Chapters

Chapter 1 , Chapter 2 , Chapter 3 , Chapter 4 ,

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Chapter 21 , Chapter 22 ,

 

Catch-and-re-lease (fan-gen-und-frei-las-sen)

Nomen

(unzählbar)

1.       (Fischerei) Eine Variante des Angelns (Fliegenfischen), wobei der Fisch gefangen und anschließend freigelassen wird.

2.       Da kein höherwertiges Ziel als der Spaß des Angelfischers angestrebt wird, handelt es sich um ein unnötiges Zufügen von Stress oder sogar Schmerzen. Umstritten ist der tatsächliche Erfolg.

 

 

Part 1 – The End of all Good

„Courage doesn’t happen when you have all the answers.

It happens when you are ready to face the questions

you have been avoiding your whole life.“

- Shannon L. Alder

 

 

1. another heartache, another failed romance

 

Seltsame Kindheitserinnerungen überkamen sie, als der recht kühle Wind ihr Gesicht traf, wie der erste Geschmack des salzigen Ozeans auf ihren Lippen, als sie das erste Mal mit ihren Eltern die nördliche Küste besuchte. Sie waren am Loch Morlich gewesen, im Nationalpark. Blütenweiße Strände und unendliches Grün. Es war natürlich ein Muggelurlaub gewesen. Sie hatte von Zauberei noch keine Ahnung gehabt, keine bewusste zumindest. Sie war sechs Jahr alt gewesen.

Ein ähnliches Gefühl hatte sie jetzt hier, als sie ein wenig verloren auf der alten, wenn auch gepflegten, Brücke aus Stein stand, die über einen windigen unbegehbaren Abhang führte, der sich gähnend unter ihr erstreckte, bis hin zum verborgenen Gemäuer, was über die Jahrhunderte mehrfach wieder hergerichtet worden sein musste. Es lag verborgen vor den Augen der Muggel, in einem Abschnitt des schottischen Hochlands, weit im Süden, welcher nur durch Apparieren mit Portschlüssel erreicht werden konnten, da die magische Barriere zu Fuß nicht zu überwinden war. Ein guter Schutz, und doch… erfüllte sie ein mulmiges Gefühl.

Die Landschaft hier war so unberührt, Muggel würden direkt ihre Naturschutzschilder in den Boden schlagen und hohe Zäune ziehen – wahrscheinlich sogar Eintritt verlangen. Zauberer machten sich weniger Gedanken, hielten die Unberührtheit der Natur mit Zauberei aufrecht, und so einsam, hier auf der Brücke, eingefroren in der Zeit, kam sie sich fast vor, als wäre sie in eine mittelalterliche Vergangenheit katapultiert worden.

Es erinnerte sie auf nostalgische Art und Weise an die gothischen Romane der englischen Weltliteratur, von denen wohl die wenigsten Zauberer eine Vorstellung hatten. Und gleichzeitig bereute sie diese Gedanken, bereute, dass sie diesen Anlass mit etwas so Schönem in Verbindung brachte, wie ihre geliebten Muggel-Bücher. Sie versuchte, nicht beeindruckt zu sein, aber es gelang ihr nicht wirklich.

Wie dumm sie letztendlich doch war. Wie leicht sich ihr Verstand doch ablenken ließ.

 

Es war beruhigend, dass Harry neben ihr stand, den Kragen des Mantels hochgeschlagen, denn der Wind war auch im Frühling recht erbarmungslos. Es war stets kühl hier oben, und das Meer konnte sie zwar riechen, doch war es nur zu erahnen, hinter den nahen Kuppen der begrünten Berge.

 

„Was die Zeichen wohl bedeuten?“, vermutete Harry still neben ihr, mit halbherzigem Interesse, und sein Augenmerk war auf die gälischen Schriftzeichen gefallen, die ab und an in die Brückensteine geritzt worden waren. Zum ersten Mal hatte sie das überwiegende Bedürfnis, mit den Achseln zu zucken, seine Frage abzutun und nicht zu beantworten. Dann aber wäre das Gespräch wieder zu einem Halt gekommen. Die Stille mit Harry war nicht unangenehm, aber sie wog doch einigermaßen schwer. Und deshalb antwortete sie. Nicht, um Wissen zu demonstrieren, sondern einfach nur, um zu sprechen.

 

„Es sind Namen“, sagte sie. Sie war nicht sonderlich bewandert in diesem Dialekt, gar nicht, wenn sie ehrlich wäre, aber aus Büchern – wusste Merlin, warum es in ihrem Gedächtnis geblieben war – erinnerte sie sich an die Namenszüge einstiger Herrscher. „Alte Familie, alte Namen“, ergänzte sie tonlos.

 

„Hm“, machte Harry bestätigend. Aber er hielt das Gespräch am Laufen. „Warum stehen sie hier?“ Er fragte sie direkt, wie er sie stets alle Dinge fragte, als hätte sie auf jede Frage eine allwissende Antwort, und jetzt zuckte sie die Achseln.

 

„Abschreckung?“, vermutete sie. „Oder… zur Kenntnisnahme, wer zurzeit Herrscher hier war?“

 

„Es kamen Zauberer hier her, haben auf der Brücke gelesen, wer hier wohnt, und dachten sich: Ach, du Schreck! Schnell weg hier!“ Fast lächelte er, aber auch Hermine fielen solche banalen Abhandlungen heute schwer.

 

„Früher, denke ich, konnte man zu Fuß zumindest bis hier her gelangen. Und die wenigsten konnten lesen“, vermutete sie träge, wickelte sich fester in ihren Mantel und blickte hinab in die tiefe Schlucht unter sich, aus der der eisige Wind nach oben heulte. „Vielleicht lagen auch Bannflüche auf diesen Steinen, haben unerwünschte ferngehalten oder direkt verflucht“, fuhr sie fort und schauderte wieder.

 

„Angenehm“, bestätigte er mit eindeutigem Blick. Wieder ging ihr auf, wo sie waren, und sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Der frische Wind hatte seine Wangen leicht gerötet, und sie konnte nicht fassen, wie lange sie Harry schon kannte, und wie selbstverständlich ihr seine Anwesenheit stets vorkam. Sein Bart war dichter geworden, verbarg die Falten um seinen Mund, und immer mehr graue Haare mischten sich mit der dunklen Pracht, aber das Leuchten seiner Augen war so jung wie eh und je.

 

„Danke, dass du hier bist“, sagte sie schließlich, und überrascht weiteten sich seine Augen. Das Grün seiner Augen ähnelte dem Grün der saftigen Berghänge, und er passte gut hier her, befand sie abwesend.

 

„Ginny wollte unbedingt“, entgegnete er mit einem reumütigen Lächeln, „und natürlich bin ich hier.“

 

„So natürlich ist es nicht“, widersprach sie kopfschüttelnd und wandte den Blick, bevor verräterische Tränen in ihre Augen traten. „Es ist schon unwahrscheinlich, dass ich hier bin“, entfuhr es ihr ungläubig.

 

„Abstand tut gut“, sagte er bloß. Sie schwiegen eine Weile, bis er schließlich fortfuhr. „Weißt du, ich verstehe ihn, aber… er scheint nicht zu begreifen, dass es Dinge gibt, die außerhalb seiner Macht liegen. Auf die er keinerlei Einfluss hat. Ich liebe ihn, wie du ihn liebst, aber… dieses Mal hast du die richtige Entscheidung getroffen, Hermine.“ Unglücklich blickte sie über die Berghänge und verspürte schreckliches Heimweh. Nicht zwangsläufig Heimweh nach London, aber Heimweh nach ihrer Familie, nach ihrem Ehemann, nach der ‚guten, alten Zeit‘, als sie noch jung waren, die Kinder noch klein. Als alles noch in den Anfängen steckte und nichts schlecht und böse gewesen war.

 

„Es mag sein, aber ich weiß noch nicht, wie ich den nächsten Tag überleben soll. Hier, auf dieser Brücke, ist alles einigermaßen in Ordnung. Der Ausblick, der Wind, die Eindrücke lenken mich ab, aber… sobald ich in diesem Gemäuer sitzen werde, umzingelt von ihnen…“, flüsterte sie fast, „ich weiß nicht, ob ich es kann.“

 

„Du wirst es können“, schloss Harry schlicht, denn Harry suchte nicht lange nach Problemen. Er löste sie für gewöhnlich, überwand das Unüberwindbare, mit kaum viel mehr als einem Achselzucken. Das hatte er stets getan, und diesen Maßstab legte er für gewöhnlich auch Familie und Freunden an. „Hermine, du kannst alle Dinge, die du tun musst, und das ist eines dieser Dinge, die wir… einfach hinter uns bringen müssen. Sich zu weigern hat lediglich die Konsequenz, dass deine Tochter kein Wort mehr mit dir sprechen wird.“ Harry war nicht altklug von ungefähr. Er wusste, wie es war, wenn die eigenen Kinder nicht mit einem sprachen, und diese Weisheit hatte er am eigenen Leibe gelernt.

 

Sie seufzte schwer, wollte ihm nicht antworten, wollte ihm nicht widersprechen, wollte eigentlich nicht weiter darüber nachdenken.

„Jetzt mag es dir schlimm vorkommen, aber denk dran, die Sonne geht höchstwahrscheinlich auch noch nächste Woche auf, und bis dahin sitzt du wieder gemütlich in deinem Büro, und all diese Ängste liegen weit zurück.“ Sie hob den Blick, um ihn anzusehen. Denn es stimmte nicht.

 

„Es ist erst der Anfang, Harry“, entkam es ihr, stiller als beabsichtigt, schwerer als gewollt. Er lächelte wieder und ließ den Blick schweifen.

 

„Ja, aber das nächste Mal, dass ihr alle so zusammentrefft, ist wann? An irgendeinem Geburtstag? An irgendeiner anderen Feier? Sie werden hierhin ziehen. Zwar nicht in dieses Gruselschloss, aber Schottland ist groß und weit weg, und vielleicht… hat es sein Gutes.“

 

Bitter sanken ihre Mundwinkel. „Nichts daran ist gut, Harry. Und es wird enden, wie es schon hundertmal geendet hat.“ Jetzt wandte sich Harry ihr zu.

 

„Und? Dann ist es gut. Dann endet es, aber immerhin warst du heute an dem einen Tag hier, wo es wichtig war, verstehst du? Sie wird sich dir nicht verschließen, wenn es endet. Im Gegensatz zu Ron! Und das werde ich ihm vorwerfen. Das ist sein Fehler!“ Seine Stimme klang bitter, und alter Schmerz brannte in seinen Worten. Er vermisste James, sie wusste das. Seit fünf Jahren sprach Harry mit seinem ältesten Sohn kein Wort mehr. Hermine hatte nie Verständnis dafür aufbringen können, hatte nächtelang mit Harry darüber diskutiert, und letztendlich, als Harry sich durchgerungen hatte, die Fronten mit seinem Sohn zu klären, hatte James ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er kein Interesse daran hatte.

Sie wusste nichts zu sagen. Es tat ihr leid für Harry, und sie bemitleidete sich selbst ungemein, jetzt, wo Ron denselben Keil zwischen sich und ihre Tochter getrieben hatte. Harry atmete knapp aus, schüttelte die alten Dämonen scheinbar ab, und hob die Augenbraue. „Es ist eine Hochzeit, kein Weltuntergang“, schloss er schließlich, aber sie war sich da nicht ganz so sicher. „Es liegt außerhalb unserer Macht. Und scheinbar außerhalb der Macht dieser archaischen Familie“, ergänzte er, mit Blick zurück auf das drohende Anwesen hinter ihnen. „Ein Schritt in eine neue Zukunft“, entfuhr es ihm etwas abwesend, aber Hermine graute es vor dieser Zukunft.

 

Wieder fiel Stille über sie, nach Harrys düsterer Ansprache. Es war nicht mehr, wie früher. Nichts war mehr, wie es früher war. Und sie wusste nicht mal mehr, wann genau sich alles geändert hatte. Hatte die Zeit sich einfach an ihr vorbeigestohlen, ohne dass sie es wirklich bemerkt hatte? Sie legte den Kopf in den Nacken, und ließ den Wind ihre Locken aus der Frisur ziehen.

Vereinzelt sangen seltene Vögel, deren Gesang niemals in der Stadt zu hören war, und sie fühlte sich wie ein Kind, als sie die Augen wieder öffnete.

 

„Das ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mich wieder wie ein Muggel fühle“, murmelte sie plötzlich, als sie den Mantel enger um sich schlang und sich wieder umsah. Solche Ausflüge hatte sie nur mit ihren Eltern gemacht, damals. Alles kam ihr so fremd hier vor, so eigenartig weit entfernt, aus ihrer eigenen Welt.

 

„Ja“, bestätigte Harry tatsächlich nickend, wieder etwas abwesend. Hermine führte es nicht aus. Vielleicht verstand Harry es, wie sie es tat. Sie sah es so, dass sie erst seit ihrem zehnten Lebensjahr eine Hexe war. Vorher war sie eine Muggel gewesen. Hier zu stehen, zu wissen, dass es andere Menschen gab, zu verstehen, was das Wort ‚Reinblut‘ überhaupt bedeutete, fühlte sich plötzlich an, als wäre sie Tourist in dieser magischen Welt. Als wäre sie aus Versehen hineingeraten. Wie lange diese Familie schon magisch war. Wie viel ihnen gehörte, was für eine Tradition sie pflegen mussten. Unter diesen Voraussetzungen war es doch ähnlich wie mit Adel und Neureichen, dachte sie dumpf. Der Adel verabscheute die Neureichen ebenso, wie Reinblüter die Halbblüter und Muggel.

 

Es ängstigte sie. Und gleichzeitig war es absoluter Blödsinn.

 

„Wie lange muss Hugo arbeiten?“, fragte Harry sie schließlich und riss Hermine aus ihren sehr theoretischen Gedanken zurück in die Realität.

 

„Ich – lange. Ich weiß nicht genau, wann er kommt“, erwiderte sie, denn dass sie Zuhause im Wandschrank Stundenpläne und Kalender ihrer Kinder hängen hatte, war nun eine ganze Weile her. Sie wusste nicht mehr, was ihre Kinder taten, wann sie nach Hause kamen und womit sie ihre Freizeit verbrachten. Harry nickte, aber Hermine wusste, dass Ginny Lilys und Albus‘ Leben strenger überwachte, seit der Sache mit James. Dass Ginny nicht wüsste, wo ihre Kinder waren, war fast abwegig. Aber Hermine wollte es gar nicht so genau wissen. Zumindest nicht mehr bei Rose.

 

„Dann ist er das wohl nicht“, bemerkte Harry und nickte weiter nach vorne. Hermine hob den Blick, verengte die Augen, und das sanfte Flimmern in der Luft intensivierte sich stetig. Jemand apparierte.

Und vielleicht war damit zu rechnen gewesen. Sie und Harry gingen gerne raus, im Gegensatz zu Ginny. Sie und Harry waren damals fast ein Jahr im Zelt unterwegs gewesen, und bis heute hatte es eine enge Naturverbundenheit mit sich gebracht, aber natürlich war es gerade jetzt ein Risiko, außerhalb des alten Schlosses zu stehen.

 

Das letzte Mal hatte sie Draco Malfoy vor etwa zwei Monaten gesehen. Gesprochen hatte sie mit ihm nicht, sie hatte ihn lediglich gesehen, und das hatte ihr auch gereicht. Jetzt sah sie ihn wieder, und allmählich erkannte sie auch die vermummte Gestalt, die in einen übertrieben dicken Reiseumhang gewickelt war, und nach ihm materialisierte.

Timothy Greene, Notar-Beamter der Inneren Abteilung. Hermine hatte schon das ein oder andere Problem mit ihm gehabt, und es hob ihre Laune nicht unbedingt. Denn sie wusste, weshalb er hier sein musste.

 

Draco war auf ihrer Höhe, als Harry, höflich wie er war, ihm wohlwollend zunickte. Die Potters und ihr zwanghaft soziales Verhalten. Manchmal könnte Hermine sich auf der Stelle übergeben. Bevor sie ihn begrüßen würde, hatte Hermine Timothy ins Auge gefasst, und er schenkte ihr ebenfalls einen säuerlichen Blick. Dann glitt ihr Blick hoch in das gealterte Gesicht von Draco Malfoy, der genauso glatt und blass und widerlich war, wie sie ihn seit jeher in Erinnerung hatte. Er war so groß geworden. Harry war nie über sie hinausgewachsen, und bei Ron war es ihr nie so bewusst aufgefallen, aber sie erinnerte sich, dass sie und Malfoy in der Schule, noch mit sechzehn, gleich groß gewesen waren, und jetzt überragte er sie um mehr als einen Kopf, hatte bestimmt die ein-Meter-neunzig-Marke längst geknackt, und es waren eigenartige Gedanken. Sein Sohn war nicht so hochgewachsen. Seine linke Hand umschloss fest die Träger einer modischen Reisetasche mit goldenen Schnappverschlüssen, und sein Mantel war aus irgendeinem – höchstwahrscheinlich illegalen – Pelz gefertigt.

 

„Malfoy“, rang sie sich das einzige Wort der Höflichkeit ab, zu dem sie im Stande war.

 

„Weasley“, erwiderte er auf herablassende Art, Ablehnung im Blick. Aber vielleicht war sein Ton auch neutral, und die allgegenwärtige Herablassung war einfach angeboren. Wer wusste es schon zu sagen?

 

„Nichts ist romantischer als Eheverträge und Verzichtserklärungen, nicht wahr, Timothy?“, erkundigte sie sich in Richtung Timothy, und dieser sah sich geneigt zu sprechen, sich stets und ständig für seine Arbeit zu rechtfertigen, selbst hier und heute. So kannte Hermine diese feige Ratte. Aber er kam nicht dazu. Malfoy erwiderte auf ihre kaum ernstgemeinte Frage.

 

„Er ist auf Einladung hier. Bürokratie schläft nicht.“ Gewiss tat sie das bei den Malfoys nicht, die höchstwahrscheinlich jeden Abend vor dem Zubettgehen jede goldene Münze in ihren privaten Verliesen polieren und zählen ließen. Es würde Tage dauern, alles aufzuzählen, was sie an den Malfoys störte, aber das unnütz viele Gold stand sehr weit oben auf der Liste. Es gab an Draco Malfoy kaum einen sozialen Makel zu finden. Kannte man ihn nicht von früher, mochte man glauben, man hätte es mit einem gebildeten, höflichen Geschäftsmann zu tun. Aber wahrscheinlich war es Show. Immer auf den äußeren Anschein bedacht, immer die Mahnung im Kopf, dass ehemalige Todesser kein Anrecht hatten, sich weit mit ihren Meinungen aus dem Fenster zu lehnen. Malfoy war Witwer, seit fünfzehn Jahren alleinerziehender Vater und Geschäftsführer der magischen Versicherungsgruppe für Rein- und Halbblutangelegenheiten, die sein Vater nach Kriegsende gegründet hatte. Ob er das freiwillig tat, war wohl keine Frage, die sich stellte. Weshalb er nicht wieder geheiratet hatte, war auch keine Frage, die sie sich ernsthaft stellte.

Sie nahm an, Malfoy kannte sich mit Verantwortung aus und demonstrierte dieses Wissen lediglich damit, dass er zur Hochzeit seines Sohnes den Notar direkt dabei hatte, um das Malfoy-Vermögen vor den armen Weasley-Klauen so gut zu schützen, wie er nur konnte. Pflichtbewusst bis zum Ende.

Und sie konnte nicht annehmen, dass Malfoy Senior diese Entwicklung mit gefalteten Händen zur Kenntnis genommen hatte. Sie wusste nicht, ob es im Herrenhaus der Malfoys zu unpassenden Ausbrüchen kam, ob goldene Teller flogen, ob sie sich mit Schimpfworten verletzten, aber diese hochadelige Kontenance, mit der diese Verlobung behandelt worden war, reizte sie ungemein.

 

Ron war vor einigen Wochen ausgezogen, und die Sachen, die er nicht bei Ginny und Harry hatte unterstellen können, befanden sich jetzt in dem schäbigen Zwei-Zimmer-Apartment, was oberhalb des Scherzartikelladens leer stand. Hermine wusste, dass sie Malfoy keine Schuld daran geben konnte, dass Ron sie verlassen hatte, aber sie würde sich wünschen, dass auch die Malfoys mit dieser Entscheidung zu hadern hatten, dass sie sich stritten, dass es Draco genauso elend ging, wie ihr. Aber wahrscheinlich war dies nicht der Fall. Wahrscheinlich bedeutete es für ihn keine persönliche Vendetta, wie es bei Ron der Fall war. Und gerne würde sie fragen. Aber… das tat man wohl nicht. Leider.

In seiner Gegenwart fühlte sie sich underdressed und unvorbereitet.

Und ohne Ron fühlte sie sich auch machtlos und sehr entwaffnet.

 

So viele Jahre hatte sie damit verbracht, ihren Kindern Recht und Moral beizubringen, sie mitzunehmen, auf Touren und Trips, Zelten, Bootfahren, am Lagerfeuer sitzen und sich mit Bescheidenheit begnügen, egal, wo sie herkamen und was der Name Weasley bedeutete. Ihre Bemühungen mochten bei Hugo Früchte getragen haben, aber bei Rose? Ihrer einzigen Tochter? Warum Scorpius Malfoy? Sie hatte es Rose so oft gefragt, und Roses Antwort war nie gut genug für sie gewesen. Es hatte nicht gereicht. Sie hatte nicht einsehen wollen, dass ihre Tochter unterm Strich vielleicht einfach nur oberflächlich war. Sie konnte nicht. Es war so falsch und ging gegen jede moralische Faser in Hermines Innern. Man sagt nicht Nein zu einem Prinzen, war es, was Rose gesagt hatte. Zwischen all dem anderen Unsinn natürlich. Scorpius war attraktiv und reich. Und scheinbar reichte das aus, um ihre Tochter über alle Maßen zu beeindrucken. Kein Gryffindor hatte es je geschafft, ihre Tochter zu gewinnen. Kein kluger Ravenclaw, kein gutherziger Hufflepuff. Nein, ein missratener Slytherin. Kein Slytherin, der ansatzweise in Ordnung war, nein. Es musste die schlimmste Version eines Slytherin sein. Er hatte seinen Sohn verwöhnt, hatte ihm nichts verweigert und hatte es nicht mal geschafft, ihm klarzumachen, wie wichtig es wäre, die Reinblutlinie fortzuführen. Scorpius war dumm. Verwöhnt. Untreu. Und ein riesiges Arschloch.

 

Sein inquisitorischer Blick war unangenehm, aber mühelos hielt sie stand. Sie kannte solche abartigen Exemplare wie ihn von ihrer Arbeit. Dort liefen sie zu hunderten durch die Gänge.

 

„Irgendwelche Strafen da drin?“, wollte sie gereizt wissen, und tatsächlich atmete er lange aus.


„Sicher“, bestätigte er sehr trocken. „Drei Wochen kopfüber im Kerker hängen, wenn sie ihn nicht ordentlich befriedigt. Schwebt dir so was vor?“, erkundigte er sich fast bösartig bei ihr, und bevor sie ausrastete und ihn noch anschrie, sprach er weiter. „Du kannst die Dokumente gerne lesen, du kannst der Unterzeichnung beiwohnen, und genau deshalb habe ich Mr. Greene gebeten, zu kommen, um mögliche Änderung einzufügen.“ Es war einigermaßen weitsichtig, das gab sie zu. Auch wenn sie gerade ihm diese Weitsicht kaum unterstellte. Immerhin kannten sie sich nicht. Nicht wirklich. Nicht gut genug, um zu behaupten, dass man ‚sich kannte‘ zumindest. „Natürlich habe ich nicht erwartet, alles gleich hier auf der Brücke zu klären, aber wenn das alles ist, was dir am Herzen liegt…“ Er ließ den Satz unbeendet, und Hermine wusste, es war nur der letzte Strohhalm. Sie musste sich nicht mehr mit ihm anlegen, denn sie hatte bereits verloren. Sie war hier. Allein, ohne Ron. Und Rose bekam ihren verdammten Willen, weil Hermine die Hände gebunden waren. Weil sie ihre Tochter nicht mehr in ihrem Zimmer einsperren konnte.

 

Ihre Zähne arbeiteten, und sie verabscheute diese Familie und alles, was damit zusammen hing. Und vielleicht handelte er aus einer Art höflichen Absicherung heraus, aber er kannte sie wahrlich schlecht. Natürlich würde sie unter gewöhnlichen Umständen keine Sekunde mit einem solchen Vertrag zubringen! Ihr Stolz würde sie abhalten, aber es ging wieder einmal ums Prinzip. Sie beäugten sich mit mildem Zorn, und die Stille, die eingetreten war, war keine angenehme.

Und es war Harry, der schließlich sprach, ruhig und angemessen.

 

„Ihr solltet daran arbeiten, dass es zivilisiert verläuft und nicht… ausartet.“ Gerade Harry musste das sagen. Sie löste den kochenden Blick von Malfoys Gesicht, um Harry beinahe beleidigt anzusehen. Sie hasste diese Unterstellung. Als wäre es auf einmal nötig, Hermine von Anstand und Benehmen zu erzählen. Als wäre sie tatsächlich vierzehn Jahre alt. Vielleicht würde sie gerne solche Zusammentreffen verhindern, ja, aber sie war nicht gänzlich von jeder Etikette verlasen. Ihr war bewusst, dass man sich auf Hochzeiten nicht vor seinen Kindern duellierte. Und schade, dass Harry mittlerweile so abgehoben war, dass er ausblendete, sich früher selber nicht mit Draco Malfoy verstanden zu haben!

 

„Ich möchte keine Probleme“, machte Malfoy es sehr deutlich. Sein Blick war klar, unverwandt und ein wenig mahnend. „Offen gesagt, möchte ich ankommen, auspacken, und spätestens heute Abend den Vertrag unterzeichnet haben, damit dieser endlose Tag sein Ende findet.“ Sie hörte, wie viel Kraft es ihn kostete. Sie spürte es praktisch. „Wir könnten darüber diskutieren, warum es einen Unterschied macht, dass deine Tochter einen Malfoy heiratet, oder umgekehrt – Merlin, damit könnten wir ganze Wochen füllen!“, führte er entsprechend eindeutig aus. „Wenn du ein Problem damit hast, dass meine Familie von alters her darauf besteht, Eheverträge aufzusetzen – dann tut es mir leid“, ergänzte er tatsächlich kopfschüttelnd. „Aber keiner von uns möchte einer Scheidung beiwohnen, und garantiert keiner von uns möchte dies, wenn alles ungeregelt und chaotisch ist. Es ist reine Form. Und Rose erhält eine Abfindung. Eine überaus großzügige, vollkommen rechtssichere Abfindung“, sagte er dann. „Um also noch einmal auf diese Worte einzugehen“, schloss er, während er sie aus seinem Blick entließ, und Harry nun nachsichtig ansah, „von mir aus, läuft alles zivilisiert. Ich bin nicht derjenige, der schreit“, ergänzte er eindeutig, und Hermine nahm an, er sprach von Ron.

 

Als wären sie ein dummer Haufen Trolle, der sich nur aufregen konnte und den Wert des Goldes nicht begriff. Und Harry enttäuschte sie nicht, natürlich nicht. Harry Potter enttäuschte nie.

 

„Ron ist nicht hier, und… er kommt auch nicht.“ Hermine wünschte sich, Harry hätte den Mund gehalten. Wirklich. Denn wie sah es aus? Zuerst runzelte er die Stirn, bevor sein Blick schließlich fiel. Und tatsächlich verhielt sich Draco Malfoy vernünftiger als sie. Es war nervtötend.

 

„Das tut mir leid“, sagte er dann, aber Hermine reagierte sofort.

 

„Glaub mir, das muss es nicht. Wir verzichten auf dein Mitleid“, sagte sie bitter. „Ich habe nicht erwartet, dass meiner Tochter irgendeine Sonderbehandlung zuteilwird. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Familie hier auf irgendeine Weise blamieren werde“, knurrte sie praktisch. Er schien dazu noch das ein oder andere sagen zu wollen, aber Harry löste Probleme und vertiefte sie nicht.

 

„Dann lass es gut sein“, sagte er ruhig, bestimmt. Und dann wandte er sich direkt an Draco. Hermine wusste, Harry hatte sein eigenes Drama Zuhause. „Ich denke, Albus wird nicht erscheinen. Ich weiß nicht, inwieweit du darüber-“

 

„-nicht im Detail“, reagierte Draco sofort, fast schon… dankbar. „Scorpius ist nicht unbedingt auf… detaillierte Gespräche mit mir versessen“, ergänzte er, und Harry nickte, als wisse er, wovon Draco sprach. „Es ist eine unglückliche Sache“, sagte er schließlich, und ja, so würde Hermine es auch nennen. Es war unglücklich, weil Scorpius Malfoy ein Mistkerl war. In einfach jeder Hinsicht.

 

„Ich denke, Albus wird drüber wegkommen, nur eben nicht… jetzt gerade“, schloss Harry fast entschuldigend.

 

„Nun, ein anderer Trauzeuge ist bereits gefunden“, erwiderte Draco seufzend. Harry nickte wieder, und immerhin sorgte Harry jetzt für einen schmerzhaften Themenwechsel, auf den Hermine auch getrost verzichten könnte.

 

„Danke trotzdem für die Einladung“, erwiderte er schließlich seufzend, und Hermine fixierte Malfoy weiterhin, freute sich über jede Falte um seine Augen, über jeden Anschein der Sorge auf seiner Stirn, und sie fand ihn lächerlich, denn seine Frisur schien sich der neuesten Mode zu beugen, und anscheinend versuchte der sechsundvierzigjährige Draco Malfoy, sich weiterhin vorzumachen, dass er Anfang dreißig war. Sein Dreitagebart war eine Nuance dunkler, als sein Haupthaar, und mit verengten Augen suchte sie nach einem grauen Haar, nach mehr Beweisen für sein eindeutiges Alter.

 

„Kein Problem“, sagte er in Harrys Richtung, und es war bemerkenswert, dass er sich auf den Smalltalk konzentrieren konnte. „Habt ihr die Zimmer schon gesehen?“, stellte er eine sinnlose Frage.

 

„Ja, alles sehr angenehm. Alter Familienbesitz?“, fragte Harry, und es war Hermine ein Rätsel, wie er Malfoy als Menschen wahrnehmen konnte, mit dem man ernsthaft Gespräche führte.

 

„Ja“, bestätigte er, mit neutralem Blick auf das alte Gemäuer. „Ich meine, es war das Exil von irgendeinem Malcolm-Ahnen aus dem elften Jahrhundert, Muggel-Zeitrechnung, weit nach dem ersten Zeitalter“, fuhr er nachdenklich fort. „Und als Sohn magischer Begabung war er von der Familie verstoßen und hierhin ‚ausgelagert‘ worden, so erzählt es mein Vater“, schloss er knapp, keine Sympathie in der Stimme. „Es hat den Besitzer häufiger gewechselt, aber wegen einer Reihe an Zufällen, blieb es doch in der Familie“, ergänzte er schließlich.

 

„Inzest heißen diese Zufälle“, bemerkte sie spitz, ohne es verhindern zu können, und sein grauer Blick fiel zurück auf ihr Gesicht. Seine Plauderstimmung fand ihr Ende.

 

„Gut, dass wir diese Tradition aufrechterhalten, nicht wahr?“, entfuhr es ihm glatt, und Hermine wusste, er spielte wohl darauf an, dass die Weasley-Linie irgendwann die Malfoy-Linie kreuzte sowie auch die Linie der Blacks die der Weasleys unweigerlich kreuzte, und Hermine nahm an, alle alten Reinblüter-Familien mussten zwangsläufig verwandt sein, und es ekelte sie an, obwohl Rose und Scorpius mehrere Generationen weit von diesen Verbindungen entfernt lagen. Er schenkte ihnen ein hohles Lächeln. „Wir sehen uns drinnen“, beendete er das kurze Gespräch, und Harry verabschiedete sich höflich, aber Hermine sah ihm lediglich mit abschätzendem Blick hinterher. Timothy hatte Mühe, zu folgen, mit seinen Taschen und seinem Kampf gegen die Gezeiten hier oben.

 

„Ich nehme an, das war nötig?“, wollte Harry ruhig von ihr wissen.

 

„Was?“, entkam es Hermine defensiv. Aber sie wusste, was. Sie konnte tatsächlich nicht anders. Sie hatte ihre Probleme mit Ungerechtigkeiten und Unterdrückung. Und damit, dass sie verloren hatte. Gegen Scorpius Malfoy. „Ich bin hier“, entkam es ihr mahnend. „Für Rose. Aber ich muss es nicht mögen, ich muss es nicht gut heißen. Und ich muss mich mit dieser Familie garantiert nicht besser verstehen, als unbedingt nötig. Und keine Sorge“, wandte sie ein, als Harry sprechen wollte, „ich benehme mich. Aber verlang nicht von mir, dass ich auch nur eine Sekunde so tue, als wäre es ein gutes Wochenende. Eine gute Sache. Denn das ist es nicht.“

 

Zornig hatte sie sich abgewandt, und wusste, sie konnte sich nicht mit Harry streiten. Denn dann blieb ihr erstaunlich wenig übrig hier oben.

Hermine kochte innerlich vor Zorn. Ausgerechnet. Ausgerechnet einen Malfoy wollte sie heiraten. Jeder andere hätte es sein können, und Hermine meinte es wörtlich. Absolut jeder andere wäre in Ordnung gewesen. Ein Zwerg, ein Troll, ein Kobold aus Gringotts! Wirklich jeder!

Sie hatte sich genügend Arbeit mitgebracht, um sich abzulenken. Und sie hoffte, ihre Kaminverbindung reichte bis nach London.

 

2. a mermaid has no tears

 

Abwesend blätterte sie wieder und wieder durch die starren Seiten Papier. Der funkelnde Ring blitzte an ihrem Finger, und in Gedanken versunken, versuchte sie, die Worte wieder zu lesen. Es war schon mal ein Vorgeschmack auf das, was sie gleich erwarten würde.

 

„Alles ok?“, fragte er hinter ihr, und ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr, dass auch er fertig war, sich umzuziehen. Alles unterlag einem strengen Zeitplan.

 

„Mh“, machte sie bloß und legte die Zusammenfassung des Vertrags zurück auf die Kommode. Scorpius trat neben sie, sanfte Falten auf der Stirn.

 

„Es ist der Vertrag, oder? Es stört dich?“, wollte er wissen, aber sie machte eine knappe Kopfbewegung.

 

„Nein, es stört mich nicht. Mir war klar, dass… dass ich so etwas würde unterschreiben müssen“, erwiderte sie tonlos.

 

„Dann was?“, erwiderte er fragend, sah sie an, aber sie wich seinem stechendem Blick aus. „Rose“, beharrte er streng, und sie schüttelte sachte den Kopf.

 

„Es ist nichts.“

 

„Dir gefällt nicht, dass wir es vor der Hochzeit unterschreiben müssen? Es ist reiner Pragmatismus. Ich habe nicht-“

 

„-Scorpius, es geht nicht um den verdammten Vertrag!“, entfuhr es ihr gereizter, als geplant. Er schwieg abrupt. Sein Ausdruck wurde finster.


„Es geht um deine Eltern?“, vermutete er jetzt – und ja. Sicher ging es teilweise darum. Hilflos verdrehte sie die Augen. „Es war unmöglich mit deinem Vater zu reden, Rose. Ich-“

 

„-ich weiß“, beteuerte sie bloß. Ihr Vater sprach nicht mehr mit ihrer Mutter, und er sprach auch nicht mehr mit ihr. Dann waren ihre Großeltern mütterlicherseits ebenfalls nicht hier, weil ihre Mutter ernsthaft davon ausging, dass es zu gefährlich war, Muggel und Reinblüter auf engstem Raum zu haben. Und ihre Mutter hatte nicht wirklich das Wort ‚Reinblüter‘ benutzt. Albus war nicht hier, weil Scorpius den Streit nicht beendet hatte. Dabei hätte es ihn nicht viel gekostet. Er hätte seine Würde opfern müssen, aber dafür wäre Albus hier gewesen.

 

„Dann sag es mir“, verlangte er bitter. „Was denkst du dann?“

 

„Gar nichts“, wiegelte sie ab, wandte sich ihrem Spiegelbild zu und wusste, es würde gleich anstrengend werden, weil sich ihre Mutter nicht beherrschen würde.

 

„Wir wussten, dass es kompliziert werden würde. Und… vielleicht habe ich mich nicht genug angestrengt, aber es ist nicht mehr zu ändern. Wir heiraten morgen“, schloss er, fast gepresst, und noch war es nicht ganz zu ihr durchgedrungen, aber ja. Sie würde ihn heiraten. Es gab keine Ausflüchte mehr. Er… könnte jetzt nicht einfach abhauen, wenn er wollte, konnte nicht Schluss machen, wenn es ihm zu viel wurde. Er war jetzt… an sie gebunden. Sie hob den Blick und sah seinem Spiegelbild entgegen. „Wir müssen wieder runter“, erklärte er, fast entschuldigend. „Schaffst du das?“

 

„Sicher schaffe ich das“, entgegnete sie kopfschüttelnd.

 

„Gut“, sagte er, und sie hasste, wenn er genervt war. Er schritt zur Tür, aber sie hielt ihn auf.

 

„Liebst du mich?“, flüsterte sie, und er hielt seufzend inne.

 

„Rose, was soll die Frage?“ Steile Falten standen auf seiner Stirn.

 

„Antworte mir doch einfach, anstatt alles zu hinterfragen“, fuhr sie ihn tatsächlich an, und er kehrte mit gereizten Schritten zu ihr zurück.

 

„Ja, ok? Sicher liebe ich dich, Merlin noch mal. Was für eine absolut dämliche Frage!“, knurrte er.

 

„Küss mich, Scorpius“, bat sie ihn, und seine Nasenflügel bebten.

 

„Wir haben keine Zeit dafür. Die Unterzeichnung ist in fünf Minuten, und ich will keinen Lippenstift auf-“

 

„-küss mich, Scorpius“, wiederholte sie gnadenlos, und kurz arbeitete sein Kiefer angespannt, ehe er beherrscht den Kopf senkte. Es war kein liebevoller Kuss. Es war ein Schmatzer auf die Lippen.

 

„Ich bin nervös, Rose. Du weißt, dass ich-“

 

Aber sie hörte ihm nicht weiter zu, ergriff seinen Nacken mit beiden Händen und zog sein Gesicht zu sich. Verlangend verschlossen ihre Lippen seinen Mund, und er atmete abgehackt die Luft ein, als sie die Zunge zwischen seine Lippen schob. Sie drängte sich an ihn, rieb sich an seinem Körper, und ganz so nervös, wie er vorgab zu sein, war er wohl nicht, denn sein Penis hatte die Zeit, hart zu werden. Er schob sie von sich.


„Rose!“, entfuhr es ihm mit weitem Blick, aber ohne Scheu sah sie zu ihm auf. „Wir können nicht-!“, begann er hilflos, und jedes Mal, wenn sein Großvater in der Nähe war, verwandelte sich Scorpius in einen untertänigen Enkel. Und das störte Rose so immens, dass das hier eine reine Trotzhandlung war.

 

„-ich bin noch nicht soweit, Scorpius“, informierte sie ihn eindeutig, griff nach hinten und zog den Reißverschluss ihres Kleides tiefer. Sein Mund öffnete sich stumm.

 

„Du… du willst jetzt…?“, verließ die Frage unbeendet seine Lippen, und Rose schüttelte das enge Etui-Kleid ihren Körper hinab. Kurz blinzelte er, versuchte nicht, ihre bloßen Brüste zu betrachten, aber sie nickte entschieden.

 

„Ja“, bestätigte sie. „Morgen bist du mein Mann, ich bin dann deine Frau, und ich will dich jetzt“, bestätigte sie. Kurz sah sie, wie die Sorge in seinen Blick trat, der Wunsch, nach unten zu gehen, den Plan einzuhalten, bevor sie den Mann wieder erkannte, in den sie sich verliebt hatte. Ein anziehend dreckiges Lächeln zerrte an seinen Mundwinkeln, und er löste mit geübten Griffen seine Krawatte.

 

„Sicher?“, erkundigte er sich rau bei ihr, und sie nickte scheinheilig, bevor er sie erreicht hatte, seine Finger über ihre Brustwarzen rieben und er den Kopf senkte, um sie mit seinen Lippen zu verwöhnen. Seine Zunge leckte hart, seine Zähne bissen sanft zu, bis sich ihre Brustwarze aufrichtete, und sie stöhnen musste.

 

„Meine Eltern… haben mir von dir abgeraten“, murmelte sie lächelnd, und sie spürte sein Grinsen auf ihrer Haut. Kurz unterbrach er sein Spiel.

 

„Und? Schon Zweifel bekommen? Noch kannst du rennen, weißt du?“, fragte er lauernd, und zur Antwort suchten ihre Finger seine Gürtelschnalle. Seine Erektion pochte bereits beständig, und eilig öffnete sie seine Hose.

 

„Mh… ich weiß nicht“, murmelte sie lächelnd, und er richtete sich wieder zur vollen Größe auf.

 

„Oh ja?“, erwiderte er herausfordernd, ehe er sie aus dem Kleid hob, was um ihre Knöchel lag, und sie zum breiten Bett trug, was akkurat gemacht war, fast zu schade, um es zu zerstören. Fast. Er legte sie auf die Matratze und war keine Sekunde später über ihr. Sie zog seine lose Krawatte aus dem Kragen und öffnete die Knöpfe ungeduldig. „Scheinbar muss ich Überzeugungsarbeit leisten?“, vermutete er grinsend, und sie nickte unschuldig.

 

„Ich denke schon“, bestätigte sie, und seine Finger hakten sich in ihr Höschen, um es über ihre Schenkel zu ziehen. Sein Blick sog ihren Anblick praktisch auf, und wohlwollend fuhren seine Hände über ihren nackten Körper.

 

„Fuck. Du bist so verdammt perfekt“, entfuhr es ihm gedankenverloren, und sie musste lachen.

 

„Hör auf zu reden!“, befahl sie ihm, und er befreite seine Erektion halbherzig, zog nicht mal die Hose vollständig aus, spreizte ihre Beine weit, nur um in einem geschmeidigen Zug zur Gänze in sie zu dringen. Ihr Kopf flog zurück, und sie liebte es, wenn sie sich vereinigten. Er zog sich zurück, und unter keuchenden Atemzügen rammte er sich wieder in ihre enge Hitze. Rose wusste, dass es unanständig von ihr war. Dass sie eigentlich etwas mehr Verantwortung zeigen sollte. Dass sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen musste, dass ihre Familie ein handfestes Problem mit den Malfoys hatte, aber sie konnte nicht. Sie musste das verdrängen. Sie wusste, ihre eigene Mutter hoffte wohl noch, dass sie die Hochzeit absagen würde.

 

Sie biss sich auf die Lippe, als Scorpius zwischen ihre Körper griff, ihre Klitoris berührte, und ihr Höhepunkt in Reichweite rückte.

Rose wusste, dass der Trotz sie handeln ließ, und es war nicht sonderlich erwachsen. Sie wusste, dass die Malfoys rund einhunderttausend Galleonen für diese Feier ausgaben, und anstatt, dass es ihr ein schlechtes Gewissen verursachte, erregte es sie lediglich, es reizte sie praktisch dazu, sich leichtsinnig zu verhalten. Sie kratzte über seine Kopfhaut, schlang die Beine um seine Hüften, und er kam ihr zu einem hungrigen Kuss entgegen.

Es half nicht, dass sie immer wieder zu ihren Eltern gerannt war, wann immer sie sich nicht genug beachtet von Scorpius gefühlt hatte. Es half auch nicht, dass sie sich nicht für die Beziehung ihrer Eltern eingesetzt hatte, dass sie tatsächlich ihre Familie auseinander brachte, weil sie kein stummer Ekel befiel, wenn sie an die Malfoys dachte.

 

Und sie hatte Zweifel gehabt, natürlich hatte sie Zweifel. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, und ihr war durchaus klar, was es bedeutete, sich an eine solche Familie zu binden. Und Scorpius war nicht perfekt. Er war nicht immer treu gewesen, war nicht reflektiert und reif. Aber die gewichtige Tatsache, dass sie seit drei Wochen schwanger war und es niemandem gebeichtet hatte, hatte ihre Entscheidung doch nachhaltig beeinflusst. Selbst, wenn er letzte Woche die ganze Nacht weggeblieben wäre, und nicht nur bis drei Uhr morgens, wäre sie heute hier aufgetaucht und würde den beklemmenden Vertrag unterschreiben.

Und wenn sich ihre Mutter mit seinem Vater hier und heute duellierte – sie würde ihn morgen trotzdem heiraten. Sie dachte jetzt an sich, nicht an die anderen. Sie dachte an das ungeborene Kind, und dass sie auf keinen Fall nicht mit dem Vater verheiratet sein wollte, wäre es soweit.

Sie hatte gesehen, wie schwer es für Dom war, alleinerziehende Mutter zu sein.

Und das wollte sie nicht. Sie liebte Scorpius, natürlich. Sie liebte ihn über alles! Und dass er bereit war, sich überhaupt auf diese Weise an sie zu binden, machte sie unfassbar glücklich. Aber es gab ihr auch das Gefühl von Sicherheit, was sie dringend brauchte.

 

Grollend zog er den Kopf zurück, stöhnte laut und ungehalten, als er sich in ihr ergoss. Seine Hüfte bockte noch einmal nach vorne, pinnte sie tief in die Matratze, und sie klammerte sich an ihn, als sie ebenfalls die Wellen spürte. Kurz lagen sie still, ineinander verschlungen, bevor er sich regte und von ihr stieg.

 

„Verhütungszauber?“, fragte er sie, den Blick zufrieden und träge, während er versuchte seine Haare zu ordnen, und dann Richtung Badezimmer schlurfte.

 

„Ich kümmer mich“, versprach sie lächelnd, aber ihr Lächeln schwand, als er mit hochgerecktem Daumen im Badezimmer verschwunden war.

 

Ja, das hatte sie auch versprochen, in der Nacht, als sie höchstwahrscheinlich schwanger geworden war. Sie hatte den Verhütungszauber schlicht und ergreifend vergessen gehabt. Und sicher, sie könnte das Kind magisch ohne Probleme entfernen lassen, aber… sie wollte nicht. Sie wollte es behalten. Sie wollte es bekommen. Sie wollte eine Familie mit Scorpius Malfoy. Vor drei Wochen hatte sie einen hysterischen Anfall bekommen, war kurz davor gewesen, ihre Mutter über Floh zu erreichen, bevor sie durchgeatmet hatte. Bevor sie darüber nachgedacht hatte, was ihre Optionen gewesen waren.

Und wenige Tage vor dieser Schreckensnachricht hatte Scorpius ihr den Antrag gemacht, nachdem sie ihm wie schon hunderte Male zuvor gedroht hatte, ihn zu verlassen. Und noch war sie ihm eine Antwort schuldig gewesen. Und anstatt ihre Mutter anzuflohen, hatte sie gewartet, bis Scorpius von seinem Männerabend wieder zurückkam, und hatte ihm dann zugesagt. Sie hatte ihm zugesagt, dass sie ihn würde heiraten wollen.

Kurz war er überrascht gewesen, ein wenig überrumpelt, aber dann hatte er aus seinem Zimmer den Ring geholt und ihr an den Finger gesteckt.

Und am nächsten Morgen hatte sie ihre Mutter über Floh angerufen und ihr die freudige Nachricht mitgeteilt.

Das war vor drei Wochen gewesen, und Scorpius hatte wohl alle Räder in Bewegung gesetzt, sie so schnell wie möglich unter den teuersten Voraussetzungen zu heiraten. Ganz entgegen den Wünschen seiner Großmutter, die mit der Verbindung ebenfalls nicht einverstanden war, und dann erst recht nicht mit so einem kurzfristigen Termin. Scorpius‘ Vater hatte sich um nicht viel gekümmert, denn Scorpius war direkt an seinen Großvater herangetreten und hatte ihn gebeten, die beste magische Hochzeit für ihn auszurichten, denn er wolle seine Braut so schnell wie möglich ehelichen.

 

Und anders konnte sie es nicht sagen: Lucius Malfoy hatte sein Versprechen gehalten. Es war ein unglaubliches Schloss, ein unglaublicher Aufwand. Und jetzt wurde es Zeit, dass sie unten auftauchten, bevor ihre Mutter noch irgendwann die Tür aufbrechen würde.

Rose wusste nicht, wie lange sie dieses Geheimnis noch hüten würde. Sie wusste nicht, was es ihrem Vater antun würde, es zu wissen, aber sie glaubte, wesentlich schlimmer konnte es nicht werden. Sie glaubte auch, dass ihre Eltern sich wieder vertragen würden. Sie waren zwei Hitzköpfe, und es wäre nicht der erste Streit. Das war die einzige Hoffnung, die sie hegte, weswegen sie nicht einfach heulend zusammengebrochen war, als ihre Mutter ihr eröffnet hatte, dass sie und ihr Dad nicht mehr sprachen, und dass ihr Dad vorläufig ausgezogen war. Rose kannte es schon.

Sie konnte nicht für das Verhalten ihrer Eltern verantwortlich sein. Sie musste sich jetzt um ihr eigenes Leben kümmern. Ab morgen wäre sie Rose Malfoy. Und für eine Sekunde schlug ihr Herz unfassbar schnell. Sie wäre Rose Malfoy!

 

~*~

 

Sie kamen zu spät.

Und Hermine wurde immer nervöser. Sie war wahrlich kein Veteran, hatte keine posttraumatische Kriegsstörung, aber vielleicht lag es auch daran, dass sie sich für gewöhnlich nicht mit den ehemaligen Staatsfeinden traf und Verträge unterzeichnete. Im Moment waren sie zu viert, und Hermines Blick war bereits auf die verschiedenen Papierstapel gefallen. Innerlich hoffte Hermine ja, dass Rose bereits ihre Koffer gepackt hatte und abgereist war. Sie vernahm das Treiben draußen dumpf hinter den schweren, alten Türen. Es schien einst eine Art Speisesaal gewesen zu sein. Altertümliche Rüstungen reihten sich an der einen Wand, abscheuliche Portraits an der anderen. Die Portraits waren magisch und betrachteten die Szene mit angewiderten Blicken. Lucius Malfoy war in einige Unterlagen vertieft und Timothy sprach verhalten mit Malfoy. Es waren keine weiteren Berater da, auch Narzissa wohnte dem Termin nicht bei. Wenn Hermine richtig verstanden hatte, war Narzissa ähnlich begeistert, wie sie es war. Hermine saß auf der anderen Seite des langen Tisches, alleine. Wie ein unerwünschter Gast, ein Feind hinter den Linien. Lucius war schrecklich alt geworden, und alles, was Hermine dachte, war, dass dieser Mann höchstwahrscheinlich immer noch das Mal auf seinem Unterarm trug. Sie dachte daran, dass sie gegen diese Familie im Krieg gekämpft hatte. Dass diese Familie Voldemort Unterschlupf gewährt hatte, und dass wegen dieser Familie allein, tausend Menschen den Tod gefunden hatten.

Unter dem Tisch ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Dass Ron sie alleine ließ war unverzeihlich, und sie würde es ihm auch niemals verzeihen. Niemals.

 

Es kam ihr vor, wie ein Tag im Ministerium mit der Inneren Abteilung. Anzugtragende Vollidioten, die dem Gold huldigten. Ihr war so schrecklich schlecht. Langsam wurde es dunkel draußen, und das Feuer im Kamin auf der linken Seite warf obskure Schatten auf den Boden.

Sie hatte ihre Tochter noch nicht gesehen. Rose war irgendwann angekommen, nachdem sie und Harry zurück ins Schloss gegangen waren, um Ginny zu treffen. Und Rose hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, Hermine zu finden, sie zu begrüßen – nein. Rose lebte nur noch für Scorpius Malfoy.

 

Hermines Mundwinkel zuckten nach unten. Einmal zu oft hatte Rose weinend vor ihrer Tür gestanden, den Namen Malfoy verflucht, wie es sich gehörte, weil Scorpius wieder einmal nicht nach Hause gekommen war, wieder einmal nach fremdem Parfüm gerochen hatte, wieder einmal ein Arschloch gewesen war, das sie schlechter behandelte, als die Hauselfen, die laut der Malfoys in deren Haus eine vorzügliche, unvergleichbare Behandlung bekamen. Hermine bezweifelte das. Sehr, sehr stark. 

Aber sie war klug genug, zu wissen, dass sie ihrer Tochter verbieten konnte, was auch immer sie wollte, aber es würde keine durchschlagende Wirkung haben.

Rose wollte diesen jungen Mann heiraten, entgegen jeder Zweifel, entgegen aller gut gemeinten Ratschläge der gesamten Familie. Und deshalb würde Hermine verdammt noch mal nichts dagegen ausrichten können.

Sie sah ja, was mit Ron passiert war. Rose hatte ihn eiskalt ausgeschlossen, nahm billigend zur Kenntnis, dass ihr eigener Vater keine Rolle bei dieser Hochzeit spielte, weil er seine Meinung geäußert hatte.

Zugegeben, Ron hatte eine sehr bestimmte Meinung, und die kollidierte überwiegend mit Roses Meinung, und Hermine hatte versucht, Ron begreiflich zu machen, dass Rose nicht zuhören, und dass sie unter keinen Umständen von diesem Plan ablassen würde.

Hermine hatte inständig darauf gehofft, dass Scorpius kalte Füße bekäme, seine Freiheit dahin schwinden sah, irgendetwas in der Art. Bis gestern Abend hatte sie gebangt und gewartet, ob es nicht vielleicht klopfen würde, ob ihre hübsche Tochter, nicht mit verweinten Augen in ihre Arme fallen würde, um ihr wieder einmal zu erzählen, was für ein Mistkerl Scorpius Malfoy war, und wie sie hatte so dumm sein können, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, seine Frau zu werden.

 

Aber so war es mit den Sekunden. Manche brauchten eine Sekunde, um wieder aufzuwachen, zu sehen, was es für ein immenser Fehler war, andere brauchten eine Sekunde, um für sich zu entscheiden, dass es genau das richtige ist. – Was es nicht war. Rose irrte sich. Und höchstwahrscheinlich würde sie dann Hermine anschreien und ihr vorwerfen, was sie für eine schlechte Mutter wäre, dass sie sie an diesem Tag nicht aufgehalten hatte. Sie biss die Zähne fest zusammen.

Aber selbst wenn Rose sie anschließend hassen würde, sollte sie wieder zur Vernunft kommen, Hermine hatte sich nichts vorzuwerfen. Lieber saß sie genau hier, an einem Ort, an dem sie nicht sein wollte, bei dem sie das Bedürfnis verspürte, Bannzauber zu sprechen und schreiend wegzulaufen, als auch nur eine Sekunde zu verpassen. Denn sie würde recht behalten. Sie behielt meistens recht.

 

Ihre Gedanken wanderten, und Hermine erinnerte sich an den Tag, an dem Rose zum ersten Mal von Scorpius erzählt hatte. Sie war fünfzehn gewesen, und Hermine hatte zum ersten Mal aktiv mitbekommen, dass Scorpius Malfoy als Date für den Winterball in Frage gekommen war! Merlin!

Sie hoffte nur, dass Draco Malfoy ähnliche Wellen der Übelkeit empfunden hatte – und noch immer empfand, egal, wie gut er sich verstellte! Egal, wie gut er das magische Aristokraten-Spiel hier auch spielte!

Und an diesem Tag hatte sie ihren ersten großen Streit mit Ron über die Malfoys gehabt. Und natürlich war Rose mit Scorpius Malfoy zum Ball gegangen. Sie hatte Hermine alles im nächsten Brief haarklein berichtet. Hermine wusste auch vom ersten Mal ihrer Tochter, mit besagtem jungen Mann. Scorpius Malfoy hatte genügend Schaden in ihrer Familie angerichtet, und das nicht erst seit gestern. Er war auch der erste Junge gewesen, der ihre Tochter zum Weinen gebracht hatte, nachdem er sie sitzen gelassen hatte, um mit irgendeiner reichen Slytherin anzubandeln. Das war im sechsten Jahr gewesen. Rose war untröstlich gewesen, war in regelrechte Depressionen verfallen, bis sie die vielversprechende Beziehung zu Troy Ferrars eingegangen war, einem verantwortungsbewussten Gryffindor, Schulsprecher des höheren Jahrgangs.

Doch kaum hatte diese Beziehung die Monatsgrenze überschritten, war alles Glück vorbei. Scorpius war anscheinend vor Eifersucht vergangen, hatte seine reiche Freundin verlassen, um sich dann mit Troy zu schlagen, was darin gegipfelt war, dass Rose den vielversprechenden Jungen verließ, nur um schon wieder eine lächerliche Beziehung zu Scorpius Malfoy zu beginnen.

 

Hermine glaubte nicht, dass sie während Roses siebten Jahres auch nur eine Nacht ruhig geschlafen hatte. Ron war regelmäßig ausgerastet, hatte sich mit Rose mehr als ein Dutzend Male angelegt, ihr verboten, Scorpius Malfoy zu sehen, was natürlich nichts gebracht hatte.

Rose war ein stures Mädchen. Dann hatte Hermine Hoffnung geschöpft, denn Scorpius hatte sich sehr auf seine Leistungsarbeit konzentriert, denn konnte man es glauben, der Malfoy-Junge war Schulsprecher geworden. Rose hatte nicht einmal den Posten der Vertrauensschülerin erworben, was Hermine allerdings nicht den Schlaf geraubt hatte. Scorpius wollte seinen Ohnegleichen-Schnitt halten, wie Rose Hermine in einem ihrer endlos langen Briefe berichtet hatte, und hatte demnach keine Zeit mehr für sie gehabt, und ihrer Tochter war langweilig geworden.

Und kurz hatte es wohl eine Trennung gegeben. Zu kurz allerdings, als dass Hermine die Partyhüte hätte verteilen können, denn anscheinend hatte Scorpius den Entschluss gefasst gehabt, Rose unter keinen Umständen aufzugeben.

Von Rose wusste sie, dass er deshalb keinen reinen Ohnegleichen-Schnitt vorzuweisen hatte, was Hermine auf seltsame Weise sehr befriedigte, und immerhin hatten sie und Ron es fertig gebracht, in den drei Jahren On-Off-Beziehungsdrama, nicht ein einziges Mal mit den Malfoys in Kontakt zu treten.

Die wenigen Male, die Scorpius an Weasley-Familienfeiern teilgenommen hatte, ließen sich an einer Hand abzählen, und es war auch besser so.

 

Sie wusste im Nachhinein nicht, wie diese Beziehung überhaupt hatte halten können. Nach Hogwarts hatte Scorpius in der Liegenschaftsabteilung im Ministerium die Ausbildung zum Finanzwalter begonnen, mit hervorragenden Aufstiegschancen, denn die höchste Position dieser Abteilung belegte Lucius Malfoy. Wen auch immer er hatte bestechen müssen, um dieses Amt zu ergattern. Rose hatte die Auroren-Ausbildung begonnen, was Hermine löblich, wenn auch abwegig, gefunden hatte, aber ihre Tochter hatte sie nicht enttäuscht, und diese schnell wieder abgebrochen. Rose hatte nie Interesse an Auroren gezeigt, also wäre es unwahrscheinlich gewesen. Danach hatte sie in die Strafverfolgung zu einem Schreibtischjob gewechselt, hatte die magische Vollzugsausbildung auch tatsächlich beendet, nur um dieses Jahr dann doch überraschend zu kündigen, und jetzt war sie – wie sie es nannte – auf der Suche. Auf der Suche nach was, wusste Hermine nicht. Rose wahrscheinlich auch nicht.

 

Zwischenzeitlich waren sie und Scorpius zusammen gezogen. Vor etwa einem Jahr, was bei Ron zu einem Herzvorfall geführt hatte, weswegen er zwei Wochen im Mungo hatte liegen müssen. Er hatte sich nicht mehr beruhigen können, hatte tagelang geschrien, bis sein Blutdruck so gefährlich in die Höhe geklettert war, dass er plötzlich keine Luft mehr bekommen hatte und zusammengebrochen war.

 

Es waren gute Jahre gewesen, wirklich. Und erst seit letztem Jahr war Rose immer wieder Zuhause aufgetaucht, verweint, verzweifelt, denn Scorpius Malfoy war nicht treu und er war nicht nett. Das zumindest wusste Hermine. Er nahm sich, was er wollte, koste es, was es wolle.

Er hatte Rose erst vor sieben Monate mit irgendeiner Hexe seiner Abteilung betrogen, Hermine wusste die Details nicht, denn Rose hatte es nicht ausführen wollen. Anschließend war Rose bei ihnen eingezogen, und Hermine hatte Hoffnung geschöpft. Blinde, zaghafte Hoffnung, dass das Leben endlich wieder lebenswert werden würde. Und dann hatte die schlimmste Zeit begonnen.

 

Scorpius hatte sie praktisch täglich heimgesucht. Blumen, Pralinen, Goldgeschenke – einen Hippgreif, Merlin noch mal! Er hatte die ganze Mannschaft der Sheffield-Shooters für einen Tag gebucht, damit sie ein Match in ihrem Garten spielen konnten. Und Rose war standhaft geblieben, hatte ihm nicht verziehen, und Hermine war dankbar gewesen, für den unbrechbaren Stolz ihrer Tochter.

Aber dann war Scorpius zu ihr gekommen – in ihr Büro, am helllichten Tag. Er hatte geweint, hatte geschrien, hatte sich auf jeden Handel mit ihr einlassen wollen, und Hermine hatte in diesen zwei Wochen so viel Malfoy-Kontakt gehabt, dass es für ein ganzes Leben reichte. Sie hatte ihm erklärt, dass er selber schuld war, dass das die Konsequenz seines Handelns wäre, und dass man sich zweimal überlegen sollte, mit wem man schliefe.

Aber er hatte es nicht hören wollen, hatte sie mit dutzenden Briefen belästigt, die sie alle widerwillig ihrer Tochter übermittelt hatte.

Und die Geschenke hatten nicht aufgehört. Ron hatte gewütet, hatte getobt – war nahe seinem zweiten Herzanfall gewesen, und erst, als Scorpius Malfoy in ihrem Garten ein Zelt aufgeschlagen hatte, hatte sich Draco eingemischt.

 

Und sie glaubte, dass Draco Malfoy alles in seiner Macht stehende versucht hatte, seinen Sohn fernzuhalten. Sie nahm an, er hatte ihm sämtliche junge Frauen versprochen, alles Gold der Welt, wenn Scorpius nur wieder zur Vernunft käme. Es hatte sogar eine Art Aussprache gegeben, in der Ron und Draco einen Plan entworfen hatten, die Kinder zu trennen, dauerhaft. Draco hatte Scorpius ins Ausland schicken wollen, hatte ihm dort schon eine Stelle beschafft, hatte ihn gefügig machen wollen, aber sein Sohn hatte nichts davon hören wollen, hatte lieber in ihrem Garten im Zelt genächtigt, als auch nur eine Nacht von Rose getrennt zu sein. Drei Wochen lang.

Es war so anstrengend gewesen, dass Hermine ernsthaft überlegt hatte, die Strafverfolgung einzuschalten, aber Rose hatte das verhindert. Sie hatte gesagt, sie wolle Scorpius nicht mehr sehen, aber sie wolle ihn nicht verhaften lassen. Sie hatte gemeint, er könne nicht viel länger in ihrem Garten bleiben wollen. Es wäre eine Frage der Zeit, und dass sie es aussitzen würde.

Ron hatte täglich Beruhigungszauber anwenden müssen, um nachts nicht Scorpius‘ Zelt zu stürmen, und ihn zu verfluchen. Aber auch er hatte die Zielgerade praktisch sehen können. Nicht mehr lange. Nicht viel länger, und Rose hätte gesiegt. Scorpius würde seinen Stolz wiederfinden und endlich verschwinden. Für immer.

 

Und das Ende dieser Geschichte kannte Hermine nicht wirklich. Nur aus zweiter Hand. Sie nahm an, Draco hatte letztendlich die Notbremse gezogen und Scorpius gedroht, ihn aus dem Testament zu streichen, sollte er sich weiterhin so lächerlich benehmen, denn von einem Tag auf den nächsten war das Zelt in ihrem Garten verschwunden. Ron war erleichtert gewesen, Rose war es nicht.

Das hatte Hermine schon zu denken gegeben, aber sie hatte nicht fragen wollen, hatte es nicht forcieren mögen.

Sie wusste, dass Scorpius in dieser Zeit viel getrunken hatte, Strafberichte der Nachtstaffel hatten die Runde im Ministerium gemacht, und Scorpius Malfoy war in mehr als einer betrunkenen Kneipenschlägerei der Winkelgasse involviert gewesen, aber die Malfoys hatten Mittel und Wege, seinen Namen aus der Presse zu halten. Jedenfalls kam es in dieser Zeit irgendwie dazu, dass Scorpius scheinbar aus Verzweiflung Albus‘ Freundin ausgespannt hatte, dabei war Albus wohl seine einzige Allianz gewesen, der letzte Freund aus der Familie. Nie ein guter Freund, aber doch Freund genug, dass man so etwas wohl nicht tat. Das war vor drei Monaten passiert.

Rose hatte diese Neuigkeiten ähnlich schlecht aufgefasst, wie Albus, nur hatte Albus Scorpius aufgesucht, und ihn scheinbar grün und blau geschlagen, was zu einer unpassenden Verurteilung des jüngsten Potter-Sohns, mit anschließender Sozialarbeit geführt hatte, bei Scorpius hingegen zu einem Mungo-Aufenthalt, wegen mehrerer Knochenbrüche, und, wusste Merlin, warum, hatte Rose ihn dort besucht.

 

Hermine begriff es nicht. Wirklich nicht. Sie wusste nur, seitdem hatte Albus keinen Kontakt mehr zu Scorpius, und Rose… Rose war Zuhause ausgezogen, um wieder in die gemeinsame Wohnung zurückzuziehen, weil Scorpius anscheinend Hilfe brauchte, denn er lief auf Krücken, nach einem komplizierten Bruch, den Magie nicht direkt zu heilen vermocht hatte. Hermine glaubte, Scorpius hatte gelogen, hatte Roses Mitleid ausgenutzt, damit sie sich genötigt sah, wieder bei ihm einzuziehen. Zuerst hatte Rose behauptete, es wäre freundschaftlich, da sie Scorpius nicht mehr vertrauen wollte.

Allerdings war von Albus‘ Exfreundin nie wieder die Rede. Anscheinend war es eine einmalige Sache, wie so viele Sachen für Scorpius Malfoy.

Hermine hatte wieder jede Hoffnung verloren, nur Ron hatte kämpfen wollen, hatte Rose zurückholen wollen, hatte diese verfluchte Beziehung der beiden nicht wieder aufleben lassen wollen.

Aber Hermine hatte ihm klar gemacht, dass er auf verlorenem Posten kämpfte. Dann kam es zu so einem großen Krach, dass Hermine für eine Woche zu ihren Eltern gezogen war, da sie nicht mehr ertragen konnte, über die Beziehung ihrer Tochter zu streiten.

Ron hatte sich anschließend entschuldigt, geschworen, sich zu bessern, sich Hilfe zu suchen – was er nie getan hatte. Und als Rose eines Abends vor zwei Monaten zu ihnen kam – und Hermines Hoffnungen hatten sich schnell zerschlagen, denn sie hatte nicht geweint -  und ihnen erklärt hatte, dass sie und Scorpius nun glücklicher als jemals zuvor seien, hatte Ron das Haus verlassen, ohne ein weiteres Wort.

Er hatte den Kontakt zu seiner Tochter abgebrochen, bis zum heutigen Tag. Hatte von Hermine verlangt, ebendies zu tun, seinem Beispiel zu folgen, und Rose so mit emotionaler Erpressung zu zwingen, Scorpius zu verlassen.

 

Erfolglos, natürlich. Hermine war nicht dumm.

Sie war vollkommen machtlos, und deshalb saß sie heute hier. Vor etwa drei Wochen, zu der Zeit, als Rose Hermine von der Verlobung berichtet hatte, war Ron schließlich aus ihrem Haus ausgezogen.

 

Und das war ihr Leben.

Sie hatte begonnen, ihre Wut zu verdrängen, sich gänzlich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, um irgendwann den Ministerposten zu ergattern. Und sie leistete einen guten Job. Hervorragend, wenn man so wollte.

Sie ignorierte das Leben ihrer Tochter tagsüber, machte sich vor, dass alles in bester Ordnung wäre – aber nachts… da war es schwerer. Da war es fast unmöglich. Ginny erzählte sie nichts von ihren Ängsten. Sie machte schnippische Bemerkungen, wann immer Ginny über Roses komplizierte Beziehung sprach, und Hermine tat so, als wäre es kein Problem.

Ginny hatte kein Verständnis für Ron, und nach der Trennung hatte sie Hermine sogar gesagt, dass es vielleicht das Beste wäre, dass Ron auszog. Dass die Welt nicht unterging, wenn Rose einen Malfoy heiratete.

 

Und nein. Natürlich ging die Welt nicht unter.

Es war einfach nur nicht mehr lebenswert und anstrengend.

Aber Hermine vertraute ihrer Tochter einfach, dass sie schon wissen würde, worauf sie sich einließ. Wie viele Schmerzen sie ertragen konnte, und was eben nicht. Und wenn es Scorpius Malfoy war, der das Herz ihrer Tochter komplett vereinnahmt hatte, dann… war es so. Hermine wusste nicht viel von epischer Liebe, die einen zu unaussprechlichen Dingen zwang, sie wusste nichts von diesem eigenartigen Verlangen, was selbst die schlimmsten Erfahrungen überschattete, aber sie wusste, dass Rose und Scorpius dieses Spiel seit zehn Jahren spielten, und anscheinend war es so, dass sie weder mit noch ohne einander konnten. Hermine war rational, belastete sich nicht mit diesen Dingen und war auch froh, dass sie es nicht musste – aber sie liebte ihre Tochter. Und das bedeutete, dass sie es ertragen musste, was auch immer kam. Selbst die Malfoys.

 

Sie wusste, Ginny war manchmal neidisch, liebte die Geschichten und das Drama, und manchmal, in dunklen Stunden, wünschte sich Hermine, dass es Ginnys Tochter wäre, die all diese Entscheidungen traf, die dieses Leben lebte. Und manchmal würde Hermine gerne tauschen. Lily gegen Rose. Nur manchmal, nur wenn die Realität zu dunkel und schmerzhaft wurde. Nur dann. Und im Licht des nächsten Tages bereute sie diese Gedanken.

Und manchmal fragte sie sich auch, von wem Rose diese Eigenschaft hatte, sich das Glück zu verwehren, sich in diese komplizierten, schmerzhaften Dinge zu verwickeln, und Hermine tippte auf Ron. Nicht auf sich selbst. Niemals auf sich selbst. Rose war nicht wie sie. So war Hermine nie gewesen. Niemals! Das zumindest versicherte Hermine sich selbst.

 

Und dann hob sich ihr Blick, und fast traten Tränen in ihre Augen. Nach kurzem Klopfen, betrat Hugo den Saal. Ihr Sohn hatte wohl endlich die doppelte Schicht im Mungo hinter sich gebracht. Hermine erkannte Hugos Lächeln von hier aus, und Hugo war anders. Er unterstützte jede Entscheidung, die seine Schwester traf.

Und insgeheim war Hermine dankbar dafür, dass zumindest einer aus ihrer Familie die Weitsicht und Weisheit besaß, nicht auszuflippen, sondern einfach zu erdulden, was auch immer kommen mochte.

 

„Schönen Abend. Harry sagt, ihr wärt hier. Ich dachte, ich nehme einfach mal teil“, begrüßte er die wenigen Anwesenden, schüttelte jedem die Hand, bis er zu ihr kam, sich zu ihr neigte und ihre Wange küsste. „Hey Mum“, murmelte er und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie konnte nicht sprechen, wollte mit Worten nichts zerstören und schenkte ihrem Sohn einfach ein schmales Lächeln. Er war blitzgescheit und ihr ganzer Stolz. Ohne Frage, ohne Zweifel.

 

Und endlich öffnete sich die Tür ein zweites Mal.

 

„Entschuldigt“, begann Scorpius sofort, und kalter Ekel befiel Hermine, wie immer, wenn sie die kleine Made sah. Er sah seinem Vater so ähnlich, so widerlich ähnlich. Rose schloss strahlend den Abstand zu Hugo, schloss ihn in ihre Arme, bevor ihr Blick auf sie fiel. Ihr Ausdruck kühlte sich ab, und Hermine wusste, es war kompliziert. Aber dennoch erhob sie sich und umarmte ihre Tochter. Zaghafter, unwilliger, als sie es bei Hugo getan hatte, aber sie tat es nichtsdestotrotz. Schnell ließ sie aber von ihr ab, denn Scorpius‘ Geruch klebte praktisch an Roses gesamtem Körper, und Hermine wollte sich nicht ausmalen, weshalb beide zu spät gekommen waren. Es war widerlich. 

 

„Dann können wir anfangen“, beschloss Timothy mit großzügigem Lächeln, aber Hermine erwiderte es nicht.

 

„Bitte“, entkam es Lucius mit Nachdruck, und dann verlas der Beamte den Vertrag. Rose erhielt keinerlei Ansprüche auf die Grundstücke und Immobilien, die sich bisher in der Familie befanden und würde einen solchen Anspruch auch nur dann erhalten, sofern sie und Scorpius zusammen Eigentum erwerben würden. Hermine nahm nicht an, dass das passierte, denn Rose und Scorpius wollten schließlich alten Familienbesitz beziehen. Sie bekäme kein Haus. Hugo fragte an einigen Stellen wieder und wieder nach, aber zur Verhandlung stand keiner der Punkte. Die Entschädigungssumme war siebenstellig und überschritt Hermines Jahresgehalt um das Doppelte, wenn nicht mehr. Kurz schwirrte Hermine der Kopf, aber Rose schien es nicht einmal zu interessieren.

Hermine konnte fast spüren, wie kollektiv der Atem angehalten wurde, als Timothy in die Runde fragte, ob alle Anwesenden soweit einverstanden waren, mit den vorgelegten Konditionen und Malfoys Blick ruhte auf ihrem Gesicht, aber Hermine fixierte Rose. Diese strahlte in Scorpius‘ Richtung, und es gab keinen Grund für Hermine, um irgendwelche Rechte zu kämpfen. Sie wollte gar nichts von dem Vermögen der Malfoys haben, und sollte Rose einen Millionenbetrag geschenkt bekommen, wenn sie keine Lust mehr auf Scorpius hatte – umso besser.

 

„Dann reiche ich zur Unterschrift“, schloss Timothy fast erleichtert, und zuerst unterschrieb Scorpius, nur um die Feder Rose zu reichen. Ihre Tochter ergriff die dokumentenechte, pechschwarze amtliche Feder mit ruhiger Hand. Sie tauschte einen Blick mit Scorpius, und Hermine konnte ihren Ausdruck nicht erahnen. Rose zögerte! Sie zögerte, und Hermines Herz klopfte vor Aufregung. Aber anscheinend kam Rose zu irgendeiner mentalen Entscheidung  - und dann setzte sie die Feder aufs Papier. Sie zeichnete ihren Namenszug, und alle Aufregung verließ Hermine, und zurück blieb nur ein Gewicht, schwer wie tausend Tonnen. „Wunderbar, das war es schon. Ich wünsche allen einen schönen Abend. Das Brautpaar sollte sich gut erholen, der Tag morgen wird anstrengend werden“, prophezeite Timothy, und Hermine wollte ihn am liebsten verfluchen. Lucius erhob sich als erster, sprach noch kurz mit Malfoy, bevor er sich verabschiedete. Von Scorpius, nicht von Rose. Auch Hugo erhob sich, schüttelte Scorpius‘ Hand und Rose drückte ihn noch mal grinsend an sich. Die jungen Leute besprachen sich, wollten die Sauna in den Kellern aufsuchen, und Hermine saß steinern auf ihrem harten Stuhl. Rose, Hugo und Scorpius verließen gemeinsam den Raum, nachdem Hugo sich bei ihr vergewissert hatte, ob alles in Ordnung war, und Hermine steif nickte. Timothy fasste die Dokumente sauber zusammen und steckte sie in einen dicken Umschlag, den er magisch versiegelte. Er und Malfoy verabschiedeten sich, und auch Malfoy verblieb auf seinem Stuhl. Sein Blick war auf die blanke Tischplatte gerichtet.

 

Und irgendwie wollte sie nicht, dass er sie ansah. Rose hatte unterschrieben und jetzt fehlte wirklich nicht mehr viel. Ihr wurde plötzlich klar, sie kämen nicht mehr aus der Sache raus, und vielleicht dachte Malfoy ähnlich.

Es war so endgültig. Ohne ein Wunder wäre sie jetzt mit dieser Familie verbunden, durch ihre starrsinnige Tochter. Und dass Ron gegangen war, die Familie verlassen hatte, weil er es nicht mit sich hatte vereinbaren können, zu bleiben…- kam ihr heute im Licht des schrecklichen Tages vielleicht nachvollziehbarer vor.

Aber sie waren nicht mehr vierzehn Jahre alt. Man konnte sich nicht mehr ohne Folgen aus der Verantwortung ziehen.

Und vielleicht hätten sie mehr tun müssen, hätten Rose den Kontakt mit zehn Jahren verbieten sollen. Vielleicht….

 

Ron war fort. Eingetauscht gegen Scorpius Malfoy und seine Familie.

 

Malfoys Blick hob sich, als sie es nicht schaffte, das leise Schluchzen zu unterdrücken, aber hastig fuhr sie sich über die Augen, erhob sich so schnell, dass der Stuhl knarzte, und verließ praktisch fluchtartig den Raum. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er reglos sitzen blieb.

Merlin, sie war erwachsen! Es sollte sie nicht so fertigmachen, aber… egal, wie alt sie war, wie viel sie erlebt hatte, sie wäre niemals so phlegmatisch, dass sie ihre Gefühle verdrängen könnte. Ihr Mann hatte sie verlassen, und für Hermine war das hier ein grauenvoll trauriger Anlass, und nichts sonst.

Sie würde mit Mühe und viel Alkohol ein Lächeln auf ihre Züge zaubern müssen.

Oder vielleicht kein Lächeln. Zumindest keine Tränen. Das war das Ziel der nächsten Tage.

 

Sie musste ohne Tränen überleben.

 

 

3. the box

 

 

Es gab nur eine Sache, die sie Scorpius zugutehalten musste, und das war die Tatsache, dass er keine Kosten oder Mühen gescheut hatte, heute. Es war ein beeindruckendes Spektakel, der Saal allein. Die hundert Lampions, die verzauberten weißen Schmetterlinge an der Decke, die Gold schimmernde Deko, die Seidenbezüge über den eleganten Stühlen, die Bouquets an teuren exotischen Blumen, die den gesamten Saal mit einem exquisiten Duft zu erfüllen schienen, der Hermine an Urlaub, an saftige Früchte, an unberührte Schönheit erinnerte.

Das Personal war handverlesen ausgesucht worden, und sie schienen den Gästen die Wünsche von den Augen ablesen zu wollen.

Hermine hatte nur sehr kurz einen Blick über das geplante Festessen geworfen, was im Anschluss folgen würde, und es war ein Zehn-Gänge-Menü, von dem sie gar nicht wissen wollte, wie viele Galleonen es kostete. Der Vorteil dieser extravaganten Familie war, dass Hermine nicht einen Knut hatte zahlen müssen. Es ging auf die Malfoys, als wäre es ein simples Essen, ein Kegelabend, oder was auch immer. Es kostete Hermine also nichts, diesem Fehler beizuwohnen. Außer ihre Nerven, und vielleicht ein, zwei Lebensjahre. 

Es herrschte eine klare Trennung der Gäste, auf rechter und linker Seite. Rechts saßen sie, die Generationen an Malfoys, mit ihren erschreckend vielen Verwandtheitsgraden nach rechts und links, quer durch den Reinblüterstammbaum. Und links die Weasleys, inklusiver ihrer und Harrys Familie. Abgesehen von Ron und Albus und James.

Die Nacht war kurz gewesen. Hermine hatte schlecht geschlafen in den zu weichen Betten, und hatte sich auch noch zu lange mit Harry und Ginny unterhalten.

Sie würde die Müdigkeit mit Alkohol wettmachen müssen.

So der Plan.

 

„Sie ist wunderschön“, wisperte Molly hinter ihr in ihr Ohr, die Stimme tränenschwer. Hermine nickte unbewegt und konzentrierte sich auf ihre Tochter. Sie hörte dem Ministeriumsbeamten nicht mal zu, der beide ewige Liebe und Treue schwören ließ, und wusste Merlin, was noch! Auch Roses Kleid war ein teures Geschenk der Malfoys gewesen – reine Seide, komplizierte Saumstickereien –,  obwohl Hermine annahm, dass es zum Standard gehörte, und nichts, was sie ausgesucht hätte, wäre auch nur im Ansatz gut genug gewesen. Ihr war es nur recht. Sie wollte nicht für ein Hochzeitskleid für die Hochzeit mit dem Teufel bezahlen. Aber sie übertrieb. Scorpius Malfoy war nicht der Teufel. Er war einfach nur ein reicher, verzogener Reinblüter, der – wie auch immer das geschehen konnte – das Augenmerk ihrer Tochter auf sich gezogen hatte. Aber Hermine sah es. Mit grimmiger Miene glitt ihr Blick über den millionenschweren Erben eines Vermögens, was ihr nachts Atemnot bereitete. Ihm stand der schwarze Anzug gut. Selbst das widerlich anzügliche Lächeln, mit dem er Rose betrachtete, stand ihm wohl gut. Immerhin schien er den Blick nicht von ihrer Tochter wenden zu können, aber es entschuldigte nicht die Tatsache, dass er ein Mistkerl war. Vielleicht machte ihn das viele Gold dazu, vielleicht konnte er nicht anders. Hermine unterstellte dem jungen Mann nicht viel Gutes, wirklich nicht. Scorpius hatte sich nicht darum gekümmert, dass sich Rose mit ihrem Vater versöhnt hatte. Hermine glaubte sogar, Scorpius war es nur recht, dass Ron nicht aufgetaucht war.

Beide Männer hatten sich schon ausgiebig angebrüllt, und wahrscheinlich würde es nicht in dieses postkartengleiche Bild passen, würde Ron um das Brautpaar wüten, wie ein zornesblinder Troll. Obwohl es Hermines Anspannung lockern würde. Garantiert.

 

„Mr. und Mrs Malfoy“, schloss der Beamte feierlich, und wieder kontrollierte Hermine den Würgereiz mehr schlecht als recht, „das magische Bündnis Ihrer Eheschließung ist besiegelt. Küssen Sie Ihre Braut, Mr. Malfoy“, forderte der Beamte Scorpius schließlich auf, und Hermines Oberlippe hatte sich angewidert gekräuselt. Jetzt trug ihre dumme Tochter seinen Namen.

Sie senkte den Blick, wollte es nicht mit ansehen und sparte sich den Applaus, der verhalten erklang, als die Zeremonie beendet war.

 

Hermine fühlte sich machtlos. So unfassbar hilflos, gegenüber dieser Allianz, und sie konnte nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr es sie verletzte. Aber jetzt war es zu spät. Offiziell zu spät, irgendetwas zu ändern.

Ihre Tochter war verheiratet.

 

~*~

 

S

ie war sechsundvierzig Jahre alt, und heute fühlte sie sich zum ersten Mal wie sechsundvierzig. Sie sah auch zum ersten Mal so aus, als hätte sie eine Tochter von fünfundzwanzig Jahren. Sie war früh schwanger geworden, obwohl sie hatte warten wollen. Aber nach Ende des Krieges war es fast eine Erlösung gewesen, neues Leben in sich zu spüren. Sie hatte Ron geliebt, und letztendlich war sie froh gewesen, ihr süßes kleines Mädchen in den Armen zu halten.

Sie erinnerte sich heute wieder an die Gespräche mit Harry und Ginny, und dass Hermine Ginnys frühen Kinderwunsch massiv kritisiert hatte. Letztendlich war es unerheblich gewesen. Ob man das Kind mit zweiundzwanzig oder mit zweiunddreißig bekam – sie liebte ihre Kinder so oder so. Egal, was sie für Entscheidungen trafen. Das zumindest versuchte sie, sich einzureden.

Der Spiegel auf den Toiletten war schmeichelhaft, aber nicht schmeichelhaft genug, um die Falten um ihre Augen zu verdecken. Nicht schmeichelhaft genug, um zu verbergen, dass ihre Kleidergröße über die Jahre höher geklettert war.

Hermine machte sich nicht viel aus Äußerlichkeiten, da sie unterm Strich nicht viel zählten, aber sie hatte sich Mühe gegeben, sich nicht gehen zu lassen, repräsentable auszusehen, denn sie würde sich gegen sehr viele Männer durchsetzen müssen, würde sie sich für die Kandidatur zur Ministerin aufstellen lassen.

Wenn dieser Tag denn irgendwann käme. Zurzeit belegte sie die Position der Untersekretärin des Ministers, und Ron sagte stets, sie leiste ohnehin schon alle Ministeraufgaben, denn Minister Abegnale war hoffnungslos überfordert und vielleicht auch schon zu alt für diesen Posten.

Seine Amtszeit lief in vier Monaten Jahr aus, und dann würde Hermine genug Selbstbewusstsein haben müssen, um sich aufstellen zu lassen.

Und sie bräuchte genug Glück, um zu gewinnen.

Jetzt gerade half es nicht, dass ihr Leben in die Brüche ging. Aber ihr Privatleben hatte nichts mit ihrem Beruf zu tun. Sie musste es trennen, wenn sie nicht zusammenbrechen wollte. Es ging nicht anders.

Es war auch nicht die erste Krise mit ihrem Ehemann. Es waren keine einfachen achtundzwanzig Ehejahre gewesen. Aber Hermine wollte es auch nicht einfach.

Obwohl sie sagen musste, das heute, das war das Äußerste.

Sie war schon viel zu lange hier drin. Sie stand bestimmt seit zehn Minuten vor dem getönten Spiegel und betrachtete gedankenverloren ihr Gesicht, was plötzlich alt geworden war.

 

Die Tür öffnete sich, und sie wusste wieder, warum sie sich so alt vorkam. Sie nahm an, sie war die einzige Frau – abgesehen von den Frauen der Weasley-Familie – die nicht Ganzkörper-Auffrischungsmagie betrieben hatte. Pansy Zabini sah nicht aus wie sechsundvierzig, dabei wusste Hermine, dass sie dasselbe Alter hatten. Kurz glitt Pansys Blick über sie, und sie rang sich ein Nicken ab. Pansys Gesichtshaut war straff, ein wenig zu straff, und ihr Busen wirkte künstlich steif. Aber alles in allem sah sie ziemlich fantastisch aus. Keinen Tag älter als achtunddreißig – bei günstigem Licht.

Es war sehr eigenartig. Hermine kam es vor, als wäre es eine Veranstaltung in Hogwarts, nur waren sie alle schrecklich alt geworden. In einem Badezimmer vor dem Spiegel zu stehen und zuzuhören, wie Pansy auf Toilette ging, erinnerte sie erschreckend an ihre Schulzeit. Nicht, dass sie sich an eine Begebenheit erinnern könnte, an der sie mit Pansy auf die Toilette gegangen wäre, aber… es ging ums Prinzip. Es fühlte sich seltsam an.

Dann spülte Pansy, verließ die Kabine und trat mit kritischen Augen vor den Spiegel, wusch sich die Hände, trocknete sie gründlich, bevor sie ihr Makeup kontrollierte. Es kostete bestimmt eine Menge Aufwand, so auszusehen.

 

„Meinen Glückwunsch“, sagte Pansy schließlich, ohne sie anzusehen, und Hermine runzelte die Stirn. Dann fiel ihr schmerzlich deutlich wieder ein, dass sie nicht in Hogwarts waren, dass die Welt nicht gut war, dass es ein grauenhafter Tag für sie war, und dass sie garantiert keine Glückwünsche hören wollte. Aus diesem Grund war sie überhaupt erst auf die Toilette geflüchtet. Der Tag wollte und wollte kein Ende nehmen. Sie hatte kaum Hunger gehabt, hatte einen Champagner nach dem nächsten getrunken, und Ginny hatte sie zwei Stunden lang überzeugen müssen, zu bleiben, auszunutzen, dass Rose reich geheiratet hatte, und einfach die Sorgen zu vergessen, weil sie es sowieso nicht ändern konnte.

Es war ein unangenehmes Klassentreffen – mit überwiegend Slytherins. Das war es, was es war.

 

„Danke“, erwiderte sie tonlos und unaufrichtig.

 

„Du siehst gut aus“, sagte Pansy tatsächlich, mit einem sehr kurzen Blick. „Ein wenig blass, aber sonst sehr gut.“ Hermine bezweifelte dieses Kompliment aufrichtig.

 

„Danke“, wiederholte sie lediglich resignierend. „Du auch“, gab sie das hohle Kompliment zurück, aber Pansy lächelte daraufhin.

 

„Dafür zahle ich auch monatlich viele Galleonen. Oder… Blaise tut es“, ergänzte sie zwinkernd. Sie wollte sich tatsächlich unterhalten? Hermine kam es wirklich komisch vor. Keiner sonst wollte sich mit ihr unterhalten. Und sie konnte darauf auch verzichten. „Welcher ist der Weasley mit der Narbe am Hals?“, fragte sie mit mildem Interesse und stiller Wachsamkeit im Blick.

 

„Ah… Charlie?“, vermutete Hermine, denn Bill trug die Narbe im Gesicht. Charlie hatte eine alte Drachenverletzung, die sich nicht hatte heilen lassen.

 

„Mh“, machte Pansy anerkennend. „Hübscher Mann“, ergänzte sie, und ihre Mundwinkel zuckten.

 

„Ja“, bestätigte Hermine lediglich. Sie wusste es nicht wirklich, achtete darauf nicht unbedingt. Pansys strenge Inspektion kam zu einem Ende, nachdem sie wohl befunden hatte, dass sie gut genug aussah.

 

„Mutig von deiner Tochter, in diese Familie einzuheiraten“, sagte Pansy mit einem forschen Blick, und Hermine seufzte auf.

 

„Mutig ist das falsche Wort“, murmelte sie bitter, und diesmal lächelte Pansy ein aufrichtiges Lächeln.

 

„Liebe muss nicht immer die klügste Entscheidung sein“, bemerkte Pansy, zog dann ihr enges Kleid zurecht, so dass ihre Brüste mehr betont wurden, und Hermines Blick war fast ein wenig neidisch. Aber wofür sollte man sich fliehende Jugend kaufen, die nicht echt war? Sie hatte es nicht nötig. Und Pansys Worte machten Sinn, waren sogar freundlich, aber Hermine konnte so objektiv nicht denken. Und sie wusste es vor allem auch besser.

Aber Schweigen war Gold, wie man so schön sagte.

 

„Ja“, sagte sie deshalb nur, und Pansy verabschiedete sich mit einem Nicken. Was für eine Ironie. Alle Reinblüter heirateten stets durch kluge Verhandlungen, rationale Entscheidungen, die nur das Gold betrafen. Und sie glaubte, auch Pansy hatte aus strategischen Gründen Blaise Zabini geheiratet, wohl kaum aus Liebe. Zumindest nicht überwiegend. Seufzend wandte sie ihrem Spiegelbild wieder ihre Aufmerksamkeit zu, und wieder stellte sie fest, dass sie wirklich alt aussah. Müde, regelrecht. Es mochte daran liegen, dass sie die letzten drei Wochen ungefähr zehn Stunden geschlafen hatte. Das war übertrieben – aber so sah sie aus.

 

Dann wiederum hatte sie seit zehn Jahren nur drei Stunden geschlafen.

Zumindest so kam es ihr vor, wenn sie über ihre Tochter nachdachte und über Scorpius Malfoy, der das erste Mal vor zehn Jahren in ihr Leben getreten war.

Es war eine furchtbare Geschichte.

 

Aber wohl nicht furchtbar genug, dass sie für immer im Badezimmer bleiben konnte. Leider.

 

~*~

 

In ihrem Kopf führte sie bereits eine Liste mit Dingen, die mental absolut unerträglich waren. Auf Platz eins rangierte zurzeit der Tanz, den Draco Malfoy mit ihrer Tochter getanzt hatte, weil Roses Vater bedauerlicherweise nicht da war, weil er ein Arschloch sein musste. Platz zwei belegten die Malfoys mit ihren elenden Geschenken für das Brautpaar und die Angehörigen. Ginny hatte als Patentante und Hermines Vertraute versagt, denn immer wieder brach sie in Begeisterungswellen über den Spa-Gutschein, die Badesalze, die goldene Kobolbkristalluhr, und die tausend Dinge mehr aus, die sich in ihrem Geschenkkorb befanden. Harry trug bereits die Platinmanschettenknöpfe, die die Malfoys ihm geschenkt hatten, und auch er hatte eine unfassbar teure Uhr bekommen, neben Parfüm und einem Gutschein für irgendein magisches Sportgeschäft. Hermines Geschenkkorb stand unangetastet neben Rons Geschenkkorb unter dem Tisch, und den Teufel würde sie tun, jetzt irgendwelche Bestechungsgeschenke auszupacken.

Rose hatte bereits so viele Tränen des Glücks vergossen, dass Hermine regelrecht übel vor Ekel war, und auf Roses Kopf blitzte und funkelte ein Diadem, was scheinbar aus irgendeinem Familien-Verlies extra für diesen Anlass entmottet und poliert worden war. Hermine fragte sich bitter, ob Rose dieses ‚Geschenk‘ behalten durfte, oder ob es lediglich eine Leihgabe war.

Scorpius und sein Vater hatten steife Umarmungen getauscht, nachdem Draco ihm irgendeinen Rennbesen vermacht hatte, den natürlich auch die liebe Schwiegertochter fliegen durfte. Herrlich. Hermine hatte stur die Arme vor der Brust verschränkt und hasste einfach alles und jeden. Es war einfacher so.

Es half auch nicht – und das belegte Platz drei der Liste –, dass die Getränke einfach zu gut und zu süffig waren. Sie wusste nicht, wie viel Gläser Champagner sie getrunken, wie viele Weißweinschorlen sie tatsächlich schon bestellt und genossen hatte, und das war erst die späte Nachmittagskarte.

 

Für gleich gab es bereits Ankündigungen der speziellen Cocktails, die extra für den Anlass entworfen wurden, und jede Sekunde bereitgestellt werden sollten. Harry hatte Interesse am ‚Malfoy‘ bekundet, ein Brand-Cocktail, mit Whiskeynoten, wohingegen Ginny vor wenigen Sekunden die ‚Rose‘ bestellt hatte. Eine Mischung aus fruchtigen Säften, gemischt mit Vodka und Likör.

 

Nichts davon konnte Hermine begeistern, nichts konnte sie beeindrucken, auch nicht Platz vier der Liste – die versatile Band, die seit Stunden unermüdliche Songs spielte, die weder aufdringlich noch einschläfernd waren. Bills Bein bewegte sich seit einer Stunde im Takt der Musik, und sie schwor sich, sie würde auf der Stelle gehen, würde er Fleur zum Tanz auffordern.

 

Noch bestand die Dynamik, dass sich die Familien getrennt unterhielten. Kein Malfoy kam freiwillig zu ihrer Seite des Saals, zu ihren vier Familientischen, und Hermine hoffte, sie markierte die symbolische Grenze mit ihren tödlichen Blicken ausreichend. Molly und Arthur hatten von Lucius persönlich eine Urlaubsreise geschenkt bekommen. Eine Urlaubsreise! Konnte man sich das vorstellen? (Platz fünf der verdammten Liste!) Sie würden in einem Luxushotel in Frankreich zwei Wochen von vorne bis hinten bedient werden – und weswegen? Weil sie Roses Großeltern waren. Ehrlich gesagt erwartete Hermine nach dieser Logik ein ganzes Herrenhaus in ihrem Geschenkekorb, ansonsten wäre sie ernsthaft enttäuscht.

 

Ginny schob sich mit sichtlicher Freude immer wieder eine der individuell kreierten Pralinen in den Mund, die auf jedem Tisch als Aufmerksamkeit standen – alle in Form eines ‚R‘ oder eines ‚S‘. Es war lächerlich, es war pompös, es war so übertrieben, dass Hermine es kaum ernstnehmen konnte.

Die Übergabe der Geschenke füllte lediglich die Pause bis zum Abendessen, und Hermine nahm an, dass sich ihre Tochter für diesen Anlass noch ein weiteres Mal umzuziehen hatte. Sie trug schon nicht mehr ihr Hochzeitskleid, sondern eine elegante kurze Version davon.

Alles natürlich Ton in Ton mit dem gesamten Thema dieser Hochzeit. Gold und Weiß. Und sie wirkte so glücklich, dass Hermine sich fragen musste, ob sie übertrieb, mit ihrer schlechten Laune, aber das tat sie nicht. Für Hermine war es kein glücklicher Tag, absolut nicht. Rose war eine Zier, mit der sich Scorpius schmücken konnte, nichts weiter. Sie hatte unterschrieben, dass sie höchstwahrscheinlich keinen müden Knut bekäme, sollte sie der hoheitlichen Familienehre zuwiderhandeln – was für einen Effekt hatte also diese Hochzeit? Absolut gar keinen.

 

~*~

 

Sie hatte es nicht ertragen, hatte irgendetwas tun müssen, um sich abzulenken. Die Bar war eine gute Idee. Sie lag ein wenig verborgen im Saal, und sie konnte nicht viel länger auf ihrem Stuhl sitzen, und zusehen, wie Rose und Scorpius eng umschlungen tanzten, wie alle ausgelassen feierten, wie es tatsächlich möglich war, dass zwei Familien, die sich nicht leiden konnten, hier in diesem Hotel so taten, als wäre alles in bester Ordnung. Sie begriff es einfach nicht.

 

Sie trank den dritten ‚Rose‘ Cocktail, und leider schmeckte er vorzüglich.

 

„Mr. Malfoy, Sir“, begrüßte der Barkeeper den Vater des Bräutigams, und Hermine hatte seit gestern nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie trank eigentlich nur noch, um sich davon abzuhalten, zu apparieren. Draco bestellte verhalten ein Getränk und wartete neben ihr. Hermine bemühte sich nicht einmal, den Blick zu heben. Es interessierte sie nicht mehr.

Dieser Abend würde vergehen, ob sie sich nun mit den Leuten anlegte, oder eben nicht. Ihre Tochter hatte auch nicht mehr mit ihr gesprochen, und Hermine wollte sich einfach nicht irgendwann nachsagen lassen, dass sie die Hochzeit ihrer einzigen Tochter verdorben hatte. Nun, zumindest die erste Hochzeit. Wer wusste schon, wie viele noch folgen würden und wie lange ihre Tochter ‚Mrs Malfoy‘ sein würde. Würgereiz! Furchtbar.

Sie trug ihren Blazer schon lange nicht mehr, und es war warm genug, dass sie in ihrem schlichten, eleganten schwarzen Kleid, nicht fror. Der Frühling war gekommen, und die Sommersprossen bevölkerten langsam wieder ihre Arme. Und ja, sie trug schwarz. Ihr entging die Ironie nicht.

Es kümmerte sie auch nicht, dass Draco Malfoy neben ihr stehen blieb, nachdem er sein Getränk entgegen genommen hatte.

 

Sie wusste, sie hatten dieselben Dinge durchlebt. Vielleicht nicht unbedingt dieselben, nahm sie an. Scorpius hatte selber entschieden, welche Fehler er beging, und wahrscheinlich hatte er nicht heulend vor der Tür seines Vaters gestanden, aber er hatte dafür wie ein Verrückter in ihrem Garten gezeltet. Drei Wochen lang. Es waren solche Geschichten, die sie verbanden, nahm sie bitter an. Ihre wahnsinnigen Kinder. Das Alter war gnädig mit ihm gewesen, hatte Hermine festgestellt. Er hatte nicht zugenommen, der kurze Bart in seinem Gesicht lenkte von den Sorgenfalten um seine Mundwinkel ab, und ansonsten wirkte Draco Malfoy zeitlos. Wohl um die Vierzig, aber schwer zu schätzen. Hermine konnte solche Menschen nicht leiden.

Sie wusste, er hatte nicht wieder geheiratet, nachdem seine Frau gestorben war. Es war traurig, ja, aber Hermine hatte kein Verständnis für die Leiden der Malfoys. Musste sie auch nicht. Ganz und gar nicht. Wenn überhaupt, dann verdiente diese Familie Schmerzen und Leid, wenn es nach ihr ging. Ganz entschieden verdienten sie es!

 

Und es musste schwierig sein, nahm sie bitter an. Natürlich würde sie Rose nichts verbieten, aber für sie hatte es keine weitreichenden Konsequenzen, Merlin, es kostete sie nicht einmal etwas hier zu sein – materiell gesehen. Hermine glaubte aber, dass keine Entscheidung, die Scorpius Malfoy betraf, eine vernünftige war oder eine gut überlegte.

 

Aber anscheinend liebte Draco Malfoy seinen Sohn, und auch er schien seine Zugeständnisse zu machen. Er hatte die Beziehung erlaubt, er zahlte hierfür mit seinem Gold, er arrangierte sich mit dieser Situation, wie sie es tat.

Wie tief ging sein Hass, fragte sie sich mit angespannten Mundwinkeln. Sein Blick war ebenfalls in sein Glas gefallen, und es machte für einen Moment den Anschein, als wären sie Leidensgenossen. Als könnten sie beide nicht aus ihrer Haut, auch wenn sie dringend wollten.

 

Ehrlich gesagt, brannte sie darauf, einen von ihnen zu verfluchen. Es juckte sie regelrecht in den Fingern, und sei es nur aus Rache, um all die Schmerzen und schlaflosen Nächte der vergangen Jahre zurückzuzahlen.

Sie leerte ihren Cocktail in einem bitteren Zug, denn länger als nötig wollte sie nicht in seiner Nähe stehen. Aus Prinzip nicht. Selbst, wenn er den Mund hielt. Denn das schuldete sie Rose nicht. Sie hatte ihre Entscheidung, Scorpius zu heiraten, zu akzeptieren, aber sie musste sich nicht bedanken, eingeladen worden zu sein. Sie musste keine verdammten Geschenke entgegennehmen und sie musste sich nicht entschuldigen, kein fröhlicher Partygast zu sein.

Wankend stieß sie sich von der Theke ab, und sein Blick hob sich, wanderte ihren Körper empor, über ihre bloßen Arme, und sein Blick festigte sich nach einer ruhelosen Weile auf ihrem Gesicht.

 

Für einen kurzen Moment kamen ihr schreckliche Gedanken in den Sinn. War das jetzt ihr Leben? Endlose Familienfeiern, auf denen die Malfoys rumliefen? Sie schluckte schwer, denn sie glaubte fast nicht, dass sie es für immer aushalten würde, diese Familie zu ertragen. Seine Oberlippe kräuselte sich schließlich voller Anstrengung, als wäre es so ermüdend für ihn, wie für sie.

Sie ertrug sein Gesicht nicht mehr, wandte sich ab und verließ die Theke.

 

~*~

 

Irgendwann waren Harry und Ginny verschwunden, und Hermine konnte kaum noch geradeaus schauen. Sie betrachtete ihre Kinder, denn Hugo hatte seine Schwester jetzt zu einem Tanz aufgefordert, und fast wollte Hermine lächeln.

Noch diesen Tanz würde sie sich ansehen, und dann würde sie in ihr Zimmer verschwinden, welches die Malfoys großzügigerweise bezahlt hatten.

Ihr ging auf, sie hatte nicht getanzt heute, obwohl Harry sie mehrfach gefragt hatte. Sie hatte nicht gekonnt. Hatte nicht gewollt, und sie war froh, dass Scorpius sie nicht um einen Schwiegermuttertanz gebeten hatte.

Sie wusste, sie saß am Tisch wie eine Schreckschraube, mit verschränkten Armen, einem säuerlichen Ausdruck, und wahrscheinlich schämte sich ihre Tochter für sie. Hermine Locken hingen wild aus ihrer Frisur, und es war ihr scheiß egal.

 

Sie hatte bestimmt fünf Cocktails getrunken, sieben Gläser Champagner, vier Weißweinschorlen, und sie war betrunken, wie noch nie in ihrem Leben. Es fühlte sich gut an. Verdammt gut.

Bill und Fleur rauschten über die Tanzfläche, und die Band spielte unermüdlich. Auch Lucius und Narzissa wagten einen gemeinsamen Tanz, und beide wirkten sehr abgehoben dabei. Sie würde schätzen, die Hälfte der Gäste war bereits in ihre Zimmer verschwunden.

 

Dann endete das Lied, recht plötzlich, fand Hermine, aber sie hatte auch überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Sie erhob sich wankend, und keine Sekunde später spürte sie einen stützenden Arm und blickte in Hugos nachsichtiges Gesicht.

 

„Alles ok hier, Mum?“, fragte er sie bestimmt, ganz der Heiler, und sie nickte unwirsch.

 

„Sicher. Ich gehe jetzt ins Bett“, nuschelte sie, und Hugo führte sie mit starkem Arm hinaus aus dem Saal.

 

„Möchtest du dich noch verabschieden?“, fragte er im Gehen, bereit, einen Schlenker zu machen, aber Hermine verzog den Mund.


„Nein. Ich will ihren Abend nicht verderben“, lallte Hermine, und schämte sich für ihren Zustand.

 

„Ok“, erwiderte Hugo verständnisvoll, und Hermine hatte keine Ahnung, wie sie die Treppen hochgekommen waren, geschweige denn, wie sie oben ankamen. Irgendwann schloss Hugo jedenfalls ihre Zimmertür mit dem Wappen-Schlüssel auf, und es beunruhigte sie, dass sie jetzt schon Blackouts hatte. „Mum, wir sehen uns zum Frühstück, ja?“, sagte er sanft, und Hermine machte sich von ihm los. „Schlaf gut“, schloss er lächelnd. „Und ärger dich nicht zu sehr“, ergänzte er stiller.

Hugo brauchte nicht viele Worte, um das Wichtigste zu kommunizieren. Er legte ihren Schlüssel auf die Kommode, bevor er ging und die Tür hinter sich schloss. Nein, Hermine hatte keinen Spaß gehabt heute. Sie würde morgen einen unfassbaren Kater haben, nahm sie an.

Sie sah sich im Zimmer um, was sie vorher noch nicht inspiziert hatte. Ihre Tasche stand neben dem Bett, und direkt auf den Laken hatte wohl das Personal ihre Geschenkkörbe platziert. Sie wagte sich näher ran, Verachtung auf den Lippen, während sie sich die halbhohen Schuhe von den Füßen trat. Barfuß schlich sie über den weichen Teppich, der sich sehr angenehm unter den Füßen anfühlte, bis sie das Bett erreicht hatte, und dann schlug sie das Seidenpapier zur Seite.

 

Ihre Augenbraue hob sich überrascht, als sie in dem etwas fragileren, feminineren Korb direkt eine Flasche Rosenchampagner erkannte, in leuchtend goldener Farbe. Aber sie besaß noch genügend Verstand, die Flasche heute Nacht nicht mehr zu öffnen. Sie wühlte sich durch die übrigen Geschenke, und fand neben Schals, einem fein zusammengefalteten Designerkleid, Duftölen, und eine Samtschachtel mit Diamantohrringen – Merlin, noch mal – eine schmale Karte. Es war eine Einladung. Sehr förmlich, sehr steif. Sie verzog den Mund. Soweit sie es in ihrem betrunken Kopf erkannte, handelte es sich doch tatsächlich um eine Geburtstagseinladung zu Draco Malfoys siebenundvierzigstem Geburtstag, in weniger als vier Wochen. Erstaunt erfasste sie auch ein Ticket im Umschlag sowie eine Wegbeschreibung zu irgendeinem magischen Resort. Zu dumm, dass sie genau an diesem Tag eine schlimme Erkältung bekommen würde, dachte sie bitter.

 

Ganz am Boden des Korbes befand sich eine Holzschachtel. Hermine hob sie aus dem Korb. War es Holz? Es war sehr kühles Material, sehr dunkel, und schwerer, als sie angenommen hatte. Sie hatte eine vage Erinnerung im Hinterkopf, konnte sie aber nicht benennen. Ihre Finger suchten nach einer Nische, einer Ritze – nach irgendeiner Öffnungsvorrichtung, aber sie konnte nichts entdecken. Sie schüttelte die kleine Kiste, aber sie hörte kein Geräusch.

Was war es für eine Kiste? Sie hob sie näher vor ihr Gesicht, hielt sie höher ins Licht, und mit bloßem Auge fast kaum zu erkennen, sah sie rotfunkelnde Linien, die sich schimmernd über das Material zogen.

Magie, ging ihr auf. Das war ein magisches Artefakt!

 

Wie verbrannt ließ die Kiste fallen. War es schwarzmagisch? Was es ein gemeiner Trick der Malfoys, und wenn sie die Box öffnete, verlor sie vielleicht ihre Finger? Ihr Atem ging schnell. Sie starrte auf die schlichte Kiste, die unbewegt auf dem Bett liegen geblieben war.

 

Unsinn. Die Malfoys luden sie nicht in ihr Schloss ein, um sie mit einer Kiste umzubringen. Es machte keinen Sinn. Nicht mal in ihrem betrunkenen Kopf. Sie zog den Zauberstab. „Revalo!“, murmelte sie und tippte auf die Box. Tatsächlich geschah etwas! Hermine blinzelte verblüfft, als sich die rot schimmernden Linien deutlicher abzeichneten. Und zwar in Form… einer Hand? Ihre Stirn runzelte sich, bevor sie schließlich den Zauberstab beiseitelegte, um ihre rechte Hand auf die glühende Fläche zu legen.

 

Und… nichts passierte. Keine Funken, keine Schmerzen – gar nichts. Ein wenig verstört starrte sie die flache Kiste an. Was sollte das für ein eigenartiges Geschenk sein? War es Deko? Es passte nicht zum Rest der oberflächlichen Geschenke. Sie legte es zurück in den Korb, um sich dann Rons Korb zuzuwenden. Hier war alles etwas männlicher. Auch er hatte Manschettenknöpfe bekommen, seine waren noch exquisiter als Harrys, denn hier befanden sich Diamanten in der Fassung. Er hatte noch eine Seidenkrawatte bekommen, eine Flasche Glen Odgen’s Feuerbrand, eine Schachtel Krautzigarren und ebenfalls ein Parfüm. Allerdings erkannte sie keine Einladung in seinem Korb. Anscheinend war er nicht zu Dracos Geburtstag eingeladen.

 

Frustriert setzte sie sich auf die Bettkante.

 

 

Und hier begann ihr Erinnerungsvermögen ein wenig… nebulös zu werden.

 

Die Flasche Rosenchampagner war offen, wurde langsam warm in ihrer Hand, und warm schmeckte der Champagner immer noch gut, aber eben nicht wirklich.

Der Steinboden auf dem Flur war kalt unter ihren nackten Füßen, und schließlich klopfte sie an Hugos Tür.

 

Ja, irgendwie war sie aus ihrem Zimmer verschwunden.

 

Und war auf den Fluren unterwegs. Hugo sollte mit ihr das Geheimnis der Box lösen.

 

Hugo war clever, wie sie. Zu zweit sollten sie es schaffen.

 

Und sie stellte gleichzeitig fest, dass sie Ihren Schlüssel nicht mitgenommen hatte.

Zwar war ihre Tür nicht verschlossen, aber sie glaubte nicht, den Raum wiedererkennen zu können.

 

Nach einer Weile öffnete sich die dunkle Tür, erlaubte ihr den Blick nach innen, und sie gefror, bevor sie ein eigenartiges Gefühl überkam.

 

Ein sehr eigenartiges, sehr gutes Gefühl.

 

 

 

4. the big sleep

 

Laut atmete er aus. Sein Kopf schmerzte. Sein Körper schmerzte. Ihm war schlecht und gleichzeitig war sein Magen schmerzhaft leer. Wieso hatte er so viel getrunken? Merlin, wieso hatte ihn niemand abgehalten?

Neben ihm bewegte sich etwas. Fast hielt er vor Schreck den Atem an. Langsam wandte sich sein Kopf. Sein Kiefer gab fassungslos nach, als er ihre Gestalt erkannte.

 

Oh scheiße.

 

Er überlegte ernsthaft, aufzuspringen. Aber diese Intuition scheiterte schon daran, dass er physisch nicht dazu in der Lage war. Und dann hätte er sie geweckt, und die Chancen waren groß, dass sie schreien würde.

 

Es war eine ganze Weile her, dass er neben einer Frau aufgewacht war. Neben einer nackten Frau. Und er…- langsam hob er die Hand, griff sich die Decke und hob sie ein Stück weit an- ja. Er war ebenfalls nackt. Perfekt. Es war auch eine Weile her, dass er derartig viel getrunken hatte. Abartig viel. Für eine gewisse Zeit hatte es sogar geholfen. Der Abend war nicht der schlimmste Abend aller Zeiten gewesen. Bei weitem nicht der Beste, nicht mal unter den Top Ten, aber nicht der schlimmste. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie an seine Tür geklopft hatte.

 

War es… vielleicht ein Traum, fragte er sich unwillkürlich, rieb sich hart die Augen, aber er glaubte, in Träumen litt man nicht an dem Kater seines Lebens. Träume waren weitaus angenehmer. Würde er sich übergeben müssen? Er hatte die Hälfte seines Lebens hinter sich – die bessere Hälfte – und war ernsthaft in der Situation, dass er tatsächlich abwägen musste, sich vom Alkohol zu übergeben. Er hatte sich sein weiteres Leben anders vorgestellt. Sehr anders.

 

Dumpf spulte sein müdes Gehirn den Abend vor. Sie war zu ihm gekommen, hatte an seine Tür geklopft, und er war sich ziemlich sicher gewesen, es war nicht wirklich ihre Absicht, an seine Tür zu klopfen. Denn kurz war sie ziemlich verwirrt gewesen, bevor sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, natürlich.

Und gestern schien ihm diese Ausrede plausibel genug gewesen zu sein, ihr heute alle Schuld zu geben, aber die Oberhand, die er sich ausgemalt hatte zu haben, verblasste etwas, im Lichte der Tatsache, dass er hätte nein sagen können. Oder sollen. Oder vielmehr müssen. Denn… war sie nicht verheiratet? Zwar war der Clown nicht hier (einer der Gründe, warum der Abend nicht der allerschlimmste Abend war), aber das war wirklich kein Grund, sich derartig gehen zu lassen. Nicht für sie und garantiert nicht für ihn!

 

Sie wirkte so friedfertig neben ihm. Vollkommen entspannt. Unter ihren Augenlidern bewegten sich ihre Augen. Sie träumte. Sommersprossen lagen auf ihrem Nasenrücken, und verrückte Locken lagen über ihrem Gesicht, nussig braun, keine Spur von Grau, und fast wirkte sie jung. Jünger als Mitte vierzig, so jung, dass er sich fast nostalgisch an die Schulzeit erinnert fühlte.

Nicht, dass so etwas auch nur ansatzweise in Hogwarts passiert wäre, aber in seinem erwachsenen Leben pflegte er keinen Kontakt zu ehemaligen Gryffindors. Fast keinen, dachte er dumpf.

Das war gelogen, ging ihm schließlich auf. Scorpius‘ Freundschaft zu Albus Potter reichte bis ins erste Jahr zurück, aber das hatte sich sein Sohn ja unbedingt versauen müssen. Wenn man so wollte, hatte sich Scorpius sein restliches Leben gehörig versaut. Und Draco war offen gesagt keine Hilfe, wenn er an der Hochzeit seines Sohnes mit dessen Schwiegermutter schlief.

So eine Scheiße, dachte er bitter. Er war ein Vollidiot. Ein dämliches Arschloch. Das war nicht klug gewesen, nicht richtig, und bei Merlin, es war so einfach gewesen, dachte er dumpf. Unterm Strich. Denn unterm Strich war es nicht die Überwindung, die er sich vorgestellt hätte. Es war nicht schwierig gewesen, kein Mitleidsfick, wenn man so wollte. Absolut nicht.

Er hatte kaum Zeit gehabt über ihre Beweggründe nachzudenken. Jetzt, im Nachhinein, kam es ihm seltsam vor. Wieso sollte sie zu ihm kommen, um mit ihm zu schlafen? Es machte keinen Sinn. Selbst betrunken. Selbst wenn das ihre persönliche Muggel-Hölle war, dann ergab es keinen Sinn. Wieder atmete er lange aus, kämpfte mental gegen den Kopfschmerz, der langsam aber sicher heftiger wurde.

Noch weniger Sinn ergab es, dass er darauf eingegangen war. Wahrscheinlich war er einsam gewesen. Wahrscheinlich war es ihm egal gewesen, wer sie war. Aber… war es jemals egal? In diesem speziellen Fall würde er sagen, dass es niemals ok war, niemals eine Rechtfertigung. Und er ging davon aus, Ron Weasley würde es ähnlich sehen.

 

Fast blieb sein Herz stehen, und die nächsten Sekunden zerstörten seine mentale Läuterung der letzten Minuten. Sein Zauberstab vibrierte schließlich erbarmungslos, und der Weckzauber ließ sie zusammen zucken. Und jetzt regte sie sich neben ihm.

 

Es war sieben Uhr, und so fühlte er sich auch. Der Plan war gewesen, aufzustehen, vor allen anderen zu frühstücken, um auf keinen Fall in irgendwelche Gespräche verwickelt zu werden, um dann still und leise abzureisen. Er hätte sich noch von Scorpius verabschiedet, und dann wäre er verschwunden. Er würde umplanen müssen, dachte er bitter.

 

Seine Hand schlug auf den Zauberstab, der kläglich auf dem Nachttisch erstarb. Er wandte wieder den Blick, konnte gar nicht anders, hatte den Gedanken an einen seltsamen Albtraum noch nicht ganz abgeschüttelt, aber sie lag weiterhin neben ihm. Die Farbe schwand aus ihrem Gesicht, schnell und unaufhaltsam. Sie wurde schrecklich blass, fast grün um die Nase. Fassungslosigkeit zeichnete ihre Züge, und er verzog den Mund, überlegte, was er überhaupt sagen könnte, was Sinn machte und nicht direkt wie eine Anschuldigung klingen würde. Denn er mochte zwar nicht unschuldig sein, aber ohne ihre Aktion, wären sie jetzt nicht hier.

 

Aber sie tat gar nichts, machte ein würgendes Geräusch, und ihr Blick weitete sich panisch. Ihre Hand legte sich hastig über ihren Mund, und mit mehr Kraft, als er es ihr zugetraut hätte, war sie praktisch aufgesprungen, hatte die Decke von sich geschoben und hastete nackt ins angrenzende Badezimmer. Sein Blick folgte ihrem nackten Körper ungeniert, und nein, sie sah nicht aus wie die magisch bearbeiteten Hexen von gestern. Ihre Rundungen waren echt, ihre Haut voller Sommersprossen und für ihr Alter waren ihre Brüste straff geblieben.

 

Sehr geräuschvoll übergab sich Hermine Weasley auf seiner Toilette, und es war sein Stichwort, bevor ihm noch schlechter wurde. Er griff sich den Zauberstab, vollführte einen Zellregenerierungszauber, und fühlte sich direkt besser. Der Zauber hielt nicht sonderlich lange vor, und die Müdigkeit würde ihn anschließend einholen, aber er sollte es schaffen, zu frühstücken und wieder nach Hause zu kommen, bevor das passierte.

 

Aber vorher würde warten, bis seine fragwürdige Eroberung der letzten Nacht sein Bad verließ. Er war kein Gentleman, falls sie das dachte – aber Merlin, warum sollte sie das denken?

Es gab Dinge zu klären. Zumindest musste sich sehr kurz abgesprochen werden. Er wollte wissen, was in sie gefahren war, was es zukünftig bedeutete, denn er hatte keine Lust, ihren Weg in nächster Zeit kreuzen zu müssen und nicht zu wissen, ob Ron Weasley ihn verfluchen würde.

Es verging eine kleine Weile, und als er glaubte, sie wäre vielleicht erstickt und verstorben, hörte er die Spülung, anschließend den Wasserhahn, der eine lange Weile lief, bevor die Tür sich langsam öffnete.

Abwartend beobachtete er sie. Sie hatte sich einen der Bademäntel übergezogen, die Narzissa dem Anlass entsprechend mit den Initialen ‚S‘ und ‚R‘ hatte versehen lassen, und es hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund.

Ohne Worte wankte sie zu seinem Nachttisch, griff sich seinen Zauberstab und vollführte die Regenerierung stumm, säuberte sogar ihren Mund. Nahezu sofort kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Der schmerzvolle Ausdruck verschwand von ihren Zügen und Wachsamkeit kehrte in ihre dunklen Augen zurück. Sie fixierte ihn fast vorsichtig, als wäre er im Begriff, sich jede Sekunde auf sie zu stürzen.

 

Irgendetwas analysierte ihr Verstand in immenser Geschwindigkeit, und ihr Blick wurde anklagend, innerhalb einer halben Sekunde, schneller, als er schalten konnte.

 

„Wieso hast du das gemacht?“ Ihre Stimme war still, rau, tonlos und unfassbarer Unglaube schwang in ihren Worten mit, und kurz öffnete sich sein Mund, ebenfalls ungläubig, und alle überlegenen Worte schwanden aus seinem Gedächtnis.

Aber nein! Sie würde es nicht verdrehen, ihn zum Schuldigen machen!

 

„Du bist hier her gekommen!“, entfuhr es ihm dunkel, und nein, das war nur eine Reflexreaktion. Das hatte er nicht sagen wollen.

 

„Ich war unfassbar betrunken, Malfoy!“, knurrte sie praktisch, sah ihn an wie einen Schwerverbrecher.

 

„Du denkst ernsthaft, ich wäre nüchtern gewesen? Denkst du, ich kann nicht erwarten, eine solche Situation auszunutzen, du dummes Miststück?“ Die Beleidigung kam ihm so einfach, so sicher über die Lippen, als hätte er nie etwas anderes getan, als diese Frau vor ihm zu beleidigen. Kurz überraschte es ihn, wie schnell und selbstbewusst er in einfache, alte Muster zurückfallen konnte, aber unwirsch schüttelte er bloß den Kopf, als er sich aufsetzte. „Nein“, sagte er wütend. „Ich bin nicht verheiratet! Du bist verheiratet – das war dein Fehler!“, kürzte er es ab. „Und es interessiert mich nicht“, fuhr er hastig fort, als er schon ihre nächsten Worte antizipieren konnte. „Du bist zu mir gekommen, du wolltest mich, ich habe dir lediglich einen Gefallen getan, und ich würde es begrüßen, wenn wir nie wieder – und ich meine nie wieder – darüber reden müssen. Mit keinem. Das muss keine Ehekrise werden, es muss kein Scheidungsgrund sein – meinetwegen können wir diese Erinnerung löschen“, schloss er finster. Er schlug die Decke zurück, und er sah die Hitze in ihr Gesicht steigen, sah, was lediglich die Aussicht auf einen nackten Männerkörper in ihr auslöste, und sehr angestrengt sah sie in sein Gesicht und sonst nirgendwohin. Fast provozierend stand er auf, überragte sie, und blickte herablassend auf sie hinab. Und sehr plötzlich klärte sich ihr Blick, ihre Atmung ging flacher, und er würde niemals begreifen, was als nächstes passierte.

 

Sie hatte den Abstand so schnell geschlossen, dass er es nicht mal wirklich registrierte, hatte mit beiden Händen sein Gesicht ergriffen, und niemals hätte er geglaubt, dass es noch einmal passieren würde! Sie küsste ihn, war auf die Zehenspitzen gestiegen, und ihr Mund fühlte sich warm auf seinem an.

 

Was, verflucht noch mal, passierte hier?! Diesmal reagierte er, umfasste ihre Schultern, zog sie zurück und starrte sie ungläubig an.

 

„Was-“, begann er tonlos, aber sie unterbrach ihn beinahe zornig.

 

„-halt den Mund!“, erwiderte sie kopfschüttelnd, und sein Mund schloss sich tatsächlich perplex, als sie plötzlich den Bademantel wieder öffnete. Seine Augen weiteten sich. War das… ihr verdammter Ernst? Und garantiert zeugte es von einem schwachen, kranken, absolut schrecklichen Charakter, dass er… absolut gar nichts tat. Er hatte ehrlich nicht damit gerechnet, dass sie… weitermachen wollte! Dass sie…- was?! Es war so absolut eigenartig! So grundfalsch, und es erregte ihn unheimlich.

Ihr nackter Körper presste sich gegen seinen, und Geschenke hatte er noch nie abgelehnt, egal, wie dunkel und falsch und unverdient.

 

Er ließ zu, dass sie ihn küsste, dass sie ihn zurück aufs Bett stieß, dass sie allen Ernstes über ihn stieg. Es war wie eine seltsame Trophäe, die er bekam. Vor zwei Tagen hatte sie ihn mit den Augen erdolcht – und jetzt hatte sie Sex mit ihm!

 

Was zur…? Sie griff zwischen ihre Körper, fand seine halbharte Erektion, und er schluckte hart, als ihre Hand zu pumpen begann. Nur zu schnell wurde er hart, schloss die Augen, berührte ihre Haut, hob ihr Becken an, und sie platzierte sich auf ihm. Er hatte keine Ahnung, ob es erlaubt war, was sie taten, aber es fühlte sich verdammt richtig an. Sein Kopf fiel zurück, als er sie teilte. Fuck! Er sollte ein besserer Vater sein als das, sollte es für Scorpius nicht schwerer machen, aber das hier…- konnte er nicht ausschlagen! Er konnte nicht! Hatte es schon gestern nicht gekonnt!

 

Hart ritt sie ihn, stöhnte ungehalten, und er hatte keine Ahnung, ob die Wände in diesem Schloss so dick waren, wie sie vermuten ließen, aber auch das war ihm egal. Ihre Haut war weich unter seinen Fingern, als er sich in ihr Becken krallte, irgendwann ihre Brüste umfasste, ihre Nippel reizte, und irgendwann setzte er sich auf, schlang den Arm um ihren Körper, fand ihre Lippen, und ihre Zunge drang in seinen Mund, und sie ergänzten sich verdammt perfekt. Physisch zumindest.

Sie kam, er spürte es, und er wollte sich nicht länger zurückhalten, stieß sich hart nach oben, ergoss sich grollend, schlang die Arme fest um ihren Körper, und kam sich vor wie ein junger Mann. Er wüsste nicht, wann er das letzte Mal zwei Runden geschafft hätte. Innerhalb weniger Stunden.

Erschöpft fiel er zurück, sie auf seiner Brust, und ihr Atem ging schnell.

 

Und bevor er dieses Mal irgendetwas sagen – oder denken – konnte, löste sie sich aus seiner Umarmung, kletterte von ihm runter, und träge folgte ihr sein Blick. Sie zog den Bademantel wieder über, griff sich ihr Kleid und den Rest ihrer Unterwäsche, der auf dem Boden lag, stieg über die leere Champagnerflasche und lauschte an der Tür. Scheinbar hörte sie nichts, denn sie öffnete leise die Tür.

 

Und so plötzlich wie sie gestern Abend zu ihm gekommen war – so schnell war sie auch wieder verschwunden. Seine Stirn zog sich in tiefe Falten.

 

Oh, er würde nirgendwohin gehen, entschied er in einer spontanen Eingebung.

 

Diese Hochzeit war tatsächlich interessant geworden.

 

~*~

 

Sie hatte es gestern Abend gespürt, hatte es aber nicht zuordnen können, aber heute Morgen war sie sich sicher gewesen.

Und sie hatte gewusst, dass sie absolut gar nichts gegen diese Art von Magie hätte unternehmen können. Sie hatte sich überm Waschbecken abgestützt, noch immer die heißen Tränen auf dem Gesicht.

 

Magie. Es war simple, wenn auch effektive, Magie. Und ob es legal war, bezweifelte sie. Es hatte sich angefühlt wie die erste Zeit mit Ron. Aufregend, triebgesteuert – nur war es nicht Ron, aber das war ihr in ihrem benebelten Kopf egal gewesen. Kurz musste sie würgen, als sie daran dachte, dass es Malfoy gewesen war. Neue Tränen stiegen in ihr empor, und zornig verließ sie ihr Badezimmer. Angewidert griff sie sich die schmale Box, warf sie auf den Boden und zögerte keine Sekunde, als sie die Box mit dem Diffindo zerstörte. Das Holz zerbarst und im Innern lag eine zusammengerollte Krawatte. Mit spitzen Fingern hob sie sie auf. Sie war schlicht, schimmerte olivgrün und nach näherer Inspektion konnte sie den Duft zuordnen.

Malfoys Aftershave. Es hing ihr nach dieser grauenvollen Nacht noch in der Nase, und die Krawatte roch genauso.

Widerlich. Grenzenlos widerlich.

Wäre sie nüchtern gewesen, hätte sie diesen schwarzmagischen Schund durchschaut! Sie hätte auf keinen Fall ihre Hand auf die Fläche gelegt! Niemals wäre ihr so etwas passiert!

 

Sie hatte keine Ahnung, wer sich erlaubt hatte, sie mit diesem Zauber zu belegen, aber dieses Schloss bot genügend Täter zur Auswahl an! Lucius, Narzissa – und natürlich Malfoy selbst! Wer war so krank, Lustzauber anzuwenden? Hermine nahm an, wer ihr die Box untergejubelt hatte, hatte ihr auch die Einladung zukommen lassen. Und ihr Verstand sagte ihr, dass es Malfoy persönlich gewesen sein musste. Wer sonst? Fand er das womöglich komisch? Ihr ging es dreckig, sie wollte nichts lieber, als hier weg – und er?! Er wagte es, seine Spiele zu spielen! Sie war verheiratet! Sie mochte getrennt leben, aber… sie war verheiratet!

Sie sank an der Kommode zusammen, saß fast zusammengerollt auf dem Boden, den Kopf auf die Knie gestützt, während die Tränen ungehindert liefen.

 

Und es klopfte plötzlich.

 

„Mum?“ Sie vernahm Hugos Stimme, hörte, wie er die Knauf drehte, und hastig richtete sie den Zauberstab auf ihr Gesicht, ließ die Tränen verschwinden und rappelte sich vom Boden hoch, gerade als er die Türe öffnete. „Guten Morgen, alles ok?“, fragte er, sah sich kurz um, runzelte die Stirn, als er die Holzfetzen auf dem Boden entdeckte, und sie schob sie mit dem nackten Fuß beiseite.

 

„Mir… ist eines der Geschenke aus den Körben kaputt gegangen“, wiegelte sie etwas atemlos ab, lächelte unverbindlich, und es schmerzte, das zu tun.

 

„Ok?“, entgegnete er, und er war bereits angezogen. „Ich dachte, wir gehen frühstücken? Geht es dir einigermaßen?“, erkundigte er sich, musterte sie mit dem Blick eines jungen Heilers, und Hermine bemühte sich um Kontenance.

 

„Sicher. Zellregenerieung“, räumte sie achselzuckend ein.

 

„Dachte ich mir“, erwiderte ihr kluger Sohn. „Und?“, fuhr er fort, ruckte kurz in Richtung Bett. „Hast du gut allein geschlafen?“ Hermine schlief nun seit einer ganzen Weile allein. Es machte fast keinen Unterschied mehr, aber tatsächlich… hatte sie heute nicht alleine geschlafen. Merlin sei Dank war sie zu betrunken gewesen, sich großartig an irgendetwas zu erinnern, aber… vorhin… heute Morgen…- ihr wurde wieder schlecht.

 

„Ja“, brachte sie knapp über die Lippen. „Ich… komme nach, ok? Ich mache mich eben frisch“, sagte sie kurz angebunden, und Hugo nickte.

 

„Alles klar. Bis gleich, Mum“, verabschiedete er sich, schloss die Tür, und Hermine hatte das Bedürfnis, mehr zu weinen, beherrschte sich aber. Sie würde sich anziehen, ihre Sachen packen, Hugo zum Frühstück treffen, sich von ihrer Tochter verabschieden, nach Hause apparieren und im Boden versinken.

Das klang nach einem guten Plan.

 

Sie hatte Ron betrogen. Sie hatte Ron betrogen! Die feinen Anzeichen einer Panikattacke machten sich schleichend bemerkbar, aber sie konnte das nicht zulassen! Sie konnte nicht!

Sie hatte Ron an Roses Hochzeit betrogen, mit dem Vater des Bräutigams. Sie schloss die Augen, während ihre Atmung schneller ging. Sie zwang sich zur Ruhe, bereit, einen Zauber einzusetzen, aber langsam… nach und nach, regulierte sich ihre Atmung wieder.

Duschen. Sie musste duschen. Sie stank nach Malfoy. Ihr Mund verzog sich. Sie hatte keine Ahnung mehr, wann sie das letzte Mal Sex gehabt hatte. War es sechs Monate her? Acht? Es war fast beschämend. Ihr Kopf schüttelte sich voller Ekel.

Mit Malfoy! Diesem Riesen-Frettchen! Diesem bleichen Todesser!

Sein Penis war in ihr gewesen! Sie schüttelte sich fast krampfartig und verschwand im Badezimmer. Sie würde sich mit kochend heißem Wasser waschen! Am besten setzte sich selbst in Brand und dann wäre das Problem gelöst.

 

~*~

 

„Du hast wirklich lange ausgehalten“, sagte Ginny mit einem schmalen Lächeln, während sie über das Gelände spazierten. Die Traumlandschaft konnte Hermine nicht täuschen. Es war ein verfluchter, widerwärtiger Ort hier. „War es schlimm heute Morgen?“, vergewisserte sie sich mitfühlend.

 

„Die Hölle“, entkam es Hermine beinahe bitter.

 

„Gut, dass es Zauber gibt“, erwiderte Ginny zwinkernd.

 

„Mh“, machte Hermine dumpf. Rose war noch nicht aufgestanden, als Hermine gefrühstückt hatte, und als Malfoy in Begleitung seiner Eltern nach unten gekommen war, hatte Hermine fluchtartig das Schloss verlassen müssen, und Ginny war nur zu gerne mitgekommen.

 

„Harry und ich überlegen, heute die Sauna zu nutzen. Im Keller?“, ergänzte sie, als sie Hermines leeren Blick bemerkte. „Es gibt ein ganzes Spa-Areal“, fuhr Ginny aufmunternd fort. „Wäre das nicht was? Etwas Ablenkung?“ Ihre Freundin strahlte praktisch. Hermine würde nicht noch einen Tag bleiben. Unter absolut überhaupt keinen Umständen. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie Malfoy nicht vor dem Ministeriumsgericht verklagen könnte, wegen vorsätzlicher magischer Schädigung und Missbrauch – oder so etwas in der Art!

 

„Ich werde abreisen, sobald ich mich von Rose verabschiedet habe.“

 

„Nein!“, entfuhr es Ginny enttäuscht. „Du kannst nicht gehen. Wie sieht es aus, wenn Harry und ich bleiben und die Brautmutter abreist?“

 

„Als ob ihr Heuchler wärt“, erwiderte Hermine mit einem falschen Lächeln. Ginny verzog den Mund.

 

„Es gefällt mir hier. Es ist der einzige Urlaub, den ich in nächster Zeit haben werde“, beschwerte sich Ginny unglücklich. „Harry hat keine Zeit für Urlaub – und keine Lust, und du-“

 

„-bleibt“, unterbrach Hermine sie bloß. „Macht, was ihr wollt. Ich habe so viel zu tun, dass ich es mir nicht leisten kann, überhaupt wegzufahren.“

 

„Aber du brauchst eine Auszeit. Die ganze Sache mit Ron-“

 

„-ich will nicht drüber reden“, entfuhr es Hermine sofort. „Das ist vorbei.“ Als sie es sagte, spürte sie, dass sie es ernstmeinte. Denn es stand fest, ob Zauber oder nicht – sie hatte ihren Mann betrogen. Und das tat keine Frau ihrem Mann an. Und für sie gab es kein Zurück mehr. Vorher war es vielleicht eine Möglichkeit gewesen. Irgendwie hätten sie vielleicht daran arbeiten können, aber das jetzt, diese furchtbare Nacht… es war der Schlussstrich. Sie war fertig. Vielleicht war es der Anstoß, den sie gebraucht hatte, aber zumindest markierte es ganz klar das Ende ihrer Ehe. Und wenn Ron es wüsste – wenn Malfoy es ihm sagen würde – er würde nie wieder ein Wort mit ihr wechseln. Sie wusste nicht mal, ob Malfoy das plante! Ob er sie erpressen wollte…? Ob er ihre Kandidatur gefährden wollte – ob das sein krankes Motiv war?! Natürlich wäre es erfolglos, aber zutrauen würde sie es diesem Arschloch.

 

„Was?“, riss Ginnys erschütterte Stimme sie aus den Gedanken. „Das meinst du nicht ernst“, entfuhr es ihr, aber Hermine meinte es sehr ernst. Todernst. Kurz verließ Ginnys Blick ihr Gesicht, kehrte dann aber ernst und verschlossen zu ihren Augen zurück. „Wir reden später darüber“, ergänzte sie stiller, und Hermine wandte sich um.

 

Oh nein. Ihr wurde übergangslos schlecht. Es ging ihr ohnehin nur mäßig gut. Malfoy erreichte sie und Ginny mit zügigen Schritten. Er wirkte… ernst. Wollte er beichten? Wollte er es Ginny sagen? Sofort reagierte sie.

 

„Ginny, entschuldige mich kurz“, murmelte sie mit unterdrücktem Zorn und kam ihm mit wenigen Schritten entgegen. Er würde keinen Showdown bekommen! Garantiert nicht jetzt, garantiert nicht mit Rons Schwester!

 

„Nicht hier“, warnte sie ihn lediglich tonlos, und seine Stirn legte sich in Falten, aber sie marschierte in die entgegengesetzte Richtung weiter.

 

„Was?“, vernahm sie seine gereizte Stimme, aber er folgte ihr.

 

„Du wirst nichts vor Ginny sagen“, machte sie es deutlich, und sie sah, dass er sie verständnislos anblickte, aber lange hielt sie es nicht aus, ihn anzusehen, diesen Scheißkerl.

 

„Bleib stehen“, knurrte er jetzt, und zornig wandte sie sich um.

 

„Ich habe keine Lust, dass du hier draußen-“

 

„-deine Tochter ist weg“, kürzte er es ab, hatte anscheinend kein Geständnis ablegen wollen, und sie vergaß kurz, dass sie sterben wollte, bei seinem Anblick allein.

 

„Was?“, entkam es ihr entgeistert, aber dann schaltete sie. „Weg? Was heißt weg?“, wiederholte sie besorgt. „Abgereist?“ Milde Hoffnung schwang in diesem Wort mit, und scheinbar hörte er es, denn sein Mund verzog sich knapp.

 

„Wahrscheinlich nicht. Ihre Sachen sind noch da, und Scorpius sagt, auch ihr Zauberstab liegt oben“, fuhr er grimmig fort.

 

„Sie ist weggelaufen?“, fasste Hermine ungläubig zusammen.

 

„Es scheint so“, entkam es ihm eisig. Kurz war sie zu müde und erschöpft, weiter zu fragen, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen.

 

„Wieso?“ Es war ein müdes Wort. Denn jetzt gerade hatte Hermine genügend eigene Übelkeit erregende Probleme, und eigentlich wollte sie auch nicht wissen, was ihre Tochter veranlasst haben könnte, keine zwölf Stunden nach ihrer so dringenden Hochzeit, abzuhauen. Aber sie wusste, was. Sie wusste, wer. Aber sie nahm an, Malfoy wusste keine Details. Dieser schürzte kurz die Lippen.

 

„Wenn Scorpius es weiß, dann sagt er es mir nicht“, erwiderte er bloß. Kurz herrschte unangenehme Stille. „Willst du sie suchen?“, fragte er schließlich, und kurz sah sie ihn fassungslos an.

 

„Nein, Malfoy“, erwiderte sie mit bösartigem Sarkasmus, „ich werde im Schloss sitzen und Däumchen drehen – sicher will ich sie suchen, du absoluter-!“

 

„-was ich meinte, ist“, begann er gepresst, unterbrach sie ungeduldig, „ob wir jetzt losgehen sollen“, schloss er kalt.

 

„Wir?“, wiederholte sie distanziert.

 

„Ich kenne mich hier aus“, sagte er schlicht.

 

„Kennt sich Lucius nicht aus?“, konterte sie schnell, denn selbst die Anwesenheit von Malfoy Senior wäre ihr im Moment lieber.

 

„Ha ha“, machte er tatsächlich bitter. „Vielleicht bietet sich bei der Gelegenheit an, dass du mir verdammt noch mal erklärst, was gestern und heute passiert ist?“, schlug er ihr mit vagem Interesse im Blick vor. Das war nicht sein Ernst!

 

„Wenn du es wagst, unschuldig zu tun, stoße ich dich die nächste Klippe runter“, knurrte sie, aber das vermittelte ihr direkt die schaurige Aussicht, dass Rose irgendwo abgestürzt sein könnte. Seine Augen verengten sich.

 

„Ich wäre niemals in dein Zimmer gekommen, um-“

 

„-ich weiß von dem verdammten Lust-Zauber, Malfoy“, zischte sie, und Röte stieg in ihre Wangen. Jetzt weiteten sich seine Augen.

 

„Bitte was?“, entkam es ihm absolut ungläubig.

 

„Oh, tu nicht so!“, rief sie aus, aber sie konnte Ginnys Neugierde von hier aus spüren und bedeutete ihm mit einer harschen Geste, sich in Bewegung zu setzen. Er führte sie scheinbar fort vom Gelände des Schlosses, durch den hinteren Teil der Anlage, wo ein schmaler Weg in die freie Landschaft führte. „Ich habe die Box gefunden. Offensichtlich“, ergänzte sie bitter, und sein Blick war so völlig frei von jedem Verständnis, dass sie ihn näher fixierte. „Das Resort-Ticket, die Geburtstagseinladung, die schwarze Kiste mit deiner Krawatte drin?“, half sie ihm gereizt auf die Sprünge, aber sein Mund öffnete sich entgeistert.

 

„Du sagst Worte, aber ich habe keine Ahnung, was du willst“, erwiderte er, nahe dran gereizt zu sein.

 

„Der Geschenkekorb, Malfoy.“

 

„Was soll damit sein?“ Er wartete tatsächlich auf eine Antwort.

 

„In meinem Geschenkekorb – ganz im Gegensatz zu Rons Geschenkekorb – befand sich eine Einladung zu deinem Geburtstag, neben einer Box, die mit einem Lustfluch belegt war.“ Er sah sie an, als wäre sie ehrlich verrückt geworden.

 

„Wieso sollte ich dich zu meinem Geburtstag einladen wollen?“, war das erste, was er ihr ins Gesicht sagte.

 

„Keine Ahnung, Malfoy. Wieso solltest du Sex mit mir haben wollen?“, gab sie wütend zurück, flüsterte das Wort ‚Sex‘ jedoch bloß, als könne sie alleine von diesem Wort ohnmächtig werden.

 

„Ich wollte keinen Sex mit dir haben!“, entgegnete er kopfschüttelnd. „Ich sage nur nicht nein zu betrunkenen, verzweifelten Hexen“, ergänzte er kühl. Sie sah ihn an. Wenn er spielte, dann spielte er gut. „Ich hatte nichts mit irgendwelchen Geschenkekörben zu tun“, ergänzte er dann, als sie eine Reihe an Bäumen hinter sich ließen und in eine offene Heidelandschaft traten. Der Anblick wäre wunderschön, wäre sie nicht so wütend und abgelenkt.

 

„Was?“ Sie sah zu ihm auf.

 

„Meine Mutter hat dieses Event geplant. So auch die Körbe. Ich halte es für überaus abwegig, dass ausgerechnet meine Mutter dich zu meinem Geburtstag einladen wollte, aber ich war es nicht.“

 

„Und deine Mutter soll mir einen Lustfluch untergejubelt haben?“ Hermine bezweifelte das.

 

„Woher kennst du sowas?“, stellte er plötzlich die nächste Frage, und kurz fiel ihr Blick. Es ging ihn allerdings einen Scheißdreck an.

 

„Ich kenne es einfach“, blaffte sie, unwillig, es zu vertiefen.

 

„Ist Weasley anders nicht zu ertragen?“, vermutete er, ansatzweise amüsiert, aber ihr Blick schoss hoch in sein Gesicht.

 

„Ernsthaft?“, zischte sie zornig, und der angespannte Zug um seinen Mund kehrte zurück. „Ernsthaft, Malfoy?“, wiederholte sie, denn es war zu früh. Es war zu früh und zu unangebracht, darüber Witze zu machen. Und es tat verflucht weh. Er atmete aus.

 

„Narzissa würde so etwas niemals tun“, sagte er dann.

 

„Es macht keinen Sinn“, sagte sie, mehr zu sich selbst, denn ihr Blick ging leer nach vorne, konzentrierte sich auf die Landschaft, konzentrierte sich darauf, ihre Tochter zu finden.

 

„Und du bist sicher?“, wollte er ruhig wissen, und sie verzog den Mund.

 

„Warum sollte ich zu dir kommen? Warum, um alles in der Welt, sollte ich, am Tag der Hochzeit meiner Tochter, ausgerechnet zu dir kommen?“ Und kurz sah er so aus, als hätte er darauf passende Antworten. „Und nein, selbst betrunken bist du keine Option. Niemals eine Option“, knurrte sie wütend. „Es ist einfach nur ekelhaft!“, brachte sie angewidert über die Lippen. „Ganz zu schweigen davon, dass wir… verwandt sind.“

 

„Wir sind nicht verwandt.“ Er sagte es sofort, ohne jeden Hauch eines Zweifels.

 

„Oh ja, ich weiß, natürlich nicht per Blut, denn euer nobles scheiß Blut würde wahrscheinlich einfach explodieren, würde es mit schlammigem Blutsverräterblut gemischt werden!“, erwiderte sie gepresst, und sein Seitenblick traf sie fast gereizt. „Aber per Gesetz, Malfoy. Per Gesetz sind wir sowas von verdammt noch mal verwandt, dass es widerwärtig ist.“ Und kurz lächelte er. Es war ein schmales Lächeln, wenn auch aufrichtig. „Ich weiß nicht, was du daran witzig finden könntest“, entkam es ihr kopfschüttelnd, aber er ruckte mit dem Kopf.

 

„Gar nichts“, erwiderte er ruhig. „Dann war es ein Zauber?“, stellte er schließlich klar, aber diese Feststellung klärte überhaupt nichts.

 

„Ja, es war ein Zauber“, antwortete sie fast angriffslustig. „Das macht es nicht besser“, ergänzte sie zornig. „Ganz und gar nicht. Deine Familie ist krank.“

 

„Und es war meine Familie?“, bemerkte er durchaus zweifelnd.

 

„Ist es deine olivgrüne Krawatte, oder nicht?“, erwiderte sie eindeutig, und Erkenntnis trat auf seine Züge, als wüsste er genau, welche Krawatte sie meinte.

 

„Sie ist seit einer Weile weg“, murmelte er abwesend.

 

„Lassen wir das“, sagte sie schließlich distanzierter.

 

„Es lassen?“, wiederholte er bloß.

 

„Ja. Ganz klar treibt irgendwer aus deiner Familie seine Späße mit mir, und ganz klar war keine freundliche Absicht dahinter-“

 

„-du warst nicht alleine beteiligt, Merlin noch mal“, entfuhr es ihm scharf.

 

„Nein, aber dir macht es anscheinend überhaupt nichts aus!“, konterte sie gereizt, sah ihn prüfend an und milder Zorn flackerte über seine Züge. Ihr wurde wieder schlecht. Sie hatte Sex mit ihm gehabt. Ob nun gewollt oder ungewollt. Ob Zauber oder nicht, sie erinnerte sich. Es war ihr Körper gewesen, ihre Hände, die ihn berührt hatten, und sie wollte sich die Haut vom Körper ziehen.

 

„Es bereitet mir keine Existenzkrise, nein“, bestätigte er grimmig. „Aber mir bedeutet das auch weitaus weniger, als-“


„-oh halt deinen Mund!“, unterbrach sie ihn wütend, schüttelte zornig den Kopf, so dass die Locken flogen.

 

„Was?“, fuhr er sie ebenso zornig an.

 

„Es bedeutet überhaupt nichts, du arroganter Wichser“, spuckte sie ihm entgegen, und seine scheiß blonden Augenbrauen hoben sich tatsächlich. „So großartig bist du nicht!“, ergänzte sie bitter. „Bild dir bloß nichts ein. Als ob es emotional irgendwas bedeuten würde!“, brauste sie auf. „Es geht alleine darum, dass es nicht rückgängig zu machen ist! Ich kann es nicht zurücknehmen!“ Ihr Atem ging schnell. Und sie hatte nicht geplant darüber überhaupt zu reden. Mit keinem – und garantiert nicht mit ihm.

 

„Wegen Weasley?“, schloss er schließlich, und sie hasste, dass er ihn so nannte. Sie blieb stehen.

 

„Wegen Weasley?“, wiederholte sie schwach. „Wegen meinem Mann? Ja, Malfoy, wegen meinem Mann. Wegen meiner Tochter. Wegen deinem Sohn. Schön, wenn es dir nichts ausmacht, aber ich hätte ehrlich gesagt gedacht, dass du so etwas nicht zulassen würdest, wenn du nicht für diesen Fluch verantwortlich bist!“

 

„Es ist nicht meine Schuld!“, sagte er bloß.

 

„Doch, es ist deine Schuld. Genauso wie es meine ist. Du kannst es nicht ablehnen, es abtun, als hättest du nichts damit zu tun.“ Er stand vor ihr, groß und sehr unnahbar. Sie erlaubte sich, ihn anzusehen. Dieser Lustfluch war ein gefährliches Ding, hatte ihre gesamte Wahrnehmung ausgehebelt, denn jetzt würde sie ihn niemals freiwillig anrühren. Niemals. Wie er vor ihr stand, in seiner dunklen Hose, dem gestärkten Hemd mit dem goldenen Emblem einer teuren Marke, dem Wildlederjackett mit den Ellbogen-Patches und dieser Frisur! Gott, diese aufgesetzte Möchte-gern-Haltung! Unfassbar, dass zwei Menschen, die so unterschiedlich waren, überhaupt irgendeine Verbindung hatten finden können. Sein Mund öffnete sich, aber er entschied sich dagegen und wollte weitergehen.

„Was?“, wollte sie herausfordernd wissen. „Du hast Input, du möchtest etwas dazu sagen? Dann sag es einfach.“ Er machte sie wütend. So unfassbar wütend.

 

„Nein“, entschied er schlicht, schüttelte den Kopf, aber sie spürte seinen Zorn deutlich.

 

„Warum nicht?“ Er blieb ihr ohnehin viel zu ruhig. Es machte sie fuchsig. Kurz wandte er den Blick.

 

„Es ist passiert, es ist vorbei, und ich habe nicht vor, jemals wieder darüber zu reden“, informierte er sie knapp. „Wie ich dir auch heute Morgen schon sagte“, ergänzte er warnend.

 

„Ja, du möchtest über heute Morgen reden?“, entkam es ihr wütend, aber dieses Mal erwiderte er ihre Wut. Er kam wieder näher, hielt direkt vor ihr inne.

 

„Weißt du“, begann er kalt, „du versteckst dich hinter irgendeinem Fluch, den dir vielleicht oder vielleicht auch nicht angeblich jemand aus meiner Familie untergeschoben haben soll-“, ihr Mund öffnete sich im Protest, aber er ließ sich nicht unterbrechen, „-und vielleicht solltest du dich einfach glücklich schätzen und deinen verdammten Mund halten!“, schloss er äußerst kalt. Ungläubig weitete sich ihr Blick.

 

„Mich glücklich schätzen?“, wiederholte sie so leise, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen. Sie wollte so viel mehr sagen, aber der schiere Ekel hielt sie ab.

 

„Du bist nicht gerade der Hauptgewinn“, informierte er sie bitter. Ihr Kiefer gab nach, während sein inquisitorischer Blick ihre Gestalt musterte. „Du bist alt, du bist nicht gerade in top Form“, fuhr er schnarrend fort, und er war genauso alt wie sie! Aber sie sagte nichts. Glaubte dieses Arschloch wirklich, dass er sie mit irgendwelchen Oberflächlichkeiten beleidigen könnte? Er war so erbärmlich. Sie schloss zornig den Abstand. Sie war heute nicht in top Form, aber sie wäre immer in besserer Form als er! Geistig, als auch körperlich. Er wollte sie herausfordern? Konnte er haben.

 

„Ich bitte dich“, sagte sie sehr leise, als sie sehr dicht vor ihm stand. „Ich bin sehr wahrscheinlich das Großartigste, was dir in deinem jämmerlichen Leben jemals passieren konnte, ob ich fünfzehn oder fünfzig bin! Und für mich braucht es einen Fluch, um jemandem wie dir überhaupt einen zweiten Blick gönnen, aber es wundert mich in keinster Weise, dass du nicht eine Sekunde gezögert hast, als ich zu dir gekommen bin.“ Und tatsächlich ließen ihre Worte ihn verstummen. Nahezu sofort. „Mach dir nichts vor, Malfoy. Im Vergleich zu dir bin ich immer der verdammte Hauptgewinn.“ Zu einem großen Teil waren ihre Worte eine bloße Trotzreaktion darauf, dass er ernsthaft annahm, sie bloßstellen zu können. Ein kleiner anderer Teil in ihrem Innern meinte die Worte ernst. Und Hermine arbeitete tagtäglich mit Vollidioten wie ihm, und sie wusste, alles, was diese aufgeblasenen Pfauen brauchten, waren klare Ansagen. Räumte man diesen Individuen gegenüber auch nur die kleineste Schwäche ein, hatte man verloren. Sie kannte alle Draco Malfoys dieser Welt. Sie waren nicht komplex. Sie waren gar nichts weiter, als oberflächliche Hüllen.

Sie war eine Kriegsheldin, so blitzgescheit, dass sie Ministerkandidatin sein würde, Merlin, so fähig und kompetent, dass sie Minister werden konnte.

Sicher, betrunken betrachtete sie sich im Spiegel, erkannte ihr Alter und verfolgte manchmal oberflächliche Gedanken – aber nie lange. Es war nie von Wert.

 

Draco Malfoy war ein Staubkorn auf ihrem Weg nach oben. Sie hatte immer gewusst, dass ihre Art, ihr Charakter, ihr viele Steine in den Weg legen konnte und dafür verantwortlich sein würde, dass sie sich viele Beziehungen zu Menschen verscherzte. Und natürlich war nicht nur Scorpius Malfoy daran schuld, dass ihr Ehemann sie verlassen hatte. Aber es war einfacher, die Schuld dann und wann mal auf wen anders abzuwälzen. Und wenn der Schuh passte, musste sie sich nicht mit ihren Fehlern auseinandersetzen.

Aber Draco Malfoy hatte nicht das Recht, sie bloßzustellen. Er hatte es sich nicht verdient, ihr seine Meinung zu sagen. Sie konnte nichts ernstnehmen, was seine Lippen verließ.

 

„Ich schaffe es von hier allein, meine Tochter zu finden“, informierte sie ihn, ohne jede Emotion. „Vielen Dank für deine aufschlussreiche Gesellschaft.“

 

Seine grauen Augen waren auf sie geheftet, seine Mundwinkel ablehnend nach unten gezogen, und sie brauchte keine Legilimens, um die Beleidigung auf seinen Lippen zu erahnen, aber Malfoy war keine fünfzehn mehr. Zumindest Beherrschung schien eine fragwürdige Tugend zu sein, die er nüchtern meistern konnte. Sein Kiefermuskel arbeitete angespannt. Und mit diesem Blick konnte sie sich ernsthaft vorstellen, dass er sie schlagen oder verfluchen wollte. Er könnte auch um ihre Hand anhalten, ihr unter Umständen mit diesem Blick die Kleider vom Leib reißen. Es lag viel in seinem Blick.

Und ja, vielleicht. Sie hatte sich gestern den bestaussehendsten Mann der Party genommen. Und vielleicht wusste der blonde Hüne, wie er mit seinem Penis umzugehen hatte, und sie sah die Verlockung, die mit dieser Art der Arroganz und Selbstüberschätzung einherging, denn sie spürte die Spannung zwischen sich und ihm auch ohne den Einfluss eines verdammten Zaubers, aber sie war um Längen klüger als ihre Tochter, die auf die billige Illusion des Malfoy-Charmes hereinfiel, wenn man auf so etwas stand. Bleiche, blonde, aristokratische Machtspiele.

Es war nicht Hermines Geschmack. Es war reine oberflächliche Befriedigung. Und sie kannte sich aus. So etwas reichte nie für mehr, als bedeutungslosen Spaß. Rose würde es lernen. Sie war sich sicher.

Ron hatte sie es nie klar machen können, dass es eine Phase war. Dass es vielleicht für ein paar hitzige Jahre reichen würde, aber dass Rose auf lange Sicht niemals an Scorpius‘ Seite bleiben würde.

Und sie erinnerte sich an Rons Worte damals. Er hatte gewollt, dass Rose glücklich war, dass sie sich von vornherein klug entscheiden sollte.

Aber das würde sie nicht.

Das hatte Hermine auch nicht getan. Manchmal sah sie klar. Manchmal wusste sie selber auch, dass Ron damals eine Hals-über-Kopf-Entscheidung gewesen war. Dass sie ihn hatte haben wollen, weil er es ihr schwer gemacht hatte. Es war keine Kopfsache gewesen. Aber das waren die Steine in ihrem Weg.

So etwas konnte man dem eigenen Ehemann nicht sagen, nicht wahr? Dass er nicht ihre kluge Entscheidung gewesen war, sondern lediglich die Trotzreaktion.

 

Mit einem mentalen Ruck schien sich Malfoy von ihrem Anblick zu lösen, der heute garantiert nicht viel hermachte, aber es war fast zu leicht durch seine Deckung zu kommen, und kurz zuckten ihre Mundwinkel, bevor ihr wieder einfiel, dass sie ihre Tochter finden musste, die ihrem Vater nur zu sehr ähnelte und ewiges Glück erwartete, obwohl sie sich einen elenden Trostpreis ausgesucht hatte.

 

 

5. Fire to my Purpose

 

 

„Dad?“

 

Draco hatte fertig gepackt. Er konnte nicht erwarten, zu verschwinden. Über seine Mutter hatte er erfahren, dass Rose wieder aufgetaucht war, dass ihre Mutter sie gefunden hatte, und anscheinend war das fragwürdige Eheglück gekittet worden. Aber es interessierte ihn nicht. Wie konnte es diese Furie wagen? Er zwang sich, ihre Worte abzutun. Bittere Worte einer bitteren Frau. Nichts weiter als das.

 

„Nein, Scorpius“, war alles, was er sagte. Er hatte genug. Es war genug für zwei Tage. Merlin, es war genug für die nächsten zwei Jahre. Es war zu anstrengend. Er war zu alt dafür. Und er konnte nicht ertragen, dass es nahtlos weiterging. Dass es nie ein Ende fand. Oh, er hatte versucht, Rose Weasley seinem Sohn auszureden. Mehr als einmal. Mehr als eintausendmal. Dass es nur Komplikationen brachte, dass es niemals gut enden würde, denn er wusste, wo sie herkam, wem sie ähnelte – und nein. Es war es nicht wert. Niemals wäre es so viel wert. Scorpius sah müde aus, und Draco hatte es ihm prophezeit. Seit Jahren!

 

„Dad“, sagte sein Sohn wieder, so gänzlich hilflos, dass Draco schreien wollte. Er wollte es nicht wissen, wollte nicht wissen, was, bei Merlin, schon wieder hatte vorgefallen sein können, das alles innerhalb von zwölf Stunden wieder zerstörte. Dieses Mädchen würde seinen Sohn zu Grunde richten, und Draco hasste das. Und es war nicht mal, weil sie an Gold interessiert war! Nein, diese Familie war so verdammt eigenartig mit ihrer seltsamen Moral, ihren Vorstellungen, dass Draco sicher war, Rose tat das alles nur, um Scorpius zu quälen!

 

„Was?“, würdigte er ihn mit einem knappen Blick. Gut, dass Astoria davon nichts mitbekommen hatte. Absolut gar nichts. Sie hätte ihm persönlich die Schuld gegeben, ihm Ohrfeigen rechts und links verpasst, und vielleicht war er überfordert gewesen, hatte das Weasley-Warnsignal überhört, weil es umständlich war. Und jetzt hatte er den Ärger. Und jetzt hatte er mit Hermine Weasley geschlafen, die ihm auch noch erklärte, dass es sein verdammtes Glück gewesen war! Merlin! Er knallte den Deckel seiner Tasche zu. Seine Nasenlöcher bebten vor Zorn, als er seinen Sohn ansah. Seinen müden Sohn, der kaum mehr war, als ein Kind.

 

„Sie ist schwanger.“

 

…. Großartig. Dracos Mund verzog sich angewidert. Deshalb hatte sie ihn heiraten wollen. Alleine deshalb! Draco wusste es, roch die Finte sofort, hätte seine Hand ins Feuer gelegt. Das kleine Biest war an Scorpius nicht interessiert, alleine an der Sicherheit, die sein Name brachte. Und Draco wartete ab, sah wie Scorpius im Türrahmen rumdruckste, wusste, das war noch nicht das Ende.

 

„Und ich… hatte ihr vorgeschlagen, dass wir es… loswerden können. Und dann… ist sie abgehauen.“ So viel Weitsicht hätte Draco seinem dummen Sohn nicht zugetraut. So viel Selbsterhaltungstrieb.

 

„Und jetzt?“, erkundigte er sich glatt, und sein Sohn fuhr sich durch die dichten, verstrubbelten Haare.

 

„Jetzt ist sie wieder da und…“

 

„Und sie will es behalten?“, nahm Draco dumpf an. Sicher wollte sie es behalten. Es sicherte ihr ihren verdammten Lebensunterhalt, einen einigermaßen guten Namen und unter Umständen die Treue seines Sohnes, was auch immer das Wert sein mochte.

 

„Ja.“

 

„Du hast sie geheiratet“, stellte Draco achselzuckend klar. „Das ist jetzt dein Problem“, schloss er und zog sich den Mantel über. Scorpius‘ Schultern sanken.

 

„Was soll ich tun?“, fragte er tatsächlich, und Draco mochte nicht, wie offen und ehrlich sein Sohn mit ihm war. Es wäre ihm im Leben nicht eingefallen, mit solchen Sorgen zu Lucius zu gehen. Er erinnerte sich, dass Astoria mit einundzwanzig schwanger geworden war, sie war jünger als er gewesen. Scorpius war jetzt schon zwei Jahre älter, als Draco es gewesen war. Er hatte keine Tipps für seinen erwachsenen Sohn. Er hörte ja sowieso nicht auf ihn!

 

„Was du tun sollst?“, wiederholte Draco angespannt. „Ich würde vorschlagen, du wirst endlich erwachsen, lebst mit den Konsequenzen und hörst auf damit, dich selbst zu sabotieren! Du hast in ihrem Garten gezeltet! Du hast Lucius in den Ohren gelegen, bis er dir die teuerste Hochzeit ausgerichtet hat! Dachtest du, dass sie nicht irgendwann vorhat, dein Kind zu bekommen? Was hast du geglaubt?“, fuhr er ihn an.

 

„Wieso schreist du mich an?“, entfuhr es Scorpius gereizt.

 

„Weil ich deine Probleme nicht lösen kann – nicht lösen will, offen gesagt! Du hättest jede haben können, aber du wolltest sie! Jetzt hast du sie.“ Scorpius atmete aus.

 

„Ich liebe sie, Dad“, sagte sein Sohn, beinahe hilflos. Wirklich? Tat er das wirklich, wollte Draco fragen, aber er beherrschte sich.

 

„Dann…“, begann Draco erschöpft und atmete selbst resignierend aus. „Dann gibt es kein Problem, oder nicht?“, wollte er müde wissen. „Dann solltest du dich freuen“, schloss er bitter.

 

„Ich… ich will sie für mich. Ich will sie nicht teilen“, entkam es seinem Sohn. „Jetzt habe ich sie endlich, für immer. Und sie… wird keine Zeit haben für mich“, machte sein Sohn jetzt deutlich, und Draco begriff es nicht wirklich.

 

„Dir ist schon klar, dass du dein Kind lieben wirst, egal, wie verbohrt und unselbstständig und schwer von Begriff es sein wird?“, wollte er von seinem dummen Sohn mit erhobener Braue wissen, und fast lächelte sein Sohn.

 

„Sicher, aber…“

 

„Aber?“ Draco wartete ungeduldig.

 

„Aber ein Kind ist anstrengend.“ Draco wollte auflachen.

 

„Meinst du? Wirklich? Warte ab, Scor“, erwiderte er trocken. „Warte ab, bis es erwachsen ist und Entscheidungen trifft, die deine Haare grau werden lassen“, prophezeite Draco finster und griff sich seine Tasche.

 

„Du könntest noch bleiben“, schlug Scorpius eindeutig vor, aber jetzt lachte Draco trocken auf.

 

„Ja. Ich könnte mich auch kopfüber von der Decke hängen lassen, während die Weasleys mit Stöcken auf mich einschlagen und eine Malfoy-Pinata-Party veranstalten, aber nenn mich ruhig langweilig, wenn ich vorziehe meinen Sonntag in Ruhe zu verleben.“ Und sein Sohn lächelte tatsächlich.

 

„Dann sehen wir uns in ein paar Wochen?“ Draco wog seine Tasche in der Hand.

 

„Ich weiß noch nicht, ob ich dich dabei haben will“, gab er zurück, aber jetzt lachte sein Sohn.

 

„Wir sehen uns“, verabschiedete er sich und verließ das Zimmer wieder. Draco wollte nicht. Er wollte einfach nicht. Einmal, nur einmal, sollte seine Mutter keinen so großen Aufriss machen! Und er hatte mit ihr zu reden! Denn, wenn jemand dafür verantwortlich war, dass Hermine Weasley zu seinem Geburtstag eingeladen war, dann garantiert nicht Lucius! Und wenn er ehrlich war, würde er Narzissa zutrauen, einen verdammten Lust-Zauber zu benutzen. Einfach, um ihn nervlich in den Ruin zu treiben.

 

~*~

 

„Ich beneide dich“, sagte Harry schließlich, mit einem milden Lächeln, und Hermine musste ihn so fassungslos ansehen, dass er ein wenig zurückruderte. „Also, nicht um alles natürlich“, wiegelte er ab, „aber du wirst Großmutter“, sagte er lächelnd. Hermines Mundwinkel sanken. „Es sind gute Neuigkeiten“, schien Harry sich gehalten zu fühlen, zu sagen.

 

„Es geht“, war ihre sparsame Antwort.

 

„Du hättest noch bleiben sollen. Malfoy ist abgereist und Ginny und ich hatten ein herrliche Zeit auf dem Schloss.“ Manchmal wollte Hermine ihn schlagen. Nur manchmal.

 

„Ich hatte zu tun“, erwiderte sie bloß.

 

„Ist irgendwas vorgefallen?“ Harry sah sie mit verengten Augen an. Harry war immer sehr weitsichtig gewesen, hatte immer ein gutes Gespür für Menschen.

 

Sie hatte mit Malfoy geschlafen.

 

„Nein“, log sie achselzuckend. „Ich hatte einfach nicht die Kraft und nicht die Lust noch länger in der Gesellschaft dieser Familie zu sein.“

 

„Sie reißen sich sehr zusammen“, bemerkte Harry dann.

 

„Das sehe ich“, knurrte sie praktisch, und Harry runzelte die Stirn. „Hör zu“, wich sie aus, „ich denke, es ist ein riesiger Fehler, und Rose sollte das Kind besser nicht bekommen, aber natürlich will sie es bekommen, also sage ich nichts. Wie immer. Ich tue nichts, lasse sie machen, während Ron sich aus der Affäre gezogen hat, und ich alles alleine tragen kann.“

 

„Du könntest mit ihm-“

 

„-nein, Harry. Ich könnte gar nichts. Ich will es auch nicht. Er hat seine Meinung deutlich gemacht, und ich habe keine Lust, jedes Mal die Vernünftige zu sein. Jedes Mal über meinen Schatten zu springen, obwohl ich wesentlich wichtigere Dinge zu tun habe. Ich habe eine Karriere, ich habe ein Leben, außerhalb der Familie. Wenn er sein Seelenheil alleine von den Entscheidungen seiner Tochter abhängig machen möchte, dann hat er ein Problem – und nicht ich.“ Sie hatte sehr viel gesagt, hatte eigentlich schon zu viel gesagt, dafür, dass es sie nicht interessierte, aber es war egal. Sie musste dieses Wochenende verarbeiten. Dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen, war schwer genug.

 

„Ja, Frau Ministerin“, erwiderte Harry eindeutig sarkastisch, und sie atmete durch die Nase aus. „Wirst du Ron von seinem Glück erzählen, Großvater zu werden?“, wollte Harry schließlich ernster wissen, und Hermine lachte auf.

 

„Um den nächsten Herzanfall zu forcieren? Warum nicht“, entgegnete sie bitter. „Nein. Das kann seine Tochter alleine tun“, schloss sie kühl.

 

„Sie und Ginny treffen sich heute übrigens, um Umstandsmode zu kaufen“, fuhr Harry fort, als sie endlich die Schlange an der Kantine hinter sich brachten und einen Tisch ergattern konnten. Hermine lächelte ein falsches Lächeln der Entzückung.

 

„Super!“ Hermine wusste, sie könnte sich freuen. Sie hatte sich früher ausgemalt, wie wunderbar es sein würde, Großmutter zu werden. Aber es waren Gedanken gewesen, wo die andere Seite an Großeltern noch keine konkrete Form angenommen hatte. Es war alles theoretisch gewesen, und sie wusste mittlerweile, diese Gedanken waren kindisch. Es gab immer eine andere Seite, eine andere Familie, die dazu gehörte, und für diese neue Familie hatte sie nichts übrig. Wahrscheinlich wäre es besser, würde dieses Kind die Familien nur getrennt zu Gesicht bekommen. Es war schon jetzt alles widerlich kompliziert.

 

„Du wirst dich schon noch freuen können“, versprach Harry ihr zuversichtlich, und Hermine hatte ihre Zweifel.

 

„Mhm“, machte sie knapp und wünschte sich, alleine essen gegangen zu sein.

 

~*~

 

„Du musst mitkommen“, sagte Rose, und Hermine hasste bereits jetzt, dass ihre Tochter den neuen Reichtum ausnutzte. Wie sie aussah. Diese Kleidung, der Schmuck. Sie kam ihr vor wie eine neureiche Ziege.

 

„Auf gar keinen Fall“, sagte Hermine, ohne Raum für Verhandlung. Rose hatte sie im Büro heimgesucht, und Hermine hatte keine Möglichkeit zu fliehen. „Hast du eigentlich noch jemals vor, dir einen Job zu suchen?“

 

„Mutter, ich bin schwanger“, sagte Rose, als löse es jedes Problem.

 

„Aha“, machte Hermine, deutete um sich, und Rose verdrehte die Augen. Hermine war arbeiten gegangen, Ron war Zuhause geblieben. Hermine hatte sich alleine hochgearbeitet und Rose sollte bloß den Mund halten.

 

„Ich bin nicht du. Ich möchte mich der Kindererziehung widmen“, erklärte ihre Tochter mit einem ätzend seligen Ausdruck auf dem Gesicht.

 

„Während du dich auf dem Malfoy-Vermögen ausruhst?“, vermutete Hermine finster.

 

„Mum, die nächsten drei Jahre werde ich für das Kind da sein. Ganz einfach. Scorpius ist auch dafür.“

 

„Ich dachte, Scorpius wollte es loswerden?“, erwiderte sie mit scharfem Blick.

 

„Es war eine erste Reaktion. Wir haben uns beide falsch verhalten“, wiegelte Rose ab, und Hermine wollte nicht. Sie wollte nicht mit ihrer Tochter reden. Es würde nur fatal enden. „Also, du kommst mit, ja? Ich habe mit Scorpius gesprochen, und seine Großmutter hat bereits ein ganzes Tagesangebot für dich zusammengestellt – was nicht stornierbar ist. Und es kostet ein Vermögen, Mum!“

 

„Rose, ich muss gar nichts tun“, warnte Hermine ihre Tochter. „Ich habe genug getan. Ich war auf deiner Hochzeit“, begann sie. Ich habe mit deinem Schwiegervater geschlafen, fuhr sie in Gedanken fort, beherrschte sich aber. „Ganz im Gegensatz zu deinem Vater“, ergänzte sie.

 

„Ich will nicht über ihn reden“, beschwerte sich Rose sofort.

 

„Schön“, entgegnete Hermine gereizt. „Dann lass mich in Ruhe mit irgendwelchen Malfoy-Feiern!“

 

„Du musst kommen“, wiederholte ihre Tochter verzweifelt. „Du bist alles, worauf ich mich noch verlassen kann. Dad ist ein unmöglicher Vater, und es ist peinlich genug. Und du bist das einzige Vorbild. Jeder sieht zu dir auf!“, rief Rose unglücklich. Nicht jeder, dachte Hermine dumpf. „Ich sehe zu dir auf. Ich möchte, dass du Teil meiner Zukunft bist, Mum!“ Die großen blauen Augen ihrer hübschen Tochter füllten sich mit elenden Tränen, und Hermine wünschte, Rose würde ihre Bürotür zumachen. Sie wollte vorschlagen, dass Rose Ginny mitnehmen könnte, aber sie sagte nichts. „Und ist es nicht wirklich nett, dass die Malfoys dich einladen?“, wollte Rose verständnislos wissen. „Dass sie versuchen, eine Beziehung aufzubauen?“

 

„Wirklich nett“, bestätigte Hermine lakonisch, und Rose stöhnte auf.

 

„Bitte, Mum. Ich flehe dich an. Was soll ich noch tun? Du möchtest dein Enkelkind sehen, oder nicht?“ Ihre Tochter war ein bösartiges Monster. Was für ein fieser Zug. Hermines Ausdruck wurde grimmig.

 

„Ich hasse diese Familie“, knurrte Hermine.

 

„Heißt das ja?“, erkundigte sich Rose vorsichtig, strahlte aber bereits wieder.

 

„Und ich hasse dich“, ergänzte Hermine gepresst. Rose verdrückte sogar eine Träne.

 

„Danke Mum! Danke, danke, danke!“ Sie kam um den Schreibtisch, drückte sie an sich, und Hermine fragte sich, wofür sie das alles tat? Die Beziehung würde enden, niemanden würde interessieren, zu wie vielen scheiß Familienfeiern sie gegangen war, und dann wäre sie trotzdem noch schuld.

 

Vor allem nach der Ansprache, die sie Malfoy verpasst hatte….

Sie war müde, erschöpft, depressiv. Alles auf einmal. Sie hatte sich nach der Hochzeit in Arbeit gestürzt und arbeitete seit Wochen jeden Tag Überstunden, um bloß nicht nachdenken zu müssen.

Ron war seit sieben Wochen ausgezogen und hatte sich noch kein einziges Mal gemeldet. Nicht, dass sie die Tage zählte. Nicht, dass es ihr irgendetwas anhaben konnte. Äußerlich. Sie trauerte still für sich und es ging keinen etwas an.

 

~*~

 

„Schuss!“, rief Draco, hatte ein Auge fest zusammen gekniffen, zielte genau, verfolgte den magisch verhexten Tonklumpen mit den Augen, der wilde Haken in der Luft schlug, abtauchte, und kurz bevor er wieder hochstieg hatte er…-

Das magische Gewehr sank unwillkürlich in seiner Hand.

 

„Malfoy, was soll das?“, entrüstete sich Blaise enttäuscht und zerschoss den Ton selber in der Luft. Aber Dracos Blick war an den beiden Frauen hängen geblieben. Was bei Salazar sollte das werden? Er erkannte seine Mutter. Und er erkannte die andere Frau. Sie trug ein helles Kostüm, kurz. Sehr kurz. Zu kurz, seiner Ansicht nach, für dieses Wetter – und generell. Was tat sie hier?

War sie ernsthaft gekommen, weil ihr irgendwer – seine Mutter! – eine Einladung geschickt hatte? Hatte sie nicht ziemlich deutlich gemacht, wie widerlich er war, was sie für ein Hauptgewinn war? Er hatte ihre Worte nicht vergessen. Sein Mund verzog sich zu einer sehr schmalen Linie.

Blaise folgte seinem Blick.

 

„Uh, ist Mrs Weasley jetzt Dauergast?“, vermutete sein bester Freund grinsend, und Dracos Kiefer spannte sich an.

 

„Es scheint so“, erwiderte er gereizt. Seine Mutter zeigte ihr irgendwelche Pflanzen, irgendeinen Quatsch, und Draco begriff nicht, wie sie Lust darauf haben konnte. Warum war dieses Miststück hier?

 

„Schuss!“, rief Draco zornig, zielte, und der nächste Klumpen Ton, den er traf, hatte ihr Gesicht. In seinen Gedanken zumindest.

 

„Perfekt“, rief Blaise, richtete den Blick Richtung Himmel und bedeutete anschließend dem Personal, dass sie aufhören würden. „Es wird langsam Zeit. Die Sonne geht unter“, erläuterte er, und Draco hatte keine Lust, sich umzuziehen, diesen Abend zu beginnen. Er mochte das Resort, aber es waren entschieden zu viele Leute anwesend, die ihm die Laune verdarben.

 

„Mh“, machte Draco lustlos, ließ sich das Gewehr abnehmen, und Blaise schenkte ihm einen fragenden Blick.

 

„Weißt du, ich wollte nichts sagen, aber schon auf der Arbeit warst du ziemlich angespannt. Wieso hast du dir kein Date mitgebracht?" Draco hob den Blick, sah Blaise an, und dieser wirkte ernsthaft mitleidig. Draco blinzelte. „Es ist alles etwas viel im Moment, nicht wahr? Dann wirst du auch noch Großvater, ich meine… das ist schon ein Schock. So alt bist du immerhin auch nicht, und-“

 

„-Blaise“, unterbrach Draco seinen Freund gefährlich ruhig, „danke für deine Fürsorge, aber es geht mir bestens.“ So klang er nicht, so sah er nicht aus, aber es ging Blaise nichts an.

 

„Sex entspannt, Draco“, versicherte er ihm, und Draco atmete angespannt aus. Nein. Nein, tat er nicht. „Du musst kein tragischer Witwer sein, der niemals unkeusche Gedanken hat“, fuhr er fort.

 

„Blaise-“

 

„-ich meine, sag ein Wort, und ich vermittel dir herrliche Ablenkungen aus dem Club“, unterbrach er ihn achselzuckend. „Du siehst gut aus, hast gutes Gold. Ich sage dir, die Hexen werden Schlange stehen!“

 

„Danke. Aber nein“, schloss Draco, der garantiert nicht nötig hatte, dass Blaise den Zuhälter spielte.

 

„Draco-“

 

„-ich bin versorgt!“, log er glatt. War er nicht, aber der letzte Sex hatte ihm sehr deutlich gemacht, wie gefährlich Sex doch tatsächlich war. Er war drüber weg. Er brauchte im Moment absolut gar nichts und niemanden. Er hing es nicht an die große Glocke, so wie es Blaise gerne hätte, aber Draco bekam, was er wollte – wenn er es wollte.

 

„Was ist eigentlich mit Emily?“, erkundigte sich Blaise mit gewisser Neugierde. Dracos Mund öffnete sich knapp. Er hatte Monate nichts mehr von ihr gehört, hatte sich auch Monate nicht mehr bei ihr gemeldet. Es war stressig gewesen. Emily war die Tochter von Senator Bennett, siebzehnzehn Jahre jünger als Draco und alleine deshalb schon ein aufwendiges Unterfangen.

Sie hatten sich im Club kennengelernt, trafen sich alle paar Monate, verbrachten Wochen am Stück miteinander, bevor einer von beiden schließlich die Notbremse zog und einige Monate Pause einlegte.

Dieses Mal war er es gewesen, weil Scorpius seine ganze Zeit in Anspruch genommen hatte, erfolglos natürlich, denn geheiratet hatte er trotzdem.

 

„Keinen Kontakt zur Zeit“, erwiderte Draco still. Vielleich wäre es an der Zeit, dass er sich bei ihr meldete. Diese Art von Ablenkung könnte ihm gut tun.

 

„Lass so eine Frau nicht zu lange warten, Malfoy“, warnte Blaise ihn. „Irgendwann ist sie weg vom Markt.“

 

„Das ist ok“, sagte er bloß. Blaise schenkte ihm eine dunkle erhobene Augenbraue.

 

„Emily ist eine perfekte Zehn auf der Skala. Wenn du sie dir nicht nimmst, tut es wer anders.“ Draco lachte auf.

 

„Ich bitte darum. Emily ist unverheiratet und dreißig Jahre alt. Sie wird heiraten wollen, Kinder haben. Ich bin… fertig damit.“

 

„Du bist noch nicht tot, Draco“, mahnte Blaise und schnalzte mit der Zunge.

 

„Es reicht, dass Scorpius das jetzt alles machen wird. Ich werde genug beteiligt sein“, prophezeite er finster.

 

„Ok“, sagte Blaise abwehrend. „Wenn das deine Logik ist. Du schlägst den Hauptgewinn aus, dafür dass du ein ruhiges Leben bis ins Grab führen kannst. Wenn du das willst.“ Hauptgewinn. Das Wort schwirrte in seinen Gedanken umher. Angeblich war jemand anders der Hauptgewinn, dachte er spöttisch. Das wünschte sie. Zu wenig Selbstbewusstsein besaß Hermine Weasley nicht, überlegte er. Aber das sollte nur vorteilhaft sein für die Ministerkandidatur. Draco hatte Gerüchte gehört. Und das Schlimme war, er nahm an, diese Person könnte tatsächlich Chancen auf das Amt haben. Leute kannten ihren Namen, wussten, was sie geleistet hatte. Aber er nahm, käme ihre neueste Affäre ans Licht würden die Punkte fallen. Grimmig verzog er den Mund. Hauptgewinn. Als ob.

Er konnte sie und Narzissa nicht mehr entdecken, ging ihm auf, als er das Gelände absuchte. „Malfoy!“, fuhr Blaise ihn entrüstet an.

 

„Ich überlege es mir“, erwiderte Draco diplomatisch.

 

„Ich empfehle es dir. Lass uns reingehen, Geburtstagskind. Sonst jagt mir Pansy sämtliche Flüche auf den Leib.“ Blaise musste gerade reden. Als ob er noch einmal Lust darauf hätte, Vater zu werden, frisch verheiratet zu sein. Es war leicht reden für alle anderen. Draco hatte sich noch keine Gedanken über seine Zukunft gemacht. Die letzten zehn Jahre hatte er beide Hände damit zu tun gehabt, Scorpius zu leiten und zu führen. Ins Verderben zwar, aber er hatte sich gekümmert. Scorpius hatte eine gute Ausbildung gemacht, wäre ein perfekter Reinblüter, was auch immer das bedeutete, wenn da nicht seine verdammte Vorliebe für eine spezielle Weasley-Frau wäre. Draco hatte es nicht nachvollziehen können, und es hatte ihn gute Lebensjahre gekostet, einfach wegzusehen. Scorpius einfach machen zu lassen. Und er glaubte, er brauchte eher eine Pause, als eine neue Frau. Eine so junge Frau. Er wurde schon müde, alleine beim Gedanken daran.

 

Und heute war sein Geburtstag. Geburtstage hörten auf, Spaß zu machen, ungefähr mit neun. Mit neun hatte er zum ersten Mal von der Familienbürde gehört. Zum ersten Mal ein ernstes Gespräch mit Lucius über seine Zukunft führen müssen. Darüber, dass er einen perfekten Schnitt haben musste, Vertrauens- und Schulsprecherabzeichen nach Hause zu bringen und Voldemorts Regime mit offenen Armen zu begrüßen und zu verinnerlichen hatte. Ihm wurde deutlich erklärt, wer ein Schlammblut war und wer nicht. Wer es wert war, seine Aufmerksamkeit zu bekommen, und kalte Schauer befielen ihn manchmal immer noch, wenn er träumte, dass der Krieg noch nicht vorbei war. Dass er noch immer auf der falschen Seite feststeckte.

Nein, er hielt nichts von Muggeln. Sicher nicht. Aber getan hatten sie ihm, soweit er es beurteilen konnte, nicht sonderlich viel. Gut, zwei von ihnen hatten scheinbar eine Hexe gezeugt, die ihm seinen Nerv raubte – und nicht nur sie, nein, ihre Tochter gleich mit.

 

Aber Hermine Weasley war kein Schlammblut. Fünf Jahre magische Therapie, und er war immerhin soweit, dieses Zugeständnis zu machen. Zwar würde er ihr diesen Fortschritt niemals ins Gesicht sagen, denn wozu? Es ging ihm unwesentlich besser. Seine Frau war verstorben, sein Sohn war eine Qual, er hatte Geburtstag und würde auch noch Großvater werden. Sein Mund verzog sich.

Und zu allem Übel war sie aufgetaucht! Sie würde seinen Geburtstag gehörig verderben. Und er würde Narzissa vierteilen dafür!

 

 

6. the last crazy thing

 

Hermine kam es vor, als wäre es immer so gewesen. Sie alleine auf irgendwelchen Malfoy-Festen. Es musste anstrengend sein, so viel Gold zu haben. Alle schienen immer rauschende Partys zu erwarten. Sie nahm an, die Hälfte des Malfoy-Vermögens ging drauf für teure-

 

„-wie geht es Ihnen, Mrs Weasley?“

 

Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, angesprochen zu werden.

 

„Ich – danke, gut“, entkam es ihr reflexartig. Sie war es so sehr gewöhnt, zu lügen, dass sie gar nicht ernsthaft darüber nachdachte, die Wahrheit zu sagen. Und natürlich wollten die Leute auf so eine Frage nicht die Wahrheit hören. Es würde den gesellschaftlichen Rahmen sprengen. Außerdem war diese Gesellschaft hier sowieso verlogen.

 

„Schön, dass Sie kommen konnten.“ Scorpius schien zwanghafte Konversation mit ihr zu betreiben. Sie nahm an, Rose war daran schuld. Und er hatte Glück, denn hier, vor versammelter Familie, würde sie ihn nicht ignorieren oder anschreien können.

 

„Meine Tochter hat mir nahe gelegt, dass es unhöflich wäre, eine Einladung auszuschlagen“, erwiderte sie, absolut nicht um Höflichkeit bemüht. Er schenkte ihr ein so absolut nichtssagendes Lächeln, dass sie erschöpft ausatmete. „Es ist ein nettes Resort“, ergänzte sie mit einem knappen Blick in die Runde.

 

„Jaah“, entgegnete er. „Wir sind hier jedes Jahr.“ Ihr fiel etwas ein. Wo er schon gerade hier war, dieser kleine Mistkerl.

 

„Scorpius, weißt du zufällig, ob deine Großmutter mich eingeladen hat?“ Sie hatte die Stimme gesenkt. Sie war heute schon mit Narzissa durch den Park spaziert, hatte mehr oder weniger subtil versucht, herauszufinden, ob Narzissa Malfoy sich in irgendeiner Art und Weise mit Lust-Zaubern auskannte, aber sie hatte nichts aus der alten Schachtel rausbekommen.

 

„Meine Großmutter?“, wiederholte er bloß, etwas ratlos.

 

„Sie… hat die Geschenkkörbe auf eurer Hochzeit gepackt, oder?“ Sie nahm an, Scorpius zu fragen, war ähnlich fruchtlos, wie seinen Vater um Antworten zu drängen.

 

„Ich – keine Ahnung“, entkam es ihm achselzuckend. „Wahrscheinlich.“ Hermine wusste, sie käme so nicht weiter. Und sie wusste auch, es gab gerade andere Meilensteine im Leben dieser jungen Idioten.

 

„Wie… geht es dir?“, fragte sie also, mehr oder weniger interessiert. Hermine hatte keine besonders große Lust, sich Mühe zu geben. „Mit der Schwangerschaft und all dem“, machte sie deutlicher, als sie wieder seinen ratlosen Blick geschenkt bekam. Und immer deutlicher erinnerte er sie an seinen Vater. Sie sahen sich verblüffend ähnlich. Widerlich.

 

„Gut“, sagte er, und sie kannte diese einsilbigen Gespräche schon von ihrer Tochter, und es trieb sie immer zur Weißglut.

 

„Ok“, gab sie sich geschlagen und atmete aus.

 

„Dann… bis später“, verabschiedete er sich, genau passend, denn der Ehrengast betrat den Saal und Korken knallten so laut, dass sie fast aufgesprungen wäre und ihren Zauberstab ziehen wollte. Merlin! Die Kellner fingen sogar an zu singen.

Sie saß etwas abseits an der Tafel, fixierte ihre Tochter, die sich schließlich nach höflichem Applaus neben Scorpius setzte und ihr immerhin ein Augenzwinkern schenkte. Hermine verzog den Mund, hasste, dass sie hier war, neben wildfremden Reinblütern sitzen musste und so zu tun hatte, als interessiere sie sich einen feuchten Eulendreck dafür, ob Draco Malfoy Geburtstag hatte. Ihr Geschenk für ihn war sparsam ausgefallen, war auch das kleinste auf dem Haufen an Geschenken und beinhielt nicht viel mehr, als die olivgrüne Krawatte, die ihr so viel Leid beschert hatte. Sie hatte es witzig gefunden. Auf eine bittere Art und Weise.

 

Sie beobachtete ihre Tochter, und Rose war nicht anzusehen, dass sie Ron vermisste. Wie konnte es sein, dass beide, Ron und Harry, Kinder hatten, die nicht mehr mit ihnen sprachen – und es störte keinen?! Darüber würde Hermine mit ihrer Tochter irgendwann noch reden müssen. Sie war recht dankbar, dass Rose immerhin ihre Unterstützung suchte, sie nicht verstieß. Immerhin. Aber der Preis war sehr hoch.

 

So begann der endlose Abend, und Hermine war dem Champagner auch heute nicht abgeneigt. Anders waren die endlosen Gespräche über Gold und Anlagen auch nicht zu ertragen.

 

~*~

 

Das Essen hatte lange gedauert, sie war drei Gläser Champagner betrunkener, und immerhin besaß Draco Malfoy den Anstand, seine Gäste früh zu entlassen, damit diese im Resort ihren Spaß haben konnten. Es gab etliche Poolanlagen, professionelle Masseure, die man buchen konnte, neben Sportangeboten, alle extra heute für Malfoys Feier ausschließlich für die Gäste reserviert, und um zehn Uhr wurde zum Abend-Snack geladen, und es würde eine Band spielen, während Cocktails gereicht wurden.

 

In ihrem Zimmer angekommen, sah sich Hermine einem endlos langen Abend gegenüber gestellt. Rose zwang sie, aufzutauchen, verbrachte ihre Zeit aber natürlich mit Scorpius – nicht mit ihr. Und Hermine glaubte auch nicht, noch ein Gespräch mit Rose ertragen zu können, über Kindererziehung, oder was auch immer. Hermine war von einer mäßig netten Hexe darüber aufgeklärt worden, dass man den unteren Teil des Resorts nur in Badekleidung zu betreten hatte. Es wäre eine Alternative, und Rose hatte ihr aus übertriebener Vorsicht tatsächlich einen ihrer alten Bikinis mitgebracht. Man konnte es glauben oder auch nicht, aber Hermine besaß keine Badebekleidung mehr. Sie konnte sich nicht mal erinnern, wann sie das letzte Mal schwimmen gewesen war. Es war Jahrzehnte her.

 

Und mehr aus Zufall war Hermines Blick auf den Garderobenschrank gefallen, als sie mit der Badebekleidung ins Badezimmer hatte verschwinden wollen, um sich umzuziehen. In dem kleinen Fach lehnte eine Karte, die ihren Namen trug. Zuerst glaubte sie, es handele sich lediglich um ein Namensschild, oder etwas ähnliches, aber als sie die Karte nahm und aufklappte, war sie überrascht, eine handgeschriebene Notiz zu finden.

 

‚Triff mich unten, Raum C. Wir müssen reden.‘

 

Sie erkannte die Handschrift nicht, aber es wäre wohl auch nicht möglich, denn der kurze Text war mit einer Schönschreibe-Feder verfasst, die immer gleich schrieb. Benutzte Rose so etwas, fragte sie sich dumpf. War die Nachricht von Rose? Von wem sonst? Wer hatte sonst Zutritt zu ihrem Zimmer – oder, wer verschaffte sich sonst Zutritt? Sie atmete aus. Wahrscheinlich würde nur ihre Tochter darauf verzichten, mit Namen zu unterschreiben. Aber würde Rose eine Notiz an sie nicht mit ‚Mum‘ beschriften? Fast war sie neugierig. Zumindest würde es bedeuten, dass ihre Tochter doch mit ihr Zeit verbringen wollte. Und Hermine hatte ohnehin nach unten gehen wollen. Immerhin hatte Rose sich die Mühe gemacht, einen privaten Raum zu buchen.

 

In den weichen Bademantel gepackt, begab sich Hermine hinab in das Labyrinth aus gefliesten Gängen und Lavendelduft. Pompöse tropische Topfpflanzen standen an jeder Ecke, Wassertropfen erfüllte die feuchte Luft, und irgendwann fand Hermine den Erholungsraum C. Die Tür war angelehnt und sie betrat das riesige Areal.

Der Ruheraum war ein schmaler, holzgetäfelter Gang, der zunächst an den Duschräumen vorbeiführte, hin zu einer riesigen, privaten Sauna, die bereits vor Dampf stand, und ganz am Ende öffnete sich der Gang, offenbarte eine hohe Decke, einen magischen Sonnenuntergang und eine spiegelglatte Pooloberfläche eines ovalen Pools, mit türkisen Mosaikfliesen. Es war kein Raum. Es war eine eigene Badeanstalt. Es wäre nett, so was Zuhause zu haben, nahm sie an.

 

Sie schritt zur Sauna, öffnete die Tür, aber natürlich saß Rose nicht im Innern. Sie war auch schwanger und sollte überhaupt keine Sauna aufsuchen. Hermine wartete also noch etliche Minuten, bevor sie gelangweilt zum Schwimmbecken schritt. Wo blieb ihre Tochter? Sie war diejenige gewesen, die hatte reden wollen.

 

Irgendwann stand sie vor dem künstlichen Sonnenuntergang und glaubte nicht mehr daran, dass Rose noch auftauchen würde. Sie überlegte, ob sie eine Runde schwimmen sollte und Roses Notiz einfach ignorierte, aber dann hörte sie, wie jemand den Raum betrat. Merlin, endlich! Vielleicht wäre ihr erstes Thema auch, dass Rose anfangen sollte, etwas mehr auf Pünktlichkeit zu achten, und dass man Leute nicht warten ließ.

 

Sie schritt um den Pool zurück zum Gang und verharrte direkt.

Unschlüssig sah er ihr entgegen, den dunklen Bademantel fest verschlossen, und ihr Mund öffnete sich, bevor sie gereizt ausatmete.

 

„Mach es kurz“, schien er sie zu warnen, und alle Worte erstarben auf ihren Lippen. Was?! Er schien nicht im Geringsten überrascht, sie vorzufinden. Absolut nicht. Die Notiz war nicht von Rose gewesen, wurde ihr klar. Sie… war von Malfoy!

 

„Du… du willst mit mir reden?“, entkam es ihr mehr als ungläubig, und er verzog den Mund.

 

„Nicht wirklich, nein“, widersprach er bitter.

 

„Warum bist du dann hier?“, wollte sie ungläubig von ihm wissen. Er zitierte sie her und verhielt sich, als wüsste er nicht Bescheid.

 

„Weil du reden willst“, erwiderte er genervt.

 

„Ich?“ Das Wort verließ absolut entgeistert ihre Lippen.

 

„Ich werde nicht mit dir schwimmen gehen“, schien er sagen zu müssen, und ihr Mund öffnete sich verstört, als er ihre Aufmachung betrachtete.

 

„Ich habe nicht vor, mit dir zu schwimmen, Malfoy“, sagte sie seltsame Worte, und er nickte.

 

„Ich werde auch nicht-“, begann er ablehnend, aber Hermine hatte begriffen. Sie war nicht dumm. Die meiste Zeit über war sie ziemlich clever. Nur gab es Momente, da setzte ihr Gehirn einfach aus.

 

„-du hast auch eine Notiz bekommen?“, vermutete sie mäßig tonlos, und er schwieg abrupt.


„Was?“ Jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit.

 

„Ich hatte eine Nachricht in meinem Zimmer von einem Unbekannten Absender, und anscheinend war das bei dir auch der Fall“, schloss sie grimmig. Er runzelte die Stirn. Tatsächlich zog er seine schmale Karte aus der Tasche seines Bademantels. Sie erkannte seinen Vornamen, kam näher und griff sich hastig die Karte, als könne sie verschwinden. Seine Karte war nicht anonym, nein! Sie hatte unterschrieben! „-ein Waffenstillstand wäre angemessen?!“, las sie entrüstet und sah ihn ungläubig an. „Ernsthaft? Du denkst, so etwas schreibe ich?“ Sein Mund schloss sich knapp. „Das ist kein Zufall!“, fuhr sie ihn jetzt an. „Der dämliche Zauber, die Karten – die Tatsache, dass ich hierher eingeladen wurde!“

 

Sein Mund öffnete sich unschlüssig. „Deine Familie ist krank, Malfoy!“, zischte sie. „Ich gehe!“, schloss sie wütend, marschierte an ihm vorbei, erreichte die Tür, die mittlerweile geschlossen war – und zog.

 

Sie gab nicht nach. Hatte Malfoy sie geschlossen? Sie hörte, wie er neben sie trat, sie praktisch zur Seite schob, nur um selber nichts ausrichten zu können.

 

„Deinen Zauberstab“, entfuhr es ihm befehlsgewohnt, und sie sah ihn an.

 

„Ich habe ihn nicht mitgenommen. Nimm deinen Zauberstab“, knurrte sie, aber der Blick aus seinen Augen sagte ihr, dass er sie nur fragte, weil er ebenfalls keinen Zauberstab dabei hatte. So ein Mist.

Und mittlerweile war sie sich absolut sicher, dass jemand die Tür mit voller Absicht verschlossen hatte. „Scheiße!“, entkam es ihr, und blind schlug sie gegen das dicke Holz. „Hallo?“, brüllte sie, aber draußen rührte sich nichts.

 

„Weg“, informierte er sie lediglich, und sie wich zurück. Er warf sich praktisch gegen die verschlossene Tür, brüllte anschließend nach Hilfe, hämmerte mit Fäusten so hart gegen das Holz, dass sie fast befürchtete, dass es brechen würde, aber die Tür blieb verschlossen und auf dem Flur draußen herrschte weiterhin Stille.

 

„Das… das ist Absicht!“, äußerte er mit rauer Stimme ihre Gedanken.

 

Hermine begriff es nicht. Wer sollte so etwas tun? Wer sollte so etwas wollen? Wie konnte es sein, dass sie schon wieder mit Draco Malfoy in einem Raum war?!

 

Ein weiteres Mal warf er sich gegen die Tür. „Fuck!“, entfuhr es ihm haltlos. „Hallo? Irgendjemand?“, schrie er wütend, bevor er von der Tür abließ.

 

„Malfoy“, flüsterte sie fast, als sie die feinen magischen Wellen und Funken um das Holz erkannte, die je nach Lautstärke, ausschlugen und sich wieder beruhigten. „Der Muffliato liegt auf der Tür“, ergänzte sie still.

 

Sofort ließ er von der Tür ab, wich zurück, und schien etliche Sekunden zu benötigen, um sich zu sammeln. Dann fuhr er zu ihr herum. „Wie kannst du so blöd sein, hier alleine runter zu gehen? Hast du irgendwen im Gang gesehen? Irgendwen?“, wollte er wütend wissen, aber sie war die falsche Person, die er anschrie.

 

„Was willst du von mir? Du bist genauso alleine hier!“

 

„Du bist doch angeblich so verdammt schlau, dann hättest du das durchschauen können!“, blaffte er, mehr als nur etwas gereizt.

 

„Durchschauen? Was zur Hölle hätte ich durchschauen sollen? Dass tatsächlich irgendjemand hier so absolut krank ist, dass er dich und-“ Sie schwieg plötzlich. „Rose“, flüsterte sie leer. Rose war zu ihr gekommen, hatte sie überredet, hier aufzutauchen und Rose könnte die Notiz geschrieben haben. Es musste… Rose sein. Oder? Sie blickte verzweifelt zur Seite.


„Rose?“, wiederholte er ungläubig. „Du denkst, deine Tochter ist verantwortlich? Wie krank ist das bitteschön?“

 

„Es macht keinen Sinn“, begann sie, und er lachte hart auf.


„Nein, es macht überhaupt keinen Sinn. Das denkst du doch wohl nicht?“

 

„Sie kam zu mir. In mein Büro und hat mich gezwungen, hier aufzutauchen, weil…“ Noch immer konnte sie ihn nicht ansehen.

 

„Weil Rose einen neuen Daddy haben möchte?“, schloss er sehr scharf. „Garantiert“, ergänzte er kalt. Hermines Blick hob sich angewidert.

 

„Nein!“, sagte sie mit zitternder Stimme. Denn nein! Rose würde so nicht denken, würde das nicht wollen. Es war… ekelhaft. Und dann schwieg sie plötzlich. „Die Box“, entkam es ihr schwach.

 

„Die Box?“, wiederholte er.

 

„Sie… ist aus dem Scherzartikelladen“, flüsterte sie. Kurz schien er nicht zu begreifen, bevor er den Mund verzog.

 

„Der Laden verkauft Lust-Zauber?“, entkam es ihm angeekelt, aber Hermine atmete gereizt aus.

 

„Nein, der Laden verkauft aber dumme Scherzartikel, wie Liebeszauber-Boxen, die man mit ein wenig Geschick umwandeln kann“, korrigierte sie ihn. Sie Augenbraue hob sich.

 

„Das hast du also ausprobiert, ja?“, wollte er angewidert wissen, aber sie stöhnte auf.

 

„Darum geht es nicht, Merlin noch mal!“, knurrte sie. „Es geht darum, dass es ein Produkt aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze ist, verdammt!“, fuhr sie ihn an. „Rose hätte-“

 

„-Rose hätte was?“, unterbrach er sie fassungslos. „Den Zauber ändern, die Box verstecken und meine Krawatte stehlen können?“ Es klang… nicht wirklich schlüssig. Aber nichts machte noch Sinn! „Rose hat keinen Zugang zu den Zimmern hier“, ergänzte er dann. „Aber Narzissa würde nicht in einen Scherzartikelladen spazieren, um-“

 

„-deine Mutter?“, unterbrach sie ihn stirnrunzelnd.

 

„Sie hat dir die Einladung zukommen lassen“, erwiderte er, was er wohl herausgefunden hatte.

 

„Das weiß ich schon“, entfuhr es ihr, denn sie hatte auch gefragt.

 

„Vielleicht ist das alles ein Zufall-“, begann er, und als sie protestieren wollte, hob er die Hände, „-oder es ist eine Teamleistung“, fuhr er scharf fort, und sie schwieg schließlich. Denn, egal, was es war, es klang nach einem Fehler. Es klang… absolut willkürlich und nicht nach einem guten Plan. Weshalb sie Rose überhaupt als Hauptverdächtigen in Erwägung zog. Ihre Tochter war nicht klug genug. Aber sie glaubte nicht, dass Rose irgendein Interesse daran hatte, die Familien zusammenzubringen – auf diese Art und Weise.

Abwesend biss er auf seine Unterlippe, und sie sah zu ihm auf, ein wenig verloren, ein wenig verzweifelt. Sie fühlte sich manipuliert, und sie war völlig bereit, seiner Familie diese Aktion in die Schuhe zu schieben.

 

Sie hatte mit ihm geschlafen. Zweimal!

 

Es schüttelte sie mit einem Mal vor Ekel, und sie wandte sich ab. Sie kam sich schäbig vor, und ein bisschen dumm, dass sie tatsächlich hier aufgetaucht war. Dass sie sich tatsächlich von Rose ein schlechtes Gewissen hatte machen lassen. Wegen Malfoy!

 

„Da!“, vernahm sie seine Stimme, und sie wandte sich um, vergaß ihr eigenes Leid, und folgte seiner Geste. Sein Zeigefinger deutete an die stuckverzierte Decke. Ihr Mund öffnete sich perplex. So viel zum Zufall. In der Luft schwebte eine gefaltete Notiz. Sie erkannte dasselbe dicke Pergament, auf der die Nachrichten verfasst gewesen waren. „Jemand spielt mit uns“, erkannte er mit bitterer Fassungslosigkeit.

 

„Wie kommen wir da dran?“, wollte sie lediglich wissen und erntete seinen Blick.

 

„Es interessiert mich einen Scheißdreck, was auf dieser Karte steht!“, informierte er sie, und kurz war sie geneigt, ihm zuzustimmen, denn es interessierte sie ebenso wenig. Aber darum ging es schon nicht mehr.

 

„Das ist unser Ausweg. Ich habe auch keine Lust, an einem Spiel zu partizipieren, was mich dieser Demütigung aussetzt, aber ich will so schnell wie möglich weg von hier!“, fasste sie ihr Leid zusammen, und seine Augen verfolgten finster die flatternde Notiz über ihnen.

 

„Sie wird nicht runter kommen“, war alles, was er sagte. Sie sah ihn wieder an. „Das heißt“, fuhr er gedehnt fort, „wir müssen da hoch“, schloss er schlicht.

 

„Wie?“ Die Notiz schwebte knapp drei Meter über ihnen.

 

„Es wird dir nicht gefallen, so viel kann ich dir versichern“, entgegnete er mit einem sehr eindeutigen Blick, und sofort machte sie einen Schritt weg von ihm.

 

„Nein“, sagte sie schon einmal vorsintflutlich und schüttelte den Kopf.

 

„Zeig mir einen Stuhl und ich löse das Problem ohne dich“, erwiderte er glatt, und fast hilfesuchend sah sie sich um, umwanderte das kleine Areal, aber natürlich ließ sich kein Stuhl finden.

 

„Nein“, sagte sie wieder, als sie zu ihm zurückkam. Sein Ausdruck wirkte genauso unbegeistert. „Du wirst mich fallen lassen“, prophezeite sie bitter.

 

„Du fällst weich“, behauptete er, mit Blick auf den Pool, über dem die Notiz beinahe schwebte. Ihre Augenbrauen hoben sich. „Und ich lasse dich nicht fallen.“

 

„Wir sind zu alt für so was“, kürzte sie diese Argumentenkette ab, und er belächelte sie tatsächlich.

 

„Das mag für dich zutreffen. Im Gegensatz zu dir, habe ich mich nicht gehen lassen. Ich mache Sport“, behauptete er kalt, und sie verschränkte die frottierten Arme vor der Brust.

 

„Ach ja? Zwei Runden Sex und magisches Tontaubenschießen gilt neuerdings als Sport?“ Manchmal war sie schlagfertiger, als Menschen annahmen, und manchmal sollte sie einfach den Mund halten.

 

„Schön, wenn du mich beobachtest, aber nein“, bemerkte er ruhig. „Neben Sex mit dir und Tontauben schießen verfolge ich noch wesentlich befriedigendere Tätigkeiten.“

 

„Du bist so unfassbar ätzend, dass ich mich direkt übergeben könnte“, fasste sie ihre direkten Gedanken in leere Worte, und er lächelte wieder.

 

„Danke, gleichfalls“, erwidere er, ohne jede Freundlichkeit im Blick. „Bist du dann fertig?“, wollte er kalt wissen.

 

„Ich steige nicht auf deine Schultern, Malfoy!“, fuhr sie ihn gereizt an.

 

„Möchtest du hier raus, oder möchtest du deinen Abend wieder einmal mit mir verbringen?“, fragte er sie jetzt, und ihr Mund hatte sich fest geschlossen. „Denn ich bin ehrlich – ich will hier raus. Ich würde es begrüßen, dich monatelang nicht zu sehen, nicht deinen Namen zu denken und still zu hoffen, dass sich die Ehe unserer Kinder klanglos zerschlägt“, entgegnete er bissig.

 

Ja, so in etwa sahen ihre Hoffnungen ebenfalls aus.

 

„Fein“, spuckte sie ihm schließlich entgegen, öffnete ihren Bademantel, und das Déjà-Vue überkam sie mit aller Macht. Kurz überflog sein Blick ihren Körper, der vielleicht in den letzten zwei Wochen durch massive Überstunden schlanker geworden war, aber garantiert nicht jünger.

 

„Du bist zu alt für diesen Look“, bemerkte er bloß, mit Blick auf den schwarzen Bikini, den sie trug.

 

„Stell dir vor, es interessiert mich nicht, was du denkst!“, knurrte sie böse. Arrogant öffnete er ebenfalls seinen Bademantel, und sie erlaubte sich nicht, den Blick zu senken, seine dunkle Badeshorts zu fixieren. Sein Oberkörper war für sein Alter relativ muskulös und fest, und ja, er gewann wahrscheinlich ein Kräftemessen mit ihr, was Fitness betraf, aber das reizte sie nur noch mehr. Ihr fiel auf, was ihr letztes Mal nicht aufgefallen war, aber schnell hob sich ihr Blick zu seinem ätzenden Gesicht. Er trug das Mal nicht mehr. Und sie hoffte, das vernarbte Gewebe auf seinem Unterarm schmerzte ihn zumindest dann und wann. Dämliches Todesser-Arschloch, dachte sie zornig. Unfassbar, was für einen schlechten Geschmack ihre Tochter besaß. Und gnade ihr Merlin, sollte Hermine herausfinden, dass Rose verantwortlich für all das hier war!

 

„Das schaffst du niemals“, stellte Hermine schließlich fest, und auch Malfoy wirkte kurz nachdenklich. Dann schritt er zur Einstiegleiter des Pools und ging in die Hocke.

 

„Das werden wir rausfinden.“ Er betrachtete sie von unten herauf. „Wie viel wiegst du?“, fragte er sie knapp, und sie verzog den Mund, als sie näher kam.

 

„Weniger als du“, behauptete sie lediglich, denn es ging ihn nichts an. Sie waren zu nackt, ging ihr wieder einmal auf. Sie hasste, dass es sie nicht einmal groß schockierte, dass sie genau wusste, wie er ohne Kleidung aussah. Und sie hasste, dass sie weniger Scheu besaß, als sie besitzen sollte, als sie sich hinter ihn stellte, und zaghaft seine Schultern berührte. Seine Hand hielt sich an der glänzenden Leiter fest, und Hermines Magen fühlte sich nicht gut an. Sie hatte Höhenangst. Das war der Grund, warum sie Quidditch immer gehasst hatte. Das, und ihre massiven Koordinationsprobleme.

 

„Brauchst du eine Extraeinladung, oder-?“, begann er gereizt, aber sie atmete gepresst aus.

 

„-halt den Mund“, murmelte sie, nicht mehr schlagfertig, und hob ihr Bein über seine Schulter. Seine Haut war wärmer als ihre, und sie hasste jede Sekunde hiervon. Sie stützte sich ebenfalls an der Leiter ab, als sie auch mit dem anderen Bein über seine Schulter stieg. Wacklig saß sie auf ihm, und spürte, wie er tief Luft holte.

 

„Bleib gerade“, informierte er sie.

 

„Das ist verdammt gefährlich, Malfoy“, flüsterte sie jetzt panisch, als ihr tatsächlich aufging, dass dieses Manöver sehr leicht lebensbedrohlich werden könnte, aber er machte ein gereiztes Geräusch.

 

„Nicht, wenn du gerade bleibst“, erwiderte er wenig hilfreich, und sie hielt die Luft an, als er sich plötzlich abstieß, in die Höhe stieg und sie jeden Halt unter den Füßen verlor. Er war stärker, als sie angenommen hatte. Wesentlich stärker, aber auch er schien seine ganze Kraft aufbringen zu müssen. Ihr Atem ging schnell, und so weit oben wurde ihr schwindelig. Sie krallte sich praktisch in seine dichten Haare, und war sehr froh, dass er es nicht kommentierte. Er atmete angespannt durch die Nase, und keine Armlänge über ihr schwebte die Notiz. Sie musste nur den Arm ausstrecken. Nur ein Stück. Sie wankte nach hinten, als sich ihre Hand löste, und sofort reagierte er, glich die Balance aus und schnappte wütend nach Luft.

 

„Du-sollst-verdammt-noch-mal-gerade-bleiben!“, zischte er durch zusammengebissene Zähne, und es tat ihr tatsächlich leid, aber sie sagte gar nichts, zwang ihre Ängste nieder, griff mit kalten zitternden Fingern nach der Notiz, und als sie den Arm hastig wieder runter riss, krümmte sie ihren Oberkörper, und dieses Mal konnte er ihren Fehler nicht ausgleichen, wankte mit ihr nach vorne, und schon fielen sie kopfüber nach vorne und durchbrachen die kühle Wasseroberfläche.

 

Sofort legte sich ihre Angst, aber eilig strampelte sie an die Wasseroberfläche, denn in ihrer Faust befand sich noch immer die Notiz. Er tauchte gleichzeitig mit ihr auf, schüttelte die Haare aus dem Gesicht und schien sich sehr kurz zu vergewissern, dass sie ok war, denn sein Blick flog über ihre Gestalt, bevor er den Mund verzog.

 

„Immerhin hast du uns nicht umgebracht“, sagte er gereizt, und sie schwamm eilig an den Rand, um die nasse Notiz zu entfalten. Sie hoffte, sie war nicht zerstört. Sie erkannte eine verlaufene Zeichnung. Darunter standen die Worte, kaum noch leserlich, aber vorhanden: Such mich, wo die Hitze herrscht.

 

Er schwamm neben sie, stützte sich ebenfalls ab und betrachtete die Notiz.

 

„Das ist ein Schlüssel“, stellte er lediglich fest, und schien die Zeichnung zu meinen.


„In der Sauna!“, kam ihr die Lösung, und sie würde Albträume von diesem Abend bekommen, so viel stand fest.

 

„Ich gehe“, erwiderte er, schwamm in wenigen Zügen zur gegenüberliegenden Leiter, und sie war ganz froh, denn ihre Knie waren noch sehr weich. Sie warf die Notiz zornig auf die Fliesen und war dankbar, nicht gestorben zu sein. Sie schwamm zur Beruhigung einige Bahnen, während sie auf Malfoy wartete. Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür der Sauna, aber sein verschwitztes Gesicht wirkte mäßig unzufrieden. „Ich finde ihn nicht“, informierte er sie und schien eine Pause zu brauchen. Sie zog sich am Rand des Beckens nach oben, nur um dort sitzen zu bleiben. Das Tropfen ihrer Haare ins Becken war das einzige Geräusch, und kurz schloss sie die Augen, atmete lange ein und bedeckte anschließend ihr Gesicht mit ihren Händen, um wieder auszuatmen. Sie lehnte sich vor, legte ihre Arme auf ihren Beinen ab und starrte in das klare Wasser, was durch die bewegten Mosaike absurde Formen annahm.

 

Sie spürte seinen Blick auf sich, aber sie wollte ihn nicht ansehen. Sie wusste nicht, ob die Person, die hierfür verantwortlich war, das ernsthaft witzig fand. Ob sie Spaß daran hatte, ihr Leben durcheinander zu bringen.

Hermine fand es furchtbar und geschmacklos. Und es hätte sehr viel schief gehen können, gerade. Sie hätten stürzen können, hätten sich die Beine oder das Genick brechen können.

Vor allem könnte Hermine längst wieder bei Ron sein. Sie hätte sich entschuldigen können, ihm versprechen können, einen Ausweg zu finden. Stattdessen war sie nun gezwungen worden, hier zu sein, nur um in eine weitere Falle zu tappen. Sie hätte nicht zur Hochzeit gehen dürfen. Das wusste sie jetzt. Dann wäre Rose wütend gewesen – na und? Rose war ohnehin nicht das Kind, auf das Hermine stolz war, so weh es tat, so zu denken. Aber wegen Rose war alles furchtbar geworden. Und dann würde es nicht halten. Mit Kind oder ohne, Hermine war sich sicher. Gott, Rose bekam ein Kind. Dann wären sie für immer mit den Malfoys verbunden, egal, wie früh Rose sich scheiden lassen würde.

 

„Hey“, riss sie seine Stimme beinahe ruhig aus ihren Gedanken. Er setzte sich neben sie, und Hermine fühlte sich nicht wie Mitte vierzig, nicht wie eine erwachsene Frau, die vieles besser wissen sollte. Irgendwie hatten die letzten Wochen geschafft, sie einzuholen, ihr einen Dämpfer zu verpassen. Wer war sie, dass sie von irgendwem verlangen konnte, sie zur Ministerin zu wählen? Wenn die Wähler wüssten, was für eine Katastrophe sie war! Sie brauchte dringend Hilfe. Aber wen sollte sie fragen? Wohin sollte sie gehen? Noch hatte sie sich nicht mal mit der Familie auseinandergesetzt. Mit allen Weasleys, die natürlich über kurz oder lang Rons Seite wählen würden. Sie war der Außenseiter. Sie war angeheiratet. Und sollte Ron die Scheidung einreichen, dann… wäre sie die Exfrau. Wenn er wen anders kennenlernen würde? Wenn er…-

Sie schluckte schwer. Sie verdiente wirklich nichts Besseres, als das hier. Eingesperrt sein, auf einer weiteren Feier, mit dem Teufel persönlich. Mit leerem Ausdruck hob sie den Blick zu seinem Gesicht. Er hatte Recht. Sie wollte sein Gesicht auch nicht mehr sehen, auch nicht mehr seinen Namen denken. Sie hatte genug. Ruckartig erhob sie sich, ließ ihn sitzen, wischte sich wütend die aufkommenden Tränen vom Gesicht und riss die Tür zur Sauna auf. Sie war magisch, und deshalb entwich kein Dampf nach draußen. Sie kniff die Augen zusammen, tastete die warmen hölzernen Wände ab, griff blind nach den Bänken und hörte wie er die Sauna betrat.

 

„Warte!“, sagte er gepresst. „Ohne System-“

 

„-ich will hier raus, Malfoy!“, unterbrach sie ihn, ohne Geduld, ohne ihre Aufgelöstheit verbergen zu können.

 

„Das will ich auch, aber ohne Plan wird es ewig dauern!“, widersprach er gereizt.

 

„Dann such die Bänke ab, ich suche am Boden!“, fuhr sie ihn zitternd an, ging auf die Knie, und zornig tastete sie den Boden ab, krabbelte schluchzend weiter, bis sie spürte, wie sich seine Hände um ihre Oberarme legten und sie in die Höhe zogen. „Lass mich, Malfoy!“, rief sie wütend, aber sein Griff wurde lediglich fester und er zog sie nach draußen. Schweiß lief über ihre Stirn und wütend sah sie zu ihm auf.

 

„Beruhige dich“, informierte er sie, ruhiger, als sie geglaubt hatte. „Es ist ok.“

 

„Nichts ist ok!“, entkam es ihr ungläubig, fast hysterisch.

 

„Wir kommen hier raus. Selbst ohne Schlüssel ist es nur eine Frage der-“

 

„-das ist mir klar!“, fuhr sie ihn wieder an, während ihr Atem sich beschleunigte, die Panikattacke nicht mehr weit entfernt. „Es geht mir nicht um diese scheiß Feier hier!“

 

„Ich weiß“, sagte er lediglich, und kurz vergaß sie, panisch zu werden. „Ich weiß das, ok?“, wiederholte er beherrschter. „Das hier ist furchtbar, und glaub mir, sobald ich rausgefunden habe, wer verantwortlich ist, werden es schwarze Tage für diese Person werden. Aber du musst dich beruhigen“, sagte er wieder, und sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht.

 

„Rose hat ihn geheiratet“, flüsterte sie fast, schüttelte ungläubig den Kopf, und ihr Blick schwamm. „Sie… sie hat ihn einfach geheiratet, ohne… nachzudenken, ohne…“ Sie schluckte schwer.

 

„Ich weiß“, sagte er wieder. „Und es tut mir leid.“ Unglücklich sah sie ihn an.

 

„Dir tut es leid?“, wiederholte sie.

 

„Ja“, sagte er bloß. „Es tut mir leid, dass ich Scorpius nicht davon abbringen konnte. Es tut mir leid, dass du alleine auf diese Hochzeit kommen musstest, und es tut mir leid, dass…“ Er beendete den Satz nicht, aber sie nahm an, sie wusste, was ihm sonst noch leid tat. „Dass deine Ehe deshalb endet“, wählte er andere Worte. Sie schniefte und wandte den Blick ab. „Aber dann ist es nicht schlimm“, fuhr er bitter fort. Sie sah ihn wieder an.

 

„Was?“, flüsterte sie verzweifelt.

 

„Wenn dein Mann wegen der Beziehung eurer Tochter seine eigene Ehe schmeißt, dann ist es kein Verlust. Dann ist er ein Arschloch, und dann tut mir nicht mal die Hälfte von dem Leid, was vor zwei Wochen passiert ist“, schloss er tonlos, und wieder schluckte sie schwer. „Nettes Geschenk, übrigens“, wechselte er ruhig das Thema, und sie sah ihn überfordert an. „Es hatte mich interessiert, also habe ich es ausgepackt. Geschmackvoll“, ergänzte er eindeutig, und sie begriff, dass er von der Krawatte sprechen musste. Minimal hoben sich ihre Mundwinkel.

 

„Herzlichen Glückwunsch, Malfoy“, erwiderte sie schließlich. „Ich nehme an, du hattest dir deinen Abend anders vorgestellt?“

 

„Etwas“, entgegnete er ausweichend. Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Also, lass uns den verdammten Schlüssel finden. Dann besorge ich dir persönlich einen Fahrenden Ritter und du kannst nach Hause.“ Er öffnete die gläserne Tür erneut, und Hermine streckte den Rücken durch. Sie trat in den heißen Dampf und atmete den sanften Pinienduft ein.

 

Sie spürte ihn neben sich, konnte seinen Umriss schemenhaft erkennen. „Du links, ich rechts“, sagte er, und sie wusste nicht, warum es gut tat, dass er nicht wahnsinnig wurde, dass er einen kühlen Kopf bewahrte, dass er da war und den Durchblick hatte. Sie machte so viele Fehler, tat sich schwer mit jeder neuen Entscheidung, und sie wusste, diese Entscheidung war genauso dumm wie alle bisherigen, aber bevor er im Nebel verschwinden konnte, griff sie nach seinem Arm, zog ihn näher, und dachte wieder nicht nach. Sie vergaß den Ekel und die Wut. Vergaß, was es bedeutete, und sie lehnte sich nach oben, griff mit der freien Hand in seinen Nacken, und es war ein Kuss ohne Widerstand. Er fand ihre Lippen sofort, und sie hasste, dass sie ihn küssen wollte, weil er der einzige Mann war, der nett zu ihr war. Für eine Sekunde. Denn er war nicht mal nett.

Aber hier im Dampf der Sauna, wo nichts wirklich echt erschien und die Hitze ihren Verstand benebelte, erschien es nicht mal verwerflich – dabei war es das.

 

Sein Körper war heiß gegen ihren gepresst, die Wärme seiner Haut absolut beruhigend, und dann war es eben ihr Geburtstagsgeschenk. Ein letzter Kuss. Denn das war es. Mehr gab es nicht.

Für sie war das der Abschied. Sie würde ihn nicht mehr sehen, bis es nicht absolut nötig war. Zur Scheidung, zur Geburt – zu was auch immer. Deshalb öffnete sie den Mund unter seinen Lippen, seine Zunge drang nach vorne, und es war das letzte Verrückte, was sie tun würde.

 

 

Part 2 – Sense and Merit

„Her coming was my hope each day

her parting was my pain.

The chance that did her step delay

was ice in every vein.“

- Charlotte Bronte

 

 

7. ice in every vein

 

Er studierte den Artikel, mehr oder weniger aufmerksam. Aber es war die Titelseite des Propheten – und zwar die gesamte Seite. Ein rundgerahmtes Portrait von ihr strahlte ihm entgegen, ein wenig nervös, ein wenig überfordert. ‚Madame Minister‘ hieß der Titel des Berichts und erfasste die Geschehnisse der letzten Wochen in knappen Worten.

 

„Du kennst sie persönlich, oder?“, fragte Emily interessiert. „Ich meine, ihr habt gesprochen?“ Draco hob langsam den Blick aus der Zeitung. „Merlin, Draco sieh mich nicht so an!“, sagte sie dann kopfschüttelnd.

 

„Wir kennen uns“, erwiderte er reserviert, denn mehr Worte würde er zu dem Thema Hermine Weasley nicht verlieren.

 

„Die erste Ministerin – und dann auch noch muggelgeboren.“ Emily schüttelte lächelnd den hübschen Kopf. „Die Zauberer sind weit gekommen“, fuhr sie beeindruckt fort. Draco warf die Zeitung von sich und fragte sich sehr kurz, wo die Zeit geblieben war.

 

„Mh“, machte er bloß.

 

„Rose muss wahnsinnig stolz sein“, bemerkte sie dann. „Oder vielleicht auch nicht. Ich frage sie heute.“

 

„Ok“, sagte er dann. Anscheinend sahen sich beide heute? Dann glaubte er, sich zu erinnern. „Du hast heute den Termin?“, fragte er zur Sicherheit, und Emily nickte glücklich.

 

„Rose hat heute ebenfalls einen Termin. Wir gehen zusammen und danach noch in die Stadt. Ich brauche ein paar neue Kleider“, erläuterte sie vielsagend. „Außerdem treffe ich deine Mutter später wegen der Planung des Empfangs?“, erinnerte sie ihn lächelnd, und Draco atmete langsam aus. Richtig.

 

„Ich… muss ziemlich lange arbeiten heute, also-“

 

„-ich habe nicht mit deiner Anwesenheit gerechnet, um Blumen und Farbmuster auszusuchen, Darling“, unterbrach sie ihn amüsiert.

 

„Gut. Wirklich gut“, erwiderte er mit einem schmalen Lächeln.

 

Emily war schwanger. Im zweiten Monat. Draco erinnerte sich an das Gespräch mit Blaise an seinem Geburtstag. Es hatte etwas in ihm wachgerüttelt. Er war noch keine hundert, sein Leben noch nicht vorbei. Irgendwie war eines zum anderen gekommen. Nach… seiner letzten Begegnung mit Hermine Weasley war er… um sein Seelenheil besorgt gewesen und hatte den Kontakt zu Emily Bennett gesucht, war wieder mit ihr ausgegangen, und nach einigen Wochen hatte sie mit ihm reden wollen, hatte das Gespräch führen wollen, hatte wissen müssen, wohin die Beziehung führte, und Draco hatte ihr gesagt, dass er für alles zu haben wäre.

 

So ungefähr. Und jetzt, neun Monate später war er verlobt, würde heiraten, erneut Vater werden, und noch wirkte es alles… neu und seltsam und ungewohnt und es machte ihm Angst. Blaise hatte ihm gratuliert, ihm erklärt, dass er alles richtig mache, aber Draco kam sich vor, wie sein eigener Sohn. Scorpius wurde langsam nervös, denn in weniger als einem Monat würde sein Sohn geboren werden. Ein neuer Malfoy-Erbe. Emily und Rose verstanden sich hervorragend, waren sie auch fast gleichalt. Manchmal schämte sich Draco, aber nur manchmal. Er verstand nicht alles von dem, was Emily bewegte, was sie antrieb. Hörte weder ihre Musik, interessierte sich nicht für ihre Lieblingsbücher, aber sie war eine hübsche, junge Frau, die seine Vorstellungen im Schlafzimmer mehr als nur befriedigte.

 

Und an Hermine Weasley hatte er die letzten Monate keinen Gedanken mehr verschwendet. Er hatte die Wahlkampagne verfolgt, und vielleicht lag es daran, dass es keine echte Konkurrenz gegeben, und dass Minister Abegnale harte Werbung für sie betrieben hatte, aber… es hatte früh festgestanden, wie das Wahlergebnis ausgehen würde.

 

Jetzt war sie tatsächlich Ministerin für Zauberei, und im Artikel hatte er gelesen, dass sie zum Ende des Monats in die Minister-Villa nach Wiltshire ziehen würde. Sie lebte in Trennung, und fast überraschte ihn, dass sie tatsächlich nicht wieder mit Weasley versöhnt war. Rose hatte er einige Male gesehen, aber auch sie schien nicht mit ihrem Vater zu reden. Alles äußerst tragisch. Er hatte nie rausgefunden, wer aus seiner Familie verantwortlich dafür war, dass er in den Genuss ihres Körpers hatte kommen dürfen, und mittlerweile war es so lange her, dass er sich schon nicht mehr sicher war, ob es tatsächlich passiert oder einer seiner wirren Träume gewesen war.

 

Die Minister-Villa war einen Spaziergang von Malfoy Manor entfernt. Er nahm an, sie wusste das nicht. Und er ging davon aus, es interessierte sie auch nicht sonderlich. Rose und Scorpius waren für die Geburt nach Malfoy Manor gezogen, hatten Schottland verlassen, um bei der Familie zu sein, und vielleicht hatte ‚Madame Minister‘ dies auch in ihre Kalkulation miteinbezogen – er wusste es nicht. Scorpius wusste überhaupt nichts, war heillos mit der Situation an sich überfordert, und Rose war nicht gerade die einfachste Person.

 

„-ist das ok?“, unterbrach seine Verlobte seine Gedanken, und er sah sie verständnislos an.

 

„Mh?“, machte er träge, und Emily schüttelte den Kopf über ihn.

 

„Draco“, mahnte sie lächelnd. „Scorpius und Rose kommen heute Abend vorbei. Ist das ok?“

 

„Übernimmst du dich nicht etwas?“, erkundigte er sich, aber sie winkte ab.

 

„Es ist ein Termin beim Heiler, ein Treffen mit deiner Mutter und ein Abendessen mit deinem Sohn. Ich weiß, für einen Senior wie dich ist das viel, aber-“

 

„-sei bloß vorsichtig“, warnte er sie rau. Sie schenkte ihm einen aufreizenden Blick.

 

„Sonst?“, wollte sie lauernd wissen, aber er erhob sich direkt. Sie wich grinsend zurück.

 

„Sonst zeige ich dir, was meinem Alter entspricht“, sagte er ruhig, kam näher, und sie biss sich auf die Lippe. Er berührte sie gerne, griff gerne in ihre feste, straffe Haut, liebte es, wie sich ihr Körper anfühlte, und sie ließ es nur zu gerne zu. Er zog sie zu sich, und sie schlang die Arme um seinen Nacken. Er küsste sie und überlegte bereits, im Büro Bescheid zu geben, dass er später kommen würde, aber sie löste sich wieder von ihm.

 

„Darling, ich muss gleich los“, murmelte sie lächelnd. „Aber ich liebe dich, und vielleicht können wir diese Idee heute Abend fortsetzen?“, schlug sie unschuldig vor.

 

„Ich bitte darum“, erwiderte er und betrachtete stolz die Frau vor sich. Jung und schön, seine Verlobte, schwanger mit seinem Kind – und er hatte ihr noch nicht gesagt, dass er sie liebte. Es war… noch nie dazu gekommen. Er tat sich etwas schwer. Aber anscheinend gab sie ihm die nötige Zeit. Das war beruhigend. Er würde sich bei Gelegenheit mal mit seinen Gefühlen auseinandersetzen müssen.

 

„Soll ich Hermine Weasley zum Empfang einladen?“, wollte sie schließlich wissen, und er runzelte die Stirn. „Ich meine, die Ministerin persönlich zur Bekanntgabe der Verlobung und der Schwangerschaft?“ Sie schien regelrecht begeistert von der Idee zu sein. Dracos Mundwinkel zuckten kurz. „Immerhin seid ihr verwandt“, bemerkte sie stolz. Und diese Worte lösten dasselbe Gefühl in ihm aus, wie schon damals, als Weasley es selber zu ihm gesagt hatte. Sie waren nicht verwandt. Es war ihm unangenehm, aber er sagte etwas anderes.

 

„Sie wird nicht kommen“, schloss er knapp. Enttäuscht sah Emily zu ihm auf. „Ich habe sie seit der Hochzeit nicht mehr gesehen, und sie wird genug zu tun haben mit ihren Aufgaben, ihrem Umzug, der Geburt ihres Enkelkindes, der Scheidung“, zählte er lediglich auf, und Emily seufzte schließlich.

 

„Wahrscheinlich.“ Aber Entschlossenheit war in ihren Blick getreten. „Aber eine Einladung kostet nichts. Absagen kann sie immer noch“, behauptete sie dann.

 

Und das würde sie, dachte Draco, sagte aber nichts dazu.

 

~*~

 

Es war so, dass sie es nicht einmal bemerken würde, selbst wenn sie eine objektive Sekunde Zeit gehabt hätte, sich selber zu betrachten. Ihre Gestalt sprach Bände, ihre Bewegungen verrieten ihren Gemütszustand, und wer behauptete, sie hätte sich übernommen, würde zerschmettert werden. Nicht mit qualifizierten Argumenten, mit Struktur oder Überlegenheit. Sondern mit entwaffnender Wut, schreiender Hysterie. Hermine Weasley, Vorstand der Kommission für Magisches Innenwesen, Vorsitzende der kompletten Abteilungsriege und Oberhaupt des Ministeriums, tobte durch ihr Büro, wie eine wildgewordene Furie, riss die Schubladen auf, schlug die fliegenden Memos mit zitternden Fäusten zur Seite, und sie merkte nicht einmal, wie sie sich in der heillosen Überforderung verlor.

Mit einem Ruck schloss sie die Schreibtischschublade, und die Familienbilder verloren ihren wackligen Halt. Sie fielen flach nach vorne, aber blind starrte sie über den Schreibtisch hinweg.

Sie suchte etwas. Etwas wichtiges, was sie beim Leben ihrer Eltern nicht mehr zu finden vermochte. Sie bemerkte nicht, dass sie die Kontrolle längst verloren hatte.

Dieses Unterfangen war zu groß für sie, aber die maßlose Überschätzung machte es ihrem Verstand unmöglich, die Aussichtslosigkeit zu erkennen.

 

Selten passierte es, dass sie derart die Nerven verlor. Es lag nicht in ihrer Natur, ihren genetischen Blaupausen. Sie war die Ruhe selbst. Kühl und überlegen, selbst bei größten Herausforderungen. Sie war eine Kriegsheldin, mit einem messerscharfen Verstand, Fähigkeiten, von denen ihre Kollegen wohl nur träumen mochten. Umso wütender machte es sie, dass sie heute nach Fassung ringen musste.

Sie stellte sich aufrechter hin, und mit fahrigen Fingern strich sie ihr Kostüm glatt. Wilde Locken waren aus ihrer strengen Frisur gefallen, verrieten schamlos das Momentum der Hilflosigkeit, das über ihr zu schweben schien, so greifbar, dass es sie wahnsinnig machte. Sie zog den Bauch ein, denn natürlich hatte die Kampagne ihre Spuren hinterlassen. Sie war zum Stressesser geworden, verließ sich auf Schokolade, kam jeden Tag zu spät nach Hause und aß erst in der Nacht. Natürlich half es ihrer Figur nicht, dass sie siebenundvierzig Jahre alt war und Sport verabscheute. Aber sie hatte zwei Kinder geboren, sie hatte Tag und Nacht geschuftet, um die Position zu erreichen, die sie jetzt innehatte – und keiner verlangte von den übergewichtigen, glatzköpfigen sechzigjährigen Reinblütern in der Abteilungsriege, dass sie den Körper eines Adonis‘ vorzuweisen hatten! Was sie auch nicht taten.

 

Leider. Und leider gab es den doppelten Standard, selbst so weit oben in der Hierarchie, und sie befand sich in der Zwickmühle der natürlichen Alterserscheinungen und dem schlichten Mangel an Zeit. Sie hatte keine Zeit für diese Dinge, und wenn sie ehrlich war, war sie mittlerweile heilfroh, dass die Kinder groß waren, dass sie in Trennung lebte, denn wäre ihre Familie zu Hause, wäre sie mit Sicherheit längst verhungert. Oder durch Verwahrlosung verstorben.

Sie pustete eine unbändige Strähne aus der Stirn und hasste ihre Haare. Wie konnten sie es wagen, grau zu werden?! Sie hatte erst heute Morgen ein verräterisches graues Haar entdeckt, welches sie sofort braun gehext hatte!

 

Ihr war aufgefallen, dass sie die jüngeren Kolleginnen neuerdings länger betrachtete als nötig, dass sie wie die Schlange des Neides zischelnd und gereizt um die Teeküche kreiste, wann immer Sophia Graph oder Victoria Hawthorne ihren Auftritt hatten. Sie waren Anfang zwanzig, kamen frisch aus der Ausbildung und gehörten ihrem Team an. Sie waren jenseits ihrer Liga, Hermine konnte sich nicht mit zwanzigjährigen Hexen messen. Und Hermine hasste, wie sie auf den Plakaten ausgesehen hatte. Unerhört alt und streng. Sie erinnerte sich selber an eine jüngere Form von McGonagall, und es nagte an ihr.

 

Aber wem sollte sie das erzählen? Wer hatte Zeit für diese oberflächlichen Probleme? Sie garantiert nicht! Sie hatte nicht einmal Zeit, unten zum Training zu gehen. Ihr Arbeitstag endete, wenn alle Memos verschwunden waren, und das war meist nie der Fall. Die Beförderung war, was sie sehnlichst erwartet hatte. Und die Beförderung war gleichzeitig das Ende ihres Lebens. So wie sie es kannte. Sie beschwerte sich nicht. Natürlich nicht, denn es war eine unglaubliche Chance. Es war kaum zu überbieten. Durch absolut gar nichts. Es war der Jackpot. Aber es brachte Schattenseiten mit sich.

 

Sie verengte die Augen, versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, sich zu erinnern, wo sie die Unterlagen vergraben hatte, die sie heute dringend benötigte, aber sie konnte sich nicht entsinnen. Das Alter. Es kam heimlich. Egal, wie viele Geburtstage es ihr angedeutet haben mochten, sie hätte niemals damit gerechnet, dass ihr Verstand jemals müde werden würde.

 

„Madame Minister?“ Victoria Hawthorne hatte den Kopf zu ihrem Büro hineingeschoben. Sie wirkte munter, freundlich, absolut liebenswürdig mit ihren einundzwanzig Jahren, und Hermine spürte, wie die Falten um ihren Mund tiefe Furchen bildeten, als sie zu ihr aufblickte. Blonde, glänzende Haare, strahlende blaue Augen, eine Figur, von der Männer träumten – und Hermine hatte darauf bestanden, von den jungen Kolleginnen mit ihrem Titel angesprochen zu werden, um Autorität zu demonstrieren. Langsam glaubte sie, alles, was sie demonstrierte, war der Mangel an Coolness und Kompatibilität. Und vor allem hatte sie Victoria Hawthorne persönlich untersagt, die Unterlagen aufzubewahren, weil sie – mit Hermines Worten – zu wichtig gewesen waren, um in unbedarfte Hände gegeben zu werden. Ihre Naseflügel bebten, als sie versuchte, ruhiger auszuatmen.

 

„Miss Hawthorne?“ Sie versuchte ein Lächeln, versuchte, Kompetenz und Lässigkeit zu vermitteln, aber sie glaubte nicht, dass es funktionierte. Nicht heute. Und sie wusste, warum ihre Kollegin hier war. Der Termin. Es wurde Zeit, aber sie hatte die Unterlagen nicht.

 

„Die Riege erwartet Sie“, verkündete sie mit erwartungsvoller Miene, und Hermine unterdrückte ein Stöhnen. Sie arbeitete seit zwanzig Jahren in der Inneren Abteilung. Und manchmal fand sie es unglaublich, dass sie es so weit nach oben geschafft hatte. Denn sie gab nicht nach, sie fügte sich nicht, sie schmierte niemandem Honig um den Mund. Sie tat nie irgendetwas, von dem sie nicht voll und ganz überzeugt war, aber so weit oben an der Spitze, stieß sie an ihre Grenzen. Denn manche Rädchen funktionierten im Gefüge nicht, ohne geschmiert zu werden. Und damit hatte sie keine Erfahrung.

 

„Ok“, entkam es ihr, schlicht und ergreifend resignierend. Denn was sollte sie tun? Das Büro mit dem Diffindo zerstören, nur um die Problemstatistiken zu finden? Nein. Sie würde sich auf ihren Verstand verlassen. Sie wusste, was die magische Bevölkerung wollte. Sie war das Paradebeispiel dafür!

Victoria und Sophia begleiteten sie, wie sie sie schon durch den Wahlkampf begleitet hatten. Sie sammelten wichtige Erfahrungen. Es war ein interner Machtkampf in den heiligen Hallen des Ministeriums, wie er seit Jahrhunderten ausgetragen wurde. Innenpolitik gegen Außenpolitik. Liberal gegen Konservativ. Natürlich nicht gänzlich schwarz und weiß, aber Grauzonen gab es wenige. Ihre halbhohen Schuhe klackerten auf dem Steinboden. Sie waren hoch genug, um weiblich zu sein, aber niedrig genug, um nicht die Blicke auf sich zu ziehen. Ihr Kostüm war blau. Schlicht und verhüllend. Es zeigte wenig Haut, bot keine Angriffsfläche, und sie hasste diese oberflächlichen Äußerlichkeiten, auf die sie achten musste, um niemandem vor den Kopf zu stoßen.

 

Vor dem Besprechungssaal wartete ihre Grauzone. Es war eine unwahrscheinliche Allianz, aber ihr einziger Kontakt zur offensiven Gegenposition.

 

„Hallo Desmond“, begrüßte sie den hochgewachsenen Mann, einigermaßen erleichtert.


„Madame Minister“, benutzte er ebenfalls den Titel, aber es war nur für den Effekt. Nur vor den jungen Damen. Sie kannte Desmond Ferrars seit Rose eingeschult worden war. Insgeheim hatte sie immer auf diese Verbindung gehofft gehabt, aber sie lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung, denn über ihre Tochter wollte sie jetzt nicht nachdenken. „Bereit?“, erkundigte er sich gelassen, und Hermine streckte den Rücken durch, völlig bereit, sich lächerlich zu machen.

 

„Bereit“, erwiderte sie seufzend. Bevor sie den Saal betraten drückte Desmond ihr noch kurzerhand einen schmalen Folianten in die Hand, und Hermine schenkte ihm einen knappen Blick.

 

„Ich habe mir erlaubt, die Statistiken noch mal in Stichpunkten zusammenzufassen“, raunte er ihr zu. „Zur Sicherheit“, ergänzte er zwinkernd, und kurz lockerte sich ihr Kiefer. Dieser Mann war ein Engel in Reinblütergestalt.

 

„Desmond, das-“, begann sie aufgelöst, aber mit einem knappen Blick auf ihre jungen Begleiterinnen ruckte er lediglich mit dem Kopf.

 

„-Kopf hoch, Rücken gerade. Mach sie fertig“, wisperte er nahezu lautlos, legte ihr die Hand auf die untere Rückenpartie, und zwei Beamte öffneten die Türen von innen, als hätte es einen lautlosen Startschuss gegeben. Hermine zwang das Lächeln von ihren Zügen, betrat als Oberhaupt den Saal als erstes und marschierte, ohne zu warten, ohne zurückzublicken voran. Ihre kleine Entourage folgte ihr hörig, und mit sicheren Schritten betrat sie die Empore, denn sie saß höher, als der Rest.

 

„Madame Minister“, wurde sie murmelnd begrüßt, währen die Herren und Damen sanft die Köpfe neigten.

 

„Guten Abend, Kolleginnen und Kollegen. Es tut mir leid, dass ich Sie noch bis in die Abendstunden mit meinen Vorträgen langweilen muss“, begrüßte sie die Vertreter der inneren Abteilung, die der äußeren, den Finanzausschuss, als auch die hohe Riege. Wohlwollend wurde ihr zugenickt, und es war so, wie es schon damals in der Schule gewesen war. Hatte sie ihre Hausaufgaben erledigt, wusste sie genau Bescheid, kannte sie den Stoff auswendig – dann brauchte sie auch keine Hilfsmittel.

 

Sie warf den Folianten vor sich auf das glatte Holz, zog den Zauberstab und hexte die Statistiken aus dem Gedächtnis in die Luft. Die Aufmerksamkeit galt ihr, und nur ihr allein. „Es gibt einige Dinge, die ich im Haushaltsplan ändern möchte, Gold, das ich umverteilen will. Ich habe mir ausführliche Gedanken gemacht, und ich bin vollkommen sicher, dass alle Änderungen zum Wohle und Profit des Ministeriums sein werden.“ Die Stille war andächtig. Sie nahm an, die Riege verstand, was sie tat, was sie ihnen gerade präsentierte, aber niemand sagte etwas, niemand widersprach. „Als Vorstand und Vertretung dieser Einrichtung ist es mir ein Anliegen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Das, und natürlich Sinn und Verstand.“ Es war ihre dritte Amtsbesprechung. Die ersten beiden hatte sie locker gehalten, kurz und diplomatisch. Heute packte sie schwere Geschütze aus.

„Ich weiß, dass die äußere Abteilung mir bestimmt einige Entscheidungen übelnehmen wird“, prophezeite sie mit einem wissenden Lächeln, aber es lag die deutliche Mahnung in ihrem Blick. „Aber ich erwarte Zusammenhalt und absolute Rückendeckung. Dies ist eine sechsmonatige Testphase, ein Konzept, welches ich seit zehn Jahren studiert habe und was wirtschaftlich unfassbaren Nutzen bringen wird.“

 

„Madame Minister“, wagte nun Theodore Farlane, Vorsitzender des magischen Außenwesens, das Wort zu ergreifen, und Hermine gestattete es. „Mit Verlaub, woher gedenken Sie eine solche Summe aus öffentlichen Geldern umzuverteilen?“

Er kam direkt zum Punkt, und sie hatte auch nicht die Absicht, zu lügen, es schön zu reden. Sein Blick war schon jetzt eher nachsichtig, und es stieß ihr negativ auf. Aber gleich würde sich diese Nachsicht wahrscheinlich in Wut wandeln. Sie nahm es stark an.

 

„Theodore, ich danke für Ihre Frage“, ging sie höflich auf ihren Gegenüber ein, aber auch ihre Höflichkeit war eher Nachsicht. „Ich werde die Dementoren aus Askaban abziehen. Diese Phase läuft für sechs Monate, und dann sehen wir weiter“, schloss sie knapp, brach den Blickkontakt nicht, und Theodore wirkte absolut nicht begeistert.

 

„Abziehen?“, wiederholte er, die Höflichkeit gänzlich vergessend. „Was meinen Sie damit, Sie wollen sie abziehen?“ Dass er sie noch siezte, war alleine ihrem Amt geschuldet, nahm sie an.

 

„Das letzte Mal, dass die Dementoren abgezogen worden sind, war unter Voldemorts Regime“, warf Morgaine Black-MacArthur, ohne Handzeichen oder Höflichkeitsform ein, und Hermine gefiel es nicht. Aber natürlich hatte sie gewusst, dass dieser Vorschlag garantiert nicht mit übermäßiger Freude aufgenommen werden würde. Morgaine belegte keine sonderlich hohe Rangposition, besaß allerdings einen Namen, der es ihr nie schwer machte, Stimmen für sich zu gewinnen. Morgaine hatte nicht nur die Stimmen der Finanzhoheit hinter sich, sie stand auch in der Gunst von Lucius Malfoy. Lucius war Merlin sei Dank nicht hier. Seine Position im Rat war eher eine symbolische, und nächstes Jahr würde die Position sowieso an das nächste Steinzeitfossil übergeben werden.

 

„Richtig“, räumte Hermine mit Engelsgeduld ein, „allerdings wurden die Dementoren abgezogen, um im Kampf gegen Zivilisten eingesetzt zu werden. Ich habe nicht vor, die Dementoren anderweitig einzusetzen. Sie dürfen zurückkehren in ihre Sümpfe und ihr Hochland“, versicherte sie. „Das erspart uns die Kontrollen durch externe Angestellte und wir sparen Millionen ein.“

 

„Und wer bewacht Askaban? Welche andere Strafe als der Kuss soll eingesetzt werden?“ Morgaine fixierte sie streng, und Hermine hätte sie gerne in ihre Schranken gewiesen, aber sie verzichtete darauf.

 

„Die Schutzzauber bewachen Askaban. Die Gefangenen haben immer noch keine Zauberstäbe, und es sind genügend Auroren abgeordnet. Auch die Wachen tun ihrer Funktion genüge, Morgaine“, sagte sie strenger. „Was die Höchststrafe angeht, so sehe ich es als erstrebenswerter an, dass die Gefangenen ihre Strafe leisten und wieder eingegliedert werden.“

 

„Es kostet sehr viel mehr Gold, die Gefangenen Jahre lang zu versorgen und dann auch noch wieder einzugliedern, als den Kuss bestehen zu lassen“, warnte Theodore sie jetzt, und Hermine tat einen langen Atemzug.

 

„Tatsächlich nicht“, widersprach sie ruhig, aber darum ging es nicht. „Aber der Kuss ist eine Grausamkeit, die nur noch die magische Justiz in England praktiziert. Es ist der geeignete Zeitpunkt, Alternativen auszuprobieren.“ Alle sahen sie an, alle schienen abzuwägen, ob es der richtige Zug gewesen war, sie als Ministerin einzusetzen, aber Hermine hatte nicht vorgehabt, stilles Muggel-Mäuschen zu spielen, eine gute Figur abzugeben, alleine als Vorzeigefrau zu dienen, und bereits in ihrem ersten Monat schien sie genügend Gemüter zu verstimmen. Gut, dachte sie grimmig. Immerhin würde man sie so nicht vergessen

 

„Madame Minister, die Riege fügt sich Ihrer Entscheidung“, sagte Desmond schließlich, und Hermine schenkte ihm einen dankbaren Blick. „Ich würde den Moment nutzen wollen, um meine mögliche Versetzung zu besprechen“, ergänzte er jetzt, und Hermine runzelte die Stirn. „Mit Ihrer Amtsernennung wird der Posten als Untersekretär ebenfalls besetzt, und ich möchte meinen Namen vorschlagen.“ Hermine betrachtete ihn. Einige Köpfe wandten sich verstört in seine Richtung. Desmond befand in direkter Linie zum Vorsitz der Äußeren Abteilung. Vorzuschlagen, Untersekretär zu werden, würde ihn direkt aus der Rangfolge werfen, und Hermine hatte bereits Kandidaten für das Untersekretariat vorgelegt bekommen. Angemessenere, von weniger hohem Stand. Verwaltungsdrachen, die den Job erledigen würden, Erfahrung hatten, aber hier saß ihre heimliche Allianz und bewarb sich für einen Job, weit unter seiner Stellung.

 

Sie zog ins Kalkül, dass es Absicht war. Dass Desmond die rechte Ministerhand werden wollte, um politische Entscheidungen zu lenken, dass er sie nur in Sicherheit wiegen wollte, um seine eigene Agenda durchzusetzen. Dass er sich einen Namen machen wollte, dass er vielleicht sogar anstrebte, selber den Amtsvorsitz zu belegen, sollte ihre Zeit enden.

 

„Lord Ferrars“, entrüstete sich Jasper Barnaby augenblicklich, der zurzeit den Vorsitz der Äußeren Abteilung innehatte und Desmond seit Jahren dazu ausgebildet hatte, zu übernehmen. „Das ist… eine unerhörte Anfrage“, fuhr er bestürzt fort.

 

„Jasper, ich mache einen guten Job“, erwiderte Desmond, nicht halb so aufgewühlt. Anscheinend hatte er genügend Zeit gehabt, über diese Entscheidung nachzudenken. „Und ich würde einen noch besseren Job machen, in einer Position, die ich wesentlich ansprechender finde.“ Hermine schwieg, aber sie hörte, wie Morgaine verhalten mit ihrer Sitznachbarin sprach. Es würde ein Lauffeuer an Gerüchten auslösen, wurde ihr klar. Ein Reinblüter-Lord der höchsten Stellung wollte sich der muggelgeborenen Ministerin unterordnen – einfach nur, weil er es wollte? Weil er es ansprechend fand. Oh, was dachte er sich bitteschön?

 

„Die Ministerin wird diese Bewerbung ablehnen, Lord Ferrars. Es gibt Regeln, die befolgt werden müssen“, mischte sich der Verwaltungsstabsvorsitz und Personalchef Maxwell Tavish aus der inneren Abteilung ein.

 

„Mr. Tavish, ich bin durchaus fähig, selber zu antworten“, maßregelte Hermine den Mann links neben sich. „Lord Ferrars, ich nehme Ihre Bewerbung an, aber sie wird der Prüfung unterzogen, und sollte sich das Amt für Sie als nachteilig oder unangemessen herausstellen, werde ich ablehnen müssen. Ich denke, Sie kennen die Prozedur“, schloss sie mahnend. Sie würden noch zum Gespött werden.

 

„Ich verzichte auf den Rang“, entgegnete er ernst, benutzte ihren Titel nicht.

 

„Das ist löblich, aber ganz so einfach ist es nicht“, widersprach sie, minimal gereizt. Sobald die Presse mitbekam, dass solche Gespräche im Kabinett geführt wurden, wäre sie ein gefundenes Fressen.

 

„Was gibt es da zu prüfen, Madame Minister? Dem Augenschein nach, ist die Position als Sekretär für Lord Ferrars eine gesellschaftliche Degradierung!“, mischte sich Morgaine schließlich ein.

 

„Ach ja?“, antwortete Hermine, und fasste die Hexe ins Auge. „Ist das so?“, fragte sie direkt, und Morgaine sah sie an. Dann verzog die Hexe angespannt den Mund.

 

„Nicht weil Sie eine Frau sind. Oder muggelgeboren, oder grundsätzlich zu jung für diese Position“, erwiderte sie gepresst. Hermine hob die Augenbraue.

 

„Wäre ich also ein sechzigjähriger Lord aus alter Familie, wäre es nicht unschicklich für Lord Ferrars Rang und Namen aufzugeben, um Untersekretär zu werden, verstehe ich das richtig?“ Sie mochte Morgaine nicht. Und Morgaine schien es zu spüren. Und tatsächlich hielt sie den Mund. „Ich beende diese Diskussion. Wer Untersekretär wird ist belanglos für mein Amt. Es ist ein rein oberflächliches Problem, und ich kann Oberflächlichkeiten nicht leiden. Wir haben eine lange Liste abzuarbeiten, Vorschläge zu entscheiden, und ich habe nicht geringste Lust bis spät in die Nacht hier zu sitzen, um über die Sittlichkeit zu entscheiden, ob ein Mann sich einer Frau unterordnen darf. Und ich werde mich in keiner zukünftigen Sitzung dazu äußern. Wer ein Problem damit hat, den bitte ich jetzt und endgültig den Saal zu verlassen. Ansonsten erwarte ich absolute Einigkeit unter den Vorsitzenden“, schloss Hermine am Rande des Zorns. Sie wartete, ließ den Blick wandern, aber keiner wagte, sich zu erheben, tatsächlich sein Amt zu gefährden, und sie hatte nichts anderes erwartet. „Gut. Dann weiter im Programm.“

 

 

 

8. your daddy’s rich and your momma’s good looking

 

Sie war den Tag über sehr kurzatmig gewesen, aber dann wiederum war sie das seit Wochen schon. Sie hatte kaum essen können, und den Nachtisch, den die Elfen vor einer halben Stunde serviert hatten, stand unangetastet vor ihr.

 

„Rose?“ Scorpius hatte sich ihr zugewandt. Sie hob den Blick, erlaubte den Einflüssen um sich herum wieder in ihre Gedanken zu dringen.

 

„Hm?“, fragte sie bloß, denn es war schwer geworden zu sprechen.

 

„Geht es dir gut?“ Scorpius arbeitete viel. Mehr als sonst, denn er würde Stunden kürzen, sobald das Baby geboren wäre, damit er die ersten Monate miterleben konnte, so gut es ging.

 

„Ja“, brachte sie knapp hervor.

 

„Vielleicht war es zu viel heute?“, wollte Emily besorgt wissen, aber ein Hauch von eigener Panik spiegelte sich in ihrem Blick, denn in wenigen Monaten würde Emily dieselben Probleme durchleben, wie sie es tat.

 

„Nein, nein. Alles gut“, brachte Rose hervor und fühlte sich etwas benommen.

 

„Du bist blass“, ließ Scorpius nicht locker, und sein Tonfall änderte sich innerhalb einer Sekunde. „Rose, du wirst immer bleicher“, sagte er, und ihr Bauch spannte unangenehm hart, und sie musste die Luft anhalten, um nicht unpassend zu stöhnen.

 

„Es ist heute einfach schwieriger“, presste sie schließlich hervor, hielt sich die Seiten, und Scorpius war im Begriff aufzustehen.

 

„Wie lange noch?“, fragte Draco jetzt, musterte sie mit derselben Sorge wie sein Sohn, und Rose wusste es auswendig, hatte schon keine Lust mehr, es immer wieder und wieder zu sagen, aber sie tat es dennoch.

 

„Noch 27 Tage“, entgegnete sie beschwichtigend. „Es ist nichts weiter. Die Heilerin sagte schon, dass Übungswehen auftreten können. Aber es dauert noch.“ Sie schloss kurz die Augen, um den stechenden Schmerz zu ignorieren, der ihren Unterleib erfasste. Dann flogen ihre Lider auf, denn sie spürte etwas wesentlich unangenehmeres. Merlin, sie fühlte sich seit Monaten nicht mehr begehrenswert, und ausgerechnet jetzt hatte ihre Blase nachgegeben. Oh nein! Das durfte nicht sein! Nicht bei ihrem Schwiegervater am Esstisch! Der Schmerz klang langsam ab.

Ihr Blick fiel beschämt auf ihren Schoß, aber ihr Atem stockte plötzlich. „Scor“, wisperte sie hilflos, und sofort folgte er ihrem Blick. Überraschte Tränen stiegen in ihre Augen, und Scorpius war aufgesprungen.

 

„Dad, ruf die Paramagier, ich hole die Tasche“, sagte er gefasst, und bevor er den Raum verließ nahm er sie in den Arm, küsste ihre Stirn, und sie spürte seinen schnellen Herzschlag. Emily und Draco waren ebenfalls aufgestanden, und Emily war zu ihr gekommen, aber sie schlug sich die Hand vor den Mund, als sie neben ihr stand.

 

„Draco, beeil dich! Sie blutet stark!“, fuhr sie Draco an, und dieser machte sich nicht die Mühe, sich zu vergewissern, sondern hatte den Salon im Laufschritt verlassen.

 

„Es… es tut mir so leid“, flüsterte Rose völlig neben sich, aber Emily machte eine hastige Handbewegung.

 

„Unsinn! Du musst ins Mungo! Sofort! Was kann ich tun, Rose?“ Emily wirkte vollkommen aufgelöst, wartete auf irgendeine Absolution und Rose konnte nur einen einzigen Gedanken fassen. Nur eine einzige Sache, die sie jetzt wollte! Die sie jetzt absolut dringend brauchte!


„Mum“, flüsterte sie. „Ich brauche meine Mum!“ Ihre Worte waren tonlos, aber Emily nickte blind.

 

„Ok!“, sagte sie sofort. „Ok, ich sage ihr Bescheid! Ich sage ihr sofort Bescheid!“ Draco hatte das Zimmer wieder betreten.

 

„Hast du wen gerufen?“, wollte Emily hysterisch wissen, und er nickte schroff.

 

„Sind auf dem Weg. Rose, wie geht es dir? Bist du in der Lage mit der Kutsche zu fahren?“, fragte er sie ruhig und ernst. Ihr Atem ging schneller, während sie mit dem Kopf ruckte, nicht sicher, ob sie in der Verfassung war, noch großartig irgendwas zu tun.

 

„Meine-Mum!“, presste sie heiser hervor.

 

„Was?“, erwiderte Draco unschlüssig, aber Emily antwortete, statt ihrer.

 

„Sie will ihre Mutter, Draco. Sie hat gesagt-“

 

„-bitte!“, unterbrach Rose Emily still, sah ihren Schwiegervater verzweifelt an, und es verging eine knappe Sekunde, während er ihren Blick hielt, ehe er hastig nickte.

 

„Ok“, entfuhr es ihm gefasst. „Ja, ok. Sicher“, erwachte er wieder zum Leben und erhob sich mit Tatendrang. „Ich versuche, sie zu erreichen, Rose“; versprach er. „Emily bleib bei ihr. Die Paramagier kommen jeden Moment. Wenn sie nicht in er Lage ist, zu reisen, passiert es hier“, informierte er Emily, aber Rose hörte kaum zu, denn jetzt erfasste sie ein besonders schlimmer Schmerz und fast tat ihr leid, dass Emily ihr ihre Hand anbot, um zuzudrücken – denn das tat Rose. Und so heftig, dass Emily ebenfalls aufkeuchte.

 

Ihre Mum. Sie brauchte ihre Mum. Die würde wissen, was zu tun war. Mum wusste immer, was zu tun war!

 

~*~

 

Er zögerte. Nicht sonderlich lange, nicht wirklich ernsthaft. Er warf das Flohpulver in den Kamin, sprach die Adresse der Minister-Villa, die für ihn noch immer freigeschaltet war, denn sein Vater, er selbst und Carnegie waren zusammen zur Jagd gegangen. Deswegen besaß er mehr oder weniger das Privileg, die Villa zu kontaktieren. Er wartete in unbequemer Position vor dem Kamin, nicht sicher, was gleich passieren würde. Aber tatsächlich passierte gar nichts. Niemand nahm den Anruf entgegen. Es verging eine stille Minute, während der fremde Kamin nicht antwortete.

 

„Scheiße“, entfuhr es ihm zornig. Er unterbrach den Anruf, dachte nach und kam zu keinem guten Schluss. Vielleicht wäre sie im Fuchsbau, aber höchstwahrscheinlich nicht. Was sollte sie dort? Oder sie wäre bei Potter. Seine Adresse hatte er irgendwo, aber es war ein Dienstagabend. Was sollte sie also bei Potter? Er nahm an, sie hatte im Moment genug zu tun. Vielleicht war sie noch im Ministerium, aber er hatte keine Flohberechtigung für die Minister-Etage. Warum auch? Er wusste nur eine Adresse auswendig, und er nahm an, auch da würde sie nicht sein, aber konnte nicht einfach hier sitzen und gar nichts tun.

 

Er warf das Pulver erneut in die Flammen. „Rosings Park 12“, sagte er widerwillig und wartete mit angehaltenem Atem, dass auch nichts passieren würde. Aber er hatte Pech. Die Flammen lichteten sich, und ihm wurde der Blick in ein ausladendes, ziemlich leeres Wohnzimmer offenbart. Und er sah nicht großartig anders aus, stellte Draco fest. Nicht viel anders, als vor fast einem Jahr. Solange war es nämlich her.

 

„Malfoy“, erkannte Weasley ihn und sprach das Wort ungläubig, mit absoluter Ablehnung.

 

„Guten Abend“, erwiderte Draco beißend kurz. „Weißt du, wo deine Frau ist?“, fragte er, ohne es zu erklären, ohne es überhaupt zu wollen. Und er ging davon aus, Weasley wusste es nicht. Denn so sah er ihn an. Etwas Dunkles flackerte über das fremde Gesicht, etwas Kaltes trat in seinen Blick, und der strenge Zug um Weasleys Mundwinkel vertiefte sich.

 

„Wir leben in Trennung, Malfoy. Ich nehme an, sie befindet sich in ihrer scheiß Villa“, entgegnete Weasley zornig. Ok, Weasley wusste es auch nicht. Frag nicht, warum, flehte Draco innerlich. Frag bitte nicht, warum. Aber Weasley tat ihm den Gefallen, und Draco sah, wie sein Gehirn arbeitete. „Was willst du von ihr?“ Kurz erkannte Draco etwas anderes in Weasleys Blick. Aber er hatte keine Lust darüber nachzudenken. Und er hatte keine Zeit dafür.

 

„Nicht wichtig“, sagte Draco unwirsch. „Ich muss weg“, wollte er das Gespräch beenden, aber Weasley trat näher.

 

„Geht es um Rose?“ Er sagte den Namen seiner Tochter mit Vorsicht, als wäre es gefährlich, ihn laut zu äußern. Als… könne etwas Schlimmes passieren, alleine, weil er ihren Namen sagte. Draco wog ab. Rose wollte ihre Mutter, nicht ihren Vater. Und es war nicht an Draco, zu entscheiden, ob –

 

Ein markerschütternder Schrei nahm ihm die Entscheidung ab.

 

„Was war das?“, wollte Weasley sofort wissen, runzelte die Stirn.

 

„Nichts“, versuchte Draco, abzuwiegen. „Ich muss wirklich-“

 

„-bekommt sie das Kind?“, unterbrach Weasley ihn sofort, und Draco war überrascht, dass Weasley doch mehr Informationen besaß, als er angenommen hatte. Aber wahrscheinlich wusste er es von den Potters. Potter würde seinen kleinen Knappen bestimmt nicht im Dunkeln lassen. Draco sah sich außer Stande, zu antworten.

 

„Ich-“, begann er gereizt, aber Weasley kam noch näher.


„Ist sie ok? Ist sie bei dir? Ist es nicht noch zu früh?“ Weasley machte sich Sorgen. Größte Sorgen. Draco gab auf, so zu tun, als wisse er nicht, worum es ging.

 

„Sie ist in meinem Haus, und irgendwas ist nicht gut. Die Paramagier sind da und ich weiß nicht, ob sie fähig ist, ins Mungo zu gehen“, erklärte er still und so knapp wie möglich. „Und sie will ihre Mutter, aber ich kann sie nicht erreichen.“

 

„Ich finde sie“, versprach Weasley blind, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. „Deine Adresse hat sich nicht geändert?“, wollte er noch knapp wissen, und Draco ruckte mit dem Kopf.

 

„Nein, hat sie nicht.“

 

Weasley nickte noch einmal, bevor er die Verbindung brach. Die Sicht ins Wohnzimmer erstarb. Draco saß nur noch vor den leeren Flammen. Wie wollte Weasley das tun? Wie wollte er das schaffen? Wieder ertönte ein Schrei, so laut, wie ihn dieses Haus noch nicht gehört hatte. Draco hatte damals mit Astoria eine Landvilla bezogen, wie es sie in Wiltshire zu Haufe gab. Er war hier verblieben, nachdem Astoria verstorben war und hatte seit jeher hier gelebt. Auch Emily würde hier einziehen. Seine Gedanken drifteten, bis ihn der nächste Schrei in die Realität zurückholte. Er kam auf die Beine. Fast hatte er Angst, aber er konnte sich nicht verstecken.

 

Er verließ das Büro, hastete den Flur entlang, zurück durch die Halle, wieder in den Salon. Merlin, sei Dank! Die Paramagier waren da! Rose lag mittlerweile auf dem Boden, Kissen im Rücken, während sie untersucht wurde. Sein Sohn kauerte neben seiner Frau, die prall gepackte Tasche neben sich, aber das viele Blut, was er von hier aus erkennen konnte, würde es unmöglich machen, sie weit zu transportieren. Und schon hatte der Paramagier sich von Rose entfernt.

 

„Sie wird nirgendwohin gehen. Der Muttermund ist beinahe vollständig geöffnet, es geht los.“ Seine Verlobte sprach statt seiner.

 

„Sie kann ins Gästezimmer. Das Bett ist frisch bezogen. Sagen Sie mir, was ich tun kann!“, befahl sie zitternd, und die Paramagier ließen Rose schweben, und Scorpius verließ ihre Seite keine Sekunde. Rose war schrecklich blass. Es war zu viel Blut, war alles, was Draco mit flachen Atemzügen dachte. Nicht, dass sie starb! Es kam ihm plötzlich in den Sinn. Nicht, dass sein Sohn seine Frau ebenfalls verlor.

 

„Wir müssen Ihren Kamin benutzen“, erklärte ein Paramgier über die Schulter in seine Richtung. Draco brauchte eine Ewigkeit, um zu reagieren, nickte dann bloß, fragte nicht, warum, und sein Blick ging leer auf den Boden zurück, wo der riesige Blutfleck schimmerte. Emily verließ ebenfalls den Raum, und nur Draco stand nutzlos vor dem Esstisch, wo das Abendessen mittlerweile kalt geworden war. Nach und nach wagten sich die Elfen ins Zimmer, machten stumm sauber, hexten alles an seinen Platz zurück und entfernten lautlos und unauffällig das Blut.

 

Es war nicht viel Zeit vergangen, da klopfte es an der Haustür, und manisch setzte er sich in Bewegung, rannte fast durch die Flure. Natürlich war der Elf schneller gewesen, und im Flur erkannte er den Bruder auch von weitem.

 

„Mr. Malfoy“, begrüßte der Heiler ihn zügig und kam näher. Er trug noch den Kittel, und Draco nickte bloß. „Wir haben dieselbe Blutgruppe. Wo ist Rose?“, wollte er direkt wissen, und Draco machte Kehrt und beide hasteten durch das Haus, bis sie das Gästezimmer erreichten. Rose lag in den frischen Laken, Schweiß auf der Stirn, und sie erkannte ihren Bruder mit müdem Blick.

 

„Hugh“, flüsterte sie leise. „Wo ist Mum?“, fragte sie, und Draco schluckte schwer.

 

„Mum kommt“, versicherte Hugo ihr blind, und sofort kam einer der Paramagier zu ihrem Bruder, setzte ihn auf einen Stuhl und begann, sein Blut zu extrahieren. Draco wandte den Blick, konnte nicht zusehen, und sinnlos begann er durch den verdammten Flur zu wandern. Rose schrie nicht mehr. Er hatte keine Ahnung, was passierte, warum sie blutete, was jetzt geschehen würde, aber er nahm an, das Baby kam jetzt. Hier, heute in seinem Haus.

 

Er hatte kein Zeitgefühl mehr, aber es hätte eine halbe Stunde vergangen sein können oder fünf. Es läutete erneut. Leise klang der Ton, und sofort bewegte er sich, dankbar, nicht dumm im Flur zu warten, und wieder hatte der Elf geöffnet, und fast war er dankbar. Sie hatten sich lange nicht gesehen, und sie sahen sich auch tatsächlich erst jetzt, wo es nicht zu vermeiden war. Er fing ihren Blick auf, sie schob sich wortlos am Elfen vorbei, und sie wirkte nicht so, als hätte sie gemütlich Zuhause auf dem Sofa gesessen. Ihr Kostüm war teuer, sie roch nach Parfüm, ihre Schuhe waren hoch. Mit schnellen Schritten war sie bei ihm, das Makeup nicht mehr frisch, aber sie sah noch immer nach Arbeit aus, nicht nach Feierabend.

 

„Wie geht es ihr?“ Sie hing an seinen Lippen, sah ihn unfassbar besorgt an, und Müdigkeit und lange Arbeitstage sprachen aus ihrem Blick, ihrer Erscheinung. Ihre Haare waren kürzer, ihre Locken wirkten wilder, in der strengen, halbhohen Frisur, und Draco sprach. Endlich.


„Ich weiß es nicht. Hugo ist hier. Sie hat Blut verloren, ich…“ Er unterbrach sich, denn er wusste es nicht. „Sie… sie ist vollständig geöffnet“, wiederholte er, woran er sich grob erinnern konnte.


„Es ist zu früh“, erwiderte Hermine Weasley vor ihm, gänzlich überfordert, und er nickte bloß.

 

„Hat Weasley dich gefunden?“, fragte er jetzt, und scheinbar wurde ihr jetzt klar, dass er es gewesen war, der Weasley Bescheid gegeben hatte.

 

„Ja. Ja, er…- hat er. Er wollte nicht mit“, räumte sie stiller ein, und Draco nickte  bloß.

 

„Komm mit. Sie ist im Gästezimmer“, sagte er, um zu sprechen, und sie folgte ihm stumm. Der Weg erschien ihm länger, denn sie rannte nicht, wie ihr Sohn. Sie hatte Angst. Aber schließlich erreichten sie den Flur. Sie erkannte die offene Tür und hielt inne. Draco wandte sich zu ihr um. Sie wirkte blass. Nicht so blass wie ihre Tochter, aber sehr mitgenommen. Dann schien sie sich zu sammeln, die nötige Fassung zu finden, die sie brauchte. Sie streckte den Rücken durch und Ernst und Verantwortung umgaben sie, wie ein Zauber. Sie hinterließ auf jeden Fall einen Eindruck. Er hatte sie lange nicht mehr gesehen, und er wusste wieder, warum er sich nicht erlaubte, an sie zu denken. Es war unnötig und warf nur mehr Probleme auf, als er lösen könnte.

 

Er lehnte sich an die Flurwand, erschöpft und überfordert.

 

Und was passierte jetzt?

 

~*~

 

Es war so endlos viel Zeit vergangen, dass Hermine nicht mal mehr wusste, ob es noch Nacht war oder längst schon wieder Tag.

 

„Mum“, flüsterte Hugo, der sich lautlos seinen Kittel über den Arm legte und im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, in dem Hermine jetzt gefühlte Jahre ihres Lebens verbracht hatte. „Lass sie schlafen“, fuhr er ruhig fort. Hermine hatte nicht vorgehabt, sie zu wecken. Aber scheinbar bugsierte Hugo sie aus dem Zimmer, griff sanft nach ihrem Arm, schob sie auf den Flur, aber Hermine konnte kaum den Blick von ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn wenden.

 

Er war vor zwei Stunde entbunden worden. Es hatte lange gedauert, es war schmerzhaft gewesen. Hugo hatte ständige Bluttransfusionen geleistet, wirkte merklich blass, aber anmerken ließ er sich nichts. Das Baby hatte festgesteckt, hatte sich die eigene Luftzufuhr genommen. Roses Körper hatte reagiert. Dann hatte sich ein verborgenes Problem mit ihrer Plazenta herausgestellt, die viel zu früh verkalkt war. Sie wusste nicht, was noch alles problematisch gewesen war, aber jetzt schwebte die kleine Frühgeburt in einem magischen Brutkasten, wurde über komplizierte Zauber versorgt, und immer wieder schlichen Paramagier ins Gästezimmer, um die Werte zu kontrollieren. Die Schichten hatten gewechselt, Hermine sah Gesichter, die sie die Nacht über nicht gesehen hatte.

Rose schlief erschöpft im Bett, neben ihr lag Scorpius schief auf den frischen Laken, schlief ebenfalls, und Hermine war hundert Jahre älter geworden.

 

Sie ließ sich von Hugo mitziehen, und der Duft von Kaffee stieg ihr in die Nase. Fahl graute der Morgen. Sie erkannte es durch den Spalt der dicken Vorhänge.

 

„Ich muss in die Klinik zurück“, erklärte Hugo jetzt, und Hermine wollte protestieren, wollte ihm sagen, dass er ausruhen sollte, dass er erst zu Kräften kommen musste, dass er nicht apparieren durfte, aber sie war zu müde. Sie seufzte nur knapp, ruckte mit dem Kopf, denn ihr Sohn würde schon wissen, was er tat.

 

„Hey“, wurde sie von der jungen Frau begrüßt, die sie vorher schon bemerkt hatte. Sie war im Hintergrund verblieben, und Hermine hatte sich nicht vorgestellt, hatte noch nicht die Zeit gehabt, und jetzt verabschiedete sich Hugo von der Dame, drückte Hermine kurz an sich, und diese stand völlig verloren im großen Flur dieser Villa, die sie erschreckend an die viel zu große Minister-Villa erinnerte, in der sie von jetzt an ihr Dasein fristete. „Ich habe Frühstück gemacht. Draco muss auch gleich los. Wenn Sie… mitessen möchten, wir haben mehr als genug. Wenn Sie sich ausruhen möchten, wir hätten noch ein weiteres Gästezimmer?“ Die junge Frau wartete gespannt. Hugo war gegangen, die Tür war in der Ferne ins Schloss gefallen, und Hermine atmete unschlüssig aus. Die ganzen Wir-Sätze ließ sie annehmen, dass diese Frau irgendwas mit Malfoy zu tun hatte.

 

„Hermine Weasley“, stellte sie sich kurzerhand vor, auch wenn ihre Stimme nicht mehr kräftig und zuversichtlich war, und die junge Frau blinzelte kurz verwirrt, bevor ihr Mund sich öffnete.

 

„Oh natürlich! Verzeihen Sie mir. Die ganze Nacht war so durcheinander, und ich bin einfach froh, dass es Rose und dem Baby gut geht!“ Die junge Frau schenkte ihr ein erleichtertes Lächeln, was Hermine einfach nur zur Kenntnis nahm. „Ich bin Emily Bennett und mit ihrer Tochter gut befreundet. Wir…“, sie zögerte kurz, aber schon wieder zog ein Lächeln an ihren Mundwinkeln, „besuchen dieselbe gynäkologische Heilerin“, schloss sie vielsagend. Hermine zog die Stirn in Falten.

 

Er bog so plötzlich um die Kurve, dass sie zusammen zuckte. Mit ihm hatte sie kaum gerechnet, aber natürlich war dies seine Villa. Er hatte Ron Bescheid gesagt. Sie vergaß einfach immer mal wieder, dass er überhaupt existierte.

 

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich blind in ihre und Emilys Richtung.

 

„Alles in bester Ordnung. Dem Baby geht es gut. Rose und Scorpius schlafen. Das Baby wird alle halbe Stunde kontrolliert. Ich habe den Paramagiern Zugang zum Kamin gegeben“, erklärte Emily schnell, denn scheinbar hatte Malfoy die Nacht genutzt, um zu schlafen. Gute Entscheidung. Er trug einen Anzug, wirkte förmlich, nie legere, sie kannte ihn kaum anders. Er wahrte immer diese seltsame Form, immer der Etikette unterworfen. Sie befand sich nun ebenfalls in solchen Rängen, wo sie auf diese Dinge zu achten hatte. Aber ihr fiel es augenscheinlich ungemein schwerer als ihm.


„Danke dir“, erwiderte er in Richtung Emily und lehnte sich zu einem schnellen Kuss hinab. Es passierte zu flüchtig, als dass Hermine die faire Chance hatte, wegzusehen, und kurz verzog sich ihr Mund angewidert. Reiner Reflex. Es gab also Menschen, die freiwillig Zeit mit ihm verbrachten.

 

Hermine verstand. Das junge, hübsche Mädchen gehörte zu Malfoy.

 

- Und… war… schwanger, ergänzte ihr müder Verstand die nächste Lücke. Sie nahm an, dass hatte Emily ihr vielsagend bedeuten wollen, mit dem Hinweis auf die gynäkologische Heilerin. Hermine verdaute diese Information schweigsam und ausdruckslos, lehnte müde an der Wand, und wollte weg aus diesem Haus, aber gleichzeitig wollte sie ihre Tochter und ihr Enkelkind mitnehmen.

 

„Entschuldigen Sie, wenn Sie mit uns kommen wollen? Ich kann Ihnen auch frische Sachen anbieten?“ Demonstrativ deutete Emily auf Hermines Kostüm, was nun eindeutig ein Fall für die Tonne war. Irgendwie waren Blutspritzer quer darauf verteilt und andere Flecken, an die sich Hermine nicht erinnern konnte. Und Hermine fragte sich eine bittere Sekunde lang, wessen Sachen das wohl sein sollten. Denn in die Kleidergröße, die das Mädchen vor ihr zu besitzen schien, würde Hermine nur mit einer ausgewachsenen Essstörung hineinpassen. Sie zog abwesend ihren rettungsringartigen Bauch ein, aber natürlich gänzlich vergebens.

 

„Ich – danke, nein“, erwiderte sie schließlich knapp und mit gesenktem Kopf. Wenn sie müde war, erschöpft und überfordert, war es tatsächlich möglich, sie zu beschämen. Wenn auch nur marginal.

 

„Sie müssen zum Frühstück bleiben, Mrs Weasley, bitte“, bat das junge Mädchen – unverschämt jung! Bestimmt nicht viel älter als Rose, und Hermine konnte nicht verhindern, Malfoy einen knappen Seitenblick zuzuwerfen. Er fing ihren Blick auf, wirkte verdammt ausgeruht und Hermine hasste ihn. Dafür, dass er hatte schlafen können, dafür, dass ihre Tochter in seinem Haus lag. Dafür, dass Männer in seinem Alter Freundinnen hatten, die ihre Töchter sein könnten.

 

„Danke, ich… habe in wenigen Stunden bereits einen Termine“, nahm sie finster an. Denn wenn es Morgen war, drohte ihr gleich schon die nächste Sitzung.

 

„Sie können doch heute nicht arbeiten!“, entrüstete sich Emily hellauf empört.

 

„Das Ministerium schläft nicht, Miss- Bennett?“, vergewisserte sich Hermine knapp. „Verwandt mit Senator Bennett?“, erkundigte sie sich automatisch, denn der Namen kam ihr unangenehm vertraut vor.

 

„Mein Vater, ja“, bestätigte Emily, irgendwie geschmeichelt, obwohl Hermine kein Kompliment hatte aussprechen wollen. Warwick Bennett war ein Tyrann, dem sein Ruf vorauseilte, und Hermine hoffte, nicht persönlich mit ihm zu tun haben zu müssen. Jemals. Aber wenn dieses Mädchen Malfoys Kind bekam, dann wäre es Scorpius‘ Bruder, und dann wäre es der Onkel oder die Tante ihres Enkelkindes, nicht wahr? Zu müde. Sie war zu müde für solche verworrenen Schlüsse.

 

„Du wirst bestimmt Zeit für eine Tasse Tee haben“, sagte Malfoy jetzt tatsächlich, und es war keine Frage. Er duzte sie, ihm fehlte jede Ehrfurcht vor ihrer Position, und in diesem Haus, unter diesen Menschen fühlte sich Hermine nicht wie etwas Besseres. Sie war nicht besser als die meisten, aber sie wollte behaupten, sie wäre besser als die Sippschaft der Malfoys. Und sie nervte seine unterschwellige Arroganz. Als wäre es ein scheiß Wettbewerb, den er gerade gewann. Als wäre es verdammt erstrebenswert am Rande der fünfzig von vorne anzufangen. Fast bekam sie Atemnot, wenn sie daran dachte. Sie war froh, ein Enkelkind zu haben, aber sie war ernsthaft erleichtert, dass es Roses Kind war. Merlin, Malfoys Enkel wäre älter als sein eigenes Kind.

 

„Wir verschieben das“, entgegnete sie rigoros, mit der exakten Vorstellung des Sankt Nimmerleintags im Gedächtnis, an dem sie alle schlimmen Dinge tun würde, die ihr in den Sinn kamen – nämlich nie. „Ich kann mir vorstellen, dass die Hexenwoche schon ziemlich bald ihre Zelte im Garten aufschlagen wird, und dann wäre ich lieber woanders, als hier“, schloss sie bestimmt, denn natürlich war es ansatzweise skandalös, dass die Familie Malfoy mit den Weasleys verbunden war. Hermine ignorierte es den größten Teil ihres Lebens konsequent, aber dann gab es Nächte wie heute…, da war es schwer. „Ich würde Rose, sobald sie transportfähig ist, abholen lassen“, informierte sie ihn, der Form halber. Wirklich nur der Form halber, denn seine Antwort, seine Zustimmung, seine Meinung interessierte sie überhaupt nicht. Rose musste weiterhin überwacht werden, hatten die Paramagier gesagt, so auch das Baby, und Hermine würde sie persönlich mit dem Levicorpus holen, ehe sie hier zu lassen.

 

Scheinbar ließ Malfoy unkommentiert, was er wohl nur zu gerne kommentieren würde, und widersprach ihr tatsächlich nicht. Nur sein stummer Blick sprach endlose Bände.

 

„Mrs Weasley“, begann Emily beinahe kleinlaut. Hermine sah sie abwartend an. „Ich würde… noch sehr gerne ein Einladung an Sie aussprechen. Ich weiß, Sie haben viel zu tun, und es ist sowieso eine Ehre Sie hier begrüßen zu dürfen, aber ich… würde Sie gerne zu unserem Empfang einladen. Draco und ich werden dort die Verlobung bekanntgeben. Rose und Scorpius sind natürlich auch eingeladen. Eine förmliche Einladung würde ich Ihnen noch zukommen lassen, aber könnte ich mit Ihrer Anwesenheit planen? Es wäre eine absolutes Glück!“ Hermine war mehr oder weniger schockiert über die Aufrichtigkeit in Emilys Worten. Malfoy würde heiraten. Er würde erneut Vater werden. Das war ein Wettbewerb, den er getrost gewinnen konnte. „Ich bitte Sie“, ergänzte Emily mit einem warmen Lächeln.

 

„Ich werde sehen, ob ich an dem Termin die Zeit finden werde“, wich sie diplomatisch aus und spürte Malfoys Seitenblick.

 

„Natürlich, Mrs Weasley.“

 

„Aber… meine Glückwünsche“, sagte sie, und ihre Mundwinkel zuckten knapp. „Zur Verlobung und… zu allen anderen zukünftig guten Dingen, die noch ins Haus stehen werden“, ergänzte sie ein wenig steif, und Malfoys Pokerface verriet keine Gefühlsschwankung.

 

„Vielen Dank, Mrs Weasley, Madame Minister. Ich – es war wirklich eine Freude, Sie kennenzulernen, und wir bleiben in Kontakt, ja?“, bat das junge Mädchen, und der bittere Geschmack in Hermines Mund wurde langsam zu viel. Sie wollte hier raus. Schleunigst.

 

„Sicher“, entgegnete Hermine mit falscher Zuversicht. „Ganz bestimmt.“ Sie streckte den Rücken durch. „Ich finde den Weg allein“, sagte sie zu niemandem bestimmten, und sie war froh, wenn sie Rose in ihrem eigenen Haus unterbringen würde. Denn hier hin würde sie nicht noch einmal kommen. Garantiert nicht.

 

 

 

9. i wear the chain i forged in life

 

Sie hatte geduscht, in Rekordzeit. Ihre Gedanken hingen der Nacht noch immer nach. Noch immer steckte es in ihren Gliedern. Sie sah ihre Tochter vor sich, das Baby, und sie konnte nicht erwarten, den Tag hinter sich zu bringen. Sie hatte bereits mit Maxwell gesprochen, mit Miss Hawthorne, die alles vorbereitete, und sie würde heute mit Desmond reden müssen. Das Leben stand nicht still.

Und es klopfte magisch verstärkt an ihre Tür.

 

Sie besaß natürlich keinen Hauselfen, der öffnete. Man hatte ihr nahe gelegt, sich Personal zu beschaffen, ob nun menschlich oder nicht, aber sie war noch nicht dazu gekommen und sie tat sich schwer mit der Idee. Aber ihre Wäsche stapelte sich, und sie würde jemanden brauchen, der sauber machte. Eventuell. Denn sie schaffte es nicht. Hastig lief sie zu Tür, im Bademantel, und wäre es die Hexenwoche, dann würde sie nun einen fabelhaften Schnappschuss bekommen, aber Hermine dachte soweit nicht, sah sich noch nicht als Person des öffentlichen Lebens und zog die Tür beinahe arglos auf, denn auch ihr einsamer Torwächter hatte bisher nur die Instruktion, dass Familie und Freunden der Einlass gewährt werden durfte. Und das war scheinbar passiert.

 

Ron. Er stand vor ihr. So müde, wie sie es war. Hatte er irgendwo gewartet? Woher wusste er, dass sie wieder hier war? Unschlüssig sah sie ihn an.

 

„Mich hat niemand gesehen, außer der Wächter“, versicherte er ihr scheinbar augenblicklich aus einer Eingebung heraus, und erst jetzt begriff sie, dass sie morgens einem Mann die Tür im Bademantel öffnete. Zwar war es ihr Ehemann, aber es war trotzdem ein absoluter Skandal. Sie wich zurück.

 

„Komm rein“, sagte sie überfordert. Die Situation war nicht ideal, aber so war es jetzt eben.

 

„Und?“ Er blieb im Flur stehen. Er sah jämmerlich aus. Er hatte geweint, sie sah es sofort. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Deshalb beschränkte sie sich auf die Fakten.

 

„Es ist ein Junge. Er ist zu früh gekommen, aber er ist stark, und er wird es schaffen“, sagte sie ruhig. „Rose ist erschöpft, aber es geht ihr gut. Alle haben es gut überstanden“, schloss sie. Ron tat einen erleichterten Atemzug, und Tränen flossen ungehindert seine Wangen hinab.

 

„Das… das ist wirklich… gut“, flüsterte er, und er kam Hermine so schrecklich verloren vor. Es zerrte an ihr, irgendwo dort, wo ihre Gefühle schlummerten.

 

„Ron“, sagte sie voller gequältem Mitgefühl.

 

„Hauptsache, es geht ihr gut“, sagte er, wischte sich die Tränen von der Wange, und Hermine schloss den Abstand zu ihm, schloss ihn in die Arme, und sein Kopf sank schluchzend auf ihre Schulter. Sie hasste Ron nicht. Sie wollte nicht, dass alles schwierig war. Es war lange her, dass sie ihren Mann umarmt hatte. Sein Geruch war tröstlich. Alles an ihm war so tröstlich. So vertraut, und Hermine brauchte dringend etwas Vertrautheit in all dem neuen Chaos. Sie spürte sehr plötzlich seine warmen Lippen auf ihrem Hals, und sie hielt erschrocken die Luft an. Fast ein Jahr hatten sie sich nicht gesehen! Ein ganzes Jahr! Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, ihr zu ihrem Amt zu gratulieren, und jetzt –

 

Er hatte den Kopf gehoben, hatte nur eine Sekunde gezögert, und küsste sie keinen Moment später. Der Kuss war fordernd, und plötzlich spürte sie ihn überall. Er presste sie an sich, seine Hand verschwand in ihren Haaren, seine Zunge stieß zwischen ihre Lippen und er drängte sie gegen die Wand. Sie war im Nebel von Müdigkeit und alter Lust gefangen, als er begann, ihren Bademantel zu öffnen. Ihr Körper bebte, kannte solche Gefühle schon nicht mehr, und bei Ron fühlte es sich nicht widerlich und scheußlich an. Nicht wie bei… wie bei…- Sie zog den Kopf zurück. Fast eher unbewusst, als das nackte Bild von Draco Malfoy in ihr Unterbewusstsein trat.

 

Ron sah sie atemlos an, aber sofort schlichen sich Schuldgefühle auf sein Gesicht. Er wich zurück. Nicht weit, aber weit genug, dass sie die Kälte spüren konnte.

 

„Es… es tut mir leid“, entschuldigte er sich, und seine Brust hob und senkte sich schnell. Sie wollte ihm sagen, dass er das nicht musste, dass… dass sie diejenige wäre, die sich entschuldigen müsste, aber sie tat gar nichts. „Ich… es ist alles so viel, und ich…“ Er fuhr sich durch lichteren Haare, sah sie wieder an, und Hermine schluckte schwer, versuchte, ihre zitternden Knie unter Kontrolle zu kriegen.

 

„Ich werde Rose holen, sobald sie kann. Möchtest du… möchtest du dein Enkelkind sehen?“, fragte sie ihn, und ihre Stimme gehorchte kaum.

 

„Ich… ja“, bestätigte er blind, rau, absolut hoffnungsvoll. „Will sie das?“, wollte er vorsichtig wissen.


„Du bist ihr Vater. Natürlich will sie das“, versprach Hermine ihm, und für eine Sekunde, sah sie die Zukunft vor sich, die Versöhnung. Sie sah, wie sich alles wieder zusammenfügte. Wie nicht einmal die Malfoys ihr Leben komplett zerstören konnten. Und plötzlich flatterte ihr Herz, denn eine Zukunft mit Ron rückte plötzlich wieder in eine mögliche Perspektive. Und die Vergangenheit… das war Vergangenheit. Vielleicht konnten sie an der Beziehung arbeiten? Von vorne beginnen? Hätte sie doch nur mehr Zeit! Sie biss sich auf die Lippe.

 

„Ich… ich muss leider los“, sagte sie entschuldigend, und er nickte hastig.

 

„Schon klar. Ich… will dich gar nicht aufhalten, ich wollte nur…“ Ihren Bademantel ausziehen, beendete sie in Gedanken den Satz und spürte die Hitze in den Wangen.

 

„Du… bist später Zuhause? Ich erreiche dich dort?“, fragte sie ihn und hoffte, sie klang nicht zu hoffnungsvoll. Es klang seltsam, das Wort ‚Zuhause‘ zu benutzen, aber sie tat es, frei von Schuld.

 

„Ja.“

 

„Ich gebe dir Bescheid, wenn… Rose hier ist“, sagte sie. „Ich versuche, alles heute zu erledigen, was ich muss, und Sonderurlaub einzureichen“, versprach sie, plötzlich absolut willig, im Amt zu fehlen. Für ihre Familie würde sie es tun.

 

„Ok, tu das“, sagte Ron nickend. „Wegen vorhin“, begann er zaghaft.


„Schon gut“, unterbrach sie ihn, nicht sauer, nicht unfreundlich. Nein, beinahe erwartungsvoll.

 

„Danke“, sagte er tatsächlich und verabschiedete sich mit einem Nicken von ihr.

 

Sie lehnte noch immer an der Wand, auch als er gegangen war, und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Sie hatte lange nicht mehr gelächelt. Aber viel Zeit hatte sie nicht, ihr neues aufregendes Glück zu genießen. Sie musste zurück. Zurück zur Arbeit, bevor sie einen Suchtrupp schicken würden.

 

~*~

 

Es war ihre achte Tasse Espresso. Miss Hawthorne hatte ihn besonders stark kochen müssen, und immer noch fiel sie beinahe um vor Erschöpfung. Aber sie wollte alles erledigen, sie schlug sich gut. Sie hatte alle neue Bewilligungen durch, hatte unterzeichnet, was sich nicht vermeiden ließ, und jetzt musste sie das leidige Sekretärsproblem klären. Mr. Tavish wartete bereits vor ihrem Schreibtisch, und Hermine zog den teuren Blazer ihrer neuen teuren Garderobe glatt.

Sie schloss ihre Bürotür für dieses Gespräch.

 

„Alles in Ordnung, Madame?“, erkundigte sich der Mann bei ihr, und abwesend nickte sie.

 

„Ja“, sagte sie, war sich aber schon fast nicht mehr sicher, was der Mann sie gefragt hatte. Es hatte die Runde gemacht, dass ihre Tochter entbunden hatte, aber Hermine hatte klar und deutlich gemacht, dass sie nicht darüber sprechen würde. Sie hatte keine Zeit. Es galt, alles zu erledigen, damit sie vielleicht ihre Ehe kitten konnte, und von den Verwaltungsdamen nicht mehr mitleidig angesehen werden würde.

 

„Ich habe hier die Kandidaten vorliegen, die für diesen Job geeignet sind. Mr. Ferrars gehört nicht dazu“, ergänzte er überflüssigerweise. Es war Hermine beinahe egal. „Es ist ein Randproblem, Madame“, machte er es deutlich, und Hermines Aufmerksamkeit kehrte zurück.

 

„Ich weiß, Maxwell“, erwiderte sie gereizt.

 

„Nächste Woche wird die Vertretung des zweiten Senats hier aufschlagen“, prophezeite er ihr bitter. „Das magische Verwaltungsgericht ist nicht begeistert über Ihre Umstrukturierung, Madame“, bemerkte er knapp.

 

„Das war mir klar“, sagte sie bloß. Maxwell Tavish wäre ihre erste Wahl für einen persönlichen Untersekretär, aber natürlich war das nicht möglich. Er war der einzige, der ehrlich mit ihr sprach, Sorgen und Bedenken äußerte, aber auch ihre Projekte unterstützte. Er kannte sich in den hohen Rängen bestens aus, da er alle Personalakten gelesen hatte.

 

Es klopfte wieder, und erschöpft hob sich ihr Kopf. „Herein“, rief sie lediglich, bemühte sich nicht mal professionell zu klingen. Die Tür öffnete sich langsam, und Desmond steckte den Kopf herein.

 

„Lord Ferrars“, begrüßte Maxwell den Gast, und Desmond betrat das riesige Büro, mit dem sie noch nicht völlig zurecht kam. Er wich einem fliegenden Memo aus, das die Chance genutzt hatte, durch die offene Tür zu sausen, und solange um ihren Kopf schwirrte, bis sie es mit beiden Händen zufassen bekam und platt auf dem Tisch niederdrückte. „Wir sprachen gerade über Sie.“ Desmond lächelte tatsächlich.

 

„Sie raten ihr von mir ab, nicht wahr, Tavish?“, wollte er mit einem fast spöttischen Blick wissen. Maxwell betrachtete ihn finster.

 

„Sie ist nicht meine Tochter, und Sie sind kein Jungspund von Rebell, der mit ihr durchbrennen möchte“, erklärte er schroff, und fast musste Hermine lächeln, über so viel barschen Humor von einem staubigen Ministeriumsbeamten. „Madame Minister kann selbst entscheiden, welche Stabsbesetzung sie bevorzugt, aber natürlich gibt es vielversprechendere Kandidaten, als ausgerechnet den Vize-Vorsitzenden der Äußeren Abteilung, Lord Ferrars.“

 

„Vielen Dank für das Kompliment und Ihr Vertrauen“, erwiderte Desmond nickend.

 

„Lord Ferrars, Sie schüren die Gerüchteküche, und das ist etwas, was wir so weit oben in der Rangfolge zu vermeiden suchen.“

 

„Die verdammte Gerüchteküche existiert mit meiner Bewerbung oder ohne sie, Tavish. Völlig gleichgültig, was passiert.“ Die beiden Männer sahen sich an.

 

„Maxwell, könnte ich mit Lord Ferrars unter vier Augen sprechen?“, bat Hermine ihn, wenn auch mit einem Augenzwinkern, aber Maxwell sah sie eindeutig an.

 

„Ich würde streng davon abraten, Madame“, erwiderte er. Hermine musste lächeln.

 

„Gut, dann bleiben Sie hier“, entgegnete sie nickend. Maxwell lehnte sich zurück und beobachtete, wie Hermine den Abstand zu Desmond schloss.

 

„Kennst du das Märchen, von der Ministerin, die keine Entscheidung alleine treffen durfte?“, erkundigte sich Desmond feixend bei ihr, und Hermine nickte traurig.

 

„Ja, ein schlimmes Märchen. Die Ministerin hat mir immer Leidgetan“, bestätigte sie wehmütig und hörte Maxwell schnauben.

 

„Man munkelt, deine Tochter hat entbunden?“, fragte Desmond schließlich gespannt, und Hermine nickte.

 

„Die ganze Nacht lang“, erwiderte sie.

 

„Meinen Glückwunsch. Man sieht es“, sagte er nickend, und sie hob argwöhnisch den Blick. „Sie sehen immer noch zauberhaft aus, Madame Minister, entschuldigen Sie die schlechte Wortwahl!“, lenkte er sofort ein, und Hermine verdrehte die Augen.

 

„Desmond, ich habe nichts gegen deine Bewerbung“, kürzte sie das Gespräch ab, denn bald war es fünf Uhr, und sie wollte Rose noch vor Einbruch der Dunkelheit holen. Deshalb musste sie dieses Gespräch beschleunigen. „Aber“, fuhr sie fort, und Desmond hob den Blick.

 

„Aber was?“, erkundigte er sich mit verschränkten Armen.

 

„Aber es macht den Anschein, als würdest du die Position nur nutzen wollen, um selber im Ministeramt Fuß fassen zu können. Als würdest du deine geplante Stellung ausschlagen, um auf lange Sicht, eine bessere Position ergattern zu können“, äußerte sie ihre ursprünglichen Gedanken, ohne Zögern und Scheu. Desmond sah sie direkt an. Maxwell schwieg, lauschte ihren Worten genau, und es verging ein Moment, ehe Desmond seufzte.

 

„Seltsam“, entfuhr es ihm schließlich. „Ich war überzeugt, meine Absichten wären überhaupt nicht subtil und wesentlich eindeutiger, Hermine.“ Sie blinzelte knapp. „Ich möchte mit dir arbeiten. Deine Ansichten sind innovativ, deine Entscheidungen mutig und für das Ministerium durchweg vorteilhaft. Auch das Urgestein wird es einsehen“, ergänzte er mit Blick auf Maxwell, der entrüstet die Augenbrauen hob. „Ich will keine bessere Stellung, ich habe kein Interesse daran, hinterhältig im Hintergrund zu agieren. Mein Interesse ist ein völlig anderes.“ Er sah sie sehr offen an.

 

„Desmond“, sagte sie beinahe schockiert, schüttelte fast schon den Kopf.

 

„Ich möchte Zeit mit dir verbringen. Ich möchte in deiner Nähe sein. Ich werde gute Dienste leisten, und nur zu gerne verzichte ich auf meinen Titel, wenn es bedeutet, dass-“

 

„-ich rate ab“, mischte sich Maxwell deutlich ein. Desmond lachte auf.

 

„Zieh es wenigstens in Erwägung. Ich will dich nicht manipulieren, Hermine. Ich hatte angenommen, du wüsstest längst, was ich für dich empfinde.“ Sie starrte ihn an. War das sein ernst? Der schöne Reinblüter vor ihr, wollte für sie arbeiten, um in ihrer Nähe sein zu können? Es wäre unfassbar romantisch, und ihr Bauch schlug einen kleinen Salto, wenn sie darüber nachdachte, wie es wäre, ihre Finger durch seine dichten Haare gleiten zu lassen, während er sie an sich zog, aber sie war auch völlig übermüdet und auf einem Koffein-Trip. Und viel wichtiger – Ron wartete auf sie. Ihr Ron! Der Reinblüter-Zirkus war vorbei. Sie brauchte niemanden sonst.

 

Sie schluckte schwer. „Ich überlege es mir, Desmond“, flüsterte sie fast.

 

„Danke. Sehe ich dich morgen?“, fragte er direkt.

 

„Madame Minister wird Sonderurlaub einreichen“, mischte sich Maxwell ein. „Und ich schlage vor, Sie gehen Ihrer Arbeit nach, Lord Ferrars. Madame Minister und ich müssen noch ein oder zwei Dinge besprechen“, machte er es überdeutlich. Dennoch schenkte Desmond ihr ein sehr eindeutiges Lächeln.

 

„Madame Minister“, verabschiedete er sich förmlich, mit dem Ansatz einer Verbeugung, und kopfschüttelnd verdrehte sie die Augen über ihn, aber ihre Mundwinkel zuckten geschmeichelt.

 

„Lord Ferrars“, wiederholte sie den förmlichen Gruß, und Maxwell atmete gereizt neben ihr aus. Der schöne Reinblüter ging, und Hermine war tatsächlich überrascht.

 

„Auf gar keinen Fall“, sagte Maxwell bloß, als sich die Tür wieder geschlossen hatte.

 

„Keine Sorge, Maxwell“, beschwichtigte Hermine den Berater, und dieser fasste sie streng ins Auge.

 

„Madame, Sie sind fähig, Ihre Entscheidungen zu treffen, aber ich rate Ihnen dringendst davon ab, ihn-“

 

„-ich denke, ich bin ohnehin schon vergeben, also gibt sich Mr. Ferrars umsonst Mühe“, informierte sie den Mann vor sich still, und dieser schloss den Mund.

 

„Kluge Entscheidung, Madame. Wirklich klug.“ Hermine hatte den größten Teil ihres Lebens kluge Entscheidungen getroffen, weshalb sie ein wenig unsicher war, was die Sache mit Ron betraf. Es war gut gelaufen, bis hierher. Sie hatte sich tapfer geschlagen, kaum um ihre Ehe getrauert, das erste Mal den Hauch von Freiheit verspürt, und jetzt… jetzt war sie sich nicht sicher, was sie fühlen sollte. Es hatte sich angenehm vertraut angefühlt. Es würde vieles leichter machen. Sie würde es auf sich zukommen lassen müssen.

 

Und währenddessen würde sie einfach in der Tatsache schwelgen, dass zwei Männer um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Es fühlte sich fantastisch an. Sie ignorierte die Tatsache, dass sie heute Großmutter geworden war. Es klang schrecklich alt. Viel zu alt.

 

~*~

 

Zornig zog sie die Vorhänge zu, aber das vereinzelte Blitzlicht drang doch ins Innere. Es war nervtötend. Eine kluge Entscheidung, Rose ins Gästezimmer im zweiten Stock zu verlegen. Zwar war der Weg weit, aber immerhin würde so kein dämlicher Klatschreporter ein Foto von ihrem Enkelkind machen.

Es hatte gedauert und es war nicht ohne Schwierigkeiten gegangen, aber Rose war endlich hier, samt Baby und bedauerlicherweise ihrem Ehemann. Aber Scorpius wäre niemals alleine bei seinem Vater verblieben. Und Hermine war schneller als Narzissa gewesen. Das war der größte Triumpf.

 

Es klopfte erneut an der Tür und außer Atem hastete sie durch die Flure. Wieder klopfte es, und erschöpft öffnete sie. Sie brauchte Schlaf. Dringend. In stiller Vorfreude, Ron zu sehen, öffnete sie überschwänglich und außer Atem, nur um gereizt den Mund zu verziehen.

 

Blitzlicht zuckte über die Zäune. „Beeilt euch“, knurrte sie lediglich und Scorpius und sein Vater schoben sich ins Innere mit scheinbar den letzten Taschen und Kleinigkeiten, die Rose und das Baby brauchen würden. Malfoy war alleine hier, und dass er überhaupt half, war nervig genug.

 

„Wo sind die Elfen?“, erkundigte sich Scorpius außer Atem bei ihr, genauso erschöpft, wie sie es war. Sie spannte den Kiefer an. Und Malfoy sprach.

 

„Ich gebe dir hundert Millionen auf die Hand, solltest du hier auch nur ein Haar eines Elfen finden“, sagte er spöttisch, während er die Taschen abstellte.

 

„Wie sollen wir die ganzen Sachen hochkriegen?“, wandte er sich an sie, fast ungläubig.

 

„Du siehst aus, als hättest du trainierte Arme“, bemerkte Hermine bloß. „Ich denke, es steht nichts der Annahme im Wege, dass du sie tragen kannst, oder? Abgesehen davon, besitzt du einen Zauberstab. Stell dich nicht so an, Merlin noch mal“, fuhr sie ihren Schwiegersohn von der Seite an, und dieser wischte sich über die Stirn.

 

„Schönen Dank“, murrte er bitter. „Irgendwas zu essen in der Küche?“, fragte er, marschierte direkt voran, und Hermine wusste, warum sie lieber alleine lebte.

 

„Ich weiß es nicht, Scorpius. Ich war nicht einkaufen, also-“

 

„-ich bestelle was“, rief er über die Schulter zurück. „Dad, was willst du?“, fragte er laut, und Hermine schüttelte den Kopf.

 

„Auf keinen Fall!“, sagte sie gepresst. „Ich erwarte noch Besuch!“, rief sie.

 

„Wen erwartest du?“ Malfoy stand noch immer im Flur, und sie hob den Blick zu seinem Gesicht.

 

„Es geht dich wenig an, oder?“, vermied sie es, besondere Höflichkeiten vorzuschützen.

 

„Deinen Mann?“, schloss er nahtlos, und sie atmete durch die Nase aus.

 

„Malfoy-“, begann sie warnend, aber Scorpius kehrte zurück.

 

„Ich habe Pizza bestellt“, informierte er sie knapp. „Genügend. Ich bin oben bei Rose und dem Baby. Die Paramagier kommen in einer halben Stunde, am besten erlaubst du den Zugang, Hermine“, informierte er sie wie ein Kleinkind, und ihre Stirn kräuselte sich voller Empörung beim Klang ihres Vornamens aus seinem vorlauten Mund. Anscheinend duzte er sie jetzt?! „Bleib zum Essen, ok?“, wandte er sich bereits an seinen Vater. „Du hast das Baby noch gar nicht begrüßt“, ergänzte er vorwurfsvoller, und Malfoy schien abzuwägen.

 

„Scor-“

 

„-bitte. Hermine, es ist ok, oder nicht?“, wollte er direkt von ihr wissen, und nein. Es war verdammt noch mal nicht ok. Es war nicht ok, dass er Pizza bestellte, es war nicht ok, dass sein Vater hier wäre, wenn Ron jede Sekunde kommen könnte. Es war absolut furchtbar. Sie hatte es nicht durchdacht.

 

„Sicher“, gab sie knurrend zurück, ohne ihr Missfallen zu verbergen, und Scorpius reckte den Daumen in die Höhe. Sie hasste den Jungen mit jeder Faser ihres Körpers. Mit geballten Fäuste stand sie im Flur.

 

„Ich nehme an, auf dem Papier macht es sich besser, den Ehemann nicht zu verlassen?“, vernahm sie seine schnarrende Stimme.

 

„Ernsthaft? Was soll das jetzt? Halt einfach deinen Mund.“ Sie war müde und überfordert. Sie wollte ihn nicht sehen. Nie wieder. „Vermisst dich deine Freundin nicht?“, entkam es ihr beinahe boshaft, ohne dass sie es beabsichtigt hatte.

 

„Gehe ich stark von aus“, erwiderte er unbeeindruckt und zog den Mantel aus. Ahrg. Kurz sah er sich um, nur um den Mantel schließlich achtlos über den Garderobentisch zu werfen. „Du wirst verzweifeln ohne Personal, Weasley“, bemerkte er schließlich kopfschüttelnd, und sie folgte ihm hastig, während er den Flur entlang schlenderte. Sie war Ministerin für Zauberei und wurde in ihrem eigenen Haus heimgesucht von diesen widerwärtigen Idioten. Sie verzweifelte an ganz anderen Dingen.

 

Und dann hörten sie es. Das leise Weinen aus dem zweiten Stock. Unwillkürlich sahen sie sich an. Dieses winzig kleine Wesen war nun die echte Verbindung zwischen ihnen. Unbestreitbar. Unumgänglich. Fast wurde ihr schlecht.

 

„Kann ich ihn sehen?“, fragte er sie tatsächlich, und sie hatte kein Recht, es ihm zu verweigern, ging ihr machtlos auf. Er war der Großvater. Sie nickte stumm.

 

„Natürlich“, sagte sie tonlos, ging voran, und er folgte ihr. Sie sprachen nicht, denn das war immer besser, und dann standen sie vor dem weitläufigen Zimmer, wo Scorpius bereits ein Bettchen zusammen hexte. Das Baby würde ab morgen keinen magischen Schutz mehr brauchen. Die Paramagier hatten gute Arbeit geleistet. Es ging ihm gut. Malfoy kam langsam näher. Das Baby lag in Roses Armen, die selig im Bett saß, bereit zu stillen.

 

„Draco“, begrüßte sie ihn warm, wärmer, als Hermine es je können würde, und der Name klang trotz allem falsch. „Mum“, sagte Rose liebevoll, und sie und Malfoy kamen näher. Malfoy setzte sich vorsichtig auf die Bettkante neben Rose und betrachtete das kleine Baby mit einem Lächeln.

 

„Herzlichen Glückwunsch, Rose“, sagte er mit einem Lächeln, streichelte Roses Kopf zärtlich, und Hermine wurde schlecht. „Wie heißt er?“, fragte er sanft, wandte den Blick nicht von dem wunderbaren kleinen Engel, und Rose lächelte scheu.

 

„Wir sind uns noch nicht ganz einig. Wir entscheiden es die Tage“, versprach sie geheimnisvoll, und Hermine konnte sich dem Zauber nicht verwehren und kam ebenfalls näher, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und vorsichtig ergriff sie die winzig kleine Hand. Sie konnte sich schon nicht mehr erinnern, dass Rose jemals so winzig gewesen war.

 

„Er ist perfekt“, flüsterte Hermine ehrfürchtig, und Rose lächelte beseelt.

 

„Ja, nicht wahr? Ein echter Malfoy“, bestätigte sie, und Hermine zog die Hand langsam zurück. Sie spürte seinen Blick wieder einmal deutlich.

 

„Hm“, machte sie mit mäßiger Zustimmung, und würde das niemals bestätigen. Dumpf vernahm sie das Klopfen. Niemand rührte sich, bis Scorpius hochschreckte.

 

„Scheiße“, entkam es ihm. „Die verdammte Pizza. Das geht nicht so weiter, ohne Elfen, Hermine!“, fuhr er sie im Gehen an, und sie fand ihn unfassbar dreist. Und wann genau hatte er beschlossen, sie zu duzen? So völlig schmerzfrei? Denn angeboten hatte sie es ihm nicht. Sie verbrachte wenig Zeit mit Rose und Scorpius. Aus gutem Grund, stellte sie immer wieder fest.

 

„Mum, du solltest wirklich wen einstellen“, schlug Rose sanft vor, und Hermine verdrehte die Augen.

 

„Ich weiß“, räumte sie ein.

 

„Das Haus ist zu groß für dich allein, ohne irgendeine Hilfe“, beteuerte sie schwach.

 

„Ich weiß, Rose“, wiederholte Hermine bloß.

 

„Wenn ich irgendetwas brauche-“

 

„-dann hole ich es dir, oder dein höflicher zuvorkommender Ehemann kann es tun“, schnappte Hermine, riss sich aber wieder zusammen.

 

„Es entspricht nicht dem Stand“, sagte ihre Tochter so selbstverständlich, dass Hermine wieder schlecht wurde.

 

„Rose-“, begann sie angewidert, aber Rose unterbrach sie.

 

„-deinem Stand. Du bist Ministerin. Vielleicht solltest du anfangen, dich so zu verhalten?“ Hermine ließ es ihr durchgehen, weil sie eine schmerzhafte Geburt hinter sich hatte, aber sie fand auch ihre Tochter immer noch genauso unmöglich und dreist wie letzten Monat. Malfoy unterdrückte das Grinsen, und Hermine schoss ihm einen wütenden Blick zu.

 

Es klopfte erneut, und sie streckte den Rücken durch. Sie hatte es Rose noch nicht gesagt, hatte die frohe Kunde noch nicht verbreitet.

 

„Ich bin gleich wieder da“, sagte sie bloß, erhob sich und verließ zügig das Zimmer. Sie hatte den Auroren, die das Tor bewachten bereits mitgeteilt, dass Ron Zutritt hatte. Es kürzte das Prozedere merklich ab. Ja, sie brauchte wahrscheinlich die ein oder andere Hilfskraft, aber es war ungewohnt. Damals, Zuhause hatten sie auch ohne Personal überlebt. Aber Hermine wusste, sie verhielt sich albern.

 

Schnell trugen sie ihre Füße. Sie hörte Scorpius in der Küche hantieren, beeilte sich, die Tür zu erreichen, zog sie strahlend auf, und stockte, wie schon zuvor.

 

Ron stand vor ihr, geduscht, gepflegt, er trug sogar Hemd und Jackett – aber er war nicht allein. Ganz und gar nicht allein. Und er hatte nicht Harry oder Ginny mitgebracht, nein. An seinem Arm hing… Lavender Brown. Und nach einem Blick in ihr Gesicht, schwand jeder freudige Ausdruck von seinem. Schuld stahl sich sofort auf seine Züge, und ihre Augen weiteten sich unwillkürlich.

 

„Madame Minister“, begrüßte Lavender sie mit einem feierlichen Knicks. „Unfassbar, dass du Ministerin bist, Hermine! Glückwunsch zum Enkelkind!“ Lavender ließ sich selber ins Haus, bestaunte die Größe, die weiten Flure, während Hermine Ron fassungslos ansah.

 

„Ich wollte es dir sagen“, entkam es ihm gepresst. „Sie… wollte unbedingt mit. Ich hätte sie nicht…“

 

„Mir was sagen?“, zischte sie haltlos.

 

„Hermine-“, begann er kopfschüttelnd.

 

„-Wann genau wolltest du mir von ihr erzählen?“, knurrte sie, während Lavender den Flur weiter hinab wanderte und Verzückungsschreie ob der Rüstungen ausstieß. „Nachdem oder bevor du mir meinen Bademantel ausgezogen hast?“, brachte sie fassungslos hervor, und Ron wirkte beschämt.

 

„Hermine-“, sagte er wieder, aber sie wollte es gar nicht hören und musste es auch nicht, denn sie bekam unwahrscheinliche Rückendeckung.

 

„Weasley“, begrüßte Malfoy ihren Mann, und er schien lautlos aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Rons Gesicht verlor alle Farbe.

 

„Malfoy“, sagte er knapp.

 

„Du solltest Rose begrüßen“, bemerkte Hermine mit mehr Fassung, als sie sich zugetraut hatte und verschwand in die entgegengesetzte Richtung. Blind ging sie durch die Halle, durch einen weiteren Flur, bis sie im Salon angekommen war, der an die Küche grenzte. Für mehr Halt und Kontenance umfasste sie die Stuhllehne von einem der Esszimmertischstühle. Noch hatte niemand hier gesessen und gegessen, und ihre kindischen Vorstellungen davon, dass sie und Ron hier alt werden würden, zerschlugen sich übergangslos. Wie konnte er wagen, hier aufzutauchen und diese… diese Person mitzubringen? Wie? In ihr Haus! Wie konnte er es wagen, eine neue Partnerin zu haben – und ausgerechnet sie! – und Hermine trotzdem küssen? Wie konnte er?!

 

Kurz schloss sie die Augen. Sie war dumm gewesen.

 

Jemand räusperte sich hinter ihr. Es war nicht Ron. Halb wandte sie sich um. Der Salon lag im Dunkeln, denn sie hatte kein Personal, was die Lichter entzündete. Sie hatte gar nichts.

 

„Geh endlich“, sagte sie still, so erschöpft, den Tränen sehr nahe, aber immerhin hatte sie nicht mehr die Kraft zu weinen. Sie war zu müde und viel zu wütend auf Ron.

 

„Es wird leichter werden“, versprach er ihr ins Blaue hinein, ohne, dass sie es überhaupt hören wollte.

 

„Malfoy-“, begann sie erschöpft.


„-irgendwann wirst du nicht mal mehr wissen, warum dich der Gedanke an ihn wütend macht“, sagte er und kam näher.

 

„Ich brauche deine traurigen Witwer-Ratschläge nicht“, fuhr sie ihn zitternd an. „Mein Mann ist nicht tot. Mein Mann ist nur ein unfassbares Arschloch, wie es alle Männer sind“, zischte sie tonlos.

 

„Kommst du zurecht?“, wollte er tatsächlich von ihr wissen, ignorierte ihre bösen Worte, stand mittlerweile hinter ihr, und sie wandte sich zornig zu ihm um.

 

„Ich belege das höchste Amt der magischen englischen Gesellschaft, Malfoy. Und auch die dümmsten Entscheidungen haben mich nicht davon abbringen können, diese Position zu bekommen. Ich komme zurecht.“ Sie brauchte seine arrogante Meinung nicht. Ganz und gar nicht. „Am besten gehst du zurück zu deiner kleinen Verlobten und ruhst dich noch einige Monate aus, denn wenn sich einer Sorgen um seine Gesundheit und sein Seelenheil machen muss, dann bin das garantiert nicht ich!“ Sein Gesicht lag im Halbdunkeln und sie konnte es nicht völlig ausmachen, aber sie sah ihn nicken.

 

„Immerhin kann ich mir nicht vorwerfen, dass ich nicht versucht habe, mit dir zu reden, mit dir ernsthaft zurechtzukommen“, bemerkte er bitter.

 

„Danke, ich verzichte darauf!“, spuckte sie ihm entgegen.

 

„Vielleicht solltest du dich mehr für deine Tochter freuen“, schlug er ihr angespannt vor.

 

„Ich freue mich darüber, dass sie überlebt hat, dass es ihr gut geht, dass sie ein gesundes Baby hat – dass es euer Nachkomme ist…- das ignoriere ich so gut ich es kann! Und es würde noch besser funktionieren, wenn du endlich aus meinem Haus verschwinden würdest!“ Sie konnte nicht mehr.

 

„Meinen Glückwunsch zum Ministeramt. Ich hoffe es ist ein früher Nagel zu deinem verdammten Sarg“, verabschiedete er sich kalt von ihr.

 

„Glückwunsch zu verspäteten Midlife-Crisis, Malfoy. Du bist absolut erbärmlich“, rief sie ihm nach, aber mit zornigen Schritten war er aus ihrem Salon verschwunden. Sie konnte nicht aus ihrer Haut, stellte sie schaudernd fest. Wann war sie so kalt und ekelhaft geworden, fragte sie sich müde. Dann erst bemerkte sie das Licht aus der angrenzenden Küche. Sie hob den Blick, und Scorpius‘ Silhouette sah ihr entgegen. Sie wusste nicht, wie lange er schon dort stand, was er alles gehört hatte und ob sie überhaupt irgendetwas Verwerfliches gesagt hatte. Wohl nichts, was er dahingehend deuten konnte, dass sie und seinen Vater mehr verband als gegenseitiger Hass, aber genug, dass er sie wohl noch weniger leiden konnte.

 

„Scorpius-“, begann sie zögerlich, aber er hatte sich wortlos von ihr abgewandt, und die Tür schwang hinter ihm leer zurück und vor. Sie schloss die Augen. Es war kein guter Tag. Absolut nicht.

 

 

 

10. it’s getting ugly, but it looks good on paper

 

Er lag wach, während Emily neben ihm bereits eingeschlafen war, kaum bekleidet, denn natürlich hatten sie Sex gehabt, als er wiedergekommen war. Und nicht, weil er eine Midlife-Crisis hatte. Und obwohl der Sex großartig gewesen war, er einen perfekten Höhepunkt mit der perfekten Frau gehabt hatte, überschatteten die vorangegangen Erlebnisse sein komplettes Bewusstsein. Er hatte einfach verdrängt, dass Rose irgendwann tatsächlich ein Baby haben würde.

Seine Mutter hatte sich bereits angemeldet, sie wollte es sehen, aber sie wollte die Minister-Villa nicht betreten – obwohl Draco annahm, das war eher weniger Narzissas Entscheidung, als Weasleys –, denn Narzissa wollte prüfen, ob es tatsächlich ein Malfoy war, oder ob Rose Scorpius einen Bastard untergejubelt hatte, um es mit den blumigen Worten seiner Mutter auszudrücken.

 

Aber Draco hatte bereits festgestellt, das Baby sah Scorpius unverwechselbar ähnlich. Sein Sohn hatte genauso ausgesehen, als er geboren worden war. Rose war ihm nicht untreu gewesen. Zumindest nicht in dieser entscheidenden Nacht, das konnte er soweit beurteilen. Es war ein perfektes Baby, in jeder Hinsicht.

Er hatte sich beherrscht, hatte Rose und Scorpius nicht bedrängt, hatte nicht geäußert, dass es eine dumme Idee wäre, in der Minister-Villa zu wohnen, bis Rose bei Kräften war, wo nicht einmal Personal angestellt war – Merlin!

 

Und sie! Sie war absolut… sie war einfach so unfassbar – fuck! Er schloss gereizt die Augen. Die Presse würde voll von dieser Geschichte sein. Und würde sich die Ministerin nicht bald unter Kontrolle bekommen, dann würden die Geschichten auch noch reißerische Qualität besitzen. Sein Foto würde morgen in der Hexenwoche stehen, denn natürlich hatten es sich die dämlichen Fotografen nicht nehmen lassen, ihn abzulichten, während er und Scorpius die Sachen rüber gebracht hatten. Und er hätte nicht kommen müssen – hätte nicht kommen sollen! Aber er hatte das Baby sehen wollen, hatte er die Geburt schon verpasst, weil er nicht mit Hermine Weasley diese Erfahrung hatte teilen wollen. Er wollte sie überhaupt nicht sehen. Sie mussten ein besseres Arrangement finden, feste Zeiten ausmachen. Rose und Scorpius sollten einfach zu seinen Eltern ziehen, dort würden sie wenigstens von den Elfen umsorgt werden.

 

Und scheinbar hatte sie gedacht, Dinge mit Weasley kitten zu können, aber Weasley hatte sich wohl getröstet. Mit diesem dummen Stück aus Gryffindor, Draco erinnerte sich nicht mehr an ihren Namen. Es war ihm zu viel Drama. Er hatte sein ganz eigenes Drama in seinem eigenen Haus. Obwohl es nicht zu dramatisch war. Seine Mutter war wesentlich angetaner von Emily, als sie es jemals von Astoria gewesen war, was ihm sehr zu denken gab. Emily würde sein Baby bekommen. Ab und an erfasste ihn nackte Panik. Schlaflose Nächte, volle Windeln, Geschrei und bittere Vorwürfe seiner zukünftigen Frau, warum er nicht half, was er den ganzen Abend trieb, ob er vielleicht noch später würde nach Hause kommen können, um niemals zu helfen – denn das ganze Fiasko hatte er schon mit Astoria austragen müssen. Aber er war kein Mann, der sich gerne mit Babys befasste. Sie waren nett anzusehen, hübsche kleine Wesen, aber gänzlich langweilig und absolut begriffsstutzig.

 

Er zwang sich zu tiefen Atemzügen, denn er musste schlafen. Er hatte einen langen Arbeitstag vor sich. Morgen wurden die neuen Versicherungspolicen vorgestellt, und er würde das Abendessen bei seinen Eltern ausfallen lassen können, was ihm nur Recht war, denn sein Vater würde sich den halben Abend über die unfähige Ministerin aufregen, die intern beschlossen hatte, die Dementoren abzuziehen. Hermine Weasley würde sich noch wundern, wusste er. Sobald diese Entscheidung öffentlich wurde, würde das Ministerium ein Ansturm von Gegenmeinungen treffen. Er nahm an, sie wollte es sich nicht einfach machen. So ziemlich niemals.

 

Sie sah nicht gut aus. Sie hatte zugenommen und schien gar nicht mehr zu schlafen. Wahrscheinlich war das Amt mehr Anstrengung, als sie gedacht hatte. Oder aber Äußerlichkeiten waren ihr egal. Es gefiel ihm gut, dass es ihr schlecht ging. Leugnen würde er das nicht. Aber ihre Worte waren schwer abzuschütteln. Sie beleidigte ebenso erbarmungslos wie er. Er fand keine Schwachstelle in ihrer Offensive – wollte es nicht mal! Er würde versuchen, sie nicht mehr zu sehen. Nicht mehr über sie nachzudenken. Sie würde nach ihrem Urlaub ohnehin bis in die Nacht arbeiten müssen. Dann könnte er das Baby immer noch besuchen.

Es war wirklich nett anzusehen. Emily hatte ihm schon in den Ohren gelegen, dass sie es morgen auch besuchen wollte.

Es war nicht seine Entscheidung. Es war Roses Entscheidung. Und natürlich die der Ministerin, ob sie seine ‚kleine Verlobte‘ in ihr Haus lassen würde.

 

Er würde erst mal zu tun haben. Hatte er Merlin sei Dank sowieso. Wie angenehm die letzten neun Monate gewesen waren. Alleine ein Tag in ihrer Gesellschaft war absolut ermüdend. Er würde sich umbringen, müsste er sie jetzt jede Woche ertragen. Oder sie. Das wäre wohl die einfachere und gesellschaftlich verträglichere Lösung.

 

Für seine Familie zumindest.

Und für ihre auch, dachte er grimmig, bevor er sich dazu zwang, die Augen zu schließen.

 

***

Sie hatte geschlafen. Ziemlich viel. Sie aß ein karges Frühstück, denn noch immer mangelte es ihr an Personal, was einkaufen ging. In der Küche stapelten sich die leeren Pizzakartons, es roch nicht mehr angenehm, und das einzig Positive, was sie der Situation abgewinnen konnte, war, dass ihr Schwiegersohn nicht mehr mit ihr sprach.
Das war natürlich nur solange positiv, bis sie sich von ihrer Tochter ein Ultimatum abholen konnte, dass Hermine sich entweder mit dem arroganten Schönling verstand, oder dass Rose, das Baby und Scorpius verschwinden würden.

 

Beinahe bereute Hermine, Rose geholt zu haben. Aber sie verwarf den Gedanken schnell. Es war schön, dass das Baby hier war.

Und tatsächlich hatte Rose mit Ron gesprochen. Sie hatten wohl einen Waffenstillstand eingelegt, aber Rose bekam auch Sonderpunkte. Sie hatte eine schwere Geburt hinter sich, war sehr erschöpft und bliebe immer Rons kleines Mädchen. Scorpius wurde von Ron wohl ignoriert, aber Ron konnte ja auch jederzeit nach Hause gehen. Sie hatte mit ihm nicht mehr gesprochen. Auch nicht mit Lavender. Mit Glück würde sie es bis zur Scheidung auch nicht müssen, dachte sie grimmig, während sie den billigen Earl Grey trank und durch den zerfledderten Tagespropheten blätterte, der immerhin überhaupt den Weg hier her gefunden hatte.

 

Sie blätterte zum Ende, ihr Finger fuhr über eine lange Liste, bevor sie resignierend ausatmete. Sie verlor die Schlacht, aber der Krieg war noch nicht zu Ende, sagte sie sich dumpf. Sie schritt zum Kamin, warf den Rest Flohpulver in die Flammen, und lehnte sich vor.

 

„Dawlish und Devlin, Arbeitsvermittlung“, sagte sie zerknirscht, und die Flammen flackerten höher, als die Verbindung aufgebaut wurde. Das Feuer lichtete sich, und Hermine erkannte eine gelangweilte junge Hexe auf einem durchgesessenen Sessel, Pergament und Feder auf dem Schoß, während sie ein Gähnen kaum unterdrücken konnte.

 

„Dawlish, Devlin Vermittlung, was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich mit einem halbherzig Blick, und Hermine tat es Rose zuliebe. Und ihrer nichtvorhandenen Figur, denn sie würde nur noch mehr zunehmen, wenn sie ausschließlich von Pizza lebte.

 

„Hermine Weasley, ich bräuchte zwei Dutzend Angestellte für die Minister-Villa. Hauswirtschaft, Küche, Botengänge, Wäscherei, Garten und was noch so anfällt“, zählte sie nachdenklich auf. Die Hexe blinzelte knapp.

 

„Madame… Minister?“, entfuhr es ihr ungläubig, und fast kippte sie aus dem Sessel. „Ich… natürlich!“, sagte sie sofort. „Sie ahem… suchen Elfen, oder…?“

 

„Nein, ich suche menschliches Personal“, bemerkte Hermine scharf. „Ich denke nicht, dass Sie über die Erlaubnis verfügen, überhaupt noch magische Kreaturen zu vermitteln, oder irre ich mich?“ Hermine hasste die Leute. Es war untersagt, Elfen anzustellen! Und gerade ihr anzubieten, Elfen zu besorgen, war einfach unerhört.

 

„Nein, natürlich nicht!“, log die Hexe mit roten Wangen. „Ich werde sofort veranlassen, dass Sie alles bekommen, was Sie wünschen.“ Hermine wollte es einfach nur hinter sich bringen.

 

„Gut. Dann…“, wollte sie sich verabschieden, aber die Hexe sprang fast aus dem Sessel.

 

„Oh nein! Nein, warten Sie. Wir müssen die Präferenzen abstecken“, holte sie hastig aus, schickte die Feder mit einem schnellen Spruch übers Pergament, und Hermine zog die Stirn kraus. „Möchten Sie männliche oder wiebliche Angestellte? Gemischt? Einen Koch oder eine Köchin? Müssen Sie alle ein strafregisterfreies Führungszeugnis vorlegen? Wie viel Arbeitserfahrung sollen Sie haben? Möchten Sie ausschließlich reinblütige, halbblütige muggelgeborene Angestellte? Zu welchen Konditionen? Möchten Sie die Anstellung für die gesamte Amtsperiode, lieber eine Probezeit? Oder direkt tariflich geregelte Zwei-Jahres-Fristen? Ersatz für Urlaub- oder Krankheitsfälle? Werden Unterkünfte gestellt für Hauswirtschafter?“ Die Hexe sah sie erwartungsvoll an.

 

„Ahem…“

 

„Hat Ihr Assistent vielleicht diese Informationen für mich?“, erkundigte sich die Hexe mit knapper Nachsicht. Das wäre sehr schön, aber Hermine hatte keinen Assistenten für ihr Privatleben. Und sie hatte es überdeutlich gemacht, dass sie keinen Hausverwalter gebraucht hatte. „Ihr Assistent würde dann auch die Einstellung und die Überwachung der Probezeit übernehmen, korrekt?“, fragte sie spitz, während die Feder flitzte.

 

„Das klingt perfekt“, beschloss Hermine. „Sagen Sie, könnten Sie mir so einen Assistenten besorgen?“, ergänzte sie, und die Hexe öffnete perplex den Mund.

 

„Ich – oh“, erwiderte die Hexe. „Sicherlich“, sagte sie dann. „Möchten Sie einen männlichen oder weiblichen Assistenten, Madame Minister?“, fragte sie vorsichtig. „Führungszeugnis? Wie viel Erfahrung?“, wiederholte sie, und Hermine verzog den Mund.

 

„Kennen Sie sich nicht aus?“, wollte Hermine aus einer plötzlichen Neigung heraus wissen, und die Hexe sah sie verständnislos an.

 

„Mit was?“

 

„Mit der Einstellung von Personal, der Bewertung von Geeignetheit.“

 

„Ich… habe einen Job, Madame Minister“, entgegnete die Hexe zögerlich, und Hermine betrachtete den schäbigen Sessel, das heruntergekommene Büro, und Sie schürzte knapp die Lippen.

 

„Das sehe ich. Wie würde Ihnen der Job als meine Assistentin hier im Haus gefallen?“, erkundigte sie sich eindeutig, und sie wusste, Maxwell Tavish würde sie vierteilen. Aber sie war nicht auf der Arbeit, hatte nicht die gesamte Belegschaft zur Hand, die sie beraten konnte, sie war jetzt zuhause und sie hatte Hunger.

 

„Madame Minister…!“, sagte die Hexe kopfschüttelnd.


„Wie viel verdienen Sie zurzeit, äh… wie ist Ihr Name?“, fragte sie zielführend.

 

„Darcy Paige“, sagte die Hexe perplex.

 

„Wie viel verdienen Sie, Darcy?“ Und anscheinend war Hermines Gestalt so einnehmend, selbst im Bademantel, dass Darcy ohne Zögern antwortete.

 

„Achthundertfünfzig Galleonen und achtundzwanzig Knuts im Monat“, erwiderte sie wohl wahrheitsgemäß, und Hermine nickte nachdenklich.

 

„Das ist nett. Wie würde es Ihnen gefallen, dreitausend Galleonen im Monat zu verdienen, Darcy?“ Darcy blinzelte schockiert.

 

„Drei-dreitausend?“, wiederholte sie ungläubig. So viel verdienten ihre Assistentinnen auf der Arbeit. Und die Stelle als Hauswalter war unbesetzt – Hermine stand es frei, jemanden einzustellen.

 

„Sie würden für mich arbeiten, wären der amtlichen Verschwiegenheit unterworfen, hätten ein Zimmer in der Villa, wenn Sie es wünschen und würden sich um alles kümmern, was das Haus, die Angestellten und meine privaten Angelegenheiten betrifft“, zählte sie knapp auf.

 

„Bin ich… dafür überhaupt qualifiziert?“, entkam es Darcy zweifelnd, und Hermine ruckte mit dem Kopf.

 

„Sie scheinen mir fähig genug zu sein. Hätten Sie Interesse?“

 

„Interesse? Ja!“, rief Darcy auf. „Ich – natürlich, Madame Minister!“

 

„Fabelhaft. Wenn Sie wollen, rede ich mit Ihren Arbeitgebern, dass Sie ab sofort dem Ministeriumsdienst zur Seite stehen müssen.“ Darcy konnte ein Strahlen nicht verbergen.

 

„Nicht nötig, Madame“, sagte sie hastig.

 

„Wunderbar, ich erwarte Sie in der Villa, wann immer Sie können. Bis heute Abend brauche ich Zweidutzend Angestellte.“

 

„Natürlich, Madame Minister“, entkam es Darcy verblüfft.

 

„Bis später, Darcy“, verabschiedete sie sich, und Darcy beendete mit roten Wangen die Verbindung. Sie lehnte sich zurück, nicht sicher, wie man Leute einstellte, und ob es ethisch verwerfbar war, einer Hexe ihren Job madig zu reden und sie deshalb mit Gold zu zwingen für sie zu arbeiten, aber Hermine hatte wichtigeres zu tun. Sie wandte sich um, und erschrak über seine Erscheinung. Er lehnte am Küchentresen, ein kaltes Stück Pizza in der Hand.

 

„Sehr unorthodox“, bemerkte er kühl, um einiges ausgeschlafener als sie. Er trug ein gestärktes Hemd und eine dunkle Jeans. Wer stärkte seine Hemden? Tat er es selbst? Sinnlose Gedanken.

 

„Ihr wollt Angestellte, ich besorge euch Angestellte. Die Methode ist doch vollkommen egal“, behauptete sie barsch. Sie wusste nicht, wo sie standen, unter welchen Voraussetzungen sie sprachen. Sie wusste nur, sie konnte ihn schlecht ignorieren.

 

„Diese Hexe ist nicht qualifiziert“, behauptete er kauend, und Hermine verdrehte die Augen.

 

„Sie war gerade da, sie weiß, wie man Leute einstellt. Wenn es nicht funktioniert, wird sie wieder entlassen.“ Er betrachtete sie nicht überzeugt. „Ich gehe mich anziehen“, informierte sie ihn, um ihn nicht wortlos stehen zu lassen.

 

„Mein Vater hat dir nichts getan“, hielt er sie auf, als sie geglaubt hatte, nicht mehr mit ihm reden zu müssen. Das Gespräch schien also noch nicht vorbei. Seine Stimme klang sogar relativ ruhig. Kurz arbeitete ihr Kiefer. Wollte er ernsthaft darüber reden? Ging es um gestern? Was war überhaupt das Problem? Aber sie wusste, jedes Problem, dass sie mit Scorpius nicht anging, würde sie mit Rose anschließend durchkauen müssen. Sie hasste es, mit diesem Mistkerl zu reden. Langsam drehte sie sich wieder um, sah ihn an, und sein Ausdruck verriet wenig.

 

„Was?“, verschaffte sie sich etwas Zeit, hoffte, dass er sich nur irgendwie Luft machen wollte, oder etwas in der Art. Sie würde mit ihm nicht über seinen Vater diskutieren, wo ihre eigene Beziehung mit Scorpius holprig genug war.

 

„Du hast mich verstanden“, erwiderte er bloß, und wäre das hier ihr Sohn, würde eines ihrer Kinder so absolut respektlos vor ihr stehen, ihr Vorhaltungen machen, in ihrem eigenen Haus – dann…! Sie zwang sich, ruhiger zu atmen. Er war nicht ihr Sohn. Merlin sei Dank, nicht!  So etwas undankbares und unerzogenes wie diese Brut hätte sie mit spätestens sechzehn aus dem Haus geworfen.

 

„Was genau denkst du, gibt dir das Recht, mit mir darüber zu reden, in welcher Form ich meine Bekanntschaften halte, Scorpius?“, fragte sie ihn ausgewählt ruhig. „Ich mische mich nicht in euer Leben ein, deshalb erwarte ich denselben Anstand von dir“, erklärte sie, ohne besonders freundlich zu klingen.

 

„Nicht einmischen? Du hast Rose, als sie bewusstlos war, hier her gebracht“, erwiderte er eindeutig, und Hermine verzog den Mund.

 

„Sie ist hier gut aufgehoben“, beteuerte sie.

 

„Sicher. Ohne Hilfe, in einem leeren Haus, mit niemandem hier, außer ihrer Mutter“, bemerkte er spitz, und betonte das Wort ‚Mutter‘ auf eine Art, die weh tat. Nicht sonderlich doll, aber es schmerzte ein wenig. „Rose hatte einen schwachen Moment, und sie wird eher hier verschwinden wollen, als du denkst“, prophezeite er kopfschüttelnd.

 

„Rose hatte in der Vergangenheit mehrere schwache Momente“, war alles, was sie mit dem rechten Maß an Zweideutigkeit darauf antwortete. „Aber gegangen ist sie nie“, ergänzte sie scharf.

 

„Du hast ein Problem mit mir?“ Er fragte das. Tatsächlich! Wie konnte er es in Frage stellen. Ähnlich fassungslos musste sie ihn auch ansehen.

 

„Scorpius, ich habe eintausend Probleme mit dir. Wie dir bewusst sein sollte“, erinnerte sie ihn zornig.

 

„Für deine Eheprobleme kann ich-“

 

„-wage es ja nicht!“, unterbrach sie ihn eiskalt. „Ich denke nicht, dass ich erbärmlich genug wäre, einem Kind die Schuld an meiner zerbrochenen Ehe zu geben.“ Diese Beleidigung saß anscheinend, denn grimmig sanken seine Mundwinkel nach unten. „Aber ich gebe dir die Schuld, dass du Rose hast wählen lassen, zwischen ihrer Familie und deiner. Dass du ihren Cousin verprügelt hast-“

 

„Al hat mich-“

 

„-es ist mir egal, Scorpius!“, fuhr sie ihn an. „Du hast sie so oft betrogen, dass ich nicht begreife, woher sie noch den Stolz besitzt, ohne Zweifel deine Frau zu werden.“ Wütend sahen sie sich an. Merlin, sah er seinem Vater ähnlich. Es war unangenehm, so gruselig war es.

 

„Ich denke“, begann er ausgewählt ruhig, „dass es an der Zeit ist, dass du akzeptierst, was du nicht ändern kannst, Hermine.“ Hasste es. Hasste es, wenn er ihren Namen benutzte, als hätte er das Recht! Als hätte sie ihm jemals das Du angeboten! „Wir haben ein Kind. Es ist kein Spiel mehr. Wenn du mich auch fortwünschst, so wird es nichts an dieser Tatsache ändern. Und ich gehe nirgendwohin“, schloss er bitter.

 

„Das werden wir sehen, nicht wahr?“, unterstellte sie ihm glatt und hatte sich abgewandt.

 

„Hermine“, hielt er sie nachsichtig auf, und mit geballten Fäusten blieb sie stehen. „Wenn die Verlobte meines Vaters dich zum Empfang einlädt, schlage ich vor, du begleitest Rose und mich“, sagte er tatsächlich. Sie drehte sich wieder um, gänzlich ungläubig. Das war doch wohl nicht sein verdammter Ernst?!

 

„Ich denke nicht, Scorpius“, antwortete sie, fast amüsiert. Aber er blieb ernst.

 

„Ich denke schon“, widersprach er. „Es steht nicht wirklich zu deiner Disposition.“ Ihre Hände fanden den Weg zu ihren Hüften, stemmten sich kampfbereit dagegen.

 

„Ach wirklich?“, erkundigte sie sich lächelnd bei ihm, aber er lächelte nicht. Er klang nicht einmal sonderlich arrogant, als er sprach.

 

„Wirklich“, bestätigte er nickend. Und dann änderte sich seine Haltung sehr plötzlich. Sein Kinn reckte sich minimal vor, der Rücken wurde gerade, als wappne er sich. Als setzte er jetzt erst zum Kampf gegen sie an. „Es sei denn“, begann er langsam und fixierte sie sehr genau, „du bestehst darauf, dass Rose erfährt, was in unserer Hochzeitsnacht passiert ist.“

 

Ihr Kiefer gab nach.

 

Unwillkürlich.

 

Und mit einem Mal stieg kalte Schuld in ihr auf. Wusste er…? Wie konnte es sein, dass er das wusste?! Sie reagierte gar nicht, starrte ihn lediglich an, kalte Angst im Nacken. Ja, alle ihre überlegenen Worte waren verschwunden. Und wahrscheinlich wäre es dumm, so zu tun, als wüsste sie nicht, wovon er sprach. Er wirkte nicht so, als wäre er nicht im Bilde. Aber… das war unmöglich!

 

„Woher-?“, begann sie tonlos, aber er winkte ab, während ihr Nacken kribbelte und sie ihn nur anstarren konnte.

 

„-ist das wirklich wichtig?“, unterbrach er sie, entließ sie nicht aus seinem Blick, und sie schluckte schwer. Ob es wichtig war? Sie spürte, wie ihr übel wurde. Ob es wichtig war?! Das Ausmaß seiner Worte erreichte ihren Verstand. Scorpius wusste das! Seit Monaten, wie ihr schien! Und plötzlich ging ihr Atem flacher, als sich der Verdacht zu einer ohnmächtigen Gewissheit verdichtete.

 

„Du hast die Box in den Korb gelegt!“, entfuhr es ihr heiser, und kopfschüttelnd wich sie einen Schritt zurück. „Die Einladung zum Geburtstag! Es war nicht Rose, es… - du warst das!“, flüsterte sie anklagend, die Augen schrecklich weit, absoluter Unverstand in der zitternden Stimme. Er blieb schrecklich ernst, so schrecklich nüchtern, dass es widerlich war! Dieser Scheißkerl hatte dafür gesorgt, dass sie mit seinem Vater geschlafen hatte! Was?! Das…! Was?! Er schien noch einen Moment geduldig zu warten, bis sie zur nächsten anklagenden Epiphanie gelangte. „Merlin, die Nachricht im Resort! Du hast uns da unten eingesperrt!“, zischte sie erstickt.

 

„Du dachtest, es wäre Rose gewesen?“, ging er schließlich beinahe verblüfft auf ihre Worte ein, aber sie machte eine harsche Kopfbewegung.

 

„Du bist ein widerlicher Mistkerl!“, fuhr sie ihn an, alle mäßig gute Laune verflogen, die sie ohnehin nicht wirklich verspürt hatte.

 

„Hermine, ich denke, du hast kein Interesse daran, dass deine Tochter davon erfährt. Oder dein Exmann“, ergänzte er mit Bedacht, und ihr Mund öffnete sich. „Oder die Pressestelle des Ministeriums“, ergänzte er achselzuckend.

 

„Was soll das? Was willst du verdammt noch mal von mir?“, knurrte sie ihn praktisch an, die Wangen hochrot, die Fäuste zitternd geballt.

 

„Ich glaube, ich habe mein Anliegen deutlich gemacht“, war alles, was er sagte. „Wann immer eine Einladung meiner Familie geäußert wird, wirst du zusagen“, informierte er sie, und sie hatte keine Ahnung, was er spielte. „Oh, und Draco muss davon nichts erfahren, Hermine“, ergänzte er vielsagend. Ihr wurde übergangslos schlecht.

 

„Oh nein! Du wirst nicht-“

 

„-ich gehe zur Hexenwoche, und ich garantiere dir, die Reporter rennen dir die Villa ein, ob mit oder ohne Beweise. Rose spricht nicht mehr mit dir, das Ministerium wird keine deiner Entscheidungen ernstnehmen, und mit meinen Großeltern wird es ungemütlicher werden, als du dir vorstellen kannst“, warnte er sie dunkel.

 

„Du erpresst mich?“, fasste sie seine Worte empört zusammen.

 

„Hey – du hast mit meinem Vater geschlafen. Ich nutze nur, was aus der Situation entstanden ist“, erwiderte er mit einem freudlosen Lächeln, und sie wollte sterben. Jetzt sofort.

 

„Wie kannst du so etwas Widerliches planen? Wie kannst du all diese Dinge tun, und-?“

 

„-ich habe gar nichts getan. Das warst du. Ich habe dich nicht gezwungen, irgendetwas zu tun, Hermine“, unterbrach er sie ernst. „Und bitte!“, sagte er dann offen. „Erzähl es Rose. Nur zu“, schloss er auffordernd. Hermine rührte sich nicht.

 

„Das war es, was du wolltest, du widerliche Made?“, zischte sie tonlos. „Du wolltest einen Grund, mich bloßzustellen? Mich erpressen zu können?“ Und tatsächlich wirkte er beinahe beleidigt.

 

„Nein, das wollte ich nicht“, erwiderte er, entgegen ihrer Erwartung, aber sie verzog angewidert den Mund.

 

„Dann war es Spaß? Hast du das witzig gefunden? Du bist absolut krank und ekelhaft!“ Er atmete lange aus.

 

„Halt dich an die Abmachungen, die wir hier heute treffen, und irgendwann erzähle ich dir, warum ich es getan habe“, erwiderte er ernst, und Hermine lachte auf.

 

„Ich scheiße auf deine Beweggründe!“, spuckte sie ihm entgegen.

 

„Gut. Dann füg dich einfach“, ergänzte er bitter. „Ansonsten kannst du dich von deinem ruhigen Privatleben verabschieden.“

 

„Das ist es, was du willst? Ich soll auf die scheiß Partys deiner Familie gehen?“, blaffte sie ihn an, und er schenkte ihr ein Lächeln.

 

„Aber nein. Du sollst außerdem höflich und nett zu mir sein, und zu Rose. Sie braucht dich, Hermine. Also schlage ich vor, du strengst dich an, kümmerst dich gut. Und mein Vater-“

 

„-ich werde nicht mit deinem Vater reden!“, unterbrach sie ihn zornig.

 

„Du wirst nett und zuvorkommend sein. Du wirst ihn nicht beleidigen. Überhaupt niemanden aus meiner Familie.“

 

Sie hasste ihn. Sie wog bereits ab, ob so ein Deal überhaupt wert wäre, eingegangen zu werden, aber bedauerlicherweise würde die Wahrheit Wellen schlagen – und Rose würde nie wieder mit ihr reden.

 

„Wie lange?“, kürzte sie seine elende Verhandlung ab, fixierte ihn voller Hass, und er schien nachzudenken.

 

„Das kann ich dir nicht beantworten“, erwiderte er, und sie schüttelte den Kopf.

 

„Ich werde mein Leben nicht so leben, Scorpius!“, warnte sie ihn. „Eher verliere ich meine Familie und meinen Job, als für immer daran gebunden zu werden, höflich und verdammt zuvorkommend zu widerlichen Arschlöchern zu sein!“

 

„Tja“, entgegnete er mit ernstem Bedauern, und ihre Oberlippe kräuselte sich voller Verachtung. „Der Ausweg steht dir immer offen“, bemerkte.

 

„Du gehst dann mit mir unter, das ist dir klar, oder?“

 

„Bei mir hängt nicht wirklich viel davon ab“, erwiderte er bloß, und sie runzelte die Stirn.

 

„Rose wird das anders sehen.“

 

„Rose trägt meinen Namen, hat mein Kind geboren, ist abhängig von mir. Und du ahnst nicht, was sie mir alles durchgehen lässt“, bemerkte er glatt, und sie wollte ihn mit beiden Händen erwürgen.

 

„Oh, ich kann es mir denken!“, spuckte sie zornig. Er lächelte jetzt.

 

„Frag mich Weihnachten wieder“, entgegnete er lapidar, und ihre Knöchel knackten vor Wut. „Haben wir eine Abmachung, Hermine?“

 

Zornig atmete sie die Luft durch die Nase, während ihr Verstand nach Lösungen suchte. Er spuckte keine aus. Keine, bei der sie sonderlich gut wegkam. „Ich nehme an, du willigst ein“, schloss er aus ihrem zornigen Schweigen, und ein ekelhaftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Rose kommt“, bemerkte er, und sie hörte es ebenfalls. „Du wirst zu mir kommen, mich umarmen und mich zu meinem Baby beglückwünschen“, informierte er sie plötzlich, und ihre Augen weiteten sich.

 

„Auf gar keinen-“

 

„-tu es, oder ich verrate ihr hier und jetzt, dass du auf meinen Vater stehst“, drohte er knapp, und sie biss die Zähne fest zusammen. „Jetzt“, sagte er wieder, duldete keine Ausflüchte, und Hermine hätte sich auf der Stelle übergeben können, fixierte ihn mit tödlichen Blicken, ging gegen jeden gesunden Funken Verstand auf ihn zu und abwartend lächelte er auf sie hinab, als sie unter größter Ablehnung die Arme hob, gerade als Rose die Küche betrat. Tränen traten in ihre Augen, als sie den widerlichen Mann ihrer Tochter in eine Umarmung schloss. Sie musste weinen vor Ekel, aber es wirkte wie ehrliche Rührung, und Roses Blick war gänzlich entgeistert, aber Hermine schloss fest die Augen.

 

„Herzlichen Glückwunsch zu eurem perfekten Baby, Scorpius“, brachte sie unter Tränen hervor, und jetzt legte er die Arme um sie. Fest und entschlossen.

 

„Danke, Hermine“, sagte er, etwas zu selbstgefällig, und sie spürte, wie Rose sie ebenfalls umarmte.

 

„Oh Mum, du bist so süß!“, entfuhr es ihrer Tochter, und Hermine hasste Scorpius‘ Mittel. Sie hasste diesen Jungen. So voller Inbrunst, dass es ein Wunder war, dass sie sich nicht auf sein gestärktes Hemd übergab.

Was hatte sie nur getan? Nie wieder würde sie Rons Methoden anzweifeln! Weil sie Rose alles durchgehen ließ, war sie auf die Hochzeit gegangen, obwohl sie es besser gewusst hatte! Und dort war sie von Scorpius manipuliert und ausgespielt worden! Widerliches Schwein! Und jetzt bekam sie die Strafe, dafür, dass sie Rose liebte.

 

Nichts war das wert! Sie weinte weiterhin stumme Tränen und wollte vom Erdboden verschwinden.

 

 

11. a boy named sue

 

Sie konnte nicht erwarten, wieder zur Arbeit zu gehen. Wäre sie zu lange hier, würde der Plan, Scorpius im Schlaf zu verfluchen, ernsthafte Form annehmen, nahm sie bitter an. Aber jetzt gerade war sie minimal abgelenkt.

 

„Das ist Mrs Welsh“, stellte Darcy ihr die mittlerweile zwölfte Person vor. „Sie war fünfundzwanzig Jahre Hauswirtschafterin der Rackharrows“, fuhr sie wohlwollend fort. Noch ein Name, den Hermine nur aus ganz schlechten Verbindungen her kannte.

 

„Hm“, machte sie knapp.

 

„Madame Minister, es ist mir eine Ehre“, schien die Dame ehrlich zu bestätigen, und Hermine nickte schließlich.

 

„Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Mrs Welsh“, erwiderte Hermine. Darcy führte sie durch die Namen der Gärtner, der Boten, machte sie mit Mr. Holden bekannt, dem die dankenswerte Aufgabe zufiel, die Tür zu öffnen, und Gäste anzumelden sowie die Kamine zu überwachen.

 

Sie musste gestehen, die Köchin Madame Lorrard, irgendwann aus Frankreich nach England zugewandert, kochte unbeschreiblich gut. Und war dabei erschreckend schlank. Eine ehemalige Schönheit, aber Hermine wusste nicht, weshalb die Köchin mittlerweile alleinstehend war. Sie hatte nicht gefragt. Darcy hatte ihr bereits erklärt, dass ein zu enges Verhältnis zu den Bediensteten in den seltensten Fällen gut ausgehen würde.

 

Irgendwann hatte sie jeden kennengelernt, hatte erfahren, dass Mrs Welsh einziehen würde, als auch Mr. Holden. Vielleicht könnte man beide ja verkuppeln, dachte sie dumpf. Madame Lorrard würde ab vormittags bis sechs arbeiten.

 

Die Minister-Villa kam mit einem Hausverwaltungsplan, der monatlich ein geplantes Budget von 30.000 Galleonen für Angestellte vorsah. Hermine könnte sehr wahrscheinlich noch mehr Leute anstellen, aber Darcy hatte vorgesehen, das Gehalt gerecht zu verteilen, was Hermine völlig in Ordnung fand. Darcy war ein gutes Mädchen. Die dunkelblonden Haare etwas wirr in ihrem hohen Dutt, die Kleidung legere, aber durchaus zweckentsprechend. Hermine war nicht enttäuscht über ihre Wahl. Und schon alleine, weil Scorpius es nicht für gut hieß, würde Darcy bleiben.

 

„Gut“, schloss sie das Kennenlernen ab. „Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Miss Paige“, ergänzte sie bloß. „Ich muss kurz etwas erledigen, Darcy“, verabschiedete sie sich.

 

„Etwas Privates?“, erkundigte sich Darcy sofort, nur um dann sofort den Mund zu schließen.

 

„Ja, etwas Privates. Danke, ich brauche Ihre Hilfe dabei nicht“, sagte Hermine mit einem Lächeln.

 

„Natürlich, Madame Minister“, entschuldigte sie sich sofort, aber Hermine winkte ab.

 

„Hermine reicht“, entschied sie, denn der dämliche Titel ging ihr auf den Geist. Das Mädchen starrte sie an.

 

„W-was?“, entkam es ihr ungläubig.

 

„Hermine. Das ist mein Name. Ich biete ihn dir an. Einverstanden?“, sagte sie freundlich, und Darcy schien sich gar nicht fassen zu können.

 

„Oh Merlin, ich… ok!“, sagte sie glücklich. „Hermine!“, entfuhr es ihr grinsend, und sie legte die Hand über den Mund. Hermine verdrehte die Augen und konnte nicht erwarten, zu verschwinden.

 

„Bis später, Darcy“, verabschiedete sie sich, und es war tatsächlich netter, dass das Haus nun voller Menschen war, die sich kümmerten. Zwei Hexen waren allein für Rose da, würden sich um jeden Wunsch kümmern und das Baby versorgen. Rose musste sich noch zwei Wochen schonen, dann hätte die Magie ihren Körper wieder hergestellt.

 

Und Hermine hatte für heute Pläne. Auch wenn es nur ein kurzes Treffen war, sie war dankbar, das Haus verlassen zu können. Denn irgendwo lief Scorpius rum, und ihn zu treffen, wollte sie um jeden Preis vermeiden. Er hatte sie gestern heimgesucht, und sie hasste, dass sie fast Angst vor ihm hatte. Dass er sie tatsächlich derartig erpressen konnte! Gestern hatte er sie gezwungen, seinen Vater und dessen Verlobte einzuladen, sich zu bedanken, dass sie sich so gut um Rose gekümmert hatten. Und was Hermine besonders gegen den Strich ging, war, dass es vielleicht sogar etwas war, was normale Menschen tun würden. Wahrscheinlich würde die Mutter, den Schwiegervater einladen, wenn dieser dafür gesorgt hatte, dass sich gut um die Tochter gekümmert worden war.

 

Aber sie waren keine normalen Leute, Merlin noch mal! Sie hatte sich geweigert, Scorpius hatte gedroht, und bevor sie ihn womöglich noch einmal hätte umarmen müssen, hatte sie eingelenkt.

 

Madame Lorrard würde morgen irgendetwas Nettes kochen, und tatsächlich freute sich Rose bereits. Es brauchte also nur eine gemeine Erpressung, damit Hermine zu der Mutter wurde, die Rose strahlend anlächelte.

 

~*~

 

Die Einladungen waren auf das Wochenende in zwei Monaten datiert. Nicht nur würde Emily die Verlobung bekanntgeben, sie würde auch ihre Schwangerschaft bestätigen. Ein wenig abwesend starrte Draco aus dem Fenster. Der Herbst färbte die Blätter und sie fielen beständig auf die weite Rasenfläche, wandelten das Grün in einen bunten Teppich, und sein Blick verlor sich in den Farben.

 

Er war siebenundvierzig Jahre alt. Er würde gerne sagen, er fühle sich nicht so alt, allerdings fühlte er sich schrecklich alt, im Vergleich zu Emily.

Die Arbeit war liegen geblieben, er hatte sie Zuhause erledigen wollen, stand aber seit einer Weile nur sinnlos am Fenster, betrachtete den Herbst und fühlte sich alt. er bemitleidete sich ein wenig zu sehr, stellte er bitter fest.

 

Die Krönung war wohl aber tatsächlich, dass heute Morgen eine Eule von der Minister-Villa angekommen war. Hermine Weasley lud ihn und seine Verlobte zum Essen ein, als Dankeschön für die Gastfreundschaft, die Rose zuteilgeworden war. Emily war aus dem Häuschen gewesen, hatte sich bereits ein neues Kleid gekauft, hinterfragte diese Geste mit keinem Wimpernschlag, aber Draco musste annehmen, Hermine Weasley war mit einem Fluch belegt worden. Einem Unverzeihlichen, denn anders konnte er sich diesen Wandel beim besten Willen nicht erklären. Er war froh und dankbar gewesen, sie nicht wiedersehen zu müssen. Sie waren mit bösen Worten auseinander gegangen, und so zog er es vor.

 

Er brauchte keine höfliche Etikette mit heuchlerischen Einladungen. Es war alles gut so, wie es war. Fand sie es nicht unangenehm?

 

Er begriff es nicht, aber natürlich hatte Emily dieselbe Eule praktisch genötigt, die Zusage wieder mitzunehmen, und Draco nahm an, ihr ging es ums Prestige, in der Minister-Villa eingeladen zu sein.

 

Merlin, die letzten Monate waren angenehm ruhig gewesen.

 

Jetzt war alles Schöne dahin. Aber er würde seinen Enkel sehen. Wieder glitt sein Blick hinaus. Er war Großvater. Seine Mundwinkel sanken. Er war ein Großvater, der bald wieder Vater werden würde. Oh, Salazar, verdammt. Weasley hatte wahrscheinlich Recht. Er sollte sich lieber einschließen und ausruhen, solange er noch konnte.

 

Und für eine Sekunde bereute er, Emily zurück in sein Leben geholt zu haben. Dass er an seinem Geburtstag geglaubt hatte, wenn er keine andere Frau hätte, dass er womöglich noch Hermine Weasley nachstellen würde. Er bedeckte mit der Hand die Augen. Aber wer hätte ahnen können, dass er Emily Bennett nur mit dem Ultimatum bekäme, dass er sie heiraten musste und Vater ihres Kindes zu werden hatte?

 

Gut, sie hatte es wohl durchklingen lassen. Wahrscheinlich war Blaise nicht unbeteiligt, der ihm weißgemacht hatte, dass Draco durchaus noch in der Lage wäre, von vorne zu beginnen. Aber so langsam glaubte er, er war dafür nicht geschaffen. Schon damals mit Astoria war er nicht unbedingt dafür geschaffen gewesen. Und wahrscheinlich würde Astoria sich als allererste darüber lustig machen, was er sich für ein junges Ding genommen hatte, wäre sie noch da.

 

Emily war anders, als Astoria gewesen war. Beide besaßen einen guten Namen, mit dem viel Gold einherging, aber… Emily ähnelte wohl eher seiner Mutter. Eine charmante Tatsache, die ihm nie so sehr aufgefallen war, aber mittlerweile stellte er die Ähnlichkeit immer häufiger fest. Emily interessierte sich für Etikette, für den elenden Club, für Traditionen – für all die Dinge, die Astoria stets belächelt hatte.

Emily wäre eine perfekte Wahl für Scorpius gewesen, überlegte er dumpf, denn sein Sohn huldigte seinem eigenen Vater ebenfalls ein wenig zu viel, wie Draco immer wieder mit Entsetzen feststellte. Scorpius war ein guter Reinblüter, mit dem einen Fehler, wenn man wollte, dass er unbedingt Rose Weasley hatte haben wollen, seit…- solange Draco sich mit schmerzendem Kopf erinnern konnte.

 

Nur war Astoria nicht mehr da gewesen, um diese Krise mitzuerleben.

 

Ein Leben ohne Weasleys war für Draco kaum vorstellbar, denn seit zehn Jahren waren sie ein fester Bestandteil des Lebens seines Sohnes. Ganz zum Missfallen seiner eigenen Eltern. Ansonsten war Scorpius eher jemand, mit dem Draco weniger zu tun hatte. Sie hatten andere Wertvorstellungen und Interessen. Manchmal hatte Scorpius schwache Momente und suchte seine Zustimmung, seinen Rat – was auch immer. Aber meistens regelte sein Sohn die Dinge allein. Oder er ging zu Lucius.

 

Unfassbar. Also mussten sie morgen wieder Familie spielen. Wie konnte sie nur darauf bestehen? Es machte keinen Sinn. Draco würde dieser seltsamen Wendung auf den Grund gehen. Den einen Tag verteufelte sie seinen Namen, den nächsten Tag lud sie mit Prunk und Protz zum Essen ein.

 

Die Ministerin war verrückt geworden.

 

~*~

 

Sie war rein gebeten worden, mit der Anweisung im Salon zu warten – was sie jetzt tat. Sie zog die Bluse glatt, denn ihre neuen, teuren Sachen passten mittlerweile kaum noch. Sie musste so dringend abnehmen, dass sie sich schon schämte. Nichts blieb mehr in Form. Ihr Muskelgewebe hatte abgebaut und alles schwabbelte nur noch. Sie hatte nur noch keine Zeit gehabt, diese Baustelle anzugehen.

 

„Madame Minister“, wurde sie begrüßt und wandte sich um. „Ich nehme an, du kommst, um dich persönlich zu entschuldigen?“, vermutete Desmond mit einem ernsten Ausdruck.

 

„Mich entschuldigen?“, wiederholte sie etwas perplex. „Ich wollte ein freundliches Gesicht sehen“, räumte sie wahrheitsgemäß ein. „Gibt es einen Anlass, dass ich mich entschuldigen müsste?“

 

„Nun, mich ereilte ein Eilbrief per Eule, in dem mir recht förmlich mitgeteilt worden war, dass meine Bewerbung zum Untersekretär zurückzuziehen sei. In deinem Namen unterschrieben.“

 

„Ach ja?“, entkam es ihr überrascht, und er nickte abwartend, aber nicht wirklich sauer. „Ich nehme an, Tavish hat unterzeichnet.“

 

„Mit ziemlich fester Federführung, ja“, bestätigte er, aber schon zog ein Lächeln an seinen Mundwinkeln. Hermine erwiderte es erleichtert.

 

„Es tut mir leid, Desmond“, sagte sie dann. „Ich denke, es ist besser so.“

 

„Ok“, sagte er dann. „Und… alles andere?“, fragte er, und Hermine war sich nicht ganz sicher, was er meinte.

 

„Alles andere?“, wiederholte sie also kleinlaut.

 

„Mein unpassendes Geständnis in deinem Büro, mein Wunsch, in deiner Nähe zu sein?“, wiederholte er, woran sie sich mit heißem Schamgefühl erinnerte. „Kann ich darauf eine Antwort erwarten?“

 

„Desmond, ich weiß nicht, was-“

 

„-wie wäre es, wenn du mit mir essen gehst, und du überlegst dir deine Antwort dann?“, schlug er sehr scheinheilig vor. Ihr Blick fiel. Sie fand sich absolut unattraktiv. Es war ihr unbegreiflich, wie sie überhaupt jemand um eine Verabredung bitten konnte. Aber sie war ungebunden. Sie hätte sich niemals vorstellen dürfen, dass Ron einen zweiten Versuch wert wäre.

 

„Ich sehe abscheulich aus, Desmond“, sagte sie dann, ohne Scham. „Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich muss mich erst mal um mich kümmern.“ Desmond lachte schließlich auf.

 

„Du könntest niemals abscheulich aussehen, Hermine“, widersprach er.

 

„Ich bin unfassbar dick geworden“, erwiderte sie angewidert.

 

„Unsinn“, widersprach er lediglich.

 

„Weißt du, ich gehe mit dir aus, sobald ich fünf Kilo abgenommen habe. Oder zehn“, ergänzte sie unzufrieden, und er kam näher.

 

„Wir arbeiten seit zehn Monaten zusammen, kennen uns seit fünfzehn Jahren, und zu keiner Sekunde warst du je etwas anderes als bezaubernd“, erklärte er offen.

 

„Kein Wunder, dass du geschieden bist, bei deiner Schleimerei“, entgegnete sie mit roten Wangen. Er überwand den Abstand mit einem schmalen Grinsen und fest legten sich seine Lippen auf ihren Mund. Überrascht hielt sie die Luft an. Er roch gut, fühlte sich gut an, und ihr Herz flatterte in ihrer Brust. Ihre Hände griffen unbewusst in sein Jackett, zogen ihn unwillkürlich näher, aber seine Lippen blieben verschlossen, und er löste sich nach einem kurzen Moment.

 

„Ich nehme dich beim Wort, weißt du?“, raunte er nahe ihrer Wange. „Wenn es dir ernst ist und dein Gewicht alles ist, was dich von einer möglichen Beziehung abhält, klär das mit dir selbst und sag mir dann Bescheid“, informierte er sie mit verlangendem Blick. „Gerne auch eher, denn ich habe absolut kein Problem mit deiner hinreißenden Figur“, ergänzte er anzüglich, und sie blickte hoch in sein Gesicht. Und für einen kurzen Moment befiel sie die stumme Angst. Sie dachte an Scorpius. Würde er Desmond von ihrem Fehler erzählen? Sie brauchte Zeit, um das rauszufinden, dachte sie beinahe panisch. Und in der Zwischenzeit würde sie sich um ihre Fitness kümmern.

 

„Ok“, sagte sie dann. „Gib mir einen Monat.“

 

„Sehr sportlich von dir“, bemerkte er grinsend, aber sie schenkte ihm einen eindeutigen Blick.

 

„Ich habe Interesse an dir, also werde ich mich beeilen.“ Und er nickte daraufhin.

 

„Das hoffe ich, Hermine“, sagte er dann. Sie wusste, es war nicht die klügste Entscheidung, aber wer sollte irgendetwas dagegen haben? Es stand ihr frei, mit egal wem auszugehen. Auch Mr. Tavish hatte kein Anrecht darauf, ihr Privatleben zu bestimmen. So gerne er es täte.

 

„Danke, für dein Verständnis“, räumte sie ein, aber er winkte ab.

 

„Habe ich nicht. Aber ich möchte mit dir ausgehen, und du machst die Ansagen, also… habe ich keine Wahl.“

 

„Ich mache die Ansagen?“, wiederholte sie amüsiert.

 

„Ob du mich willst oder nicht – ja. Definitiv. Ich bin nicht dumm. Ich werfe mich dir nicht an den Hals, um zu riskieren, dass du Angst bekommst und abhaust. Ich möchte, dass du zu mir kommst. Weil du es möchtest.“ Er war… ein absoluter Traum von einem Mann. „Wie wäre es mit einem Tee und du erzählst mir von deinem Familienzuwachs?“, schlug er diplomatischer vor, und sie war dankbar für seinen Pragmatismus, dafür, dass er sie nicht drängte, und dass sie einfach mal ausspannen konnte.

 

Zur Abwechslung.

 

~*~

 

Sie hatte noch nie Gäste empfangen. Noch nie in dieser Form. Noch nie in einer Villa. Sie hatte noch nie Personal besessen, dass sich um das Essen kümmerte, die Garderobe der Gäste, um Getränkewünsche. Sie kam sich überflüssig und fehl am Platz vor, und sie spürte Scorpius‘ Blick auf sich, seitdem sein Vater und dessen Verlobte das Haus betreten hatten.

 

Dann wiederum musste sie nicht viel tun. Rose und Emily kümmerten sich um die Unterhaltung, während Scorpius mit seinem Vater über irgendwelche neuen Policen sprach, die sie beim besten Willen nicht interessierten. Sie gab sich Mühe, wandte ihre Aufmerksamkeit halbherzig dem Gespräch der Frauen zu, während das Baby einige Meter weiter in seiner Wiege schlief. Ab und an kontrollierten die Hexen das Baby, kontrollierten Rose, und eigentlich saß Hermine nur aus dekorativem Anlass hier.

 

Schließlich wurde das köstlich duftende Essen hereingekarrt und verteilt. Zuerst die Suppe, anschließend irgendwelche Häppchen – sehr französisch, dann kam der Hauptgang, und Madame Lorrard kam zu persönlich zu ihr, zwei Flaschen exquisiten Wein in den Händen.

 

„Welcher darf es sein, Madame Minister?“, fragte sie tatsächlich, und Hermine kannte sich mit Wein aus, wie sie sich mit Pferderennen auskannte – nämlich gar nicht.

 

„Äh…“, machte sie und betrachtete die Flaschen unschlüssig. „Den roten?“, entschied sie achselzuckend.

 

„Sie sind beide rot, Madame. Möchten Sie den trockenen herben oder lieber den süßlichen, der süffiger ist?“ Hermine entschied sich spontan.


„Süffig klingt gut.“ Tat es auch, denn mit genügend Alkohol würde sie den Abend schon überstehen.

 

„Eine sehr gute Wahl“, behauptete ihre Köchin mit einem nachsichtigen Lächeln, was Hermine erwiderte.

 

„Vielen Dank, Madame Lorrard“, entgegnete sie.

 

„Für mich nicht“, sagte Emily dann mit einem entschuldigend demonstrativen Blick auf ihren Bauch. Richtig, das Mädchen war schwanger. Hermine ließ sich das Glas nahezu randvoll gießen.

 

„Ich bin auch kein Fan“, mischte sich Scorpius ein. „Gerne einfach Fruchtschorle für Rose, Emily und mich“, erklärte er, und Hermine wollte die Augen verdrehen. Tat sie aber nicht. Denn sie durfte nicht.

 

„Dann nur für die Großeltern?“, erkundigte sich Madame Lorrard bei Malfoy, und dieser, wie Hermine auch, schien es nicht sonderlich schmeichelhaft zu finden, so betitelt zu werden.

 

„Bitte voll“, sagte Malfoy düster, und wie sie ließ er sein Glas randvoll kippen.

 

„Ich wünsche guten Appetit“, verabschiedete sich die Köchin, und Hermine wusste, sie würde gleich Feierabend machen.

 

„Danke!“, rief sie ihr nach, auch wenn es sich nicht schicken mochte. Und die Gesprächsmuster fielen zurück in ihre ursprüngliche Form, während Hermine noch geradeso verhindern konnte, den Kopf gelangweilt auf ihre Hand zu stützen und nicht das ganze Glas sofort zu trinken.

 

Die jungen Leute bekamen ihre Fruchtschorlen und Hermine fühlte sich fast wie auf einem Kindergeburtstag. Nur dass Rose jetzt selber ein Baby hatte. Sie erzählte aufgeregt von ihren neuesten Erfahrungen als Mutter, und wie wunderbar es war. Emily lauschte gebannt, und Hermine verkniff sich jedes Wort, stocherte auf ihrem Teller in dem Geflügel, bis es zerfiel, aber hungrig war sie nicht wirklich. Sie beschränkte sich auf Wein.

 

Die Standuhr schlug irgendwann sieben, und sie gähnte verhalten. Ob sie sich etwas zu lesen holen durfte? Wahrscheinlich nicht. Ihr Blick verlor sich im weiten Wohnzimmer. Das Baby schlief selig, und sie dachte an Desmond. Heute war sie tatsächlich joggen gewesen. Die Ländereien waren so weitläufig, dass man bequem seine großen Runden um das Haus machen konnte, ohne sich zu langweilen. Und alles, was ihr die Chance gab, von Scorpius wegzukommen, nahm sie dankend an.

 

„Ich werde nach dem Nachttisch sehen“, fand sie endlich eine geeignete Ausrede und spürte Scorpius‘ Blick sehr wohl, erhob sich aber mit einem gekünstelt freundlichen Blick in die Runde und konnte kein Wässerchen trügen.

 

Sie stahl sich in die Küche, wo sich die Küchenhelfer um irgendwelche Soufflés bemühten, an denen Hermine auch kein Interesse hatte, und lehnte sich an den Tresen.

 

„Wünschen Sie etwas, Madame?“, fragte sie einer der Helfer sofort alarmiert, und Hermine schüttelte den Kopf. Sie vermisste ihre einzige Allianz.

 

„Wo… wo ist Darcy?“, fragte sie stattdessen, und der Helfer wischte sich die Hände an der Schürze ab.

 

„Sie ist oben, Madame. Macht die letzten Einweisungen der Hexen. Soll ich sie über Floh rufen?“, fragte er sofort, aber Hermine verneinte.

 

„Nein. Nein, schon gut.“ Darcy tat ihren Job gut, würde aber bestimmt gleich nach Hause verschwinden, denn sie schlief nicht im Haus. Ihr Freund würde es nicht gut finden, hatte sie gemeint. Hermine konnte das nachvollziehen. Sie verblieb in der Küche, nicht sicher, was sie mit sich anstellen sollte. Sollte sie zusehen gehen, wie Darcy die Reinigungshexen einwies? Sie hatte nicht wirklich Lust dazu. Schon schwang die Tür auf. Ihr Albtraum stand im Türrahmen. Wäre sie doch einfach nach oben verschwunden.

 

„Alles in Ordnung mit dem Nachtisch?“, erkundigte sich Scorpius eindeutig spöttisch bei ihr, durchschaute ihr Ablenkungsmanöver wohl, und Hermine verzog den Mund.

 

„Es sieht so aus“, sagte sie lediglich.


„Kommst du wieder rein?“, erkundigte er sich höflich, meinte es aber nicht so. Sie sah es genau.

 

„Es gibt für mich nicht wirklich viel beizutragen“, entgegnete sie mit einem falschen Lächeln. Er erwiderte es.

 

„Oh, mir wird schon was einfallen. Kommst du?“, beharrte er, und sie hasste dieses Arrangement. Hasste es wirklich.

 

„Sicher“, erwiderte sie eisig und folgte ihm. Kaum waren sie zurück im Esszimmer, sprach Scorpius laut.

 

„Vater, wir wäre es mit einem hervorragenden Scotch?“ Malfoy wirkte nicht überzeugt. „Hermine, wieso öffnest du uns nicht den Humidor?“, schlug er vor, und sie verdrehte die Augen.

 

„Kein Fan vom Wein, aber Scotch geht, ja?“, knurrte sie, und Scorpius würdigte sie mit keiner Antwort, ließ ihr lediglich lächelnd den Vortritt. Der Humidor stand im nächsten Raum, ließ sich nur vom rangierenden Minister öffnen und beinhielt dummes Zeug wie Scotch und Zigarren. Nichts, was Hermine auch nur im Ansatz begeistern könnte. Die Frauen schien es nicht zu stören, dass sie das Esszimmer verließen. Hermine kannte sich erst seit einigen Tagen wirklich aus in diesem Haus, und doch war jedes Zimmer noch völlig neu.

 

Sie blieben vor dem Koloss aus Schubfächern und zwei schimmernden Glastüren stehen, und Hermine zog den Zauberstab, löste den Mechanismus, und die Türen schwangen auf.

 

Das Baby rührte sich neben an, und Hermine reagierte, aber Scorpius legte ihr die Hand auf die Schulter. Die Berührung allein war unangenehm und erfüllte sie mit Übelkeit. „Ich gehe schon.“ Er sagte es neutral, aber seine Augen befahlen ihr sehr deutlich, ihm nicht zu folgen.

 

Nett und zuvorkommend. Nett und zuvorkommend. Oh, Merlin!

 

„Danke, dass ihr gekommen seid“, sagte sie, so unbekümmert und neutral, wie sie es zustande brachte. Malfoy ließ das Glas sinken, was er in die Hand genommen hatte und fixierte sie mit gerunzelter Stirn.

 

„Ist das hier der Punkt, wo die Ermittler feststellen werden, dass der Scotch vergiftet ist und alles nur ein Vorwand war, um mich umzubringen?“, vermutete er freudlos, und Hermine wünschte, es wäre so.

 

„Ihr habt euch gut um Rose gekümmert, ich war unausgeruht und überfordert. Ich hätte dich nicht anschreien sollen“, räumte sie ein, und die Falten auf seiner Stirn verstärkten sich tatsächlich.

 

„Das ist nicht dein Ernst?“, erwiderte er ungläubig. Oh sicher war es nicht ihr Ernst! Was dachte er? Aber scheinbar kaufte er es ihr ohnehin nicht ab.

 

„Wir sollten wieder rüber gehen“, entkam es ihr resignierend, den Kopf gesenkt, denn Scorpius hatte sie gebrochen, und sie wusste, würde sie es Draco erzählen, würde sie ihm sagen, dass es Scorpius gewesen war, der für den Albtraum verantwortlich war, dann würde Draco ihn zur Rede stellen – garantiert! Und bevor sie hier noch länger alleine mit ihm blieb, womöglich schwach wurde und seinen Sohn verpetzte, musste sie gehen, damit Scorpius nicht gleich im Anschluss alles ruinieren würde! Dracos Verlobte war schwanger und sie würde es merklich schlecht auffassen.

 

„Ich glaube dir nicht“, informierte er sie kopfschüttelnd, aber er goss sich irgendeine Flüssigkeit ins Glas, schien für Scorpius ein weiteres zu füllen, schloss die Glastüren, und endlich konnten sie gehen.

 

Im Esszimmer hatte Scorpius das Baby auf dem Arm, warf ihr einen knappen Blick zu, aber für den Moment vergaß sie, dass sie ihn verabscheute. Ihr entzückendes Enkelkind streckte müde die Händchen nach oben, spielte mit Scorpius‘ Jackenknöpfen, und es war einfach unbeschreiblich süß.

 

„Oh, darf ich?“, fragte Emily beseelt, und Hermine musste sich erst daran gewöhnen, dass Draco selber ein Kind haben würde, in einigen Monaten. Die Babys wären verwandt, würden zusammen spielen, und Hermine würde niemals ihr Enkelkind für sich alleine haben. Malfoy wäre immer da. Kurz wurde ihr schwindelig, und sie musste die Augen schließen.

 

„Alles ok?“, raunte er ihr zu, als am Tisch die Übergabe des Babys stattfand, und sie erschrak über seine direkte Nähe.

 

„Mhm, bestens“, log sie durch zusammengebissene Zähne, sah hastig zu ihm auf, zog die Bluse gerade und marschierte voran.

 

„Draco, ist er nicht allerliebst?“, schwelgte Emily, mit Tränen in den Augen.

 

„Absolut“, sagte dieser, reichte Scorpius das Glas, und Scorpius und Rose tauschten einen Blick.

 

„Wir würden euch heute gerne seinen Namen mitteilen. Wir haben uns entschieden“, verkündete ihre Tochter plötzlich, und Hermine war sehr angespannt. Sie erwartete nicht gutes.

 

Sie setzten sich wieder, und Emily betrachtete Rose gespannt, während sie das Baby sanft wiegte. Hermine ergriff sich bereits ihr halbvolles Weinglas, vor allem um sich festhalten zu können.

 

„Möchtest du?“, fragte Scorpius sie, und Rose strahlte.

 

„In Ordnung. Meine Lieben“, begann Rose, und Hermine trank einen zügigen Schluck, denn diese Bezeichnung war einfach falsch in dieser Runde, „das ist Corvus Draco Ronald Malfoy“, stellte sie das Baby vor, und Hermine brauchte all ihre politische Schauspielkunst, um gar nichts zu sagen. Aber das musste sie gar nicht, denn Draco sprach.

 

„Narzissa hat dir die Liste geschickt?“, fragte er Rose direkt, und diese nickte glücklich. „Ihr hättet irgendeinen Namen wählen können. Peter, Jack, John, Allen – irgendwas“, ergänzte er knapp und schien nicht in Begeisterungsstürme ausbrechen zu wollen.

 

„Ein traditionsreicher Name passt besser zu unserem Stand“, erwiderte Scorpius achselzuckend, und Hermine sah die knappe Wut über Dracos Züge zucken.

 

„Ich finde den Namen wunderbar“, beteuerte Emily. „Der kleine Corvy“, sagte sie entzückt, und Draco erhob sich abrupt.

 

„Vater“, sagte Scorpius gepresst, aber Draco wandte sich ab.

 

„Mein Glas ist leer“, bemerkte er, als er den Whiskey in einem Zug leerte. Und dann galt sein Blick ihr. Auffordernd, kompromisslos. Oh Merlin. Sie sollte ihm wieder den verdammten Humidor öffnen. Mit einem entschuldigenden Lächeln erhob sie sich.

 

„Der Name ist sehr schön, Schatz“, rang sie sich mit einem Lächeln ab, und Rose erwiderte es sofort, wenn die Stimmung auch gedämpfter war. Sie verließ das Esszimmer, und Draco knallte die Tür hinter ihnen praktisch ins Schloss. Sofort begann das Baby zu weinen, und er bedeckte die Augen mit der Hand.

 

„Er ist sehr schön?“, äffte er sie nach. „Merlin, was ist los mit dir?“, fuhr er sie an.

 

„Malfoy“, begann sie gepresst, wusste aber nicht, was sie sagen sollte.

 

„Wie kannst du das einfach schlucken?“, verlangte er zu wissen, fixierte sie mit den Augen seines Sohnes, seine ganze Haltung glich so unleugbar der von Scorpius, und war das das Malfoy-Gen, fragte sie sich unwillkürlich? Schaffte es dieser Charakterzug dieser zornigen Männer tatsächlich, dass sie sich selber so derartig untergraben ließ? Und wieso hatte sie es bei Draco geschafft, unbeeindruckt von dessen Beleidigungen zu bleiben, aber ausgerechnet bei Scorpius hatte sie den Hauch von Schwäche zugelassen? Ging es um Rose? Ging es tatsächlich darum? Vertraute sie Draco mehr? Es war frustrierend. Es war frustrierend, sich mit diesen elenden Männern in ihrem neuen, netten Haus stets und ständig anlegen zu müssen. Und sie wollte die Konflikte so gering wie möglich halten, wirklich. Und sie stieg nicht auf sein Level, obwohl sie könnte. Mühelos.

 

„Dein Name ist auch nicht gerade-“, begann sie in Ermangelung besserer Worte, aber er unterbrach sie zornig.


„-ich hasse meinen Namen! Und Narzissa hat Astoria und mich Tag und Nacht gefoltert, bis Astoria nachgegeben hat, weil ich verdammt noch mal zu schwach gewesen war, nein zu sagen, zu einem dämlichen Traditionsnamen. Also wieso sitzt du verdammt ruhig da und nimmst das hin?“, fragte er sie ernsthaft. „So betrunken kannst du nicht sein!“

 

„Es ist ihre Entscheidung“, endete sie lahm, nicht bereit, sich mit ihm zu streiten, und er stöhnte gereizt auf.


„Ja, seit wann gehen ihre Entscheidungen bei dir kampflos über die Bühne?“

 

Seitdem Scorpius sie erpresste, nahm sie. Was glaubte Malfoy? Dass sie seine seltsame Allianz war? Dass sie eine Front bildeten, wann immer die Kinder Unsinn anstellten? Warum sprach er nicht mit Emily darüber? Und sie fand sich tatsächlich vor denselben Worten wieder, die sie immer und immer wieder zu Ron gesagt hatte, stellte sie mit Schrecken fest.

 

„Du wirst ihre Meinung nicht ändern können.“ Aber die Worte kamen beinahe zögerlich über ihre Lippen. War das ihr Fehler mit Ron gewesen? Weil sie immer eingelenkt hatte? Weil sie ihm immer bestätigt hatte, dass Rose keine andere Meinung zuließ? Hatte Hermine co-abhängig zu ihrer Tochter gehandelt, um sie nicht gänzlich zu verlieren? Und hatte sie damit ihre Ehe sabotiert?

 

„Wie kannst du so verbohrt sein und nicht mal eine Sekunde-?“, begann er mit dröhnender Stimme, aber Hermine zog die Reißleine, kam zu ihm, griff grob nach seinem Arm und zog ihn weiter, raus aus dem Lesezimmer, durch in das nächste. „Was zur-“, beschwerte er sich, aber sie zog ihn noch weiter.

 

„-du wirst nicht im nächsten Zimmer rumschreien!“, warnte sie ihn. „Nicht, wenn es die Kinder hören können! Was denkst du, bringt das, Malfoy?“, fuhr sie ihn endlich an, denn Scorpius war außer Hörweite. Sie zog ihn bis zum Wintergarten, der zurzeit nicht beheizt wurde. Die Kälte traf ihre erhitzten Wangen. Er entriss ihr praktisch den Arm. „Was ist los mit dir?“, fragte sie ihn übergangslos, obwohl es sie kaum interessierte.

 

„Mit mir?“, wiederholte er ungläubig. „Nein“, sagte er bloß. „Ich habe deine Einladung erhalten, garantiert nicht umgekehrt! Denkst du, ich bin freiwillig hier?“ Nein, das nahm sie nicht an. Sie nahm an, sein Schoßhund von Verlobte hatte sich auf die Einladung gestürzt, wie ein Geier auf das Aß. Sie standen im Halbdunkeln, und er sah sie feindselig an. Und die Lösung kam ihr sehr spontan. Ihr Gesicht entspannte sich plötzlich.

 

„Du hast Panik“, stellte sie fast sanft fest. Eigentlich müsste sie sich gut genug mit zornigen Männern auskennen, um die Symptome deuten zu können. Schnell fand sein Blick ihre Augen.

 

„Warum sollte ich?“, blaffte er, und dann hörte sie eine Tür. Sie reagierte sehr instinktiv und natürlich vollkommen falsch. Sie ergriff fast ängstlich seine Hand, und wieder übte sie Druck aus, zog ihn weiter unter das Glasdach, was nach draußen führte und zog sich in die seitlichste Ecke des Wintergartens zurück, neben der lächerlichen Miniaturpalme, die dort überwinterte. Und er sah sie genau so an, wie sie erwartet hatte – als wäre sie verrückt geworden.

 

„Was-?“, begann er völlig entgeistert, aber sie zog ihn näher zu sich, dass sich ihre Körper berührten.

 

„Sht-sht!“, machte sie verzweifelnd, und tatsächlich schwieg er.

 

„Draco?“, hörte sie Emilys Stimme vom Rand des Zimmers, und sein Blick traf sie jetzt prüfend, aber es war egal. Dann war es nicht Scorpius. Aber jetzt könnte sie ihre Position auch nicht preisgeben, denn was sollte Emily denken? Merlin, was sollte Malfoy jetzt denken? Und sie verharrten. Er tat ihr scheinbar den Gefallen und hielt den Mund, blieb ruhig vor ihr stehen.

 

Es tat ihr ehrlich leid. Irgendwann verschwand Emily erfolglos, die Tür fiel sanft ins Schloss, und jetzt sah er sie prüfend an. „Was genau geht hier vor, Weasley?“ Seine Stimme war ruhig, und seine Nähe war beunruhigend.

 

„Ich…“, begann sie ratlos, nicht sicher, wie sie den Satz beenden sollte.

 

„Ja?“ Noch immer stand er vor ihr, beengt und viel zu groß. Sie hatte Mühe, überhaupt in sein Gesicht zu sehen.

 

„Ich dachte, es wäre jemand anders“, endete sie etwas beschämt.

 

„Wer genau?“, ging er sofort auf ihre Worte ein. „Vor wem in diesem Haus könntest du so unfassbare Angst haben?“, wollte er mit gerunzelter Stirn wissen. Ertappt senkte sie den Blick.

 

„Du hättest Emily Bescheid geben können-“, begann sie, um ihn abzulenken, und jetzt lachte er trocken auf.


„-sicher. Das wäre bestimmt super gelaufen“, bemerkte er knapp, verlor den Faden aber nicht. „Vor Rose wirst du keine Angst haben, aber wieso solltest du dich vor meinem Sohn verstecken?“

 

„Das tue ich nicht!“, behauptete sie energisch.

 

„Ok. Dann möchtest du mich gerne in dunkle Ecken deines Hauses ziehen, um was genau zu tun?“, wollte er direkt wissen, und ihr Mund öffnete sich empört.

 

„Gar nichts!“, entrüstete sie sich. „Ich will absolut gar nichts mit dir tun!“ Es klang absolut widerlich. „Und du würdest mir nicht folgen, wenn du nicht-“

 

„-ich habe keine Angst“, sagte er sehr bestimmt. „Und selbst wenn, hätte es nichts mit dir zu tun!“, ergänzte er gereizt.

 

„Wieso suchst du dann meine Unterstützung, ausgerechnet?“, wollte sie wissen.

 

„Weil du grundsätzlich nicht wahnsinnig bist. Obwohl ich es ab heute nicht mehr wirklich bestätigen kann“, erwiderte er unzufrieden. „Er wird diesen Namen für immer tragen!“, schien er sie zu warnen, und sie verdrehte die Augen.

 

„Als ob sie ihn Peter nennen würden“, ging sie abweisend auf seine vorherigen Worte am Tisch ein. „Ich bin nicht deine Allianz, Malfoy. Du bist alles, wogegen ich die letzten zehn Jahre gearbeitet und gekämpft habe. Ich habe mich bemüht, dass Rose diesen Fehler nicht macht, und jetzt… jetzt ist es alles zu spät.“

 

„Jetzt gibst du auf?“, erkundigte er sich spöttisch. „Weißt du, es fängt alles erst an“, sagte er kalt.

 

„Ja, ich weiß“, knurrte sie. „Ich werde niemals von deiner scheiße Familie wegkommen, und nächstes Jahr werden dein Enkel und dein Kind höchstwahrscheinlich zusammen spielen. Ist das nicht großartig?“ Und kurz sah die Panik regelrecht über seine Züge gleiten. Sie legte sich wie ein Schatten auf seine gesamte Erscheinung. „Ich gebe nicht auf“, widersprach sie kopfschüttelnd. „Ich verstehe nur, wann es Zeit ist, zu kapitulieren.“

 

„Blödsinn“, entkam es ihm unbeeindruckt, und er war nicht zu fassen!

 

„Blödsinn?“, wiederholte sie entgeistert. „Nein, Malfoy. Ich habe beruflichen Erfolg. Das ist völlig ausreichend. Dann ist es familiär eben eine absolute Katastrophe, na und?“ In ihrem Kopf schwang Scorpius‘ Warnung mit. Nein, sie war nicht mehr nett und zuvorkommend.

 

„Fein“, spuckte er praktisch.


„Ja, fein!“, erwiderte sie kalt.

 

„Dann lad mich verdammt noch mal nicht in dein Haus ein!“, warnte er sie.

 

„Gott, du bist so…!“ Sie hasste ihn, hasste, hasste, hasste  ihn! „Dann geh!“ Ihre Stimme zitterte jetzt. „Niemand hält dich hier! Niemand zwingt dich wirklich! Dir passiert nichts, wenn du nicht hier auftauchst! Deine Verlobte nimmt es dir nicht übel, deinem Sohn ist ohnehin egal, was du denkst – also geh!“, wiederholte sie schwach. Sie konnte es nicht. Nett und zuvorkommend existierten nicht mehr, sobald er vor ihr stand.

 

Er war wütend, und sie wusste nicht, warum. Sie fühlte sich elend, vollkommen erledigt, und gleichzeitig kribbelte alles in ihr. Es war Zorn, es war Angst, es waren tausend Dinge, und tatsächlich waren nicht alle Gefühle ausnahmslos schlecht. Das seltsame Kribbeln in ihren Fingerspitzen rührte irgendwo anders her, und sehr kurz glitt sein Blick über ihr Gesicht, fiel auf ihre Lippen, glitt wieder hoch, und für einen kurzen Moment zog es in ihrem Magen, zu kurz, als dass sie es hätte definieren können.

 

Und für einen Moment wirkte es, als wolle er angreifen, als wappne er sich für irgendetwas, und dann verschwand der letzte Abstand, seine Hände glitten um ihren Nacken, bogen ihren Kopf höher, und ihre Augen schlossen sich fast zu schnell! Fast viel zu schnell!

 

Und etwas grauenhaftes passierte! Sie vernahm ein Räuspern.

 

„Madame? Äh… Hermine?“

 

Sie fuhren auseinander, Malfoy, ließ von ihr ab, wich zurück, aber sie glaubte nicht, dass diese Situation abzutun wäre, irgendwie anders auszulegen war. Ihre Assistentin sah sie mit großen Augen an, nestelte komplett verzweifelt an ihrer Handtasche. „Ich…- verzeihung, Merlin, es tut mir so unfassbar leid!“, stammelte Darcy beschämt, denn Malfoys Blick musste einigermaßen tödlich sein. Sie sah, dass Darcy unbewegt verharrte, fast zitterte, und er machte einen weiteren Schritt zurück.

 

„Ich werde gehen“, sagte er, die Stimme rau, etwas aufgewühlt, und Merlin sei Dank lehnte sie an der Scheibe, sonst wäre sie wohl einfach umgefallen.

 

„Ja“, bestätigte sie heiser, und sein Blick im Halbdunkeln konnte ihr absolut gefährlich werden. Merlin, was passierte nur mit ihr? Er verschwand mit zügigen Schritten, ignorierte Darcy, die wohl gleich anfangen würde zu weinen, und Hermine versuchte, ruhiger zu atmen.

 

„Madame, ich…- es tut mir so leid!“, entfuhr es ihr verzweifelt, als die Tür wieder ins Schloss gefallen war. „Ich… ich wollte mich nur verabschieden, und… und ich wusste nicht – dass…- ich…? Ich meine, ist Mr. Malfoy nicht – ich meine, ist er nicht…?“ Sie ließ den Satz in der Luft hängen. Ist er nicht der Schwiegervater ihrer Tochter? War er nicht verlobt, würde er nicht heiraten, erneut Vater werden? Dieser Satz hatte mehrere mögliche Enden, und jedes war korrekt und absolut furchtbar und niemals sollte sie jemals auch nur in Erwägung ziehen, ihm überhaupt zu nahe zu kommen!

Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Irgendwie. Sie schloss kurz die Augen und atmete lange aus. „Oh bitte, entlassen Sie mich nicht!“, flehte Darcy jetzt. „Ich… habe nichts gesehen! Es ist ja auch nichts passiert, nicht wahr? Es war… ein dummes Missgeschick! Wir vergessen das! Ich-“

 

„-Darcy“, unterbrach Hermine das aufgelöste Mädchen jetzt, fuhr sich über die Schläfe, und ihre Hände zitterten noch immer leicht, „beruhige dich, bitte.“

 

„Madame, Hermine, ich… es geht mich überhaupt nichts an!“, beteuerte sie hastig.

 

„Es ist in Ordnung. Ich… weiß nicht, was passiert ist“, räumte Hermine tatsächlich etwas stiller ein. „Und es ist nicht ok. Und Merlin sei Dank bist du reingekommen, bevor…“

 

„Bevor er dich geküsst hat?“, flüsterte Darcy mit großen Augen, und Hermines Wangen färbten sich langsam. „Ich meine…“, korrigierte sich Darcy hastig, aber Hermine nickte steif.

 

„Ja“, bestätigte sie. Sie hatte ein Problem, begriff sie plötzlich. Ein verdammt großes Problem, was sie bisher ignoriert hatte, aber scheinbar ließ sich diese Kleinigkeit nicht verdrängen. Sie hatte ein Problem mit Draco Malfoy. Ein sehr körperliches.

 

„Willst du… drüber reden?“ Und Hermine wusste nicht wirklich, welcher Altersunterschied zwischen ihnen lag, aber er war groß. Und dennoch sah Darcy sie mit den großen verständnisvollen Augen einer Freundin an. Einer sehr unwahrscheinlichen Freundin.

 

Und sie verzog unglücklich den Mund. Denn, nein. Sie würde niemals darüber reden wollen.

 

 

12. it’s 2 am and i’m cursing your name

 

Immer wenn sie ein schlechtes Gewissen bekam, machte sie Sport.

Ihr Sonderurlaub war lange vorbei, und sie war mehr als dankbar dafür. Sie hatte sich in die Arbeit gestürzt, hatte sich in jede Diskussion geworfen, hatte jeden Streit ausgefochten, war keiner unangenehmen Konfrontation aus dem Weg gegangen. Alle ihre Entscheidungen waren in harte Kritik geraten. Der Tagesprophet hatte sich lustig gemacht über ihre Methoden, und zwei Wochen hatte sie an sich selbst gezweifelt, hatte sich Vorwürfe gemacht, angenommen, ihr Urteilsvermögen wäre nicht mehr das alte.

 

Aber mittlerweile, weitere zwei Wochen später, biss sie sich durch jede Kritik. Sie schluckte sie, verarbeitete sie und befand sie für unbegründet.

Denn jetzt, nach einem Monat zeigten sich im Haushaltsplan überraschende Einsparungen, die sie bereits vorher kalkuliert hatte. Es war also kein Wunder, keine Überraschung.

 

Auch wenn Morgaine ihr diesen Monat zur absoluten Hölle gemachte hatte.

 

Desmond war an ihrer Seite gewesen, mehr oder weniger unauffällig, denn es herrschten genug Gerüchte, und genug böse Zungen wollten ihr frühes Amtsende sehen. Deshalb war sie noch nicht mit ihm ausgegangen. Aber sie ging auch nicht mehr nach Hause, erst wenn es spät war, denn Rose und Scorpius hatten es sich heimisch eingerichtet. Und sogar Narzissa wagte den Besuch, denn Hermine war nie Zuhause. Abends stahl sie sich ab und an in das Schlafzimmer des Babys, was nachts von den Hexen versorgt wurde, da Rose lieber schlafen wollte, als sich der undankbaren mütterlichen Aufgabe zu widmen, ihr Kind zu versorgen. Hermine hatte dazu nichts gesagt, genoss die ruhigen Minuten, die sie mit dem Baby verbrachte, auch wenn sie es nur betrachten konnte.

 

Aber so musste sie Scorpius nicht sehen, der seit letzter Woche wieder länger im Büro arbeitete. Noch einen Monat würden Rose und Scorpius bleiben und dann zurück nach Schottland gehen.

 

Und sie nahm an, ab dann konnte Scorpius sie auch nicht mehr zur familiären Höflichkeit zwingen. Hermine schuftete, erntete dafür höchstes Lob der nationalen Stellen, und soweit erkämpfte sie sich ihre Position jeden Tag aufs Neue.

 

Ihr Appetit hielt sich seit Wochen in Grenzen, denn immer wieder dachte sie an das haarscharfe Ereignis, dass sie fast ihren Verstand kostete. Er hätte sie geküsst! Sie hätte ihn geküsste! Und warum, fragte sie sich? Aus welchem Grund heraus? Wem brachte das irgendwas? Sie hatte in sich gehorcht, sich gefragt, ob sie eifersüchtig auf Emily war – egal, weswegen, aber sie hatte nichts finden können. Keine unterschwelligen Gefühle. Hermine wollte kein Kind mehr haben, sie wollte auch garantiert Malfoy nicht heiraten müssen. Merlin!

 

Wahrscheinlich war es irgendein hormoneller Krieg, und ihr Alter machte ihr deutlich, dass die Wechseljahre vor der Tür standen. Vielleicht.

 

Vor allem wartete ein perfekter Mann darauf, dass sie endlich seine Einladung annahm. Sie verschwand nach Feierabend in die Sporträume des Ministeriums. Sie lagen unten, denn dort trainierten überwiegen die Auroren, und sie hatte sich mittlerweile angewöhnt, mit Harry zu trainieren, der sich ebenfalls fit hielt. Seit dem Einstieg in ihr Amt hatte sie schamlos viel Zeit vergehen lassen, bis sie wieder einen Abend mit Ginny und Harry verbracht hatte.

 

Sie fingen immer langsam an, auf dem magischen Laufband, joggten durch das Gelände von Hogwarts, denn Hermine liebte es, in dieser Erinnerung zu schwelgen, und dort besprachen sie kurzatmig, was die Tage vorgefallen war, wie es Ginny ging, was die Familie so erlebte, ob Harry wieder neue Anekdoten von Lavender erzählen konnte, die auf Kriegsfuß mit Molly stand.

 

Es war angenehm. Es lenkte sie ab. Harry erkundigte sich nach Desmond, mehr als einmal. Mehr als oberflächlich, und Hermine erzählte ihm lächelnd, wie angetan sie von ihm war, dass sie gerne mit ihm ausgehen würde, dass sie aber eine konkrete Vorstellung von ihrem Äußeren hatte, die sie gerne vorher erfüllen würde.

 

Und heute war wieder einer dieser Tage. Sie machten Sport zusammen. Ihre Runde um den See von Hogwarts hatten sie jetzt beendet, und mit dem Zauberstab löschte Hermine die Vision. Die Sporthalle lag jetzt wieder ruhig vor ihnen. Nach Feierabend trainierten die wenigsten der Angestellten.

 

„Gute Zeit“, bemerkte Harry anerkennend, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und Hermine trank tiefe Züge aus ihrer Flasche.

 

„Ebenso, Potter“, gab sie lächelnd zurück, und Harry bereitete die Gewichte vor.

 

Sie stellte sich auf die Waage an der Wand, wie jeden Freitag. Die Zahl puffte in die Höhe, zog das Gewicht ihrer Kleidung automatisch ab, und Harry hob den Blick.

 

„Beeindruckend“, bemerkte er nickend. „Isst du genug?“, fragte er ernster, aber Hermine war nicht zufrieden. Es war nicht das Gewicht, das sie an ihrer Hochzeit gehabt hatte. Es war eher das Gewicht, das sie nach Hugos Geburt nur schleppend losgeworden war. Und nein, sie aß nicht genug. Ja, sie hatte abgenommen, aber sie fühlte sich nicht sonderlich attraktiv. Ihre Kostüme passten alle nicht mehr, was ein Ärgernis war, aber wohl fühlte sie sich nicht.

 

„Wieso dauert es so lange?“, wollte sie von Harry wissen, und dieser fixierte sie mit gerunzelter Stirn.

 

„Was? Abnehmen? Weil du alt bist. Und essen musst“, erwiderte er unverblümt, und Hermine verzog den Mund. „Hermine, du hast massiv abgenommen in vier Wochen. Zu viel. Dein Muskelaufbau fordert wesentlich mehr Nahrung, als du deinem Körper zu gönnen scheinst.“

 

„Ich bin heute bei euch zum Essen, also…“, tat sie seine Sorge achtlos ab, und er seufzte auf.

 

„Ja, wir werden dich mästen, so gut wir können“, versprach er ihr. Harry war stiller heute. Stiller als sonst. Sie wusste, morgen hatte James Geburtstag. Der kleine James Potter wurde achtundzwanzig Jahre alt. Hermine hatte ihm immer eine Kleinigkeit zum Geburtstag geschickt, aber seit dem Streit wusste sie nicht mehr, wo er wohnte. Sie nahm an, Ginny wusste es, aber die behielt ihr Geheimnis für sich.

 

„Dann ist ja gut.“

 

„Na los, Madame Minister. Ich erwarte vierzig Pfund von dir“, sagte er bloß, und Hermine griff sich die Hanteln von der Bank. Sport war gesund. Es befreite ihren Geist von all den lästigen Kleinigkeiten, die sie nachts nicht abschütteln konnte, wenn sie wach im Bett lag.

 

Sie hoffte, Sport wäre Heilung. Irgendwie. Aber soweit sie es beurteilen konnte, war sie nicht sonderlich geheilt. Sie freute sich schon auf Ginny. Die Potter-Sorgen würden sie heute Abend für einige Stunden auf andere Gedanken bringen.

 

~*~

 

Es war wieder einmal eine seltsame Trotzreaktion, stellte er am Rande seiner Wahrnehmung fest, an den Grenzen des Orgasmus’, der ihn erfasste, und Emily kam ebenfalls, denn gepresst stöhnte sie seinen Namen, während er seine Verlobte in einem der unzähligen Gästezimmer in Malfoy Manor besinnungslos vögelte.

 

„Oh Merlin, Draco!“, stöhnte ihre bebende Stimme, und fast – beinahe – hatte er das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass sie ihn Malfoy nennen sollte. Nicht Draco. Aber er beherrschte sich, behielt diesen Wunsch für sich, verbannte solche unpassenden Gedanken und kam hart in ihr, nahm sich, was er wollte, bevor er von ihr runter rollte, erschöpft neben sie fiel, und er nahm an, Narzissa würde bald eine Elfe nach ihnen schicken, um zu sehen, wo sie blieben.

Er hatte begonnen von ihr zu träumen. Nicht von Emily, nein. Von ihr. Der Ministerin für Zauberei. Sein Atem ging schnell und er schloss die Augen. Es half nicht mehr wirklich, mit Emily zu schlafen, denn immer seltener sah er wirklich Emily vor sich. Immer häufiger wollte er sie von hinten nehmen, damit ihn ihr Gesicht nicht ablenkte.

 

Es war absolut ekelerregend, das wusste er. Es war krank und so völlig unnötig, dass er lange ausatmete. Was lief falsch mit ihm? Hermine Weasley sah nicht gut aus. Im Vergleich zu Emily sah keine Frau seines Alters mehr gut aus, sagte er sich. Aber es hatte wenig mit Äußerlichkeiten zu tun, stellte er immer wieder fest. Das war es nicht, was ihn reizte. Dann vielleicht aber doch, denn er träumte von ihren Augen. Diesen dunklen Augen, das Braun so warm und bestechend, so ganz anders als seine eigenen Augen. Er konnte sich vor ihrem Blick nicht verstecken, so kam es ihm immer vor, konnte ihm nicht ausweichen – und wollte es nicht mal. Mit diesen Blicken, mit denen sie ihn strafte, könnte er sich vorstellen, sie auf ihre Knie zu schicken, während er langsam ihren Mund-

 

„-das war unglaublich!“, murmelte seine Verlobte neben ihm, und Draco öffnete die Augen, verbannte seine dumme Fantasie aus seinem Kopf.

 

„Mhm“, bestätigte er dumpf, unfähig, Worte zu formen. Er war zu alt für solche spontanen Aktionen. Er könnte sich jetzt schlafen legen, dachte er erschöpft.

 

„Ich liebe dich“, ergänzte sie lächelnd in seine Richtung, aber er blickte an die stuckverzierte Decke, noch immer etwas außer Atem und wiederholte das sinnlose Geräusch.

 

„Mhm“, machte er, und dann setzte sie sich auf, zog ihr Kostüm zurecht, und die Schwangerschaft war ihr noch immer nicht anzusehen. Ihr junger Körper, ihr straffer Bauch, leisteten gute Arbeit.

 

„Liebst du mich, Draco?“, fragte sie plötzlich, überrumpelte ihn völlig, und er wusste aus Erfahrung, dass er kein großartiges Zeitfenster hatte, um zu antworten – oder um zu zögern. Es war beides gefährlich.

 

„Du weißt, ich brauche Zeit, um-“

 

„-es sind zehn Monate“, unterbrach sie ihn barsch. „Und ich liebe dich. Deine Frau ist seit fünfzehn Jahren tot, also kannst du wohl kaum noch in Trauer sein“, entfuhr es ihr, und fast war er dankbar für diesen schäbigen Ausweg, den sie ihm anbot. Er setzte sich abrupt auf, erhob sich und verschloss seine Hose.

 

„Ich bin immer in Trauer um meine Frau, Emily. Du kannst nicht begreifen, was ein solcher Verlust anrichtet. Und ich wäre dir dankbar, wenn du etwas mehr Verständnis hättest“, erwiderte er kühl, und sie erhob sich ebenfalls.

 

„Draco, das habe ich nicht gemeint. Es… es tut mir leid. Ich… wünsche mir nur, dass du… endlich meine Gefühle erwiderst“, ruderte sie zurück, und mental entschuldigte sich Draco bei Astoria, für diesen fiesen Zug.

 

„Ich erwidere deine Gefühle“, sagte er vage Worte.

 

„Wieso sagst du es dann nie?“, wollte sie fast verzweifelt wissen, und er senkte den Blick.

 

„Es fällt mir schwer, das ist alles“, log er schlicht, aber effektiv, denn Emily zog ihn in ihre Arme.

 

„Du musst nichts sagen, Draco. Ich weiß… ich weiß, wie du empfindest“, behauptete sie beruhigter, und fast verdrehte er die Augen. Er wünschte, es wäre so einfach. Er wünschte, er wäre die Art von Mann, der Gefühle einfach heucheln könnte. Der Emily einfach blind versichern könnte, dass er sie liebte. Seitdem Astoria fort war, hatte er es nicht mehr gesagt. Diese Worte. Zu niemandem mehr. Er hatte das Gefühl, sie wogen zu schwer, als dass man sie leichtsinnig sagen könnte.

 

Und im Moment war nicht ideal, dass Emily nicht die einzige Frau in seinen Gedanken war. Und er wusste, Emily erwartete sein Kind. Emily wollte ihn, trotz seines Alters, das sie höchstwahrscheinlich einfach ignorierte – so wie er es tat. Und es ließ sich nicht anders sagen – er verhielt sich wie ein Arschloch, und das hasste er umso mehr. Er wollte nicht zweigleisig fahren! So etwas würde er Scorpius zuschreiben, nie sich selbst. Es war eine Eigenschaft seines Sohnes, die er verabscheute. Er wusste, Scorpius hatte Rose betrogen, mehr als einmal. Und Draco hatte stets geglaubt, es müsse irgendeine Eigenschaft aus Astorias Familie sein, aber… vielleicht hatte er sich geirrt.

 

Vielleicht war er einfach derjenige, von dem sein Sohn alle schlechten Eigenschaften übernommen hatte. Eine düstere Erkenntnis.

Er löste sich von Emily, als er Schritte auf der entfernten Treppe hörte. Geistesgegenwärtig richtete er mit der Zauberstabbewegung das Bett, und Emily kontrollierte im angelaufenen Silberspiegel über der Schminkkommode ihr Makeup. Demonstrativ schritt Draco zum Fenster, und als tatsächlich seine Mutter, zielsicher wie ein Bluthund, die richtige Tür erraten hatte, deutete er nach draußen auf die hohen Pinien in der Ferne.

 

„Und von hier aus sieht man ziemlich deutlich, wo das Jagdgebiet endet.“ Seine kluge Verlobte stellte sich interessiert neben ihn.

 

„Das sind tatsächlich bloß fünfzig Hektar“, erwiderte sie mit täuschend echter Anteilnahme.

 

„Was bei Merlin treibt ihr hier?“, entfuhr es seiner Mutter. „Das Dessert wird kalt, und du zeigst ihr das Gelände? Es ist nicht mal Jagdsaison, also wirklich, Draco“, beschwerte sich Narzissa kopfschüttelnd, und er und Emily tauschten ein verstohlenes Grinsen. Ja, er konnte sich vorstellen, mit dieser Frau seine Zeit zu verbringen. Sie war Slytherin. Sie war perfekt. Er musste einfach nur seine Dämonen bekämpfen.

 

Die Dämonen namens Weasley.

 

~*~

 

Es war weit nach Mitternacht, stellte sie entnervt fest. Sie konnte keinen Schritt mehr tun, ohne beobachtet zu werden. Und auch hier war sie nicht allein. Der Abend bei Harry und Ginny war schön gewesen, erholsam regelrecht. Aber ihr Ministerschutz begleitete sie natürlich. Sie durfte nicht alleine irgendwohin, und wo sie und ihr Schutz auftauchten, da war die Presse nicht fern. Es war so, dass Harry die Presse ohnehin gewöhnt war, denn auch nach fast dreißig Jahren war sich die Hexenwoche nicht zu schade, seinen privaten Garten abzulichten, zu versuchen, ein intimes Foto zu bekommen – und mit der Ministerin bei den Potters hatte es in Godric’s Hollow nur so gewimmelt von schaulustigen Fotografen.

 

Fast hatte sie ihr altes Haus erahnen können – wo Ron nun mit Lavender lebte. Ahrg. Es regte sie mehr auf, als sie zugeben würde. Einfach, weil es ihr Haus gewesen war. Nicht Lavenders.

 

Und es stand außer Frage, dass sie bei Harry übernachtete. Der Ministerschutz hatte den Befehl, sie zurück nach Hause zu bringen. Harrys Haus war nicht geeignet. Und hier war sie auch nicht alleine, war umringt von Personal und natürlich Rose und Scorpius. Nachts herrschte ebenfalls reges Treiben im Haus, denn ihr Enkelsohn wurde regelmäßig wach. Und gerne wollte Hermine Desmond über Floh anrufen, aber jeder Flohanruf wurde dokumentiert. Zwar wertfrei und geschützt, aber dokumentiert wurde er. Und irgendetwas hielt sie davon ab, mitten in der Nacht ihr mögliches Date anzuflohen, um… um was genau? Sich davon abzulenken, dass sie seit Stunden an Draco Malfoy dachte? An sein dämliches scheiß Gesicht?

Seine hohe Statur, die sie vielleicht einschüchterte, wenn sie standen? Sie hasste das. Sie durfte nicht an ihn denken, wollte es bewusst nicht mal, und sie wollte nicht, dass Scorpius‘ seltsame Methoden, um seinen Willen durchzusetzen, diesen Effekt hatten!

 

Und sie gab sich verdammt viel Mühe. Sie sprach nicht von ihm – warum auch? Sie dachte tagsüber nicht an ihn, tat nichts, was sie auch nur in die Verlegenheit brachte, seinen Namen zu äußern – abgesehen von der leidigen Tatsache, dass sein Enkelsohn, als auch sein Sohn, in ihrem Haus lebten.

Sie schloss die Augen.

 

Sie wusste, es half nichts. Sie konnte ihren Geist nicht sinnvoll davon überzeugen, nicht an ihn zu denken. Sie atmete lange aus. Die Vorhänge waren geschlossen, ihre privaten Gemächer abgeschlossen, und in der Abgeschiedenheit der Vollzeitüberwachung, zog sie den Zauberstab, vollführte eine kunstvolle Bewegung, die Fingerspitzengefühl und einiges mehr benötigte, und schließlich beendete sie den Zauber, mit dem rechten Maß an magischer Präzision. Hell brach ein Meer an silbernen Funken aus der Spitze ihres Zauberstabs, und fast erfüllte sie Aufregung und das schlechte Gewissen zu gleichen Teilen, als sich die Funken auf halber Höhe verdichteten und still und äußerst realitätsgetreu die Gestalt Draco Malfoys annahmen.

 

Ja. Sie hätte Desmonds Gestalt aus dem Gedächtnis rufen können, hätte ihn erscheinen lassen können, aber… - und diese Tatsache gestand sie sich nicht einmal unterbewusst ein – sie wollte nicht vergessen, wie Malfoy aussah.

Der Zauber festigte sich, die Funken verschwanden, und Malfoy stand vor ihr, so wie sie ihn in Erinnerung hatte. Die Erscheinung hatte keine Substanz, war lediglich eine optische Hülle, aber, was die Optik betraf, war sie täuschend echt. Mit der Hand würde sie keine Substanz erfassen, würde sie ihn berühren, und die Erscheinung konnte nicht sprechen, konnte nicht mit ihr agieren, aber es war ausreichend.

 

Ihr Herz ging schnell, während sie sich wie ein Betrüger, ein Verräter, vorkam. Die Erscheinung stand still, atmete ruhig, und sie betrachtete seine Figur, sein Gesicht, das eine verlorene Muttermal auf seiner Wange, das verschwand, wenn er lächelte. Sie hatte ihn selten genug lächeln sehen, nur beim Kontakt mit seinem Enkelsohn, aber das waren die Details, auf die sie sich konzentrierte. Seine Augenbrauen waren gebogen, und das Grau seiner Augen war das Auffallendste an seiner Erscheinung, neben den silberblonden Haaren.

 

Sie versuchte, sich zu erinnern, wie er ausgesehen hatte. Damals, in Hogwarts, aber es fiel ihr nicht mehr ein. Wahrscheinlich so ähnlich. Wahrscheinlich agiler, jünger, ausdrucksstärker.

 

Aber ja, sie gab es zu. Sein Aussehen war beeindruckend, auch jetzt noch. Kurz wünschte sie, die Erscheinung könnte sie ansehen, mit diesem intensiven Blick, unter dem sie vor einem Monat beinahe geschmolzen war.

 

„Ich hasse dich, Draco Malfoy“, flüsterte sie in die Stille des Zimmers, und die Erscheinung verharrte weiterhin reglos. Sie atmete lange aus. „Ich bin verrückt geworden“, sagte sie müde. Es war ein Uhr fünfundvierzig.

Bevor sie sich noch dazu hinreißen ließ, eine nackte Erscheinung von ihm zu fabrizieren, ließ sie die Funkenerscheinung mit einer gereizten Zauberstabbewegung in ihre Bestandteile zerfallen. Hell leuchtend rauschten die Funken gen Boden, wo sie lautlos verglühten.

 

Sie würde morgen mit Desmond ausgehen.

 

Für ihr Seelenheil.

 

Und jetzt würde sie schlafen, und vorher noch einen Traumlos-Trank trinken. Denn auf gar keinen Fall wollte sie von ihm träumen. Von Malfoy. Dann träumte sie lieber gar nichts.

 

 

 

13. can’t find what they want the most

 

Es war nachmittags, fast beschaulich, und sie saß mehr oder weniger besänftigt auf dem Lesesessel, ihr Enkelkind im Arm. Corvus – Merlin, dass er tatsächlich so hieß! – schlief seelenruhig in ihrer Armbeuge. Rose war da. Nur leider, leider, waren sie nicht unter sich. Ihr Schwiegersohn saß ebenfalls mit im Raum, während vor den Fenstern die Wachleute ihre Runden um das Anwesen drehten.

 

„Ich freue mich sehr für die beiden“, sagte Rose, die lächelnd die Einladung noch mal las.

 

„Mhm“, machte Scorpius, während er abwesend durch irgendwelche Unterlagen blätterte. Hermine konnte sich nicht vorstellen, was ausgerechnet er samstags zu tun hätte. Und mit einem Blick auf ihr Enkelkind konnte sie sehr wahrscheinlich froh sein, dass er nicht wieder einmal damit beschäftigt war, Unausssprechliches mit ihrer Tochter zu treiben und sie – bei Roses Pech – noch einmal zu schwängern.

 

„Wie aufregend, dass dein Vater noch einmal heiratet, nicht wahr?“, wollte Rose wissen, und Hermine war nur froh, dass die Kutsche sie in einer Stunde abholen würde. Madame Lorrard würde ihnen gleich einen Nachmittagstee bringen, und vielleicht würde Darcy noch irgendetwas für sie zu tun haben. Hermine hatte ihr angedeutet, dass sie bitte dringend aus Scorpius‘ Gesellschaft entfliehen wollte.

 

„Hm“, machte ihr Schwiegersohn, und Hermine würde gute Galleonen wetten, dass er Rose nicht zuhörte. Aber sie war ganz froh, dass er beschäftigt war, denn so würde er unter keinen Umständen mit ihr –

 

„-du weißt, dass durch deine Maßnahmen die Versicherungen in die Höhe schnellen, richtig?“, informierte er sie mit einem ätzenden Seitenblick, gänzlich außerhalb jeden Kontextes, und Hermine verzog den Mund. Sie wollte nicht mit ihm reden. Wollte nicht, wollte nicht!

 

„Bitte?“, sagte sie bemüht leise, denn sie wollte das Baby nicht wecken und machte ihm deutlich, das Gespräch zu verschieben, aber er schien ihren Wink nicht zu verstehen.

 

„Deine Maßnahmen. Der Abzug der Dementoren. Dumme Entscheidung“, kommentierte er es, wie es nur ein Reinblüter konnte. Sie hatte offen gesagt nichts anderes von ihm erwartet, wenn sie denn überhaupt erwartete, dass er über ihre politischen Entscheidungen informiert war. Obwohl dies etwas war, was die Medien lang und breit getreten hatten.

 

„Das ist deine Meinung“, erwiderte sie barsch, so wie sie alle Kritiken zerschlug.

 

„Nein, das ist die Meinung der erweiterten Versicherungspolicen, mit denen mein Vater jetzt dank deiner kurzsichtigen Entscheidung ein Vermögen macht“, entgegnete er, und Rose stöhnte gereizt auf.


„Wisst ihr, wie langweilig dieses Thema ist?“, fragte sie kopfschüttelnd, aber Hermine und Scorpius ignorierten sie nun beide.

 

„Nur weil die Bevölkerung Angst hat, bedeutet es nicht, dass es gerechtfertigte Angst ist, Scorpius“, knurrte sie praktisch, und das Baby rührte sich in ihrem Arm. Hermine versuchte, ruhiger zu bleiben, aber es war schwer.

 

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte er trocken. „Gefangene mit bestechlichen, unterbelichteten Wärtern alleine zu lassen ist garantiert die Idee des Jahrhunderts, Madame Minister“, benutzte er ihren Titel durchaus abwertend, mit erhobener Braue, die sie gruseliger Weise an seinen Vater erinnerte.

 

„Du unterstellst allen etwas Schlechtes“, bemerkte sie bloß.

 

„Nein. Aber Strafgefangenen, ohne moralischen Kompass – ja, definitiv. Du wirst sehen“, sagte er bloß, als wäre sie ein bockiges Kind.

 

„Das werde ich“, bestätigte sie bitter.

 

„Mum, Scorpius weiß über solche Dinge Bescheid“, äußerte ihre Tochter das Dümmste, was eine Tochter jemals äußern könnte, und Hermine schenkte ihr einen säuerlichen Blick. „Er hat meistens Recht“, würzte Rose ihre Worte noch mit einer unbewussten Beleidigung.

 

„Das ist schön. Aber ich habe ebenfalls meistens Recht“, kommentierte Hermine die Worte angemessen scharf.

 

„Scorpius war Schulsprecher“, entgegnete Rose lächelnd, als übertrumpfe Schulsprecher Ministerin zu jeder Tageszeit. Hermine atmete hörbar ein. Scorpius‘ Mundwinkel zuckten, während er seine Dokumente weiter studierte.

 

„Das hört die klügste Hexe des Jahrgangs bestimmt nicht gern“, bemerkte er glatt, und sie hasste, dass er diese trivialen Dinge wusste. Und sie gegen sie ausspielte.

 

„Weißt du was“, begann Hermine gereizt, und das Baby war mittlerweile hellwach, „hätte ich nicht den gesamten Krieg über damit zu tun gehabt, elenden Todesser-Idioten, wie-“

 

„-könnt ihr aufhören?“, bat Rose knapp, und Hermine und Scorpius sahen sich an. Scorpius lauerte praktisch auf die Beleidigung, aber Hermine riss sich zusammen, nur um von ihrer Tochter weiter genervt zu werden. „Mum, könntest du die Einladung noch bestätigen? Wir gehen alle, nicht wahr?“, wollte sie wissen, wedelte mit dem Brief, und Hermine könnte kotzen.

 

„Sicher“, bestätigte sie dumpf, denn sie konnte Scorpius‘ ewige Drohung förmlich spüren. Diese miese Ratte. Kurz überlegte sie, der ganzen Farce ein Ende zu setzen, Scorpius alles auffliegen zu lassen, damit sie ihre Nachmittage nicht in seiner Gesellschaft verbringen musste, aber mit größter Beherrschung kämpfte sie den Wunsch zur Selbstaufgabe nieder.

 

„Auch wenn es euch nicht interessiert“, ergänzte Rose beleidigt. Scorpius beugte sich wieder über die Unterlagen.

 

„Emily ist zu jung“, war alles, was er sagte, und es überraschte Hermine fast.

 

„Emily ist alt genug, solche Entscheidungen zu treffen“, eilte Rose scheinbar zur Hilfe. Scorpius hob den Blick erneut.

 

„Sie ist dreißig. Sie hat keine Ahnung, was sie tut“, schloss er das Thema ab. Eiskalt. Hermine begriff den Jungen nicht. Nicht immer, nie wirklich.

 

„Sie ist fünf Jahre älter, als ich!“, behauptete Rose wütend.

 

„Ganz genau mein Punkt“, sagte Scorpius, ohne aufzusehen, und Hermine sah ihn stirnrunzelnd an. Gerne würde sie ihm aufzeigen, dass er sich selbst wie ein widerliches Kind verhielt, was mit Leuten spielte – und vernünftig war er ganz und gar nicht!

 

„Madame“, unterbrach die zuständige Pflege-Hexe ihre Gedanken. „Das Baby muss trinken“, sagte die Hexe, und unwillig überreichte Hermine das süßeste Baby der Welt an die Frau, die nicht Rose war. Ihre Tochter schien kein Bedürfnis zu verspüren, ihr Baby zu versorgen. Hermine sagte gar nichts dazu. Merlin sei Dank kam Darcy ebenfalls ins Zimmer!

 

„Hermine, ich bräuchte-“

 

„-sie kommt gleich. Zuerst kannst du ihr eine Feder bringen, damit sie die Antwortkarte unterschreibt“, unterbrach Scorpius ihre Assistentin glatt, hob knapp den Blick, um ihr wohl mental mitzuteilen, dass er ihren Plan durchschaute, Abstand zwischen sich und ihn zu bringen. Darcy warf ihr einen kurzen Blick zu, und Hermine atmete angestrengt aus.


„Ich hatte angenommen, du heißt die Entscheidung nicht für gut?“, sprach sie kühle Worte, und Scorpius strich gereizt einen scheinbar fehlerhaften Satz mit der Feder durch, ehe er den Blick wieder hob.

 

„Mag sein. Aber es ist nicht meine Entscheidung, und es wäre doch wirklich schade, einen solchen Anlass zu versäumen, wo die gesamte Familie zusammentrifft, nicht wahr, Hermine?“, fragte er sie direkt, und zähneknirschend fiel ihr Blick auf ihren Schoß. Merlin, es war eine reine Geduldsprobe mit ihm.

 

„Eine Feder bitte“, wandte sie sich gepresst an Darcy und begriff nicht, weshalb sie zu dieser dämlichen Verlobungsfeier mussten, wenn Scorpius Emily sowieso nicht leiden konnte. Wahrscheinlich konnte er sie ebenso wenig leiden.

 

Sie konnte nicht erwarten, zu verschwinden!

 

~*~

 

Endlich waren sie allein! Endlich! Hermine hatte nicht ausgehen wollen, hatte nicht in die Stadt, ins Restaurant oder Café gewollt, denn es bedeutete einfach nur unnötig viel Presse und dreitausend Wachmänner, die jede Bewegung inspizierten.

 

„Ich hätte auch zu dir kommen können“, sagte Desmond lächelnd, die Haare wellig und gepflegt, der Dreitagebart getrimmt, und sein Aftershave roch frisch und herb zugleich. Sehr einladend, wie sie empfand.

 

„Bloß nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd.


„Ich hätte deine Tochter wiedersehen können, deinen Enkelsohn“, fuhr er fort.

 

„Ja, wann anders“, wiegelte sie ab.

 

„Ich dachte, du hättest sie extra geholt?“, wollte er grinsend wissen, während er ihr einen Platz auf der schmalen Couch anbot und sie sich setzte, bevor eine Hexe ins Zimmer kam, um ihnen erneut Tee zu servieren. Hermine hatte keine Nerven mehr für Tee. Ein Glas Wein wäre wesentlich angebrachter, empfand sie.

 

„Deliah“, wandte sich Desmond an die junge Hexe, und scheu hob diese den Blick.


„Ja, Lord Ferrars?“, fragte sie ergeben, und Hermine hasste die Titel und das ganze Drumherum.

 

„Wie wäre es, mit etwas… gehaltvollerem als Tee?“, schlug er zwinkernd vor.

 

„Sie… meinen…?“ Die Hexe war etwas schwer von Begriff.

 

„Alkohol, ja“, machte er es deutlich, und die Hexe verneigte sich hastig.

 

„Sehr wohl, Lord Ferrars, Madame Minister“, wurde auch sie scheu zur Kenntnis genommen, und unter viel Geknickse verschwand das Mädchen wieder.

 

„Wird dein Personal abends ausgepeitscht, oder warum sind sie alle so hörig?“, fragte sie kopfschüttelnd, und er musste tatsächlich lachen.

 

„Ich liebe deinen Humor“, sagte er lachend.

 

„Ich meine das sehr ernst“, widersprach sie mit gerunzelter Stirn.

 

„Wie ist es, ohne Personal aufzuwachsen, Hermine?“, erkundigte er sich mit verschränkten Armen bei ihr.

 

„Himmlisch“, rief sie aus und verdrehte verzweifelt die Augen.


„Du wirst dich gewöhnen“, versprach er achselzuckend, aber sofort schüttelte sie den Kopf.

 

„Ich werde mich niemals gewöhnen, von vorne bis hinten bedient zu werden“, verneinte sie konsequent.

 

„Manche würden sagen, es wäre der einzige Vorteil, den der Ministerposten zu bieten hat“, merkte er nachsichtig an, und sie verzog den Mund, sagte nichts dazu. „Also, Streit mit der Familie?“, griff er das vorangegangene Thema wieder auf, aber sie seufzte lediglich.

 

„Nein. Ich… die Beziehung zu Scorpius ist… schwierig“, fasste sie es in bescheidene Worte.

 

„Scorpius Malfoy…“, sagte er kopfschüttelnd. „Er ist… nicht einfach“, bestätigte er. „Fähig, keine Frage, überdurchschnittlich intelligent, soweit ich höre – und natürlich klug genug, eine Weasley zu heiraten“, schloss er.

 

„Mh“, machte sie unzufrieden, und Desmond lachte wieder.

 

„Wäre Rose nicht gewesen, denke ich, dass Troy und Scorpius gute Freunde geworden wären, denkst du nicht?“

 

„Ich glaube nicht, dass Scorpius überhaupt irgendwelche guten Freunde hat. Ich sehe ihn nur bei uns rumhängen, Rose nerven und mich nerven“, beschwerte sie sich wütend. „Oder er betrügt meine Tochter, prügelt sich mit der Verwandtschaft, und-“

 

„-immerhin passiert etwas bei dir“, unterbrach er sie grinsend.


„Oh, vielen Dank. Da verzichte ich liebend gerne drauf“, beteuerte sie traurig.

 

„Troy ist immer noch alleinstehend, kein Mädchen in Sicht. Keine Hochzeit, kein Kind“, führte Desmond aus, und Hermine verdrehte die Augen.


„Troy ist jung, er lässt sich Zeit. Das ist keine Schande“, sagte sie nur.

 

Die Tür öffnete sich, Deliah brachte ein Tablett mit Karaffen, gefüllt mit Rotwein, Weißwein, ein Kelter mit Wasser, hohe Gläser, tiefe Gläser. Hermine spürte, wie sie sich entspannte. Alkohol wäre nett.

 

„Danke, Deliah. Das wäre alles“, ergänzte er.

 

„Sehr wohl, Lord Ferrars, Madame Minister“, verabschiedete sich die Hexe mit einem letzten Knicks, und erwartungsvoll setzte sich Hermine aufrechter hin, als Desmond ihr schließlich ein Glas Rotwein reichte.

 

„Das… ist unser erstes Date, und ich schlage vor, wir stoßen offiziell darauf an, meinst du nicht?“ Hermine musste grinsen, bei seinen Worten.

 

„Sehr gerne, Desmond“, entgegnete sie. Mit schlichter Absicht war ihr Kleid etwas zu kurz, obwohl es mittlerweile schon zu kalt für diese Art von Mode war. Es betonte ihre Kurven, und der Ausschnitt war ungleich tiefer, als ihre Arbeitsgarderobe es wohl zuließ. Sie hatte offen gesagt nicht vor, sonderlich keusch oder zurückhaltend zu sein. Viel zu häufig hatte sie in den letzten Wochen von Malfoy geträumt – und es waren keine anständigen Träume, so viel konnte sie sagen. Sie brauchte dringend hormonelle Ablenkung, nach dem unmenschlichen Kräfteakt, ihr Gewicht loszuwerden. Es hatte nicht so erfolgreich funktioniert, wie sie es beabsichtigt hatte, aber es reichte.

 

Für sämtliche ihrer Zwecke würde es reichen müssen.

 

Er setzte sich neben sie auf die Couch, sie stießen an, und Hermine trank einen zügigen Schluck. Der Ministerschutz war abgezogen. Desmonds Haus war sicher genug, besaß genügend Personal und ebenfalls eine hohe Mauer, welche nicht unbeaufsichtigt war. Ihr Schutz würde erst kommen, wenn sie es anordnete, und von ihr aus, musste es heute nicht mehr sein. Ihr Herz schlug erwartungsvoll, denn es war ihre erste offizielle Verabredung nach ihrer Trennung.

 

„Ich freue mich, dass du meine Einladung angenommen hast“, erklärte er lächelnd, und sie erwiderte es nervös.

 

„Ja, ich… wollte nicht mehr warten“, gestand sie ein, und er betrachtete sie ausgiebig.

 

„Du siehst absolut unglaublich aus, Hermine“, sagte er still, und sie glaubte ihm nicht, aber es war egal. Sie glaubte selten irgendwelchen Komplimenten, und sie brauchte sie auch nicht. „Aber du sahst schon immer-“ Sie hatte sich einfach vorgelehnt, verschloss seine Lippen beinahe unbeholfen, und er schwieg abrupt. Sanft zog sie den Kopf zurück und sah zu ihm auf.

 

„Ich hoffe, das war ok?“, fragte sie vorsichtig, aber er antwortete nicht, nahm ihr das Glas aus der Hand, stellte beide blind schräg hinter sich auf den kleinen Tisch, bevor er sich ihr wieder zuwandte, die Hand um ihren Hals legte, und sie für einen Kuss zu sich zog.

 

Es war absolut perfekt! Ihr Herz schlug schnell in ihrer Brust, und ohne großartig über Anstand und Etikette nachzudenken, presste sie sich an ihn, schloss den Abstand, griff in seinen Nacken, und stöhnend zog er sie näher. Ihre Lippen öffneten sich und zuerst zaghaft drang seine Zunge in ihren Mund, bevor er jede Scham verlor und sie mit seinem Gewicht nach unten auf die Couch drückte. Sie genoss sein Gewicht auf ihrem Körper, genoss wie seine Hände sie berührten, wie er hart in ihre Taille griff, und sie hatte Mühe sein Jackett auszuziehen.

 

Kurzatmig löste er den Kuss. „Hermine“, begann er schwer atmend, und ungeduldig sah sie zu ihm auf.

 

„Was?“, entkam es ihr, beinahe verzweifelt.

 

„Ich… will das wirklich!“, beteuerte er, und sie wollte aufschreien vor Wut. Er ließ sie doch wohl nicht ernsthaft abblitzen?!

 

„Aber?“, wollte sie angespannt wissen, und er zog sich von ihr zurück.

 

„Aber vielleicht sollten wir warten, bis deine Scheidung durch ist? Einfach… der Form halber?“ Sein Atem ging schwer, und sie verzog den Mund.

 

„Wir haben eine Verabredung, Desmond“, erinnerte sie ihn bitter.

 

„Ja, aber… ich wusste nicht, dass du… direkt…“ Er beendete den Satz nicht, und sie wusste nicht, was ihn trieb. Ob sie ihm recht geben sollte, oder ob er einfach übertrieb. Ihrer Meinung nach übertrieb er maßlos, aber sie war Ministerin. Musste sie sich darüber Gedanken machen, dass sie noch nicht geschieden war?

 

Nein. Nein, musste sie ihrer Meinung nach nicht. Was sollte das?! Sie setzte sich auf, strich kurzes Kleid glatt und musste sich erst wieder sammeln.

 

„Ich… will es richtig machen, Hermine. Ich will es offiziell. Nicht… heimlich und verborgen.“ Sie blickte hinab auf ihre Hände, nicht sicher, was sie sagen sollte.

„Wenn ich mit dir ausgehe, dann soll die Welt wissen, dass… ich mit dir ausgehe“, schloss er schlicht. Sie würde nicht ertragen, wieder von Malfoy zu träumen, weil ihr jetziger Kandidat Ehre und Anstand besaß.

Sie würde verrückt werden.

 

„Der Termin zur Scheidung ist in drei Wochen Desmond“, warnte sie ihn jetzt. „Warum musste du-?“

 

„-und in drei Wochen werde ich mit dir ausgehen“, unterbrach er sie bestimmt. Verzweiflung überkam sie wieder. „Und du wirst die Nacht über nicht schlafen, das verspreche ich dir“, ergänzte er mit rauer Stimme, und sie überschlug die Tage in ihrem Kopf, während ihr Unterleib bei seinen Worten praktisch vibrierte. Er war so unfassbar scheiße. Sie würde innerlich sterben vor Lust.

 

„Begleite mich zu Malfoys Verlobungsfeier“, sagte sie dann gepresst, weil sie sich nicht streiten wollte, weil er ein Gentleman war und sie ihm Sex aufzwingen wollte. Welcher Mann sagte nein? Welcher?! „Offiziell genug für dich?“, ergänzte sie eine Spur kälter, aber er schenkte ihr ein warmes Lächeln.

 

„Abgemacht“, entgegnete er. „Was kann ich tun, damit du nicht mehr sauer bist?“, wollte er wissen, und sie wüsste, was er tun könnte, aber sie sparte sich das. Unmöglich.

 

„Könntest… du mich noch einmal küssen? Ist das erlaubt?“, wollte sie direkt von ihm wissen, und er rückte wieder näher.

 

„Absolut, Madame Minister“, sagte er und küsste sie wieder sanft mit seinen perfekten Lippen. Sie kam sich vor wie ein Teenager. Es war lange her, dass sie einen Mann einfach nur geküsst hatte.

Aber… es war sehr erregend. Wie ein sehr langes Vorspiel. Ein quälendes, nervenzerfetzendes Vorspiel. Wehe, es würde sich nicht lohnen. Wehe! Aber sie nahm an, in drei Wochen wäre sie so verzweifelt, dass es der beste Sex ihres Lebens werden würde.

 

Auch wenn ihr das heute nicht sonderlich viel half, dachte sie wehmütig.

 

 

Part 3 – A Touch of Imperfection

He shall never know I love him: and that,

not because he’s handsome,

but because he’s more myself than I am.

Whatever our souls are made out of,

his and mine are the same.“

- Emily Brontë 

 

14. parting is such a sweet sorrow

 

Fast ein wenig erwartungsvoll blickte sie sich um. Verstohlen hatte sie den Atem angehalten. Sie hatte sich insgeheim vorgestellt, dass irgendwelche überirdischen, göttlichen Gestalten aus der Erde schmolzen, sich hoch auftürmten, den drohenden Finger schwangen, weil gerade etwas Erhebliches passierte. Weil etwas geschah, worüber zumindest eine kirchliche, eine metaphorische Welt die Stirn runzelte.

Aber es wurden keine Holzscheite für ein Fegefeuer herbeigeschafft. Der Beamte kramte keine Peitsche, die vielleicht für solche Zwecke üblich war, aus seinen vielen Schreibtischschubladen. Es ertönten keine Posaunen von Jericho, keine Fanfaren. Die ganze Angelegenheit wurde nicht mit einem devotionalen Gerichtshammer beendet, der trommfellzerschmetternd auf den dunklen Mahagonitisch niedersauste.

 

Kein „im Namen des Volkes…“, nicht mal ein beachtender Augenschlag des Beamten folgte. Nein, es war… enttäuschend? War es das, was sie dachte?

 

Sie gab es zu, sie hatte etwas mehr erwartet. Nicht einmal der Himmel verdunkelte sich. Die gesamte Welt schien sich nicht weniger darum kümmern zu können, dass ihre Ehe gerade beendet worden war. Natürlich nur formell. Beendet war sie bereits vor einem Jahr gewesen, als Ron überstürzt das Haus verlassen hatte. Merlin, war es schon ein Jahr her? Wo war die Zeit geblieben?

Sie war immer dem Gesetz hörig gewesen, versuchte, immer die richtige Entscheidung zu treffen, und jetzt ärgerte sie sich, dass sie diesem bürokratischen Ritual mehr Effekt einräumen wollte, als sie willig war ihrem letzten Streit zuzugestehen.

 

Denn das sollte der wichtigste Moment gewesen sein. Der kritische Punkt.

Das hier war nur reine Form.

 

War es, weil Konventionen sie zwangen, ruhig nebeneinander zu sitzen, als wäre alles in Ordnung? War es, dass sie beide aussahen, als würden sie einer Bestattung beiwohnen, anstatt der Auflösung ihrer Ehe? Waren es alles aufgezwungene Verhaltensweisen, weil man es so gelernt hatte, weil man aus irgendwelchen Gründen Respekt vor einer selbstgeschaffenen Obrigkeit hatte, die man für gewöhnlich in den eigenen vier Wänden belachte?

 

„-Miss Granger?“

 

Und beinahe hatte sie nicht reagiert. Nicht reagiert auf ihren eigenen Namen, an den sie seit achtundzwanzig Jahren kaum mehr einen Gedanken verschwendet hatte, aber sie bekam ihren Namen zurück. Inoffiziell zumindest. Sie wusste nicht, ob die amtierende Ministerin einfach so ihren Namen ändern durfte. Sie hatte noch nicht mit Mr. Tavish darüber gesprochen.

 

„Eine letzte Unterschrift“, schien der Beamte zu wiederholen, und Hermine riss sich zusammen, ergriff die Feder, die er ihr bot und zeichnete ihren – alten, jetzt wieder neuen – Namen auf das Pergament. Sie las nicht einmal, was sie unterschrieb. Sie nahm an, es war lediglich die Gebührenrechnung des Beamten. Für so etwas Banales unterschrieb sie das erste Mal nach all den Jahren mit ihrem eigenen Namen! Ein Todesurteil sollte sie unterzeichnen, einen Sechser-Lottoschein! Irgendetwas, dass etwas wichtigeres ausdrückte, als schlicht und ergreifend die Tatsache, dass sie dreiunddreißig Galleonen und achtundzwanzig Knuts dafür gezahlt hatte, dass ein Beamter ihr sagte, dass er drei Kopien des Scheidungsbriefs angefertigt hatte – für was auch immer!

 

Nein, sie war enttäuscht. Ernsthaft enttäuscht.

 

Und neben ihr erhob er sich, als hätte er ein Signal gehört, was nur Männer hören konnten. Als hätten sie im Büro des Schulleiters gesessen, um sich eine Moralpredigt anzuhören. Und nicht einmal das war der Fall gewesen. Er griff sich an die Krawatte, als schmerze sie ihn physisch, als könne er nicht erwarten, sie sich von seinem Nacken zu zerren, sich nackt auszuziehen und über die Straße zu tanzen. So kam er ihr vor. Als müsse er dringend zur Toilette. Er war anstrengend nervös, bedachte sie mit keinem Blick, während sie an ihm aufblickte, sanfte Gereiztheit in ihren Zügen, während er sich wortkarg verabschiedete – und ging.

 

Keine Guillotine zerteilte seinen Körper, als er das Büro verließ. Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, den Kopf über ihn zu schütteln.

 

„Madame Minister…?“, sagte der Beamte eindeutig zu ihr, und auch er hatte sich erwartungsvoll erhoben, die Augen groß, gemimtes Verständnis im blassen Gesicht. Sie atmete aus und erhob sich mit gewisser Schwere, denn ihr kam es vor, als hingen tonnenschwere Gewichte an ihren Gliedern. Sie wurde von der moralischen Keule nämlich erdrückt, die mit einer Scheidung einherging.

 

Sie hatte versagt. Und sie versagte selten. Das war es, nahm sie an. Es war wie das Ergebnis einer Prüfung, deren Ausgang sie sich sicher gewesen war. Und jetzt hatte sie die Note ‚Troll‘ kassiert.

 

„Wiedersehen“, verabschiedete sie sich ein wenig bitter, und der Beamte lächelte höflich, wenn auch leer.

 

„Einen schönen Tag noch“, erwiderte er, und sie konnte nicht begreifen, wie er denken könnte, irgendjemand, der sein Büro verließ, würde einen schönen Tag haben. Aber sie sagte es ihm nicht, verließ das Büro, und war froh, sich endlich mit anderen Dinge befassen zu können.

 

„Hermine?“ Sie wandte den Blick. Er druckste sich im Flur herum, während der Ministerschutz auf sie wartete. Ihr Exmann. Es war so schrecklich offiziell. Sie hatte geglaubt, würde sie jemals irgendwo versagen, würde die Welt eine Konferenz einberufen und ihre Fehler diskutieren. Aber nichts! Die Gleichgültigkeit der Welt war keine Schonfrist bis zum Verhandlungstag gewesen, sie bekam keine ultimative Strafe. Nein, ihre ultimative Strafe war die grenzenlose Gleichmütigkeit des Tages.

 

Niemand stürmte auf sie zu, bemitleidete sie, denn der Umstand, dass sie von Trennung auf Scheidung umgestiegen war, war nicht erheblich. Es war einfach nur endgültiger. Und Ron schien vor dem Beamten nicht hatte reden zu wollen, aber jetzt sah er sie an, wartete, dass sie näher kam, und widerwillig bedeutete sie den Wachen, zu warten.

 

„Ron“, erwiderte sie, und hätte damals nie gedacht, dass sie seinen Namen nur noch selten äußern würde.

 

„Es… tut mir leid“, sagte er tatsächlich. Er sah schrecklich förmlich aus. Sie war schon gewöhnt, selber jeden Tag so auszusehen, als ginge sie auf Trauerfeiern, aber Ron stand es nicht. Überhaupt nicht.

 

„Mir auch“, erwiderte sie, und es war traurig.

 

„Ich… treffe mich gleich mit Hugo“, erklärte er. „Und Lavender“, schien er ergänzen zu müssen.

 

„Wie nett“, bemerkte sie knapp.

 

„Ich wollte dir nur sagen, dass… dass ich falsch reagiert habe, damals“, räumte er ein. Sie runzelte die Stirn.

 

„Wann genau?“ Sie konnte nicht verhindern, kalt und abweisend zu klingen, denn jetzt brauchte sie seine Entschuldigungen auch nicht mehr.

 

„Mit Rose“, sagte er bloß. „Es… liegt nicht an den Malfoys“, ergänzte er stiller. „Es ist ein großer Teil, aber… ich glaube, es war alles.“ Sie sah zu ihm auf, nicht sicher, was sie mit seinen Worten anfangen sollte. „Du… bist Ministerin, Hermine.“ Er sagte es leise, etwas ehrfürchtig.

 

„Und? Was soll das heißen?“ Fast klang sie angriffslustig. Sie waren keine Freunde mehr, stellte sie überrascht fest. Ron war nicht mehr ihr Mann, er war nicht mehr ihr Freund.

 

„Deine Karriere war immer wichtig. Und ich verstehe das, Merlin, sieh dich an!“, sagte er eindeutig. „Vielleicht musste es so kommen. Das ist alles, was ich sagen will.“

 

„Es ist ein Job, Ron. Mehr nicht.“

„Es ist mehr als das“, widersprach er ruhig. „Und ich passe nicht dazu“, ergänzte er. „Und… Rose passt zu den Malfoys“, sagte er stiller, fast resignierend.

 

„Passt sie nicht“, entgegnete sie sofort, aber sie wusste, was er meinte. Es machte es nur nicht besser.

 

„Pass gut auf dich auf, ja?“, verabschiedete er sich schließlich, und wenn sie geglaubt hatte, Ron würde um sie kämpfen, sie zurückholen wollen, weil sie doch augenscheinlich der Hauptgewinn war, hatte sie sich geirrt.

Ron schien lange überwunden zu haben, kein Teil mehr ihres Lebens sein zu wollen, und es versetzte ihr einen dumpfen Stich. Man glaubte immer, man wäre der Mittelpunkt allens, und manchmal kam sie sich so vor, wenn die Zeitungen allesamt ihren Namen auf der Titelseite verkündeten, aber sie stellte fest, in Rons Leben bezog sie keinen Mittelpunkt mehr.

 

„Du auch“, rang sie sich die steifen Worte ab, und mit einem schmalen Lächeln machte er Kehrt, ließ sie zurück, und sie wusste, es würde kein guter Tag werden. Er fing schon bedeutend schlecht an.

 

~*~

 

Er kam nach Hause, und etwas war anders. Er konnte es nicht direkt benennen, aber er spürte es. Emily begrüßte ihn nicht, wie sonst. Er sah sie nirgendwo. Auch das Personal schien sich zu verbergen, und er hatte keine Lust auf Versteckspiele. Er war erschöpft, er war hungrig, es war spät, und er wollte den Abend ausklingen lassen. Er betrat das Esszimmer, wo bereits der Tisch gedeckt wurde.

 

„Wo ist Emily?“, fragte er die Hexe direkt, und diese neigte kurz den Kopf.

 

„Miss Bennett ist in den Gemächern, Sir“, wurde ihm die Auskunft erteilt, und er atmete gepresst aus.

 

„Danke“, erwiderte er bloß, steuerte den Flur an, bis er zum Treppenhaus kam. Er musste mit Emily reden. Es gab Dinge zu besprechen, Planungen zu erörtern, und die neuesten Neuigkeiten konnte er ihr nicht vorenthalten, denn er wusste selber nicht wirklich damit umzugehen.

 

Nach einer Endlosigkeit, so kam es ihm vor, war er oben angekommen und klopfte an die Flügeltür zu ihren gemeinsamen Gemächern. „Emily?“, fragte er der Höflichkeit halber und öffnete dann die Tür. Zuerst entdeckte er sie nicht. Die Vorhänge waren zugezogen und nur spärliches Licht fiel ins Innere des fliederfarbenen Zimmers. „Emily?“, wiederholte er, und näherte sich dem Bett. Schlief sie? Ihr Rücken hob sich in flachen, abgehackten Atemzügen. Sie hatte ihm den Rücken gekehrt. Er setzte sich neben sie auf die Kante. „Emily, was ist los?“ War sie krank? Er konnte sich nicht erklären, warum-

 

Sie wandte sich um, sah zu ihm auf, und sein Atem stockte. Ihr hübsches Gesicht war verweint, die Augen gerötet, und es war keine Laune, kein Stimmungsumschwung – es war schlimm. Er sah es.

 

Sie schüttelte schluchzend den Kopf. „Es hat keinen Herzschlag mehr“, flüsterte ihre Stimme, und sein Kiefer gab nach. „Draco“, flüsterte sie zitternd, und mit dem nächsten Schwall an Tränen zog er sie in seine Arme, fragte nicht weiter, wollte es gar nicht genauer wissen, wollte kein Wort mehr sagen.

 

Das Baby hatte keinen Herzschlag mehr. Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Es fühlte sich schrecklich an. Er hatte sich abgefunden, hatte sich gefreut, hatte Erwartungen gehegt, hatte sich ein Mädchen gewünscht, hatte in seinem Kopf so viele Dinge geschworen, die er besser machen würde – dieses Mal.

Und jetzt? Jetzt… würde das kleine Wunder nicht kommen, würde seine kleinen Finger nicht um seinen Daumen schließen, würde nicht auf seinem Arm einschlafen. Er blinzelte die Tränen fort.

 

„Wieso hast du nicht Bescheid gesagt?“, wollte er stockend wissen, und sie vergrub sich in seiner Schulter.

 

„Ich… konnte nicht“, wimmerte sie. „Draco, ich muss heute Abend ins Mungo. Sie werden es… entfernen“, ergänzte sie unter schweren Atemzügen.

 

„Ich komme mit dir“, sagte er sofort, wie er sofort Astoria zugesichert hatte, sie ins Mungo zu begleiten, als die Krankheit schlimmer geworden war. Es war anders, sicher, aber es fühlte sich sehr ähnlich an. Nur hatte Astoria nicht geweint. Sie hatte nie geweint, erinnerte er sich. Nur er hatte das.

 

„Ich… kann nicht…- ich hatte mich so sehr gefreut, Draco. Und jetzt… jetzt ist es fort“, flüsterte sie erstickt.

 

„Ich weiß. Ich… hatte mich auch gefreut.“ Und es stimmte. Er hatte sich gefreut. „Sollen wir die Feier absagen?“, wollte er still wissen, aber sie ruckte mit dem Kopf.

 

„Der Saal ist gebucht, der Caterer-“

 

„-das ist doch völlig egal“, unterbrach er sie.

 

„Die Einladungen sind raus“, fuhr sie fort. „Nein, ich…- wir können nicht absagen, Draco.“ Er hasste, dass die Etikette ständig und überall vor ging.

Dasselbe Gespräch hatte er heute bereits mit seiner Mutter geführt. Denn er war so spät dran, weil er im Herrenhaus hatte vorbeischauen müssen. Heiler Cormack war dort. Lucius hatte das zweite Aneurysma im Kopf, und dieses Mal hatte Magie keine Heilung bringen können. Er würde sterben. Bald. Er konnte nicht mehr aufstehen, konnte nicht mehr sprechen, aber jetzt schien nicht der richtige Moment, um diese Sache zu berichten.

 

Sie sank an seine Schulter zurück, und er hielt sie fest.

 

Kein Baby mehr.

 

Er schloss die Augen und wusste nicht, was er fühlen sollte.

 

 

Der Abend verging zäh, in Schüben, so hatte er das Gefühl. Eine Ewigkeit waren sie Zuhause gewesen, hatten gepackt, wenig gesprochen, Emily hatte geweint, er hatte sie gehalten, hing seinen Gedanken nach, und wieder einmal überkam ihn das Gefühl, zu alt zu sein.

Irgendwann hatte Emily es Narzissa berichtet, und Narzissa hatte daraufhin von Lucius erzählt. Emily weinte seitdem nur noch mehr, und Draco war angeschrien worden.

 

Er nahm es nicht sonderlich ernst. Emily schrie nicht ihn an, wusste er. Er war nur gerade da.

 

Dann waren sie ins Mungo gefahren, still in der Kutsche. Sie hatten nicht mehr gesprochen, bis sie auf der Station angekommen waren. Es war in Ordnung. Ruhig, Einzelzimmer, eine Suite praktisch. Der Chefheiler hatte sie begrüßt, und erst, als der Assistenzheiler die Suite betrat fokussierte sein Augenmerk.

 

„Miss Bennett, Mr. Malfoy“, begrüßte Hugo Weasley sie, und ihn umgab dieselbe Ernsthaftigkeit wie er sie stets bei Hugos Mutter spürte.

 

„Heiler Weasley“, erwiderte er die Begrüßung, sprach seinen Namen still, denn für gewöhnlich vermied er, den Namen überhaupt zu benutzen.

 

„Ich nehme Anteil an Ihrem Verlust. Wir haben einige Möglichkeiten, wie eine Verabschiedung aussehen kann“, begann er dann, und anscheinend gehörte Hugo zum gynäkologischen Team, was Sinn machte, war er auch bei seiner Schwester anwesend.

 

„Verabschiedung?“, wiederholte Emily schniefend, und Draco mochte den Klang überhaupt nicht.

 

„Ja, es kommt ganz darauf an, was man möchte. Es kann alles sehr anonym passieren – wir… würden Sie, Miss Bennett, in einen Schlaf versetzen, den Embryo entfernen, Sie wachen auf, und mit einigen Hormontränken wird sich Ihr Körper fühlen wie zuvor, oder wir übermitteln Ihnen, was wir schon wissen, schon… erkennen können“, formulierte er es behutsam.

 

„Auf keinen Fall“, sagte Draco sofort, aber Emilys schockierter Blick machte ihm deutlich, dass sie da wohl auf ganz verschiedenen Seiten standen.

 

„Sie meinen“, begann Emily vorsichtig, „man kann etwas erkennen?“, flüsterte sie.

 

„Geschlecht, das Aussehen, mit einem Zauber lässt sich ein Abbild erstellen, wie der Embryo möglicherweise später ausgesehen hätte – diese Dinge. Wer es möchte“, ergänzte er mit Blick auf ihn. Und Draco nahm an, er sah mäßig angewidert aus, denn Hugo faltete die Hände und schenkte Ihnen ein anteilnehmendes Heiler-Lächeln. „Ich gebe Ihnen einige Minuten“, verabschiedete er sich, und Draco wartete, bis er das Zimmer verlassen hatte.

 

„Emily“, begann er vorsichtig, „ich schlage vor, wir bringen dieses Kapitel so schnell wie möglich hinter uns und halten uns nicht zu lange mit schmerzhaften Erinnerungen auf“, sagte er sachlich, aber Emily weinte bereits.

 

„Draco, ich habe diesen Embryo in mir getragen, habe ihn mit meinem Körper geschützt, ihn geliebt, vier Monate lang!“, fuhr sie ihn an. „Wie kannst du so herzlos sein? Kein Wunder, dass du Astorias Tod nicht überwindest!“, fuhr sie ihn an, und wieder war es ein tiefer Schlag. Er biss die Zähne zusammen. Astorias Tod hatte sich Jahre hingezogen. Die Krankheit war ungnädig gewesen, kam in Schüben, war wieder abgeklungen, bis es irgendwann so schlimm geworden war, dass sie Monate nur noch im Bett liegen konnte, ohne je wieder aufzustehen.

Die einzige Frau zu überwinden, die er je gewollt und geliebt hatte – würde niemals passieren. Und immer und immer wieder glaubte er, zu erkennen, was für einen Fehler er mit Emily gemacht hatte.

 

Aber jetzt wäre ein denkbar schlechter Zeitpunkt, dieses Problem zu erörtern, nahm er bitter an. Also ignorierte er ihren Tiefschlag, denn sie meinte es nicht so. Wahrscheinlich schon, aber er würde es ihr heute nicht vorhalten. Sie war jung, impulsiv, sie dachte nicht nach. Er war alt. Und er fühlte sich so. Mit ihr jeden Tag älter.

 

„Du möchtest ein Abbild sehen, möchtest wissen, was niemals sein wird? Was du niemals haben kannst? Ist nicht wissen manchmal nicht besser, als jedes Detail zu kennen?“

 

In dem Zuge dieser Worte wünschte er sich plötzlich, Hermine Weasley wäre niemals zur Hochzeit seines Sohnes gekommen. Er wusste nicht, warum er jetzt wieder an sie dachte. Vielleicht lag es an Hugo, an schmerzhaften Dingen, an… seinem kranken Kopf.

 

„Nein!“, widersprach sie. „Ich würde mich fragen, was gewesen wäre, Draco! Ich würde den Embryo um seine Existenz betrügen, wenn ich ihn einfach bewusstlos entfernen lasse!“

 

„Seine Existenz? Er ist tot, Emily“, sagte er behutsam, und Tränen quollen aus ihren Augen.

 

„Ja, ich weiß das“, zischte sie. „Aber… er war da. In mir! Ich habe ihn gespürt. Und jetzt… ist nichts mehr da, und ich kann nicht-“

 

„-schon gut“, räumte er ein. Erschlagen, besiegt. „Ich werde nicht dabei sein“, sagte er jetzt, und ihr Mund öffnete sich. Er erkannte die Gabelung des Weges vor sich. So deutlich, dass es schmerzhaft war.

 

„Du wirst gehen?“, flüsterte sie empört.

 

„Was du tun willst, könnte ich nicht ertragen. Das musst du begreifen und verstehen“, bat er sie, sehr nüchtern, sehr gefasst.

 

„So etwas werde ich niemals verstehen, Draco Malfoy“, sagte sie stockend. „Ist es dir so egal?“, wollte sie unter Tränen wissen, und er atmete gepresst aus.


„Nein, natürlich nicht. Aber ich kann es nicht ertragen, Emily.“

 

„Du willst mich alleine lassen?“

 

„Du lässt mich auch alleine“, erwiderte er sehr deutlich.

 

„Ich bin in dieser Situation wichtiger, Draco. Meine Gefühle sind jetzt wichtiger als deine! Verstehst du das? Ich möchte, dass du bei mir bist, dass du dir diese Zukunft ansiehst, die nicht sein kann.“

 

Er empfand so nicht. Und das sagte er auch, als es sanft an der Tür klopfte.

 

„Das werde ich nicht tun. Es tut mir leid“, schloss er, schritt zur Tür, die Hugo wieder geöffnet hatte, und tauschte einen knappen Blick mit ihm. Hugo nickte einmal, ließ ihm den Vortritt, bevor er selbst im Zimmer verschwand und die Tür verschloss.

 

 

15.

 

Abgesehen von ihrer Verwandtschaft hatte sie wenig Besuch bekommen in den letzten Monaten. Es ging ihr gut, und natürlich empfing sie ihn.

Scorpius arbeitete länger, und ihre Mum schien nur noch unterwegs zu sein. Sie saß auf dem Sessel, das Baby auf dem Arm, aber viel konnte es nicht. Gleich würde es ohnehin wieder einschlafen.

 

„Er ist bezaubernd“, sagte Troy Ferrars mit einem Lächeln, und Rose nickte bestätigend.

 

„Ja, er ist wirklich wunderbar“, erwiderte sie.

 

„Ist es schwer?“, fragte er sie dann. „Ehefrau, Mutter sein?“ Sie wusste, Troy war Single, und fast kam sie sich vor, als könne sie nicht mehr mitreden. Einst hatte sie dazu gehört, und plötzlich… war sie raus.

 

„Es geht“, sagte sie bloß. „Die Geburt war… anstrengend“, schloss sie, und er sah sie abwartend an. „Es hat mich viele Wochen gekostet, wieder normal zu sein“, fuhr sie fort, und er nickte verständnisvoll.

 

„Du fehlst auf der Arbeit“, räumte er ein, und sie musste lächeln.

 

„Das glaube ich nicht. Ich war nie sonderlich gut“, wiegelte sie ab.

 

„Du warst gut“, widersprach er kopfschüttelnd. „Und deine Gesellschaft war wirklich schon das beste dort“, ergänzte er.

 

„Danke, das ist nett, Troy“, erwiderte sie.

 

„Es ist wahr“, entgegnete er mit ernstem Blick.

 

„Ich habe gehört, meine Mum geht mit deinem Dad aus“, wechselte sie das Thema, denn sein Blick war ihr unangenehm. Er war so offen, so aufrichtig. Einfach wirklich nett.

 

„Jaah. Seltsam, nicht?“ Rose nickte bloß.

 

„Die Scheidung ist durch“, bemerkte sie knapp.

 

„Hätte ich nie gedacht“, entfuhr es Troy kopfschüttelnd. „Dass sich Hermine und Ron Weasley trennen würden. Damals waren sie… die Vorzeigeeltern, würde ich sagen“, lachte er ungläubig.

 

„Das waren sie nie“, sagte sie mit gesenktem Blick.

 

„Wie geht es dir? Redest du mit deinem Dad? Ich meine, das war damals ja schon immer so eine Sache, wegen… wegen…”

 

„Wegen Scorpius?“, beendete sie den Satz.

 

„Ja“, bestätigte er, etwas unbehaglich.

 

„Wir reden“, gab sie zu. „Nicht häufig, nicht über Scorpius“, ergänzte sie vielsagend. „Aber wir reden.“

 

„War es… die richtige Entscheidung, Rose?“, wollte Troy von ihr wissen, und sie hob überrascht den Blick.

 

„Die richtige Entscheidung?“, wiederholte sie. „Troy, ich war schwanger mit seinem Kind. Von was für einer Entscheidung redest du?“

 

„Ich meine… ich weiß das“, sagte er hastig. „Ich… fand nur immer, ihr beiden wart… es war nie…“

 

„Nie was?“, entkam es ihr fast kleinlaut.

 

„Ach, ich habe keine Ahnung davon, Rose. Ich… wollte nur wissen, ob es dir gut geht, ob du… gerne seine Frau bist?“ Er hob die Arme, in einer unsicheren Geste.

 

War sie gerne Scorpius‘ Frau? Sie nahm an, sie würde schlaflose Nächte verbringen, wäre sie nicht mehr mit Scorpius zusammen, aber… es war hart. Es war nicht einfach. Er war nie da.

 

„Es… ist ok“, sagte sie dann achselzuckend.

 

„Es ist ok?“, wiederholte Troy mit gerunzelter Stirn.

 

„Ich… hatte es mir anders vorgestellt, aber es ist ok“, bestätigte sie schlicht. „Wir wollen nach Schottland ziehen“, fuhr sie fort, und Troys Augen weiteten sich.

 

„Und das willst du?“

 

„Nein“, entkam es ihr, bevor sie nachgedacht hatte. „Ich meine, ich… natürlich will ich das. Wir hätten ein eigenes kleines Schloss, und wir haben alles geplant. Also…“

 

„In Schottland gibt es nichts. Ihr könnt doch nicht einfach fort! Und was willst du dort? Noch mehr Kinder kriegen?“, fragte er ernst. „Du könntest wenigstens wieder arbeiten kommen? Wofür müsst ihr wegziehen?“

 

„Ich glaube, wir sollten über andere Dinge reden, oder?“, schlug sie stiller vor, und sein Blick fiel.

 

„Natürlich. Ich wollte nicht…- Rose, es tut mir leid“, entschuldigte sich der höfliche Mann vor ihr, mit den wilden welligen Haaren. Sie hätte sich gut vorstellen können, seine Freundin zu werden, damals. Aber… Scorpius war so eifersüchtig gewesen. Und natürliche hätte sie niemals nein zu Scorpius sagen können. Er war viel beliebter gewesen, als Troy. Und dass Scorpius Malfoy sie gewollt hatte – es hatte sie blind gemacht für alles andere.

 

„Es ist ok“, erwiderte sie seufzend. Dann lächelte Troy.

 

„Deine Mum ist Ministerin. Ziemlich verrückt, oder?“, wechselte er das Thema, und sie verdrehte die Augen.

 

„Es ist anstrengend und absolut furchtbar“, äußerte sie ihre Gedanken.

 

„Mein Vater ist sehr stolz auf sie“, bemerkte Troy, und Rose verzog den Mund.

 

„Ja. Sie haben auch höchstwahrscheinlich Sex, Troy. Also muss er sowas sagen“, bemerkte sie mit einer angewiderten Grimasse, und Troy musste lachen. Und es klang so angenehm, es war beinahe ansteckend, und sie musste ebenfalls grinsen. Sie hatte vergessen, wie nett und witzig er war. So unkompliziert. So anders als… Scorpius.

 

„Ich sollte dich nicht viel länger nerven, oder?“, sagte er schließlich, und Rose sah auf die Uhr.

„Du kannst gerne noch bleiben“, bot sie ihm überschwänglich an. „Scorpius kommt erst spät von der Arbeit wieder“, ergänzte sie noch und bereute es sofort. Troy runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu.

 

„Ok“, schloss er. „Dann… bleibe ich noch.“

 

„Erzähl mir von der Arbeit. Gibt es… da wirklich eine Stelle für mich?“, fragte sie beinahe vorsichtig, und sein Gesicht hellte sich auf.

 

„Natürlich! Es gibt genug zu tun, und du weißt, wie alles zu machen ist. In meinem Büro ließe sich eine Teilzeitkraft ohne Probleme unterbringen, Rose“, versicherte er ihr, und fast musste sie lächeln beim dem Gedanken, endlich aus der Villa rauszukommen – egal, aus welcher….

 

~*~

 

Die erste Aufsichtsbeschwerde war gestern eingegangen. Die zweite heute. Es war nicht sonderlich ungewöhnlich. Beschwerden gab es immer, aber Hermine konnte Scorpius‘ Worte nicht völlig abschütteln.

Denn die Beschwerden kamen aus Askaban. Einige Wärter hatten andere angeschwärzt, sich über neue Methoden beschwert, eine Ungleichbehandlung der Gefangenen bemerkt, und es bereitete ihr minimal Kopfzerbrechen. Sie konnte nicht gebrauchen, dass sich Fronten in diesem Sektor auftaten.

 

Ihre Testphase war noch lange nicht abgeschlossen. Alles andere lief gut, aber Askaban war ihr Hauptprojekt, und es musste funktionieren. Sie wollte keine Fehler machen.

 

Es war anstrengend, alle Bälle im Blick zu behalten, und es lenkte sie erfolgreich von der Tatsache ab, dass sie bisher zwei Verabredungen mit Desmond gehabt, und immer noch nicht mit ihm geschlafen hatte. Seine Moralvorstellungen nagten an ihrem Nervenkostüm, aber jetzt, wo die Beschwerden anrollten, bemerkte sie die sexuelle Dauerfrustration immerhin nicht mehr.

 

Ihr neuer, fähiger, wenn auch langweiliger, Untersekretär hatte ihr schon die Agenda für morgen auf den Schreibtisch gelegt, und der Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass es nach fünf war. Sie musste nach Hause. Sie machte es sich zur Aufgabe, nicht zu viele Überstunden zu machen, und sie musste wirklich los. Sie wollte mit Rose zu Abend essen – hoffentlich nicht mit Scorpius.

Sie hatte ihre Tochter vernachlässigt, und es tat ihr auch leid.

 

Sie hatte ihre Tasche gepackt, verzichtete heute auf das Freitags-Training mit Harry und würde direkt nach Hause verschwinden. Sie hatte sowieso nicht den Kopf dafür. Die Augen der Öffentlichkeit saßen ihr im Nacken, und auf die Verlobungsfeier morgen hatte sie erst recht keine Lust.

Aber sie erinnerte sich an Desmonds Versprechen, sie die Nacht nicht schlafen zu lassen. Sie hatte gestern Mittag mit ihm über die eingegangene Beschwerde gesprochen, und er hatte ihr geraten, sie nicht zu schwer zu nehmen, sich mit Rückschlägen anzufreunden, und zu handeln, sobald Bedarf bestand.

 

Es waren weise Ratschläge, die ihr nervöser Kopf aber nicht unbedingt ernstnehmen konnte.

 

Sie verabschiedete sich von den Assistentinnen der Etage, den Mitarbeitern, verließ den Flur, fuhr direkt nach unten, ließ die kurzen Gespräche über das Budget über sich ergehen, die sich ihr aufdrängten, versprach, sich nächste Woche darum zu kümmern, und sie hatte einfach nicht genügend Zeit für alles. Tausend Leute wollten tausend Dinge von ihr, und manchmal kam es ihr so vor, als hatte sie nicht mal die Zeit, ihren Job zu machen. Sie kümmerte sich immer nur um fremde Anliegen.

 

Aber sie hatte diesen Job gewollt. Ihr wurde im Atrium feierlich zugenickt, und mit ernstem Blick und strengen Schritten erreichte sie endlich einen freien Kamin und war heilfroh, nach Hause zu kommen.

 

Für den Weg zur Minister-Villa musste sie zunächst ihren geeichten Zauberstab in die Flammen halten, erst danach stand ihr der Weg offen.

 

Die Reise ging schnell, und in ihrem Arbeitszimmer angekommen, lehnte sie sich erst mal erschöpft gegen den Schreibtisch.

 

„Hermine?“

 

Sie zuckte zusammen. Sie hatte Darcy gar nicht gesehen, die sich neben der Tür befand.

 

„Darcy“, sagte sie müde.

 

„Entschuldige“, entfuhr es ihrer persönlichen Assistentin, für die sie sehr dankbar war. „Das Essen wird in einer halben Stunde serviert, und Rose und Scorpius sind im Wohnzimmer. Dem Baby geht es gut“, zählte sie auf. „Das Date mit Desmond morgen steht?“ Hermine hatte Darcy eingeweiht in ihre Beziehungsplanung, und Hermine nickte in stiller Vorfreude. „Das ist gut. Ich… wollte mich erkundigen, ob ich morgen dabei sein sollte, oder…?“

 

„Was? Natürlich!“, rief Hermine aus. „Ohne dich wird es nur anstrengend werden“, prophezeite sie. Darcy lächelte geschmeichelt.

 

„Und… diese Malfoy-Sache“, begann das Mädchen vielsagend, aber Hermine unterbrach sie.

 

„Es gibt keine Malfoy-Sache“, kürzte sie es ab. „Wirklich nicht.“

 

„Hör zu“, begann Darcy jetzt seufzend, „ich habe einige Gespräche heute mitbekommen“, fuhr sie fort. „Anscheinend steht es alles unter einem schlechten Stern, diese Feier morgen“, schloss sie. Und Hermine wollte nicht sonderlich interessiert klingen, aber noch gönnte sie den Malfoys alles Schlechte.

 

„Was meinst du?“, wollte sie wissen, denn es wäre mal nett, wenn nicht nur sie schlechte Nachrichten bekommen würde.

 

„Malfoys Verlobte? Emily?“, schien Darcy den Namen zu raten, und Hermine ruckte unwirsch mit dem Kopf. „Sie scheint das Baby verloren zu haben“, informierte Darcy sie stiller, und Hermine sah sie lediglich an.

 

„Oh“, war, was sie schließlich sagte. „Ist das dein Ernst? Woher weißt du das?“, entfuhr es ihr gespannt.

 

„Scorpius hat es erzählt, als er vom Herrenhaus kam, denn Lucius Malfoy liegt im Sterben“, fuhr sie nahtlos fort, und Hermines Mund öffnete sich.


„Was?“ Unglaube lag auf ihren Zügen. Gut, so viele schlechte Neuigkeiten gönnte sie wiederum auch Malfoy nicht. „Das… ist furchtbar“, schloss sie bekümmert. Sie interessierte sich weder für Malfoy, noch für seine schwangere Verlobte, aber… sie wünschte keiner werdenden Mutter, dass sie ihr Baby verlor.

 

„Ja. Es war wohl ein großes Drama, und Emily und Mr. Malfoy versuchen seit einer Woche mit dieser neuen Situation umzugehen, und… es läuft wohl nicht sonderlich gut.“ Hermine konnte sich das vorstellen.

 

„Wieso findet die Feier statt?“, entkam es ihr kopfschüttelnd.

 

„Der Etikette wegen, sagt Scorpius“, erwiderte Darcy achselzuckend.

 

„Super“, knurrte Hermine bloß. Diese scheiß Reinblüter und ihr dämlicher Müll.

 

„Ich wollte fragen, ob es ok ist, wenn ich Jamie mitbringe“, fuhr Darcy jetzt kleinlaut fort, und Hermine brannte schon darauf, denn mysteriösen Jamie kennenzulernen, von dem sie so viel gehört hatte, ihn aber noch nie sehen durfte.

 

„Sicher ist es ok. Ich bin sehr dafür.“

 

„Gut. Dann ist das geklärt. Ich schlage vor, du begrüßt Rose und Scorpius. Die Stimmung ist nicht die beste“, ergänzte Darcy vielsagend. „Ich würde mich verabschieden.“

 

„Ok. Danke für die Info, Darcy“, erwidert Hermine erschöpft.

 

„Gern geschehen. Wir sehen uns morgen“, verabschiedete sich das Mädchen lächelnd. „Oh, und hast du jetzt mit ihm geschlafen?“, erkundigte sich Darcy zwischen Tür und Angel, und kurz war sich Hermine nicht völlig sicher, wen sie meinte, aber Darcy ließ sie nicht hängen. „Mit Desmond, meine ich.“ Hermine hatte ihr definitiv zu viel anvertraut, stellte sie mit roten Wangen fest.

 

„Noch nicht“, verneinte sie knapp.

 

„Zu schade. Wie kann er so lange warten wollen?“, entkam es Darcy kopfschüttelnd. Hermine senkte den Blick.

 

„Gute Nacht, Darcy“, sagte sie mit Nachdruck.

 

„Gute Nacht, Hermine“, erwiderte die Hexe grinsend und verließ mit schnellen Schritten das Büro. Hermine folgte ihr schließlich seufzend, und ihr Kopf schwirrte. Emily hatte das Baby verloren. Malfoy würde nicht Vater werden. Lucius würde sterben.

 

Sie erreichte das Wohnzimmer. Sie sah die beiden von hinten. Rose umarmte Scorpius, während dieser ein Glas mit irgendeiner Form von Alkohol in der Hand hielt. Sie näherte sich.

 

„Guten Abend“, begrüßte sie die beiden, denn sie wusste nicht wirklich, was sie sagen sollte. Rose wandte sich um. Sie schien geweint zu haben. „Ich… habe die Neuigkeiten gehört“, sagte Hermine sofort. Scorpius drehte sich nicht um, blickte starr nach vorne gegen die Bücherwand, und Rose kam zu ihr, um sie zu umarmen. Ihre Tochter nahm sehr viel Anteil, stellte Hermine fest.

 

„So furchtbar. Das mit dem Baby, das mit Lucius“, ergänzte sie mit belegter Stimme, und Hermine gab ihr teilweise recht.

 

„Ja“, bestätigte sie. „Es… tut mir sehr leid, Scorpius“, entfuhr es ihr. Erst jetzt ging ihr auf, dass es Scorpius‘ Geschwisterkind geworden wäre. Sie hörte ihn ausatmen.

 

„Mhm“, gab er einsilbig von sich, und sie gönnte ihm beinahe, dass er nicht würde sagen können, ob sie es ehrlich meinte, oder nicht. Aber tatsächlich tat ihr leid, dass er seinen Großvater verlieren würde, auch wenn sie Lucius nicht viel abgewinnen konnte. Sie kannten sich nicht, und das war gut so. Sie stellte sich neben ihn, betrachtete ebenfalls das weitläufige Bücherregal und wusste nicht, ob er ihren Trost brauchte. Verdient hatte er ihn ganz sicher nicht.

 

„Wirklich“, wiederholte sie leiser. Kurz traf sie sein Blick.

 

„Danke.“ Mehr sprach er nicht. Noch eine Sache würde sie fragen. Der Form halber, und weil es sie interessierte.

 

„Wie geht es deinem Vater?“ Denn auch für Malfoy waren dies schreckliche Nachrichten. Er verlor sein ungeborenes Kind und seinen Vater. Manchmal war das Leben nicht gerecht, stellte sie wieder fest.

 

„Nicht sonderlich gut“, sagte er tatsächlich, und sie hatte es angenommen.

 

„Wenn… du irgendetwas brauchst“, begann sie etwas ratlos, aber er senkte den Blick auf ihr Gesicht. Er überragte sie. Nicht so viel wie sein Vater, aber er war ein hochgewachsener Mann.

 

„Dann weiß ich es besser, nicht dich zu fragen“, schloss er knapp. Sie atmete lange aus.

 

„Ich bin hier. Das ist alles, was ich sagen will.“

 

„Wann? Neben deinen Überstunden? Ich bin erwachsen, ich brauche keine Hilfe“, behauptete er.

 

„Wie du willst“, sagte sie bloß, und hier endete ihr Entgegenkommen auch.

 

Es würde morgen garantiert furchtbar werden. Sie würde diese Leute nie verstehen. Ihre Welt ging unter, aber es wurden trotzdem Partys gefeiert.

Hauptsache, man hielt die Fassade aufrecht, dachte sie dumpf. Sie hoffte nur, Rose würde nicht zu sehr unter diesen Dingen zu leiden haben. Sie hoffte, Scorpius würde Rose nicht bestrafen, ihr nicht seine Trauer oder seine Wut aufzwingen.

Es würde ein unangenehmes Essen werden. Vielleicht besaßen die Malfoys all diesen Reichtum, aber gleichzeitig hatten sie auch ziemlich schwere Lasten zu schultern.

 

Tatsächlich tat ihr Malfoy wirklich leid.

 

Mehr als sie zugeben wollte.

 

 

16. but since my friends are here, i just came to kick it

 

Während Desmond sich um die Kutsche kümmerte, und der Minister-Schutz damit beschäftigt war, die Fotografen im Schach zu halten, hatte Hermine Gelegenheit in den hinteren Teil des pompösen Clubs zu schlüpfen. Der Veranstaltungsaal war gebucht und versiegelt worden, da die Ministerin ihre Teilnahme bestätigt hatte.

So lief es immer, wenn sie wo aufschlug, wo viele Menschen waren.

Fast hatte sie sich schon gewöhnt.

 

Fahrig strichen ihre Hände das nachtblaue Kleid glatt, was über ihren Knien endete. Sie steckte in hohen schwarzen Schuhen und sah dem Anlass entsprechend aus. Ihr Mantel war ihr abgenommen worden, und die dünne Bolero-Jacke ließ sie beinahe frieren. Aber immerhin sah sie gut aus. Gut genug. Die Frisur war ebenfalls in der Schwerstarbeit von einer Stunde in Topform gebracht worden, und sie fühlte sich selbstbewusst genug für diesen Abend.

 

„-Emily warte!“, vernahm sie die vertraute Stimme, und sie verharrte in der Bewegung. Die zwei Personen kehrten aus dem angrenzenden Raum zurück.

 

„Ich kann das nicht!“, hörte sie Emily mit verzweifelter Stimme sagen. „Ich kann es nicht, Draco. Nicht heute“, wiederholte sie.

 

„Du kannst jetzt nicht gehen. Ich bitte dich. Wir können-“

 

„-ich kann nicht!“, unterbrach sie ihn, machte sich los und lief die wenigen Schritte zum Ausgang, wischte sich über das verheulte Gesicht und verschwand durch eine Seitentür, die einige Meter von Hermine entfernt war. Sie rührte sich nicht, fühlte sich sehr Fehl am Platz, und jetzt glitt sein Blick über sie, kurz, flüchtig, als kenne er sie nicht, bevor sich sein Fokus festigte. Sie standen etliche Meter entfernt, ehe er tatsächlich langsam näher kam. Sie streckte den Rücken durch. Sie hatte ihn vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen, und hatte ehrlich versucht, nicht mehr an ihn zu denken. Sie hatte es auch überwiegend gemeistert, aber gestern Nacht hatte sie kaum schlafen können. Er trug die Haare kürzer, und der dunkle Anzug war… maßgeschneidert, so viel konnte sie sagen. Er trug ihn gut, dachte sie dumpf, als er vor ihr stehen blieb. Er wirkte müde. So müde wie sie. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Sie hatte dringend von den Wachen wegkommen wollen, und jetzt wusste sie nicht, was sie hier alleine sollte.

 

Desmond war übermäßig fürsorglich, und so sehr sie gedacht hatte, heute nur Augen für Desmond zu haben – umso deutlicher wurde ihr, dass sie kaum den Blick von Malfoy wenden konnte.

 

„Kommt… sie wieder?“, fragte Hermine also, als die Stille mehr als unangenehm wurde. Sie verzichtete auf eine leere Begrüßung, auf hohle Gesten, aber dann wiederum kannte sie wohl die Antwort auf ihre Frage schon. Sein Blick erwiderte ihren nicht direkt, er fokussierte ihn nicht, ließ ihn über ihre Erscheinung gleiten, und schien um Worte verlegen zu sein oder einfach keine zu wissen.

 

„Hm?“, entkam es ihm etwas abwesend, aber sie runzelte die Stirn.

 

„Emily?“, machte sie es deutlich, und jetzt traf sie sein grauer Blick. Endlich. Sie konnte etwas besser atmen.

 

„Ich denke nicht“, erwiderte er, und das hatte sie schon angenommen. Jetzt standen sie in dem leeren Vorsaal, sahen sich an und sprachen nicht. Mit dem nächsten Atemzug entwich ihm die wohl angespannte Luft, und sein Blick fiel. „Sie hat es verloren“, sagte er still, und Hermine verstand zuerst nicht, bis sie begriff, dass er ihr von dem Verlust des Babys erzählte. Ihr Mund öffnete sich.

 

„Ich… ich weiß“, sagte sie rau. Seine Stirn runzelte sich. „Scorpius hat… hat es erzählt“, ergänzte sie, und plötzlich empfand sie wesentlich mehr Mitgefühl, als noch gestern Abend. „Es ist so schrecklich“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd. „Und es tut mir sehr leid für euch. Und… Lucius“, ergänzte sie traurig. Er ruckte knapp mit dem Kopf.

 

„Ja“, bestätigte er.

 

„Es tut mir wirklich leid“, wiederholte sie. „Was ist jetzt mit der Verlobungsfeier?“ Sie hegte die schmale Hoffnung, dass sie alle gehen konnten. Es war so unpassend und traurig.

 

„Verschoben, nehme ich an“, antwortete er beinahe bitter.

 

Dann war es heute ein sehr teurer Anlass für nichts und wieder nichts. „Ich… weiß nicht, was ich sagen soll, Malfoy“, entfuhr es ihr unsicher.

 

„Das kann ich mir kaum vorstellen“, entgegnete er trocken, „aber du musst auch nichts sagen, Weasley. Als trauriger Witwer bin ich Kummer gewöhnt“, schloss er dunkel.

 

„Wenn du jemanden zum… Reden brauchst, ich…“, begann sie etwas überstürzt, denn was bot sie ihm da an? Als wenn sich jemals diese Gelegenheit bieten würde. Und so ähnlich betrachtete er sie auch. „Malfoy, ich… wollte sowieso mir dir-“, begann sie schließlich, und er sah sie gespannt an, aber die Tür zum Saal öffnete sich.

 

„Dad-“, begann Scorpius, bevor er sie erkannte. Aber nur wegen Scorpius war sie überhaupt hier. Das war die Wahrheit unterm Strich. Sie stellte sich aufrechter hin. „Du siehst gut aus“, schenkte er ihr ein sehr spontanes Kompliment, während er sie betrachtete, und fast überraschte sie, dass er überhaupt mit ihr sprach. Gestern Abend war er wortkarg und beleidigt gewesen. Aber das war wohl eher nicht ihre Schuld. „Wo ist Emily?“ Scorpius schien sich umzusehen, als würde sie sich verstecken.

 

„Emily ist gegangen“, informierte Malfoy seinen Sohn, und Scorpius‘ Stirn kräuselte sich.

 

„Was meinst du damit?“

 

„Sie ist weg. Sie… kann heute nicht.“

 

„Oh“, machte Scorpius bloß, plötzlich sehr unsicher, und dann nickte er knapp. „Ok“, sagte er dann. „Das ist wirklich… schade.“

 

„-es ist ein absolutes Chaos draußen mit den Kutschen und dem verdammten Ministerschutz“, beschwerte sich Desmond, als er wohl durch die Sicherheitsschleuse hatte gehen dürfen, und sie sah, dass beide Malfoys mit seinem Auftauchen wohl eher nicht zufrieden waren.

 

„Ferrars“, begrüßte Malfoy ihn knapp, und Desmond zögerte einen Moment.

 

„Malfoy, Scorpius“, nickte er dem Jungen zu, und dann erinnerte sich Hermine wieder. Scorpius dürfte sich mit Desmonds Sohn angelegt haben, ging ihr auf. Rose war ja für den Bruchteil eines Momentes an Troy Ferrars interessiert gewesen.

 

„Mr. Ferrars“, begrüßte Scorpius ihn. „Mit Hermine hier?“, vermutete er dann, und sein Blick hatte sich abgekühlt, als er sie traf.

 

„Ja. Offizielles Date“, bestätigte er.

 

„Tatsächlich?“, sagte auch Malfoy jetzt.

 

„Ja“, sagte sie. „Wir haben uns auf der Arbeit kennengelernt“, führte sie aus. Es war absolut unschuldig, nicht verboten, und sie wusste nicht, warum es wie eine Rechtfertigung klang.

 

„Gut für euch“, erwiderte er bloß, und sie konnte ihm keine große Gefühlsregung anhören. „Leider ist meine Verlobte gegangen. Sie hat sich nicht sonderlich wohl gefühlt heute“, informierte er Desmond, und dieser machte ein betrübtes Gesicht.

 

„Und die Feier?“, fragte er, und Malfoy zuckte die Schultern.

 

„Der Caterer und die Band sind bezahlt, also schlage ich vor, ihr genießt den Abend.“ Seine Höflichkeit war falsch, stellte sie fest. Sein Lächeln sehr aufgesetzt. Dann wiederum war seine Verlobte auch abgehauen. Er würde kein Vater werden, und sein eigener Vater lag im Sterben. Dass er überhaupt so eine gute Figur machte, war bemerkenswert, nahm sie an.

 

„Wir werden unser bestes geben“, versprach Desmond, legte ihr die Hand auf die untere Rückenpartie, und Hermine war es tatsächlich unangenehm. Dann wandte er sich an Scorpius. „Troy sagt, Rose überlegt, vielleicht nächsten Monat Teilzeit in der Strafverfolgung zu arbeiten? Einige Stunden die Woche?“ Hermine sah ihn an. Woher wusste er das, und wieso wusste sie davon nichts? Aber Scorpius war schneller.

 

„Woher sollte Troy das wissen?“ Und sie hörte es sofort, den sanften Klang der Eifersucht. Desmond sah Hermine an, für Hilfe, für Unterstützung, aber Hermine hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

 

„Troy hat sie besucht? Letzte Woche? Hat ihr gratuliert, wollte sehen, wie es ihr geht“, erzählte er achselzuckend. „Hat sie es nicht erwähnt?“, ergänzte Desmond, etwas ungläubig, aber Scorpius‘ Ausdruck sprach Bände. Anscheinend nicht. Anscheinend hatte Rose Geheimnisse vor Scorpius, so wie Scorpius es auch vor ihr hatte. Hermine kam wieder einmal zu dem Schluss, dass sich diese beiden mehr als verdient hatten.

 

„Entschuldigt mich“, entfuhr es Scorpius knapp, und Hermine nahm an, Rose würde jetzt Ärger bekommen. Aber Hermine war fast erleichtert, dass ihre verwöhnte Tochter vielleicht arbeiten würde. Ob Scorpius beleidigt war, war ihr mäßig egal.

 

Wieder öffnete sich die Tür, und Darcy schob sich in den Vorsaal, gefolgt von ihrem Freund, der-

 

Hermine musste zweimal hinsehen.

 

„Hermine! Das ist ja ein Trubel da draußen. Als wäre es das Event des Jahres“, erklärte sie. Hermine hörte ihr kaum zu, denn der junge Mann erwiderte ihren Blick. Die Augen grün, wie die seines Vaters.

 

„James“, sagte sie mit milder Überraschung.

 

„Madame Minister“, begrüßte der älteste Potter sie mit einem schmalen Lächeln, und sie wusste nicht, woher die unpassenden Tränen kamen, aber es war ihr egal, denn sie schloss den Abstand und zog ihn in eine Umarmung, die sonst nur Hugo zuteilwurde. James lachte überrascht auf, bevor er die Umarmung erwiderte. „Darfst du das überhaupt?“, fragte er ein wenig erdrückt, aber sie umarmte ihn fester. Dann wich sie zurück, hielt aber seine Schultern fest.


„Du bist so groß geworden“, flüsterte sie.

 

„Nicht wirklich, Tante Hermine“, entgegnete er.

 

„Ich habe dich vermisst“, sagte sie sanft. Er senkte scheu den Blick.

 

„Und? Wie ist das Amt?“, wollte er wissen, aber das Amt war ihr gerade absolut egal. Sie fixierte Darcy.

 

„Dein Freund ist James Potter?“, wollte sie ungläubig wissen, und Darcy senkte schuldbewusst den Blick.

 

„Es ist nicht, wie du denkst“, begann sie, aber Hermine war es egal.

 

„Das ist absolut großartig!“, sagte sie warm und umarmte auch Darcy. Diese wirkte sehr erleichtert.

 

„Oh gut“, entfuhr es ihrer Assistentin erleichtert.

 

„Wollen wir nicht rein?“, fragte Desmond, der der ganzen Situation wohl wenig abgewinnen konnte, und automatisch glitt ihr Blick zu Malfoy.

 

„Sicher, geht rein. Setzt euch. Ich… werde überlegen, wie ich die Situation klären kann“, sagte er, eher zu sich, fixierte niemand bestimmten, und Hermine würde nicht bei ihm bleiben können. Wollte sie auch nicht. Er wirkte nur so… verloren, jetzt gerade. Schon schob Desmond sie weiter, und Darcy beichtete ihr, dass sie ihr von James hatte erzählen wollen, dass James aber angenommen hatte, sie einzustellen wäre nur ein Trick gewesen.

 

Es war ein eigenartiger Abend. Vielleicht würde sie mit James reden können? Ihn überzeugen, Harry anzuflohen? Wenigstens das. Das wäre absolut großartig.

 

~*~

 

Hermine Weasley galt die Aufmerksamkeit des Saals. Nicht nur wegen des zwölfköpfigen Minister-Schutzes, der sich an den Türen des Saals rumdrückte, sondern ganz einfach weil die Zeitungen voll mit ihren Erfolgen waren, die zwar auf sich hatten warten lassen, aber mittlerweile zeichnete sich ihre anscheinend gute Politik ab.

 

„Was hat Emily gesagt?“, nötigte ihn seine Mutter zum wiederholten Mal, und er konnte nicht wieder darüber reden. Er konnte auch nicht begreifen, wie seine Mutter das eine sinnlose Gespräch nach dem nächsten führen konnte. Er war nicht geschaffen für diese oberflächliche Etikette. Sein Vater lag im Sterben, und seine Mutter spielte den lustigen Partygast. Reinblüter. Ein absolutes Mysterium. Aber Narzissa spielte eine Rolle. Und nicht einmal ihr sterbender Ehemann würde sie davon abhalten. Wollte sie nicht jede Minute mit ihm verbringen wollen, bevor es zu spät war? Draco hatte das Mungo nicht mehr verlassen, in den letzten Tage vor Astorias Tod. Er hatte sich nicht mehr rasiert, nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen.

 

Er hatte Scorpius aus Hogwarts geholt, damit er bei seiner Mutter sein konnte. Aber Scorpius war jung gewesen, hatte alles noch nicht so ganz begriffen, und Draco war ihm kein guter Vater gewesen, in dieser Zeit. Alle Erinnerungen kehrten mit aller Macht zurück.

 

„Gar nichts. Sie hat nicht bleiben wollen“, wiederholte er schlecht gelaunt. Und das wollte er auch nicht.

 

„Wieso hast du sie nicht aufgehalten?“, wollte sie barsch wissen, und Dracos Blick glitt quer durch den Saal, um sie wieder anzusehen. Weil er vergessen hatte, Emily nachzulaufen. Hermine Weasley hatte den Vorsaal betreten, und ihr Auftauchen hatte ihn komplett gelähmt. Er hatte nicht mehr an sie gedacht, hatte es sich nicht gestattet, sich verrückt geschimpft, überhaupt einen schwachen Moment in ihrer Gegenwart zu bekommen.

 

Aber wie sie heute aussah! Es lähmte ihn noch immer. Sie kam ihm wie ein anderer Mensch vor. Dass sie überhaupt auf die Einladung reagiert hatte, dass sie überhaupt hier war. Die letzte Woche war schwer gewesen, und hatte seine Gedanken und Gefühle beherrscht. Emily hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, und er hatte die Trauer bewältigen müssen. Er wollte sich nicht so fühlen. Nicht noch einmal in seinem Leben. Trauer war nichts, mit dem er gut umgehen konnte. Aber er wurde nicht verschont. Er würde seinen Vater verlieren. Auch mit diesem Gedanken hatte er sich nicht wirklich ausgiebig beschäftigt.

 

„Sie kann wieder schwanger werden. Es ist kein Untergang“, bemerkte seine Mutter gleichmütig, riss ihn aus seinen Gedanken, und Draco wünschte, sie würde aufhören, zu reden. „Ich hatte zwei Fehlgeburten“, erklärte sie achselzuckend, und Draco verzog endgültig den Mund.

 

„Was für eine anrührende Geschichte, Mutter. Entschuldige mich.“ Er erhob sich und wünschte praktisch, Lucius wäre hier, um Narzissa Einhalt zu gebieten. Aber das würde nie wieder passieren. Er brauchte frische Luft. Ziemlich dringend. Es war schlimm genug gewesen, dass er vor der versammelten Menge seine Verlobte hatte entschuldigen müssen, ihr Fehlen auf eine vierundzwanzig Stunden Grippe schob. Er hasste es, Ausreden zu erfinden. Es lag ihm nicht, und er wollte es auch nicht. Vor allem zerriss sich die ganze Gesellschaft doch ohnehin den Mund! Sie sprachen alle über Emily, über seinen Vater, über seinen Sohn. Und ja, wo war sein Sohn?

 

Scorpius konnte er nirgendwo entdecken, und auch Rose fehlte. Er nahm an, beim jungen Paar hing der Haussegen mal wieder schief – wie eigentlich immer schon. Im Gehen lockerte er seine Krawatte, schob sich an Ministeriumswachleuten vorbei, die alleine Weasleys Sicherheit dienten, und war froh, als er den leeren Vorsaal betrat und eine Tür weiter hinten ansteuerte. Der Club verfügte über mehrere Säle, die gemietet worden konnten, aber er wusste, aus Minister-Gründen war heute nur ihr Saal aktiv belegt. Er öffnete eine Doppeltür und betätigte den Lichtschalter an der Wand. Die Beleuchtung war bereits verzaubert, und die riesige Diskokugel an der Decke, begann sich unter bunten Strahlern zu drehen. Er erkannte eine Bühne weiter hinten, viele Stehtische, und ein Banner schwebte magisch unter der Decke – ‚Willkommen Jahrgang 1970‘. Eine Wiedervereinigung, nahm er scharf an.

 

Lustlos tat er einige Schritte unter den bunten Lichtern, während die Musik leise anfing zu spielen, als er die Tanzfläche betrat. Praktischer Zauber, stellte er fest. Sein Weg führte zur Bühne, denn daneben erkannte er tatsächlich eine etwas gemütlichere Sitzfläche, mit einigen wahllos platzierten Sesseln, denn er nahm an, der Jahrgang 1970 war mittlerweile alt genug, dass er den Abend nicht stehend zubringen konnte. Nicht, dass er selber sonderlich weit vom alten Jahrgang entfernt war, dachte er missmutig. Und er hätte vor zwei Wochen nicht gedacht, dass dieser Abend so schrecklich werden würde.

Gut, er hatte nicht angenommen, dass er sonderlich viel Spaß haben würde, denn großer Feiern machten ihm selten Spaß, vor allem, wenn seine Mutter vollumfänglich daran beteiligt war, und dann hatte er hin und wieder Zweifel an seiner Entscheidung, Emily überhaupt heiraten zu wollen.

Er sank tief in einen der bequemen Sessel.

 

Sicher, er gestand sich diese Zweifel nie wach oder nüchtern ein – aber… hin und wieder befiel ihn stumme Angst. Und vielleicht war das jetzt der Ausweg? Sie hatte das Baby verloren. Im Moment band sie nichts an ihn und umgekehrt, oder?

 

Er war sich nicht sicher, wohin diese Gedanken letztendlich führen sollten, aber verhindern konnte er sie nicht. Er machte den ein oder anderen Fehler, aber nie so schlimm, dass sie nicht wieder umkehrbar waren. Grundsätzlich. Außer diesen einen Fehltritt mit der Ministerin. Damals war sie noch nicht Ministerin gewesen, sagte er sich, aber es war ein schmaler Trost. Und es war nichts Schlimmes passiert, damals. Gut, es war nichts Gutes passiert, aber es hatte keine Wellen geschlagen, hatte sich nicht wiederholt, und er ignorierte den Abend von vor zwei Monaten in ihrem Haus, weil er es musste.

 

Sie zu sehen tat nicht gut, stellte er bitter fest. Und nicht, weil er sie nicht sehen wollte, nein, es war wohl das Gegenteil. Er wollte sie sehen. Und wahrscheinlich war das die Spitze des Problems.

 

~*~

 

Er war seit einer Weile fort. Ihr Blick wanderte durch die Halle, und immer häufiger schickte sie ein leeres Lächeln in die Runde, denn auch, wenn es höchstens fünfzig Leute waren, allesamt starrten sie an.

Desmond war im Gespräch mit Emilys Vater vertieft, der seine Tochter nicht begreifen konnte, so viel hatte Hermine rausgehört. Und Hermine störte es, dass Desmond seit einer ganzen Weile mit Senator Bennett sprach. Er vertrat sehr deutlich andere politische Gesinnungen, und Hermine ging davon aus, dass er Desmond nur gefügig genug machen wollte, um ihre eigene Meinung zu beeinflussen. Warum sonst sollte dieser elitäre Vollidiot mit ihm reden? Desmond hatte einen Fall im Ministerium hinter sich. Seine Bemühungen um sie waren nicht unbemerkt geblieben und nicht spurlos an der inneren Riege vorbei gegangen.

 

Er hatte nicht mehr den stellvertretenden Vorsitz inne, was ihm augenscheinlich nicht viel ausmachte, aber Hermine war sich da nicht sicher. Was Menschen ihr laut ins Gesicht sagten, und was sie eigentlich dachten waren meist grundverschiedene Dinge.

 

Ansonsten war es unangenehm hier. Die Gastgeber waren nicht da, Rose und Scorpius waren nicht da, und eigentlich waren es nur die Freunde der Malfoys und der Bennetts, die sich gepflegt das Maul zerrissen. Denn natürlich war auch Lucius nicht da. Und niemand sprach offen darüber. Natürlich nicht. Aber… es war einfach nur schrecklich.

 

„Ich möchte raus hier“, sagte Hermine zu Darcy, in der Hoffnung, dass ihre findige Assistentin einen Ausweg wusste. Darcy legte ihren Dessertlöffel zur Seite, und schien nachzudenken. Dann sah sie Hermine aufmerksam an.

 

„Nach Hause oder raus?“, fragte sie tatsächlich leise, und Hermine ruckte mit dem Kopf.

 

„Gerne beides.“ Und dann sah Darcy sie kurz an, bevor sie mit sich selber scheinbar zu einer Übereinkunft kam.

 

„Gib mir eine Minute“, antwortete sie, erhob sich, flüsterte James eine Entschuldigung zu, und tatsächlich rückte James zu ihr auf. Sie sah, wie Darcy aus dem Saal schlüpfte. Die Wachen beachteten sie nicht. Nur Hermine durfte keinen Schritt mehr alleine tun. Es nervte sie. Aber erwartungsvoll sah sie ihren Patensohn an.

 

„Wie geht es dir?“, fragte er sie, und Hermine könnte ihn dasselbe fragen.

 

„Mir geht’s gut“, kürzte sie ihr leidiges Leben ab. Aber James verengte knapp die Augen.

 

„Es ist nicht Onkel Ron, mit dem du hier bist“, stellte er beinahe sachlich mit Blick auf Desmond fest, und Hermine nahm an, James wusste nicht, wie sehr er Harry ähnelte.

 

„Nicht direkt“, erklärte sie dann, leiser als zuvor.

 

„Was… ist passiert?“ Sie hörte, er war interessiert, schämte sich aber auch. Aber die Erklärung war letztendlich recht simpel.

 

„Rose hat Scorpius geheiratet“, schloss sie fast gleichmütig. James nickte vielsagend.

 

„Scorpius Malfoy ist…“, begann er und schien ernsthaft nachzudenken, „ein Arschloch, oder?“, entkam es ihm, in Ermangelung besserer Worte, und tatsächlich musste Hermine lachen. Laut und befreit. Kurz zog es Aufmerksamkeit auf sich, aber sie senkte ihre Stimme wieder, blickte nach unten und nickte dann.

 

„So ungefähr“, bestätigte sie ihm und sah ihn aus den Augenwinkeln grinsen. „James?“, begann sie vorsichtig, und er schüttelte sofort den Kopf.

 

„Ich möchte nicht über Vater reden“, wehrte er sofort ab. Und Hermine glaubte, Harry würde sich übergeben, wenn er wüsste, dass James ihn ‚Vater‘ nannte.

 

„Ich denke nicht, dass du angenommen haben könntest, ich würde dieses Detail unter den Tisch fallen lassen, wenn du hier auftauchst?“, schloss sie scharf, und er wandte den Blick. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, was vorgefallen ist“, sagte sie dann.

 

„Nichts Gutes.“

 

„Es wird nichts Schlimmes gewesen sein“, bevormundete sie ihn bitter. „Du wirst nicht Scorpius Malfoy heiraten wollen“, ergänzte sie missmutig, und tatsächlich lächelte er wieder.

 

„Nein, ganz so tragisch ist es wohl nicht“, räumte er tatsächlich ein.

 

„Du bist erwachsen.“

 

„Ja“, bestätigte er. „Ich bin erwachsen, kein Auror, kein Held – nichts davon.“

 

„Und ich bin sehr froh darüber“, antwortete sie, und er sah sie an.

 

„Nicht alle sind froh“, widersprach er.

 

„James?“, begann sie ernster, und er sah sie an. „Warst du in den letzten fünf Jahren verhaftet?“

 

„Was? Nein“, erwiderte er verwirrt.

 

„Hast du irgendwen betrogen, irgendetwas Furchtbares angestellt, Gold hinterzogen?“, fuhr sie fort, und seine Stirn lag in tiefen Falten.

 

„Ich arbeite im Eulengeschäft in der Winkelgasse. Die Gelder, die sich dort hinterziehen ließen, wären kaum der Verlustrechnung wert“, bemerkte er spöttisch.

 

„Dann, James, lebst du ein gutes Leben. Ist es das, was du führen willst?“, fragte sie ihn schließlich, und er atmete aus.

 

„Es ist nicht das, was mein Vater-“

 

„-dein Vater will nichts anderes, als dass seine Kinder glücklich sind“, kürzte sie es ab. „Bist du glücklich, James?“

 

„Darcy und ich werden heiraten, also… ja. Ziemlich“, bestätigte er.

 

„Dann sei nicht so verdammt stur wie dein Vater, Merlin noch mal.“ James Blick fiel auf die Tischdecke. „Und Glückwunsch. Ich wünschte, Rose hätte Darcy geheiratet“, entfuhr es ihr grimmig, und wieder musste er lachen.

 

„Du hast ein Enkelkind. Das ist wenigstens etwas.“

 

„Wahrscheinlich.“ Kurz schwiegen sie, und Hermine wollte gar nicht verbittert klingen, konnte es aber nicht wirklich verhindern.

 

„Wie geht es Rose? Ich hatte ihr… gratulieren wollen, aber…“ Er sah sich um, suchte wohl im Saal nach ihr, aber wusste Merlin, wo ihre Tochter sich rumtrieb.

 

„Tja, ich hoffe, du hattest nicht alle Hoffnungen daran gehangen“, bemerkte sie bloß.

 

„Ist schon gut“, räumte er achselzuckend ein.

 

„Aber vielleicht würde sich bald wieder eine Gelegenheit ergeben?“, schlug sie hoffnungsvoll vor, und er hob seufzend den Blick. „Ruf ihn einfach an. Bitte.“

 

„Nächste Woche“, sagte er tatsächlich, und Hermine strahlte plötzlich.

 

„Danke, James“, sagte sie, aber der junge Mann winkte ab. Und dann kehrte Darcy zurück. Sie lehnte sich unauffällig zu ihr hinab.

 

„Wo ist deine Begleitung?“, wollte sie still wissen, und Hermines Blick glitt zum Haupttisch, wo Desmond bereits wild gestikulierte. Sie nickte in die Richtung, und Darcy atmete kurz aus.

 

„Ich habe eine Frage für dich, und ich verspreche dir, die Antwort nicht zu bewerten“, fuhr sie sehr leise fort, und Hermines Stirn runzelte sich. „Für den Fall, dass du dich von Mr. Malfoy verabschieden willst, wäre ich in der Lage, ein Ablenkungsmänover einzuleiten. Mr. Malfoy befindet sich in Saal 3, und er ist aller Wahrscheinlichkeit nach allein“, ergänzte sie, und Hermine biss sich auf die Lippe. „Wenn du das möchtest, dann nick einfach einmal, Hermine“, sagte sie sehr deutlich in ihr Ohr, und Hermine sah wieder in Desmonds Richtung. Wie wollte Darcy die Wachen ablenken, und wieso sollte sie Malfoy aufsuchen, um sich zu verabschieden? Desmond machte nicht zwingend den Eindruck, als käme er bald zurück, und Hermine streckte den Rücken durch. Es war keine gut durchdachte Entscheidung.

 

Aber sie nickte, kaum merklich.

 

„Ok“, sagte Darcy aufgeregt. „Dann verschaffe ich dir zwanzig Minuten, Hermine. Nicht mehr, nicht weniger. Und wir werden nicht darüber reden“, ergänzte sie vieldeutig, und Hermine spürte ein eigenartiges Gefühl in ihrer Magengegend. Sie kannte das Gefühl mittlerweile. Es war dasselbe Gefühl, was dummen Entscheidungen voran ging. „Steh jetzt auf“, befahl sie, und Hermine gehorchte. Darcy schob sie kurzerhand voran. „Meine Herren, wenn Sie mir folgen würden?“, wandte sich Darcy mit gewöhnlicher Stimme den Wachen zu, und mit Hermine in der Mitte, verließen sie den Saal. „Ich habe festgestellt, dass die Sicherung dieses Ortes äußerst schlampig durchgeführt worden ist. Es gibt mehrere Seiteneingänge, die nicht überwacht werden, und es gehen Leute ein und aus, die nicht gemeldet worden sind. Ich werde Ihnen die problematischen Zonen zeigen“, schloss Darcy auffordernd, und sofort setzten sich die Männer in Bewegung. Hermine wusste, sie bekämen Strafpunkte durch das Ministerium, wenn der Minister-Schutz nicht in allen Punkten gewährleistet wäre auf Veranstaltungen wie dieser, deshalb nahmen sie solche Vorwürfe sehr ernst. So ernst, dass sich Hermine plötzlich alleine im Vorsaal wiederfand. Darcy scheuchte die Männer gerade durch den Seiteneingang nach draußen, und zwinkerte Hermine kurz zu.

 

Und sie setzte sich in Bewegung, so schnell sie die hohen Schuhe trugen, und ihr Herz schlug schwer und schnell.

 

 

 

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Die Tür öffnete sich plötzlich, und sein Blick hob sich angespannt.

 

„-Malfoy?“, riss ihn ihre leise Stimme aus seinen Gedanken. Dann kämpfte er sich aus dem Sessel in die Höhe. Was tat sie hier? Er betrat die Tanzfläche, und die Musik setzte wieder ein. Er erkannte sie am Rand. Seine Stirn runzelte sich. Sie war allein, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendwo alleine hingehen konnte. Sie kam näher, und er wartete, begutachtete sie, betrachtete ihr Figur in diesem Kleid, und zog es dann doch lieber vor, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Ihr Gesicht, mit diesen verdammten Augen, die ihn in seinen Träumen heimsuchten. Kurz fiel sein Blick, und er ordnete seine Gefühle neu.

 

„Wo sind deine Wachen, Weasley?“, fragte er das Offensichtliche. Er wollte nicht wissen, warum sie hier war, warum sie herkam, ihn suchte – warum er nicht ging. Für einen Moment wirkte sie schrecklich schuldbewusst.

 

„Ist… ist das wichtig?“, erwiderte sie tatsächlich mit einer Gegenfrage, und dass sie ihm nicht antwortete sagte ihm grundsätzlich schon mehr, als er wissen wollte.

 

„Es ist absolut unmöglich, dass deine Abwesenheit unbemerkt geblieben ist. Und ich möchte wirklich jedes unnötige Drama vermeiden. Gerade heute“, ergänzte er müde. So unglaublich müde. Er nahm an, sie wäre nicht hier, wenn sie nicht vorher sicher gegangen war, dass sie ungestört wären, aber das machte es nicht besser. Dass sie hier war, wegen ihm, ihn sehen wollte, wissen wollte, wie es ihm ging, alleine mit ihm sprechen wollte – dass sie… sich sorgte, war etwas, mit dem er nicht umgehen wollte. „Du hast mir dein Beileid bereits bekundet, Weasley“, kürzte er jedes mögliche Gesprächsthema barsch ab. „Und du bist nicht alleine hier. Du bist in Begleitung, also…“

 

„Ich weiß das“, sagte sie, eine Spur gereizt. „Malfoy, ich weiß das. Ich…- du hast völlig recht“, endete sie mit gesenktem Blick. Er hasste, wenn sie ihm Recht gab. Es machte es schlimmer. Irgendwie. Und sie tat etwas so eigenartiges, dass er kurz überfordert war. Sie hob ihren hübschen Blick wieder, sah ihn an, mit diesen verfluchten Augen. „Sag mir, dass ich gehen soll.“

 

Das hatte er. Zwar durch die Blume – durch keine subtile Blume – aber das hatte er gerade getan. Aber dass sie nicht ging, nicht bereits aus dem Saal gestürmt war, dass sie wollte, dass er es sagte, sie rauswarf – machte es ungleich schwerer. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie sollte gehen, weil es das einzige vernünftige war. Er war nicht mehr in der Lage, irgendetwas Vernünftiges zu tun. Und das sollte sie wissen – aber wahrscheinlich wusste sie das bereits. Es gab verdammt wenig, was sie nicht wusste.

 

„Versuch nicht, mir diese Entscheidung aufzudrängen, weil du nicht die Eier besitzt, zu sagen, was du eigentlich willst“, warnte er sie kopfschüttelnd, denn er war nicht in der Laune oder Verfassung, Spiele zu spielen. Kurz sah er ihren Kampfgeist, ihren sanften Zorn, aber sie reckte ihr Kinn vor.

 

„Ich will dich sehen“, sagte sie so selbstverständlich, dass er schlucken musste. „Und wenn du das nicht willst, dann wirf mich raus.“ Bei diesen Worten klang sie nicht mehr völlig selbstsicher. Er lächelte freudlos.

 

„Ich kann dich nicht sehen“, erwiderte er erschöpft. „Ich-“

 

„-ich weiß, dass wir das nicht können“, unterbrach sie ihn still. „Nicht dürfen, nicht sollten“, ergänzte sie beinahe verzweifelt. „Aber ich bin garantiert nicht hier auf dieser Veranstaltung, weil ich es unbedingt wollte. Und wenn ich schon hier bin, dann will ich mich wenigstens von der einzigen Person hier verabschieden, mit der ich wenigstens im Ansatz irgendetwas zu tun habe.“

 

„Seit wann das?“, entkam es ihm fast trocken, und er fragte sich gleichzeitig, warum sie dann hier war?

 

„Malfoy, ich habe zwei Monate damit verbracht, mich in Form zu bringen, nicht an dich zu denken, die verdammte Kritik zu ignorieren, die mir auf der Arbeit entgegenschlägt, und – ich bin hier mit dem perfekten Mann, aber ich ergreife die gefährliche Gelegenheit, ein dummes Ablenkungsmanöver zu nutzen, um… dich hier zu suchen.“ Ihr Blick glitt mäßig begeistert über den Saal.

 

„Willst du sichergehen, dass ich mich nicht zu theatralischer siebziger Jahre Musik umbringe?“, nahm er kühl an, aber ihre Worte schwirrten in seinem Kopf. Sie waren beide eigentlich zu alt für neue Beziehungen, dachte er dumpf. Und sie waren zu alt für dieses Spiel, was sie hier spielten, stellte er zähneknirschend fest. Wozu diente dieser – mehr oder weniger – Smalltalk, den sie betrieben?

 

Sie schenkte ihm einen eindeutigen Blick, würde seine rhetorische Frage wohl kaum beantworten, also atmete er schließlich aus. „Wie viel Zeit hast du?“, wollte er schließlich wissen, denn bei der Ministerin passierte alles unter Zeitdruck, nahm er an. Auch dieses Treffen. Sofort hob sich ihr Blick, ein wenig ertappt, ein wenig überfordert. „Du hast hier nichts zu suchen, solltest hier wirklich nicht sein, und ich gehe davon aus, dass dieses kleine verbotene Treffen einen engen Zeitstempel hat, oder nicht? Und wenn du nicht gehen willst, wenn du ernsthaft diese Entscheidung auf mich abwälzt, obwohl dir völlig klar sein sollte, dass ich heute überhaupt keine rationale Entscheidung mehr treffen kann, will ich, offen gesagt, die Minuten nicht verschwenden, denn ich nehme an, es handelt sich um Minuten?“ Und er erkannte die feine Röte unter ihrem Makeup. Nach einem kurzen Moment antwortete sie tatsächlich.

 

„Zwanzig Minuten“, erwiderte sie tonlos. Zwanzig Minuten. Fünf Minuten hatten sie bereits sinnlose Tatsachen festgestellt. Sie sollte gehen – das wollte sie nicht.

 

„Nicht sonderlich viel Zeit für… eigentlich gar nichts, nicht wahr?“, bemerkte er spöttisch. Sie sah ihn an, ein wenig hilflos, ein wenig verzweifelt. Er wollte gerne sagen, dass er selten die Initiative übernahm, wenn es darum ging, den Partner zu betrügen, aber stimmte das tatsächlich? War es vor zwei Monaten seine Schuld gewesen? Er war wahrscheinlich doch nur ein dummer Mann. Grenzenlos dumm. Er war schon nicht seiner Verlobten hinterhergelaufen, weil ihre Erscheinung ihn gänzlich vereinnahmt hatte. „Darf ich?“, fragte er, erwartete kaum eine Antwort, und er wusste nicht mal, warum er fragte, denn fast fürchtete er sich vor ihrer Antwort, und am liebsten wollte er die Worte zurücknehmen. Sie sah hoch in sein Gesicht, fixierte dann seine ausgestreckte Hand, und tatsächlich reagierte sie auf diese Geste, legte ihre schmale Hand in seine, und er schluckte schwer. Aber er reagierte, als wäre es natürlich. Es fiel ihm nicht schwer, sie an sich zu bringen, den Arm um ihre verdammt definierte Taille zu legen, und er konnte sich nicht darin erinnern, dass sie jemals so ausgesehen hatte. Sie bewegte sich sicher auf den hohen Schuhen, passte in seinen Arm, als wäre es Absicht, und er bewegte sich langsam mit ihr, während ihre Hand auf seiner Brust ruhte, denn sie war immer noch zu klein.

 

„Ich hätte nein sagen sollen“, erkannte sie beinahe mit Bedauern.

 

„Ich denke“, bestätigte er ruhig, drehte sanfte Kreise mit ihr, und in seinem Magen zog und kribbelte es stärker. Denn jede Sekunde, die sie länger blieb, schien bedeutungsschwerer zu werden. Ihr Atem ging merklich flacher. Vielleicht war auch das Kleid zu eng, und sie konnte nicht atmen.

Er merkte kaum, dass seine Hand tiefer wanderte, dass er ihre Taille langsam aber sicher verließ. Jetzt sah sie ihn an. Das Makeup ließ sie jünger wirken, ihre ganze Erscheinung wirkte… vitaler, anders als vorher. Sie dachte an ihn. Es überraschte ihn nicht wirklich. Denn er dachte an sie. Pausenlos. Er war traurig, es war anstrengend, aber an sie dachte er dennoch. Er wusste, was kommen würde. Unweigerlich. Sie schluckte schwer. „Wenn du nicht gehst, werde ich dich küssen“, warnte er sie jetzt rau. Und er ließ sie los, zog seine Hände mit Macht zurück. Aber deshalb war sie hier. Sie mussten sich nichts vormachen.

 

„Ich weiß“, flüsterte sie tonlos, etwas unglücklich.

 

Zwei Sekunden, drei Sekunden – war das fair? Hatte er ihr die sportliche Chance eingeräumt? Er fand schon. Fairer konnte er nicht sein. Sie hatte sich nicht bewegt, und alles ab dieser Sekunde war eine Einladung, und nichts weiter, entschied er schon völlig am Rande jeder Rationalität, und als er den Abstand schloss, kam sie ihm entgegen, und dieses Mal passierte nichts, keine Tür flog auf, niemand entfachte das Licht, erwischte sie inflagranti – dieses Mal griff sie in seinen Nacken, und er zog sie mit beiden Händen an seinen Körper.

 

Ihre Lippen fanden sich, und es war das Schlimmste, was er tun konnte. Das unpassendste, das wirklich falsche. Und es war das Beste, was er jemals gespürt hatte. Ihre Hände griffen in seine Haare, und das Kribbeln in seinem Körper wurde übermächtig. Er zog sie an sich, seine Zunge drang nach vorne, unbeherrscht, gierig, als wäre er jung und hätte noch nie ein Mädchen geküsst.

Aber er war nicht mehr jung. Er hatte es Millionen Male getan, aber das hier war so anders, so neu, so völlig belebend, dass es ihn umbrachte, so dringend wollte er es. Und sie küsste ihn zurück, hemmungslos, und sanft stöhnte sie in seinen Mund.

 

Noch zehn Minuten, sagte er sich verzweifelt. Was sollte er-

 

Aber sie reagierte, schob sein Jackett von seinen Schultern, und er half ihr, nicht sicher, wohin es führen würde, aber ziemlich sicher fanden ihre Finger seinen Hosenbund, öffneten die Gürtelschnalle, den Knopf, den Reißverschluss, und sein Puls jagte. Er war verlobt. Sie war vergeben. Er hatte noch nie jemanden betrogen, nie in seinem Leben.

 

Aber jetzt konnte er nicht anders! Sofort griffen seine Finger in ihren Rücken, fanden den Reißverschluss des Kleides, was sündhaft teuer sein musste, denn es bestand aus vielen Schichten Seide, wie er feststellte. Sie fühlte sich kühl und samten unter seinen Händen an. Hastig zog er den Reißverschluss tiefer, befreite sie ungeduldig aus dem Kleid, schob es ihren Körper hinab, und wahrscheinlich hätte es gereicht, hätte er es hoch geschoben, aber er wollte nicht. Er wollte sie sehen, wollte… alles an ihr spüren, und er drängte sie zurück, drehte sich mit ihr, so dass er sie gegen die Bühne drängen konnte, die mehr als einen Meter erhöht stand. Sie sah absolut perfekt aus, aber sie hatte auch vor endlosen Monaten absolut perfekt auf ihn gewirkt. Sie hatte sein Hemd geöffnet, und ihre Hand fuhr über seinen Oberkörper. Ihre Wangen waren so rot, so verrucht rot, und sie wären bestimmt heiß, würde er sie berühren. Aber ihre Hand wanderte tiefer, griff in seine Unterhose, und stöhnend fiel sein Kopf zurück, als sie ihn berührte, als sie nach seiner komplett harten Länge griff.

 

Zu viel! Es war zu viel! Er hob sie grollend an, setzte sie auf die Bühne, konzentrierte sich darauf, nicht in ihrer Hand zu kommen, schob ihren Slip zur Seite, positionierte sich, nachdem er ihre Hand von seinem Schaft entfernt hatte, und sie spreizte die Beine weit für ihn. Als er spürte, wie er ihre feuchte Hitze teilte, senkte er zitternd den Kopf, fand ihr Lippen, und sie bog sich ihm entgegen, während er die Hände fest um ihren Hintern legte, sie praktisch an sich zog, und tief stieß er sich in sie. Es war praktisch erlösend, und er stöhnte ungehalten in ihren Mund. Sie erwiderte den Kuss heftig, legte die Beine um sein Becken, und er nahm sie, als stünde es ihm zu. Hart bockte er wieder und wieder nach vorne, bis er Punkte vor seinen Augen tanzen sah, bis sie sich in seine Schultern krallte, den Kuss löste, und seinen Namen stöhnte, als ihr Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken fiel. Sein verdammter Nachname hatte noch nie so sexy geklungen, wie aus ihrem Mund. Sofort küsste er ihren Hals, atmete sie ein, und er ergoss sich bockend in ihr.

 

Dann wurde er ruhig, bewegte sich gar nicht mehr, und sie atmete heftig, die Beine noch immer um ihn geschlungen. Sie verblieben genauso, vielleicht noch eine halbe Minute, genossen diese Nähe, aber er nahm an, die Zeit war jetzt vorbei. Schmerzlich abgelaufen.

 

Er zog sich schließlich zurück, verschloss sein Hemd, seine Hose, und fast beschämt rutschte sie von der Bühne, bückte sich nach ihrem Kleid, und sie sah absolut perfekt aus, jetzt gerade, mit diesen verdammt roten Wangen, in dieser verflucht teuren Unterwäsche, befand er. Sein Herz ging schnell, und er fuhr sich in kämmenden Bewegungen durch die Haare. Sie wandte ihm den Rücken zu, damit er ihr Kleid verschließen konnte, und schon waren sie wieder angezogen. Sie prüfte mit vorsichtigen Griffen ihre eigene Frisur, aber er hatte sie nicht zerstört.

 

„Ok“, entkam es ihr ein wenig außer Atem, aber ihre Augen fixierten ihn. „Das… war wirklich…“ Sie schien um weitere Worte verlegen.

 

„Ja“, erwiderte er, denn sie mussten darüber nicht sprechen. Er wusste nicht mal, was es war. Und er wollte es nicht in Worte fassen. Konnte nicht.

 

„Ich… sollte gehen“, sagte sie kleinlaut. Er nickte, nachdenklich, noch betäubt von seinem Orgasmus. In seinem Kopf überschlug er bereits, wie sich die nächsten Tage und Wochen ausspielen würden, wie er die Beziehung mit Emily beendete, die Verlobung lösen musste, weil er ein Arschloch war, wie viel es ihn kosten würde, auszuziehen, was er zu Emily sagen könnte – denn ganz klar war er nicht der Mann, den Emily verdiente. „Malfoy?“, riss sie ihn aus seinen Gedanken.

 

„Ja?“, wiederholte er knapp, wartete auf ihre Worte, und auch sie begriff, dass es nicht viel zu sagen gab. Es gab nichts, was sie tun oder planen konnten. Merlin, was sollten sie auch planen? Ihr Mund schloss sich resignierend, und bevor sie gehen konnte, bevor diese sinnlosen Worte das letzte waren, was er zu ihr sagte, neigte er kurzerhand den Kopf tiefer, küsste sie ein letztes Mal, und sie kam ihm entgegen. Es war so toxisch, es machte süchtig, aber bevor er sie an sich ziehen konnte, riss er sich zusammen, ermahnte sich zur Beherrschung, denn mehr blieb ihm nicht übrig. „Geh“, befahl er ihr still. Sie nickte, wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten den Saal. 

 

Scheiße. Er hatte keine Ahnung, was jetzt passieren würde.

 

~*~

 

„Wieso willst du das?“ Der Streit drehte sich seit einer Stunde um dasselbe. Hermine hatte den Fehler gemacht, sich einzumischen und hatte nicht den richtigen Moment gefunden, abzuhauen. Und jetzt steckte sie genau dazwischen. Zwischen Rose und Scorpius.

 

„Ich habe es doch hundert Mal erklärt“, behauptete Rose, warf die Arme in die Luft, drehte wieder einen entnervten Kreis im Zimmer, und Scorpius fixierte sie zornig.

 

„Wir haben alles geplant. Wir wollten nach Schottland, näher nach Hogsmeade, Rose“, wiederholte er wieder. „Du hast ein Baby, keine drei Monate alt!“, erinnerte er sie.

 

„Mir ist das klar, Scorpius, Merlin!“, fuhr sie ihn an. Hermine lehnte am Esstisch, hatte absolut nichts dazu beizutragen, und wusste nicht mal, warum Rose so handelte wie sie es tat. Sie war froh, dass ihre Tochter nicht nach Schottland wollte, dass sie plante wieder in ihrem alten Job zu arbeiten – sicher. Das war alles schön und gut, aber Hermine bezweifelte, dass die Gründe zwangsläufig sonderlich nobel waren, die Rose verfolgte.

 

„Wirklich? Denn du zerstörst alle unsere Pläne, weil dieses Arschloch hier auftaucht – ungefragt, unerwünscht – und dir wer weiß was erzählt!“, blaffte er zurück, und Hermine verdrehte die Augen zur Decke.

 

„Troy ist kein Arschloch!“, rechtfertigte Rose den zielstrebigen Gryffindor jetzt, aber Hermine wusste, das war nicht, was Scorpius hören wollte.

 

„Es ist mir egal, Rose! Wir hatten eine Abmachung. Du hast jetzt nicht zu arbeiten! Und wenn du arbeiten willst, kannst du es in Hogsmeade tun!“


„Ich habe die Ausbildung gemacht. Ich… war dumm, es nicht fortzuführen. Ich möchte nicht irgendwo in Schottland arbeiten!“

 

„Du wolltest überhaupt nicht arbeiten! Du wolltest dich um das Baby kümmern. Wer denkst du, soll das jetzt erledigen?“

 

„Wir stellen jemanden ein, Merlin, Scorpius, als ob es eine Frage des Goldes wäre“, erwiderte ihre ach-so-arrogante Tochter mit ätzender Tonlage.

 

„Nein, verdammt!“, schrie Scorpius jetzt, und Hermine zuckte zusammen. „Es ist ein Vertrauensbruch, Rose! Es hat nichts mit dem scheiß Gold zu tun!“ brauste er auf. „Du wolltest das Baby, du wolltest dich kümmern, hast mir versichert, dass du nichts anderes willst, als eine Familie mit mir, verdammt!“, rief er verzweifelt. „Und jetzt kommt dieser Clown hier her, überzeugt dich vom scheiß Ministerium und du läufst ihm nach?“

 

„Ich laufe ihm nicht nach!“, widersprach Rose laut und ungehalten, und Hermine fragte sich, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen wäre, wo sie unbemerkt gehen könnte. Aber jetzt entschied ihre Tochter, sie einzubeziehen. Blöderweise. „Mum, sag Scorpius, dass eine Karriere nichts Dummes ist. Dass es wichtig ist, für die eigene Psyche! Du hast es so gemacht!“, behauptete sie blind. Hermine schluckte schwer.

 

„Rose, es waren sehr andere Umstände“, begann sie, denn sie hatte Ministerin werden wollen. Rose wollte zehn Stunden die Woche Papierkram in der Strafverfolgung erledigen.

 

„Du bist also nicht auf meiner Seite?“, entrüstete sich ihre Tochter tiefverletzt.


„Ich… bin immer auf deiner Seite, Rose, das ist nicht fair“, erwiderte Hermine jetzt kopfschüttelnd.


„Warum verteidigst du mich dann nicht? Wieso machst du es ihm nicht begreiflich?“, wollte sie wütend wissen, mit einer herrischen Geste auf Scorpius, der mit verschränkten Armen lauerte, und Hermine atmete angestrengt aus.

 

„Schatz, weil ich mir nicht sicher bin, woher dieser Sinneswandel kommt“, räumte sie tatsächlich ein. „Du bist frisch Mutter geworden, und… es gefällt dir doch, oder? Ich meine, vielleicht hast du eine Wochenbettdepression, und möchtest deshalb-?“

 

„-oh bitte, Mum!“, rief Rose gereizt.

 

„Denn anders kann ich es mir nicht erklären. Und ja“, bemerkte Hermine schließlich, „es ist seltsam, dass Troy Ferrars hier auftaucht und auf einmal möchtest du arbeiten. Zufällig in derselben Abteilung, wahrscheinlich im selben Büro?“, vermutete Hermine knapp und unverblümt, und Roses Augen weiteten sich.

 

„Du unterstellst mir ebenfalls, dass ich keine guten Absichten habe?“, zischte ihre Tochter jetzt, und Hermine öffnete unschlüssig den Mund. „Ihr könnt mich mal! Anstatt, dass ihr euch freut – nein, ihr müsst alles zunichte machen! Ihr seid richtig scheiße! Alle beide!“, fuhr sie sie simultan an und machte auf dem Absatz kehrt. Sie verließ das Esszimmer, knallte die angrenzende Tür hinter sich dermaßen laut ins Schloss, dass die Bilder an den Wänden bebten.

Hermines Blick fiel.

 

„Bist du auf meiner Seite, weil ich dich erpresse, oder-?“, wollte er bitter wissen, und Hermine fuhr zu ihm herum.


„-oh, ich bin niemals auf deiner verdammten Seite, Scorpius – also fang nicht an!“, warnte sie ihn kalt. „Deine Beweggründe interessieren mich einen Scheißdreck!“, sagte sie jetzt, und war nicht wirklich in der besten Verfassung, sich mit ihm anzulegen. Wollte sie auch nicht. Sein Großvater lag im Sterben, und Rose benahm sich absolut rücksichtslos. Dann wiederum war Hermine nicht besser. Sie hatte Desmond vertröstet, ihm gesagt, der Anlass der Veranstaltung hätte ihr aufs Gemüt geschlagen, und natürlich hatte er verstanden. Natürlich ließ er sie in Ruhe, ließ ihr Zeit – Merlin. Sie war einfach nur grenzenlos widerlich. „Hör auf, mich einzubeziehen. Kümmere dich um deine eigenen Probleme, Scorpius“, fuhr sie ihn gepresst an. „Es scheinen sich genügend angesammelt zu haben“, ergänzte sie harsch. Sie sah, wie er den Kiefer anspannte. Wie seine Fäuste zitterten.

 

„Ich verdiene es, richtig? Das willst du sagen?“, verlangte er zu wissen, und sie verdrehte wieder die Augen.


„Was mit dir passiert, ist mir vollkommen egal. Was du fühlst, interessiert mich offen gesagt nicht. Du hast in erster Linie nicht verdient, mit Rose überhaupt zusammen zu sein, und alle weiteren Probleme hast du dir selber eingebrockt. Du wolltest es so!“, warnte sie ihn kalt. Er öffnete den Mund, aber sie war noch nicht fertig. „Du hast sie entjungfert, du hast sie in Hogwarts praktisch genötigt, mit dir zusammen zu sein, du hast sie nicht in Ruhe gelassen, hast sie betrogen, sie verlassen, sie wieder betrogen, du hast sie geschwängert, sie geheiratet – und du erpresst mich, damit ich nett zu deiner Familie bin!“

 

„Ich… ich habe sie nicht-!“

 

„-es ist mir egal!“, unterbrach sie ihn zornig. „Ich habe eure Beziehung nie verteidigt, denn ich halte sie für absolut giftig und falsch. Ich wollte Rose nicht verlieren, und das hat bedeutet, zwangsläufig mit einem Arschloch wie dir zurechtzukommen!“ Er blinzelte, und eine Träne fiel auf seine Wange. Er nickte angespannt, aber seine Tränen lösten nichts in ihr aus. Sie empfand nichts als Ablehnung für dieses Subjekt vor ihr. Nichts weiter. Sein Blick fiel.

 

„Ich packe meine Sachen“, sagte er tonlos.

 

„Aha“, erwiderte sie. „Du verlässt Rose? Sehr originell, Scorpius!“, knurrte sie. „Aber ich nehme an, du hast es lange ausgehalten. Ein Jahr, immerhin“, spuckte sie ihm entgegen.

 

„Danke“, informierte er sie tonlos, und sie hasste seine Tour, seine Masche, seine ganze Show! „Ich wollte eine Mutter wie dich, aber ich sehe, du bist einfach nur bösartig und missgünstig.“ Er nickte schwer. „Du bist frei. Ich will nichts mehr von dir, Hermine.“ Er wandte sich ab, aber sie hielt ihn auf.

 

„Halt! Du bleibst genau da stehen“, warnte sie ihn. „Was soll das heißen, du wolltest eine Mutter wie mich?“, wiederholte sie dumpf seine Worte, aber er schüttelte den Kopf. Er wischte sich über die Augen, aber ihr Kiefer gab plötzlich nach. „Du wolltest mich mit deinem Vater verkuppeln?!“ Sie flüsterte die Worte nur, starrte ihn entsetzt und gänzlich ungläubig an, während Trotz sein Gesicht überschattete.

 

„Nicht mehr. Ich bin drüber weg, glaub mir! Du bist keine Mutter“, entfuhr es ihm zitternd. „Du bist eiskalt.“ Auch er verließ das Zimmer, knallte aber keine Türen, und sie verblieb, gänzlich unfähig, irgendetwas zu tun, oder zu denken.

 

Oh Merlin.

 

Sie hatte angenommen, Scorpius hasse sie mit derselben Inbrunst, wie sie ihn.

 

Aber… er war ein Junge, der eine Mutter suchte. Sie seufzte auf, bedeckte die Augen mit ihrer Hand und wusste nicht mal, was sie denken sollte. Alles war absolut furchtbar geworden. Sie hielt Desmond auf Abstand, aber… sie wusste nicht, ob sie ihn verlassen wollte. Sie hatten erst drei Verabredungen hinter sich. Sie wusste nicht mal, was das für eine Sache mit Malfoy war – und wesentlich schlimmer war, dass Scorpius nicht mal wusste, dass tatsächlich etwas an der Feier vorgefallen war! Und wieso wollte er, dass sie mit seinem Vater zusammen war – oder was auch immer – wenn er mit ihrer Tochter verheiratet war?! Das war einfach krank!

 

Es war alles zu krank. Es war alles falsch! Und noch eine Tatsache, regte sie auf. Dieses Mal – und nur dieses Mal – war sie vielleicht auf Scorpius‘ Seite. Ganz einfach, weil es so aussah, als langweile sich Rose mit ihrem Ehemann. Und so eine Tochter wollte sie nicht erzogen haben. Sie war sauer auf Rose, weil Hermine ernsthaft annehmen musste, dass Scorpius Recht hatte. Und das war schlimmer als jeder Vertrauensbruch.

 

Und sie wusste, sie hatte ein dringendes Gespräch zu führen. Bedauerlicherweise.

Vielleicht auch zwei, dachte sie mit einem dumpfen Bauchgefühl.

 

 

18.

 

Seine Mutter hatte sich bisher dreimal bei ihm versichert, ob er kommen würde, und dreimal hatte er zugesagt. Die Ministerin wäre auf Malfoy Manor, würde auf ihn warten, hatte ein Gespräch zu führen. Es klang alles sehr offiziell, und Draco graute es bereits. Er war mit Emily so verblieben, dass er verdammt noch mal gar nichts getan hatte.

Sie sprach nicht mit ihm, er hatte nicht mit ihr gesprochen, schlief im Gästezimmer, und soweit er gehört hatte, war Scorpius in ein Hotel gezogen. Er nahm also an, es ging um die Kinder.

Er hoffte es stark. Denn alles andere war zu viel.

 

Jetzt war es nach fünf, und er reiste über Floh nach Malfoy Manor. Der Kamin im Büro seines Vaters war offen für Flohreisen, und kurz glaubte er, sich im Kamin vertan zu haben, als er vom Rost trat, und in die Gesichter verschiedener Männer blickte, die er allesamt nur von den Titelseiten des Tagespropheten her kannte.

Sein Mund öffnete sich erstaunt.


„Mr. Malfoy“, wurde er von einem älteren Mann begrüßt, dessen Namen er nicht wirklich zuordnen konnte. „Maxwell Tavish“, stellte sich der Mann scheinbar vor. Tavish. Irgendwer von der Inneren, dachte er dumpf. Gelder, Personal – irgendwo dort sortierte er ihn hin. „Verzeihen Sie die Belagerung, aber es bedauerlicherweise ist etwas vorgefallen, was die sofortige Konsultation mit der Ministerin erfordert hat“, erläuterte er knapp. Der Tod seines Vaters wird es nicht gewesen sein, nahm Draco dumpf an. Noch war Lucius am Leben, sein Zustand unverändert.

 

„Was ist vorgefallen?“, wollte Draco mit gerunzelter Stirn wissen, und Mr. Tavish verzog den Mund, als überlege er, ob er ihm diese vertraulichen Informationen mitteilen durfte.

 

„Es gab einen Massenausbruch“, vernahm er ihre Stimme, und er hatte sie gar nicht bemerkt. Er suchte ihren Blick, und sie lehnte am Schreibtisch seines Vaters.

 

„Madame“, entfuhr es Mr. Tavish warnend.

 

„Ganz England wird es spätestens heute Abend in der Presse lesen. In einer verdammten Sonderausgabe“, entfuhr es ihr bitter. Und Draco begriff. Er hatte darüber mit Scorpius gesprochen. Über die sehr wahrscheinliche Möglichkeit eines Ausbruchs.

 

„Der Dementorenabzug“, entkam es ihm stockend.

 

„Ja, scheinbar habe ich mich verkalkuliert, in dem ich den verdammten Wärtern unterstellt habe, loyal zu ihrer Regierung und ihrem Arbeitgeber zu sein“, knurrte sie außer sich, und nichts war mehr von der Hermine Weasley verblieben, die ihn verführt hatte, mit ihm zu schlafen. Erst vor drei Tagen. Sie sahen sich viel zu früh wieder. Er war gewohnt, dass zwischen ihren Schlagabtauschen Wochen lagen. Er fühlte sich noch nicht bereit.

 

„Was passiert jetzt?“, fragte er direkt, und Mr. Tavish antwortete.

 

„Die Gefangenen wurden bereits gestellt und in Verwahrung verbracht. Die verantwortlichen Wärter sind vom Dienst gekündigt, und aufgrund der Massenkorruption sind die Dementoren per Eilbescheid wieder eingesetzt worden, samt Aurorenbegleitung.“

 

„Das ganze Spektakel kostet uns hunderttausende“, beschwerte sich ein anderer Zauberer, der scheinbar von einer magischen Freizeitaktivität herbeiberufen worden war, denn er trug blau karierte Hosen und wirkte übermäßig legere.

 

„Farlane, es ist mir klar!“, blaffte die Ministerin gereizt. Innenwesen, Außenwesen? Irgendwo dorthin verbuchte Draco diesen Mann.

 

„Wir müssen ins Ministerium.“

 

„Ich werde garantiert nicht reisen, Theodore“, wurde sie deutlicher. „Die Presse wird sich auf den Füßen stehen, das Atrium belagern – auf gar keinen Fall wechseln wir Lager“, warnte sie ihn jetzt.

 

„Und stattdessen verbunkern wir uns hier?“

 

„Es macht kaum einen Unterschied, oder?“ Sie und Farlane sahen sich abschätzend an. Die weiteren Führungsstäbe beratschlagten sich still.

 

„Madame, ich schlage vor, Sie kehren in die Minister-Villa zurück, und dass sobald wie möglich“, erklärte Tavish mit Nachdruck. „Dort werden Sie verbleiben, bis sich die Sache beruhigt hat. Bis zur nächsten Riege-Sitzung. Ich denke, bis morgen Nachmittag sollte alles vorbereitet sein. Dann sehen wir weiter“, schloss der Mann nachdenklich.

 

„Maxwell, ich danke Ihnen“, sagte sie ernst. Sie sah auch komplett anders aus. Hochgeschlossen, absolut eindrucksvoll und unnahbar. Und Tavish schenkte ihr noch einen eindringlichen Blick, senkte die Stimme, aber Draco verstand.

 

„Und fassen Sie sich kurz hier“, schien er ihr nahe zu legen, ehe er sich ihm zuwandte.

 

„Wir verlassen Ihr Haus, Mr. Malfoy.“ Er fühlte sich gehalten, klarzustellen, dass diese Monstrosität an Haus nicht sein Haus, sondern der gotische Bunker seiner Eltern war, aber er beließ es dabei.

 

„In Ordnung“, sagte er nur.

 

„Mr. Malfoy“, verabschiedeten sich die übrigen Männer nacheinander, traten auf das Rost und reisten ins Ministerium, wie er hörte.

 

Und nur zu schnell waren sie allein. Sie hatte den Kopf in ihre Hand gestützt, und er wusste nicht, was er sagen sollte.

 

„Keine Sorge“, rang er sich also ab, aber ihr scharfer Blick traf ihn, und nichts in ihrer Erscheinung ließ ihn annehmen, dass sie seine Nähe jemals gesucht hatte, dass es sie auch nur die Bohne interessierte, ob er ihr gut zuredete oder nicht.

 

„Keine Sorge?“, wiederholte sie.

 

„Es wird vergehen“, entkam es ihm lahm.

 

„Super“, entfuhr es ihr gepresst. „Es ist unfassbar. Und dann hatte Scorpius auch noch recht“, knurrte sie wütend. Anscheinend hatte sich Sohn nicht nehmen lassen, die Ministerin Auge in Auge zu kritisieren. Draco sah es ähnlich, aber er würde es ihr nicht sagen. Nicht ins Gesicht zumindest. Ihr Blick verlor sich. Sie wirkte erschlagen und enttäuscht, und er war sich nicht sicher, was sie hier wollte. Anscheinend war der Ausbruch etwas gewesen, was ihren wahren Anlass herzukommen überschattet hatte.

 

Es klopfte sachte an der Tür. Seine Mutter stand im Türrahmen, und Weasley hob den Blick.

 

„Sind die Herren fort?“, erkundigte sich Narzissa bei ihr, und Weasley schien sich kurz zu besinnen.

 

„Die Herren-? Oh, ja richtig. Natürlich. Bitte verzeihen Sie“, rang sie sich die unbequemen Worte ab.

 

„Wir helfen dem Ministerium gerne, Mrs Weasley“, log seine Mutter ungeniert, und Weasley schien es egal zu sein, dass seine Mutter auf den Titel verzichtete.

 

„Es ist eine Ausnahmesituation gewesen. Ich hatte niemals beabsichtigt-“

 

„-bitte“, unterbrach Narzissa sie lediglich, und Weasley verstummte. „Wir sind Familie. Es ist überhaupt kein Problem.“ Und diese Worte ließen die Mundwinkel der Ministerin sofort sinken.

 

„Richtig“, stellte sie konsterniert fest.

 

„Bleiben Sie, solange wie Sie es wünschen, Mrs Weasley“, fuhr seine Mutter kühl fort, und Draco war es mäßig unangenehm. Narzissa verließ das Büro, und Weasley schien wieder einzufallen, dass sie wohl einen Grund hatte, hier zu sein.

 

„Scorpius ist ausgezogen. Temporär“, ergänzte sie dann in seine Richtung. Tatsächlich? Sie wollte mit ihm über Scorpius reden? Damit hatte er nicht gerechnet. „Es tut mir leid, dich hier zu überfallen und ausgerechnet mit den Kindern anzufangen“, begann sie, und er zog die Stirn in Falten, hatte noch nicht die Zeit gehabt, ihre Anwesenheit gänzlich zu verarbeiten. „Und ich weiß, es gibt dringendere Dinge, und ich weiß nicht mal, ob ich nicht schon heute Abend eine Pressekonferenz halten muss, weil… weil…“ Sie fuhr sich abwesend durch die Haare. Ihr Blick wurde panischer. „Sie werden mich feuern“, murmelte sie verstört, und er wusste nicht, ob er intervenieren musste, reagieren sollte – oder, ob er einfach den Mund zu halten hatte. „Es gab einen Massenausbruch“, flüsterte sie kopfschüttelnd. „Merlin…“

 

„Du korrigierst den Fehler. Mehr kannst du nicht tun“, bemerkte er ruhig. „Wenn ich das anmerken darf“, ergänzte er.

 

„Es war kein Fehler“, entfuhr es ihr tatsächlich. „Ich… ich habe es kalkuliert. Ich habe es geplant…“, fuhr sie manisch fort.

 

„Weil du es dir in deinem Kopf nett ausmalst, heißt es nicht, dass es automatisch funktioniert. Du hast die Unfähigkeit und komplette Dummheit der Wärter nicht eingeplant. Das war der Fehler.“

 

„Sie sind Angestellte des Ministeriums. Sie haben eine Gehorsamspflicht, sie-“

 

„-sie haben einen eigenen Willen“, unterbrach er sie ungläubig.

 

„Ja, aber…“ Dann schüttelte sie den Kopf, schien sich mit ihm nicht darüber auseinandersetzen zu wollen, und dann atmete sie aus, fokussierte ihre Aufmerksamkeit auf ihn, und schien dieses Problem tatsächlich zu verdrängen. Bemerkenswert, wie sie es konnte. „Scorpius ist ausgezogen“, begann sie wieder. „Und… und ich war nicht unbeteiligt“, ergänzte sie bitter.

 

„Das bezweifel ich“, erwiderte er müde und lehnte sich nun selber gegen die Schreibtischkante. „Was möchtest du von mir? Willst du… eine Art Plan entwerfen, willst du-“

 

„-nein“, unterbrach sie ihn, fast enttäuscht. „Ich… hätte längst mit dir reden müssen. Ich hätte…“ Sie schloss kurz die Augen, und er nahm an, sie würden den Abend auf der Feier totschweigen. Sie hatten miteinander geschlafen, aber sie schien komplett drüber weg zu sein. „Die Box, der… Zauber, die Einladung zu deinem Geburtstag, die Sache in der Sauna“, zählte sie schließlich auf, und er sah sie abwartend an. „Es war Scorpius“, schloss sie ernst. Seine Augenbraue hob sich skeptisch.

 

„Das halte ich für-“

 

„-nein“, unterbrach sie ihn, noch immer ernst. „Ich äußere keine Theorie. Ich informiere dich über Fakten.“

 

Er starrte sie an. „Das ist nicht möglich“, widersprach er kopfschüttelnd.

 

„Das… ist der Grund, warum ich dich und deine Verlobte nach der Geburt eingeladen hatte. Warum ich zugesagt habe, auf die Feier zu kommen. Scorpius hatte mich erpresst, nachdem… nachdem ich dich damals angefahren hatte“, schien sie ihm zu beichten, und sein Kiefer gab nach. „Und er wollte es Rose erzählen, wollte es Emily erzählen – und ich… wusste nicht, was ich hätte tun sollen. Du solltest es nicht erfahren, weil-“

 

„-du meinst das ernst?!“, entkam es ihm ungläubig.

 

„Ja, ich… meine das ernst“, bestätigte sie.

 

„Was? Wieso sollte Scorpius-“

 

„-er wollte uns zusammen bringen. Oder etwas Ähnliches“, erklärte sie, was sie wohl zu wissen schien, und er konnte sie nur anstarren.

 

„Wieso sollte er?“, war das erste, was er laut äußern musste.

 

„Ich bin mir nicht sicher. Er… wollte eine Mutter wie mich“, sagte sie behutsam. „Aber nachdem ich ihm gestern sehr deutlich meine Meinung gesagt habe, hat er… die Erpressung aufgegeben, und-“

 

„-du… wieso hast du es mir nicht gesagt?“, wollte er gänzlich tonlos wissen, denn er konnte es nicht begreifen.

 

„Du wärst…- du hättest reagiert“, sagte sie schlicht. „Irgendwie. Und das hatte nicht passieren dürfen. Ich… wollte nicht damit umgehen müssen. Ich wollte das Amt nicht gefährden, ich wollte nicht-“

 

„-aber jetzt? Jetzt ist es ok?“ Er war sich nicht sicher, was er empfinden sollte. Wie konnte sein Sohn ihn hintergehen? Wie konnte sie ihn hintergehen?

 

„Jetzt ist Scorpius ausgezogen, er… ist gekränkt, und ich hätte niemals damit gerechnet, dass er… solche Absichten verfolgt. Ich dachte, er wollte mich einfach quälen, aber… er leidet“, schloss sie stiller. Er bedeckte die Augen mit seiner Handfläche, versuchte, zu atmen, aber er konnte sich nicht beruhigen.

 

„Du wusstest das“, entfuhr es ihm wieder, und ihr Blick wirkte gequält.

 

„Malfoy-“


„-du wusstest das die ganze Zeit über.“

 

„Was hätte ich machen sollen?“

 

„Was du hättest-?“ Er spürte die Wut in sich aufsteigen. „Was du hättest machen sollen?!“, wiederholte er außer sich. „Vielleicht hättest du in deiner ewigen Weisheit entscheiden müssen, dass du auf gar keinen Fall irgendwelche Spiele mitspielst, zu denen Scorpius dich scheinbar zwingt! Vielleicht hättest du zu mir kommen müssen, damit wir dem ein Ende setzen, anstatt… anstatt mich zu dir zu holen, so zu tun, als… als – ich weiß es nicht!“, fuhr er sie an. „Es war alles Show! Es war alles… nicht echt!“, rief er zornig.

 

„Was? Nein! Ich…“

 

„Du kommst zu meiner Verlobungsfeier, weil mein Sohn dich zwingt, verdammt noch mal!“, fluchte er wütend. „Dass du Sex mit mir hattest – war das auch Scorpius‘ Idee? Habt ihr den Plan zusammen entworfen? Wieso hast du-“

 

„-hör auf damit!“, fuhr sie ihn an. „Als… als ob ich mit ihm zusammen arbeiten würde! Er hat mich nur gezwungen auf die Feier zu gehen.“

 

„Ansonsten wärst du nicht dort aufgetaucht?“, fragte er sie jetzt direkt, und sie lachte freudlos auf.

 

„Nein, natürlich nicht! Was zur Hölle sollte ich auf deiner Verlobungsfeier wollen?“, antwortete sie ihm ungläubig.

 

„Dann wäre es wahrscheinlich besser gewesen, du wärst nicht aufgetaucht und hättest mich nicht heimgesucht, oder Weasley?“, erwiderte er kalt, und ihr Mund schloss sich.

 

„Ich… meinte nicht-“

 

„-es ist mir scheiß egal, was du meinst!“, fuhr er sie an. „Was denkst du, was jetzt passiert?“, rief er zornig. „Ist es alles ok für dich? Du lässt dich von mir vögeln und hast nebenbei noch deinen Arbeitsflirt, weil es gerade so passt?“ Er sah, wie ihre Schultern sanken, wie seine Worte sie verletzten. Er sah es, aber es war ihm egal. Sie verletzte ihn! Mit Absicht! „Ich habe meine Verlobte betrogen, verdammt noch mal! Weil… weil-“ Er wusste keine Erklärung. „Weil ich wahrscheinlich absolut wahnsinnig geworden bin!“

 

„Malfoy-“

 

„-nein“, sagte er kalt. „Lass mich verdammt noch mal in Ruhe!“, warnte er sie. „Ich will nichts mehr hören. Keine Rechtfertigung, keine Erklärungen mehr. Ich will nicht hören, dass mein Sohn dich angeheuert hat, mich zu verführen! Es reicht! Es war ein unfassbarer Fehler meinerseits, ein unverzeihlicher Fehltritt! Im Gegensatz zu dir habe ich die Chance auf eine verdammt glückliche Zukunft mit einer wunderschönen, jungen Frau – die mich liebt!“, ergänzte er so wütend, dass seine Stimme bebte. „Ich habe es gehasst, mit dir geschlafen zu haben, an der verdammten Hochzeit! Ich habe es gehasst, so dass ich mich in die Beziehung mit Emily geflüchtet habe, einfach, um nicht mehr an diese widerliche Nacht zu denken! Und ich hatte Glück! Merlin, ich hatte unfassbares Glück, dieses Mädchen bekommen zu haben! Und ich riskiere dieses Glück für was?“, fuhr er sie haltlos an. „Für eine überflüssige Affäre mit der fünfzigjährigen Ministerin!“, donnerte seine Stimme.

 

Starr war ihr Blick, bleich ihr Gesicht, und er fuhr sich durch die Haare, kämmte sie zurück, während er blind nickte. „Gut. Wirklich gut, dass du hier warst. Danke für diese Erleuchtung, Weasley. Du bist genau das, was ich erwartet habe. Kein Wunder, dass dein Mann Trost bei einer anderen sucht – und wahrscheinlich auch findet. Denkst du jemals an irgendetwas anderes, als an dich selbst? Haben andere irgendeinen Stellenwert? Oder haben nur Malfoys keine Daseinsberechtigung in deiner Welt? Behalt dein scheiß Geheimnis für dich! Komm mir nicht mehr unter die Augen, hast du das verstanden? Versau dir dein eigenes Glück, aber verschon mich davon! Mein Vater wird in den nächsten Tagen sterben, aber gut, dass du deinem Ärger noch hattest Luft machen können! Gut, dass du noch die Gelegenheit hattest, mich auszunutzen! Es wundert mich nicht, dass deine Karriere den Bach runter geht. Die schlechten Entscheidungen, die du in deinem Privatleben triffst, triffst du genauso in deinem Amt! Und scheinbar ist niemand fähig, dir etwas Demut und Vernunft beizubringen, auf deinem verdammt hohen Ross!“

 

Er wusste nicht wirklich, woher all diese Worte gekommen waren, aber er bereute keines davon. Denn alles, was er sagte, entsprach der Wahrheit. Sie hatte ihn benutzt, aber letztendlich ging er als Sieger hervor, denn er hatte Emily. Weasley würde alleine dastehen, denn auch die Beziehung mit Ferrars würde sie zerstören. Sie war ein kalter, gefühlsloser Mensch, und er hatte genug.

 

Und plötzlich löste sich ihr Blick von ihm, fixierte etwas hinter ihm, und wenn möglich, wurde sie noch eine Spur blasser. Er wandte sich um und erstarrte.

 

„Es reicht“, sagte seine Mutter dann. Fuck. So eine verdammte Scheiße! Überfordert öffnete sich sein Mund, aber Narzissa sprach erneut. „Es reicht, Draco“, wiederholte sie ernst. „Du befindest dich in meinem Haus, denn es war dir nicht gut genug, hier zu wohnen. Und in meinem Haus wirst du keinen Gast derartig behandeln, auch wenn sie muggelgeboren ist“, ergänzte seine Mutter, und er wusste, Narzissa hielt absolut gar nichts von der neuen Ministerin. Aber er gönnte es Weasley, auch Narzissas Abneigung zu spüren. Wenn er jedoch sehr viel Pech hatte, würde Narzissa es Emily berichten. Und das durfte nicht passieren!

 

„Es geht dich überhaupt nichts an!“, informierte er seine Mutter zornig.

 

„Klärt eure verkommenen Probleme in euren eigenen Häusern. Nicht in diesem hier! Beleidige deine Mätresse sonst wo, aber nicht hier. Dein armer Vater hat so etwas nicht verdient. Ich möchte euch bitten, zu gehen. Beide“, ergänzte sie scharf. Und fast war er sich sicher, dass Weasley sprechen würde. Dass sie dazu garantiert etwas zu sagen hatte, aber sie sagte gar nichts.

 

„Was?“, entkam es ihm entgeistert. „Ich bin hier für Vater.“

 

„Dein Vater verzichtet auf deine Anwesenheit, Draco“, schloss seine Mutter kühl. Sein Mund öffnete sich.

 

„Das wirst du nicht entscheiden!“, informierte er sie wütend.

 

„Das habe ich bereits. Du wirst jetzt gehen. Es ist genug Schande über diesen Namen gekommen, und ich ertrage nicht noch mehr, Draco! Scorpius hat den Namen bereits entehrt mit dieser… dieser Farce von Hochzeit! Und du! Du…“ Ihr Blick wanderte über Weasley, als wäre sie Ausgeburt allen Übels. „Ihr werdet gehen. Ihr werdet gehen, bevor ich euch zwinge“, drohte sie jetzt mit zitternder Stimme. Seine Schultern sanken.

 

„Narzissa!“

 

„Geh, oder ich rufe deine Verlobte sofort über Floh, Draco“, drohte sie jetzt schlicht, aber sehr effektiv. „Und ich möchte dich nicht mehr hier sehen. Und ich spreche für deinen Vater, wenn ich sage, dass er meiner Meinung wäre.“

 

Sein Mund schloss sich. Das war nicht ihr ernst! Wie konnte sie so etwas sagen?

 

Er hörte, wie die Flammen loderten, wandte den Blick, aber schon wurde die Ministerin von den grünen Flammen geschluckt. Sie war fort, ohne dass er sie noch einmal angesehen hatte. Fort, ohne dass sie ihm Konter hatte geben können. Fast fühlte es sich gut an.

Fast.

 

Er würde verschwinden, damit sich seine Mutter abregen würde. Mehr konnte er heute nicht tun. Mehr Kraft besaß er auch nicht.

Und schon jetzt spürte er, dass es nicht gut war. Dass er sich nicht besser fühlte. Er hasste, dass er die Worte nicht so gemeint hatte, die er in ihr Gesicht gesagt hatte. Er wusste, dass Narzissa unverzeihlich reagiert hatte.

Und es tat weh. Unfassbar weh, irgendwo in seinem Körper, wo er den Schmerz nicht verdrängen konnte. Sie hatte ihn verletzt, und deshalb hatte er zum Gegenschlag ausgeholt.

 

Und das schlimme war, dass er nicht gewusst hatte, dass es überhaupt noch eine Frau auf dieser Welt gab, die ihn verletzen konnte. Wirklich verletzen.

 

Und das… änderte alles.

 

 

19.

 

Er klopfte sachte an die offene Tür. Er war froh, dass sein Name genug Gewicht besaß, um ihn in die Minister-Etage zu lassen. Sie hatte in den letzten zwei Wochen so viele Interviews gegeben, ihr Name war derartig in Verruf geraten, ihre gesamte Amtszeit schien gefährdet. Alles wegen des Ausbruchs.

Und er wusste nicht, ob sie überhaupt eine Pause eingelegt hatte.

 

So aussehen tat sie nicht, stellte er mit stummer Sorge fest.

 

„Hermine“, sagte er sanft. Ihr Blick hob sich leer, müde, ausgelaugt. Ein Mann stand neben ihrem Schreibtisch, hob ebenfalls den Blick. Und der Mann erkannte ihn.

 

„Mr. Potter, vielleicht kommen Sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder?“, schlug der Mann kühl vor, aber Harry schüttelte den Kopf.

 

„Mir passt jetzt. Könnte ich einen Moment mit der Ministerin sprechen?“, fragte er glatt. „Allein?“, ergänzte er eindeutig. „Es werden sich mit Sicherheit zehn Minuten einschieben lassen, nicht wahr?“, machte er es deutlich, und der Mann verzog den Mund, betrachtete Hermine eingehend, bevor diese schwach nickte.

 

„Ich sage Bescheid, Maxwell“, informierte sie den Mann still, und dieser wandte sich schließlich ab, schritt an ihm vorbei, und auf seiner Höhe fixierte er ihn.

 

„Zehn Minuten, Mr. Potter“, schien er ihn zu warnen. Harry ignorierte seine Worte, wartete, bis er die Tür schloss und kam zu ihr.

 

„Du machst das wirklich gut“, versicherte er ihr, denn er wusste, wie es ihr gehen musste.

 

„Danke“, entkam ihr ein leeres Wort. Sie hob nicht mal den Blick, konzentrierte sich auf ihre Unterlagen, und er vergrub die Hände in seinen Taschen.

 

„Du warst nicht mehr unten zum Training“, bemerkte er dann.

 

„Keine Zeit mehr gehabt“, erwiderte sie sehr kurz angebunden.

 

„Dachte ich mir. Es ist… bestimmt schwierig. Aber diese Zeit geht vorüber, und es war ein guter Versuch. Es hat einfach nur nicht funktioniert.“

 

„Ja“, bestätigte sie einsilbig.

 

„Hermine, ich… denke, du solltest reden. Mir sagen, was-“

 

„-es ist alles in Ordnung, Harry“, informierte sie ihn, gönnte ihm einen kurzen Blick, lächelte ein Kamera-Lächeln, bevor sie sich den nächsten Ordner griff.

 

„Wir läuft es mit Desmond?“, wollte er nun wissen, und sie sah ihn nicht an, als sie antwortete.

 

„Ist pausiert“, erklärte sie emotionslos, und er nickte langsam.

 

„Hm“, machte er. „Und… wie läuft es mit Malfoy?“, fragte er dann, beinahe neutral, und langsam hob sich ihr Blick. Verwirrung trat auf ihre Züge, bevor sich eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen bildete.

 

„Bitte?“, entfuhr es ihr tatsächlich, und erst jetzt bekam er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Er hatte angenommen, dass sie darauf reagieren würde.

 

„Deine Assistentin kann Geheimnisse nicht sonderlich gut für sich behalten“, sagte er bloß, und Hermines Mund öffnete sich tatsächlich einigermaßen ertappt.

 

„Du…-? Darcy?“, sagte sie jetzt, und Harry schenkte ihr ein sehr schmales Lächeln.

 

„Nettes Mädchen. Etwas… unbeholfen“, ergänzte er knapp. Hermine starrte ihn regelrecht an. „James hat uns besucht, vor einer Woche. Mit Darcy“, eröffnete er ihr die großen Neuigkeiten, und ihre Augen weiteten sich.

 

„Tatsächlich?“, flüsterte sie praktisch.

 

„Oh ja. Und ich denke, ich habe es dir zu verdanken?“, erkundigte er sich, denn er nahm an, ohne Hermines Mühen, wäre James niemals aufgetaucht.

 

„Und?“ Endlich erkannte er seine Hermine wieder.

 

„Es war wunderbar. Ich danke dir“, sagte er bloß, lächelte breiter, und ihre Mundwinkel zuckten. „Malfoy also?“, griff er seine Worte wieder auf, und ihr Lächeln verschwand so schnell und spurlos, wie es gekommen war. Es tat Harry leid, aber das war eine Sache, die ihn absolut brennend interessierte.


„Darcy ist sowas von gefeuert“, bemerkte Hermine bitter, verzog den Mund, und Harry winkte ab.

 

„Sie kann nichts dafür, denke ich. Und ich erwarte keine Details, Hermine. Merlin, bewahre“, machte er es überdeutlich. „Aber… ist es nicht vielleicht ein wenig zu…“ Er ließ den Satz in der Luft hängen, suchte nach dem richtigen Wort…, „ungünstig?“, entschied er sich, und gequält verzog sich ihr Mund.

 

„Was auch immer es wert ist – die Sache ist vorbei. Absolut vorbei.“

 

„Seit wann-?“ Aber sie unterbrach ihn gereizt.

 

„-Harry, müssen wir darüber reden?“ Sie sah ihn unglücklich an.

 

„Ron ist mein bester Freund, Hermine. Sicher, ihr… seid geschieden, aber ich-“

 

„-bitte erzähl ihm nichts davon“, bat sie ihn fast panisch, und Harry verdrehte die Augen.

 

„Was denkst du? Sicherlich nicht.“

 

„Danke“, entgegnete sie dankbar.

 

„Ich mache mir Sorgen um dich“, äußerte er seine Bedenken.

 

„Das musst du nicht. Ich komme zurecht“, entschied sie zu sagen, und er seufzte auf.

 

„Ich wünschte, du würdest mit jemandem reden. Ich muss es auch nicht sein. Sprich mit Ginny, mit irgendwem – aber-“

 

„-Harry, ich muss mein Amt retten“, erklärte sie würdevoll, und Harry nickte schließlich.

 

„Dein Amt ist nicht gefährdet, Hermine. Es geht gerade einfach nur mühsam bergauf, das ist alles. Aber dein Seelenheil, das ist hochgradig in Gefahr“, stellte er fest, und ihr Blick fiel wieder.

 

„Es geht mir gut“, log sie, ohne große Mühe, und Harry schnaubte auf.

 

„Ich kenne dich so nicht“, sagte er.

 

„Wenn du die ganze Nation gegen dich hast, sprechen wir noch mal, in Ordnung?“, erwiderte sie bitter und er legte ihr den Arm um die Schultern.

 

„Wir sind für dich da. Egal, bei was“, machte er es deutlich, und sie nickte schwer. Sie war so schrecklich blass. So schrecklich dünn, und Harry starb innerlich, wenn er sie so sah. Sonst war sie so unfassbar stark und kompetent, aber jetzt wirkte sie… völlig gebrochen. Absolut besiegt. Und er hasste es.

Aber es gab wenig, was er tun konnte. Er konnte ihr nur anbieten, da zu sein.

Und er wäre da. Auch wenn sie ihren Verstand verlor und auf irgendeine Art und Weise ein Interesse an Draco Malfoy hatte.

 

Wahrscheinlich würde er seelisch damit nicht zurechtkommen, aber… er würde es trotzdem versuchen.

 

~*~

 

Die Beerdigung wurde im selben Rahmen wie alle Reinblüterbeerdigungen abgehalten. Alle Mitglieder des Clubs waren anwesend, hatten ihm und Narzissa ihr Beileid bekundet, aber mit Narzissa sprach er zurzeit nicht, denn sie hatte ihm tatsächlich untersagt, seinen Vater noch einmal zu sehen. Was er kaum so schlimm fand, wie die Tatsache, dass er Hermine Weasley nicht noch ein letztes Mal angesehen hatte – dass sie nicht die Gelegenheit gehabt hatte, seine verdammte Mutter in ihre verdammten Schranken zu weisen. Das war alles, was ihm leid tat. Und seine Beleidigungen. Aber es gab kein Zurück mehr. Er hatte es gründlich verbockt.

Lucius war nicht mehr aufgewacht, hatte der Heiler gesagt – aber darum ging es kaum. Lucius hatte ihn sowieso nie so gut leiden können, wie Scorpius. Emily war ebenfalls hier, aber sie sprach dafür mit ihm kein Wort. Nahm ihm noch immer übel, dass er sich nicht vom Embryo verabschiedet hatte, und dann war da noch sein Sohn.

 

Sein verdammter Sohn, mit dem er ebenfalls noch nicht gesprochen hatte.

 

Die Zeremonie fand ihr Ende, und immerhin besaß das Wetter den Anstand, Nieselregen über England zu schicken – dann wiederum war er von England nichts anderes gewöhnt. Sie waren auf dem Gelände von Malfoy Manor, standen vor der Krypta, und die Sargträger ließen den Sarg magisch in die Krypta schweben. Von hier an konnten sie nichts mehr tun. Er würde zwischen seinen Urahnen nun seinen ewigen Platz bekommen, wie es seit jeher Tradition war, und Draco hatte sich noch nicht wirklich verabschieden können. Weder innerlich, noch sonst irgendwie.

 

Er versuchte, in sich zu horchen, ein Gefühl zu finden, aber es fiel ihm schwer. Alles, was bisher passiert war, war, dass ihm die Vereinigung der Reinblüter den Titel übersandt hatte, der nun sein eigener wäre. Sein Vater war verstorben, somit bekam er den Lord-Titel gemäß zeremonieller Tradition überreicht.

Er wollte ihn nicht – davon ab. Aber noch konnte er nicht wirklich begreifen, dass Lucius fort war. Es war kein gutes Jahr.

 

Ganz und gar nicht. Narzissa mimte die tapfere Ehefrau, die gute Reinblüterin.

 

„Meine Lieben, ich möchte euch ins Haus bitten. Dort wird Tee und Gebäck serviert. Wenn ihr mir folgen wollt.“ Die ganze Ansammlung an schwarz gekleideten Aristokraten folgte ihr, und Scorpius hatte seine Höhe erreicht. Er war allein. Rose war nicht mitgekommen. Draco hatte es noch nicht kommentiert, aber er war auch zu wütend. Viel zu wütend.

 

„Hey“, begrüßte sein Sohn ihn still, machte eine gute Figur im schwarzen Anzug, und er sollte nicht die Dreistigkeit besitzen, ihn zu begrüßen. Schweigend betrat die Gruppe das Herrenhaus, und bevor Scorpius der Menge folgen konnte, hatte Draco seinen Arm gepackt und zerrte ihn aus dem Flur ins Arbeitszimmer seines Vaters.

 

„Wir sind noch längst nicht fertig!“, informierte er Scorpius gepresst und verschloss die Tür mit einer zornigen Geste. Sein Sohn sah ihn ehrlich verblüfft an. „Du hast verdammte Nerven“, bemerkte Draco, und er zitterte vor Wut.

 

„Dad, was-?“

 

„Hermine war hier“, sagte Draco, benutzte ihren Nachnamen mit Absicht nicht, und Scorpius‘ Blick lag fest auf seinem Gesicht. „Möchtest du mir irgendetwas sagen, Scorpius?“, fragte Draco kühl, und der Mund seines Sohnes öffnete sich minimal überfordert.

 

„Dad, heute ist die Beerdigung. Ich glaube nicht-“

 

„-das ist mir scheiß egal“, informierte Draco ihn unbeeindruckt. „Ich warte, Scorpius“, warnte er ihn streng.

 

„Du verstehst das nicht-“, begann sein missratener Sohn sofort, aber Draco verstand gut genug.

 

„-wie konntest du so etwas grenzenlos Dämliches tun?“, fuhr er ihn übergangslos an.

 

„Dad!“

 

„Sie ist deine Schwiegermutter, Merlin noch mal! Sie ist nicht irgendeine Frau! Nicht irgendein Blinddate, was du arrangierst, verdammt noch mal! Sie ist nicht nur per Gesetz mit uns verwandt, sie ist auch noch die Ministerin für Zauberei!“, knurrte er außer sich.

 

„Dad, lass mich-“

 

„-ich wüsste nicht einen verdammten Grund, weshalb du mir erklären dürftest, warum du es für eine gute Idee gehalten hast, mich mit Hermine Weasley zusammen zu bringen!“ Aber Scorpius schüttelte den Kopf.

 

„Weil sie die richtige ist!“, sagte er lauter, und Draco sah ihn fassungslos an. „Oder sie war es. Zumindest dachte ich das“, ergänzte sein dummer Sohn.

 

„Wie könntest du-?“

 

„-sie ist klug, sie ist bescheiden, legt auf Gold keinen Wert. Sie ist das, was du zu deiner Schulzeit nicht haben konntest, aber jetzt war es möglich!“

 

„Merlin, Scorpius!“, knurrte Draco haltlos. „Es war nicht möglich, sie zu haben – und verflucht noch mal, das wollte ich nie! Sie war außerdem verheiratet!“

 

„Sie war von dem Idioten getrennt“, korrigierte ihn sein verrückter Sohn.

 

„Der verrückte Idiot ist der Vater deiner Frau!“, erläuterte Draco, machte es überdeutlich. „Die heute nicht hier ist!“, ergänzte er angespannt.

 

„Ich arbeite daran“, erwiderte sein Sohn wütend. „Und außerdem-“

 

„-außerdem habe ich eine Verlobte, Scorpius. Es mag dir nicht gefallen, aber-“

 

„-Emily ist nicht die richtige!“, sagte er schlicht. Als wäre es einfach. Als hätte sein Sohn auch nur die geringste Ahnung von Beziehungen.

 

„Das entscheidest nicht du, Scorpius!“

 

„Warum war Hermine hier?“, wechselte er sehr plötzlich das Thema, und Draco verzog den Mund.

 

„Unwichtig.“

 

„Sie war hier, weil ich ihr gesagt habe, warum ich es getan habe, nicht wahr? Und sie hat es dir gesagt. Und wahrscheinlich bist du ausgerastet“, schloss Scorpius bitter.

 

„Scorpius, ich erkläre es dir ein letztes Mal“, begann er warnend. „Halte dich aus meinem Leben raus. Wag es nicht noch einmal, so etwas zu tun! Du bist kein Kind, was seinen Willen durchsetzen kann, indem es die Leute manipuliert, hast du das verstanden?“

 

„Ich weiß, dass du sie magst“, sagte Scorpius kopfschüttelnd.

 

„Scor-“

 

„-es ist so offensichtlich!“, rief er gereizt aus. „Jedes Mal, wenn ihr euch seht! Jedes Mal. Seit Jahren“, ergänzte er bitter. „Ich sehe es. Jeder sieht es!“, knurrte er. „Und anstatt dumm rumzusitzen, nichts zu tun, so wie du, habe ich gehandelt. Dann sind es eben Mutter und Tochter – na und? Wen interessiert das?“

 

„Scorpius-“

 

„-ich verliere meine Frau, Dad!“, fuhr Scorpius ihn an. „Wahrscheinlich bin ich selber schuld. Aber sei nicht genauso dumm. Mach einfach mal keinen Fehler, wie wäre das?“ Dracos Augen weiteten sich.

 

„Komm mir nicht so!“, erwiderte er zornig. „Was du dir alles geleistet hast! Wie kannst du es wagen, mir Vorhaltungen zu machen? Ich bin verlobt!“, fuhr er ihn an.

 

„Noch, Dad. Noch bist du das. Dann mach, was du willst. Aber es ist ein Fehler, und das wirst du begreifen. Hermine mag mich hassen, aber sie hätte sich nie von mir erpressen lassen, wenn nicht mehr dahinter stecken würde!“

 

„Du bist-“

 

„-ich werde jetzt gehen. Ich werde jetzt anteilnehmen, trauern, und vielleicht schaffe ich es, dass Rose mich nicht verlässt. Ich bin es leid, dass wir immer nur Pech haben.“ Scorpius besaß die Dreistigkeit, das Zimmer zu verlassen. Draco war genauso zornig wie vorher. Kurz legte er die Handflächen über seine Augen. Scorpius lag falsch. Wie konnte er so denken? Es half nicht, dass sie tatsächlich miteinander geschlafen hatte. Und es half ihm nicht, dass er davon ausgehen musste, dass es alleine Scorpius‘ Werk war. Und er wusste nicht, ob das so war. Ob es für ihn so schwarz und weiß galt. Denn – nein. Für ihn war es wohl letztendlich mehr gewesen. Mehr als nur… Sex. Mehr als…- aber es war egal, denn er hatte sie aus diesem Haus gejagt! Und sie hatte nur mit ihm geschlafen, weil… weil…- er nahm an, sie war verzweifelt gewesen. Verzaubert, betrunken. Alles keine guten Voraussetzungen – für was auch immer Scorpius eine Absicht hatte! Beziehungen ließen sich nicht auf betrunkenen Nächten aufbauen! Und solche Beziehungen schon gar nicht.

 

Er würde heute nicht weiter darüber nachdenken können. Sein Vater war tot. Das Haus voller dummer Gäste, und er war auch noch sauer auf seiner Mutter, die ihm nicht mal persönlich Bescheid gesagt hatte, dass sein Vater gestorben war, sondern eine dämliche Elfe geschickt hatte.

Merlin!

 

Zornig verließ er das Büro, das er stets verabscheut hatte, und marschierte über den Flur. Er musste mit seiner Mutter reden. Er musste Scorpius übers Knie legen. Er musste so vieles tun, und er musste verarbeiten, überwinden, aber dafür hatte er bisher noch keine Zeit gehabt.

Aber eine Sache schien sich immerhin zu klären, denn Emily kam auf ihn zu. Wahrscheinlich hatte sie endlich Mitleid mit ihm, hier im Salon, wo alle Gäste versammelt waren, sich still unterhielten, um Lucius trauerten – warum auch immer sie es taten, denn Lucius war nicht sonderlich nett zu anderen gewesen.

Aber wahrscheinlich reichte es für Emily, dass er seinen Vater verloren-

 

-ihre flache Hand knallte in sein Gesicht, so überraschend und laut, dass er kurz auffluchte. Der gesamte Saal wandte sich um.

 

 Tränen traten in seine Augen. Merlin, das-!

 

„Du hast mit Hermine Weasley geschlafen?“

 

Sie fragte das tatsächlich! In einer Lautstärke, die alle anderen Gespräche verstummen ließ. Sein Mund öffnete sich langsam. Sofort hob sich sein Blick von ihrem Gesicht, fand seinen blonden Sohn in der Menge, und die Überraschung im Gesicht seines Sohnes, ließ ihn annehmen, dass es tatsächlich nicht Scorpius gewesen war, der Emily ins Bild gesetzt hatte. Nein, anscheinend war Narzissa schneller gewesen, denn ihr Blick war äußerst ablehnend auf ihn gerichtet.

 

Wieso?! Wieso tat seine Mutter ihm das an?!

 

Und er glaubte nicht, dass er das jetzt lösen oder erklären konnte. Unfassbar, dass Emily eine Szene veranstaltete. Begriff sie nicht das Ausmaß? Höchstwahrscheinlich nicht, denn sie war dämlich, kam ihm die Erkenntnis spät aber eindeutig.

 

„Emily“, begann er beruhigend.

 

„Auf unserer Verlobungsfeier?“, rief sie mit zitternder Stimme, und er atmete resignierend aus.

 

„Emily, nicht hier“, warnte er sie kopfschüttelnd.

 

„Nicht hier?“, wiederholte sie kochend. „Warum nicht, Draco? Dir ist doch sonst nichts heilig – wieso sollte es auf der Beerdigung deines Vaters anders sein, den du sowieso nie leiden konntest?“, fuhr sie ihn an.

 

Er merkte deutlich, dass er damit nicht umgehen wollte. Dass er die Blicke der dämlichen Gesellschaft verabscheute, und Emily hatte sich soeben ins gesellschaftliche Aus befördert. Immerhin etwas, dachte er grimmig. Er nickte steif.

 

Ok. Hier war das Zeichen. Das war der Ausweg, nach dem er so ewig gesucht hatte.

 

Dann wandte er sich ab.

 

„Draco!“, rief sie wütend.

 

„Wir sind fertig“, sagte er über die Schulter und nahm an, er hatte noch gerade Zeit, nach Hause zu verschwinden, eine Tasche zu packen und ziemlich zügig abzuhauen, denn natürlich waren Ministeriumsangestellte hier. Er hatte Morgaine McArthur bereits vor der Krypta stehen sehen. Und diese verdammte Schlange würde sich garantiert nicht nehmen lassen, diese Geschichte nach oben zu tragen.

 

„Nein!“, hörte er ihre Stimme. „Ich beende das hier! Nicht du, Draco! Du hast kein Recht dazu!“, gellte ihre Stimme durch den Salon, aber er hatte bereits die Kurve genommen, war verschwunden, hastete durch den Flur, und er steuerte dem Zusammenbruch entgegen.

 

Er hasste die Reinblüter. Hatte es eigentlich schon immer getan.

 

Noch im Gehen merkte er, wie er einen Abschnitt erreichte. Hier, am heutigen Tage, fand alles sein Ende. Alles kam ans Licht, was nicht ans Licht hätte kommen sollen. Und es war alles seine Schuld, erkannte er bitter.

Alles, bis hier her zu diesem Tag, war er falsch angegangen.

 

Und er hatte sie beleidigt. Er hatte Hermine so derartig beleidigt – und er hatte es gar nicht gewollt. Hatte es gar nicht ernst gemeint. Er war so unglaublich verletzt gewesen, hatte es nicht mal gemerkt. Und er bereute diesen Fehler. Das war der einzige Fehler, den er wirklich bereute. Dass er sie angefahren hatte. Nicht, dass er Sex mit ihr gehabt hatte.

 

Und jetzt würden es alle erfahren.

 

Sie hatte Mist gebaut. Und jetzt hatte er verdammten Mist gebaut.

 

 

20.

 

Es hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet.

 

So unfassbar schnell. Und so unfassbar schnell hatte es jede andere Geschichte abgelöst, jedes Problem überschattet, und es zeigte ihr, dass die Gesellschaft sich wesentlich leichter von Gerüchten und sinnlosen Geschichten beeindrucken ließ, als von politischen Katastrophen.

Das war das einzig Gute. Niemand sprach mehr über den Massenausbruch, ausgelöst durch ihre Maßnahme, die Dementoren abzuziehen.

Nein. Seit Wochen hatte sie davon nichts mehr gehört. Die Hexenwoche, der Klitterer, selbst der Tagesprophet – alle waren sie dazu übergegangen nur noch und ausschließlich über die Minister-Affäre zu berichten. Minister-Affäre nannte es die Hexenwoche, Malfoy-Minister-Affäre nannte es der Tagesprophet, um auch noch die letzten Leser ins Bild zu setzen.

 

Anlass und Übeltäter waren Lucius Malfoys Beerdigung und Narzissa Malfoy gewesen, die sich wohl nicht hatte beherrschen können, Malfoys Verlobter haarklein jedes Detail zu berichten, das ihr bekannt war. Sogar Emily hatte eine rührselige Stellungnahme abgegeben, und wenn Hermine richtig verstanden hatte, war Malfoy aus seinem Haus ausgezogen und residierte derzeit an einem unbekannten Ort.

 

Wie gerne wäre sie auch an einem verdammt unbekannten Ort, dachte sie bitter, während sie eine gereizte Unterschrift unter eine neue Abmachungsverfügung mit dem Aurorenbüro setzte, das einen Teil der gesparten Gelder wieder reinvestierte, in Dementoren- und Aurorenschutz. Alles war wie es vorher gewesen war.

Fast.

 

„Madam“, bemerkte Mr. Tavish, der sie die letzten Wochen immer häufiger besucht hatte, und ihr jetzt noch die Personalliste der abgeordneten Auroren vorlegte, die sie abwesend unterzeichnete, „mit Verlaub, jeder guter Politiker hat die ein oder andere schmutzige Affäre zu verbuchen“, sagte er, beinahe versöhnlich.

 

„Mr. Tavish“, entfuhr es ihr erschöpft, „Sie sind lediglich erleichtert, dass es nicht Mr. Ferrars war“, schloss sie grimmig. Denn natürlich war sie nicht mehr mit Desmond zusammen. Dieser hatte ihr ziemlich lange und ausführlich erklärt, dass er niemals erwartet hätte, dass sie so eine Art von Person wäre und ob sie es so dringend nötig gehabt hätte, dass sie ihre Scheidung nicht hatte abwarten können, aber ehrlich gesagt, hatte Hermine nicht mehr die Nerven besessen, vielleicht seine Vergebung zu erbeten. Es hatte alles genügend Probleme mit sich gebracht.

 

Mehr als genug.

 

„Lord Ferrars arbeitet im Ministerium. Lord Malfoy hingegen ist ein freier Mann mit einer freien Stelle.“ Hermine verzog den Mund. Ein weiteres Gerücht besagte, sie hatte ihn sich angeln wollen, weil er nun den Lord-Titel innehatte. Sein Vater war tatsächlich verstorben. Das einzige, was sie beruhigte war, dass dieses dämliche Arschloch bestimmt einen noch schlimmeren Tag gehabt hatte, an der Beerdigung, als sie, als er sie von vorne bis hinten beleidigt und gedemütigt hatte.

Diese Information fehlte der Presse.

 

Die Presse nahm an, die Affäre dauerte noch heimlich an. Ständig gab es Augenzeugenberichte, die sie und Malfoy an irgendwelchen zwielichtigen Orten gesehen haben sollten, während sie irgendwelche versauten Dinge taten.

 

All das wäre erträglich, wenn da nicht der unglaubliche Ausbruch ihrer Tochter gewesen wäre.

 

Und natürlich wusste die Presse von der Kuppelei des Sohnes. Es war ein so gefundenes Fressen, dass es fast schon unglaubwürdig war. Heirat, unterschiedlicher Blutstatus, alter Adel, ein Hauch von Inzest – wäre es ein Roman, Hermine würde ihn nicht lesen. Nicht mal den Klappentext.

Rose war ausgezogen, keinen Tag später. Sie wohnte bei Ginny und Harry. Das war immerhin eine gute Sache, denn sie sprach nicht mehr mit Scorpius. Scheinbar war alles, was es brauchte, dass die Schwiegereltern miteinander schliefen. Scorpius wohnte weiterhin im Hotel, und sie hatte ihr Haus für sich.

 

Die Presse hatte versucht, Ron für ein Interview zu gewinnen, aber er hatte jedes Mal abgelehnt. Lavender hingegen hatte sich nicht nehmen lassen, ihre Meinung kundzutun und zu behaupten, dass sie bereits in Hogwarts den Eindruck hatte, dass mehr zwischen ihr und Malfoy gewesen wäre. Dumme Nuss.

 

Malfoys Verlobung war gelöst.

 

Hermine lebte wieder alleine.

 

Rose und Scorpius waren getrennt.

 

Insoweit war ungefähr alles, wie sie es gewollt hatte – mit dem massiven Unterschied, dass alle Welt glaubte, sie hätte es auf Draco Malfoy abgesehen.

Ihr Gesicht konnte sie nirgendwo zeigen, und es lag zurzeit eine absolute Besuchersperre auf der Ministeretage. Hermine hatte bereits mündlich allen Angestellten der oberen Etage deutlich gemacht, dass sie über diese Sache kein Wort verlieren würde und jeden suspendiere, der es auch nur wagte, das Wort Affäre in den Mund zu nehmen.

 

Sie war die geschiedene Ministerin, die mit dem Schwiegervater ihrer Tochter geschlafen hatte. Zumindest bei ihren jüngeren Kolleginnen traf sie auf unverhohlenes Interesse. Sie traf sich freitags mit Harry zum Sport. Eine Tradition, die sie wieder aufleben ließ. Denn Harry erzählte ihr von Rose, dem Baby, und es war das erste Weihnachten, das sie nicht im Fuchsbau verbringen würde. Molly hatte sie nicht eingeladen. Harry hatte ihr bereits angeboten, dass er und Ginny in die Villa kommen würden, aber Hermine hatte verzichtet.

Dankend.

 

Es war ihr Fiasko, was sie sich selbst eingebrockt hatte.

 

„Das war das letzte Formular, Madame“, bemerkte Mr. Tavish, und Hermine atmete lange aus. „Es war ein langes Jahr, nicht wahr?“ Er sprach belanglose Worte.

 

„Sehr lang“, bestätigte sie erschöpft.

 

„Werden Sie zurecht kommen?“, fragte er tatsächlich, und sie hob den Blick.

 

„Glücklicherweise vergehen die Tage auch ohne mein Zutun, Mr. Tavish“, erwiderte sie mit einem freudlosen Lächeln. „Die Zeit ist auf meiner Seite, zur Abwechslung.“

 

„Nicht nur die Zeit, Madame“, sagte er lächelnd. „Wie werden Sie Weihnachten verbringen?“, fragte er sie, schien ihren Gemütszustand testen zu wollen, aber sie streckte sich knapp.

 

„In Schande und Scham, nehme ich an. Sie?“, antwortete sie trocken, und er nickte bloß.

 

„Ähnlich“, erwiderte er tatsächlich, ging auf ihre Worte ein. „Meine Frau und ich werden bei ihren Eltern im Heim sein“, erklärte er eindeutig, und Hermine nickte verständnisvoll. Natürlich, wenn Reinblüter von einem Heim sprachen, war es etwas völlig anderes, denn ein Reinblüter-Heim war ein regelrechtes Schloss mit dreitausend Angestellten. Hermine kannte diese Einrichtungen, wo die reichsten der Reichen von morgens bis abends versorgt wurden.

 

„Ich rate Ihnen, machen Sie nicht den Fehler und schlafen Sie mit Ihrer Schwiegermutter“, machte sie einen unpassenden Scherz, aber tatsächlich kümmerte es sie kaum. Sie war drüber weg. Mr. Tavish lächelte nun ein sehr breites Lächeln.

 

„Ich werde mich zu beherrschen versuchen, Madame“, erwiderte er mit vollster Zuneigung.

 

„Dann würde ich sagen, Sie dürfen mein Büro verlassen, und ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten Maxwell“, schloss sie freundlich. Obwohl sie einen Untersekretär hatte, tauchte immer noch überwiegend der Personalchef bei ihr auf, und sie fand es angenehm.

 

„Halten Sie sich nicht zu lange hier auf, Madame. Wenn Sie irgendetwas brauchen, meine Kaminverbindung ist jederzeit offen für Sie“, verabschiedete er sich. Dann griff er in die Innentasche seiner Jacke. „Und hier noch eine Kleinigkeit.“ Er legte ein flaches Geschenk auf ihren Schreibtisch. Sie hob den Blick.

 

„Maxwell, Sie müssen mir nichts schenken“, belehrte sie ihn kopfschüttelnd.

 

„Sicherlich nicht, Madame, aber ich habe mir erlaubt, Ihnen dennoch eine Kleinigkeit zu besorgen. Es hat mich nichts gekostet“, ergänzte er vielsagend.

 

„Dann… vielen Dank.“

 

Mit einem Nicken hatte er sich abgewandt und verließ ihr einsames Büro.

 

Gespannt schlug sie das Papier zur Seite, als er ihre Tür geschlossen hatte. Es war eine schmale Ausgabe von einem freien Verlag, fragil gebunden, und es schien ein Buch zu sein zur Themenreihe des Kriegsheldentums, zwanzig Jahre zurückdatiert.

Bei diesem Werk in ihren Händen handelte es sich um die Abhandlung eines Gastautorenbeitrags von M. Tavish, damals angestellter Wissenschaftler des Professoriats für Magischen Muggelaktivismus an der Magie Akademie London.

‚Der Kriegsheld der Moderne – eine Abhandlung am Beispiel von Hermine Granger‘, las sie den Titel mit überraschten Augen.

 

Sie wusste, Maxwell hatte nicht immer im Ministerium gearbeitet. Aber für einen Muggelaktivisten hatte sie ihn nicht gehalten. Und garantiert für keinen, der für ihren Namen publiziert hatte.

 

Sie schlug die ersten Seiten auf und fand eine sehr detailreiche Charakterstudie ihrer selbst, über ihren Werdegang, ihr Potential, ihre unzweifelhaft brillante Intelligenz und ihre Kapazität, die magische Welt in eine bessere Zukunft zu führen. Es rührte sie sehr.

 

Sie hoffte tatsächlich, dass sie das schaffen würde.

 

Es war das erste Jahr ihrer Amtszeit. Sie nahm an, Fehler gehörten dazu. Sie würde daraus lernen.

 

‚…Hermine Granger besitzt einen offenen, warmherzigen, vom Leitbild der übergreifenden Gerechtigkeit geprägten, Charakter. Keine Entscheidung scheint je ohne gründliche Überlegung getroffen zu werden. Das Wort gilt immer vor der Tat.‘

 

~*~

 

Fast kam es ihm vor wie früher.

 

Natürlich hatten sie Heiligabend nie in einem Hotel gefeiert, und nie unter diesen Umständen. Als Astoria noch gelebt hatte, hatten sie auf Malfoy Manor feiern müssen, wie es die Tradition verlangt hatte. Anschließend, nach ihrem Tod, hatte Draco aufgehört, seine Eltern an Heiligabend zu besuchen. Astoria hatte es nie leiden können, und um sie zu ehren, tat er ihr jedes Jahr den Gefallen und ignorierte seine Eltern an Weihnachten. Dieses Jahr mehr oder weniger gezwungen, denn er war nicht eingeladen.

 

So auch Scorpius nicht. Scorpius war allerdings auch nicht bei den Weasleys erwünscht, und er vermisste seinen kleinen Sohn immens. Sie hatten einige rechtliche Schritte durchgesprochen, aber Scorpius wollte keinen Streit. Kein Gerichtsverfahren vor dem magischen Familiengericht, um Rose möglicherweise das Sorgerecht abzuerkennen. Er wollte es alles nicht.

 

Und Draco hatte nicht über sich gebracht, Scorpius auszuschließen – egal, wie dumm und naiv sein Sohn sich verhalten hatte.

Sie saßen im selben Boot.

 

Und dieses Jahr feierten sie in der Suite des Crown Hotels, mit dem kleinsten Weihnachtsbaum, den Draco jemals in seinem Leben gesehen hatte. Das Hotel war nicht besucht, sie waren die einzigen Gäste, und es war ihm recht. Die Reporter wussten nicht, wo er sich befand, und das war gut so.

 

Scorpius hatte im Ministerium die Versetzung beantragt, arbeitete als Korrespondenz nun Vollzeit bei ihm, und Draco hatte mit ihm schon über einen Auslandsaufenthalt gesprochen, und Scorpius war nicht abgeneigt. Draco besaß Liegenschaften in Italien, und es wäre ein leichtes, Geschäfte von dort zu führen, falls sie einen Tapetenwechsel benötigten. Nur seinen Sohn würde Scorpius dann nicht mehr sehen. Aber das tat er jetzt auch nicht.

Draco wollte fort von hier. Italien wäre nie seine Wahl Nummer eins, aber es gab ein ziemlich gutes Bild ab, im Vergleich zu London dieses Jahr.

 

Sie hatten schweigend gegessen, aber das letzte Weihnachten war nicht anders verlaufen. Letztes Jahr an Heiligabend hatten sie auch geschwiegen, denn Scorpius hatte im Garten der Weasleys gezeltet, hatte sich nur mit Mühe und Not überzeugen lassen, an Heiligabend nach Hause zu kommen, und es kam Draco Jahre weit entfernt vor.

 

Jetzt saßen sie auf den Sesseln im Wohnbereich der Suite, der Kamin brannte, das magische Grammophon säuselte leise vor sich hin, und Draco blätterte gelangweilt in seinem Buch, auf das er sich nicht recht zu konzentrieren vermochte. Scorpius studierte bereits irgendwelche Zahlen und Abschlüsse, neue Policen, und war – wie immer – ein Arbeitstier. Er entspannte selten, hatte immer das nächste Projekt im Kopf, und Draco fragte sich, ob Scorpius zurzeit irgendwelche Freundschaften oder Bekanntschaften unterhielt. Sein Sohn war eigenartig. Aber wahrscheinlich nicht eigenartiger als er.

 

Plötzlich hörte er ein Klopfen am Fenster. Es schneite nicht, aber es war sehr kalt draußen. Sehr dunkel. Eine zerzauste Eule pickte erneut gegen die Scheibe des zweiten Stocks, und Draco erhob sich mühsam aus dem Sessel.

Eigentlich dürfte er keine Post erhalten. Es lag ein Bann um das Hotel, den er mit viel Gold beantragt hatte, um nicht von Briefen sämtlicher Zeitungen heimgesucht zu werden. Seine Post wurde an seine Firma weitergeleitet. Nicht hier hin. Also nahm er an, es war ein Brief für Scorpius. Dieser hatte ebenfalls den Blick gehoben.

 

Draco öffnete das Fenster, und die Eule hüpfte zitternd hinein, ließ sich den Brief abnehmen und erwartete mit geöffnetem Schnabel eine Belohnung. Draco sah sich um, ging zurück zum Tisch und stellte ihr seinen Teller vor die Füße, wo sie sich höchst beleidigt, einige Reste zusammenpickte und laut schuhuend wieder verschwand. Fast tat ihm der Vogel leid, aber sie würde in ihrem Verschlag genügend zu essen finden.

Er betrachtete den Brief mit gerunzelter Stirn und übergab ihn schließlich seinem Sohn. Das Ministersiegel prangte auf Vorder- und Rückseite, und Scorpius hob überfordert den Blick.

 

„Sie verklagt mich an Weihnachten, richtig?“, nahm er finster an, und Draco konnte sich ehrlich gesagt auch nichts anderes vorstellen. Seufzend öffnete Scorpius das Siegel und zog einen einseitigen Brief hervor. Eine Klage war es demnach nicht. Vielleicht eine Amtsbeschwerde? Das Gesicht seines Sohnes blieb ernst, als er die Zeilen las. Handgeschrieben, wie Draco mit gerunzelter Stirn feststellte.

 

Fast ungeduldig sah er seinen Sohn an.

 

Endlich sank der Brief in dessen Hand, und Draco wartete auf die nächste Reaktion. Und die kam.


„Ich muss los“, sagte Scorpius nur, und Draco runzelt die Stirn.

 

„Was auch immer sie dir androht, es wird bis nach Weihnachten-“

 

„-ich muss zu Rose“, unterbrach Scorpius ihn.

 

„Zu Rose?“, wiederholte Draco entgeistert. „Aber-“

 

„-wenn ich nicht für sie kämpfe wird sie weg sein.“

 

„Das schreibt sie?“, fragte er und deutete auf den Brief.

 

„Mehr oder weniger, ja“, sagte sein Sohn. „Der Rest ist für dich“, ergänzte er, reichte ihm eine zweite Seite aus dem Umschlag, klein gefaltet, und Dracos Augenbrauen wanderten höher. „Ich muss gehen“, schloss Scorpius, und Draco nahm den winzigen Brief entgegen, während Scorpius direkt seinen Mantel holte.

 

Sie hatte ihm geschrieben. Er ging davon aus, dass es keine netten Worte sein konnten, aber… dann wiederum hätte er auch nicht erwartet, dass sie Scorpius irgendetwas Nettes zu sagen hatte, aber anscheinend half sie seinem Sohn – was eine nette Abwechslung war, keine Frage. Aber es verwunderte ihn doch.

 

„Ich bin hier, wenn es nicht klappt“, sagte Draco lediglich, denn er sah noch keinen Erfolg für Scorpius. Ganz und gar nicht.

 

„Ich hoffe, du wirst nicht auf mich warten“, sagte Scorpius lediglich, zog sich die Schuhe über und verließ anschließend die Suite. Draco traute dem Brief nicht, hätte gerne gewusst, was in Scorpius‘ Brief gestanden hatte, und deshalb öffnete er das Siegel im Stehen, wollte nicht sitzen, wollte schon mal bereit sein, wütend zu werden.

 

Seine Augen flogen über die Zeilen. Ihre Handschrift war ordentlich, aufgeräumt, wie alles an ihr.

 

Schließlich sank der Brief in seiner Hand. Er bekam ein Ultimatum. Nicht wirklich. Eigentlich war es das Gegenteil. Eigentlich bekam er die Wahl.

Und er musste sein Gehirn nicht sonderlich beanspruchen für die Entscheidung.

 

‚Hallo Draco. Hallo Malfoy.

 

Ich kann mich nicht entscheiden, wie es besser wäre, dich anzusprechen, weil ich nicht weiß, wo wir stehen. Ich weiß, wo ich stehe. Also such dir aus, mit welcher Anrede du dich wohler fühlst.

Ich habe dir mein Beileid für viele Dinge ausgesprochen. Wenn es um Glück oder Schicksal geht, scheinen wir beide nicht unbedingt ein besonders gutes Blatt auf der Hand zu haben. Wahrscheinlich liegst du ein, zwei Längen vorn, was das Pech angeht.

Ich will dir sagen, dass deine Worte mich verletzt haben, und ich will dir sagen, dass mich deine Worte nicht verletzen können. Genauso wie ich deinem Sohn sagen will, dass ich ihn hasse, und dass ich ihn liebe, weil er der Vater meines Enkelkindes ist.

Ich weiß, beides geht nicht. Tut es nie. Vielleicht neigt man in die eine oder die andere Richtung. Also, Draco: du hast mich verletzt. Allerdings waren es nur die oberflächlichen Dinge, die mich oberflächlich verletzt haben. All die anderen Dinge tun woanders weh.

Ich kann nicht objektiv sagen, ob du Recht hast oder nicht. Ich will vergessen, was du gesagt hast und kann es nicht.

Ich habe Gefühle für dich, die es gar nicht geben sollte.

Wahrscheinlich ist ein Brief verlorene Mühe, aber ich wurde wieder daran erinnert, dass ich irgendwann mal ein guter Mensch gewesen bin. Nicht kalt, gefühllos und missgünstig. Und ich denke, Offenheit siegt über verletzten Stolz – immer.

Also bin ich offen. Ich biete dir folgende Optionen an, zwischen denen du frei wählen kannst – keine Antwort notwendig.

Mein Kamin wird heute Abend von neun bis halb zehn offen stehen, für den Fall, dass du keine Lust hast wie ein Ausgestoßener den Heiligabend zu verbringen, denn offen gesagt, ist es schrecklich.

Die zweite Option ist wohl die einfachere. Für den Fall, dass ich mich irre, dass du mich verletzt hast, mit dem Zweck, mich zu verletzen, kannst du diesen Brief ignorieren und verbrennen und dich damit schmücken, dass Hermine Granger irgendwann mal Gefühle für dich hatte.

Die zweite Option steht dir natürlich auch offen, sofern du noch vernünftig und rational bist und siehst, wie viel mehr Schaden durch ein Treffen angerichtet werden könnte.

Ich bin nicht dumm. Ich bin es nur leid, stets und ständig gegen mein Herz und mein Bauchgefühl zu handeln.

Jede Entscheidung scheint schwer zu wiegen, und jede Entscheidung ist irgendwo falsch. Das habe ich gelernt. Nur jetzt weiß ich, es ist egal, wie falsch die Entscheidung ist, solange man am Ende noch in den Spiegel sehen kann, ohne sich ständig fragen zu müssen, was wäre wenn….

 

Fröhliche Weihnachten.

Hochachtungsvoll,

 

die Ministerin für Zauberei (was auch immer das wert ist)‘

 

 

21.

 

Sie war überzeugt, dass er kommen würde. Zwar hatte sie ihm die Wahl gelassen, aber ihr Brief war gut gewesen. Sie war nicht Ministerin geworden, weil sie schlechte Reden hielt. Menschen glaubten ihr, vertrauten ihr. Im Moment war es auf der Arbeit zwar eher holperig, aber sie würde es schon schaffen.

 

Aber neun Uhr kam, und neun Uhr ging. Um neun hatte ihr Herz schneller geschlagen. Und mit jeder Minute, die verging, kamen ihr mehr und mehr Zweifel. Natürlich war es eine große Verantwortung, eine schwere Entscheidung – dumm noch dazu. Und sie fragte sich, ob er sich größeren Effekt erhoffte, wenn er erst in der letzten Sekunde kommen würde. Plötzlich war es zwanzig nach neun. Fünf vor halb zehn. Und quälend langsam tickten die Sekunden weiter, und halb zehn war vorbei.

 

Sie starrte auf die Uhr, hasste sich selbst, dass sie den Kamin doch noch länger aufließ. Fünf Minuten, sagte sie sich. Höchstens zehn. Aber eigentlich war sie eindeutig in ihrem Brief gewesen. Und sehr eindeutig schien er geantwortet zu haben.

 

Er hatte die zweite Option gewählt, hatte seine Worte offensichtlich ernst gemeint, und würde über sie den Kopf schütteln. Wütend mit sich selbst, machte sie eine herrische Bewegung mit dem Zauberstab, und die offene Verbindung erlosch.

 

Es war Viertel vor zehn. Es klopfte an ihr Arbeitszimmer.

 

„Madame?“, sagte Madame Lorrard, und Hermine hob den Blick.

 

„Es kommt niemand mehr“, sagte sie schließlich. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie solange hier behalten habe, Madame Lorrard“, entschuldigte sie sich sofort.

 

„Das ist kein Problem, Madame. Manchmal… stirbt die Hoffnung zuletzt, nicht wahr?“ Ihre Köchin schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich habe das Essen im Ofen warm gestellt, falls Sie Hunger bekommen. Gute Nacht, und frohe Weihnachten, Madame“, verabschiedete sie sich und Hermine erwiderte den guten Wunsch.

 

Sie trat in den leeren Flur und hörte Mrs Welsh irgendwo werkschaften. Sie schien noch irgendetwas aufzuräumen, denn auch ihre Hauswirtschafterin verließ sie heute Abend. Allein Mr. Holden blieb ihr erhalten, denn er besaß keine weitere Familie mehr. Aber er würde gleich zu Bett gehen, wie er sie schon informiert hatte. Ein gutes Buch lesen und morgen wieder frisch ans Werk. Während der Feiertage übernahm er noch weitere Arbeiten, besorgte Holz, überprüfte das Gelände.

 

Sie sah wesentlich zu festlich aus. Das dunkle Kleid glänzte unpassend, die Schuhe waren unbequem, und für einen Abend allein, was sie zu stark geschminkt.

 

Sie hatte sich verschätzt. Das war alles. Sie schritt durch den Flur, trat sich am Ende die Schuhe von den Füßen und ging barfuß in die angrenzende Küche. Es roch herrlich. Eine Schande war es. Für einen allein viel zu viel Aufwand.

 

„Madame?“, unterbrach Mrs Welsh sie, die Taschen gepackt, in einen dicken Mantel gehüllt.

 

„Mrs Welsh“, erwiderte Hermine müde.

 

„Sie kommen zurecht? Ich werde an Neujahr wiederkommen“, erinnerte sie die Dame mahnend, und Hermine nickte.

 

„Mr. Holden und ich werden versuchen, uns nicht umzubringen“, bemerkte sie, aber Mrs Welsh verstand nicht sonderlich viel Humor.

 

„Oh“, entfuhr es ihr. „Ich bitte darum“, ergänzte sie. „Frohe Weihnachten, Madame Minister“, verabschiedete auch sie sich, und Hermine nickte ihr lächelnd zu. Darcy hatte sich vorab um die Dienstgeschenke gekümmert. Jeder bekam einen Bonus-Scheck. Es war die einfachste Lösung, denn Hermine kannte ihr Personal nicht persönlich, wusste nicht, was sie benötigten oder gerne wollten. Fast tat es ihr leid, aber sie wüsste nicht, wann sie sich hätte kümmern sollen.

 

Und dann war es zehn, und sie war allein.

 

Vielleicht würde sie auch einfach Zubettgehen, ein Buch lesen, aber sie glaubte eher, sie würde sich eine Flasche Wein mitnehmen und ins Kissen weinen.

 

Sie öffnete die Ofenklappe, genoss den herrlichen Duft und wollte sich gerade nach den Tellern strecken, da klopfte es an der Küchentür.

 

„Madame?“ Mr. Holden hatte bereits sein Arbeitsjackett ausgezogen, trug eine Strickjacke und eine braune Hose und wirkte längst nicht mehr dienstlich.

 

„Mr. Holden?“ Sie sah ihn an. „Falls auch Sie sich gehalten fühlen, mich nach meinem Befinden zu fragen – es geht mir gut. Danke sehr“, ergänzte sie vorsintflutlich, und kurz öffnete sich sein Mund.

 

„Ehrlich gesagt – nein, Madame“, entgegnete er beschämt.

 

„Oh, dann – bitte, nur zu. Was kann ich für Sie tun?“, wollte sie wissen, reckte sich nach einem Teller, die weit oben standen. „Haben Sie Hunger? Es ist… mehr als genug für uns beide hier“, ergänzte sie.

 

„Tatsächlich wäre ich etwas hungrig“, entgegnete er, bevor er sich besann. „Aber… eigentlich wollte ich Sie um ihre Meinung bitten, Madame.“

 

„Gerne“, sagte sie, angelte sich einen zweiten Teller, und Mr. Holden betrat die Küche, sah sich eigentümlich um, und dann kam er näher.

 

„Nehmen wir an, es hätte sich ein Gast am Tor angekündigt, jetzt, heute Abend – und der Torwärter hat ihn abgewiesen – das wäre in Ordnung, nicht wahr?“, wollte er wissen, und Hermine runzelte die Stirn.

 

„Ist er gemeldet?“

 

„Nein, Madame. Kein gemeldet Gast“, widersprach er.


„Sicher, dann muss er abgewiesen werden“, sagte sie bloß.

 

„Richtig, seht gut, Madame. Ich… jedoch…- wenn es sich um eine bestimmte Person handelt, dann…“

 

„Mr. Holden, was genau möchten Sie mich fragen?“

 

„Ich… habe mir erlaubt – bei allem Respekt, Madame – den Torwärter zu korrigieren und den Einlass zu gestatten.“ Sie sah ihn verblüfft an.

 

„Sie… haben was? Wen haben Sie reingelassen, Mr. Holden? Wieso sollten Sie-?“

 

„-ich nahm an, dass wir im Falle von Lord Malfoy eine Ausnahme machen würden?“ Mr. Holden war sehr bleich geworden, Angst im Gesicht.

 

„Sie… Sie haben Malfoy reingelassen?“, entfuhr es ihr perplex.

 

„Das war hoffentlich kein Fehler?“ Er sah sie ehrlich verängstigt an.

 

„Wo… wo ist er?“ Sofort setzte sie sich in Bewegung.

 

„Madame, er-“

 

Aber Mr. Holden unterbrach sich, als sie die Tür öffnete, und ihn an der gegenüberliegenden Wand entdeckte. Er lehnte abwarten dagegen, den Kopf schräg gelegt.

 

„Ich hoffe, Mr. Holden wird nicht entlassen?“, erkundigte sich Malfoy ruhig, und ihr Mund öffnete sich.

 

„Du… du warst nicht…- du hast nicht-!“, begann sie, und er hob die Hand. Sie erkannte eine Tasche.

 

„Es ist unhöflich, ohne Geschenk aufzutauchen, und glaub mir, es ist sehr schwer etwas an Heiligabend für die Ministerin zu finden“, bemerkte er. „Die Kaminverbindung hätte ich nicht geschafft“, schloss er bedauernd.

 

„Malfoy… du hättest nicht- ich brauche keine Geschenke“, entfuhr es ihr stiller.

 

„Ich weiß, dass du das nicht brauchst, Granger“, benutzte er ihren alten Nachnamen mit gewisser Nachsicht. „Aber es geht nicht wirklich darum, ob du es brauchst.“ Sie spürte die Hitze in den Wangen. Er war hier. Er war tatsächlich aufgetaucht.

 

„Möchtest… möchtest du mit Mr. Holden und mir essen?“, fragte sie scheu.

 

„Madame, ich kann in meinem Zimmer-“

 

„-Mr. Holden, ich bitte Sie. Es ist Heiligabend. Sie müssen nicht alleine essen!“, unterbrach Hermine kopfschüttelnd.

 

„Sehr wohl, Madame. Mylord“, ergänzte er Richtung Malfoy, und sie betrachtete ihn. Gut sah er aus. Aber… das war keine Neuigkeit.

 

„Richtig, der neue Titel. Passt zu dir“, ergänzte sie mit einem Lächeln.

 

„Mhm“, bemerkte er eindeutig. „Ich würde dir raten, still zu sein“, ergänzte er, und ihr Herz schlug schneller. Hier in ihrem Haus lästerte niemand, niemand urteilte. Und damit sie was zu tun hatte, häufte sie essen auf drei Teller, und tatsächlich verlief es so zivilisiert, wie sie es sich niemals vorgestellt hätte. Mr. Holden erzählte auf Malfoys Drängen hin von sich, seiner Arbeit, wie es ihm hier gefiel. (Es gefiel ihm gut, Hermine war erleichtert.) Und dann, nach dem Essen, verabschiedete sich Mr. Holden und wünschte ihnen einen schönen Abend.

 

Sie und Malfoy verblieben in der Küche, und es trat Stille ein.

 

„Danke, für die Einladung“, sagte er schließlich.


„Danke, dass du gekommen bist“, erwiderte sie scheu.

 

„Hör zu, ich schulde dir… eine Entschuldigung. Die Dinge, die ich zu dir gesagt habe-“, begann er, aber sie hob die Hände.

 

„-es ist ok. Ich… brauche keine Entschuldigung. Ich war auch nicht nett zu dir. Ich habe mich falsch verhalten, ich hätte-“

 

„-ich wollte dich nicht verletzen, ich-“

 

„-schon gut“, beendete sie das unangenehme Gespräch. „Wie geht es Scorpius?“, wechselte sie das Thema, und er atmete aus.

 

„Er… hat sich angezogen, nachdem er deinen Brief gelesen hat, und wollte zu Rose.“

 

„Gut“, erwiderte sie nickend.

 

„Denkst du, es renkt sich ein?“, fragte er schließlich, und sie zuckte die Achseln.

 

„Ich hoffe doch“, schloss sie. „Aber… wer weiß das schon.“

 

„Ich hätte noch eine Frage“, sagte er dann, und sie hob den Blick. „Bin ich hier aus Mitleid, damit ich nicht alleine sein muss oder hast du… andere Pläne?“ Sie blinzelte verblüfft.

 

„Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob du kommen würdest“, log sie jetzt. „Und ich hatte garantiert keine Hintergedanken“, log sie erneut. Er betrachtete sie prüfend.

 

„Politiker sollten besser lügen können, oder nicht?“, wollte er scheinheilig wissen, und mit roten Wangen senkte sie den Blick. Sie hatte schon jetzt zu viel Wein getrunken, stellte sie fest. „Du hast geschrieben, du hast Gefühle für mich“, wiederholte er ohne Scheu, ohne Scham die Worte, die sie mit zitternder Feder verfasst hatte – denn sie war vieles, aber feige war sie nie gewesen.

 

„War das eine Frage?“, entkam es ihr, denn seine Stimme war am Ende des Satzes nicht hochgegangen.

 

„Nein“, erwiderte er. „Ich… wollte es nur noch mal aussprechen.“

 

„Aha“, machte sie nervös. „Du hast ein Geschenk für mich?“, fragte sie ihn jetzt, denn sie war noch immer nicht betrunken genug, und so nüchtern hatte sie nicht über irgendwelche Gefühle sprechen wollen. Er erinnerte sich an seine Tasche, erhob sich und holte sie vom Tresen. Es war das erste Mal, dass Hermine in der Küche gegessen hatte, aber es gefiel ihr besser, als das förmliche Esszimmer, und gespannt wartete sie, was er für sie hatte.

 

Das Geschenk war schmal und sehr bunt verpackt. Stirnrunzelnd hob sich ihr Blick.

 

„Sehr farbenfroh“, bemerkte sie.

 

„Nicht meine erste Wahl“, erwiderte er entsprechend trocken. Sie zerriss das Papier und stockte. Langsam hoben sich ihre Mundwinkel, als sie die Box in den Händen wog.

 

„Sehr geschmackvoll, Malfoy“, entkam es ihr grinsend.

 

„Ich weiß. Ich hatte stets ein Händchen für sensible, auserwählte Geschenke“, machte er sich lustig, und sie öffnete den Deckel. Noch war der Liebeszauber nicht aktiviert. Noch war kein Zauber gesprochen worden, um die Box überhaupt zu manipulieren und umzuwandeln. Im Innern lag die olivgrüne Krawatte, und Hermine senkte lächelnd den Blick. Dann wurde ihr etwas anderes klar.

 

„Du warst in der Winkelgasse?“, stellte sie verblüfft fest. „Und… George war noch da?“ Sie begriff, was sie da sagte. „Und er hat dir überhaupt aufgemacht?!“, ergänzte sie ungläubig. Malfoy lächelte leicht.

 

„Gerade eben so. Netter Kerl“, bemerkte er. Soweit sie wusste, hatte George auch seine Probleme mit Lavender, so erzählte es Harry zumindest.

 

„Was möchtest du mir damit sagen?“, entfuhr es ihr, mit prüfendem Blick auf die Box, und sein Grinsen vertiefte sich.

 

„Gar nichts weiter“, entgegnete er süffisant. Sie spürte die Röte in den Wangen. „Hermine, es tut mir leid“, sagte er plötzlich, und ihr Vorname verwirrte sie zutiefst aus seinem Mund.

 

„Was-?“

 

„-was ich gesagt habe. Es war absolut abscheulich.“

 

„Ich habe es nicht ernst genommen“, sagte sie still. „Nun, zunächst schon. Und dann… war ich wieder normal und wusste, dass… ich nicht fair zu dir war, und… das ich selber das falsche gesagt habe.“ Er wirkte etwas gequält. „Wie geht es dir?“, fragte sie dann. „Ich meine-“

 

„-es geht mir gut“, sagte er. „Das mit Lucius habe ich noch nicht angefangen aufzuarbeiten und es läuft nebenher. Ich… habe mich noch nicht damit auseinandergesetzt. Das mit Emily war… ein so offensichtlicher Fehler, dass ich froh bin, relativ unbeschadet aus der Sache raus zu sein. Das mit meiner Mutter, der Presse und all dem anderen Scheiß – das ist schwerer“, schloss er ernst. „Wie geht es dir?“

 

Ihr Blick fiel nachdenklich. „Rose ist ausgezogen, redet wieder mit Ron, nicht mit mir“, begann sie bitter. „Desmond hält mich für eine Hure, und immerhin interessiert niemanden mehr der Massenausbruch in Askaban, wo wir doch wesentlich spannenderen Gesprächsstoff liefern“, zählte sie abschließend auf, und er lehnte sich entspannt zurück. „Möchtest du noch ein Glas Wein?“, fragte sie schließlich, und er ruckte mit dem Kopf.

 

„Habe ich nichts gegen“, erwiderte er neutral. „Du siehst sehr gut aus.“

 

„Ich weiß, Malfoy“, erwiderte sie eindeutig, und er erhob sich von seinem Platz, ehe sie neuen Wein einschenken konnte.

 

„Gut, dass dein Ego nicht gelitten hat“, sagte er, blieb vor ihr stehen, ergriff ihre Hand und zog sie vom Stuhl in die Höhe. Nervös stand sie vor ihm, und barfuß war sie noch kleiner, als sonst schon. Sie legte den Kopf weit in den Nacken. „Hast du… dir das hier gut überlegt?“, wollte er rauer von ihr wissen, und automatisch schüttelte sich ihr Kopf.

 

„Nein“, gestand sie still.

 

„Gut“, bestätigte er seufzend. Sie schluckte schwer, denn sein Kopf senkte sich. Ihre Augen fielen zu, als seine Lippen ihren Mund verschlossen. Es war ein kurzer Kuss und schon löste er sich von ihren Lippen. „Sicher?“, raunte er, und ihr Herz jagte, bevor sie in seinen Nacken griff und ihn näher zog. Sofort öffneten sich seine Lippen unter ihren, und sie drängte sich enger gegen ihn.

 

Es waren so harte Wochen gewesen, und das hier fühlte sich einfach nur unglaublich an. Seine Worte hatten ihr mehr zugesetzt, als sie sich jemals eingestehen wollte. Und sie hatte gemerkt, dass nur er es konnte. Nur er schaffte es, dass sie tatsächlich an sich zweifelte, dass sie sich überhaupt interessierte, was jemand von ihr hielt. Nur bei ihm war es wichtig gewesen.

Und sie hatte gemerkt, ihm wollte sie wichtig sein. Seine Meinung wollte sie hören. Und sie wollte, dass er sie wollte. Denn sie wollte ihn.

 

Seine Hände griffen in ihre Taille, brachten sie enger an ihn, und sie konnte kaum fassen, dass sie das tatsächlich taten. Aber egal, wie sie es drehte und wendete – alles kam immer wieder auf ihn zurück. Jede Nacht, wenn sie alleine war, dachte sie an ihn. Nur an ihn. Sie griff in seinen Pullover, wollte mit ihm verschmelzen, und er stöhnte in ihren Mund.

 

„Wollen… wir hoch?“, murmelte sie, zwischen zwei Küssen, und er löste sich von ihr.

 

„Willst du das?“ Seine Stimme war so tief, so rau. Sie sah ihn an.

 

„Ja“, bestätigte sie. „Ich will dich“, ergänzte sie, und er ergriff ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren und sie verließen die Küche. Ihre Knie waren weich, sie konnte kaum aufhören zu lächeln, und wieder hielt er inne, nur um sie noch einmal zu küssen.

 

Sie standen auf dem Flur, ihre Füße wurden langsam kalt, und dann klopfte es laut an die Tür. Sie fiel zurück auf die Fersen, ein wenig enttäuscht, ein wenig gereizt.

 

„Wer klopft so spät?“, wollte er unwirsch wissen, und sie verzog den Mund.

 

„Wahrscheinlich der Wachdienst“, vermutete sie ungeduldig.

 

„Kannst du ihn nicht-?“, begann er, aber es klopfte lauter.

 

„Hermine?“, vernahm sie die dumpfe Stimme. „Hermine!“, rief sie wieder, und sie sah ihn an. Draco runzelte die Stirn, und beide erreichten die Tür mit schnellen Schritten. Sie öffnete sie zügig, und der Wachdienst hielt Scorpius am Kragen fest.

 

„Madame, verzeihen Sie, der junge Mann sagt, er hätte das Recht hier zu sein?“ Hermine hatte alle Besucherrechte revidiert. Im Moment durfte niemand hier sein. Nur die Angestellten. Und ihre Eltern, die aber zurzeit eine angenehme Südseekreuzfahrt unternahmen. Scorpius blickte von ihr zu seinem Vater. Und Hermine nickte schließlich.


„Sicher. Ja, er… darf reinkommen“, schloss sie. „Danke, Earl“, ergänzte sie, und der Wächter ließ Scorpius los, tippte sich an seine Mütze, und sie war froh und dankbar, dass einige Leute hier Schichtarbeit übernahmen und ihr Haus sicherten. Sie verschloss die Tür wieder.

 

„Scorpius, was ist passiert?“, wollte Draco besorgt wissen, und sie erkannte, Scorpius hatte geweint.

 

„Sie will mich nicht“, sagte die gebrochene Stimme des Jungen. „Und sie hat ihn eingeladen. In den Fuchsbau“, ergänzte er, und er sah sie jetzt an.

 

„Wen?“, entkam es ihr tonlos.

 

„Troy. Troy Ferrars“, erwiderte Scorpius unglücklich. Ihre Tochter war unfassbar dumm.

 

„Scorpius, es tut mir so leid“, sagte sie bedauernd.

 

„Es ist alles meine Schuld“, murmelte er, schüttelte den Kopf, und Tränen fielen auf seine Wange, und nein, sie waren keine Freunde, aber Hermine kannte den Jungen so lange, und sie verstand nicht alle Dinge, die ihn bewegten, aber sie war ihm beinahe dankbar, dass er seine Zeit darauf verschwendet hatte, sie und seinen Vater näher zu bringen, dass sie ihm für heute seine restlichen Unzulänglichkeiten verzieh. Sie schloss den Abstand und zog ihn umstandslos in ihre Arme.

 

Einfach so. Ohne Erpressung. Er schluchzte jetzt, und so standen sie hier. Die Verstoßenen. Die Außenseiter. Auch Draco umarmte seinen Sohn von hinten, und eine Weile standen sie still im Flur, bevor Hermine die Umarmung beendete. Scorpius wischte sich über die Augen.

 

„Möchtest du blieben? Es gibt Essen in der Küche“, ergänzte sie. Scorpius ruckte mit dem Kopf.

 

„Danke“, murmelte er. „Ich schaffe es allein. Gut, dass du hier bist“, sagte er dann, in Richtung seines Vaters. „Immerhin bin ich für irgendetwas gut“, ergänzte er geknickt und ging Richtung Küche.

 

„Scorpius, gib ihr Zeit“, sagte sie bloß, und wusste nicht, ob es stimmte, ob es ein guter Ratschlag war. Er wandte den Blick.

 

„Ich glaube nicht, dass es Zeit ist, was sie will, Hermine. Du hast Recht gehabt. Ich war ein Arschloch und ich habe sie verloren.“

 

„Scorpius“, sagte sie mitfühlend.

 

„Ich habe es versucht.“ Es war wirklich traurig. Es tat ihr tatsächlich leid. Für ihn, für seinen Sohn. Für all die Jahre, die Rose ihr zur Hölle gemacht hatte, weil sie immer nur Scorpius gewollt hatte. Vielleicht… war ihre Tochter endlich aufgewacht. Nur wusste Hermine nicht, ob das die richtige Entscheidung war, die Rose traf. Kurz tauschte Hermine einen Blick mit Draco. „Schon gut. Ich will nicht reden.“ Scorpius schien ihre Gesellschaft nicht zu wollen. „Aber ich freue mich für euch“, ergänzte er dann. „Ehrlich“, schloss er mit einem traurigen Lächeln. Und fast lächelte Hermine.

 

Er und Rose hatten nie zusammen gepasst. Und als Scorpius um die Ecke verschwunden war, ergriff sie langsam seine Hand. „Armer Scorpius“, sagte sie schließlich.

 

„Ja“, bestätigte er, aber sein Daumen rieb bereits sanfte Kreise auf ihrem Handrücken. „Er ist ein großer Junge. Er wird es schon schaffen. Ich rede morgen mit ihm“, schloss er, und Hermine schämte sich minimal dafür, dass ihr Scorpius nur mäßig leid tat und sie nicht erwarten konnte, hochzugehen.

 

Morgen würde sie mehr Mitleid mit Scorpius haben. Heute… heute nicht.

 

22.

 

Es war unbeschreiblich. Sie zu spüren, ihren Körper unter seinem, sie tatsächlich zu besitzen, und fast war es wie ein Traum, an dessen Erfüllung er kaum noch geglaubt hatte. Immer wieder küsste er ihre Lippen, genoss ihr leises Stöhnen unter sich, und wollte nicht, dass es aufhörte.

Ihr Körper bog sich nach hinten, ihr Kopf fiel zurück, und sie stöhnte seinen Namen. Grinsend leckte er über ihren Hals, nahm sie härter, und liebte, dass sie seinen Nachnamen sagte.

Er kam nicht, wollte nicht, denn er wollte nicht, dass es endete. Ihr Atem ging schnell und völlig entspannt lag sie unter ihm.

 

„Bist du nicht…?“, fragte ihre zufriedene Stimme, aber er schüttelte bloß den Kopf.

 

„Oh nein. Auf keinen Fall“, sagte er rau, genoss die Röte in ihren Wangen, und ihre Mundwinkel hoben sich müde.

 

„Schade“, erwiderte sie. „Dann werde ich mich kümmern müssen“, fuhr sie lächelnd fort, und alleine die Aussicht, dass sie sich kümmern wollte, schickte Schauer der Erregung seine Wirbelsäule hinab. Sie schob sein Gewicht von sich, und er zog sich aus ihr zurück, rollte neben sie und sah sie abwartend an.

„Ich habe ein sehr großes Badezimmer, Malfoy“, begann sie zwinkernd. „Wie wäre es, wenn wir das Pool-Date fortführen, was wir… damals unterbrochen haben?“, schlug sie abwartend vor, und er betrachtete sie eine Spur ungläubig.

 

„Es ist nach zwölf“, bemerkte er bloß.

 

„Und?“, erkundigte sie sich tatsächlich verständnislos.

 

„Bist du nicht müde?“, wollte er wissen, tat es ihr aber gleich und erhob sich schließlich. Ihr Blick wanderte über seinen Körper, und er mochte, dass sie rot wurde, wenn sie ihn ansah.

 

„Auf keinen Fall“, wiederholte sie seine Worte. „Hast du Lust?“, ergänzte sie, und er kam näher, schloss den Abstand und zog ihren nackten Körper in seine Arme.

 

„Seit wann stellst du solche dummen Fragen, Granger?“, wollte er wissen, und sie lächelte jedes Mal, wenn er ihren Mädchennamen benutzte.

 

„Ok“, sagte sie, zog ihn mit sich, und er staunte nicht schlecht über das lächerlich große Badezimmer mit zwei Duschen und einer eingelassenen Wanne. Es war mäßig warm, das Feuer im kleinen Ofen fast heruntergebrannt, aber eilig legte sie Holz nach. Dann öffnete sie die Hähne und langsam füllte sich die Wanne. „Vielleicht würde eine Abkühlung helfen, während wir warten?“, schlug sie vor, schob ihn in Richtung der Duschen, und er ließ sich von ihr gegen die Wand drücken.

 

Sie betätigte den Hebel, und lauwarm begann das Wasser auf sie nieder zu regnen. Er kämmte sich die Haare mit beiden Händen über seinen Kopf zurück, und irgendwas schien diese Geste in ihr auszulösen, denn sie schloss den Abstand, ging auf die Zehenspitzen und griff in seinen Nacken. Er kam ihr für den Kuss entgegen, atmete sie ein, und Wasser perlte über ihre Gesichter. Ihre Hand griff ungeniert tiefer, umfasste seinen Schwanz, und er ließ sie an ihm arbeiten. Seine Augen waren längst geschlossen, sein Atem flachte ab, und er durfte einfach nur nicht –

 

- sie ging vor ihm auf die Knie, und er sah seine Beherrschung rapide schwinden. Allein der Blick aus ihren Augen, Wimpern tief, Wangen herrlich rot, war schwindelerregend.

 

„Nur… ein Vorgeschmack“, machte sie eine sehr zweideutige Anspielung, und er hielt die Luft an, als sie seinen steinharten Schwanz in ihren Mund saugte.

Da war nichts unschuldiges mehr zwischen ihnen. Nichts halbherziges, keine Grauzone mehr. Er gehörte verdammt noch mal ihr, wenn sie es wollte. Sein Kopf fiel zurück gegen die Fliesen, und er versuchte, ruhig zu atmen, während sie ihn nicht nur mit ihren Lippen bearbeitete, sondern ihre Hand anfing zu pumpen. Seine Handflächen stützten sich gegen die Wand ab, und er betete, dass die verdammte Wanne gleich voll wäre!

 

Lange hielt er nicht mehr aus. Dass er überhaupt noch denken konnte, war ein verfluchtes Wunder. Sie nahm ihn tiefer auf, und grollend biss er die Zähne zusammen.

 

„Fuck“, entkam es ihm hilflos, und er konnte nicht anders, als seine Hüfte zu bewegen, sich in ihren Mund zu schieben, und magischerweise nahm sie ihn noch tiefer auf – und Merlin!

 

Hastig griff er in ihre Haare, zog ihren Kopf sanft zurück. „Warte!“, keuchte er, und sein Schwanz pulsierte protestierend. Sie schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln, und er wollte sie jetzt sofort! Er zog sie hoch, verschlang ihre Lippen übergangslos, und seine Zunge drang fordernd in ihren Mund. Mit ihr fühlte er sich… als wäre er achtzehn. Höchstens. Es fühlte sich absolut unglaublich an. Wie etwas, was er eigentlich niemals hätte haben dürfen – so verboten gut war es.

Schwer atmend beendete er den Kuss. Verdammt gerne würde er hinter sie treten, sie gegen die Fliesen pressen und sie von hinten nehmen, aber bedauerlicherweise war er viel zu groß und sie viel zu klein. Aber er erkannte, dass die Wanne gefüllt war. Sie folgte seinem Blick, ergriff seine Hand, und er folgte ihr ungeduldig.

 

Sie drehte die Hähne aus, testete das Wasser mit der Hand und dann stiegen sie die flachen Stufen hinab. Kaum standen sie in der Wanne, und es war eine verdammte tiefe Wanne, zog er sie wieder an sich, küsste sie in der betäubenden Hitze und zog sie mit sich zum Rand. Hier konnte er seine Fantasie verwirklichen, stellte sich ohne Worte hinter sie, und ungeduldig umfasste sie den Rand der Wanne, beugte ihm praktisch unter Wasser ihr Hinterteil entgegen, und er schloss den Abstand, umfasste seinen Schwanz, nur ihren Eingang in der Hitze mühelos zu finden, sie zu teilen, und tief rammte er sich in sie, griff dann mit beiden Händen um ihre geschwungene Taille, und das Wasser schwappte geräuschvoll gegen den Rand. Ihr Kopf bog sich nach hinten, sie presste ihren Hintern härter gegen seine Bewegung, und hart griffen seine Finger in ihr Fleisch, als er schneller wurde, sie härter nahm, und wieder stöhnte sie seinen Namen. Diesmal hielt er sich nicht zurück, beherrschte sich kein Stück und kam mit einem lauten Stöhnen, rammte sich so tief in sie, mit so einer Wucht, dass das Wasser über den Rand lief, und dann sank er vorn über, musste sich kurz besinnen, denn Punkte tanzten vor seinen Augen.

 

Erschöpft wich er zurück, ließ sich zurück treiben an den gegenüberliegenden Rand, und müde folgte sie ihm. Er setzte sich auf die Steinbank und sie sank neben ihn. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und er legte seine Arme hinter sich auf den Rand.

 

„Verdammt gute Idee“, entkam es ihm schwer atmend.

 

„Ja“, bestätigte sie zufrieden.

 

Sie saßen noch eine ganze Weile in der Wanne, sprachen nicht, entspannten, hingen ihren Gedanken nach, und als sie das erste Mal gähnte, neigte er den Kopf und küsste ihren Haaransatz.

 

„Lass uns schlafen“, sagte er, und sie nickte nur noch.

 

„Ok.“ Sie stiegen Hand in Hand aus der Wanne, ließen das Wasser ab, und wickelten sich in weiche Handtücher. Viel mehr brauchte er ohnehin nicht. Er hatte keine Schlafsachen dabei, denn auf keinen Fall hatte er anmaßend sein wollen. Sie trocknete ihre Haare mit Zauberstab, zog sich einen Pyjama über und dann stiegen sie gemeinsam wieder ins Bett. Er deckte sie mit der breiten Decke zu, zog sie wortlos in seine Arme, und sie kuschelte sich an ihn.

 

„Draco?“, hörte er ihre träge Stimme, und seine Mundwinkel zuckten. Er mochte es noch viel lieber, wenn sie seinen Vornamen sagte, stellte er fest.

 

„Mh?“, machte er.

 

„Ich… liebe dich“, sagte sie, nach kurzem Zögern, und sanft malte sein Daumen Kreise auf dem seidigen Stoff des Pyjamas, und kurz runzelte sich seine Stirn.

 

„Ich liebe dich auch“, erwiderte er, ohne großartige Zweifel, ohne wirklich nachzudenken. Er spürte ihr Lächeln gegen seine Brust.

 

„Ok“, sagte sie schläfrig.

 

„Ok“, wiederholte er lächelnd.

 

~*~

 

Der Morgen kam, und selten war sie so wund gewesen. Alles schmerzte. Es war eine andere Art von Sport, stellte sie erschöpft fest. Er schlief noch, den Kopf ins Kissen vergraben, und gerne würde sie sein Handtuch lüften, um in seinen Po zu beißen. Oder irgendetwas anderes kindisches. Ihr Herz schlug laut bei diesem Gedanken. Stattdessen lehnte sie sich über ihn und küsste seinen bloßen Rücken.

 

„Mhhhh“, machte er, mehr oder weniger ablehnend.

 

„Aufstehen“, sagte sie dann. „Frohe Weihnachten“, ergänzte sie lächelnd, und er hob den Kopf aus dem Kissen. Seine Haare waren unordentlich, die Augen sehr schmal.

 

„Frohe Weihnachten“, raunte er unverständlich. „Komm her“, entschied er dann, zog sie in seine warme Umarmung, aber sie wehrte sich lachend.

 

„Ich muss aufstehen. Es ist kein Personal hier, und dein Sohn hat einen sehr gesunden Appetit“, erinnerte sie ihn. Sie hörte ihn stöhnen.

 

„Er kann sich selber was machen“, bemerkte er schlecht gelaunt.

 

„Draco-“, widersprach sie, und endlich ließen seine Arme von ihr ab.

 

„-dann geh. Lass mich zurück“, sagte er theatralisch, und sie schlug ihm sanft gegen den Arm. „Ich komme nach“, gab er ihr ein gefährliches Versprechen, denn seine Augen hatten sich wieder geschlossen.

 

„Das wäre besser. Sonst schicke ich Mr. Holden“, warnte sie ihn.

 

„Mr. Holden könnte sich glücklich schätzen“, brummte er tatsächlich noch ins Kissen, und kopfschüttelnd verließ sie das Schlafzimmer. Sie zog sich in ihrem Ankleidezimmer an, verzichtete auf zu kurze Kleider, sondern entschied sich für eine Jeans und eine Bluse. Sie erwartete heute nicht viel.

Im Bad machte sie sich frisch, legte noch einen Reinigungszauber auf die Wanne, und ihre Wangen wurden heiß als sie an die letzte Nacht dachte.

Sie fühlte sich gut, fühlte sich frei, und sie schämte sich nicht.

 

Bis sie in die Küche kam. Scorpius trank bereits Tee, war angezogen, und schenkte ihr einen sehr eindeutigen Blick.

 

„Was?“, erwiderte sie sofort kampfbereit, denn er sollte gar nicht so tun! Gerade er! Sein Blick fiel demonstrativ auf Dracos Geschenk, was sie gestern hier vergessen hatte. Und trotz der tieferen Röte auf ihren Wangen, hielt sie seinem Blick stand.

 

„Frohe Weihnachten, Hermine“, bemerkte Scorpius mit erhobener Braue, und Hermine holte sich eine Tasse aus dem Schrank.

 

„Frohe Weihnachten, Scorpius“, erwiderte sie dann. „Wie geht es dir?“, wollte sie vorsichtig wissen, denn ihm ging es wahrscheinlich eher bescheiden.

 

„Nicht gut“, antwortete er wahrheitsgemäß.

 

„Rose ist dumm“, entschied Hermine achselzuckend zu sagen. „Ich denke, sie wird wieder zur Vernunft kommen. Soweit ich mich erinnere, war sie dir nie böse. Wegen gar nichts“, ergänzte sie fast bitter.

 

„Sollte sie vielleicht sein“, entgegnete ihr Schwiegersohn tatsächlich einigermaßen reflektiert.

 

„Was?“

 

„Ich denke, Rose hat Recht. Und es war das tausendste Mal, dass ich mich falsch verhalten habe, und vielleicht ist das der Preis“, stellte er nüchtern fest. Sie goss sich Tee ein und machte sich daran, eine magische Aufbackmischung aus dem Vorrat zu holen. Sie entfachte Feuer im Ofen und aus der magischen Kühlung holte sie etliches an Aufschnitt, sauber und ordentlich von Madame Lorrard verpackt.

 

„Scorpius-“, begann sie, aber er schüttelte den Kopf.

 

„-es ist ok. Ich… brauche Zeit. Ich sollte in mich gehen, lernen, kein Arschloch zu sein.“ Er klang ziemlich betrübt.

 

„Du bist kein Arschloch“, sagte sie stiller. Sein Blick traf sie prüfend.

 

„Ich möchte keins mehr sein, also… werde ich gehen“, schloss er sachlich.

 

„Gehen? Wohin?“, entkam es ihr. Er reichte ihr die Unterlagen, die er studiert hatte. „Italien?“, entfuhr es ihr.

 

„Dad hatte es mir angeboten, hatte gesagt, eine Versetzung wäre möglich.“ Er betrachtete nachdenklich den Ofen, der langsam aber sicher einen wunderbaren Geruch verströmte.

 

„Du willst ernsthaft nach Italien?“

 

„Warum nicht?“, erwiderte er.

 

„Weil dein Sohn hier ist“, sagte sie dann stiller. Schmerz legte sich über sein Gesicht.

 

„Der Weg über Floh ist nicht weit“, sagte er dann. „Ich würde… jedes Wochenende für ihn kommen. Rose will mich hier nicht haben“, erklärte er. „Vielleicht will sie es nie mehr“, fuhr er fort. „Und garantiert will sie es nicht, wenn ich jeden Tag vor ihrer Tür stehe und heule.“

 

Und fast verstand sie ihn. Fast.

 

„Trotzdem musst du nicht gehen“, erwiderte sie unschlüssig.

 

„Lass es mich versuchen“, bat er sie tatsächlich.

 

„Scorpius, du kannst machen, was du willst. Ich kann mir nicht leisten, dir irgendetwas zu verbieten, dir irgendeine Meinung aufzuzwingen, weil ich es will“, stellte sie klar.

 

„Danke für deinen Brief“, sagte er plötzlich.

 

„Ich liebe dich, das weiß du, richtig?“, erklärte sie still, und er schenkte ihr ein Lächeln. Ein schönes Lächeln. „Und ich hasse dich auch“, ergänzte sie. Sein Lächeln wurde breiter.

 

„Ich dich auch, Hermine“, erwiderte er voller Zuneigung.

 

Die Tür öffnete sich, und Mr. Holden kam ins Zimmer.

 

„Guten Morgen, Madame. Mr. Malfoy“, ergänzte er in Richtung Scorpius, und Hermine schloss den Abstand und umarmte den überforderten Mann. Dieser erwiderte die Umarmung unbeholfen, und Hermine freute sich, dass er hier war.

 

„Frohe Weihnachten, Mr. Holden. Was halten Sie von Croissants?“, wollte sie lächelnd von ihm wissen, und Mr. Holden schien nachzudenken.

 

„Nun, ich konnte ihnen ehrlich gesagt noch nie viel-“

 

„-dann haben Sie leider Pech, denn etwas anderes wird es nicht geben“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd. „Setzen Sie sich“, bot sie ihm an und füllte ihm eine weitere Tasse Tee. Wieder öffnete sich die Tür. Sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Dieser schöne Mann und hatte unvorstellbare Sachen mit ihr getrieben, letzte Nacht.

„Tee?“, fragte sie ihn direkt, und er nickte, zwinkerte er ihr zu, bevor er seinen Sohn in eine knappe Umarmung zog.

 

„Frohe Weihnachten, Scor“, sagte er knapp, und sein Sohn erwiderte den Gruß.

 

Die Croissants waren fertig, und während Draco und Scorpius über Italien sprachen, teilten sich Hermine und Mr. Holden den Tagespropheten von gestern auf. Allerdings lauschte Mr. Holden dem Gespräch der Männer.

 

„Ich war noch nie in Italien, Sir“, sagte er dann. „Lohnt es sich?“ Hermine hob den Blick, als Draco nachzudenken schien.

 

„Absolut, Mr. Holden. Wunderschönes Land.“

 

„Wieso gehen wir nicht zusammen?“, schlug sie plötzlich vor.

 

„Wer?“, wollte Draco spöttisch wissen. „Du, Mr. Holden und ich?“ Hermine sah ihn demonstrativ an.

 

„Warum nicht? Über Neujahr? Ich denke, niemand vermisst uns großartig hier?“, ergänzte sie eindeutig, und Draco schien nachzudenken.

 

„Oh nein, Madame – ich könnte nicht-“, begann Mr. Holden, aber Hermine unterbrach ihn wieder.

 

„-warum nicht? Was verpassen Sie? Wir holen einen zusätzlichen Wächter, der die Ländereien kontrolliert, das Haus – und wir machen einen kleinen Urlaub?“ Sie wusste nicht, inwieweit man seine Angestellten mit in Urlaub nehmen konnte, aber sie sah darin kein Problem.

 

„Madame, ich weiß nicht-“

 

„-wäre es nicht möglich?“, wandte sie sich an Draco, und dieser sah sie nachdenklich an.

 

„Sicher. Wir… haben ein Haus in Venedig. Es ist genug Platz.“ Sie verdrehte die Augen über seine selbstverständlichen Worte.

 

„Ihr habt überall Häuser“, bemerkte sie kopfschüttelnd. Er hob die Augenbrauen.

 

„Ja, und für Momente wie diesen ist es durchaus praktisch, nicht wahr?“, entgegnete er, und sie musste lächeln.

 

„Ok. Dann fahren wir nach Italien“, entschied sie achselzuckend.

 

Sie aßen, planten, und Mr. Holden war vollkommen aus dem Häuschen, wollte bereits heute seine spärlichen Sachen packen, und sie mochte, dass sie ihm eine Freude machen konnte. Scorpius war still, aber er schien nicht abgeneigt zu sein.

Hermine räumte ab, und tatsächlich erhob sich Draco, um ihr zu helfen. Immer wieder streifte seine Hand ihre, berührte sein Körper ihre Seite, und es spielte ein ständiges Lächeln um seine Mundwinkel.

 

Dann ertönte die Glocke der Tür, und Hermine tauschte einen knappen Blick mit ihm.

 

„Erwarten wir Besuch?“, wandte sie sich an Mr. Holden, der sich sofort erhoben hatte.

 

„Nein, Madame. Dann wiederum tauchte Besuch hin und wieder einfach so mal auf“, bemerkte er mit Blick auf die Männer in ihrer Küche, und Hermine folgte ihm. Sie hielt nichts davon, Menschen warten zu lassen, während das Personal sie vertrösten musste.

 

Und tatsächlich war eine kleine Menschenansammlung vor ihrer Haustür. Harry und Ginny vorne weg, im Schlepptau die Kinder – und zwar alle Potters. Auch James und eine winkende Darcy. Überrascht weiteten sich ihre Augen.

 

„Was… was treibt ihr hier?“, wollte sie entgeistert wissen, und bedeutete dem Wächter, dass es in Ordnung war. Ginny schob sich hinein, trug auf ihren Händen einen riesigen Vogel, in Folie geschlagen, und scheinbar planten sie, länger zu bleiben.

 

„Wir können dich unmöglich alleine Weihnachten feiern lassen. Mum und Dad feiern mit Ron und Rose und Corvus – und anscheinend dem Jungen namens Troy“, ergänzte sie vielsagend, und Hermine verdrehte die Augen. „Und deshalb sind wir hier. Nicht wahr?“ Sie wandte sich herrisch an ihre Kinder, und Albus und Lily umarmten sie gleichzeitig, während James Darcy den Vortritt ließ.

 

„So schön, dich zu sehen!“, rief ihre Assistentin. „Fröhliche Weihnachten!“

 

„Frohe Weihnachten, Darcy“, erwiderte Hermine verblüfft, wurde umarmt, und dann führte sie alle in den bequemeren Salon.

 

„Hermine, wie viele Zimmer sind das?“, wollte sie schockiert wissen.

 

„Ahem…“, machte Hermine, denn sie wusste es ehrlich gesagt nicht.

 

„38, Mrs Potter“, half Mr. Holden ihr aus, und Ginny nickte anerkennend.

 

„Nicht schlecht, wirklich.“ Die Tür zum nächsten Zimmer öffnete sich, und sehr kurz entstand eine angespannte Pause. „Oh“, machte Ginny dann schließlich, und Mr. Holden nahm ihr den Vogel ab, um ihn in die Küche zu bringen.

 

„Draco und Scorpius sind hier“, stellte Hermine das offensichtliche fest.

 

„Wir werden gehen“, sagte Draco dann, und Hermine kam sofort auf ihn zu.

 

„Ihr müsst nicht gehen“, entfuhr es ihr sofort. „Warum solltet ihr?“

 

„Hermine-“

 

„-ich möchte nicht, dass du gehst“, unterbrach sie ihn ernst. Kurz lächelte er. Sie hielt seinem Blick stand. Sie schämte sich nicht.

 

„Ok“, schloss er dann ergeben.

 

„Ok“, wiederholte sie, und es erinnerte sie an ihre Geständnisse der letzten Nacht. Sie liebte ihn. Er liebte sie. Ihr Herz schlug schneller. Harry räusperte sich, und wieder kam ihr das zwanghafte Sozialverhalten in den Sinn.

 

„Frohe Weihnachten, Malfoy“, begrüßte er ihn. „Bitte, fühlt euch nicht gehalten unseretwegen zu gehen. Wir sind die Eindringlinge hier“, ergänzte er lächelnd. Scorpius trat neben sie, unschlüssig, was er tun sollte, und Hermine legte ihm die Hand auf die hohe Schulter.

 

„Hey“, begrüßte Albus ihn tatsächlich, und sie nahm an, er war von Harry eingenordet worden.

 

„Hey“, erwiderte Scorpius wenig eloquent, etwas beschämt. „Tut mir leid wegen damals“, rang er sich ab.

 

„Mir auch“, sagte Albus betreten.

 

„Na dann“, kürzte Harry dieses unangenehme Gespräch ab. „Wie wäre es, wenn wir diesen Tag beginnen?“, schlug er vor, und Hermine lächelte. Vielleicht war alles nicht ganz so tragisch. Ginny schenkte ihr einen durchdringenden Blick, schien ein dringendes Gespräch mit ihr zu suchen, denn Hermine erkannte ihre Neugierde auch von hier.

 

Und beinahe vorsichtig ergriff sie Dracos Hand, bevor sie den Rücken durchstreckte. „Dann lasst uns in den Salon gehen“, sagte sie, und die Familie folgte ihr.

 

Es würde schon werden.

 

~*~

 

Draco und Scorpius hatten sich schließlich verabschiedet, wollten nicht länger stören, und Scorpius wollte packen. Hermine und Draco würden ebenfalls nachkommen, nur noch nicht morgen. Die Potters hatten sich gut mit den beiden Malfoy-Männern verstanden, was Hermine sehr beruhigte. Es waren keine unangenehmen Fragen gestellt worden, aber Hermine nahm an, die Hexenwoche hatte alle wichtigen Fragen bereits ausführlich beantwortet.

 

Es klopfte nach einer Weile erneut. Die Dämmerung war bereits über den Tag gefallen, und Hermine folgte Mr. Holden, der immer noch demütig alle Türen öffnete.

 

Der Wächter hatte wieder Besucher im Schlepptau, und Hermines Augen weiteten sich eine Spur. „Rose?“, entkam es ihr ungläubig.

 

„Mum“, sagte ihre Tochter mit belegter Stimme. „Ist… ist es ok, wenn wir hier sind?“, wollte sie unglücklich wissen, und hinter ihr erkannte sie Hugo, der verhalten winkte und eine Pflegehexe, die das Baby in dichte Decken gehüllt trug. „Ich wollte Weihnachten nicht ohne dich verbringen.“

 

Tatsächlich hatte Hermine Weihnachten noch nie ohne Rose gefeiert. Und sie war fast erleichtert, dass sie dieses Jahr nicht damit anfangen musste.

 

„Kommt rein“, bat sie die Gäste lächelnd. „Bitte“, ergänzte sie entgegenkommend. Rose schloss den Abstand und umarmte sie seufzend, und Hermine hielt ihre Tochter fest. Dann löste sich Rose, und sie traten alle nacheinander ein.

 

„Mum“, sagte Hugo versöhnlich, zog sie in eine angenehm feste Umarmung, und Hermine war so froh, ihre Kinder zu sehen. Sie strich anschließend sanft über das kleine Gesicht des Babys, aber Corvus schlief, und sie wollte ihn nicht wecken.

 

„Die Potters sind ebenfalls hier“, ergänzte sie noch, und die Gäste schienen damit kein Problem zu haben.

 

„Sonst noch wer?“, fragte Rose besorgt, sah sich knapp um, aber Hermine schüttelte den Kopf.

 

„Nein, Rose“, verneinte sie knapp.

 

„Gut. Das ist gut“, sagte ihre Tochter. „Mum, ich… wollte nicht – es tut mir leid, dass ich ausgezogen bin, aber ich konnte nicht… hier sein, wenn-“

 

„-schon gut, Rose“, lenkte Hermine eilig ein.

 

„Und dann gestern die Sache mit Scorpius – ich wusste nicht, was ich tun sollte“, fuhr sie stiller fort, und Hermine ging es nichts an. „War… war er hier?“, wollte Rose wissen, als sie in den Salon gingen.

 

„Bis vorhin, ja“, bestätigte Hermine dann.

 

„Kommt… kommt er wieder?“ Sie wusste nicht, ob Rose hoffnungsvoll oder verängstigt klang.

 

„Nein, Liebling, er…- Scorpius wird abreisen“, erwiderte sie sanft.

 

„Abreisen?“, wiederholte ihre Tochter perplex. „Wohin reist er?“

 

„Er wird etwas Zeit in Italien verbringen. Wegen… na ja, wegen allem. Und wegen deiner neuen… Errungenschaft“, bemerkte sie leiser und Roses Blick hob sich gequält.

 

„Wir… wir sind Freunde. Nicht mehr als das. Wirklich nicht.“

 

„Ach ja? Bist du sicher, Rose?“, erkundigte sie sich, und konnte nicht lassen, sich einzumischen.

 

„Ich weiß es nicht, Mum“, flüsterte ihre Tochter unglücklich. „Scorpius hat sich nicht verabschiedet! Er hat nicht-“

 

„-es ist schwer für ihn“, sagte Hermine eilig.

 

„Es ist auch schwer für mich!“, warf ihre Tochter ein, und Hermine nickte beschämt. Das war es wohl.

 

„Es tut mir leid, Liebling“, sagte Hermine aufrichtig.

 

„Mir auch, Mum“, erwiderte Rose ernsthaft. „Wann… wann kommt Scorpius wieder?“, wollte sie fast wehmütig wissen. „Was ist mit Corvus?“

 

„Er will am Wochenende nach Neujahr die Details mit dir besprechen“, ließ Hermine sie wissen, was sie selber wusste. „Damit er Corvus am Wochenende sehen kann. Er würde dann über Floh zurückkommen“, schloss sie. Rose wirkte erleichtert.

 

„Jede Woche? Er käme… jede Woche zurück?“ Hermine ahnte bereits, dass ihre Tochter Scorpius nicht lange böse sein würde. Schon jetzt wirkte sie, wie ein seltsamer Junkie auf Entzug. Hermine nickte langsam. „Gut. Wirklich gut. Ja, ich… muss mit ihm reden. Ich… weiß auch nicht…“ Hermine sah es bereits kommen, dass ihre Tochter wohl oder übel nicht ohne Scorpius überleben können würde. Sie kannte Rose mittlerweile, und ihre Tochter wollte meist haben, was sie vielleicht nicht bekommen konnte.

Vielleicht waren sie sich sogar ähnlich… Vielleicht. Hermine würde Rose auch nicht wegen Troy maßregeln. Sie konnte es sich nicht leisten.

 

„Lass uns Weihnachten feiern“, beschloss Hermine dann.

 

„Ok“, erwiderte Rose erleichtert, und Hermine legte den Arm um ihre Tochter. Es war das erste vernünftige Gespräch, seit… seit einer ganzen Weile, stellte sie fest.

 

Rose und Scorpius sollten vielleicht erstmal eine Zeit lang testen, wie es wäre, nicht zusammen zu sein, bevor sie wieder Hals über Kopf in die nächste Phase stürzten. Sie war überzeugt, dass Scorpius an dieser Erfahrung wachsen würde. Und wahrscheinlich wäre es dann eine bessere Beziehung.

Hermine vermisste Draco. Schon jetzt. Und sie freute sich über die kleine Auszeit, die sie in Italien nehmen würden.

 

Und jetzt würde sie Weihnachten mit ihrer Familie verbringen. Es musste nicht alles einfach sein. Nicht alles perfekt. Hauptsache, man hatte ein Handvoll Menschen, die einem die vielen Fehler und Unzulänglichkeiten nicht allzu lange übelnahmen.

 

Es war eine wichtige Lektion. Und plötzlich war sie dankbar für jeden Stein in ihrem Weg, für jede Entscheidung ihrer Tochter. Denn ihr Weg hatte sie zu Draco geführt. Und alle Konsequenzen nahm sie gerne in Kauf. Er war der Richtige. Sie spürte es genau, und es wurde langsam Zeit, dass sie sich wieder auf ihr Gefühl verließ.

 

Und ihr Gefühl sagte ihr, dass es am Ende gut werden würde. Egal, auf welche Weise. Und das allein war beruhigend genug.

 

Harry und Ginny umarmten Rose und Hugo, begrüßten leise das Baby, und es gab keine bösen Worte, keine Vorhaltungen – sie waren einfach eine Familie. Und viel mehr brauchte man schon nicht.

 

Hermine merkte nicht mal, dass sie immer noch lächelte. Dass sie einfach glücklich war.

 

 

– The End –