Valír gríma kûnna andâ en Fensál

Tilferd Draugôr fôn orîr bejá farân

~

Slaves of the Dark cannot breathe in Fensál

But when the Dead tread our Grounds their Chains will fall

 

~ Prolog ~

 

Asgard, Glaðs – 5. Palast

980 nach Christus

 

Jeder war eingenommen von seiner Gestalt, seiner Haltung. Sie waren bereit, seiner Geschichte zu lauschen und zu hören, welche Länder er bereits bereist und welche Erinnerungen er mitgebracht hatte. Allerdings war er nicht gewillt auch nur ein Wort preis zu geben. Es sind immer diese Art von Angewohnheiten, die es einem schwer machen, Sympathien zu entwickeln. Aber das war auch nicht sein Begehr.

 

Er war schön. Nicht auf eine herkömmliche Weise. Seine Züge waren scharf geschnitten, beinahe übertrieben geformt. Die Haut weder bleich noch braun, und seine grünen Augen erzählten ohne Worte von finsteren Geschichten. Er ließ keinen Bart stehen, und dennoch umrahmten die dunklen Stoppeln ansatzweise seine untere Gesichtspartie. Die dunklen Haare waren dicht, doch entsprachen keiner Frisur der derzeitigen Mode. Und dennoch war das schöne Gesicht so völlig ausdruckslos.

 

Man vergaß, er war kein Mensch. Menschen mochten die Gesellschaft anderer, sie passten sich an, sie brauchten die Konversation, denn nur dadurch bildete sich eine Gemeinschaft. Er schien dieser Dinge entsagt zu haben, denn er beteiligte sich weder an den Gesprächen, noch schien er ihnen zu folgen.

 

Seine grünen Augen blickten über die Wälder, er lauschte, als wäre das Rauschen der Bäume eine Sprache, derer er mächtig war. Vielleicht hörte er auch gar nichts, war mit seinen Gedanken jenseits jeder Unterhaltung. Schnell wird Introvertiertheit mit Arroganz verwechselt, aber ist der Unterschied wirklich so groß?

 

Das Auge vermag zu täuschen, aber manchmal ist das was man sieht, einfach nur das, was es ist. Man wäre enttäuscht, die Schlichtheit zu begreifen. Es ist angenehmer sich vorzumachen, man übersehe ein Detail, eine Winzigkeit, die anderen entgehen könnte.

Aber er gab keinerlei Anlass etwas anderes anzunehmen. Denn, auch wenn sie nicht wussten, woher er kam oder ob es seine wahre Gestalt war, wussten sie, dass das Böse ihn umgab.

 

 

Tyr umfasste das Schwert fester mit der linken Hand. Der Schmied hatte ihm den silbernen rechten Arm geschmiedet, jedoch steckte er leblos im Ärmel, war starr an seine Seite gebunden.

 

„Genug der Gastfreundlichkeiten“, sagte er still. „Kannst du ihn töten?“ Warum sollten sie sich länger mit Nebensächlichkeiten aufhalten, wenn es wichtig war, eine Lösung zu finden? Und er reagierte nicht. Es verging ein endloser Moment, indem Tyr das Schwert ungeduldig in der Hand drehte, während die anderen tuschelten, raunten, flüsterten, und dann sah der Fremde ihn endlich an.

Hexerei hasste Tyr genauso wie Ketzerei. Und er wusste, zu einem solchen Mittel zu greifen war etwas, was seine Brüder nur zu gerne durchsetzten.

 

Sein Bruder trat vor. „Wir haben es nicht geschafft“, erklärte Drom, die Skepsis in seinem Blick. Auch Led stellte sich neben ihn. Dann lächelte der Fremde und alle Wärme schien zu schwinden.

 

„Was seid ihr bereit zu zahlen?“, fragte er, die Stimme tief, gleichmütig und herablassend.

 

„Wir haben Schätze von denen andere Welten nur träumen!“, erwiderte Drom herausfordernd. Und der Fremde musterte ihn prüfend.

 

„Schätze?“, wiederholte er langsam. „Kein Gold, kein Silber, kein Reichtum oder Land kann mich bezahlen.“ Und seine Brüder senkten stumm die Blicke.

 

„Bei Odin, was willst du dann?“, fragte Tyr hasserfüllt, denn er wusste, was der Fremde sammelte. Weswegen er hier war. „Hast du nicht genug Seelen geholt?“ Und seine Brüder sahen ihn unglücklich an. Der Krieg war noch keine zwei Monde lang vorüber, und er wusste, der Fremde hatte die Hälfte seiner Krieger bekommen.

 

„Ihr habt mich gerufen, König Tyr“, erinnerte ihn der Teufel behutsam. „Und ich denke, ihr wisst, was ich will.“ Doch Tyr umfasste sein Schwert fester. Er schüttelte den Kopf, auch wenn er keine Ahnung hatte, was es war, was der Fremde von ihm verlangte. „Ihr versprecht mir euren erstgeborenen Sohn, und ich verspreche Euch, der Wolf der Sümpfe wird getötet werden.“

 

Aber Tyr konnte es fühlen. Ein Handel mit dem Teufel war nicht wirklich ein Handel. Es gab keinen Ausgleich, jeder Preis kam nur mit einem weiteren Preis. Und er wusste, er würde seine Strafe dafür erhalten, sollte er einen Handel eingehen.

 

„Abgemacht!“, rief Drom aufgeregt, aber Tyr fuhr zu ihm herum. „Nein, Bruder, warte ab! Gib ihm das Kind. Zeuge mehr Kinder. Der Verlust des ersten wird dich dann nicht grämen!“ Doch Tyr schüttelte den Kopf.

 

„Niemals! Ich überlasse meinen Sohn nicht deinem Schicksal!“

 

„Dann ist meine Zeit hier vertan, König Tyr. Aber…“ Der Fremde hielt inne. Tyr war bereit ihn mit seinem Schwert in die Flucht zu schlagen, wenn es sein musste. „Für meine Mühen, hergekommen zu sein, nehme ich mir meine entsprechende Bezahlung.“ Er ließ seinen Blick schweifen. Und Tyr bekam es mit der Angst zu tun.

 

„Was heißt das? Du willst einen von uns?“ Doch der Teufel lächelte wieder.

 

„Gibst du mir nicht, was ich verlange, lasse ich dir deinen Sohn. Und nehme deine Frau stattdessen“, fügte er ruhig hinzu. Tyr hatte gewusst, den Teufel in seine Hallen zulassen, war der größte Fehler, den er hatte machen können. Und auf seine Brüder zu hören war ein noch größerer Fehler gewesen.

 

„Was? Odins Zorn wird dich treffen!“, schwor er.

 

„Gib mir deinen Sohn, Tyr. Deinen Arm habe ich schon bekommen“, erwiderte der Teufel unbeeindruckt. Wieder nickten die Brüder voller Ehrfurcht.

 

„Bruder, einen weiteren Erben kannst du immer noch bekommen! Aber Lethe wirst du nie mehr wiedersehen!“

 

Tyr schrie vor Zorn.

 

„Verschwinde! Fort von hier, Lucifer!“ Er hob das Schwert, doch der Fremde lächelte noch immer.

 

„Wie Ihr wollt“, erwiderte der Teufel und wandte sich ab. Und kaum dass Tyr geblinzelt hatte, war der Fremde verschwunden. Einfach vom Sonnenlicht verschluckt.

 

„Er wird sie holen!“, flüsterte sein Bruder voller Panik.

 

„Das soll er wagen!“ Tyr trat an den Rand der Plattform, seine Augen wanderten herausfordernd über das grüne Tal, über die dunklen Wälder, und er hob das Schwert. „Das soll er wagen!“, rief er so laut, dass sein Echo über seinem Königreich widerhallte.

 

Dann wandte er sich an seine Brüder. Grimmige Entschlossenheit war in seinen Blick getreten.

 

„Schafft mir die Gefangenen her!“

 

~ One Day Earlier ~

 

„Was ist dein Plan?“ Cilian schritt neben ihm und hörte nicht auf, ihm endlose Fragen zu stellen. Zornig blickte Liam geradeaus.

 

„Mein Plan?“, wiederholte er gepresst, während er sich mit dem Schwert einen Weg durch den undurchdringlichen Wald bahnte. „Ich will hier verdammt noch mal verschwinden!“, fuhr er Cilian an, der ihn am Arm zurückgehalten hatte.

 

„Was? Aber… was ist mit ihr?“, wollte Cilian ungläubig wissen, aber Liam seufzte auf.

 

„Mit wem?“

 

„Oh, komm schon, Liam!“, entfuhr es seinem Bruder aufgebracht, und er war stehen geblieben. „Wir können sie nicht zurücklassen!“

 

„Und ob wir sie zurücklassen können! Nur weil du wieder einmal den Wunsch verspürst, eine Frau an dich zu binden und ein Kind zu zeugen-“

 

„Wann ist das jemals passiert? Wir sind tausend Jahre alt, und haben keine Kinder, Liam! Es wird Zeit, dass wir-“

 

„Zeit, dass wir unserem Leben ein Ende machen?“, unterbrach Liam ihn wütend und begann wieder das Gestrüpp aus ihrem Weg zu schlagen. „Du bist doch wohl nicht wirklich so dumm, dir in Walhalla einen Namen machen zu wollen, oder?“ Und Cilian verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Im Moment wirkten sie nicht auffällig, aber das würde sich bald zu ihrem Nachteil ändern.

 

Sie hatten den Kriegern ihre Kleidung von den toten Körpern gestohlen. Sie trug sich gut. Vampire schienen dieselbe Figur wie Walhalla-Krieger zu haben, hatte er festgestellt. Cilians grüner Wams bot ihm Schutz im Wald, Liams schwarzer bot ihm Schutz in der Dunkelheit. Sie waren der Wald und die Dunkelheit. Das war ein Vorteil.

 

„Der König wird nur zu gerne seine Schergen auf uns hetzen! Und das ist unsere geringste Sorge!“

 

Wütend hatte Cilian zu ihm aufgeschlossen.

 

„Ja? Liam, du hast den Teufel belogen! Du hast Luc belogen, und ich habe keine Lust meinen Hals für dich hinzuhalten!“

 

„Ach nein? Deswegen ist deine weibliche Zeitverschwendung überhaupt noch am Leben, verflucht!“, fuhr Liam ihn an.

 

Meine Zeitverschwendung? Belüg dich nicht selbst. Wenn sie dir so egal ist, hättest du Luc nicht anlügen müssen, um sie zu schützen!“

 

Und sie starrten sich einen Moment lang an.

 

Sie hatten sich zweihundert Jahre nicht gesehen, und dennoch schaffte es Cilian immer noch und immer wieder, ihn komplett zur Weißglut zu treiben. Und er hatte unrecht. Er hatte das Mädchen geschützt, weil sie die Tochter der Amazonen-Königin war. Und das war der einzige Grund. Tyr gegen sich zu haben war schon schlimm genug, aber dieser einarmige Narr ließ sich vielleicht noch bekämpfen. Aber die Königin der Amazonen war ein anderes Kaliber.

Und er hatte keine Angst vor Luc. Er hatte schon gegen Luc gekämpft als Cilian noch nicht gezeugt worden war.

 

„Selbsterfüllende Prophezeiungen“, sagte Liam schließlich. Er musste sich zusammen reißen. Wenn es hier unter ihnen einen Anführer gab, war es bestimmt nicht Cilian. Liam fuhr sich durch die dunkelblonden Haare. Sie fielen auf seine Schultern, und jetzt, wo Cilians Haare ebenfalls raus gewachsen waren, erkannte er grimmig, dass sie beide die Haare ihrer Mutter hatten. Leicht gewellt. Nur unterschiedlich in der Farbe. Manchmal hasste Liam es, seinem Bruder ähnlich zu sehen. So ähnlich wie es eben nur möglich war, wenn zwei Söhne von derselben Mutter abstammten.

 

Aber er hatte keinen Nerv, wieder darüber nachzudenken.

 

„Was?“ Cilian sah ihn kopfschüttelnd an.

 

„Prophezeiungen, die sich ohnehin erfüllen. Wir haben dem Teufel gesagt, der Sohn von Tyr wird ihn stürzen, der Teufel rennt los, holt sich den Sohn – und schon wurde die Prophezeiung verhindert. Oder vielleicht haben wir Glück, und Tyrs Sohn stürzt seinen Entführer wirklich, wenn Luc ihn lange genug am Leben lässt.“

 

„Das ist leichtsinnig und unglaublich überheblich von dir!“, knurrte Cilian. „Was, wenn es ein Mädchen wird?“, wollte Cilian wissen. Liam verdrehte die Augen.


„Was, wenn es ein Windling wird, was wenn es eine Hexe wird, wen interessiert es? Luc hat genügend Angst, gestürzt zu werden, und deshalb glaubt er alles, was ihm jeder mit einem Hauch von Ahnung erzählt!“

 

„Du hast also einen Hauch von Ahnung?“, wollte Cilian herablassend wissen.

 

„Genug Ahnung, um zu wissen, dass wir es uns nicht mit allen magischen Stämmen verscherzen sollten, Cilian!“

 

Und sein Bruder blickte ihm finster entgegen.

 

„Ich gehe zurück.“

 

Liam schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Er hasste seinen Bruder. Hasste ihn!

 

„Nein“, erwiderte er schlicht.

 

„Du wirst mich nicht halten!“

 

Wieso hatte er das verdient?

 

„Cilian, hör mir genau zu“, begann er, während er den Abstand schloss. Der Hass in Cilians grünen Augen irritierte ihn schon lange nicht mehr. Er begrüßte ihn sogar, denn mit jedem anderen Gefühl konnte er ohnehin nicht umgehen. „Wir reden hier von einer Amazone. Sie braucht deinen Schutz nicht. Und glaubst du ernsthaft, sie würde auch nur eine Sekunde lang in Erwägung ziehen, deine Frau zu werden? Geschweige denn, sich der Verwandlung zu unterziehen? Deine Gefühle waren schon immer unser Feind!“

 

Und Cilian verzog bitter den Mund. „Liam, du warst schon immer unser Feind. Und ich werde sie-“

 

„Du wirst gar nichts tun. Wir sind nicht hier, um eine Frau zu finden“, unterbrach er ihn streng.

 

„Nein“, erwiderte Cilian und stieß ihm hart die Hände vor die Brust. Es war kaum mehr als eine milde Geste, denn wenn es nötig wäre, könnten sie beide den gesamten Wald in nur fünf Minuten mit bloßen Händen vernichten. Dass sein Bruder ihn schubste war also… nur symbolisch von Bedeutung. Und es scherte ihn nicht.

„Wir sind hier, weil du nach Macht suchst, richtig? Nach endloser, ewiger Macht! Und dir ist kein Weg zu weit dafür, richtig? Kein Preis zu hoch! Du würdest deinen eigenen Bruder dafür geben, die Herrschaft über alle Clans und über den hohen Rat zu erlangen, nicht wahr?“

 

Und die Antwort wäre gewesen: Ja, auf jeden Fall. Cilian raubte ihm seine Vernunft. Und er hatte verdammten Durst!

 

Und beide lauschten auf. Es war ein Geräusch, so leise, so unmenschlich präzise, dass sie sich gleichzeitig duckten, als ein Pfeil in einer, für das menschliche Auge nicht zu erkennenden, Geschwindigkeit an ihnen vorbeischoss.

 

„Was zum-?“, entfuhr es Cilian, aber schon standen sie wieder aufrecht, und eine Reihe an Frauen hatten die Sehnen ihrer Bögen gespannt. Zwölf Amazonen standen ihnen gegenüber, ihre Köcher bis zum Rand mit Pfeilen bestückt. Breitbeinig, alle Muskeln angespannt und verführerisch in ihren dunklen Lederröcken, den hautengen Korsagen und den Knochen fremder, gefährlicher Tiere als Körperschmuck in ihren langen, dunklen Haaren.

 

„Perfekt“, entfuhr es Liam unterdrückt. Wenn möglich wurden die Blicke der Frauen noch finsterer, und die Sehnen ihrer Bögen knarrten gefährlich vor Spannung.

 

„So, so. Einsame Wanderer, richtig? Bekleidet in den Farben der Krieger“, bemerkte die Amazone, auf die Cilian sehnsüchtig ein Auge geworfen hatte. Liam überlegte sehr schnell. Aber… gegen zwölf Amazonen würden sie nicht gewinnen. Das war einfach Fakt.

 

„Lass mich erklären!“, begann Cilian und wagte einen Schritt in Richtung der bewaffneten Frauen. Doch diese spannten die Sehnen fester.

 

„Nicht näher, Vampir, oder wir reißen eure Herzen raus!“, knurrte eine andere.

 

„Bitte, hört mich an“, versuchte Cilian es erneut, und Liam würde ihm am liebsten das Genick brechen, damit er fünf Minuten außer Gefecht gesetzt wäre. Anscheinend hatten die Damen ihre Identität endlich erraten. Sie mochten stark sein, aber besonders klug waren sie nicht. „Wir hatten keine Absicht, euch zu verraten, euch überhaupt in Schwierigkeiten zu bringen!“, beteuerte er, und Liam verdrehte die Augen. Die Anführerin schloss den Abstand zu ihm.

 

Der giftige Pfeil drückte gegen seinen Hals, und er schenkte ihr ein kühles Lächeln.

 

„Ein Wanderer mit der Macht, den Teufel in die Flucht zu schlagen. Ich hätte es wissen müssen“, flüsterte sie, ihre dunklen Augen voller Zorn. „Wie könnt ihr es wagen, in unserer Welt zu kommen?“, fuhr sie fort. „Wie könnt ihr es wagen, den Teufel mitzubringen? Wollt ihr einen Krieg auslösen?“ Die Pfeilspitze bohrte sich nun in seine Haut, ritzte durch die Poren, und das Gift drang in seinen Blutkreislauf. Kurz spürte er ansatzweise die Stärke des Giftes, aber schnell hatten seine Kräfte die tödliche Verletzung neutralisiert und seine Haut schloss sich wieder.

 

„Wir wollten dich retten!“, rief Cilian verzweifelt. Er war lächerlich.

 

„Der Teufel war ein nicht beabsichtigtes Hindernis“, bemerkte Liam schließlich. „Und sein Auftauchen war unglücklich, aber-“

 

Unglücklich?“, entfuhr es der schönen Amazone, aber Liam wusste, nichts war so todbringend und gefährlich wie eine Amazone. Und Cilian musste wahnsinnig sein, es ausgerechnet auf dieses Exemplar abgesehen zu haben. „Das könnte man sagen, ja. Und wir werden das einzig richtige tun“, informierte sie ihn.

 

Und Liam schloss entnervt die Augen. „Wir werden euch ausliefern.“ Das war ihm klar gewesen.

 

Und Cilian umfing das, durch Leder geschützte, Handgelenk der Schönen. Sein Bruder war ein romantischer Idiot, und eine Schande für jeden Vampir der hohen Linie. Gut, dass er ihre Haut nicht berührt hatte, überlegte Liam dankbar.

 

„Nein! Tut das nicht!“

 

„Fass mich nicht an!“ Und nur mit winziger Auflehnung brachte es die Schöne fertig, seinen Bruder fünfzehn Meter weit in die Bäume krachen zu lassen. Liam seufzte auf.


„Können wir uns einig werden?“, versuchte er es ruhiger. Die Amazone schenkte ihm ein Lächeln.


„Oh ja, das können wir. Entweder bringt euch König Tyr um, und wir sehen uns nie wieder, oder es gelingt euch zu fliehen, mit Glück lebendig in die Dunkelwelt zurückzukehren, und auch dann sehen wir uns nie wieder!“, informierte sie ihn. „Ich stehe in keiner Schuld eines Blutsaugers, lass dir das gesagt sein, Cunning!“, spuckte sie ihm entgegen, und seine Mundwinkel hoben sich anerkennend. Sein Name war auch in Walhalla bekannt. „Ihr habt mich bewahrt, und so bewahre ich euch. Vor uns“, fügte sie hinzu. Die Münze ihres Stammes hing um ihren Hals. Sie war die Tochter der Königin.

 

Ihre Macht war also nahezu grenzenlos. Liam wog die Chancen ab. Es wäre einfacher, die gesamten Wachen im Schloss auszuschalten, als auch nur zu versuchen, eine Amazone zu überwältigen.

 

Ravêna“, begann Cilian, als er sich aufgerappelt hatte. Diese schoss mit einem zornigen Schrei zu ihm herum.

 

„Wag es ja nicht, noch einmal meinen Namen zu nennen, du schmutziges Geschöpf der Dunkelheit!“, knurrte sie, und jetzt lag ihr Pfeil an Cilians Hals.

 

„Wenn ihr alle bitte abdrücken würdet, würdet ihr mir eines meiner Probleme abnehmen“, entgegnete Liam bitter.

 

„Wir tun euch keine Gefallen!“, knurrte Ravêna, die Tochter der Königin. „Lasst euch noch einmal in unseren Wäldern sehen, und ihr habt weitaus weniger Glück!“

 

Und ehe Liam noch irgendetwas Schlagfertiges erwidern konnte, durchbohrten ihn und Cilian fünf der giftigen Pfeile. Sie führten zwar nur zur Ohnmacht, aber das dürfte den Amazonen genügend Zeit verschaffen. Verflucht. Er hasste Cilian. Er würde ihm die Schuld daran noch geben können. Hätte sich sein Bruder nicht von Luc in den Hinterhalt locken lassen, wäre Liam schon längst wieder zurück und mächtiger als alles andere.

Aber nein. Er hatte ja einen Bruder.

 

Und dann wurde es schwarz.

 

~*~

 

~ The next Day ~

 

Dann wandte er sich an seine Brüder. Grimmige Entschlossenheit war in seinen Blick getreten.

 

„Schafft mir die Gefangenen her!“

 

 

Er spürte den Zauber, der seine Kräfte unterdrückte. Zu gerne würde er wissen, wer diese silbernen Fesseln gefertigt hatte. Cilian wehrte sich mit aller Macht, aber Liam ließ sich von den Wachen führen. Sie erreichten schnell die oberste Terrasse.

Grob wurden sie nach vorne ins Tageslicht gestoßen.

 

Kurz mussten sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnen, waren sie doch eine nachtlang eingesperrt gewesen. Er blinzelte gegen die grelle Sonne. König Tyr stand vor ihm, seine Brüder hinter ihn gekauert.

 

„Sie… sind ungefährlich?“, flüsterte der eine mehr als ängstlich, und Tyr nickte grimmig.

 

„Oh ja. Das Band des Freyr hat seine Wirkung noch nie verloren!“, erwiderte der König kalt. Liam wusste, der König hatte seinen rechten Arm an den Wolf verloren. Zwerge hatten die neue Kette des Wolfs gefertigt, soweit es Liam bekannt war. Es war dieselbe Macht, derselbe Zauber, der auch in diesen Fesseln lag und jedes Übernatürliche aus ihren Körpern bannte und ihre Körper schwächte. So wurde der Wolf auch in seiner menschlichen Gestalt gehalten, ohne die Fähigkeit, sich verwandeln zu können.

 

Liam würde ihn zu gerne sehen, die gefährlichste Bestie Walhallas, den Fenris-Wolf, den Wolf der Sümpfe. Was Cilian dazu sagen würde, wusste er schon jetzt. Aber gerade hatten sie ein lästiges Problem nach dem anderen zu lösen. Seine Rippen schmerzten noch immer von den giftigen Pfeilen der Amazonen.

 

„Wo der Teufel ist, da sind die Vampire nicht weit“, bemerkte der König bitter, und Liam spürte seinen feindlichen Blick tief in seinen Körper dringen. Er erwiderte schließlich den Blick.

 

„König Tyr, wir-“, begann Cilian, wurde aber durch einen groben Stoß der Wachen verstummt. Liam hätte gerne die Augen verdreht, denn nur durch seinen Bruder waren sie wieder einmal in eine komplizierte Lage geraten.

 

„Ihr könnt froh sein, dass ich euch nicht sofort köpfe, Vampir!“, spuckte er ihnen das Wort entgegen. „Dunklen Geschöpfen droht die Todesstrafe, wenn sie unsere Welt betreten, das sollte euch bekannt sein!“, fügte er hart hinzu. Liam nickte schließlich. Es konnte nur einen Grund haben, dass Tyr sie noch nicht geköpft hatte. Wahrscheinlich war dies, wenn sie die Fesseln trugen, sogar möglich, überlegte er schlecht gelaunt. Aber dann wiederum… sie waren keine Späher. Sie waren Vertreter der Hohen Linie.

 

„Schon alleine, dass ihr die Kleider der Krieger tragt ist Hochverrat an unserem Volk!“, fügte Tyr zornig hinzu.

 

„Bring sie um!“, zischte sein Bruder jetzt haltlos, aber Tyr hob die Hand.

 

„Gemach, Bruder.“ Tyr schien abzuwägen, was er sagen wollte. Er seufzte auf und ließ seinen Blick über die Wälder des fünften Palastes schweifen.

 

Liam wusste, Luc war hier gewesen, weil Tyr den Wolf der Sümpfe getötet haben wollte. Anscheinend war das nicht passiert. Aber der König konnte nicht so dumm sein, den Teufel ohne einen Ersatzplan gerufen zu haben. Tyr war schließlich der einzige gewesen, der Walhallas Bestie mit einem Trick bezwungen hatte. Zwar hatte er dafür seinen Arm eingebüßt, aber… er hatte die Bestie wenigstens für den Moment besiegt. Zumindest nahm Liam an, dass Tyr nur für den Moment sicher sein konnte. Würde er wissen, dass der Wolf ungefährlich war, dann würde er wohl kaum den Teufel als Absicherung herbestellen.

 

Jede Welt schien ihren eigenen Feind zu haben.

 

Er musste um den Preis wissen, den Luc verlangte!

 

„Irgendwelche Gedanken, Vampir?“, erkundigte sich der König jetzt und riss ihn tatsächlich aus seinen Grübeleien.

 

„Nein, mein König“, erwiderte Liam ruhig. „Mein Name ist-“

 

„Ich kenne deinen Namen“, unterbrach ihn Tyr eisig. „Glaube nicht, dass ich dich unterschätze. Du führst Krieg gegen deinen Vater!“

 

Gut, auch hier wusste man also davon. „Das ist schon Grund genug, dich nie mehr das Tageslicht genießen zu lassen, Verräter!“

 

„Bei allem Respekt, Ihr habt keine Vorstellung von-“

 

„-von Hochverrat? Von dem Durst nach Macht? Maße dir keine Überheblichkeiten an, Vampir. Dinge anzunehmen könnte immer gefährlich sein“, erklärte der König gelassen.

 

„Den Teufel zu rufen ist auch gefährlich!“, warf Cilian ein, und Liam biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. „Habt Ihr seinem Handel zugestimmt?“, wollte Cilian besorgt wissen, und Liam starrte ihn fassungslos an. Das… war jetzt nicht wirklich passiert?! Oh verflucht! Cilian, du verdammter Idiot! Tyrs Blick wurde stechender.

 

„Ihr wisst von dem Handel?“, brachte er zischend über die Lippen, und jetzt klappte Cilians Mund verständnislos auf.

 

„Cilian-“, warnte Liam ihn gepresst, aber Cilian nickte bloß.

 

„Natürlich! Liam hat ihm doch überhaupt erst von der Prophezeiung erzählt!“, entfuhr es Cilian heftig.

 

Liam schloss ergeben die Augen. Wieso versuchte er überhaupt, irgendetwas zu erreichen? Es war sicher, dass Cilian zur Stelle sein würde, um alles zu vernichten, was Liam anfasste.

 

Was?!“, donnerte König Tyr mit zorniger Stimme, und Liam warf Cilian einen so zornigen Blick zu, dass dieser vor Schreck verstummt war. Horror trat in Cilians grüne Augen, denn erst jetzt schien er das Ausmaß seiner Plauderei zu begreifen!

 

„Warum noch mal habe ich dein verdammtes Leben gerettet?!“, knurrte Liam seinem elenden Bruder zu, ehe Tyr ihn mit einem Wutschrei mit seinem Schwert durchbohrte. Bunte Punkte tanzten vor Liams Auge.

Das würde auch morgen noch wehtun, nahm er keuchend an. Er spürte die alten Zauber, die auf der Klinge lagen, die königliche Macht von Asgard, mit der das Schwert durch Zwergenhandwerk verzaubert worden war.

 

Jetzt wäre auch ein guter Moment erreicht, zu testen, ob Vampire gegen die Magie von Walhalla immun waren. Wenn dem nicht so sein sollte, hoffte er, Cilian wäre Tyrs nächstes Opfer….

 

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