Kapitel
Kapitel 1 , Kapitel 2 , Kapitel 3 , Kapitel 4 , Kapitel 5 , Kapitel 6 ,
Kapitel 7 , Kapitel 8 , Kapitel 9 , Kapitel 10
„Norman: I think that we're all
in our private traps,
clamped in them, and none of us can ever get out.
Marion: Sometimes... we deliberately step into those traps.
Norman: I was born into mine. I don't mind it anymore.
Marion: Oh, but you should. You should mind it.
Norman: Oh, I do... But I say I don't.“
Psycho
Er traute
sich nicht, zu fragen.
Draco war
in letzter Zeit sehr schnell reizbar und sehr schnell bereit, einen
unangenehmen Juckpulver-Fluch loszulassen. Er streckte sich auf dem unbequemen
Stuhl. Noch nie hatte er sie gezwungen, in der Bibliothek zu lernen. Für
gewöhnlich saßen sie im Gemeinschaftsraum. Und für gewöhnlich stellte sich
Draco irgendwann ungefragt hinter sie und korrigierte ihre Arbeiten. Das würde
er wohl heute nicht tun, nahm Gregory enttäuscht an.
Denn heute waren
sie hier. Es war so leise hier, dass es Gregory fast schon unangenehm war, hier
zu sein. Er fürchtete sich davor, dass sein Magen vor Hunger knurrte, und
Madame Pince ihn verweisen würde. Und er wusste auch nicht, was er lernen
sollte. Vincent schenkte ihm einen ähnlich hilflosen Blick, aber Gregory zuckte
die Achseln und bedeutete ihm, Draco bloß nicht zu fragen, und einfach auf sein
Buch zu starren.
Gregory
glaubte zu wissen, warum sie hier wie die letzten Idioten saßen,
zusammengepfercht an den alten Holztischen, zum stillen Lernen in der
Bibliothek. Aber er würde es nicht sagen, würde Draco besser nicht danach
fragen, wenn ihm sein Leben lieb war. Er war nicht clever wie Draco, aber er
besaß genug Menschenverstand, ihn nicht zu fragen, warum sie ausgerechnet in so
offensichtlicher Nähe zu den Gryffindors saßen.
Vielleicht
ließ es Draco mit Absicht darauf ankommen. Gregory machte es so. Manchmal
musste man Dinge eben tun, auch wenn man wusste, dass es umsonst war, und man
noch tiefer in der Scheiße sitzen würde. Gregory wusste ein oder zwei Dinge
über ein gebrochenes Herz. Aber er wusste bei Salazar nicht, wie er mit Draco
darüber reden könnte. Wahrscheinlich würde Draco nicht zuhören. Und Draco würde
es nicht wollen. Denn sie sprachen nie über Dinge.
Gregory
spielte abwesend mit der Feder in seiner Hand und kaute auf seiner Unterlippe
vor Hunger. Er hatte Pansy einen Brief geschrieben. Vor zwei Monaten. Hatte ihn
in ihrer Schultasche versteckt, zwischen ihren Büchern. Und er war sich
ziemlich sicher, dass sie ihn gefunden hatte. Aber er war kein Idiot. Er mochte
blöd sein und fett und wie sie ihn sonst noch nannten, wenn sie glaubten, er
würde es nicht hören. Aber er war kein Idiot. Seine Mutter hätte es ihm schon
längst gesagt, denn sie log ihn nicht an. Aber manchmal streichelte seine Ma
ihm über die Haare, kniff in seine Wange und sagte, er wäre etwas ganz
Besonderes.
Und er
müsse nur abwarten. Das Glück würde zu jedem kommen, der nur geduldig wartete.
Vielleicht war er ja eine dieser seltenen Ausnahme unter den Slytherins, und
das Glück würde ihn finden?
Er hatte
nicht gewusst, was er Pansy sagen wollte, aber er hatte ihr sagen wollen, dass
er ihre Haare mochte, denn sie glänzten so schön wie das Fell seines treuen
Hundes Tipsy Zuhause; dass er mochte, wie sie roch und wie sie sprach. Dass er
fand, dass sie das witzigste Mädchen war, was er jemals gesehen hatte, und dass
sie nicht auf Draco warten sollte. Letzen Endes hatte er in dem Brief
geschrieben, dass er immer ihr Freund sein würde. Und wenn Pansy jemals eine
Sorge oder ein Problem hatte, was sie nicht lösen konnte, dann würde er ihr
helfen. Denn natürlich könnte er ihr nicht sagen, dass ihr Haar wie Hundefell
war. Er wusste, wie es klang. Und er wusste, er würde keine besseren Worte
finden.
Und wie
gesagt, war er kein Idiot. Er wusste auch, sie würde nicht antworten. Sie würde
ihn nicht mal sehen. Nicht mal, wenn er auf einmal aufwachte und nicht mehr
fett war. Oder blöd. Nicht in tausend Jahren.
Manchmal
hob Draco neben ihm unauffällig den Blick, wie um sicherzugehen, dass sie noch
da war. Gregory merkte es. So etwas fiel ihm auf. Und wo sollte sie sein?
Hermine Granger wohnte ja praktisch in der Bibliothek. Ächzend bewegte er sich
auf dem schmalen Stuhl, der nicht für seinen Hintern geschaffen worden war, und
erntete Dracos gereizten Blick. Gregory zog schuldbewusst den Kopf zwischen die
Schultern, versuchte, kein Geräusch mehr zu machen, und tauschte wieder einen
verzweifelten Blick mit Vincent. Manchmal fragte er sich, ob sich Draco wegen
ihnen schämte. Manchmal glaubte er das.
Wenn Draco
von Potter und seinen beiden Freunden sprach, dann offensichtlich abfällig,
zornig, herablassend – aber dennoch sprach er von ihnen. Pausenlos, wenn
Gregory nachdachte. Er machte sie immer darauf aufmerksam, wenn er sie
entdeckte. Manchmal scheuchte er sie über das kalte Gelände, weil er
behauptete, Bewegung täte ihnen gut, wo sie doch schon für Quidditch unbegabt
waren. Und dort trafen sie auch auf die drei bis vier Gryffindors, die wohl
täglich gerne eine Runde ums Schloss drehten. Und auch wenn Draco nichts sagte,
wenn sie auf derselben Höhe mit Potter, den Weasleys und Granger waren, so
verdunkelte sich sein Gesicht anschließend, und er sagte etwas wie:
‚Unerträglich, diese arroganten Gryffindors.‘
Und Gregory
und Vincent würden wieder Blicke tauschen, nicht antworten, denn war Draco
nicht deshalb über das Gelände marschiert? Um auf die arroganten Gryffindors zu
treffen? Gregory wusste nicht, ob Vincent etwas Ähnliches dachte. Dann wiederum
wusste er nicht, was Vincent überhaupt dachte. Obwohl sie zusammen ihre Zeit
mit Draco verbrachten, waren sie nicht wirklich enge Freunde. Er musste
behaupten, Vincent ordnete er eher Blaise zu. Seit neuestem zumindest. Ab und
an sah er sie zusammen, während sie sprachen – oder was auch immer sie taten.
Denn viel sprach Vincent ohnehin nicht.
Und immer,
wenn Granger Dracos Blick bemerkte, sah sie ihn an. Denn das tat sie eben. Im
Gegensatz zu ihm, Gregory, fürchtete sie sich scheinbar nicht vor Dracos
stechendem Blick. Und dann verzog Draco abschätzend das Gesicht und starrte
wieder hinab auf seine Aufgaben, als wäre Granger es gewesen, die ihn abgelenkt
hatte.
Aber
Gregory verbrannte sich nicht die Zunge. Er sprach nicht aus, was er dachte.
Würde er es tun, dann würde Draco abfällig lachen, ihn dämlich schimpfen, denn
was sollte er sonst tun? Granger war eine Muggel, eine Gryffindor und…Draco
nicht. Mehr gab es dazu kaum zu sagen, oder? Und Draco tat ihm leid. Denn das
machte Dinge irgendwie kompliziert, oder?
Manchmal
überlegte Gregory, ob er anstelle von Draco, Granger einen Brief schreiben
sollte. Natürlich in Dracos Namen. Aber das machte er nicht. Denn erstens
gehörte Draco mit zu den besten Schülern ihres Jahrgangs und würde bestimmt
keine Rechtsschreibfehler machen, so wie Gregory, obwohl er seine Grammatik so
gut es ging kontrollierte! Und zweitens würde Dracos Vater einen Herzinfarkt
bekommen. Mr. Malfoy wusste immer alles. So wie Draco immer alles wusste. Es
war gruselig. Sein Vater wusste nämlich nie irgendetwas. Genauso wie er.
Scheu hob
er den Blick, um sie flüchtig zu betrachten. Ihm war sie noch nie wirklich
aufgefallen. Er käme überhaupt nicht dazu, sie anzusehen, sie zu… mögen oder
etwas in der Art. Er war in Slytherin. Er hatte immer geglaubt, man könne nur
Mädchen aus seinem eigenen Haus mögen – wenn überhaupt. Ihre Haare waren anders
als Pansys. Grangers Haare waren hellbraun, schimmerten fast golden in den
letzten Sonnenstrahlen. Und sie waren lang und verrückt und lockig. So viele
Locken hatte nicht mal sein Hund. Ab und an kaute sie abwesend auf ihrer
Unterlippe, ließ sie wieder fahren, fuhr sich mit den Fingern durch die Locken,
rieb sich den Nasenrücken, auf dem so viele Sommersprossen verteilt waren, dass
er versucht war, sie vielleicht zu zählen, um zu sehen, ob es über hundert
wären. Vielleicht zweihundert?
Sein Blick
erstarrte ertappt, als er merkte, dass Draco ihn von der Seite ansah, während
er Granger betrachtete. Was laut Draco verboten war! Wie er sagte, ‚sollte
niemand ein Schlammblut überhaupt ansehen!‘. Hastig senkte Gregory wieder den
Blick auf seine Unterlagen. Er spürte Dracos zornigen Blick noch einen weiteren
Moment lang, ehe Draco die Feder wieder auf das Pergament setzte und
wusste-Merlin-was nieder schrieb.
Endlose
zehn Minuten später packte Ronald Weasley seine Feder ein, schraubte das
Tintenfass zu, und Granger und Potter taten es ihm gleich. Auch Draco kam zu
einem vorhersehbaren Ende und bedeutete ihnen mit knappen Blicken, aufzustehen.
So kam es, dass sie gleichzeitig die Bibliothek verließen. Und irgendwie
richtete Draco es ein, dass sie hinter dem Trio her marschierten. Dracos Blick
starrte gebannt auf Grangers Hinterkopf, als wäre er dort fixiert. Als würde er
etwas Spannenderes sehen, als Grangers wippende Locken. Sie glänzten auch,
stellte Gregory fest. Aber nicht so schön wie Pansys Haare.
Er und
Vincent flankierten Draco, wie sie es immer taten, dabei nahm er an, brauchte
Draco am allerwenigsten von ihnen Schutz oder Geleit, trug er doch seine eiskalte
Mauer wie einen Schutzschild Tag und Nacht vor sich her, dachte er abwesend. Es
war einfach eine Gewohnheit, dass sie rechts und links neben ihm liefen. Als
wäre er die Sonne, um die sie sich drehten, das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit.
Und vielleicht war es auch so? Mittlerweile war Draco größer als Vincent. Er
hatte sie irgendwann überragt, ohne dass Gregory sagen könnte, wann.
Irgendwann
war er auch klüger geworden, war zum Vertrauensschüler ernannt worden, und
Gregory nahm an, dass Draco nächstes Jahr Schulsprecher werden würde. Er war
überzeugt davon. Er hatte sie irgendwann zurückgelassen und zog es sogar vor –
wenn auch in Heimlichkeit – ein Gryffindor-Mädchen zu mögen.
Und
plötzlich hoben sich Dracos Mundwinkel, stellte Gregory fest, der ihn stumm aus
den Augenwinkeln betrachtet hatte.
„Irgendetwas
stinkt hier“, bemerkte glatt, Hohn in der mittlerweile tiefen Stimme. Und
Gregory merkte, wie besonders Weasley die Ohren zu spitzen schien. Und Vincent
ging angespannter neben Draco, schien sich auf eine Konfrontation
vorzubereiten, denn garantiert sprach Draco nicht so laut, damit er und Vincent
zuhörten, dachte Gregory fast enttäuscht.
Demonstrativ
zog Draco hörbar die Luft durch die Nase. „Riecht wie… Blutsverräter?“,
vermutete er mit einem kühlen Lächeln, und Weasley blieb stehen. So auch Potter
und Granger. So auch sie, die Slytherins. Ehe Weasley sich umwandte, schüttelte
Draco den Kopf, und das Lächeln grub tiefe Grübchen in seine Wangen. „Nein. Ich
irre mich. Es riecht nach…-“
-Weasley
wandte sich um. „-Schlamm…“, schloss Draco mit sanfter Erkenntnis, und Weasleys
Kiefermuskeln arbeiteten angespannt. „Findet ihr nicht auch?“, wandte er sich
an ihn und Vincent, ohne sie anzusehen. Vincent grunzte irgendetwas zur
Bestätigung, aber Gregory sagte nichts. Grangers Mund verzog sich, und sie
schüttelte angewidert den Kopf, als sie Weasley am Arm zurückhielt. Dracos
Blick glitt kurz über diese Geste, denn er bemerkte es sehr wohl, aber sein
Lächeln verblieb auf seinen hochwohlgeborenen Zügen, als gehöre es dort hin.
Als könne ihn nichts beirren.
„Fick dich,
Malfoy!“, knurrte Weasley gepresst, ließ sich aber von Granger weiterziehen,
die Draco einen wütenden Blick zuwarf.
„Wow. Küsst
du Potters Hintern mit diesem Mund, Weasley?“, erkundigte sich Draco, und auch
Potter machte einen gefährlichen Schritt zurück in seine Richtung. Aber Granger
griff mit der anderen Hand nach Potter, und Dracos Mundwinkel zuckten darüber.
„Lass es,
Harry“, sagte Granger angespannt und schaffte es, ihre Freunde weiterzuziehen.
Sie schenkte Draco ein gereiztes Kopfschütteln und wandte sich ab. Wütend
redeten ihre Freunde auf sie ein, aber Granger zog sie um die nächste Kurve,
und sie waren verschwunden. Vincent entspannte sich wieder neben Draco. Wie gemalt
haftete das Lächeln auf Dracos Lippen, aber es wirkte hohl und leer.
Und Gregory
wusste, Draco konnte nicht anders. Das schien die einzige Art und Weise zu
sein, wie er zu ihr sprechen konnte. Gregory vergrub die Hände unschlüssig in
seinen Taschen. Was Draco tat, brachte ihn weit ab von jeder Chance, dass die
Gryffindors ihn jemals mögen würden. Und das wollte er wohl auch nicht. Er war
der reichste von ihnen. Der schlauste. Seine Eltern hatten ihm nichts
verweigert. Alle in Slytherin respektierten ihn – und doch… Manchmal glaubte
Gregory, er musste ziemlich einsam sein. Hinter all dem. Hinter der Fassade.
Und er
schluckte unbewusst, als Dracos Blick auf ihn fiel. Er verengte die grauen
Augen misstrauisch. Hastig räusperte sich Gregory, streckte den Rücken durch
und ließ den Ausdruck von seinem Gesicht verschwinden, von dem er hoffte, dass
Draco ihn nicht durschaute. Denn Gregory hatte Mitleid mit ihm. Und er hoffte,
dass Draco das nicht sah. Wahrscheinlich würde er ihn bestrafen dafür.
Wahrscheinlich
würde er ihm die Freundschaft kündigen. Draco stellte sich seine Fallen selber
auf, wusste Gregory. Denn er konnte nicht anders.
„Was?“,
wollte Draco ruhig von ihm wissen. Zu ruhig. Herausforderung auf den Zügen. Und
Gregory schüttelte hastig den Kopf. Verachtung lag in Dracos Blick, als er
schließlich den Kopf nach vorne wandte und mit grimmiger Zufriedenheit den
Rückweg antrat. Er und Vincent folgten ihm, aber Gregory wusste, Draco spielte
nur. Er tat nur so.
Aber
Gregory war selber feige. Es war seine eigene, unangenehme Falle. Er hatte
Angst davor, Draco die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Er sagte nie, was er
wirklich dachte. Manchmal war man auf der sichereren Seite, wenn man für sich
behielt, was man über andere wusste.
So waren
sie, die Slytherins. Jeder hatte sein eigenes, kleines Geheimnis.
„Why didn't he go for me? How come
the guys that I want never want me?
She doesn't even try, and he just picks her. And she's always the one
that everyone picks.
For everything. And I try so hard and I'm never the one...“
Caroline Forbes
Wenn er
lachte, dann sah er so anders aus. Es gab Menschen, deren Gesicht verriet
bereits, dass sie viel lachten. Wie Gregs Gesicht. Er wirkte immer eher…
freundlich. Friedfertig. Aber Draco war eher ernst. Ihm traute man kaum zu,
dass er tatsächlich voller Unbeschwertheit lachen konnte. Immer dann, wenn er
vergaß, er selbst zu sein. Wenn er aufhörte, sich Gedanken zu machen darüber,
was die Leute von ihm denken mochten.
Ein bisschen
weniger ‚Malfoy‘ und etwas mehr ‚Draco‘ kam dann zum Vorschein.
Vincent
senkte hastig den Blick, denn er starrte ihn schon viel zu lange an. Sein Blick
fiel auf das magische Geschenkpapier, womit Pansy Dracos Geschenk eingeschlagen
hatte. (Sie hatte ihm neue Lederhandschuhe zum Fliegen geschenkt.) Besen jagten
abstrakt über das glänzende Papier, verschwanden in den geknickten Falten. Vor
ihm lag das leere Cupcake-Papier der kleinen Kuchen, die er bereits gegessen
hatte. Ella hatte sie gebacken. Sie war extra am Wochenende nach Hause zu ihren
Eltern gefahren, um sie zu machen. Unwillkürlich zog er seinen Bauch ein, damit
niemand sah, wie er sich schon unter seiner Weste wölbte.
Angespannt
lagen seine Hände über seinen Knien und er versuchte, an nichts Spezielles zu
denken und niemand Bestimmten anzusehen. Neben ihm verlagerte sich der
Schwerpunkt der alten Sprungfedern der Couch, als Blaise sich setzte. Vincent
schluckte schwer, sein Hals war trocken. Er blinzelte knapp, ignorierte, dass
Blaise neben ihm saß, selber einen Cupcake in der Hand.
„Und?“,
wollte Blaise recht ungeniert wissen, ein ewiges Lächeln auf den vollen Lippen.
„Hast du ihm was geschenkt?“ Vincent biss die Zähne zusammen. Seine Hände
verkrampften sich auf seinen Knien. Er hatte nicht vor, zu antworten. Er sprach
nicht mit Blaise Zabini. „Komm schon, Vinnie“, lockte ihn der schlanke Junge
mit der leicht olivfarbenen Haut feixend, und Vincents Knöchel wurden weiß vor
Wut. Er hasste es, wenn er ihn so nannte. Blaise stützte sich mit den Ellbogen
auf die Knie, brachte seinen Oberkörper somit nach vorne, so dass er ihn kauend
von unten betrachtete, als er den Cupcake aufgegessen hatte. „Aber
wahrscheinlich interessiert Draco nicht, was du zu bieten hättest, hm?“, wollte
Blaise stiller wissen, während Vincent ihn weiterhin ignorierte und hoffte,
dass niemand seinen Worten zuhörte.
Sie waren
immer einigermaßen verwerflich. Denn Blaise wusste etwas über ihn, was niemand
sonst wusste. Und Vincent hatte Schwierigkeiten damit. Er hasste es. Aber er war
nicht begabt genug für einen Vergessenszauber. Und er bezweifelte, dass er
Blaise physisch überlegen war. Was half es schon, ihn zu verprügeln, dachte
Vincent verzweifelt. Es löschte sein verbotenes Wissen schließlich nicht aus!
„Woran
denkst du?“, wollte Blaise forsch wissen, ließ ihn nicht aus dem Blick. „An
ihn? An seine-“
„-Blaise-!“,
begann Vincent gepresst, aber Blaise zuckte die Achseln.
„-niemand
hört uns zu, Vinnie“, beteuerte Blaise grinsend, schnappte sich einen hüpfenden
Schokofrosch vom Tisch, der gerade dabei war, stiften zu gehen und schob ihn
sich in den lächelnden Mund. Vincent folgte der Bewegung abwesend, nur um den
Blick wieder auf seine Hände zu senken. Es stimmte wahrscheinlich. Die
Aufmerksamkeit drehte sich um Draco. Es war sein Geburtstag und der
Gemeinschaftsraum stand versammelt um den beliebten Lehnsessel, auf dem Draco
Platz genommen hatte, Pansy auf seinem Schoß.
Und ihm war
es aufgefallen. So wie er Draco anstarrte, wenn es ihm nicht auffiel, so sah
Greg Pansy an. Es war nicht so unauffällig, wie Greg vielleicht hoffte. Also
nahm Vincent an, verhielt er sich ebenfalls schrecklich auffällig. Deshalb aß
er. Deshalb bemühte er sich, niemanden anzusehen.
Und er
hatte kein Interesse daran ausgerechnet mit Blaise zu sprechen. Er schlief
schlecht jede Nacht. Wartete nur darauf, dass Blaise es irgendwann allen im
Gemeinschaftsraum erzählte. Vor allem ihm. Draco. Aber noch hatte Blaise gar
nichts getan, lauerte ihm nur ab und an auf, um ihn mit bösen Worten in
Verlegenheit zu bringen! Wenn es jemand wüsste! Vincent könnte sich von seinem
Leben verabschieden. Er wusste nicht, was Blaise für ein Spiel mit ihm spielte,
aber er hasste es.
Am meisten
hasste Vincent sich selbst. Aber er hatte lange begriffen, dass er sich nicht
ändern konnte. Es ging nicht. Alles, was er tun konnte, war, es niemals
irgendwem zu sagen. Er erhob sich plötzlich, bevor Blaise noch irgendetwas
sagen könnte. Er quetschte sich zwischen Couch und Tisch hindurch, schob sich
durch Dracos Bewunderer und ging zu den Tischen, wo die Erstklässler mit
Koboldsteinen spielten. Er bemerkte Blaises Blicke immer, die ihm wie beiläufig
folgten. Abwesend betrachtete er die Kinder mit ihren Steinen, ehe er abbog und
durch den Torbogen verschwand, in den Flur zu den Treppen, die zu den
Schlafsälen führten.
Niemand
würde ihn vermissen. Es merkte ohnehin kaum jemand, dass er da war. Umso
weniger fiel es auf, wenn er wo fehlte.
Der
Schlafsaal war leer. Niemand war oben. Die Elfen hatten die Betten gemacht,
alles war ordentlich. Er schritt zu seiner Ecke. Auf seinem Nachttisch lag das
Buch, was er las. Es war kein Schulbuch. Es war eines von Dracos
Lieblingsbüchern. Aber es war schwer. Die meisten Worte kannte Vincent nicht,
aber trotzdem las er jeden Abend zumindest eine Seite. Der Fetzen Pergament,
den er als Lesezeichen benutzte war abgegriffen und ragte schief aus dem Buch
hervor. Es war ein Briefchen, was er und Draco vor einigen Jahren in
Zauberkunst geschrieben hatten. Die Tinte war nahezu verblichen, aber noch
immer konnte er Dracos Handschrift erahnen.
Neben der
Petroleumlampe lag seine Brille, die er nie aufsetzte. Draco mochte Brillen
nicht. Er sagte, mit Brille sähe jeder aus wie Potter. Und sie mochten Harry
Potter nicht. Einfache Regeln. Deshalb benutzte er den Linsenzauber, damit er
aus der letzten Reihe wenigstens lesen konnte, was die Professoren an die
Tafeln schrieben. Über dem Nachttisch hing ein quadratischer Spiegel. Er warf
einen Blick hinein, aber er sah aus wie immer. Die Haare kurz geschoren, obwohl
er es so kurz nie leiden konnte. Er war zu groß für den Spiegel, musste also
ein wenig in die Knie gehen. Er war ein großer, übergewichtiger Junge. Blass,
hellbraune Haare, kurzsichtige, braune Augen. Unauffällig in jeder Beziehung.
Er besaß
nicht viele Sachen. Er brauchte nicht viele Sachen. Er formte selten
Verbundenheiten, wusste nichts mit unnützem Krempel anzufangen, deshalb hielt
er seine Habseligkeiten gering. Es klopfte am Türrahmen und er schrak aus
seinen leeren Gedanken.
„Schon
müde?“, wollte Blaise von ihm wissen und schritt mit langen Schritten durch den
Saal zu seinem eigenen Nachttisch. Blaises Bett war in der Ecke neben seinem.
Vincent versteifte sich wieder, sah Blaise nicht an, antwortete nicht. Blaise
zog seinen Zauberstab und sprach eine komplizierte, stumme Formel, um seine
Nachttischschublade zu öffnen. Im Gegensatz zu ihm quoll Blaises Nachttisch
über vor Kleinigkeiten, vor Müll, vor Andenken, Briefen, Büchern, Schulsachen,
und auch seine geheime Schublade war bis zum Rand vollgestopft.
Er
durchwühlte sie knapp, und aus dem Augenwinkel erkannte Vincent viele
unbeschriftete Flakons, mit wusste-Merlin-was für Tränken, einige
Kohlezeichnungen, die Blaise verbarg, obwohl Vincent schon wusste, dass Blaise
gut zeichnen konnte. Aber Blaise teilte seine Talente mit niemandem, wollte von
niemandem Lob oder Anerkennung. Dann schien er mit einem zufriedenen Geräusch
gefunden zu haben, was er suchte.
Zu Vincents
Überraschung zog er eine lange Klinge in einer üppig verzierten Lederscheide
hervor. Blaise hob vielsagend den Blick, und Vincent vergaß völlig den seinen
zu senken.
„Für den
Kuchen“, erklärte Blaise die Klinge überflüssigerweise. „Die Mädchen haben aus
der Küche Kuchen besorgt. Interesse?“, erkundigte er sich wieder einmal lächelnd,
aber Vincent konnte nur annehmen, dass Blaise ihn sowieso für zu dick hielt,
wie jeder andere auch. Unbewusst zog er den Bauch wieder ein. Er schüttelte
knapp den Kopf. „Koboldsilber“, erläuterte Blaise mit Blick auf die Klinge in
seiner Hand und zog sie aus der Scheide. „Gehörte meinen Großvater“, ergänzte
er, ohne ihn anzusehen und kam näher, um sie ihm zu zeigen. Vincent nahm an, so
etwas war eigentlich auf Hogwarts verboten. Seltsam, dass Filch sie Blaise noch
nicht abgenommen hatte. „Schön, nicht wahr?“, fragte er ihn, und Vincent nickte
knapp, um Worte verlegen. Das Silber blitzte kostbar in Blaises Fingern.
Dann sah
Blaise ihn wieder an, die Mundwinkel angespannt, als würde er gleich wieder
lächeln. Er konnte ihn nicht einordnen. Blaise war ihm suspekt. Er lächelte zu
viel. Er wusste immer zu viel. Vincent sah ihn nicht mehr an, wollte, dass er
ging. Blaise schob die glänzende Klinge zurück ins Leder.
„Du hast
Angst vor mir, nicht?“, vermutete Blaise, und Vincent konnte das Lächeln in
seiner Stimme förmlich hören. Er schüttelte steif den Kopf.
„Ich habe
keine Angst vor dir“, log er schroff, denn ja. Er hatte unfassbare Angst vor
ihm. Blaise hielt seine Zukunft hier auf Hogwarts in der Hand! Wenn er nur ein
Wort zu irgendwem in diesem Haus sagte, könnte Vincent die Koffer packen.
„Weißt du“,
bemerkte Blaise, als er die Hand ausstreckte, um sich ungefragt Vincents Buch
vom Nachttisch zu greifen, „Draco ist die Mühe nicht mal wert“, bemerkte er,
mit nachsichtigem Blick auf das Buch in seiner Hand, und Vincents Augen
weiteten sich, weil er nicht mochte, dass Blaise seine Sachen anfasste. Weil er
nicht mochte, was Blaise sagte. Er entzog Blaise das Buch fast zornig. „Er
steht auf Mädchen, Vinnie“, bedeutete er ihm lächelnd, als wäre es für ihn nicht
seit Jahren schmerzhaft deutlich, dass es so war. Dachte Blaise, er wäre blind?
„Bist du
fertig?“, wollte Vincent unfreundlich von ihm wissen, die Stimme jedoch etwas
zu atemlos, denn er würde nicht darüber sprechen! Er würde vor Blaise keine
Zugeständnisse machen. Er konnte nicht. Und wollte nicht. Seine Finger
krampften sich um das Buch in seinen Händen. Blaises Mundwinkel hoben sich
wieder und es irritierte Vincent so sehr, dass er wieder vergaß, ihn zu
ignorieren.
„Du willst
dich doch wohl nicht mit Parkinson um einen Jungen prügeln, der weder für sie
noch für dich Augen hat?“ Blaise lächelte wieder dieses unangenehme Lächeln.
Vincent spürte die ohnmächtige Wut in seinem Innern. Er war so kurz davor,
Blaise ins Gesicht zu schlagen, egal, wie schlecht das für ihn ausgehen würde!
Denn er hasste jedes Wort, das Blaise sagte! Dachte er ernsthaft, er wüsste
nicht, dass Draco seit einem Jahr Hermine Granger so ruhelos beobachtete, als
hätte sie unbemerkt sein kostbarstes Hab und Gut gestohlen? Was sie wahrscheinlich
sogar hatte, vermutete Vincent, wenn er sich selbst erlaubte, näher darüber
nachzudenken. Dracos Herz existierte nur in der Theorie. Es war ein Mythos, den
viele Mädchen ihres Gemeinschaftsraums zu ergründen suchten. Pansy mit
eingeschlossen.
Und
vielleicht war es ja so. Vielleicht war Granger im Besitz dieser seltenen
Kostbarkeit, die er, Vincent, niemals zu Gesicht bekommen würde.
Vincent
wusste all das. Aber er tat Draco den Gefallen, als wisse er es nicht. Um
Dracos Willen. Es würde ihn so spektakulär ruinieren, wie Vincents eigenes
Geheimnis ihn ruinierte.
Er schämte
sich, dass Blaise ihn bei dieser Sache erwischt hatte! Innerlich verbrannte er
vor Scham und Selbsthass. Und dass Blaise es wagte, diese Dinge auszusprechen!
Es war nichts, was Vincent sich überhaupt jemals selber eingestanden hatte.
„Verpiss
dich!“, knurrte Vincent gepresst, denn er konnte es nicht mehr ertragen. Er
konnte irgendwann nicht mehr! Er konnte über diese Sachen nicht sprechen,
konnte nicht einmal darüber nachdenken, denn es war nicht ok! Er war krank und
widerlich. Und er konnte nichts dagegen tun! Und Blaise machte alles nur
schlimmer, gab dem Ganzen ein Gesicht, einen Namen! Blaises Lächeln verwischte
langsam. Er legte ihm plötzlich die Hand auf die Schulter. Vincent versteifte
sich hasserfüllt unter dieser Geste.
„Tja, wäre
wohl besser, würdest du auf Mädchen stehen, Vinnie“, murmelte er achselzuckend,
und Vincent hielt unwillkürlich den Atem an. Dann hoben sich Blaises Mundwinkel
sachte. Zornig bewegte Vincent die Schulter zurück, so dass Blaise von ihm
abließ. Merlin, wie gerne würde er ihn von der höchsten Zinne stoßen! „Ich
könnte dir später das Messer unter dein Kopfkissen legen. Dann kannst du dich
dramatisch umbringen. Das willst du doch am liebsten, denn dann bekämst du
zumindest einen Hauch von Dracos Aufmerksamkeit?“ Er lächelte bei diesen Worten
beinahe freundlich. Vincent schluckte schwer, zwang sich, keine Reaktion zu
zeigen. Dann machte Blaise kehrt. Sein Puls dröhnte in seinen Ohren.
Blind
machte Blaise vom Türrahmen eine Zauberstabbewegung, und seine
Nachttischschublade sprang wieder zu, verbarg Blaises Geheimnisse, und Vincent
wünschte sich, seine eigenen Geheimnisse ließen sich einfach so in eine
Schublade sperren!
Er fühlte
sich so bloßgestellt! Blaise besaß kein Taktgefühl. Es schien ihn nicht zu
kümmern, dass er mit diesem Wissen sein gesamtes Leben zerstören konnte.
Vincent konnte Menschen nicht lesen, konnte ihnen nicht hinter die Stirn
blicken. Er wusste nie, was andere dachten. Und er konnte Blaise nicht
einordnen, wollte es auch nicht. Er konnte kaum noch atmen, wenn Blaise im
selben Zimmer war, diesen wissenden Ausdruck auf den Zügen! Er war immer froh,
wenn Blaise nicht in seiner Nähe war. Seit einem Monat hatte er nun Angst.
Solange wusste Blaise es schon.
Solange war
es her, dass er ihn in den Waschräumen überrascht hatte, als er… als er… Dracos
Namen gestöhnt hatte. Und Vincent hasste sich dafür. Er erinnerte sich noch,
wie heiß sein Gesicht vor Scham gewesen war, als er nackt aus der Duschkabine
gekommen war und Blaise mit diesem… widerlichen Lächeln an der
gegenüberliegenden Wand gelehnt hatte.
Wie er ihn
mit wenigen Worten völlig entwaffnet hatte. Wie Vincent sich mit zitternden
Händen das Handtuch um den Körper geschlungen hatte, wie er geflohen war, vor
Blaise Zabini und seinen giftigen Worten, wie er seitdem darauf wartete, dass
Flyer im Schloss verteilt wurden, wie er für vogelfrei erklärt werden würde.
Wie Hogwarts ihn verstoßen würde, wie seine Eltern davon erfuhren und ihn
enterbten, nachdem sein Vater ihn halbtot geschlagen hätte.
Und am
schlimmsten war, wie er sich vorstellte, wie Draco ihn ansehen würde, wenn er
es erfuhr. Geringfügige Abschätzung auf seinen schönen Zügen. Ekel, Abweisung,
Verachtung. Vincent kannte die Reinblüter. Vincent kannte die Namen, die die
Reinblüter für Menschen wie ihn parat hielten. Blaise sollte ihn erlösen, es zu
Ende bringen, anstatt ihn hinzuhalten.
Er setzte
sich stumm auf die Bettkante, spürte das Stechen in seinen Augen, aber er
weinte nicht. Er tat gar nichts, saß stumm auf dem Bett, das Buch vergessen in
seinen Händen, mit weißen Knöcheln vor Anspannung und der ewigen Angst im
Herzen.
Und Blaise
hatte unrecht. Er würde sich nicht am liebsten umbringen. Denn dazu war er zu
feige.
~*~
Ihr Herz
schlug schnell. Draco war betrunken. Betrunken genug, dass seine Hand in der
letzten halbe Stunde etwas höher gewandert war, unter ihre Rockkante. Sie hatte
sich auf gut Glück auf seinen Schoß gesetzt, mit dem Vorwand, dass Vincent so
mehr Platz auf der Couch hätte, mit gerade genug Selbstbewusstsein, dass Draco
kurz überrascht genug war, nichts zu sagen, als sie sich einfach auf seine
Oberschenkel gesetzt hatte. Seine starken Quidditch-Oberschenkel.
Heiß spürte
sie die Haut seiner Finger auf dem Ansatz ihres Oberschenkels, und seit zwanzig
Minuten kribbelte alles in ihre Innern. Sie lachte über die dummen Witze der
Jungen, über langweilige Geschichten ihrer Eltern, völlig egal. Hauptsache, sie
war noch immer in seiner Nähe.
Seit fünfundvierzig
Minuten saß sie auf seinem Schoß, versuchte, sich so leicht wie möglich zu
machen, damit er nicht auf die Idee kam, sie fortzuschicken. So mutig wie heute
Abend war sie noch nie gewesen, und sie glaubte, er freute sich tatsächlich
über die Handschuhe. Sie hatte sich viel Mühe mit dem Geschenk gegeben, hatte
sogar seine Initialen einsticken lassen.
Sie wusste,
einige Mädchen sahen neidisch zu ihr herüber. Und dann sah Draco sie an, die
Augen glänzend, nach fünf Gläsern Feuerwhiskey. Sie hatte ein halbes getrunken,
um ihre Nervosität unter Kontrolle zu bringen, aber jetzt sprach er mit ihr.
„Ich muss
auf Toilette, Pans“, informierte er sie, nahm die Hände zurück, und mit einem
Lächeln, das ihre Enttäuschung knapp verbarg, kletterte sie von seinem Schoß
und ließ ihn aufstehen. Mit plötzlicher Eingebung zupfte sie ihren Rock
zurecht, fuhr sich prüfend über die Haare und schenkte ihm ein Lächeln.
„Ja, ich
auch“, log sie und bahnte sich ebenfalls einen Weg aus dem heißen Pulk zu den
leeren Fluren, die zu den Waschräumen führten. „Gute Party, oder?“, fragte sie
ihn lächelnd, spürte hier im kühlen Flur die Röte ihrer Wangen deutlicher und
blickte erwartungsvoll zu ihm auf. Er nickte lediglich und sie erreichten die
gegenüberliegenden Toiletten.
„Ja,
perfekt“, bestätigte er, während er in den Waschräumen der Jungen verschwand.
Pansy betrat die Räume der Mädchen, um sich im Spiegel anzusehen. Ihr kurzer
Bob lag noch immer gut, ihr Makeup hielt, was es versprach. Nichts war
verlaufen, nichts war verschmiert. Sie atmete knapp aus, zog ihre Bluse tiefer,
um ihren Busen mehr zu betonen, öffnete die obersten Knöpfe und verließ die
Waschräume wieder, um vor Draco draußen zu sein. Heute sah sie so aus, wie sie
aussehen wollte. Wenn nicht heute, dann nie, sagte sie sich innerlich!
Ihre Mutter
hatte es ihr schon gesagt, als Pansy noch die Vorschule besuchte. Draco Malfoy
wäre eine angemessene Partie. Sie stammten aus derselben Schicht, vom selben
reinen Blut. Ihre Eltern kannten sich gut, verstanden sich gut. Pansy kannte
Narzissa und Lucius seitdem sie alt genug war, um sich zu erinnern. Auch
Narzissa hatte ihr im letzten Sommer deutlich zu verstehen gegeben, dass sie
und Draco ein wirklich hübsches Paar abgaben, als sie zusammen im Garten
gesessen hatten, während eines Events, das der Club ausgerichtet hatte.
Draco
ähnelte Lucius von Jahr zu Jahr deutlicher. Sogar das wusste Pansy. Seine
Gesten, selbst seine Stimme. Sie kannte ihn so gut. Sie kannte seine Vorlieben,
und sie wusste, sie war sein Typ. Und sie wusste, sie könnte ihn glücklich
machen. Sie wusste manchmal nicht, ob sie Draco liebte, weil es ihr selber klar
geworden war, oder weil es ihre Mutter ihr versicherte. Sie wusste nur nicht,
worauf Draco wartete. Aber sie hatte Angst, ihn zu verschrecken, ihn zu
überrumpeln. Sie würde im nächsten Sommer Debütantin im Club sein und sie
hoffte inständig, dass Draco ihr Gentleman sein würde, der sie begleitete, mit
dem sie den Ball eröffnete, der ihr das Bouquet ansteckte, der sie küssen
würde.
Alle
anderen Angebote schlug sie aus, beachtete keinen anderen Jungen auf Hogwarts.
Es wäre wie
ein perfektes Märchen, dachte sie atemlos vor Glück.
Sie wartete
nervös, bis sie die Spülung hörte, bis sie hörte, wie er sich die Hände wusch,
ehe sie zur Tür schritt, um ihn wieder zu empfangen. Sie lehnte sich neben den
Rahmen, atmete noch einmal aus, und dann schwang die Tür nach außen.
„Hey“,
begrüßte sie ihn, und überrascht fiel sein Blick auf sie.
„Das muss
ein Rekord für dich sein“, bemerkte er mit einem spöttischen Blick. „Du
brauchst doch sonst mindestens eine Stunde im Bad“, schien er sie zu ärgern,
aber sie setzte ein Lächeln auf und ignorierte den Seitenhieb.
„Heute
nicht“, sagte sie nur, und sie sah mit wachsender Aufregung, dass ihm nicht
entging, dass sie ihre Bluse geöffnet hatte. Kurz fiel sein sonst so
beherrschter Blick nämlich von ihrem Gesicht auf ihren Oberkörper. Aber dann
verengten sich seine grauen Augen knapp.
„Was hast
du vor, Parkinson?“, wollte er plötzlich wissen, verschränkte selbstbewusst die
Arme vor der Brust, und die Röte stieg stärker in ihre Wangen. Wieso musste er
das tun, fragte sie sich verzweifelt.
„Gar
nichts“, log sie achselzuckend, mimte Ahnungslosigkeit, aber er lächelte kühl.
„Nein? Du
fängst mich ab, sitzt auf meinem Schoß, öffnest deine Bluse nur für mich?“,
durschaute er ihren Plan, und sie hielt den Atem an. Sie beeilte sich,
verständnislos den Mund zu verziehen, als machten seine Worte keinen Sinn. Als
könnten sie sie nicht berühren.
„Ich? Äh…
nein?!“, entkam es ihr mit gespielter Empörung. Mit einem Lächeln legte er dann
angetrunken den Arm um ihre Schulter und zog sie mit sich, zurück in den
Gemeinschaftsraum. Ihre Hoffnungen sanken enttäuscht. Sie hatte sich so
gewünscht, dass er sie küssen würde, dass er sie in eine dunkle Nische ziehen
würde, dass er sie Dinge fühlen ließ, die sie noch nie gespürt hatte.
„Das passt
auch nicht zu dir“, sagte er schließlich grinsend, als sie wieder im lauten
Gemeinschaftsraum angekommen waren. Er ließ von ihr ab und mischte sich wieder
unter seine dämlichen Freunde. Sie verblieb am Türrahmen zum Flur. Sofort kam
Millicent ihr entgegen.
„Du warst
alleine mit Draco weg?“, entfuhr es ihr sofort. „Irgendwas passiert?“
Pansy
schaffte es, zu lächeln. „Nein? Was sollte passiert sein, Milli?“, schnappte
sie scharf, und Millicent zuckte überfordert die Achseln.
„Nichts!
Ich dachte-“
„-dann hör
auf, zu denken!“, zischte Pansy mit einem kalten Lächeln, das ihre Verletzung
verbarg. Aber für einen Moment schlug ihr Herz langsamer, als müsse es das
bittere Gefühl in ihrem Innern erst neutralisieren. Pansy fühlte sich unter
seinem Blick nicht so beachtet, wie sie es insgeheim wünschte. Und nur in den
dunkelsten Sekunden des Tages befiel sie eine stumme Angst. Er wirkte immer
etwas angespannt. Seine Gesten immer etwas abwesend. Als wäre das Jetzt und
Hier nicht das, was er gerne erleben wollte.
Als warte
etwas anderes auf ihn. Als könne er seine Beine nur mit Mühe und Alkohol davon
abhalten, dieser Ungewissheit nachzujagen.
Als… wäre
sie vielleicht nicht die erste Wahl.
Es war ein
ohnmächtiger Gedanke. Und er schickte jedes Mal ein eisiges Gefühl durch ihren
Körper. Denn… wenn sie nicht die Eine für ihn war, was war sie dann?
„Be bad, but at least don't be a
liar, a deceiver!“
Leo Tolstoy
Harry
vergrub die Hände in den Taschen seiner Hose. Seine Fäuste hatten sich wieder
geballt, und er wollte nicht, dass es jemand sah. Wenn er nicht wie ein
verdammter Schatten hinter ihnen herschlich, dann konnte man sicheres Gold
darauf wetten, dass er bereits da war, wo auch immer sie fünf Minuten später
auftauchten. Und was er am meisten hasste, war die Tatsache, dass es so
verdammt offensichtlich war! Er wusste nicht, ob Hermine es sah, aber sie war
kein dummes Mädchen.
Ron rannte
regelrecht einen Marathon, um nur einen Fetzen ihrer Aufmerksamkeit zu
bekommen, wohingegen Malfoy nur einen dreckigen Blick in ihre Richtung schicken
musste, für ihre Reaktion.
Harry
mochte es nicht. Es war falsch und übelkeitserregend. Und es machte ihm
schlechte Laune. Er hatte keine Ahnung, ob Hermine Malfoys widerliche
Aufmerksamkeit gefiel, ob sie es überhaupt wirklich bemerkte! Harry wusste nur,
dass sie den Rücken plötzlich durchstreckte, wenn er um die Ecke bog – oder
bereits da war und lauerte, wartete, mit seinem Pack an Slytherin-Idioten, die
ihm folgten und gehorchten, als wäre er ein Geschenk des Himmels. Dabei konnte
der Idiot noch nicht mal wirklich fliegen.
Dass sie
die Ohren spitzte, wenn er sprach, dass sie ihn und Ron jedes Mal pünktlich wie
eine Schweizer Uhr davon abhielt, Malfoy Respekt beizubringen. Harry mochte
nicht, wie Malfoy sie ansah. Und er mochte nicht, dass Hermine sich von Malfoy
ansehen ließ.
Er mochte
auch nicht, dass Ron schmachtete, und dass es so aussah, als würde er Hermine
niemals gewinnen können.
Aber am
allermeisten konnte Harry nicht leiden, dass ihm diese dämlichen Dinge auch
noch auffielen.
Der Krieg
stand vor der Tür, Snape folterte ihn mit schwieriger Okklumentik, die er nicht
beherrschte, und wenn er nicht mit Malfoys pausenloser Anwesenheit, versteckt
hinter Säulen, versteckt in der Bibliothek oder der Großen Halle, gefoltert
wurde, dann musste er Dumbledore auf fragwürdige Missionen begleiten, arrogante
ehemalige Auroren rekrutieren, die verbohrt und uneinsichtig waren, und Harry
war müde. Er war müde, ehe es begonnen hatte. Und seine Freunde waren ihm keine
Hilfe. Ein Glück, dass er wenigstens das alte Zaubertränkebuch besaß, mit dem
er zumindest Slughorn vorgaukeln konnte, eine Ohnegleichen-Schüler zu sein.
Und jetzt
hatten sie die gefühlten hundertfünfzig Treppenstufen zur Eulerei erklommen,
nur um festzustellen, dass – oh Wunder – Draco Malfoy vor ihnen da war! Harry
vermutete mit bitterer Miene, dass er Hermines Tagesrhythmus auswendig kennen
musste. Er hasste ihn. Und er hasste Hermine dafür, dass Malfoys erbärmlich
durchschaubare Versuche bei ihr auch noch fruchteten. Dabei waren es nicht mal
Versuche. Es war lachhaft! Denn Malfoy verhielt sich wie ein fünfjähriges Kind,
was nicht entscheiden konnte, welche Sorte Eiscreme es wollte. Reinblut oder
Muggel. Und Harry hoffte wirklich, dass die Sorte Muggel für immer ausverkauft
sein würde.
Harry wurde
schlecht, wenn er zu lange darüber nachdachte. Es hatte ihn Wochen gekostet,
überhaupt zu begreifen, was Malfoy veranstaltete. Zuerst dachte er, er hätte es
auf seine, Harrys, Aufmerksamkeit abgesehen und es ging ums Kräftemessen – um
was auch immer. Dann erst war Harry klar geworden, dass Malfoy niemals durch
die Flure schlich, wenn Harry alleine oder nur mit Ron unterwegs war. Nein,
sein Ziel war etwas anderes gewesen. Es war so absurd, dass Harry diese
Erkenntnis erst mal ignoriert hatte, aber mittlerweile konnte er nicht mehr
wegsehen, konnte es nicht als Zufall abtun. Mittlerweile hatte es Ausmaße
angenommen, die einfach nur noch unerträglich waren. Vor allem für ihn.
Wahrscheinlich
musste er Malfoy auch noch zugestehen, doch nicht vollkommen hirnlos zu sein,
wenn er so viel Verstand besaß, Hermine zu mögen – oder warum auch immer er
diese Show abzog! Harry hätte es ihm nicht zugetraut, aber das hieß nicht, dass
er es tolerierte oder es befürwortete – in keinster Weise! Er hoffte ehrlich
gesagt, dass es eine Phase war. Eine neue, seltsame Malfoy-Phase, die vergehen
würde, wie die Top Ten der Hitparade. Heute war Hermine noch sein Opfer Nummer
eins, aber vielleicht, in einem Monat wäre sie nicht mal mehr in den Top
Hundert. So dachte Harry. So hoffte er.
Denn wenn
Malfoy ehrlich mit sich war, dann waren seine Vorstellungen doch ziemlich hoch
gegriffen. Harry glaubte, selbst wenn Hermine merkte, was Malfoy eigentlich
wirklich tat, dann würde sie niemals ernsthaft überlegen, ob diese Verbindung
tatsächlich möglich wäre. Es wäre nämlich nicht möglich. Sie standen auf
grundsätzlich verschiedenen Seiten. Zwar glaubte Harry, dass sich Menschen
ändern konnten, wenn sie wollten, aber diese Frage stellte sich wohl bei einem
Malfoy nicht wirklich, denn soweit Harry informiert war, war auch Lucius Malfoy
nicht auf die liberale, muggelfreundliche Seite übergewandert. Ganz im
Gegenteil.
Er hatte
keine echte Sorge, dass mehr aus dieser ganzen Nachstellerei werden würde. Ganz
einfach, weil sie waren, wer sie waren. Es war wie eine seltsame parallele
Wirklichkeit. Und fast war es traurig. Für Malfoy. Nicht für Hermine. Harry war
der Auffassung, dass Hermine zu gut war. Für Malfoy sowieso, aber auch für sonst
irgendwen. Gut, nicht für Ron. Aber das sah er nicht in den Sternen stehen,
wenn er ehrlich war. Vielleicht irrte er sich, aber die subtilen Zeichen ihrer
Körpersprache waren ätzend offensichtlich. Wenn Malfoy die Halle oder ein
Klassenzimmer betrat, änderte sich ihre gesamte Haltung. Bei Ron – da hob sie
kaum noch den Blick.
Sein Blick
fiel auf Pansy, die Malfoy wohl mit ihren Blicken hypnotisieren wollte. Er
glaubte, ihr müsse man es wohl leider buchstabieren. Denn ihr schenkte Malfoy
überhaupt keine Aufmerksamkeit. Dabei wäre das eine viel bessere Verbindung.
Dann wären sie Malfoys Schatten auch los. Aber Harry sah sich in keiner
Pflicht, irgendwem irgendetwas deutlich zu machen. Merlin, er war froh, wenn er
nicht auch noch von Snape träumte, sah er ihn am Tag schon oft genug. Er würde
alles so lassen, wie es war. Manche Dinge ließ man besser in Ruhe.
Er verzog
den Mund so gereizt, dass Hermines Blick vorsichtig auf ihn fiel. Er spürte,
wie nervös sie geworden war. War sie doch gerade noch voll und ganz damit
beschäftigt gewesen, ihm und Ron die Wichtigkeit der Stundenplaner für den
Unterricht zu erklären, so war sie plötzlich äußerst wortkarg.
Sie zupfte
an ihren Haaren, biss sich auf die Unterlippe, mied jeden Blick auf Malfoy und
verbrachte eine unnötige Weile, die Eulen zu betrachten und sich scheinbar
nicht die Richtige aussuchen zu können, als wäre es ein unlösbares Rätsel, was
ihrer gesamten Aufmerksamkeit bedurfte, während Malfoy betont lässig an der
Mauer lehnte und nicht eine einzige Zeile auf sein Pergament schrieb, weil sein
Blick gefroren war und er aus den Augenwinkeln wahrscheinlich Hermine
beobachtete – wie jeden gottverdammten Tag.
Harrys
Lippen wurden so schmal, wie nur McGonagall es fertig brachte, und er
überlegte, ob er Lucius Malfoy einen netten Brief schreiben sollte, wo er doch
gerade hier war, in dem er höflich darauf hinwies, dass sein Sohn mittlerweile
andere Vorlieben hatte als das kostbare Reinblütertum, und Lucius ihn
anschließend von der Schule holte. Es hätte sein Gutes, nahm Harry bitter an.
„Ich hasse
ihn“, knurrte Ron lautlos neben ihm, und Harry wunderte nicht, dass Ron nicht
mal begriff, warum er ihn so sehr hasste. Er hasste ihn, weil er seinen Platz
streitig machte. Unterschwellig, unbewusst. Harry wunderte sich selber, warum
er all diese Zeichen deuten konnte. Er kam sich schon vor wie Patil und
Lavender, die eigentlich für die laufende Gerüchteküche von Hogwarts
verantwortlich waren. Merlin, Harry könnte einige Würze dazu geben. Würde er
sich auch nur den Hauch für so etwas interessieren. Unfassbar, dass Pansy es
nicht begriff. Und Pansy sollte jetzt ziemlich genau aufpassen, denn
offensichtlicher konnte es wohl kaum noch werden.
Endlich
unterschrieb Malfoy sein fadenscheiniges Pergament, stieß sich in Seelenruhe
von der Mauer ab und stellte sich mit dem zusammengefalteten Brief neben
Hermine, um sich ebenfalls eine Eule auszusuchen.
Harry
konnte nicht anders, als beide zu betrachten, jetzt wo sie nahe nebeneinander
standen. Und es war subtil, es war kaum sichtbar, aber Harry achtete darauf.
All diese ganze Fassade, all die Planung, die in Malfoys Absichten steckte,
zahlte sich nur in solch winzig kleinen Momenten aus, nahm er an. Er musste
schließlich früher aufstehen, um Hermine in der Eulerei zu erwischen. Er musste
seine Groupies dazu bewegen, ihn zu begleiten, damit er Rückendeckung bekam,
falls er und Ron doch irgendwann beschlossen, ihn zusammenzuschlagen, einfach
nur aus Spaß. Er musste so tun, als wäre er zufällig hier, musste einen Brief
verfassen, denn warum sollte man sonst hier sein? Wahrscheinlich freute sich
Malfoys Mutter auch noch, denn sie dürfte nun seit einigen Monaten regelmäßig
Post von ihrem Goldjungen erhalten. Alles, was Malfoy tat, wirkte so beiläufig
und doch so perfekt geplant, dass es kaum auffiel. Aber jetzt, wenn er neben
Hermine stand, so gefährlich nahe, dass er ihre Hand einfach ergreifen könnte,
wenn er wollte, sah Harry es deutlich.
Malfoy war
unsicher. Seine Bewegungen wirkten steif. Er drehte nicht mal den Kopf in ihre
Richtung. Er sagte nicht mal etwas. Beleidigte sie nicht mal. Nicht mal simple,
böse Rhetorik, die ihm doch immer so leicht fiel, schien zu funktionieren.
Und fast
war es wieder traurig. Aber auch beruhigend. Denn so würde niemals mehr aus
diesen Annäherungsversuchen werden, als unangenehmes Schweigen, wenn Malfoy es
denn tatsächlich mal schaffte, auf fünf Zentimeter in Hermines Nähe zu kommen.
Und es musste daran liegen, dass Malfoy es wusste, dachte Harry. Er musste
wissen, dass, egal, was er anstellen würde – letztendlich wäre es unmöglich.
Was sollte passieren, Merlin noch mal? Es herrschte praktisch Krieg. Malfoy
würde andere… Verpflichtungen haben. Harry war überzeugt davon, er trug das
Mal. Hermine wäre begeistert, wenn er ihr das zeigen würde. Wenn es denn dazu
käme, dass sie ihre Klamotten auszögen, weil Malfoy es durch pure Geisteskraft
geschafft hätte, sie um eine Verabredung zu bitten, die auch noch darin gipfeln
müsste, dass Hermine Malfoy als Sexpartner annahm. Harry schüttelte abwesend
den Kopf über so viel unwahrscheinliche Theorie. Eklige Theorie….
Es müsste
verdammt viel schief laufen, dass es so weit kam. Oder verdammt viel müsste gut
laufen – je nach dem.
Stumm
betrachteten Malfoy und Hermine die Eulen, als säßen sie im Kino in der letzten
Reihe. Als es tatsächlich langsam unangenehm wurde, erwachte Ron zum Leben. Er
sah wohl wieder einmal ihre Ehre bedroht und stolperte direkt neben sie.
Harrys
Blick wanderte zu Pansy, Crabbe und Goyle, die sich an der Mauer
herumdrucksten, als gewährten sie ihrem unfähigen Prinzen ein wenig
Privatsphäre, damit er sich mal wieder offensichtlich dumm anstellen konnte. Am
liebsten hätte sich Harry die flache Hand vor die Stirn geschlagen. Pansy zog
den Umhang enger um ihre Schultern, während Crabbe und Goyle stumm warteten.
Aber alles Schöne fand sein Ende, dachte Harry mit bitterer Belustigung, denn
Pansy – wie Ron – spürte wohl irgendeinen instinktiven Reiz.
„Draco?“,
rief sie, fast ein wenig verzweifelt. Als könne – oder wolle – sie sich nicht
erklären, warum er so lange brauchen könnte, sich einen Vogel auszusuchen.
Und Malfoy
hatte nun keinen Schutz mehr. Keinen guten Grund. Seine Zeit war schmerzlich
deutlich abgelaufen, und er würde sich wohl oder übel seiner Fassade fügen
müssen, tatsächlich nur hier zu sein, um einen verdammten Brief abzuschicken.
Hermine streckte ebenfalls endlich den Arm in die Höhe, rief nach der kleinsten
Eule im Dachstuhl, und diese sauste träge hinab. Malfoy entschied sich für das
größte Biest, was er wohl finden konnte, ignorierte Hermine, um der ganzen
Metaphorik auch noch gerecht zu werden, und erst als er sich abwandte, erlaubte
er sich einen kurzen Blick auf Hermines Hinterkopf.
Harry
schüttelte unauffällig den Kopf über so viel Dramatik am frühen Morgen. Malfoys
selbstbeschworenes Leid machte die hunderttausend Stufen fast wieder wett,
überlegte er gähnend, während Ron nervös wie ein Boxer um Hermine herum
tänzelte.
Harry
verzog erneut den Mund, wartete, bis Hermine ihren Brief ans Bein der Eule
gebunden hatte, und wie jedes Mal, wenn sie hier aufeinander trafen, machte
Malfoy eine große Show daraus, als erster zu gehen, als käme er irgendwohin zu
spät. Dabei wartete er bestimmt schon fünfzehn Minuten länger als sonst, denn
heute waren sie erst später zu ihrem wöchentlichen Weg in die Eulerei
aufgebrochen. Und das war Harrys Schuld gewesen. Er testete Malfoy
mittlerweile, wollte sehen, ob seine Theorien vielleicht doch falsch waren,
aber bisher… lag er ziemlich richtig.
Harry sah
ihn direkt an, als er an ihm vorbeimarschierte – der ungekrönte König der
Eulen. Und als er den Blick wohl unbewusst hob, konnte Harry nicht anders, als
zu lächeln. Er lächelte, weil er wusste, was Malfoy tat, und weil Malfoy im
Leben keine Chance bei ihr haben würde. Kurz verengten sich Malfoys Augen, kurz
erschienen die Falten auf seiner Stirn, aber natürlich würde Malfoy ihm niemals
unterstellen, dass Harry von seinem geheimen, brillanten Plan irgendeine Ahnung
hatte – so offensichtlich es auch war.
Malfoy schickte
seinen kleinen Trupp voran und ging hinter ihnen. Und wie jedes Mal trotteten
er und Ron hinter Hermine die gefühlten hundertfünfzig Stufen abwärts, während
Malfoy sich geschätzt eintausend Mal halb umwandte, um irgendeinen
verächtlichen Kommentar über Eulen, Stufen, Blutsverräter und das Wetter zu
machen, woraufhin Hermine jedes Mal zornig antwortete, als würde es sie
interessieren. Wieder hatte Harry die Hände in den Taschen vergraben. Malfoy
war wie ein seltsames Freud‘sches Projekt. Was er nicht kannte, dem schien er
mit negativer Energie zu begegnen. Er konnte nichts Nettes tun oder sagen.
Merlin.
Malfoy war eine wandelnde selbsterfüllende Prophezeiung, wenn man so wollte.
Denn das, was Harry beruhigte, war nicht die Tatsache, dass Malfoy vielleicht
wusste, dass sein Unterfangen vergebens war – nein. Was ihn wirklich beruhigte,
war, dass Malfoy so sein selbstverliebter, arroganter Schönling war, der mehr
Wert auf seinen Ruf und seine äußere Reinblut-Erscheinung gegenüber anderen
legte, als seine Prinzipien für ein Mädchen über den Haufen zu werfen, was er
nach Hogwarts höchstwahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde. Es beruhigte
Harry, dass neben Malfoys unverbesserlichem Narzissmus auch ein Hauch von
Intelligenz in dessen Kopf vorhanden war. Denn Harry nahm an, Malfoy lebte
nicht für das Jetzt und Heute. Das konnte er sich wohl kaum leisten. Wie
schwierig musste es sein, nicht das tun zu können, was man gerne tun wollte,
weil man sich selber im Wege stand?
Endlich
kamen sie unten an. Malfoy musste Dienstage lieben, nahm Harry an. Denn gleich
hatten sie Pflege magischer Geschöpfe. Und Harry würde seinen Feuerblitz
verwetten, was der Grund dafür war, dass Malfoy ausgerechnet dieses Fach
gewählt hatte. Aber das war wieder die Tragik des Ganzen, nicht wahr? Denn er
würde die ganze Stunde über versuchen, in Hermines Nähe zu kommen, unfähig,
irgendetwas anderes zu äußern als Beleidigungen oder bissige Kommentare. Obwohl
Harry ihm lassen musste, dass er selbst bei Pflege magischer Geschöpfe ein
Ohnegleichen kassierte.
Malfoy war
ein seltsamer Charakter. Immer schon gewesen. Jetzt, wo Harry ihn täglich zu
Gesicht bekam, war es noch offensichtlicher. Es war ein ewiger Kreislauf. Beim
Mittag würde sich Hermine dann künstlich über Malfoy aufregen, und Ron würde in
seiner Verzweiflung von ihr verlangen, dass sie sich doch gar nicht erst
Malfoys Worte zu Herzen nehmen sollte. Dass sie überhaupt nicht mit ihm reden
sollte!
Und so
verging dann ein weiterer Tag im Zyklus Malfoy und Hermine, mit dem Ergebnis,
dass alles blieb, wie es war. Ihre Wege trennten sich, und alle wirkten
erschöpfter als noch fünfzehn Minuten zuvor. Hermine streckte den Rücken durch,
und ihre Wangen hatten sich rosa gefärbt vor Eifer. Dann war sie magischerweise
wieder sie selbst und maßregelte Ron, dass er sein Hemd gefälligst in die Hose
stecken sollte.
Harry gab
Snape persönlich die Schuld für seine Wahrnehmung, denn Snape hatte ihm
aufgetragen, besonders scharf seine Mitmenschen ins Auge zu fassen, und zu
erahnen, was sie dachten, ohne ihre Gedanken zu lesen. Er wünschte sich
wirklich, dass ihm irgendetwas anderes auffallen würde. Alles andere wäre
besser als das.
Ron wandte
mürrisch den Blick in seine Richtung, schwieg neben ihm, während sie schon mal
zu Hagrid gingen, um ihn vor dem Unterricht zu besuchen – und natürlich, um zu
sehen, ob einer von ihnen eine schlimme Übelkeit bekam, weil Hagrid für diese
Stunde ein besonders tödliches oder gefährliches Tier auf Lager hatte. Und weil
Harry sein Lieblingsschüler war, war er nahezu auch immer der einzige, der
unter vielem Bitten und Flehen als Versuchskaninchen nach vorne kommen musste,
um das fragwürdige Tier zu streicheln, zu sehen, ob es wirklich leicht entflammbar
war, ob es tatsächlich die mächtigen Krallen im Sprung ausfahren konnte oder ob
der Speichel ohne jeden Zweifel jede Faser seiner Schuluniform vom Körper ätzen
konnte.
Harry
kannte Hagrid mittlerweile zu gut, um es auf solch einen banalen Zufall ankommen
zu lassen. Harry konnte mittlerweile alle Zeichen lesen.
Und er
würde nie wieder ohne seine Hosen vor der Klasse stehen, weil der süße kleine
Mantikor-Collie Mix mit seiner monströsen Zunge seine Hose geschmolzen hatte!
Und dennoch
hatte er heute kein besonders gutes Gefühl.
Aber das
hatte er an Dienstagen ohnehin nicht mehr. Denn es bedeutete die doppelte
Malfoy-Dosis, weit über Harrys Toleranzgrenze.
~*~
Es war so
schnell passiert, dass er kaum wusste, wie er reagieren sollte. Die Zeit floss
wie in gefrorenen Sekunden dahin. Sie wirkte so schockiert neben ihm, dass er
nicht wusste, was er denken sollte, was er sagen sollte, aber seine Reflexe
hatten für ihn übernommen und seine Hand hob sich in mikroskopischer
Langsamkeit, bis der Riese ihn bemerkt hatte.
„Ja?“,
wollte er misstrauisch wissen, und Dracos Zunge formte die nötigen Worte, ohne
dass sein Verstand ein Wort mitzureden hatte.
„Ich hätte
gerne einen anderen Partner, Professor?“, sagte sein Mund, und sein Herzschlag
ging schnell. Der Riese sah ihn an, noch immer hatte Draco das Gefühl, alles
ging langsamer als noch vor einer Minute. Bevor der Riese die Paare eingeteilt
hatte, und ihn tatsächlich mit Granger in ein Team gesteckt hatte. Er hatte
Gregorys Blick bemerkt und Vincents, und er wusste, es lag an ihm, sich zu
wehren. Es war ein natürlicher Instinkt, den er nicht unterdrücken konnte. Als
Slytherin war er mit einer Gryffindor zusammen eingeteilt worden, und das
konnte nicht sein.
„Einen
anderen Partner?“, wiederholte der Riese mehr als verblüfft, und Draco war so
fixiert auf sich selbst, dass er nicht mal sagen könnte, mit wem die anderen
eingeteilt worden waren. Sein Augenmerk lag auf ihr. Zumindest aus den
Augenwinkeln heraus. „Aber… ich habe es ausgewürfelt“, fuhr der Riese etwas
verständnislos fort, und kurz runzelte sich Dracos Stirn.
Er hatte es
ausgewürfelt? Wie würfelte man bitteschön zehn Paare aus? Aber er ließ sich
nicht beirren. Denn es war wichtig, dass er sich wehrte. Dass er den Slytherins
gerecht wurde.
„Kann man
nicht trotz alledem einen neuen Partner bekommen, Sir?“, wiederholte er
nachsichtig, und der Riese kratzte sich am haarigen Kopf. Dann zuckte er
unentschlossen die Achseln.
„Schätze
schon, Malfoy“, brummte er unzufrieden. Draco war erleichtert. Seinen Wunsch
nach einem neuen Partner hatte er halbherzig geäußert, hatte ins Kalkül
gezogen, dass der Riese ablehnen würde. Bei Snape gab es nicht einmal die Frage
nach Partnerwechsel, nicht einmal den Gedanken daran! Denn was der Lehrer
entschied, das galt. Draco hatte einfach reagiert. Es wäre absurd und pervers,
würde er tatsächlich in einem Team mit ihr sein! Der Riese wandte den Blick.
„Vielleicht würde Harry seinen Partner tauschen wollen?“
Dracos
Blick wanderte zu Potter. Potter war in Hagrids Stunden Vorzeigeschüler und
Pausenclown, Versuchsopfer und Mädchen für einfach alles. Natürlich müsste
Potter es ausbaden. Potter hatte Vincent als Partner bekommen. Dracos
angespannte Züge verloren an Kraft. Ausgerechnet. Potter sah ihn seit Wochen
komisch an.
Potters
Blick wirkte beinahe genervt. Granger neben ihm verschränkte wütend die Arme
vor der Brust, während Dracos Herz schwere Schläge tat. Er bemerkte es nur
unbewusst.
„Harry
würdest du mit Hermine tauschen?“, wollte der Riese ruppig und ein wenig
beleidigt wissen, und Potters Mund verzog sich knapp. Weasley neben ihm schien
sich praktisch freiwillig anbieten zu wollen, denn er blieb kaum ruhig stehen.
Und Potter sah ihn direkt an. So vollkommen abschätzend, angewidert und…-
überlegen? Draco konnte seinen Blick nicht wirklich deuten. Dann betrachtete
Potter gelangweilt Vincent, der wie immer vollkommen unauffällig und praktisch
unsichtbar wirkte.
„Da behalte
ich lieber meinen Partner. Hermine, tut mir leid“, knurrte Potter, aber er
klang definitiv nicht danach, als ob es ihm leid täte. Er sah ihn sogar
reichlich zornig an. Und Draco war ernsthaft verblüfft. So wie Potter ihn immer
anstarrte, wenn sie sich begegneten, war Draco felsenfest überzeugt gewesen,
Potter würde sich opfern, nur damit er nicht mit Granger in einem Team war.
Tatsächlich schien Potter kaum merklich den Kopf über ihn zu schütteln. Dracos
Stirn runzelte sich misstrauisch.
„Tja“,
verkündete der Riese dann, und Draco hörte Pansy unterdrückt hinter ihm
fluchen. „Tut mir leid, Malfoy, aber du bleibst bei Hermine“, schloss der
Riese, wohl doch erfreut, dass sein Würfelspiel aufgegangen war. Granger neben
ihm atmete hörbar gereizt aus. Er hatte ernsthaft versucht, diesem Schicksal zu
entgehen. Um seinetwillen. Um ihretwillen. Egal. Er hatte es versucht, und alle
hatten es gesehen.
Erneut
konnte er nicht anders, als Potter einen Blick zuzuwerfen. Dieser sah ihn noch
immer äußerst missmutig an. Er ärgerte sich über ihn, aber Draco hatte das
Gefühl als ärgere sich Potter auch gerade über sich selbst.
Draco
verstand nicht. Fast war es, als wüsste Potter…- aber nein. Was sollte Potter
schon wissen? Es gab nichts zu wissen.
„Ich teile
die Eier aus, und morgen sollten sie schlüpfen!“, rief der Riese aufgeregt, wie
ein kleiner Junge. Wütend drängelte sich Granger vor, nahm das Ei entgegen und
das erste Mal sah er sie an. Neben der Wut in ihren Augen, sah er deutlich,
dass sie eine Spur verletzt wirkte, durch seinen Wunsch nach einem neuen Partner.
Vielleicht nicht einmal, weil er es war, sondern… weil niemand gerne abgewiesen
wurde.
„Du bist so
kindisch, Malfoy“, knirschte sie zwischen den Zähnen hindurch. Mehr als
deutlich sprach aus ihrem Blick, dass sie ihn verabscheute. Fast entlockte es ihm
ein Lächeln. Es schien die Basis zu sein, die zwischen ihm und den meisten
Gryffindors bestand. Es war zumindest die einzige Basis, auf der er mit ihr
kommunizieren wollte. Wenn sie ihn hasste, dann bewegten sie sich auf demselben
Niveau, denn er tat nichts anderes als das. Er hasste Granger. Hasste sie, ihre
blöden Augen, ihre unordentlichen Haare, ihre faltige, nicht gestärkte, Bluse,
die er unter dem Blazer erkennen konnte, die alten Tintenspritzer auf ihren
nicht manikürten Fingern, und all das regte ihn auf. Ihre so sichtbaren Fehler
ließen ihm die Nackenhaare zu Berge stehen. Und er hasste, dass er darauf
achtete. Er hasste es bald mehr, als sie. Denn irgendetwas lief nicht richtig.
Irgendetwas in ihm hasste all das nicht so ehrlich, wie er gerne wollte. Etwas
hielt ihn davon ab, sich einfach nicht immer wieder vergewissern zu müssen, wie
ekelerregend sie doch tatsächlich war. Sie sah ihn noch immer an, ging ihm
gereizt auf. Was hatte sie gesagt? Retour, Malfoy. Sag irgendetwas ebenso
sachlich Unqualifiziertes.
„Besser
kindisch als ein Schlammblut, Granger“, entgegnete er schließlich mehr oder
weniger überheblich. Wow. Das war enttäuschend, sogar für ihn. Fast erbärmlich.
Aber nur fast. Er war Draco Malfoy. Ihre Augen sprühten praktisch vor Zorn.
Noch ein
Unterschied zwischen ihnen. Worte konnten ihm nichts anhaben. Es waren nur
Worte. Bei ihr war es umgekehrt. Er glaubte nicht, dass sie vergaß, wenn er sie
beleidigte. Er nahm an, sie führte eine Liste in ihrem Kopf, wann er sie wie
oft beleidigte. Es schien irgendeine Bedeutung für sie zu haben, was er zu ihr
sagte. Es war seltsam.
„-möchte,
dass ihr euch Mühe gebt, ja? Diese Züchtung ist vegetarisch – also teilweise,
sie brauchen Fleisch!“, beteuerte der Riese liebevoll. „Aber ab und an eine
Kartoffel schadet auch nicht. Also, jeden Tag wechselt ihr euch ab und führt
ein gemeinsames Tagebuch. Eine Stunde am Tag solltet ihr euch treffen und euch
austauschen. Nach zwei Wochen werden sie so riesig sein, dass das Projekt dann
auch beendet ist – auch weil… sie vielleicht Geschmack an euren Fingern finden
könnten – oder Armen. Tja…- aber keine Sorge! Wir haben bereits Abnehmer aus
den magischen Zoos der Umgebung gefunden. Leider.“ Der Riese wirkte ernsthaft
enttäuscht.
Erst jetzt
fiel Dracos Blick mulmig auf das bebende Ei in Grangers Hand. Es war groß. Wie
eine ovale Melone. Grünlich war die Schale, besprenkelt mit blauen Punkten.
Fast sah es künstlich aus, wie bemalt, aber die Farben waren gestochen scharf,
gefährlich und abschreckend für jeden tierischen Eierdieb, nahm er an. Es
bewegte sich unruhig in ihren weit gespreizten Fingern.
Was
schlüpfen würde, würde einigermaßen gefährlich sein, vermutete er. Handschuhe
und Schutzkleidung, dachte er abwesend. Er wollte nicht auch ohne Hose
dastehen, wie Potter vor einigen Wochen.
Eine Stunde
am Tag. Für zwei Wochen. Das war also sein Zeitfenster. 14 Stunden Granger? Er
wagte es, den Blick wieder zu ihrem Gesicht zu heben. Sie war vollkommen auf
das Ei fixiert, sanfte Angst im Blick. Seine Mundwinkel sanken. Ihr Blick hob
sich überraschend schnell. Zu schnell für ihn, um wegzusehen. Nachdenklich
musterte er sie. Langsam runzelte sich ihre Stirn. Sie schien sein Verhalten
nicht einstufen zu können, jetzt gerade. Er haderte mit sich. Seine Gedanken
befassten sich schon oft genug mit dem Schlammblut. Es waren nie positive
Gedanken, aber es waren… Gedanken. Und wenn es zu anstrengend wurde, musste er
sie finden, sie sehen, um sich zu beruhigen. Denn es beruhigte ihn, wenn er
sah, dass sie tatsächlich widerlich war.
Sein Mund
verzog sich schlecht gelaunt. Er war krank. Schlicht und einfach krank.
„Die Stunde
ist vorbei!“, rief der Riese fröhlich. Und Draco war froh und dankbar dafür.
„Dein Tag
heute“, schaffte er abweisend zu sagen, und ehe er sich von ihr abwandte, sah
er noch, wie sich ihr Mund wütend öffnete, wohl um ihm wieder einmal zu sagen,
was für ein Kind er war, aber es war wichtig, dass er das letzte Wort behielt.
Es verschaffte ihm Balance. Dominanz. Überlegenheit. Er konnte nicht der
Schwächere sein. Nicht dass er das jemals wäre. Bei ihr. Einem Schlammblut.
Aber manchmal…- er schüttelte zornig den Kopf. Nein. Genug. Genug gedacht.
Er
bemerkte, wie Pansy neben ihm in Gleichschritt fiel. Scheinbar hatte sie den
schlechteren Deal gemacht, denn sie trug ihr Ei, etwas angeekelt, mit spitzen
Fingern, weit von ihrem Körper entfernt.
„Ich hasse
Weasley“, murrte sie neben ihm. Draco hatte gar nicht bemerkt, dass sie Weasley
als Partner hatte.
„Ich auch“,
bestätigte er. Automatisch. Denn so war es. Er brauchte nicht zu hinterfragen,
warum. Er hasste sie. Die Gryffindors. Die scheiß Gryffindors.
Morgen
würde er Granger sehen. Und fast wollte er nicht. Denn es… beruhigte ihn schon
wieder. Und das war definitiv nichts, was er weiter ergründen wollte, wenn es
sich vermeiden ließ.
Es wäre
seine Hausaufgabe, sie zu sehen. Und nicht, dass er nicht wüsste, wo sie den
Tag über war. Er kannte seine Freunde gut, aber… seine Feinde kannte er besser.
Sein Vater
hatte diese Weisheit einst mit ihm geteilt. Mittlerweile bereute Draco, sich an
Lucius‘ Worte gehalten zu haben. Aber wie es nun mal mit Gewohnheiten war – es
ging nicht mehr anders.
„I have been bent and broken, but - I
hope - into a better shape.“
Charles Dickens
In der
Ferne konnte sie zumindest erkennen, wie Ron und Pansy stritten. Sie konnte sie
nicht hören, denn sie saß selber zu weit entfernt, aber nach Pansys wilder
Gestik zu urteilen, waren sie sich nicht unbedingt einig.
Er war zu
spät, aber sie hatte nichts anderes erwartet. Sie erwartete ehrlich gesagt gar
nichts von ihm. Es verging noch eine kleine Weile, in der sie das zitternde Ei
ruhig in ihren Händen hielt. Die Fortschritte waren beängstigend. Die Schale
spannte bereits nach diesem einen Tag. Die Farben waren blasser geworden, und
sie nahm an, bald würde die Schale brechen.
Sie hatte
in ihrem Exemplar ‚Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind‘ bereits
gesucht, war sich aber nicht wirklich sicher, ob sie gefunden hatte, was heute
schlüpfen würde. Das Buch beschäftigte sich weniger mit der Ei-Zeichnung der
gefährlichen Flugechsen, sondern vielmehr mit guten Ratschlägen, wie man nicht
sofort gefressen wurde, traf man zufällig in der Wildnis auf ein solches Exemplar.
Sie hatte
sogar gestern noch versucht das ‚Magische Tierleben‘ auszuleihen, aber das
einzige Exemplar war bereits ausgeliehen worden, hatte Madame Pince sie
informiert. Irgendwer war schneller gewesen. Sie nahm also wider jeder
Gewissheit an, dass ein Urvogel schlüpfen würde. Oder etwas Ähnliches.
Sie wusste
nicht, was es war, aber sie bemerkte seine Anwesenheit sehr plötzlich. Als
hätte ihr Rücken einen Stoß erfahren, richtete sie sich auf, saß kerzengerade
auf der Bank, während er gemächlich näher kam. Sie blickte ihm entgegen, und
wusste beim besten Willen nicht, warum Hagrid es nicht eingerichtet hatte, dass
sie einen anderen Partner bekommen hatte. Egal welchen, dachte sie abwesend.
Wahrscheinlich war das ihr persönliches Glück. Oder Pech, besser gesagt.
Er
erreichte sie mit selbstbewusst ausladenden Schritten, die Hände gelassen in
den Taschen seiner Hose vergraben. Und er sah an ihr vorbei, direkt auf das Ei
in ihren Händen. Es war eigenartig. Ihr war aufgefallen, dass sie ihn am Tag
häufiger sah. Und nicht einfach nur sah, nein. Sie bemerkte ihn bewusst. Aber
sie wusste nicht, warum. Sie wusste, Harrys Laune verschlechterte sich jedes
Mal, wenn Malfoy auftauchte, aber das war auch kein sonderbarer Zustand. So war
es immer gewesen.
Skeptisch
sah sie ihn an. Es war nicht auszumachen, was er dachte. Er hatte die Ärmel
seines weißen Hemds hochgekrempelt, aber… nicht hoch genug, dachte sie
unwillkürlich. Sie waren nur einmal umgeschlagen, entblößten seine Handgelenke.
Nicht hoch genug, um Harrys These zu bestätigen, dass Malfoy das Dunkle Mal
trug. Das mochte er verheimlichen, aber seine Arroganz trug er wie einen
mächtigen Talisman auf den Zügen. Er wirkte nie ehrlich. Immer nur
misstrauisch, vorsichtig, bereit, zu erwidern, bereit, die Slytherinehre zu
verteidigen.
Sie hörte
praktisch, wie er einatmete, um zu sprechen. Wie er die nötige Luft holte, um
wieder irgendetwas Gemeines und Widerwärtiges zu sagen, was sie auf irrationale
Weise so wütend machte, wie wenig auf der Welt. Und egal, wie oft Ronald ihr
sagte, sie solle ihn gar nicht erst beachten, seinen Worten kein Gehör schenken
– so tat sie es doch.
Und sie
wusste nicht warum. Aber bereits jetzt – bereits, als er Luft holte, schmeckte
sie den bitteren Geschmack der Enttäuschung, denn vielleicht glaubte sie
manchmal, er würde aufwachen und nicht mehr ekelhaft sein, aber es endete jedes
Mal gleich. Und sie hasste sich fast dafür, sich etwas vorzumachen.
Vor Harry
und Ron immer wieder im Kreuzverhör zu stehen, nur weil sie nicht anders
konnte, als jedes Mal wieder und wieder auf Malfoys Worte anzuspringen, obwohl
sie es nicht wirklich wollte. Er war ein Slytherin, er hatte es bestimmt auch
schwer, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er nie gelernt hatte, auch
nur ein einziges höfliches Wort zu sagen!
„-das Vieh
hatte wohl noch keine Lust zu schlüpfen. Wahrscheinlich spürt es deine Nähe.
Oder es ist allergisch gegen Schlamm?“, erkundigte er sich glatt, während sein
Blick nur sehr kurz über ihr Gesicht wanderte.
Sie
schluckte die Enttäuschung über ihn herunter. Denn… es war keine echte
Enttäuschung. Es war... Gewohnheit. Es löste keine wirkliche Bestürzung in ihr
aus. Es war einfach… schade. Dass sie nicht lernte. Dass sie nicht klüger
wurde. Dass sie ihm tatschlich unterstellte, mehr zu sein, als er in Wahrheit
war.
„Arschloch“,
flüsterte sie fast, ohne ihn anzusehen. Nie sprach sie so mit Harry und Ron.
Oder irgendwem. Nur mit ihm. Denn er brachte das Schlechteste in ihr hervor.
Seine Mundwinkel hoben sich. Sie sah es auch aus den Augenwinkeln. Und sie
zwang sich, ihren Zorn zu vergessen. Zu verdrängen, dass es Malfoy war.
„Ich habe
ein Notizbuch begonnen“, wechselte sie konsequent das Thema, obwohl sie nicht
annahm, dass sie einen gemeinsamen, rationalen Konsens erreichen würden. Sie
balancierte das Ei auf ihren Oberschenkeln und griff nach dem schmalen Heft
neben sich auf der warmen Bank.
„Erwartest
du Applaus?“, erkundigte er sich lakonisch bei ihr, und sie spürte, wie sich
ihre Mundwinkel zornig anspannten.
„Nein,
Malfoy“, erklärte sie, mäßig geduldig. „Ich erwarte, dass du es führst, wenn du
an der Reihe bist.“ Demonstrativ legte sie es wieder neben sich.
„Noch sehe
ich keinen Grund dazu“, erklärte er schlicht. Er beugte sich leicht nach vorne
und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Ei. „Wenn hier heute nichts passiert,
dann-“
„-es wird
schlüpfen. Denkst du, ich habe Lust, eine Stunde am Tag in deiner direkten Nähe
zu verbringen?“, entkam es ihr zornig, ohne, dass sie es hatte verhindern
können.
„Andere
Mädchen würden gutes Gold dafür zahlen“, erwiderte er, ignorierte ihre
Beleidigung völlig und ein halbes Lächeln erschien auf seinen Zügen. Ihr Blick
hatte sich gehoben. Sie sah ihn angewidert an.
„Ich nehme
an, du meinst die blinden Mädchen, die bewusstseinsverändernde Zauber benutzt
haben? Denn selbst blind wärst du immer noch unerträglich. Die vielleicht!“,
knirschte sie hervor, und sein Lächeln geriet etwas schief. Sie zuckte vor
Schreck zusammen, als die Schale unter ihren wütenden Fingern knackte.
Erschrocken fiel ihr Blick. Er war einen instinktiven Schritt zurückgewichen.
Gereizt sah sie ihn wieder an. „Du hast Angst?“, wollte sie bitter von ihm
wissen, und arrogant schüttelte er den Kopf.
„Ich habe
vor gar nichts Angst“, spottete er, und am liebsten wollte sie die Augen
verdrehen. „Aber wenn es explodiert, beulenpestartige Lava ausspuckt, dann
hätte ich lieber, dass es dich trifft und nicht mich“, schloss er angespannt.
„Wie
heldenhaft“, entgegnete sie garstig, und er lächelte wieder.
„Prinzessinnen
brauchen Helden, Granger. Du bist eher-“
„-halt
einfach deinen Mund!“, unterbrach sie ihn aufgebracht, während sie sich
beunruhigt erhob, das Ei auf die Bank legte, wo es wackelnd in die Ritze
kullerte und auf der Seite liegen blieb, während es immer wieder zuckte. Sie
war an seine Seite gewichen, beobachtete das Ei, und konnte nicht einmal
behaupten, dass Malfoys Theorie meilenweit entfernt von einer möglichen
Wahrheit lag, denn Hagrid hatte eher… leicht entflammbare, schmerzhafte
Interessen.
Und mildes
Interesse hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Fast alarmierte es sie auf einem
primitiven Level ihres Unterbewusstseins, aber der Impuls der Furcht war nicht
stark genug.
„Interessiert
an einer Wette, Granger?“, fragte er sie, die Stimme undeutbar vage, betont
gleichmütig.
„Nein“,
entgegnete sie kurz und knapp. Er wandte ihr den Blick vollständig zu. Er
sprach heute viel, ging ihr auf. Ansonsten bekam sie nur ihre tägliche
Beleidigung von ihm, und er zog ab, weg, in seine Keller, seinen Kreis an
blöden Freunden im Schlepptau.
„Angst,
dass du verlierst?“, erkundigte er sich höhnisch.
„Nein, denn
ich habe nicht vor, länger als nötig hier zu sein, länger als nötig mit dir zu
reden – also ist es selbsterklärend, dass ich keine Wette mit dir abschließen
werde!“
Und es war
faszinierend, dass er sie ignorierte, scheinbar keines ihrer Worte vernommen
hatte. Er verschränkte lediglich die Arme vor der Brust, beobachtete mit
schiefgelegtem Kopf das knirschende Ei und sprach.
„Ich wette,
es hat Flügel“, bemerkte er, ohne sie anzusehen. Und es lenkte sie ab. Nur
kurz, aber lang genug, dass sie vergaß, den Mund zu halten!
„Mit großer
Wahrscheinlichkeit ist es ein Vogel, Malfoy.“ Er blickte abschätzend auf sie hinab
und sie ärgerte sich, überhaupt etwas zu ihm gesagt zu haben.
„So
funktioniert eine Wette nicht“, belehrte er sie schlicht. „Einer wettet auf
eine Eigenschaft, der andere verneint.“ Sie verdrehte die Augen über ihn.
„Ich weiß,
wie man wettet, Malfoy“, knurrte sie bloß. „Warum willst du unbedingt wetten?“,
entkam es ihr mit gerunzelter Stirn. Es verwirrte sie. Er hob den Blick
unverfänglich zu ihrem Gesicht. Alles an ihm, seine Gesten, sein Aussehen,
wirkte so, als überließ er nie etwas dem Zufall. War nie spontan. Alles müsse
er sich stets wappnen, immer auf der Hut sein, dass ihn ja niemand in einem
unbewachten Moment erwischte.
„Es könnte
die tödliche Langeweile, die ein Projekt zusammen mit einer Gryffindor ganz von
selber mit sich bringt, vielleicht erträglicher machen.“ Finster blickte sie
ihm entgegen. Er war ein Arsch. „Ich wette, es hat Fell“, ergänzte er dann
betont beiläufig, mit einem Lächeln, das seine Augen niemals erreichte. Sein
Blick fixierte nun die berstende Schale. Das Tier mühte sich im Innern schwer
ab, erkannte sie. Und sie sprach wider besseres Wissen aus, was sie dachte.
„Unwahrscheinlich.
Was aus einem Ei schlüpft hat überwiegend Schuppen oder Federn“, sagte sie nur.
Dann sah er sie wieder an. Sofort hob sich ihr Blick zu seinen grauen Augen.
Sie mochte es nicht, wenn er sie beobachtete. Denn sie spürte es jedes Mal,
wenn er das tat. Und ihr wurde immer unangenehm warm, wenn er es tat.
„Dann steht
die Wette?“, wollte er lächelnd wissen, und ihr Mund öffnete sich entgeistert.
„Nein!“,
erwiderte sie ungläubig. „Immer noch nein, Malfoy! Ich lasse mich garantiert
nicht auf eine Wette mit dir ein!“ Er lächelte wieder. Das Ei sprang fast von
der Bank, so stark arbeitete das Tier nun im Innern, um rauszukommen.
„Es kommt
immer auf den richtigen Einsatz an“, fuhr er achselzuckend fort.
„Vergiss
es!“, erwiderte sie kopfschüttelnd.
„Nenn mir
deinen Preis“, verlangte er tatsächlich, hob provozierend eine Augenbraue, und
sie schüttelte wieder über ihn den Kopf. „Komm schon. Ich bin sicher, es gibt
tausend Sachen, die du mir antun möchtest“, neckte er sie, widerlich
selbstbewusst. Sie sah ihn eisig an.
„Dafür
brauche ich keine dämliche Wette, Malfoy“, informierte sie ihn kühl.
Anerkennend hoben sich seine Augenbrauen jetzt. Seine Mundwinkel zuckten. Sie
hasste, dass er spielte. Sie hasste, dass er einfach immer nur ein Slytherin
war!
„Wirklich
schade“, bemerkte er mit einem sanften Lächeln. „Richtige Wetten können
verdammt viel Spaß machen. Aber ein Schlammblut kann wahrscheinlich-“
„-denkst
du, du überzeugst mich, indem du mich beleidigst? Du bist erbärmlich“, stellte
sie verständnislos fest, und ihr Blut kochte bereits wieder wegen ihm.
Er zuckte
die Achseln. „Ich dachte mir schon, dass es vertane Mühe ist, so etwas
vorzuschlagen. Du hättest es wahrscheinlich nicht drauf, einen Wetteinsatz zu
fordern, der mich ernsthaft beeindrucken könnte. Wahrscheinlich würdest du
wollen, dass ich dein dämliches Notizbuch führe, oder deine Aufsätze in
Zaubertränke schreibe“, fuhr er blasiert fort, und ihr Mund öffnete sich
entrüstet. Nachsicht trat in seinen Blick. „Glatte zehn Punkte weniger als ich,
letztes Mal bei Slughorn“, merkte er kopfschüttelnd an und betrachtete sie mit
arrogant erhobener Augenbraue.
„Ich
schreibe meine Aufsätze alleine, Malfoy!“, knirschte sie gepresst hervor und
hasste ihn noch ein klein wenig mehr als sonst.
„Tja, dann
wüsste ich nicht, was-“
Zornig sah
sie ihn an, und es wieder einmal gegen jede Rationalität, dass sie überhaupt
auf seine Worte einging! Aber sie sagte, was sie tief in ihrem Innern dringend
sagen wollte.
„-würden
wir wetten – was wir nicht tun! – dann würde ich von dir fordern, dass du
nächstes Jahr das Schulsprecheramt ablehnst, wenn du es bekommst!“ Ihre Stimme
zitterte nicht bei diesen Worten, hatte sich merklich abgekühlt, und
vollkommener Ernst sprach aus ihren Worten.
Überrascht
sah er sie an. Das war eine ihrer größten Sorgen. Denn seine Noten waren
bedauerlicherweise gleichauf mit ihren. Und sie wusste auch, dass es möglich
war, das Amt abzulehnen. Das hatte der Schulsprecher letztes Jahr getan. Zwar
hatten sich seine Eltern getrennt und es war absehbar, dass er mit seiner
Mutter England verlassen würde, aber es war möglich gewesen, das Amt an den
ersten Ravenclaw-Vertrauensschüler zu transferieren.
Und das
wollte sie. Sie wollte, dass sie keinen einzigen Tag in ihrem siebten Jahr an
Malfoys Seite im höchsten Schüleramt sein wollte. Denn er würde jeden Tag eine
neue Gelegenheit finden, sie zu beleidigen, ihr aufzulauern, nur um sie fertig
zu machen. Sie würde viel dafür geben, diesem unwürdigen Schicksal zu entgehen.
Ihn einfach nicht sehen zu müssen.
Seine
grauen Augen verengten sich minimal, flogen über ihr Gesicht, und säuerlich
sanken seine Mundwinkel.
„Das ist
dein Wunsch?“, fragte er kühl. Sie reagierte nicht wirklich. Wie auch? Sie
bereute schon, so etwas Unangebrachtes überhaupt ausgesprochen zu haben. Sie
war schon wie er. Ihr Herz schlug unweigerlich schneller. Sie hatte ihn zu
lange angesehen. Er würde sie wieder beleidigen, ihr vorhalten, dass sie als
Schulsprecherin ungeeigneter wäre als –
„-ok“,
unterbrach er neutral ihre Gedanken. Sie blinzelte knapp. Was?! Es musste der
schwarze Charakter der Slytherins sein! Sie konnte ihn nur ungläubig anstarren.
Wieso ging er darauf überhaupt ein?
„Wir wetten
nicht“, entgegnete sie verschlossen. Unfassbar. Wie konnte er zustimmen? Zu so
etwas völlig Wahnsinnigem? Er würde den entscheidenden Zeugnisvermerk
verwirken, auf den es ankam, damit sich alle Türen öffnen würden! Und das nur
wegen einer Wette? Sie hatte ihm nur beweisen wollen, dass sie durchaus in der
Lage war, einen gemeinen Wetteinsatz zu fordern. Garantiert war es nichts, was
sie ernsthaft von ihm einfordern würde! Sie würde niemandem um solche eine Ehre
bringen. Sei es auch ein dämlicher, arroganter Slytherin, der sie bekam.
Und sie
glaubte ihm nicht. Sie fasste ihn näher ins Auge.
„Das
würdest du nicht riskieren“, stellte sie tonlos fest. Er runzelte gereizt die
Stirn.
„Du hast
keine Ahnung von den Dingen, die ich riskieren und die ich nicht riskieren
würde, Granger“, informierte er sie fast gekränkt. Aber langsam schüttelte sie
den Kopf.
Die Schale
des Eis war mittlerweile komplett gesprungen. Jede Sekunde wäre es soweit.
Abwesend dachte sie an das kleine Monstrum zurück, was gleich schlüpfen würde
und in zwei Wochen so riesig wäre, dass magische Zoos es aufnehmen
mussten.
Und ihre
Augen weiteten sich plötzlich.
„Du… du
hast das Buch ausgeliehen, Malfoy“, sagte sie fast erschüttert. Entgeistert sah
er sie an.
„Granger,
was-“
„-das
‚Magische Tierleben‘!“, unterbrach sie ihn atemloser. Er war zu gelassen. Zu
bereit.
Sie war
eine Gryffindor – und alles andere als dumm. Denn ihr Verstand gab ihr
mittlerweile ein deutliches Warnsignal. Wenn Malfoy einfach so sein mögliches
Schulsprecheramt aufgab, dann… gab es einen Grund. Er wusste bereits, was sie
erwartete.
Die Schale
brach. Und jetzt hatte ein winziges kleines Tier den Kopf aus der Schale
gestoßen. Feucht klebte ihm sein Fell am Kopf, während es träge blinzelte. Es
leckte sich orientierungslos über die kleine Schnauze, während es verwirrt den
Kopf wandte.
Es sah aus
wie ein chinesischer Hund. Ein sehr, sehr kleiner Hund. Mit einer gespaltenen
Zunge. Es schüttelte sich, und der Rest der Schale zerbrach. Und sehr winzig
auf seinem Rücken, erkannte sie zwei Ansätze von Daumennagel großen Flügeln.
Der Hund könnte wohl noch gerade so auf ihrer Hand sitzen. Oder was für ein
Tier es auch war.
Wenn es
trocken wäre, wäre es wahrscheinlich flauschig, nahm sie dumpf an. Es war ein
hübsches, kleines Tier. Aber sie kannte Hagrid gut genug, um zu wissen, dass es
nicht hübsch bleiben würde.
Und es
würde Flügel haben. Und es hatte Fell. Ihr Blick fixierte ihn jetzt.
„Du
wusstest, was es ist, nicht wahr?“, wollte sie wütend von ihm wissen. „Du
wolltest wetten, um mich bloßzustellen, weil du schon wusstest, was für ein
Tier es wird!“ Merlin, war sie froh, nicht so dumm gewesen zu sein, eine Wette
mit ihm einzugehen. Das hätte Harry bestimmt gut gefallen. Das wirklich
Schlimme wäre allerdings gewesen, dass es Harry wahrscheinlich nicht einmal
großartig gewundert hätte, während Ron an die Decke gegangen wäre. Ron regte
sich schon darüber auf, dass sie gar nicht anders konnte, als sich regelmäßig
mit Malfoy anzulegen. Harry regte es nicht auf. Er kommentierte es schon gar
nicht mehr. Als wisse er… sie könne gar nicht anders. Dabei war es so nicht!
Sie konnte
anders!
Sie konnte
verdammt anders! „Du bist so ein Arschloch!“, fuhr sie ihn tonlos an. „Was wäre
dein Preis gewesen? Wahrscheinlich hätte ich von der Felsbrücke springen
müssen, nicht wahr?“, wollte sie mit zitternder Stimme wissen. „Oder ich hätte
mit fluchsicherer Tinte Schlammblut auf meine Stirn schreiben müssen, ist es
das? Oder vielleicht noch irgendetwas Schlimmeres, Schmerzhafteres, Malfoy?“ Er
hatte ihre Worte nicht bestätigt, nicht eingeräumt, dass er das Buch
ausgeliehen hatte. Er sah sie lediglich an, und sie wusste nicht, was er
dachte. Aber mit klopfendem Herzen nahm sie an, dass sie vollkommen richtig
lag!
Das kleine
Tier war munter und schnappte bereits spielfreudig, mit spitzen kleinen weißen
Zähnen, nach seiner eigene Schale.
Sie wusste
nicht mal, warum es sie interessierte, warum irgendetwas aus seinem Mund sie
überhaupt neugierig machen konnte. Es waren doch ohnehin nur Demütigungen und
Beleidigungen! Immerhin lächelte er nicht mehr. „Weißt du was“, schloss sie
bitter, „ich will es gar nicht wissen.“ Denn, was auch immer sie sich
vorstellte – es wäre bestimmt eintausend Mal schlimmer. Alles, was er sagte,
war unverzeihlich.
Sein
ernster Blick lag beinahe abwesend auf ihrem Gesicht, als sie ihre Hände zu
Fäusten an ihren Seiten ballte.
„Dein Tag.
Schreib in das Buch.“ Es waren nur noch wenige Worte, denn mehr wollte sie
nicht mehr mit ihm reden. Eilig wandte sie sich ab, marschierte über die Wiese
und sah sich nicht einmal mehr um. Genug für heute. Genug Malfoy für einen Tag.
Sie lief in einigen Metern Entfernung an Pansy und Ron vorbei, die ihr bestes
gaben, ihren kleinen Hunde-Drachen wieder einzufangen, denn er lief bereits
tapsig mit freudigem Gebell durch das Gras, dachte wohl, dass die beiden mit
ihm spielten.
Zornig
kreisten ihre Gedanken um ihn und seine Dreistigkeit! Und seine Dummheit! Für
was der Aufwand? Sie hätte niemals eingewilligt, mit ihm zu wetten! Um nicht
mal einen einzigen Knut! Malfoy war zu gefährlich. Vielleicht… irrte sie sich
auch. Vielleicht hatte er das Buch nicht ausgeliehen. Vielleicht.
Es war
egal. Sie hatte genug damit zu tun, allen anderen – und sich selber –
vorzumachen, dass sein Verhalten ihr nichts anhaben konnte.
Denn das
war gelogen. Es erschrak sie fast.
Denn seine
Worte taten weh. Und sie wusste nicht mal, warum.
„I don't think that being in a
full-time relationship is necessarily for everybody all of the time.
It's not necessarily some state of grace.“
Mick Jagger
„Brauchst
du das noch, Draco?“, wollte Gregory von ihm wissen, während er das dicke Buch unschlüssig
in den Händen hielt. „Ansonsten bringe ich es zurück.“
Vincent
verengte die Augen. Es war das ‚Magische Tierleben‘ von Stroke Fowler. Sein
Blick fiel auf die drei schlafenden kleinen Drachen-Hunde, die auf einer Decke
vor dem Kamin eng zusammengekuschelt schnarchten. Draco hatte ihnen bereits
gesagt, dass es sich um Ignos handelte, wie sie der Volksmund wohl seit
Jahrhunderten nannte. Ignis Linguas. Der Riese hatte ihnen Feuerzungen zur
Beaufsichtigung gegeben.
Seltene,
gefährliche Tiere. Sie galten als nahezu ausgestorben. Nicht, weil sie sich
nicht vermehren konnten, aber sobald sie schlüpften, entwickelte sich ein so
starker Alphatier-Trieb, dass die Jungtiere nach zwei Wochen anfingen, ihre
Artgenossen mit Stichflammen zu töten, hatte Draco ihnen beiläufig erklärt.
Überdies brauchte jedes Igno im Idealfall ein 200km² großes Territorium.
Ob alle
zehn Ignos überleben würden, bezweifelte Vincent stark. Draco hatte Vorarbeit
geleistet, hatte scheinbar jede einzelne der dreitausend Eifärbungen in dem
Buch mit ihren Eiern verglichen, und für gewöhnlich war es nichts
Verwunderliches. Draco war klug. Er lernte viel. Aber Vincent hätte ihm
unterstellt, zu warten, bis die Tiere geschlüpft wären. Dann wäre die Suche
schneller gegangen und einfacher gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte Draco es
vorher wissen wollen.
Wissbegier?
Für gewöhnlich interessierte sich Draco nicht wirklich für ‚Pflege magischer
Geschöpfe‘. Er war einfach anwesend und wandte die wenige Arbeit auf, die es
nötig war, um ein Ohnegleichen zu bekommen. Nichts darüber hinaus.
Und er war
merklich schweigsam heute. Seine Augen wirkten müder. Vincent wusste, er hatte
heute mit Granger Zeit verbracht. Verstohlen betrachtete er ihn weiterhin aus
den Augenwinkeln. Schlecht gelaunt sah Draco Greg schließlich an.
„Mach,
verdammt noch mal, was du willst“, knurrte er gereizt und starrte wieder in den
Kamin, nachdenklich und schlecht gelaunt. Greg murmelte etwas Entschuldigendes
und verschwand mit dem Buch.
Hatte er
sie beeindrucken wollen? Vincent war sich nicht sicher. Aber so schätzte er
Draco nicht ein. Er stolzierte nicht durch das Schloss, bereit, Granger auf die
Nase zu binden, wie klug er war. Nein. Granger war selber schlau genug. Draco
war eher der Typ, der Dinge wusste, aber nicht zugab, sie zu wissen. Er hatte
mehr Spaß daran, anderen Dinge vorzuenthalten.
„Alles
ok?“, erkundigte sich Pansy mitfühlend, aber Draco verzog lediglich den Mund.
„Alles
bestens“, erwiderte er kalt.
Es war also
etwas anderes. Was auch immer er vorgehabt hatte, es war nicht so eingetreten,
wie er es sich erhofft hatte. Falls er sich irgendetwas erhofft hatte. Vincent
war immer mehr davon überzeugt, dass Draco meilenweit entfernt davon war,
überhaupt zu begreifen, warum sein Augenmerk auf Hermine Granger lag.
Und
wahrscheinlich rotierte sein Gehirn zurzeit im Turbomodus, denn für zwei Wochen
würde er sie sehen, ohne ihn und Greg kreuz und quer durch Hogwarts treiben zu
müssen, weil die Gryffindors vielleicht ebenfalls unterwegs waren.
Es war fast
traurig. Denn Draco bekam seine seltene Chance, alleine mit ihr zu sein, und
Vincent nahm an, Draco würde es fertigbringen, dass Granger ihn in zwei Wochen
noch mehr verabscheuen würde, als sie es ohnehin schon tat.
Wenn sie es
denn tat. Auch da war sich Vincent nicht sicher. Aber es war ihm auch
gleichgültig. Es wäre nett, würde sich Granger endlich für Weasley entscheiden,
damit Draco die Chance bekam, über sie hinwegzukommen – ohne, dass er überhaupt
begreifen musste, dass er sie tatsächlich… mochte? Wollte? Liebe war es nicht.
Liebe war anders.
Liebe war…-
Seine
Gedanken rissen ab, als Blaise den Gemeinschaftsraum betrat, seinen schlafenden
Igno auf dem Arm. Vincent versteifte sich neben Pansy auf der Couch, ehe er
sich letztendlich vollständig erhob.
„Wegen mir
musst du nicht gehen, Vince“, bemerkte er mit einem falschen Lächeln. Immerhin
benutzte er vor Draco nicht den lächerlichen Spitznamen, den er sich angewöhnt
hatte.
„Tue ich
nicht“, log er direkt. „Habe noch zu tun“, schloss er lediglich, denn er hatte
nur gewartet, dass Blaise wiederkam. Er wusste lieber, wo seine Feinde waren,
ehe er untertauchte. Er verließ die Sitzgruppe.
„Was für
ein Zufall. Ich auch“, entgegnete Blaise hinter ihm, und Vincent spürte, dass
er ihm tatsächlich folgte, nachdem er den Igno zu den anderen vor dem Kamin
abgelegt hatte. Feuerwesen mochten ironischerweise Feuer am liebsten, auch wenn
es gefährlich für sie war. Dort würden sie auch die Nacht verbringen. Und
Vincent hasste, dass Blaise nicht den Takt besaß, einfach woanders zu sein.
Etwas anderes zu tun.
Aber jetzt
hatte er es angekündigt. Jetzt musste er auch gehen. Natürlich hatte er
Ersatzpläne für solche Fälle, aber lieber wäre es ihm Blaise wäre nicht dabei.
Er verließ den gemütlichen Gemeinschaftsraum und betrat den Gang, in milchiges
Zwielicht getaucht, durch die flackernden Lampen.
Blaise ging
entspannt neben ihm, fast zufrieden. Und sein gemächlicher Gang, verriet
Vincent, dass Blaise garantiert keinen Ort hatte, an dem er sein wollte.
Unauffällig ballte Vincent seine Fäuste und setzte seinen Weg kommentarlos
fort, versuchte, etwas schneller zu sein, aber Blaise hielt mühelos Schritt.
Und sein
Weg führte ihn nicht nach oben, nicht ins Erdgeschoss. Er blieb unten, bog
durch einige Gänge, bis es Blaise klar sein musste, dass sie zur Wäscherei
gingen. Er gehörte zu den Schülern, die es nicht mochten, wenn die Elfen durch
seine Kleidung gingen, sie sortierten, bis zu den Unterhosen, um sie dann auch
noch einzusortieren. Vincent tat es lieber selber. Nicht, dass er etwas
verbarg, außer den offensichtlichen Dingen, aber… er mochte es nicht, dass
jemand seine Sachen anfasste. Schon Zuhause nicht. Da wartete er auch immer
neben den Hausarbeitsräumen darauf, dass die Elfen mit der Wäsche fertig
wurden, um sie ihnen abzunehmen. So war er immer gewesen.
Blaise
lächelte mittlerweile, und sie waren vor den großen Türen angelangt. Vincent
öffnete diese, und der Geruch von Stärke, von weißer Frische, von Waschzaubern,
Trockenzaubern und trockener Hitze, schlug ihnen entgegen. Es war angenehm
hier. Fast etwas tropisch, dachte er immer. An jeder Ecke standen große weiße
Leinenwagen, gefüllt mit frischen Uniformen, von deren Ordnung nur die Elfen
Bescheid wussten.
Zwei
Geschöpfe kamen bereits, einigermaßen missbilligend auf sie zu gewatschelt. Auf
Hogwarts besaßen die Elfen tatsächlich den Mut, schlecht gelaunt zu sein. Oder
zumindest nicht alle Zeit untergeben. Einige von ihnen.
„Ja?“,
wollte die kleinere Elfe knapp wissen. Aber die andere kannte ihn schon. Er
nahm an, nicht besonders viele Schüler verspürten so viel Scham wie er. Sie
lehnte sich zum Ohr der anderen und schien seinen Namen zu wispern. „Mh“,
murmelte die kleinere Elfe bestätigend. „Hier bleiben. Nichts anfassen mit
schmutzigen Menschen-Fingern!“, warnte sie ihn und Blaise mit kleinen
drohenden, schwarzen Augen. Abwehrend hob Blaise neben ihm die Hände mit einem
Lächeln, wie um zu beweisen, dass er so etwas garantiert nicht vorhatte.
Vincent
blickte demonstrativ in eine andere Richtung, als die Elfen verschwanden, und
er in der Ferne die vielen Geschöpfe arbeiten hörte.
„Verstehe
nicht, warum du den Aufwand betreibst, Vinnie“, stellte Blaise schließlich
fest. Vincent machte einige Schritte zu Seite und lehnte sich gegen einen der
Leinenwagen, der voller weißer Laken war. Aber Blaise wollte den Hinweis wohl
nicht verstehen und stellte sich neben ihn. „Es ist Wäsche“, ergänzte er mit
sanftem Unglaube in der Stimme. „Wäsche sieht man nicht an, ob sie schwul ist oder-“
Aber sofort
hatte sich Vincent ihm zugewandt, und der heiße Impuls der Scham, der Wut, der
grenzenlosen Angst rauschte durch seine Adern. Blind hatte er eine Handvoll von
Blaises Hemd ergriffen, schloss hart die Faust um den weichen Stoff, und sein Kiefer
hatte sich hart angespannt, während sein Atem gepresster ging.
„-halt dein
dreckiges Maul, Zabini! Verpiss dich einfach! Was willst du von mir?!“, knurrte
er verzweifelt und wütend zugleich. Blaises Lächeln immerhin war wie
weggewischt. Seine grünen Augen musterten ihn scharf.
„Lass mich
los, Vinnie“, forderte er ihn kopfschüttelnd auf, als verhielte er sich
lächerlich, aber Vincents Faust schloss sich nur noch fester um den Stoff,
brachte ihn näher.
„Nenn mich
nicht so!“, spuckte er ihm entgegen, stieß Blaise schließlich hart zurück, so
dass dieser einige Schritte nach hinten taumelte. Ungläubig hoben sich Blaises
Mundwinkel, als er sein Hemd richtete und die wenigen Schritte zielstrebig
zurück kam, nur um ihn hart, mit flachen Händen nach hinten zu schubsen.
Vincent stolperte gegen den Leinenwagen, der sich ächzend einige Zentimeter
nach hinten in Bewegung setzte. Strauchelnd richtete sich Vincent hastig auf,
sein Blut rauschte, und wenn es sein musste, würde er sich mit Blaise hier in
der Wäscherei grün und blau prügeln. Blaise war zu weit gegangen! Schon längst
viel zu weit!
„Wovor hast
du Angst?“, fuhr Blaise ihn niederträchtig an, die dunklen Augenbrauen
abschätzend zusammengezogen. „Wie sie dich nennen werden? Schwuchtel?“, schlug
er kalt vor, und Vincent nahm praktisch Anlauf, was auf so kurze Distanz nur
lächerlich aussehen musste, sein Körper traf Blaises, und mit aller Kraft
drängte er ihn zurück, bis Blaises Rücken unsanft gegen die Mauer stieß,
Vincent direkt vor ihm. Sie waren beide ähnlich groß, aber er bezweifelte
nicht, dass Blaise stärker wäre. Letztendlich. Aber heute war es ihm egal!
Durch den
harten Aufprall schnappte Blaise fast hustend nach Luft. „Genau!“, stieß er rau
aus. „Dich mit mir anzulegen, löst dein Problem, du Wichser!“ Vincents Augen
flogen über Blaises Gesicht, hassten jeden Zentimeter an glatter, südländischer
Haut, hassten die grünen wissenden Augen, die ihn aus der Distanz
durchleuchteten, träumte schon von Blaise Zabini, der seine Zukunft mit nur
einem Wort zerstörte.
„Du bist
das Problem!“, brachte er rau hervor, fast schon blind vor Wut, und Blaise
brachte es tatsächlich fertig, sanft zu lächeln.
„Dein
Schwanz ist das Problem, Vince“, informierte er ihn, und wieder griffen
Vincents Hände grob in Blaises Hemd, aber diesmal befreite sich Blaise
schneller, stieß sich mit immenser Kraft von der Mauer, Vincent wich haltlos
zurück, aber Blaise folgte und hart legte sich seine Hand um seinen Nacken.
Ihre Blicke
trafen sich, und Vincent erkannte sanften Zorn in Blaises Blick. Überfordert
atmete er laut aus, und fast grob schloss Blaise den Abstand, presste den Mund
auf seinen, und Vincent riss die Augen auf. Panisch wollte er zurück, sich
lösen, aber Blaise hatte ihn fest im Griff, die Augen geschlossen. Als Vincent
sich bewegte, nutzte Blaise die Gelegenheit, nun ihn gegen die Wand zu drängen,
und Blaises Körper presste sich gegen seinen. Noch immer verschlossen seine
Lippen seinen Mund, bewegten sich auffordernd, und Vincent wurde heiß, so
schrecklich heiß.
Alle seine
Nerven reagierten, alles war… verzerrt und falsch. Blaise hob die andere Hand
zu seinem Gesicht, während sein Körper ihn effektiv gegen die Wand drückte.
Vincent hob verzweifelte die Arme, umfasste Blaises Handgelenke und mit
schierer Kraft schaffte er, sie zu verdrängen, sein Gesicht zu befreien.
Der Kuss
war vorbei.
Sein Atem
ging flach, die Augen noch immer weit geöffnet, und Blaises Brust hob und
senkte sich ebenfalls schneller. Blaise sah ihn an. Wesentlich gefasster, immer
noch viel zu nah vor ihm, und Vincents Hände zitterten, während er noch immer
Blaises Handgelenke hielt.
„Sieh dich
an“, murmelte Blaise heiser, nahe vor seinem Gesicht. Vincents Lippen hatten
sich geteilt. „Nicht in Flammen aufgegangen. Kein Alarm im Schloss. Krieg dich
wieder ein“, schloss er beherrschter.
Vincent
verstand nicht. Er…? Zabini hatte ihn geküsst! Er konnte ihn nur anstarren.
„Mr.
Crabbe?“
Er fuhr
zurück, ließ Blaise los, und noch mehr Hitze stieg in seine Wangen. Die Elfe
war zurück, seine große Wäschetasche in der Hand. Hastig nahm er sie dem
Geschöpf ab, aber die Elfe schien sich nicht sonderlich für ihn, noch für
Blaise zu interessieren, als sie sich daraufhin wieder abwandte.
Er musste
hier raus! Mit weiten Schritten erreichte er die Türen, zog sie fast
gewalttätig auf und dann rannte er. Er floh praktisch aus den Gängen. Einfach
weg. Seine Gedanken lagen blank.
~*~
„Es braucht
einen Namen“, entschied Weasley, während er beobachtete wie das Igno seinen
viel zu kurzen Schwanz jagte.
„Einen
Namen?“, wiederholte sie schlecht gelaunt. „Wir haben es für zwei Wochen. Es
ist ein Igno“, entgegnete sie nur. Er hob den Blick.
„Na und?“,
wollte er schroff wissen. „Alles braucht einen Namen.“ Sie verdrehte die Augen.
„Dann gib ihm
einen Namen, Weasley, wenn es dich glücklich macht.“ Sie betrachtete seine
unordentlichen Notizen neben ihren. Seine Handschrift war schrecklich. Und
seine Stichpunkte waren auch noch überflüssig. „Vielleicht solltest du Granger
noch mal Korrektur lesen lassen“, ergänzte sie kopfschüttelnd.
„Hey!“,
brauste er auf. „Ich brauche keine Hilfe bei einem blöden Tagebuch!“ Abwesend
streichelte er jetzt das Igno, was nur zu bereitwillig versuchte, nach seinen
Fingern zu schnappen. Es verfehlte sie immer nur knapp.
„Fass es
lieber nicht an“, ermahnte sie ihn. „Sonst kannst du direkt in den
Krankenflügel.“ Er verdrehte die Augen über sie.
„Du bist
nicht besonders Tierlieb“, stellte er schließlich fest.
„Es ist ein
Igno! Ein Drachenhund! So ein Vieh verspeist Menschen zum Frühstück!“, fuhr sie
ihn an.
„Du bist
ein süßer, kleiner Hund, nicht wahr?“ Weasley ignorierte sie und kraulte den
Nacken des Igno, woraufhin dieses ergeben hechelnd zur Seite fiel, um sich
weiter streicheln zu lassen. Pansy atmete hörbar aus. „Ich durfte nie einen
Hund haben. Mum sagte, ein Hund verschreckt nur die Hühner.“ Pansy stand nicht
der Sinn nach Weasley-Geschichten vom Bauernhof. Sie hatte die Arme vor der
Brust verschränkt, saß steif auf der Bank, während Weasley sich seine Hosen im
Gras dreckig machte, um das Vieh zu streicheln.
Sie dachte
an Draco und wie er gerade Zeit mit Granger verbringen musste. Was für eine
blöde Idee des Riesen es doch war! Ganz klar konnte Draco Granger nicht leiden.
Wieso man sich nicht selber seinen Partner hatte aussuchen dürfen – oder wieso
sie überhaupt so etwas Bescheuertes machen mussten – war Pansy ohnehin nicht
klar. Was versprach sich der dämliche Riese davon?
Ihr Blick
fiel wieder auf Weasley. Er schenkte dem Igno mehr Beachtung als ihr. Seltsame
Gryffindors. Weasley hob schließlich den Blick und sah sie auffordernd an.
„Komm
schon, Parkinson“, forderte er sie eindeutig auf. „Stell dich nicht so an.“
Schockiert sah sie ihn an. „Er ist ganz zahm“, versprach Weasley ihr grinsend.
„Nein,
danke“, erwiderte sie steif. Dann schnappte sich Weasley das Igno, ging auf die
Knie und schloss so den Abstand zu ihr, um ihr das Fellbündel in den Schoß zu
setzen. Erschrocken wich sie gegen die Lehne der Bank zurück, während das Igno Spaß
in ihren Rockfalten hatte, mit den Pfoten nach dem Stoff schlug, und
reflexartig, bevor es aus den Falten kullern konnte, hatte Pansy das kleine
Tier mit den Händen aufgehalten. Es schmiegte übergangslos den Kopf gegen ihre
Handfläche, jaulte verspielt, und selbstvergessen streichelte Pansy über den
flaumigen Kopf des Tieres, während dieses auf ihrem Schoß hin und her sprang.
„So
furchtbar ist es nicht, hm?“ Weasleys Blick hatte sich mit leuchtenden Augen
gehoben, und Pansy war verblüfft über sich selbst, denn ein Lächeln zerrte an
ihren Mundwinkeln.
Nein. Gar
nicht furchtbar. Weasley kniete noch immer vor ihr, streichelte das Igno, das
auf ihrem Schoß nun weit gähnte, und Weasley schien keine Furcht vor ihrer Nähe
zu haben.
Er schien
nicht mal zu merken, dass sie nur zwanzig Zentimeter voneinander entfernt
waren.
Leicht
runzelte sich ihre Stirn. Es war nicht furchtbar. Ihr Blick fiel zurück auf das
warme Tier in ihrem Schoß, das es sich bequem gemacht hatte. Weasleys Finger
streichelten es fast liebevoll. Sie waren lang und schlank, die Knöchel etwas
dicker, und er hatte einige Kratzer und Macken auf den Fingern, die Jungs immer
aus Unachtsamkeit von irgendwoher her hatten, nahm sie an.
„Gordo“,
entkam es ihren Lippen plötzlich unbedacht. Weasley hob wieder den Blick, um
sie anzusehen.
„Gordo?“,
wiederholte er bloß, und Pansy spürte, wie sie rot wurde, wie sie sich schämte,
einfach gesagt zu haben, was sie dachte.
„Vergiss
es. Es ist dumm…, ich… - mein Kuscheldrache hieß-“
„-ich mag
Gordo“, unterbrach Weasley sie achselzuckend und kraulte das Igno wieder. „Hey
Gordo“, flüsterte er grinsend. „Wir haben einen Namen für dich!“
Und wieder
war Pansy gänzlich überrascht. Weasley machte sich nicht lustig über sie.
Weasley war so anders als die Slytherins, die sie kannte. Es störte ihn nicht,
sich von einer kindischen Seite zu zeigen. Vorsichtig streichelte sie das Igno
ebenfalls, und versehentlich berührten ihre Finger Weasleys. Es verging eine
Sekunde, und er zuckte zurück. Fast musste sie näher hinsehen, aber sie
glaubte, dass seine Wangen röter wurden. Er räusperte sich und wich einen
halben Meter zurück.
„Dann…
nehme ich Gordo heute?“, sagte er mit krächzender Stimme. Und fast musste sie
wieder lächeln, als sie nickte. Weasley schämte sich. Sie dachte, sie wäre die
einzige, die sich ständig schämen würde. Und ohne, dass sie es wollte, hatte
Weasley Pluspunkte gesammelt. Nicht, dass das für irgendetwas gut wäre. Aber es
war überraschend. Das war alles.
„I tell myself that this is okay, but
I realize that I don’t have to.
This is what I want. Him. Me. Closer.“
Nikki Rae
Er
beobachtete die Dinge mit scharfem Auge. Wachem Verstand. Denn Harry wusste, er
war es schließlich, der all dies überhaupt möglich gemacht hatte. Und er fragte
sich, warum. Vielleicht war ihm in dieser Sekunde langweilig gewesen. Oder er
war lebensmüde genug, um Malfoy diese eine Chance zu gewähren. Um zu sehen, ob
irgendetwas passieren würde.
Und alleine
die Tatsache, dass Ron beinahe zufrieden war, beunruhigte ihn. Ron hatte ihm
erzählt, Hermine wäre diesmal wirklich sauer, würde Malfoy ihre ernsthafte
Meinung sagen, und Dinge wirklich übelnehmen. Aber das beruhigte Harry nicht
wirklich. Malfoy hatte nun Gelegenheit, mit ihr zu reden. Allein. Sie zu
verletzen, und das nur, um ihr ein Gefühl zu entlocken.
Ein Teil in
ihm hatte irgendwo gehofft, dass Hermine nun, wo sie ihn hautnah erleben
konnte, merkte, wie scheiße er war. Dass sie ab jetzt über ihm stehen würde,
sich überhaupt nicht beeindrucken ließ, durch sein Macho-Gehabe. Aber sie
reagierte auf ihn wie Natrium auf Wasser! Alles stand sofort in Flammen. Und
entweder, nach Zu käme – wie so häufig – Ab, und alles löste sich auf in
Wohlgefallen, nach dem Hermine letztendlich explodiert wäre, zu stolz, um noch
einmal mit Malfoy zu sprechen – oder… es passierte das Unwahrscheinliche. Das
Unaussprechliche.
Aber dafür
hatte Malfoy nicht genug Mumm, sagte Harry sich. Er traute es ihm einfach nicht
zu. Malfoy mochte viele Eigenschaften besitzen, die ihm einige Türen öffneten –
aber ein Rückgrat gehörte nicht dazu. Und natürlich hing zu viel von seiner
Entscheidung ab. Viel zu viel.
„Hat er
irgendwas gemacht gestern?“, riss Crabbe ihn aus seinen Gedanken, und Harry hob
den vergessenen Blick. Crabbe saß auf der Bank im Flur, der zum
Zaubertränkeklassenzimmer führte. Harry hockte im Schneidersitz auf seiner
Jacke auf dem kalten Boden, während der Drachenhund sich träge auf dem
polierten Stein wälzte. Crabbe trug Notizen in das Tagebuch ein, und Harry
betrachtete den Drachenhund.
„Ich denke,
die Flügel sind minimal gewachsen?“, schlug er ratlos vor.
„Gut“,
erwiderte Crabbe, ohne ihn anzusehen und schrieb wieder. Harry konnte nicht
behaupten, dass es unangenehm war, mit Crabbe im Team zu sein. Er sagte so gut
wie gar nichts, hielt die Notizen nach, kümmerte sich scheinbar um den
Drachenhund, und er war so unauffällig, dass Harry vergessen konnte, dass er
ein Slytherin war.
Unschlüssig
packte sich Harry den Drachenhund, hob ihn vom Boden und spielerisch schlug
dieser mit den winzigen Pfoten nach seinem Arm.
„Vielleicht…
größere Zähne?“, vermutete Harry und hielt ihn höher, damit Crabbe es
überprüfen konnte. Dieser zuckte nur die Achseln.
„Meinetwegen“,
bestätigte er, und wieder schrieb er stumm ins Heft. Er war wahrscheinlich
heute noch stiller als sonst, ging Harry auf. Angespannter. Er ließ den
Drachenhund wieder runter auf den Boden, aber dieser wollte nun spielen, und
halbherzig zwickte Harry ihm ins weiche Fell, um schnell zurückzuweichen, wenn
der Drachenhund freudig nach seinen Finger schnappte.
Harry war
sich nicht sicher, wie viel Kontakt die Partner haben mussten. Ron hatte ihm
beiläufig erzählt, dass Pansy dem Drachenhund sogar einen Namen gegeben hatte.
Und er ging davon aus, dass Hermine und Malfoy die Stunde nicht schweigend
zusammen verbrachten. Sollte er sich die Mühe machen? Musste er ein Gespräch
mit Vincent Crabbe führen?
Unschlüssig
hob er den Blick. „Rons und Pansys Igno hat einen Namen. Sollen wir unserem
auch einen geben?“ Und fast dachte er, er müsse die Frage wiederholen, denn
zunächst sah es nicht so aus, als ob Crabbe ihm überhaupt zugehört hatte. Dann
legte Crabbe aber die Feder zur Seite und sah ihn knapp an.
„Ich
glaube, das ist nicht nötig.“ Gut. Harry fiel auch kein Name ein, der passend
wäre für einen fleischfressenden Drachenhund, der in zehn Tagen so groß wäre
wie ein Mastodon.
„Ich habe
ihn heute gefüttert. Er wollte nur den Frühstücksschinken, nichts
vegetarisches“, ergänzte Harry mit eindeutigem Blick.
„Gut zu wissen“,
entgegnete Crabbe nichtssagend, und Harry atmete aus. Ok. Also blieb es bei dem
oberflächlichen Partnerprojekt, wo sie zwei Wochen nicht miteinander sprachen.
Aber wenn er ehrlich wäre, wüsste er auch wirklich nicht –
„-warum
hast du nicht mit Hermine Granger getauscht?“, riss ihn Crabbe überraschend
defensiv aus seinen Gedanken, und Harry blinzelte verblüfft. Er hob den Blick
langsam wieder zum Gesicht des verschlossenen Slytherins, der abwartend auf der
Bank saß, neutral, unauffällig, aber doch leicht angespannt. Und er wusste
nicht, ob sein Ton anklagend oder interessiert war. Vielleicht beides.
„Was?“,
entschied Harry zu fragen, denn es war eine eigentümliche Frage.
„Das
Projekt“, erwiderte Crabbe eindeutig. „Du hattest die Wahl“, schloss er
schlicht.
„Welche
Wahl wäre das?“, wollte Harry vorsichtig wissen. „Die Wahl mit dir oder Malfoy
im Team zu sein?“
„Nein. Die
Wahl, Draco von Granger fernzuhalten.“
Wow. Harry
war ernsthaft verblüfft über so viel Scharfsinn von einem Slytherin. Von
Vincent Crabbe vor allem! Er hatte ihn nie wirklich wahrgenommen. Und bestimmt
hätte er nie gedacht, dass den Slytherins überhaupt klar war, dass man den
Aufwand betreiben müsste, Malfoy von Hermine fernzuhalten! Er runzelte die
Stirn. Was sollte er darauf sagen? Er wollte garantiert nicht auch noch darüber
reden! Es reichte, wenn es seine Gedanken füllte.
„Hermine
ist ein großes Mädchen. Es wäre für einen von uns schrecklich geworden, und ich
denke, sie kann damit umgehen.“ Es war diplomatisch, was er sagte, denn er war
sich nicht völlig sicher, um was es hier plötzlich ging.
„Mit
Draco?“, wollte Crabbe schließlich wenig überzeugt wissen.
„Ja!“,
bestätigte Harry, selbstbewusster als er es sonst in Bezug auf dieses Thema
war.
„Ich denke,
es wäre sicherer gewesen, hättest du anders entschieden.“ Harry fühlte sich
teilweise beleidigt.
„Sicherer?
Was soll er schon tun?“, wollte er fast herausfordernd wissen, aber Crabbes
Blick sagte ihm sehr plötzlich, dass es ein paar Dinge gab, die Malfoy tun
könnte, die Harry nicht einfach übersehen oder abschütteln könnte. Und er ging
in die verdammte Offensive. Er redete nicht gerne um ein Thema herum. „Seine
Zukunft ruinieren? Das bezweifle ich stark.“
Und Crabbe
schien ebenfalls zu verstehen, dass Harry im Bilde war. Seltsam. Wieso sah
Crabbe es, aber Ron blieb immer noch vollkommen blind?
„Er könnte
eine falsche Entscheidung treffen“, wagte Crabbe vorsichtig zu sagen. Aber
Harry verzog den Mund.
„Falsch?
Weil sie… was ist? Muggelgeboren?“ Er wusste nicht, warum er ihn provozierte.
Es war dumm.
„Nicht
falsch, aber… unüberlegt und risikoreich“, korrigierte sich Crabbe eher, als
Harry angenommen hatte – eher, als er es überhaupt einem Slytherin unterstellen
wollte. Aber er verdrehte die Augen.
„Ich denke,
du kennst deinen selbstgewählten Herrn und Meister“, bemerkte Harry eindeutig
spöttisch, aber Crabbe blieb ruhig bei seinen Worten. „Und er riskiert
absoluten Eulendreck. Es wäre das erste Mal, dass er sich nicht mit dem Rücken
zur Wand absichert. Und wenn du es so genau weißt, wieso redest du dann nicht
mit ihm?“, ergänzte Harry stirnrunzelnd.
„Mit Draco
kann man nicht reden“, war die schlichte Antwort, die Crabbe achselzuckend
preisgab. „Nicht über… private Sachen.“
Es war ein
heikles Thema, begriff Harry. Für scheinbar alle Beteiligten. Und Harry hatte
gar nicht gewusst, dass Crabbe tatsächlich mehr als zwei Worte sagen konnte. Er
kannte immer nur die Drohgebärden, die sie austauschten, wenn es mal wieder
brenzlig wurde. Der Drachenhund tollte über den glatten Steinboden, ohne dass
Harry ihm Beachtung schenkte.
Potter
schien in Gedanken vertieft, und Vincent war über sich selbst überrascht, hatte
überhaupt nicht mit diesem Thema anfangen wollen, aber er musste sich ablenken
von den grauenhaften Dingen, die gestern passiert waren. Von denen er geträumt
hatte und die nicht aus seinem Kopf verschwinden wollte. Er hatte heute kaum
gegessen, hatte Blaise ignoriert, hatte mit niemandem gesprochen, aber jetzt
lenkte ihn Potters Anwesenheit ab. Er konnte sein Problem zu Dracos machen.
Denn Draco steuerte ebenfalls in eine gefährliche Richtung.
Und zu
wissen, dass Blaise höchstwahrscheinlich niemandem sein Geheimnis verraten
würde, es wohl nur ausnutzte, um…- um was? Vincents Herz schlug unwillkürlich
schneller. Warum hatte er ihn geküsst? Warum tat er so etwas absolut
Bescheuertes?! Vincent begriff es nicht! War Blaise…? War er…! So wie er
selber? Stimmte es? Wieso war es ihm nie aufgefallen? Er hatte Blaise nie so
wahrgenommen. Aber wahrscheinlich nahm auch niemand ihn auf diese Weise war?
Wie auch? Er gab niemandem einen Anlass, ihn in Frage zu stellen! Ihn, seine
Meinung, seine Sexualität. Potter sprach plötzlich, und eine schreckliche
Ehrlichkeit war in seinen Blick getreten und holte Vincent zurück.
„Er wird
sie nicht bekommen.“ Das unerschütterliche Gutdenken eines Gryffindors sprach
aus Potters Worten, aber daneben, schwang eine unausgesprochene Warnung mit.
„Nein“,
bestätigte Vincent mit kühler Zuversicht, obwohl er nicht weiter darauf hatte
eingehen wollen. „Natürlich nicht. Mr. Malfoy würde ihn umbringen, würde er es
nur versuchen.“
Potter sah
ihn an, als wäre seine Antwort überzogen. Als hätte er unrecht. Und scheinbar
sprachen sie nun offen über die Dinge, die besser nicht sein sollten. Niemals hätte
er gedacht, mit Potter überhaupt jemals zu reden, denn es war schließlich
verboten.
„Sein Vater
hat damit gar nichts zu tun“, widersprach Potter missbilligend, und Vincents
Hände schlossen sich unbewusst zu Fäusten.
„Väter
haben alles damit zu tun“, korrigierte er Potter mit kalter Nachsicht. „Unsere
Väter bestimmen, wer wir sind, was wir werden, wie wir die Menschen behandeln,
denen wir begegnen und was wir von ihnen zu halten haben, wenn sie nicht so
sind, wie sie sein sollten.“ Wütend presste er die Lippen aufeinander. Denn
Vincent wusste, er selbst stand nicht hinter den Worten, die er sagte. Und er
sprach schon längst nicht mehr von Draco.
Aber das
schien Potter auch erraten zu haben.
Potter sah
ihn lange an, und Vincent hatte das Bedürfnis, aufzustehen und zu gehen. Aber
er blieb, wo er war.
„Na dann.
Dann gibt es nichts zu befürchten, nicht wahr?“, bemerkte Potter abschließend,
aber sein Blick blieb wachsam. „Dann ist es ja doch für irgendetwas gut, dass
es Slytherins gibt. Und sei es nur, dass ihr auf eure verfluchten Traditionen
so viel Wert legt, um euch selber zu verleugnen.“ Sprach er von Draco? Sprach
er von ihm? Potter war schwer zu durchschauen. Für ihn sowieso. Und Vincent
atmete erschöpft aus.
„Das hoffe
ich“, bestätigte er stiller und senkte den Blick. Er spürte Potters Blick
deutlich, aber er war nicht bereit, ihn noch einmal anzusehen. Er hatte schon
zu viel gesagt, hatte sich hinreißen lassen. Potter erhob sich umständlich vom
Boden und schlang die Jacke um seine Hüfte.
„Die Stunde
ist vorbei“, informierte er ihn überflüssigerweise und verließ ihn. Den Igno,
im selbstvergessenen Spiel mit sich selbst und der Umgebung versunken,
interessierte Potters Verschwinden nicht, und gerne würde Vincent auch alles Menschliche
ablegen, und nur auf seine Instinkte hören. Stattdessen gab er sich den
Selbstzweifeln und der Angst hin.
Und er
dachte wieder an Blaise. Und er fürchtete ihn jetzt fast noch mehr.
Denn er
mochte Draco. Nicht Zabini.
Und zur
Untermalung seiner ungewissen Gefühle, seiner schwarzen Gedanken, vernahm er
das sanfte Donnergrollen durch die Schlossmauern. Frühlingsgewitter.
~*~
Er hob den
Blick blinzelnd zum Himmel. Es hatte sich zugezogen. Die ersten Tropfen fielen
kalt und schwer auf seinen Naserücken.
„Wir
sollten zurück“, sagte sie die ersten Worte heute. Er dachte schon, sie würde
gar nicht mehr reden in dieser Stunde. Sie hatten draußen gesessen, im lauen
Frühlingswind, aber jetzt hatte das Wetter umgeschlagen. Das Igno zappelte
unruhig auf ihren Armen, wehrte sich, bis es ins Gras springen konnte, und
schien Gefallen an dem Wetterumschwung zu haben.
Das erste
Donnergrollen hallte über die weite Fläche, und wie beseelt rannte das Igno
los. Aber in die falsche Richtung, stellte er entnervt fest.
„Bleib
stehen!“, rief Granger überflüssigerweise, ehe sie ihm nachsetzte. Draco atmete
gereizt aus. Jetzt konnten sie das Mistvieh auch noch einfangen. Der Regen kam
so heftig, in so kurzer Zeit, dass es unwirklich wirkte. Und er folgte Granger
fluchend, während er über die weite Wiese rannte.
Das Igno
war verschwunden, und sie stand wie ein begossener Kröter mitten auf der
Fläche, drehte sich um sich selbst, aber bei dem strömenden Regen würde sie es
nicht finden können.
„Komm!“,
rief Draco laut über den Regen, als er die dichtbelaubte Feuerbuche in der
Ferne entdeckte, aber als sie angekommen waren, tropften ihre Klamotten
bereits. Die Buche hatte bereits ein nettes Dach gebildet, nur einige Tropfen
fielen durch das Laub hinab. Granger atmete keuchend neben ihm, wischte sich
die wilden Strähnen aus dem nassen Gesicht und stellte sich nah an den Rand des
Blätterdachs.
„Wo ist
es?“
„Ist das
wichtig?“, wollte er schlecht gelaunt wissen, denn selbst seine Socken waren
nass.
„Ja, Malfoy!“,
fuhr sie ihn wütend an.
„Es wird
ihm nichts passieren“, rang er sich leere Worte ab, deren Wahrheit er nicht
bestätigen konnte.
„Er ist
fünf Tage alt! Ich denke, ihm könnte alles Mögliche zustoßen! Vor allem, wenn
er in den Wald rennt!“ Und Draco verdrehte die Augen.
„Bitte.
Nach dir“, bedeutete er demonstrativ und zeigte eindeutig in den Regenschauer.
Aber Granger blieb, wo sie war. Aber sie wirkte beleidigt und sauer. Wie immer.
„Wenn ihm
was passiert-“, begann sie vorwurfsvoll, aber er unterbrach sie.
„-Merlin,
es ist ein Tier! Es wird sich unter irgendeinem Strauch Schutz suchen!“, fuhr
er sie an. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn nicht mehr an.
Der Regen kam wie Schnürbänder nach unten. Hart und dicht. Er wusste nicht, wie
lange der Schauer dauern würde, aber sie wirkte nicht so, als ob sie noch mit
ihm sprechen würde, bis es aufhörte zu regnen. Noch immer etwas außer Atem
lehnte er sich gegen den breiten Stamm des hundert Jahre alten Baums. Er
schätzte das Alter nur, aber der Stamm war so breit, dass er und Granger ihn
wahrscheinlich zusammen nicht umfassen konnten. Sie stand wie eine besorgte
Glucke am Rand und blickte abwesend in die nasse Landschaft.
Er konnte
schon beim Training nicht leiden, nass zu werden. Und er hasste den
Trockenzauber, denn danach fühlte man sich eklig und steif.
Er verlor
die Geduld und stellte sich schließlich neben sie. Sie ignorierte ihn noch
immer. Das Blätterdach hing recht tief und bildete nur einen schmalen Eingang,
in dem sie beide gerade so stehen konnten. Alles wirkte grau im Regen, und das
Geräusch des Schauers war eindrucksvoll. Er wandte langsam den Blick.
Ein Tropfen
rollte ihren Nasenrücken hinab, hing kurz an der Spitze, ehe er auf ihre
Oberlippe fiel. Abwesend leckte sie ihn mit der Zungenspitze fort, befeuchtete
dabei ihre Lippen, und hastig blickte er auf den nassen Boden zurück. Nein.
Nein! Er musste es sich nur immer wieder sagen. Es war gar nichts. Absolut
überhaupt nichts! Wenn ihm diese dämliche Stunde an Zweisamkeit irgendetwas
bewies, dann war es die Tatsache, dass er sie mehr hasste, als er geglaubt
hatte. Dann war es, dass sie weniger gemeinsam hatten als der Riese und eine
Veela. Es war so schmerzhaft offensichtlich, dass er beruhigt sein sollte!
Er stand so
nahe neben ihr, dass er wieder einmal keine Beleidigung wusste. Und er wusste,
immer, wenn er um ein Schimpfwort verlegen war, dann merkte sie es. Sie merkte
es einfach! Als wäre es verdammt noch mal spektakulär, dass er einfach neben
ihr stand, ohne sie zu beleidigen!
Und dann
spürte er, wie sie ihn ansah. Von der Seite, und er wusste, er konnte nicht
viel länger vorgeben, es nicht zu merken. Denn er merkte es deutlich. Es machte
ihn nervös. Und er würde sie ansehen und würde nicht wissen, wie er sie beleidigen
sollte. Denn ihm fiel nichts ein. Absolut nichts! Denn neben ihr zu stehen –
neben dem dämlichen Schlammblut einfach nur zu atmen – war so unerträglich und
gleichzeitig so nervenzerfetzend aufregend, dass sein Gehirn alles Mögliche zu
tun hatte, aber garantiert hatte es nicht auch noch die Zeit, eine Beleidigung
für ihn auszuspucken.
„Malfoy“,
sagte sie jetzt auch noch, und es klang wie eine Frage. Verdammt. Er wandte
unwillig den Kopf, um sie anzusehen, hinab in ihr tropfnasses Gesicht, was zu
seinem aufblickte. Einige Locken umrahmten ihr Gesicht. Sie hingen nicht mehr
straff, sondern zogen sich in die Länge, und es sah verflucht noch mal –
„Was?“,
fuhr er sie schärfer an, als beabsichtigt, aber er konnte es nicht
kontrollieren. In ihrer Nähe konnte er gar nichts mehr kontrollieren, was er
fühlte. Dass er überhaupt sprechen und nicht nur stammeln konnte, war ein
regelrechtes Wunder!
„Wieso…
bist du immer so?“, wollte sie fast ungläubig von ihm wissen. Überrascht
entspannten sich seine hart angespannten Mundwinkel. Wieso er immer so war?
Wie?! In ihrer Nähe gänzlich überfordert? Und ihm blieb nicht viel übrig, wenn
er nicht vorhatte, beleidigt am Baumstamm zu lehnen oder zurück in den Regen zu
gehen.
„Wie soll
ich sein?“ Seine Stimme klang grenzwertig. Und eigentlich war er nicht in Lage,
ernsthaft zu diskutieren.
„Du… du
bist immer…!“ Sie schien selber keine Antwort zu wissen, oder sie ihm nicht
mehr zu gönnen, denn abwehrend machte sie eine wegwerfende Handbewegung, als
wäre er ihre Worte nicht mehr wert. Sorgenvoll blickte sie wieder nach draußen,
als könne jede Sekunde das verdammte Igno wieder auftauchen.
Sein Blick
verfing sich an ihren Sommersprossen, an den Regentropfen auf ihrer Wange. Sie
will wissen, ob du so verkommen bist, wie du tust, Malfoy. Er wusste, wie er
sich ihr gegenüber verhielt. Aber es gab kaum etwas, was er tun konnte. Und
manchmal – aber nur manchmal – da wünschte er sich, dass sie es sehen könnte.
Dass sie sehen konnte, was er dachte, was er nicht aussprach. Dass sie zwischen
all seinen Worten, Gesten und Gedanken lesen konnte, was er niemals laut würde
sagen können.
Denn alle
Worte, die er von sich gab, waren dafür geeignet, ihn zu schützen. Ihn weit
davon abzubringen, sich ihn irgendeine Gefahr zu begeben, aus der er nicht mehr
rauskommen würde. Er war ein kluger Junge. Sie rieb sich in einer zitternden
Geste ihre Oberarme. Ihr war kalt, ging ihm auf.
Wieso
standen sie noch hier? Dieser Gedanke traf ihn wie eine verfluchte Epiphanie.
Sie waren keine zwei Muggel im Gewitter. Und wenn sie es hasste, hier mit ihm
zu stehen, dann könnte sie den Regenschutzzauber anwenden und gehen, draußen
nach ihrem verdammten Igno suchen. Sie konnte unbeschadet zurück nach draußen.
Oder war
es… die Situation an sich? Dass man es vielleicht so machte? Man verblieb im
Schutz der Blätter, auch wenn man es nicht nötig hatte, nicht musste, einfach
weil… man so zu zweit war? Instinktiv?
Sie waren
hier draußen höchstwahrscheinlich im Moment ziemlich allein. War es das? Machte
es das… besser? War das verbotene Element für den Moment aufgehoben?
Er fühlte
sich elend in ihrer Nähe, das wusste er. Aber er wusste auch, würde er gehen,
würde er sich genauso elend fühlen. Es machte keinen Unterschied mehr, ob er
sie sah oder nicht mehr sah.
Mit den
Finger kämmte er sich die nassen Strähnen über den Kopf zurück. Und ihr Blick
hatte sich automatisch gehoben. Sie sah ihn wieder an. Aber… nicht direkt. Sie
sah an ihm vorbei, auf seinen –
Das weiße
Hemd klebte ihm nass an den Armen. Er runzelte die Stirn.
„Du trägst
es nicht“, entkam es ihr stockend. Sein Mund öffnete sich langsam.
„Was trage
ich ni-?“ Er unterbrach sich selbst. Hastig fiel ihr Blick. Er musste plötzlich
schlucken, nicht sicher, warum seine Kehle trocken war. Es war sein
Geburtstagsgeschenk, hatte ihm Lucius versprochen. Er würde das Mal gestochen
bekommen, sobald er nächstes Wochenende nach Hause kam. Warum – Salazar noch
mal – achtete sie darauf? Was machte es für einen verdammten Unterschied? Kurz
verspürte er eine sinnlose Wut in seinem Bauch.
War es das?
War das alles? Er trug es nicht, aber es machte kaum einen Unterschied. Sie
glaubte, er wäre ein Todesser, und er würde genau das werden, denn er hatte
keine Wahl. Er wollte überhaupt keine Wahl. Es war das, was sein Vater geplant
hatte. Wieso war sie nicht einfach irgendjemand anders, fragte er sich
verzweifelt? Wieso ausgerechnet sie? Wieso musste ausgerechnet dieses Mädchen
seine Aufmerksamkeit erwecken? Wieso?!
Er schloss
die Augen, denn das tat er manchmal, wenn die Realität zu erdrückend war.
Und es
erschlug ihn mit so absoluter Sicherheit, dass er die Tränen in seinen Augen
spüren konnte, bevor er überhaupt begriff….
Und in
derselben Sekunde trat er einen Schritt hinaus in den Regen, denn er wollte
alles, nur nicht, dass sie ihn auch noch weinen sah, wie ein verfluchter Idiot!
Denn er
wusste plötzlich – er würde sie nicht bekommen.
Fest hatte
er die Augen geschlossen, und er spürte die warmen Tränen, die seine Wange
hinab liefen, vermischt mit den eisigen Regentropfen. Dazu war er bestimmt. Er
musste sein, wer er eben war. Er konnte nichts anderes sein!
Und
plötzlich öffnete er blinzelnd die Augen. Die Kälte ließ ihn zittern.
Potter
wusste es.
Es war so
offensichtlich, dass es fast wie ein physischer Schlag in seinen Magen war.
Potter wusste es! Deshalb die Blicke, deshalb das Lächeln. Potter wusste, dass
er nichts tun würde. Nichts tun konnte. Potter sah ihm zu, wie er… scheiterte.
Und er scheiterte nicht wirklich, denn… es gab nichts für ihn zu gewinnen.
Gregory
wusste es. Vincent wusste es. Sie alle wussten, dass er….
Und langsam
wandte er sich wieder um. Regen lief seinen Rücken hinab, tränkte seine
Stoffhose, nahm ihm fast die Sicht.
Völlig
entgeistert stand sie noch immer im Schutz der Blätter, sah ihn verständnislos
an, leise Verzweiflung im Blick, weil sie ihn nicht begriff. Er begriff sich
selber nicht mehr.
Und er ging
zurück, auf sie zu, so nahe, bis sie den Kopf in den Nacken legen musste. Angst
überschattete ihr Gesicht. Laut hämmerte der Regen über ihnen, Tropfen liefen
über seine Nase, seine Lippen, sein Kinn. Weit sahen ihre Augen zu ihm auf.
Sein Blick fiel unkontrolliert auf ihren halb geöffneten Mund.
Flach ging
sein Atem, und er hörte ihre kurzen Atemzüge.
Und nicht
seinetwegen. Er tat es nicht einmal seinetwegen. Er war so weit entfernt,
irgendetwas um seiner selbst willen zu tun.
Er tat es…
ihretwegen. Die Erkenntnis traf ihn so abrupt, wie es nur eine Offenbarung
konnte.
Unwillkürlich
hoben sich seine kühlen Finger. Langsam. Wie in Zeitlupe, und ihr Atem gefror.
Aber kurz vor ihrer Wange stoppte er.
Unbewegt
stand sie vor ihm. Ihr Blick bohrte sich in seinen.
Und als es
unerträglich wurde, er sich fast in dem Moment verlor, fiel seine Hand träge
und nutzlos an seine Seite zurück, ohne dass er sich erlaubte, sie zu berühren.
Er schluckte schwer, ehe er schwer ausatmete, als wäre er gerannt. Gehen. Er
musste jetzt für immer gehen, sonst…- Er machte einen Schritt zurück. Noch
immer sah ihn an. Sie zitterte mittlerweile wieder. Geh, sagte er sich selbst,
machte Kehrt, schritt durch den Regen, aber er hörte sie.
„Malfoy!“,
rief sie dicht hinter ihm. Sie folgte ihm, ging ihm auf, und er wandte sich um.
Hart fiel der Regen um sie auf das nasse Gras, durchnässte sie ebenfalls
komplett, aber sie war es nun, die näher kam, dicht vor ihm verharrte, und
Unsicherheit, Angst, Unschuld – alles stand rau und offen in ihrem Gesicht
geschrieben, als sich ihre Hände zitternd hoben, seine Wangen umfassten, und
sanfte Panik erfasste ihn, als sie sein nasses Gesicht zu sich zog.
Ihre Lippen
lagen auf seinen, und er glaubte, sein Magen würde ihn im Stich lassen. Seine
Muskeln zogen sich zusammen, entließen eine Millionen Endorphine, und gierig,
hungrig, verzweifelt öffnete sich sein Mund unter ihrem. Seine Arme schlangen
sich um ihren Körper, seine Hand umfasste ihren nassen Hinterkopf, presste sie
fester an sich, während seine Zunge nach vorne drang, und er hörte sie leise
keuchen.
Das Gefühl
war unbeschreiblich. Donner grollte in unweiter Ferne, und es kümmerte ihn
nicht. Sie waren so nass, dass er glaubte, ihre Haut würde nie wieder trocken
werden, aber auch das war ihm egal. Er wusste nicht, was passiert war, aber er
wusste, was er tat, war ein Fehler.
Aber er
wusste auch, er konnte nicht mehr zurück. Seine Finger gruben sich hart in den
Stoff ihrer Bluse, spürten ihre weiche Haut darunter, und der Kuss raubte ihm
all seine wachen Sinne, so gut fühlte es sich an.
Er hatte
ihre Lippen gekostet. Sie schmeckten nach Regen, nach Lust, nach verbotenen,
süßen Dingen – und es war sein Ende.
„You called me up again just to break
me like a promise,
so casually cruel in the name of being honest.“
Taylor
Swift
Ein wenig
gedankenverloren saß er auf der noch klammen Bank im Hofgarten, unter dem
Apfelbaum, der Anstalten machte, Blüten zu tragen. Neben ihm lehnte Blaise auf
dem Boden am Stamm des Baumes, saß auf seinem Blazer, die Knie angewinkelt, mit
Pergament und Kohlestift, während er konzentriert sein Igno nachzeichnete, das
im feuchten Gras eingeschlafen war.
Nur
zufällig hatte Draco Blaise entdeckt, und eher spontan hatte er sich
entschieden, sein Igno an der Leine zur Bank zu schleifen. Es kam ihm bereits
größer vor, als gestern. Und es hatte doch tatsächlich einen Schnupfen
bekommen, weshalb es nachts in einer anderen Box hatte schlafen müssen, als die
anderen, weil mit jedem Nieser eine Stichflamme aus seiner Nase geschossen war,
die die anderen verbrannte. Der Riese hatte das Igno gestern Abend noch
gefunden und im Schloss abgeliefert.
Ein Junge
des unteren Jahrgangs hatte es Draco wiedergebracht. Er war etwas enttäuscht
gewesen, hatte er doch gehofft, er wäre das Tier vielleicht losgeworden. Aber
wirklich geärgert hatte er sich nicht, denn das Igno belegte einen unwichtigen
Rang, dachte er an alle anderen Dinge, an alle anderen Probleme.
Sein Blick
fiel wieder auf die Zeichnung, die Blaise nicht einmal verheimlichte. Draco
wusste, er verheimlichte vieles. Blaise war so. Keine ungewöhnliche
Slytherineigenschaft, nahm Draco an. Seine Mundwinkel sanken.
Er hatte
mit Granger nicht mehr gesprochen. Und sein Herz schlug schwerer, wenn er daran
dachte, sie überhaupt zu sehen.
Der
Abschied gestern war wortlos gewesen, von seiner Seite aus zumindest.
Sie hatte
den Kuss initiiert und sie hatte ihn auch beendet, war furchtbar rot geworden,
hatte ihn gebeten, niemandem etwas davon zu erzählen – als hätte er so etwas
vorgehabt! – und dann hatte sie sich entschuldigt und war weggelaufen. Als
hätte sie sich letztendlich auch noch geschämt. Für ihn!
Es war
nicht unbedingt der Abschluss gewesen, der ihm vorgeschwebt hatte. Dann
wiederum wusste er nicht mal, was er wollte. Er wollte gegangen sein, hatte
sich entschlossen, nicht seinen Instinkten nachzugeben – das war sie gewesen.
Und jetzt? Jetzt standen sie wo? Was bedeutete es überhaupt? Mochte sie ihn?
Hatte sie – Merlin, er hasste diesen Gedanken – Mitleid mit ihm?
Es war
nett, dass Blaise ihn ignorierte. Fast war es so, als wäre Draco allein, ohne
die erbärmliche Komponente, tatsächlich alleine zu sein. Sein Igno
beschnupperte seinen Bruder nun vorsichtig, aber Blaises Igno schlief ungerührt
weiter. Granger würde erleichtert sein, dass dem Igno nichts weiter passiert
war, als dass es sich eine Erkältung eingefangen hatte. Vom Frühlingsgewitter
und dem Regen war nicht mehr viel zu sehen, außer das nasse Gras und die
hängenden Ästen der Bäume. Die Luft war klarer, ein wenig kühler als gestern,
aber es war nicht unangenehm.
„Was ist
los, Malfoy?“, wollte Blaise sehr zielgerichtet wissen, ohne den Blick von
seiner Zeichnung zu heben. Fast klang er gereizt, als wolle er tatsächlich
lieber alleine sein, während Draco ihn bloß störte. Fast erschrak er über die
direkte Anrede. Er verzog den Mund.
„Nichts“,
erwiderte er nur.
„Wo sind
deine Zofen?“, erkundigte er sich mit einem feinen Lächeln, während er mit
kurzen Kohlestrichen das Gras nachzeichnete. Draco nahm an, er meinte Vincent
und Greg.
„Keine
Ahnung“, sagte er lustlos. Es war ihm heute egal, wo alle waren. Heute legte er
keinen Wert auf ihre Anwesenheit.
„Nicht auf
Granger-Patrouille heute?“ Belustigt zuckten Blaises Mundwinkel, während er ihn
sonst immer noch gänzlich ignorierte. Und Draco wusste wieder, warum er nicht
viel Zeit mit Blaise verbrachte. Blaise war unheimlich und nervig wachsam, was
das Verhalten anderer Leute anging. Und Draco wog ab, beschloss aber in die
Defensive zu gehen.
„Ich weiß
nicht, was du meinst“, entgegnete er abwehrend. Blaises Lächeln vertiefte sich,
als fände er seine Abwehrhaltung amüsant, er sagte aber nichts mehr dazu.
Entweder, Draco ging oder er wechselte das Thema. Er wusste aber nicht, wohin
er sollte, also lehnte er sich wieder zurück. „Wer ist eigentlich dein
Partner?“, wollte er gleichmütig wissen.
„Lavender
Brown“, erwiderte Blaise, noch immer lächelnd.
„Bitter“,
erwiderte Draco kühl.
„Kein
Problem für mich“, entgegnete Blaise, wie immer eigentümlich. „Ich stehe nicht
auf sie, also…“ Draco sprang schneller darauf an, als er eigentlich wollte.
„Ich stehe
nicht auf Granger, Zabini!“, fuhr er ihn an, und jetzt hob Blaise tatsächlich
den Blick. Langsam und eindeutig, während die dunkle, gebogene Augenbraue
spöttisch eine tiefe Falte in seine glatte Stirn grub. Draco hätte gehen
sollen. Aber er spürte, wie seine Haltung trotziger wurde, und er Blaise
demonstrativ entgegenblickte.
„Das war
nicht wirklich, was ich meinte, Malfoy, aber… gut für dich“, räumte Blaise
belustigt ein. Seine Worte troffen vor Spott.
„Du bist
ein Wichser, Blaise“, knurrte Draco lediglich.
„Sind wir
das nicht alle?“ Es war eine rhetorische Frage, während Blaises Blick wieder
auf seine Zeichnung fiel. „Wenn du Lebenshilfe und gute Ratschläge suchst, dann
geh zu Goyle, Malfoy. Ich bin ehrlich gesagt nicht auf deine Gesellschaft
angewiesen“, informierte er ihn eindeutig.
„Ich suche
keine Lebenshilfe, und ich wusste nicht, dass der Hofgarten dir gehört!“,
knurrte Draco wütend. Blaise lächelte wieder, und es regte Draco auf.
„Wenn du
nichts mit dir anzufangen weißt, Granger befindet sich in der Bibliothek. Ohne
die dämlichen Ritter zu ihrer Verteidigung“, ergänzte er vielsagend, und Draco
spürte den Zorn in sich lodern.
„Ich bin
nicht auf der Suche nach Granger!“, wiederholte er mit mehr Nachdruck.
„Ich verstehe.
Auch ein Stalker braucht Ferien, hm?“, erkundigte sich Blaise grinsend, und
Draco erhob sich gereizt.
„Fick
dich“, spuckte er ihm entgegen. Blaise Mundwinkel zuckten. Draco hasste es,
dass Blaise keinen Wert darauf legte, gut vor ihm dazustehen, wie die meisten
anderen. Blaise interessierte es überhaupt nicht, was andere von ihm dachten.
Draco bewunderte ihn insgeheim dafür. Aber laut würde er es niemals sagen. Wie
sicher Blaise war, dass er, Draco, auf Granger stand. Wie einfach er es behaupten
konnte, als hinge nichts davon ab! Und deshalb war Draco auch so wütend. Denn…
alles hing davon ab. Sein Stehen und sein Fall.
Und er
musste Blaises Vermutungen nicht einmal wirklich bestätigen oder abstreiten.
Denn Blaise schien sich lächerlich sicher zu sein. Und verdammt. Daran gab es
wenig zu korrigieren, nahm Draco bitter an.
Er griff
sich die geflochtene Leine, die der Riese dem Igno umgebunden hatte, aus dem
nassen Gras und zog das Tier mit sich, während er knapp der Stichflamme
auswich, die der Hund beim Niesen spieh. Er wusste, wohin er wollte.
Denn Blaise
hatte ihm die Augen darüber geöffnet, wie verflucht offensichtlich alles war.
Und sein
Herz schlug verzweifelte, dunkle Schläge.
Denn wie er
es auch betrachtete, welches geheime Szenario er sich auch immer ausmalte – am
Ende gab es keine Möglichkeit. Er war sich sicher, er war in sie verliebt.
Schon zu lange, als er sich eingestehen wollte.
Aber würde
es jemand außerhalb Hogwarts erfahren…. Sein Blut gefror, wenn er an Lucius
dachte. Und nicht auf ihn, sondern auf Granger würde Lucius es anlegen. Denn
das würde ihm, Draco, am meisten wehtun.
Und bevor
das passieren konnte, würde Draco dafür sorgen, dass sie ihn nicht mehr
beachten würde. Nie wieder. Er war gut darin, ein Arschloch zu sein. Es wurde
Zeit, es zu beweisen.
~*~
Sie war
unzufrieden, hatte nicht halb so viel geschafft, wie sie hatte schaffen wollen.
Und sie ärgerte sich, hatte sie fast erwartet, dass, wenn sie in die Bibliothek
ging, die üblichen verdächtigen Slytherins folgen würden. Dann hätte sie
gewusst, wo er war und hätte sich keine weiteren Gedanken machen müssen. Aber
so… hatte sie nur an ihn gedacht. An den Nachmittag gestern, an ihre Reaktion,
die sie sich nicht einmal erklären konnte.
Sie war… so
froh gewesen, dass sich Harrys These nicht bestätigt hatte, dass Malfoy nicht
das Mal trug. Warum auch immer das wichtig war! Sie wusste es nicht. War es
dann einfacher, zu glauben, dass er gar nicht so schlimm war, wie sie immer
gedacht hatte? Machte es ihn menschlicher? Nahbarer, als er sonst erschien?
Warum war sie ihm nachgelaufen? Weil es so ausgesehen hatte, als würde Malfoy
mit sich selber um Fassung kämpfen? Weil er so ausgesehen hatte, als hätte er
geweint? Weil er es sich selber so schwer machte, weil er nicht anders konnte?
Weil sie in
ihrem blöden Kopf irgendwie glaubte, es mache einen Unterschied, wenn er
tatsächlich kein Mistkerl war? Denn wo war die Logik dahinter? Selbst wenn!
Selbst wenn, Draco Malfoy noch nicht das Mal trug, was sollte sich ändern? Shakespeares
Worte trafen nicht zu, ärgerte sie sich. Er konnte seinen Vater nicht leugnen,
seinen Namen nicht ablegen, so pathetisch es auch in ihren Ohren klang. Und
natürlich waren sie kein… Liebespaar! Nicht mal annähernd.
Sie waren offen
gesagt gar nichts. Sie war gestern abgehauen, weil sie Angst bekommen hatte.
Angst, dass es komplizierter wurde. Und sie hatte massive Angst vor sich selber
gehabt. Was tat sie denn? Man konnte nicht alle Skrupel zurücklassen, sich
blind in eine Sache stürzen, die sich vielleicht für eine kurze Zeit gut
anfühlte. Sie konnte nicht nur an sich denken. Außerdem, wie viel würde er
investieren? Würde er überhaupt darüber nachdenken? Es könnte auch sein, dass
sie alle Zeichen falsch gedeutet hatte, aber sie war Gryffindor genug, arrogant
zu behaupten, dass sie seine Körpersprache durchaus richtig gedeutet hatte.
Seufzend
packte sie ihre Bücher ein und verließ still die Bibliothek.
Und
überrascht blieb sie draußen auf dem Flur stehen.
Er lehnte
am Fenstersims des kleinen Erkers. Die schwache Nachmittagssonne schien ihm
durch die hohe, konvex gewölbte Sprossenscheibe in den Rücken, ließ seine
hellen Haare praktisch leuchten, während von seiner Hand eine Leine hing. Auf
dem Steinboden schlief das Igno auf dem Rücken, dort wo die letzten
Sonnenstrahlen den Stein erwärmten.
Sie wusste
schon seit gestern, dass der Igno wieder da war. Sie hatte Errol Winterspittle
schließlich zu den Slytherins geschickt, als er abends mit dem Igno aufgetaucht
war, als sie und Ron das Schloss patrouilliert hatten.
Es war so
ungewohnt, ihn tatsächlich irgendwo zu treffen, ohne Crabbe und Goyle, die sich
im Hintergrund verbargen. Er wirkte so alibilos, ohne eine andere sichtliche
Entschuldigung als diese, dass er tatsächlich auf sie zu warten schien. Und das
war seltsam. Es machte den gestrigen Tag so schmerzhaft wahr, machte die
Erinnerung greifbar echt. Sie hatten für heute keinen Termin ausgemacht. Nein,
sie war auch weggelaufen. Dramatisch und dumm. Steif spürte sie ihre Arme an
ihren Seiten, wusste nicht, wohin mit ihren Händen und fühlte sich komplett
unwohl.
Merlin, sie
hatte ihn geküsst. Im Regen. Als gäbe es kein Morgen. Und es gab doch immer ein
Morgen.
Sie wusste,
wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten. Das war wahrscheinlich schon falsch
genug. Sie hätte einen ganzen Monat – ein ganzes Jahr – mit der Erinnerung an
diesen Kuss auskommen können, ohne ihn noch einmal zu sehen. Aber das war das
dumme an einer Privatschule. Man sah sich. Ständig. Fast hegte sie den kindlichen
Wunsch, dass er doch besser derjenige gewesen wäre, der sie geküsst hatte.
Dann hätte
sie zumindest irgendeine Art Recht, schockiert und empört zu tun. Sich mit der
Tatsache auseinander zu setzen, dass er nun wusste, dass er sie nicht komplett
anwiderte, änderte das Gleichgewicht ihrer ganzen Beziehung, wenn man so
wollte.
Es war, als
hätte sie ihn in ihre Karten blicken lassen, als kenne er nun das geheime
Blatt, was sie effektlos auf der Hand verbarg. Wahrscheinlich war ihm nicht
vorzuwerfen, dass er nun hier war. Dass er nicht ahnungslos tat, denn in seinen
Augen las sie deutlich, dass er den gestrigen Tag nicht magischerweise
verdrängt oder vergessen hatte. Nein. Er wirkte ziemlich selbstgerecht, wenn
nicht sogar ätzend überlegen. Mehr noch als sonst.
Es wäre
wirklich besser gewesen, wäre er derjenige gewesen, der den Fehler gemacht
hatte, sie zu küssen. Nicht umgekehrt. Es war eine missliche Situation. Denn
sie könnte nicht mal sagen, dass sie es gar nicht gewollt hatte.
Und ihr
Verstand machte sich nicht einmal die Mühe, zu hinterfragen, woher er wusste,
wo sie war. Und es wunderte sie auch nicht. Für gewöhnlich schaffte er es auch
jeden Tag, überall dort aufzutauchen, wo sie und Harry und Ron waren.
Es war nur
eine Frage von Sekunden, wann er wohl einsehen würde, dass sie nicht sprechen
würde. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ob sie sich auch noch
entschuldigen müsste – und wenn, für was? Dass sie ihn geküsst hatte oder dass
sie abgehauen war. Und das brachte sie zu der nächsten unangenehmen Wahrheit,
denn – was genau tat ihr leid? Beides? Oder nur eine dieser Handlungen?
Und besser
wäre es für alle Beteiligten, wenn ihr der Kuss leidtun würde, denn dann könnte
sie wieder Balance schaffen. Die Rollen wieder klar verteilen. Die Muggel und
der Todesser. Glasklar wären die Seiten wieder getrennt. Es wäre einfacher.
Die
neutrale Stille zwischen ihnen näherte sich einem sehr gewissen Ende. Denn sie
wusste, er ließ Dinge nicht auf sich beruhen. Er war Draco Malfoy, und mochte
er gestern auch eine ganz andere Seite von sich gezeigt habe, so wusste sie,
dass er nicht plötzlich aufwachen würde, und sein ätzendes Selbst einfach
ablegte.
Seine Augen
waren so hellgrau, dass sie fast unheimlich wirkten, wie sie sie durchleuchteten.
Alles an ihm wirkte immer so anders, so vollkommen extrem. Er war extrem groß,
extrem hell, extrem blond, extrem scheiße.
Und sie
nahm an, gleich würde kein ehrliches, offenes Wort seinen Mund verlassen. Sie
wappnete sich innerlich für die große Malfoy-Show. Auch wenn gerade niemand
sonst hier war, um ihm zuzuhören. Es musste verdammt bequem für ihn sein, ihr
vorwerfen zu können, dass sie ein Heuchler war. Dass sie erbärmlich war. Dass
er sogar sie bekommen könnte, wenn er nur sentimental wurde und ihr auf
emotionaler Ebene begegnete.
Sie hasste,
dass sie beide so funktionierten. Dass sie beide hinter ihr Schutzschild
flüchteten, dass keiner wagte, mehr preis zu geben als nötig.
Sie hasste,
dass sie schon jetzt wusste, dass er sich lustig machen würde, dass er sich
passenderweise nicht mehr an seine Hilflosigkeit gestern erinnerte. Sie kannte
ihn zu gut.
Er war ein
Slytherin, und sie war zu stolz, um darüber hinwegsehen. In seinen egoistischen
Worten etwas anderes lesen zu können, als die oberflächliche Fassade, die er
sich aufgebaut hatte, obwohl sie es besser wusste.
Merlin,
jetzt war sie wütend, obwohl er noch nicht einmal seinen Mund aufgemacht hatte,
um sie zu enttäuschen. Und sie wollte nicht von ihm verletzt werden. Er wusste,
dass seine Worte ihr wehtaten. Er wusste es mit Sicherheit.
Er gewann
das stumme Blickduell, denn ihr Blick fiel erschöpft. Er gewann doch immer
letzten Endes, dachte sie bitter und sah ihn nicht an.
Schließlich
stieß er sich vom Fenstersims ab und überragte sie um einen Kopf. Sein Blick
verharrte unschlüssig auf ihr. Sein Gesicht war so charismatisch und durchaus
schön, wenn er keine säuerliche Grimasse machte. Sie bemerkte sie die flüchtige
Unsicherheit in seinem Blick. Gespannt wartete sie, biss sich unbewusst auf die
Unterlippe, und sehr kurz fiel sein Blick auf diese Geste. Es schickte direkt
ein frisches Schwächegefühl in ihre Beine.
Sein Blick
zwang sich zurück zu ihren Augen. Er beherrschte sich, ging ihr plötzlich auf.
Sie spürte die plötzliche Spannung zwischen sich und ihm. Blanke
Selbstbeherrschung umgab ihn und sie konnte praktisch dabei zusehen, wie Kälte
in ihm empor stieg, wie die neue, ungewohnte Tür, die seine positive Seite
zeigen konnte, zuschnappte. Ihr Kiefer lockerte sich. Malfoy war wieder Malfoy.
Und er würde sprechen.
„Hier“,
bemerkte er kühl und streckte ihr die Leine entgegen. „Ich habe keine Lust
mehr, den Rest meines Tages mit diesem Vieh zu verschwenden“, informierte er
sie. Sie ergriff verblüfft die Leine, ohne dass sich ihre Hände berührten.
Seine Hand fiel zurück an seine Seite.
„Und ich
verzichte darauf, noch eine weitere Stunde mit dir zu verbringen. Sonst-“ Und
es fiel ihm tatsächlich schwer, er musste sich ernsthaft überwinden. „Sonst
kommst du wieder auf widerwärtige, ekelhafte Ideen“, schloss er voller
Verachtung. „Ich“, fuhr er bitter fort, und seine eiskalte Fassade erreichte
dunkel seine Augen, „möchte keine weitere Nacht damit zubringen, mich wegen dir
zu übergeben.“
Ihr Mund
hatte sich stumm geöffnet. Er musste aufhören, zu reden! Er musste!
„Und
Granger“, ergänzte er abfällig, musterte sie, und wäre sie nicht versteinert
vor Schmerz, dann würde sie ihm den Mund zu hexen, „keine Sorge“, bemerkte er.
„Ich bekomme das Mal. Und ich kann es nicht erwarten“, erklärte er mit mehr
Nachdruck. „Voldemort wird an die Macht kommen und Menschen wie dich-“
„-Malfoy“,
unterbrach sie ihn leise, tonlos, und er hielt inne. Sie sah, wie schnell sein
Atem ging, sie spürte die Tränen in ihren Augen bereits brennen. „Nicht“, wisperte
sie kopfschüttelnd. Seine Gesichtszüge spannten sich hart an.
„Ich muss
das tun“, erklärte er gepresst. „Ich… bin ein Todesser“, sagte er mehr als
deutlich. „Du bist ein-“ Und sie wartete auf das Wort. Und unter einem langen
Atemzug schloss er die Augen, ehe er sie wieder öffnete. „Geh endlich“, knurrte
er rau, ohne den Blick zu heben.
Er log.
Er sagte
böse Worte, damit sie ging. Sie hasste, dass er so war.
„Warum-?“,
begann sie verzweifelt, aber sein Blick schoss hoch in ihr Gesicht, und sie
verstummte abrupt.
„-Granger“,
warnte er sie mit einem tödlichen Blick, und eine Träne fiel auf ihre Wange. Es
war so ungerecht. Es war so falsch, dass er sie verletzen konnte. Sie hatte
sich viel zu weit von der sicheren Seite entfernt. Sie war viel zu weit
gegangen.
„Dann sag
es“, verlangte sie unter Tränen von ihm. Er sah sie an. Noch immer schien er
jedes Gefühl zu verdrängen. „Sag mir, was ich bin“, wiederholte sie bitter. Und
fast verdrehte er die Augen.
„Mach das
nicht“, sagte er kühl. „Geh einfach, und-“
„-sag es
einfach!“, unterbrach sie ihn heiser. Er sollte beenden, was er hier begonnen
hatte.
Denn er war
es, der Spiele spielte! Er war es, der sie seit Monaten verfolgte, ihr
auflauerte, sie sogar dazu brachte, dass sie Mitleid mit ihm hatte, dass sie
sich in ihn hineinversetzen konnte, dass sie nichts anderes wollte, als ihn zu
küssen. Und jetzt stieß er sie von sich, und er sollte es verdammt noch mal
beenden!
Und seine
scheiß Maske brach, er atmete verzweifelt aus, und hell schimmerten seine
Augen. „Wir könnten niemals irgendetwas sein, Granger! Niemals!“, informierte
er sie mit weiten Augen. „Und das weißt du!“ Auch seine Stimme zitterte
gefährlich. Weitere Tränen fielen auf ihre Wangen, und alleine das schien ihm
physische Qualen zu bereiten, aber er berührte sie nicht. Seine Hände waren zu
Fäusten geballt. Und mit einem traurigen Lächeln sah sie ihn an.
„Dann sag
es. Sag es, und dein Albtraum ist vorbei“, versprach sie ihm. Und sie wollte
nichts sein! Nicht mit ihm! Wie konnte er denken, dass sie das auch nur in
Erwägung zog? Was dachte er? Dass sie händchenhaltend über die Wiesen von
Hogwarts liefen?
Wieso tat
es nur so weh?
Weil du
dämlich bist, Hermine. Deshalb.
Glasig
schimmerten seine Augen. „Schlammblut“, sagte er heiser, und ihr Blick fiel.
Sie zog den verschlafenen Igno mit einem Ruck mit sich, ließ ihn stehen und
blickte nicht mehr zurück.
Er wollte
sie loswerden, um seine verdammte Haut zu retten? Dann hatte er Glück.
Er war sie
los.
„Good fortune often occurs when you
stop expecting life to present opportunities
to you and you start presenting
opportunities to life.“
Rasheed
Ogunlaru
Sie lachte,
warf ihre Haare zurück, und sie glänzten im Sonnenlicht des Frühlingstages, und
er war wie verzaubert. Und nicht nur er, dachte er, während die Eifersucht
sanfte Falten auf seine Stirn zeichnete.
„Goyle?“
Ertappt wandte er den Blick zurück.
„Ja?“,
entfuhr es ihm atemlos, und Neville sah ihn eindeutig an, während er den
feuerspeienden Brocken angestrengt auf den Rasen drückte.
„Leine!“,
wiederholte er scheinbar gereizt, und hastig beeilte sich Gregory, dem
erschreckend riesigen Igno die Leine um den Hals zu zwängen. Gryffindor und
Slytherin kämpften in ihren Gemeinschaftsräumen gegen ein regelrechtes
Flammeninferno, was um sich griff, und Mobiliar, Vorhänge und Teppiche in
Mitleidenschaft zog. Zunächst hatte Dumbledore einen Feuerschutz auf alles
gelegt, aber nun griffen die Ignos die Mitschüler an, und McGonagall hatte dem
Experiment ein halbes Ende mit Schrecken gesetzt.
Die Ignos
waren nicht mehr im Schloss zu halten. Sie verbrachten die Nächte nun draußen
im laukalten Frühlingswetter, in getrennten Zwingern, die Hagrid unter großer
Eile zusammen gezimmert hatte. Hagrid behielt sein Igno noch in seiner Hütte,
weswegen er dicke Verbände an Händen und Füßen trug. Sie durften nur noch unter
großer Vorsicht Sparziergänge mit den Ignos machen. Hagrid übernahm die
Fütterung.
Das Igno
empfand es wohl als Spiel, von Neville auf den Boden gedrückt zu werden, und
versuchte, spielerisch nach dessen Hals zu schnappen. Dieser wich
schweißgebadet zurück, und Gregory hielt die Leine auf weitem Abstand. Das Igno
erhob sich schwerfällig aus dem frischen Gras und reichte ihnen schon bis zum
Oberschenkel. Drei Tage reichten, um es zur doppelten Größe wachsen zu lassen.
Gregory bezweifelte, dass sie sich tatsächlich zwei Wochen um die Viecher
würden ‚kümmern‘ können, denn… man konnte ihnen praktisch beim Wachsen zusehen.
Geistesgegenwärtig
sprang Gregory einen Schritt beiseite, als das Igno zufrieden gähnte, und eine
Stichflamme die Grashalme versenkte.
„Deswegen
hasse ich Pflege magischer Geschöpfe“, beschwerte sich Neville wütend. „Was
denkt sich Hagrid eigentlich bei so etwas?“ Er schien auf keine Antwort zu
warten, und abwesend fiel Gregorys Blick wieder auf Pansy und Ronald Weasley,
die einige Meter abseits über die Wiesen schlenderten, während ihr Igno brav
nebenher dackelte. Manche hatten scheinbar Glück.
Gregory
konnte nicht hören, was Weasley sagte, aber wieder lachte Pansy auffällig hell
und angenehm, schlug Weasley sogar sanft gegen den Unterarm, und Gregorys Miene
verdunkelte sich ein wenig. Mädchen fassten Jungen nicht an, wenn sie es nicht
wollten. Und Weasley schien Witze zu machen und sie zu ärgern, weil er von ihr
angefasst werden wollte.
„Witzig,
nicht?“, unterbrach Neville seine Gedanken, während er lustlos in das Tagebuch
schrieb, was das Igno heute bei der Fütterung alles an Fleisch verdrückt hatte
– und das war eine Menge gewesen! Gregory sah ihn wieder an.
„Was?“,
wollte er verständnislos wissen, aber Neville nickte in Richtung Pansy und
Weasley.
„Die
scheinen sich gut zu verstehen. Das beobachtest du doch?“, erkundigte er sich
bei ihm.
„Hm“,
machte Gregory nur.
„Wir
verstehen uns auch besser, als ich gedacht hatte“, bemerkte Neville
achselzuckend. „Zwar nicht… so“, ergänzte er kopfschüttelnd, und betrachtete scheinbar
Pansy, die wieder auflachte. „Aber… es läuft ganz gut“, schloss er schließlich.
„Ja“,
bestätigte Gregory nur.
„Ich dachte
immer, ihr Slytherins wärt…“ Neville machte eine unschlüssige Pause, und
Gregory sah ihn wieder an. Ausdruckslos, abwartend. „Scheiße“, schloss Neville
grinsend. Und Gregorys Mundwinkel hoben sich ein Stück.
„Nein, es
war ok“, räumte Gregory schließlich ein. „Ist vielleicht ganz gut, wenn… man
mal aus seiner gewohnten Umgebung rauskommt“, fuhr Gregory langsam fort, während
er Pansy weiter beobachtete. „Damit man sieht, was man vorher nicht gemerkt
hat.“ Er bemerkte Nevilles verständnislosen Blick nicht mal. Pansy würde ihn
niemals wahrnehmen. Sie schenkte selbst Weasley mehr Beachtung, und das war
seltsam. Es war abwegig. Und doch sah es so aus, als… würde sich Pansy
wohlfühlen. Gregory hatte zwar immer gehofft, dass sie von Draco loskommen
würde, über ihn hinweg käme, damit sich ihre Augen öffnen konnten, für die
Dinge, die direkt vor ihrer Nase warteten, aber… - er hatte sich geirrt.
Es war so
traurig, dachte er mit schmerzendem Herzen. Warum bekam man nie, was man
wollte? Selbst, wenn man alles richtig machte? Es war nicht fair. Warum war er
nicht die Ausnahme der Regel? Wieso zog er immer den Kürzeren, wieso war es so schwer,
einfach mal zu gewinnen? Er wollte nicht glauben, dass es immer nur an
Äußerlichkeiten lag. Dass Menschen tatsächlich so schlicht gebaut waren.
Dass es
nichts gab, was er noch tun konnte.
Er fragte
sich ernsthaft, was passieren musste, damit das Schicksal nur ein einziges Mal,
Fünfe gerade sein ließ. Dass die Sonne einfach nur einmal für ihn alleine
schien!
Wann konnte
er die Hauptrolle in seinem Leben spielen? Er war immer nur eine Nebenrolle.
Traurig sanken seine Schultern. Er war nichts Besonderes. Und er würde nie
etwas Besonderes sein. Seine Ma hatte Unrecht.
„Gregory!“,
hörte er Nevilles Stimme plötzlich. Sein Blick wandte sich, aber leider zu
spät. Er hatte nicht bemerkt, dass das Igno angefangen hatte zu spielen, und
bevor er ausweichen konnte, war es übermütig auf ihn zu gesprungen, und seine
scharfen Zähne gruben sich voller Freude in seinen Oberschenkel.
Er ließ die
Leine fallen, und markerschütternd drang sein Schrei über das Gelände. Das
Drachengift lähmte ihn nahezu in Sekundenschnelle, und steif fiel er nach
hinten. Sofort hatte Neville das Igno zurückgezerrt, es zornig bestraft, so
dass es sich wimmernd zusammenkauerte, und beugte sich nun über ihn.
„Hey! Alles
ok?“, wollte er aufgeregt wissen, während Gregory die Tränen in die Augen
schossen.
„Oh großer
Merlin, Greg!“, hörte er Pansys atemlose Stimme direkt über sich. Sie musste
ihn gehört haben und war angelaufen gekommen. Ihr Gesicht beugte sich in sein
Blickfeld, und der Schmerz ließ ihn fast bewusstlos werden. „Er muss in den
Krankenflügel!“, rief sie panisch, und Gregory spürte ihre warmen Finger, die
abwesend in seinen Ärmel gegriffen hatten.
Und es war
Weasley, der den Zauberstab zog und den Schwebezauber anwandte. Es war so
absolut demütigend, dass er froh war, es kaum bewusst wahrzunehmen. Ungehindert
liefen die Tränen über seine Wange.
„Bring die
beiden in ihre Zwinger!“, befahl Weasley Neville eilig. „Wir bringen ihn rein!“
Neville schien eilig mit den beiden Ignos zu verschwinden, und Weasley und
Pansy brachten ihn gemeinsam im Laufschritt ins Schloss zurück.
Gerne hätte
er sich beschwert, so getan, als würde es nicht wehtun, aber er bekam die Zähne
nicht mal mehr auseinander, so schnell wirkte die Lähmung. Die Ignos waren noch
jung, also wäre die Lähmung nicht tödlich, aber… sie war verdammt unangenehm!
Und von
Weasley schweben gelassen zu werden, war auch nicht das beste Gefühl auf der
Welt. Es kam ihm vor, als wären Jahre vergangen, als sie den Krankenflügel
endlich erreichten, während Pansy hundert jüngere Schüler bereits angeschnauzt
hatte, die ihnen im Weg standen und lästige Fragen gestellt hatten.
„Ach du
liebe Güte!“, rief Madame Pomfrey, die gerade magisch die Betten bezog und auf
sie zugeeilt kam. „Was ist passiert?“
„Igno-Biss“,
erwiderte Weasley außer Atem. Madame Pomfreys Blick wurde finster.
„Natürlich.
Unmöglich, dass die Schüler sich mit diesen gefährlichen Tieren auseinander
setzen müssen! Legen Sie ihn ab!“, sagte sie eilig, und Gregory spürte, wie er
auf das nächste Bett sank. „Wie ist sein Name?“, wollte sie dann wissen.
„Gregory“,
antwortete Pansy tonlos. „Gregory Goyle.“ Er liebte es, wie sie seinen Namen
sagte, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, sein Bein löse sich auf.
„Mr. Goyle,
ich werde sie betäuben. Sie werden nichts weiter merken“, versprach sie ihm,
und sein letzter Blick galt Pansy, die bestürzt die Hand über den Mund gelegt
hatte, echte Sorge im Blick. „Gut, dass Sie so schnell gehandelt haben, Mr.
Weasley. Mit Drachengift ist nicht zu spaßen.“
Und
benebelt ärgerte sich Gregory, dass die Krankenschwester Weasleys Namen
offensichtlich kannte, als wäre er öfters der Held, der dumme Slytherins
rettete. Und er ärgerte sich über Pansys verträumten Blick, mit dem sie Weasley
betrachtete, während dieser bescheiden jedes Lob von sich wies.
Und so fiel
Gregory in einen düsteren Schlaf.
~*~
„Ich… werde
dann mal gehen“, verabschiedete sich Weasley von ihr, und Pansys Blick hob sich
abwesend. Goyle würde wohl noch eine Weile schlafen. Es war nach sechs, und ihr
Magen knurrte mittlerweile auch.
„Ich komme
mit“, flüsterte sie und erhob sich von Goyles Bettkante. Pansy nahm an, dass
dies nun das Ende des Experiments bedeutete. Dumbledore würde die Schüler nun
bestimmt nicht mehr der möglichen Gefahr aussetzen, von einem Igno gebissen zu
werden.
Und
teilweise war sie ehrlich erleichtert darüber, teilweise war sie enttäuscht.
Sie folgte
Weasley nach draußen auf den Flur. Und sie senkte den Blick.
„Danke“,
sagte sie schließlich, und er sah sie von oben herab an.
„Wofür?“,
wollte er ehrlich verblüfft wissen.
„Dass… dass
du ihm geholfen hast. Das war wirklich… nett“, schloss sie.
„Ihr
Slytherins…“, bemerkte er lächelnd. „Das ist selbstverständlich. Du hättest es
für mich gemacht, oder?“
„Wenn Gordo
dich gebissen hätte?“ Ein Lächeln huschte über ihre Züge. Erwartend sah er sie
an. „Aber natürlich, Weasley“, schloss sie grinsend.
„Du hättest
mich liegen lassen und wärst gegangen, nicht wahr?“, entkam es ihm mit
erhobener Augenbraue. Sie tippte sich aus Spaß prüfend gegen die Unterlippe und
tat so, als müsse sie lange darüber nachdenken.
„Ich meine…
ich bin schließlich eine Slytherin“, begann sie abwägend, und Weasley kniff sie
scherzhaft in die Seite. Sie lachte auf, und fast schämte sie sich, sich nicht
mehr Sorgen um ihren Schulkameraden zu machen, der bewusstlos im Krankenbett
lag. Aber Madame Pomfrey meinte, es sähe schlimmer aus als es ist, und er würde
morgen wieder topfit sein. Also… vielleicht durfte sie ein wenig unbesorgter
sein?
Abwehrend
hob sie die Hände, als er Anstalten machte, sie weiter zu kitzeln, und ihr Atem
ging schneller. Sein Grinsen war so ansteckend. Seine ganze Art war so einfach,
so unkompliziert, und sein Grinsen wurde zu einem schönen Lächeln. Und dann
wurde er plötzlich ernst.
„Pansy?“,
sagte er ein wenig beschämt, und erstaunt stellte sie fest, dass es schön
klang, wenn er ihren Namen sagte. Er schluckte schwer. „Darf… darf ich dich
küssen?“, fragte er aus heiterem Himmel, und ihr Mund öffnete sich überrascht.
Ihr Herz machte einen kleinen Satz.
„Was?“,
entfuhr es ihr atemlos. „Ich…?“ Und sie musste ebenfalls schlucken. „Jetzt –
hier?“ Sie wusste nicht, was sie über so eine direkte Frage denken sollte! Wie
sie reagieren musste! Wahrscheinlich reagierte sie falsch. Und er nickte nur,
die Lippen leicht geteilt.
Er kam
unbeholfen näher, und ihre Handflächen wurden feucht.
„O-ok?“,
erwiderte sie, sehr aufgeregt, und sein Blick war so intensiv. Er wirkte so
unerfahren, wie sie sich fühlte, aber sie schämte sich nicht, stellte sie
panisch fest.
„Ok“,
bestätigte er aufgeregt, kam noch näher, und fast hastig senkte sich sein Kopf.
Damit hatte sie nie im Leben gerechnet! Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass
sie Ja sagen würde, zu so einer Frage! Und seine Lippen legten sich auf ihre.
Unsicher, zaghaft, und sie hielt plötzlich die Luft an, als sich ihre Augen
schlossen.
So
verharrten sie voreinander, und dann hob er seine Hand zu ihrem Gesicht,
berührte vorsichtig ihre Wange, fuhr durch ihre Haare, und ihr Kopf fiel in
ihren Nacken, als er die andere Hand um ihre Taille legte.
Schnell
klopfte ihr Herz, und sie nahm an, sie stellte sich schrecklich dumm an, und sie
wusste nicht, wohin mit ihren Händen. Sie spürte, wie sich seine Lippen auf
ihren bewegten, wie er den Mund langsam öffnete, und sie glaubte, sie würde
ohnmächtig werden!
„Faszinierend“,
vernahm sie eine nahe Stimme, und sie und Weasley fuhren auseinander. Er hatte
ähnlich rote Wangen, wie sie wohl haben musste. Mit Schrecken erkannte sie
Blaise Zabini und – Draco!
Oh nein!
Ihn hatte sie vollkommen verdrängt! Nicht mit einem Gedanken hatte sie an ihre
Liebe zu Draco gedacht! Oh Merlin! Was hatte sie getan. Schockiert öffnete sich
ihr Mund, und Draco wirkte beinahe fassungslos, als er Weasley ins Auge fasste.
„Ich nehme
an, Greg geht es bestens?“, wollte Blaise mit einem entschieden zu frivolen
Grinsen wissen, und Pansy spürte die Hitze nun in ihrem ganzen Körper. Weasley
machte noch einen Schritt von ihr zurück, und sie bemühte sich, ihn nicht mehr
anzusehen.
Was hatte
sie nur getan?! Sie liebte Draco! Wieso hatte sie ihn dann völlig vergessen
gehabt?
„Er… er
schläft“, bemerkte Weasley nun heiser. Blaise vergrub lächelnd die Hände in
seinen Taschen. „A-aber Madame Pomfrey sagt, er… wird wieder gesund.“ Weasley
streckte den Rücken durch. Sein Blick traf sie und überfordert sah sie ihn an.
„Bis… dann“, verabschiedete er sich, wohl unfähig noch mehr zu sagen, und er
marschierte an Blaise und Draco vorbei und verschwand um die nächste Biegung.
Sie waren
allein. Mit erhobenen Augenbrauen sah Draco sie nun anklagend an.
„Weasley?“,
wollte er ernsthaft angewidert von ihr wissen.
„Alle
kommen auf den Gryffindor-Geschmack, nicht?“, bemerkte Blaise neben ihm mit
einem wissenden Blick, und Draco schoss ihm Blitze aus den Augen zu.
„Ich…- ich
muss gehen“, entschuldigte sie sich, denn sie wollte auf keinen Fall noch
länger hier stehen, während sie vor Scham im Erdboden versinken wollte. Dracos
schlechte Laune war seit Tagen ein dunkler Schatten im
Slytheringemeinschaftsraum, und sie schämte sich schon genug. Sie brauchte
seine Beleidigungen nicht.
Dracos Mund
öffnete sich gänzlich verständnislos, als sie praktisch an ihnen vorbeistürmte,
Richtung Treppe.
~*~
Vincent
hatte zwei Stufen auf einmal genommen. Er und Potter hatten eine große,
wortlose Runde mit ihrem monströsen Igno gedreht, und als er wieder im Schloss
angekommen war, hatte ihm Draco mit wenigen schlecht gelaunten Worten
berichtet, dass Greg von seinem Igno ins Bein gebissen wurde und im
Krankenflügel lag.
Und nachdem
er in Windeseile ein Brot gegessen hatte, hatte er sich aufgemacht. Denn er
wollte nach ihm sehen. Sie waren Freunde. Sie kannten sich gut genug, dass
Vincent sich Sorgen machte.
Und jetzt
lief er mit schnellen Schritten den Gang zum Krankenflügel entlang und roch
bereits schon die antiseptischen Zauber auf dem Flur.
Überrumpelt
blieb er aber im Türrahmen stehen, während er mit offenem Mund atmete.
Scheiße.
Was tat er hier?! Blaise hatte den Blick gehoben. Er saß im Besucherstuhl neben
Gregorys Bett, hatte die Beine hoch auf die Bettkante gelegt und las ein Buch.
Jetzt sah er ihn an.
„Was willst
du hier, Zabini?“, schnappte er zorniger, als er vorgehabt hatte. „Du bist
nicht mit ihm befreundet!“ Er wusste, sein Zorn war sehr leicht zu
durchschauen. Blaise klappte das Buch kurzerhand zu.
„Ich dachte
mir, dass du irgendwann auftauchen würdest“, erwiderte Blaise offen. Vincent
starrte ihn ungläubig an.
„Du lauerst
mir auf?“, entkam es ihm misstrauisch. Blaise lächelte schwach.
„Du läufst
vor mir weg. Ich denke, wir sollten reden?“, schlug er tatsächlich vor, und
Vincent sah sich knapp um, immer mit der Angst im Nacken, dass irgendjemand
ihnen zuhören konnte. Gregory atmete ruhig im Bett. Er sah etwas blass um die
Nase aus, aber ansonsten war ihm nicht anzusehen, dass er schwer verletzt war.
„Ich wüsste
nicht worüber“, entgegnete Vincent verschlossen und stellte sich unschlüssig
neben Gregorys Bett.
„Nein? Ich
wüsste ein oder zwei Sachen, Vinnie“, neckte er ihn, immer noch lächelnd.
Vincent hob
den Blick. Er hasste – hasste – es,
wenn er ihn so nannte.
„Wieso quälst
du mich, Zabini?“, fragte er offen heraus. Blaise runzelte die Stirn und sein
Lächeln verblasste eine Spur. „Willst du wirklich unbedingt, dass es mir
schlechter geht als ohnehin schon? Ist es das?“ Langsam aber sicher, riss ihm
die ewige Geduld mit Blaise Zabini! Langsam aber sicher, verlor er an Angst vor
dieser Person!
Blaise
erhob sich umständlich, klopfte sich den nichtvorhandenen Staub von der Hose
und sah ihn direkt an. „Ich will, dass du dich abfindest, Vince“, stellte er
klar, und Vincents Augen verengten sich verständnislos. „Ich will, dass du es
sagst.“
Und
Vincents Kehle wurde trocken. Schwach schüttelte er den Kopf.
„Warum?“,
wollte er freudlos wissen. „Was interessiert es dich?“, knurrte er. „Dich
kümmert doch sonst auch nur dein eigenes Schicksal! Wie kannst ausgerechnet du
es wagen, irgendetwas von mir zu verlangen?“ Er bemühte sich, die Stimme ruhig
zu halten, so dass Gregory nicht aufwachen würde, aber es war verdammt schwer.
„Seit wann hast du Moral? Ich soll mich abfinden? Weil du dich abgefunden
hast?“ Sein Atem ging schneller, als er empört den Kopf schüttelte. „Was soll
die verdammte Mühe, Blaise?“
Und er
lächelte nicht mehr, als er das Bett umrundete und ohne Umstände auf ihn zukam.
Vincents Fäuste ballten sich unbewusst an seinen Seiten.
„Weißt du“,
begann er kalt, „ich könnte ernsthaft Interesse an dir haben, Vince, wenn du
nicht so ein feiges Arschloch wärst“, schloss er, und seine grünen Augen
musterten ihn dunkel.
„Red nicht
so eine Scheiße!!“, brachte Vincent gepresst hervor. „Ich habe nicht das
geringste Interesse an dir!“, flüsterte er gepresst, so dass es nur Blaise
hören konnte. Blaise sah ihn lange an.
„Ja“, sagte
er dann nickend. „Red dir das ruhig ein. Wahrscheinlich wirst du schon hart,
wenn du nur an meine Lippen denkst, oder?“, wollte er provozierend wissen, und
sein Blick fiel auf seinen Mund. Vincent sah ihn so schockiert an, dass das
Lächeln wieder auf seine Züge zurückkehrte. Blaise musterte ihn von oben bis
unten.
„Verlier
ein paar Pfunde, lass dir die Haare wachsen. Und dann verspreche ich dir, dass
Malfoy keine Roll mehr in deinen Gedanken spielen wird, Vince.“
Und wie er
das sagte! Wie er ihn ansah! Es war so unfassbar verboten von ihm! So absolut
falsch. Vincent schluckte schwer. Blaise kam näher, so nahe, dass Vincent
seinen heißen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.
Fast hielt
er seinen eigenen Atem an, so furchtbar war das lodernde Gefühl in seinem
Innern. Vincent registrierte, wie Blaise die Hand hob. Er rührte sich nicht,
als er sie um seinen Nacken legte. Kurz traf sich ihr Blick. Blaise lehnte sich
vor und verschloss seinen Mund mit seinen Lippen.
Keuchend
sog Vincent die Luft durch die Nase ein, als er spürte, wie sein Schwanz
schlagartig erwachte, bevor er irgendwie reagieren konnte, zog Blaise sich
wieder zurück, ließ die Hand sinken und sah ihn eindeutig an.
Seine
Mundwinkel zuckten noch ein letztes Mal, ehe er den Krankenflügel verließ.
Vincent stand noch eine verlorene Sekunde alleine vor dem Bett, nicht sicher,
was er fühlte, was er wollte.
„Hey“,
murmelte Gregory, und keuchend vor Schreck sprang Vincent praktisch zurück.
„Fuck,
Greg!“, entfuhr es ihm heiser. „Wie lange…?“ Er konnte nicht weiter sprechen.
Horror trat auf seine Züge. Aber Gregory sah ihn lediglich müde an.
„Du und
Blaise?“, fragte er, und schien mit dieser Frage nicht einmal so recht etwas
anfangen zu können, denn seine Stirn runzelte sich verständnislos. „Wieso… seid
ihr-? Seid ihr…?“ Er starrte ihn nun entgeistert an.
„Es… es ist
gar nichts. Gar nichts…“, flüsterte Vincent verzweifelt, fuhr sich durch die
kurzen Haare, und wartete darauf, dass irgendwelche Auroren kamen, um ihn
abzutransportieren.
„Mann“,
murmelte Gregory unglücklich und schloss kurz die Augen, ehe er schwer seufzte.
„Du bist noch ärmer dran als ich“, sagte er trostlos. Vincent sank auf die
Bettkante und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Greg, du
kannst das keinem-!“
„-schon
gut“, unterbrach ihn Gregory leichthin. „Immerhin hast du irgendwen“, sagte er
bitter. Und Vincent hob erschüttert den Blick. So sah es Gregory? Er hatte
immerhin irgendwen?! Sein Leben war vorbei! Sein Geheimnis machte die Runde, er
würde das Gespött der Schule werden! Der gesamten Reinblüter-Gesellschaft.
„Ich habe
nicht ‚irgendwen‘!“, korrigierte er Gregory fassungslos. „Mein Leben ist
verwirkt, Greg“, flüsterte er beschämt.
„Weil du
schwul bist?“ Gregory sagte diese Worte, als wögen sie nichts! Als bedeuteten sie
nicht das schwarze Ende. Fast klang er ungläubig dabei. Und so sah er ihn auch
noch an! Und plötzlich sagte er es. Vincents Mund öffnete sich von selbst.
„Ja“,
entgegnete er beinahe gefasst. Und gleichzeitig raste sein Herz.
Er hatte es
gesagt. Einfach so! Und Gregory verzog den Mund, als wäre es eine Lappalie.
„Mich hat
ein Drachenhund ins Bein gebissen, Vince“, beschwerte sich sein Freund
jammervoll, und Vincent musste kurz vor Verzweiflung auflachen.
„Ich… ich
denke, das wirst du überleben.“ Es war absoluter Wahnsinn, dass die Welt gerade
nicht unterging. Dass Gregory ihn nicht aus dem Krankenflügel warf, weil er mit
Abschaum wie ihm nichts mehr zu tun haben wollte. Vincent glaubte fast, dass er
bereits verrückt geworden war.
„Nein. Ich
bin derjenige, der jetzt Mitleid bekommt“, warnte er ihn. „Draco kriegt Granger
nicht, du und Blaise seid… andersrum, aber ich habe weder ein Mädchen und einen
Drachenbiss habe ich auch noch!“, fuhr er ihn sympathielos an, und plötzlich
bereute Blaise, so wenig Zeit mit Gregory verbracht zu haben. Und er dachte
kurz nach.
„Millicent
mag dich?“, räumte er ein, mit dem Versuch, aufmunternd zu klingen, und
Gregorys Augen weiteten sich überrascht. Das zumindest hatte Vincent gestern
beiläufig mitbekommen, als Millicent mit wehmütigen Blick die Buchstaben
M.B.+G.G. auf ihr Pergament in Zauberkunst gekritzelt hatte, während ihr Blick
immer wieder in Gregorys Richtung gewandert war. Eine unwichtige Information in
seinem Leben, aber scheinbar ziemlich wichtig für Gregory.
„Dein
Ernst?“, fragte er kleinlaut, und Vincent nickte. Er musste in einer Art
seltsamen Delirium sein, denn er sprach mit Gregory, als wäre gerade nicht sein
schlimmstes Geheimnis aufgedeckt worden! Gregory hatte ihn demaskiert – und
fand es nicht einmal so schlimm wie sein eigenes Schicksal! „Millicent?“,
wiederholte Gregory, als würde dies neue Türen für ihn öffnen. „Meinst du, sie…
würde mich hier besuchen kommen?“ Hoffnung schwang in seinen Worten mit.
Und Vincent
konnte nicht anders, als zu lächeln. Seit Monaten zum ersten Mal, so kam es ihm
vor.
„Courage
is found in unlikely places.“
Lord
of the Rings
Es war
nicht unbedingt das, was sie alle erwartet hatten. Der Riese hatte ihnen einen
Brief zukommen lassen, in dem er verkündete, dass sie die Ignos gebührend
verabschieden würden. Ihm sei wohl nahegelegt worden, dass es wohl zu
gefährlich ist, sie ganze zwei Wochen zu behalten.
Und er
hatte keine Ahnung, warum er wirklich hier war. Warum sie alle wirklich hier
waren. Der Riese hatte vor seiner Hütte zwei lange Tische aufgebaut und
misstrauisch beäugten sie alle das Essen, was darauf stand.
„Es ist
nich‘ viel, aber ´n bisschen zum Sattwerden“, schniefte der Riese, während in
einiger Ferne Pfleger der magischen Zoos unter Schreien und Flüchen die Ignos
zu verstauen versuchten. Ab und an schoss eine Stichflammen in die Höhe und
ließ ihre Gruppe zusammenzucken, aber der Riese putzte sich sehr laut die große
Nase. Alle waren verdammt froh, dass der Abschied gekommen war. Die Biester
waren gefährlich.
Draco sah,
dass Gregory und Millicent eng beieinander standen und sich unterhielten. Er
brauchte noch Krücken, schien sich aber voller Stolz auf sie zu stützen. Vincent
stand zwar neben ihm, aber sein Blick glitt immer häufiger nach links.
Allerdings wusste Draco nicht, warum.
Potter und
Granger beobachteten die Pfleger mit Sorge, und sie hatte ihn noch nicht
angesehen. Die letzten beiden Tage hatte er nur an sie gedacht. Aber es war
nicht genug gewesen. Abwesend rieb er sich den linken Arm. Der Verband lag fest
um seinen Unterarm, verborgen durch seinen Pullover.
Sein Vater
hatte darauf bestanden. Und es waren unmenschliche Schmerzen gewesen. Er hatte
überlegt, es nicht zu tun. Wegzulaufen, sich eine Ausrede einfallen zu lassen,
weshalb er das Mal nicht tragen sollte, aber… ihm war nichts eingefallen.
Was sollte
er Lucius sagen? Er hatte ein Schlammblut geküsst und wollte seine Meinung
ändern? Es hätte nichts geändert! Möglicherweise hätte sein Vater ihn
geschlagen und nur noch schneller dafür gesorgt, dass Draco solche Flausen
ausgetrieben wurden.
Er hatte
resigniert. Ein Zimmer im Hause seiner Eltern war für das Ritual vorbereitet
worden, und er hatte in der Mitte auf einem Stuhl sitzen müssen, der ihm
vorkam, als wäre er aus Knochen gebaut. Eine ganze Ansammlung von zwielichtigen
Zauberern hatte um ihn gestanden, dunkle Formeln gesprochen, und ihn
anschließend mit einer pechschwarzen Nadel gezeichnet.
Er senkte
den Blick, wollte nicht mal überlegen, sie anzusehen. Es war schlimm genug,
dass ihm alles so sinnlos und dämlich vorgekommen war. Alles, woran sein Vater
glaubte, war ihm selber plötzlich lästig geworden.
„Ich… ich
hab ein paar Pasteten gebacken“, merkte der Riese schließlich an und deutete
auf große unförmige, dampfende Quadrate auf den Tischen. „Die Elfen waren so
nett und haben noch ein paar Sachen vorbereitet“, fuhr er fort, und es war
erleichternd, dass der Riese nicht alles selber gekocht hatte. Draco konnte
sich gut vorstellen, was Snape hiervon hielt.
„Ich hattet
eine tolle Zeit mit ihnen, nich‘?“, fragte der Riese jetzt hoffnungsvoll.
Gregory schnaubte hörbar auf. Einige lachten verhalten. Aber die Gryffindors
nickten ergeben, wohl damit der Riese nicht weiter weinen musste. „‘türlich
bekommt ihr alle ein Ohnegleichen“, schloss der Riese mit belegter Stimme.
Draco verdrehte die Augen. „Fangt ruhig an, ich… ich komme gleich wieder“,
sagte der Riese mit glasigem Blick, denn die Pfleger hatten es endlich
geschafft, die Ignos in flugfähige Käfige zu stopfen, ohne großartige
Verbrennungen davonzutragen.
Endlich
verschwanden die Biester! Der Riese verschwand zutiefst betrübt in seiner
Hütte, während einige Gryffindor-Jungen bereits anfingen, verschiedenen
Vorspeisen auf Servietten zu häufen und sich beglückwünschten, nicht ebenfalls
gebissen worden zu sein.
Pansy neben
ihm setzte sich in Bewegung, als Weasley zu den Tischen ging. Wie auffällig,
dachte Draco bitter. Ausgerechnet diese beiden! Es machte keinen Sinn. Was
wollte Pansy mit Weasley? Draco sah Vincent an. „Willst du auch?“, fragte er
ihn mit verschränkten Armen, aber nahezu sofort schüttelte Vincent den Kopf.
„Nein, ich…
ich muss auf mein Gewicht achten“, murmelte er tonlos. Draco hob verblüfft den
Blick.
„Du… musst
was?“, vergewisserte sich Draco entgeistert, aber Vincent nickte knapp.
„Ja.
Bestimmt zehn Kilo zu viel“, schien er bierernst zu vermuten. Dracos Stirn
legte sich in Falten, als Vincent ihn plötzlich ansah, als hätte er eine
Eingebung. „Sag mal, du joggst doch, oder?“, fragte er ihn interessiert, und
Draco konnte sich nicht entsinnen, dass sich Vincent jemals für irgendeinen
Sport interessiert hätte.
„Ja?“ Es
verließ als ungläubige Frage Dracos Mund.
„Könnte… könnte
ich mal mitkommen? Vielleicht bringt es was“, entfuhr es ihm achselzuckend, und
Draco musste mehrfach blinzeln.
„Ok?“,
erwiderte er, und Vincent wirkte merklich zufrieden.
„Ok“,
bestätigte er. „Wenn du Hunger hast, geh ruhig“, ergänzte Vincent auffordernd,
aber Draco verzog bloß den Mund. Hunger hatte er nicht. Ehrlich gesagt, hatte
ihn nur marginal interessiert, welche Note er bekommen würde. Aber der Riese
war ein Waschlappen, der nie irgendwen durchfallen ließ. Er hätte es besser
wissen müssen.
„Ich werde
wieder gehen“, verabschiedete sich Draco bitter von ihm, vergrub die Hand
seines schmerzenden Arms in seiner Hosentasche, und wandte sich ab.
„Wir sehen
uns später“, rief ihm Vincent vielleicht etwas verwirrt nach, aber Draco
reagierte nicht wirklich. Und aus den Augenwinkeln sah er, wie sie sich wohl
von Potter verabschiedete. Mit schnellen Schritten ließ sie das erbärmliche
Igno-Abschiedsfest hinter sich, marschierte direkt an ihm vorbei, ohne ihn mit
überhaupt einem Wimpernschlag zu beachten.
Und er
folgte. Er fiel hinter ihr in ihr Tempo, aber sie wandte sich nicht um. Sie
ignorierte ihn tatsächlich. Er nahm an, er hatte sie wirklich verletzt. Er
glaubte kaum, dass dieses Mädchen ihn tatsächlich geküsst hatte. Nicht weit von
hier. Erst vor wenigen Tagen!
Und es war
traurig. Das war es wirklich, fand er. So sinnlos und traurig. Und beides war
traurig! Dass er sie wollte, dass sein Verstand ihm vormachte, Granger besäße
Qualitäten, für die es sich lohnen würde, sein geplantes Leben aufzugeben.
Und es war
traurig, dass er sie nicht wirklich haben konnte. Niemals wirklich.
In den
Minuten, in denen er das Mal gestochen bekommen hatte, war er fast beruhigt
gewesen. Nicht, weil es ihm irgendetwas bedeutete, es zu tragen. Nicht, weil er
auch nur im Ansatz Verständnis für diese Ideologie besaß. Nicht einmal das. Das
war ihm alles egal. Aber es beruhigte ihn, denn es gab ihm die Garantie, dass
sie ihn nicht wollen würde. Nicht mehr so! Nicht mehr mit dem Beweis, dass er
tatsächlich ein widerliches Arschloch war, was willentlich an Voldemorts
Aufstieg mitwirkte. Und sei es nur durch halbherzige Anhängerschaft.
Er
überholte sie, denn er war größer, und wenn er wollte, dann war er schneller
als sie.
Und er
ignorierte sie, so wie sie ihn ignorierte. Es war erbärmlich. Und doch so
traurig, dachte er wieder. Er erreichte die Schlosstore eher als sie. Und er
zögerte kurz, als seine Hand auf dem mächtigen Türknauf ruhte.
Nach einer
halben Minute hörte er sie näher kommen. Er zog die Tür mit einem kräftigen
Ruck auf, und ächzend bewegte sie sich in schweren, alten Angeln.
Und er
hielt sie offen. Er hob nicht den Blick, als sie näher kam, als sie stehen
blieb. Als sie diese Geste mit dem größten Unglauben betrachtete.
„Was soll
das?“, fragte sie bereits mit vor Zorn zitternder Stimme. Er atmete aus und hob
freudlos den Blick. Wie schnell er sie doch aus der Reserve locken konnte. Mit
nichts weiter, als einer höflichen Geste.
„Ich halte
dir die Tür auf“, erklärte er sein Handeln überflüssigerweise, wohl wissend,
dass sie es wahrscheinlich noch wütender machen würde. Es schien nicht die
Antwort zu sein, die sie hören wollte, denn er nahm an, ihr war klar, dass er
ihr die Tür aufhielt. Aber er war nicht in der Stimmung, Fragen zu beantworten,
die er nicht wirklich beantworten konnte. Er war nicht über sie hinweg. Und er
war nicht bereit, es näher zu erklären. Schon gar nicht ihr. Und erst recht
nicht sich selbst.
„Das will
ich nicht“, erwiderte sie gepresst, aber er verdrehte die Augen.
„Sie ist
offen. Am besten gehst du durch“, befahl er mittlerweile gereizt.
„Nein“,
sagte sie verschlossen und blieb, wo sie war. Er atmete langsam aus. Natürlich
nicht.
„Nein?“,
wiederholte er fast nachsichtig. „Willst du nicht rein?“, erkundigte er sich entsprechend
verständnislos, und sie verschränkte die Arme vor der Brust, wohl um sich davon
abzuhalten, ihn sonst zu schlagen.
„Hör auf
damit“, blaffte sie jetzt. „Fang bloß nicht an, höflich zu sein, Malfoy!“,
informierte sie ihn.
„Bin ich
nicht“, widersprach er, ohne dass seine Worte einen Zweck erfüllten. Er sah sie
an. In ihren Augen erkannte er den verletzten Stolz, die schiere
Verständnislosigkeit und die grenzenlose Wut.
„Nein, das
bist du nämlich wirklich nicht!“, knurrte sie kopfschüttelnd.
Für einen
wilden Moment wünschte er, er wäre es. Ein Gentleman. Ein besserer Mensch. All
das, was Potter vielleicht war. Er wünschte plötzlich, er wäre älter. Zehn,
zwanzig Jahre älter, und er hätte die Macht, seine eigenen Entscheidungen zu
treffen. Er wünschte, er wäre nicht nach Slytherin sortiert worden, er
wünschte…- Er wünschte, das Wünschen würde helfen.
Und er
musste lächeln, weil es so absurd war. Weil sie hübsch war. Weil er einfach nur
ein Idiot war, der sie mochte.
„Lass mich
das einfach tun“, entkam es ihm zwischen den Zähnen. Ungläubig legte sich ihre
Stirn in Falten.
„Was?“,
wollte sie scharf von ihm wissen. Ja, was genau.
Sie musste
zulassen, dass er seinem Vater folgte, dass er versuchte, seine Familie an die
erste Stelle zu stellen. Sie musste ihn gehen lassen, und am besten vergaß er
sie anschließend komplett. Aber er sagte die passenderen Worte.
„Lass mich
dir die Tür aufhalten, Granger“, fasste er seine trostlosen Gedanken in andere
Worte. In Worte, die sie gereizt aufstöhnen ließen, weil sie wusste, dass er
ein Mistkerl war. Mit einem letzten tödlichen Blick auf ihn durchschritt sie
Tür, als erwarte sie dahinter eine mögliche Todesqual.
Er folgte
ihr wieder, nachdem sie hineingegangen war. Die Eingangshalle war kühler. Die
Luft schwerer als draußen. Hogwarts hatte einen bestimmten Geruch, der ihm sehr
fehlen würde. Es erinnerte ihn an vieles. Und auch an sie.
„Granger“,
hielt seine Stimme sie tatsächlich auf, und er hatte ihren Namen sagen müssen.
Einfach, um zu sehen, ob er die Macht besaß, dass sie stehen blieb, sich
umwandte. Und tatsächlich hielt sie vor den Stufen inne. Langsam drehte sie
sich um. Fast spürte er so etwas wie Triumpf.
„Was?“,
wollte sie schließlich müde von ihm wissen. Und ihn befiel eine seltsame Kälte.
Nicht alle waren wie er. Nicht alle trugen das Mal, um einem Familienstreit zu
entgehen. Die meisten trugen zwar das Mal, weil sie feige waren, so wie er,
aber die meisten trugen das Mal auch aus dem einfachen Grund, um Muggelgeborene
zu vernichten und einer Bewegung zu folgen, die eine reine Welt predigte.
Komme, was da wolle.
Und er
musste es ihr sagen, auch wenn er nicht genau wusste, warum. Vielleicht hatte
er einen Todeswunsch. Vielleicht musste er wissen, dass er jede schlimme Tat begehen
konnte, und sie sich trotzdem noch zu ihm umdrehen würde, wenn er ihren Namen
sprach.
„Ich… trage
es“, entkam es ihm langsam, und entsprechend hob er den linken Arm ein Stück,
ehe er vor Schmerz den Mund verziehen musste, denn die Bewegung schmerzte
noch. Sein Arm fiel wieder neben seinen
Körper, und ihr Blick folgte ihm. Langsam glitt ihr Blick höher, ihr Mund
öffnete sich verstört, und dann sah sie ihn wieder an.
Sein Herz
schlug schneller. Ihr Blick war anklagend und… enttäuscht?
Tränen schimmerten
plötzlich in ihren dunklen Augen. „Meinen Glückwunsch“, entkam es ihr
schließlich konsterniert. „Gut für dich“, ergänzte sie wohl, überfordert mit
seinem Geständnis. „Du hast es ja so dringend gewollt“, schloss sie still. Er
wusste nicht, was er mit ihrer Reaktion anfangen wollte. Aber er gierte nach
ihren Worten. „Fühlt es sich gut an? So wie du erwartet hast?“, lockte sie ihn
mit bitteren Worten, und es brach beinahe sein Herz, wie sie versuchte, tapfer
zu sein. „Wahrscheinlich fühlt es sich besser an, als sich Schlammblut-Lippen
jemals anfühlen würden, nicht wahr?“, setzte sie noch einen drauf, und diesmal
wollte sie verletzen. Sie zielte auf sein Herz, und es tat tatsächlich weh.
„Granger-“,
begann er, aber sie wurde wütend. Er konnte praktisch fühlen, wie er sie
verletzte, mit allem, was er war. Es war ein Scheißgefühl.
„-halt
verdammt noch mal keine Türen mehr für mich auf!“, unterbrach sie ihn fast
tonlos. „Versuch nicht, mich in Gespräche zu verwickeln. Hör auf, mich zu
verfolgen! Du hast alles gesagt, was du sagen wolltest! Wofür es unnötig in die
Länge ziehen?“ zischte sie bösartig, und er rang mit sich. Er wusste nicht,
warum er die Dinge sagte, die ihr wehtaten. Er wusste nur, dass er es brauchte.
Die Bestätigung, ein Arschloch zu sein. Und ihre Worte hallten in seinem Kopf
wider. Und er konnte nicht anders.
„Nein“,
sagte er schlicht, beinahe neutral. Verwirrt runzelte sich ihre Stirn. „Deine
Lippen fühlen sich um einiges besser an, als die schwarzen Nadeln. Dazwischen
liegen Welten, um ehrlich zu sein, Granger.“ Und diese Worte schienen sie aus
der Bahn zu werfen. Sie blinzelte mehrfach, aber sie fing sich. Erstaunlich
schnell. Schneller, als er es ihr nach so einem Geständnis zugetraut hätte.
„Ich
dachte, du hättest dich die gesamte Nacht übergeben, Malfoy? Das kann ja wohl
kaum besser sein“, entkam es ihr, und er glaubte zu wissen, dass sie sich
schämte, seine Worte noch zu wissen.
„Glaubst du
alles, was man dir sagt?“, wollte er rau von ihr wissen, und sie schien nicht
sicher zu sein, ob sie rennen oder ihn schlagen sollte. Er hatte gehofft, dass
Dunkle Mal würde sie soweit auseinanderbringen, dass er mit keinem Gedanken
mehr auf die Idee kommen würde, ihr näher zu kommen. Aber es machte alles nur
schlimmer. Denn er musste wissen, was sie dachte.
„Du bist
ein Arschloch“, flüsterte sie ungläubig. Und er musste es wissen.
„Du würdest
mich nicht mehr küssen, nicht wahr?“ Er wartete auf ihre Bestätigung, wartete
darauf, dass sie ihm sagte, dass sie ihn hasste. Dass er verabscheuungswürdig
war. Sein Herz schlug wieder schnell. Er brauchte das. Er brauchte es, um von
ihr loszukommen. Und er musste immer wieder sichergehen.
Aber… sie
antwortete nicht. Er wollte den Abstand schließen, wollte sie schütteln, aber
abwehrend hob sie die Hand und hielt ihn auf Abstand.
Und als sie
sprach, hasste er, was sie sagte.
„Halt keine
Türen mehr für mich auf.“ Sie sagte es eindeutig resignierend. Und nein! Sie
musste es sagen! Sie musste ihm jede Aussicht auf Hoffnung nehmen! Sie durfte
den Kampf nicht eher verlassen, nicht die bessere Person sein. Er brauchte das!
Wie sollte er sonst wissen, was er tun sollte?
„Granger-“, widersprach er ihr, aber sie
erlaubte es nicht, schüttelte betrübt den Kopf. Bemüht um Kontenance wandte sie
sich ab und schritt würdevoll die Treppe nach oben. Er sah ihr nach. Noch
lange, als sie längst verschwunden war.
~*~
Wahrscheinlich
war es das erste Mal in der Geschichte Hogwarts, dass sich Slytherin und
Gryffindor nichts ans Leben wollten. Die Sonne war längst untergegangen, und
Harry musste gestehen, die Abschiedsparty gefiel ihm nicht schlecht. Dean,
Seamus und Blaise Zabini hatten sich darum gekümmert, dass Butterbier in Mengen
verteilt wurde, und Harry selber saß nun neben Ron und Pansy, die verhalten
Händchenhielten und nicht aufhören konnten, zu grinsen.
Er sah
Hermine aus der Ferne, wie sie mit Hagrid sprach, der selber die Regeln nicht
sonderlich ernst zu nehmen schien, und aus einem glashohen Pinnchen
Feuerschnaps trank. Seine Wangen, die der wüste Bart nicht bedeckte, glühten
rot. Hermine war irgendwann wiedergekommen. Sie trug eine helle Strickjacke und
hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Vielleicht war sie ins Schloss
gegangen, um sich umzuziehen?
Beinahe
automatisch suchte sein Blick die Wiese nach Malfoy ab.
Aber er
schien nicht hier zu sein.
Und so
unspektakulär diese Feststellung sein mochte, so war Harry doch einige Momente
verblüfft darüber. Er hätte seine beiden Beine verwettet, dass sich Malfoy
diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde. Was war passiert? Hatte er sich
entgegen jeder Vermutung weiterentwickelt? Fast war Harry neugierig.
Er
erkannte, dass sich Ginny zu Hermine gesellte. Sie war noch immer mit Dean
zusammen, wusste Harry. Deswegen war sie mit auf der Abschiedsfeier. Sein Blick
verfinsterte sich minimal. Aber wenn Malfoy eines war, dann das Beispiel dafür,
dass nichts ewig währte. So bestimmt auch nicht Ginnys und Deans Beziehung.
Dieser ganze Abend wirkte so friedfertig, dass es Harry nur schmerzhaft an
seine Aufgaben erinnerte. Die Aufgaben, die Dumbledore für ihn bereithielt. Die
Herausforderungen, die Voldemort ihm stellen würde.
Er griff
zu, als Seamus mehr oder weniger heimlich eine neue Runde Butterbier verteilte.
Als
McGonagall kam, wurden Verhandlungen geführt, wie lange Gryffindors und
Slytherins an einem Abend vor einem Schultag wach bleiben dürften. Und
wahrscheinlich war es Hagrids aufgelöste Erscheinung, die McGonagall erweichte.
Harry war fast verblüfft, dass sie ihnen gestattet, bis zehn Uhr draußen zu
bleiben, um dann sofort, schnurstracks in die Betten zu marschieren.
Es war
bereits halb zehn, als sich Harry angenehm angetrunken im kleinen Kreis an
Gryffindors und Slytherins wiederfand, weil irgendjemand vor einer halben
Stunde die denkbar dämliche Idee geäußert hatte, Flaschendrehen zu spielen.
Hermine schien immer noch recht widerwillig neben Ginny zu sitzen und wenig
Spaß zu haben.
Aus
planlosen Runden an Wahrheit oder Pflicht, deren Höhenpunkte darin gegipfelt waren,
dass Blaise Zabini sich zu seiner Homosexualität als sein größtes Geheimnis
bekannte, und dass Ron Gregory Goyles Herausforderung angenommen hatte, vor
versammelter Mannschaft die Hosen runterzulassen, um nur in Unterhose über die
Wiese zu rennen. Es war nicht unbedingt der Stoff, aus dem die Helden sind,
aber Harry hatte sich ziemlich gut amüsiert. Millicent war es jedoch gewesen,
die dem Spiel vor fünf Minuten einen weitaus interessanteren Rahmen gegeben
hatte, nachdem Malfoy tatsächlich aufgetaucht war. Wahrscheinlich war ihm im
Schloss langweilig geworden, nahm Harry an. Und Harry schien die gute Schwelle
des Betrunkenseins erreicht zu haben, denn es störte ihn nicht mal, dass sich
Malfoy wortlos neben ihn setzte und bereits das zweite Butterbier in
Rekordgeschwindigkeit leerte. Millicent hatte behauptet, dass sie nun gleich
viele Jungen und Mädchen wären.
Die Regeln
von Wahrheit oder Pflicht waren in Windeseile von ihr umgewidmet worden zu der
Art von Flaschendrehen, welche Harry von Dudley und seinen Freunden vom
Hörensagen kannte.
Auf den die
Flasche zeigte, den musste man küssen. Und Harry war an der Reihe.
Er war
angespannt gewesen, als Ginny Seamus einen unschuldigen Kuss auf die Lippen
gedrückt hatte, und auch Dean hatte es nicht gefallen. Aber es war Harry egal,
was Dean dachte. Er drehte die Flasche mit genügend Schwung, dass sie mehrfach
um sich wirbelte, die Runde an Slytherins und Gryffindors machte, um dann –
magischerweise tatsächlich – auf Ginnys Höhe stehen zu bleiben.
Er konnte
sein Glück nicht wirklich fassen. Betont langsam hob er den Blick. Auch Ginny
wirkte merklich verschlossen. Nicht so albern, wie sie es bei Seamus gewesen
war, als sie gedreht hatte, und die Flasche auf ihn zeigte. Nein, alles wirkte
jetzt ein wenig ernster, ein wenig erheblicher. Oder es lag am Alkohol, und
Harry bildete sich nur ein, dass es so war. Auf allen vieren, wie es wohl
üblich war, kroch Harry durch den Kreis, auf Ginny zu, die sich nicht rührte.
Seamus pfiff zur Bestätigung, auch die anderen kicherten, und Harry fing Deans
säuerlichen Blick auf. Pech, Dean. Wirklich Pech gehabt, dachte Harry fast
euphorisch.
Ginny kam
ihm tatsächlich entgegen. Aber es war albern auf allen Vieren. Beide setzten sich
auf, saßen auf ihren Waden. Es war nicht so, wie Harry sich einen ersten Kuss
mit ihr vorgestellt hatte, denn idealerweise sahen nicht Ginnys Freund und ihr
Bruder dabei zu, wie Harry sie küsste, aber er nahm, was er kriegen konnte,
sagte er sich.
Und wie von
selbst, hoben sich seine Hände, griffen nach Ginnys Gesicht, und er spürte
ihren warmen Atem, spürte, wie sie ihm entgegenkam. Seine Augen schlossen sich,
und er küsste sie fast ein wenig zu eilig. Ein wenig zu stürmisch. Fast
verloren sie Balance, aber Harrys Hand verließ ihr Gesicht, um sich um ihre
Taille zu legen, und Harry saß nicht mehr auf seinen Waden, stand nun auf
seinen Knien und hatte Ginny ebenfalls in eine aufrechtere Position gezogen.
Ungehalten leckte seine Zunge über ihre Unterlippe, und er hörte sie vor
Schreck einatmen. Sofort sog er ihre Unterlippe zwischen seine Zähne und Ginny
presste sich enger an ihn. Er wusste nicht, wann wer von ihnen den Mund
geöffnet hatte, aber seine Zunge fand leicht Einlass und kämpfte mit ihrer unerbittlich,
während sie beide scheinbar verloren im Taumel der Gefühle waren.
Dean
räusperte sich irgendwann sehr laut, und Ginny wich beschämt und erschrocken
von ihm zurück. Erst jetzt hörte Harry das Gejohle und die Pfiffe um sich
herum. Deans Blick war mörderisch. Ein wenig benebelt fiel er zurück auf die
Waden, schenkte Ginny einen letzten Blick und krabbelte zurück auf seinen
Platz.
Er
beachtete Malfoy kaum, denn sein Herz jagte und alles in seinem Innern
kribbelte. Er spürte Ginnys Lippen noch immer, und mit Glück hatte er dem Ende
ihrer Beziehung mit Dean nachgeholfen. Er hoffte es. So küsste doch kein
Mädchen, die glücklich in einer Beziehung war. Es fiel ihm schwer, dass Grinsen
zu verbergen. Ron wirkte ähnlich bedient wie Dean es war, aber auch das störte
Harry nicht wirklich.
Malfoy
drehte die Flasche nun lustlos, und Harry fragte sich unwillkürlich, ob nicht
doch ein Zauber auf ihr lag, denn sie kam mit einem Ruck vor Hermine zum
Liegen. Entgeistert hob sich ihr Blick. Erneute Zustimmung brandete im kleinen
betrunkenen Kreis auf, aber Hermine schüttelte rigoros den Kopf.
„Nein“,
sagte sie lediglich, mit fester Stimme.
„Du musst.
Regeln sind Regeln“, bemerkte Millicent grinsend, aber Hermine wäre nicht
Hermine, wenn sie auch nur irgendetwas täte, was jemand anderes von ihr ohne
guten Grund verlangte. Sie erhob sich schlecht gelaunt.
„Dann könnt
ihr euer bescheuertes Spiel alleine spielen!“, zischte sie ungehalten, und
seltsamerweise erntete auch er – Harry – ihren hasserfüllten Blick. Was hatte
er getan? Gar nichts! Er half lediglich seinem eigenen Glück auf die Sprünge.
Malfoy neben ihm rührte sich nicht, aber seine Hände ballten sich zu Fäusten,
als Hermine an ihnen vorbeimarschierte.
Wahrscheinlich
würden einige von ihnen diesen Abend bereuen, nahm Harry abwesend an. Außer
Hermine, die sich nie in irgendwelche fragwürdigen Situationen brachte.
Nach
einigen Sekunden war Malfoy neben ihm allerdings aufgesprungen und schien
Hermine zu folgen, ohne sich darum zu kümmern, was die anderen wohl sagen
mochten.
Andere
tuschelten und folgten Malfoy und Hermine mit ihren Blicken, aber schnell hatte
die Dämmerung beide verschluckt. Wer diesen Abend wohl noch bereuen würde, wäre
Blaise Zabini, nahm Harry an. Denn dieser drehte anstatt Malfoy die Flasche,
aber als sie auf Millicent landete, verzog er lediglich den Mund und drehte
noch einmal. Sie traf Lavender, aber wieder drehte er, entgegen aller Proteste.
Und Stille
überkam die Runde, als die Flasche auf Vincent Crabbe deutete, und Zabini wohl
nicht vorhatte, ein weiteres Mal zu drehen. Sein Blick hatte sich auffordernd
gehoben, um Vincent anzusehen. Er schien auf eine Erlaubnis zu warten.
Es verging
ein qualvoll stiller Moment, bevor Vincent tatsächlich mit dem Kopf ruckte. Es
war ein Nicken. Aber er nickte nur einmal. Und dann hoben sich tatsächlich
seine Mundwinkel.
„Aber nicht
hier“, bemerkte Vincent rau.
„Ist mir
recht“, erwiderte Blaise und sie erhoben sich gleichzeitig, um ebenfalls den
Kreis zu verlassen.
Etwas fassungslos
sahen die übrigen ihnen nach, und Ron beäugte misstrauisch die Flasche vor
sich.
„Jaah, am
besten wir beenden damit dieses Spiel“, schloss er unsicher, und alle nickten
verhalten.
„Ich habe
auch keine Lust mehr“, beschwerte sich Dean kurzerhand, erhob sich und schien
besonders wütend auf Ginny zu warten. Sie sah ihn, Harry, zwar nicht mehr an,
aber Harry erkannte, dass sie noch immer rote Wangen hatte. Sie folgte ihm
Freund, und Ron zog Pansy kurzerhand auf seinen Schoß. Das Feuer, was Hagrid
neben seiner Hütte entzündet hatte, flackerte angenehm und ohne zu sprechen,
genossen die wenigen letzten die halbe Stunde, ehe sie hoch ins Schloss
mussten.
Wahrscheinlich
endete ohnehin alles bald viel zu schnell. Harry zwang sich, diesen Abend zu genießen.
So lange er konnte. Fast spielte ein Lächeln um seine Lippen.
„Das mit
Ginny“, begann Ron kritisch, „das hast du mit Absicht gemacht“, schloss er
eindeutig tadelnd über die Schulter hinweg, Pansy locker in seinem Arm. Sein
Blick war für Harry nicht zu deuten, aber Harrys Mundwinkel hob sich langsam.
„Vielleicht“,
bemerkte er zufrieden. „Vielleicht auch nicht.“
~*~
Sie wusste,
er war ihr gefolgt. Sie wusste nicht wirklich, warum. Aber es war gut, dass sie
gegangen war. Denn die anderen konnten ruhig wissen, dass sie das Spiel
anwiderte und sie Malfoy niemals küssen würde. Und nebenbei würden die anderen
auch nicht bemerken, dass sie mittlerweile heiße Tränen weinte, obwohl sie
selber nicht einmal wusste, warum. Aber… das war gelogen, oder nicht?
Sie wusste
es, aber es machte es nicht besser. All die Zeit! All die Monate, in denen
Draco Malfoy ihr aufgefallen war! Wäre es letztendlich darin gegipfelt, dass er
sie bei einem dämlichen Spiel von Flaschendrehen ausgewählt hätte? Und hätte
sie – wären die letzten Tage nicht gewesen – ihn tatsächlich geküsst? Obwohl es
falsch war? So wie Harry Ginny geküsst hatte?
Nein! Es
war egal, denn jetzt machte es keinen Unterschied mehr. Die letzten Tage waren
passiert. Er war ein Arschloch, und er trug das Mal voller Stolz, dass es ihr
Übelkeit brachte.
„-Granger!“,
hielt er sie endlich auf, als sich seine Finger hart um ihr Handgelenk
schlossen. Und bei Merlin! Er hatte kein Recht so wütend zu klingen! Zornig
wandte sie sich um. Es war dunkel geworden, aber sie konnte sein Gesicht noch
ausmachen.
„Lass mich
gehen, Malfoy“, brachte sie eisig hervor.
„Nein“,
widersprach er tatsächlich, und sie konnte nicht mehr.
„Das steht
nicht zu deiner Disposition. Lass mich gehen, oder ich verfluche dich!“ Doch
ehe sie in ihre Tasche greifen konnte, ergriff er ihr zweites Handgelenk.
„Nein, das
wirst du nicht“, sagte er entschlossen. Erfolglos versuchte sie, ihm ihre Hand
zu entziehen.
„Lass mich gehen!
Was bei Merlin willst du von mir?“, wollte sie schroff von ihm wissen, und ihre
Stimme zitterte vor Tränen. Und sie hörte seine Verzweiflung.
„Ich weiß
es nicht, ok?“, fuhr er sie tatsächlich an, und es überraschte sie, genauso wie
es sie eben nicht überraschte. „Ich-“, fuhr er fort, beendete den Satz aber
nicht. Er klang mit einem Mal erschöpft. „Es… es tut mir leid“, sagte er
stiller und ließ ihre Handgelenke unvermittelt los. Und sie hasste sich selber
dafür, dass sie nicht in der Sekunde gerannt war. Weg von ihm.
„Was tut
dir leid?“, wollte sie zornig von ihm wissen. „Dass du mich beleidigt hast?
Dass du mit mir gespielt hast? Dass du das Mal trägst? Was, Malfoy?“
„Nichts
davon“, erwiderte er fast ruhig. Ihr Mund öffnete sich empört. Nichts davon?
War das sein Ernst?! Aber er sprach. „Es tut mir leid, dass mein Verhalten
letzte Woche dazu geführt hat, dass du mich geküsst hast.“
„Dein…
Verhalten?“, wiederholte sie zusammenhanglos, denn sie verstand nicht. Nicht
wirklich. Und sie wollte auch nicht! „Schön! Dann… kann ich ja gehen“,
informierte sie ihn, und der Bastard nickte. Sie sah es auch im Dunkeln.
Kopfschüttelnd wandte sie sich um, nur um zornig stehen zu bleiben. Erneut
wandte sie sich ihm zu.
„Weißt du,
was dir wirklich leidtun sollte?“, fragte sie ihn, und sie schäumte vor Wut. Er
sagte nichts, wartete nur. „Dass du ein dämliches Arschloch bist, Malfoy! Und
nichts weiter!“, schnappte sie außer sich. Und wieder nickte der Bastard!
„Ja, das
tut es auch“, räumte er zu ihrer Überraschung ein. „Ich wünschte, ich müsste
nicht so sein, aber… ich muss es“, fuhr er leiser fort, fuhr sich über die
Stirn, und sie spürte seinen Blick deutlich. „Ich muss es, damit… damit…“ Er
sagte nichts mehr. Und sie hatte das Gefühl, als… begriff sie seine absolut
wahnsinnigen Worte. Ihre Stimme zitterte, als sie antwortete.
„Wenn du
denkst, du müsstest ein Arschloch sein, um… um mich zu beschützen, Malfoy,
dann…“ Sie schluckte schwer. Dann… hatte er vielleicht sogar Recht?? Nein! Wie
könnte er damit sein Verhalten rechtfertigen? Vor was wollte er sie beschützen?
Es gab nichts, was er – aber sie unterbrach ihre Gedanken. Der Krieg war eine
nahende Drohung, sie wusste es. Sie wusste nicht, wie lange es noch dauern
würde. Wusste Malfoy es? Handelte es sich nur noch um Wochen? Und wusste sie
wirklich, wie gefährlich Malfoys Vater war? Nein, wenn sie ehrlich war. Sie
schwieg betroffen.
„Ich kann
dich nur schützen, wenn ich nicht mehr in deiner Nähe bin. Aber… nicht in
deiner Nähe zu sein, ist…“ Wieder schwieg er. Es waren zu viele Sätze, die sie
nicht beendeten. Merlin, sie hasste ihn wirklich! Denn in den letzten Tagen,
als er fort gewesen war, hatte sie gemerkt, wie sehr sie sich an seine Nähe
gewöhnt hatte. Wie selbstverständlich es für sie war, dass sie nur den Blick zu
heben brauchte, um ihn zu sehen. Zu wissen, dass er in der Nähe war, gehörte
seit Monaten zu den wenigen Dingen, die sie tatsächlich beruhigten – aus was
für Gründen auch immer.
Und jetzt,
in den letzten Tagen hatte sie sich nur noch elend gefühlt. Und es lag an ihm!
An seinen furchtbaren Worten, natürlich – aber auch daran, dass… dass sie sich
nicht mehr darauf verlassen konnte, dass Harrys Mund schmal wurde, eben weil
Malfoy überall auftauchte, wo sie war. Als… wäre sie die Sonne gewesen, um die
er sich drehte. Dies waren nette Momente gewesen. Sie hatte sich… besonders
gefühlt. Immer besonders, unter seinem Blick.
Sie hatte
seine Aufmerksamkeit nicht gewollt, und jetzt ging es ihr schlecht, weil es
nicht mehr so war. Er war schuld. Er allein! Und seine Versuche, sich von ihr
fernzuhalten, machten es nur noch schlimmer! Und er schaffte es nicht einmal,
das zu tun!
„Ich hasse
dich“, flüsterte sie wieder unter Tränen.
„Gut“,
erwiderte er flach. Sie wischte sich die Tränen von der Wange.
„Nein, das
ist nicht gut“, informierte sie ihn trocken. „Du kannst das nicht machen“,
sagte sie erschöpft. „Du kannst mir nicht auflauern, um mich zu beleidigen. Du
kannst mir nicht folgen, um mir plötzlich zu sagen, wie leid dir alles tut. Das
kannst du nicht, Draco!“ Sein Name kam dünn und ängstlich über ihre Lippen. Es
war schwer, ihn überhaupt nur zu denken. „Du… du trägst das Mal!“, entkam es
ihr gepresst, und sie spürte die Tränen nur deutlicher. Er atmete aus.
„Das weiß
ich“, knurrte er praktisch.
„Warum bist
du dann hier?“, wollte sie verständnislos und ungläubig von ihm wissen. „Was
willst du noch? Was kannst du noch wollen?“ Und er schwieg. Er schwieg so
lange, dass sie glaubte, er würde nie mehr sprechen.
Doch er
sprach.
„Ich will
dich, Granger“, seufzte er. „Nur dich“, schloss er mit tragischer
Feierlichkeit. Und fast spürte sie ein Kribbeln in ihren Fingerspitzen. In der
Dämmerung schüttelte sie nur den Kopf, während eine Träne auf ihre Wange fiel.
„Nein. Das
willst du nicht, Malfoy. Du willst keine Probleme und ein einfaches Leben!“,
fuhr sie ihn zitternd an. Und sie sah, dass er näher kam. Vor ihr blieb er
stehen.
„Nichts ist
einfach“, sagte er dann, fast traurig.
„Doch,
Malfoy! Das meiste ist einfach!“, widersprach sie ihm, mit neuer Wut im Bauch.
„Man entscheidet sich für das Richtige und nicht immer für das Falsche! Man ist
kein Arschloch! Man ist einfach nett!“, fuhr sie ihn an. „Es ist ganz einfach!“
Seine
rechte Hand hob sich, erreichte ihr Gesicht, strich ohne Erlaubnis über ihre
Haut und schlang sich um ihren Nacken.
„Ja?“,
flüsterte er dann. Ihr Atem stockte. „Ist es so einfach?“, murmelte er, während
er den Kopf neigte. Ihre Hände stemmten sich nutzlos gegen seine Brust, als
seine Lippen sich auf ihren Hals senkten. „Dann sag mir, dass ich aufhören
soll“, sprach er heiß gegen ihre Haut.
„H-hör
auf!“, sagte sie heiser, aber anstatt ihn von sich zu stoßen, hielt sie den
Atem an, als seine Zunge anzüglich langsam über ihre Halsschlagader leckte und
ihr Puls in die Höhe schnellte. Ihr Herz machte einen Satz.
Sein Kopf
hob sich, verharrte keinen Zentimeter weit vor ihrem Gesicht, und sie konnte
seine grauen Augen in der Dämmerung noch deutlich ausmachen.
„Sag es
noch mal“, verlangte er rau, und sie schluckte schwer. Er war so nahe, dass sie
kaum noch richtig denken konnte.
„Hör-“
-aber seine
Lippen krachten auf ihre, bevor sie zu Ende sprechen konnte, und ihr Bauch
explodierte förmlich, als er sie gierig einatmete, nur um seine Zunge in ihren
Mund zu schieben. Unbewusst hatten sich ihre Augen geschlossen, und ihr Körper
beugte sich ihm entgegen.
Gut.
Vielleicht war es nicht ganz so einfach, immer das Richtige zu tun, dachte sie
dumpf, bevor sie nur halbherzig schaffte, ein Stöhnen zu unterdrücken, als sich
sein Arm grob um ihre Taille schlang.
„Closing my eyes and you chase my thoughts
away,
to a place where I am blinded by the light,
but it’s not right.“
Michelle
Branch
Nachdem die
Slytherins und Gryffindors ihres Jahrgangs Hagrids Abschiedsfeier verließen,
hatte Hermine ihn geistesgegenwärtig, ihn in den Schatten der Bäume gezogen,
damit nicht unbedingt Harry oder Ron sie entdecken würden. Im Dunkeln ergriff
er ihre Hand und zog sie mit sich, und sie stellte fest, er steuerte die
Feuerbuche an, die ihre Zweige tief und schützend hängen ließ.
Im Schutz
der Buche, unter ihren tiefhängenden, dichtbelaubten Ästen, sah sie ihm zu,
während er mit dem Lumos nach
trockenen Zweigen suchte und ein magisches Feuer legte. Es beschränkte sich auf
einen kleinen Kreis unterhalb des Buchendachs, und der Rauch stieg nach oben
hinaus. Sie befanden sich unter einer kleinen blickdichten Kuppel aus Laub,
aber er legte auch noch eine Desillusionierung, und fast war sie überrascht,
wie sicher er sich seiner Bewegungen war, als er den Zauberstab auf den Berg an
altem Laub richtete, der sich unter der Kuppel, um den uralten Stamm gesammelt
hatte. Mit einem Faser-Zauber fügte er die Blätter zu einer stoffartigen Decke
zusammen und bedeutete ihr schließlich, sich zu setzen.
Sie war
dankbar über das Feuer, denn auch wenn es tagsüber lau war, so brachte die
Nacht doch noch die winterliche Kälte mit sich. Geschützt unter den Blättern
wirkte es, als befänden sie sich in einer kleinen runden Hütte, und ein wenig
nervös setzte sie sich auf die weiche Blätterdecke vor dem Feuer.
Die Flammen
flackerten einheitlich, verließen nicht den magischen Kreis, und sie glaubte
nicht, dass sie je etwas Romantischeres als das hier erlebt hatte. Er setzte sich
schließlich neben sie und starrte ebenfalls in die Flammen. Wortlos ergriff er
ihre Hand, und ihr entging nicht dass er kurz vor Schmerz den Mund verzog. Ihr
Blick fiel auf seinen Arm, aber er trug eine dunkelgrüne Slytherin-Kapuzenjacke
über seinem weißen Hemd. Es war unmöglich, irgendetwas zu erkennen.
Sie war
sich nicht sicher, was sie jetzt erwartete. Aber ihr Bauch kribbelte
unheilvoll, denn je näher er ihr war, umso dringender wollte sie ihn eigentlich
spüren. Gleichzeitig hatte sie aber auch das Gefühl, dass es wirklich eine
dumme Idee war. Und das war es, denn es konnte nirgendwohin führen.
„Hier sind
wir wieder“, bemerkte er unvermittelt neben ihr, und fast erschrak sie über
seine Stimme. Er klang ruhig, aber sie glaubte, ihn gut genug zu kennen, um
seiner Stimme den Hauch von Aufregung anhören zu können.
„Ja“,
bestätigte sie still, den Blick noch immer ins Feuer gerichtet, ihrer Finger
mit seinen verschränkt.
Sie wusste,
dass sie nicht zusammen gehörten. Dass es keine Zukunft gab. Aber sie wusste,
sie würde ihn vermissen, sobald es vorbei war. Sobald diese Nacht vorüberging
hatte sie das bestimmte Gefühl, dass sich nicht mehr die Möglichkeit ergeben
würde, mit ihm alleine vor dem Feuer zu sitzen. Dieses Gefühl löste eine flaue
Bestürzung in ihrem Innern aus. Was wäre, wenn er, trotz all seiner Fehler, der
eine war? Sie hatte von den Frauen gehört, die ihr Leben lang dieser einen
Liebe nachtrauerten. Egal, wie viele Jahre vergingen, egal, wen sie trafen und
was ihnen passierte.
Sie wollte
eigentlich nicht so bemitleidenswert sein. Sie wollte ihn nicht so sehr
vermissen, dass sie nicht glücklich werden konnte. Vielleicht könnte er eine
von diesen Erinnerungen werden, an die sie heimlich denken konnte? Vielleicht
könnte er all das Aufregende sein, was in ihrer Jugend geschehen war, bevor er
Krieg kam? Vielleicht könnte er der erste Junge sein, in den sie wirklich
verliebt war, mit dem sie all die Dinge zum ersten Mal erlebte, völlig außer
Acht gelassen, dass es nicht für eine lange Dauer war.
Ihr Herz
klopfte schneller.
„Granger-“,
begann er schließlich, aber sie hörte ihm nicht zu, als sie sich ihm zuwandte,
ihre Hand über seine glatte Wange legte, und ihre Lippen seine fanden. Fast überrascht
verstummte er, und als sie näher rückte, überwand er seine Überraschung und
erwiderte ihren Kuss. Sie glaubte, eine wenig zu viel Kraft in ihre Lippen zu
legen, ein wenig zu stürmisch zu sein, denn er brachte mehr Ruhe in den Kuss,
mehr Sinnlichkeit.
Es wurde
ein sanfter Kuss, und plötzlich war ihr merklich heiß. Sie öffnete die Lippen
unter seinem Mund und gleichzeitig rückte sie näher an ihn, brachte ihn dazu,
ihr zu begegnen, seine Hände auf ihren Körper zu legen, ohne es sagen zu
müssen. Seine Hand glitt über ihre Taille unter der offenen Strickjacke. Sie
wanderte tiefer, lag auf ihrer Hüfte, und mit mehr Mut, als sie besaß, setzte
sie sich auf, um sich rittlings auf ihn zu setzen. Sie spürte seine
angewinkelten Knie im Rücken, und er reagierte auf diese Veränderung.
Er griff um
ihren Hinterkopf, vertiefte den Kuss, und ohne Zögern zog sie ihre Strickjacke
über die Schultern. Sie warf sie hinter ihn, und sofort glitt seine Hand unter
den Saum ihres Shirts, fuhr über ihren bloßen Rücken, und bevor sie den Mut
wieder verlor, zog sie sich kurzerhand das Shirt auch noch über den Kopf.
Sie
unterbrach den Kuss dafür, und als sie ihn wieder ansah, nachdem sie das Shirt
neben ihre Jacke geworfen hatte, hatten sich seine Augen geweitet. Sie sah, er
bemühte sich, nicht auf ihren hellen BH zu blicken, und sie hoffte, er hörte
ihr klopfendes Herz nicht.
Sie wollte
das. Sie wollte ihn spüren. Und sie sah, dass er sprechen wollte, Fragen
stellen wollte, und sie wusste, er würde sie fragen, ob sie sicher sei oder
etwas ähnlich Klischeehaftes, aber sie unterband ein solches Gespräch,
erstickte es im Keim, denn ungefragt ergriff sie seine Hände, und mit
angehaltenem Atem legte sie sie über ihre bebenden Brüste.
Und er
sagte gar nichts mehr, konnte wohl nicht fassen, dass sie nicht darüber reden
würde.
Aber sie
sah, seine Atmung änderte sich, wurde angespannter, flacher, und unter ihrem
Schoß spürte sie, wie sich sein Penis in seiner Hose eindeutig regte. Es
vermittelte ihr ein gutes Gefühl. Sie machte es also richtig. Dann wiederum
begriff sie viele Dinge auf Anhieb. Nicht, dass sie tatsächlich angenommen
hatte, Intimitäten wären etwas, was man sich beibringen konnte, aber eigentlich
las sie nur seine Körpersprache und reagierte auf ihn.
Seine Augen
verdunkelten sich, und es zog in ihrer Mitte, als er sich vorlehnte, um sie
wieder zu küssen. Hungriger, dieses Mal. Und seine Hände bewegten sich,
pressten sich gegen den Stoff ihres BHs, und seine Daumen fuhren hart über die
Stelle, wo ihre Brustwarzen waren, und mit einem Schaudern spürte, wie sie sich
aufrichteten, wie sensibel sie auf seine Berührung reagierten. Seine Finger
klemmten sich plötzlich unter die Träger, zogen sie sanft ihre Schultern hinab,
nur um dann hinter ihren Rücken zu wandern und den BH zu öffnen.
Sie wusste
nicht, ob er das schon einmal gemacht hatte, oder ob Jungen es mit den BHs
ihrer Mütter übten, um vorbereitet zu sein, aber schnell erledigten sich ihre
Gedanken, als er das Stück Stoff ihre Arme hinab zog und ihr Oberkörper
schamlos entblößt war. Ihr Atem ging tiefer, ihre Brüste hoben sich mit jedem
Zug, und er neigte den Kopf, umfasste voller Faszination ihre Brust, und ihr
Mund öffnete sich perplex, als er ihre Brustwarze übergangslos in seinen Mund
saugte.
Unwillkürlich
fiel ihr Kopf in ihren Nacken und sie beugte ihren Oberkörper seinem Mund
entgegen, liebte jede Bewegung, mit der er ihre Brüste liebkoste, und sie
vergaß, sich zu schämen, bei dem angenehmen Gefühl, dass dieses Spiel zwischen
ihre Beine schickte. Sie musste sich an seinen Schultern festhalten und es
störte sie, dass er noch komplett angezogen war.
Als er sich
von der einen Brust löste, um sich ihrer anderen zu widmen, nutzte sie die
Chance, die Jacke seine Schultern hinabzuschieben.
Er half
ihr, denn er schien sich unvermittelt wieder an seinen schmerzenden Arm zu
erinnern. Sie half ihm nicht, gab ihm die nötige Zeit, seinen Arm vorsichtig
aus dem Ärmel zu schälen, bis er die Jacke ebenfalls hinter sich warf. Das
weiße Hemd war nicht ganz zugeknöpft und sie erahnte seine haarlose Brust. Ohne
zu fragen, ohne sich um irgendetwas anderes zu scheren, als ihre Faszination
mit seinem Körper, öffnete sie den dritten Knopf, der noch verschlossen war.
Sie sah ihn schlucken, sah wie sich sein Adamsapfel entsprechend bewegte, aber
sie knöpfte ihren Weg weiter nach unten, bis das Hemd offen hing. Wo ihre
Finger die Haut seines straffen Bauches berührt hatten, zog er unwillkürlich
den Bauch ein, schien ihre Berührungen aufregend zu finden.
Abwesend
fuhr ihre Hand über seine bloße Brust, hinab über seinen trainierten Bauch, und
kam auf seiner Gürtelschnalle zum Liegen.
Seine
Erektion pochte mittlerweile so beständig unter ihr, dass sie sich auf die
Lippe beißen musste, um ihren Schoß nicht in seinen Schritt zu bohren, nur um zu
sehen, was es für einen Effekt haben würde. Als ihr Blick sich hob, sie ihn
unter ihren Wimpern ansah, wurde ihr übergangslos heiß, denn das Verlangen
stand ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass ihr Bauch wieder kribbelte.
Als hätte er ihre unkeuschen Gedanken soeben gelesen.
Mit einem
ungeduldigen Grollen warf er sie auf den Rücken und war über ihr, noch immer
zwischen ihren Beinen. Die Spitzen des Hemds berührten ihre Seiten, und seine
nackte Haut presste sich heiß gegen ihre, als er den Abstand schloss, um sie zu
küssen. Sofort schob sich seine Zunge in ihren Mund, begegnete ihrer ungestüm
und wild, während seine Hände ihre Seiten entlang fuhren, um die Knöpfe ihrer
Jeans zu öffnen. Das Geräusch des Reißverschlusses ließ sie Schaudern vor Erregung,
und sie wollte keine Zeit damit zubringen, sich doch noch zu schämen.
Kurzerhand
half sie ihm, hob ihren Po an und er löste sich von ihren Lippen, um die Hose
ihre Beine hinab zu ziehen. Gleichzeitig hatte er ihre schlichten Leinenschuhe ausgezogen.
Kurz war sie froh, dass sie nicht mal Schnürsenkel besaßen.
Er war
nicht direkt wieder über ihr, und sie stützte sich auf die Ellbogen, um ihm
zuzusehen, wie er die Knöpfe seiner Ärmel vorsichtig öffnete, um sich danach
das Hemd von den Armen zu schütteln. Weiß stach ihr der schmale Verband seines
Unterarms ins Auge, und sehr kurz verpasste das ihrer Erregung einen Dämpfer.
Es hatte nicht stimmen müssen, dachte sie unwillkürlich. Er hätte nur sagen
können, dass er das Mal trug, dachte sie.
Nur um sie
zu ärgern, wie er viele Dinge sagte, um sie zu ärgern. Aber… jetzt hatte sich
diese Ungewissheit innerhalb einer Sekunde zur Gewissheit verdichtet.
Sein Blick
hob sich eher als ihrer. Wenn sie sich vorstellte, dass es etwas anderes war….
Eine Verletzung vielleicht. Dann konnte sie es verdrängen. Verdrängen, was es
letztlich bedeutete. Es war ein Trost, dass sie es nicht sehen musste. Den
Beweis, dass er nun offiziell einer Sekte angehörte, deren Ziel es war,
Menschen wie sie zu vernichten.
Sie schluckte
schwer. Unglück verhing seine schönen Züge. Fast sah er aus, als wolle er sich
erklären, sich vielleicht wieder entschuldigen, aber das wollte sie gar nicht
hören. Sie wollte sich nicht mit der Zukunft befassen, sondern nur mit dem
Jetzt. Und wenn diese Abscheulichkeit jetzt zu ihm gehörte, dann war es so und
sie konnte es nicht ändern – und würde es auch nicht ändern.
Sie setzte
sich eilig auf, nur um den nackten Arm um seinen Hals zu schlingen und ihn
wieder an sich zu ziehen, seine Lippen mit einem Kuss zu verschließen, und sein
Arm schlang sich um ihre bloße Taille, als er wieder mit ihr auf die
Blätterdecke fiel.
Sein Kuss
war verzehrend und brachte sie noch um den Verstand. Ihre Finger fanden seinen
Gürtel, öffneten ihn, um fahrig die weiteren Knöpfe seiner Hose zu öffnen. Ihre
Finger spürten den Saum seiner engen Shorts, aber bevor sie den Saum fassen,
konnte, hielt seine Hand sie auf, legte sich effektiv über ihre Finger. Er
löste seine Lippen fast lautlos von ihren.
Sie sah
hinauf in seine Augen und glaubte, das helle Grau noch nie in so einem Sturm
gesehen zu haben.
„Nicht“,
flüsterte er rau. Sie verstand nicht. Sie wollte, dass er seine Hose auszog.
Sie wollte ihn berühren. Sie wollte ihn in sich spüren. Sollte sie es sagen?
Die Scham kehrte mit einem Mal zurück. „Es geht sonst zu schnell“, sprach er
zusammenhanglose Worte, die sie ebenfalls nicht verstand. Was ging zu schnell?
Sie wollte nicht länger warten! Ihr Körper konnte nicht länger warten. Aber
dann spürte sie seine schlanken Finger auf ihrer Bauchdecke, und sie glitten
tiefer, unter ihren Slip, und sie hielt die Luft an.
Fast hatte
sie geglaubt, es wäre komplizierter für einen Mann, sie dort zu berühren. Dass
er ebenfalls Hemmschwellen und Überwindung empfand, vielleicht nicht wusste,
was er zu tun hatte. Dass er vielleicht – wie sie – ähnlich überfordert mit der
weiblichen Anatomie war, denn schließlich war er ein Mann, aber sie hatte sich
geirrt. Es bereitete ihm keine Mühe, nein. Es schien ihm Vergnügen zu bereiten,
sie zu berühren, und fast wollte sie ihm Erfahrung unterstellen, mit der sein
Daumen plötzlich begann, sanfte Kreise über dem Punkt zu zeichnen, der ein
direktes Lustgefühl in ihr Gehirn schickte.
Nicht lange
fragte sie sich, ob sein Daumen dies bereits bei einem anderen Mädchen getan
hatte, denn so schnell sich die irrationale Eifersucht aufbaute, so schnell
hatte sie sie schon wieder vergessen, als sein Mittelfinger tiefer wanderte,
auf die Nässe traf, die bereits ihren Slip getränkt hatte, und sich mühelos in sie
schob.
Es war das
erste Mal, dass sie tatsächlich einen Laut machte. Sie hatte es vorher
vermieden, wollte keinen ungebetenen Besucher herlocken. Zwar lag die
Desillusionierung auf der Buche, aber sie hatte Sorge, dass man sie vielleicht
doch hören würde.
Es war ein
kehliges Geräusch, ein ersticktes Geräusch, was sie gar nicht hatte machen
wollen. Das Gefühl seines Fingers in ihr war überraschend gewesen und
gleichzeitig war es viel befriedigender als sie gedacht hatte. Sie biss sich
vor Überraschung auf die Unterlippe, aber als er den Finger zurückzog, nur um
ihn tiefer in sie zu schieben, schlossen sich ihre Beine automatisch ein Stück,
und sie schnappte erneut nach Luft, ehe sie ein sanftes Stöhnen nicht
verhindern konnte.
Und sie
fand es nicht schlimm, dass er das tat. Dass er sie berührte. Dass er es war,
der ihr diese Gefühle entlockte. Sie schämte sich nicht mal, dass es ihr
gefiel, dass ausgerechnet er es war, der dazu in der Lage war! Mit einer
abwartenden Geduld beschrieb sein Daumen härterer Kreise auf ihrer Klitoris,
und sie begann sich unter ihm zu winden, weil sie dem Gefühl nicht entgehen
konnte, dass sich unweigerlich aufbaute. Als er soweit ging, einen weiteren
Finger in ihre feuchte Hitze zu schieben, fiel ihr Kopf weiter zurück, und ihre
Beine öffneten sich unbewusst wieder. Auch ihr Becken ahmte seine Bewegungen
nach.
Sie spürte
seine Nähe plötzlich, und seine linke Hand umfasste wieder ihre Brust, als
seine Zunge hervorschnellte, um über ihre harte Brustwarze zu lecken. Sie zitterte,
atmete flacher, und eine Vielzahl an Lauten verließen ihre Lippen nun, ohne
dass sie sich beherrschen konnte.
Seine
Finger bewegten sich schneller, so auch sein Daumen. Hart sog er ihre Brustwarze
in seinen Mund, und als sie kam, lag sein Name auf ihren Lippen. Weiße Punkte
tanzten vor ihren festgeschlossenen Lidern, und sie atmete mit offenem Mund.
Teilweise war sie ein wenig sauer, dass sie gekommen war, quasi ohne ihn in
sich, aber eigentlich war es ihr gerade auch sehr egal. Als sie die Augen
blinzelnd öffnete, war er über ihr, und sie kam ihm hungrig für einen Kuss
entgegen. Er wirkte mittlerweile wesentlich angespannter als sie es war, denn
herrlicherweise fühlte sie sich leicht und so bereit, dass sie es kaum erwarten
konnte. Ungeduldig zog sie ihren feuchten Slip ihre Beine hinab und er glitt
von ihren Füßen.
Dieses Mal
hielt er sie nicht auf, als sie seine Hose tiefer zog, seine Shorts gleich mit,
und sie machte sich nicht die Mühe, dafür zu sorgen, dass er die Hose komplett
loswurde. Ihre Finger spürten seine pulsierende Länge, und mutig umfasste sie
seine Erektion. Sie war größer als seine Finger, dachte sie unwillkürlich. Und
bevor klar wurde, wie unerfahren sie war, vertiefte er den Kuss, und stöhnend
legte sich seine Hand um ihre, zeigte ihr die Auf- und Abbewegung, und nach
einer kleinen Weile hatte sie begriffen, was sie tun musste, damit er
zusammenzuckte, in ihren Mund stöhnte, sich ungehalten in ihre Hüfte krallte.
Sie spreizte
ihre Beine weiter, bis er sich von ihren Lippen löste und sich endlich über sie
legte. Das war es! Es passierte wirklich! Und er sah sie an. Seine Hand stoppte
ihre nun, sodass die Pumpbewegung aufhörte. Noch immer pulsierte er in ihrer
Hand. Und wieder schüchterte sie seine scheinbare Erfahrung ein, als er blind
nach dem Zauberstab neben sich griff, kurz den Blick auf seinen Penis senkte,
und eine stumme Formel sprach.
Sie hatte
von der Formel gehört, hatte sie mit vierzehn Jahren unter Aufsicht der
Gesundheitshexe des Ministeriums auch als Trockenübung vollführen müssen, aber
sie hatte geglaubt, in Wirklichkeit würde der Penis aufleuchten, oder es würde
irgendein Anzeichen geben, dass es funktioniert hatte.
Und vor
allem – darauf wäre sie nicht mehr gekommen. Er scheinbar schon.
Sie sah ihn
wieder schlucken. Und sie wusste, er würde fragen. Und sie fragte sich
unwillkürlich, wie oft er das schon ein Mädchen gefragt hatte.
„Bist du
sicher?“ Rau war seine Stimme, und sie glaubte nicht, dass er tatsächlich auf
eine Diskussion vorbereitet wäre, würde sie Nein
sagen. Aber sie antwortete nicht, nickte nur. Sie glaubte, es fiele ihm ohnehin
schwer, sich noch großartig auf etwas zu konzentrieren, bedachte man, wo sich
sein Blut gerade befand.
Sie befürchtete
fast, es würden noch weitere Floskeln folgen, wie, dass es wehtun würde, aber
dass das vorüberging. Es war tatsächlich alles, was sie über das erste Mal
gehört hatte. Ihre Mutter meinte, es wäre unangenehm, es täte weh. Niemand
wisse genau, was zu tun sei. Man müsse erst herausfinden, was einem gefiele. Im
Idealfall wäre der Mann sanft und vorsichtig und würde sich konstant
entschuldigen, für jedes unangenehme Gefühl was sein Penis verursachte. Und
Hermine hoffte ernsthaft, dass dies nicht der Fall wäre. Sie wollte es nicht
sanft. Sie wollte ihn. Und er war alles andere als sanft. Sie wollte auch nicht
seine Entschuldigung.
Sein Blick
verband sich wieder mit ihrem, und sie versuchte, so viel Überzeugung wie
möglich in ihren Blick zu legen. Sie hatte keine Angst.
„Küss mich,
Draco“, sagte sie leise, und er folgte ihren Worten, senkte den Kopf, und sie
spürte, wie seine Hand seinen Penis positionierte. Sie spürte bereits, wie
allein die Spitze ihren feuchten Eingang dehnte. Sie atmete hörbar ein unter
seinem Kuss. Ihre Arme hatten sich um seinen Nacken gelegt, und langsam glitt
er tiefer. Das Gefühl war seltsam, aber es tat weh. Diese Weisheit war also
nicht gelogen. Und sie konnte es nicht verhindern. Sie versteifte sich
automatisch unter ihm, und er hielt inne. Er unterbrach den sanften Kuss, und
sie würde ihn schlagen, wenn er ihr jetzt sagen würde, dass es ihm leid täte!
Sie
erlaubte es ihm nicht, schlang die Arme fester um seinen Nacken, küsste ihn
verlangend, der Kampf ihrer Zunge schien ihn jede Kontenance vergessen zu
lassen. Ohne jede Kontrolle stieß er nach vorne. Ihr Kopf fiel zurück und sie
schnappte schmerzhaft nach Luft. Als sie glaubte, sie würde zerreißen, war es
vorbei. Er war in ihr. Zur Gänze. Als er sich langsam zurück bewegte, spürte
sie seine Finger, die sich erneut ihrer Klitoris widmeten. Sie begriff kaum,
was er tat, aber schon rammte er sich tiefer in sie, wiederholte diese
Bewegung, bis sie begriff, dass das der ganze Zauber war.
Sie
gewöhnte sich an seine Größe, an seine Länge, an das Gefühl, an das Gewicht
seines Körpers auf ihrem, und sie fand es schön. Unglaublich schön. Ihr Atem
ging schneller, und die Bewegung seiner Finger passte sich ihrem Rhythmus an.
Ihr Becken begegnete seinem, und er eroberte wieder ihren Mund. Seine Stöße
verloren an Präzision, und mittlerweile bockte er nur noch hilflos nach vorne.
Dann riss er den Kopf nach oben, und rammte so hart in sie, dass ihr Orgasmus
von Schmerz überschattet wurde, als er stöhnend kam. Er schien nicht
gleichmäßig zu kommen, sondern in Schüben, bockte noch ein paar Male nach
vorne, und sein Kopf fiel auf ihre Schulter, während sie liebevoll durch seine
Haare fuhr.
~*~
Das Feuer
war fast runtergebrannt. Sie lag in seinem rechten Arm, den Kopf auf seine
bloße Brust gebettet, und sie waren halb zugedeckt mit der Blätterdecke. Seit
einer Weile spielten ihre Finger abwesend mit dem Verband seines Armes. Locker
lag seine linke Hand auf seinem Bauch, und für immer hätte er hier liegen
bleiben können.
Noch immer
hatten sie nicht gesprochen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Was sie
hören wollte. Er hatte das Gefühl, als hätte sie das hier forciert, es
tatsächlich unbedingt gewollt. Es fiel ihm schwer, sich schlecht zu fühlen,
weil er ihr vielleicht wehgetan hatte. Es war ihr erstes Mal gewesen. Davon war
er überzeugt. Und sie hatte es mit ihm erleben wollen. Tatsächlich fühlte er
sich geehrt. Verdammt heroisch fühlte er sich.
Es gab in
diesen Situationen nicht viel zu sagen. Aber es war besser als sein erstes Mal.
Das Mädchen hatte ununterbrochen geweint. Da war ihm Granger lieber.
Granger….
Und dann hob sich sein Kopf und betrachtete ihr Gesicht auf seiner Brust. Ihr
Blick hob sich träge, um ihn fragend anzusehen.
„Was?“,
murmelte sie verblüfft. Halb schüttelte er den Kopf. In einer wilden Sekunde
hatte er befürchtete, dass es nur ein Traum sein könnte. Aber sie war
tatsächlich hier.
„Nichts“,
murmelte er, umarmte sie ein wenig fester und sie hauchte einen sanften Kuss
auf seine nackte Brust. Ihre wilden Locken, die sich aus ihrem Zopf gelöst
hatten, kitzelten seine Haut.
All das kam
ihm vor wie ein Abschied, aber er wollte nicht, dass es einer war. Ein
seltsames Verlustgefühl überkam ihn, aber er wusste nicht, was er tun sollte.
Sollte er seine Familie verraten? Seinem Schicksal trotzen? Musste er mit ihr
darüber reden? Was bedeutete es alles?
Liebte sie
ihn? Wusste er überhaupt, was das war? Ja. Ja, er wusste es.
Sie bewegte
sich über ihm.
„Es wird
spät, wir sollten gehen, bevor sie uns suchen“, sagte sie lächelnd, als sie
sich von seiner Brust erhob, sich aufsetzte und sich streckte. Anmutig wirkten
ihre Brüste, und das flackernde Feuer warf tanzende Schatten auf ihre Haut.
Aber auf ihren Armen erkannte er die Gänsehaut. Sie suchte ihre Sachen zusammen
und zog sich ohne jede Romantik an.
Er hatte
seine Hose bereits wieder verschlossen und angelte sich sein Hemd. Diese
physische Betätigung brachte seinen Arm praktisch um, aber er ließ es sich
nicht anmerken, zog das Hemd über, knöpfte es halb zu, ehe er sich auch noch
seine Jacke überzog.
Sie standen
auf, und es war, als beseitigten sie nun alle Spuren, jede Erinnerung an diesen
Abend. Granger löste die Blätterdecke auf, löschte dann das Feuer und löste die
Desillusionierung, und beide entfachten den Lumos,
um den Weg zu beleuchten.
Er sah, wie
sie sich umwandte, der Buche noch einen letzten Blick zuwarf, ehe sie die
Strickjacke enger um sich wickelte. Still schritten sie über die Wiese. Die
Nacht machte ihre eigenen Geräusche, erfüllte die Stille mit Lebendigkeit, und
Draco atmete die Frühlingsluft tief in seine Lungen. Das Gefühl der Euphorie
beherrschte ihn noch immer. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb er
fragte.
„Wird das…
eine einmalige Erfahrung bleiben?“ Seine Stimme klang fremd in der Nacht, und
sie hob den Blick, schien darüber nachzudenken. Und in ihrer Nähe kam er sich wie die Jungfrau vor. Er kam
sich vor, als würde er bereits klammern, als würde er sich mehr Gedanken
machen, aber wahrscheinlich war das Unsinn.
„Was
möchtest du, dass ich sage?“, wagte sie ihn unschlüssig zu fragen. Seine
Schritte verloren an Euphorie. Was sollte er dazu sagen? Merlin. Er sah sie an.
Er wollte, dass sie sagte, dass es etwas bedeutete. Oder gleich etwas
Pathetisches wie, dass sie von jetzt an nur noch mit ihm schlafen wollen würde,
weil sie wüsste, dass niemand so gut wäre wie er. Ja, vielleicht so etwas nicht
wirklich, aber was meinte sie, Salazar noch mal? Sie sollte sagen, was sie
dachte, nicht was er hören wollte! Und er hatte keine Ahnung, wie er das
diplomatisch rüberbringen konnte.
Ihm war gar
nicht aufgefallen, dass sie stehen geblieben war. Er wandte sich zu ihr um. Sie
hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schien den sternenklaren Himmel zu
betrachten. Er schloss den Abstand zu ihr. Es war reine Intuition, ein
Bauchgefühl, wenn man so wollte, aber fast vorsichtig, legte er die Arme um
ihre Taille, und als sie den Kopf wieder senkte, küsste er ihre Lippen. Nicht
fordernd, sondern weil das Gefühl, es tun zu wollen, übermächtig wurde. Nach einer
kurzen Sekunde umspülte ihn Erleichterung, als sie seufzend die Arme um seinen
Nacken schlang.
So standen
sie eine ganze Weile, spürten sich, fühlten den anderen, bis sie sich von ihm
löste.
„Lass uns einen
Pakt machen“, sagte sie ein wenig atemlos. Er verengte verständnislos die
Augen. „Wenn… wenn der Krieg vorbei ist“, begann sie zögerlich, und er legte
die Arme fester um sie. Alleine die Aussicht, dass der Krieg sie unweigerlich
auseinanderbringen würde, machte ihm Angst. Sie sah zu ihm auf. „ Wenn es
vorbei ist, findest du mich, Draco Malfoy“, flüsterte sie, und ihre Augen
glänzten. Sie meinte es ernst. Und dann, wollte er fragen. Was dann? Dann wäre
sie sein? Aber er hatte Angst zu fragen.
Aber jedes
Gefühl verließ ihn, als ein beißender Schmerz durch seinen Unterarm schoss.
Schlimmer als alles, was er jemals gespürt hatte. Sie war aus seinen Armen
verschwunden. Er krümmte sich vorn über, hielt seinen Arm umschlungen, und sein
Schrei klang so fremd in seinen Ohren.
„Draco!“,
rief sie panisch, kam näher, aber er hatte seinen Ärmel in die Höhe geschoben.
Der Verband brannte höllisch. Mit rohen Bewegungen zerrte er an der Gaze, bis
sie in Fetzen hing. Er schüttelte sie seinen Arm hinab, und er hörte Grangers
Keuchen. Das Mal glühte rot in der Dunkelheit. Die kühle Luft, die seine Haut
traf linderte die Schmerzen, aber nur marginal.
„Er-ruft“,
brachte er gepresst hervor. Dann sah er sie an. Dies war der Weg, den er
gewählt hatte. Und beinahe erkannte er sie nicht mehr. Sie sah ihn an, wie
einen Fremden. Wie einen Feind. Und er ignorierte den beißenden Schmerz und
schloss den Abstand zu ihr. Ängstlich hob sich ihr Blick.
„Ok“, sagte
er zwischen den Zähnen hindurch. Ihre Augen waren weit. „Ich finde dich“,
versprach er ihr blind. Ihr Mund öffnete sich, und eine Träne fiel auf seine
Wange. Der Schmerz nahm ihm beinahe die Sicht.
„Was… was
passiert mit dir?“, flüsterte sie verzweifelt. Er rang um Fassung.
„Wenn ich
nicht… erwidere, dann… bringt mich der Schmerz irgendwann um“, entkam es ihm
stockend.
„Geh“,
flüsterte sie tonlos, ohne sein Gesicht aus den Augen zu lassen. „Malfoy,
geh!“, wiederholte sie, und die Panik war ihrer Stimme anzuhören, als er
weitere Tränen weinen musste.
Er lehnte
sich vor, küsste sie ein letztes Mal, und er wusste, er würde sie beschützen!
Und wenn auch nur durch seine verdammte Abwesenheit, damit er sie nicht in
Gefahr bringen konnte. Er konnte nur hoffen, Potter würde sein verflucht Bestes
geben.
Sein Mund
verließ ihre Lippen, und sie weinte auch.
Er hob den
Zauberstab vom Boden auf. Mit zitternder Hand hob er das Holz, und mit einem
letzten Blick in ihr Gesicht, presste er die Spitze auf das glühende Mal.
Die Welt
zerriss. Das Mal besaß die Macht, ihn tatsächlich vom Schlossgelände apparieren
zu lassen, um was auch immer für einen Auftrag zu empfangen, der leicht seinen
Tod bedeuten konnte. Vielleicht so etwas Lächerliches, wie Dumbledore
umzubringen.
Er weinte,
während die Landschaft dunkel an ihm vorbeisauste.
Und er
schloss die Augen und dachte an sie.
~Sieben
Jahre später~
Der
Sommerabend war lau, die Vögel sangen herrliche Lieder, es roch nach Jasmin und
dem Duft des Grases. In dem verwunschenen Biergarten ihres Lieblingsrestaurants
in Godric’s Hollow genossen sie alle Weißweinschorlen, Elfenbier oder Limonade.
Ginny war schwanger, also bot sich für sie nur Limonade an.
Harry hatte
sich auf dem sonnengewärmten Stuhl aus altem Holz zurückgelehnt, und versuchte,
Entspannung zu finden. Ron und Pansy erzählten eine weitere Anekdote der
Handwerker in ihrem Haus, und wie absolut unmöglich es doch war, gute
Handwerker zu finden. Es war so einschläfernd, dass Harry Gefahr lief, Bier auf
seinem Schoß zu verschütten, wenn er nicht aufpasste.
Sein Tag
war lang gewesen, der Schichtwechsel nicht pünktlich. Es würde noch Jahre
dauern, bis er endlich die ersehnte Stelle des Leiters übernehmen konnte.
Bisher wurde ihm die Drecksarbeit regelrecht zugeschanzt, so dass ihm jeder Tag
vorkam, als würde er hilflos mit dem Armen in einem Meer von Akten rudern. Und
er war müde. So unfassbar müde von all den Dingen, die ihm in den Gliedern
steckten.
Vom Krieg
im Allgemeinen, aber ihm kam die Arbeit in der Aurorenabteilung wesentlich
anstrengender vor, als es eine kontrollierte Zerstörung gegen Voldemort jemals
sein könnte. So lächerlich das klang.
„Harry“,
vernahm er Ginnys Stimme leise neben sich. Waren seine Augen wieder zugefallen?
Hastig blinzelte er, setzte sich aufrechter in den Stuhl und blickte Rons
erwartungsvollem Gesicht entgegen, als das Bier bei diesem Ruck erwartungsgemäß
über seine Finger schwappte. Es war schon warm geworden.
„Ich-was?“,
entfuhr es ihm entschuldigend, und leichte Ungeduld zeichnete die Züge seines
besten Freundes.
„Ich… äh…
ich hab gefragt, wie lange es bei euch gedauert hat, bis vernünftige Rohre in
der Wand gelegen haben?“, wiederholte er scheinbar seine so sinnbefreite Frage,
dass Harry sich die Schläfen rieb.
„Ron-“,
begann er beinahe nachsichtig, aber so schnell traf ihn Ginnys Tritt unter dem
Tisch – wie auch immer sie es schaffte, seitlich nach ihm zu treten – und er
riss sich mit aller Kraft zusammen. „Au-… Äh, keine Ahnung“, wich er also
seiner Frage aus. „Ich glaube nicht, dass wir überhaupt etwas an den Rohren
geändert haben. Jemals“, ergänzte er grollend, aber unter seinem Atem, so dass
Ron es nicht wirklich mitbekam.
Das schien
Ron nicht zu gefallen. Seitdem er mit Pansy zusammen war, schien es an der
Tagesordnung zu liegen, jeden Monat die Wände neu zu streichen, alte Rohre
auszutauschen, den Fußboden magisch zu beheizen, nur um die Fliesen dann doch
gegen erlesenes Holz auszutauschen. Man könnte meinen, Ron wäre Chef einer
Einrichtungsfirma, und nicht Teilhaber des Zauberscherzeladens.
Harry fand
es unfassbar, wie sonst niemand einschlafen konnte. Aber er blinzelte
verstohlen in die Runde und glaubte, auch Hermine und Eric langweilten sich
tödlich.
Vorsichtshalber
stellte Harry das Bier auf den schiefen Tisch zurück und verschränkte die Arme
vor der Brust. Wenn er einnickte, kleckerte er sich wenigstens nicht voll.
Er musste
wieder eingedöst sein, denn das leise Klingen von Glas ließ ihn aufschrecken.
Es war vielleicht minimal dunkler geworden. Die Dämmerung setzte langsam ein.
Eric schlug mit dem Löffel gegen sein Glas, um die Aufmerksamkeit ihrer kleinen
Runde zu erlangen.
Gut, Harry
fand Eric ähnlich einschläfernd wie Ron. Er arbeitete wie Hermine in der
Abteilung für Muggelwesen. Da hatte sie ihn auch vor drei Jahren kennengelernt.
Zusammengekommen waren sie allerdings erst letztes Jahr. Scheinbar hatte das
konsequente Bitten und Betteln Erics endlich Eindruck auf Hermine gemacht. So
nahm Harry bitter an. So hatte er es auch Ginny gesagt, und direkt einen Schlag
auf die Schulter kassiert.
Er vergaß,
dass Eric um Aufmerksamkeit bat, und sein Blick fiel zufrieden auf seine
hübsche Frau. Ihr Bauch wölbte sich bereits unter ihrem hübschen blauen Kleid.
Die Haare trug sie hoch in einem Zopf, und die Sonne ließ ihre Haare leuchten
wie Feuer. Es tanzte immer ein Lächeln um ihren Mund, und Harry liebte sie so
abgöttisch, dass er es ihr jeden Abend vor dem Schlafen sagen musste. Sie
bemerkte seinen Blick, und fast verdrehte sie die Augen über ihn, denn wieder
hörte er dem Geschehen nicht zu. Mit ihrem Blick zwang sie ihn, Eric anzusehen.
Widerwillig
folgte er, lenkte seine fragwürdige Aufmerksamkeit auf Eric, der an seinem
Weinglas nestelte.
„-bedanke
mich, dass ihr mich in eure Gruppe aufgenommen habt“, begann der Braunhaarige
scheu, aber mit einem aufrichtigen Lächeln. Was kam jetzt, fragte sich Harry
bereits amüsiert. „Hermine und ich“, fuhr er fort, und Harry bemerkte den etwas
steinernen Ausdruck, den Hermines Gesicht angenommen hatte, „kennen uns seit
einer ganzen Weile, und…“ Hermines Hände ruhten in ihrem Schoß, und Harry würde
Gold darauf wetten, dass sie sich zu Fäusten geballt hatten. Eric fuhr
schüchtern fort. „… und ich würde unsere Beziehung auf die nächste Stufe heben,
wenn… wenn du damit einverstanden wärst?“
Absolut
verblüfft starrte Hermine ihren Freund an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
Alle
schwiegen. Aber es war diese gute Art von Schweigen, das einem Heiratsantrag
vorausging. Harry war wieder wach. Endlich ging es nicht mehr um Handwerker und
Rohre.
„Hermine?“
Ungelenk und angespannt erhob sich Eric aus dem Stuhl, und Hermine sah so aus,
als wolle er sie attackieren, und nicht vor ihr auf die Knie sinken – was er
übrigens tat. Wacklig stand er auf einem Knie vor ihr und klaubte eine schwarze
Samtschachtel aus seiner Hosentasche. Hermine starrte ihn immer noch an, wie
einen apokalyptischen Reiter. Harry musste fast laut lachen, aber Ginny schien
– wie immer – zu spüren, wenn nicht auf ihn zu zählen war, und ihr Blick ließ
selbst sein unschuldiges Grinsen verschwinden.
„Würdest
du… mir die Ehre erweisen und… und meine Frau werden?“ Und Harry konnte mit
Sicherheit behaupten – das war nicht abgesprochen. Aber sowas von nicht vorher
geklärt.
Hermines
Mund öffnete und schloss sich. Sie erinnerte ihn an die Karpfen auf dem
Wochenmarkt von Godric’s Hollow, bei denen er sich nie überwinden konnte, einen
auszuwählen, dem dann mit einem Holzscheid der Schädel eingeschlagen wurde, ehe
er hübsch in Packpapier verpackt wurde. Seine Gedankengänge waren nicht so
seltsam, denn Hermine sah ebenfalls so aus, als bekäme sie gleich den Schädel
eingeschlagen.
Harry rieb
sich die Schläfe. Vielleicht ging seine Fantasie auch mit ihm durch. Es war
immer noch zu heiß für Elfen-Weizen, entschied er müde.
Und alle
warteten gespannt auf Hermines Antwort. Harry registrierte, dass sie sich
umsah. Erwartete sie, dies wäre ein Spaß? Dass jemand hinter der Weinrebe
hervorsprang und behauptete, Eric wäre nur ein Witz? Ihr Blick wanderte über
die Grenzen des Biergartens hinaus, ihre Augen schienen nicht wirklich nach etwas
zu suchen, aber definitiv schien sie sich, ehe sie antwortete, zu vergewissern,
dass sie es ohne Bedenken auch konnte.
„Eric“,
erwiderte sie schließlich, ein wenig überrascht von sich selbst, aber Harry sah
sofort, dass sie nicht lächelte. „Es… es tut mir leid, aber…“ Und Ron hielt
sich gerade noch davon ab, verfrüht in die Hände zu klatschen. Und es folgte die
unangenehme Stille, wie nach einer schlechten Urteilsverkündung des
Ministeriumsgerichts. „Nein“, schloss Hermine tonlos und schüttelte sanft den
Kopf. Fast wirkten ihre Augen glasig.
Wankend
erhob sich Eric, schien tatsächlich mit einer anderen Antwort gerechnet zu
haben, und Harry kratzte sich am Hinterkopf. Armer Eric.
„Oh“, sagte
dieser merklich reservierter. „Dann…“ Er steckte die Schachtel zitternd in
seine Hosentasche zurück. „Ich… sollte gehen“, murmelte er beschämt, verließ
den Tisch, und die Runde verabschiedete ihn zurückhaltend und überfordert. Dann
ruhte der Blick aller auf Hermine.
Aber
Hermine hatte den Blick wieder stur in die Ferne gerichtet, die Hände auf dem
Schoß verschränkt, und seufzte leise auf. Ginny und Pansy überfluteten Hermine
mit belanglosen Fragen, und warum sie nicht Ja gesagt hatte. Auch Ron mischte
sich ein, erklärte, er mochte Eric. Er wäre unauffällig und nett.
Aber Harry
beteiligte sich nicht. Er erkannte seine beste Freundin seit Jahren nicht mehr.
Aber er hatte Hermine ohnehin nicht zugetraut, jemanden wie Eric tatsächlich zu
heiraten. Eric war…- er war…. Merlin, Harry wusste nicht einmal Erics Nachnamen.
Das war Eric. Unscheinbar, nett – Eric eben. Armer Eric. Auch Harrys Blick
richtete sich über den Biergarten auf die Felder hinaus.
Wen suchte
sie?
Aber… er
wusste doch, wen sie suchte. Das Ministerium suchte ihn übrigens auch. Seit fünf
Jahren war er verschwunden. Untergetaucht. Vielleicht in Nairobi, vielleicht in
Bolivien. Malfoys Akte las sich schwer und zäh, wie eine Biographie der Hölle.
Nachdem er
Verräter seiner eigenen Reihen geworden war, hunderte an Todessern auf dem
Gewissen hatte, war er untergetaucht. Das Ministerium legte seinen Finger
darauf, dass Malfoy bereits durch die Zauberstäbe seiner ehemaligen Verbündeten
getötet worden war.
Andere der
Abteilung verfolgten die Theorie, dass er versuchte, zurückzukehren. Harry
wusste nicht wirklich, was zwischen ihm und Hermine in der Schule damals
passiert war. Es hatte den Anschein gemacht, dass… Malfoy und Hermine damals
mehr gewesen waren, als auf den ersten Blick zu sehen war. Harry nahm auch an,
dass Hermine deshalb keine Beziehung geführt hatte. Auch nach dem Krieg. Dass
sie, so traurig das auch war, wartete. Auf was auch immer sie wartete. Was auch
immer sie hinter den Sträuchern des Biergartens suchte.
Vor einem
Jahr hatte sie Erics Bemühungen nachgegeben. Fast glaubte Harry, hatte sie
Mitleid mit ihm gehabt und das Warten endlich aufgegeben.
Jetzt hatte
sie seinen Heiratsantrag abgelehnt. Aber wenn er ehrlich war, dann hatte ihm
diese Beziehung mit ihr und Eric auch ernsthafte Bauchschmerzen bereitet. Er
wusste nicht, ob Beziehungen so sein mussten wie zwischen ihm und Ginny oder so
chaotisch wie zwischen Pansy und Ron, aber er hatte das Gefühl, sie alle hatten
etwas Echtes, wohingegen sich Hermine mit einem Trostpreis des Jahrmarktes
zufrieden hatte geben müssen. Als warte der Hauptgewinn in weiter Ferne.
Seltsam, dass sich Harry noch immer die Mühe machte, die Leute besser zu lesen,
besser zu verstehen.
Das war es,
was Severus ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Er nippte an seinem warmen Bier.
Wie lange würde sie warten?
~Eine
Woche später~
Wenn es
kam, dann meist gewaltig. Es hatte Schlagzeilen in jeder magischen Presse
gemacht. Was für ein Zufall es doch war, dachte Harry wieder, während er dazu
degradiert worden war, zu warten. Der Krieg war nicht spurlos an ihm
vorübergegangen, das tat er nur bei Helden in Büchern. Er konnte nicht
einwandfrei laufen, konnte nicht mit den anderen Auroren im Außendienst mithalten.
Er brauchte keinen Stock, Merlin bewahre, aber einige Flüche hatten ihn nicht
verfehlt, und einige Muskeln in seinem rechten Bein waren irreparabel
beschädigt. Damit eignete er sich nur für lokale Einsätze und natürlich –
Büroarbeit.
Und er
hasste es, zu warten. In der Normandie war es zum Großeinsatz sämtlicher
Auroren gekommen. Paris, Deutschland, Belgien, England – alles war abbeordert
worden. Die Insassen eines privaten Gefangenenlagers hatten durch eine geplante
Revolte die Felsen ihres Gefängnisses zum Einsturz gebracht.
Es handelte
sich um einen Fall der Selbstjustiz, die ehemalige Todesser vor einigen Jahren
praktiziert hatten. Flüchtige waren aufgegriffen worden – Freiheitskämpfer, wie
abtrünnige Todesser. Sie wurden in den Bergen eingesperrt, gefoltert, wohl
teilweise getötet und beerdigt, und es herrschte nun absolutes Chaos. Alleine
wegen der schaulustigen Muggel, die beruhigt werden mussten.
Es klopfte
an seine Tür. Hermine trat ein.
„Hey-“,
begrüßte sie ihn, aber die Neugierde brannte in ihrem Blick.
„-noch
keine Namen“, sagte er wieder, denn es war nicht das erste Mal heute, dass sie
den beschwerlichen Weg in den vierten Stock machte, um ihn zufällig zu
besuchen. Und dieses Mal gab sie sich nicht mal die Mühe, nicht zu verstehen,
was er damit meinte. Sie nickte knapp.
„Oh. Ok.“
Etwas unschlüssig und abwesend verharrte sie in seiner Tür. Die Kollegen hatten
ihm noch nicht Bescheid gegeben, ob englische Insassen unter den vermeintlichen
Gefangen residiert hatten, wenn man es so sagen wollte. Auch war die Zahl der
Toten noch nicht übermittelt, obwohl anzunehmen sein konnte, dass nicht alle
Gefangenen den Einsturz überlebt haben würden.
Aber… es
war ein Bauchgefühl. Vielleicht dasselbe Bauchgefühl, das auch Hermine
verspürte. Sie lächelte schließlich. Es war ein schmales Lächeln. Teilweise
verlegen, teilweise verzweifelt. Und es war das erste Mal seit Monaten, dass
sie lächelte, so kam es Harry vor.
„Ich…“,
begann sie unschlüssig, verschränkte ihre Finger ineinander, sah ihn wieder an,
und schien nicht zu wissen, ob sie sprechen sollte. Sie war so schüchtern
geworden, wie Harry sie früher nie gewohnt war. Sie sprach nicht mehr viel,
seit dem Krieg. Sie tat gar nicht mehr viel seit dem Krieg. Trauer schien sie
immer sanft zu umgeben, wie ein Regenschleier die Berge umgab. Sie lachte
selten, sie war nie ausgelassen. Es war, als wäre sie innerlich stehen
geblieben, in ständiger Sorge um etwas, dass Harry nicht fassen konnte. Und
dann sprach sie weiter. „Ich… komme später noch mal“, erklärte sie leise, als
wäre es ein unanständiges Geheimnis. Harry nickte.
Er rechnete
mit ihrer Wiederkehr. Zwar konnte er kaum fassen, dass Hermine tatsächlich… auf
Malfoy wartete, aber verrückterer Dinge sind auch schon geschehen, nahm er an.
Harry wagte
nicht, zu fragen. Tatsächlich zu fragen, ob sie glaubte, dass Malfoy in den
Trümmern gefunden würde.
Selbst
wenn, war nicht klar, ob er lebte, ob er ansprechbar war. Ob er nicht…
vollkommen entstellt oder mental absolut nicht mehr zu gebrauchen war. Und die
Chancen, dass überhaupt Engländer gefunden wurden, waren… gering.
Hermines
schmales Lächeln sagte ihm allerdings, dass sie auf diese geringe Chance bauen
würde.
„Bis
später“, verabschiedete sie sich. Merlin, Hermine taute auf. Harry hoffte nur,
dass die Enttäuschung darüber, wenn Malfoy nicht unter den Gefangenen war, kein
tieferes Loch aufriss, in das sie stürzen konnte. Sie war jetzt schon nicht
mehr sie selbst.
~*~
Als die
vage Nachricht die Runde gemacht hatte, dass tatsächlich englische Gefangene
nach Hause gebracht würden, war das Ministerium komplett aus dem Häuschen. Was,
wenn es Muggel wären, die wieder integriert werden müssten, aber Harry hielt es
für nahezu ausgeschlossen, dass Muggel überlebt hätten. Aber selbst
muggelgeborene, deren Familien das Gedächtnis gelöscht worden war, sorgten für
Panik unter den magischen Ämtern.
Und jetzt
standen bestimmt dreihundert Mitarbeiter des Ministerium im Atrium und warteten
auf die Rückkehr der Auroren, um die Kriegsgefangenen in Empfang zu nehmen, sie
unterzubringen, wenn nötig, zu versorgen, sie ins Mungo zu schaffen, Verwandte
aufzutreiben.
Es war eine
Aufgabe, nach der sich das Ministerium sehnte. Denn ohne Krieg passierte
erstaunlich wenig, hatte Harry festgestellt. Und ihm machte das überhaupt
nichts aus. Abgesehen von der Langeweile, die ihn umbrachte. Gut, Frieden war
ein zweischneidiges Schwert.
Tatsächlich
befanden sich mehrere Ehemalige in Gruppen in der Halle, darunter auch die
Malfoys, neben den Stouts und den Winters. Sie alle hatten ungelöste Fälle von
verlorenen Söhnen oder Töchtern zu verzeichnen. Hermine stand aufgelöst neben
ihm, während sie unablässig auf ihren Nägeln kaute und die Kamine wachsam im
Auge behielt.
Harry kam
es vor, wie das Warten auf eine Art verfrühten Weihnachtsmann.
Es blitzte
unpassend hell, während der Tagesprophet
wohl Probeaufnahmen über ihren Köpfen machte. Sechshundert Augen wandten sich
plötzlich in Richtung der Kamine, als diese grün aufloderten. Aber mit
verengten Augen stellte Harry lediglich fest, dass es Besucher waren.
Besucher…, die er kannte. Die Goyles sowie… Blaise Zabini und Vincent Crabbe.
Er hatte sie ewig nicht gesehen. Und so langsam nahm er mit wachsender
Nervosität an, dass tatsächlich eine höhere Chance bestand, dass Draco Malfoy
unter den Gefangenen war. Die Neuankömmlinge wirkte aufgeregt, nervös, fanden
die Malfoys, besprachen sich mit eiligen Stimmen, und Hermine neben ihm wurde
zappelig.
Aber bevor
sie seine Seite verlassen konnte, um tatsächlich zu der kleinen Gruppe an
Reinblütern zu marschieren, flackerten mehrere Kamine auf. Die Kameras wurden
in die Höhe gerissen, und als Harry seine Abteilung erkannte, die sich durch
die Flammen ins Atrium schob, brannte bereits das Blitzlicht auf. Die Reporter
bestürmten praktisch die Ankommenden, und Harry sah zunächst gar nichts mehr.
Überwiegend
schienen die Neuankömmlinge tatsächlich Auroren seiner Abteilung zu sein. Er
erkannte Peter und Greyson, Patrick, Will und Gerald, aber hinter ihnen wurde
er den anderen gewahr. Es waren eine Menge Leute. Er zählte bestimmt zehn
Fremde, wenn nicht fünfzehn. Alle gekleidet in den hübsch-hässlichen
One-Size-Fits-All Schutzuniformen des Ministeriums. Und Hermine drängte sich
ohne jede Rücksicht nach vorne.
Und bei
Gott…
Harrys Mund
öffnete sich. Er erkannte ihn. Die Schneise der Auroren teilte sich, erlaubte
ihm den Blick auf die Kriegsgefangenen, einige blutverschmiert oder leicht
verletzt, andere staubig und dreckverklebt, teilweise übermüdet und krankhaft
abgemagert, aber… er war sich sicher! Er erkannte ihn!
Die Malfoys
stürzten praktisch hervor. Mrs Malfoy schrie jammervoll auf, so dass die
Kameras wieder blitzten. Sie und Mr. Malfoy zerrten ihren Sohn aus der Masse an
Neuankömmlingen, zogen ihn in die Arme, schienen sich nicht an seiner
schmutzigen Gestalt zu stören, und trotz des Drecks leuchteten seine kurzen
Haare hell im künstlichen Licht des Atriums.
Er schien
der einzige zu sein, der als Vermisster einer Reinblutfamilie aufgetaucht war.
Die Stouts und die Winters suchten mit ihren Blicken die Kriegsgefangenen ab,
aber… ihre Kinder schienen nicht dabei zu sein. Aber Harrys Aufmerksamkeit
ruhte auf Malfoy, der die Umarmungen und vielen Worte seiner Eltern steif über
sich ergehen ließ. Seine ehemaligen Freunde redeten auf ihn ein, wieder
blitzten die Kameras, und Harry erkannte, dass Hermine nicht wagte, weiter
vorzugehen.
Sie
verblieb zwischen den Mitarbeitern und Schaulustigen, und die Aufmerksamkeit
widmete sich den übrigen Ankömmlingen, die überschwänglich in Empfang genommen
wurden.
Fast
enttäuscht verzog Harry den Mund. Sein Blick ruhte noch immer völlig
entgeistert auf Malfoy. Und dann machte dieser sich von seinen Eltern los,
reagierte nicht auf ihre Worte, ihre Fragen. Und Harry hatte das Gefühl, als
suche sein Blick die Menge an Leuten ab.
Malfoy
erschien ihm merklich wacher, merklich unverletzter und weniger geschädigt als
die anderen. Und unwillkürlich fragte er sich, wer die Revolte der Gefangenen
angeführt hatte. War es… Malfoy selbst gewesen?
Und er fing
seinen Blick auf. Harrys Herz blieb fast stehen. Es war so unwirklich. Malfoy
erkannte ihn. Als wären keine sieben Jahre vergangen. Auch durch den Dreck
erkannte Harry ihn. Er hatte ihn solange nicht gesehen.
Und dann
schob sich Malfoy achtlos durch die Menge, sein Blick beinahe manisch.
Und dann fand
er sie.
Er blieb
stehen. Immerhin war die Menge so aufmerksam, zur Seite auszuweichen. Harry
erkannte auch von hier, wie weit Hermines Augen waren. Erkannte, wie es ihr
zusetzte, dass er tatsächlich hier war. Sie hatte beide Hände ineinander
verschlungen und hielt sie angespannt vor ihrer Brust. Und als wäre ein
lautloses Signal gefallen, setzte sich Malfoy in Bewegung. Er bewegte sich so
schnell, und Hermines Hände fielen zu ihren Seiten. Harry stand praktisch auf
den Zehenspitzen, soweit seine Verletzung es zuließ.
Und es war,
als würden zwei Magneten zueinander finden. Langsam zuerst, aber Malfoy schloss
den Abstand. Und ohne ein Wort, ohne eine unnötige Erlaubnis, schlangen sich
seine Arme um sie, als… - als wäre es natürlich! Als wäre es immer so gewesen.
Harrys Mund öffnete sich perplex, als Hermine sich von Malfoy küssen ließ, als
sie ihre Arme um seinen Nacken schlang, von ihm vom Boden gerissen wurde, in
die Luft, und gänzlich überfordert schwieg das Ministerium, ob dieses Bildes.
Aber dann
tickte die Zeit weiter, wieder brandet das Blitzlicht auf, und Malfoy wurde mit
Fragen bestürmt. Hermine weinte. Und Hermine lachte. Aber sie ignorierten beide
die Kameras und die Reporter, schienen ineinander versunken, und immer wieder
zog Malfoy sie in seine Arme, und Harry sah, wie sich auch Malfoys Mundwinkel
hoben, wie plötzlich alle Anspannung von ihm fiel.
Als hätte
Hermine geahnt, dass er sie wiederfinden würde. Sie schien keinen Tag
gezweifelt zu haben. Letztendlich nicht. Sie hatte tatsächlich gewartet.
Merlin, was
für ein seltsamer Wink des Schicksals, dachte Harry, und konnte nicht
verhindern, dass ein Lächeln sein Gesicht erhellte.
– The End –