamin
nicht antwortete.
„Scheiße“,
entfuhr es ihm zornig. Er unterbrach den Anruf, dachte nach und kam zu keinem
guten Schluss. Vielleicht wäre sie im Fuchsbau, aber höchstwahrscheinlich
nicht. Was sollte sie dort? Oder sie wäre bei Potter. Seine Adresse hatte er
irgendwo, aber es war ein Dienstagabend. Was sollte sie also bei Potter? Er
nahm an, sie hatte im Moment genug zu tun. Vielleicht war sie noch im
Ministerium, aber er hatte keine Flohberechtigung für die Minister-Etage. Warum
auch? Er wusste nur eine Adresse auswendig, und er nahm an, auch da würde sie
nicht sein, aber konnte nicht einfach hier sitzen und gar nichts tun.
Er
warf das Pulver erneut in die Flammen. „Rosings Park 12“, sagte er widerwillig
und wartete mit angehaltenem Atem, dass auch nichts passieren würde. Aber er
hatte Pech. Die Flammen lichteten sich, und ihm wurde der Blick in ein
ausladendes, ziemlich leeres Wohnzimmer offenbart. Und er sah nicht großartig
anders aus, stellte Draco fest. Nicht viel anders, als vor fast einem Jahr.
Solange war es nämlich her.
„Malfoy“,
erkannte Weasley ihn und sprach das Wort ungläubig, mit absoluter Ablehnung.
„Guten
Abend“, erwiderte Draco beißend kurz. „Weißt du, wo deine Frau ist?“, fragte er,
ohne es zu erklären, ohne es überhaupt zu wollen. Und er ging davon aus,
Weasley wusste es nicht. Denn so sah er ihn an. Etwas Dunkles flackerte über
das fremde Gesicht, etwas Kaltes trat in seinen Blick, und der strenge Zug um
Weasleys Mundwinkel vertiefte sich.
„Wir
leben in Trennung, Malfoy. Ich nehme an, sie befindet sich in ihrer scheiß
Villa“, entgegnete Weasley zornig. Ok, Weasley wusste es auch nicht. Frag
nicht, warum, flehte Draco innerlich. Frag bitte nicht, warum. Aber Weasley tat
ihm den Gefallen, und Draco sah, wie sein Gehirn arbeitete. „Was willst du von
ihr?“ Kurz erkannte Draco etwas anderes in Weasleys Blick. Aber er hatte keine
Lust darüber nachzudenken. Und er hatte keine Zeit dafür.
„Nicht
wichtig“, sagte Draco unwirsch. „Ich muss weg“, wollte er das Gespräch beenden,
aber Weasley trat näher.
„Geht
es um Rose?“ Er sagte den Namen seiner Tochter mit Vorsicht, als wäre es
gefährlich, ihn laut zu äußern. Als… könne etwas Schlimmes passieren, alleine,
weil er ihren Namen sagte. Draco wog ab. Rose wollte ihre Mutter, nicht ihren
Vater. Und es war nicht an Draco, zu entscheiden, ob –
Ein
markerschütternder Schrei nahm ihm die Entscheidung ab.
„Was
war das?“, wollte Weasley sofort wissen, runzelte die Stirn.
„Nichts“,
versuchte Draco, abzuwiegen. „Ich muss wirklich-“
„-bekommt
sie das Kind?“, unterbrach Weasley ihn sofort, und Draco war überrascht, dass
Weasley doch mehr Informationen besaß, als er angenommen hatte. Aber
wahrscheinlich wusste er es von den Potters. Potter würde seinen kleinen
Knappen bestimmt nicht im Dunkeln lassen. Draco sah sich außer Stande, zu
antworten.
„Ich-“,
begann er gereizt, aber Weasley kam noch näher.
„Ist sie ok? Ist sie bei dir? Ist es nicht noch zu früh?“ Weasley machte sich
Sorgen. Größte Sorgen. Draco gab auf, so zu tun, als wisse er nicht, worum es
ging.
„Sie
ist in meinem Haus, und irgendwas ist nicht gut. Die Paramagier sind da und ich
weiß nicht, ob sie fähig ist, ins Mungo zu gehen“, erklärte er still und so
knapp wie möglich. „Und sie will ihre Mutter, aber ich kann sie nicht
erreichen.“
„Ich
finde sie“, versprach Weasley blind, ohne irgendwelche Fragen zu stellen.
„Deine Adresse hat sich nicht geändert?“, wollte er noch knapp wissen, und
Draco ruckte mit dem Kopf.
„Nein,
hat sie nicht.“
Weasley
nickte noch einmal, bevor er die Verbindung brach. Die Sicht ins Wohnzimmer
erstarb. Draco saß nur noch vor den leeren Flammen. Wie wollte Weasley das tun?
Wie wollte er das schaffen? Wieder ertönte ein Schrei, so laut, wie ihn dieses
Haus noch nicht gehört hatte. Draco hatte damals mit Astoria eine Landvilla
bezogen, wie es sie in Wiltshire zu Haufe gab. Er war hier verblieben, nachdem
Astoria verstorben war und hatte seit jeher hier gelebt. Auch Emily würde hier
einziehen. Seine Gedanken drifteten, bis ihn der nächste Schrei in die Realität
zurückholte. Er kam auf die Beine. Fast hatte er Angst, aber er konnte sich
nicht verstecken.
Er
verließ das Büro, hastete den Flur entlang, zurück durch die Halle, wieder in den
Salon. Merlin, sei Dank! Die Paramagier waren da! Rose lag mittlerweile auf dem
Boden, Kissen im Rücken, während sie untersucht wurde. Sein Sohn kauerte neben
seiner Frau, die prall gepackte Tasche neben sich, aber das viele Blut, was er
von hier aus erkennen konnte, würde es unmöglich machen, sie weit zu
transportieren. Und schon hatte der Paramagier sich von Rose entfernt.
„Sie
wird nirgendwohin gehen. Der Muttermund ist beinahe vollständig geöffnet, es
geht los.“ Seine Verlobte sprach statt seiner.
„Sie
kann ins Gästezimmer. Das Bett ist frisch bezogen. Sagen Sie mir, was ich tun
kann!“, befahl sie zitternd, und die Paramagier ließen Rose schweben, und
Scorpius verließ ihre Seite keine Sekunde. Rose war schrecklich blass. Es war
zu viel Blut, war alles, was Draco mit flachen Atemzügen dachte. Nicht, dass
sie starb! Es kam ihm plötzlich in den Sinn. Nicht, dass sein Sohn seine Frau
ebenfalls verlor.
„Wir
müssen Ihren Kamin benutzen“, erklärte ein Paramgier über die Schulter in seine
Richtung. Draco brauchte eine Ewigkeit, um zu reagieren, nickte dann bloß,
fragte nicht, warum, und sein Blick ging leer auf den Boden zurück, wo der
riesige Blutfleck schimmerte. Emily verließ ebenfalls den Raum, und nur Draco
stand nutzlos vor dem Esstisch, wo das Abendessen mittlerweile kalt geworden
war. Nach und nach wagten sich die Elfen ins Zimmer, machten stumm sauber,
hexten alles an seinen Platz zurück und entfernten lautlos und unauffällig das
Blut.
Es
war nicht viel Zeit vergangen, da klopfte es an der Haustür, und manisch setzte
er sich in Bewegung, rannte fast durch die Flure. Natürlich war der Elf
schneller gewesen, und im Flur erkannte er den Bruder auch von weitem.
„Mr.
Malfoy“, begrüßte der Heiler ihn zügig und kam näher. Er trug noch den Kittel,
und Draco nickte bloß. „Wir haben dieselbe Blutgruppe. Wo ist Rose?“, wollte er
direkt wissen, und Draco machte Kehrt und beide hasteten durch das Haus, bis
sie das Gästezimmer erreichten. Rose lag in den frischen Laken, Schweiß auf der
Stirn, und sie erkannte ihren Bruder mit müdem Blick.
„Hugh“,
flüsterte sie leise. „Wo ist Mum?“, fragte sie, und Draco schluckte schwer.
„Mum
kommt“, versicherte Hugo ihr blind, und sofort kam einer der Paramagier zu
ihrem Bruder, setzte ihn auf einen Stuhl und begann, sein Blut zu extrahieren.
Draco wandte den Blick, konnte nicht zusehen, und sinnlos begann er durch den
verdammten Flur zu wandern. Rose schrie nicht mehr. Er hatte keine Ahnung, was
passierte, warum sie blutete, was jetzt geschehen würde, aber er nahm an, das Baby
kam jetzt. Hier, heute in seinem Haus.
Er
hatte kein Zeitgefühl mehr, aber es hätte eine halbe Stunde vergangen sein
können oder fünf. Es läutete erneut. Leise klang der Ton, und sofort bewegte er
sich, dankbar, nicht dumm im Flur zu warten, und wieder hatte der Elf geöffnet,
und fast war er dankbar. Sie hatten sich lange nicht gesehen, und sie sahen
sich auch tatsächlich erst jetzt, wo es nicht zu vermeiden war. Er fing ihren
Blick auf, sie schob sich wortlos am Elfen vorbei, und sie wirkte nicht so, als
hätte sie gemütlich Zuhause auf dem Sofa gesessen. Ihr Kostüm war teuer, sie
roch nach Parfüm, ihre Schuhe waren hoch. Mit schnellen Schritten war sie bei
ihm, das Makeup nicht mehr frisch, aber sie sah noch immer nach Arbeit aus,
nicht nach Feierabend.
„Wie
geht es ihr?“ Sie hing an seinen Lippen, sah ihn unfassbar besorgt an, und
Müdigkeit und lange Arbeitstage sprachen aus ihrem Blick, ihrer Erscheinung.
Ihre Haare waren kürzer, ihre Locken wirkten wilder, in der strengen, halbhohen
Frisur, und Draco sprach. Endlich.
„Ich weiß es nicht. Hugo ist hier. Sie hat Blut verloren, ich…“ Er unterbrach
sich, denn er wusste es nicht. „Sie… sie ist vollständig geöffnet“, wiederholte
er, woran er sich grob erinnern konnte.
„Es ist zu früh“, erwiderte Hermine Weasley vor ihm, gänzlich überfordert, und
er nickte bloß.
„Hat
Weasley dich gefunden?“, fragte er jetzt, und scheinbar wurde ihr jetzt klar,
dass er es gewesen war, der Weasley Bescheid gegeben hatte.
„Ja.
Ja, er…- hat er. Er wollte nicht mit“, räumte sie stiller ein, und Draco
nickte bloß.
„Komm
mit. Sie ist im Gästezimmer“, sagte er, um zu sprechen, und sie folgte ihm
stumm. Der Weg erschien ihm länger, denn sie rannte nicht, wie ihr Sohn. Sie
hatte Angst. Aber schließlich erreichten sie den Flur. Sie erkannte die offene
Tür und hielt inne. Draco wandte sich zu ihr um. Sie wirkte blass. Nicht so
blass wie ihre Tochter, aber sehr mitgenommen. Dann schien sie sich zu sammeln,
die nötige Fassung zu finden, die sie brauchte. Sie streckte den Rücken durch
und Ernst und Verantwortung umgaben sie, wie ein Zauber. Sie hinterließ auf
jeden Fall einen Eindruck. Er hatte sie lange nicht mehr gesehen, und er wusste
wieder, warum er sich nicht erlaubte, an sie zu denken. Es war unnötig und warf
nur mehr Probleme auf, als er lösen könnte.
Er
lehnte sich an die Flurwand, erschöpft und überfordert.
Und
was passierte jetzt?
~*~
Es
war so endlos viel Zeit vergangen, dass Hermine nicht mal mehr wusste, ob es
noch Nacht war oder längst schon wieder Tag.
„Mum“,
flüsterte Hugo, der sich lautlos seinen Kittel über den Arm legte und im
Begriff war, das Zimmer zu verlassen, in dem Hermine jetzt gefühlte Jahre ihres
Lebens verbracht hatte. „Lass sie schlafen“, fuhr er ruhig fort. Hermine hatte
nicht vorgehabt, sie zu wecken. Aber scheinbar bugsierte Hugo sie aus dem
Zimmer, griff sanft nach ihrem Arm, schob sie auf den Flur, aber Hermine konnte
kaum den Blick von ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn wenden.
Er
war vor zwei Stunde entbunden worden. Es hatte lange gedauert, es war
schmerzhaft gewesen. Hugo hatte ständige Bluttransfusionen geleistet, wirkte
merklich blass, aber anmerken ließ er sich nichts. Das Baby hatte festgesteckt,
hatte sich die eigene Luftzufuhr genommen. Roses Körper hatte reagiert. Dann
hatte sich ein verborgenes Problem mit ihrer Plazenta herausgestellt, die viel
zu früh verkalkt war. Sie wusste nicht, was noch alles problematisch gewesen
war, aber jetzt schwebte die kleine Frühgeburt in einem magischen Brutkasten,
wurde über komplizierte Zauber versorgt, und immer wieder schlichen Paramagier
ins Gästezimmer, um die Werte zu kontrollieren. Die Schichten hatten
gewechselt, Hermine sah Gesichter, die sie die Nacht über nicht gesehen hatte.
Rose
schlief erschöpft im Bett, neben ihr lag Scorpius schief auf den frischen
Laken, schlief ebenfalls, und Hermine war hundert Jahre älter geworden.
Sie
ließ sich von Hugo mitziehen, und der Duft von Kaffee stieg ihr in die Nase.
Fahl graute der Morgen. Sie erkannte es durch den Spalt der dicken Vorhänge.
„Ich
muss in die Klinik zurück“, erklärte Hugo jetzt, und Hermine wollte
protestieren, wollte ihm sagen, dass er ausruhen sollte, dass er erst zu
Kräften kommen musste, dass er nicht apparieren durfte, aber sie war zu müde.
Sie seufzte nur knapp, ruckte mit dem Kopf, denn ihr Sohn würde schon wissen,
was er tat.
„Hey“,
wurde sie von der jungen Frau begrüßt, die sie vorher schon bemerkt hatte. Sie
war im Hintergrund verblieben, und Hermine hatte sich nicht vorgestellt, hatte
noch nicht die Zeit gehabt, und jetzt verabschiedete sich Hugo von der Dame,
drückte Hermine kurz an sich, und diese stand völlig verloren im großen Flur
dieser Villa, die sie erschreckend an die viel zu große Minister-Villa
erinnerte, in der sie von jetzt an ihr Dasein fristete. „Ich habe Frühstück
gemacht. Draco muss auch gleich los. Wenn Sie… mitessen möchten, wir haben mehr
als genug. Wenn Sie sich ausruhen möchten, wir hätten noch ein weiteres
Gästezimmer?“ Die junge Frau wartete gespannt. Hugo war gegangen, die Tür war
in der Ferne ins Schloss gefallen, und Hermine atmete unschlüssig aus. Die
ganzen Wir-Sätze ließ sie annehmen, dass diese Frau irgendwas mit Malfoy zu tun
hatte.
„Hermine
Weasley“, stellte sie sich kurzerhand vor, auch wenn ihre Stimme nicht mehr
kräftig und zuversichtlich war, und die junge Frau blinzelte kurz verwirrt,
bevor ihr Mund sich öffnete.
„Oh
natürlich! Verzeihen Sie mir. Die ganze Nacht war so durcheinander, und ich bin
einfach froh, dass es Rose und dem Baby gut geht!“ Die junge Frau schenkte ihr
ein erleichtertes Lächeln, was Hermine einfach nur zur Kenntnis nahm. „Ich bin
Emily Bennett und mit ihrer Tochter gut befreundet. Wir…“, sie zögerte kurz,
aber schon wieder zog ein Lächeln an ihren Mundwinkeln, „besuchen dieselbe
gynäkologische Heilerin“, schloss sie vielsagend. Hermine zog die Stirn in
Falten.
Er
bog so plötzlich um die Kurve, dass sie zusammen zuckte. Mit ihm hatte sie kaum
gerechnet, aber natürlich war dies seine Villa. Er hatte Ron Bescheid gesagt.
Sie vergaß einfach immer mal wieder, dass er überhaupt existierte.
„Ist
alles in Ordnung?“, erkundigte er sich blind in ihre und Emilys Richtung.
„Alles
in bester Ordnung. Dem Baby geht es gut. Rose und Scorpius schlafen. Das Baby
wird alle halbe Stunde kontrolliert. Ich habe den Paramagiern Zugang zum Kamin
gegeben“, erklärte Emily schnell, denn scheinbar hatte Malfoy die Nacht
genutzt, um zu schlafen. Gute Entscheidung. Er trug einen Anzug, wirkte
förmlich, nie legere, sie kannte ihn kaum anders. Er wahrte immer diese
seltsame Form, immer der Etikette unterworfen. Sie befand sich nun ebenfalls in
solchen Rängen, wo sie auf diese Dinge zu achten hatte. Aber ihr fiel es
augenscheinlich ungemein schwerer als ihm.
„Danke dir“, erwiderte er in Richtung Emily und lehnte sich zu einem schnellen Kuss
hinab. Es passierte zu flüchtig, als dass Hermine die faire Chance hatte,
wegzusehen, und kurz verzog sich ihr Mund angewidert. Reiner Reflex. Es gab
also Menschen, die freiwillig Zeit mit ihm verbrachten.
Hermine
verstand. Das junge, hübsche Mädchen gehörte zu Malfoy.
-
Und… war… schwanger, ergänzte ihr müder Verstand die nächste Lücke. Sie nahm
an, dass hatte Emily ihr vielsagend bedeuten wollen, mit dem Hinweis auf die
gynäkologische Heilerin. Hermine verdaute diese Information schweigsam und ausdruckslos,
lehnte müde an der Wand, und wollte weg aus diesem Haus, aber gleichzeitig
wollte sie ihre Tochter und ihr Enkelkind mitnehmen.
„Entschuldigen
Sie, wenn Sie mit uns kommen wollen? Ich kann Ihnen auch frische Sachen
anbieten?“ Demonstrativ deutete Emily auf Hermines Kostüm, was nun eindeutig
ein Fall für die Tonne war. Irgendwie waren Blutspritzer quer darauf verteilt
und andere Flecken, an die sich Hermine nicht erinnern konnte. Und Hermine
fragte sich eine bittere Sekunde lang, wessen Sachen das wohl sein sollten.
Denn in die Kleidergröße, die das Mädchen vor ihr zu besitzen schien, würde
Hermine nur mit einer ausgewachsenen Essstörung hineinpassen. Sie zog abwesend
ihren rettungsringartigen Bauch ein, aber natürlich gänzlich vergebens.
„Ich
– danke, nein“, erwiderte sie schließlich knapp und mit gesenktem Kopf. Wenn
sie müde war, erschöpft und überfordert, war es tatsächlich möglich, sie zu
beschämen. Wenn auch nur marginal.
„Sie
müssen zum Frühstück bleiben, Mrs Weasley, bitte“, bat das junge Mädchen –
unverschämt jung! Bestimmt nicht viel älter als Rose, und Hermine konnte nicht
verhindern, Malfoy einen knappen Seitenblick zuzuwerfen. Er fing ihren Blick
auf, wirkte verdammt ausgeruht und Hermine hasste ihn. Dafür, dass er hatte
schlafen können, dafür, dass ihre Tochter in seinem Haus lag. Dafür, dass
Männer in seinem Alter Freundinnen hatten, die ihre Töchter sein könnten.
„Danke,
ich… habe in wenigen Stunden bereits einen Termine“, nahm sie finster an. Denn
wenn es Morgen war, drohte ihr gleich schon die nächste Sitzung.
„Sie
können doch heute nicht arbeiten!“, entrüstete sich Emily hellauf empört.
„Das
Ministerium schläft nicht, Miss- Bennett?“, vergewisserte sich Hermine knapp.
„Verwandt mit Senator Bennett?“, erkundigte sie sich automatisch, denn der
Namen kam ihr unangenehm vertraut vor.
„Mein
Vater, ja“, bestätigte Emily, irgendwie geschmeichelt, obwohl Hermine kein
Kompliment hatte aussprechen wollen. Warwick Bennett war ein Tyrann, dem sein
Ruf vorauseilte, und Hermine hoffte, nicht persönlich mit ihm zu tun haben zu
müssen. Jemals. Aber wenn dieses Mädchen Malfoys Kind bekam, dann wäre es
Scorpius‘ Bruder, und dann wäre es der Onkel oder die Tante ihres Enkelkindes,
nicht wahr? Zu müde. Sie war zu müde für solche verworrenen Schlüsse.
„Du
wirst bestimmt Zeit für eine Tasse Tee haben“, sagte Malfoy jetzt tatsächlich,
und es war keine Frage. Er duzte sie, ihm fehlte jede Ehrfurcht vor ihrer
Position, und in diesem Haus, unter diesen Menschen fühlte sich Hermine nicht
wie etwas Besseres. Sie war nicht besser als die meisten, aber sie wollte
behaupten, sie wäre besser als die Sippschaft der Malfoys. Und sie nervte seine
unterschwellige Arroganz. Als wäre es ein scheiß Wettbewerb, den er gerade
gewann. Als wäre es verdammt erstrebenswert am Rande der fünfzig von vorne
anzufangen. Fast bekam sie Atemnot, wenn sie daran dachte. Sie war froh, ein
Enkelkind zu haben, aber sie war ernsthaft erleichtert, dass es Roses Kind war.
Merlin, Malfoys Enkel wäre älter als sein eigenes Kind.
„Wir
verschieben das“, entgegnete sie rigoros, mit der exakten Vorstellung des Sankt
Nimmerleintags im Gedächtnis, an dem sie alle schlimmen Dinge tun würde, die
ihr in den Sinn kamen – nämlich nie. „Ich kann mir vorstellen, dass die
Hexenwoche schon ziemlich bald ihre Zelte im Garten aufschlagen wird, und dann
wäre ich lieber woanders, als hier“, schloss sie bestimmt, denn natürlich war
es ansatzweise skandalös, dass die Familie Malfoy mit den Weasleys verbunden
war. Hermine ignorierte es den größten Teil ihres Lebens konsequent, aber dann
gab es Nächte wie heute…, da war es schwer. „Ich würde Rose, sobald sie
transportfähig ist, abholen lassen“, informierte sie ihn, der Form halber.
Wirklich nur der Form halber, denn seine Antwort, seine Zustimmung, seine
Meinung interessierte sie überhaupt nicht. Rose musste weiterhin überwacht
werden, hatten die Paramagier gesagt, so auch das Baby, und Hermine würde sie
persönlich mit dem Levicorpus holen,
ehe sie hier zu lassen.
Scheinbar
ließ Malfoy unkommentiert, was er wohl nur zu gerne kommentieren würde, und
widersprach ihr tatsächlich nicht. Nur sein stummer Blick sprach endlose Bände.
„Mrs
Weasley“, begann Emily beinahe kleinlaut. Hermine sah sie abwartend an. „Ich
würde… noch sehr gerne ein Einladung an Sie aussprechen. Ich weiß, Sie haben
viel zu tun, und es ist sowieso eine Ehre Sie hier begrüßen zu dürfen, aber
ich… würde Sie gerne zu unserem Empfang einladen. Draco und ich werden dort die
Verlobung bekanntgeben. Rose und Scorpius sind natürlich auch eingeladen. Eine
förmliche Einladung würde ich Ihnen noch zukommen lassen, aber könnte ich mit
Ihrer Anwesenheit planen? Es wäre eine absolutes Glück!“ Hermine war mehr oder
weniger schockiert über die Aufrichtigkeit in Emilys Worten. Malfoy würde
heiraten. Er würde erneut Vater werden. Das war ein Wettbewerb, den er getrost
gewinnen konnte. „Ich bitte Sie“, ergänzte Emily mit einem warmen Lächeln.
„Ich
werde sehen, ob ich an dem Termin die Zeit finden werde“, wich sie diplomatisch
aus und spürte Malfoys Seitenblick.
„Natürlich,
Mrs Weasley.“
„Aber…
meine Glückwünsche“, sagte sie, und ihre Mundwinkel zuckten knapp. „Zur
Verlobung und… zu allen anderen zukünftig guten Dingen, die noch ins Haus
stehen werden“, ergänzte sie ein wenig steif, und Malfoys Pokerface verriet keine
Gefühlsschwankung.
„Vielen
Dank, Mrs Weasley, Madame Minister. Ich – es war wirklich eine Freude, Sie
kennenzulernen, und wir bleiben in Kontakt, ja?“, bat das junge Mädchen, und
der bittere Geschmack in Hermines Mund wurde langsam zu viel. Sie wollte hier
raus. Schleunigst.
„Sicher“,
entgegnete Hermine mit falscher Zuversicht. „Ganz bestimmt.“ Sie streckte den
Rücken durch. „Ich finde den Weg allein“, sagte sie zu niemandem bestimmten,
und sie war froh, wenn sie Rose in ihrem eigenen Haus unterbringen würde. Denn
hier hin würde sie nicht noch einmal kommen. Garantiert nicht.
9. i wear the
chain i forged in life
Sie
hatte geduscht, in Rekordzeit. Ihre Gedanken hingen der Nacht noch immer nach.
Noch immer steckte es in ihren Gliedern. Sie sah ihre Tochter vor sich, das
Baby, und sie konnte nicht erwarten, den Tag hinter sich zu bringen. Sie hatte
bereits mit Maxwell gesprochen, mit Miss Hawthorne, die alles vorbereitete, und
sie würde heute mit Desmond reden müssen. Das Leben stand nicht still.
Und
es klopfte magisch verstärkt an ihre Tür.
Sie
besaß natürlich keinen Hauselfen, der öffnete. Man hatte ihr nahe gelegt, sich
Personal zu beschaffen, ob nun menschlich oder nicht, aber sie war noch nicht
dazu gekommen und sie tat sich schwer mit der Idee. Aber ihre Wäsche stapelte
sich, und sie würde jemanden brauchen, der sauber machte. Eventuell. Denn sie
schaffte es nicht. Hastig lief sie zu Tür, im Bademantel, und wäre es die
Hexenwoche, dann würde sie nun einen fabelhaften Schnappschuss bekommen, aber
Hermine dachte soweit nicht, sah sich noch nicht als Person des öffentlichen
Lebens und zog die Tür beinahe arglos auf, denn auch ihr einsamer Torwächter
hatte bisher nur die Instruktion, dass Familie und Freunden der Einlass gewährt
werden durfte. Und das war scheinbar passiert.
Ron.
Er stand vor ihr. So müde, wie sie es war. Hatte er irgendwo gewartet? Woher
wusste er, dass sie wieder hier war? Unschlüssig sah sie ihn an.
„Mich
hat niemand gesehen, außer der Wächter“, versicherte er ihr scheinbar augenblicklich
aus einer Eingebung heraus, und erst jetzt begriff sie, dass sie morgens einem
Mann die Tür im Bademantel öffnete. Zwar war es ihr Ehemann, aber es war
trotzdem ein absoluter Skandal. Sie wich zurück.
„Komm
rein“, sagte sie überfordert. Die Situation war nicht ideal, aber so war es
jetzt eben.
„Und?“
Er blieb im Flur stehen. Er sah jämmerlich aus. Er hatte geweint, sie sah es
sofort. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Deshalb beschränkte sie
sich auf die Fakten.
„Es
ist ein Junge. Er ist zu früh gekommen, aber er ist stark, und er wird es
schaffen“, sagte sie ruhig. „Rose ist erschöpft, aber es geht ihr gut. Alle
haben es gut überstanden“, schloss sie. Ron tat einen erleichterten Atemzug,
und Tränen flossen ungehindert seine Wangen hinab.
„Das…
das ist wirklich… gut“, flüsterte er, und er kam Hermine so schrecklich
verloren vor. Es zerrte an ihr, irgendwo dort, wo ihre Gefühle schlummerten.
„Ron“,
sagte sie voller gequältem Mitgefühl.
„Hauptsache,
es geht ihr gut“, sagte er, wischte sich die Tränen von der Wange, und Hermine
schloss den Abstand zu ihm, schloss ihn in die Arme, und sein Kopf sank
schluchzend auf ihre Schulter. Sie hasste Ron nicht. Sie wollte nicht, dass
alles schwierig war. Es war lange her, dass sie ihren Mann umarmt hatte. Sein
Geruch war tröstlich. Alles an ihm war so tröstlich. So vertraut, und Hermine
brauchte dringend etwas Vertrautheit in all dem neuen Chaos. Sie spürte sehr
plötzlich seine warmen Lippen auf ihrem Hals, und sie hielt erschrocken die
Luft an. Fast ein Jahr hatten sie sich nicht gesehen! Ein ganzes Jahr! Er hatte
es nicht einmal für nötig gehalten, ihr zu ihrem Amt zu gratulieren, und jetzt
–
Er
hatte den Kopf gehoben, hatte nur eine Sekunde gezögert, und küsste sie keinen
Moment später. Der Kuss war fordernd, und plötzlich spürte sie ihn überall. Er
presste sie an sich, seine Hand verschwand in ihren Haaren, seine Zunge stieß
zwischen ihre Lippen und er drängte sie gegen die Wand. Sie war im Nebel von
Müdigkeit und alter Lust gefangen, als er begann, ihren Bademantel zu öffnen.
Ihr Körper bebte, kannte solche Gefühle schon nicht mehr, und bei Ron fühlte es
sich nicht widerlich und scheußlich an. Nicht wie bei… wie bei…- Sie zog den
Kopf zurück. Fast eher unbewusst, als das nackte Bild von Draco Malfoy in ihr
Unterbewusstsein trat.
Ron
sah sie atemlos an, aber sofort schlichen sich Schuldgefühle auf sein Gesicht.
Er wich zurück. Nicht weit, aber weit genug, dass sie die Kälte spüren konnte.
„Es…
es tut mir leid“, entschuldigte er sich, und seine Brust hob und senkte sich
schnell. Sie wollte ihm sagen, dass er das nicht musste, dass… dass sie
diejenige wäre, die sich entschuldigen müsste, aber sie tat gar nichts. „Ich…
es ist alles so viel, und ich…“ Er fuhr sich durch lichteren Haare, sah sie
wieder an, und Hermine schluckte schwer, versuchte, ihre zitternden Knie unter
Kontrolle zu kriegen.
„Ich
werde Rose holen, sobald sie kann. Möchtest du… möchtest du dein Enkelkind
sehen?“, fragte sie ihn, und ihre Stimme gehorchte kaum.
„Ich…
ja“, bestätigte er blind, rau, absolut hoffnungsvoll. „Will sie das?“, wollte
er vorsichtig wissen.
„Du bist ihr Vater. Natürlich will sie das“, versprach Hermine ihm, und für
eine Sekunde, sah sie die Zukunft vor sich, die Versöhnung. Sie sah, wie sich
alles wieder zusammenfügte. Wie nicht einmal die Malfoys ihr Leben komplett
zerstören konnten. Und plötzlich flatterte ihr Herz, denn eine Zukunft mit Ron
rückte plötzlich wieder in eine mögliche Perspektive. Und die Vergangenheit… das
war Vergangenheit. Vielleicht konnten sie an der Beziehung arbeiten? Von vorne
beginnen? Hätte sie doch nur mehr Zeit! Sie biss sich auf die Lippe.
„Ich…
ich muss leider los“, sagte sie entschuldigend, und er nickte hastig.
„Schon
klar. Ich… will dich gar nicht aufhalten, ich wollte nur…“ Ihren Bademantel
ausziehen, beendete sie in Gedanken den Satz und spürte die Hitze in den
Wangen.
„Du…
bist später Zuhause? Ich erreiche dich dort?“, fragte sie ihn und hoffte, sie
klang nicht zu hoffnungsvoll. Es klang seltsam, das Wort ‚Zuhause‘ zu benutzen,
aber sie tat es, frei von Schuld.
„Ja.“
„Ich
gebe dir Bescheid, wenn… Rose hier ist“, sagte sie. „Ich versuche, alles heute
zu erledigen, was ich muss, und Sonderurlaub einzureichen“, versprach sie,
plötzlich absolut willig, im Amt zu fehlen. Für ihre Familie würde sie es tun.
„Ok,
tu das“, sagte Ron nickend. „Wegen vorhin“, begann er zaghaft.
„Schon gut“, unterbrach sie ihn, nicht sauer, nicht unfreundlich. Nein, beinahe
erwartungsvoll.
„Danke“,
sagte er tatsächlich und verabschiedete sich mit einem Nicken von ihr.
Sie
lehnte noch immer an der Wand, auch als er gegangen war, und ein Lächeln stahl
sich auf ihre Lippen. Sie hatte lange nicht mehr gelächelt. Aber viel Zeit
hatte sie nicht, ihr neues aufregendes Glück zu genießen. Sie musste zurück.
Zurück zur Arbeit, bevor sie einen Suchtrupp schicken würden.
~*~
Es
war ihre achte Tasse Espresso. Miss Hawthorne hatte ihn besonders stark kochen
müssen, und immer noch fiel sie beinahe um vor Erschöpfung. Aber sie wollte
alles erledigen, sie schlug sich gut. Sie hatte alle neue Bewilligungen durch,
hatte unterzeichnet, was sich nicht vermeiden ließ, und jetzt musste sie das
leidige Sekretärsproblem klären. Mr. Tavish wartete bereits vor ihrem Schreibtisch,
und Hermine zog den teuren Blazer ihrer neuen teuren Garderobe glatt.
Sie
schloss ihre Bürotür für dieses Gespräch.
„Alles
in Ordnung, Madame?“, erkundigte sich der Mann bei ihr, und abwesend nickte
sie.
„Ja“,
sagte sie, war sich aber schon fast nicht mehr sicher, was der Mann sie gefragt
hatte. Es hatte die Runde gemacht, dass ihre Tochter entbunden hatte, aber
Hermine hatte klar und deutlich gemacht, dass sie nicht darüber sprechen würde.
Sie hatte keine Zeit. Es galt, alles zu erledigen, damit sie vielleicht ihre
Ehe kitten konnte, und von den Verwaltungsdamen nicht mehr mitleidig angesehen
werden würde.
„Ich
habe hier die Kandidaten vorliegen, die für diesen Job geeignet sind. Mr.
Ferrars gehört nicht dazu“, ergänzte er überflüssigerweise. Es war Hermine
beinahe egal. „Es ist ein Randproblem, Madame“, machte er es deutlich, und
Hermines Aufmerksamkeit kehrte zurück.
„Ich
weiß, Maxwell“, erwiderte sie gereizt.
„Nächste
Woche wird die Vertretung des zweiten Senats hier aufschlagen“, prophezeite er
ihr bitter. „Das magische Verwaltungsgericht ist nicht begeistert über Ihre
Umstrukturierung, Madame“, bemerkte er knapp.
„Das
war mir klar“, sagte sie bloß. Maxwell Tavish wäre ihre erste Wahl für einen
persönlichen Untersekretär, aber natürlich war das nicht möglich. Er war der
einzige, der ehrlich mit ihr sprach, Sorgen und Bedenken äußerte, aber auch
ihre Projekte unterstützte. Er kannte sich in den hohen Rängen bestens aus, da
er alle Personalakten gelesen hatte.
Es
klopfte wieder, und erschöpft hob sich ihr Kopf. „Herein“, rief sie lediglich,
bemühte sich nicht mal professionell zu klingen. Die Tür öffnete sich langsam,
und Desmond steckte den Kopf herein.
„Lord
Ferrars“, begrüßte Maxwell den Gast, und Desmond betrat das riesige Büro, mit
dem sie noch nicht völlig zurecht kam. Er wich einem fliegenden Memo aus, das
die Chance genutzt hatte, durch die offene Tür zu sausen, und solange um ihren
Kopf schwirrte, bis sie es mit beiden Händen zufassen bekam und platt auf dem
Tisch niederdrückte. „Wir sprachen gerade über Sie.“ Desmond lächelte
tatsächlich.
„Sie
raten ihr von mir ab, nicht wahr, Tavish?“, wollte er mit einem fast
spöttischen Blick wissen. Maxwell betrachtete ihn finster.
„Sie
ist nicht meine Tochter, und Sie sind kein Jungspund von Rebell, der mit ihr
durchbrennen möchte“, erklärte er schroff, und fast musste Hermine lächeln,
über so viel barschen Humor von einem staubigen Ministeriumsbeamten. „Madame
Minister kann selbst entscheiden, welche Stabsbesetzung sie bevorzugt, aber
natürlich gibt es vielversprechendere Kandidaten, als ausgerechnet den
Vize-Vorsitzenden der Äußeren Abteilung, Lord Ferrars.“
„Vielen
Dank für das Kompliment und Ihr Vertrauen“, erwiderte Desmond nickend.
„Lord
Ferrars, Sie schüren die Gerüchteküche, und das ist etwas, was wir so weit oben
in der Rangfolge zu vermeiden suchen.“
„Die
verdammte Gerüchteküche existiert mit meiner Bewerbung oder ohne sie, Tavish.
Völlig gleichgültig, was passiert.“ Die beiden Männer sahen sich an.
„Maxwell,
könnte ich mit Lord Ferrars unter vier Augen sprechen?“, bat Hermine ihn, wenn
auch mit einem Augenzwinkern, aber Maxwell sah sie eindeutig an.
„Ich
würde streng davon abraten, Madame“, erwiderte er. Hermine musste lächeln.
„Gut,
dann bleiben Sie hier“, entgegnete sie nickend. Maxwell lehnte sich zurück und
beobachtete, wie Hermine den Abstand zu Desmond schloss.
„Kennst
du das Märchen, von der Ministerin, die keine Entscheidung alleine treffen
durfte?“, erkundigte sich Desmond feixend bei ihr, und Hermine nickte traurig.
„Ja,
ein schlimmes Märchen. Die Ministerin hat mir immer Leidgetan“, bestätigte sie
wehmütig und hörte Maxwell schnauben.
„Man
munkelt, deine Tochter hat entbunden?“, fragte Desmond schließlich gespannt,
und Hermine nickte.
„Die
ganze Nacht lang“, erwiderte sie.
„Meinen
Glückwunsch. Man sieht es“, sagte er nickend, und sie hob argwöhnisch den
Blick. „Sie sehen immer noch zauberhaft aus, Madame Minister, entschuldigen Sie
die schlechte Wortwahl!“, lenkte er sofort ein, und Hermine verdrehte die
Augen.
„Desmond,
ich habe nichts gegen deine Bewerbung“, kürzte sie das Gespräch ab, denn bald
war es fünf Uhr, und sie wollte Rose noch vor Einbruch der Dunkelheit holen.
Deshalb musste sie dieses Gespräch beschleunigen. „Aber“, fuhr sie fort, und
Desmond hob den Blick.
„Aber
was?“, erkundigte er sich mit verschränkten Armen.
„Aber
es macht den Anschein, als würdest du die Position nur nutzen wollen, um selber
im Ministeramt Fuß fassen zu können. Als würdest du deine geplante Stellung
ausschlagen, um auf lange Sicht, eine bessere Position ergattern zu können“,
äußerte sie ihre ursprünglichen Gedanken, ohne Zögern und Scheu. Desmond sah
sie direkt an. Maxwell schwieg, lauschte ihren Worten genau, und es verging ein
Moment, ehe Desmond seufzte.
„Seltsam“,
entfuhr es ihm schließlich. „Ich war überzeugt, meine Absichten wären überhaupt
nicht subtil und wesentlich eindeutiger, Hermine.“ Sie blinzelte knapp. „Ich möchte
mit dir arbeiten. Deine Ansichten sind innovativ, deine Entscheidungen mutig
und für das Ministerium durchweg vorteilhaft. Auch das Urgestein wird es
einsehen“, ergänzte er mit Blick auf Maxwell, der entrüstet die Augenbrauen
hob. „Ich will keine bessere Stellung, ich habe kein Interesse daran,
hinterhältig im Hintergrund zu agieren. Mein Interesse ist ein völlig anderes.“
Er sah sie sehr offen an.
„Desmond“,
sagte sie beinahe schockiert, schüttelte fast schon den Kopf.
„Ich
möchte Zeit mit dir verbringen. Ich möchte in deiner Nähe sein. Ich werde gute
Dienste leisten, und nur zu gerne verzichte ich auf meinen Titel, wenn es
bedeutet, dass-“
„-ich
rate ab“, mischte sich Maxwell deutlich ein. Desmond lachte auf.
„Zieh
es wenigstens in Erwägung. Ich will dich nicht manipulieren, Hermine. Ich hatte
angenommen, du wüsstest längst, was ich für dich empfinde.“ Sie starrte ihn an.
War das sein ernst? Der schöne Reinblüter vor ihr, wollte für sie arbeiten, um
in ihrer Nähe sein zu können? Es wäre unfassbar romantisch, und ihr Bauch
schlug einen kleinen Salto, wenn sie darüber nachdachte, wie es wäre, ihre
Finger durch seine dichten Haare gleiten zu lassen, während er sie an sich zog,
aber sie war auch völlig übermüdet und auf einem Koffein-Trip. Und viel wichtiger
– Ron wartete auf sie. Ihr Ron! Der Reinblüter-Zirkus war vorbei. Sie brauchte
niemanden sonst.
Sie
schluckte schwer. „Ich überlege es mir, Desmond“, flüsterte sie fast.
„Danke.
Sehe ich dich morgen?“, fragte er direkt.
„Madame
Minister wird Sonderurlaub einreichen“, mischte sich Maxwell ein. „Und ich
schlage vor, Sie gehen Ihrer Arbeit nach, Lord Ferrars. Madame Minister und ich
müssen noch ein oder zwei Dinge besprechen“, machte er es überdeutlich. Dennoch
schenkte Desmond ihr ein sehr eindeutiges Lächeln.
„Madame
Minister“, verabschiedete er sich förmlich, mit dem Ansatz einer Verbeugung,
und kopfschüttelnd verdrehte sie die Augen über ihn, aber ihre Mundwinkel
zuckten geschmeichelt.
„Lord
Ferrars“, wiederholte sie den förmlichen Gruß, und Maxwell atmete gereizt neben
ihr aus. Der schöne Reinblüter ging, und Hermine war tatsächlich überrascht.
„Auf
gar keinen Fall“, sagte Maxwell bloß, als sich die Tür wieder geschlossen
hatte.
„Keine
Sorge, Maxwell“, beschwichtigte Hermine den Berater, und dieser fasste sie
streng ins Auge.
„Madame,
Sie sind fähig, Ihre Entscheidungen zu treffen, aber ich rate Ihnen dringendst
davon ab, ihn-“
„-ich
denke, ich bin ohnehin schon vergeben, also gibt sich Mr. Ferrars umsonst
Mühe“, informierte sie den Mann vor sich still, und dieser schloss den Mund.
„Kluge
Entscheidung, Madame. Wirklich klug.“ Hermine hatte den größten Teil ihres
Lebens kluge Entscheidungen getroffen, weshalb sie ein wenig unsicher war, was
die Sache mit Ron betraf. Es war gut gelaufen, bis hierher. Sie hatte sich
tapfer geschlagen, kaum um ihre Ehe getrauert, das erste Mal den Hauch von
Freiheit verspürt, und jetzt… jetzt war sie sich nicht sicher, was sie fühlen
sollte. Es hatte sich angenehm vertraut angefühlt. Es würde vieles leichter machen.
Sie würde es auf sich zukommen lassen müssen.
Und
währenddessen würde sie einfach in der Tatsache schwelgen, dass zwei Männer um
ihre Aufmerksamkeit buhlten. Es fühlte sich fantastisch an. Sie ignorierte die Tatsache,
dass sie heute Großmutter geworden war. Es klang schrecklich alt. Viel zu alt.
~*~
Zornig
zog sie die Vorhänge zu, aber das vereinzelte Blitzlicht drang doch ins Innere.
Es war nervtötend. Eine kluge Entscheidung, Rose ins Gästezimmer im zweiten
Stock zu verlegen. Zwar war der Weg weit, aber immerhin würde so kein dämlicher
Klatschreporter ein Foto von ihrem Enkelkind machen.
Es
hatte gedauert und es war nicht ohne Schwierigkeiten gegangen, aber Rose war
endlich hier, samt Baby und bedauerlicherweise ihrem Ehemann. Aber Scorpius
wäre niemals alleine bei seinem Vater verblieben. Und Hermine war schneller als
Narzissa gewesen. Das war der größte Triumpf.
Es
klopfte erneut an der Tür und außer Atem hastete sie durch die Flure. Wieder
klopfte es, und erschöpft öffnete sie. Sie brauchte Schlaf. Dringend. In
stiller Vorfreude, Ron zu sehen, öffnete sie überschwänglich und außer Atem,
nur um gereizt den Mund zu verziehen.
Blitzlicht
zuckte über die Zäune. „Beeilt euch“, knurrte sie lediglich und Scorpius und
sein Vater schoben sich ins Innere mit scheinbar den letzten Taschen und
Kleinigkeiten, die Rose und das Baby brauchen würden. Malfoy war alleine hier,
und dass er überhaupt half, war nervig genug.
„Wo
sind die Elfen?“, erkundigte sich Scorpius außer Atem bei ihr, genauso
erschöpft, wie sie es war. Sie spannte den Kiefer an. Und Malfoy sprach.
„Ich
gebe dir hundert Millionen auf die Hand, solltest du hier auch nur ein Haar
eines Elfen finden“, sagte er spöttisch, während er die Taschen abstellte.
„Wie
sollen wir die ganzen Sachen hochkriegen?“, wandte er sich an sie, fast
ungläubig.
„Du
siehst aus, als hättest du trainierte Arme“, bemerkte Hermine bloß. „Ich denke,
es steht nichts der Annahme im Wege, dass du sie tragen kannst, oder? Abgesehen
davon, besitzt du einen Zauberstab. Stell dich nicht so an, Merlin noch mal“,
fuhr sie ihren Schwiegersohn von der Seite an, und dieser wischte sich über die
Stirn.
„Schönen
Dank“, murrte er bitter. „Irgendwas zu essen in der Küche?“, fragte er,
marschierte direkt voran, und Hermine wusste, warum sie lieber alleine lebte.
„Ich
weiß es nicht, Scorpius. Ich war nicht einkaufen, also-“
„-ich
bestelle was“, rief er über die Schulter zurück. „Dad, was willst du?“, fragte
er laut, und Hermine schüttelte den Kopf.
„Auf
keinen Fall!“, sagte sie gepresst. „Ich erwarte noch Besuch!“, rief sie.
„Wen
erwartest du?“ Malfoy stand noch immer im Flur, und sie hob den Blick zu seinem
Gesicht.
„Es
geht dich wenig an, oder?“, vermied sie es, besondere Höflichkeiten vorzuschützen.
„Deinen
Mann?“, schloss er nahtlos, und sie atmete durch die Nase aus.
„Malfoy-“,
begann sie warnend, aber Scorpius kehrte zurück.
„Ich
habe Pizza bestellt“, informierte er sie knapp. „Genügend. Ich bin oben bei
Rose und dem Baby. Die Paramagier kommen in einer halben Stunde, am besten
erlaubst du den Zugang, Hermine“, informierte er sie wie ein Kleinkind, und
ihre Stirn kräuselte sich voller Empörung beim Klang ihres Vornamens aus seinem
vorlauten Mund. Anscheinend duzte er sie jetzt?! „Bleib zum Essen, ok?“, wandte
er sich bereits an seinen Vater. „Du hast das Baby noch gar nicht begrüßt“,
ergänzte er vorwurfsvoller, und Malfoy schien abzuwägen.
„Scor-“
„-bitte.
Hermine, es ist ok, oder nicht?“, wollte er direkt von ihr wissen, und nein. Es
war verdammt noch mal nicht ok. Es war nicht ok, dass er Pizza bestellte, es
war nicht ok, dass sein Vater hier wäre, wenn Ron jede Sekunde kommen könnte.
Es war absolut furchtbar. Sie hatte es nicht durchdacht.
„Sicher“,
gab sie knurrend zurück, ohne ihr Missfallen zu verbergen, und Scorpius reckte
den Daumen in die Höhe. Sie hasste den Jungen mit jeder Faser ihres Körpers.
Mit geballten Fäuste stand sie im Flur.
„Ich
nehme an, auf dem Papier macht es sich besser, den Ehemann nicht zu
verlassen?“, vernahm sie seine schnarrende Stimme.
„Ernsthaft?
Was soll das jetzt? Halt einfach deinen Mund.“ Sie war müde und überfordert.
Sie wollte ihn nicht sehen. Nie wieder. „Vermisst dich deine Freundin nicht?“,
entkam es ihr beinahe boshaft, ohne dass sie es beabsichtigt hatte.
„Gehe
ich stark von aus“, erwiderte er unbeeindruckt und zog den Mantel aus. Ahrg.
Kurz sah er sich um, nur um den Mantel schließlich achtlos über den
Garderobentisch zu werfen. „Du wirst verzweifeln ohne Personal, Weasley“,
bemerkte er schließlich kopfschüttelnd, und sie folgte ihm hastig, während er
den Flur entlang schlenderte. Sie war Ministerin für Zauberei und wurde in
ihrem eigenen Haus heimgesucht von diesen widerwärtigen Idioten. Sie
verzweifelte an ganz anderen Dingen.
Und
dann hörten sie es. Das leise Weinen aus dem zweiten Stock. Unwillkürlich sahen
sie sich an. Dieses winzig kleine Wesen war nun die echte Verbindung zwischen
ihnen. Unbestreitbar. Unumgänglich. Fast wurde ihr schlecht.
„Kann
ich ihn sehen?“, fragte er sie tatsächlich, und sie hatte kein Recht, es ihm zu
verweigern, ging ihr machtlos auf. Er war der Großvater. Sie nickte stumm.
„Natürlich“,
sagte sie tonlos, ging voran, und er folgte ihr. Sie sprachen nicht, denn das
war immer besser, und dann standen sie vor dem weitläufigen Zimmer, wo Scorpius
bereits ein Bettchen zusammen hexte. Das Baby würde ab morgen keinen magischen
Schutz mehr brauchen. Die Paramagier hatten gute Arbeit geleistet. Es ging ihm
gut. Malfoy kam langsam näher. Das Baby lag in Roses Armen, die selig im Bett
saß, bereit zu stillen.
„Draco“,
begrüßte sie ihn warm, wärmer, als Hermine es je können würde, und der Name
klang trotz allem falsch. „Mum“, sagte Rose liebevoll, und sie und Malfoy kamen
näher. Malfoy setzte sich vorsichtig auf die Bettkante neben Rose und
betrachtete das kleine Baby mit einem Lächeln.
„Herzlichen
Glückwunsch, Rose“, sagte er mit einem Lächeln, streichelte Roses Kopf
zärtlich, und Hermine wurde schlecht. „Wie heißt er?“, fragte er sanft, wandte
den Blick nicht von dem wunderbaren kleinen Engel, und Rose lächelte scheu.
„Wir
sind uns noch nicht ganz einig. Wir entscheiden es die Tage“, versprach sie
geheimnisvoll, und Hermine konnte sich dem Zauber nicht verwehren und kam
ebenfalls näher, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und vorsichtig
ergriff sie die winzig kleine Hand. Sie konnte sich schon nicht mehr erinnern,
dass Rose jemals so winzig gewesen war.
„Er
ist perfekt“, flüsterte Hermine ehrfürchtig, und Rose lächelte beseelt.
„Ja,
nicht wahr? Ein echter Malfoy“, bestätigte sie, und Hermine zog die Hand
langsam zurück. Sie spürte seinen Blick wieder einmal deutlich.
„Hm“,
machte sie mit mäßiger Zustimmung, und würde das niemals bestätigen. Dumpf
vernahm sie das Klopfen. Niemand rührte sich, bis Scorpius hochschreckte.
„Scheiße“,
entkam es ihm. „Die verdammte Pizza. Das geht nicht so weiter, ohne Elfen,
Hermine!“, fuhr er sie im Gehen an, und sie fand ihn unfassbar dreist. Und wann
genau hatte er beschlossen, sie zu duzen? So völlig schmerzfrei? Denn angeboten
hatte sie es ihm nicht. Sie verbrachte wenig Zeit mit Rose und Scorpius. Aus
gutem Grund, stellte sie immer wieder fest.
„Mum,
du solltest wirklich wen einstellen“, schlug Rose sanft vor, und Hermine
verdrehte die Augen.
„Ich
weiß“, räumte sie ein.
„Das
Haus ist zu groß für dich allein, ohne irgendeine Hilfe“, beteuerte sie
schwach.
„Ich
weiß, Rose“, wiederholte Hermine bloß.
„Wenn
ich irgendetwas brauche-“
„-dann
hole ich es dir, oder dein höflicher zuvorkommender Ehemann kann es tun“,
schnappte Hermine, riss sich aber wieder zusammen.
„Es
entspricht nicht dem Stand“, sagte ihre Tochter so selbstverständlich, dass
Hermine wieder schlecht wurde.
„Rose-“,
begann sie angewidert, aber Rose unterbrach sie.
„-deinem
Stand. Du bist Ministerin. Vielleicht solltest du anfangen, dich so zu
verhalten?“ Hermine ließ es ihr durchgehen, weil sie eine schmerzhafte Geburt
hinter sich hatte, aber sie fand auch ihre Tochter immer noch genauso unmöglich
und dreist wie letzten Monat. Malfoy unterdrückte das Grinsen, und Hermine
schoss ihm einen wütenden Blick zu.
Es
klopfte erneut, und sie streckte den Rücken durch. Sie hatte es Rose noch nicht
gesagt, hatte die frohe Kunde noch nicht verbreitet.
„Ich
bin gleich wieder da“, sagte sie bloß, erhob sich und verließ zügig das Zimmer.
Sie hatte den Auroren, die das Tor bewachten bereits mitgeteilt, dass Ron
Zutritt hatte. Es kürzte das Prozedere merklich ab. Ja, sie brauchte
wahrscheinlich die ein oder andere Hilfskraft, aber es war ungewohnt. Damals,
Zuhause hatten sie auch ohne Personal überlebt. Aber Hermine wusste, sie
verhielt sich albern.
Schnell
trugen sie ihre Füße. Sie hörte Scorpius in der Küche hantieren, beeilte sich,
die Tür zu erreichen, zog sie strahlend auf, und stockte, wie schon zuvor.
Ron
stand vor ihr, geduscht, gepflegt, er trug sogar Hemd und Jackett – aber er war
nicht allein. Ganz und gar nicht allein. Und er hatte nicht Harry oder Ginny
mitgebracht, nein. An seinem Arm hing… Lavender Brown. Und nach einem Blick in
ihr Gesicht, schwand jeder freudige Ausdruck von seinem. Schuld stahl sich
sofort auf seine Züge, und ihre Augen weiteten sich unwillkürlich.
„Madame
Minister“, begrüßte Lavender sie mit einem feierlichen Knicks. „Unfassbar, dass
du Ministerin bist, Hermine! Glückwunsch zum Enkelkind!“ Lavender ließ sich
selber ins Haus, bestaunte die Größe, die weiten Flure, während Hermine Ron
fassungslos ansah.
„Ich
wollte es dir sagen“, entkam es ihm gepresst. „Sie… wollte unbedingt mit. Ich
hätte sie nicht…“
„Mir
was sagen?“, zischte sie haltlos.
„Hermine-“,
begann er kopfschüttelnd.
„-Wann
genau wolltest du mir von ihr erzählen?“, knurrte sie, während Lavender den
Flur weiter hinab wanderte und Verzückungsschreie ob der Rüstungen ausstieß.
„Nachdem oder bevor du mir meinen Bademantel ausgezogen hast?“, brachte sie
fassungslos hervor, und Ron wirkte beschämt.
„Hermine-“,
sagte er wieder, aber sie wollte es gar nicht hören und musste es auch nicht,
denn sie bekam unwahrscheinliche Rückendeckung.
„Weasley“,
begrüßte Malfoy ihren Mann, und er schien lautlos aus dem Nichts aufgetaucht zu
sein. Rons Gesicht verlor alle Farbe.
„Malfoy“,
sagte er knapp.
„Du
solltest Rose begrüßen“, bemerkte Hermine mit mehr Fassung, als sie sich
zugetraut hatte und verschwand in die entgegengesetzte Richtung. Blind ging sie
durch die Halle, durch einen weiteren Flur, bis sie im Salon angekommen war,
der an die Küche grenzte. Für mehr Halt und Kontenance umfasste sie die
Stuhllehne von einem der Esszimmertischstühle. Noch hatte niemand hier gesessen
und gegessen, und ihre kindischen Vorstellungen davon, dass sie und Ron hier
alt werden würden, zerschlugen sich übergangslos. Wie konnte er wagen, hier
aufzutauchen und diese… diese Person mitzubringen? Wie? In ihr Haus! Wie konnte
er es wagen, eine neue Partnerin zu haben – und ausgerechnet sie! – und Hermine
trotzdem küssen? Wie konnte er?!
Kurz
schloss sie die Augen. Sie war dumm gewesen.
Jemand
räusperte sich hinter ihr. Es war nicht Ron. Halb wandte sie sich um. Der Salon
lag im Dunkeln, denn sie hatte kein Personal, was die Lichter entzündete. Sie
hatte gar nichts.
„Geh
endlich“, sagte sie still, so erschöpft, den Tränen sehr nahe, aber immerhin
hatte sie nicht mehr die Kraft zu weinen. Sie war zu müde und viel zu wütend auf
Ron.
„Es
wird leichter werden“, versprach er ihr ins Blaue hinein, ohne, dass sie es
überhaupt hören wollte.
„Malfoy-“,
begann sie erschöpft.
„-irgendwann wirst du nicht mal mehr wissen, warum dich der Gedanke an ihn
wütend macht“, sagte er und kam näher.
„Ich
brauche deine traurigen Witwer-Ratschläge nicht“, fuhr sie ihn zitternd an.
„Mein Mann ist nicht tot. Mein Mann ist nur ein unfassbares Arschloch, wie es
alle Männer sind“, zischte sie tonlos.
„Kommst
du zurecht?“, wollte er tatsächlich von ihr wissen, ignorierte ihre bösen
Worte, stand mittlerweile hinter ihr, und sie wandte sich zornig zu ihm um.
„Ich
belege das höchste Amt der magischen englischen Gesellschaft, Malfoy. Und auch
die dümmsten Entscheidungen haben mich nicht davon abbringen können, diese
Position zu bekommen. Ich komme zurecht.“ Sie brauchte seine arrogante Meinung
nicht. Ganz und gar nicht. „Am besten gehst du zurück zu deiner kleinen
Verlobten und ruhst dich noch einige Monate aus, denn wenn sich einer Sorgen um
seine Gesundheit und sein Seelenheil machen muss, dann bin das garantiert nicht
ich!“ Sein Gesicht lag im Halbdunkeln und sie konnte es nicht völlig ausmachen,
aber sie sah ihn nicken.
„Immerhin
kann ich mir nicht vorwerfen, dass ich nicht versucht habe, mit dir zu reden,
mit dir ernsthaft zurechtzukommen“, bemerkte er bitter.
„Danke,
ich verzichte darauf!“, spuckte sie ihm entgegen.
„Vielleicht
solltest du dich mehr für deine Tochter freuen“, schlug er ihr angespannt vor.
„Ich
freue mich darüber, dass sie überlebt hat, dass es ihr gut geht, dass sie ein
gesundes Baby hat – dass es euer Nachkomme ist…- das ignoriere ich so gut ich
es kann! Und es würde noch besser funktionieren, wenn du endlich aus meinem
Haus verschwinden würdest!“ Sie konnte nicht mehr.
„Meinen
Glückwunsch zum Ministeramt. Ich hoffe es ist ein früher Nagel zu deinem
verdammten Sarg“, verabschiedete er sich kalt von ihr.
„Glückwunsch
zu verspäteten Midlife-Crisis, Malfoy. Du bist absolut erbärmlich“, rief sie
ihm nach, aber mit zornigen Schritten war er aus ihrem Salon verschwunden. Sie
konnte nicht aus ihrer Haut, stellte sie schaudernd fest. Wann war sie so kalt
und ekelhaft geworden, fragte sie sich müde. Dann erst bemerkte sie das Licht
aus der angrenzenden Küche. Sie hob den Blick, und Scorpius‘ Silhouette sah ihr
entgegen. Sie wusste nicht, wie lange er schon dort stand, was er alles gehört
hatte und ob sie überhaupt irgendetwas Verwerfliches gesagt hatte. Wohl nichts,
was er dahingehend deuten konnte, dass sie und seinen Vater mehr verband als
gegenseitiger Hass, aber genug, dass er sie wohl noch weniger leiden konnte.
„Scorpius-“,
begann sie zögerlich, aber er hatte sich wortlos von ihr abgewandt, und die Tür
schwang hinter ihm leer zurück und vor. Sie schloss die Augen. Es war kein
guter Tag. Absolut nicht.
10. it’s getting
ugly, but it looks good on paper
Er
lag wach, während Emily neben ihm bereits eingeschlafen war, kaum bekleidet,
denn natürlich hatten sie Sex gehabt, als er wiedergekommen war. Und nicht, weil
er eine Midlife-Crisis hatte. Und obwohl der Sex großartig gewesen war, er
einen perfekten Höhepunkt mit der perfekten Frau gehabt hatte, überschatteten
die vorangegangen Erlebnisse sein komplettes Bewusstsein. Er hatte einfach
verdrängt, dass Rose irgendwann tatsächlich ein Baby haben würde.
Seine
Mutter hatte sich bereits angemeldet, sie wollte es sehen, aber sie wollte die
Minister-Villa nicht betreten – obwohl Draco annahm, das war eher weniger
Narzissas Entscheidung, als Weasleys –, denn Narzissa wollte prüfen, ob es
tatsächlich ein Malfoy war, oder ob Rose Scorpius einen Bastard untergejubelt
hatte, um es mit den blumigen Worten seiner Mutter auszudrücken.
Aber
Draco hatte bereits festgestellt, das Baby sah Scorpius unverwechselbar
ähnlich. Sein Sohn hatte genauso ausgesehen, als er geboren worden war. Rose
war ihm nicht untreu gewesen. Zumindest nicht in dieser entscheidenden Nacht,
das konnte er soweit beurteilen. Es war ein perfektes Baby, in jeder Hinsicht.
Er
hatte sich beherrscht, hatte Rose und Scorpius nicht bedrängt, hatte nicht
geäußert, dass es eine dumme Idee wäre, in der Minister-Villa zu wohnen, bis
Rose bei Kräften war, wo nicht einmal Personal angestellt war – Merlin!
Und
sie! Sie war absolut… sie war einfach so unfassbar – fuck! Er schloss gereizt
die Augen. Die Presse würde voll von dieser Geschichte sein. Und würde sich die
Ministerin nicht bald unter Kontrolle bekommen, dann würden die Geschichten
auch noch reißerische Qualität besitzen. Sein Foto würde morgen in der
Hexenwoche stehen, denn natürlich hatten es sich die dämlichen Fotografen nicht
nehmen lassen, ihn abzulichten, während er und Scorpius die Sachen rüber
gebracht hatten. Und er hätte nicht kommen müssen – hätte nicht kommen sollen!
Aber er hatte das Baby sehen wollen, hatte er die Geburt schon verpasst, weil
er nicht mit Hermine Weasley diese Erfahrung hatte teilen wollen. Er wollte sie
überhaupt nicht sehen. Sie mussten ein besseres Arrangement finden, feste
Zeiten ausmachen. Rose und Scorpius sollten einfach zu seinen Eltern ziehen,
dort würden sie wenigstens von den Elfen umsorgt werden.
Und
scheinbar hatte sie gedacht, Dinge mit Weasley kitten zu können, aber Weasley
hatte sich wohl getröstet. Mit diesem dummen Stück aus Gryffindor, Draco
erinnerte sich nicht mehr an ihren Namen. Es war ihm zu viel Drama. Er hatte
sein ganz eigenes Drama in seinem eigenen Haus. Obwohl es nicht zu dramatisch
war. Seine Mutter war wesentlich angetaner von Emily, als sie es jemals von
Astoria gewesen war, was ihm sehr zu denken gab. Emily würde sein Baby
bekommen. Ab und an erfasste ihn nackte Panik. Schlaflose Nächte, volle
Windeln, Geschrei und bittere Vorwürfe seiner zukünftigen Frau, warum er nicht
half, was er den ganzen Abend trieb, ob er vielleicht noch später würde nach
Hause kommen können, um niemals zu helfen – denn das ganze Fiasko hatte er
schon mit Astoria austragen müssen. Aber er war kein Mann, der sich gerne mit
Babys befasste. Sie waren nett anzusehen, hübsche kleine Wesen, aber gänzlich
langweilig und absolut begriffsstutzig.
Er
zwang sich zu tiefen Atemzügen, denn er musste schlafen. Er hatte einen langen
Arbeitstag vor sich. Morgen wurden die neuen Versicherungspolicen vorgestellt,
und er würde das Abendessen bei seinen Eltern ausfallen lassen können, was ihm
nur Recht war, denn sein Vater würde sich den halben Abend über die unfähige
Ministerin aufregen, die intern beschlossen hatte, die Dementoren abzuziehen.
Hermine Weasley würde sich noch wundern, wusste er. Sobald diese Entscheidung
öffentlich wurde, würde das Ministerium ein Ansturm von Gegenmeinungen treffen.
Er nahm an, sie wollte es sich nicht einfach machen. So ziemlich niemals.
Sie
sah nicht gut aus. Sie hatte zugenommen und schien gar nicht mehr zu schlafen.
Wahrscheinlich war das Amt mehr Anstrengung, als sie gedacht hatte. Oder aber
Äußerlichkeiten waren ihr egal. Es gefiel ihm gut, dass es ihr schlecht ging.
Leugnen würde er das nicht. Aber ihre Worte waren schwer abzuschütteln. Sie
beleidigte ebenso erbarmungslos wie er. Er fand keine Schwachstelle in ihrer
Offensive – wollte es nicht mal! Er würde versuchen, sie nicht mehr zu sehen.
Nicht mehr über sie nachzudenken. Sie würde nach ihrem Urlaub ohnehin bis in
die Nacht arbeiten müssen. Dann könnte er das Baby immer noch besuchen.
Es
war wirklich nett anzusehen. Emily hatte ihm schon in den Ohren gelegen, dass
sie es morgen auch besuchen wollte.
Es
war nicht seine Entscheidung. Es war Roses Entscheidung. Und natürlich die der
Ministerin, ob sie seine ‚kleine Verlobte‘ in ihr Haus lassen würde.
Er
würde erst mal zu tun haben. Hatte er Merlin sei Dank sowieso. Wie angenehm die
letzten neun Monate gewesen waren. Alleine ein Tag in ihrer Gesellschaft war
absolut ermüdend. Er würde sich umbringen, müsste er sie jetzt jede Woche
ertragen. Oder sie. Das wäre wohl die einfachere und gesellschaftlich
verträglichere Lösung.
Für
seine Familie zumindest.
Und
für ihre auch, dachte er grimmig, bevor er sich dazu zwang, die Augen zu
schließen.
***
Sie
hatte geschlafen. Ziemlich viel. Sie aß ein karges Frühstück, denn noch immer
mangelte es ihr an Personal, was einkaufen ging. In der Küche stapelten sich
die leeren Pizzakartons, es roch nicht mehr angenehm, und das einzig Positive,
was sie der Situation abgewinnen konnte, war, dass ihr Schwiegersohn nicht mehr
mit ihr sprach.
Das war natürlich nur solange positiv, bis sie sich von ihrer Tochter ein
Ultimatum abholen konnte, dass Hermine sich entweder mit dem arroganten
Schönling verstand, oder dass Rose, das Baby und Scorpius verschwinden würden.
Beinahe
bereute Hermine, Rose geholt zu haben. Aber sie verwarf den Gedanken schnell.
Es war schön, dass das Baby hier war.
Und
tatsächlich hatte Rose mit Ron gesprochen. Sie hatten wohl einen
Waffenstillstand eingelegt, aber Rose bekam auch Sonderpunkte. Sie hatte eine
schwere Geburt hinter sich, war sehr erschöpft und bliebe immer Rons kleines
Mädchen. Scorpius wurde von Ron wohl ignoriert, aber Ron konnte ja auch
jederzeit nach Hause gehen. Sie hatte mit ihm nicht mehr gesprochen. Auch nicht
mit Lavender. Mit Glück würde sie es bis zur Scheidung auch nicht müssen,
dachte sie grimmig, während sie den billigen Earl Grey trank und durch den
zerfledderten Tagespropheten blätterte, der immerhin überhaupt den Weg hier her
gefunden hatte.
Sie
blätterte zum Ende, ihr Finger fuhr über eine lange Liste, bevor sie
resignierend ausatmete. Sie verlor die Schlacht, aber der Krieg war noch nicht
zu Ende, sagte sie sich dumpf. Sie schritt zum Kamin, warf den Rest Flohpulver
in die Flammen, und lehnte sich vor.
„Dawlish
und Devlin, Arbeitsvermittlung“, sagte sie zerknirscht, und die Flammen
flackerten höher, als die Verbindung aufgebaut wurde. Das Feuer lichtete sich,
und Hermine erkannte eine gelangweilte junge Hexe auf einem durchgesessenen
Sessel, Pergament und Feder auf dem Schoß, während sie ein Gähnen kaum
unterdrücken konnte.
„Dawlish,
Devlin Vermittlung, was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich mit einem
halbherzig Blick, und Hermine tat es Rose zuliebe. Und ihrer nichtvorhandenen
Figur, denn sie würde nur noch mehr zunehmen, wenn sie ausschließlich von Pizza
lebte.
„Hermine
Weasley, ich bräuchte zwei Dutzend Angestellte für die Minister-Villa.
Hauswirtschaft, Küche, Botengänge, Wäscherei, Garten und was noch so anfällt“,
zählte sie nachdenklich auf. Die Hexe blinzelte knapp.
„Madame…
Minister?“, entfuhr es ihr ungläubig, und fast kippte sie aus dem Sessel. „Ich…
natürlich!“, sagte sie sofort. „Sie ahem… suchen Elfen, oder…?“
„Nein,
ich suche menschliches Personal“, bemerkte Hermine scharf. „Ich denke nicht,
dass Sie über die Erlaubnis verfügen, überhaupt noch magische Kreaturen zu
vermitteln, oder irre ich mich?“ Hermine hasste die Leute. Es war untersagt,
Elfen anzustellen! Und gerade ihr anzubieten, Elfen zu besorgen, war einfach
unerhört.
„Nein,
natürlich nicht!“, log die Hexe mit roten Wangen. „Ich werde sofort
veranlassen, dass Sie alles bekommen, was Sie wünschen.“ Hermine wollte es
einfach nur hinter sich bringen.
„Gut.
Dann…“, wollte sie sich verabschieden, aber die Hexe sprang fast aus dem
Sessel.
„Oh
nein! Nein, warten Sie. Wir müssen die Präferenzen abstecken“, holte sie hastig
aus, schickte die Feder mit einem schnellen Spruch übers Pergament, und Hermine
zog die Stirn kraus. „Möchten Sie männliche oder wiebliche Angestellte?
Gemischt? Einen Koch oder eine Köchin? Müssen Sie alle ein strafregisterfreies
Führungszeugnis vorlegen? Wie viel Arbeitserfahrung sollen Sie haben? Möchten
Sie ausschließlich reinblütige, halbblütige muggelgeborene Angestellte? Zu
welchen Konditionen? Möchten Sie die Anstellung für die gesamte Amtsperiode,
lieber eine Probezeit? Oder direkt tariflich geregelte Zwei-Jahres-Fristen?
Ersatz für Urlaub- oder Krankheitsfälle? Werden Unterkünfte gestellt für
Hauswirtschafter?“ Die Hexe sah sie erwartungsvoll an.
„Ahem…“
„Hat
Ihr Assistent vielleicht diese Informationen für mich?“, erkundigte sich die
Hexe mit knapper Nachsicht. Das wäre sehr schön, aber Hermine hatte keinen
Assistenten für ihr Privatleben. Und sie hatte es überdeutlich gemacht, dass
sie keinen Hausverwalter gebraucht hatte. „Ihr Assistent würde dann auch die
Einstellung und die Überwachung der Probezeit übernehmen, korrekt?“, fragte sie
spitz, während die Feder flitzte.
„Das
klingt perfekt“, beschloss Hermine. „Sagen Sie, könnten Sie mir so einen
Assistenten besorgen?“, ergänzte sie, und die Hexe öffnete perplex den Mund.
„Ich
– oh“, erwiderte die Hexe. „Sicherlich“, sagte sie dann. „Möchten Sie einen
männlichen oder weiblichen Assistenten, Madame Minister?“, fragte sie
vorsichtig. „Führungszeugnis? Wie viel Erfahrung?“, wiederholte sie, und
Hermine verzog den Mund.
„Kennen
Sie sich nicht aus?“, wollte Hermine aus einer plötzlichen Neigung heraus
wissen, und die Hexe sah sie verständnislos an.
„Mit
was?“
„Mit der
Einstellung von Personal, der Bewertung von Geeignetheit.“
„Ich…
habe einen Job, Madame Minister“, entgegnete die Hexe zögerlich, und Hermine
betrachtete den schäbigen Sessel, das heruntergekommene Büro, und Sie schürzte
knapp die Lippen.
„Das
sehe ich. Wie würde Ihnen der Job als meine Assistentin hier im Haus
gefallen?“, erkundigte sie sich eindeutig, und sie wusste, Maxwell Tavish würde
sie vierteilen. Aber sie war nicht auf der Arbeit, hatte nicht die gesamte
Belegschaft zur Hand, die sie beraten konnte, sie war jetzt zuhause und sie
hatte Hunger.
„Madame
Minister…!“, sagte die Hexe kopfschüttelnd.
„Wie viel verdienen Sie zurzeit, äh… wie ist Ihr Name?“, fragte sie
zielführend.
„Darcy
Paige“, sagte die Hexe perplex.
„Wie
viel verdienen Sie, Darcy?“ Und anscheinend war Hermines Gestalt so einnehmend,
selbst im Bademantel, dass Darcy ohne Zögern antwortete.
„Achthundertfünfzig
Galleonen und achtundzwanzig Knuts im Monat“, erwiderte sie wohl
wahrheitsgemäß, und Hermine nickte nachdenklich.
„Das ist
nett. Wie würde es Ihnen gefallen, dreitausend Galleonen im Monat zu verdienen,
Darcy?“ Darcy blinzelte schockiert.
„Drei-dreitausend?“,
wiederholte sie ungläubig. So viel verdienten ihre Assistentinnen auf der
Arbeit. Und die Stelle als Hauswalter war unbesetzt – Hermine stand es frei,
jemanden einzustellen.
„Sie
würden für mich arbeiten, wären der amtlichen Verschwiegenheit unterworfen,
hätten ein Zimmer in der Villa, wenn Sie es wünschen und würden sich um alles
kümmern, was das Haus, die Angestellten und meine privaten Angelegenheiten
betrifft“, zählte sie knapp auf.
„Bin
ich… dafür überhaupt qualifiziert?“, entkam es Darcy zweifelnd, und Hermine
ruckte mit dem Kopf.
„Sie
scheinen mir fähig genug zu sein. Hätten Sie Interesse?“
„Interesse?
Ja!“, rief Darcy auf. „Ich – natürlich, Madame Minister!“
„Fabelhaft.
Wenn Sie wollen, rede ich mit Ihren Arbeitgebern, dass Sie ab sofort dem
Ministeriumsdienst zur Seite stehen müssen.“ Darcy konnte ein Strahlen nicht
verbergen.
„Nicht
nötig, Madame“, sagte sie hastig.
„Wunderbar,
ich erwarte Sie in der Villa, wann immer Sie können. Bis heute Abend brauche
ich Zweidutzend Angestellte.“
„Natürlich,
Madame Minister“, entkam es Darcy verblüfft.
„Bis
später, Darcy“, verabschiedete sie sich, und Darcy beendete mit roten Wangen
die Verbindung. Sie lehnte sich zurück, nicht sicher, wie man Leute einstellte,
und ob es ethisch verwerfbar war, einer Hexe ihren Job madig zu reden und sie
deshalb mit Gold zu zwingen für sie zu arbeiten, aber Hermine hatte wichtigeres
zu tun. Sie wandte sich um, und erschrak über seine Erscheinung. Er lehnte am
Küchentresen, ein kaltes Stück Pizza in der Hand.
„Sehr
unorthodox“, bemerkte er kühl, um einiges ausgeschlafener als sie. Er trug ein
gestärktes Hemd und eine dunkle Jeans. Wer stärkte seine Hemden? Tat er es
selbst? Sinnlose Gedanken.
„Ihr
wollt Angestellte, ich besorge euch Angestellte. Die Methode ist doch
vollkommen egal“, behauptete sie barsch. Sie wusste nicht, wo sie standen,
unter welchen Voraussetzungen sie sprachen. Sie wusste nur, sie konnte ihn
schlecht ignorieren.
„Diese
Hexe ist nicht qualifiziert“, behauptete er kauend, und Hermine verdrehte die
Augen.
„Sie
war gerade da, sie weiß, wie man Leute einstellt. Wenn es nicht funktioniert,
wird sie wieder entlassen.“ Er betrachtete sie nicht überzeugt. „Ich gehe mich
anziehen“, informierte sie ihn, um ihn nicht wortlos stehen zu lassen.
„Mein
Vater hat dir nichts getan“, hielt er sie auf, als sie geglaubt hatte, nicht
mehr mit ihm reden zu müssen. Das Gespräch schien also noch nicht vorbei. Seine
Stimme klang sogar relativ ruhig. Kurz arbeitete ihr Kiefer. Wollte er
ernsthaft darüber reden? Ging es um gestern? Was war überhaupt das Problem?
Aber sie wusste, jedes Problem, dass sie mit Scorpius nicht anging, würde sie
mit Rose anschließend durchkauen müssen. Sie hasste es, mit diesem Mistkerl zu
reden. Langsam drehte sie sich wieder um, sah ihn an, und sein Ausdruck verriet
wenig.
„Was?“,
verschaffte sie sich etwas Zeit, hoffte, dass er sich nur irgendwie Luft machen
wollte, oder etwas in der Art. Sie würde mit ihm nicht über seinen Vater
diskutieren, wo ihre eigene Beziehung mit Scorpius holprig genug war.
„Du
hast mich verstanden“, erwiderte er bloß, und wäre das hier ihr Sohn, würde
eines ihrer Kinder so absolut respektlos vor ihr stehen, ihr Vorhaltungen
machen, in ihrem eigenen Haus – dann…! Sie zwang sich, ruhiger zu atmen. Er war
nicht ihr Sohn. Merlin sei Dank, nicht!
So etwas undankbares und unerzogenes wie diese Brut hätte sie mit
spätestens sechzehn aus dem Haus geworfen.
„Was
genau denkst du, gibt dir das Recht, mit mir darüber zu reden, in welcher Form
ich meine Bekanntschaften halte, Scorpius?“, fragte sie ihn ausgewählt ruhig.
„Ich mische mich nicht in euer Leben ein, deshalb erwarte ich denselben Anstand
von dir“, erklärte sie, ohne besonders freundlich zu klingen.
„Nicht
einmischen? Du hast Rose, als sie bewusstlos war, hier her gebracht“, erwiderte
er eindeutig, und Hermine verzog den Mund.
„Sie
ist hier gut aufgehoben“, beteuerte sie.
„Sicher.
Ohne Hilfe, in einem leeren Haus, mit niemandem hier, außer ihrer Mutter“,
bemerkte er spitz, und betonte das Wort ‚Mutter‘ auf eine Art, die weh tat.
Nicht sonderlich doll, aber es schmerzte ein wenig. „Rose hatte einen schwachen
Moment, und sie wird eher hier verschwinden wollen, als du denkst“, prophezeite
er kopfschüttelnd.
„Rose
hatte in der Vergangenheit mehrere schwache Momente“, war alles, was sie mit
dem rechten Maß an Zweideutigkeit darauf antwortete. „Aber gegangen ist sie
nie“, ergänzte sie scharf.
„Du
hast ein Problem mit mir?“ Er fragte das. Tatsächlich! Wie konnte er es in
Frage stellen. Ähnlich fassungslos musste sie ihn auch ansehen.
„Scorpius,
ich habe eintausend Probleme mit dir. Wie dir bewusst sein sollte“, erinnerte
sie ihn zornig.
„Für
deine Eheprobleme kann ich-“
„-wage
es ja nicht!“, unterbrach sie ihn eiskalt. „Ich denke nicht, dass ich
erbärmlich genug wäre, einem Kind die Schuld an meiner zerbrochenen Ehe zu
geben.“ Diese Beleidigung saß anscheinend, denn grimmig sanken seine Mundwinkel
nach unten. „Aber ich gebe dir die Schuld, dass du Rose hast wählen lassen,
zwischen ihrer Familie und deiner. Dass du ihren Cousin verprügelt hast-“
„Al
hat mich-“
„-es
ist mir egal, Scorpius!“, fuhr sie ihn an. „Du hast sie so oft betrogen, dass
ich nicht begreife, woher sie noch den Stolz besitzt, ohne Zweifel deine Frau
zu werden.“ Wütend sahen sie sich an. Merlin, sah er seinem Vater ähnlich. Es
war unangenehm, so gruselig war es.
„Ich
denke“, begann er ausgewählt ruhig, „dass es an der Zeit ist, dass du
akzeptierst, was du nicht ändern kannst, Hermine.“ Hasste es. Hasste es, wenn
er ihren Namen benutzte, als hätte er das Recht! Als hätte sie ihm jemals das
Du angeboten! „Wir haben ein Kind. Es ist kein Spiel mehr. Wenn du mich auch
fortwünschst, so wird es nichts an dieser Tatsache ändern. Und ich gehe
nirgendwohin“, schloss er bitter.
„Das
werden wir sehen, nicht wahr?“, unterstellte sie ihm glatt und hatte sich
abgewandt.
„Hermine“,
hielt er sie nachsichtig auf, und mit geballten Fäusten blieb sie stehen. „Wenn
die Verlobte meines Vaters dich zum Empfang einlädt, schlage ich vor, du
begleitest Rose und mich“, sagte er tatsächlich. Sie drehte sich wieder um,
gänzlich ungläubig. Das war doch wohl nicht sein verdammter Ernst?!
„Ich
denke nicht, Scorpius“, antwortete sie, fast amüsiert. Aber er blieb ernst.
„Ich
denke schon“, widersprach er. „Es steht nicht wirklich zu deiner Disposition.“
Ihre Hände fanden den Weg zu ihren Hüften, stemmten sich kampfbereit dagegen.
„Ach wirklich?“,
erkundigte sie sich lächelnd bei ihm, aber er lächelte nicht. Er klang nicht
einmal sonderlich arrogant, als er sprach.
„Wirklich“,
bestätigte er nickend. Und dann änderte sich seine Haltung sehr plötzlich. Sein
Kinn reckte sich minimal vor, der Rücken wurde gerade, als wappne er sich. Als
setzte er jetzt erst zum Kampf gegen sie an. „Es sei denn“, begann er langsam
und fixierte sie sehr genau, „du bestehst darauf, dass Rose erfährt, was in
unserer Hochzeitsnacht passiert ist.“
Ihr
Kiefer gab nach.
Unwillkürlich.
Und
mit einem Mal stieg kalte Schuld in ihr auf. Wusste er…? Wie konnte es sein,
dass er das wusste?! Sie reagierte gar nicht, starrte ihn lediglich an, kalte
Angst im Nacken. Ja, alle ihre überlegenen Worte waren verschwunden. Und
wahrscheinlich wäre es dumm, so zu tun, als wüsste sie nicht, wovon er sprach.
Er wirkte nicht so, als wäre er nicht im Bilde. Aber… das war unmöglich!
„Woher-?“,
begann sie tonlos, aber er winkte ab, während ihr Nacken kribbelte und sie ihn
nur anstarren konnte.
„-ist
das wirklich wichtig?“, unterbrach er sie, entließ sie nicht aus seinem Blick,
und sie schluckte schwer. Ob es wichtig war? Sie spürte, wie ihr übel wurde. Ob
es wichtig war?! Das Ausmaß seiner Worte erreichte ihren Verstand. Scorpius wusste
das! Seit Monaten, wie ihr schien! Und plötzlich ging ihr Atem flacher, als
sich der Verdacht zu einer ohnmächtigen Gewissheit verdichtete.
„Du
hast die Box in den Korb gelegt!“, entfuhr es ihr heiser, und kopfschüttelnd
wich sie einen Schritt zurück. „Die Einladung zum Geburtstag! Es war nicht
Rose, es… - du warst das!“, flüsterte sie anklagend, die Augen schrecklich
weit, absoluter Unverstand in der zitternden Stimme. Er blieb schrecklich
ernst, so schrecklich nüchtern, dass es widerlich war! Dieser Scheißkerl hatte
dafür gesorgt, dass sie mit seinem Vater geschlafen hatte! Was?! Das…! Was?! Er
schien noch einen Moment geduldig zu warten, bis sie zur nächsten anklagenden
Epiphanie gelangte. „Merlin, die Nachricht im Resort! Du hast uns da unten eingesperrt!“,
zischte sie erstickt.
„Du
dachtest, es wäre Rose gewesen?“, ging er schließlich beinahe verblüfft auf
ihre Worte ein, aber sie machte eine harsche Kopfbewegung.
„Du
bist ein widerlicher Mistkerl!“, fuhr sie ihn an, alle mäßig gute Laune
verflogen, die sie ohnehin nicht wirklich verspürt hatte.
„Hermine,
ich denke, du hast kein Interesse daran, dass deine Tochter davon erfährt. Oder
dein Exmann“, ergänzte er mit Bedacht, und ihr Mund öffnete sich. „Oder die
Pressestelle des Ministeriums“, ergänzte er achselzuckend.
„Was
soll das? Was willst du verdammt noch mal von mir?“, knurrte sie ihn praktisch
an, die Wangen hochrot, die Fäuste zitternd geballt.
„Ich
glaube, ich habe mein Anliegen deutlich gemacht“, war alles, was er sagte.
„Wann immer eine Einladung meiner Familie geäußert wird, wirst du zusagen“,
informierte er sie, und sie hatte keine Ahnung, was er spielte. „Oh, und Draco
muss davon nichts erfahren, Hermine“, ergänzte er vielsagend. Ihr wurde
übergangslos schlecht.
„Oh
nein! Du wirst nicht-“
„-ich
gehe zur Hexenwoche, und ich garantiere dir, die Reporter rennen dir die Villa
ein, ob mit oder ohne Beweise. Rose spricht nicht mehr mit dir, das Ministerium
wird keine deiner Entscheidungen ernstnehmen, und mit meinen Großeltern wird es
ungemütlicher werden, als du dir vorstellen kannst“, warnte er sie dunkel.
„Du
erpresst mich?“, fasste sie seine Worte empört zusammen.
„Hey
– du hast mit meinem Vater geschlafen. Ich nutze nur, was aus der Situation
entstanden ist“, erwiderte er mit einem freudlosen Lächeln, und sie wollte
sterben. Jetzt sofort.
„Wie
kannst du so etwas Widerliches planen? Wie kannst du all diese Dinge tun,
und-?“
„-ich
habe gar nichts getan. Das warst du. Ich habe dich nicht gezwungen, irgendetwas
zu tun, Hermine“, unterbrach er sie ernst. „Und bitte!“, sagte er dann offen.
„Erzähl es Rose. Nur zu“, schloss er auffordernd. Hermine rührte sich nicht.
„Das
war es, was du wolltest, du widerliche Made?“, zischte sie tonlos. „Du wolltest
einen Grund, mich bloßzustellen? Mich erpressen zu können?“ Und tatsächlich
wirkte er beinahe beleidigt.
„Nein,
das wollte ich nicht“, erwiderte er, entgegen ihrer Erwartung, aber sie verzog
angewidert den Mund.
„Dann
war es Spaß? Hast du das witzig gefunden? Du bist absolut krank und ekelhaft!“
Er atmete lange aus.
„Halt
dich an die Abmachungen, die wir hier heute treffen, und irgendwann erzähle ich
dir, warum ich es getan habe“, erwiderte er ernst, und Hermine lachte auf.
„Ich
scheiße auf deine Beweggründe!“, spuckte sie ihm entgegen.
„Gut.
Dann füg dich einfach“, ergänzte er bitter. „Ansonsten kannst du dich von
deinem ruhigen Privatleben verabschieden.“
„Das
ist es, was du willst? Ich soll auf die scheiß Partys deiner Familie gehen?“,
blaffte sie ihn an, und er schenkte ihr ein Lächeln.
„Aber
nein. Du sollst außerdem höflich und nett zu mir sein, und zu Rose. Sie braucht
dich, Hermine. Also schlage ich vor, du strengst dich an, kümmerst dich gut.
Und mein Vater-“
„-ich
werde nicht mit deinem Vater reden!“, unterbrach sie ihn zornig.
„Du
wirst nett und zuvorkommend sein. Du wirst ihn nicht beleidigen. Überhaupt
niemanden aus meiner Familie.“
Sie
hasste ihn. Sie wog bereits ab, ob so ein Deal überhaupt wert wäre, eingegangen
zu werden, aber bedauerlicherweise würde die Wahrheit Wellen schlagen – und
Rose würde nie wieder mit ihr reden.
„Wie
lange?“, kürzte sie seine elende Verhandlung ab, fixierte ihn voller Hass, und
er schien nachzudenken.
„Das
kann ich dir nicht beantworten“, erwiderte er, und sie schüttelte den Kopf.
„Ich
werde mein Leben nicht so leben, Scorpius!“, warnte sie ihn. „Eher verliere ich
meine Familie und meinen Job, als für immer daran gebunden zu werden, höflich
und verdammt zuvorkommend zu widerlichen Arschlöchern zu sein!“
„Tja“,
entgegnete er mit ernstem Bedauern, und ihre Oberlippe kräuselte sich voller
Verachtung. „Der Ausweg steht dir immer offen“, bemerkte.
„Du
gehst dann mit mir unter, das ist dir klar, oder?“
„Bei
mir hängt nicht wirklich viel davon ab“, erwiderte er bloß, und sie runzelte
die Stirn.
„Rose
wird das anders sehen.“
„Rose
trägt meinen Namen, hat mein Kind geboren, ist abhängig von mir. Und du ahnst
nicht, was sie mir alles durchgehen lässt“, bemerkte er glatt, und sie wollte
ihn mit beiden Händen erwürgen.
„Oh,
ich kann es mir denken!“, spuckte sie zornig. Er lächelte jetzt.
„Frag
mich Weihnachten wieder“, entgegnete er lapidar, und ihre Knöchel knackten vor
Wut. „Haben wir eine Abmachung, Hermine?“
Zornig
atmete sie die Luft durch die Nase, während ihr Verstand nach Lösungen suchte.
Er spuckte keine aus. Keine, bei der sie sonderlich gut wegkam. „Ich nehme an,
du willigst ein“, schloss er aus ihrem zornigen Schweigen, und ein ekelhaftes
Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Rose kommt“, bemerkte er, und sie hörte es
ebenfalls. „Du wirst zu mir kommen, mich umarmen und mich zu meinem Baby
beglückwünschen“, informierte er sie plötzlich, und ihre Augen weiteten sich.
„Auf
gar keinen-“
„-tu
es, oder ich verrate ihr hier und jetzt, dass du auf meinen Vater stehst“,
drohte er knapp, und sie biss die Zähne fest zusammen. „Jetzt“, sagte er
wieder, duldete keine Ausflüchte, und Hermine hätte sich auf der Stelle
übergeben können, fixierte ihn mit tödlichen Blicken, ging gegen jeden gesunden
Funken Verstand auf ihn zu und abwartend lächelte er auf sie hinab, als sie
unter größter Ablehnung die Arme hob, gerade als Rose die Küche betrat. Tränen
traten in ihre Augen, als sie den widerlichen Mann ihrer Tochter in eine
Umarmung schloss. Sie musste weinen vor Ekel, aber es wirkte wie ehrliche
Rührung, und Roses Blick war gänzlich entgeistert, aber Hermine schloss fest
die Augen.
„Herzlichen
Glückwunsch zu eurem perfekten Baby, Scorpius“, brachte sie unter Tränen hervor,
und jetzt legte er die Arme um sie. Fest und entschlossen.
„Danke,
Hermine“, sagte er, etwas zu selbstgefällig, und sie spürte, wie Rose sie
ebenfalls umarmte.
„Oh
Mum, du bist so süß!“, entfuhr es ihrer Tochter, und Hermine hasste Scorpius‘
Mittel. Sie hasste diesen Jungen. So voller Inbrunst, dass es ein Wunder war,
dass sie sich nicht auf sein gestärktes Hemd übergab.
Was
hatte sie nur getan? Nie wieder würde sie Rons Methoden anzweifeln! Weil sie
Rose alles durchgehen ließ, war sie auf die Hochzeit gegangen, obwohl sie es
besser gewusst hatte! Und dort war sie von Scorpius manipuliert und ausgespielt
worden! Widerliches Schwein! Und jetzt bekam sie die Strafe, dafür, dass sie
Rose liebte.
Nichts
war das wert! Sie weinte weiterhin stumme Tränen und wollte vom Erdboden
verschwinden.
Sie
konnte nicht erwarten, wieder zur Arbeit zu gehen. Wäre sie zu lange hier,
würde der Plan, Scorpius im Schlaf zu verfluchen, ernsthafte Form annehmen,
nahm sie bitter an. Aber jetzt gerade war sie minimal abgelenkt.
„Das
ist Mrs Welsh“, stellte Darcy ihr die mittlerweile zwölfte Person vor. „Sie war
fünfundzwanzig Jahre Hauswirtschafterin der Rackharrows“, fuhr sie wohlwollend
fort. Noch ein Name, den Hermine nur aus ganz schlechten Verbindungen her
kannte.
„Hm“,
machte sie knapp.
„Madame
Minister, es ist mir eine Ehre“, schien die Dame ehrlich zu bestätigen, und
Hermine nickte schließlich.
„Vielen
Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Mrs Welsh“, erwiderte Hermine. Darcy
führte sie durch die Namen der Gärtner, der Boten, machte sie mit Mr. Holden
bekannt, dem die dankenswerte Aufgabe zufiel, die Tür zu öffnen, und Gäste
anzumelden sowie die Kamine zu überwachen.
Sie
musste gestehen, die Köchin Madame Lorrard, irgendwann aus Frankreich nach
England zugewandert, kochte unbeschreiblich gut. Und war dabei erschreckend
schlank. Eine ehemalige Schönheit, aber Hermine wusste nicht, weshalb die
Köchin mittlerweile alleinstehend war. Sie hatte nicht gefragt. Darcy hatte ihr
bereits erklärt, dass ein zu enges Verhältnis zu den Bediensteten in den
seltensten Fällen gut ausgehen würde.
Irgendwann
hatte sie jeden kennengelernt, hatte erfahren, dass Mrs Welsh einziehen würde,
als auch Mr. Holden. Vielleicht könnte man beide ja verkuppeln, dachte sie dumpf.
Madame Lorrard würde ab vormittags bis sechs arbeiten.
Die
Minister-Villa kam mit einem Hausverwaltungsplan, der monatlich ein geplantes
Budget von 30.000 Galleonen für Angestellte vorsah. Hermine könnte sehr
wahrscheinlich noch mehr Leute anstellen, aber Darcy hatte vorgesehen, das
Gehalt gerecht zu verteilen, was Hermine völlig in Ordnung fand. Darcy war ein
gutes Mädchen. Die dunkelblonden Haare etwas wirr in ihrem hohen Dutt, die
Kleidung legere, aber durchaus zweckentsprechend. Hermine war nicht enttäuscht
über ihre Wahl. Und schon alleine, weil Scorpius es nicht für gut hieß, würde
Darcy bleiben.
„Gut“,
schloss sie das Kennenlernen ab. „Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Miss
Paige“, ergänzte sie bloß. „Ich muss kurz etwas erledigen, Darcy“, verabschiedete
sie sich.
„Etwas
Privates?“, erkundigte sich Darcy sofort, nur um dann sofort den Mund zu
schließen.
„Ja,
etwas Privates. Danke, ich brauche Ihre Hilfe dabei nicht“, sagte Hermine mit
einem Lächeln.
„Natürlich,
Madame Minister“, entschuldigte sie sich sofort, aber Hermine winkte ab.
„Hermine
reicht“, entschied sie, denn der dämliche Titel ging ihr auf den Geist. Das
Mädchen starrte sie an.
„W-was?“,
entkam es ihr ungläubig.
„Hermine.
Das ist mein Name. Ich biete ihn dir an. Einverstanden?“, sagte sie freundlich,
und Darcy schien sich gar nicht fassen zu können.
„Oh
Merlin, ich… ok!“, sagte sie glücklich. „Hermine!“, entfuhr es ihr grinsend,
und sie legte die Hand über den Mund. Hermine verdrehte die Augen und konnte
nicht erwarten, zu verschwinden.
„Bis
später, Darcy“, verabschiedete sie sich, und es war tatsächlich netter, dass
das Haus nun voller Menschen war, die sich kümmerten. Zwei Hexen waren allein
für Rose da, würden sich um jeden Wunsch kümmern und das Baby versorgen. Rose
musste sich noch zwei Wochen schonen, dann hätte die Magie ihren Körper wieder
hergestellt.
Und
Hermine hatte für heute Pläne. Auch wenn es nur ein kurzes Treffen war, sie war
dankbar, das Haus verlassen zu können. Denn irgendwo lief Scorpius rum, und ihn
zu treffen, wollte sie um jeden Preis vermeiden. Er hatte sie gestern
heimgesucht, und sie hasste, dass sie fast Angst vor ihm hatte. Dass er sie
tatsächlich derartig erpressen konnte! Gestern hatte er sie gezwungen, seinen
Vater und dessen Verlobte einzuladen, sich zu bedanken, dass sie sich so gut um
Rose gekümmert hatten. Und was Hermine besonders gegen den Strich ging, war,
dass es vielleicht sogar etwas war, was normale Menschen tun würden.
Wahrscheinlich würde die Mutter, den Schwiegervater einladen, wenn dieser dafür
gesorgt hatte, dass sich gut um die Tochter gekümmert worden war.
Aber
sie waren keine normalen Leute, Merlin noch mal! Sie hatte sich geweigert,
Scorpius hatte gedroht, und bevor sie ihn womöglich noch einmal hätte umarmen
müssen, hatte sie eingelenkt.
Madame
Lorrard würde morgen irgendetwas Nettes kochen, und tatsächlich freute sich
Rose bereits. Es brauchte also nur eine gemeine Erpressung, damit Hermine zu
der Mutter wurde, die Rose strahlend anlächelte.
~*~
Die
Einladungen waren auf das Wochenende in zwei Monaten datiert. Nicht nur würde
Emily die Verlobung bekanntgeben, sie würde auch ihre Schwangerschaft
bestätigen. Ein wenig abwesend starrte Draco aus dem Fenster. Der Herbst färbte
die Blätter und sie fielen beständig auf die weite Rasenfläche, wandelten das
Grün in einen bunten Teppich, und sein Blick verlor sich in den Farben.
Er
war siebenundvierzig Jahre alt. Er würde gerne sagen, er fühle sich nicht so
alt, allerdings fühlte er sich schrecklich alt, im Vergleich zu Emily.
Die
Arbeit war liegen geblieben, er hatte sie Zuhause erledigen wollen, stand aber
seit einer Weile nur sinnlos am Fenster, betrachtete den Herbst und fühlte sich
alt. er bemitleidete sich ein wenig zu sehr, stellte er bitter fest.
Die
Krönung war wohl aber tatsächlich, dass heute Morgen eine Eule von der
Minister-Villa angekommen war. Hermine Weasley lud ihn und seine Verlobte zum
Essen ein, als Dankeschön für die Gastfreundschaft, die Rose zuteilgeworden
war. Emily war aus dem Häuschen gewesen, hatte sich bereits ein neues Kleid
gekauft, hinterfragte diese Geste mit keinem Wimpernschlag, aber Draco musste
annehmen, Hermine Weasley war mit einem Fluch belegt worden. Einem
Unverzeihlichen, denn anders konnte er sich diesen Wandel beim besten Willen
nicht erklären. Er war froh und dankbar gewesen, sie nicht wiedersehen zu
müssen. Sie waren mit bösen Worten auseinander gegangen, und so zog er es vor.
Er
brauchte keine höfliche Etikette mit heuchlerischen Einladungen. Es war alles
gut so, wie es war. Fand sie es nicht unangenehm?
Er
begriff es nicht, aber natürlich hatte Emily dieselbe Eule praktisch genötigt,
die Zusage wieder mitzunehmen, und Draco nahm an, ihr ging es ums Prestige, in
der Minister-Villa eingeladen zu sein.
Merlin,
die letzten Monate waren angenehm ruhig gewesen.
Jetzt
war alles Schöne dahin. Aber er würde seinen Enkel sehen. Wieder glitt sein
Blick hinaus. Er war Großvater. Seine Mundwinkel sanken. Er war ein Großvater,
der bald wieder Vater werden würde. Oh, Salazar, verdammt. Weasley hatte
wahrscheinlich Recht. Er sollte sich lieber einschließen und ausruhen, solange
er noch konnte.
Und
für eine Sekunde bereute er, Emily zurück in sein Leben geholt zu haben. Dass
er an seinem Geburtstag geglaubt hatte, wenn er keine andere Frau hätte, dass
er womöglich noch Hermine Weasley nachstellen würde. Er bedeckte mit der Hand
die Augen. Aber wer hätte ahnen können, dass er Emily Bennett nur mit dem
Ultimatum bekäme, dass er sie heiraten musste und Vater ihres Kindes zu werden
hatte?
Gut,
sie hatte es wohl durchklingen lassen. Wahrscheinlich war Blaise nicht
unbeteiligt, der ihm weißgemacht hatte, dass Draco durchaus noch in der Lage
wäre, von vorne zu beginnen. Aber so langsam glaubte er, er war dafür nicht
geschaffen. Schon damals mit Astoria war er nicht unbedingt dafür geschaffen
gewesen. Und wahrscheinlich würde Astoria sich als allererste darüber lustig
machen, was er sich für ein junges Ding genommen hatte, wäre sie noch da.
Emily
war anders, als Astoria gewesen war. Beide besaßen einen guten Namen, mit dem
viel Gold einherging, aber… Emily ähnelte wohl eher seiner Mutter. Eine
charmante Tatsache, die ihm nie so sehr aufgefallen war, aber mittlerweile
stellte er die Ähnlichkeit immer häufiger fest. Emily interessierte sich für
Etikette, für den elenden Club, für Traditionen – für all die Dinge, die
Astoria stets belächelt hatte.
Emily
wäre eine perfekte Wahl für Scorpius gewesen, überlegte er dumpf, denn sein
Sohn huldigte seinem eigenen Vater ebenfalls ein wenig zu viel, wie Draco immer
wieder mit Entsetzen feststellte. Scorpius war ein guter Reinblüter, mit dem
einen Fehler, wenn man wollte, dass er unbedingt Rose Weasley hatte haben
wollen, seit…- solange Draco sich mit schmerzendem Kopf erinnern konnte.
Nur
war Astoria nicht mehr da gewesen, um diese Krise mitzuerleben.
Ein
Leben ohne Weasleys war für Draco kaum vorstellbar, denn seit zehn Jahren waren
sie ein fester Bestandteil des Lebens seines Sohnes. Ganz zum Missfallen seiner
eigenen Eltern. Ansonsten war Scorpius eher jemand, mit dem Draco weniger zu
tun hatte. Sie hatten andere Wertvorstellungen und Interessen. Manchmal hatte
Scorpius schwache Momente und suchte seine Zustimmung, seinen Rat – was auch
immer. Aber meistens regelte sein Sohn die Dinge allein. Oder er ging zu
Lucius.
Unfassbar.
Also mussten sie morgen wieder Familie spielen. Wie konnte sie nur darauf
bestehen? Es machte keinen Sinn. Draco würde dieser seltsamen Wendung auf den
Grund gehen. Den einen Tag verteufelte sie seinen Namen, den nächsten Tag lud
sie mit Prunk und Protz zum Essen ein.
Die
Ministerin war verrückt geworden.
~*~
Sie
war rein gebeten worden, mit der Anweisung im Salon zu warten – was sie jetzt
tat. Sie zog die Bluse glatt, denn ihre neuen, teuren Sachen passten mittlerweile
kaum noch. Sie musste so dringend abnehmen, dass sie sich schon schämte. Nichts
blieb mehr in Form. Ihr Muskelgewebe hatte abgebaut und alles schwabbelte nur
noch. Sie hatte nur noch keine Zeit gehabt, diese Baustelle anzugehen.
„Madame
Minister“, wurde sie begrüßt und wandte sich um. „Ich nehme an, du kommst, um
dich persönlich zu entschuldigen?“, vermutete Desmond mit einem ernsten
Ausdruck.
„Mich
entschuldigen?“, wiederholte sie etwas perplex. „Ich wollte ein freundliches
Gesicht sehen“, räumte sie wahrheitsgemäß ein. „Gibt es einen Anlass, dass ich
mich entschuldigen müsste?“
„Nun,
mich ereilte ein Eilbrief per Eule, in dem mir recht förmlich mitgeteilt worden
war, dass meine Bewerbung zum Untersekretär zurückzuziehen sei. In deinem Namen
unterschrieben.“
„Ach
ja?“, entkam es ihr überrascht, und er nickte abwartend, aber nicht wirklich
sauer. „Ich nehme an, Tavish hat unterzeichnet.“
„Mit
ziemlich fester Federführung, ja“, bestätigte er, aber schon zog ein Lächeln an
seinen Mundwinkeln. Hermine erwiderte es erleichtert.
„Es
tut mir leid, Desmond“, sagte sie dann. „Ich denke, es ist besser so.“
„Ok“,
sagte er dann. „Und… alles andere?“, fragte er, und Hermine war sich nicht ganz
sicher, was er meinte.
„Alles
andere?“, wiederholte sie also kleinlaut.
„Mein
unpassendes Geständnis in deinem Büro, mein Wunsch, in deiner Nähe zu sein?“,
wiederholte er, woran sie sich mit heißem Schamgefühl erinnerte. „Kann ich
darauf eine Antwort erwarten?“
„Desmond,
ich weiß nicht, was-“
„-wie
wäre es, wenn du mit mir essen gehst, und du überlegst dir deine Antwort
dann?“, schlug er sehr scheinheilig vor. Ihr Blick fiel. Sie fand sich absolut
unattraktiv. Es war ihr unbegreiflich, wie sie überhaupt jemand um eine
Verabredung bitten konnte. Aber sie war ungebunden. Sie hätte sich niemals
vorstellen dürfen, dass Ron einen zweiten Versuch wert wäre.
„Ich
sehe abscheulich aus, Desmond“, sagte sie dann, ohne Scham. „Ich erkenne mich
selbst nicht wieder. Ich muss mich erst mal um mich kümmern.“ Desmond lachte
schließlich auf.
„Du
könntest niemals abscheulich aussehen, Hermine“, widersprach er.
„Ich
bin unfassbar dick geworden“, erwiderte sie angewidert.
„Unsinn“,
widersprach er lediglich.
„Weißt
du, ich gehe mit dir aus, sobald ich fünf Kilo abgenommen habe. Oder zehn“,
ergänzte sie unzufrieden, und er kam näher.
„Wir
arbeiten seit zehn Monaten zusammen, kennen uns seit fünfzehn Jahren, und zu
keiner Sekunde warst du je etwas anderes als bezaubernd“, erklärte er offen.
„Kein
Wunder, dass du geschieden bist, bei deiner Schleimerei“, entgegnete sie mit
roten Wangen. Er überwand den Abstand mit einem schmalen Grinsen und fest
legten sich seine Lippen auf ihren Mund. Überrascht hielt sie die Luft an. Er
roch gut, fühlte sich gut an, und ihr Herz flatterte in ihrer Brust. Ihre Hände
griffen unbewusst in sein Jackett, zogen ihn unwillkürlich näher, aber seine
Lippen blieben verschlossen, und er löste sich nach einem kurzen Moment.
„Ich
nehme dich beim Wort, weißt du?“, raunte er nahe ihrer Wange. „Wenn es dir
ernst ist und dein Gewicht alles ist, was dich von einer möglichen Beziehung
abhält, klär das mit dir selbst und sag mir dann Bescheid“, informierte er sie
mit verlangendem Blick. „Gerne auch eher, denn ich habe absolut kein Problem
mit deiner hinreißenden Figur“, ergänzte er anzüglich, und sie blickte hoch in
sein Gesicht. Und für einen kurzen Moment befiel sie die stumme Angst. Sie
dachte an Scorpius. Würde er Desmond von ihrem Fehler erzählen? Sie brauchte
Zeit, um das rauszufinden, dachte sie beinahe panisch. Und in der Zwischenzeit
würde sie sich um ihre Fitness kümmern.
„Ok“,
sagte sie dann. „Gib mir einen Monat.“
„Sehr
sportlich von dir“, bemerkte er grinsend, aber sie schenkte ihm einen eindeutigen
Blick.
„Ich
habe Interesse an dir, also werde ich mich beeilen.“ Und er nickte daraufhin.
„Das
hoffe ich, Hermine“, sagte er dann. Sie wusste, es war nicht die klügste
Entscheidung, aber wer sollte irgendetwas dagegen haben? Es stand ihr frei, mit
egal wem auszugehen. Auch Mr. Tavish hatte kein Anrecht darauf, ihr Privatleben
zu bestimmen. So gerne er es täte.
„Danke,
für dein Verständnis“, räumte sie ein, aber er winkte ab.
„Habe
ich nicht. Aber ich möchte mit dir ausgehen, und du machst die Ansagen, also…
habe ich keine Wahl.“
„Ich
mache die Ansagen?“, wiederholte sie amüsiert.
„Ob
du mich willst oder nicht – ja. Definitiv. Ich bin nicht dumm. Ich werfe mich
dir nicht an den Hals, um zu riskieren, dass du Angst bekommst und abhaust. Ich
möchte, dass du zu mir kommst. Weil du es möchtest.“ Er war… ein absoluter
Traum von einem Mann. „Wie wäre es mit einem Tee und du erzählst mir von deinem
Familienzuwachs?“, schlug er diplomatischer vor, und sie war dankbar für seinen
Pragmatismus, dafür, dass er sie nicht drängte, und dass sie einfach mal
ausspannen konnte.
Zur
Abwechslung.
~*~
Sie
hatte noch nie Gäste empfangen. Noch nie in dieser Form. Noch nie in einer
Villa. Sie hatte noch nie Personal besessen, dass sich um das Essen kümmerte, die
Garderobe der Gäste, um Getränkewünsche. Sie kam sich überflüssig und fehl am
Platz vor, und sie spürte Scorpius‘ Blick auf sich, seitdem sein Vater und
dessen Verlobte das Haus betreten hatten.
Dann
wiederum musste sie nicht viel tun. Rose und Emily kümmerten sich um die
Unterhaltung, während Scorpius mit seinem Vater über irgendwelche neuen Policen
sprach, die sie beim besten Willen nicht interessierten. Sie gab sich Mühe,
wandte ihre Aufmerksamkeit halbherzig dem Gespräch der Frauen zu, während das Baby
einige Meter weiter in seiner Wiege schlief. Ab und an kontrollierten die Hexen
das Baby, kontrollierten Rose, und eigentlich saß Hermine nur aus dekorativem
Anlass hier.
Schließlich
wurde das köstlich duftende Essen hereingekarrt und verteilt. Zuerst die Suppe,
anschließend irgendwelche Häppchen – sehr französisch, dann kam der Hauptgang,
und Madame Lorrard kam zu persönlich zu ihr, zwei Flaschen exquisiten Wein in
den Händen.
„Welcher
darf es sein, Madame Minister?“, fragte sie tatsächlich, und Hermine kannte
sich mit Wein aus, wie sie sich mit Pferderennen auskannte – nämlich gar nicht.
„Äh…“,
machte sie und betrachtete die Flaschen unschlüssig. „Den roten?“, entschied
sie achselzuckend.
„Sie
sind beide rot, Madame. Möchten Sie den trockenen herben oder lieber den
süßlichen, der süffiger ist?“ Hermine entschied sich spontan.
„Süffig klingt gut.“ Tat es auch, denn mit genügend Alkohol würde sie den Abend
schon überstehen.
„Eine
sehr gute Wahl“, behauptete ihre Köchin mit einem nachsichtigen Lächeln, was
Hermine erwiderte.
„Vielen
Dank, Madame Lorrard“, entgegnete sie.
„Für
mich nicht“, sagte Emily dann mit einem entschuldigend demonstrativen Blick auf
ihren Bauch. Richtig, das Mädchen war schwanger. Hermine ließ sich das Glas
nahezu randvoll gießen.
„Ich
bin auch kein Fan“, mischte sich Scorpius ein. „Gerne einfach Fruchtschorle für
Rose, Emily und mich“, erklärte er, und Hermine wollte die Augen verdrehen. Tat
sie aber nicht. Denn sie durfte nicht.
„Dann
nur für die Großeltern?“, erkundigte sich Madame Lorrard bei Malfoy, und
dieser, wie Hermine auch, schien es nicht sonderlich schmeichelhaft zu finden,
so betitelt zu werden.
„Bitte
voll“, sagte Malfoy düster, und wie sie ließ er sein Glas randvoll kippen.
„Ich wünsche
guten Appetit“, verabschiedete sich die Köchin, und Hermine wusste, sie würde
gleich Feierabend machen.
„Danke!“,
rief sie ihr nach, auch wenn es sich nicht schicken mochte. Und die
Gesprächsmuster fielen zurück in ihre ursprüngliche Form, während Hermine noch
geradeso verhindern konnte, den Kopf gelangweilt auf ihre Hand zu stützen und
nicht das ganze Glas sofort zu trinken.
Die
jungen Leute bekamen ihre Fruchtschorlen und Hermine fühlte sich fast wie auf
einem Kindergeburtstag. Nur dass Rose jetzt selber ein Baby hatte. Sie erzählte
aufgeregt von ihren neuesten Erfahrungen als Mutter, und wie wunderbar es war.
Emily lauschte gebannt, und Hermine verkniff sich jedes Wort, stocherte auf
ihrem Teller in dem Geflügel, bis es zerfiel, aber hungrig war sie nicht
wirklich. Sie beschränkte sich auf Wein.
Die
Standuhr schlug irgendwann sieben, und sie gähnte verhalten. Ob sie sich etwas
zu lesen holen durfte? Wahrscheinlich nicht. Ihr Blick verlor sich im weiten
Wohnzimmer. Das Baby schlief selig, und sie dachte an Desmond. Heute war sie
tatsächlich joggen gewesen. Die Ländereien waren so weitläufig, dass man bequem
seine großen Runden um das Haus machen konnte, ohne sich zu langweilen. Und
alles, was ihr die Chance gab, von Scorpius wegzukommen, nahm sie dankend an.
„Ich
werde nach dem Nachttisch sehen“, fand sie endlich eine geeignete Ausrede und
spürte Scorpius‘ Blick sehr wohl, erhob sich aber mit einem gekünstelt
freundlichen Blick in die Runde und konnte kein Wässerchen trügen.
Sie
stahl sich in die Küche, wo sich die Küchenhelfer um irgendwelche Soufflés
bemühten, an denen Hermine auch kein Interesse hatte, und lehnte sich an den
Tresen.
„Wünschen
Sie etwas, Madame?“, fragte sie einer der Helfer sofort alarmiert, und Hermine
schüttelte den Kopf. Sie vermisste ihre einzige Allianz.
„Wo…
wo ist Darcy?“, fragte sie stattdessen, und der Helfer wischte sich die Hände
an der Schürze ab.
„Sie
ist oben, Madame. Macht die letzten Einweisungen der Hexen. Soll ich sie über
Floh rufen?“, fragte er sofort, aber Hermine verneinte.
„Nein.
Nein, schon gut.“ Darcy tat ihren Job gut, würde aber bestimmt gleich nach
Hause verschwinden, denn sie schlief nicht im Haus. Ihr Freund würde es nicht
gut finden, hatte sie gemeint. Hermine konnte das nachvollziehen. Sie verblieb
in der Küche, nicht sicher, was sie mit sich anstellen sollte. Sollte sie
zusehen gehen, wie Darcy die Reinigungshexen einwies? Sie hatte nicht wirklich
Lust dazu. Schon schwang die Tür auf. Ihr Albtraum stand im Türrahmen. Wäre sie
doch einfach nach oben verschwunden.
„Alles
in Ordnung mit dem Nachtisch?“, erkundigte sich Scorpius eindeutig spöttisch
bei ihr, durchschaute ihr Ablenkungsmanöver wohl, und Hermine verzog den Mund.
„Es
sieht so aus“, sagte sie lediglich.
„Kommst du wieder rein?“, erkundigte er sich höflich, meinte es aber nicht so.
Sie sah es genau.
„Es
gibt für mich nicht wirklich viel beizutragen“, entgegnete sie mit einem
falschen Lächeln. Er erwiderte es.
„Oh,
mir wird schon was einfallen. Kommst du?“, beharrte er, und sie hasste dieses
Arrangement. Hasste es wirklich.
„Sicher“,
erwiderte sie eisig und folgte ihm. Kaum waren sie zurück im Esszimmer, sprach
Scorpius laut.
„Vater,
wir wäre es mit einem hervorragenden Scotch?“ Malfoy wirkte nicht überzeugt. „Hermine,
wieso öffnest du uns nicht den Humidor?“, schlug er vor, und sie verdrehte die
Augen.
„Kein
Fan vom Wein, aber Scotch geht, ja?“, knurrte sie, und Scorpius würdigte sie
mit keiner Antwort, ließ ihr lediglich lächelnd den Vortritt. Der Humidor stand
im nächsten Raum, ließ sich nur vom rangierenden Minister öffnen und beinhielt
dummes Zeug wie Scotch und Zigarren. Nichts, was Hermine auch nur im Ansatz
begeistern könnte. Die Frauen schien es nicht zu stören, dass sie das Esszimmer
verließen. Hermine kannte sich erst seit einigen Tagen wirklich aus in diesem
Haus, und doch war jedes Zimmer noch völlig neu.
Sie
blieben vor dem Koloss aus Schubfächern und zwei schimmernden Glastüren stehen,
und Hermine zog den Zauberstab, löste den Mechanismus, und die Türen schwangen
auf.
Das
Baby rührte sich neben an, und Hermine reagierte, aber Scorpius legte ihr die
Hand auf die Schulter. Die Berührung allein war unangenehm und erfüllte sie mit
Übelkeit. „Ich gehe schon.“ Er sagte es neutral, aber seine Augen befahlen ihr
sehr deutlich, ihm nicht zu folgen.
Nett
und zuvorkommend. Nett und zuvorkommend. Oh, Merlin!
„Danke,
dass ihr gekommen seid“, sagte sie, so unbekümmert und neutral, wie sie es
zustande brachte. Malfoy ließ das Glas sinken, was er in die Hand genommen
hatte und fixierte sie mit gerunzelter Stirn.
„Ist
das hier der Punkt, wo die Ermittler feststellen werden, dass der Scotch
vergiftet ist und alles nur ein Vorwand war, um mich umzubringen?“, vermutete
er freudlos, und Hermine wünschte, es wäre so.
„Ihr
habt euch gut um Rose gekümmert, ich war unausgeruht und überfordert. Ich hätte
dich nicht anschreien sollen“, räumte sie ein, und die Falten auf seiner Stirn
verstärkten sich tatsächlich.
„Das
ist nicht dein Ernst?“, erwiderte er ungläubig. Oh sicher war es nicht ihr
Ernst! Was dachte er? Aber scheinbar kaufte er es ihr ohnehin nicht ab.
„Wir
sollten wieder rüber gehen“, entkam es ihr resignierend, den Kopf gesenkt, denn
Scorpius hatte sie gebrochen, und sie wusste, würde sie es Draco erzählen, würde
sie ihm sagen, dass es Scorpius gewesen war, der für den Albtraum
verantwortlich war, dann würde Draco ihn zur Rede stellen – garantiert! Und
bevor sie hier noch länger alleine mit ihm blieb, womöglich schwach wurde und
seinen Sohn verpetzte, musste sie gehen, damit Scorpius nicht gleich im
Anschluss alles ruinieren würde! Dracos Verlobte war schwanger und sie würde es
merklich schlecht auffassen.
„Ich
glaube dir nicht“, informierte er sie kopfschüttelnd, aber er goss sich
irgendeine Flüssigkeit ins Glas, schien für Scorpius ein weiteres zu füllen,
schloss die Glastüren, und endlich konnten sie gehen.
Im
Esszimmer hatte Scorpius das Baby auf dem Arm, warf ihr einen knappen Blick zu,
aber für den Moment vergaß sie, dass sie ihn verabscheute. Ihr entzückendes
Enkelkind streckte müde die Händchen nach oben, spielte mit Scorpius‘
Jackenknöpfen, und es war einfach unbeschreiblich süß.
„Oh,
darf ich?“, fragte Emily beseelt, und Hermine musste sich erst daran gewöhnen,
dass Draco selber ein Kind haben würde, in einigen Monaten. Die Babys wären
verwandt, würden zusammen spielen, und Hermine würde niemals ihr Enkelkind für
sich alleine haben. Malfoy wäre immer da. Kurz wurde ihr schwindelig, und sie
musste die Augen schließen.
„Alles
ok?“, raunte er ihr zu, als am Tisch die Übergabe des Babys stattfand, und sie
erschrak über seine direkte Nähe.
„Mhm,
bestens“, log sie durch zusammengebissene Zähne, sah hastig zu ihm auf, zog die
Bluse gerade und marschierte voran.
„Draco,
ist er nicht allerliebst?“, schwelgte Emily, mit Tränen in den Augen.
„Absolut“,
sagte dieser, reichte Scorpius das Glas, und Scorpius und Rose tauschten einen
Blick.
„Wir
würden euch heute gerne seinen Namen mitteilen. Wir haben uns entschieden“,
verkündete ihre Tochter plötzlich, und Hermine war sehr angespannt. Sie
erwartete nicht gutes.
Sie
setzten sich wieder, und Emily betrachtete Rose gespannt, während sie das Baby
sanft wiegte. Hermine ergriff sich bereits ihr halbvolles Weinglas, vor allem
um sich festhalten zu können.
„Möchtest
du?“, fragte Scorpius sie, und Rose strahlte.
„In
Ordnung. Meine Lieben“, begann Rose, und Hermine trank einen zügigen Schluck,
denn diese Bezeichnung war einfach falsch in dieser Runde, „das ist Corvus
Draco Ronald Malfoy“, stellte sie das Baby vor, und Hermine brauchte all ihre
politische Schauspielkunst, um gar nichts zu sagen. Aber das musste sie gar
nicht, denn Draco sprach.
„Narzissa
hat dir die Liste geschickt?“, fragte er Rose direkt, und diese nickte
glücklich. „Ihr hättet irgendeinen Namen wählen können. Peter, Jack, John,
Allen – irgendwas“, ergänzte er knapp und schien nicht in Begeisterungsstürme
ausbrechen zu wollen.
„Ein
traditionsreicher Name passt besser zu unserem Stand“, erwiderte Scorpius
achselzuckend, und Hermine sah die knappe Wut über Dracos Züge zucken.
„Ich
finde den Namen wunderbar“, beteuerte Emily. „Der kleine Corvy“, sagte sie
entzückt, und Draco erhob sich abrupt.
„Vater“,
sagte Scorpius gepresst, aber Draco wandte sich ab.
„Mein
Glas ist leer“, bemerkte er, als er den Whiskey in einem Zug leerte. Und dann
galt sein Blick ihr. Auffordernd, kompromisslos. Oh Merlin. Sie sollte ihm
wieder den verdammten Humidor öffnen. Mit einem entschuldigenden Lächeln erhob
sie sich.
„Der
Name ist sehr schön, Schatz“, rang sie sich mit einem Lächeln ab, und Rose
erwiderte es sofort, wenn die Stimmung auch gedämpfter war. Sie verließ das
Esszimmer, und Draco knallte die Tür hinter ihnen praktisch ins Schloss. Sofort
begann das Baby zu weinen, und er bedeckte die Augen mit der Hand.
„Er
ist sehr schön?“, äffte er sie nach. „Merlin, was ist los mit dir?“, fuhr er
sie an.
„Malfoy“,
begann sie gepresst, wusste aber nicht, was sie sagen sollte.
„Wie kannst
du das einfach schlucken?“, verlangte er zu wissen, fixierte sie mit den Augen
seines Sohnes, seine ganze Haltung glich so unleugbar der von Scorpius, und war
das das Malfoy-Gen, fragte sie sich unwillkürlich? Schaffte es dieser
Charakterzug dieser zornigen Männer tatsächlich, dass sie sich selber so
derartig untergraben ließ? Und wieso hatte sie es bei Draco geschafft,
unbeeindruckt von dessen Beleidigungen zu bleiben, aber ausgerechnet bei
Scorpius hatte sie den Hauch von Schwäche zugelassen? Ging es um Rose? Ging es
tatsächlich darum? Vertraute sie Draco mehr? Es war frustrierend. Es war
frustrierend, sich mit diesen elenden Männern in ihrem neuen, netten Haus stets
und ständig anlegen zu müssen. Und sie wollte die Konflikte so gering wie
möglich halten, wirklich. Und sie stieg nicht auf sein Level, obwohl sie
könnte. Mühelos.
„Dein
Name ist auch nicht gerade-“, begann sie in Ermangelung besserer Worte, aber er
unterbrach sie zornig.
„-ich hasse meinen Namen! Und Narzissa hat Astoria und mich Tag und Nacht
gefoltert, bis Astoria nachgegeben hat, weil ich verdammt noch mal zu schwach
gewesen war, nein zu sagen, zu einem dämlichen Traditionsnamen. Also wieso
sitzt du verdammt ruhig da und nimmst das hin?“, fragte er sie ernsthaft. „So
betrunken kannst du nicht sein!“
„Es
ist ihre Entscheidung“, endete sie lahm, nicht bereit, sich mit ihm zu
streiten, und er stöhnte gereizt auf.
„Ja, seit wann gehen ihre Entscheidungen bei dir kampflos über die Bühne?“
Seitdem
Scorpius sie erpresste, nahm sie. Was glaubte Malfoy? Dass sie seine seltsame
Allianz war? Dass sie eine Front bildeten, wann immer die Kinder Unsinn
anstellten? Warum sprach er nicht mit Emily darüber? Und sie fand sich
tatsächlich vor denselben Worten wieder, die sie immer und immer wieder zu Ron
gesagt hatte, stellte sie mit Schrecken fest.
„Du
wirst ihre Meinung nicht ändern können.“ Aber die Worte kamen beinahe zögerlich
über ihre Lippen. War das ihr Fehler mit Ron gewesen? Weil sie immer eingelenkt
hatte? Weil sie ihm immer bestätigt hatte, dass Rose keine andere Meinung
zuließ? Hatte Hermine co-abhängig zu ihrer Tochter gehandelt, um sie nicht
gänzlich zu verlieren? Und hatte sie damit ihre Ehe sabotiert?
„Wie
kannst du so verbohrt sein und nicht mal eine Sekunde-?“, begann er mit dröhnender
Stimme, aber Hermine zog die Reißleine, kam zu ihm, griff grob nach seinem Arm
und zog ihn weiter, raus aus dem Lesezimmer, durch in das nächste. „Was zur-“,
beschwerte er sich, aber sie zog ihn noch weiter.
„-du
wirst nicht im nächsten Zimmer rumschreien!“, warnte sie ihn. „Nicht, wenn es
die Kinder hören können! Was denkst du, bringt das, Malfoy?“, fuhr sie ihn
endlich an, denn Scorpius war außer Hörweite. Sie zog ihn bis zum Wintergarten,
der zurzeit nicht beheizt wurde. Die Kälte traf ihre erhitzten Wangen. Er
entriss ihr praktisch den Arm. „Was ist los mit dir?“, fragte sie ihn
übergangslos, obwohl es sie kaum interessierte.
„Mit
mir?“, wiederholte er ungläubig. „Nein“, sagte er bloß. „Ich habe deine
Einladung erhalten, garantiert nicht umgekehrt! Denkst du, ich bin freiwillig
hier?“ Nein, das nahm sie nicht an. Sie nahm an, sein Schoßhund von Verlobte
hatte sich auf die Einladung gestürzt, wie ein Geier auf das Aß. Sie standen im
Halbdunkeln, und er sah sie feindselig an. Und die Lösung kam ihr sehr spontan.
Ihr Gesicht entspannte sich plötzlich.
„Du
hast Panik“, stellte sie fast sanft fest. Eigentlich müsste sie sich gut genug
mit zornigen Männern auskennen, um die Symptome deuten zu können. Schnell fand
sein Blick ihre Augen.
„Warum
sollte ich?“, blaffte er, und dann hörte sie eine Tür. Sie reagierte sehr
instinktiv und natürlich vollkommen falsch. Sie ergriff fast ängstlich seine
Hand, und wieder übte sie Druck aus, zog ihn weiter unter das Glasdach, was
nach draußen führte und zog sich in die seitlichste Ecke des Wintergartens
zurück, neben der lächerlichen Miniaturpalme, die dort überwinterte. Und er sah
sie genau so an, wie sie erwartet hatte – als wäre sie verrückt geworden.
„Was-?“,
begann er völlig entgeistert, aber sie zog ihn näher zu sich, dass sich ihre
Körper berührten.
„Sht-sht!“,
machte sie verzweifelnd, und tatsächlich schwieg er.
„Draco?“,
hörte sie Emilys Stimme vom Rand des Zimmers, und sein Blick traf sie jetzt prüfend,
aber es war egal. Dann war es nicht Scorpius. Aber jetzt könnte sie ihre
Position auch nicht preisgeben, denn was sollte Emily denken? Merlin, was
sollte Malfoy jetzt denken? Und sie verharrten. Er tat ihr scheinbar den
Gefallen und hielt den Mund, blieb ruhig vor ihr stehen.
Es
tat ihr ehrlich leid. Irgendwann verschwand Emily erfolglos, die Tür fiel sanft
ins Schloss, und jetzt sah er sie prüfend an. „Was genau geht hier vor,
Weasley?“ Seine Stimme war ruhig, und seine Nähe war beunruhigend.
„Ich…“,
begann sie ratlos, nicht sicher, wie sie den Satz beenden sollte.
„Ja?“
Noch immer stand er vor ihr, beengt und viel zu groß. Sie hatte Mühe, überhaupt
in sein Gesicht zu sehen.
„Ich
dachte, es wäre jemand anders“, endete sie etwas beschämt.
„Wer
genau?“, ging er sofort auf ihre Worte ein. „Vor wem in diesem Haus könntest du
so unfassbare Angst haben?“, wollte er mit gerunzelter Stirn wissen. Ertappt
senkte sie den Blick.
„Du
hättest Emily Bescheid geben können-“, begann sie, um ihn abzulenken, und jetzt
lachte er trocken auf.
„-sicher. Das wäre bestimmt super gelaufen“, bemerkte er knapp, verlor den
Faden aber nicht. „Vor Rose wirst du keine Angst haben, aber wieso solltest du
dich vor meinem Sohn verstecken?“
„Das
tue ich nicht!“, behauptete sie energisch.
„Ok.
Dann möchtest du mich gerne in dunkle Ecken deines Hauses ziehen, um was genau
zu tun?“, wollte er direkt wissen, und ihr Mund öffnete sich empört.
„Gar
nichts!“, entrüstete sie sich. „Ich will absolut gar nichts mit dir tun!“ Es
klang absolut widerlich. „Und du würdest mir nicht folgen, wenn du nicht-“
„-ich
habe keine Angst“, sagte er sehr bestimmt. „Und selbst wenn, hätte es nichts
mit dir zu tun!“, ergänzte er gereizt.
„Wieso
suchst du dann meine Unterstützung, ausgerechnet?“, wollte sie wissen.
„Weil
du grundsätzlich nicht wahnsinnig bist. Obwohl ich es ab heute nicht mehr
wirklich bestätigen kann“, erwiderte er unzufrieden. „Er wird diesen Namen für
immer tragen!“, schien er sie zu warnen, und sie verdrehte die Augen.
„Als
ob sie ihn Peter nennen würden“, ging sie abweisend auf seine vorherigen Worte
am Tisch ein. „Ich bin nicht deine Allianz, Malfoy. Du bist alles, wogegen ich
die letzten zehn Jahre gearbeitet und gekämpft habe. Ich habe mich bemüht, dass
Rose diesen Fehler nicht macht, und jetzt… jetzt ist es alles zu spät.“
„Jetzt
gibst du auf?“, erkundigte er sich spöttisch. „Weißt du, es fängt alles erst
an“, sagte er kalt.
„Ja,
ich weiß“, knurrte sie. „Ich werde niemals von deiner scheiße Familie wegkommen,
und nächstes Jahr werden dein Enkel und dein Kind höchstwahrscheinlich zusammen
spielen. Ist das nicht großartig?“ Und kurz sah die Panik regelrecht über seine
Züge gleiten. Sie legte sich wie ein Schatten auf seine gesamte Erscheinung.
„Ich gebe nicht auf“, widersprach sie kopfschüttelnd. „Ich verstehe nur, wann
es Zeit ist, zu kapitulieren.“
„Blödsinn“,
entkam es ihm unbeeindruckt, und er war nicht zu fassen!
„Blödsinn?“,
wiederholte sie entgeistert. „Nein, Malfoy. Ich habe beruflichen Erfolg. Das
ist völlig ausreichend. Dann ist es familiär eben eine absolute Katastrophe, na
und?“ In ihrem Kopf schwang Scorpius‘ Warnung mit. Nein, sie war nicht mehr
nett und zuvorkommend.
„Fein“,
spuckte er praktisch.
„Ja, fein!“, erwiderte sie kalt.
„Dann
lad mich verdammt noch mal nicht in dein Haus ein!“, warnte er sie.
„Gott,
du bist so…!“ Sie hasste ihn, hasste, hasste, hasste ihn! „Dann geh!“ Ihre Stimme zitterte jetzt.
„Niemand hält dich hier! Niemand zwingt dich wirklich! Dir passiert nichts, wenn
du nicht hier auftauchst! Deine Verlobte nimmt es dir nicht übel, deinem Sohn
ist ohnehin egal, was du denkst – also geh!“, wiederholte sie schwach. Sie
konnte es nicht. Nett und zuvorkommend existierten nicht mehr, sobald er vor
ihr stand.
Er
war wütend, und sie wusste nicht, warum. Sie fühlte sich elend, vollkommen
erledigt, und gleichzeitig kribbelte alles in ihr. Es war Zorn, es war Angst,
es waren tausend Dinge, und tatsächlich waren nicht alle Gefühle ausnahmslos
schlecht. Das seltsame Kribbeln in ihren Fingerspitzen rührte irgendwo anders
her, und sehr kurz glitt sein Blick über ihr Gesicht, fiel auf ihre Lippen,
glitt wieder hoch, und für einen kurzen Moment zog es in ihrem Magen, zu kurz,
als dass sie es hätte definieren können.
Und
für einen Moment wirkte es, als wolle er angreifen, als wappne er sich für
irgendetwas, und dann verschwand der letzte Abstand, seine Hände glitten um
ihren Nacken, bogen ihren Kopf höher, und ihre Augen schlossen sich fast zu
schnell! Fast viel zu schnell!
Und
etwas grauenhaftes passierte! Sie vernahm ein Räuspern.
„Madame?
Äh… Hermine?“
Sie
fuhren auseinander, Malfoy, ließ von ihr ab, wich zurück, aber sie glaubte
nicht, dass diese Situation abzutun wäre, irgendwie anders auszulegen war. Ihre
Assistentin sah sie mit großen Augen an, nestelte komplett verzweifelt an ihrer
Handtasche. „Ich…- verzeihung, Merlin, es tut mir so unfassbar leid!“,
stammelte Darcy beschämt, denn Malfoys Blick musste einigermaßen tödlich sein.
Sie sah, dass Darcy unbewegt verharrte, fast zitterte, und er machte einen
weiteren Schritt zurück.
„Ich
werde gehen“, sagte er, die Stimme rau, etwas aufgewühlt, und Merlin sei Dank
lehnte sie an der Scheibe, sonst wäre sie wohl einfach umgefallen.
„Ja“,
bestätigte sie heiser, und sein Blick im Halbdunkeln konnte ihr absolut
gefährlich werden. Merlin, was passierte nur mit ihr? Er verschwand mit zügigen
Schritten, ignorierte Darcy, die wohl gleich anfangen würde zu weinen, und
Hermine versuchte, ruhiger zu atmen.
„Madame,
ich…- es tut mir so leid!“, entfuhr es ihr verzweifelt, als die Tür wieder ins
Schloss gefallen war. „Ich… ich wollte mich nur verabschieden, und… und ich
wusste nicht – dass…- ich…? Ich meine, ist Mr. Malfoy nicht – ich meine, ist er
nicht…?“ Sie ließ den Satz in der Luft hängen. Ist er nicht der Schwiegervater
ihrer Tochter? War er nicht verlobt, würde er nicht heiraten, erneut Vater
werden? Dieser Satz hatte mehrere mögliche Enden, und jedes war korrekt und
absolut furchtbar und niemals sollte sie jemals auch nur in Erwägung ziehen,
ihm überhaupt zu nahe zu kommen!
Sie
musste einen kühlen Kopf bewahren. Irgendwie. Sie schloss kurz die Augen und
atmete lange aus. „Oh bitte, entlassen Sie mich nicht!“, flehte Darcy jetzt.
„Ich… habe nichts gesehen! Es ist ja auch nichts passiert, nicht wahr? Es war…
ein dummes Missgeschick! Wir vergessen das! Ich-“
„-Darcy“,
unterbrach Hermine das aufgelöste Mädchen jetzt, fuhr sich über die Schläfe,
und ihre Hände zitterten noch immer leicht, „beruhige dich, bitte.“
„Madame,
Hermine, ich… es geht mich überhaupt nichts an!“, beteuerte sie hastig.
„Es
ist in Ordnung. Ich… weiß nicht, was passiert ist“, räumte Hermine tatsächlich
etwas stiller ein. „Und es ist nicht ok. Und Merlin sei Dank bist du
reingekommen, bevor…“
„Bevor
er dich geküsst hat?“, flüsterte Darcy mit großen Augen, und Hermines Wangen
färbten sich langsam. „Ich meine…“, korrigierte sich Darcy hastig, aber Hermine
nickte steif.
„Ja“,
bestätigte sie. Sie hatte ein Problem, begriff sie plötzlich. Ein verdammt großes
Problem, was sie bisher ignoriert hatte, aber scheinbar ließ sich diese
Kleinigkeit nicht verdrängen. Sie hatte ein Problem mit Draco Malfoy. Ein sehr
körperliches.
„Willst
du… drüber reden?“ Und Hermine wusste nicht wirklich, welcher Altersunterschied
zwischen ihnen lag, aber er war groß. Und dennoch sah Darcy sie mit den großen
verständnisvollen Augen einer Freundin an. Einer sehr unwahrscheinlichen
Freundin.
Und
sie verzog unglücklich den Mund. Denn, nein. Sie würde niemals darüber reden
wollen.
12. it’s 2 am
and i’m cursing your name
Immer wenn sie ein schlechtes Gewissen bekam, machte
sie Sport.
Ihr
Sonderurlaub war lange vorbei, und sie war mehr als dankbar dafür. Sie hatte
sich in die Arbeit gestürzt, hatte sich in jede Diskussion geworfen, hatte
jeden Streit ausgefochten, war keiner unangenehmen Konfrontation aus dem Weg
gegangen. Alle ihre Entscheidungen waren in harte Kritik geraten. Der Tagesprophet hatte sich lustig gemacht
über ihre Methoden, und zwei Wochen hatte sie an sich selbst gezweifelt, hatte
sich Vorwürfe gemacht, angenommen, ihr Urteilsvermögen wäre nicht mehr das
alte.
Aber
mittlerweile, weitere zwei Wochen später, biss sie sich durch jede Kritik. Sie
schluckte sie, verarbeitete sie und befand sie für unbegründet.
Denn
jetzt, nach einem Monat zeigten sich im Haushaltsplan überraschende
Einsparungen, die sie bereits vorher kalkuliert hatte. Es war also kein Wunder,
keine Überraschung.
Auch
wenn Morgaine ihr diesen Monat zur absoluten Hölle gemachte hatte.
Desmond
war an ihrer Seite gewesen, mehr oder weniger unauffällig, denn es herrschten
genug Gerüchte, und genug böse Zungen wollten ihr frühes Amtsende sehen.
Deshalb war sie noch nicht mit ihm ausgegangen. Aber sie ging auch nicht mehr
nach Hause, erst wenn es spät war, denn Rose und Scorpius hatten es sich
heimisch eingerichtet. Und sogar Narzissa wagte den Besuch, denn Hermine war
nie Zuhause. Abends stahl sie sich ab und an in das Schlafzimmer des Babys, was
nachts von den Hexen versorgt wurde, da Rose lieber schlafen wollte, als sich
der undankbaren mütterlichen Aufgabe zu widmen, ihr Kind zu versorgen. Hermine
hatte dazu nichts gesagt, genoss die ruhigen Minuten, die sie mit dem Baby
verbrachte, auch wenn sie es nur betrachten konnte.
Aber so
musste sie Scorpius nicht sehen, der seit letzter Woche wieder länger im Büro
arbeitete. Noch einen Monat würden Rose und Scorpius bleiben und dann zurück
nach Schottland gehen.
Und
sie nahm an, ab dann konnte Scorpius sie auch nicht mehr zur familiären
Höflichkeit zwingen. Hermine schuftete, erntete dafür höchstes Lob der
nationalen Stellen, und soweit erkämpfte sie sich ihre Position jeden Tag aufs
Neue.
Ihr
Appetit hielt sich seit Wochen in Grenzen, denn immer wieder dachte sie an das
haarscharfe Ereignis, dass sie fast ihren Verstand kostete. Er hätte sie
geküsst! Sie hätte ihn geküsste! Und warum, fragte sie sich? Aus welchem Grund
heraus? Wem brachte das irgendwas? Sie hatte in sich gehorcht, sich gefragt, ob
sie eifersüchtig auf Emily war – egal, weswegen, aber sie hatte nichts finden
können. Keine unterschwelligen Gefühle. Hermine wollte kein Kind mehr haben,
sie wollte auch garantiert Malfoy nicht heiraten müssen. Merlin!
Wahrscheinlich
war es irgendein hormoneller Krieg, und ihr Alter machte ihr deutlich, dass die
Wechseljahre vor der Tür standen. Vielleicht.
Vor
allem wartete ein perfekter Mann darauf, dass sie endlich seine Einladung
annahm. Sie verschwand nach Feierabend in die Sporträume des Ministeriums. Sie
lagen unten, denn dort trainierten überwiegen die Auroren, und sie hatte sich
mittlerweile angewöhnt, mit Harry zu trainieren, der sich ebenfalls fit hielt.
Seit dem Einstieg in ihr Amt hatte sie schamlos viel Zeit vergehen lassen, bis
sie wieder einen Abend mit Ginny und Harry verbracht hatte.
Sie
fingen immer langsam an, auf dem magischen Laufband, joggten durch das Gelände
von Hogwarts, denn Hermine liebte es, in dieser Erinnerung zu schwelgen, und
dort besprachen sie kurzatmig, was die Tage vorgefallen war, wie es Ginny ging,
was die Familie so erlebte, ob Harry wieder neue Anekdoten von Lavender
erzählen konnte, die auf Kriegsfuß mit Molly stand.
Es
war angenehm. Es lenkte sie ab. Harry erkundigte sich nach Desmond, mehr als
einmal. Mehr als oberflächlich, und Hermine erzählte ihm lächelnd, wie angetan
sie von ihm war, dass sie gerne mit ihm ausgehen würde, dass sie aber eine
konkrete Vorstellung von ihrem Äußeren hatte, die sie gerne vorher erfüllen
würde.
Und
heute war wieder einer dieser Tage. Sie machten Sport zusammen. Ihre Runde um
den See von Hogwarts hatten sie jetzt beendet, und mit dem Zauberstab löschte
Hermine die Vision. Die Sporthalle lag jetzt wieder ruhig vor ihnen. Nach
Feierabend trainierten die wenigsten der Angestellten.
„Gute
Zeit“, bemerkte Harry anerkennend, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und
Hermine trank tiefe Züge aus ihrer Flasche.
„Ebenso,
Potter“, gab sie lächelnd zurück, und Harry bereitete die Gewichte vor.
Sie
stellte sich auf die Waage an der Wand, wie jeden Freitag. Die Zahl puffte in die
Höhe, zog das Gewicht ihrer Kleidung automatisch ab, und Harry hob den Blick.
„Beeindruckend“,
bemerkte er nickend. „Isst du genug?“, fragte er ernster, aber Hermine war
nicht zufrieden. Es war nicht das Gewicht, das sie an ihrer Hochzeit gehabt
hatte. Es war eher das Gewicht, das sie nach Hugos Geburt nur schleppend
losgeworden war. Und nein, sie aß nicht genug. Ja, sie hatte abgenommen, aber
sie fühlte sich nicht sonderlich attraktiv. Ihre Kostüme passten alle nicht
mehr, was ein Ärgernis war, aber wohl fühlte sie sich nicht.
„Wieso
dauert es so lange?“, wollte sie von Harry wissen, und dieser fixierte sie mit
gerunzelter Stirn.
„Was?
Abnehmen? Weil du alt bist. Und essen musst“, erwiderte er unverblümt, und
Hermine verzog den Mund. „Hermine, du hast massiv abgenommen in vier Wochen. Zu
viel. Dein Muskelaufbau fordert wesentlich mehr Nahrung, als du deinem Körper
zu gönnen scheinst.“
„Ich
bin heute bei euch zum Essen, also…“, tat sie seine Sorge achtlos ab, und er
seufzte auf.
„Ja, wir
werden dich mästen, so gut wir können“, versprach er ihr. Harry war stiller
heute. Stiller als sonst. Sie wusste, morgen hatte James Geburtstag. Der kleine
James Potter wurde achtundzwanzig Jahre alt. Hermine hatte ihm immer eine
Kleinigkeit zum Geburtstag geschickt, aber seit dem Streit wusste sie nicht
mehr, wo er wohnte. Sie nahm an, Ginny wusste es, aber die behielt ihr
Geheimnis für sich.
„Dann
ist ja gut.“
„Na
los, Madame Minister. Ich erwarte vierzig Pfund von dir“, sagte er bloß, und
Hermine griff sich die Hanteln von der Bank. Sport war gesund. Es befreite
ihren Geist von all den lästigen Kleinigkeiten, die sie nachts nicht
abschütteln konnte, wenn sie wach im Bett lag.
Sie
hoffte, Sport wäre Heilung. Irgendwie. Aber soweit sie es beurteilen konnte,
war sie nicht sonderlich geheilt. Sie freute sich schon auf Ginny. Die
Potter-Sorgen würden sie heute Abend für einige Stunden auf andere Gedanken
bringen.
~*~
Es
war wieder einmal eine seltsame Trotzreaktion, stellte er am Rande seiner
Wahrnehmung fest, an den Grenzen des Orgasmus’, der ihn erfasste, und Emily kam
ebenfalls, denn gepresst stöhnte sie seinen Namen, während er seine Verlobte in
einem der unzähligen Gästezimmer in Malfoy Manor besinnungslos vögelte.
„Oh
Merlin, Draco!“, stöhnte ihre bebende Stimme, und fast – beinahe – hatte er das
Bedürfnis, ihr zu sagen, dass sie ihn Malfoy nennen sollte. Nicht Draco. Aber
er beherrschte sich, behielt diesen Wunsch für sich, verbannte solche
unpassenden Gedanken und kam hart in ihr, nahm sich, was er wollte, bevor er
von ihr runter rollte, erschöpft neben sie fiel, und er nahm an, Narzissa würde
bald eine Elfe nach ihnen schicken, um zu sehen, wo sie blieben.
Er
hatte begonnen von ihr zu träumen. Nicht von Emily, nein. Von ihr. Der
Ministerin für Zauberei. Sein Atem ging schnell und er schloss die Augen. Es
half nicht mehr wirklich, mit Emily zu schlafen, denn immer seltener sah er
wirklich Emily vor sich. Immer häufiger wollte er sie von hinten nehmen, damit
ihn ihr Gesicht nicht ablenkte.
Es war
absolut ekelerregend, das wusste er. Es war krank und so völlig unnötig, dass
er lange ausatmete. Was lief falsch mit ihm? Hermine Weasley sah nicht gut aus.
Im Vergleich zu Emily sah keine Frau seines Alters mehr gut aus, sagte er sich.
Aber es hatte wenig mit Äußerlichkeiten zu tun, stellte er immer wieder fest.
Das war es nicht, was ihn reizte. Dann vielleicht aber doch, denn er träumte
von ihren Augen. Diesen dunklen Augen, das Braun so warm und bestechend, so
ganz anders als seine eigenen Augen. Er konnte sich vor ihrem Blick nicht
verstecken, so kam es ihm immer vor, konnte ihm nicht ausweichen – und wollte
es nicht mal. Mit diesen Blicken, mit denen sie ihn strafte, könnte er sich
vorstellen, sie auf ihre Knie zu schicken, während er langsam ihren Mund-
„-das
war unglaublich!“, murmelte seine Verlobte neben ihm, und Draco öffnete die
Augen, verbannte seine dumme Fantasie aus seinem Kopf.
„Mhm“,
bestätigte er dumpf, unfähig, Worte zu formen. Er war zu alt für solche
spontanen Aktionen. Er könnte sich jetzt schlafen legen, dachte er erschöpft.
„Ich
liebe dich“, ergänzte sie lächelnd in seine Richtung, aber er blickte an die
stuckverzierte Decke, noch immer etwas außer Atem und wiederholte das sinnlose
Geräusch.
„Mhm“,
machte er, und dann setzte sie sich auf, zog ihr Kostüm zurecht, und die
Schwangerschaft war ihr noch immer nicht anzusehen. Ihr junger Körper, ihr
straffer Bauch, leisteten gute Arbeit.
„Liebst
du mich, Draco?“, fragte sie plötzlich, überrumpelte ihn völlig, und er wusste
aus Erfahrung, dass er kein großartiges Zeitfenster hatte, um zu antworten –
oder um zu zögern. Es war beides gefährlich.
„Du
weißt, ich brauche Zeit, um-“
„-es
sind zehn Monate“, unterbrach sie ihn barsch. „Und ich liebe dich. Deine Frau ist
seit fünfzehn Jahren tot, also kannst du wohl kaum noch in Trauer sein“,
entfuhr es ihr, und fast war er dankbar für diesen schäbigen Ausweg, den sie
ihm anbot. Er setzte sich abrupt auf, erhob sich und verschloss seine Hose.
„Ich
bin immer in Trauer um meine Frau, Emily. Du kannst nicht begreifen, was ein
solcher Verlust anrichtet. Und ich wäre dir dankbar, wenn du etwas mehr
Verständnis hättest“, erwiderte er kühl, und sie erhob sich ebenfalls.
„Draco,
das habe ich nicht gemeint. Es… es tut mir leid. Ich… wünsche mir nur, dass du…
endlich meine Gefühle erwiderst“, ruderte sie zurück, und mental entschuldigte
sich Draco bei Astoria, für diesen fiesen Zug.
„Ich
erwidere deine Gefühle“, sagte er vage Worte.
„Wieso
sagst du es dann nie?“, wollte sie fast verzweifelt wissen, und er senkte den
Blick.
„Es
fällt mir schwer, das ist alles“, log er schlicht, aber effektiv, denn Emily
zog ihn in ihre Arme.
„Du
musst nichts sagen, Draco. Ich weiß… ich weiß, wie du empfindest“, behauptete
sie beruhigter, und fast verdrehte er die Augen. Er wünschte, es wäre so
einfach. Er wünschte, er wäre die Art von Mann, der Gefühle einfach heucheln
könnte. Der Emily einfach blind versichern könnte, dass er sie liebte. Seitdem
Astoria fort war, hatte er es nicht mehr gesagt. Diese Worte. Zu niemandem
mehr. Er hatte das Gefühl, sie wogen zu schwer, als dass man sie leichtsinnig
sagen könnte.
Und
im Moment war nicht ideal, dass Emily nicht die einzige Frau in seinen Gedanken
war. Und er wusste, Emily erwartete sein Kind. Emily wollte ihn, trotz seines
Alters, das sie höchstwahrscheinlich einfach ignorierte – so wie er es tat. Und
es ließ sich nicht anders sagen – er verhielt sich wie ein Arschloch, und das
hasste er umso mehr. Er wollte nicht zweigleisig fahren! So etwas würde er
Scorpius zuschreiben, nie sich selbst. Es war eine Eigenschaft seines Sohnes,
die er verabscheute. Er wusste, Scorpius hatte Rose betrogen, mehr als einmal.
Und Draco hatte stets geglaubt, es müsse irgendeine Eigenschaft aus Astorias
Familie sein, aber… vielleicht hatte er sich geirrt.
Vielleicht
war er einfach derjenige, von dem sein Sohn alle schlechten Eigenschaften
übernommen hatte. Eine düstere Erkenntnis.
Er
löste sich von Emily, als er Schritte auf der entfernten Treppe hörte.
Geistesgegenwärtig richtete er mit der Zauberstabbewegung das Bett, und Emily
kontrollierte im angelaufenen Silberspiegel über der Schminkkommode ihr Makeup.
Demonstrativ schritt Draco zum Fenster, und als tatsächlich seine Mutter,
zielsicher wie ein Bluthund, die richtige Tür erraten hatte, deutete er nach
draußen auf die hohen Pinien in der Ferne.
„Und
von hier aus sieht man ziemlich deutlich, wo das Jagdgebiet endet.“ Seine kluge
Verlobte stellte sich interessiert neben ihn.
„Das
sind tatsächlich bloß fünfzig Hektar“, erwiderte sie mit täuschend echter
Anteilnahme.
„Was
bei Merlin treibt ihr hier?“, entfuhr es seiner Mutter. „Das Dessert wird kalt,
und du zeigst ihr das Gelände? Es ist nicht mal Jagdsaison, also wirklich,
Draco“, beschwerte sich Narzissa kopfschüttelnd, und er und Emily tauschten ein
verstohlenes Grinsen. Ja, er konnte sich vorstellen, mit dieser Frau seine Zeit
zu verbringen. Sie war Slytherin. Sie war perfekt. Er musste einfach nur seine
Dämonen bekämpfen.
Die
Dämonen namens Weasley.
~*~
Es war
weit nach Mitternacht, stellte sie entnervt fest. Sie konnte keinen Schritt
mehr tun, ohne beobachtet zu werden. Und auch hier war sie nicht allein. Der
Abend bei Harry und Ginny war schön gewesen, erholsam regelrecht. Aber ihr
Ministerschutz begleitete sie natürlich. Sie durfte nicht alleine irgendwohin,
und wo sie und ihr Schutz auftauchten, da war die Presse nicht fern. Es war so,
dass Harry die Presse ohnehin gewöhnt war, denn auch nach fast dreißig Jahren
war sich die Hexenwoche nicht zu
schade, seinen privaten Garten abzulichten, zu versuchen, ein intimes Foto zu
bekommen – und mit der Ministerin bei den Potters hatte es in Godric’s Hollow
nur so gewimmelt von schaulustigen Fotografen.
Fast
hatte sie ihr altes Haus erahnen können – wo Ron nun mit Lavender lebte. Ahrg.
Es regte sie mehr auf, als sie zugeben würde. Einfach, weil es ihr Haus gewesen
war. Nicht Lavenders.
Und
es stand außer Frage, dass sie bei Harry übernachtete. Der Ministerschutz hatte
den Befehl, sie zurück nach Hause zu bringen. Harrys Haus war nicht geeignet.
Und hier war sie auch nicht alleine, war umringt von Personal und natürlich
Rose und Scorpius. Nachts herrschte ebenfalls reges Treiben im Haus, denn ihr
Enkelsohn wurde regelmäßig wach. Und gerne wollte Hermine Desmond über Floh
anrufen, aber jeder Flohanruf wurde dokumentiert. Zwar wertfrei und geschützt,
aber dokumentiert wurde er. Und irgendetwas hielt sie davon ab, mitten in der
Nacht ihr mögliches Date anzuflohen, um… um was genau? Sich davon abzulenken,
dass sie seit Stunden an Draco Malfoy dachte? An sein dämliches scheiß Gesicht?
Seine
hohe Statur, die sie vielleicht einschüchterte, wenn sie standen? Sie hasste
das. Sie durfte nicht an ihn denken, wollte es bewusst nicht mal, und sie
wollte nicht, dass Scorpius‘ seltsame Methoden, um seinen Willen durchzusetzen,
diesen Effekt hatten!
Und
sie gab sich verdammt viel Mühe. Sie sprach nicht von ihm – warum auch? Sie
dachte tagsüber nicht an ihn, tat nichts, was sie auch nur in die Verlegenheit
brachte, seinen Namen zu äußern – abgesehen von der leidigen Tatsache, dass
sein Enkelsohn, als auch sein Sohn, in ihrem Haus lebten.
Sie
schloss die Augen.
Sie
wusste, es half nichts. Sie konnte ihren Geist nicht sinnvoll davon überzeugen,
nicht an ihn zu denken. Sie atmete lange aus. Die Vorhänge waren geschlossen,
ihre privaten Gemächer abgeschlossen, und in der Abgeschiedenheit der
Vollzeitüberwachung, zog sie den Zauberstab, vollführte eine kunstvolle
Bewegung, die Fingerspitzengefühl und einiges mehr benötigte, und schließlich
beendete sie den Zauber, mit dem rechten Maß an magischer Präzision. Hell brach
ein Meer an silbernen Funken aus der Spitze ihres Zauberstabs, und fast
erfüllte sie Aufregung und das schlechte Gewissen zu gleichen Teilen, als sich
die Funken auf halber Höhe verdichteten und still und äußerst realitätsgetreu
die Gestalt Draco Malfoys annahmen.
Ja.
Sie hätte Desmonds Gestalt aus dem Gedächtnis rufen können, hätte ihn
erscheinen lassen können, aber… - und diese Tatsache gestand sie sich nicht
einmal unterbewusst ein – sie wollte nicht vergessen, wie Malfoy aussah.
Der
Zauber festigte sich, die Funken verschwanden, und Malfoy stand vor ihr, so wie
sie ihn in Erinnerung hatte. Die Erscheinung hatte keine Substanz, war
lediglich eine optische Hülle, aber, was die Optik betraf, war sie täuschend
echt. Mit der Hand würde sie keine Substanz erfassen, würde sie ihn berühren,
und die Erscheinung konnte nicht sprechen, konnte nicht mit ihr agieren, aber
es war ausreichend.
Ihr
Herz ging schnell, während sie sich wie ein Betrüger, ein Verräter, vorkam. Die
Erscheinung stand still, atmete ruhig, und sie betrachtete seine Figur, sein
Gesicht, das eine verlorene Muttermal auf seiner Wange, das verschwand, wenn er
lächelte. Sie hatte ihn selten genug lächeln sehen, nur beim Kontakt mit seinem
Enkelsohn, aber das waren die Details, auf die sie sich konzentrierte. Seine
Augenbrauen waren gebogen, und das Grau seiner Augen war das Auffallendste an
seiner Erscheinung, neben den silberblonden Haaren.
Sie
versuchte, sich zu erinnern, wie er ausgesehen hatte. Damals, in Hogwarts, aber
es fiel ihr nicht mehr ein. Wahrscheinlich so ähnlich. Wahrscheinlich agiler,
jünger, ausdrucksstärker.
Aber
ja, sie gab es zu. Sein Aussehen war beeindruckend, auch jetzt noch. Kurz
wünschte sie, die Erscheinung könnte sie ansehen, mit diesem intensiven Blick,
unter dem sie vor einem Monat beinahe geschmolzen war.
„Ich
hasse dich, Draco Malfoy“, flüsterte sie in die Stille des Zimmers, und die
Erscheinung verharrte weiterhin reglos. Sie atmete lange aus. „Ich bin verrückt
geworden“, sagte sie müde. Es war ein Uhr fünfundvierzig.
Bevor
sie sich noch dazu hinreißen ließ, eine nackte Erscheinung von ihm zu
fabrizieren, ließ sie die Funkenerscheinung mit einer gereizten
Zauberstabbewegung in ihre Bestandteile zerfallen. Hell leuchtend rauschten die
Funken gen Boden, wo sie lautlos verglühten.
Sie
würde morgen mit Desmond ausgehen.
Für
ihr Seelenheil.
Und
jetzt würde sie schlafen, und vorher noch einen Traumlos-Trank trinken. Denn auf
gar keinen Fall wollte sie von ihm träumen. Von Malfoy. Dann träumte sie lieber
gar nichts.
13. can’t find what they want the
most
Es
war nachmittags, fast beschaulich, und sie saß mehr oder weniger besänftigt auf
dem Lesesessel, ihr Enkelkind im Arm. Corvus – Merlin, dass er tatsächlich so
hieß! – schlief seelenruhig in ihrer Armbeuge. Rose war da. Nur leider, leider,
waren sie nicht unter sich. Ihr Schwiegersohn saß ebenfalls mit im Raum,
während vor den Fenstern die Wachleute ihre Runden um das Anwesen drehten.
„Ich
freue mich sehr für die beiden“, sagte Rose, die lächelnd die Einladung noch
mal las.
„Mhm“,
machte Scorpius, während er abwesend durch irgendwelche Unterlagen blätterte.
Hermine konnte sich nicht vorstellen, was ausgerechnet er samstags zu tun
hätte. Und mit einem Blick auf ihr Enkelkind konnte sie sehr wahrscheinlich
froh sein, dass er nicht wieder einmal damit beschäftigt war,
Unausssprechliches mit ihrer Tochter zu treiben und sie – bei Roses Pech – noch
einmal zu schwängern.
„Wie
aufregend, dass dein Vater noch einmal heiratet, nicht wahr?“, wollte Rose
wissen, und Hermine war nur froh, dass die Kutsche sie in einer Stunde abholen
würde. Madame Lorrard würde ihnen gleich einen Nachmittagstee bringen, und
vielleicht würde Darcy noch irgendetwas für sie zu tun haben. Hermine hatte ihr
angedeutet, dass sie bitte dringend aus Scorpius‘ Gesellschaft entfliehen
wollte.
„Hm“,
machte ihr Schwiegersohn, und Hermine würde gute Galleonen wetten, dass er Rose
nicht zuhörte. Aber sie war ganz froh, dass er beschäftigt war, denn so würde
er unter keinen Umständen mit ihr –
„-du
weißt, dass durch deine Maßnahmen die Versicherungen in die Höhe schnellen,
richtig?“, informierte er sie mit einem ätzenden Seitenblick, gänzlich
außerhalb jeden Kontextes, und Hermine verzog den Mund. Sie wollte nicht mit
ihm reden. Wollte nicht, wollte nicht!
„Bitte?“,
sagte sie bemüht leise, denn sie wollte das Baby nicht wecken und machte ihm
deutlich, das Gespräch zu verschieben, aber er schien ihren Wink nicht zu
verstehen.
„Deine
Maßnahmen. Der Abzug der Dementoren. Dumme Entscheidung“, kommentierte er es,
wie es nur ein Reinblüter konnte. Sie hatte offen gesagt nichts anderes von ihm
erwartet, wenn sie denn überhaupt erwartete, dass er über ihre politischen Entscheidungen
informiert war. Obwohl dies etwas war, was die Medien lang und breit getreten
hatten.
„Das
ist deine Meinung“, erwiderte sie barsch, so wie sie alle Kritiken zerschlug.
„Nein,
das ist die Meinung der erweiterten Versicherungspolicen, mit denen mein Vater
jetzt dank deiner kurzsichtigen Entscheidung ein Vermögen macht“, entgegnete
er, und Rose stöhnte gereizt auf.
„Wisst ihr, wie langweilig dieses Thema ist?“, fragte sie kopfschüttelnd, aber
Hermine und Scorpius ignorierten sie nun beide.
„Nur
weil die Bevölkerung Angst hat, bedeutet es nicht, dass es gerechtfertigte
Angst ist, Scorpius“, knurrte sie praktisch, und das Baby rührte sich in ihrem
Arm. Hermine versuchte, ruhiger zu bleiben, aber es war schwer.
„Nein,
natürlich nicht“, erwiderte er trocken. „Gefangene mit bestechlichen,
unterbelichteten Wärtern alleine zu lassen ist garantiert die Idee des
Jahrhunderts, Madame Minister“, benutzte er ihren Titel durchaus abwertend, mit
erhobener Braue, die sie gruseliger Weise an seinen Vater erinnerte.
„Du
unterstellst allen etwas Schlechtes“, bemerkte sie bloß.
„Nein.
Aber Strafgefangenen, ohne moralischen Kompass – ja, definitiv. Du wirst
sehen“, sagte er bloß, als wäre sie ein bockiges Kind.
„Das
werde ich“, bestätigte sie bitter.
„Mum,
Scorpius weiß über solche Dinge Bescheid“, äußerte ihre Tochter das Dümmste,
was eine Tochter jemals äußern könnte, und Hermine schenkte ihr einen
säuerlichen Blick. „Er hat meistens Recht“, würzte Rose ihre Worte noch mit
einer unbewussten Beleidigung.
„Das
ist schön. Aber ich habe ebenfalls meistens Recht“, kommentierte Hermine die
Worte angemessen scharf.
„Scorpius
war Schulsprecher“, entgegnete Rose lächelnd, als übertrumpfe Schulsprecher
Ministerin zu jeder Tageszeit. Hermine atmete hörbar ein. Scorpius‘ Mundwinkel
zuckten, während er seine Dokumente weiter studierte.
„Das
hört die klügste Hexe des Jahrgangs bestimmt nicht gern“, bemerkte er glatt,
und sie hasste, dass er diese trivialen Dinge wusste. Und sie gegen sie
ausspielte.
„Weißt
du was“, begann Hermine gereizt, und das Baby war mittlerweile hellwach, „hätte
ich nicht den gesamten Krieg über damit zu tun gehabt, elenden
Todesser-Idioten, wie-“
„-könnt
ihr aufhören?“, bat Rose knapp, und Hermine und Scorpius sahen sich an.
Scorpius lauerte praktisch auf die Beleidigung, aber Hermine riss sich
zusammen, nur um von ihrer Tochter weiter genervt zu werden. „Mum, könntest du
die Einladung noch bestätigen? Wir gehen alle, nicht wahr?“, wollte sie wissen,
wedelte mit dem Brief, und Hermine könnte kotzen.
„Sicher“,
bestätigte sie dumpf, denn sie konnte Scorpius‘ ewige Drohung förmlich spüren.
Diese miese Ratte. Kurz überlegte sie, der ganzen Farce ein Ende zu setzen,
Scorpius alles auffliegen zu lassen, damit sie ihre Nachmittage nicht in seiner
Gesellschaft verbringen musste, aber mit größter Beherrschung kämpfte sie den
Wunsch zur Selbstaufgabe nieder.
„Auch
wenn es euch nicht interessiert“, ergänzte Rose beleidigt. Scorpius beugte sich
wieder über die Unterlagen.
„Emily
ist zu jung“, war alles, was er sagte, und es überraschte Hermine fast.
„Emily
ist alt genug, solche Entscheidungen zu treffen“, eilte Rose scheinbar zur
Hilfe. Scorpius hob den Blick erneut.
„Sie
ist dreißig. Sie hat keine Ahnung, was sie tut“, schloss er das Thema ab. Eiskalt.
Hermine begriff den Jungen nicht. Nicht immer, nie wirklich.
„Sie
ist fünf Jahre älter, als ich!“, behauptete Rose wütend.
„Ganz
genau mein Punkt“, sagte Scorpius, ohne aufzusehen, und Hermine sah ihn
stirnrunzelnd an. Gerne würde sie ihm aufzeigen, dass er sich selbst wie ein
widerliches Kind verhielt, was mit Leuten spielte – und vernünftig war er ganz
und gar nicht!
„Madame“,
unterbrach die zuständige Pflege-Hexe ihre Gedanken. „Das Baby muss trinken“,
sagte die Hexe, und unwillig überreichte Hermine das süßeste Baby der Welt an
die Frau, die nicht Rose war. Ihre Tochter schien kein Bedürfnis zu verspüren,
ihr Baby zu versorgen. Hermine sagte gar nichts dazu. Merlin sei Dank kam Darcy
ebenfalls ins Zimmer!
„Hermine,
ich bräuchte-“
„-sie
kommt gleich. Zuerst kannst du ihr eine Feder bringen, damit sie die
Antwortkarte unterschreibt“, unterbrach Scorpius ihre Assistentin glatt, hob
knapp den Blick, um ihr wohl mental mitzuteilen, dass er ihren Plan
durchschaute, Abstand zwischen sich und ihn zu bringen. Darcy warf ihr einen
kurzen Blick zu, und Hermine atmete angestrengt aus.
„Ich hatte angenommen, du heißt die Entscheidung nicht für gut?“, sprach sie
kühle Worte, und Scorpius strich gereizt einen scheinbar fehlerhaften Satz mit
der Feder durch, ehe er den Blick wieder hob.
„Mag
sein. Aber es ist nicht meine Entscheidung, und es wäre doch wirklich schade,
einen solchen Anlass zu versäumen, wo die gesamte Familie zusammentrifft, nicht
wahr, Hermine?“, fragte er sie direkt, und zähneknirschend fiel ihr Blick auf
ihren Schoß. Merlin, es war eine reine Geduldsprobe mit ihm.
„Eine
Feder bitte“, wandte sie sich gepresst an Darcy und begriff nicht, weshalb sie
zu dieser dämlichen Verlobungsfeier mussten, wenn Scorpius Emily sowieso nicht
leiden konnte. Wahrscheinlich konnte er sie ebenso wenig leiden.
Sie
konnte nicht erwarten, zu verschwinden!
~*~
Endlich
waren sie allein! Endlich! Hermine hatte nicht ausgehen wollen, hatte nicht in
die Stadt, ins Restaurant oder Café gewollt, denn es bedeutete einfach nur
unnötig viel Presse und dreitausend Wachmänner, die jede Bewegung inspizierten.
„Ich
hätte auch zu dir kommen können“, sagte Desmond lächelnd, die Haare wellig und
gepflegt, der Dreitagebart getrimmt, und sein Aftershave roch frisch und herb
zugleich. Sehr einladend, wie sie empfand.
„Bloß
nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd.
„Ich hätte deine Tochter wiedersehen können, deinen Enkelsohn“, fuhr er fort.
„Ja,
wann anders“, wiegelte sie ab.
„Ich dachte,
du hättest sie extra geholt?“, wollte er grinsend wissen, während er ihr einen
Platz auf der schmalen Couch anbot und sie sich setzte, bevor eine Hexe ins
Zimmer kam, um ihnen erneut Tee zu servieren. Hermine hatte keine Nerven mehr
für Tee. Ein Glas Wein wäre wesentlich angebrachter, empfand sie.
„Deliah“,
wandte sich Desmond an die junge Hexe, und scheu hob diese den Blick.
„Ja, Lord Ferrars?“, fragte sie ergeben, und Hermine hasste die Titel und das
ganze Drumherum.
„Wie
wäre es, mit etwas… gehaltvollerem als Tee?“, schlug er zwinkernd vor.
„Sie…
meinen…?“ Die Hexe war etwas schwer von Begriff.
„Alkohol,
ja“, machte er es deutlich, und die Hexe verneigte sich hastig.
„Sehr
wohl, Lord Ferrars, Madame Minister“, wurde auch sie scheu zur Kenntnis
genommen, und unter viel Geknickse verschwand das Mädchen wieder.
„Wird
dein Personal abends ausgepeitscht, oder warum sind sie alle so hörig?“, fragte
sie kopfschüttelnd, und er musste tatsächlich lachen.
„Ich
liebe deinen Humor“, sagte er lachend.
„Ich
meine das sehr ernst“, widersprach sie mit gerunzelter Stirn.
„Wie
ist es, ohne Personal aufzuwachsen, Hermine?“, erkundigte er sich mit
verschränkten Armen bei ihr.
„Himmlisch“,
rief sie aus und verdrehte verzweifelt die Augen.
„Du wirst dich gewöhnen“, versprach er achselzuckend, aber sofort schüttelte
sie den Kopf.
„Ich
werde mich niemals gewöhnen, von vorne bis hinten bedient zu werden“, verneinte
sie konsequent.
„Manche
würden sagen, es wäre der einzige Vorteil, den der Ministerposten zu bieten
hat“, merkte er nachsichtig an, und sie verzog den Mund, sagte nichts dazu.
„Also, Streit mit der Familie?“, griff er das vorangegangene Thema wieder auf,
aber sie seufzte lediglich.
„Nein.
Ich… die Beziehung zu Scorpius ist… schwierig“, fasste sie es in bescheidene
Worte.
„Scorpius
Malfoy…“, sagte er kopfschüttelnd. „Er ist… nicht einfach“, bestätigte er.
„Fähig, keine Frage, überdurchschnittlich intelligent, soweit ich höre – und
natürlich klug genug, eine Weasley zu heiraten“, schloss er.
„Mh“,
machte sie unzufrieden, und Desmond lachte wieder.
„Wäre
Rose nicht gewesen, denke ich, dass Troy und Scorpius gute Freunde geworden
wären, denkst du nicht?“
„Ich
glaube nicht, dass Scorpius überhaupt irgendwelche guten Freunde hat. Ich sehe
ihn nur bei uns rumhängen, Rose nerven und mich nerven“, beschwerte sie sich
wütend. „Oder er betrügt meine Tochter, prügelt sich mit der Verwandtschaft,
und-“
„-immerhin
passiert etwas bei dir“, unterbrach er sie grinsend.
„Oh, vielen Dank. Da verzichte ich liebend gerne drauf“, beteuerte sie traurig.
„Troy
ist immer noch alleinstehend, kein Mädchen in Sicht. Keine Hochzeit, kein
Kind“, führte Desmond aus, und Hermine verdrehte die Augen.
„Troy ist jung, er lässt sich Zeit. Das ist keine Schande“, sagte sie nur.
Die
Tür öffnete sich, Deliah brachte ein Tablett mit Karaffen, gefüllt mit Rotwein,
Weißwein, ein Kelter mit Wasser, hohe Gläser, tiefe Gläser. Hermine spürte, wie
sie sich entspannte. Alkohol wäre nett.
„Danke,
Deliah. Das wäre alles“, ergänzte er.
„Sehr
wohl, Lord Ferrars, Madame Minister“, verabschiedete sich die Hexe mit einem
letzten Knicks, und erwartungsvoll setzte sich Hermine aufrechter hin, als
Desmond ihr schließlich ein Glas Rotwein reichte.
„Das…
ist unser erstes Date, und ich schlage vor, wir stoßen offiziell darauf an,
meinst du nicht?“ Hermine musste grinsen, bei seinen Worten.
„Sehr
gerne, Desmond“, entgegnete sie. Mit schlichter Absicht war ihr Kleid etwas zu
kurz, obwohl es mittlerweile schon zu kalt für diese Art von Mode war. Es
betonte ihre Kurven, und der Ausschnitt war ungleich tiefer, als ihre
Arbeitsgarderobe es wohl zuließ. Sie hatte offen gesagt nicht vor, sonderlich
keusch oder zurückhaltend zu sein. Viel zu häufig hatte sie in den letzten
Wochen von Malfoy geträumt – und es waren keine anständigen Träume, so viel
konnte sie sagen. Sie brauchte dringend hormonelle Ablenkung, nach dem
unmenschlichen Kräfteakt, ihr Gewicht loszuwerden. Es hatte nicht so erfolgreich
funktioniert, wie sie es beabsichtigt hatte, aber es reichte.
Für
sämtliche ihrer Zwecke würde es reichen müssen.
Er
setzte sich neben sie auf die Couch, sie stießen an, und Hermine trank einen
zügigen Schluck. Der Ministerschutz war abgezogen. Desmonds Haus war sicher
genug, besaß genügend Personal und ebenfalls eine hohe Mauer, welche nicht
unbeaufsichtigt war. Ihr Schutz würde erst kommen, wenn sie es anordnete, und
von ihr aus, musste es heute nicht mehr sein. Ihr Herz schlug erwartungsvoll,
denn es war ihre erste offizielle Verabredung nach ihrer Trennung.
„Ich
freue mich, dass du meine Einladung angenommen hast“, erklärte er lächelnd, und
sie erwiderte es nervös.
„Ja,
ich… wollte nicht mehr warten“, gestand sie ein, und er betrachtete sie
ausgiebig.
„Du
siehst absolut unglaublich aus, Hermine“, sagte er still, und sie glaubte ihm
nicht, aber es war egal. Sie glaubte selten irgendwelchen Komplimenten, und sie
brauchte sie auch nicht. „Aber du sahst schon immer-“ Sie hatte sich einfach
vorgelehnt, verschloss seine Lippen beinahe unbeholfen, und er schwieg abrupt.
Sanft zog sie den Kopf zurück und sah zu ihm auf.
„Ich
hoffe, das war ok?“, fragte sie vorsichtig, aber er antwortete nicht, nahm ihr
das Glas aus der Hand, stellte beide blind schräg hinter sich auf den kleinen
Tisch, bevor er sich ihr wieder zuwandte, die Hand um ihren Hals legte, und sie
für einen Kuss zu sich zog.
Es
war absolut perfekt! Ihr Herz schlug schnell in ihrer Brust, und ohne großartig
über Anstand und Etikette nachzudenken, presste sie sich an ihn, schloss den
Abstand, griff in seinen Nacken, und stöhnend zog er sie näher. Ihre Lippen
öffneten sich und zuerst zaghaft drang seine Zunge in ihren Mund, bevor er jede
Scham verlor und sie mit seinem Gewicht nach unten auf die Couch drückte. Sie
genoss sein Gewicht auf ihrem Körper, genoss wie seine Hände sie berührten, wie
er hart in ihre Taille griff, und sie hatte Mühe sein Jackett auszuziehen.
Kurzatmig
löste er den Kuss. „Hermine“, begann er schwer atmend, und ungeduldig sah sie
zu ihm auf.
„Was?“,
entkam es ihr, beinahe verzweifelt.
„Ich…
will das wirklich!“, beteuerte er, und sie wollte aufschreien vor Wut. Er ließ
sie doch wohl nicht ernsthaft abblitzen?!
„Aber?“,
wollte sie angespannt wissen, und er zog sich von ihr zurück.
„Aber
vielleicht sollten wir warten, bis deine Scheidung durch ist? Einfach… der Form
halber?“ Sein Atem ging schwer, und sie verzog den Mund.
„Wir
haben eine Verabredung, Desmond“, erinnerte sie ihn bitter.
„Ja,
aber… ich wusste nicht, dass du… direkt…“ Er beendete den Satz nicht, und sie
wusste nicht, was ihn trieb. Ob sie ihm recht geben sollte, oder ob er einfach
übertrieb. Ihrer Meinung nach übertrieb er maßlos, aber sie war Ministerin.
Musste sie sich darüber Gedanken machen, dass sie noch nicht geschieden war?
Nein.
Nein, musste sie ihrer Meinung nach nicht. Was sollte das?! Sie setzte sich
auf, strich kurzes Kleid glatt und musste sich erst wieder sammeln.
„Ich…
will es richtig machen, Hermine. Ich will es offiziell. Nicht… heimlich und
verborgen.“ Sie blickte hinab auf ihre Hände, nicht sicher, was sie sagen
sollte.
„Wenn
ich mit dir ausgehe, dann soll die Welt wissen, dass… ich mit dir ausgehe“,
schloss er schlicht. Sie würde nicht ertragen, wieder von Malfoy zu träumen,
weil ihr jetziger Kandidat Ehre und Anstand besaß.
Sie
würde verrückt werden.
„Der
Termin zur Scheidung ist in drei Wochen Desmond“, warnte sie ihn jetzt. „Warum
musste du-?“
„-und
in drei Wochen werde ich mit dir ausgehen“, unterbrach er sie bestimmt.
Verzweiflung überkam sie wieder. „Und du wirst die Nacht über nicht schlafen,
das verspreche ich dir“, ergänzte er mit rauer Stimme, und sie überschlug die
Tage in ihrem Kopf, während ihr Unterleib bei seinen Worten praktisch
vibrierte. Er war so unfassbar scheiße. Sie würde innerlich sterben vor Lust.
„Begleite
mich zu Malfoys Verlobungsfeier“, sagte sie dann gepresst, weil sie sich nicht
streiten wollte, weil er ein Gentleman war und sie ihm Sex aufzwingen wollte.
Welcher Mann sagte nein? Welcher?! „Offiziell genug für dich?“, ergänzte sie
eine Spur kälter, aber er schenkte ihr ein warmes Lächeln.
„Abgemacht“,
entgegnete er. „Was kann ich tun, damit du nicht mehr sauer bist?“, wollte er
wissen, und sie wüsste, was er tun könnte, aber sie sparte sich das. Unmöglich.
„Könntest…
du mich noch einmal küssen? Ist das erlaubt?“, wollte sie direkt von ihm
wissen, und er rückte wieder näher.
„Absolut,
Madame Minister“, sagte er und küsste sie wieder sanft mit seinen perfekten
Lippen. Sie kam sich vor wie ein Teenager. Es war lange her, dass sie einen
Mann einfach nur geküsst hatte.
Aber…
es war sehr erregend. Wie ein sehr langes Vorspiel. Ein quälendes,
nervenzerfetzendes Vorspiel. Wehe, es würde sich nicht lohnen. Wehe! Aber sie
nahm an, in drei Wochen wäre sie so verzweifelt, dass es der beste Sex ihres
Lebens werden würde.
Auch
wenn ihr das heute nicht sonderlich viel half, dachte sie wehmütig.
Part 3 – A Touch of Imperfection
„He
shall never know I love him: and that,
not because he’s handsome,
but because he’s more myself than
I am.
Whatever our souls are made out
of,
his and mine are the same.“
- Emily Brontë
14. parting is such a sweet sorrow
Fast ein
wenig erwartungsvoll blickte sie sich um. Verstohlen hatte sie den Atem
angehalten. Sie hatte sich insgeheim vorgestellt, dass irgendwelche
überirdischen, göttlichen Gestalten aus der Erde schmolzen, sich hoch
auftürmten, den drohenden Finger schwangen, weil gerade etwas Erhebliches
passierte. Weil etwas geschah, worüber zumindest eine kirchliche, eine
metaphorische Welt die Stirn runzelte.
Aber
es wurden keine Holzscheite für ein Fegefeuer herbeigeschafft. Der Beamte
kramte keine Peitsche, die vielleicht für solche Zwecke üblich war, aus seinen
vielen Schreibtischschubladen. Es ertönten keine Posaunen von Jericho, keine
Fanfaren. Die ganze Angelegenheit wurde nicht mit einem devotionalen
Gerichtshammer beendet, der trommfellzerschmetternd auf den dunklen
Mahagonitisch niedersauste.
Kein
„im Namen des Volkes…“, nicht mal ein beachtender Augenschlag des Beamten
folgte. Nein, es war… enttäuschend? War es das, was sie dachte?
Sie
gab es zu, sie hatte etwas mehr erwartet. Nicht einmal der Himmel verdunkelte
sich. Die gesamte Welt schien sich nicht weniger darum kümmern zu können, dass
ihre Ehe gerade beendet worden war. Natürlich nur formell. Beendet war sie
bereits vor einem Jahr gewesen, als Ron überstürzt das Haus verlassen hatte.
Merlin, war es schon ein Jahr her? Wo war die Zeit geblieben?
Sie
war immer dem Gesetz hörig gewesen, versuchte, immer die richtige Entscheidung
zu treffen, und jetzt ärgerte sie sich, dass sie diesem bürokratischen Ritual
mehr Effekt einräumen wollte, als sie willig war ihrem letzten Streit
zuzugestehen.
Denn
das sollte der wichtigste Moment gewesen sein. Der kritische Punkt.
Das
hier war nur reine Form.
War
es, weil Konventionen sie zwangen, ruhig nebeneinander zu sitzen, als wäre
alles in Ordnung? War es, dass sie beide aussahen, als würden sie einer
Bestattung beiwohnen, anstatt der Auflösung ihrer Ehe? Waren es alles
aufgezwungene Verhaltensweisen, weil man es so gelernt hatte, weil man aus
irgendwelchen Gründen Respekt vor einer selbstgeschaffenen Obrigkeit hatte, die
man für gewöhnlich in den eigenen vier Wänden belachte?
„-Miss
Granger?“
Und
beinahe hatte sie nicht reagiert. Nicht reagiert auf ihren eigenen Namen, an
den sie seit achtundzwanzig Jahren kaum mehr einen Gedanken verschwendet hatte,
aber sie bekam ihren Namen zurück. Inoffiziell zumindest. Sie wusste nicht, ob
die amtierende Ministerin einfach so ihren Namen ändern durfte. Sie hatte noch
nicht mit Mr. Tavish darüber gesprochen.
„Eine
letzte Unterschrift“, schien der Beamte zu wiederholen, und Hermine riss sich
zusammen, ergriff die Feder, die er ihr bot und zeichnete ihren – alten, jetzt
wieder neuen – Namen auf das Pergament. Sie las nicht einmal, was sie
unterschrieb. Sie nahm an, es war lediglich die Gebührenrechnung des Beamten.
Für so etwas Banales unterschrieb sie das erste Mal nach all den Jahren mit
ihrem eigenen Namen! Ein Todesurteil sollte sie unterzeichnen, einen
Sechser-Lottoschein! Irgendetwas, dass etwas wichtigeres ausdrückte, als
schlicht und ergreifend die Tatsache, dass sie dreiunddreißig Galleonen und
achtundzwanzig Knuts dafür gezahlt hatte, dass ein Beamter ihr sagte, dass er
drei Kopien des Scheidungsbriefs angefertigt hatte – für was auch immer!
Nein,
sie war enttäuscht. Ernsthaft enttäuscht.
Und
neben ihr erhob er sich, als hätte er ein Signal gehört, was nur Männer hören
konnten. Als hätten sie im Büro des Schulleiters gesessen, um sich eine
Moralpredigt anzuhören. Und nicht einmal das war der Fall gewesen. Er griff
sich an die Krawatte, als schmerze sie ihn physisch, als könne er nicht
erwarten, sie sich von seinem Nacken zu zerren, sich nackt auszuziehen und über
die Straße zu tanzen. So kam er ihr vor. Als müsse er dringend zur Toilette. Er
war anstrengend nervös, bedachte sie mit keinem Blick, während sie an ihm
aufblickte, sanfte Gereiztheit in ihren Zügen, während er sich wortkarg
verabschiedete – und ging.
Keine
Guillotine zerteilte seinen Körper, als er das Büro verließ. Sie konnte sich
gerade noch davon abhalten, den Kopf über ihn zu schütteln.
„Madame
Minister…?“, sagte der Beamte eindeutig zu ihr, und auch er hatte sich
erwartungsvoll erhoben, die Augen groß, gemimtes Verständnis im blassen
Gesicht. Sie atmete aus und erhob sich mit gewisser Schwere, denn ihr kam es
vor, als hingen tonnenschwere Gewichte an ihren Gliedern. Sie wurde von der
moralischen Keule nämlich erdrückt, die mit einer Scheidung einherging.
Sie
hatte versagt. Und sie versagte selten. Das war es, nahm sie an. Es war wie das
Ergebnis einer Prüfung, deren Ausgang sie sich sicher gewesen war. Und jetzt
hatte sie die Note ‚Troll‘ kassiert.
„Wiedersehen“,
verabschiedete sie sich ein wenig bitter, und der Beamte lächelte höflich, wenn
auch leer.
„Einen
schönen Tag noch“, erwiderte er, und sie konnte nicht begreifen, wie er denken
könnte, irgendjemand, der sein Büro verließ, würde einen schönen Tag haben.
Aber sie sagte es ihm nicht, verließ das Büro, und war froh, sich endlich mit
anderen Dinge befassen zu können.
„Hermine?“
Sie wandte den Blick. Er druckste sich im Flur herum, während der
Ministerschutz auf sie wartete. Ihr Exmann. Es war so schrecklich offiziell.
Sie hatte geglaubt, würde sie jemals irgendwo versagen, würde die Welt eine
Konferenz einberufen und ihre Fehler diskutieren. Aber nichts! Die
Gleichgültigkeit der Welt war keine Schonfrist bis zum Verhandlungstag gewesen,
sie bekam keine ultimative Strafe. Nein, ihre ultimative Strafe war die
grenzenlose Gleichmütigkeit des Tages.
Niemand
stürmte auf sie zu, bemitleidete sie, denn der Umstand, dass sie von Trennung
auf Scheidung umgestiegen war, war nicht erheblich. Es war einfach nur
endgültiger. Und Ron schien vor dem Beamten nicht hatte reden zu wollen, aber
jetzt sah er sie an, wartete, dass sie näher kam, und widerwillig bedeutete sie
den Wachen, zu warten.
„Ron“,
erwiderte sie, und hätte damals nie gedacht, dass sie seinen Namen nur noch
selten äußern würde.
„Es…
tut mir leid“, sagte er tatsächlich. Er sah schrecklich förmlich aus. Sie war
schon gewöhnt, selber jeden Tag so auszusehen, als ginge sie auf Trauerfeiern,
aber Ron stand es nicht. Überhaupt nicht.
„Mir
auch“, erwiderte sie, und es war traurig.
„Ich…
treffe mich gleich mit Hugo“, erklärte er. „Und Lavender“, schien er ergänzen
zu müssen.
„Wie
nett“, bemerkte sie knapp.
„Ich
wollte dir nur sagen, dass… dass ich falsch reagiert habe, damals“, räumte er
ein. Sie runzelte die Stirn.
„Wann
genau?“ Sie konnte nicht verhindern, kalt und abweisend zu klingen, denn jetzt
brauchte sie seine Entschuldigungen auch nicht mehr.
„Mit
Rose“, sagte er bloß. „Es… liegt nicht an den Malfoys“, ergänzte er stiller.
„Es ist ein großer Teil, aber… ich glaube, es war alles.“ Sie sah zu ihm auf,
nicht sicher, was sie mit seinen Worten anfangen sollte. „Du… bist Ministerin,
Hermine.“ Er sagte es leise, etwas ehrfürchtig.
„Und?
Was soll das heißen?“ Fast klang sie angriffslustig. Sie waren keine Freunde
mehr, stellte sie überrascht fest. Ron war nicht mehr ihr Mann, er war nicht
mehr ihr Freund.
„Deine
Karriere war immer wichtig. Und ich verstehe das, Merlin, sieh dich an!“, sagte
er eindeutig. „Vielleicht musste es so kommen. Das ist alles, was ich sagen
will.“
„Es
ist ein Job, Ron. Mehr nicht.“
„Es
ist mehr als das“, widersprach er ruhig. „Und ich passe nicht dazu“, ergänzte
er. „Und… Rose passt zu den Malfoys“, sagte er stiller, fast resignierend.
„Passt
sie nicht“, entgegnete sie sofort, aber sie wusste, was er meinte. Es machte es
nur nicht besser.
„Pass
gut auf dich auf, ja?“, verabschiedete er sich schließlich, und wenn sie
geglaubt hatte, Ron würde um sie kämpfen, sie zurückholen wollen, weil sie doch
augenscheinlich der Hauptgewinn war, hatte sie sich geirrt.
Ron
schien lange überwunden zu haben, kein Teil mehr ihres Lebens sein zu wollen,
und es versetzte ihr einen dumpfen Stich. Man glaubte immer, man wäre der
Mittelpunkt allens, und manchmal kam sie sich so vor, wenn die Zeitungen
allesamt ihren Namen auf der Titelseite verkündeten, aber sie stellte fest, in
Rons Leben bezog sie keinen Mittelpunkt mehr.
„Du
auch“, rang sie sich die steifen Worte ab, und mit einem schmalen Lächeln
machte er Kehrt, ließ sie zurück, und sie wusste, es würde kein guter Tag
werden. Er fing schon bedeutend schlecht an.
~*~
Er
kam nach Hause, und etwas war anders. Er konnte es nicht direkt benennen, aber
er spürte es. Emily begrüßte ihn nicht, wie sonst. Er sah sie nirgendwo. Auch
das Personal schien sich zu verbergen, und er hatte keine Lust auf
Versteckspiele. Er war erschöpft, er war hungrig, es war spät, und er wollte
den Abend ausklingen lassen. Er betrat das Esszimmer, wo bereits der Tisch
gedeckt wurde.
„Wo
ist Emily?“, fragte er die Hexe direkt, und diese neigte kurz den Kopf.
„Miss
Bennett ist in den Gemächern, Sir“, wurde ihm die Auskunft erteilt, und er
atmete gepresst aus.
„Danke“,
erwiderte er bloß, steuerte den Flur an, bis er zum Treppenhaus kam. Er musste
mit Emily reden. Es gab Dinge zu besprechen, Planungen zu erörtern, und die
neuesten Neuigkeiten konnte er ihr nicht vorenthalten, denn er wusste selber
nicht wirklich damit umzugehen.
Nach
einer Endlosigkeit, so kam es ihm vor, war er oben angekommen und klopfte an
die Flügeltür zu ihren gemeinsamen Gemächern. „Emily?“, fragte er der
Höflichkeit halber und öffnete dann die Tür. Zuerst entdeckte er sie nicht. Die
Vorhänge waren zugezogen und nur spärliches Licht fiel ins Innere des
fliederfarbenen Zimmers. „Emily?“, wiederholte er, und näherte sich dem Bett.
Schlief sie? Ihr Rücken hob sich in flachen, abgehackten Atemzügen. Sie hatte
ihm den Rücken gekehrt. Er setzte sich neben sie auf die Kante. „Emily, was ist
los?“ War sie krank? Er konnte sich nicht erklären, warum-
Sie
wandte sich um, sah zu ihm auf, und sein Atem stockte. Ihr hübsches Gesicht war
verweint, die Augen gerötet, und es war keine Laune, kein Stimmungsumschwung –
es war schlimm. Er sah es.
Sie
schüttelte schluchzend den Kopf. „Es hat keinen Herzschlag mehr“, flüsterte
ihre Stimme, und sein Kiefer gab nach. „Draco“, flüsterte sie zitternd, und mit
dem nächsten Schwall an Tränen zog er sie in seine Arme, fragte nicht weiter,
wollte es gar nicht genauer wissen, wollte kein Wort mehr sagen.
Das
Baby hatte keinen Herzschlag mehr. Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Es fühlte
sich schrecklich an. Er hatte sich abgefunden, hatte sich gefreut, hatte
Erwartungen gehegt, hatte sich ein Mädchen gewünscht, hatte in seinem Kopf so
viele Dinge geschworen, die er besser machen würde – dieses Mal.
Und
jetzt? Jetzt… würde das kleine Wunder nicht kommen, würde seine kleinen Finger
nicht um seinen Daumen schließen, würde nicht auf seinem Arm einschlafen. Er
blinzelte die Tränen fort.
„Wieso
hast du nicht Bescheid gesagt?“, wollte er stockend wissen, und sie vergrub
sich in seiner Schulter.
„Ich…
konnte nicht“, wimmerte sie. „Draco, ich muss heute Abend ins Mungo. Sie werden
es… entfernen“, ergänzte sie unter schweren Atemzügen.
„Ich
komme mit dir“, sagte er sofort, wie er sofort Astoria zugesichert hatte, sie
ins Mungo zu begleiten, als die Krankheit schlimmer geworden war. Es war
anders, sicher, aber es fühlte sich sehr ähnlich an. Nur hatte Astoria nicht
geweint. Sie hatte nie geweint, erinnerte er sich. Nur er hatte das.
„Ich…
kann nicht…- ich hatte mich so sehr gefreut, Draco. Und jetzt… jetzt ist es
fort“, flüsterte sie erstickt.
„Ich
weiß. Ich… hatte mich auch gefreut.“ Und es stimmte. Er hatte sich gefreut.
„Sollen wir die Feier absagen?“, wollte er still wissen, aber sie ruckte mit
dem Kopf.
„Der
Saal ist gebucht, der Caterer-“
„-das
ist doch völlig egal“, unterbrach er sie.
„Die
Einladungen sind raus“, fuhr sie fort. „Nein, ich…- wir können nicht absagen,
Draco.“ Er hasste, dass die Etikette ständig und überall vor ging.
Dasselbe
Gespräch hatte er heute bereits mit seiner Mutter geführt. Denn er war so spät
dran, weil er im Herrenhaus hatte vorbeischauen müssen. Heiler Cormack war
dort. Lucius hatte das zweite Aneurysma im Kopf, und dieses Mal hatte Magie
keine Heilung bringen können. Er würde sterben. Bald. Er konnte nicht mehr
aufstehen, konnte nicht mehr sprechen, aber jetzt schien nicht der richtige
Moment, um diese Sache zu berichten.
Sie
sank an seine Schulter zurück, und er hielt sie fest.
Kein
Baby mehr.
Er
schloss die Augen und wusste nicht, was er fühlen sollte.
…
Der
Abend verging zäh, in Schüben, so hatte er das Gefühl. Eine Ewigkeit waren sie
Zuhause gewesen, hatten gepackt, wenig gesprochen, Emily hatte geweint, er
hatte sie gehalten, hing seinen Gedanken nach, und wieder einmal überkam ihn das
Gefühl, zu alt zu sein.
Irgendwann
hatte Emily es Narzissa berichtet, und Narzissa hatte daraufhin von Lucius
erzählt. Emily weinte seitdem nur noch mehr, und Draco war angeschrien worden.
Er
nahm es nicht sonderlich ernst. Emily schrie nicht ihn an, wusste er. Er war
nur gerade da.
Dann
waren sie ins Mungo gefahren, still in der Kutsche. Sie hatten nicht mehr
gesprochen, bis sie auf der Station angekommen waren. Es war in Ordnung. Ruhig,
Einzelzimmer, eine Suite praktisch. Der Chefheiler hatte sie begrüßt, und erst,
als der Assistenzheiler die Suite betrat fokussierte sein Augenmerk.
„Miss
Bennett, Mr. Malfoy“, begrüßte Hugo Weasley sie, und ihn umgab dieselbe
Ernsthaftigkeit wie er sie stets bei Hugos Mutter spürte.
„Heiler
Weasley“, erwiderte er die Begrüßung, sprach seinen Namen still, denn für
gewöhnlich vermied er, den Namen überhaupt zu benutzen.
„Ich
nehme Anteil an Ihrem Verlust. Wir haben einige Möglichkeiten, wie eine
Verabschiedung aussehen kann“, begann er dann, und anscheinend gehörte Hugo zum
gynäkologischen Team, was Sinn machte, war er auch bei seiner Schwester
anwesend.
„Verabschiedung?“,
wiederholte Emily schniefend, und Draco mochte den Klang überhaupt nicht.
„Ja,
es kommt ganz darauf an, was man möchte. Es kann alles sehr anonym passieren –
wir… würden Sie, Miss Bennett, in einen Schlaf versetzen, den Embryo entfernen,
Sie wachen auf, und mit einigen Hormontränken wird sich Ihr Körper fühlen wie
zuvor, oder wir übermitteln Ihnen, was wir schon wissen, schon… erkennen
können“, formulierte er es behutsam.
„Auf
keinen Fall“, sagte Draco sofort, aber Emilys schockierter Blick machte ihm
deutlich, dass sie da wohl auf ganz verschiedenen Seiten standen.
„Sie
meinen“, begann Emily vorsichtig, „man kann etwas erkennen?“, flüsterte sie.
„Geschlecht,
das Aussehen, mit einem Zauber lässt sich ein Abbild erstellen, wie der Embryo
möglicherweise später ausgesehen hätte – diese Dinge. Wer es möchte“, ergänzte
er mit Blick auf ihn. Und Draco nahm an, er sah mäßig angewidert aus, denn Hugo
faltete die Hände und schenkte Ihnen ein anteilnehmendes Heiler-Lächeln. „Ich
gebe Ihnen einige Minuten“, verabschiedete er sich, und Draco wartete, bis er
das Zimmer verlassen hatte.
„Emily“,
begann er vorsichtig, „ich schlage vor, wir bringen dieses Kapitel so schnell
wie möglich hinter uns und halten uns nicht zu lange mit schmerzhaften
Erinnerungen auf“, sagte er sachlich, aber Emily weinte bereits.
„Draco,
ich habe diesen Embryo in mir getragen, habe ihn mit meinem Körper geschützt,
ihn geliebt, vier Monate lang!“, fuhr sie ihn an. „Wie kannst du so herzlos
sein? Kein Wunder, dass du Astorias Tod nicht überwindest!“, fuhr sie ihn an,
und wieder war es ein tiefer Schlag. Er biss die Zähne zusammen. Astorias Tod
hatte sich Jahre hingezogen. Die Krankheit war ungnädig gewesen, kam in
Schüben, war wieder abgeklungen, bis es irgendwann so schlimm geworden war,
dass sie Monate nur noch im Bett liegen konnte, ohne je wieder aufzustehen.
Die
einzige Frau zu überwinden, die er je gewollt und geliebt hatte – würde niemals
passieren. Und immer und immer wieder glaubte er, zu erkennen, was für einen
Fehler er mit Emily gemacht hatte.
Aber
jetzt wäre ein denkbar schlechter Zeitpunkt, dieses Problem zu erörtern, nahm
er bitter an. Also ignorierte er ihren Tiefschlag, denn sie meinte es nicht so.
Wahrscheinlich schon, aber er würde es ihr heute nicht vorhalten. Sie war jung,
impulsiv, sie dachte nicht nach. Er war alt. Und er fühlte sich so. Mit ihr
jeden Tag älter.
„Du möchtest
ein Abbild sehen, möchtest wissen, was niemals sein wird? Was du niemals haben
kannst? Ist nicht wissen manchmal nicht besser, als jedes Detail zu kennen?“
In
dem Zuge dieser Worte wünschte er sich plötzlich, Hermine Weasley wäre niemals
zur Hochzeit seines Sohnes gekommen. Er wusste nicht, warum er jetzt wieder an
sie dachte. Vielleicht lag es an Hugo, an schmerzhaften Dingen, an… seinem
kranken Kopf.
„Nein!“,
widersprach sie. „Ich würde mich fragen, was gewesen wäre, Draco! Ich würde den
Embryo um seine Existenz betrügen, wenn ich ihn einfach bewusstlos entfernen
lasse!“
„Seine
Existenz? Er ist tot, Emily“, sagte er behutsam, und Tränen quollen aus ihren
Augen.
„Ja,
ich weiß das“, zischte sie. „Aber… er war da. In mir! Ich habe ihn gespürt. Und
jetzt… ist nichts mehr da, und ich kann nicht-“
„-schon
gut“, räumte er ein. Erschlagen, besiegt. „Ich werde nicht dabei sein“, sagte
er jetzt, und ihr Mund öffnete sich. Er erkannte die Gabelung des Weges vor
sich. So deutlich, dass es schmerzhaft war.
„Du
wirst gehen?“, flüsterte sie empört.
„Was
du tun willst, könnte ich nicht ertragen. Das musst du begreifen und
verstehen“, bat er sie, sehr nüchtern, sehr gefasst.
„So
etwas werde ich niemals verstehen, Draco Malfoy“, sagte sie stockend. „Ist es
dir so egal?“, wollte sie unter Tränen wissen, und er atmete gepresst aus.
„Nein, natürlich nicht. Aber ich kann es nicht ertragen, Emily.“
„Du
willst mich alleine lassen?“
„Du
lässt mich auch alleine“, erwiderte er sehr deutlich.
„Ich
bin in dieser Situation wichtiger, Draco. Meine Gefühle sind jetzt wichtiger
als deine! Verstehst du das? Ich möchte, dass du bei mir bist, dass du dir
diese Zukunft ansiehst, die nicht sein kann.“
Er
empfand so nicht. Und das sagte er auch, als es sanft an der Tür klopfte.
„Das
werde ich nicht tun. Es tut mir leid“, schloss er, schritt zur Tür, die Hugo
wieder geöffnet hatte, und tauschte einen knappen Blick mit ihm. Hugo nickte
einmal, ließ ihm den Vortritt, bevor er selbst im Zimmer verschwand und die Tür
verschloss.
Abgesehen
von ihrer Verwandtschaft hatte sie wenig Besuch bekommen in den letzten
Monaten. Es ging ihr gut, und natürlich empfing sie ihn.
Scorpius
arbeitete länger, und ihre Mum schien nur noch unterwegs zu sein. Sie saß auf
dem Sessel, das Baby auf dem Arm, aber viel konnte es nicht. Gleich würde es
ohnehin wieder einschlafen.
„Er
ist bezaubernd“, sagte Troy Ferrars mit einem Lächeln, und Rose nickte
bestätigend.
„Ja,
er ist wirklich wunderbar“, erwiderte sie.
„Ist
es schwer?“, fragte er sie dann. „Ehefrau, Mutter sein?“ Sie wusste, Troy war
Single, und fast kam sie sich vor, als könne sie nicht mehr mitreden. Einst
hatte sie dazu gehört, und plötzlich… war sie raus.
„Es
geht“, sagte sie bloß. „Die Geburt war… anstrengend“, schloss sie, und er sah
sie abwartend an. „Es hat mich viele Wochen gekostet, wieder normal zu sein“,
fuhr sie fort, und er nickte verständnisvoll.
„Du
fehlst auf der Arbeit“, räumte er ein, und sie musste lächeln.
„Das
glaube ich nicht. Ich war nie sonderlich gut“, wiegelte sie ab.
„Du
warst gut“, widersprach er kopfschüttelnd. „Und deine Gesellschaft war wirklich
schon das beste dort“, ergänzte er.
„Danke,
das ist nett, Troy“, erwiderte sie.
„Es
ist wahr“, entgegnete er mit ernstem Blick.
„Ich
habe gehört, meine Mum geht mit deinem Dad aus“, wechselte sie das Thema, denn
sein Blick war ihr unangenehm. Er war so offen, so aufrichtig. Einfach wirklich
nett.
„Jaah.
Seltsam, nicht?“ Rose nickte bloß.
„Die
Scheidung ist durch“, bemerkte sie knapp.
„Hätte
ich nie gedacht“, entfuhr es Troy kopfschüttelnd. „Dass sich Hermine und Ron
Weasley trennen würden. Damals waren sie… die Vorzeigeeltern, würde ich sagen“,
lachte er ungläubig.
„Das
waren sie nie“, sagte sie mit gesenktem Blick.
„Wie
geht es dir? Redest du mit deinem Dad? Ich meine, das war damals ja schon immer
so eine Sache, wegen… wegen…”
„Wegen
Scorpius?“, beendete sie den Satz.
„Ja“,
bestätigte er, etwas unbehaglich.
„Wir
reden“, gab sie zu. „Nicht häufig, nicht über Scorpius“, ergänzte sie vielsagend.
„Aber wir reden.“
„War
es… die richtige Entscheidung, Rose?“, wollte Troy von ihr wissen, und sie hob
überrascht den Blick.
„Die
richtige Entscheidung?“, wiederholte sie. „Troy, ich war schwanger mit seinem
Kind. Von was für einer Entscheidung redest du?“
„Ich
meine… ich weiß das“, sagte er hastig. „Ich… fand nur immer, ihr beiden wart…
es war nie…“
„Nie
was?“, entkam es ihr fast kleinlaut.
„Ach,
ich habe keine Ahnung davon, Rose. Ich… wollte nur wissen, ob es dir gut geht,
ob du… gerne seine Frau bist?“ Er hob die Arme, in einer unsicheren Geste.
War
sie gerne Scorpius‘ Frau? Sie nahm an, sie würde schlaflose Nächte verbringen,
wäre sie nicht mehr mit Scorpius zusammen, aber… es war hart. Es war nicht
einfach. Er war nie da.
„Es…
ist ok“, sagte sie dann achselzuckend.
„Es
ist ok?“, wiederholte Troy mit gerunzelter Stirn.
„Ich…
hatte es mir anders vorgestellt, aber es ist ok“, bestätigte sie schlicht. „Wir
wollen nach Schottland ziehen“, fuhr sie fort, und Troys Augen weiteten sich.
„Und
das willst du?“
„Nein“,
entkam es ihr, bevor sie nachgedacht hatte. „Ich meine, ich… natürlich will ich
das. Wir hätten ein eigenes kleines Schloss, und wir haben alles geplant.
Also…“
„In
Schottland gibt es nichts. Ihr könnt doch nicht einfach fort! Und was willst du
dort? Noch mehr Kinder kriegen?“, fragte er ernst. „Du könntest wenigstens
wieder arbeiten kommen? Wofür müsst ihr wegziehen?“
„Ich
glaube, wir sollten über andere Dinge reden, oder?“, schlug sie stiller vor,
und sein Blick fiel.
„Natürlich.
Ich wollte nicht…- Rose, es tut mir leid“, entschuldigte sich der höfliche Mann
vor ihr, mit den wilden welligen Haaren. Sie hätte sich gut vorstellen können,
seine Freundin zu werden, damals. Aber… Scorpius war so eifersüchtig gewesen.
Und natürliche hätte sie niemals nein zu Scorpius sagen können. Er war viel
beliebter gewesen, als Troy. Und dass Scorpius Malfoy sie gewollt hatte – es
hatte sie blind gemacht für alles andere.
„Es
ist ok“, erwiderte sie seufzend. Dann lächelte Troy.
„Deine
Mum ist Ministerin. Ziemlich verrückt, oder?“, wechselte er das Thema, und sie
verdrehte die Augen.
„Es
ist anstrengend und absolut furchtbar“, äußerte sie ihre Gedanken.
„Mein
Vater ist sehr stolz auf sie“, bemerkte Troy, und Rose verzog den Mund.
„Ja.
Sie haben auch höchstwahrscheinlich Sex, Troy. Also muss er sowas sagen“,
bemerkte sie mit einer angewiderten Grimasse, und Troy musste lachen. Und es
klang so angenehm, es war beinahe ansteckend, und sie musste ebenfalls grinsen.
Sie hatte vergessen, wie nett und witzig er war. So unkompliziert. So anders
als… Scorpius.
„Ich
sollte dich nicht viel länger nerven, oder?“, sagte er schließlich, und Rose
sah auf die Uhr.
„Du
kannst gerne noch bleiben“, bot sie ihm überschwänglich an. „Scorpius kommt
erst spät von der Arbeit wieder“, ergänzte sie noch und bereute es sofort. Troy
runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu.
„Ok“,
schloss er. „Dann… bleibe ich noch.“
„Erzähl
mir von der Arbeit. Gibt es… da wirklich eine Stelle für mich?“, fragte sie
beinahe vorsichtig, und sein Gesicht hellte sich auf.
„Natürlich!
Es gibt genug zu tun, und du weißt, wie alles zu machen ist. In meinem Büro
ließe sich eine Teilzeitkraft ohne Probleme unterbringen, Rose“, versicherte er
ihr, und fast musste sie lächeln beim dem Gedanken, endlich aus der Villa
rauszukommen – egal, aus welcher….
~*~
Die
erste Aufsichtsbeschwerde war gestern eingegangen. Die zweite heute. Es war
nicht sonderlich ungewöhnlich. Beschwerden gab es immer, aber Hermine konnte
Scorpius‘ Worte nicht völlig abschütteln.
Denn
die Beschwerden kamen aus Askaban. Einige Wärter hatten andere angeschwärzt,
sich über neue Methoden beschwert, eine Ungleichbehandlung der Gefangenen
bemerkt, und es bereitete ihr minimal Kopfzerbrechen. Sie konnte nicht
gebrauchen, dass sich Fronten in diesem Sektor auftaten.
Ihre
Testphase war noch lange nicht abgeschlossen. Alles andere lief gut, aber
Askaban war ihr Hauptprojekt, und es musste funktionieren. Sie wollte keine
Fehler machen.
Es
war anstrengend, alle Bälle im Blick zu behalten, und es lenkte sie erfolgreich
von der Tatsache ab, dass sie bisher zwei Verabredungen mit Desmond gehabt, und
immer noch nicht mit ihm geschlafen hatte. Seine Moralvorstellungen nagten an
ihrem Nervenkostüm, aber jetzt, wo die Beschwerden anrollten, bemerkte sie die
sexuelle Dauerfrustration immerhin nicht mehr.
Ihr
neuer, fähiger, wenn auch langweiliger, Untersekretär hatte ihr schon die
Agenda für morgen auf den Schreibtisch gelegt, und der Blick auf die Uhr
bestätigte ihr, dass es nach fünf war. Sie musste nach Hause. Sie machte es
sich zur Aufgabe, nicht zu viele Überstunden zu machen, und sie musste wirklich
los. Sie wollte mit Rose zu Abend essen – hoffentlich nicht mit Scorpius.
Sie
hatte ihre Tochter vernachlässigt, und es tat ihr auch leid.
Sie
hatte ihre Tasche gepackt, verzichtete heute auf das Freitags-Training mit
Harry und würde direkt nach Hause verschwinden. Sie hatte sowieso nicht den
Kopf dafür. Die Augen der Öffentlichkeit saßen ihr im Nacken, und auf die
Verlobungsfeier morgen hatte sie erst recht keine Lust.
Aber
sie erinnerte sich an Desmonds Versprechen, sie die Nacht nicht schlafen zu
lassen. Sie hatte gestern Mittag mit ihm über die eingegangene Beschwerde
gesprochen, und er hatte ihr geraten, sie nicht zu schwer zu nehmen, sich mit
Rückschlägen anzufreunden, und zu handeln, sobald Bedarf bestand.
Es
waren weise Ratschläge, die ihr nervöser Kopf aber nicht unbedingt ernstnehmen
konnte.
Sie
verabschiedete sich von den Assistentinnen der Etage, den Mitarbeitern, verließ
den Flur, fuhr direkt nach unten, ließ die kurzen Gespräche über das Budget
über sich ergehen, die sich ihr aufdrängten, versprach, sich nächste Woche
darum zu kümmern, und sie hatte einfach nicht genügend Zeit für alles. Tausend
Leute wollten tausend Dinge von ihr, und manchmal kam es ihr so vor, als hatte
sie nicht mal die Zeit, ihren Job zu machen. Sie kümmerte sich immer nur um
fremde Anliegen.
Aber
sie hatte diesen Job gewollt. Ihr wurde im Atrium feierlich zugenickt, und mit
ernstem Blick und strengen Schritten erreichte sie endlich einen freien Kamin
und war heilfroh, nach Hause zu kommen.
Für
den Weg zur Minister-Villa musste sie zunächst ihren geeichten Zauberstab in
die Flammen halten, erst danach stand ihr der Weg offen.
Die
Reise ging schnell, und in ihrem Arbeitszimmer angekommen, lehnte sie sich erst
mal erschöpft gegen den Schreibtisch.
„Hermine?“
Sie
zuckte zusammen. Sie hatte Darcy gar nicht gesehen, die sich neben der Tür
befand.
„Darcy“,
sagte sie müde.
„Entschuldige“,
entfuhr es ihrer persönlichen Assistentin, für die sie sehr dankbar war. „Das
Essen wird in einer halben Stunde serviert, und Rose und Scorpius sind im
Wohnzimmer. Dem Baby geht es gut“, zählte sie auf. „Das Date mit Desmond morgen
steht?“ Hermine hatte Darcy eingeweiht in ihre Beziehungsplanung, und Hermine
nickte in stiller Vorfreude. „Das ist gut. Ich… wollte mich erkundigen, ob ich
morgen dabei sein sollte, oder…?“
„Was?
Natürlich!“, rief Hermine aus. „Ohne dich wird es nur anstrengend werden“,
prophezeite sie. Darcy lächelte geschmeichelt.
„Und…
diese Malfoy-Sache“, begann das Mädchen vielsagend, aber Hermine unterbrach
sie.
„Es
gibt keine Malfoy-Sache“, kürzte sie es ab. „Wirklich nicht.“
„Hör
zu“, begann Darcy jetzt seufzend, „ich habe einige Gespräche heute
mitbekommen“, fuhr sie fort. „Anscheinend steht es alles unter einem schlechten
Stern, diese Feier morgen“, schloss sie. Und Hermine wollte nicht sonderlich
interessiert klingen, aber noch gönnte sie den Malfoys alles Schlechte.
„Was
meinst du?“, wollte sie wissen, denn es wäre mal nett, wenn nicht nur sie
schlechte Nachrichten bekommen würde.
„Malfoys
Verlobte? Emily?“, schien Darcy den Namen zu raten, und Hermine ruckte unwirsch
mit dem Kopf. „Sie scheint das Baby verloren zu haben“, informierte Darcy sie
stiller, und Hermine sah sie lediglich an.
„Oh“,
war, was sie schließlich sagte. „Ist das dein Ernst? Woher weißt du das?“,
entfuhr es ihr gespannt.
„Scorpius
hat es erzählt, als er vom Herrenhaus kam, denn Lucius Malfoy liegt im
Sterben“, fuhr sie nahtlos fort, und Hermines Mund öffnete sich.
„Was?“ Unglaube lag auf ihren Zügen. Gut, so viele schlechte Neuigkeiten gönnte
sie wiederum auch Malfoy nicht. „Das… ist furchtbar“, schloss sie bekümmert.
Sie interessierte sich weder für Malfoy, noch für seine schwangere Verlobte,
aber… sie wünschte keiner werdenden Mutter, dass sie ihr Baby verlor.
„Ja.
Es war wohl ein großes Drama, und Emily und Mr. Malfoy versuchen seit einer
Woche mit dieser neuen Situation umzugehen, und… es läuft wohl nicht sonderlich
gut.“ Hermine konnte sich das vorstellen.
„Wieso
findet die Feier statt?“, entkam es ihr kopfschüttelnd.
„Der
Etikette wegen, sagt Scorpius“, erwiderte Darcy achselzuckend.
„Super“,
knurrte Hermine bloß. Diese scheiß Reinblüter und ihr dämlicher Müll.
„Ich
wollte fragen, ob es ok ist, wenn ich Jamie mitbringe“, fuhr Darcy jetzt
kleinlaut fort, und Hermine brannte schon darauf, denn mysteriösen Jamie
kennenzulernen, von dem sie so viel gehört hatte, ihn aber noch nie sehen
durfte.
„Sicher
ist es ok. Ich bin sehr dafür.“
„Gut.
Dann ist das geklärt. Ich schlage vor, du begrüßt Rose und Scorpius. Die
Stimmung ist nicht die beste“, ergänzte Darcy vielsagend. „Ich würde mich
verabschieden.“
„Ok.
Danke für die Info, Darcy“, erwidert Hermine erschöpft.
„Gern
geschehen. Wir sehen uns morgen“, verabschiedete sich das Mädchen lächelnd.
„Oh, und hast du jetzt mit ihm geschlafen?“, erkundigte sich Darcy zwischen Tür
und Angel, und kurz war sich Hermine nicht völlig sicher, wen sie meinte, aber
Darcy ließ sie nicht hängen. „Mit Desmond, meine ich.“ Hermine hatte ihr
definitiv zu viel anvertraut, stellte sie mit roten Wangen fest.
„Noch
nicht“, verneinte sie knapp.
„Zu
schade. Wie kann er so lange warten wollen?“, entkam es Darcy kopfschüttelnd.
Hermine senkte den Blick.
„Gute
Nacht, Darcy“, sagte sie mit Nachdruck.
„Gute
Nacht, Hermine“, erwiderte die Hexe grinsend und verließ mit schnellen
Schritten das Büro. Hermine folgte ihr schließlich seufzend, und ihr Kopf
schwirrte. Emily hatte das Baby verloren. Malfoy würde nicht Vater werden.
Lucius würde sterben.
Sie
erreichte das Wohnzimmer. Sie sah die beiden von hinten. Rose umarmte Scorpius,
während dieser ein Glas mit irgendeiner Form von Alkohol in der Hand hielt. Sie
näherte sich.
„Guten
Abend“, begrüßte sie die beiden, denn sie wusste nicht wirklich, was sie sagen
sollte. Rose wandte sich um. Sie schien geweint zu haben. „Ich… habe die
Neuigkeiten gehört“, sagte Hermine sofort. Scorpius drehte sich nicht um,
blickte starr nach vorne gegen die Bücherwand, und Rose kam zu ihr, um sie zu
umarmen. Ihre Tochter nahm sehr viel Anteil, stellte Hermine fest.
„So
furchtbar. Das mit dem Baby, das mit Lucius“, ergänzte sie mit belegter Stimme,
und Hermine gab ihr teilweise recht.
„Ja“,
bestätigte sie. „Es… tut mir sehr leid, Scorpius“, entfuhr es ihr. Erst jetzt
ging ihr auf, dass es Scorpius‘ Geschwisterkind geworden wäre. Sie hörte ihn
ausatmen.
„Mhm“,
gab er einsilbig von sich, und sie gönnte ihm beinahe, dass er nicht würde
sagen können, ob sie es ehrlich meinte, oder nicht. Aber tatsächlich tat ihr
leid, dass er seinen Großvater verlieren würde, auch wenn sie Lucius nicht viel
abgewinnen konnte. Sie kannten sich nicht, und das war gut so. Sie stellte sich
neben ihn, betrachtete ebenfalls das weitläufige Bücherregal und wusste nicht,
ob er ihren Trost brauchte. Verdient hatte er ihn ganz sicher nicht.
„Wirklich“,
wiederholte sie leiser. Kurz traf sie sein Blick.
„Danke.“
Mehr sprach er nicht. Noch eine Sache würde sie fragen. Der Form halber, und
weil es sie interessierte.
„Wie
geht es deinem Vater?“ Denn auch für Malfoy waren dies schreckliche
Nachrichten. Er verlor sein ungeborenes Kind und seinen Vater. Manchmal war das
Leben nicht gerecht, stellte sie wieder fest.
„Nicht
sonderlich gut“, sagte er tatsächlich, und sie hatte es angenommen.
„Wenn…
du irgendetwas brauchst“, begann sie etwas ratlos, aber er senkte den Blick auf
ihr Gesicht. Er überragte sie. Nicht so viel wie sein Vater, aber er war ein
hochgewachsener Mann.
„Dann
weiß ich es besser, nicht dich zu fragen“, schloss er knapp. Sie atmete lange
aus.
„Ich
bin hier. Das ist alles, was ich sagen will.“
„Wann?
Neben deinen Überstunden? Ich bin erwachsen, ich brauche keine Hilfe“,
behauptete er.
„Wie
du willst“, sagte sie bloß, und hier endete ihr Entgegenkommen auch.
Es
würde morgen garantiert furchtbar werden. Sie würde diese Leute nie verstehen.
Ihre Welt ging unter, aber es wurden trotzdem Partys gefeiert.
Hauptsache,
man hielt die Fassade aufrecht, dachte sie dumpf. Sie hoffte nur, Rose würde
nicht zu sehr unter diesen Dingen zu leiden haben. Sie hoffte, Scorpius würde
Rose nicht bestrafen, ihr nicht seine Trauer oder seine Wut aufzwingen.
Es
würde ein unangenehmes Essen werden. Vielleicht besaßen die Malfoys all diesen
Reichtum, aber gleichzeitig hatten sie auch ziemlich schwere Lasten zu
schultern.
Tatsächlich
tat ihr Malfoy wirklich leid.
Mehr
als sie zugeben wollte.
16. but since my
friends are here, i just came to kick it
Während
Desmond sich um die Kutsche kümmerte, und der Minister-Schutz damit beschäftigt
war, die Fotografen im Schach zu halten, hatte Hermine Gelegenheit in den
hinteren Teil des pompösen Clubs zu schlüpfen. Der Veranstaltungsaal war
gebucht und versiegelt worden, da die Ministerin ihre Teilnahme bestätigt
hatte.
So
lief es immer, wenn sie wo aufschlug, wo viele Menschen waren.
Fast
hatte sie sich schon gewöhnt.
Fahrig
strichen ihre Hände das nachtblaue Kleid glatt, was über ihren Knien endete.
Sie steckte in hohen schwarzen Schuhen und sah dem Anlass entsprechend aus. Ihr
Mantel war ihr abgenommen worden, und die dünne Bolero-Jacke ließ sie beinahe
frieren. Aber immerhin sah sie gut aus. Gut genug. Die Frisur war ebenfalls in
der Schwerstarbeit von einer Stunde in Topform gebracht worden, und sie fühlte
sich selbstbewusst genug für diesen Abend.
„-Emily
warte!“, vernahm sie die vertraute Stimme, und sie verharrte in der Bewegung.
Die zwei Personen kehrten aus dem angrenzenden Raum zurück.
„Ich
kann das nicht!“, hörte sie Emily mit verzweifelter Stimme sagen. „Ich kann es
nicht, Draco. Nicht heute“, wiederholte sie.
„Du
kannst jetzt nicht gehen. Ich bitte dich. Wir können-“
„-ich
kann nicht!“, unterbrach sie ihn, machte sich los und lief die wenigen Schritte
zum Ausgang, wischte sich über das verheulte Gesicht und verschwand durch eine
Seitentür, die einige Meter von Hermine entfernt war. Sie rührte sich nicht,
fühlte sich sehr Fehl am Platz, und jetzt glitt sein Blick über sie, kurz,
flüchtig, als kenne er sie nicht, bevor sich sein Fokus festigte. Sie standen
etliche Meter entfernt, ehe er tatsächlich langsam näher kam. Sie streckte den
Rücken durch. Sie hatte ihn vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen, und hatte
ehrlich versucht, nicht mehr an ihn zu denken. Sie hatte es auch überwiegend
gemeistert, aber gestern Nacht hatte sie kaum schlafen können. Er trug die
Haare kürzer, und der dunkle Anzug war… maßgeschneidert, so viel konnte sie
sagen. Er trug ihn gut, dachte sie dumpf, als er vor ihr stehen blieb. Er
wirkte müde. So müde wie sie. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Sie
hatte dringend von den Wachen wegkommen wollen, und jetzt wusste sie nicht, was
sie hier alleine sollte.
Desmond
war übermäßig fürsorglich, und so sehr sie gedacht hatte, heute nur Augen für
Desmond zu haben – umso deutlicher wurde ihr, dass sie kaum den Blick von
Malfoy wenden konnte.
„Kommt…
sie wieder?“, fragte Hermine also, als die Stille mehr als unangenehm wurde.
Sie verzichtete auf eine leere Begrüßung, auf hohle Gesten, aber dann wiederum
kannte sie wohl die Antwort auf ihre Frage schon. Sein Blick erwiderte ihren
nicht direkt, er fokussierte ihn nicht, ließ ihn über ihre Erscheinung gleiten,
und schien um Worte verlegen zu sein oder einfach keine zu wissen.
„Hm?“,
entkam es ihm etwas abwesend, aber sie runzelte die Stirn.
„Emily?“,
machte sie es deutlich, und jetzt traf sie sein grauer Blick. Endlich. Sie
konnte etwas besser atmen.
„Ich
denke nicht“, erwiderte er, und das hatte sie schon angenommen. Jetzt standen
sie in dem leeren Vorsaal, sahen sich an und sprachen nicht. Mit dem nächsten
Atemzug entwich ihm die wohl angespannte Luft, und sein Blick fiel. „Sie hat es
verloren“, sagte er still, und Hermine verstand zuerst nicht, bis sie begriff,
dass er ihr von dem Verlust des Babys erzählte. Ihr Mund öffnete sich.
„Ich…
ich weiß“, sagte sie rau. Seine Stirn runzelte sich. „Scorpius hat… hat es
erzählt“, ergänzte sie, und plötzlich empfand sie wesentlich mehr Mitgefühl,
als noch gestern Abend. „Es ist so schrecklich“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd.
„Und es tut mir sehr leid für euch. Und… Lucius“, ergänzte sie traurig. Er
ruckte knapp mit dem Kopf.
„Ja“,
bestätigte er.
„Es tut
mir wirklich leid“, wiederholte sie. „Was ist jetzt mit der Verlobungsfeier?“
Sie hegte die schmale Hoffnung, dass sie alle gehen konnten. Es war so
unpassend und traurig.
„Verschoben,
nehme ich an“, antwortete er beinahe bitter.
Dann
war es heute ein sehr teurer Anlass für nichts und wieder nichts. „Ich… weiß
nicht, was ich sagen soll, Malfoy“, entfuhr es ihr unsicher.
„Das
kann ich mir kaum vorstellen“, entgegnete er trocken, „aber du musst auch
nichts sagen, Weasley. Als trauriger Witwer bin ich Kummer gewöhnt“, schloss er
dunkel.
„Wenn
du jemanden zum… Reden brauchst, ich…“, begann sie etwas überstürzt, denn was
bot sie ihm da an? Als wenn sich jemals diese Gelegenheit bieten würde. Und so
ähnlich betrachtete er sie auch. „Malfoy, ich… wollte sowieso mir dir-“, begann
sie schließlich, und er sah sie gespannt an, aber die Tür zum Saal öffnete
sich.
„Dad-“,
begann Scorpius, bevor er sie erkannte. Aber nur wegen Scorpius war sie
überhaupt hier. Das war die Wahrheit unterm Strich. Sie stellte sich aufrechter
hin. „Du siehst gut aus“, schenkte er ihr ein sehr spontanes Kompliment,
während er sie betrachtete, und fast überraschte sie, dass er überhaupt mit ihr
sprach. Gestern Abend war er wortkarg und beleidigt gewesen. Aber das war wohl
eher nicht ihre Schuld. „Wo ist Emily?“ Scorpius schien sich umzusehen, als
würde sie sich verstecken.
„Emily
ist gegangen“, informierte Malfoy seinen Sohn, und Scorpius‘ Stirn kräuselte
sich.
„Was
meinst du damit?“
„Sie
ist weg. Sie… kann heute nicht.“
„Oh“,
machte Scorpius bloß, plötzlich sehr unsicher, und dann nickte er knapp. „Ok“,
sagte er dann. „Das ist wirklich… schade.“
„-es
ist ein absolutes Chaos draußen mit den Kutschen und dem verdammten
Ministerschutz“, beschwerte sich Desmond, als er wohl durch die Sicherheitsschleuse
hatte gehen dürfen, und sie sah, dass beide Malfoys mit seinem Auftauchen wohl
eher nicht zufrieden waren.
„Ferrars“,
begrüßte Malfoy ihn knapp, und Desmond zögerte einen Moment.
„Malfoy,
Scorpius“, nickte er dem Jungen zu, und dann erinnerte sich Hermine wieder.
Scorpius dürfte sich mit Desmonds Sohn angelegt haben, ging ihr auf. Rose war
ja für den Bruchteil eines Momentes an Troy Ferrars interessiert gewesen.
„Mr.
Ferrars“, begrüßte Scorpius ihn. „Mit Hermine hier?“, vermutete er dann, und
sein Blick hatte sich abgekühlt, als er sie traf.
„Ja.
Offizielles Date“, bestätigte er.
„Tatsächlich?“,
sagte auch Malfoy jetzt.
„Ja“,
sagte sie. „Wir haben uns auf der Arbeit kennengelernt“, führte sie aus. Es war
absolut unschuldig, nicht verboten, und sie wusste nicht, warum es wie eine
Rechtfertigung klang.
„Gut
für euch“, erwiderte er bloß, und sie konnte ihm keine große Gefühlsregung
anhören. „Leider ist meine Verlobte gegangen. Sie hat sich nicht sonderlich wohl
gefühlt heute“, informierte er Desmond, und dieser machte ein betrübtes
Gesicht.
„Und
die Feier?“, fragte er, und Malfoy zuckte die Schultern.
„Der
Caterer und die Band sind bezahlt, also schlage ich vor, ihr genießt den
Abend.“ Seine Höflichkeit war falsch, stellte sie fest. Sein Lächeln sehr
aufgesetzt. Dann wiederum war seine Verlobte auch abgehauen. Er würde kein
Vater werden, und sein eigener Vater lag im Sterben. Dass er überhaupt so eine
gute Figur machte, war bemerkenswert, nahm sie an.
„Wir werden
unser bestes geben“, versprach Desmond, legte ihr die Hand auf die untere
Rückenpartie, und Hermine war es tatsächlich unangenehm. Dann wandte er sich an
Scorpius. „Troy sagt, Rose überlegt, vielleicht nächsten Monat Teilzeit in der
Strafverfolgung zu arbeiten? Einige Stunden die Woche?“ Hermine sah ihn an.
Woher wusste er das, und wieso wusste sie davon nichts? Aber Scorpius war
schneller.
„Woher
sollte Troy das wissen?“ Und sie hörte es sofort, den sanften Klang der
Eifersucht. Desmond sah Hermine an, für Hilfe, für Unterstützung, aber Hermine
hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
„Troy
hat sie besucht? Letzte Woche? Hat ihr gratuliert, wollte sehen, wie es ihr
geht“, erzählte er achselzuckend. „Hat sie es nicht erwähnt?“, ergänzte
Desmond, etwas ungläubig, aber Scorpius‘ Ausdruck sprach Bände. Anscheinend
nicht. Anscheinend hatte Rose Geheimnisse vor Scorpius, so wie Scorpius es auch
vor ihr hatte. Hermine kam wieder einmal zu dem Schluss, dass sich diese beiden
mehr als verdient hatten.
„Entschuldigt
mich“, entfuhr es Scorpius knapp, und Hermine nahm an, Rose würde jetzt Ärger
bekommen. Aber Hermine war fast erleichtert, dass ihre verwöhnte Tochter
vielleicht arbeiten würde. Ob Scorpius beleidigt war, war ihr mäßig egal.
Wieder
öffnete sich die Tür, und Darcy schob sich in den Vorsaal, gefolgt von ihrem
Freund, der-
Hermine
musste zweimal hinsehen.
„Hermine!
Das ist ja ein Trubel da draußen. Als wäre es das Event des Jahres“, erklärte
sie. Hermine hörte ihr kaum zu, denn der junge Mann erwiderte ihren Blick. Die
Augen grün, wie die seines Vaters.
„James“,
sagte sie mit milder Überraschung.
„Madame
Minister“, begrüßte der älteste Potter sie mit einem schmalen Lächeln, und sie wusste
nicht, woher die unpassenden Tränen kamen, aber es war ihr egal, denn sie
schloss den Abstand und zog ihn in eine Umarmung, die sonst nur Hugo
zuteilwurde. James lachte überrascht auf, bevor er die Umarmung erwiderte.
„Darfst du das überhaupt?“, fragte er ein wenig erdrückt, aber sie umarmte ihn
fester. Dann wich sie zurück, hielt aber seine Schultern fest.
„Du bist so groß geworden“, flüsterte sie.
„Nicht
wirklich, Tante Hermine“, entgegnete er.
„Ich
habe dich vermisst“, sagte sie sanft. Er senkte scheu den Blick.
„Und?
Wie ist das Amt?“, wollte er wissen, aber das Amt war ihr gerade absolut egal.
Sie fixierte Darcy.
„Dein
Freund ist James Potter?“, wollte sie ungläubig wissen, und Darcy senkte
schuldbewusst den Blick.
„Es
ist nicht, wie du denkst“, begann sie, aber Hermine war es egal.
„Das
ist absolut großartig!“, sagte sie warm und umarmte auch Darcy. Diese wirkte
sehr erleichtert.
„Oh
gut“, entfuhr es ihrer Assistentin erleichtert.
„Wollen
wir nicht rein?“, fragte Desmond, der der ganzen Situation wohl wenig
abgewinnen konnte, und automatisch glitt ihr Blick zu Malfoy.
„Sicher,
geht rein. Setzt euch. Ich… werde überlegen, wie ich die Situation klären
kann“, sagte er, eher zu sich, fixierte niemand bestimmten, und Hermine würde
nicht bei ihm bleiben können. Wollte sie auch nicht. Er wirkte nur so…
verloren, jetzt gerade. Schon schob Desmond sie weiter, und Darcy beichtete
ihr, dass sie ihr von James hatte erzählen wollen, dass James aber angenommen
hatte, sie einzustellen wäre nur ein Trick gewesen.
Es
war ein eigenartiger Abend. Vielleicht würde sie mit James reden können? Ihn
überzeugen, Harry anzuflohen? Wenigstens das. Das wäre absolut großartig.
~*~
Hermine
Weasley galt die Aufmerksamkeit des Saals. Nicht nur wegen des zwölfköpfigen
Minister-Schutzes, der sich an den Türen des Saals rumdrückte, sondern ganz
einfach weil die Zeitungen voll mit ihren Erfolgen waren, die zwar auf sich
hatten warten lassen, aber mittlerweile zeichnete sich ihre anscheinend gute
Politik ab.
„Was
hat Emily gesagt?“, nötigte ihn seine Mutter zum wiederholten Mal, und er
konnte nicht wieder darüber reden. Er konnte auch nicht begreifen, wie seine
Mutter das eine sinnlose Gespräch nach dem nächsten führen konnte. Er war nicht
geschaffen für diese oberflächliche Etikette. Sein Vater lag im Sterben, und
seine Mutter spielte den lustigen Partygast. Reinblüter. Ein absolutes
Mysterium. Aber Narzissa spielte eine Rolle. Und nicht einmal ihr sterbender
Ehemann würde sie davon abhalten. Wollte sie nicht jede Minute mit ihm
verbringen wollen, bevor es zu spät war? Draco hatte das Mungo nicht mehr
verlassen, in den letzten Tage vor Astorias Tod. Er hatte sich nicht mehr
rasiert, nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen.
Er hatte
Scorpius aus Hogwarts geholt, damit er bei seiner Mutter sein konnte. Aber
Scorpius war jung gewesen, hatte alles noch nicht so ganz begriffen, und Draco
war ihm kein guter Vater gewesen, in dieser Zeit. Alle Erinnerungen kehrten mit
aller Macht zurück.
„Gar
nichts. Sie hat nicht bleiben wollen“, wiederholte er schlecht gelaunt. Und das
wollte er auch nicht.
„Wieso
hast du sie nicht aufgehalten?“, wollte sie barsch wissen, und Dracos Blick
glitt quer durch den Saal, um sie wieder anzusehen. Weil er vergessen hatte,
Emily nachzulaufen. Hermine Weasley hatte den Vorsaal betreten, und ihr
Auftauchen hatte ihn komplett gelähmt. Er hatte nicht mehr an sie gedacht,
hatte es sich nicht gestattet, sich verrückt geschimpft, überhaupt einen
schwachen Moment in ihrer Gegenwart zu bekommen.
Aber
wie sie heute aussah! Es lähmte ihn noch immer. Sie kam ihm wie ein anderer
Mensch vor. Dass sie überhaupt auf die Einladung reagiert hatte, dass sie
überhaupt hier war. Die letzte Woche war schwer gewesen, und hatte seine
Gedanken und Gefühle beherrscht. Emily hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, und
er hatte die Trauer bewältigen müssen. Er wollte sich nicht so fühlen. Nicht
noch einmal in seinem Leben. Trauer war nichts, mit dem er gut umgehen konnte.
Aber er wurde nicht verschont. Er würde seinen Vater verlieren. Auch mit diesem
Gedanken hatte er sich nicht wirklich ausgiebig beschäftigt.
„Sie
kann wieder schwanger werden. Es ist kein Untergang“, bemerkte seine Mutter
gleichmütig, riss ihn aus seinen Gedanken, und Draco wünschte, sie würde
aufhören, zu reden. „Ich hatte zwei Fehlgeburten“, erklärte sie achselzuckend,
und Draco verzog endgültig den Mund.
„Was
für eine anrührende Geschichte, Mutter. Entschuldige mich.“ Er erhob sich und
wünschte praktisch, Lucius wäre hier, um Narzissa Einhalt zu gebieten. Aber das
würde nie wieder passieren. Er brauchte frische Luft. Ziemlich dringend. Es war
schlimm genug gewesen, dass er vor der versammelten Menge seine Verlobte hatte
entschuldigen müssen, ihr Fehlen auf eine vierundzwanzig Stunden Grippe schob.
Er hasste es, Ausreden zu erfinden. Es lag ihm nicht, und er wollte es auch
nicht. Vor allem zerriss sich die ganze Gesellschaft doch ohnehin den Mund! Sie
sprachen alle über Emily, über seinen Vater, über seinen Sohn. Und ja, wo war
sein Sohn?
Scorpius
konnte er nirgendwo entdecken, und auch Rose fehlte. Er nahm an, beim jungen
Paar hing der Haussegen mal wieder schief – wie eigentlich immer schon. Im
Gehen lockerte er seine Krawatte, schob sich an Ministeriumswachleuten vorbei,
die alleine Weasleys Sicherheit dienten, und war froh, als er den leeren
Vorsaal betrat und eine Tür weiter hinten ansteuerte. Der Club verfügte über
mehrere Säle, die gemietet worden konnten, aber er wusste, aus Minister-Gründen
war heute nur ihr Saal aktiv belegt. Er öffnete eine Doppeltür und betätigte
den Lichtschalter an der Wand. Die Beleuchtung war bereits verzaubert, und die
riesige Diskokugel an der Decke, begann sich unter bunten Strahlern zu drehen.
Er erkannte eine Bühne weiter hinten, viele Stehtische, und ein Banner schwebte
magisch unter der Decke – ‚Willkommen Jahrgang 1970‘. Eine Wiedervereinigung,
nahm er scharf an.
Lustlos
tat er einige Schritte unter den bunten Lichtern, während die Musik leise
anfing zu spielen, als er die Tanzfläche betrat. Praktischer Zauber, stellte er
fest. Sein Weg führte zur Bühne, denn daneben erkannte er tatsächlich eine
etwas gemütlichere Sitzfläche, mit einigen wahllos platzierten Sesseln, denn er
nahm an, der Jahrgang 1970 war mittlerweile alt genug, dass er den Abend nicht
stehend zubringen konnte. Nicht, dass er selber sonderlich weit vom alten
Jahrgang entfernt war, dachte er missmutig. Und er hätte vor zwei Wochen nicht
gedacht, dass dieser Abend so schrecklich werden würde.
Gut,
er hatte nicht angenommen, dass er sonderlich viel Spaß haben würde, denn
großer Feiern machten ihm selten Spaß, vor allem, wenn seine Mutter
vollumfänglich daran beteiligt war, und dann hatte er hin und wieder Zweifel an
seiner Entscheidung, Emily überhaupt heiraten zu wollen.
Er
sank tief in einen der bequemen Sessel.
Sicher,
er gestand sich diese Zweifel nie wach oder nüchtern ein – aber… hin und wieder
befiel ihn stumme Angst. Und vielleicht war das jetzt der Ausweg? Sie hatte das
Baby verloren. Im Moment band sie nichts an ihn und umgekehrt, oder?
Er
war sich nicht sicher, wohin diese Gedanken letztendlich führen sollten, aber
verhindern konnte er sie nicht. Er machte den ein oder anderen Fehler, aber nie
so schlimm, dass sie nicht wieder umkehrbar waren. Grundsätzlich. Außer diesen
einen Fehltritt mit der Ministerin. Damals war sie noch nicht Ministerin
gewesen, sagte er sich, aber es war ein schmaler Trost. Und es war nichts
Schlimmes passiert, damals. Gut, es war nichts Gutes passiert, aber es hatte
keine Wellen geschlagen, hatte sich nicht wiederholt, und er ignorierte den
Abend von vor zwei Monaten in ihrem Haus, weil er es musste.
Sie
zu sehen tat nicht gut, stellte er bitter fest. Und nicht, weil er sie nicht
sehen wollte, nein, es war wohl das Gegenteil. Er wollte sie sehen. Und
wahrscheinlich war das die Spitze des Problems.
~*~
Er
war seit einer Weile fort. Ihr Blick wanderte durch die Halle, und immer
häufiger schickte sie ein leeres Lächeln in die Runde, denn auch, wenn es
höchstens fünfzig Leute waren, allesamt starrten sie an.
Desmond
war im Gespräch mit Emilys Vater vertieft, der seine Tochter nicht begreifen
konnte, so viel hatte Hermine rausgehört. Und Hermine störte es, dass Desmond seit
einer ganzen Weile mit Senator Bennett sprach. Er vertrat sehr deutlich andere
politische Gesinnungen, und Hermine ging davon aus, dass er Desmond nur gefügig
genug machen wollte, um ihre eigene Meinung zu beeinflussen. Warum sonst sollte
dieser elitäre Vollidiot mit ihm reden? Desmond hatte einen Fall im Ministerium
hinter sich. Seine Bemühungen um sie waren nicht unbemerkt geblieben und nicht
spurlos an der inneren Riege vorbei gegangen.
Er
hatte nicht mehr den stellvertretenden Vorsitz inne, was ihm augenscheinlich
nicht viel ausmachte, aber Hermine war sich da nicht sicher. Was Menschen ihr
laut ins Gesicht sagten, und was sie eigentlich dachten waren meist
grundverschiedene Dinge.
Ansonsten
war es unangenehm hier. Die Gastgeber waren nicht da, Rose und Scorpius waren
nicht da, und eigentlich waren es nur die Freunde der Malfoys und der Bennetts,
die sich gepflegt das Maul zerrissen. Denn natürlich war auch Lucius nicht da.
Und niemand sprach offen darüber. Natürlich nicht. Aber… es war einfach nur
schrecklich.
„Ich
möchte raus hier“, sagte Hermine zu Darcy, in der Hoffnung, dass ihre findige
Assistentin einen Ausweg wusste. Darcy legte ihren Dessertlöffel zur Seite, und
schien nachzudenken. Dann sah sie Hermine aufmerksam an.
„Nach
Hause oder raus?“, fragte sie tatsächlich leise, und Hermine ruckte mit dem
Kopf.
„Gerne
beides.“ Und dann sah Darcy sie kurz an, bevor sie mit sich selber scheinbar zu
einer Übereinkunft kam.
„Gib
mir eine Minute“, antwortete sie, erhob sich, flüsterte James eine Entschuldigung
zu, und tatsächlich rückte James zu ihr auf. Sie sah, wie Darcy aus dem Saal
schlüpfte. Die Wachen beachteten sie nicht. Nur Hermine durfte keinen Schritt
mehr alleine tun. Es nervte sie. Aber erwartungsvoll sah sie ihren Patensohn
an.
„Wie
geht es dir?“, fragte er sie, und Hermine könnte ihn dasselbe fragen.
„Mir
geht’s gut“, kürzte sie ihr leidiges Leben ab. Aber James verengte knapp die
Augen.
„Es
ist nicht Onkel Ron, mit dem du hier bist“, stellte er beinahe sachlich mit
Blick auf Desmond fest, und Hermine nahm an, James wusste nicht, wie sehr er
Harry ähnelte.
„Nicht
direkt“, erklärte sie dann, leiser als zuvor.
„Was…
ist passiert?“ Sie hörte, er war interessiert, schämte sich aber auch. Aber die
Erklärung war letztendlich recht simpel.
„Rose
hat Scorpius geheiratet“, schloss sie fast gleichmütig. James nickte
vielsagend.
„Scorpius
Malfoy ist…“, begann er und schien ernsthaft nachzudenken, „ein Arschloch,
oder?“, entkam es ihm, in Ermangelung besserer Worte, und tatsächlich musste
Hermine lachen. Laut und befreit. Kurz zog es Aufmerksamkeit auf sich, aber sie
senkte ihre Stimme wieder, blickte nach unten und nickte dann.
„So
ungefähr“, bestätigte sie ihm und sah ihn aus den Augenwinkeln grinsen.
„James?“, begann sie vorsichtig, und er schüttelte sofort den Kopf.
„Ich
möchte nicht über Vater reden“, wehrte er sofort ab. Und Hermine glaubte, Harry
würde sich übergeben, wenn er wüsste, dass James ihn ‚Vater‘ nannte.
„Ich
denke nicht, dass du angenommen haben könntest, ich würde dieses Detail unter
den Tisch fallen lassen, wenn du hier auftauchst?“, schloss sie scharf, und er
wandte den Blick. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, was vorgefallen ist“,
sagte sie dann.
„Nichts
Gutes.“
„Es
wird nichts Schlimmes gewesen sein“, bevormundete sie ihn bitter. „Du wirst
nicht Scorpius Malfoy heiraten wollen“, ergänzte sie missmutig, und tatsächlich
lächelte er wieder.
„Nein,
ganz so tragisch ist es wohl nicht“, räumte er tatsächlich ein.
„Du
bist erwachsen.“
„Ja“,
bestätigte er. „Ich bin erwachsen, kein Auror, kein Held – nichts davon.“
„Und
ich bin sehr froh darüber“, antwortete sie, und er sah sie an.
„Nicht
alle sind froh“, widersprach er.
„James?“,
begann sie ernster, und er sah sie an. „Warst du in den letzten fünf Jahren
verhaftet?“
„Was?
Nein“, erwiderte er verwirrt.
„Hast
du irgendwen betrogen, irgendetwas Furchtbares angestellt, Gold hinterzogen?“,
fuhr sie fort, und seine Stirn lag in tiefen Falten.
„Ich
arbeite im Eulengeschäft in der Winkelgasse. Die Gelder, die sich dort
hinterziehen ließen, wären kaum der Verlustrechnung wert“, bemerkte er
spöttisch.
„Dann,
James, lebst du ein gutes Leben. Ist es das, was du führen willst?“, fragte sie
ihn schließlich, und er atmete aus.
„Es
ist nicht das, was mein Vater-“
„-dein
Vater will nichts anderes, als dass seine Kinder glücklich sind“, kürzte sie es
ab. „Bist du glücklich, James?“
„Darcy
und ich werden heiraten, also… ja. Ziemlich“, bestätigte er.
„Dann
sei nicht so verdammt stur wie dein Vater, Merlin noch mal.“ James Blick fiel
auf die Tischdecke. „Und Glückwunsch. Ich wünschte, Rose hätte Darcy
geheiratet“, entfuhr es ihr grimmig, und wieder musste er lachen.
„Du
hast ein Enkelkind. Das ist wenigstens etwas.“
„Wahrscheinlich.“
Kurz schwiegen sie, und Hermine wollte gar nicht verbittert klingen, konnte es
aber nicht wirklich verhindern.
„Wie
geht es Rose? Ich hatte ihr… gratulieren wollen, aber…“ Er sah sich um, suchte
wohl im Saal nach ihr, aber wusste Merlin, wo ihre Tochter sich rumtrieb.
„Tja,
ich hoffe, du hattest nicht alle Hoffnungen daran gehangen“, bemerkte sie bloß.
„Ist
schon gut“, räumte er achselzuckend ein.
„Aber
vielleicht würde sich bald wieder eine Gelegenheit ergeben?“, schlug sie hoffnungsvoll
vor, und er hob seufzend den Blick. „Ruf ihn einfach an. Bitte.“
„Nächste
Woche“, sagte er tatsächlich, und Hermine strahlte plötzlich.
„Danke,
James“, sagte sie, aber der junge Mann winkte ab. Und dann kehrte Darcy zurück.
Sie lehnte sich unauffällig zu ihr hinab.
„Wo
ist deine Begleitung?“, wollte sie still wissen, und Hermines Blick glitt zum
Haupttisch, wo Desmond bereits wild gestikulierte. Sie nickte in die Richtung,
und Darcy atmete kurz aus.
„Ich
habe eine Frage für dich, und ich verspreche dir, die Antwort nicht zu
bewerten“, fuhr sie sehr leise fort, und Hermines Stirn runzelte sich. „Für den
Fall, dass du dich von Mr. Malfoy verabschieden willst, wäre ich in der Lage,
ein Ablenkungsmänover einzuleiten. Mr. Malfoy befindet sich in Saal 3, und er
ist aller Wahrscheinlichkeit nach allein“, ergänzte sie, und Hermine biss sich
auf die Lippe. „Wenn du das möchtest, dann nick einfach einmal, Hermine“, sagte
sie sehr deutlich in ihr Ohr, und Hermine sah wieder in Desmonds Richtung. Wie wollte
Darcy die Wachen ablenken, und wieso sollte sie Malfoy aufsuchen, um sich zu
verabschieden? Desmond machte nicht zwingend den Eindruck, als käme er bald
zurück, und Hermine streckte den Rücken durch. Es war keine gut durchdachte
Entscheidung.
Aber
sie nickte, kaum merklich.
„Ok“,
sagte Darcy aufgeregt. „Dann verschaffe ich dir zwanzig Minuten, Hermine. Nicht
mehr, nicht weniger. Und wir werden nicht darüber reden“, ergänzte sie vieldeutig,
und Hermine spürte ein eigenartiges Gefühl in ihrer Magengegend. Sie kannte das
Gefühl mittlerweile. Es war dasselbe Gefühl, was dummen Entscheidungen voran
ging. „Steh jetzt auf“, befahl sie, und Hermine gehorchte. Darcy schob sie
kurzerhand voran. „Meine Herren, wenn Sie mir folgen würden?“, wandte sich
Darcy mit gewöhnlicher Stimme den Wachen zu, und mit Hermine in der Mitte,
verließen sie den Saal. „Ich habe festgestellt, dass die Sicherung dieses Ortes
äußerst schlampig durchgeführt worden ist. Es gibt mehrere Seiteneingänge, die
nicht überwacht werden, und es gehen Leute ein und aus, die nicht gemeldet
worden sind. Ich werde Ihnen die problematischen Zonen zeigen“, schloss Darcy
auffordernd, und sofort setzten sich die Männer in Bewegung. Hermine wusste,
sie bekämen Strafpunkte durch das Ministerium, wenn der Minister-Schutz nicht
in allen Punkten gewährleistet wäre auf Veranstaltungen wie dieser, deshalb
nahmen sie solche Vorwürfe sehr ernst. So ernst, dass sich Hermine plötzlich
alleine im Vorsaal wiederfand. Darcy scheuchte die Männer gerade durch den
Seiteneingang nach draußen, und zwinkerte Hermine kurz zu.
Und
sie setzte sich in Bewegung, so schnell sie die hohen Schuhe trugen, und ihr
Herz schlug schwer und schnell.
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Die
Tür öffnete sich plötzlich, und sein Blick hob sich angespannt.
„-Malfoy?“,
riss ihn ihre leise Stimme aus seinen Gedanken. Dann kämpfte er sich aus dem
Sessel in die Höhe. Was tat sie hier? Er betrat die Tanzfläche, und die Musik
setzte wieder ein. Er erkannte sie am Rand. Seine Stirn runzelte sich. Sie war
allein, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendwo alleine hingehen
konnte. Sie kam näher, und er wartete, begutachtete sie, betrachtete ihr Figur
in diesem Kleid, und zog es dann doch lieber vor, sich auf ihr Gesicht zu
konzentrieren. Ihr Gesicht, mit diesen verdammten Augen, die ihn in seinen
Träumen heimsuchten. Kurz fiel sein Blick, und er ordnete seine Gefühle neu.
„Wo
sind deine Wachen, Weasley?“, fragte er das Offensichtliche. Er wollte nicht
wissen, warum sie hier war, warum sie herkam, ihn suchte – warum er nicht ging.
Für einen Moment wirkte sie schrecklich schuldbewusst.
„Ist…
ist das wichtig?“, erwiderte sie tatsächlich mit einer Gegenfrage, und dass sie
ihm nicht antwortete sagte ihm grundsätzlich schon mehr, als er wissen wollte.
„Es
ist absolut unmöglich, dass deine Abwesenheit unbemerkt geblieben ist. Und ich
möchte wirklich jedes unnötige Drama vermeiden. Gerade heute“, ergänzte er
müde. So unglaublich müde. Er nahm an, sie wäre nicht hier, wenn sie nicht
vorher sicher gegangen war, dass sie ungestört wären, aber das machte es nicht
besser. Dass sie hier war, wegen ihm, ihn sehen wollte, wissen wollte, wie es
ihm ging, alleine mit ihm sprechen wollte – dass sie… sich sorgte, war etwas,
mit dem er nicht umgehen wollte. „Du hast mir dein Beileid bereits bekundet,
Weasley“, kürzte er jedes mögliche Gesprächsthema barsch ab. „Und du bist nicht
alleine hier. Du bist in Begleitung, also…“
„Ich
weiß das“, sagte sie, eine Spur gereizt. „Malfoy, ich weiß das. Ich…- du hast
völlig recht“, endete sie mit gesenktem Blick. Er hasste, wenn sie ihm Recht
gab. Es machte es schlimmer. Irgendwie. Und sie tat etwas so eigenartiges, dass
er kurz überfordert war. Sie hob ihren hübschen Blick wieder, sah ihn an, mit
diesen verfluchten Augen. „Sag mir, dass ich gehen soll.“
Das
hatte er. Zwar durch die Blume – durch keine subtile Blume – aber das hatte er
gerade getan. Aber dass sie nicht ging, nicht bereits aus dem Saal gestürmt
war, dass sie wollte, dass er es sagte, sie rauswarf – machte es ungleich
schwerer. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie sollte gehen, weil es das einzige
vernünftige war. Er war nicht mehr in der Lage, irgendetwas Vernünftiges zu tun.
Und das sollte sie wissen – aber wahrscheinlich wusste sie das bereits. Es gab
verdammt wenig, was sie nicht wusste.
„Versuch
nicht, mir diese Entscheidung aufzudrängen, weil du nicht die Eier besitzt, zu
sagen, was du eigentlich willst“, warnte er sie kopfschüttelnd, denn er war
nicht in der Laune oder Verfassung, Spiele zu spielen. Kurz sah er ihren
Kampfgeist, ihren sanften Zorn, aber sie reckte ihr Kinn vor.
„Ich
will dich sehen“, sagte sie so selbstverständlich, dass er schlucken musste.
„Und wenn du das nicht willst, dann wirf mich raus.“ Bei diesen Worten klang
sie nicht mehr völlig selbstsicher. Er lächelte freudlos.
„Ich
kann dich nicht sehen“, erwiderte er erschöpft. „Ich-“
„-ich
weiß, dass wir das nicht können“, unterbrach sie ihn still. „Nicht dürfen,
nicht sollten“, ergänzte sie beinahe verzweifelt. „Aber ich bin garantiert
nicht hier auf dieser Veranstaltung, weil ich es unbedingt wollte. Und wenn ich
schon hier bin, dann will ich mich wenigstens von der einzigen Person hier
verabschieden, mit der ich wenigstens im Ansatz irgendetwas zu tun habe.“
„Seit
wann das?“, entkam es ihm fast trocken, und er fragte sich gleichzeitig, warum
sie dann hier war?
„Malfoy,
ich habe zwei Monate damit verbracht, mich in Form zu bringen, nicht an dich zu
denken, die verdammte Kritik zu ignorieren, die mir auf der Arbeit
entgegenschlägt, und – ich bin hier mit dem perfekten Mann, aber ich ergreife
die gefährliche Gelegenheit, ein dummes Ablenkungsmanöver zu nutzen, um… dich
hier zu suchen.“ Ihr Blick glitt mäßig begeistert über den Saal.
„Willst
du sichergehen, dass ich mich nicht zu theatralischer siebziger Jahre Musik
umbringe?“, nahm er kühl an, aber ihre Worte schwirrten in seinem Kopf. Sie waren
beide eigentlich zu alt für neue Beziehungen, dachte er dumpf. Und sie waren zu
alt für dieses Spiel, was sie hier spielten, stellte er zähneknirschend fest.
Wozu diente dieser – mehr oder weniger – Smalltalk, den sie betrieben?
Sie
schenkte ihm einen eindeutigen Blick, würde seine rhetorische Frage wohl kaum
beantworten, also atmete er schließlich aus. „Wie viel Zeit hast du?“, wollte
er schließlich wissen, denn bei der Ministerin passierte alles unter Zeitdruck,
nahm er an. Auch dieses Treffen. Sofort hob sich ihr Blick, ein wenig ertappt,
ein wenig überfordert. „Du hast hier nichts zu suchen, solltest hier wirklich
nicht sein, und ich gehe davon aus, dass dieses kleine verbotene Treffen einen
engen Zeitstempel hat, oder nicht? Und wenn du nicht gehen willst, wenn du
ernsthaft diese Entscheidung auf mich abwälzt, obwohl dir völlig klar sein
sollte, dass ich heute überhaupt keine rationale Entscheidung mehr treffen
kann, will ich, offen gesagt, die Minuten nicht verschwenden, denn ich nehme
an, es handelt sich um Minuten?“ Und er erkannte die feine Röte unter ihrem
Makeup. Nach einem kurzen Moment antwortete sie tatsächlich.
„Zwanzig
Minuten“, erwiderte sie tonlos. Zwanzig Minuten. Fünf Minuten hatten sie
bereits sinnlose Tatsachen festgestellt. Sie sollte gehen – das wollte sie
nicht.
„Nicht
sonderlich viel Zeit für… eigentlich gar nichts, nicht wahr?“, bemerkte er
spöttisch. Sie sah ihn an, ein wenig hilflos, ein wenig verzweifelt. Er wollte
gerne sagen, dass er selten die Initiative übernahm, wenn es darum ging, den
Partner zu betrügen, aber stimmte das tatsächlich? War es vor zwei Monaten
seine Schuld gewesen? Er war wahrscheinlich doch nur ein dummer Mann.
Grenzenlos dumm. Er war schon nicht seiner Verlobten hinterhergelaufen, weil
ihre Erscheinung ihn gänzlich vereinnahmt hatte. „Darf ich?“, fragte er,
erwartete kaum eine Antwort, und er wusste nicht mal, warum er fragte, denn
fast fürchtete er sich vor ihrer Antwort, und am liebsten wollte er die Worte
zurücknehmen. Sie sah hoch in sein Gesicht, fixierte dann seine ausgestreckte
Hand, und tatsächlich reagierte sie auf diese Geste, legte ihre schmale Hand in
seine, und er schluckte schwer. Aber er reagierte, als wäre es natürlich. Es
fiel ihm nicht schwer, sie an sich zu bringen, den Arm um ihre verdammt
definierte Taille zu legen, und er konnte sich nicht darin erinnern, dass sie
jemals so ausgesehen hatte. Sie bewegte sich sicher auf den hohen Schuhen,
passte in seinen Arm, als wäre es Absicht, und er bewegte sich langsam mit ihr,
während ihre Hand auf seiner Brust ruhte, denn sie war immer noch zu klein.
„Ich
hätte nein sagen sollen“, erkannte sie beinahe mit Bedauern.
„Ich
denke“, bestätigte er ruhig, drehte sanfte Kreise mit ihr, und in seinem Magen
zog und kribbelte es stärker. Denn jede Sekunde, die sie länger blieb, schien
bedeutungsschwerer zu werden. Ihr Atem ging merklich flacher. Vielleicht war
auch das Kleid zu eng, und sie konnte nicht atmen.
Er
merkte kaum, dass seine Hand tiefer wanderte, dass er ihre Taille langsam aber
sicher verließ. Jetzt sah sie ihn an. Das Makeup ließ sie jünger wirken, ihre
ganze Erscheinung wirkte… vitaler, anders als vorher. Sie dachte an ihn. Es
überraschte ihn nicht wirklich. Denn er dachte an sie. Pausenlos. Er war
traurig, es war anstrengend, aber an sie dachte er dennoch. Er wusste, was
kommen würde. Unweigerlich. Sie schluckte schwer. „Wenn du nicht gehst, werde
ich dich küssen“, warnte er sie jetzt rau. Und er ließ sie los, zog seine Hände
mit Macht zurück. Aber deshalb war sie hier. Sie mussten sich nichts vormachen.
„Ich
weiß“, flüsterte sie tonlos, etwas unglücklich.
Zwei
Sekunden, drei Sekunden – war das fair? Hatte er ihr die sportliche Chance
eingeräumt? Er fand schon. Fairer konnte er nicht sein. Sie hatte sich nicht
bewegt, und alles ab dieser Sekunde war eine Einladung, und nichts weiter,
entschied er schon völlig am Rande jeder Rationalität, und als er den Abstand
schloss, kam sie ihm entgegen, und dieses Mal passierte nichts, keine Tür flog
auf, niemand entfachte das Licht, erwischte sie inflagranti – dieses Mal griff
sie in seinen Nacken, und er zog sie mit beiden Händen an seinen Körper.
Ihre
Lippen fanden sich, und es war das Schlimmste, was er tun konnte. Das
unpassendste, das wirklich falsche. Und es war das Beste, was er jemals gespürt
hatte. Ihre Hände griffen in seine Haare, und das Kribbeln in seinem Körper
wurde übermächtig. Er zog sie an sich, seine Zunge drang nach vorne,
unbeherrscht, gierig, als wäre er jung und hätte noch nie ein Mädchen geküsst.
Aber
er war nicht mehr jung. Er hatte es Millionen Male getan, aber das hier war so
anders, so neu, so völlig belebend, dass es ihn umbrachte, so dringend wollte
er es. Und sie küsste ihn zurück, hemmungslos, und sanft stöhnte sie in seinen
Mund.
Noch
zehn Minuten, sagte er sich verzweifelt. Was sollte er-
Aber
sie reagierte, schob sein Jackett von seinen Schultern, und er half ihr, nicht
sicher, wohin es führen würde, aber ziemlich sicher fanden ihre Finger seinen
Hosenbund, öffneten die Gürtelschnalle, den Knopf, den Reißverschluss, und sein
Puls jagte. Er war verlobt. Sie war vergeben. Er hatte noch nie jemanden
betrogen, nie in seinem Leben.
Aber
jetzt konnte er nicht anders! Sofort griffen seine Finger in ihren Rücken, fanden
den Reißverschluss des Kleides, was sündhaft teuer sein musste, denn es bestand
aus vielen Schichten Seide, wie er feststellte. Sie fühlte sich kühl und samten
unter seinen Händen an. Hastig zog er den Reißverschluss tiefer, befreite sie
ungeduldig aus dem Kleid, schob es ihren Körper hinab, und wahrscheinlich hätte
es gereicht, hätte er es hoch geschoben, aber er wollte nicht. Er wollte sie
sehen, wollte… alles an ihr spüren, und er drängte sie zurück, drehte sich mit
ihr, so dass er sie gegen die Bühne drängen konnte, die mehr als einen Meter
erhöht stand. Sie sah absolut perfekt aus, aber sie hatte auch vor endlosen
Monaten absolut perfekt auf ihn gewirkt. Sie hatte sein Hemd geöffnet, und ihre
Hand fuhr über seinen Oberkörper. Ihre Wangen waren so rot, so verrucht rot,
und sie wären bestimmt heiß, würde er sie berühren. Aber ihre Hand wanderte
tiefer, griff in seine Unterhose, und stöhnend fiel sein Kopf zurück, als sie
ihn berührte, als sie nach seiner komplett harten Länge griff.
Zu
viel! Es war zu viel! Er hob sie grollend an, setzte sie auf die Bühne,
konzentrierte sich darauf, nicht in ihrer Hand zu kommen, schob ihren Slip zur
Seite, positionierte sich, nachdem er ihre Hand von seinem Schaft entfernt
hatte, und sie spreizte die Beine weit für ihn. Als er spürte, wie er ihre
feuchte Hitze teilte, senkte er zitternd den Kopf, fand ihr Lippen, und sie bog
sich ihm entgegen, während er die Hände fest um ihren Hintern legte, sie
praktisch an sich zog, und tief stieß er sich in sie. Es war praktisch
erlösend, und er stöhnte ungehalten in ihren Mund. Sie erwiderte den Kuss
heftig, legte die Beine um sein Becken, und er nahm sie, als stünde es ihm zu.
Hart bockte er wieder und wieder nach vorne, bis er Punkte vor seinen Augen
tanzen sah, bis sie sich in seine Schultern krallte, den Kuss löste, und seinen
Namen stöhnte, als ihr Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken fiel. Sein
verdammter Nachname hatte noch nie so sexy geklungen, wie aus ihrem Mund.
Sofort küsste er ihren Hals, atmete sie ein, und er ergoss sich bockend in ihr.
Dann
wurde er ruhig, bewegte sich gar nicht mehr, und sie atmete heftig, die Beine
noch immer um ihn geschlungen. Sie verblieben genauso, vielleicht noch eine
halbe Minute, genossen diese Nähe, aber er nahm an, die Zeit war jetzt vorbei.
Schmerzlich abgelaufen.
Er
zog sich schließlich zurück, verschloss sein Hemd, seine Hose, und fast
beschämt rutschte sie von der Bühne, bückte sich nach ihrem Kleid, und sie sah
absolut perfekt aus, jetzt gerade, mit diesen verdammt roten Wangen, in dieser
verflucht teuren Unterwäsche, befand er. Sein Herz ging schnell, und er fuhr
sich in kämmenden Bewegungen durch die Haare. Sie wandte ihm den Rücken zu,
damit er ihr Kleid verschließen konnte, und schon waren sie wieder angezogen.
Sie prüfte mit vorsichtigen Griffen ihre eigene Frisur, aber er hatte sie nicht
zerstört.
„Ok“,
entkam es ihr ein wenig außer Atem, aber ihre Augen fixierten ihn. „Das… war
wirklich…“ Sie schien um weitere Worte verlegen.
„Ja“,
erwiderte er, denn sie mussten darüber nicht sprechen. Er wusste nicht mal, was
es war. Und er wollte es nicht in Worte fassen. Konnte nicht.
„Ich…
sollte gehen“, sagte sie kleinlaut. Er nickte, nachdenklich, noch betäubt von
seinem Orgasmus. In seinem Kopf überschlug er bereits, wie sich die nächsten
Tage und Wochen ausspielen würden, wie er die Beziehung mit Emily beendete, die
Verlobung lösen musste, weil er ein Arschloch war, wie viel es ihn kosten
würde, auszuziehen, was er zu Emily sagen könnte – denn ganz klar war er nicht
der Mann, den Emily verdiente. „Malfoy?“, riss sie ihn aus seinen Gedanken.
„Ja?“,
wiederholte er knapp, wartete auf ihre Worte, und auch sie begriff, dass es
nicht viel zu sagen gab. Es gab nichts, was sie tun oder planen konnten.
Merlin, was sollten sie auch planen? Ihr Mund schloss sich resignierend, und
bevor sie gehen konnte, bevor diese sinnlosen Worte das letzte waren, was er zu
ihr sagte, neigte er kurzerhand den Kopf tiefer, küsste sie ein letztes Mal,
und sie kam ihm entgegen. Es war so toxisch, es machte süchtig, aber bevor er
sie an sich ziehen konnte, riss er sich zusammen, ermahnte sich zur
Beherrschung, denn mehr blieb ihm nicht übrig. „Geh“, befahl er ihr still. Sie
nickte, wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten den Saal.
Scheiße.
Er hatte keine Ahnung, was jetzt passieren würde.
~*~
„Wieso
willst du das?“ Der Streit drehte sich seit einer Stunde um dasselbe. Hermine
hatte den Fehler gemacht, sich einzumischen und hatte nicht den richtigen
Moment gefunden, abzuhauen. Und jetzt steckte sie genau dazwischen. Zwischen
Rose und Scorpius.
„Ich
habe es doch hundert Mal erklärt“, behauptete Rose, warf die Arme in die Luft,
drehte wieder einen entnervten Kreis im Zimmer, und Scorpius fixierte sie
zornig.
„Wir
haben alles geplant. Wir wollten nach Schottland, näher nach Hogsmeade, Rose“,
wiederholte er wieder. „Du hast ein Baby, keine drei Monate alt!“, erinnerte er
sie.
„Mir
ist das klar, Scorpius, Merlin!“, fuhr sie ihn an. Hermine lehnte am Esstisch,
hatte absolut nichts dazu beizutragen, und wusste nicht mal, warum Rose so
handelte wie sie es tat. Sie war froh, dass ihre Tochter nicht nach Schottland
wollte, dass sie plante wieder in ihrem alten Job zu arbeiten – sicher. Das war
alles schön und gut, aber Hermine bezweifelte, dass die Gründe zwangsläufig
sonderlich nobel waren, die Rose verfolgte.
„Wirklich?
Denn du zerstörst alle unsere Pläne, weil dieses Arschloch hier auftaucht –
ungefragt, unerwünscht – und dir wer weiß was erzählt!“, blaffte er zurück, und
Hermine verdrehte die Augen zur Decke.
„Troy
ist kein Arschloch!“, rechtfertigte Rose den zielstrebigen Gryffindor jetzt,
aber Hermine wusste, das war nicht, was Scorpius hören wollte.
„Es
ist mir egal, Rose! Wir hatten eine Abmachung. Du hast jetzt nicht zu arbeiten!
Und wenn du arbeiten willst, kannst du es in Hogsmeade tun!“
„Ich habe die Ausbildung gemacht. Ich… war dumm, es nicht fortzuführen. Ich
möchte nicht irgendwo in Schottland arbeiten!“
„Du
wolltest überhaupt nicht arbeiten! Du wolltest dich um das Baby kümmern. Wer
denkst du, soll das jetzt erledigen?“
„Wir
stellen jemanden ein, Merlin, Scorpius, als ob es eine Frage des Goldes wäre“,
erwiderte ihre ach-so-arrogante Tochter mit ätzender Tonlage.
„Nein,
verdammt!“, schrie Scorpius jetzt, und Hermine zuckte zusammen. „Es ist ein
Vertrauensbruch, Rose! Es hat nichts mit dem scheiß Gold zu tun!“ brauste er
auf. „Du wolltest das Baby, du wolltest dich kümmern, hast mir versichert, dass
du nichts anderes willst, als eine Familie mit mir, verdammt!“, rief er
verzweifelt. „Und jetzt kommt dieser Clown hier her, überzeugt dich vom scheiß
Ministerium und du läufst ihm nach?“
„Ich
laufe ihm nicht nach!“, widersprach Rose laut und ungehalten, und Hermine
fragte sich, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen wäre, wo sie unbemerkt gehen
könnte. Aber jetzt entschied ihre Tochter, sie einzubeziehen. Blöderweise.
„Mum, sag Scorpius, dass eine Karriere nichts Dummes ist. Dass es wichtig ist,
für die eigene Psyche! Du hast es so gemacht!“, behauptete sie blind. Hermine
schluckte schwer.
„Rose,
es waren sehr andere Umstände“, begann sie, denn sie hatte Ministerin werden
wollen. Rose wollte zehn Stunden die Woche Papierkram in der Strafverfolgung
erledigen.
„Du
bist also nicht auf meiner Seite?“, entrüstete sich ihre Tochter tiefverletzt.
„Ich… bin immer auf deiner Seite, Rose, das ist nicht fair“, erwiderte Hermine
jetzt kopfschüttelnd.
„Warum verteidigst du mich dann nicht? Wieso machst du es ihm nicht
begreiflich?“, wollte sie wütend wissen, mit einer herrischen Geste auf
Scorpius, der mit verschränkten Armen lauerte, und Hermine atmete angestrengt
aus.
„Schatz,
weil ich mir nicht sicher bin, woher dieser Sinneswandel kommt“, räumte sie
tatsächlich ein. „Du bist frisch Mutter geworden, und… es gefällt dir doch, oder?
Ich meine, vielleicht hast du eine Wochenbettdepression, und möchtest
deshalb-?“
„-oh
bitte, Mum!“, rief Rose gereizt.
„Denn
anders kann ich es mir nicht erklären. Und ja“, bemerkte Hermine schließlich,
„es ist seltsam, dass Troy Ferrars hier auftaucht und auf einmal möchtest du
arbeiten. Zufällig in derselben Abteilung, wahrscheinlich im selben Büro?“,
vermutete Hermine knapp und unverblümt, und Roses Augen weiteten sich.
„Du
unterstellst mir ebenfalls, dass ich keine guten Absichten habe?“, zischte ihre
Tochter jetzt, und Hermine öffnete unschlüssig den Mund. „Ihr könnt mich mal!
Anstatt, dass ihr euch freut – nein, ihr müsst alles zunichte machen! Ihr seid
richtig scheiße! Alle beide!“, fuhr sie sie simultan an und machte auf dem
Absatz kehrt. Sie verließ das Esszimmer, knallte die angrenzende Tür hinter
sich dermaßen laut ins Schloss, dass die Bilder an den Wänden bebten.
Hermines
Blick fiel.
„Bist
du auf meiner Seite, weil ich dich erpresse, oder-?“, wollte er bitter wissen, und
Hermine fuhr zu ihm herum.
„-oh, ich bin niemals auf deiner verdammten Seite, Scorpius – also fang nicht
an!“, warnte sie ihn kalt. „Deine Beweggründe interessieren mich einen
Scheißdreck!“, sagte sie jetzt, und war nicht wirklich in der besten Verfassung,
sich mit ihm anzulegen. Wollte sie auch nicht. Sein Großvater lag im Sterben,
und Rose benahm sich absolut rücksichtslos. Dann wiederum war Hermine nicht
besser. Sie hatte Desmond vertröstet, ihm gesagt, der Anlass der Veranstaltung
hätte ihr aufs Gemüt geschlagen, und natürlich hatte er verstanden. Natürlich
ließ er sie in Ruhe, ließ ihr Zeit – Merlin. Sie war einfach nur grenzenlos
widerlich. „Hör auf, mich einzubeziehen. Kümmere dich um deine eigenen
Probleme, Scorpius“, fuhr sie ihn gepresst an. „Es scheinen sich genügend
angesammelt zu haben“, ergänzte sie harsch. Sie sah, wie er den Kiefer
anspannte. Wie seine Fäuste zitterten.
„Ich
verdiene es, richtig? Das willst du sagen?“, verlangte er zu wissen, und sie
verdrehte wieder die Augen.
„Was mit dir passiert, ist mir vollkommen egal. Was du fühlst, interessiert
mich offen gesagt nicht. Du hast in erster Linie nicht verdient, mit Rose
überhaupt zusammen zu sein, und alle weiteren Probleme hast du dir selber
eingebrockt. Du wolltest es so!“, warnte sie ihn kalt. Er öffnete den Mund,
aber sie war noch nicht fertig. „Du hast sie entjungfert, du hast sie in
Hogwarts praktisch genötigt, mit dir zusammen zu sein, du hast sie nicht in
Ruhe gelassen, hast sie betrogen, sie verlassen, sie wieder betrogen, du hast
sie geschwängert, sie geheiratet – und du erpresst mich, damit ich nett zu
deiner Familie bin!“
„Ich…
ich habe sie nicht-!“
„-es
ist mir egal!“, unterbrach sie ihn zornig. „Ich habe eure Beziehung nie
verteidigt, denn ich halte sie für absolut giftig und falsch. Ich wollte Rose
nicht verlieren, und das hat bedeutet, zwangsläufig mit einem Arschloch wie dir
zurechtzukommen!“ Er blinzelte, und eine Träne fiel auf seine Wange. Er nickte
angespannt, aber seine Tränen lösten nichts in ihr aus. Sie empfand nichts als
Ablehnung für dieses Subjekt vor ihr. Nichts weiter. Sein Blick fiel.
„Ich
packe meine Sachen“, sagte er tonlos.
„Aha“,
erwiderte sie. „Du verlässt Rose? Sehr originell, Scorpius!“, knurrte sie.
„Aber ich nehme an, du hast es lange ausgehalten. Ein Jahr, immerhin“, spuckte
sie ihm entgegen.
„Danke“,
informierte er sie tonlos, und sie hasste seine Tour, seine Masche, seine ganze
Show! „Ich wollte eine Mutter wie dich, aber ich sehe, du bist einfach nur
bösartig und missgünstig.“ Er nickte schwer. „Du bist frei. Ich will nichts
mehr von dir, Hermine.“ Er wandte sich ab, aber sie hielt ihn auf.
„Halt!
Du bleibst genau da stehen“, warnte sie ihn. „Was soll das heißen, du wolltest
eine Mutter wie mich?“, wiederholte sie dumpf seine Worte, aber er schüttelte
den Kopf. Er wischte sich über die Augen, aber ihr Kiefer gab plötzlich nach.
„Du wolltest mich mit deinem Vater verkuppeln?!“ Sie flüsterte die Worte nur,
starrte ihn entsetzt und gänzlich ungläubig an, während Trotz sein Gesicht
überschattete.
„Nicht
mehr. Ich bin drüber weg, glaub mir! Du bist keine Mutter“, entfuhr es ihm
zitternd. „Du bist eiskalt.“ Auch er verließ das Zimmer, knallte aber keine
Türen, und sie verblieb, gänzlich unfähig, irgendetwas zu tun, oder zu denken.
Oh
Merlin.
Sie
hatte angenommen, Scorpius hasse sie mit derselben Inbrunst, wie sie ihn.
Aber…
er war ein Junge, der eine Mutter suchte. Sie seufzte auf, bedeckte die Augen
mit ihrer Hand und wusste nicht mal, was sie denken sollte. Alles war absolut
furchtbar geworden. Sie hielt Desmond auf Abstand, aber… sie wusste nicht, ob
sie ihn verlassen wollte. Sie hatten erst drei Verabredungen hinter sich. Sie
wusste nicht mal, was das für eine Sache mit Malfoy war – und wesentlich
schlimmer war, dass Scorpius nicht mal wusste, dass tatsächlich etwas an der
Feier vorgefallen war! Und wieso wollte er, dass sie mit seinem Vater zusammen
war – oder was auch immer – wenn er mit ihrer Tochter verheiratet war?! Das war
einfach krank!
Es
war alles zu krank. Es war alles falsch! Und noch eine Tatsache, regte sie auf.
Dieses Mal – und nur dieses Mal – war sie vielleicht auf Scorpius‘ Seite. Ganz
einfach, weil es so aussah, als langweile sich Rose mit ihrem Ehemann. Und so
eine Tochter wollte sie nicht erzogen haben. Sie war sauer auf Rose, weil
Hermine ernsthaft annehmen musste, dass Scorpius Recht hatte. Und das war
schlimmer als jeder Vertrauensbruch.
Und
sie wusste, sie hatte ein dringendes Gespräch zu führen. Bedauerlicherweise.
Vielleicht
auch zwei, dachte sie mit einem dumpfen Bauchgefühl.
Seine
Mutter hatte sich bisher dreimal bei ihm versichert, ob er kommen würde, und
dreimal hatte er zugesagt. Die Ministerin wäre auf Malfoy Manor, würde auf ihn
warten, hatte ein Gespräch zu führen. Es klang alles sehr offiziell, und Draco
graute es bereits. Er war mit Emily so verblieben, dass er verdammt noch mal
gar nichts getan hatte.
Sie
sprach nicht mit ihm, er hatte nicht mit ihr gesprochen, schlief im
Gästezimmer, und soweit er gehört hatte, war Scorpius in ein Hotel gezogen. Er
nahm also an, es ging um die Kinder.
Er
hoffte es stark. Denn alles andere war zu viel.
Jetzt
war es nach fünf, und er reiste über Floh nach Malfoy Manor. Der Kamin im Büro
seines Vaters war offen für Flohreisen, und kurz glaubte er, sich im Kamin
vertan zu haben, als er vom Rost trat, und in die Gesichter verschiedener
Männer blickte, die er allesamt nur von den Titelseiten des Tagespropheten her
kannte.
Sein
Mund öffnete sich erstaunt.
„Mr. Malfoy“, wurde er von einem älteren Mann begrüßt, dessen Namen er nicht
wirklich zuordnen konnte. „Maxwell Tavish“, stellte sich der Mann scheinbar
vor. Tavish. Irgendwer von der Inneren, dachte er dumpf. Gelder, Personal –
irgendwo dort sortierte er ihn hin. „Verzeihen Sie die Belagerung, aber es
bedauerlicherweise ist etwas vorgefallen, was die sofortige Konsultation mit
der Ministerin erfordert hat“, erläuterte er knapp. Der Tod seines Vaters wird
es nicht gewesen sein, nahm Draco dumpf an. Noch war Lucius am Leben, sein Zustand
unverändert.
„Was
ist vorgefallen?“, wollte Draco mit gerunzelter Stirn wissen, und Mr. Tavish
verzog den Mund, als überlege er, ob er ihm diese vertraulichen Informationen
mitteilen durfte.
„Es
gab einen Massenausbruch“, vernahm er ihre Stimme, und er hatte sie gar nicht
bemerkt. Er suchte ihren Blick, und sie lehnte am Schreibtisch seines Vaters.
„Madame“,
entfuhr es Mr. Tavish warnend.
„Ganz
England wird es spätestens heute Abend in der Presse lesen. In einer verdammten
Sonderausgabe“, entfuhr es ihr bitter. Und Draco begriff. Er hatte darüber mit
Scorpius gesprochen. Über die sehr wahrscheinliche Möglichkeit eines Ausbruchs.
„Der
Dementorenabzug“, entkam es ihm stockend.
„Ja,
scheinbar habe ich mich verkalkuliert, in dem ich den verdammten Wärtern
unterstellt habe, loyal zu ihrer Regierung und ihrem Arbeitgeber zu sein“,
knurrte sie außer sich, und nichts war mehr von der Hermine Weasley verblieben,
die ihn verführt hatte, mit ihm zu schlafen. Erst vor drei Tagen. Sie sahen
sich viel zu früh wieder. Er war gewohnt, dass zwischen ihren Schlagabtauschen
Wochen lagen. Er fühlte sich noch nicht bereit.
„Was
passiert jetzt?“, fragte er direkt, und Mr. Tavish antwortete.
„Die
Gefangenen wurden bereits gestellt und in Verwahrung verbracht. Die verantwortlichen
Wärter sind vom Dienst gekündigt, und aufgrund der Massenkorruption sind die
Dementoren per Eilbescheid wieder eingesetzt worden, samt Aurorenbegleitung.“
„Das
ganze Spektakel kostet uns hunderttausende“, beschwerte sich ein anderer Zauberer,
der scheinbar von einer magischen Freizeitaktivität herbeiberufen worden war,
denn er trug blau karierte Hosen und wirkte übermäßig legere.
„Farlane,
es ist mir klar!“, blaffte die Ministerin gereizt. Innenwesen, Außenwesen?
Irgendwo dorthin verbuchte Draco diesen Mann.
„Wir
müssen ins Ministerium.“
„Ich
werde garantiert nicht reisen, Theodore“, wurde sie deutlicher. „Die Presse
wird sich auf den Füßen stehen, das Atrium belagern – auf gar keinen Fall
wechseln wir Lager“, warnte sie ihn jetzt.
„Und
stattdessen verbunkern wir uns hier?“
„Es
macht kaum einen Unterschied, oder?“ Sie und Farlane sahen sich abschätzend an.
Die weiteren Führungsstäbe beratschlagten sich still.
„Madame,
ich schlage vor, Sie kehren in die Minister-Villa zurück, und dass sobald wie
möglich“, erklärte Tavish mit Nachdruck. „Dort werden Sie verbleiben, bis sich
die Sache beruhigt hat. Bis zur nächsten Riege-Sitzung. Ich denke, bis morgen
Nachmittag sollte alles vorbereitet sein. Dann sehen wir weiter“, schloss der
Mann nachdenklich.
„Maxwell,
ich danke Ihnen“, sagte sie ernst. Sie sah auch komplett anders aus.
Hochgeschlossen, absolut eindrucksvoll und unnahbar. Und Tavish schenkte ihr
noch einen eindringlichen Blick, senkte die Stimme, aber Draco verstand.
„Und
fassen Sie sich kurz hier“, schien er ihr nahe zu legen, ehe er sich ihm
zuwandte.
„Wir
verlassen Ihr Haus, Mr. Malfoy.“ Er fühlte sich gehalten, klarzustellen, dass
diese Monstrosität an Haus nicht sein Haus, sondern der gotische Bunker seiner
Eltern war, aber er beließ es dabei.
„In
Ordnung“, sagte er nur.
„Mr.
Malfoy“, verabschiedeten sich die übrigen Männer nacheinander, traten auf das
Rost und reisten ins Ministerium, wie er hörte.
Und
nur zu schnell waren sie allein. Sie hatte den Kopf in ihre Hand gestützt, und
er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Keine
Sorge“, rang er sich also ab, aber ihr scharfer Blick traf ihn, und nichts in
ihrer Erscheinung ließ ihn annehmen, dass sie seine Nähe jemals gesucht hatte,
dass es sie auch nur die Bohne interessierte, ob er ihr gut zuredete oder
nicht.
„Keine
Sorge?“, wiederholte sie.
„Es
wird vergehen“, entkam es ihm lahm.
„Super“,
entfuhr es ihr gepresst. „Es ist unfassbar. Und dann hatte Scorpius auch noch recht“,
knurrte sie wütend. Anscheinend hatte sich Sohn nicht nehmen lassen, die
Ministerin Auge in Auge zu kritisieren. Draco sah es ähnlich, aber er würde es
ihr nicht sagen. Nicht ins Gesicht zumindest. Ihr Blick verlor sich. Sie wirkte
erschlagen und enttäuscht, und er war sich nicht sicher, was sie hier wollte.
Anscheinend war der Ausbruch etwas gewesen, was ihren wahren Anlass herzukommen
überschattet hatte.
Es
klopfte sachte an der Tür. Seine Mutter stand im Türrahmen, und Weasley hob den
Blick.
„Sind
die Herren fort?“, erkundigte sich Narzissa bei ihr, und Weasley schien sich
kurz zu besinnen.
„Die
Herren-? Oh, ja richtig. Natürlich. Bitte verzeihen Sie“, rang sie sich die
unbequemen Worte ab.
„Wir
helfen dem Ministerium gerne, Mrs Weasley“, log seine Mutter ungeniert, und
Weasley schien es egal zu sein, dass seine Mutter auf den Titel verzichtete.
„Es
ist eine Ausnahmesituation gewesen. Ich hatte niemals beabsichtigt-“
„-bitte“,
unterbrach Narzissa sie lediglich, und Weasley verstummte. „Wir sind Familie.
Es ist überhaupt kein Problem.“ Und diese Worte ließen die Mundwinkel der
Ministerin sofort sinken.
„Richtig“,
stellte sie konsterniert fest.
„Bleiben
Sie, solange wie Sie es wünschen, Mrs Weasley“, fuhr seine Mutter kühl fort,
und Draco war es mäßig unangenehm. Narzissa verließ das Büro, und Weasley
schien wieder einzufallen, dass sie wohl einen Grund hatte, hier zu sein.
„Scorpius
ist ausgezogen. Temporär“, ergänzte sie dann in seine Richtung. Tatsächlich?
Sie wollte mit ihm über Scorpius reden? Damit hatte er nicht gerechnet. „Es tut
mir leid, dich hier zu überfallen und ausgerechnet mit den Kindern anzufangen“,
begann sie, und er zog die Stirn in Falten, hatte noch nicht die Zeit gehabt,
ihre Anwesenheit gänzlich zu verarbeiten. „Und ich weiß, es gibt dringendere
Dinge, und ich weiß nicht mal, ob ich nicht schon heute Abend eine
Pressekonferenz halten muss, weil… weil…“ Sie fuhr sich abwesend durch die
Haare. Ihr Blick wurde panischer. „Sie werden mich feuern“, murmelte sie
verstört, und er wusste nicht, ob er intervenieren musste, reagieren sollte –
oder, ob er einfach den Mund zu halten hatte. „Es gab einen Massenausbruch“,
flüsterte sie kopfschüttelnd. „Merlin…“
„Du
korrigierst den Fehler. Mehr kannst du nicht tun“, bemerkte er ruhig. „Wenn ich
das anmerken darf“, ergänzte er.
„Es
war kein Fehler“, entfuhr es ihr tatsächlich. „Ich… ich habe es kalkuliert. Ich
habe es geplant…“, fuhr sie manisch fort.
„Weil
du es dir in deinem Kopf nett ausmalst, heißt es nicht, dass es automatisch funktioniert.
Du hast die Unfähigkeit und komplette Dummheit der Wärter nicht eingeplant. Das
war der Fehler.“
„Sie
sind Angestellte des Ministeriums. Sie haben eine Gehorsamspflicht, sie-“
„-sie
haben einen eigenen Willen“, unterbrach er sie ungläubig.
„Ja,
aber…“ Dann schüttelte sie den Kopf, schien sich mit ihm nicht darüber
auseinandersetzen zu wollen, und dann atmete sie aus, fokussierte ihre
Aufmerksamkeit auf ihn, und schien dieses Problem tatsächlich zu verdrängen.
Bemerkenswert, wie sie es konnte. „Scorpius ist ausgezogen“, begann sie wieder.
„Und… und ich war nicht unbeteiligt“, ergänzte sie bitter.
„Das
bezweifel ich“, erwiderte er müde und lehnte sich nun selber gegen die
Schreibtischkante. „Was möchtest du von mir? Willst du… eine Art Plan entwerfen,
willst du-“
„-nein“,
unterbrach sie ihn, fast enttäuscht. „Ich… hätte längst mit dir reden müssen.
Ich hätte…“ Sie schloss kurz die Augen, und er nahm an, sie würden den Abend
auf der Feier totschweigen. Sie hatten miteinander geschlafen, aber sie schien
komplett drüber weg zu sein. „Die Box, der… Zauber, die Einladung zu deinem
Geburtstag, die Sache in der Sauna“, zählte sie schließlich auf, und er sah sie
abwartend an. „Es war Scorpius“, schloss sie ernst. Seine Augenbraue hob sich
skeptisch.
„Das
halte ich für-“
„-nein“,
unterbrach sie ihn, noch immer ernst. „Ich äußere keine Theorie. Ich informiere
dich über Fakten.“
Er
starrte sie an. „Das ist nicht möglich“, widersprach er kopfschüttelnd.
„Das…
ist der Grund, warum ich dich und deine Verlobte nach der Geburt eingeladen
hatte. Warum ich zugesagt habe, auf die Feier zu kommen. Scorpius hatte mich
erpresst, nachdem… nachdem ich dich damals angefahren hatte“, schien sie ihm zu
beichten, und sein Kiefer gab nach. „Und er wollte es Rose erzählen, wollte es
Emily erzählen – und ich… wusste nicht, was ich hätte tun sollen. Du solltest
es nicht erfahren, weil-“
„-du
meinst das ernst?!“, entkam es ihm ungläubig.
„Ja,
ich… meine das ernst“, bestätigte sie.
„Was?
Wieso sollte Scorpius-“
„-er
wollte uns zusammen bringen. Oder etwas Ähnliches“, erklärte sie, was sie wohl
zu wissen schien, und er konnte sie nur anstarren.
„Wieso
sollte er?“, war das erste, was er laut äußern musste.
„Ich bin
mir nicht sicher. Er… wollte eine Mutter wie mich“, sagte sie behutsam. „Aber
nachdem ich ihm gestern sehr deutlich meine Meinung gesagt habe, hat er… die
Erpressung aufgegeben, und-“
„-du…
wieso hast du es mir nicht gesagt?“, wollte er gänzlich tonlos wissen, denn er
konnte es nicht begreifen.
„Du
wärst…- du hättest reagiert“, sagte sie schlicht. „Irgendwie. Und das hatte
nicht passieren dürfen. Ich… wollte nicht damit umgehen müssen. Ich wollte das
Amt nicht gefährden, ich wollte nicht-“
„-aber
jetzt? Jetzt ist es ok?“ Er war sich nicht sicher, was er empfinden sollte. Wie
konnte sein Sohn ihn hintergehen? Wie konnte sie ihn hintergehen?
„Jetzt
ist Scorpius ausgezogen, er… ist gekränkt, und ich hätte niemals damit
gerechnet, dass er… solche Absichten verfolgt. Ich dachte, er wollte mich
einfach quälen, aber… er leidet“, schloss sie stiller. Er bedeckte die Augen
mit seiner Handfläche, versuchte, zu atmen, aber er konnte sich nicht
beruhigen.
„Du
wusstest das“, entfuhr es ihm wieder, und ihr Blick wirkte gequält.
„Malfoy-“
„-du wusstest das die ganze Zeit über.“
„Was
hätte ich machen sollen?“
„Was
du hättest-?“ Er spürte die Wut in sich aufsteigen. „Was du hättest machen
sollen?!“, wiederholte er außer sich. „Vielleicht hättest du in deiner ewigen
Weisheit entscheiden müssen, dass du auf gar keinen Fall irgendwelche Spiele
mitspielst, zu denen Scorpius dich scheinbar zwingt! Vielleicht hättest du zu
mir kommen müssen, damit wir dem ein Ende setzen, anstatt… anstatt mich zu dir
zu holen, so zu tun, als… als – ich weiß es nicht!“, fuhr er sie an. „Es war
alles Show! Es war alles… nicht echt!“, rief er zornig.
„Was?
Nein! Ich…“
„Du
kommst zu meiner Verlobungsfeier, weil mein Sohn dich zwingt, verdammt noch
mal!“, fluchte er wütend. „Dass du Sex mit mir hattest – war das auch Scorpius‘
Idee? Habt ihr den Plan zusammen entworfen? Wieso hast du-“
„-hör
auf damit!“, fuhr sie ihn an. „Als… als ob ich mit ihm zusammen arbeiten würde!
Er hat mich nur gezwungen auf die Feier zu gehen.“
„Ansonsten
wärst du nicht dort aufgetaucht?“, fragte er sie jetzt direkt, und sie lachte
freudlos auf.
„Nein,
natürlich nicht! Was zur Hölle sollte ich auf deiner Verlobungsfeier wollen?“,
antwortete sie ihm ungläubig.
„Dann
wäre es wahrscheinlich besser gewesen, du wärst nicht aufgetaucht und hättest
mich nicht heimgesucht, oder Weasley?“, erwiderte er kalt, und ihr Mund schloss
sich.
„Ich…
meinte nicht-“
„-es
ist mir scheiß egal, was du meinst!“, fuhr er sie an. „Was denkst du, was jetzt
passiert?“, rief er zornig. „Ist es alles ok für dich? Du lässt dich von mir
vögeln und hast nebenbei noch deinen Arbeitsflirt, weil es gerade so passt?“ Er
sah, wie ihre Schultern sanken, wie seine Worte sie verletzten. Er sah es, aber
es war ihm egal. Sie verletzte ihn! Mit Absicht! „Ich habe meine Verlobte
betrogen, verdammt noch mal! Weil… weil-“ Er wusste keine Erklärung. „Weil ich
wahrscheinlich absolut wahnsinnig geworden bin!“
„Malfoy-“
„-nein“,
sagte er kalt. „Lass mich verdammt noch mal in Ruhe!“, warnte er sie. „Ich will
nichts mehr hören. Keine Rechtfertigung, keine Erklärungen mehr. Ich will nicht
hören, dass mein Sohn dich angeheuert hat, mich zu verführen! Es reicht! Es war
ein unfassbarer Fehler meinerseits, ein unverzeihlicher Fehltritt! Im Gegensatz
zu dir habe ich die Chance auf eine verdammt glückliche Zukunft mit einer
wunderschönen, jungen Frau – die mich liebt!“, ergänzte er so wütend, dass
seine Stimme bebte. „Ich habe es gehasst, mit dir geschlafen zu haben, an der verdammten
Hochzeit! Ich habe es gehasst, so dass ich mich in die Beziehung mit Emily
geflüchtet habe, einfach, um nicht mehr an diese widerliche Nacht zu denken!
Und ich hatte Glück! Merlin, ich hatte unfassbares Glück, dieses Mädchen
bekommen zu haben! Und ich riskiere dieses Glück für was?“, fuhr er sie haltlos
an. „Für eine überflüssige Affäre mit der fünfzigjährigen Ministerin!“,
donnerte seine Stimme.
Starr
war ihr Blick, bleich ihr Gesicht, und er fuhr sich durch die Haare, kämmte sie
zurück, während er blind nickte. „Gut. Wirklich gut, dass du hier warst. Danke
für diese Erleuchtung, Weasley. Du bist genau das, was ich erwartet habe. Kein
Wunder, dass dein Mann Trost bei einer anderen sucht – und wahrscheinlich auch
findet. Denkst du jemals an irgendetwas anderes, als an dich selbst? Haben
andere irgendeinen Stellenwert? Oder haben nur Malfoys keine
Daseinsberechtigung in deiner Welt? Behalt dein scheiß Geheimnis für dich! Komm
mir nicht mehr unter die Augen, hast du das verstanden? Versau dir dein eigenes
Glück, aber verschon mich davon! Mein Vater wird in den nächsten Tagen sterben,
aber gut, dass du deinem Ärger noch hattest Luft machen können! Gut, dass du
noch die Gelegenheit hattest, mich auszunutzen! Es wundert mich nicht, dass
deine Karriere den Bach runter geht. Die schlechten Entscheidungen, die du in
deinem Privatleben triffst, triffst du genauso in deinem Amt! Und scheinbar ist
niemand fähig, dir etwas Demut und Vernunft beizubringen, auf deinem verdammt
hohen Ross!“
Er
wusste nicht wirklich, woher all diese Worte gekommen waren, aber er bereute
keines davon. Denn alles, was er sagte, entsprach der Wahrheit. Sie hatte ihn
benutzt, aber letztendlich ging er als Sieger hervor, denn er hatte Emily.
Weasley würde alleine dastehen, denn auch die Beziehung mit Ferrars würde sie
zerstören. Sie war ein kalter, gefühlsloser Mensch, und er hatte genug.
Und
plötzlich löste sich ihr Blick von ihm, fixierte etwas hinter ihm, und wenn
möglich, wurde sie noch eine Spur blasser. Er wandte sich um und erstarrte.
„Es
reicht“, sagte seine Mutter dann. Fuck. So eine verdammte Scheiße! Überfordert
öffnete sich sein Mund, aber Narzissa sprach erneut. „Es reicht, Draco“,
wiederholte sie ernst. „Du befindest dich in meinem Haus, denn es war dir nicht
gut genug, hier zu wohnen. Und in meinem Haus wirst du keinen Gast derartig
behandeln, auch wenn sie muggelgeboren ist“, ergänzte seine Mutter, und er
wusste, Narzissa hielt absolut gar nichts von der neuen Ministerin. Aber er
gönnte es Weasley, auch Narzissas Abneigung zu spüren. Wenn er jedoch sehr viel
Pech hatte, würde Narzissa es Emily berichten. Und das durfte nicht passieren!
„Es
geht dich überhaupt nichts an!“, informierte er seine Mutter zornig.
„Klärt
eure verkommenen Probleme in euren eigenen Häusern. Nicht in diesem hier!
Beleidige deine Mätresse sonst wo, aber nicht hier. Dein armer Vater hat so
etwas nicht verdient. Ich möchte euch bitten, zu gehen. Beide“, ergänzte sie
scharf. Und fast war er sich sicher, dass Weasley sprechen würde. Dass sie dazu
garantiert etwas zu sagen hatte, aber sie sagte gar nichts.
„Was?“,
entkam es ihm entgeistert. „Ich bin hier für Vater.“
„Dein
Vater verzichtet auf deine Anwesenheit, Draco“, schloss seine Mutter kühl. Sein
Mund öffnete sich.
„Das
wirst du nicht entscheiden!“, informierte er sie wütend.
„Das
habe ich bereits. Du wirst jetzt gehen. Es ist genug Schande über diesen Namen
gekommen, und ich ertrage nicht noch mehr, Draco! Scorpius hat den Namen bereits
entehrt mit dieser… dieser Farce von Hochzeit! Und du! Du…“ Ihr Blick wanderte
über Weasley, als wäre sie Ausgeburt allen Übels. „Ihr werdet gehen. Ihr werdet
gehen, bevor ich euch zwinge“, drohte sie jetzt mit zitternder Stimme. Seine
Schultern sanken.
„Narzissa!“
„Geh,
oder ich rufe deine Verlobte sofort über Floh, Draco“, drohte sie jetzt
schlicht, aber sehr effektiv. „Und ich möchte dich nicht mehr hier sehen. Und
ich spreche für deinen Vater, wenn ich sage, dass er meiner Meinung wäre.“
Sein
Mund schloss sich. Das war nicht ihr ernst! Wie konnte sie so etwas sagen?
Er
hörte, wie die Flammen loderten, wandte den Blick, aber schon wurde die
Ministerin von den grünen Flammen geschluckt. Sie war fort, ohne dass er sie
noch einmal angesehen hatte. Fort, ohne dass sie ihm Konter hatte geben können.
Fast fühlte es sich gut an.
Fast.
Er
würde verschwinden, damit sich seine Mutter abregen würde. Mehr konnte er heute
nicht tun. Mehr Kraft besaß er auch nicht.
Und
schon jetzt spürte er, dass es nicht gut war. Dass er sich nicht besser fühlte.
Er hasste, dass er die Worte nicht so gemeint hatte, die er in ihr Gesicht
gesagt hatte. Er wusste, dass Narzissa unverzeihlich reagiert hatte.
Und
es tat weh. Unfassbar weh, irgendwo in seinem Körper, wo er den Schmerz nicht
verdrängen konnte. Sie hatte ihn verletzt, und deshalb hatte er zum Gegenschlag
ausgeholt.
Und
das schlimme war, dass er nicht gewusst hatte, dass es überhaupt noch eine Frau
auf dieser Welt gab, die ihn verletzen konnte. Wirklich verletzen.
Und
das… änderte alles.
Er
klopfte sachte an die offene Tür. Er war froh, dass sein Name genug Gewicht
besaß, um ihn in die Minister-Etage zu lassen. Sie hatte in den letzten zwei
Wochen so viele Interviews gegeben, ihr Name war derartig in Verruf geraten,
ihre gesamte Amtszeit schien gefährdet. Alles wegen des Ausbruchs.
Und
er wusste nicht, ob sie überhaupt eine Pause eingelegt hatte.
So
aussehen tat sie nicht, stellte er mit stummer Sorge fest.
„Hermine“,
sagte er sanft. Ihr Blick hob sich leer, müde, ausgelaugt. Ein Mann stand neben
ihrem Schreibtisch, hob ebenfalls den Blick. Und der Mann erkannte ihn.
„Mr.
Potter, vielleicht kommen Sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder?“, schlug der
Mann kühl vor, aber Harry schüttelte den Kopf.
„Mir passt
jetzt. Könnte ich einen Moment mit der Ministerin sprechen?“, fragte er glatt.
„Allein?“, ergänzte er eindeutig. „Es werden sich mit Sicherheit zehn Minuten
einschieben lassen, nicht wahr?“, machte er es deutlich, und der Mann verzog
den Mund, betrachtete Hermine eingehend, bevor diese schwach nickte.
„Ich
sage Bescheid, Maxwell“, informierte sie den Mann still, und dieser wandte sich
schließlich ab, schritt an ihm vorbei, und auf seiner Höhe fixierte er ihn.
„Zehn
Minuten, Mr. Potter“, schien er ihn zu warnen. Harry ignorierte seine Worte,
wartete, bis er die Tür schloss und kam zu ihr.
„Du
machst das wirklich gut“, versicherte er ihr, denn er wusste, wie es ihr gehen
musste.
„Danke“,
entkam ihr ein leeres Wort. Sie hob nicht mal den Blick, konzentrierte sich auf
ihre Unterlagen, und er vergrub die Hände in seinen Taschen.
„Du
warst nicht mehr unten zum Training“, bemerkte er dann.
„Keine
Zeit mehr gehabt“, erwiderte sie sehr kurz angebunden.
„Dachte
ich mir. Es ist… bestimmt schwierig. Aber diese Zeit geht vorüber, und es war
ein guter Versuch. Es hat einfach nur nicht funktioniert.“
„Ja“,
bestätigte sie einsilbig.
„Hermine,
ich… denke, du solltest reden. Mir sagen, was-“
„-es
ist alles in Ordnung, Harry“, informierte sie ihn, gönnte ihm einen kurzen
Blick, lächelte ein Kamera-Lächeln, bevor sie sich den nächsten Ordner griff.
„Wir
läuft es mit Desmond?“, wollte er nun wissen, und sie sah ihn nicht an, als sie
antwortete.
„Ist
pausiert“, erklärte sie emotionslos, und er nickte langsam.
„Hm“,
machte er. „Und… wie läuft es mit Malfoy?“, fragte er dann, beinahe neutral,
und langsam hob sich ihr Blick. Verwirrung trat auf ihre Züge, bevor sich eine
steile Falte zwischen ihren Augenbrauen bildete.
„Bitte?“,
entfuhr es ihr tatsächlich, und erst jetzt bekam er ihre ungeteilte
Aufmerksamkeit. Er hatte angenommen, dass sie darauf reagieren würde.
„Deine
Assistentin kann Geheimnisse nicht sonderlich gut für sich behalten“, sagte er
bloß, und Hermines Mund öffnete sich tatsächlich einigermaßen ertappt.
„Du…-?
Darcy?“, sagte sie jetzt, und Harry schenkte ihr ein sehr schmales Lächeln.
„Nettes
Mädchen. Etwas… unbeholfen“, ergänzte er knapp. Hermine starrte ihn regelrecht
an. „James hat uns besucht, vor einer Woche. Mit Darcy“, eröffnete er ihr die
großen Neuigkeiten, und ihre Augen weiteten sich.
„Tatsächlich?“,
flüsterte sie praktisch.
„Oh
ja. Und ich denke, ich habe es dir zu verdanken?“, erkundigte er sich, denn er
nahm an, ohne Hermines Mühen, wäre James niemals aufgetaucht.
„Und?“
Endlich erkannte er seine Hermine wieder.
„Es
war wunderbar. Ich danke dir“, sagte er bloß, lächelte breiter, und ihre
Mundwinkel zuckten. „Malfoy also?“, griff er seine Worte wieder auf, und ihr
Lächeln verschwand so schnell und spurlos, wie es gekommen war. Es tat Harry
leid, aber das war eine Sache, die ihn absolut brennend interessierte.
„Darcy ist sowas von gefeuert“, bemerkte Hermine bitter, verzog den Mund, und
Harry winkte ab.
„Sie
kann nichts dafür, denke ich. Und ich erwarte keine Details, Hermine. Merlin,
bewahre“, machte er es überdeutlich. „Aber… ist es nicht vielleicht ein wenig
zu…“ Er ließ den Satz in der Luft hängen, suchte nach dem richtigen Wort…,
„ungünstig?“, entschied er sich, und gequält verzog sich ihr Mund.
„Was
auch immer es wert ist – die Sache ist vorbei. Absolut vorbei.“
„Seit
wann-?“ Aber sie unterbrach ihn gereizt.
„-Harry,
müssen wir darüber reden?“ Sie sah ihn unglücklich an.
„Ron
ist mein bester Freund, Hermine. Sicher, ihr… seid geschieden, aber ich-“
„-bitte
erzähl ihm nichts davon“, bat sie ihn fast panisch, und Harry verdrehte die
Augen.
„Was
denkst du? Sicherlich nicht.“
„Danke“,
entgegnete sie dankbar.
„Ich
mache mir Sorgen um dich“, äußerte er seine Bedenken.
„Das musst
du nicht. Ich komme zurecht“, entschied sie zu sagen, und er seufzte auf.
„Ich
wünschte, du würdest mit jemandem reden. Ich muss es auch nicht sein. Sprich
mit Ginny, mit irgendwem – aber-“
„-Harry,
ich muss mein Amt retten“, erklärte sie würdevoll, und Harry nickte
schließlich.
„Dein
Amt ist nicht gefährdet, Hermine. Es geht gerade einfach nur mühsam bergauf,
das ist alles. Aber dein Seelenheil, das ist hochgradig in Gefahr“, stellte er
fest, und ihr Blick fiel wieder.
„Es
geht mir gut“, log sie, ohne große Mühe, und Harry schnaubte auf.
„Ich
kenne dich so nicht“, sagte er.
„Wenn
du die ganze Nation gegen dich hast, sprechen wir noch mal, in Ordnung?“,
erwiderte sie bitter und er legte ihr den Arm um die Schultern.
„Wir
sind für dich da. Egal, bei was“, machte er es deutlich, und sie nickte schwer.
Sie war so schrecklich blass. So schrecklich dünn, und Harry starb innerlich,
wenn er sie so sah. Sonst war sie so unfassbar stark und kompetent, aber jetzt
wirkte sie… völlig gebrochen. Absolut besiegt. Und er hasste es.
Aber
es gab wenig, was er tun konnte. Er konnte ihr nur anbieten, da zu sein.
Und
er wäre da. Auch wenn sie ihren Verstand verlor und auf irgendeine Art und
Weise ein Interesse an Draco Malfoy hatte.
Wahrscheinlich
würde er seelisch damit nicht zurechtkommen, aber… er würde es trotzdem
versuchen.
~*~
Die
Beerdigung wurde im selben Rahmen wie alle Reinblüterbeerdigungen abgehalten.
Alle Mitglieder des Clubs waren anwesend, hatten ihm und Narzissa ihr Beileid bekundet,
aber mit Narzissa sprach er zurzeit nicht, denn sie hatte ihm tatsächlich
untersagt, seinen Vater noch einmal zu sehen. Was er kaum so schlimm fand, wie
die Tatsache, dass er Hermine Weasley nicht noch ein letztes Mal angesehen
hatte – dass sie nicht die Gelegenheit gehabt hatte, seine verdammte Mutter in
ihre verdammten Schranken zu weisen. Das war alles, was ihm leid tat. Und seine
Beleidigungen. Aber es gab kein Zurück mehr. Er hatte es gründlich verbockt.
Lucius
war nicht mehr aufgewacht, hatte der Heiler gesagt – aber darum ging es kaum.
Lucius hatte ihn sowieso nie so gut leiden können, wie Scorpius. Emily war
ebenfalls hier, aber sie sprach dafür mit ihm kein Wort. Nahm ihm noch immer
übel, dass er sich nicht vom Embryo verabschiedet hatte, und dann war da noch
sein Sohn.
Sein
verdammter Sohn, mit dem er ebenfalls noch nicht gesprochen hatte.
Die
Zeremonie fand ihr Ende, und immerhin besaß das Wetter den Anstand, Nieselregen
über England zu schicken – dann wiederum war er von England nichts anderes
gewöhnt. Sie waren auf dem Gelände von Malfoy Manor, standen vor der Krypta,
und die Sargträger ließen den Sarg magisch in die Krypta schweben. Von hier an
konnten sie nichts mehr tun. Er würde zwischen seinen Urahnen nun seinen ewigen
Platz bekommen, wie es seit jeher Tradition war, und Draco hatte sich noch
nicht wirklich verabschieden können. Weder innerlich, noch sonst irgendwie.
Er
versuchte, in sich zu horchen, ein Gefühl zu finden, aber es fiel ihm schwer.
Alles, was bisher passiert war, war, dass ihm die Vereinigung der Reinblüter
den Titel übersandt hatte, der nun sein eigener wäre. Sein Vater war
verstorben, somit bekam er den Lord-Titel gemäß zeremonieller Tradition
überreicht.
Er
wollte ihn nicht – davon ab. Aber noch konnte er nicht wirklich begreifen, dass
Lucius fort war. Es war kein gutes Jahr.
Ganz
und gar nicht. Narzissa mimte die tapfere Ehefrau, die gute Reinblüterin.
„Meine
Lieben, ich möchte euch ins Haus bitten. Dort wird Tee und Gebäck serviert.
Wenn ihr mir folgen wollt.“ Die ganze Ansammlung an schwarz gekleideten
Aristokraten folgte ihr, und Scorpius hatte seine Höhe erreicht. Er war allein.
Rose war nicht mitgekommen. Draco hatte es noch nicht kommentiert, aber er war
auch zu wütend. Viel zu wütend.
„Hey“,
begrüßte sein Sohn ihn still, machte eine gute Figur im schwarzen Anzug, und er
sollte nicht die Dreistigkeit besitzen, ihn zu begrüßen. Schweigend betrat die
Gruppe das Herrenhaus, und bevor Scorpius der Menge folgen konnte, hatte Draco
seinen Arm gepackt und zerrte ihn aus dem Flur ins Arbeitszimmer seines Vaters.
„Wir
sind noch längst nicht fertig!“, informierte er Scorpius gepresst und
verschloss die Tür mit einer zornigen Geste. Sein Sohn sah ihn ehrlich
verblüfft an. „Du hast verdammte Nerven“, bemerkte Draco, und er zitterte vor
Wut.
„Dad,
was-?“
„Hermine
war hier“, sagte Draco, benutzte ihren Nachnamen mit Absicht nicht, und
Scorpius‘ Blick lag fest auf seinem Gesicht. „Möchtest du mir irgendetwas
sagen, Scorpius?“, fragte Draco kühl, und der Mund seines Sohnes öffnete sich
minimal überfordert.
„Dad,
heute ist die Beerdigung. Ich glaube nicht-“
„-das
ist mir scheiß egal“, informierte Draco ihn unbeeindruckt. „Ich warte,
Scorpius“, warnte er ihn streng.
„Du
verstehst das nicht-“, begann sein missratener Sohn sofort, aber Draco verstand
gut genug.
„-wie
konntest du so etwas grenzenlos Dämliches tun?“, fuhr er ihn übergangslos an.
„Dad!“
„Sie
ist deine Schwiegermutter, Merlin noch mal! Sie ist nicht irgendeine Frau! Nicht
irgendein Blinddate, was du arrangierst, verdammt noch mal! Sie ist nicht nur
per Gesetz mit uns verwandt, sie ist auch noch die Ministerin für Zauberei!“,
knurrte er außer sich.
„Dad,
lass mich-“
„-ich
wüsste nicht einen verdammten Grund, weshalb du mir erklären dürftest, warum du
es für eine gute Idee gehalten hast, mich mit Hermine Weasley zusammen zu
bringen!“ Aber Scorpius schüttelte den Kopf.
„Weil
sie die richtige ist!“, sagte er lauter, und Draco sah ihn fassungslos an.
„Oder sie war es. Zumindest dachte ich das“, ergänzte sein dummer Sohn.
„Wie
könntest du-?“
„-sie
ist klug, sie ist bescheiden, legt auf Gold keinen Wert. Sie ist das, was du zu
deiner Schulzeit nicht haben konntest, aber jetzt war es möglich!“
„Merlin,
Scorpius!“, knurrte Draco haltlos. „Es war nicht möglich, sie zu haben – und
verflucht noch mal, das wollte ich nie! Sie war außerdem verheiratet!“
„Sie
war von dem Idioten getrennt“, korrigierte ihn sein verrückter Sohn.
„Der
verrückte Idiot ist der Vater deiner Frau!“, erläuterte Draco, machte es
überdeutlich. „Die heute nicht hier ist!“, ergänzte er angespannt.
„Ich
arbeite daran“, erwiderte sein Sohn wütend. „Und außerdem-“
„-außerdem
habe ich eine Verlobte, Scorpius. Es mag dir nicht gefallen, aber-“
„-Emily
ist nicht die richtige!“, sagte er schlicht. Als wäre es einfach. Als hätte
sein Sohn auch nur die geringste Ahnung von Beziehungen.
„Das
entscheidest nicht du, Scorpius!“
„Warum
war Hermine hier?“, wechselte er sehr plötzlich das Thema, und Draco verzog den
Mund.
„Unwichtig.“
„Sie
war hier, weil ich ihr gesagt habe, warum ich es getan habe, nicht wahr? Und
sie hat es dir gesagt. Und wahrscheinlich bist du ausgerastet“, schloss Scorpius
bitter.
„Scorpius,
ich erkläre es dir ein letztes Mal“, begann er warnend. „Halte dich aus meinem
Leben raus. Wag es nicht noch einmal, so etwas zu tun! Du bist kein Kind, was
seinen Willen durchsetzen kann, indem es die Leute manipuliert, hast du das
verstanden?“
„Ich
weiß, dass du sie magst“, sagte Scorpius kopfschüttelnd.
„Scor-“
„-es
ist so offensichtlich!“, rief er gereizt aus. „Jedes Mal, wenn ihr euch seht!
Jedes Mal. Seit Jahren“, ergänzte er bitter. „Ich sehe es. Jeder sieht es!“,
knurrte er. „Und anstatt dumm rumzusitzen, nichts zu tun, so wie du, habe ich
gehandelt. Dann sind es eben Mutter und Tochter – na und? Wen interessiert
das?“
„Scorpius-“
„-ich
verliere meine Frau, Dad!“, fuhr Scorpius ihn an. „Wahrscheinlich bin ich
selber schuld. Aber sei nicht genauso dumm. Mach einfach mal keinen Fehler, wie
wäre das?“ Dracos Augen weiteten sich.
„Komm
mir nicht so!“, erwiderte er zornig. „Was du dir alles geleistet hast! Wie
kannst du es wagen, mir Vorhaltungen zu machen? Ich bin verlobt!“, fuhr er ihn
an.
„Noch,
Dad. Noch bist du das. Dann mach, was du willst. Aber es ist ein Fehler, und
das wirst du begreifen. Hermine mag mich hassen, aber sie hätte sich nie von
mir erpressen lassen, wenn nicht mehr dahinter stecken würde!“
„Du
bist-“
„-ich
werde jetzt gehen. Ich werde jetzt anteilnehmen, trauern, und vielleicht
schaffe ich es, dass Rose mich nicht verlässt. Ich bin es leid, dass wir immer
nur Pech haben.“ Scorpius besaß die Dreistigkeit, das Zimmer zu verlassen.
Draco war genauso zornig wie vorher. Kurz legte er die Handflächen über seine
Augen. Scorpius lag falsch. Wie konnte er so denken? Es half nicht, dass sie
tatsächlich miteinander geschlafen hatte. Und es half ihm nicht, dass er davon
ausgehen musste, dass es alleine Scorpius‘ Werk war. Und er wusste nicht, ob
das so war. Ob es für ihn so schwarz und weiß galt. Denn – nein. Für ihn war es
wohl letztendlich mehr gewesen. Mehr als nur… Sex. Mehr als…- aber es war egal,
denn er hatte sie aus diesem Haus gejagt! Und sie hatte nur mit ihm geschlafen,
weil… weil…- er nahm an, sie war verzweifelt gewesen. Verzaubert, betrunken.
Alles keine guten Voraussetzungen – für was auch immer Scorpius eine Absicht
hatte! Beziehungen ließen sich nicht auf betrunkenen Nächten aufbauen! Und solche
Beziehungen schon gar nicht.
Er
würde heute nicht weiter darüber nachdenken können. Sein Vater war tot. Das
Haus voller dummer Gäste, und er war auch noch sauer auf seiner Mutter, die ihm
nicht mal persönlich Bescheid gesagt hatte, dass sein Vater gestorben war,
sondern eine dämliche Elfe geschickt hatte.
Merlin!
Zornig
verließ er das Büro, das er stets verabscheut hatte, und marschierte über den
Flur. Er musste mit seiner Mutter reden. Er musste Scorpius übers Knie legen. Er
musste so vieles tun, und er musste verarbeiten, überwinden, aber dafür hatte
er bisher noch keine Zeit gehabt.
Aber
eine Sache schien sich immerhin zu klären, denn Emily kam auf ihn zu.
Wahrscheinlich hatte sie endlich Mitleid mit ihm, hier im Salon, wo alle Gäste
versammelt waren, sich still unterhielten, um Lucius trauerten – warum auch
immer sie es taten, denn Lucius war nicht sonderlich nett zu anderen gewesen.
Aber
wahrscheinlich reichte es für Emily, dass er seinen Vater verloren-
-ihre
flache Hand knallte in sein Gesicht, so überraschend und laut, dass er kurz
auffluchte. Der gesamte Saal wandte sich um.
Tränen traten in seine Augen. Merlin, das-!
„Du
hast mit Hermine Weasley geschlafen?“
Sie
fragte das tatsächlich! In einer Lautstärke, die alle anderen Gespräche
verstummen ließ. Sein Mund öffnete sich langsam. Sofort hob sich sein Blick von
ihrem Gesicht, fand seinen blonden Sohn in der Menge, und die Überraschung im
Gesicht seines Sohnes, ließ ihn annehmen, dass es tatsächlich nicht Scorpius
gewesen war, der Emily ins Bild gesetzt hatte. Nein, anscheinend war Narzissa
schneller gewesen, denn ihr Blick war äußerst ablehnend auf ihn gerichtet.
Wieso?!
Wieso tat seine Mutter ihm das an?!
Und
er glaubte nicht, dass er das jetzt lösen oder erklären konnte. Unfassbar, dass
Emily eine Szene veranstaltete. Begriff sie nicht das Ausmaß?
Höchstwahrscheinlich nicht, denn sie war dämlich, kam ihm die Erkenntnis spät
aber eindeutig.
„Emily“,
begann er beruhigend.
„Auf
unserer Verlobungsfeier?“, rief sie mit zitternder Stimme, und er atmete
resignierend aus.
„Emily,
nicht hier“, warnte er sie kopfschüttelnd.
„Nicht
hier?“, wiederholte sie kochend. „Warum nicht, Draco? Dir ist doch sonst nichts
heilig – wieso sollte es auf der Beerdigung deines Vaters anders sein, den du
sowieso nie leiden konntest?“, fuhr sie ihn an.
Er
merkte deutlich, dass er damit nicht umgehen wollte. Dass er die Blicke der
dämlichen Gesellschaft verabscheute, und Emily hatte sich soeben ins
gesellschaftliche Aus befördert. Immerhin etwas, dachte er grimmig. Er nickte
steif.
Ok.
Hier war das Zeichen. Das war der Ausweg, nach dem er so ewig gesucht hatte.
Dann
wandte er sich ab.
„Draco!“,
rief sie wütend.
„Wir sind
fertig“, sagte er über die Schulter und nahm an, er hatte noch gerade Zeit,
nach Hause zu verschwinden, eine Tasche zu packen und ziemlich zügig abzuhauen,
denn natürlich waren Ministeriumsangestellte hier. Er hatte Morgaine McArthur
bereits vor der Krypta stehen sehen. Und diese verdammte Schlange würde sich
garantiert nicht nehmen lassen, diese Geschichte nach oben zu tragen.
„Nein!“,
hörte er ihre Stimme. „Ich beende das hier! Nicht du, Draco! Du hast kein Recht
dazu!“, gellte ihre Stimme durch den Salon, aber er hatte bereits die Kurve
genommen, war verschwunden, hastete durch den Flur, und er steuerte dem
Zusammenbruch entgegen.
Er
hasste die Reinblüter. Hatte es eigentlich schon immer getan.
Noch
im Gehen merkte er, wie er einen Abschnitt erreichte. Hier, am heutigen Tage,
fand alles sein Ende. Alles kam ans Licht, was nicht ans Licht hätte kommen
sollen. Und es war alles seine Schuld, erkannte er bitter.
Alles,
bis hier her zu diesem Tag, war er falsch angegangen.
Und
er hatte sie beleidigt. Er hatte Hermine so derartig beleidigt – und er hatte
es gar nicht gewollt. Hatte es gar nicht ernst gemeint. Er war so unglaublich
verletzt gewesen, hatte es nicht mal gemerkt. Und er bereute diesen Fehler. Das
war der einzige Fehler, den er wirklich bereute. Dass er sie angefahren hatte.
Nicht, dass er Sex mit ihr gehabt hatte.
Und
jetzt würden es alle erfahren.
Sie
hatte Mist gebaut. Und jetzt hatte er verdammten Mist gebaut.
Es
hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet.
So
unfassbar schnell. Und so unfassbar schnell hatte es jede andere Geschichte
abgelöst, jedes Problem überschattet, und es zeigte ihr, dass die Gesellschaft
sich wesentlich leichter von Gerüchten und sinnlosen Geschichten beeindrucken
ließ, als von politischen Katastrophen.
Das
war das einzig Gute. Niemand sprach mehr über den Massenausbruch, ausgelöst
durch ihre Maßnahme, die Dementoren abzuziehen.
Nein.
Seit Wochen hatte sie davon nichts mehr gehört. Die Hexenwoche, der Klitterer,
selbst der Tagesprophet – alle waren
sie dazu übergegangen nur noch und ausschließlich über die Minister-Affäre zu
berichten. Minister-Affäre nannte es die Hexenwoche,
Malfoy-Minister-Affäre nannte es der Tagesprophet,
um auch noch die letzten Leser ins Bild zu setzen.
Anlass
und Übeltäter waren Lucius Malfoys Beerdigung und Narzissa Malfoy gewesen, die
sich wohl nicht hatte beherrschen können, Malfoys Verlobter haarklein jedes
Detail zu berichten, das ihr bekannt war. Sogar Emily hatte eine rührselige
Stellungnahme abgegeben, und wenn Hermine richtig verstanden hatte, war Malfoy
aus seinem Haus ausgezogen und residierte derzeit an einem unbekannten Ort.
Wie
gerne wäre sie auch an einem verdammt unbekannten Ort, dachte sie bitter,
während sie eine gereizte Unterschrift unter eine neue Abmachungsverfügung mit
dem Aurorenbüro setzte, das einen Teil der gesparten Gelder wieder
reinvestierte, in Dementoren- und Aurorenschutz. Alles war wie es vorher
gewesen war.
Fast.
„Madam“,
bemerkte Mr. Tavish, der sie die letzten Wochen immer häufiger besucht hatte,
und ihr jetzt noch die Personalliste der abgeordneten Auroren vorlegte, die sie
abwesend unterzeichnete, „mit Verlaub, jeder guter Politiker hat die ein oder
andere schmutzige Affäre zu verbuchen“, sagte er, beinahe versöhnlich.
„Mr.
Tavish“, entfuhr es ihr erschöpft, „Sie sind lediglich erleichtert, dass es
nicht Mr. Ferrars war“, schloss sie grimmig. Denn natürlich war sie nicht mehr
mit Desmond zusammen. Dieser hatte ihr ziemlich lange und ausführlich erklärt,
dass er niemals erwartet hätte, dass sie so eine Art von Person wäre und ob sie
es so dringend nötig gehabt hätte, dass sie ihre Scheidung nicht hatte abwarten
können, aber ehrlich gesagt, hatte Hermine nicht mehr die Nerven besessen,
vielleicht seine Vergebung zu erbeten. Es hatte alles genügend Probleme mit
sich gebracht.
Mehr
als genug.
„Lord
Ferrars arbeitet im Ministerium. Lord Malfoy hingegen ist ein freier Mann mit
einer freien Stelle.“ Hermine verzog den Mund. Ein weiteres Gerücht besagte,
sie hatte ihn sich angeln wollen, weil er nun den Lord-Titel innehatte. Sein
Vater war tatsächlich verstorben. Das einzige, was sie beruhigte war, dass
dieses dämliche Arschloch bestimmt einen noch schlimmeren Tag gehabt hatte, an
der Beerdigung, als sie, als er sie von vorne bis hinten beleidigt und
gedemütigt hatte.
Diese
Information fehlte der Presse.
Die
Presse nahm an, die Affäre dauerte noch heimlich an. Ständig gab es
Augenzeugenberichte, die sie und Malfoy an irgendwelchen zwielichtigen Orten
gesehen haben sollten, während sie irgendwelche versauten Dinge taten.
All
das wäre erträglich, wenn da nicht der unglaubliche Ausbruch ihrer Tochter
gewesen wäre.
Und
natürlich wusste die Presse von der Kuppelei des Sohnes. Es war ein so
gefundenes Fressen, dass es fast schon unglaubwürdig war. Heirat,
unterschiedlicher Blutstatus, alter Adel, ein Hauch von Inzest – wäre es ein
Roman, Hermine würde ihn nicht lesen. Nicht mal den Klappentext.
Rose
war ausgezogen, keinen Tag später. Sie wohnte bei Ginny und Harry. Das war
immerhin eine gute Sache, denn sie sprach nicht mehr mit Scorpius. Scheinbar
war alles, was es brauchte, dass die Schwiegereltern miteinander schliefen.
Scorpius wohnte weiterhin im Hotel, und sie hatte ihr Haus für sich.
Die
Presse hatte versucht, Ron für ein Interview zu gewinnen, aber er hatte jedes
Mal abgelehnt. Lavender hingegen hatte sich nicht nehmen lassen, ihre Meinung
kundzutun und zu behaupten, dass sie bereits in Hogwarts den Eindruck hatte,
dass mehr zwischen ihr und Malfoy gewesen wäre. Dumme Nuss.
Malfoys
Verlobung war gelöst.
Hermine
lebte wieder alleine.
Rose
und Scorpius waren getrennt.
Insoweit
war ungefähr alles, wie sie es gewollt hatte – mit dem massiven Unterschied,
dass alle Welt glaubte, sie hätte es auf Draco Malfoy abgesehen.
Ihr Gesicht
konnte sie nirgendwo zeigen, und es lag zurzeit eine absolute Besuchersperre
auf der Ministeretage. Hermine hatte bereits mündlich allen Angestellten der
oberen Etage deutlich gemacht, dass sie über diese Sache kein Wort verlieren
würde und jeden suspendiere, der es auch nur wagte, das Wort Affäre in den Mund zu nehmen.
Sie
war die geschiedene Ministerin, die mit dem Schwiegervater ihrer Tochter
geschlafen hatte. Zumindest bei ihren jüngeren Kolleginnen traf sie auf
unverhohlenes Interesse. Sie traf sich freitags mit Harry zum Sport. Eine
Tradition, die sie wieder aufleben ließ. Denn Harry erzählte ihr von Rose, dem
Baby, und es war das erste Weihnachten, das sie nicht im Fuchsbau verbringen
würde. Molly hatte sie nicht eingeladen. Harry hatte ihr bereits angeboten,
dass er und Ginny in die Villa kommen würden, aber Hermine hatte verzichtet.
Dankend.
Es
war ihr Fiasko, was sie sich selbst eingebrockt hatte.
„Das
war das letzte Formular, Madame“, bemerkte Mr. Tavish, und Hermine atmete lange
aus. „Es war ein langes Jahr, nicht wahr?“ Er sprach belanglose Worte.
„Sehr
lang“, bestätigte sie erschöpft.
„Werden
Sie zurecht kommen?“, fragte er tatsächlich, und sie hob den Blick.
„Glücklicherweise
vergehen die Tage auch ohne mein Zutun, Mr. Tavish“, erwiderte sie mit einem
freudlosen Lächeln. „Die Zeit ist auf meiner Seite, zur Abwechslung.“
„Nicht
nur die Zeit, Madame“, sagte er lächelnd. „Wie werden Sie Weihnachten
verbringen?“, fragte er sie, schien ihren Gemütszustand testen zu wollen, aber
sie streckte sich knapp.
„In
Schande und Scham, nehme ich an. Sie?“, antwortete sie trocken, und er nickte
bloß.
„Ähnlich“,
erwiderte er tatsächlich, ging auf ihre Worte ein. „Meine Frau und ich werden
bei ihren Eltern im Heim sein“, erklärte er eindeutig, und Hermine nickte
verständnisvoll. Natürlich, wenn Reinblüter von einem Heim sprachen, war es
etwas völlig anderes, denn ein Reinblüter-Heim war ein regelrechtes Schloss mit
dreitausend Angestellten. Hermine kannte diese Einrichtungen, wo die reichsten
der Reichen von morgens bis abends versorgt wurden.
„Ich
rate Ihnen, machen Sie nicht den Fehler und schlafen Sie mit Ihrer
Schwiegermutter“, machte sie einen unpassenden Scherz, aber tatsächlich
kümmerte es sie kaum. Sie war drüber weg. Mr. Tavish lächelte nun ein sehr
breites Lächeln.
„Ich
werde mich zu beherrschen versuchen, Madame“, erwiderte er mit vollster
Zuneigung.
„Dann
würde ich sagen, Sie dürfen mein Büro verlassen, und ich wünsche Ihnen
fröhliche Weihnachten Maxwell“, schloss sie freundlich. Obwohl sie einen
Untersekretär hatte, tauchte immer noch überwiegend der Personalchef bei ihr
auf, und sie fand es angenehm.
„Halten
Sie sich nicht zu lange hier auf, Madame. Wenn Sie irgendetwas brauchen, meine
Kaminverbindung ist jederzeit offen für Sie“, verabschiedete er sich. Dann
griff er in die Innentasche seiner Jacke. „Und hier noch eine Kleinigkeit.“ Er
legte ein flaches Geschenk auf ihren Schreibtisch. Sie hob den Blick.
„Maxwell,
Sie müssen mir nichts schenken“, belehrte sie ihn kopfschüttelnd.
„Sicherlich
nicht, Madame, aber ich habe mir erlaubt, Ihnen dennoch eine Kleinigkeit zu
besorgen. Es hat mich nichts gekostet“, ergänzte er vielsagend.
„Dann…
vielen Dank.“
Mit
einem Nicken hatte er sich abgewandt und verließ ihr einsames Büro.
Gespannt
schlug sie das Papier zur Seite, als er ihre Tür geschlossen hatte. Es war eine
schmale Ausgabe von einem freien Verlag, fragil gebunden, und es schien ein
Buch zu sein zur Themenreihe des Kriegsheldentums, zwanzig Jahre zurückdatiert.
Bei
diesem Werk in ihren Händen handelte es sich um die Abhandlung eines
Gastautorenbeitrags von M. Tavish, damals angestellter Wissenschaftler des
Professoriats für Magischen Muggelaktivismus an der Magie Akademie London.
‚Der
Kriegsheld der Moderne – eine Abhandlung am Beispiel von Hermine Granger‘, las
sie den Titel mit überraschten Augen.
Sie
wusste, Maxwell hatte nicht immer im Ministerium gearbeitet. Aber für einen
Muggelaktivisten hatte sie ihn nicht gehalten. Und garantiert für keinen, der
für ihren Namen publiziert hatte.
Sie
schlug die ersten Seiten auf und fand eine sehr detailreiche Charakterstudie
ihrer selbst, über ihren Werdegang, ihr Potential, ihre unzweifelhaft brillante
Intelligenz und ihre Kapazität, die magische Welt in eine bessere Zukunft zu
führen. Es rührte sie sehr.
Sie
hoffte tatsächlich, dass sie das schaffen würde.
Es
war das erste Jahr ihrer Amtszeit. Sie nahm an, Fehler gehörten dazu. Sie würde
daraus lernen.
‚…Hermine
Granger besitzt einen offenen, warmherzigen, vom Leitbild der übergreifenden
Gerechtigkeit geprägten, Charakter. Keine Entscheidung scheint je ohne
gründliche Überlegung getroffen zu werden. Das Wort gilt immer vor der Tat.‘
~*~
Fast
kam es ihm vor wie früher.
Natürlich
hatten sie Heiligabend nie in einem Hotel gefeiert, und nie unter diesen
Umständen. Als Astoria noch gelebt hatte, hatten sie auf Malfoy Manor feiern
müssen, wie es die Tradition verlangt hatte. Anschließend, nach ihrem Tod,
hatte Draco aufgehört, seine Eltern an Heiligabend zu besuchen. Astoria hatte
es nie leiden können, und um sie zu ehren, tat er ihr jedes Jahr den Gefallen
und ignorierte seine Eltern an Weihnachten. Dieses Jahr mehr oder weniger
gezwungen, denn er war nicht eingeladen.
So auch
Scorpius nicht. Scorpius war allerdings auch nicht bei den Weasleys erwünscht,
und er vermisste seinen kleinen Sohn immens. Sie hatten einige rechtliche
Schritte durchgesprochen, aber Scorpius wollte keinen Streit. Kein
Gerichtsverfahren vor dem magischen Familiengericht, um Rose möglicherweise das
Sorgerecht abzuerkennen. Er wollte es alles nicht.
Und
Draco hatte nicht über sich gebracht, Scorpius auszuschließen – egal, wie dumm
und naiv sein Sohn sich verhalten hatte.
Sie
saßen im selben Boot.
Und
dieses Jahr feierten sie in der Suite des Crown Hotels, mit dem kleinsten
Weihnachtsbaum, den Draco jemals in seinem Leben gesehen hatte. Das Hotel war
nicht besucht, sie waren die einzigen Gäste, und es war ihm recht. Die Reporter
wussten nicht, wo er sich befand, und das war gut so.
Scorpius
hatte im Ministerium die Versetzung beantragt, arbeitete als Korrespondenz nun
Vollzeit bei ihm, und Draco hatte mit ihm schon über einen Auslandsaufenthalt
gesprochen, und Scorpius war nicht abgeneigt. Draco besaß Liegenschaften in
Italien, und es wäre ein leichtes, Geschäfte von dort zu führen, falls sie
einen Tapetenwechsel benötigten. Nur seinen Sohn würde Scorpius dann nicht mehr
sehen. Aber das tat er jetzt auch nicht.
Draco
wollte fort von hier. Italien wäre nie seine Wahl Nummer eins, aber es gab ein
ziemlich gutes Bild ab, im Vergleich zu London dieses Jahr.
Sie
hatten schweigend gegessen, aber das letzte Weihnachten war nicht anders
verlaufen. Letztes Jahr an Heiligabend hatten sie auch geschwiegen, denn Scorpius
hatte im Garten der Weasleys gezeltet, hatte sich nur mit Mühe und Not
überzeugen lassen, an Heiligabend nach Hause zu kommen, und es kam Draco Jahre
weit entfernt vor.
Jetzt
saßen sie auf den Sesseln im Wohnbereich der Suite, der Kamin brannte, das
magische Grammophon säuselte leise vor sich hin, und Draco blätterte
gelangweilt in seinem Buch, auf das er sich nicht recht zu konzentrieren
vermochte. Scorpius studierte bereits irgendwelche Zahlen und Abschlüsse, neue
Policen, und war – wie immer – ein Arbeitstier. Er entspannte selten, hatte
immer das nächste Projekt im Kopf, und Draco fragte sich, ob Scorpius zurzeit
irgendwelche Freundschaften oder Bekanntschaften unterhielt. Sein Sohn war
eigenartig. Aber wahrscheinlich nicht eigenartiger als er.
Plötzlich
hörte er ein Klopfen am Fenster. Es schneite nicht, aber es war sehr kalt
draußen. Sehr dunkel. Eine zerzauste Eule pickte erneut gegen die Scheibe des
zweiten Stocks, und Draco erhob sich mühsam aus dem Sessel.
Eigentlich
dürfte er keine Post erhalten. Es lag ein Bann um das Hotel, den er mit viel
Gold beantragt hatte, um nicht von Briefen sämtlicher Zeitungen heimgesucht zu
werden. Seine Post wurde an seine Firma weitergeleitet. Nicht hier hin. Also
nahm er an, es war ein Brief für Scorpius. Dieser hatte ebenfalls den Blick
gehoben.
Draco
öffnete das Fenster, und die Eule hüpfte zitternd hinein, ließ sich den Brief
abnehmen und erwartete mit geöffnetem Schnabel eine Belohnung. Draco sah sich
um, ging zurück zum Tisch und stellte ihr seinen Teller vor die Füße, wo sie
sich höchst beleidigt, einige Reste zusammenpickte und laut schuhuend wieder
verschwand. Fast tat ihm der Vogel leid, aber sie würde in ihrem Verschlag
genügend zu essen finden.
Er
betrachtete den Brief mit gerunzelter Stirn und übergab ihn schließlich seinem
Sohn. Das Ministersiegel prangte auf Vorder- und Rückseite, und Scorpius hob
überfordert den Blick.
„Sie
verklagt mich an Weihnachten, richtig?“, nahm er finster an, und Draco konnte
sich ehrlich gesagt auch nichts anderes vorstellen. Seufzend öffnete Scorpius
das Siegel und zog einen einseitigen Brief hervor. Eine Klage war es demnach
nicht. Vielleicht eine Amtsbeschwerde? Das Gesicht seines Sohnes blieb ernst,
als er die Zeilen las. Handgeschrieben, wie Draco mit gerunzelter Stirn
feststellte.
Fast
ungeduldig sah er seinen Sohn an.
Endlich
sank der Brief in dessen Hand, und Draco wartete auf die nächste Reaktion. Und
die kam.
„Ich muss los“, sagte Scorpius nur, und Draco runzelt die Stirn.
„Was
auch immer sie dir androht, es wird bis nach Weihnachten-“
„-ich
muss zu Rose“, unterbrach Scorpius ihn.
„Zu
Rose?“, wiederholte Draco entgeistert. „Aber-“
„-wenn
ich nicht für sie kämpfe wird sie weg sein.“
„Das
schreibt sie?“, fragte er und deutete auf den Brief.
„Mehr
oder weniger, ja“, sagte sein Sohn. „Der Rest ist für dich“, ergänzte er,
reichte ihm eine zweite Seite aus dem Umschlag, klein gefaltet, und Dracos
Augenbrauen wanderten höher. „Ich muss gehen“, schloss Scorpius, und Draco nahm
den winzigen Brief entgegen, während Scorpius direkt seinen Mantel holte.
Sie
hatte ihm geschrieben. Er ging davon aus, dass es keine netten Worte sein
konnten, aber… dann wiederum hätte er auch nicht erwartet, dass sie Scorpius
irgendetwas Nettes zu sagen hatte, aber anscheinend half sie seinem Sohn – was
eine nette Abwechslung war, keine Frage. Aber es verwunderte ihn doch.
„Ich
bin hier, wenn es nicht klappt“, sagte Draco lediglich, denn er sah noch keinen
Erfolg für Scorpius. Ganz und gar nicht.
„Ich
hoffe, du wirst nicht auf mich warten“, sagte Scorpius lediglich, zog sich die
Schuhe über und verließ anschließend die Suite. Draco traute dem Brief nicht,
hätte gerne gewusst, was in Scorpius‘ Brief gestanden hatte, und deshalb
öffnete er das Siegel im Stehen, wollte nicht sitzen, wollte schon mal bereit
sein, wütend zu werden.
Seine
Augen flogen über die Zeilen. Ihre Handschrift war ordentlich, aufgeräumt, wie
alles an ihr.
Schließlich
sank der Brief in seiner Hand. Er bekam ein Ultimatum. Nicht wirklich.
Eigentlich war es das Gegenteil. Eigentlich bekam er die Wahl.
Und
er musste sein Gehirn nicht sonderlich beanspruchen für die Entscheidung.
‚Hallo
Draco. Hallo Malfoy.
Ich
kann mich nicht entscheiden, wie es besser wäre, dich anzusprechen, weil ich
nicht weiß, wo wir stehen. Ich weiß, wo ich stehe. Also such dir aus, mit
welcher Anrede du dich wohler fühlst.
Ich
habe dir mein Beileid für viele Dinge ausgesprochen. Wenn es um Glück oder
Schicksal geht, scheinen wir beide nicht unbedingt ein besonders gutes Blatt
auf der Hand zu haben. Wahrscheinlich liegst du ein, zwei Längen vorn, was das
Pech angeht.
Ich
will dir sagen, dass deine Worte mich verletzt haben, und ich will dir sagen,
dass mich deine Worte nicht verletzen können. Genauso wie ich deinem Sohn sagen
will, dass ich ihn hasse, und dass ich ihn liebe, weil er der Vater meines
Enkelkindes ist.
Ich
weiß, beides geht nicht. Tut es nie. Vielleicht neigt man in die eine oder die
andere Richtung. Also, Draco: du hast mich verletzt. Allerdings waren es nur
die oberflächlichen Dinge, die mich oberflächlich verletzt haben. All die
anderen Dinge tun woanders weh.
Ich
kann nicht objektiv sagen, ob du Recht hast oder nicht. Ich will vergessen, was
du gesagt hast und kann es nicht.
Ich habe
Gefühle für dich, die es gar nicht geben sollte.
Wahrscheinlich
ist ein Brief verlorene Mühe, aber ich wurde wieder daran erinnert, dass ich
irgendwann mal ein guter Mensch gewesen bin. Nicht kalt, gefühllos und
missgünstig. Und ich denke, Offenheit siegt über verletzten Stolz – immer.
Also
bin ich offen. Ich biete dir folgende Optionen an, zwischen denen du frei
wählen kannst – keine Antwort notwendig.
Mein
Kamin wird heute Abend von neun bis halb zehn offen stehen, für den Fall, dass
du keine Lust hast wie ein Ausgestoßener den Heiligabend zu verbringen, denn
offen gesagt, ist es schrecklich.
Die
zweite Option ist wohl die einfachere. Für den Fall, dass ich mich irre, dass
du mich verletzt hast, mit dem Zweck, mich zu verletzen, kannst du diesen Brief
ignorieren und verbrennen und dich damit schmücken, dass Hermine Granger
irgendwann mal Gefühle für dich hatte.
Die
zweite Option steht dir natürlich auch offen, sofern du noch vernünftig und
rational bist und siehst, wie viel mehr Schaden durch ein Treffen angerichtet
werden könnte.
Ich
bin nicht dumm. Ich bin es nur leid, stets und ständig gegen mein Herz und mein
Bauchgefühl zu handeln.
Jede
Entscheidung scheint schwer zu wiegen, und jede Entscheidung ist irgendwo
falsch. Das habe ich gelernt. Nur jetzt weiß ich, es ist egal, wie falsch die
Entscheidung ist, solange man am Ende noch in den Spiegel sehen kann, ohne sich
ständig fragen zu müssen, was wäre wenn….
Fröhliche
Weihnachten.
Hochachtungsvoll,
die
Ministerin für Zauberei (was auch immer das wert ist)‘
Sie war überzeugt, dass er kommen würde. Zwar hatte
sie ihm die Wahl gelassen, aber ihr Brief war gut gewesen. Sie war nicht
Ministerin geworden, weil sie schlechte Reden hielt. Menschen glaubten ihr,
vertrauten ihr. Im Moment war es auf der Arbeit zwar eher holperig, aber sie
würde es schon schaffen.
Aber neun Uhr kam, und neun Uhr ging. Um neun hatte
ihr Herz schneller geschlagen. Und mit jeder Minute, die verging, kamen ihr
mehr und mehr Zweifel. Natürlich war es eine große Verantwortung, eine schwere
Entscheidung – dumm noch dazu. Und sie fragte sich, ob er sich größeren Effekt
erhoffte, wenn er erst in der letzten Sekunde kommen würde. Plötzlich war es
zwanzig nach neun. Fünf vor halb zehn. Und quälend langsam tickten die Sekunden
weiter, und halb zehn war vorbei.
Sie starrte auf die Uhr, hasste sich selbst, dass
sie den Kamin doch noch länger aufließ. Fünf Minuten, sagte sie sich. Höchstens
zehn. Aber eigentlich war sie eindeutig in ihrem Brief gewesen. Und sehr
eindeutig schien er geantwortet zu haben.
Er hatte die zweite Option gewählt, hatte seine
Worte offensichtlich ernst gemeint, und würde über sie den Kopf schütteln.
Wütend mit sich selbst, machte sie eine herrische Bewegung mit dem Zauberstab,
und die offene Verbindung erlosch.
Es war Viertel vor zehn. Es klopfte an ihr
Arbeitszimmer.
„Madame?“, sagte Madame Lorrard, und Hermine hob den
Blick.
„Es kommt niemand mehr“, sagte sie schließlich. „Es
tut mir wirklich leid, dass ich Sie solange hier behalten habe, Madame Lorrard“,
entschuldigte sie sich sofort.
„Das ist kein Problem, Madame. Manchmal… stirbt die
Hoffnung zuletzt, nicht wahr?“ Ihre Köchin schenkte ihr ein warmes Lächeln.
„Ich habe das Essen im Ofen warm gestellt, falls Sie Hunger bekommen. Gute
Nacht, und frohe Weihnachten, Madame“, verabschiedete sie sich und Hermine
erwiderte den guten Wunsch.
Sie trat in den leeren Flur und hörte Mrs Welsh
irgendwo werkschaften. Sie schien noch irgendetwas aufzuräumen, denn auch ihre
Hauswirtschafterin verließ sie heute Abend. Allein Mr. Holden blieb ihr
erhalten, denn er besaß keine weitere Familie mehr. Aber er würde gleich zu
Bett gehen, wie er sie schon informiert hatte. Ein gutes Buch lesen und morgen
wieder frisch ans Werk. Während der Feiertage übernahm er noch weitere
Arbeiten, besorgte Holz, überprüfte das Gelände.
Sie sah wesentlich zu festlich aus. Das dunkle Kleid
glänzte unpassend, die Schuhe waren unbequem, und für einen Abend allein, was
sie zu stark geschminkt.
Sie hatte sich verschätzt. Das war alles. Sie
schritt durch den Flur, trat sich am Ende die Schuhe von den Füßen und ging
barfuß in die angrenzende Küche. Es roch herrlich. Eine Schande war es. Für
einen allein viel zu viel Aufwand.
„Madame?“, unterbrach Mrs Welsh sie, die Taschen
gepackt, in einen dicken Mantel gehüllt.
„Mrs Welsh“, erwiderte Hermine müde.
„Sie kommen zurecht? Ich werde an Neujahr
wiederkommen“, erinnerte sie die Dame mahnend, und Hermine nickte.
„Mr. Holden und ich werden versuchen, uns nicht
umzubringen“, bemerkte sie, aber Mrs Welsh verstand nicht sonderlich viel
Humor.
„Oh“, entfuhr es ihr. „Ich bitte darum“, ergänzte
sie. „Frohe Weihnachten, Madame Minister“, verabschiedete auch sie sich, und
Hermine nickte ihr lächelnd zu. Darcy hatte sich vorab um die Dienstgeschenke
gekümmert. Jeder bekam einen Bonus-Scheck. Es war die einfachste Lösung, denn
Hermine kannte ihr Personal nicht persönlich, wusste nicht, was sie benötigten
oder gerne wollten. Fast tat es ihr leid, aber sie wüsste nicht, wann sie sich
hätte kümmern sollen.
Und dann war es zehn, und sie war allein.
Vielleicht würde sie auch einfach Zubettgehen, ein
Buch lesen, aber sie glaubte eher, sie würde sich eine Flasche Wein mitnehmen
und ins Kissen weinen.
Sie öffnete die Ofenklappe, genoss den herrlichen
Duft und wollte sich gerade nach den Tellern strecken, da klopfte es an der
Küchentür.
„Madame?“ Mr. Holden hatte bereits sein
Arbeitsjackett ausgezogen, trug eine Strickjacke und eine braune Hose und
wirkte längst nicht mehr dienstlich.
„Mr. Holden?“ Sie sah ihn an. „Falls auch Sie sich
gehalten fühlen, mich nach meinem Befinden zu fragen – es geht mir gut. Danke
sehr“, ergänzte sie vorsintflutlich, und kurz öffnete sich sein Mund.
„Ehrlich gesagt – nein, Madame“, entgegnete er
beschämt.
„Oh, dann – bitte, nur zu. Was kann ich für Sie
tun?“, wollte sie wissen, reckte sich nach einem Teller, die weit oben standen.
„Haben Sie Hunger? Es ist… mehr als genug für uns beide hier“, ergänzte sie.
„Tatsächlich wäre ich etwas hungrig“, entgegnete er,
bevor er sich besann. „Aber… eigentlich wollte ich Sie um ihre Meinung bitten,
Madame.“
„Gerne“, sagte sie, angelte sich einen zweiten
Teller, und Mr. Holden betrat die Küche, sah sich eigentümlich um, und dann kam
er näher.
„Nehmen wir an, es hätte sich ein Gast am Tor
angekündigt, jetzt, heute Abend – und der Torwärter hat ihn abgewiesen – das
wäre in Ordnung, nicht wahr?“, wollte er wissen, und Hermine runzelte die
Stirn.
„Ist er gemeldet?“
„Nein, Madame. Kein gemeldet Gast“, widersprach er.
„Sicher, dann muss er abgewiesen werden“, sagte sie bloß.
„Richtig, seht gut, Madame. Ich… jedoch…- wenn es
sich um eine bestimmte Person handelt, dann…“
„Mr. Holden, was genau möchten Sie mich fragen?“
„Ich… habe mir erlaubt – bei allem Respekt, Madame –
den Torwärter zu korrigieren und den Einlass zu gestatten.“ Sie sah ihn
verblüfft an.
„Sie… haben was? Wen haben Sie reingelassen, Mr.
Holden? Wieso sollten Sie-?“
„-ich nahm an, dass wir im Falle von Lord Malfoy
eine Ausnahme machen würden?“ Mr. Holden war sehr bleich geworden, Angst im
Gesicht.
„Sie… Sie haben Malfoy reingelassen?“, entfuhr es
ihr perplex.
„Das war hoffentlich kein Fehler?“ Er sah sie
ehrlich verängstigt an.
„Wo… wo ist er?“ Sofort setzte sie sich in Bewegung.
„Madame, er-“
Aber Mr. Holden unterbrach sich, als sie die Tür
öffnete, und ihn an der gegenüberliegenden Wand entdeckte. Er lehnte abwarten
dagegen, den Kopf schräg gelegt.
„Ich hoffe, Mr. Holden wird nicht entlassen?“,
erkundigte sich Malfoy ruhig, und ihr Mund öffnete sich.
„Du… du warst nicht…- du hast nicht-!“, begann sie,
und er hob die Hand. Sie erkannte eine Tasche.
„Es ist unhöflich, ohne Geschenk aufzutauchen, und
glaub mir, es ist sehr schwer etwas an Heiligabend für die Ministerin zu
finden“, bemerkte er. „Die Kaminverbindung hätte ich nicht geschafft“, schloss
er bedauernd.
„Malfoy… du hättest nicht- ich brauche keine
Geschenke“, entfuhr es ihr stiller.
„Ich weiß, dass du das nicht brauchst, Granger“,
benutzte er ihren alten Nachnamen mit gewisser Nachsicht. „Aber es geht nicht
wirklich darum, ob du es brauchst.“ Sie spürte die Hitze in den Wangen. Er war
hier. Er war tatsächlich aufgetaucht.
„Möchtest… möchtest du mit Mr. Holden und mir
essen?“, fragte sie scheu.
„Madame, ich kann in meinem Zimmer-“
„-Mr. Holden, ich bitte Sie. Es ist Heiligabend. Sie
müssen nicht alleine essen!“, unterbrach Hermine kopfschüttelnd.
„Sehr wohl, Madame. Mylord“, ergänzte er Richtung
Malfoy, und sie betrachtete ihn. Gut sah er aus. Aber… das war keine Neuigkeit.
„Richtig, der neue Titel. Passt zu dir“, ergänzte
sie mit einem Lächeln.
„Mhm“, bemerkte er eindeutig. „Ich würde dir raten,
still zu sein“, ergänzte er, und ihr Herz schlug schneller. Hier in ihrem Haus
lästerte niemand, niemand urteilte. Und damit sie was zu tun hatte, häufte sie
essen auf drei Teller, und tatsächlich verlief es so zivilisiert, wie sie es
sich niemals vorgestellt hätte. Mr. Holden erzählte auf Malfoys Drängen hin von
sich, seiner Arbeit, wie es ihm hier gefiel. (Es gefiel ihm gut, Hermine war
erleichtert.) Und dann, nach dem Essen, verabschiedete sich Mr. Holden und
wünschte ihnen einen schönen Abend.
Sie und Malfoy verblieben in der Küche, und es trat
Stille ein.
„Danke, für die Einladung“, sagte er schließlich.
„Danke, dass du gekommen bist“, erwiderte sie scheu.
„Hör zu, ich schulde dir… eine Entschuldigung. Die
Dinge, die ich zu dir gesagt habe-“, begann er, aber sie hob die Hände.
„-es ist ok. Ich… brauche keine Entschuldigung. Ich
war auch nicht nett zu dir. Ich habe mich falsch verhalten, ich hätte-“
„-ich wollte dich nicht verletzen, ich-“
„-schon gut“, beendete sie das unangenehme Gespräch.
„Wie geht es Scorpius?“, wechselte sie das Thema, und er atmete aus.
„Er… hat sich angezogen, nachdem er deinen Brief
gelesen hat, und wollte zu Rose.“
„Gut“, erwiderte sie nickend.
„Denkst du, es renkt sich ein?“, fragte er
schließlich, und sie zuckte die Achseln.
„Ich hoffe doch“, schloss sie. „Aber… wer weiß das
schon.“
„Ich hätte noch eine Frage“, sagte er dann, und sie
hob den Blick. „Bin ich hier aus Mitleid, damit ich nicht alleine sein muss
oder hast du… andere Pläne?“ Sie blinzelte verblüfft.
„Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob du kommen
würdest“, log sie jetzt. „Und ich hatte garantiert keine Hintergedanken“, log
sie erneut. Er betrachtete sie prüfend.
„Politiker sollten besser lügen können, oder
nicht?“, wollte er scheinheilig wissen, und mit roten Wangen senkte sie den
Blick. Sie hatte schon jetzt zu viel Wein getrunken, stellte sie fest. „Du hast
geschrieben, du hast Gefühle für mich“, wiederholte er ohne Scheu, ohne Scham
die Worte, die sie mit zitternder Feder verfasst hatte – denn sie war vieles,
aber feige war sie nie gewesen.
„War das eine Frage?“, entkam es ihr, denn seine
Stimme war am Ende des Satzes nicht hochgegangen.
„Nein“, erwiderte er. „Ich… wollte es nur noch mal
aussprechen.“
„Aha“, machte sie nervös. „Du hast ein Geschenk für
mich?“, fragte sie ihn jetzt, denn sie war noch immer nicht betrunken genug, und
so nüchtern hatte sie nicht über irgendwelche Gefühle sprechen wollen. Er
erinnerte sich an seine Tasche, erhob sich und holte sie vom Tresen. Es war das
erste Mal, dass Hermine in der Küche gegessen hatte, aber es gefiel ihr besser,
als das förmliche Esszimmer, und gespannt wartete sie, was er für sie hatte.
Das Geschenk war schmal und sehr bunt verpackt.
Stirnrunzelnd hob sich ihr Blick.
„Sehr farbenfroh“, bemerkte sie.
„Nicht meine erste Wahl“, erwiderte er entsprechend
trocken. Sie zerriss das Papier und stockte. Langsam hoben sich ihre
Mundwinkel, als sie die Box in den Händen wog.
„Sehr geschmackvoll, Malfoy“, entkam es ihr
grinsend.
„Ich weiß. Ich hatte stets ein Händchen für
sensible, auserwählte Geschenke“, machte er sich lustig, und sie öffnete den
Deckel. Noch war der Liebeszauber nicht aktiviert. Noch war kein Zauber
gesprochen worden, um die Box überhaupt zu manipulieren und umzuwandeln. Im
Innern lag die olivgrüne Krawatte, und Hermine senkte lächelnd den Blick. Dann
wurde ihr etwas anderes klar.
„Du warst in der Winkelgasse?“, stellte sie
verblüfft fest. „Und… George war noch da?“ Sie begriff, was sie da sagte. „Und
er hat dir überhaupt aufgemacht?!“, ergänzte sie ungläubig. Malfoy lächelte
leicht.
„Gerade eben so. Netter Kerl“, bemerkte er. Soweit
sie wusste, hatte George auch seine Probleme mit Lavender, so erzählte es Harry
zumindest.
„Was möchtest du mir damit sagen?“, entfuhr es ihr,
mit prüfendem Blick auf die Box, und sein Grinsen vertiefte sich.
„Gar nichts weiter“, entgegnete er süffisant. Sie
spürte die Röte in den Wangen. „Hermine, es tut mir leid“, sagte er plötzlich,
und ihr Vorname verwirrte sie zutiefst aus seinem Mund.
„Was-?“
„-was ich gesagt habe. Es war absolut abscheulich.“
„Ich habe es nicht ernst genommen“, sagte sie still.
„Nun, zunächst schon. Und dann… war ich wieder normal und wusste, dass… ich
nicht fair zu dir war, und… das ich selber das falsche gesagt habe.“ Er wirkte
etwas gequält. „Wie geht es dir?“, fragte sie dann. „Ich meine-“
„-es geht mir gut“, sagte er. „Das mit Lucius habe
ich noch nicht angefangen aufzuarbeiten und es läuft nebenher. Ich… habe mich
noch nicht damit auseinandergesetzt. Das mit Emily war… ein so offensichtlicher
Fehler, dass ich froh bin, relativ unbeschadet aus der Sache raus zu sein. Das
mit meiner Mutter, der Presse und all dem anderen Scheiß – das ist schwerer“,
schloss er ernst. „Wie geht es dir?“
Ihr Blick fiel nachdenklich. „Rose ist ausgezogen, redet
wieder mit Ron, nicht mit mir“, begann sie bitter. „Desmond hält mich für eine
Hure, und immerhin interessiert niemanden mehr der Massenausbruch in Askaban,
wo wir doch wesentlich spannenderen Gesprächsstoff liefern“, zählte sie
abschließend auf, und er lehnte sich entspannt zurück. „Möchtest du noch ein
Glas Wein?“, fragte sie schließlich, und er ruckte mit dem Kopf.
„Habe ich nichts gegen“, erwiderte er neutral. „Du
siehst sehr gut aus.“
„Ich weiß, Malfoy“, erwiderte sie eindeutig, und er
erhob sich von seinem Platz, ehe sie neuen Wein einschenken konnte.
„Gut, dass dein Ego nicht gelitten hat“, sagte er,
blieb vor ihr stehen, ergriff ihre Hand und zog sie vom Stuhl in die Höhe.
Nervös stand sie vor ihm, und barfuß war sie noch kleiner, als sonst schon. Sie
legte den Kopf weit in den Nacken. „Hast du… dir das hier gut überlegt?“,
wollte er rauer von ihr wissen, und automatisch schüttelte sich ihr Kopf.
„Nein“, gestand sie still.
„Gut“, bestätigte er seufzend. Sie schluckte schwer,
denn sein Kopf senkte sich. Ihre Augen fielen zu, als seine Lippen ihren Mund
verschlossen. Es war ein kurzer Kuss und schon löste er sich von ihren Lippen.
„Sicher?“, raunte er, und ihr Herz jagte, bevor sie in seinen Nacken griff und
ihn näher zog. Sofort öffneten sich seine Lippen unter ihren, und sie drängte
sich enger gegen ihn.
Es waren so harte Wochen gewesen, und das hier
fühlte sich einfach nur unglaublich an. Seine Worte hatten ihr mehr zugesetzt,
als sie sich jemals eingestehen wollte. Und sie hatte gemerkt, dass nur er es
konnte. Nur er schaffte es, dass sie tatsächlich an sich zweifelte, dass sie
sich überhaupt interessierte, was jemand von ihr hielt. Nur bei ihm war es
wichtig gewesen.
Und sie hatte gemerkt, ihm wollte sie wichtig sein.
Seine Meinung wollte sie hören. Und sie wollte, dass er sie wollte. Denn sie
wollte ihn.
Seine Hände griffen in ihre Taille, brachten sie
enger an ihn, und sie konnte kaum fassen, dass sie das tatsächlich taten. Aber
egal, wie sie es drehte und wendete – alles kam immer wieder auf ihn zurück.
Jede Nacht, wenn sie alleine war, dachte sie an ihn. Nur an ihn. Sie griff in
seinen Pullover, wollte mit ihm verschmelzen, und er stöhnte in ihren Mund.
„Wollen… wir hoch?“, murmelte sie, zwischen zwei
Küssen, und er löste sich von ihr.
„Willst du das?“ Seine Stimme war so tief, so rau.
Sie sah ihn an.
„Ja“, bestätigte sie. „Ich will dich“, ergänzte sie,
und er ergriff ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren und sie verließen
die Küche. Ihre Knie waren weich, sie konnte kaum aufhören zu lächeln, und
wieder hielt er inne, nur um sie noch einmal zu küssen.
Sie standen auf dem Flur, ihre Füße wurden langsam
kalt, und dann klopfte es laut an die Tür. Sie fiel zurück auf die Fersen, ein
wenig enttäuscht, ein wenig gereizt.
„Wer klopft so spät?“, wollte er unwirsch wissen,
und sie verzog den Mund.
„Wahrscheinlich der Wachdienst“, vermutete sie
ungeduldig.
„Kannst du ihn nicht-?“, begann er, aber es klopfte
lauter.
„Hermine?“, vernahm sie die dumpfe Stimme. „Hermine!“,
rief sie wieder, und sie sah ihn an. Draco runzelte die Stirn, und beide
erreichten die Tür mit schnellen Schritten. Sie öffnete sie zügig, und der
Wachdienst hielt Scorpius am Kragen fest.
„Madame, verzeihen Sie, der junge Mann sagt, er hätte
das Recht hier zu sein?“ Hermine hatte alle Besucherrechte revidiert. Im Moment
durfte niemand hier sein. Nur die Angestellten. Und ihre Eltern, die aber
zurzeit eine angenehme Südseekreuzfahrt unternahmen. Scorpius blickte von ihr
zu seinem Vater. Und Hermine nickte schließlich.
„Sicher. Ja, er… darf reinkommen“, schloss sie. „Danke, Earl“, ergänzte sie,
und der Wächter ließ Scorpius los, tippte sich an seine Mütze, und sie war froh
und dankbar, dass einige Leute hier Schichtarbeit übernahmen und ihr Haus
sicherten. Sie verschloss die Tür wieder.
„Scorpius, was ist passiert?“, wollte Draco besorgt
wissen, und sie erkannte, Scorpius hatte geweint.
„Sie will mich nicht“, sagte die gebrochene Stimme
des Jungen. „Und sie hat ihn eingeladen. In den Fuchsbau“, ergänzte er, und er
sah sie jetzt an.
„Wen?“, entkam es ihr tonlos.
„Troy. Troy Ferrars“, erwiderte Scorpius
unglücklich. Ihre Tochter war unfassbar dumm.
„Scorpius, es tut mir so leid“, sagte sie bedauernd.
„Es ist alles meine Schuld“, murmelte er, schüttelte
den Kopf, und Tränen fielen auf seine Wange, und nein, sie waren keine Freunde,
aber Hermine kannte den Jungen so lange, und sie verstand nicht alle Dinge, die
ihn bewegten, aber sie war ihm beinahe dankbar, dass er seine Zeit darauf verschwendet
hatte, sie und seinen Vater näher zu bringen, dass sie ihm für heute seine
restlichen Unzulänglichkeiten verzieh. Sie schloss den Abstand und zog ihn
umstandslos in ihre Arme.
Einfach so. Ohne Erpressung. Er schluchzte jetzt,
und so standen sie hier. Die Verstoßenen. Die Außenseiter. Auch Draco umarmte
seinen Sohn von hinten, und eine Weile standen sie still im Flur, bevor Hermine
die Umarmung beendete. Scorpius wischte sich über die Augen.
„Möchtest du blieben? Es gibt Essen in der Küche“,
ergänzte sie. Scorpius ruckte mit dem Kopf.
„Danke“, murmelte er. „Ich schaffe es allein. Gut,
dass du hier bist“, sagte er dann, in Richtung seines Vaters. „Immerhin bin ich
für irgendetwas gut“, ergänzte er geknickt und ging Richtung Küche.
„Scorpius, gib ihr Zeit“, sagte sie bloß, und wusste
nicht, ob es stimmte, ob es ein guter Ratschlag war. Er wandte den Blick.
„Ich glaube nicht, dass es Zeit ist, was sie will,
Hermine. Du hast Recht gehabt. Ich war ein Arschloch und ich habe sie
verloren.“
„Scorpius“, sagte sie mitfühlend.
„Ich habe es versucht.“ Es war wirklich traurig. Es
tat ihr tatsächlich leid. Für ihn, für seinen Sohn. Für all die Jahre, die Rose
ihr zur Hölle gemacht hatte, weil sie immer nur Scorpius gewollt hatte.
Vielleicht… war ihre Tochter endlich aufgewacht. Nur wusste Hermine nicht, ob
das die richtige Entscheidung war, die Rose traf. Kurz tauschte Hermine einen
Blick mit Draco. „Schon gut. Ich will nicht reden.“ Scorpius schien ihre
Gesellschaft nicht zu wollen. „Aber ich freue mich für euch“, ergänzte er dann.
„Ehrlich“, schloss er mit einem traurigen Lächeln. Und fast lächelte Hermine.
Er und Rose hatten nie zusammen gepasst. Und als
Scorpius um die Ecke verschwunden war, ergriff sie langsam seine Hand. „Armer
Scorpius“, sagte sie schließlich.
„Ja“, bestätigte er, aber sein Daumen rieb bereits
sanfte Kreise auf ihrem Handrücken. „Er ist ein großer Junge. Er wird es schon
schaffen. Ich rede morgen mit ihm“, schloss er, und Hermine schämte sich
minimal dafür, dass ihr Scorpius nur mäßig leid tat und sie nicht erwarten
konnte, hochzugehen.
Morgen würde sie mehr Mitleid mit Scorpius haben.
Heute… heute nicht.
Es
war unbeschreiblich. Sie zu spüren, ihren Körper unter seinem, sie tatsächlich
zu besitzen, und fast war es wie ein Traum, an dessen Erfüllung er kaum noch
geglaubt hatte. Immer wieder küsste er ihre Lippen, genoss ihr leises Stöhnen
unter sich, und wollte nicht, dass es aufhörte.
Ihr
Körper bog sich nach hinten, ihr Kopf fiel zurück, und sie stöhnte seinen
Namen. Grinsend leckte er über ihren Hals, nahm sie härter, und liebte, dass
sie seinen Nachnamen sagte.
Er
kam nicht, wollte nicht, denn er wollte nicht, dass es endete. Ihr Atem ging
schnell und völlig entspannt lag sie unter ihm.
„Bist
du nicht…?“, fragte ihre zufriedene Stimme, aber er schüttelte bloß den Kopf.
„Oh
nein. Auf keinen Fall“, sagte er rau, genoss die Röte in ihren Wangen, und ihre
Mundwinkel hoben sich müde.
„Schade“,
erwiderte sie. „Dann werde ich mich kümmern müssen“, fuhr sie lächelnd fort, und
alleine die Aussicht, dass sie sich kümmern wollte, schickte Schauer der
Erregung seine Wirbelsäule hinab. Sie schob sein Gewicht von sich, und er zog
sich aus ihr zurück, rollte neben sie und sah sie abwartend an.
„Ich
habe ein sehr großes Badezimmer, Malfoy“, begann sie zwinkernd. „Wie wäre es,
wenn wir das Pool-Date fortführen, was wir… damals unterbrochen haben?“, schlug
sie abwartend vor, und er betrachtete sie eine Spur ungläubig.
„Es
ist nach zwölf“, bemerkte er bloß.
„Und?“,
erkundigte sie sich tatsächlich verständnislos.
„Bist
du nicht müde?“, wollte er wissen, tat es ihr aber gleich und erhob sich
schließlich. Ihr Blick wanderte über seinen Körper, und er mochte, dass sie rot
wurde, wenn sie ihn ansah.
„Auf keinen
Fall“, wiederholte sie seine Worte. „Hast du Lust?“, ergänzte sie, und er kam
näher, schloss den Abstand und zog ihren nackten Körper in seine Arme.
„Seit
wann stellst du solche dummen Fragen, Granger?“, wollte er wissen, und sie
lächelte jedes Mal, wenn er ihren Mädchennamen benutzte.
„Ok“,
sagte sie, zog ihn mit sich, und er staunte nicht schlecht über das lächerlich
große Badezimmer mit zwei Duschen und einer eingelassenen Wanne. Es war mäßig
warm, das Feuer im kleinen Ofen fast heruntergebrannt, aber eilig legte sie
Holz nach. Dann öffnete sie die Hähne und langsam füllte sich die Wanne.
„Vielleicht würde eine Abkühlung helfen, während wir warten?“, schlug sie vor,
schob ihn in Richtung der Duschen, und er ließ sich von ihr gegen die Wand drücken.
Sie
betätigte den Hebel, und lauwarm begann das Wasser auf sie nieder zu regnen. Er
kämmte sich die Haare mit beiden Händen über seinen Kopf zurück, und irgendwas
schien diese Geste in ihr auszulösen, denn sie schloss den Abstand, ging auf
die Zehenspitzen und griff in seinen Nacken. Er kam ihr für den Kuss entgegen,
atmete sie ein, und Wasser perlte über ihre Gesichter. Ihre Hand griff
ungeniert tiefer, umfasste seinen Schwanz, und er ließ sie an ihm arbeiten.
Seine Augen waren längst geschlossen, sein Atem flachte ab, und er durfte
einfach nur nicht –
- sie
ging vor ihm auf die Knie, und er sah seine Beherrschung rapide schwinden.
Allein der Blick aus ihren Augen, Wimpern tief, Wangen herrlich rot, war
schwindelerregend.
„Nur…
ein Vorgeschmack“, machte sie eine sehr zweideutige Anspielung, und er hielt
die Luft an, als sie seinen steinharten Schwanz in ihren Mund saugte.
Da
war nichts unschuldiges mehr zwischen ihnen. Nichts halbherziges, keine
Grauzone mehr. Er gehörte verdammt noch mal ihr, wenn sie es wollte. Sein Kopf
fiel zurück gegen die Fliesen, und er versuchte, ruhig zu atmen, während sie
ihn nicht nur mit ihren Lippen bearbeitete, sondern ihre Hand anfing zu pumpen.
Seine Handflächen stützten sich gegen die Wand ab, und er betete, dass die verdammte
Wanne gleich voll wäre!
Lange
hielt er nicht mehr aus. Dass er überhaupt noch denken konnte, war ein
verfluchtes Wunder. Sie nahm ihn tiefer auf, und grollend biss er die Zähne
zusammen.
„Fuck“,
entkam es ihm hilflos, und er konnte nicht anders, als seine Hüfte zu bewegen,
sich in ihren Mund zu schieben, und magischerweise nahm sie ihn noch tiefer auf
– und Merlin!
Hastig
griff er in ihre Haare, zog ihren Kopf sanft zurück. „Warte!“, keuchte er, und
sein Schwanz pulsierte protestierend. Sie schenkte ihm ein unschuldiges
Lächeln, und er wollte sie jetzt sofort! Er zog sie hoch, verschlang ihre
Lippen übergangslos, und seine Zunge drang fordernd in ihren Mund. Mit ihr
fühlte er sich… als wäre er achtzehn. Höchstens. Es fühlte sich absolut unglaublich
an. Wie etwas, was er eigentlich niemals hätte haben dürfen – so verboten gut
war es.
Schwer
atmend beendete er den Kuss. Verdammt gerne würde er hinter sie treten, sie
gegen die Fliesen pressen und sie von hinten nehmen, aber bedauerlicherweise
war er viel zu groß und sie viel zu klein. Aber er erkannte, dass die Wanne
gefüllt war. Sie folgte seinem Blick, ergriff seine Hand, und er folgte ihr
ungeduldig.
Sie
drehte die Hähne aus, testete das Wasser mit der Hand und dann stiegen sie die
flachen Stufen hinab. Kaum standen sie in der Wanne, und es war eine verdammte
tiefe Wanne, zog er sie wieder an sich, küsste sie in der betäubenden Hitze und
zog sie mit sich zum Rand. Hier konnte er seine Fantasie verwirklichen, stellte
sich ohne Worte hinter sie, und ungeduldig umfasste sie den Rand der Wanne,
beugte ihm praktisch unter Wasser ihr Hinterteil entgegen, und er schloss den
Abstand, umfasste seinen Schwanz, nur ihren Eingang in der Hitze mühelos zu
finden, sie zu teilen, und tief rammte er sich in sie, griff dann mit beiden
Händen um ihre geschwungene Taille, und das Wasser schwappte geräuschvoll gegen
den Rand. Ihr Kopf bog sich nach hinten, sie presste ihren Hintern härter gegen
seine Bewegung, und hart griffen seine Finger in ihr Fleisch, als er schneller
wurde, sie härter nahm, und wieder stöhnte sie seinen Namen. Diesmal hielt er
sich nicht zurück, beherrschte sich kein Stück und kam mit einem lauten
Stöhnen, rammte sich so tief in sie, mit so einer Wucht, dass das Wasser über
den Rand lief, und dann sank er vorn über, musste sich kurz besinnen, denn
Punkte tanzten vor seinen Augen.
Erschöpft
wich er zurück, ließ sich zurück treiben an den gegenüberliegenden Rand, und
müde folgte sie ihm. Er setzte sich auf die Steinbank und sie sank neben ihn.
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und er legte seine Arme hinter sich auf
den Rand.
„Verdammt
gute Idee“, entkam es ihm schwer atmend.
„Ja“,
bestätigte sie zufrieden.
Sie
saßen noch eine ganze Weile in der Wanne, sprachen nicht, entspannten, hingen ihren
Gedanken nach, und als sie das erste Mal gähnte, neigte er den Kopf und küsste
ihren Haaransatz.
„Lass
uns schlafen“, sagte er, und sie nickte nur noch.
„Ok.“
Sie stiegen Hand in Hand aus der Wanne, ließen das Wasser ab, und wickelten
sich in weiche Handtücher. Viel mehr brauchte er ohnehin nicht. Er hatte keine
Schlafsachen dabei, denn auf keinen Fall hatte er anmaßend sein wollen. Sie
trocknete ihre Haare mit Zauberstab, zog sich einen Pyjama über und dann
stiegen sie gemeinsam wieder ins Bett. Er deckte sie mit der breiten Decke zu,
zog sie wortlos in seine Arme, und sie kuschelte sich an ihn.
„Draco?“,
hörte er ihre träge Stimme, und seine Mundwinkel zuckten. Er mochte es noch
viel lieber, wenn sie seinen Vornamen sagte, stellte er fest.
„Mh?“,
machte er.
„Ich…
liebe dich“, sagte sie, nach kurzem Zögern, und sanft malte sein Daumen Kreise
auf dem seidigen Stoff des Pyjamas, und kurz runzelte sich seine Stirn.
„Ich
liebe dich auch“, erwiderte er, ohne großartige Zweifel, ohne wirklich
nachzudenken. Er spürte ihr Lächeln gegen seine Brust.
„Ok“,
sagte sie schläfrig.
„Ok“,
wiederholte er lächelnd.
~*~
Der
Morgen kam, und selten war sie so wund gewesen. Alles schmerzte. Es war eine
andere Art von Sport, stellte sie erschöpft fest. Er schlief noch, den Kopf ins
Kissen vergraben, und gerne würde sie sein Handtuch lüften, um in seinen Po zu
beißen. Oder irgendetwas anderes kindisches. Ihr Herz schlug laut bei diesem
Gedanken. Stattdessen lehnte sie sich über ihn und küsste seinen bloßen Rücken.
„Mhhhh“,
machte er, mehr oder weniger ablehnend.
„Aufstehen“,
sagte sie dann. „Frohe Weihnachten“, ergänzte sie lächelnd, und er hob den Kopf
aus dem Kissen. Seine Haare waren unordentlich, die Augen sehr schmal.
„Frohe
Weihnachten“, raunte er unverständlich. „Komm her“, entschied er dann, zog sie
in seine warme Umarmung, aber sie wehrte sich lachend.
„Ich
muss aufstehen. Es ist kein Personal hier, und dein Sohn hat einen sehr
gesunden Appetit“, erinnerte sie ihn. Sie hörte ihn stöhnen.
„Er kann
sich selber was machen“, bemerkte er schlecht gelaunt.
„Draco-“,
widersprach sie, und endlich ließen seine Arme von ihr ab.
„-dann
geh. Lass mich zurück“, sagte er theatralisch, und sie schlug ihm sanft gegen
den Arm. „Ich komme nach“, gab er ihr ein gefährliches Versprechen, denn seine
Augen hatten sich wieder geschlossen.
„Das
wäre besser. Sonst schicke ich Mr. Holden“, warnte sie ihn.
„Mr.
Holden könnte sich glücklich schätzen“, brummte er tatsächlich noch ins Kissen,
und kopfschüttelnd verließ sie das Schlafzimmer. Sie zog sich in ihrem
Ankleidezimmer an, verzichtete auf zu kurze Kleider, sondern entschied sich für
eine Jeans und eine Bluse. Sie erwartete heute nicht viel.
Im
Bad machte sie sich frisch, legte noch einen Reinigungszauber auf die Wanne,
und ihre Wangen wurden heiß als sie an die letzte Nacht dachte.
Sie
fühlte sich gut, fühlte sich frei, und sie schämte sich nicht.
Bis
sie in die Küche kam. Scorpius trank bereits Tee, war angezogen, und schenkte
ihr einen sehr eindeutigen Blick.
„Was?“,
erwiderte sie sofort kampfbereit, denn er sollte gar nicht so tun! Gerade er!
Sein Blick fiel demonstrativ auf Dracos Geschenk, was sie gestern hier
vergessen hatte. Und trotz der tieferen Röte auf ihren Wangen, hielt sie seinem
Blick stand.
„Frohe
Weihnachten, Hermine“, bemerkte Scorpius mit erhobener Braue, und Hermine holte
sich eine Tasse aus dem Schrank.
„Frohe
Weihnachten, Scorpius“, erwiderte sie dann. „Wie geht es dir?“, wollte sie
vorsichtig wissen, denn ihm ging es wahrscheinlich eher bescheiden.
„Nicht
gut“, antwortete er wahrheitsgemäß.
„Rose
ist dumm“, entschied Hermine achselzuckend zu sagen. „Ich denke, sie wird
wieder zur Vernunft kommen. Soweit ich mich erinnere, war sie dir nie böse.
Wegen gar nichts“, ergänzte sie fast bitter.
„Sollte
sie vielleicht sein“, entgegnete ihr Schwiegersohn tatsächlich einigermaßen
reflektiert.
„Was?“
„Ich
denke, Rose hat Recht. Und es war das tausendste Mal, dass ich mich falsch verhalten
habe, und vielleicht ist das der Preis“, stellte er nüchtern fest. Sie goss
sich Tee ein und machte sich daran, eine magische Aufbackmischung aus dem
Vorrat zu holen. Sie entfachte Feuer im Ofen und aus der magischen Kühlung
holte sie etliches an Aufschnitt, sauber und ordentlich von Madame Lorrard
verpackt.
„Scorpius-“,
begann sie, aber er schüttelte den Kopf.
„-es
ist ok. Ich… brauche Zeit. Ich sollte in mich gehen, lernen, kein Arschloch zu
sein.“ Er klang ziemlich betrübt.
„Du
bist kein Arschloch“, sagte sie stiller. Sein Blick traf sie prüfend.
„Ich
möchte keins mehr sein, also… werde ich gehen“, schloss er sachlich.
„Gehen?
Wohin?“, entkam es ihr. Er reichte ihr die Unterlagen, die er studiert hatte.
„Italien?“, entfuhr es ihr.
„Dad
hatte es mir angeboten, hatte gesagt, eine Versetzung wäre möglich.“ Er
betrachtete nachdenklich den Ofen, der langsam aber sicher einen wunderbaren
Geruch verströmte.
„Du
willst ernsthaft nach Italien?“
„Warum
nicht?“, erwiderte er.
„Weil
dein Sohn hier ist“, sagte sie dann stiller. Schmerz legte sich über sein
Gesicht.
„Der
Weg über Floh ist nicht weit“, sagte er dann. „Ich würde… jedes Wochenende für
ihn kommen. Rose will mich hier nicht haben“, erklärte er. „Vielleicht will sie
es nie mehr“, fuhr er fort. „Und garantiert will sie es nicht, wenn ich jeden
Tag vor ihrer Tür stehe und heule.“
Und
fast verstand sie ihn. Fast.
„Trotzdem
musst du nicht gehen“, erwiderte sie unschlüssig.
„Lass
es mich versuchen“, bat er sie tatsächlich.
„Scorpius,
du kannst machen, was du willst. Ich kann mir nicht leisten, dir irgendetwas zu
verbieten, dir irgendeine Meinung aufzuzwingen, weil ich es will“, stellte sie
klar.
„Danke
für deinen Brief“, sagte er plötzlich.
„Ich
liebe dich, das weiß du, richtig?“, erklärte sie still, und er schenkte ihr ein
Lächeln. Ein schönes Lächeln. „Und ich hasse dich auch“, ergänzte sie. Sein
Lächeln wurde breiter.
„Ich
dich auch, Hermine“, erwiderte er voller Zuneigung.
Die
Tür öffnete sich, und Mr. Holden kam ins Zimmer.
„Guten
Morgen, Madame. Mr. Malfoy“, ergänzte er in Richtung Scorpius, und Hermine
schloss den Abstand und umarmte den überforderten Mann. Dieser erwiderte die
Umarmung unbeholfen, und Hermine freute sich, dass er hier war.
„Frohe
Weihnachten, Mr. Holden. Was halten Sie von Croissants?“, wollte sie lächelnd
von ihm wissen, und Mr. Holden schien nachzudenken.
„Nun,
ich konnte ihnen ehrlich gesagt noch nie viel-“
„-dann
haben Sie leider Pech, denn etwas anderes wird es nicht geben“, unterbrach sie
ihn kopfschüttelnd. „Setzen Sie sich“, bot sie ihm an und füllte ihm eine
weitere Tasse Tee. Wieder öffnete sich die Tür. Sie hob den Blick zu seinem
Gesicht. Dieser schöne Mann und hatte unvorstellbare Sachen mit ihr getrieben,
letzte Nacht.
„Tee?“,
fragte sie ihn direkt, und er nickte, zwinkerte er ihr zu, bevor er seinen Sohn
in eine knappe Umarmung zog.
„Frohe
Weihnachten, Scor“, sagte er knapp, und sein Sohn erwiderte den Gruß.
Die
Croissants waren fertig, und während Draco und Scorpius über Italien sprachen,
teilten sich Hermine und Mr. Holden den Tagespropheten von gestern auf.
Allerdings lauschte Mr. Holden dem Gespräch der Männer.
„Ich
war noch nie in Italien, Sir“, sagte er dann. „Lohnt es sich?“ Hermine hob den
Blick, als Draco nachzudenken schien.
„Absolut,
Mr. Holden. Wunderschönes Land.“
„Wieso
gehen wir nicht zusammen?“, schlug sie plötzlich vor.
„Wer?“,
wollte Draco spöttisch wissen. „Du, Mr. Holden und ich?“ Hermine sah ihn
demonstrativ an.
„Warum
nicht? Über Neujahr? Ich denke, niemand vermisst uns großartig hier?“, ergänzte
sie eindeutig, und Draco schien nachzudenken.
„Oh
nein, Madame – ich könnte nicht-“, begann Mr. Holden, aber Hermine unterbrach
ihn wieder.
„-warum
nicht? Was verpassen Sie? Wir holen einen zusätzlichen Wächter, der die
Ländereien kontrolliert, das Haus – und wir machen einen kleinen Urlaub?“ Sie
wusste nicht, inwieweit man seine Angestellten mit in Urlaub nehmen konnte,
aber sie sah darin kein Problem.
„Madame,
ich weiß nicht-“
„-wäre
es nicht möglich?“, wandte sie sich an Draco, und dieser sah sie nachdenklich
an.
„Sicher.
Wir… haben ein Haus in Venedig. Es ist genug Platz.“ Sie verdrehte die Augen
über seine selbstverständlichen Worte.
„Ihr
habt überall Häuser“, bemerkte sie kopfschüttelnd. Er hob die Augenbrauen.
„Ja,
und für Momente wie diesen ist es durchaus praktisch, nicht wahr?“, entgegnete
er, und sie musste lächeln.
„Ok.
Dann fahren wir nach Italien“, entschied sie achselzuckend.
Sie
aßen, planten, und Mr. Holden war vollkommen aus dem Häuschen, wollte bereits
heute seine spärlichen Sachen packen, und sie mochte, dass sie ihm eine Freude
machen konnte. Scorpius war still, aber er schien nicht abgeneigt zu sein.
Hermine
räumte ab, und tatsächlich erhob sich Draco, um ihr zu helfen. Immer wieder
streifte seine Hand ihre, berührte sein Körper ihre Seite, und es spielte ein
ständiges Lächeln um seine Mundwinkel.
Dann
ertönte die Glocke der Tür, und Hermine tauschte einen knappen Blick mit ihm.
„Erwarten
wir Besuch?“, wandte sie sich an Mr. Holden, der sich sofort erhoben hatte.
„Nein,
Madame. Dann wiederum tauchte Besuch hin und wieder einfach so mal auf“,
bemerkte er mit Blick auf die Männer in ihrer Küche, und Hermine folgte ihm.
Sie hielt nichts davon, Menschen warten zu lassen, während das Personal sie
vertrösten musste.
Und
tatsächlich war eine kleine Menschenansammlung vor ihrer Haustür. Harry und
Ginny vorne weg, im Schlepptau die Kinder – und zwar alle Potters. Auch James und
eine winkende Darcy. Überrascht weiteten sich ihre Augen.
„Was…
was treibt ihr hier?“, wollte sie entgeistert wissen, und bedeutete dem
Wächter, dass es in Ordnung war. Ginny schob sich hinein, trug auf ihren Händen
einen riesigen Vogel, in Folie geschlagen, und scheinbar planten sie, länger zu
bleiben.
„Wir
können dich unmöglich alleine Weihnachten feiern lassen. Mum und Dad feiern mit
Ron und Rose und Corvus – und anscheinend dem Jungen namens Troy“, ergänzte sie
vielsagend, und Hermine verdrehte die Augen. „Und deshalb sind wir hier. Nicht
wahr?“ Sie wandte sich herrisch an ihre Kinder, und Albus und Lily umarmten sie
gleichzeitig, während James Darcy den Vortritt ließ.
„So
schön, dich zu sehen!“, rief ihre Assistentin. „Fröhliche Weihnachten!“
„Frohe
Weihnachten, Darcy“, erwiderte Hermine verblüfft, wurde umarmt, und dann führte
sie alle in den bequemeren Salon.
„Hermine,
wie viele Zimmer sind das?“, wollte sie schockiert wissen.
„Ahem…“,
machte Hermine, denn sie wusste es ehrlich gesagt nicht.
„38,
Mrs Potter“, half Mr. Holden ihr aus, und Ginny nickte anerkennend.
„Nicht
schlecht, wirklich.“ Die Tür zum nächsten Zimmer öffnete sich, und sehr kurz
entstand eine angespannte Pause. „Oh“, machte Ginny dann schließlich, und Mr.
Holden nahm ihr den Vogel ab, um ihn in die Küche zu bringen.
„Draco
und Scorpius sind hier“, stellte Hermine das offensichtliche fest.
„Wir
werden gehen“, sagte Draco dann, und Hermine kam sofort auf ihn zu.
„Ihr
müsst nicht gehen“, entfuhr es ihr sofort. „Warum solltet ihr?“
„Hermine-“
„-ich
möchte nicht, dass du gehst“, unterbrach sie ihn ernst. Kurz lächelte er. Sie
hielt seinem Blick stand. Sie schämte sich nicht.
„Ok“,
schloss er dann ergeben.
„Ok“,
wiederholte sie, und es erinnerte sie an ihre Geständnisse der letzten Nacht.
Sie liebte ihn. Er liebte sie. Ihr Herz schlug schneller. Harry räusperte sich,
und wieder kam ihr das zwanghafte Sozialverhalten in den Sinn.
„Frohe
Weihnachten, Malfoy“, begrüßte er ihn. „Bitte, fühlt euch nicht gehalten
unseretwegen zu gehen. Wir sind die Eindringlinge hier“, ergänzte er lächelnd.
Scorpius trat neben sie, unschlüssig, was er tun sollte, und Hermine legte ihm
die Hand auf die hohe Schulter.
„Hey“,
begrüßte Albus ihn tatsächlich, und sie nahm an, er war von Harry eingenordet
worden.
„Hey“,
erwiderte Scorpius wenig eloquent, etwas beschämt. „Tut mir leid wegen damals“,
rang er sich ab.
„Mir
auch“, sagte Albus betreten.
„Na
dann“, kürzte Harry dieses unangenehme Gespräch ab. „Wie wäre es, wenn wir
diesen Tag beginnen?“, schlug er vor, und Hermine lächelte. Vielleicht war
alles nicht ganz so tragisch. Ginny schenkte ihr einen durchdringenden Blick,
schien ein dringendes Gespräch mit ihr zu suchen, denn Hermine erkannte ihre
Neugierde auch von hier.
Und
beinahe vorsichtig ergriff sie Dracos Hand, bevor sie den Rücken durchstreckte.
„Dann lasst uns in den Salon gehen“, sagte sie, und die Familie folgte ihr.
Es
würde schon werden.
~*~
Draco
und Scorpius hatten sich schließlich verabschiedet, wollten nicht länger
stören, und Scorpius wollte packen. Hermine und Draco würden ebenfalls
nachkommen, nur noch nicht morgen. Die Potters hatten sich gut mit den beiden
Malfoy-Männern verstanden, was Hermine sehr beruhigte. Es waren keine
unangenehmen Fragen gestellt worden, aber Hermine nahm an, die Hexenwoche hatte alle wichtigen Fragen
bereits ausführlich beantwortet.
Es
klopfte nach einer Weile erneut. Die Dämmerung war bereits über den Tag
gefallen, und Hermine folgte Mr. Holden, der immer noch demütig alle Türen
öffnete.
Der
Wächter hatte wieder Besucher im Schlepptau, und Hermines Augen weiteten sich
eine Spur. „Rose?“, entkam es ihr ungläubig.
„Mum“,
sagte ihre Tochter mit belegter Stimme. „Ist… ist es ok, wenn wir hier sind?“,
wollte sie unglücklich wissen, und hinter ihr erkannte sie Hugo, der verhalten
winkte und eine Pflegehexe, die das Baby in dichte Decken gehüllt trug. „Ich
wollte Weihnachten nicht ohne dich verbringen.“
Tatsächlich
hatte Hermine Weihnachten noch nie ohne Rose gefeiert. Und sie war fast
erleichtert, dass sie dieses Jahr nicht damit anfangen musste.
„Kommt
rein“, bat sie die Gäste lächelnd. „Bitte“, ergänzte sie entgegenkommend. Rose schloss
den Abstand und umarmte sie seufzend, und Hermine hielt ihre Tochter fest. Dann
löste sich Rose, und sie traten alle nacheinander ein.
„Mum“,
sagte Hugo versöhnlich, zog sie in eine angenehm feste Umarmung, und Hermine
war so froh, ihre Kinder zu sehen. Sie strich anschließend sanft über das
kleine Gesicht des Babys, aber Corvus schlief, und sie wollte ihn nicht wecken.
„Die
Potters sind ebenfalls hier“, ergänzte sie noch, und die Gäste schienen damit
kein Problem zu haben.
„Sonst
noch wer?“, fragte Rose besorgt, sah sich knapp um, aber Hermine schüttelte den
Kopf.
„Nein,
Rose“, verneinte sie knapp.
„Gut.
Das ist gut“, sagte ihre Tochter. „Mum, ich… wollte nicht – es tut mir leid,
dass ich ausgezogen bin, aber ich konnte nicht… hier sein, wenn-“
„-schon
gut, Rose“, lenkte Hermine eilig ein.
„Und
dann gestern die Sache mit Scorpius – ich wusste nicht, was ich tun sollte“,
fuhr sie stiller fort, und Hermine ging es nichts an. „War… war er hier?“,
wollte Rose wissen, als sie in den Salon gingen.
„Bis
vorhin, ja“, bestätigte Hermine dann.
„Kommt…
kommt er wieder?“ Sie wusste nicht, ob Rose hoffnungsvoll oder verängstigt
klang.
„Nein,
Liebling, er…- Scorpius wird abreisen“, erwiderte sie sanft.
„Abreisen?“,
wiederholte ihre Tochter perplex. „Wohin reist er?“
„Er
wird etwas Zeit in Italien verbringen. Wegen… na ja, wegen allem. Und wegen
deiner neuen… Errungenschaft“, bemerkte sie leiser und Roses Blick hob sich
gequält.
„Wir…
wir sind Freunde. Nicht mehr als das. Wirklich nicht.“
„Ach ja?
Bist du sicher, Rose?“, erkundigte sie sich, und konnte nicht lassen, sich
einzumischen.
„Ich
weiß es nicht, Mum“, flüsterte ihre Tochter unglücklich. „Scorpius hat sich
nicht verabschiedet! Er hat nicht-“
„-es
ist schwer für ihn“, sagte Hermine eilig.
„Es
ist auch schwer für mich!“, warf ihre Tochter ein, und Hermine nickte beschämt.
Das war es wohl.
„Es
tut mir leid, Liebling“, sagte Hermine aufrichtig.
„Mir
auch, Mum“, erwiderte Rose ernsthaft. „Wann… wann kommt Scorpius wieder?“,
wollte sie fast wehmütig wissen. „Was ist mit Corvus?“
„Er
will am Wochenende nach Neujahr die Details mit dir besprechen“, ließ Hermine
sie wissen, was sie selber wusste. „Damit er Corvus am Wochenende sehen kann.
Er würde dann über Floh zurückkommen“, schloss sie. Rose wirkte erleichtert.
„Jede
Woche? Er käme… jede Woche zurück?“ Hermine ahnte bereits, dass ihre Tochter
Scorpius nicht lange böse sein würde. Schon jetzt wirkte sie, wie ein seltsamer
Junkie auf Entzug. Hermine nickte langsam. „Gut. Wirklich gut. Ja, ich… muss
mit ihm reden. Ich… weiß auch nicht…“ Hermine sah es bereits kommen, dass ihre
Tochter wohl oder übel nicht ohne Scorpius überleben können würde. Sie kannte
Rose mittlerweile, und ihre Tochter wollte meist haben, was sie vielleicht
nicht bekommen konnte.
Vielleicht
waren sie sich sogar ähnlich… Vielleicht. Hermine würde Rose auch nicht wegen
Troy maßregeln. Sie konnte es sich nicht leisten.
„Lass
uns Weihnachten feiern“, beschloss Hermine dann.
„Ok“,
erwiderte Rose erleichtert, und Hermine legte den Arm um ihre Tochter. Es war
das erste vernünftige Gespräch, seit… seit einer ganzen Weile, stellte sie
fest.
Rose
und Scorpius sollten vielleicht erstmal eine Zeit lang testen, wie es wäre,
nicht zusammen zu sein, bevor sie wieder Hals über Kopf in die nächste Phase
stürzten. Sie war überzeugt, dass Scorpius an dieser Erfahrung wachsen würde.
Und wahrscheinlich wäre es dann eine bessere Beziehung.
Hermine
vermisste Draco. Schon jetzt. Und sie freute sich über die kleine Auszeit, die
sie in Italien nehmen würden.
Und
jetzt würde sie Weihnachten mit ihrer Familie verbringen. Es musste nicht alles
einfach sein. Nicht alles perfekt. Hauptsache, man hatte ein Handvoll Menschen,
die einem die vielen Fehler und Unzulänglichkeiten nicht allzu lange übelnahmen.
Es
war eine wichtige Lektion. Und plötzlich war sie dankbar für jeden Stein in
ihrem Weg, für jede Entscheidung ihrer Tochter. Denn ihr Weg hatte sie zu Draco
geführt. Und alle Konsequenzen nahm sie gerne in Kauf. Er war der Richtige. Sie
spürte es genau, und es wurde langsam Zeit, dass sie sich wieder auf ihr Gefühl
verließ.
Und
ihr Gefühl sagte ihr, dass es am Ende gut werden würde. Egal, auf welche Weise.
Und das allein war beruhigend genug.
Harry
und Ginny umarmten Rose und Hugo, begrüßten leise das Baby, und es gab keine
bösen Worte, keine Vorhaltungen – sie waren einfach eine Familie. Und viel mehr
brauchte man schon nicht.
Hermine
merkte nicht mal, dass sie immer noch lächelte. Dass sie einfach glücklich war.
–
The End –