1.
~Christmas Eve~
Er verdrehte schon vorsintflutlich die Augen, denn er konnte die Wut, die
von ihr ausging, förmlich spüren.
„Das ist alles deine schuld!“, zischte sie, und als er sich entnervt
umwandte hatte sie die Arme bereits vor der Brust verschränkt, und selbst ihre
Locken wirkten angespannt.
Und er zog es vor, nicht zu antworten, während er sich wieder der Wand
zuwandte.
„Malfoy!“, sagte sie wieder, schien wohl auf eine Reaktion zu warten. Er
zählte innerlich bis fünf, ehe er ausatmete, um sich wieder umzudrehen. Es
würde ein langer Abend werden, nahm er finster an.
„Was?“, erwiderte er kompromisslos und sah sie mit erhobener Braue an.
„Was sollen wir jetzt tun?“, schnappte sie, halb panisch, halb verzweifelt.
„Granger, ich weiß es nicht“, antwortete er mit gepresster Stimme, um
unnötige Ruhe bemüht.
„Großartig!“, entfuhr es ihr bitter. „Wirklich super.“
Und er schaffte es nicht länger. Nicht länger als das. Sie machte ihn
wahnsinnig. Ihre ganze Art war so… unerträglich, so furchtbar! Nicht nur die
Tatsache, dass sie ein Schlammblut war, machte es ihm unmöglich, sie länger als
fünf Minuten am Tag zu ertragen, nein, es war auch etwas genetisches.
Vielleicht etwas, was Gryffindors ausmachte oder etwas, was alleine Töchtern
von Zahnärzten aus privilegierten Muggel-Vororten vorbehalten war. Sie besaß
eine Qualität, die ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, völlig egal, ob
sie sprach oder einfach nur atmete.
Er konnte sich nicht beherrschen. Das, was seine Eltern und die Hauselfen,
die privaten Tutoren vor der Grundschulzeit versucht hatten, in ihm zu
kultivieren, das was ihn besonders machen sollte und vom primitiven Rest zu
unterscheiden hatte, funktionierte in ihrer Anwesenheit einfach nicht.
„Weißt du, wenn du nicht hinter mir stehen würdest, um wie ein verdammtes
Miststück rumzuzetern, wüsste ich wirklich nicht, was ich den Abend über tun
sollte“, knurrte er ungehalten und erntete einen kochenden Blick aus ihren
verengten dunklen Augen, die mittlerweile vor Wut zu glühen schienen.
„Malfoy, wir sind hier eingesperrt!“, erläuterte sie ihm das
Offensichtliche. Er biss die Zähne fest zusammen.
„Granger, ich bin sicher, dass der Junge mit den goldenen Eiern und sein
Knappe ohne jedes Geschlechtsmerkmal ganz bestimmt nicht ohne deine
Maßregelungen ihren verdienten Schönheitsschlaf antreten werden, und deshalb
bin ich überzeugt, dass sie Snape persönlich aus dem Himmelbett scheuchen
werden, weil es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt, dass Peeves
dich verschleppt haben könnte, weil auch er dein Gemecker satt hatte!“
Es ging nicht. Er gab es auf. Er schüttelte fast schon den Kopf über sich.
Für gewöhnlich sprach er mit den Mädchen im Schloss kaum zwei Sätze, einfach
weil sie ihm alle zu Füßen lagen, und er überhaupt nicht den Mund aufmachen
musste! Es reichte, wenn er auf eine zeigte. Seine Wünsche wurden erfüllt, ohne
dass er sie äußern musste. Außer bei ihr. Außer bei Granger, dem furchtbarsten
Mädchen unter allen Mädchen. Vielleicht war sie überhaupt kein Mädchen.
Vielleicht war sie ein weiblicher Kröter, der sich einfach nur als Mädchen
verkleidete, um seine Lebensenergie zu verringern.
„Du beleidigst mich? Ernsthaft? Das ist alles, was dir einfällt, Malfoy?“
Seine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten. „Nein, Granger.“ Er wandte
sich in einer fließenden Bewegung um und schloss den Abstand zu ihr, mehr aus
Wut, als aus irgendeinem anderen Grund. „Nein, mir würden noch ein paar Dinge
mehr einfallen, aber leider-“, er machte eine knappe Pause und sah mit
grimmiger Zufriedenheit, dass sie unbewusst die Luft angehalten hatte, als er
näher gekommen war und sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn
anzufunkeln „-leider würde mich Snape dafür von der Schule werfen“, schloss er
finster, und sie schüttelte den Kopf über ihn.
„Am besten, wir reden gar nicht mehr“, erwiderte sie zornig, und er schlug
die Augen gen Himmel. Ihr Wort in Merlins Ohr!
„Perfekt“, knirschte er gereizt hervor und wandte sich wieder der Wand zu.
Er spürte, wie sie zornige Schritte durch den Raum machte, sich an die
gegenüberliegende Wand lehnte und übertrieben laut ausatmete. Er schloss kurz
die Augen, zählte innerlich wieder, ehe er sich zur Ruhe zwang, um wieder die
Wand zu inspizieren. Seine Hände fuhren über den kalten Stein. Aber die Tür war
verschwunden. Einfach fort. Er war sich nicht sicher, welcher Zauber auf den
Wänden lag, aber er wusste ziemlich genau, dass, wenn Granger keine Lösung
wusste, er höchstwahrscheinlich auch keine finden würde.
Mit der Faust schlug er gegen den robusten Stein. Nichts gab nach. Keine
Abnormalität. Der Stein unterschied sich nicht zum Rest der Wand des Zimmers.
Das nächste Mal, wenn er den verfluchten Geist sah, würde er den Blutigen Baron
rufen, damit dieser sich seiner kümmerlichen Überresten annehmen konnte. Draco
hasste Peeves. Draco hasste Granger. Hätte er die Patrouille heute Abend
alleine machen können, so wie es ursprünglich abgesprochen war, weil sie
verdammt noch mal niemals die Patrouille gemeinsam machten, dann wäre er
garantiert nicht hier hoch gekommen – denn wer bei Merlins Unterhose sollte
sich hier schon rumtreiben? Im höchsten Stockwerk? Und niemals wäre er auf
Peeves Spiel reingefallen, hätte sich in das verdammte Zimmer locken lassen,
nur um dann von einem Geist hier eingesperrt zu werden!
Allerdings war er sich nicht vollkommen sicher, ob der Geist den Zauber
tatsächlich kannte, der auf dem Zimmer lag, oder ob es einfach schieres Glück
gewesen war, dass die Tür ins Schloss gefallen und plötzlich verschwunden war.
Peeves hatte das Zimmer lachend durch die nackte Wand verlassen, während er und
Granger nun einen romantischen Abend zu zweit verbringen durften. Im
fensterlosen Durchgangszimmer des achten Stocks!
Er hörte sie wieder genervt ausatmen. Er schloss erneut die Augen. Verdammt
lang. Es würde ein verdammt langer Abend werden. Selbst wenn Potter und Weasley
sie vor dem Zubettgehen vermissen würden – bis dahin würden noch Stunden
vergehen.
~*~
Sie mochte einige Dinge nicht. Sie wusste, dass er sie beobachtete, auch
wenn er sie nicht direkt ansah. Sie lehnte immer noch mit abwehrend verschränkten
Armen vor der Wand und bereute die Tatsache, dass er sich zuerst gesetzt hatte
und nun mit dem Rücken an der Wand lehnte, die Knie aufgestellt. Sie spürte
langsam, wie ihre Beine schmerzten, aber sie wollte sich nicht setzen, wollte
nicht nachgeben, wollte nicht, dass er glaubte, sein Verhalten hätte auch nur
den geringsten Einfluss auf ihres. Wollte nicht, dass er dachte, sie würde sich
seiner Neigung hingeben, und ebenfalls darauf warten, dass hoffentlich Snape
eine Lösung fand. – Sollte jemand überhaupt noch heute nach ihnen suchen!
Sie mochte es nicht, beurteilt zu werden. Und erst recht nicht von ihm.
Aber genau das tat er. Seine Meinungen waren vorgefertigt. Und sie wusste, er
würde irgendeinen Kommentar ablassen, würde sie sich setzen. Es war ein
sinnloser Machtkampf, auch das wusste sie. Aber das war alles, was sie konnten.
Alleine mochten sie gemeinverträglich sein. Sie würde sogar soweit gehen, zu
sagen, dass sogar Harry sich unter gewissen Umständen, und mit viel Alkohol,
gut mit Malfoy verstehen könnte. Vielleicht war sie das Toxin, der schädliche
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, wann immer sie zusammen irgendwo
waren, aber genauso gut konnte er es sein.
Das war eine Sache, die sie niemals mit Sicherheit würde sagen können. Sie
ergänzten sich nicht, wie es die Schulsprecher vielleicht tun sollten. Der eine
war schlecht für den anderen.
Sie verwandelte sich in ein unausstehliches Monster, das jedes seiner Worte
auf eine unfaire Waagschale legte, ihm keinen Funken Anstand unterstellte, und
er gab sich auch keine Mühe, ihre Meinung über ihn zu ändern.
Und das wollte sie auch nicht. Er sollte sich keine Mühe geben, sich zu
verstellen, sein wahres, nervtötendes Ich zu verbergen. Das brauchte sie nicht.
Es gab ihr nichts. Keinen Kick. Keine Frühlingsgefühle. Denn sie war nicht
dumm. Mochte er auch genau das von ihr denken.
Es vergingen die Minuten, zäh und in angespannter Stille. Sie glaubte, wenn
sie nur lange genug stehen blieb, die Motivation nur lange genug
aufrechterhielt, würde sich etwas ändern. Irgendeine Idee würde ihr kommen.
Sobald sie sich setzte, hätte sie aufgegeben.
Noch mehr Minuten vergingen, und ihre Oberschenkel ziepten bereits. Sie
würde schätzen, dass mittlerweile eine Stunde vergangen war. Sie waren zu weit
oben, um zu schreien und gehört zu werden. Vor allem bestand das Problem darin,
dass sie durch eine dicke Steinwand vom Rest des Schlosses abgetrennt waren.
Sie hatte ihr Gehirn bereits durchforstet, ob in der Geschichte von Hogwarts
irgendetwas über ein magisches Zimmer gestanden hatte, das ahnungslose Schüler
verschluckte und einsperrte.
Sie hatten jeden Schulbuchzauber ausgeführt, hatten versucht, den Stein zu
sprengen, die Materie zu verwandeln, jede Umkehrfluch benutzt, der ihnen in den
Sinn gekommen war, bis sie sich eingestehen mussten, dass es aussichtslos war.
Sie nahm nicht an, dass sie hier drinnen verdursten würden, aber sie ging stark
davon aus, dass heute Abend niemand mehr nach ihnen suchen würde, auch wenn
Malfoy Harry gerne eine 24-Stunden-Sorge unterstellte, so stimmte es nicht. Und
heute garantiert nicht. Es war Heiligabend. Es fand eine geheime
Weihnachtsparty in den Gemeinschaftsräumen statt, und niemand würde nach genügend
Feuerwhiskey noch den Mut besitzen, Snape aufzusuchen, um noch eine
weihnachtliche Strafe zu kassieren.
Die Chancen standen gering. Bedachte man überdies, dass Harry erst heute
wieder mit Ginny zusammengekommen war, und sie sich mit Ron zerstritten hatte.
Das Wort traf es vielleicht nicht. Getrennt wäre das richtige Wort. Sie hatte
sich von Ron getrennt, weil er… weil er ein Idiot war! Wütend presste sie die
Lippen aufeinander und ignorierte den Schmerz in ihrem Oberschenkel.
Ironischerweise hatte Ron ihr heute noch ihre Sturheit und ihren Kontrollzwang
vorgeworfen, wovon sie nichts hatte hören wollen.
Und wahrscheinlich war das die gerechte Strafe. Sie war gefangen mit Malfoy
im achten Stock des Schlosses in einem komplett leeren Durchgangszimmer, von
einem dämlichen Geist hergelockt. Vielleicht auch nicht. Sie unterstellte
Peeves nicht unbedingt, ein Mastermind zu sein. Wahrscheinlich hatte der Zauber
des Zimmers nur zufällig zu seinen Gunsten gewirkt. Und sie wollte erst recht
nicht mehr hören, dass Malfoy niemals so weit oben patrouilliert hätte, und
dass sie sich an die Abmachung hätte halten sollen, und weshalb sie überhaupt
darauf bestanden hatte, die letzte Patrouille des Jahres zusammen zu machen.
Sie hatte auch nur darauf bestanden, um Ron nicht über den Weg zu laufen,
während Lavender ihn wohl trösten würde. Sie spürte seit Wochen, dass sich da
etwas anbahnte, was sich garantiert nicht durch ihre angebliche Sturheit oder
ihren Kontrollzwang erklären ließ. Wütend wechselte sie das Standbein und zwang
die Wand praktisch mit ihren Blick, sich zurück zu verwandeln.
Kurz wanderten ihre Gedanken weiter. Kurz vergaß sie, dass sie wütend war.
Und dass sie nicht mit ihm sprechen wollte. Sie stieß sich von der Wand ab,
blieb im Zimmer stehen.
„Vielleicht ist es ein Meta-Basen-Zauber“, sagte sie, mehr zu sich selbst,
als zu ihm. Und sie registrierte ihn erst, als er höhnisch aufschnaubte.
„Unwahrscheinlich“, bemerkte er arrogant, von sich selbst und der ewigen
Richtigkeit seiner Worte überzeugt.
„Wieso?“, gab sie patzig zurück.
„Ich dachte, wir reden nicht mehr?“, stellte er eine Gegenfrage und sie sah
ihn giftig an.
„Ich rede auch nicht mit dir“, antwortete sie grimmig.
„Oh, du führst jetzt Selbstgespräche? Ich wüsste die Diagnose dafür“, fuhr
er glatt fort.
„Halt die Klappe, Malfoy“, zischte sie. Sie schritt zur Wand. „Peeves!“,
rief sie so laut sie konnte. Zornig erhob er sich hinter ihr, kam wieder auf
die Beine, wahrscheinlich um sie wieder einmal zu überragen, weil er glaubte,
somit einen Einfluss auf Dominanz zu haben. Hatte er aber nicht! „Peeves!“
„Hör auf zu brüllen. Er wird nicht wiederkommen, Merlin noch mal“, fuhr er
sie an.
„Vielleicht-“
„-es ist keine Meta-Base, Granger. Wozu? Wer sollte sich einen Scheiß darum
scheren, ob ein Geist im Zimmer ist, oder nicht? Meta-Basen sind medizinische
Zauber und werden ausschließlich in Sanatorien oder Heilanstalten verwendet,
um-“
„-ich weiß, wo sie verwendet werden, Malfoy!“, unterbrach sie ihn ungeduldig
und voller Hass. „Ich bin nicht blöd!“
„Ach nein?“, schien er sie mit demonstrativ nachsichtigem Blick
herausfordern zu wollen.
„Nein“, rang sie sich eine Antwort ab, und versuchte, nicht mehr so schrill
zu sprechen. „Aber wir haben das Zimmer mit einem Geist betreten, und als er
verschwunden ist, hat sich der Raum verwandelt.“ Überlegenheit trat auf seine
ohnehin schon aufgeblasenen Züge, und sie hinderte sich knapp daran, die Augen
zu verdrehen. „Was, Malfoy?“
„Die Tür ist verschwunden, als Peeves noch im Raum war.“
Er hatte Recht. Aber ihre Theorie war nicht schlecht. Es war besser, als
sinnlos rumzusitzen und zu warten. Sie wandte den Blick ab, denn sie wollte ihn
nicht mehr ansehen.
„Affectus-Zauber“, sagte sie
dann, ohne Zusammenhang und sah sich um, als würden die Wände ihr verraten, ob
sie richtig lag.
„Affectus-Zauber?“, wiederholte
er skeptisch, und sie hasste, dass er alles kommentieren musste, dass er alles
anzweifelte, was sie sagte, alles kritisierte, alles bewertete, als hätte sie
gefragt, als hätte sie darum gebeten!
„Malfoy, ich schaffe es auch ohne deinen Kommentar, ok?“, fuhr sie ihn
wieder an, die Stimme wieder ein wenig schriller, und sie hatte keine
Erklärung, warum dieser Mensch ihre wahrlich schrecklichste Seite hervorrufen
konnte. Innerhalb von Sekunden.
„Der Affectus-Zauber braucht
einen Anker, Granger“, belehrte er sie, als würde er Punkte dafür bekommen.
Wieso genau musste sie hier mit dem Schulsprecher festsitzen? Wieso musste er
alles besser wissen? Konnte sie nicht zumindest mit einem dummen x-beliebigen
Slytherin hier hocken, der wenigstens nicht widersprechen würde, wenn sie
einfach ein paar Theorien durchspielte?
„Der Anker ist gegeben. Wir haben den Raum betreten“, erläuterte sie und
breitete entsprechend die Hände aus.
„Kein wirklich guter Anker“, widersprach er mit Oberlehrerblick. „Es
braucht eine bessere Emotion als lediglich einen Fuß vor den anderen zu setzen
und einen gänzlich neutralen Raum zu betreten.“
Gott, sie hasste ihn. „Fein, dann reagiert der Raum eben überempfindlich
auf aufgeblasene, selbstbezogene, vollkommen ätzende Slytherins, und ich werde
in Mitleidenschaft gezogen, weil ich die wahnsinnige Idee hatte, zu
patrouillieren!“, schrie sie entnervt, schritt zur Wand und ließ sich erschöpft
nieder. Jetzt hatte sie sich als erste gesetzt und es wirkte nicht völlig
schwach. Sie hatte auch überlegt, ob der Raum mit Gewichten arbeitete, dass sie
und Malfoy vielleicht ein Gleichgewicht zerstört hatten, und ihr Gewicht die
Tür zum Verschwinden gebracht hatte, aber sie wusste schon, was er dazu sagen
würde. Das hier wäre keine Folterkammer, sondern der achte Stock. Es wäre kein
Verlies, sondern Hogwarts, und was solle sich kostbares hinter dem
Durchgangszimmer verbergen, wo alle anderen Räume hier oben Abstellkammern und
Lagerräume waren.
Deshalb sagte sie es gar nicht erst.
„Wie ich sehe, hast du aufgegeben?“, bemerkte er spöttisch. „Oder sind
deine Beine müde geworden vor sturer Uneinsichtigkeit?“ Sie verzog bitter den
Mund und ignorierte ihn. Sie blendete ihn einfach aus. Er existierte nicht
mehr.
~*~
Sie sah ihm zu, während er seinen Pullunder sauber mit einem Hitzezauber
zerschnitt. Aber sie fragte nicht, was er tat. Es war offensichtlich. Zumindest
für sie. Er hatte auch an einen Affecto-Zauber
gedacht. Allerdings war es genauso unwahrscheinlich wie Meta-Basen. Es war auch
ein medizinischer Zauber. Und Eltern benutzen ihn für ihre Kinder. Er und
Granger sollten beide keinerlei Erfahrungen damit gemacht haben, denn soweit er
wusste, war Granger ebenfalls Einzelkind. Die Weasleys hingegen sollten die Affecto-Zauber auswendig kennen.
Es waren Stimmungsblocker. Kinder wurden ins Zimmer gesperrt, wenn sie
ungehörig waren oder sich stritten, und der Zauber löste sich erst, wenn die
gewünschte friedliche Stimmung eintrat. Dann konnte man das Zimmer verlassen. Und
sollte tatsächlich unwahrscheinlicherweise ein Affecto auf diesem Raum liegen, dann würden er und Granger bis
Silvester verhungert sein, denn eine positive Stimmung würde nicht eintreten.
Er vergrößerte einen Teil des zerschnittenen Pullunders so weit, bis er die
Maße einer Decke hatte. Für den kleineren Teil wandte er einen Polster-Zauber
an. Er lehnte das Pullunder-Kissen gegen die Wand, breitete die Decke aus und
setzte sich auf diese. Der Boden hier war ziemlich dreckig, hatte er
festgestellt.
Außerdem war ihm aufgefallen, dass Granger ihren Pullunder vor der
Patrouille ausgezogen hatte. Wenn sie nicht gerade ihren Rock oder ihr Bluse
opfern wollte, dann würde auf dem schmutzigen Boden sitzen bleiben müssen.
Finster blickte sie der Wand entgegen, die sie nicht mehr entkommen lassen
wollte.
Zwei Stunden waren vergangen. So schätzte er. Dann wäre es jetzt was? Halb
elf? Er wusste, heute fanden die Weihachtspartys statt. Snape gab vor,
besonders fest zu schlafen, und er nahm an, sein Gemeinschaftsraum wäre bereits
volltrunken. Zwar würden sie ihn vermissen – vielleicht wanderten bereits
einige durchs Schloss und flüsterten seinen Namen suchend in der Dunkelheit,
aber niemals würden sie auf die bescheuerte Idee kommen, bis in den achten
Stock zu klettern, um ihn dort zu suchen. Und selbst wenn – selbst wenn! Die
Wand war einen halben Meter dick. Niemand würde sie hören.
Er hatte Durst. Das Schloss war alt und zugig genug, um ausreichend
Flüssigkeit aus den Wänden zu abstrahieren und zu destillieren, nahm er an.
Aber bevor er sich zu so etwas hinreißen ließ, müssten noch zwei Stunden
vergehen. Wenn er sich doch nur an Flitwicks Schwebe-Schlaf-Formel erinnern
würde. Es war ein komplexer Körper-Zauber. Granger würde es wissen, aber
Granger würde er nicht fragen. Höchstwahrscheinlich würde sie es ihm später
ohnehin demonstrieren. Es sei denn, sie tat so, als fände sie sich nicht damit
ab, dass sie wohl oder übel erst mal hier oben eingesperrt waren.
Wenn der Morgen kam würden die Gemeinschaftsräume ihr Verschwinden
berichten. Dann würde Snapes scharfer Verstand erst mal das Offensichtliche
annehmen, denn Snape unterstellte Schülern des siebten Jahrgangs generell alles
Schlechte. Er würde sämtliche Klassenräume absuchen lassen, mit der vagen Idee,
dass es ihn und Granger gestern Nacht in einer plötzlichen Eingebung überkommen
hatte, sexuellen Verkehr zu haben, weil sie so herrlich zueinander passten.
Dann würde er feststellen, dass die Klassenzimmer leer waren.
Mit Glück würde er dann bereits einen Spür-Zauber auf ihre Habseligkeiten legen,
was eine direkte Spur zu der verschlossenen Wand zeigen würde.
Snape würde sehen, dass die Tür, die sonst zu dem Raum führte verschwunden
war, und er würde sie befreien.
Wenn er allerdings schlechte Laune hatte, dann würde er vielleicht sogar
annehmen, dass er und Granger sich vom Schlossgelände geschlichen hatten, um
Spaß im Dorf zu haben – in welcher Form auch immer. Aber höchstwahrscheinlich
war das doch eher eine entfernte Idee, denn Granger hatte nie irgendeinen Spaß,
kam nie zu spät in den Gemeinschaftsraum, brach keine einzige dämliche Regel.
Das Petroleum über ihnen flackert. Bald wäre es verbraucht und sie müssten den Lumos verwenden.
Er wusste, sie musste es hassen, nicht zu wissen, was zu tun war. Dass es
im Schloss tatsächlich einen Zauber gab, der sich gegen die heilige
Schulsprecherin wandte, musste sie dem Schloss persönlich übelnehmen.
Dann sprach er, denn er wusste nichts anderes mit sich anzufangen. Er war
nicht wie sie, vollkommen zufrieden und ausgelastet mit selbstverachtenden
Gedanken und zertifiziertem Schweigegelübde. Ohne Buch, ohne Ablenkung sah er
keinen Sinn darin, zu schweigen. Und tatsächlich überraschten ihn seine Worte
ein wenig.
„Du trägst es nicht“, bemerkte er nickend in ihre Richtung, als sie zum
wiederholten Mal eine bloße Stelle unterhalb ihres Halses berührt hatte, die er
durch die geöffneten obersten Knöpfe ihrer Bluse wahrnahm. Ihr Blick gefror,
ehe sie langsam den Blick in seine Richtung wandte.
„Was?“, entfuhr es ihr gänzlich verständnislos. Er verschränkte bequem die
Arme vor der Brust.
„Das Amulett.“ Und wusste Merlin, weshalb es ihm auffiel. Wusste Merlin,
weshalb er sie darauf ansprach. Ihre Augen weiteten sich, erneut fuhr ihre Hand
unbewusst zu ihrem Hals, und dann knöpfte sie ihre Bluse wieder zu.
„Was soll das?“, fragte sie misstrauisch, und er zuckte die Achseln. Er
nahm an, er musste neutralisieren, was er gesagt hatte. Musste erklären, dass
er garantiert nicht mit Absicht Zeit darauf verschwendete, sie zu beobachten.
„Ich führe eine Unterhaltung mit dir, denn ansonsten müsste ich wie du die
leere Wand anstarren“, erwiderte er glatt. Sie sah, wie sich ihre Gesichtszüge
anspannten, wie immer, wenn er sprach, als wäre seine Stimme quietschende
Kreide auf der Tafel. Er wusste, er hatte eine angenehme Stimme. Sie war
einfach nur dämlich. „Du trägst es jeden Tag.“
„Woher willst ausgerechnet du wissen, was ich jeden Tag trage und was
nicht?“, schnappte sie zornig. Er zuckte die Achseln.
„Ich kenne meine Gegenüber. Die, die ich leiden kann und auch die… andern.
Ich achte auf Dinge. Auf konstante Dinge. So kann man Menschen besser
einschätzen. Snape trägt immer seine Taschenuhr, außer sonntags, wenn die Elfen
die Mechanik nachstellen müssen, weil sie geschätzt dreitausend Jahre alt ist.
Und hässlich. Wahrscheinlich zeigt sie nicht einmal mehr die richtige Zeit an,
selbst wenn die Elfen sie jeden Tag einstellen würden. Also… hat sie rein
emotionalen Wert“, schloss er seinen kleinen Vortrag, und eine steile Falte war
zwischen ihren Augen erschienen.
„Du bist verrückt“, stellte sie mit einem knappen Nicken fest. Er ging
darauf nicht ein.
„Du trägst jeden Tag das Amulett. Nur heute nicht. Warum nicht?“ Er wusste,
er musste ihr seltsam vorkommen. Er kam sich selber stets normal vor, aber er
achtete mehr auf Dinge als sie. Vielleicht war es etwas Kompulsives, eine
Störung, für die der doch recht kleine genetische Pool der Vielfalt seiner
Reinblut-Familie verantwortlich war, aber er mochte seine Ticks.
„Merlin, Malfoy. Ich weiß es nicht“, knurrte sie in seine Richtung, verzog
kurz vor Schmerz das Gesicht, als die Wand ihr wohl unangenehm im Rücken wurde
und verlagerte ihr Gewicht.
„Warst du abgelenkt? Wütend?“, vermutete er gelassen, und sie atmete
gepresst aus.
„Warum ist das wichtig? Dann trage ich es heute nicht. Der Verschluss ist
kaputt“, log sie angespannt.
„Glaube ich nicht. Dann hättest du ihn repariert.“
„Du bist nervtötend“, informierte sie ihn.
„Wahrscheinlich warst du wütend“, nahm er lächelnd an. „Denn du trägst
deinen Pullunder nicht, was im Dezember nur der Fall sein kann, wenn dir warm
ist. Und da ich aus eigener Erfahrung behaupten kann, dass du dich gerne und
oft aufregst, ist das die logische Erklärung.“
„Malfoy-“, begann sie gereizt, aber er lächelte weiterhin.
„-es stört dich, dass ich dich durchschaue? Absolut verständlich, Granger.
Jeder wäre gerne ein Buch mit sieben Siegeln.“ Mit erhobener Augenbraue löste
er den Blick von ihrem zornigen Gesicht.
„Vielleicht könntest du deinen messerscharfen Verstand dafür einsetzen, uns
hier rauszubringen, Sherlock“, beleidigte sie ihn bitter, und er runzelte die
Stirn. Er nahm an, der Name stammte aus einem ihrer geschätzten Muggelbücher.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie ihre Hand über den schmutzigen Boden
führte, und ein wenig von dem Unrat auf die Handfläche nahm, um ihn näher zu
untersuchen.
Sie ließ den Dreck wieder auf den Boden rieseln. Etwas angespannter schien
sie sich umzusehen. Er beobachtete sie, denn etwas anderes konnte er hier nicht
tun.
„Was ist?“, wollte er wissen, denn vielleicht lauerte die nächste brillante
Idee in ihrem Kopf, die er niederschmettern könnte.
„Nichts“, sagte sie eilig und schüttelte den Kopf. Er runzelte die Stirn. Hatte
sie plötzlich doch Angst bekommen? Wurde sie klaustrophobisch? Sein Blick fiel
auf den Boden, den ihr Blick mittlerweile mied. Dreck. Organisch, ging ihm
schließlich auf. Kleine Blätter, bereits zerfallen, und verdorrte Beeren. Er
fuhr mit der Hand ebenfalls über den Boden.
Und plötzlich sprach sie. „Wir haben uns gestritten. Ron und ich. Deshalb
habe ich es vergessen.“ Sein Blick hob sich zu ihrem Gesicht. „Das Amulett.“
Ihre Augen waren weit, ehe sie den Blick wieder abwandte. Seine Mundwinkel
hoben sich.
„Bemerkenswert. Dann scheint Weasley doch Eier in der Hose zu haben.
Geschlechtsmerkmale sind scheinbar doch vorhanden.“
„Halt die Klappe, Malfoy“, knirschte sie hervor.
„Und ist eure bedeutungsschwere, epische Beziehung wieder einmal vorbei?“,
vermutete er selbstgefällig und erntete wieder ihren zornigen Blick.
„Scheinbar“, beantwortete er seine Frage selbst. Sie atmete gepresst aus. „Deshalb
wolltest du die Patrouille machen“, löste er das letzte Rätsel des heutigen
Abends, und kurz war er überrascht, dass sie ihn nicht wütend anstarrte.
„Weißt du“, begann sie kopfschüttelnd, „du könntest deine Kräfte für das
Gute einsetzen, tust du aber nicht“, schloss sie verständnislos. Er machte ein
belustigtes Geräusch.
„Es sind keine Kräfte, Granger“, korrigierte er sie überheblich.
„Wahrscheinlich rennst du mit Scheuklappen durch die Welt, denn ehe man sich
mit anderen auseinandersetzt, muss man erst mal sich erst einmal selber
reflektieren können.“
„Oh wirklich, Malfoy? Und du bist so selbstreflektiert, ja?“, fuhr sie ihn
wieder wütend an. „Wie reflektiert kann der Sohn eines Todessers wirklich
sein?“
„Reflektiert genug, dass ich begreife, dass ich meine Eltern nicht ändern
kann. Und auch nicht muss.“
„Natürlich nicht“, gab sie ihm die bittere Antwort. „Wenn Harry, Ron und
ich dann die Welt retten gehen, hoffe ich, dass du faul und gemütlich auf dem
Schoß deines Vaters sitzt, während er Voldemort die zweite Tasse Tee serviert“,
spuckte sie ihm entgegen. „Ich nehme an, Malfoy Manor ist ein geeignetes
Hauptquartier?“
Draco lächelte. Aus verschiedenen Gründen. „Du hast deine Aufgaben, ich
habe meine“, schloss er lediglich.
„Unfassbar“, murmelte sie kopfschüttelnd. Er nahm an, der Krieg war nahe.
Zurzeit hatte sich Voldemort zurückgezogen, niemand hatte ihn gesehen oder von
ihm gehört. Sein Vater sprach nicht über diese Dinge, tat so, als hätte sich
alles in Wohlgefallen aufgelöst, aber Draco nahm an, irgendwann würde es
beginnen. Alle waren angespannt. So auch Snape. Noch war nichts geschehen, aber
Draco wusste, Dinge blieben selten ungewiss. Irgendetwas würde passieren.
„Du redest mit mir“, stellte er schließlich fest. Interesse war auf seinen
Zügen erschienen.
Finster blickte sie ihm entgegen. „Wahrscheinlich weil du die Lösung des
Problems erkannt hast“, ergänzte er nickend. Ihre Gesichtszüge spannten sich
wieder an. Sein Blick fiel wieder auf den schmutzigen Boden. „Hier oben wird
die Weihnachtsdekoration gelagert“, schloss er nickend und hörte sie flach
ausatmen.
2.
Es war schlimm genug, dass sie sich gehalten gesehen hatte, mit ihm
überhaupt zu sprechen. Und es war immer dasselbe. Sobald sie überhaupt
versuchte, mit ihm zu sprechen kamen sie ohnehin auf das Thema Voldemort und
Todesser. Es stand so überdeutlich im Raum, dass es auch eigentlich nichts
anderes zu sagen gab.
Aber wahrscheinlich war es dumm von ihr gewesen, ihn ablenken zu wollen.
Vor allem jetzt, wo es ihm auch noch aufgefallen war. Und es war so furchtbar.
Aber mit großer Wahrscheinlichkeit sah er es so wie sie, und sie würden
trotzdem bis zum Morgen warten. Auch wenn sie sich nicht sicher war, was Snape
für eine Lösung parat haben würde. Aber ganz im Gegensatz zu ihr, würde Malfoy
es sich nicht nehmen lassen, auch noch darüber zu sprechen. Denn so war er.
Selbstgefällig, widerlich und von sich selbst vollkommen überzeugt. Es
beeindruckte sie überhaupt nicht, dass ihm aufgefallen war, dass sie die Kette
nicht trug, die ihre Mutter ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.
So war er eben. Kranke Kleinigkeiten waren seine Spezialität. Und es
brauchte auch keinen großen Kopf, um zu erraten, dass sie und Ron gestritten
hatten. Das taten sie alle zwei Wochen.
Hatte sie ihn vorhin vielleicht abgelenkt, so fuhr seine Hand erneut über
den Boden und er hob ein winziges Blatt auf seine Handfläche, um daran zu
riechen. Sie sah ihn nicht mehr an. Und wenn sie sich darauf konzentrierte,
dann lag der Duft dezent in der Luft. Natürlich war das Schloss zugig und es
herrschte eine gute Ventilation, aber wenn man darauf achtete, dann erschlug es
einen mental.
Vielleicht tat er ihnen beiden einen Gefallen und würde es nicht
aussprechen?
„Mistel“, sagte seine Stimme nahezu gleichzeitig mit ihren Gedanken, und
sie verzog den Mund. Natürlich sprach er es aus. Er provozierte eigentlich
immer. Überall. Und sie erahnte sein Lächeln schon aus den Augenwinkeln. „Wow“,
fuhr er beeindruckt fort. „Du erzählst mir lieber freiwillig von deinen
Beziehungsproblemen, als hier rauszukommen. Das lässt tief blicken, Granger“,
zog er sie höhnisch auf, und sie verschränkte erneut die Arme vor der Brust.
„Allerdings glaube ich, dass Snape auch keine andere Lösung auf Lager hat“,
bestätigte er dann ihre Sorgen. „Denn ich glaube nicht, dass er gerne die
Schlosswände niederreißen möchte, nur weil du prüde bist“, bemerkte er glatt.
Hermine wandte den Blick wieder in seine Richtung. Ihre Oberlippe kräuselte
sich verachtungsvoll.
„Ich bin nicht prüde, Malfoy. Ich würde nur lieber gleichzeitig verhungern
und verdursten, als dich zu küssen, um hier rauszukommen.“ Er schnippte das
Blatt achtlos wieder auf den Boden.
„Ja“, sagte er dann, tat ihre Worte achselzuckend ab, als er sich vom Boden
abstieß und sich erhob. „Theoretisch sind wir da einer Meinung, aber praktisch
gesehen ist es spät, ich will in meinen Gemeinschaftsraum – also…?“ Er wartete
darauf, dass sie aufstand. Und er besaß die Dreistigkeit, verständnislos
auszusehen. Sie rührte sich nicht. „Granger, falls es dir entgangen ist – das
ist die Lösung des Problems.“
Wie konnte er sich damit abfinden? Innerhalb von Sekunden?
„Ich werde dich nicht küssen, Malfoy“, machte sie es noch deutlicher und
rührte sich nicht. „Außerdem muss das nicht die Lösung des Problems sein.“
„Wir befinden uns in einem Zimmer, der Boden ist übersät mit Misteln, und
du hältst es tatsächlich für möglich, dass die offensichtliche Lösung nicht die
richtige ist? Ich bin schockiert“, informierte er sie voller Sarkasmus.
„Malfoy, nein.“ Sie rührte sich nicht. Vor allem schien Malfoy nicht
wirklich an das echte Ausmaß zu denken. Oder er hatte es in seinem Kopf bereits
geprüft und fand es nicht schlimm, was sie nicht glauben konnte.
„Der Mistel-Zauber zwingt ein Paar keinen Schritt tun zu können, bevor sie
nicht einen keuschen Kuss getauscht haben. Hier befinden sich die Überreste von
zweitausend konservierten Misteln, die mittlerweile überall im Schloss hängen –
denkst du ernsthaft es gibt eine andere Lösung als diese?“, wollte er mit
McGonagall-Scharfsinn von ihr wissen, und sie atmete übertrieben laut aus.
„Denkst du nicht, dass ein simpler Bewegungszauber, so hoch dosiert nicht
zwangsläufig zu einem Freiheitsentzug führen könnte, der sich auf geschlossene Räume
ausdehnt?“
„Darum geht es überhaupt nicht!“, knurrte sie. Es ging um die schieren
Massen an Misteln, die hier rumlagen. „Natürlich halte ich es für möglich. Ich
halte es sogar für höchstwahrscheinlich, Malfoy, aber-“
„-aber weil du ein stolzes Schlammblut bist, hast du Skrupel, zu deinem
eigenen gesundheitlichen Wohl, über deinen Schatten zu springen? Siehst du mich
beleidigt in der Ecke stehen und abwägen, ob deine Schlammblut-Haut meinen Mund
verätzen kann?“, wollte er direkt von ihr wissen, und ihr Mund öffnete sich
ungläubig.
„Du bist absolut widerwärtig! Du-“
„-Granger, es macht nicht den geringsten Unterschied, was du von mir
hältst!“, unterbrach er sie gereizt. „Und wenn wir uns bis zum Morgengrauen
beleidigen, es ändert verdammt noch mal nichts an der Tatsache, dass das der
einzige Weg ist! Snape wird dir mehr als nur Punkte abziehen dafür, dass du die
offensichtliche Lösung verweigerst“, fuhr er bitter fort. „Du hast Prinzipien?
Schön für dich“, ergänzte er und verdrehte tatsächlich die Augen. „Wenn ein
Baum fällt, ohne dass jemand ihn fallen sieht – ist er dann gefallen?“
„Deine Metapher ist vollkommen lächerlich, Malfoy!“, erwiderte sie zornig,
und er atmete angespannt aus. „Natürlich fällt der verdammte Baum. Wir sind der
Baum, und wir wissen es!“
„Merlin, Granger!“, knurrte er. Er wandte den Blick kopfschüttelnd ab, und
sie versuchte, nachzudenken. Es musste einen anderen Weg geben.
„Wir könnten die Überreste vernichten“, schlug sie vor. Sie erntete seinen
ungläubigen Blick.
„Sicher. Was schlägst du vor? Pestizid-Zauber? Feuer-Fluch? Geniale Idee,
mit uns beiden als direkte Versuchsopfer zwischen den Misteln!“
„Es gibt vasive Varianten!“, korrigierte sie ihn gereizt.
„Irgendwelche, die dir gerade einfallen? Vor allem musst du die Luft
filtern, und ich glaube nicht, dass du das auf so viele Quadratmeter kannst“,
klärte er sie auf, und seine Überheblichkeit widerte sie mehr an, als alles
andere an ihm. Zornig kam sie auf die Beine.
„Wieso bist du so absolut willig, das zu akzeptieren? Hast du keinen Stolz,
Malfoy?“
„Glaub mir, ich habe Stolz, Granger!“, klärte er sie auf, als er näher kam,
aber dann hob er entsprechend die Arme. „Aber ich verfüge über die mentale
Kapazität, einzusehen, wenn mein Stolz absolut hinderlich und idiotisch ist!“,
ergänzte er.
„Und deshalb möchtest du wirklich jemanden küssen, den du niemals küssen
würdest? In jeder anderen Situation würdest du eher sterben, als das zu tun!“
Und tatsächlich hoben sich seine Mundwinkel zu einem sehr nachsichtigen
Lächeln, was sie verabscheute.
„Ich weiß, Granger. Für Jungfrauen ist der erste Kuss eine große Sache,
aber glaub mir, du wirst drüber wegkommen“, bemerkte er arrogant. Sie wollte
ihm die Selbstgefälligkeit am liebsten aus dem Gesicht schlagen. Sie biss die
Zähne aufeinander. Sie wollte ihm sagen, dass es nicht ihr erster Kuss war,
aber es änderte nichts an der Tatsache, dass sie tatsächlich noch Jungfrau war!
Und das war keine Schande! Es war ihre Entscheidung, und es war eine gute
Entscheidung! Aber sie brauchte nicht auch noch sein dreckiges Grinsen über
diese fabelhafte Erkenntnis. „Der Imperius würde funktionieren“, ergänzte er
lapidar, und sie schüttelte zornig den Kopf.
„Sicher! Snape wirft dich zwar anschließend von der Schule, aber das ist ja
völlig angemessen dafür, dass du zurück in deinen Gemeinschaftsraum kannst! Mal
abgesehen davon, dass du nicht der Lage wärst, diesen Zauber überhaupt
auszuführen. Es gehört mehr dazu Unverzeihliche auszuführen, als Daddy dabei
zuzusehen“, informierte sie ihn abschätzend. Verachtung zeichnete seine Züge.
„Granger, du machst es einem wirklich nicht einfach, deinen widerlichen
Mund zu küssen, aber ich sagte dir schon – du kannst mich beleidigen und
verachten, bis der nächste Frühling kommt – es ändert verflucht noch mal gar
nichts an dieser Situation!“ Fast gedehnt informierte er sie über diese
Tatsache, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie würde nicht in der Lage
sein, jedes Mistel-Atom in diesem Zimmer zu vernichten, ohne sich und Malfoy
gleich mit umzubringen – was auch eine Option wäre, nahm sie an. Nur war es keine
gute Option.
„Es wird einen Umgehungszauber geben“, begann sie wieder, und er stöhnte
gereizt auf.
„Mit Sicherheit“, räumte er entnervt ein. „Fällt er dir ein?“, stellte er
die entsprechende Frage, beinahe ruhig. Unglücklich hob sie den Blick zu seinem
Gesicht.
„Nein“, räumte sie erschöpft ein.
„Worauf warten wir dann?“, wollte er ehrlich entgeistert von ihr wissen.
„Was exakt soll passieren? Wir schaukeln uns dermaßen hoch, dass du mich
totschlägst? Fein, meinetwegen. Aber selbst dann wirst du mich immer noch
küssen müssen, um hier rauszukommen“, erklärte er und fuhr sich durch die
blonden Haare.
Erneut fiel ihr Blick auf die nackte Wand, die so ungnädig die rettende Tür
verbarg. Und sie wusste eines mit Sicherheit – ein Kuss würde nicht reichen.
Aber sie wollte es ihm nicht sagen, wollte es ihm nicht auf die Nase binden,
denn sie war sich ziemlich sicher, es war ihm egal.
Gott, sie hasste diese dämliche Mistel-Tradition! Und sie wusste, weder
Snape, noch McGonagall waren Fans davon. Nein. Professor Trelawney hatte vor
Jahren darauf bestanden, hatte behauptet, es steigere den Zauber, der
Weihnachten innewohnte. Sie hasste Misteln. Und vielleicht würde dieser
Zwischenfall als Präzedenzfall in die Geschichtsbücher eingehen und das Ende
dieser bescheuerten Tradition einläuten! Sollten sie es denn sagen. Sollten sie
hier rauskommen. Denn wollte Malfoy riskieren, dass noch andere ahnungslose
Schüler sich hier her verirrten? Vielleicht alleine? Und diese Schüler würden
bestimmt nicht auf die Lösung kommen. Und dann?
„Wir müssen es Snape sagen“, entkam es erschöpft ihren Lippen. Seine Stirn
runzelte sich.
„Was?“
„Wenn…- falls wir hier rauskommen. Dann müssen wir ihn darüber informieren,
dass der Zauber mutiert, wenn die Misteln in so großen Mengen gelagert werden.
Es ist gefährlich für andere.“ Er lachte spöttisch auf.
„Granger, so wie ich es sehe, wird dieser Raum eine Knutsch-Legende werden,
und wir werden den zukünftigen Generationen an Schülern einen Gefallen tun,
alles genauso zu lassen, wie es ist“, erklärte er, und sie konnte nicht fassen,
was er sagte.
„Du bist unfassbar! Es ist gefährlich, Malfoy!“
„Schön. Mach was du willst. Renn anschließend zu Snape. Mir egal.“ Und sie
schloss überfordert die Augen. Sie würde niemals alleine zu Snape gehen, um ihm
zu sagen, dass sie Malfoy hatte küssen müssen, um aus einem Raum zu entkommen. Ihr
Blick hob sich abwesend zu seinem Gesicht. Etwa ein Meter lag noch zwischen
ihnen. „Bist du soweit? Alle jungfräulichen Zweifel aus dem Weg geräumt?“
Sie hasste ihn. Wirklich. Fast war sie ernsthaft sauer, sich überhaupt mit
Ron gestritten zu haben. Vielleicht hatte er wirklich Recht, und sie war stur.
Hätte sie ihm doch einfach Recht gegeben. Dann hätten sie sich nicht
gestritten, sie wäre nicht mit Malfoy auf Patrouille gegangen, und jetzt würde
sie neben Ron auf der Couch sitzen, gemütlich vor dem Feuer, würde seine Hand
halten – und alles wäre perfekt.
Aber nein. Sie war Hermine Granger, unverbesserlich und stur. Deshalb war
sie jetzt hier. Und wäre es Betrügen? Würde Ron es rausfinden? Natürlich, denn
Malfoy und sie mussten Snape informieren, ob Malfoy wollte oder nicht. Harry
würde verstehen, dass es keinen anderen Weg gegeben hatte. Harry würde es
vergeben. Aber Ron? Ron garantiert nicht. Er würde sie fragen, weshalb sie
keinen anderen Weg gewählt hatte? Ob ihr brillanter Kopf keinen besseren Plan
gewusst hatte, als Hals über Kopf die Gelegenheit wahrzunehmen, Malfoy zu
küssen?
„Was?“, wollte er genervt wissen, als lese er gerade ihre Gedanken.
„Malfoy, für dich ist es einfach. Für dich hängen keine Konsequenzen an
diesen Dingen!“
„Diese Dinge?“, wiederholte er fast amüsiert.
„Für mich ist es anders! Mir bedeuten solche Sachen etwas. Ich bin nicht
völlig verkommen und moralisch kompromittierbar!“, fuhr sie ihn an. Er
verdrehte die Augen in stummem Verständnis.
„Wegen Weasley? Ernsthaft, Granger? Weasley ist nicht der Hauptgewinn, tut
mir leid, dir das so direkt sagen zu müssen“, sagte er abschätzend, ohne seine
Verachtung überhaupt zu kaschieren.
„Aber du bist der Hauptgewinn, ja?“, konterte sie direkt, Unglaube auf den Zügen.
„Wohl kaum“, entgegnete er spöttisch. „Es ist kein Wettbewerb. Es ist eine
Notwendigkeit“, wiederholte er überdeutlich. „Merlin, ich bitte dich nicht um
deine Hand!“, knurrte er ohne jede Geduld. Sie sah kopfschüttelnd zu Boden.
„Er wird mir das nicht vergeben“, sagte sie, mehr zu sich selbst.
„Wenn du deinen moralischen Kompass einfach mal unter Kontrolle kriegen
würdest, und nicht direkt zu Snape rennen musst, damit er einen Anschlag am
Schwarzen Brett veröffentlicht, dass niemand den achten Stock aufzusuchen hat,
wegen Mistel-Gefährdung, hast du überhaupt nichts zu befürchten, Salazar,
verflucht!“, fuhr er sie zornig an. „Was interessiert dich das Schicksal der
anderen dummen Schüler, die sich selber in Gefahr bringen?“
„Ist das nicht dieselbe Dankesrede, die wir als Schulsprecher in der
Ernennungszeremonie gehalten haben?“, wollte sie sarkastisch von ihm wissen.
„Das ist der Unterschied zwischen uns, Malfoy. Zwischen guten und schlechten
Menschen!“, sagte sie wütend. „Als Schülervertretung interessiert mich das
Schicksal der Schüler!“, gab sie ihm überdeutlich zu verstehen.
„Du sabotierst dich selbst“, war seine simple Antwort. Sie verdrehte die
Augen.
„Ja, genau. Ich ‚möchte‘ nämlich, dass Ron erfährt, dass wir hier
eingesperrt gewesen waren, und nur durch irgendwelche Annäherungen einen Ausweg
gefunden haben!“ Sie schüttelte heftig den Kopf, so dass ihre Locken wippten.
„Manchmal gibt es keinen anderen Ausweg, als den unbequemen, Granger.
Manchmal ist das alles, was wir machen können.“
„Wird das dein Plädoyer vor Gericht, nachdem Voldemort gefallen ist? Lieber
Minister, ich bin zwar ein schlechter, opportunistischer Mensch, aber es gab
nur den einfachen, unmoralischen Ausweg für mich?“ Seine Augen verengten sich
gefährlich.
„Ich hoffe ernsthaft für dich, dass Potter gewinnt, Granger. Und ich hoffe,
dass du später eine unterbezahlte Position im Ministerium haben wirst und
tatsächlich dafür verantwortlich bist, andere zu verurteilen, denn bei deinem
unfassbaren Mitleid für andere, wäre es eine wahre Freude zu wissen, dass du
selbst die schlechtesten Menschen, die deine Freunde und Verwandte umgebracht
haben werden, nicht bestrafen kannst, weil du einfach ein besserer Mensch bist,
als der Rest von uns!“, erwiderte er bitterböse, die Stimme gespielt
verzweifelt, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
Sie würde ihn schlagen. Sie würde irgendetwas tun, was sie mehr bereuen
würde, als alles andere.
„Küss mich einfach, Malfoy!“, presste sie hervor, und kurz blinzelte er. Er
schien etwas aus der Bahn geworfen von ihren Worten. „Absolut nichts ist es
wert, länger mit dir in einem Raum gefangen zu sein, als unbedingt nötig!“,
flüsterte sie hasserfüllt. „Und wenn Ron und Harry beide kein Wort mehr mit mir
sprechen, dann wäre es trotzdem besser, als noch eine Sekunde länger deinen
vergifteten, verblödeten, rassistischen Worten-“
-mit grimmiger Entschlossenheit hatte er den Abstand geschlossen, und
zornig verschloss sein Mund ihre Lippen, lag fest verschlossen auf ihrem Mund,
und blanker Hass überkam sie. Übelkeit und der bittere Geschmack der
Niederlage, dass ihr Gehirn sie so im Stich gelassen und keinen dämlichen
Umgehungszauber gefunden hatte.
Nach wenigen Sekunden war es vorbei, seine Lippen lösten sich von ihren,
und er zog den Kopf beherrscht zurück. Ihr Blick fiel sofort auf die nackte
Wand, aber natürlich war nichts passiert. Und auch Malfoy wirkte nicht
unbedingt überrascht.
„Zu viele Misteln“, knurrte er schließlich, fuhr sich durch die Haare, und
sie hätte weinen können vor Abscheu.
„Das war offensichtlich, oder nicht?“, erwiderte sie, ebenso böse. Zornig
sah er wieder an.
„Ich dachte, es würde vielleicht reichen. Wenn du schon vorher wusstest,
dass-“, begann er plötzlich ätzend selbstgefällig, aber sie unterbrach ihn
entnervt.
„-hör auf, Malfoy! Was jetzt?“
Es war ziemlich eindeutig. Ein halbherziger Kuss würde nicht reichen. Sie
war sich nicht völlig sicher, ob der Mistel-Zauber auf echter Zuneigung
basierte oder einfach nur auf intimem Kontakt. Allerdings waren beides denkbar
schlechte Voraussetzungen für sie und Malfoy.
Er atmete langsam aus. „Das funktioniert so nicht“, sprach er das
Offensichtliche aus. Und je offensichtlicher diese Tatsache wurde, umso
sicherer war sie, dass sie Snape nichts hiervon erzählen würde! „Aber der Mistel-Zauber
hat nichts mit Zuneigungen zu tun“, fuhr er fort.
„Woher-?“ Sie unterbrach sich. Woher er das wusste? All die Mädchen, mit denen
sie ihn sah, waren unzweifelhaft lediglich zu Dekorationszwecken seine
Freundinnen. „Vergiss es“, knurrte sie, ehe er noch antworten würde.
„Ein einfacher Kuss reicht nicht“, schloss er nickend, als würde er es aus
einem Textbuch herleiten.
„Super. Dann ziehe ich mich aus und lege mich schon mal hin, Problem
gelöst“, erwiderte sie voller Sarkasmus. Er betrachtete sie knapp. Er schien
das abzuwägen.
„Am besten wir nehmen den Orgasmus als allerletzte Chance“, entgegnete er
angespannt.
„Ha ha“, war alles, was sie sagte. Kurz vergrub sie ihr Gesicht in ihren
Händen. Das konnte einfach nicht passieren. Sie spürte, wie er näher kam.
Sofort fielen ihre Hände. „Was tust du?“, wollte sie panisch von ihm wissen,
aber er ruckte mit dem Kopf.
„Hör auf zu reden, Granger. Deine Stimme macht es nicht einfacher“,
murmelte er, nahe vor ihrem Gesicht. Und er senkte seinen Kopf, hauchte einen
federleichten Kuss auf ihre Wange, und ihre Augen weiteten sich. Seine Hände
fanden den Weg um ihren Nacken, strichen ihre Locken zur Seite, und sein Mund
wanderte tiefer, küsste ihren Kiefer, ihren Hals, und ihr Herzschlag ging
schneller.
„Malfoy!“, entkam es ihr warnend, aber seine Lippen lösten sich von ihrer
Haut, verharrten nur wenige Millimeter davor, und er schüttete den Kopf.
„Schließ die Augen“, befahl er ihr rau. Sie stand vollkommen steif vor ihm
und schüttelte nur den Kopf. Wie konnte es dazu kommen? Fünf Minuten zuvor,
waren sie bereit gewesen, sich zu verfluchen, und jetzt?!
„Auf keinen Fall“, erwiderte sie. Sein Kopf hob sich langsam, und seine
grauen Augen verrieten sein Missfallen über ihr Verhalten.
„Schließ deine Augen oder ich hexe sie dir zu.“
„Ist das Dirty Talk?“, vermutete sie bitter, und er atmete erschöpft aus.
Ehe er sich beschweren konnte, überwand sie ihren verdammten Stolz und ihre
Sturheit und schloss widerwillig die Augen. Zuerst passierte gar nichts, aber
dann spürte sie, wie er ihre Hände nahm und sie um seinen Nacken legte. Sein
warmer Atem lag auf ihrem Gesicht und überraschend fest küsste er sie erneut.
Sie hielt die Augen geschlossen, während seine Hände in ihre Hüften griffen,
sie näher an seinen Körper brachten, und es war so ungewohnt. So völlig falsch.
Er war nicht Ron.
Er war anders als Ron. Er roch anders als Ron, er berührte sie anders.
Abwartender, vorsichtiger, erfahrener. Rons Küsse waren direkt, Hermine konnte
immer direkt aus seiner Körpersprache lesen, was er fühlte, ob er erregt war
oder nur fröhlich. Bei Malfoy war es anders. Sie erahnte gar nichts. Steif
lagen ihre Hände um seinen Nacken, berührten nicht mehr Haut, als sie musste,
und seine Lippen verließen ihren Mund, küssten die Linie ihres Kiefers erneut,
fanden die Stelle hinter ihrem Ohr, und sie hielt die Luft an.
Er schien es zu merken, denn er hielt inne. „Atmen, Granger“, befahl er
rau, und sie atmete flach ein, um hastig wieder auszuatmen. Seine Zunge
schnellte hervor, leckte über die pochenden Adern ihres Halses, nur um
denselben Weg wieder hoch zu wandern. Mittlerweile spürte sie die Hitze in den
Wangen, und sie atmete mit leicht geöffnetem Mund, als sie seine Lippen an
ihrem Mundwinkel spürte, und fast glaubte sie, kamen ihre Lippen seinen
entgegen. Vielleicht nur einen Millimeter, dann verschloss er ihren Mund, sie
spürte seinen Atem, und er öffnete ihre Lippen unter seinen weiter, und seine
Zunge drang vorwärts in ihren Mund. Ihre Hände verkrampften sich um seinen
Nacken, als er an ihrer Zunge entlangglitt, auffordernd in vollkommener Einheit
mit ihren eigenen Gefühlen.
Ihr Kopf legte sich unbewusst weiter in ihren Nacken, und sein Arm schlang
sich um ihre Taille, während seine freie Hand, in ihre Locken griff. Hart,
hungrig. Ihre Finger entspannten sich, griffen in seinen Nacken, und sie konnte
sich nicht erinnern, dass je ein Kuss mit Ron diese Gefühle in ihr
hervorgerufen hatte.
Ungefragt lehnte sie sich enger gegen ihn, spürte seinen harten Körper an
ihrem, und es schien, als hätte er jeden Muskel unter Kontrolle. Ihre Hände
umfassten seine samtenen Wangen, ihre Fingernägel kratzten sanft über seine
Haut und unterdrückt stöhnte er in ihren Mund, verlor sich gänzlich in seinem
dominanten Spiel, und für einen kurzen Moment wollte sie gar nicht mehr
aufhören. Für einen kurzen Moment wusste sie nicht mehr, wer er war, wer sie
war.
Sie waren eins, ihr Herzschlag schien im selben Rhythmus zu schlagen, und
ihre Haut brannte dort, wo seine Finger sich erregt in ihre Bluse gruben. Ihre
Zunge focht mit seiner, alles ergänzte sich unfassbar perfekt, und sie hatte
nie gewusst, dass zwei Körper so zueinander passen könnten, als… als wäre es
praktisch von der Physik so gewollt.
Ein sanfter Windhauch strich um ihre Beine. Auch er schien es zu merken,
und er verharrte in der Bewegung. Seine Zunge zog sich zurück, seine Lippen
schlossen sich, ruhten noch eine Sekunde auf ihren geschwollenen Lippen, und
dann beendete er den Kuss. Ihre Brust hob und senkte sich verräterisch schnell,
als sie blinzelnd die Augen öffnete. Noch immer lagen seine Arme um ihren
Körper, noch immer war sie eng an ihn gepresst, die Finger in seinem Nacken
verschränkt. Sie wandten beide langsam den Blick.
Als wäre sie nie verschwunden gewesen, lehnte die alte Eichentür offen in
der Wand.
Erleichterung überkam sie mit einem Mal. Und das auch nur alleine deshalb,
weil sie sonst wohl niemals aufgehört hätte, ihn zu küssen. Gleichzeitig, als
hätte sie ein Schlag getroffen, ließen sie voneinander ab.
Und sie sagten gar nichts, sahen sich nicht in die Augen. Stumm ließ er ihr
den Vortritt, wohl aber nur, weil er seine Hose zu richten schien, bemerkte sie
mit roten Wangen aus den Augenwinkeln. Sie öffnete die Tür, und dämmrig
erleuchtet lag der Flur wie ausgestorben vor ihnen. Für gewöhnlich würde sie so
etwas wie Triumpf darüber empfinden, dass sie auf die Lösung des Zaubers
gekommen war. Aber sie empfand absolut gar nichts. Stumm gingen sie
nebeneinander durch den Flur, hingen beide ihren Gedanken nach. Es war gut,
dass sie gingen. Würde sie stehen bleiben, dann würden vermutlich ihre Knie
noch zittern.
Und sie wollte nicht reden. Wollte nicht in die Situation geraten, auch
noch zugeben zu müssen, dass wohl nur er den Zauber hatte lösen können, denn
niemals wäre sie auf die Idee gekommen, ihn so zu küssen! Niemals! Sie wäre
verhungert. Und ganz, ganz tief in ihrem Innern, musste sie ihre Meinung
ändern. Sie zog diesen Kuss dem Verdursten und Verhungern vor. Sie nahm an, sie
würde träumen von diesem Kuss. Noch in zehn Jahren.
„Willst du zu Snape?“, unterbrach er ihre Gedanken, und fast wäre sie
zusammen gezuckt. Sie wandte den Blick nicht, schüttelte nur stumm den Kopf.
„Nein“, flüsterte sie rau, tonlos, und die Nachwirkungen des Kusses waren
ihre Stimme sehr wohl anzuhören. War er wahnsinnig?
„Sicher?“, vergewisserte er sich, aber seiner Stimme fehlte die nervige
Selbstgefälligkeit. Er klang… normal.
„Ja“, bestätigte sie eilig. Snape würde wissen, dass solche Massen an
Misteln garantiert nicht durch einen Schmatzer auf die Wange zu bezwingen waren.
Und Snapes eindeutigen Blick wollte sie sich selber ersparen, wenn er ihnen
eröffnete, dass der Umgehungszauber ein simpler Spruch gewesen wäre, den sie in
der ersten Klasse gelernt hatten.
„Was ist mit den armen Schülern, die-“
„-die haben Pech gehabt“, unterbrach sie ihn, und die Röte sprengte ihre Wangen
wieder. Ihr Herz schlug wieder schnell.
„Mhm“, machte er vielsagend. „Also, der einfache, unmoralische Weg, ja?“,
wollte er bitter von ihr wissen, und sie erreichten die beiden Treppen am Ende.
Eine führte nach Westen, eine nach Osten. Er musste nach Westen, wenn er tiefer
wollte. Sie musste lediglich ein Stockwerk tiefer und dann Richtung Osten. Sie
hatten innegehalten, und sie sah ihn entsprechend an. Sie wollte nicht mehr mit
ihm reden. Sie schob trotzig ihr Kinn vor, brachte Haltung in ihren Körper.
Fast zuckten seine Mundwinkel. Zeit, zu gehen. Ideale Zeit, zu gehen, dachte
sie dann. Es gab nicht wirklich etwas zu sagen.
„Ok, dann…“, entkamen schrecklich erbärmliche Worte ihren Lippen, für deren
Unsicherheit sie sich direkt schämte.
„Jaah“, bestätigte er, vergrub lässig die Hände in den Hosentaschen.
„Zurück zu Weasley“, ergänzte er, mit dem rechten Maß an Abschätzung auf den
Lippen. Sie nickte, ohne ihn anzusehen. Ja, zurück zu Ron. Obwohl sie sich
nicht völlig sicher war, ob sie das wollte. Sie hatten es so oft versucht, und
nicht ansatzweise hatte sie sich in seinen Armen je so lebendig gefühlt wie in
Malfoys. Sie nahm an, es lag daran, dass Ron und sie beide noch unerfahren
waren. Das musste es sein. Ansonsten würde sie nämlich ihren Verstand
verlieren.
Er hatte sich von ihr abgewandt. Sie hob erneut den Blick und betrachtete
seine Gestalt, die sich von ihr entfernte. Unwillkürlich fragte sie sich, wie
viele Geheimnisse das Schloss über all die Jahrhunderte wohl für sich behielt.
Ihr Kuss mit Malfoy würde wohl eines dieser Geheimnisse bleiben.
Ehe er den Fuß auf die erste Treppenstufe stellen konnte, öffnete sich ihr
Mund. „Malfoy?“, rief sie laut, und er blieb stehen und wandte sich um. Er
sagte nichts, sah sie abwartend an.
Sie musste etwas wissen. Und sie würde niemanden sonst fragen können. Sie
würde sich nicht trauen, Ron solche Fragen zu stellen.
„War… war es gut?“ Ihre Stimme musste verraten, wie unangenehm es ihr war.
Sie sah, wie er verblüfft blinzelte. „Ich meine…, war ich-?“ Sie unterbrach sich
seufzend. „Schon gut. Vergiss es“, korrigierte sie sich hastig. Wahrscheinlich
war sie nicht gut in diesen Dingen. Es hatte nichts mit Wissen und Leistung zu
tun. Noch immer verharrte er auf dem Treppenabsatz. Und dann machte er kehrt,
kam zurück und blieb vor ihr stehen, die Hände in seinen Hosentaschen
vergraben.
„Granger, versprichst du mir, dass der Krieg kommt und einer von uns mit
großer Wahrscheinlichkeit stirbt?“, wollte er tatsächlich von ihr wissen, und
ihre Augen weiteten sich verblüfft.
„Ahem, ich weiß nicht, ob-?“, entkamen die Worte ungläubig ihren Lippen.
„-rein statistisch“, unterbrach er sie ernst.
„Rein statistisch? Ja“, bestätigte sie ausdruckslos. „Rein statistisch ist
es wahrscheinlich, dass einer von uns stirbt, warum, Malfoy?“, wollte sie
misstrauisch wissen, aus der Bahn geworfen von seinen Gedankengängen.
„Dann ja“, erwiderte er zu ihrer Verblüffung. Sein Ausdruck war vollkommen
ernsthaft, als er weitersprach. „Du warst gut“, beantwortete er ihre Frage. Ihr
Mund öffnete sich. „Wirklich gut.“
„Oh“, entgegnete sie etwas peinlich berührt, wenngleich erleichtert. „Na
dann…“, ergänzte sie mit roten Wangen. „Frohe Weihnachten“, sagte sie
schließlich, und kurz schien er nachzudenken. Dann hoben sich seine Mundwinkel,
selbstgefällig wie eh und je.
„Frohe Weihnachten, Granger“, erwiderte er, machte kehrt und betrat die
Treppe. Sie erwachte zum Leben und er rotierte ein Stockwerk tiefer, außerhalb
ihres Sichtfelds.
Noch eine Weile stand sie oben am Treppenabsatz, lauschte wie die Geräusche
der rotierenden Treppen verklangen und wusste, wären sie andere Personen,
vielleicht auf derselben Seite, dann…-
… ~*~…
Es war das letzte Mal, dass sie mit Draco Malfoy gesprochen hatte,
erinnerte sie sich. Eine Woche später war Voldemort aus der Versenkung
aufgetaucht. Der Krieg hatte begonnen.
Und ihre kindische Statistik hatte sich nicht bewahrheitet. Sie lebten
beide noch.
Manchmal dachte sie noch an ihn. An Weihnachten häufiger als sonst. Sie
hatte Ron nie von diesem Zwischenfall damals am Heiligabend erzählt.
Seltsam, wie man manche Dinge nicht vergaß.
Der Schnee fiel dichter um ihr gemütliches Haus. Rose war endlich
eingeschlafen. Hermine lehnte über dem Kinderbettchen und betrachtete liebevoll
ihre schlafende Tochter. Es war spät, aber die Welt draußen schien durch den
weißen Schnee hell erleuchtet. Morgen war Heiligabend. Harry und Ron hatten
heute noch einen langen Schichtwechsel.
Manchmal fragte sie sich, ob er es noch wusste. Und alleine, um ihr
Gewissen zu beruhigen, nahm sie es einfach an.
Sie unterstellte ihm, genauso wie sich selbst, an Weihnachten nostalgisch
zu werden, ob der Dinge, die einst waren. Und der Dinge, die niemals hatten
sein können….
Mit einem Lächeln verließ sie das Kinderzimmer und lehnte die Tür an, damit
das Licht der Flurlampe auf den Teppich
fallen konnte, damit Rose keine Angst im Dunkeln haben musste.
„Wahr sind nur die Erinnerungen,
die wir mit uns tragen;
die Träume, die wir spinnen,
und die Sehnsüchte, die uns treiben.
Damit wollen wir uns bescheiden.“
Die Feuerzangenbowle
~The End~