Kapitel

Kapitel 1 , Kapitel 2 , Kapitel 3 , Kapitel 4 , Kapitel 5 , Kapitel 6 , Kapitel 7 ,

Kapitel 8 , Kapitel 9 , Kapitel 10 , Kapitel 11 , Kapitel 12 , Kapitel 13 ,

Kapitel 14

 

 

Kapitel 1

Two Daughters

 

„Es war einmal ein reicher Fürst. Er besaß ein Schloss in den Bergen und eines an der See. Er hatte sich nicht entscheiden können, wo die Schönheit überwog. Er besaß alle guten Dinge, die ein Fürst besitzen könnte. Er war gütig, anständig und ein gerechter Herrscher. Er besaß aber auch schlechte Dinge, wie er sagte.

Zwei an der Zahl. Denn der Fürst hatte zwei Töchter. Es wurde ihm kein Sohn geschenkt und seine geliebte Frau starb bei der Geburt der zweiten unseligen Tochter.

Natürlich war er froh über den Kindersegen, allerdings bedeutete dies, neben seinen aufreibenden militärischen Aufgaben, dass er sich auch noch um die Heirat seiner beiden Töchter kümmern musste.

 

Aber er war unverzagt und plante der Zeit weit voraus. Die eine sollte einen Lord im Norden ehelichen, die zweite einen Königssohn im Westen, so dass er alle Grenzen in nächster Nähe mit Freundschaft bestärkte.

 

Aber der Fürst war – wie alle Männer – unwissend, ob der unwilligen Eigenschaften einer Frau. Seit jeher galt die Tradition, die ältere Tochter vor der jüngeren zu vermählen.

Es war der Wunsch seiner verstorbenen Frau gewesen und auch in anderen Adelshäusern wollte man nicht von dieser Tradition weichen. Denn womöglich fände die ältere Tochter niemals eine Partie, würde er die jüngere zuerst vergeben, und sie würde für immer an seiner Seite sitzen.

 

Der Fürst liebte seine Töchter, gewiss. Aber eine Tochter war kein geeigneter Erbe. Sollte ihm also nicht in einem Weidenkorb ein Sohn vor die Schwelle des Palastes gelegt werden, würde er seine Grafschaft regieren, bis er abdankte und starb. Hoffentlich allein, denn seine beiden Töchter sollten bis dahin verheiratet sein…“

 

„Du bist ein bitteres Geschöpf, Buffy. Ich dachte immer, Bitterkeit stellt sich erst nach der Hochzeitsnacht ein“, neckte sie ihre Zofe mit einem unanständigen Lächeln auf den jungen Zügen.

 

„Du müsstest es doch besser wissen, Anya?“ Buffy betrachtete sich in dem Silberspiegel, der an den Seiten so angelaufen war, dass man sein eigenes Spiegelbild schon kaum noch erkennen konnte. Und sie wusste, Anya war bei weitem freizügiger als sie es jemals sein würde. Jemals sein könnte!

 

„Wen erwarten wir denn heute?“, fragte Anya und zog unzufrieden an Buffys glatten Haaren und schien nicht willig, auf ihre Promiskuität einzugehen. Die Locken, die sie versuchte jeden Tag in ihre Haare zu bekommen, wollten auch heute nicht halten. Das hätte Buffy ihr auch vorher sagen können, so wie sie es jeden Tag versuchte. Ihre Haare waren widerspenstig wie es ihr Charakter war, sagte Anya stets.

 

„Oh… heute erwartet der Fürst einen besonderen Gast aus dem Süden Frankreichs“, erklärte sie und konnte den Spott nicht aus der Stimme verbannen. „Monsieur Liam le Comte“, lachte sie mit grauenhaftem französischem Akzent, für den ihr Lehrer sie wahrscheinlich einen Aufsatz hätte schreiben lassen.

 

„Ich glaube, ich sehe die Reiter in der Ferne, liebste Buffy“, erwiderte Anya als sie den Kopf in Richtung Fenster wandte. Buffy konnte nicht verhindern, ebenfalls nach draußen zu blicken. Es war immer einigermaßen aufregend, wenn ein junger Ehrenmann zu ihrem Schloss kam. „Buffy, ich glaube allerdings, dass die Geschichte noch weitergeht, nicht wahr?“, fügte Anya lächelnd hinzu und gab es auf, die Locken zum Halten zu bringen. Stattdessen kämmte sie ihre blonden Haare glatt nach unten, allerdings mit merkbarer Unlust. Anya sagte auch, Locken seien der erste Schritt der weiblichen Verführungen. Buffy musste sich also damit zufrieden geben, die Kunst der Verführung niemals zu beherrschen.

 

Sie musste darüber lächeln.

 

„Die Geschichte? Oh ja, richtig. Der Fürst hoffte mit jedem Bewerber, dass seine bucklige, ältere Tochter“, Anya unterbrach sie mit einem schallenden Lachen. Buffy wartete kurz. „…dass seine bucklige, ältere Tochter irgendwann das Glück haben würde, dass ein Ehrenmann sie aus seinen alten, faltigen Händen nehmen würde.“

 

„Oh, würde dein Vater deine Worte hören…“, prophezeite Anya leise. „Das gäbe Ball-Verbot“, flüsterte sie. Ball-Verbot war das schlimmste – für Anya. Für sie… sie war lieber draußen in den Wäldern, auf den Bäumen, sie jagte Füchse, schoss Rebhühner und hasste jedes bisschen Tüll an den prächtigen Kleidern, die nicht nur unbequem zu tragen waren, sondern glatte zweihundert Pfund wogen, müsste sie schätzen.

 

„Aber…“, fuhr sie dramatisch fort. „Aber es lag ein Fluch auf dem königlichen Anwesen!“, verkündete sie mit düsterer Stimme. Anya kicherte hinter ihren Haaren. „Der Fluch lag auf dem Haus, seit der Geburt der zweiten Tochter.“ Kurz hielt Buffy inne. Sie glaubte wirklich, dass es eine Art Fluch sein musste. Das wäre immerhin auch noch eine spannende Erklärung.

 

„Die zweite Tochter war also eine Hexe?“, fragte Anya und griff nach einem leichten Schal, um ihn sich über den Kopf zu werfen, wie ein Kopftuch. Dann humpelte sie durch das Turmzimmer, wie eine bucklige, alte Frau.


„Oh nein!“, widersprach Buffy und lächelte weit. „Du zweite Tochter war ein Engel. Sie war so schön, dass Ehrenmänner angereist kamen, um sie zu sehen, als sie lediglich zehn Jahre alt war.“ Anya zog sich das Tuch enttäuscht vom Kopf.

 

„Ich mag die Geschichte nicht mehr“, erklärte sie leise.


„Jedes Jahr, jeden Sommer kamen mehr Männer, um um die Hand der Königstochter jüngsten anzuhalten“, fuhr Buffy tragisch fort. Bei den Worten Königstochterjüngsten musste Anya sich auf die Lippe beißen, um nicht zu kichern.


„Aber der Fürst hielt seine Tradition: Die ältere Tochter vor der jüngeren. Jahre zogen ins Land, hunderte Prinzen kamen und gingen. Und so viele auch kamen, mit dem Versprechen, die ältere Tochter fortzunehmen, so verliebten sie sich in die jüngere Schwester.“ Sie ließ den Kopf tragisch auf die Brust sinken und stöhnte qualvoll auf und griff sich ans Herz.

 

„Mit was für einem Schicksal ich gesegnet bin!“, rief sie laut, so dass Anya sich kichernd die Hand vor den Mund halten musste. „Was für eine Schwester hat mir der Herrgott in all seiner Güte nur als Strafe auferlegt!" Anya stemmte die Hände in die Hüften.

 

„Ich schlage vor, wir verkaufen sie auf dem Markt, dann ist sie aus dem Rennen, meine Königin.“ Buffy musste ebenfalls schallend lachen. Vor allem bei dem herrlichen Gedanken ihre Schwester auf dem Markt anzubieten. Sie würden bestimmt ein gutes Geschäft machen.


„Ich muss gestehen, ich mag es, wenn die Ehrenmänner meine Schwester sehen und sich vor Verzückung in den teuren Wams machen, Anya. Das Gesicht meines Vaters ist mit gOld nicht zu bezahlen. Dawn und ich wetteten bereits, wann es ihm über sein wird und er aufgeben wird, mich vor ihr verheiraten zu wollen“, erklärte sie grinsend.


„Der Fürst seine Tradition aufgeben? Niemals, Buffy!“ Wahrscheinlich hatte Anya recht, aber sie wusste, ihr Vater wäre froh, zumindest eine Tochter endlich aus dem Schloss zu bekommen.

 

„Er wird aufgeben. Irgendwann wird er vielleicht aufgeben, sagt Dawn.“

 

„Und was denkt Ihr, liebliche Buffy?“, fragte Anya gespannt.


„Nun, ich glaube, er gibt auf, sobald die Hölle zufriert“, erklärte Buffy bitter, und Anyas Augen weiteten sich bei so viel Ketzertum.


„Und Dawn?“


„Sie glaubt, dass er sich beim nächsten Kandidaten erweichen lässt.“ Anya lachte wieder.


„Niemals. Der Fürst nicht. Dawn scheint noch jugendliches Vertrauen zu haben. Das hat der Fürst dir ja austreiben können, richtig?“ Buffy lächelte breit.


„Oh ja. Dawn wird noch lernen, dass Vater eben auch nur ein Mann ist. Alt und zäh. In jeder Hinsicht, auch in seinem Geiste.“

 

„Aber liebste Buffy…“, begann Anya ernst, „was ist, wenn der nächste Kandidat für euch kommen wird?“, flüsterte sie mit großen Augen.

 

Kurz sahen sich die beiden Frauen an.

 

Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus, so dass die Tauben auf der obersten Turmspitze verärgert mit den Flügeln schlugen.

 

Derweil erreichte der nächste Ehrenmann das Schloss des Verderbens. Das verfluchte Schloss, nur um sein tapferes Vorhaben, die ältere Schwester mitzunehmen, zu verwerfen, denn auch er würde sich unsterblich in die jüngere Schwester verlieben.

Denn so war es seit je her immer gewesen.

Nichts würde sich jemals ändern. Oder… doch?

 

 

~*~

 

 

„Warum seid Ihr so trist, Mylady?“ Tara zog die Falten des mitternachtsblauen Kleides zurecht, was anbetungswürdig um ihre Hüften fiel.

 

„Ich bin nicht trist. Ich denke nach“, erwiderte Dawn tonlos, versunken in ihren eigenen Anblick.

 

„F…freut Ihr euch nicht? Ihr seid doch immer froh und guter Dinge, wenn ein Empfang bevor steht?“ Tara klang ernsthaft besorgt. Dawn atmete langsam aus, wandte sich vom Spiegel ab und schritt wehmütig auf das weite Fenster zu.

 

„Weißt du, Tara, es ist jedes Mal dasselbe. Eigentlich sollte ich mich gar nicht freuen, denn… Buffy wird niemals heiraten. Und jedes Mal machen mir diese wunderbaren Männer Avancen und ich kann keine ernst nehmen. Es ist viel schwerer für mich, als für Buffy!“, erklärte sie und konnte den kindlichen Verdruss nicht kontrollieren.

 

„G…glaubt Ihr nicht, dass Buffy darunter leidet, dass die jungen Herren nur Augen für Euch haben? Und n…niemals für sie?“, fragte Tara vorsichtig, aber Dawn war nicht danach, Mitleid für ihre dumme Schwester zu empfinden.

 

„Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte Vater Buffy einfach im Schrank wegschließen. Dann hätte er keine Sorgen mehr.“ Tara sah ein wenig schockiert aus. Dawn betrachtete wieder ihre zarte Figur im Spiegel. Ihre Haut war reines Porzellan und ihre Züge so exquisit, dass sie es den Ehrenmännern nicht verdenken konnte, weshalb keiner von ihnen jemals Augen für ihre bemitleidenswerte Schwester haben würde.

 

Buffy war… so robust. Sie scherte sich nicht um ihre Haare und ließ sie ständig kurz schneiden. Sie fielen ihr nicht einmal mehr über das Dekolleté. Dauernd lief sie im Wald umher, jagte unschuldige Tiere mit Vater, und natürlich wollte kein Mann einen anderen Mann heiraten! Buffy wurde auch nicht jünger. Sie war schon zweiundzwanzig. Sie selber war siebzehn und im perfekten Alter für einen Prinzen, einen Lord, einen Ehrenmann, egal welcher Herkunft.

 

Sie wollte nicht länger im Schloss bleiben. Sie wollte Herrin ihres eigenen Reiches sein. Sie hatte bei Buffy den Verdacht, dass sie nur zu gerne Vaters Platz einnehmen wollte. Aber es war für eine Frau nicht vorgesehen. Und Dawn war anscheinend die einzige Fürstentochter hier, die damit sehr gut zurecht kam. Buffy hingegen… sie sträubte sich gegen alles.

 

Kein Wunder, dass sich kein armer Mann bereit erklärte, sie zu nehmen. Von der Sonne war Buffys Haut ständig gebräunt. Eine Schande. Sie sah aus, wie eine gewöhnliche Frau aus dem Dorf. Der Mann, der sich für eine Frau wie Buffy interessierte, der schien erst noch hinter den sieben Bergen hervor kriechen zu müssen.

 

„Glaubt Ihr, die Märchen sind wahr?“, fragte Dawn und betrachtete sich selber im Spiegel. „Das mit dem Frosch, der ein Prinz wird, wenn man ihn küsst? Das Märchen von der bösen Stiefmutter und den Zwergen im Wald?“ Tara überlegte kurz.


„M…märchen enthalten Wahrheiten, Mylady, a…aber ich glaub nicht, dass ein Frosch sich in einen Prinzen verwandeln kann. Nicht wahr?“

 

„Die Männer haben es mit solcher Leidenschaft erzählt“, schwärmte sie von den zwei Brüdern auf dem Markt, die dort Märchen für Brot verkauft hatten. „Ich glaube es schon“, fügte sie leise hinzu. Sie war nicht zu alt für Märchen. Sie wusste, Buffy hatte ihre eigenen Ansichten, aber sie hatte sich schon vor langer Zeit von ihrer Schwester abgewandt. Sie war nicht der geeignete Umgang.

 

Sie schien die Welt aus den Fugen heben zu wollen, weil sie sich den Traditionen nicht fügen wollte. Aber dass sie damit ihren Vater und ihre Schwester ins Unglück stürzte, das war ihrer unabhängigen, dummen Schwester egal.

Dass heute wieder ein ausgezeichneter Mann um ihre, Dawns, Hand anhalten würde, das scherte Buffy nicht, und dabei starb Dawn selber innerlich so viele schmerzliche Tode.

 

Sie hatte in ihrem Buch nieder geschrieben, auf wie vielen Schlössern sie bereits wohnen könnte. Wie viele perfekte Männer gekommen und gegangen waren. Sie hätte schon seit langer Zeit glücklich sein können. Sie hätte ihre Pflichten erfüllen können und ihrem Vater eine gute Tochter sein können. Würde sich Buffy besser präsentieren, dann wäre es vielleicht kein sinnloses Unterfangen.

 

Das, oder würde Vater endlich von der Tradition abweichen. Es wäre unglaublich! Dann könnte Dawn ihr Leben endlich leben, ohne von den stürmischen und unschicklichen Neigungen ihrer Schwester abhängig zu sein.

 

Wie oft lag sie nachts wach und wünschte sich nichts sehnlicher, als ein paar Jahre eher geboren worden zu sein. Nicht nur lebte sie mit der Bürde, dass ihre Mutter bei der Geburt gestorben war, nein, sie lebte auch unter dem Schatten ihrer unsäglichen Schwester, die niemals heiraten würde.

 

Dawn wollte nicht mehr die Tage zählen, die ins Land gingen, ehe sie sich endlich ihren eigenen Traum erfüllen konnte.

Sie weinte heiße Tränen, jede Nacht, wenn sie leise zu Gott betete, und ihm um Vergebung bat, weil sie ihre Schwester so sehr hasste, dass sie Buffy einen frühen Tod wünschte und nicht ihrer Mutter, die sie niemals hatte kennen lernen dürfen.

 

Und ihre verhasste Schwester sprach niemals von ihr. Niemals. Auch wenn Dawn sie unter Tränen bat, eine Geschichte von Mutter zu erzählen, dann lächelte ihre Schwester nur und wies sie an, zu Vater zu gehen und ihn zu bitten.

Aber Vater litt unter den Schmerzen des Verlustes und Dawn wusste, innerlich gab er ihr die Schuld, dass seine Frau nicht mehr lebte.

 

Dawn wollte nur fort aus dem Schloss. Fort von ihrem Vater und ihrer Schwester, die ihr beide stumme aber bitterste Vorwürfe machten. Sie wollte nicht Tag ein Tag aus, Männern vorgeführt werden, die alle bereit waren, ihr den Wunsch ihrer Flucht zu erfüllen, nur um allen Lebe Wohl zu sagen, weil sie eben nicht die erste sein durfte, die in den Bund der Ehe trat.

 

Und Vater verstand es nicht. Es gab keinen – keinen einzigen – Mann auf der Welt, der ihre Schwester, das Biest, heiraten würde! Keinen!

 

Und sie wurde bestraft dafür. Nicht Buffy, oh nein. Nicht Vaters heimlicher Liebling! Nein. Sie war diejenige, die die bittere Strafe tragen musste.

Sie hasste diesen Ort.

 

„Ich bitte Euch, so lächelt doch. U…um Eures Vaters Willen. Vielleicht habt Ihr Glück, und dieser Mann will Eure Schschwester heiraten“, versuchte Tara sie aufzumuntern. Dawn seufzte. Und dann zauberte sie ein Lächeln auf die blassen, königlichen Züge.

 

Ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichen würde, aber ein Lächeln, mit dem sie trotzdem sämtliche Herzen gewann. Sie überlegte, ob sie den Namen Monsieur Liam le Comte auch schon in ihr kleines Büchlein schreiben sollte, als weiteren Kandidaten, den sie leider nicht begleiten würde.

 

Sie würde es heute Abend nachholen. Mit einem dünnen Lächeln, verließ sie also ihr Gemach, um den Gast zu empfangen. Vielleicht sollte sie im Hintergrund bleiben, damit Buffy wenigstens den Hauch einer Chance hatte. Aber… selbst dann wäre es keine wahre Chance. Solange Dawn im selben Hause wohnte, wäre sie immer die erste Wahl. Sie war die Schöne. Ihre Schwester nur die Hässliche. Die Widerspenstige. Der Grund, warum Dawn ein so tristes Leben leben musste.

 

 

Kapitel 2

The Beauty

 

„Elizabeth Anne…“, flüsterte Liam le Comte leise, als er die Brücke zum Schloss passierte. Sein treuer Gefährte lächelte verstohlen.

 

„Ihr habt von den Gerüchten gehört, oder nicht? Ihre Schwester sei tausendmal schöner als sie?“ Liam verzog den Mund. Er gab nichts auf Gerüchte.


„Das ist mir gleich. Ich habe mein Wort gegeben, Elizabeth zur Frau zu nehmen. Die Pläne des Fürsten sind ausgereift, und es hilft Frankreich zu einer ausgezeichneten Verbindung zu England. Wenn es einen Krieg hinauszögert oder gar verhindern kann, dann ist das die Lösung, die ich vorziehe, Oz.“ Der Mann neben ihm atmete langsam aus.


„Mein Herr, Ihr seid ein wilder Romantiker“, beharrte er skeptisch. „Sie nennen Euch Angel, nicht wahr?“, deckte Oz den Spitznamen auf, den Liam sich wegen vielerlei guter Taten und Dienste im Dorfe seiner Heimat gemacht hatte, weil er die Armen beschenkte, den Kranken zur Gesundheit verhalf und geschworen hatte, nur aus wahrer Liebe zu heiraten. Aber nun lag ihm das wohl des Landes mehr am Herzen als sein eigenes. „Denkt Ihr wirklich Ihr könnt einer wahren, wunderschönen Dame widerstehen, die euer Herz im Sturm erobern wird?“

 

„Sie wird keinen Buckel haben, Oz. Ich nehme an, Elizabeth Anne steht der Schönheit ihrer Schwester in nichts nach. Und ihr Herz wird rein und wunderbar sein.“

 

„Vielleicht. Aber sie ist auch fünf Jahre älter“, fügte Oz berechnend hinzu. Das wusste Liam allerdings. Er war etwas in Sorge. Denn selten gab es den Fall, dass eine Tochter aus so gutem Hauses unverheiratet blieb. Aber er besänftigte seine Sorge, in dem er vehement den Kopf schüttelte.

 

„Das schert mich nicht. Sie wird eine gute Partie sein, egal, was die Gerüchte sagen.“

 

„Ich habt starkes Vertrauen. Ich schätze das. Aber ich wette mit Euch, Ihr werdet nicht die Schwester nehmen wollen, sondern die Schöne“, prophezeite sein oberflächlicher Diener siegessicher.

 

„Niemals. Außerdem… ist es nicht möglich. Die Ältere muss zuerst vermählt werden. Es ist ein sinnloses Unterfangen, wegen der Jüngeren anzureisen. Habt keine Sorge. Ich werde Elizabeth lieben und ehren. Ich werde sie mit mir nehmen, und wir werden noch diesen Monat heiraten“, schwärmte er wieder, denn er war mehr als willig, eine Frau zu finden und diese zu seiner Comtesse zu machen, wenn es nur dem Lande half.

„Madame Elizabeth Anne la Comtesse“, sagte er bedächtig. „Das ist wie eine Sinfonie in meinen Ohren, Oz“, fuhr er lächelnd fort.


„Meinetwegen. Aber wir werden sehen, wer Recht behält, mein Herr.“ Sie ritten stumm nebeneinander. „Madame Dawn Annabelle la Comtesse klingt nämlich genauso verlockend“, fügte er sehr leise hinzu, aber Liam hörte seine Worte dennoch.

 

Sie wurden vom Gesinde begeistert empfangen. Ihre Pferde wurden ihnen abgenommen und zum Putzen und Rasten weggeführt. Er war noch voller Tatendrang. Voller Energie und Verliebtheit. Zwar hatte er Elizabeth zuvor nicht gesehen, aber nichts konnte ihn von seinen Plänen abhalten.

 

Die Türen zum großen Saal öffneten sich. Die Eingangshalle war regelrecht mit Gold und Edelsteinen gepflastert. Es war doch unmöglich, dass ein solch reicher Fürst seine Töchter nicht mit Handkuss abgenommen bekam!

 

Und alle waren höflich, pünktlich und so edel an diesem Hof. Die Bediensteten sanken in tiefe Verbeugungen und er schritt federleicht weiter. In der Halle wartete der Fürst. Und er sah die Tochter bereits. Sein Herz schlug laut und schwer in seiner Brust. Sie war eine Augenweide! Seine Schritte wurden leichter und schneller. Je mehr er sah, umso schneller verliebte sich sein Herz.

 

Das musste der schönste Engel auf dieser Erde sein! Sie war das Abbild der heiligen Mutter, sie war das schönste Geschöpf, was jemals den Himmel verlassen hatte, und er würde sie sofort in seine Arme schließen! Ihre langen, dunklen Haare fielen ihr königlich über die Schultern. Goldene Spangen funkelten in der dunklen Pracht. Scheu hatte sie den Blick auf ihn gerichtet.

 

Oh süßer Engel! Auch noch schüchtern und bescheiden! Sie war ein Triumph, er würde sie anbeten und noch in dieser Woche zum Alter führen. Sie musste ihn wollen! Er war ein begehrter Junggeselle, und er war bereit, sich völlig für dieses Mädchen zu entsagen. Ihr Alter war ihr nicht anzusehen. Ihre Haut war so delikat, dass er sich danach verzehrte sie zu berühren, diese Seide unter seinen Fingern zu spüren.

 

Er wollte sie so unbedingt, dabei hatte er sie noch nicht aus der Nähe gesehen. Hastig überwand er die letzten Schritte. Er vergaß alle Höflichkeit. Die blauen Augen der zukünftigen Comtesse übertrafen jeden noch so strahlenden Edelstein. Er war gefangen, und er wollte niemals mehr in Freiheit sein, würde sie sich ihm verweigern.

 

Er liebte Elizabeth Anne of Summers. Und mochte ihre Schwester noch schöner sein! Er bezweifelte es, und – bei seiner Sohle! Es scherte ihn nicht!

 

Er fiel auf die Knie, ehe er es verhindern konnte.

 

Sein Diener sank neben seine Seite. Hatte er ihm gezeigt, dass er nicht auf törichte Gerüchte hereingefallen war! Oz würde sich hüten, ihn noch einmal anzuzweifeln.

 

„Das ist die Schwester“, flüsterte sein Diener, und schien das Lachen unterdrücken zu wollen.

 

Und die Welt brach in tausend Scherben! Was für ein grausamer Scherz! Es konnte nicht sein!

 

„Mein Herr“, sagte der Fürst ruhig, die Stimme beinahe vor Enttäuschung. „Meine Tochter wird in Kürze zu uns stoßen. Ich möchte Euch nun meine jüngste Tochter vorstellen. Dawn Annabelle“, endete er beherrscht. Liam hob den Blick zu der Schönheit, und hastig kam er auf die Füße.

 

Nein! Das konnte nicht sein!

 

„Ich heiße Euch willkommen, Monsieur Liam le Comte.“ Ihre Stimme. Sie sprach mit der Stimme einer Göttin. So wunderschön, dass er hätte weinen können, weil sie nicht sein seien sollte! Ungerechte Welt! Er wollte sofort sterben.


„Es ist mir eine Ehre. Eine sehr große Ehre“, fügte er heiser hinzu, ergriff die Hand der Schönen und hauchte einen Kuss voller Ehrfurcht und tiefer Liebe auf die samtene Haut. Gott, sie roch wie süße Pflaumen, wie Erdbeeren und reife Früchte. Und sie wäre niemals sein! Er wäre es nicht, der die reifen Früchte pflücken durfte!

 

„Da ist sie ja“, sagte der Fürst erleichtert. „Meine Tochter Elizabeth. Etwas spät“, fügte er eisig hinzu. Sein Blick richtete sich auf das zweite Mädchen.

 

Er glaubte, es gelang ihm nicht, teilnahmslos zu blicken. Das Mädchen trug ein schlichtes Kleid, die Bräune der Sonne auf den Wangen. Die Haare waren kurz, dünn, gelb und glanzlos. Keine Zier schmückte ihren Körper, weder an Händen, noch um den Hals. Ihr Gesicht barg kein Geheimnis, reizte nicht die tiefe Lust in seiner Seele. Im Vergleiche – nur im Vergleiche – erschien sie ihm wie eine… Dirne. Er reute diesen Gedanken nahezu sofort, denn natürlich war sie ehrbar. Und rein. Aber… ehrloses Schicksal!

 

Er wollte weinen, wandte den Blick noch einmal zurück zu der Schönheit vor sich und schritt dann zu der Frau, der er seine Hand versprochen hatte. Ihr Blick war schnippisch und nicht edel. Sie war nicht gezeichnet vom königlichen Blute. Nein, sie wirkte spöttisch, beinahe verschmitzt, ihre Hüften waren dünn und sie war kleiner als ihre wunderschöne Schwester.

 

Mylady“, sagte er leise und ergriff ihre Hand. Nicht ein Ring zierte ihre kurzen Finger. Die Nägel waren nicht in Form gebracht.

 

„Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen, Mylord. Die Reise war angenehm? Sind Sie geritten oder in der Kutsche gefahren?“ Er hob irritiert den Blick.


„Ich reite selber. Weshalb die Frage?“ Er sah wie der Fürst die Augen schloss.

 

„Nun, ich halte mehr von Männern, die selber reiten als von Männern, die sich bringen lassen. Es zeigt Stärke und Ausdauer, n’est-ce pas?“ Wieder ein spöttisches Lächeln auf den braunen Zügen. Ihre Augen schimmerten grün in der Sonne und waren nichts, verglichen mit den Saphiraugen ihrer Schwester.

 

Der Akzent war mit Wohlwollen als akzeptabel zu bezeichnen. „Sorgt Euch nicht, Mylord“, fuhr sie leiser fort, und ein Lächeln blitzte in ihren Augen. Er betrachtete das Gesicht der Frau, der er das Versprechen gegeben hatte, sie zu seiner Frau zu machen. Ihr Lächeln irritierte ihn. Ihre Zähne wirkten unnatürlich weiß. Es lag an dem dunkleren Teint, nahm er abwesend an. „Mein Vater wird Euch nicht den Kopf abreißen, wenn Ihr Euer Wort nicht halten könnt“, flüsterte sie. Er war schockiert über ihre Worte. „Wo Ihr Euch doch Hals über Kopf in meine Schwester verliebt habt“, fügte sie wissend hinzu. Woher konnte sie es ahnen?!

 

Der Fürst seufzte schwer. Liam wusste nicht recht mit den Worten umzugehen.

 

„Ich gab mein Wort“, flüsterte er aber mit schwerem Herzen.


„Ich lehne ab, wenn Ihr es wünscht.“ Und es kam ihm so vor, als wären die Worte einstudiert, als hätte sie diese Worte schon oft gesprochen. „Vater?“, wandte sie sich an den Fürsten. Auch er schien Enttäuschung im Blick zu haben, als er ihn betrachtete.

 

„Solltet Ihr Euren Sinn geändert haben, Monsieur le Comte, dann seid Ihr natürlich nicht mehr an Eure Worte gebunden.“ Sein Diener hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Wahrscheinlich, um nicht lauthals zu lachen. Liam würde ihn später maßregeln!

 

„Mein Fürst“, begann Liam, und er spürte die ehrlosen Tränen in seinen Augen. Er würde die schöne Blume nicht bekommen! „Ich werde mein Wort auf jeden Fall…“ Er konnte nicht weiter sprechen. Ja, er war ein Romantiker. Ohne Liebe wollte er keine Bindung eingehen. Ach, hätte er doch die andere zuerst gesehen. Er hätte sich schon abgefunden mit ihrer Schlichtheit.

 

Aber jetzt?

 

Er konnte nicht. Und er fühlte sich wie ein Scheusal. Ein widerliches Scheusal.

 

„Es tut mir Leid“, hauchte er voller Ernsthaftigkeit.

 

„Grämt euch nicht“, sagte die ältere Schwester, und es klang wie purer Spott. „Ich hatte nichts anderes erwartet, nicht wahr, Schwester?“ Sie wandte sich mit einem halbherzigen Knicks ab, wobei ihre Schwester in tiefster Demut in eine so tiefe Verbeugung fiel, dass er hätte weinen können.

 

Sie war ein Engel.

 

„Verzeiht meine Gefühle, Mademoiselle“, entschuldigte er sich bei Dawn, der Rose, ehe er sich aufhalten konnte.

 

„Es gibt nichts zu verzeihen. Ihr könnt es nicht ändern. Und ich vergebe Euch gern.“ Ihre Worte waren so tapfer, so aufrichtig, und glaubte er eine Träne in den Augen der jüngeren erkennen zu können? Er war verliebt. Er wollte sie immer noch heiraten. Und verflucht sei sein Diener, der ihn zuvor verhext hatte, mit den giftigen Worten.

 

Ohne Dawn Annabelle wollte er nicht mehr sein.

 

„Seid unser Gast und ruht Euch aus. Die Reise war weit und es tut mir Leid, dass Ihr Sie erfolglos angetreten habt.“ Der Fürst klang bitter und gebot ihm, ihm zu folgen. An Hunger oder Schlaf war nicht mehr zu denken. Keine Sekunde länger wollte er an einem Ort verbringen, mit der Liebe seines Lebens, wenn er diesen Ort ohne sie verlassen musste.

 

„Ich kann nicht bleiben“, erwiderte er leidend.

 

„Ich bitte Euch, reist nicht sofort wieder ab. Ihr könntet… meine Tochter näher kennen lernen.“ Liam wusste, er sprach von der älteren Tochter. „Sie ist… eine wunderbare Partie, eine ausgezeichnete Braut. Sie spricht vier Sprachen, beherrscht die Kunst des Reitens und der Jagd. Sie erfreut sich exzellenter Gesundheit und würde eine liebevolle und unterwürfige Frau an Eurer Seite sein“, fuhr er fort.

 

Aber Liam wollte nichts davon hören.

 

„Ich bleibe eine Nacht mit meinem Gefolge. Ich bin zutiefst beschämt über meine Gefühle, Mein Fürst. Ich hoffe, Ihr könnt mir vergeben, so wie es Eure wunderschönen Tochter Dawn getan hat“, bat er leise. Der Fürst seufzte erneut.


„Gewiss, mein Herr. Gewiss…“

 

 

~*~

 

 

„Wie geht es deinem Rücken?“, fragte William und warf einen Stein in den ruhigen See. Die glatte Oberfläche warf hundert Ringe und der Stein sank tief in das Wasser hinab.

 

„Gut“, gab Liam gebrochen zurück. Er hatte einen drei-Tage-Ritt hinter sich gebracht, nachdem er es nicht über sich gebracht hatte, im Anwesen des Fürsten zu bleiben, bei einer Frau, die er nicht heiraten konnte. Jetzt war er zu Besuch bei seinem Freund. Sie waren auch verwandt, aber so konfus über viele Umwege, dass er es nicht zu rekonstruieren vermochte. Er war ein Cousin zweiten Grades. Vielleicht, zumindest.


„Sie ist nur ein Mädchen“, erwiderte sein Freund eisig. „Nichts weiter. Es gibt tausende von denen. Nimm dir einfach eine andere“, fuhr er fort und warf den nächsten Stein.


„Nein, sie ist nicht irgendein Mädchen, Spike. Sie ist das schönste Mädchen. Sie ist die eine. Würde doch ihre Schwester heiraten. Dann könnte ich Dawn zu mir nehmen“, schwärmte er bitter.

 

„Charmant von dir“, lachte sein Freund. „Wie hässlich ist ihre Schwester?“ Takt gehörte nicht zu Williams Stärken. Wenige Tugenden gehörten zu Williams Stärken, aber Liam war es müßig, ihn zu berichtigen. Er ignorierte seine Worte stattdessen.

 

„Willst du sie nicht nehmen?“, fragte Liam seinen Freund hoffnungsvoll.

 

„Ich? Heiraten? Und dann auch noch ein Schreckgespenst? Nein, danke. Das Leben als Junggeselle erscheint mir verlockender zu sein.“

 

„Sie kommt mit viel Geld.“

 

„Oh ja, das ist es, was ich noch brauche. Mehr Geld. Ich dachte, es ging dir darum, den Pakt mit England zu schließen? Nicht um Oberflächlichkeiten?“ William lächelte ein kühles Lächeln.

 

„Du musst gerade reden. Du nimmst doch nur die schönsten Frauen, sei es auch nur für eine Nacht!“ Jetzt warf er selber zornig einen Stein in das dunkle Wasser und konnte nicht fassen, dass er Dawn hatte zurück lassen müssen.

 

„Hör zu, wenn du den Frieden mit England sichern willst, kannst du gerne mich zur Frau nehmen, mein Freund“, schlug William vor und lachte rau.

 

„Du bist wirklich zu witzig für mich, Spike. Am besten verschwindest du.“

 

„Bleibst du jetzt für immer traurig und verwirrt, Angel? Was soll nur aus dir werden? Ein Herrscher, der vor Liebeskummer vergeht? Es ist doch unglaublich simpel. Besorg dir einen Mann, der die hässliche Schwester heiratet und dein Weg ist frei.“ Liam hob den Blick.

 

„Einen Mann für die Schwester? Ausgezeichneter Plan, aber wer sollte sie nehmen? Es findet sich anscheinend keiner!“

 

„Er darf natürlich deine Schönheit nicht vorher sehen“, erwiderte William lächelnd. „Vielleicht vergreife ich mich für eine Nacht an deiner Prinzessin“, fuhr er grinsend fort. Sofort war Liam auf den Beinen und ehe er sich versah, was er tat, hatte er die Hände in Williams Kragen gekrallt.


„Wage es, und ich werde dich einen Kopf kürzer machen lassen!“, knurrte er voller Hass und Eifersucht.

 

„Gemach… mein Freund. Ich habe nicht vor, irgendwelche Mädchen zu verführen. Jedenfalls keine aus England. Sie sind so… wankelmütig.“

 

„Das sagst du? Was hält dein Vater eigentlich von deiner Gesinnung, auf ewig Junggeselle zu bleiben?“ William lächelte wieder.

 

„Nicht viel. Aber… er wird sich damit abfinden können.“

 

„Wieso schaust du dir die Schwester nicht an? Vielleicht gefällt sie dir“, versuchte es Liam erneut.


„Angel… mein lieber Angel. Keine Frau auf dieser Welt wird es schaffen, mich einnehmen zu können. Ich bin eine unbezwingbare Festung. Frauen sind dumm, unbelesen, unerfahren und absolut ungeeignet, wenn sie in einem kleinen Schloss aufgewachsen sind. Die wahren Frauen sind die Frauen aus der Schenke, aus dem Dorf, dem Freudenhaus. Sie sind zwar noch dümmer, aber dafür nicht so weltfremd und wohlerzogen. Was will ich mit einer Puppe aus Porzellan, wenn ich das begehrteste Mädchen der Stadt haben kann?“, fragte er und Liam widerte es an, wie sein Freund sprach.


„Irgendwann wirst du einsehen, dass das sinnliche Verlangen abgelöst wird, von der Liebe zu einer Frau, die sich nur dir hingeben wird.“

 

„Diese Hingabe von der du sprichst, scheint mir langweilig zu sein. Und Langeweile ist nichts für mich….“ William warf grinsend den nächsten Stein in den akribisch sauber angelegten See der Parkanlage.

 

„Immerhin hatte ich so noch ein wenig länger Freude an dir“, sagte William schließlich. „Ich werde heute Abend noch abreisen. Vater wartet auf mich in der Lordschaft vor Harlow. Winziger Ort. Sein Jagdfieber ist ermüdend, aber es hält mich aus den Wirtschaften fern, wie er sagt“, fuhr er zwinkernd vor. Liam fand Williams Leben nicht erstrebenswert. Und er konnte nicht verstehen, wie er seinem Vater so viele Steine in den Weg legen konnte.

 

Immerhin war William der einzige Erbe und Nachfahre von zehn Grafschaften. Und er weigerte sich tatsächlich eine Frau zu nehmen. Sein Besitz würde verkommen, und die Bauernaufstände würden es in Fetzen reißen, wenn der Tag des Aufstands kommen würde. Und es gab ständig Bauernaufstände.

 

Liam schüttelte traurig den Kopf. Er ging bereits eine mentale List durch, welcher Mann wohl in Frage käme, ihm die arme – aber leidige – Schwester aus dem Weg zu räumen.

 

 

Kapitel 3

Of Hounds and Men

 

„Dawn, ich bitte dich!“, rief sie gereizt. „Kein Märchen beginnt damit, dass die Königstochterjüngste sich ihre hübschen Augen aus dem Kopfe weint!“, ärgerte sie ihre Schwester. Im inneren des Zimmers hörte sie Dawn schluchzen.


„Ich werde weinen, bis meine Augen blind sind und ich nicht noch einen wunderbaren Mann ziehen lassen muss!“, schrie sie zornig. „Und ich bin keine Königstochter!“, fügte sie schluchzend hinzu.


„Du bist siebzehn“, erwiderte Buffy gereizt. „Es werden noch mehr kommen. Wenn du Glück hast, werde ich bei der nächsten Jagd von einem Bären gefressen und du kannst dein sinnloses Dasein wieder damit verbringen, dich hübsch zu machen, damit dich irgendein Trottel, der nichts von deinem Gehirn wissen will, kommt, um dich zu seinem kleinen Frauchen zu machen.“

 

Die Tür flog auf und ihre Schwester starrte voller Hass zu ihr hinab.

 

„Du verstehst es nicht, oder? Du wirst niemals von einem Bären gefressen werden, Buffy! Niemals wird es irgendein männliches Wesen – ob Mensch oder Tier – wagen, in deine Nähe zu kommen! Und deswegen bin ich gestraft mit der Tatsache, dass ich – genau wie du – als alter Jungfer enden muss, weil mich meine Schwester so sehr hasst, dass sie keinen der Männer heiraten will!“

 

„Dawn, ich habe ihn begrüßt oder nicht? Ich habe doch gesehen, dass ich völlig überflüssig war!“, gab Buffy gereizt zurück.

 

„Du legst es doch regelrecht darauf an, Buffy! Du trägst Vaters alte Reithosen. Du schneidest deine Haare. Deine Kleider sind Kleider, die nicht einmal die Zofen anziehen würden. Du willst doch gar nicht heiraten. Du willst diesen Ort hier nicht verlassen. Und in all deiner Arroganz siehst du nicht einmal, dass du hier nicht mehr willkommen bist!“ Die Tür flog wieder zu.

 

Buffy atmete aus. Ihre Schwester war… so oberflächlich. Sie war sich nicht sicher, ob Dawn jemals begreifen würde, dass eine gute Partie nicht alles war.

 

Heute würde sie mit Vater jagen gehen. Und vielleicht konnte sie dann die Worte ihrer Schwester vergessen und als das sehen, was sie waren: Dummes Geschwätz eines Kindes. Denn nichts weiter war Dawn. Zwar war sie verwöhnt und selbstgerecht, weil die dummen Männer dieser Welt nichts weiter sahen als das hübsche Gesicht und den weiblichen Körper ihrer Schwester, aber das änderte nichts an der Tatsache.

 

Männer waren aus Erde gemacht. Aus Dreck und Schmutz. Würde endlich ein Mann kommen, der aus einem anderen Material gefertigt war, dann würde er vielleicht andere Dinge ins Auge fassen. Aber Buffy bezweifelte es. Monsieur le Comte war nur ein anderer Schönling gewesen. Ohne Verstand. Und ohne die Kraft über die vergängliche Schönheit hinaus zu sehen.

 

Buffy nahm es ihm nicht übel. Der Schmerz war abgestumpft, die Eifersucht auf ihre Schwester verebbt. Was übrig geblieben war, war eine glänzende Schicht aus Spott und Hohn, aus traurigen Erfahrungen und bitteren Späßen.

 

Ihr Spott vertrieb die Ungeliebtheit.

 

„Hier bist du. Bereit, ein paar Füchsen Angst einzujagen? Sie haben schon wieder die Fasane auf den Feldern gerissen“, verkündete ihr Vater bitter. In seinen Augen stand keine Enttäuschung. Sie erkannte nur die Vorfreude auf die Jagd. Dawn hatte Unrecht. Sie war hier nicht unwillkommen. Ihr Vater liebte sie aufrichtig. Sie war es ja auch nicht gewesen, die ihre liebe Mutter umgebracht hatte.

 

Sie streckte den Rücken durch.


„Gerne. Ich kann die Füchse sowieso nicht ausstehen, Vater.“

 

Draußen wartete ihr Wallach Hamlet. Er hatte dunkelbraunes Fell. Er war bildschön, und er wartete schon ungeduldig. Seine Hufe scharten über den Kies, und er warf den schönen Kopf nach hinten. Seine Mähne flog durch den Wind und Buffy saß nur zu gerne um auf seinem starken Rücken.

 

Er war das schönste Pferd des ganzen Fürstentums, fand sie. Vater hatte es ihr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt. Mittlerweile hatte er das perfekte Alter erreicht und seine Eigenarten abgeschüttelt. Er war gehorsam und eifrig bei der Jagd.

 

Buffy hatte das Gefühl, ihr Pferd war genauso wie sie. Wild und stürmisch. Unbezwingbar und unabhängig. Ihr Vater ritt auf seinem Apfelschimmel, der etwas langsamer war. Aber er war auch schon neun Jahre alt und schon nicht mehr für die Jagd geeignet, nach der angebrochenen Fessel, die der Pferdearzt hatte heilen können.

 

Ein Bediensteter brachte ihnen schnell die Reitsachen, die fehlten. Das war der Helm. Buffy hatte ihre Haare zu einem Zopf nach hinten geflochten, damit sie beim Reiten nicht im Weg sein würden. Sie zog den Gurt um ihr Kinn straff, dass er nicht rutschen würde. Nun sah sie fast aus wie ein Mann, fand sie immer.

 

Der Jagdhund, den ihr Vater bevorzugte, begleitete sie ebenfalls. Der Diener band ihn los und Buffy streichelte ihm über das glatte Fell. Der Hund hechelte fröhlich und schien es auch kaum noch erwarten zu können.

 

„Na, Jester? Aufgeregt?“ Es war auch ihr Lieblingshund. Sie hatte ihm den Namen gegeben als er noch winzig klein gewesen war. Ihr fiel wieder ein, dass Dawn ihn nicht leiden konnte. Aber Dawn mochte Hunde sowieso nicht leiden. Sie mochte überhaupt kein Tier.

 

Ihr Vater schenkte ihr noch ein Lächeln, ehe er aufsaß.

 

„Auf!“, rief ihr Vater und trat dem Schimmel in die Seiten. Buffy tat es ihm gleich und beide Reiter preschten über den Kiesweg in Richtung Wald.

 

Mit dem Wind in den Haaren und der guten Laune im Gesicht, fiel es ihr leichter, ihre Schwester zu verdrängen. Wer konnte schon an dieses Mädchengewäsch denken, wenn er im Galopp durch die dichten Wälder ritt? Sie war einmal gestürzt. Ihr Schlüsselbein war gebrochen gewesen, und ihr Vater hatte so große Angst gehabt, dass er nicht eine Nacht von ihrem Bett gewichen war.

 

Sie erinnerte sich noch, wie sauer Dawn damals gewesen war.

 

Sie hatte ihr vorgeworfen, dass sie die gesamte Aufmerksamkeit bekäme. Und dass Dawn sich nicht extra ihre Knochen brechen würde, damit Vater bemerkte, wie viel besser sie als Tochter und Braut doch geeignet war.

 

Schon wieder dachte sie über Dawn nach!

 

Vielleicht war der Ritt doch nicht so entspannend.

 

Sie preschten noch bestimmt mehrere Meilen wortlos nebeneinander durch die Wälder. Dann schlug Jester plötzlich an. Scharf bog er um die nächste Biegung. Sie und ihr Vater folgten ihm eilig. Ihr Vater trug beide Gewehre über der Schulter. Sie ritt ungerne mit der Last im Rücken. Aber sie hatte ihm nie gesagt, dass er sie tragen sollte.

 

Er tat es wohl aus Höflichkeit.

 

Dann blieb der Hund stehen, die Schnauze dicht überm Boden. Hastig schnüffelte er durch die Blätter, hob den Kopf, senkte die Nase wieder zurück auf den Boden.

 

„Vielleicht hat er sich geirrt“, vermutete sie und strich sich eine einzelne Strähne aus dem Gesicht. Der Reiterhelm war immer noch etwas unbequem.

 

„Er wird auch nicht jünger“, erwiderte ihr Vater jetzt. Buffy reagierte sofort und ärgerte sich darüber.

 

„Auch?“, fragte sie mit erhobener Braue. Ihr Vater wandte sich im Sattel zu ihr um. Kurz schien er nicht zu verstehen, dann klärte sich der Blick in seinen Augen.

 

„Nicht wie du, Liebes. Ich sprach nur von der Tatsache.“ Aber Buffy war nicht zufrieden. Natürlich meinte ihr Vater nicht sie. Eigentlich war es ihr auch egal.

 

„Das heißt nicht, dass er ein schlechter Jagdhund ist“, verteidigte sie den Hund, obwohl sie sich nicht ganz sicher war, worauf sie hinaus wollte.

 

„Nein. Das habe ich auch nicht…“, Er unterbrach sich und nahm die Zügel enger. „Buffy, du bist keine schlechte Tochter. Ich möchte nicht darüber sprechen, das Thema hat sich jetzt erledigt, hast du gehört?“, fuhr er streng fort, und sie biss sich auf die Lippe.

 

Er wollte nicht darüber sprechen? Wenn er sagte, sie sei keine schlechte Tochter, was gab es dann noch zu besprechen? Sie fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wohl. Der Hund bellte plötzlich aufgeregt und begann wie toll nach vorne zu stürmen. Ihr Vater folgte sofort, sie brauchte noch eine Sekunde, ehe sie bereit dazu war.

 

Sie rauschten zwischen den Bäumen hindurch, und alles verlor sich in einem Licht aus grün und braun. Dann hörte sie mehr Gebell. Ein zweiter Hund. Und ein dritter. Sie zügelte ihren Hengst und sah schließlich ihren Vater an der nächsten Lichtung, wie er abwartend Ausschau hielt. Sie schloss zu ihm auf, und er kratzte sich am Kopf.

 

„Wir sind wohl nicht alleine unterwegs. Dabei ist die Grafschaft für die Dorfpächter nicht zugänglich“, fuhr er ärgerlich fort. Sie wusste darauf nichts zu sagen. Vielleicht waren es andere Titelträger. Es gab einige, die dieses Waldstück betreten durften, für die Durchreise oder zur Jagdsaison.

 

Dann sah sie die beiden Hunde. Zuerst dachte sie, sie würden Jester angreifen, aber anscheinend gab es keine Streitereien unter den Tieren, denn der fremde schwarze Hund sprang freudig an Jester in die Höhe, und ihr Hund bellte laut vor Aufregung.

 

Den Fuchs konnten sie wohl vergessen, denn jetzt war ihr Hund abgelenkt. Der andere Hund blieb zurück und wandte sich um. Er war schneeweiß und von einer Rasse, die Buffy nicht bekannt vorkam. Dann kam der Herr dieser Tiere. Und es waren anscheinend auch zwei Reiter.

 

Sie ritt näher zu ihrem Vater.

 

„Wer seid Ihr?“, rief Ihr Vater herrisch herüber, und der Mann auf dem schwarzen Pferd kam näher getrabt.


„Verzeiht, dieses Waldstück erschien mir verlassen und gut geeignet für die Jagd. Rupert Giles, Lord of Lewisham-Wandsworth…“ Kurz schien er nachzudenken. „Und Lord der anderen Ortschaften in der nächsten Nähe“, fügte er lächelnd hinzu. Anscheinend war er ihrem Vater bekannt.


„Lord Giles, sicher. Ich habe von Ihrer Glanzleistung im House of Lords Kenntnis genommen. Beachtliche Leistung den Etat der Lordschaften zu kürzen, um die Armeen mit Waffen aufzustocken. Waghalsig.“ Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater die Entscheidung für gut hieß.

 

„Mein Fürst, die anderen Grafschaften sollten euch keine Sorgen bereiten.“ Natürlich kannte er ihren Vater. Es gab keinen Herzog oder Grafen, keinen Ehrenmann, der ihn nicht kannte. Ihr Vater stammte auch vom königlichen Geschlecht ab. Es war unmöglich, ihn nicht zu kennen.

 

„Ich habe keine Sorgen, Lord Giles. Hattet Ihr Erfolg auf Eurer Jagd?“


„Nein, mein Sohn und ich reiten seit einer Weile erfolglos. Dabei sind die Füchse in diesem Jahr erstaunlich verbreitet“, fuhr er bedrückt fort.

 

„Die Jungtiere haben den Winter gut überstanden“, erklärte Buffy, die davon ausging. Denn der Winter war nicht zu kalt gewesen. Der fremde Lord hatte die Augen verengt.

 

„Verzeiht mein Missverständnis, Mylady.“ Auf seinem Pferd sitzend deutete er eine Verbeugung an. Ihr Vater warf ihr einen knappen Blick zu. Natürlich gehörte es sich nicht, dass sie unaufgefordert sprach.

 

„Meine Tochter hat Recht. Die Füchse hatten ein leichtes Jahr. Und jetzt verschandeln sie mir meinen Wald und die Fasanzucht“, fuhr er fort.

 

„Es ist mir eine Ehre, Eure Tochter zu treffen. Wir hatten noch nicht die Ehre einer Einladung, nicht wahr?“ Ihr Vater nickte.

 

„Sei es dann! Ihr seid herzlich Willkommen in unserem Haus, wann immer Ihr in der Gegend seid, Lord Giles.“ Der Fremde lächelte.

 

„Ich danke Euch. Ich reite mit meinem Sohn. William“, herrschte er diesen knapp an, und der Mann im Hintergrund, kam gehorsam näher. Der hatte gewartet, bis sein Vater ihn vorgestellt hatte. Buffy konnte solche Menschen nicht leiden. Sie hatte gerne eine eigene Meinung und eine eigene Stimme.

 

„Duke of Summers, Mylady“, begrüßte er sie und ihren Vater ebenfalls mit dem Neigen seines Kopfes. Sie glaubte weiße Haare unter seinem Reiterhelm erkennen zu können. Aber vielleicht spielte ihr die untergehende Sonne einen Streich. „Eine Frau in Männerhosen“, sagte er plötzlich. Sie sah, wie sich ihr Vater gerade in den Sattel setzte.

 

Der Vater des Mannes schien kurz davor zu sein, ihn mit der Gerte zu verprügeln, kam es Buffy vor.

 

„Mein Sohn beliebt zu scherzen“, erklärte er eisig.

 

„Nein, es ist ungewöhnlich. Euer Sohn hat völlig Recht. Aber da mir das Recht auf einen männlichen Nachfolger verwehrt wurde, musste meine Buffy herhalten, nicht wahr, Liebes?“, fügte er hinzu und schenkte ihr einen warmen Blick.

 

Ja, sie musste für den Sohn herhalten, den ihr Vater nicht hatte. Und sie hätte es lieber, wenn er ihren Kosenamen jetzt nicht gesagt hätte. Der junge Mann schien das Grinsen nämlich nicht zurückhalten zu können.

 

„Sagt, warum machen wir keine gemeinsame Jagd? Die Hunde taugen heute wohl nichts mehr. Die dummen Tiere lassen sich zu leicht ablenken. Der Tag ist zu schön, um wieder nach Hause zu reiten“, schlug ihr Vater vor. Lord Giles nickte strahlend.


„Mein Fürst, eine wunderbare Idee. Acht Augen sehen mehr als vier, sage ich.“

 

„Abgemacht. Buffy, du kannst mit Lords Giles‘ Sohn die Nachhut bilden“, befahl er mit einem knappen Zwinkern. Buffy hatte den schlimmen Eindruck, dass ihr Vater gerade versuchte, sie alleine mit dem fremden Mann hinterher reiten zu lassen.

 

Der Sohn sagte dazu gar nichts, sondern befolgte den Befehl. Die beiden Männer ritten vorweg. Aber an Jagd war nicht zu denken, denn ihr Vater begann schon wieder über die Infanterie zu sprechen.

 

„Buffy“, wiederholte der Mann neben ihr langsam den Namen, als wolle er ihn sich merken. Er sah sie an, aber sie blickte stur nach vorne.

 

„Mein Name ist Elizabeth Anne, und ich würde es begrüßen, wenn Ihr ihn verwendet, Mylord.“ Sie begnügte sich mit den einfachsten Formen der Höflichkeit. Sie waren hier auf der Jagd, nicht auf einem Ball. Am liebsten hätte sie ihren Vater gemaßregelt, gefälligst nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren. Anscheinend ritten sie jetzt nämlich nur noch spazieren.

 

„Ihr wohnt auf Schloss Farington, richtig?“, fragte er, ohne auf ihre Worte eingegangen zu sein. Sie wusste nicht, ob sie antworten sollte. Dass sie mit einem Mann gesprochen hatte, außerhalb des Schlosses, ohne dass das Thema gebrochene Eheversprechen waren, kannte sie so nicht.

 

„Ja?“, erwiderte sie also etwa ratlos. Es war seltsam. Sie hatte sowieso noch nie einen Mann ihres Alters kennengelernt, wenn Dawn nicht dabei war. Die meisten Männer gafften dann ihre Schwester an. Dann war es leichter, mit ihnen zu sprechen, denn… nun, keiner sprach dann mehr mit ihr.

 

„Der Besitz ist riesig, wie ich höre.“ Von wem hörte er sowas wohl? Sie nickte nur. „Wisst Ihr die genauen Hektar?“, fragte er weiter, anscheinend bestrebt, sinnlose Konversation zu betreiben.


„Nein, Mylord. Vielleicht solltet Ihr meinen Vater fragen“, schlug sie vor und strich ihrem Hengst beruhigend über die Flanke. Er war genauso nervös, denn er wollte galoppieren. Und sie wollte am liebsten auch ziemlich schnell verschwinden.

 

Der Mann neben ihr lachte plötzlich. „Eloquent“, sagte er anerkennend und sie sah ihn an.

 

„Eloquent? Soll mir das sagen, dass meine Antwort unhöflich war?“, fragte sie verwirrt und sehnte sich nach den Minuten des Tages zurück, an dem sie mit ihrem Vater still und einvernehmlich geritten war. Natürlich bevor dieses seltsame Gespräch über ihr Alter auf den Tisch gekommen war. Sie war schlecht gelaunt, stellte sie betrübt fest.

 

„Nein. Das heißt, Ihr seid unerzogen, Buffy.“ Er hatte ihren Kosenamen verwendet, stellte sie mit offenem Mund fest. Und er hatte sie beleidigt. In einem Satz.

 

„Elizabeth Anne“, verbesserte sie ihn fassungslos. „Das ist mein Name.“ Der Mann grinste ihr dreist entgegen.

 

„Ich denke, Buffy finde ich witziger.“ Ihr Mund klappte noch weiter auf, wenn das möglich war. Ehe sie etwas Unpassendes sagen würde, wandte sie hastig den Blick nach vorne.

„Schon seltsam, nicht wahr?“ Sie wollte gar nicht wissen, was seltsam war. „Ihr zieht Euch an wie ein Jäger, aber die Armbrust wollt Ihr nicht über der Schulter tragen“, merkte er spöttisch an.

 

„Eine Armbrust würde ich sowieso nicht benutzen. Und mein Vater hat mir nie angeboten mein Gewehr selber zu tragen.“ Er schien auf ihre Worte nicht eingehen zu wollen.


„Ein Mädchen auf die Jagd mitzunehmen… bringt das nicht Unglück?“ Sie verzog den Mund.

 

„Nein. Es bringt Unglück, Frauen mit auf ein Schiff zu nehmen, aber auch das halte ich für höchst fragwürdig, denn weshalb sollten Frauen weniger Glück bringen als Männer? Weil sie nicht jagen können? Weil sie nicht segeln können? Weil sie…“ Sie biss sich auf die Zunge. Was tat sie denn? Sie stritt sich mit einem Fremden! Schon mit ihrer Zofe zu streiten, schickte sich nicht. Dabei fing Anya die Streitereien meisten an.

 

Ihr Gegenüber wartete grinsend.

 

„Weil sie was? Weil sie keine Berufe der Männer ausüben können? Das ist eben das Los, das sie tragen müssen.“ Buffy war sich nicht sicher, ob er sie reizen wollte oder ob er eben ein dummer Mann aus Erde und Dreck war, wie alle von ihnen.

 

Aber… er war noch nicht weggelaufen, um ihrer Schwester ihre Schleppe mit Komplimenten zu überhäufen. Aber wäre Dawn hier, dann würde dieser Mann sie nicht einmal mehr bemerken.

 

Sie wandte den Blick nach vorne und schwieg. Was machte sie sich die Mühe, mit ihm zu sprechen? Er war sowieso unfreundlich und mehr als selbstgerecht.

Er respektierte nicht einmal den Anstand, ihren vollen Namen zu benutzen.

 

Aber sie konnte sich beruhigen. Er würde sie keines weiteren Wortes würdigen, sobald er und sein Vater ihr Schloss besuchen würden, und er Bekanntschaft mit der schönen Dawn machte. Es war doch ein furchtbarer Nachmittag geworden. Zuerst hatte sie sich mit ihrer Schwester gestritten und jetzt hatte ihr Vater ihren gemeinsamen Ausritt abgebrochen, um sich mit irgendeinem Lord über die Armee zu unterhalten.

 

Und sie steckte hinter ihm fest. Mit diesem… Mann.

 

„Wie alt seid Ihr, Buffy?“, fragte er plötzlich und schien sich aus seinem Sattel näher zu ihr zu lehnen, als wolle er versuchen, ihr Alter in ihrem Gesicht abzulesen. Sie warf ihm einen tödlichen Blick zu und zog die Zügel hart an. Er war nicht nur arrogant und selbstgerecht. Nein. Er war auch noch unhöflich! Und er traf den wunden Punkt.

 

Ihr Hengst folgte nur zu gerne, stellte sie fest. Erde wirbelte unter seinen Hufen auf, und in einem waghalsigen Sprint, galoppierten sie und ihr gereiztes Pferd in die entgegengesetzte Richtung, zurück zum Schloss.

 

Sie hörte, wie ihr Vater etwas rief, aber sie hielt nicht mehr an. Er klang wütend. Am Ende würde sie sich noch entschuldigen müssen. Aber eher küsste sie Dawns Füße, als so etwas Derartiges zu tun!

 

Kapitel 4

An Arrow of Truth

 

Sie lehnte am Fensterrahmen und betrachtete die stille Parkanlage vor dem Schloss, in der die Gärtner unermüdlich das Unkraut zupften, die Hecken stutzten, während die Stalljungen frisches Wasser über den Kies trugen für die Pferde und die Jäger, trotz der Fuchsplage, Fasane und Rebhühner zur Küche brachten. Sie kaute abwesend auf ihrer Unterlippen. Alles war wie sonst. Nur standen zwei fremde Pferde in ihrem Stall.

 

„Meine Buffy? Alles in Ordnung mit Euch?“ Anya sprach etwas anders. Sie war vorsichtiger. Buffy hatte seit gestern nicht mehr gesprochen. Sie war nicht zum Abendessen erschienen, und hatte sich von Anya auch beim Frühstück entschuldigen lassen, denn ihr Vater hatte noch gestern Abend die beiden Männer zum Bleiben eingeladen. Und sie wusste, es würde nicht mehr lange dauern, ehe ihr Vater von ihr eine Entschuldigung verlangen würde, und sie sich vor den beiden fremden Männern erniedrigen musste.

 

Aber wahrscheinlich wurde ihr jedes Verhalten verziehen, weil der Sohn von Lord Giles mittlerweile Dawn kennen gelernt haben musste. Er war mittlerweile also bestimmt verliebt. Hals über Kopf. Dann war er bestimmt auch traurig und verzweifelt, und sie würden jede Sekunde wieder abreisen. So war es immer. Letztendlich.

Sie wartete. Sie wartete, dass die fremden Pferde gestriegelt und gesattelt nach vorne gebracht würden, dass sich die Tore öffneten, damit Vater und Sohn ihre Pferde bestiegen, um in großer Hast abzureisen.

 

Aber sie wartete seit einigen Stunden, seitdem das Frühstück vergangen war. Und mittlerweile beobachtete sie nur noch die Bediensteten in ihrem alltäglichen Trott.

 

„Buffy?“, wiederholte Anya, sanfter als Buffy es von ihrer Zofe gewohnt war. Sie nickte nur unwirsch. „Was ist auf der Jagd passiert. Habt Ihr Euch mit Eurem Vater verstritten?“ Buffy mochte die höfliche Form nicht, die Anya anschlug. Sie brauchte keine Sonderbehandlung. Von niemandem. Sie war über die Jahre nicht so stark geworden, nur um sich plötzlich von ihrem Vater und einem Fremden überrumpeln zu lassen.

 

Sie sollte stolz auf ihr Alter sein, stolz auf ihren starken Willen, und sich nicht von den Zwängen und Bürden, die Frauen ihres Standes zu tragen hatten, einschüchtern lassen. Sie hatte gestern einfach einen schlechten, unsicheren Tag gehabt. Und wenn sie darüber nachdachte, dann war sie sich nicht völlig sicher, wie viel Ablehnung ein Mensch eigentlich verarbeiten konnte.

 

Aber der Tag musste erst noch geboren werden, an dem sie tatsächlich vor dem Spiegel stehen würde und ihren Körper oder ihr Aussehen anzweifelte.

Noch war es nicht soweit. Noch würde sie sich nicht ergeben, sich nicht von Anya in unbequeme Kleider zwängen lassen, ihr erlauben, ihre Wangen in den stinkenden Rouge zu hüllen, und ihre Haare über Nacht zu quälen und in Papier und die widerlichen Wickler wickeln und drehen zu lassen.

 

Noch brauchte sie es nicht. Noch hatten Dawns ewige Nörgeleien und ihre Versuche, Buffy zu erniedrigen, nicht gefruchtet.

 

„Nein, es ist alles gut, Anya“, erklärte Buffy, allerdings ohne die gewohnte Leichtigkeit. Die fiel ihr noch immer schwer.

 

„Wie steht es mit einem leichten Mittagessen? Ihr müsst hungrig sein“, fuhr Anya höflich fort.

 

„Bitte, hör auf mich zu siezen, Anya“, brachte Buffy schließlich entnervt hervor, und Anya lächelte endlich erleichtert.

 

„Gut, du bist also nicht sauer auf mich?“, erkundigte sich Anya jetzt, und Buffy schüttelte den Kopf.

 

„Nein, natürlich nicht. Ich… gestern haben sich mir nur einige Fragen aufgeworfen, die ich nicht beantworten konnte. Heute ist alles wieder gut.“ Anya hinterfragte dies nicht weiter. Buffy hätte es ihr auch nicht ausreichend erklären können. Ihr Blick fiel wieder nach draußen. „Oh, ich glaube, die Abreise steht an“, bemerkte sie spitz, und fühlte sich endlich bestätigt. Sie merkte, wie sich ihre Laune langsam besserte. Jetzt konnte sie, wie immer, rechthaberisch sein. Sie kannte das Spiel doch. Mochte dieser Mann mit ihr kleine Scharmützel gehabt haben, mochte er sich vielleicht ansatzweise mit ihr unterhalten haben wie mit einem Menschen, so wusste sie – alle Männer waren gleich.

 

„Das glaube ich nicht, Buffy“, bemerkte Anya neben ihr. Der Sohn hatte tatsächlich fast weiße Haare, ging ihr stirnrunzelnd auf. Heller als ihre eigenen Haare waren. Um einiges! Die Armbrust hing locker über seiner Schulter, während er sich in das Gelände um das Anwesen begab. „Es sieht für mich so aus, als wolle er lediglich schießen gehen“, fuhr ihre Zofe neugierig fort und verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Aber… wieso?“, flüsterte Buffy. „Hat er Dawn noch nicht gesehen?“

 

„Beim Frühstück sicherlich“, erwiderte Anya mit echtem Interesse in der Stimme, während sie dem fremden Mann nachsah, der hinter einer Reihe Bäume verschwand. Vater musste ihm den Weg zum Übungsplatz gezeigt haben.

 

„Wieso ist er dann nicht am Boden zerstört?“, wollte Buffy beinahe gereizt wissen. Sie konnte diesen Mann nicht einordnen.

 

„Vielleicht interessiert er sich nicht für Eure Schwester“, entgegnete Anya beinahe ungläubig. Buffy verdrehte die Augen.

 

„Du weißt, das ist nicht möglich.“ Aber Anya sah sie nun mit großen Augen an. Tatsächlich schien diese Möglichkeit in ihren Augen ganz neue Möglichkeiten zu offenbaren.

 

„Vielleicht“, murmelte sie. „Aber… wenn er nicht die Gesellschaft der Stalljungen vorzieht“, macht Anya es sehr deutlich, so dass Buffy rot wurde, „und wenn er kein Klotz ist, der von Frauen nichts versteht, dann…“ Buffy atmete gereizt aus.


„Vielleicht will er nur jagen?“, warf Buffy ein. „Vielleicht ist er nicht hier, um zu heiraten, Anya“, ergänzte sie verärgert. Buffy starrte auf den Fleck vor den Linden, hinter denen der Mann verschwunden war. Aber Anya schien ihre eigenen Theorien zu haben.

 

„Jeder Ehrenmann muss heiraten. Ein Erbe ist notwendig“, murmelte sie, ohne Buffy zu beachten. „Und Lady Dawn ändert selbst die Meinung des engstirnigsten Mannes“, fuhr sie nachdenklich fort. Und dann hob Anya den Blick. „Vielleicht ist dies Eure Chance“, entkam es ihr ehrfürchtig. Buffy machte ein empörtes Geräusch.

 

„Ich lehne dankend ab, Anya!“, rief sie aus. „Ich sprach bereits mit ihm, und ich kann darauf verzichten, es wieder zu tun“, erklärte sie eindeutig.

 

„Vielleicht hielt er Euch für einen Jungen?“, vermutete Anya schließlich mit verengten Augen. Buffy schoss ihr einen zornigen Blick zu.

 

„Nein, hielt er nicht“, entgegnete sie fast trotzig.

 

„Vielleicht ist Lady Dawn über Nacht verstorben?“, mutmaßte ihre Zofe weiter und tippte sich mit dem Finger an die Lippe.

 

„Anya!“, rief Buffy schockiert aus.

 

„Es gibt nur einen Weg, all dies herauszufinden“, entgegnete Anya, während sie betont gleichmütig zum Schrank spazierte. Sie öffnete die Türen und entnahm dem Schrank Buffys mitgenommene Armbrust. Sie hatte sie nicht mehr benutzt, seit… - bestimmt seit letztem Sommer. Buffy verdrehte die Augen.

 

„Ich werde ihm nicht folgen. Es sieht aus, als…“

 

„Als würdet Ihr ihm folgen“, bestätigte Anya todernst. „Genau das wirst du tun. Auf so eine Gelegenheit warte ich seit hundert Jahren, Buffy“, maßregelte ihre Zofe sie, duzte sie endlich wieder. „Ein Mann in diesem Haus, und er ist noch nicht halbtot vor Liebeskummer? Du wirst dort hinaus marschieren, und du wirst, wie eine Lady herausfinden, was vorgefallen ist“, befahl sie ernst.

 

„Anya!“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd.

 

„Falls du nicht weißt, was eine Lady ist-“, bemerkte Anya spöttisch, aber Buffy schoss ihr einen zornigen Blick zu. „Es ist nicht weiter schlimm. Und auffällig ist es auch nicht! Er hat dich gestern bereits in Hosen und Helm auf der Jagd angetroffen“, sprach sie wahre Worte.

 

„Anya-“

 

„-ich bitte dich“, flehte die Zofe jetzt. „Es ist das Aufregendste, was auf Farington passiert, seit der Koch seinen Gehilfen aus Versehen in Brand gesteckt hat.“ Es war ein trauriger Tag gewesen, erinnerte sich Buffy schaudernd. Und Anya war makaber, die Situationen zu vergleichen. „Sonst erzählt ihm, es wäre eure übliche Zeit, zu schießen!“, ergänzte Anya lapidar.

 

„Ich soll lügen?“, entfuhr es Buffy ungläubig.

 

„Nein, du sollst schießen“, erwiderte Anya mit einem Lächeln und drückte Buffy die Armbrust in die Hand.

 

Buffy gab zu, sie war mäßig neugierig. Denn das war eine neue Situation.

Wenn dieser Mann Dawn nämlich kennen gelernt hatte, gab es meist nur zwei Möglichkeiten. Er verblieb an Dawns Seite, gebrochen und verletzt, bis er es nicht mehr ertrug, oder er reiste sofort ab, weil der Schmerz ihn umbrachte.

 

Es war nie passiert, dass Ehrenmänner nach einer Nacht aufstanden und munter auf den Ländereien schießen gingen, als wären sie guter Dinge.

 

Sie atmete ergeben aus. „Ich wäre ohnehin schießen gegangen. Wahrscheinlich“, informierte sie Anya trotzig. Diese bedachte sie mit einem breiten Lächeln.

 

„Natürlich, Mylady.“ Anya verbeugte sich spöttisch, und Buffy konnte ihre Zofe manchmal nicht ausstehen.

 

~*~

 

Er zielte.

Und traf.

 

Der Schießplatz war groß. Nicht so groß wie er es gewöhnt war oder bevorzugte, aber annehmbar. Ein Bediensteter machte sich große Mühe, den Pfeil mit beiden Händen aus der Attrappe zu ziehen. Die Zielscheibe wirkte schon etwas mitgenommen. Wahrscheinlich schoss Lord Summers ab und an. Oder seine Tochter.

 

Er war froh, den Gesprächen entkommen zu sein. Das Militär, das Waffenarsenal, die Aufstände, die Politik der Grafschaften, Bestechungen, Betrug – er wusste, sein Vater nahm es ihm übel, dass er sich der Militärspflicht verwehrt hatte, aber Spike hatte keine Lust bei einem Aufstand oder einem Kleinkrieg zu sterben. Für so etwas Banales wie die Grafschaft von Bellerby oder wusste Gott, wofür sein Vater ihn in den Kampf gegen die Bauern schicken wollte.

 

Wenn er musste, übernahm er die Finanzen. Nichts weiter sonst. Sein Vater sah nicht so aus, als würde er in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren abdanken, also hatte er kein Problem.

 

Aus den Augenwinkeln entdeckte er Gesellschaft. Er ließ die Armbrust sinken. Seine Mundwinkel hoben sich entsprechend. Sie trug eine Hose. Wahrscheinlich eine Hose ihres Vaters. Er hätte fast nicht damit gerechnet, sie noch einmal zu sehen, nach ihrem bühnenreifen Abgang zu Pferde gestern. Er wusste, weshalb Angel von ihr nicht angetan war. Sie war beinahe ein Mann. Vielleicht zog sie ja die intime Gesellschaft von Frauen vor. Das wäre interessant, überlegte er lächelnd.

 

„Könnt Ihr schießen?“, begann er also das Gespräch, als sie seine Höhe erreicht hatte, und fand es beinahe amüsant, dass sie ihn zu ignorieren schien. Sie schien keine Angst vor ihm zu haben. Aber wenn er sie richtig einschätzte, dann würde er die Stille mit seiner Unterstellung durchbrechen. Sie schien sich beweisen zu müssen.

 

„Sicher kann ich schießen. Ich schieße seit meinem siebten Lebensjahr.“ Er wagte einen Schritt, um sie zu provozieren.

 

„Ja? Das wäre dann jetzt wie viele Jahre her? Zwanzig?“ Der Blick, den sie ihm zuwarf, war eisig. Natürlich war sie wohl keine siebenundzwanzig, aber er hoffte, sie mit seinen Worten aus der Reserve zu locken. Er hatte keine Sorge, dass sie gehen würde. Denn er nahm an, sie war hier aus purer Neugierde. Gestern hatte es noch den Anschein gemacht, dass sie ihn verachtete. Scheinbar nicht genug, um sich fernzuhalten, dachte er selbstgerecht.

 

Anstatt zu antworten, schoss sie ihren ersten Pfeil. Er sauste gerade durch die Luft. Schnell und präzise. Er traf die Zielscheibe direkt in der Mitte. Anerkennend nickte er. Entweder suchte sie seine Anerkennung ob ihrer Schießkünste oder sie war hier aus einem anderen Grund. Er nahm an, es ging um ein anders Anliegen.

 

„Guter Schuss“, kommentierte er ihre Bemühung sachlich und knapp. Er hob die Armbrust, strich am Ende des Pfeils eine Seite der Federn komplett glatt, um den Pfeil im Flug zirkeln zu lassen, zielte genau, ließ los, und ehe der Diener ihren Pfeil aus der Scheibe hatte ziehen können, durchbohrte sein Pfeil den ihren.

 

Er sah, wie sie verärgert die Lippen schürzte. Seine Mundwinkel zuckten. Sie mochte gut sein für eine Frau. Aber sie war ihm nicht ebenbürtig. Und scheinbar hatte ihm sein Schuss einen Preis eingebracht.

 

„Ich bin zweiundzwanzig“, sagte sie bestimmt, als ob es sie nicht kümmern würde. Sie legte den nächsten Pfeil an.

 

„Wirklich?“, entkam es ihm gedehnt. Sie ignorierte und zielte. „Dann seid Ihr drei Jahre älter als ich.“ Fast wäre ihr der Pfeil aus der Armbrust entglitten. Und gänzlich verstört hob sich ihr Blick. Er musste lachen, und Röte trat auf ihre Wangen. „Verzeiht“, bemerkte er spöttisch, aber ihre Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie. Ihr Alter schien ein wunder Punkt zu sein. Denn so war die Gesellschaft gestrickt.

 

Der Diener hatte größte Probleme beide Pfeile zu entfernen. Sie wartete ungeduldig. Schließlich schien sie sich zu überwinden.


„Ihr… ihr habt meine Schwester bereits kennen gelernt?“ Und so unverfänglich die Worte ihren Mund verließen, so verdächtig kamen sie ihm vor. Er fasste sie prüfend ins Auge. Er begriff, was sie wollte. Er wusste, warum sie ihm gefolgt war und diese Längen einer ungewollten Unterhaltung einging. Sie wollte sich nicht beweisen, ihn beeindrucken mit den Schießkünsten einer Frau. Er war nicht liebestoll und verzweifelt. Das musste ihr Interesse erwecken. Er musste wieder lachen.


„Aber Buffy“, benutzte er tadelnd den lächerlichen Kosenamen, „solltet Ihr mich nicht zuerst fragen, wie ich geruht habe, ob mir die Aussicht auf den See gefällt, seit wann ich die Pfeil- und Bogenkunst beherrsche und welches meine Lieblingsspeise ist, bevor Ihr so persönlich werdet?“ Er mochte es, sie zu provozieren, denn sie sprang so herrlich darauf an. Die Frauen im Dorf waren härter gesotten. Kleine Fürstentöchter kannten wohl keinen Widerspruch, keine Auflehnung und keine Infragestellung ihres Standes.

 

Perplex sah sie ihn an. Sie schien mit Spott und Ironie nicht umgehen zu können, wenn sie von einem Fremden kam und nicht aus ihrem eigenen Mund. Er sah, wie sie den Rücken durchstreckte. Sie nickte knapp. Es war wohl alles, was sie an Höflichkeit zustande bringen konnte. Grinsend sah er ihr nach, als sie sich abgewandt hatte. In zu weiten Reiterhosen, beleidigt und stolz.

 

„Wisst ihr weshalb die Männer Eure Schwester vorziehen, Mylady?“, konnte er sich nicht abhalten, ihr nachzurufen. Er wartete lauernd, ob sie reagieren würde. Sie wurde lediglich langsamer. „Sie ist höflich, umgänglich, dreht sich ihre hübschen Haare auf, und wenn ich es richtig erkannt habe, hat sie keinerlei Meinung zu überhaupt einem Thema. Das wirkt charmant auf Männer, die Angst vor stärkeren Frauen haben. Oder älteren“, fügte er grinsend hinzu. Sie war stehen geblieben.

 

Herrlich. Nein, mittlerweile begriff er nicht, weshalb Angel keinen Geschmack an diesem Exemplar von Frau gefunden hatte. War es nicht herrlich, wenn sie sich aufregten wie kleine Mädchen? Schon hatte sie sich umgewandt, weil sie wohl vergessen hatte, dass sie gerade davon stürmen wollte. „Es ist schwerer davonzulaufen, wenn kein nervöses Pferd unter Euren Schenkeln sitzt, nicht wahr?“, setzte er noch einen drauf, bevor er sich halten konnte. Sie brachte den Teufel in ihm zum Vorschein, für den er von seinem Vater mehrfach eine Tracht Prügel bekommen hatte. „Ihr habt es schlecht trainiert, Buffy. Ein Hengst braucht angemessene Führung. Aber für eine Frau ist es wahrscheinlich ausreichend. Frauen haben seit jeher ein unruhiges, anstrengendes Gemüt. Das übertragt Ihr auf Euer Pferd. Reitet Eure entzückende Schwester auch?“, wollte er nahtlos wissen, während er die Armbrust auf den Boden stützte und sich darauf lehnte. „Oder durfte es sich noch kein Hengst unter den Schenkeln Eurer Schwester bequem machen?“

 

Kurz blinzelte sie, verstand aber seine Anspielung nicht sofort, stellte er fast enttäuscht fest.

 

„Mein Pferd ist nicht nervös. Ich habe es ausgezeichnet trainiert, und Ihr seid einfach nur…“ Sie unterbrach sich selbst, während er lächelnd wartete, dass sie weiter sprach. Aber das tat sie nicht. Langsam sah er es hinter ihren grünen Augen dämmern. Zu köstlich.

 

„Was bin ich?“, wollte er lauernd wissen. „Weltgewandt, erfahren? Das stimmt wohl, Buffy.“ Sie schnaubte auf. Sie musterte ihn genau, schien abzuwägen, was hinter seinen Worten steckte, und wieder einmal war Spike fasziniert von den keuschen und manipulierbaren Gedanken einer Jungfrau.

 

„Elizabeth“, verbesserte sie ihn, bestimmt zum zehnten Mal. Er ignorierte diesen Hinweis, denn niemals würde er diesen Namen benutzen, wenn ihr Kosename sie doch fast zur Weißglut trieb.

 

„Ich habe eine Frage, wenn Ihr erlaubt.“ Er kam näher und sah, wie sie komplett überfordert war, mit seiner Forschheit und seinen scheinbar völlig falschen Antworten auf alle Fragen. „Ich machte mir bereits meine Gedanken“, erläuterte er glatt und sah, wie ihre Haltung defensiver wurde, als ahne sie bereits seine Beleidigung, „aber zieht Ihr die Gesellschaft von Frauen vor?“ Er hatte sich näher zu ihr gelehnt und sah, wie sanfte Erkenntnis ihre straffen Züge erschlaffen ließ. „Ihr wisst schon…. Insgesamt. Körperlich, geistig…“, schloss er vielsagend, und ihr Mund öffnete sich schließlich.

 

„Wie… wie könnte Ihr…!“ Sie war sprachlos vor Entsetzen. Und sie wurde rot. Schrecklich rot, in den gebräunten Wangen. „So etwas von mir zu…!“ Er hatte sich also anscheinend geirrt. Aber es war fast zu komisch, wie bestürzt sie war. „Und so etwas von meiner Schwester zu denken! Und zu behaupten, dass…“ Wieder schnappte sie empört nach Luft, und wie deutlich ihre Ablehnung für ihn war, war genauso amüsant wie ihr Ausbruch. Sie hatte sogar die Hände zu schmalen Fäusten geballt.

 

„Ich denke, darin ist Eure Schwester auch besser. Männer wollen nicht von Männern erobert werden…“ Ihr Mund hatte sich noch immer nicht geschlossen. „Ihr seid doch ein Mann, nicht wahr Buffy?“ Der Name war zu absurd, als dass er ihn nicht ständig wiederholen musste.

 

„Ich hoffe doch inständig, Ihr schießt Euch in den eigenen Fuß, Mylord“, knurrte sie schließlich, schoss ihm einen bösen Blick aus grünen Augen zu, der wahrscheinlich so akkurat treffen würde, wie einer ihrer Pfeile. „Oder in Euren vorlauten Mund!“, schloss sie zitternd vor Zorn. Dann wandte sie sich stürmisch ab, so dass ihre zusammengebunden Haare ebenfalls zornig wippten.

 

Grinsend legte er den nächsten Pfeil an und zielte auf die Mitte der Scheibe. Der Diener war nassgeschwitzt und sah nicht begeistert aus, noch einen Pfeil aus der Scheibe ziehen zu müssen. Spike überlegte, dass er seinem Vater nahelegen würde, noch ein paar Tage zu bleiben.

 

Elizabeth of Summers war keine Schönheit, nein, aber ihre raue Betroffenheit, ihre ehrliche Entrüstung waren mehr Unterhaltung, als er sie auf Beaufort bekommen würde.

Sie ließ sich von ihm ärgern, wie es eine jüngere Schwester tun lassen würde. Es überraschte ihn, wie viel Spaß es ihm bereitete.

Er wollte bleiben und sich amüsieren. Und vielleicht brach er sein Versprechen und verführte die junge Dawn zum Spaß. Angel musste es ja nicht erfahren….

 

 

Kapitel 5

The English Rose

 

„Weil er abscheulich ist! Deswegen will ich mein Zimmer nicht mehr verlassen.“ Wahrscheinlich war es eine Überreaktion, aber sie war zu wütend, um darüber nachzudenken.

 

Anya hing förmlich an ihren Lippen.

 

„Das hat er nicht gesagt, Buffy! Hat er nicht! Wenn du es deinem Vater erzählst, wird er ihn bestimmt des Besitzes verweisen. So etwas ist wirklich dreist! So kann er mit den Dirnen aus dem Dorf sprechen! Wieso hast du ihn nicht gemaßregelt?“ Buffy betrachtete Anya. Als ob sie so etwas könnte! Als ob es ihrem Stand entsprach, einen Grafen zu maßregeln! Was sollte es überhaupt heißen? Dass sie ihm… auf die Finger schlagen durfte? Er war doch kein Knabe! Sie war froh, dass sie vor Scham nicht im Erdboden versunken war.

 

„So etwas tue ich nicht“, gestand sie trotzig ein. Und vielleicht dachte sie in dieser Sekunde auch, dass Anya so etwas Derartiges wohl tun könnte, aber… sie selber wohl nicht.


„Was? Reiten, wie ein Mann? Schießen, wie ein Mann? Aber die Meinung sagen, wie ein Mann, das geht nicht?“ Anya musterte sie kopfschüttelnd. Und Buffy war kurz verstört. Ja, sie tat all diese Dinge, aber dennoch widerstrebte etwas Primitives in ihrem Innern, dem Wunsch, einen Mann vielleicht zu schlagen, wie ein anderer Mann es tun würde. Fast war sie enttäuscht über sich selbst.

 

„Er ist kein Gentlemen“, wechselte Buffy niedergeschlagen das Thema, denn sie hatte nicht gehandelt, hatte ihn nicht gemaßregelt, nur mit Worten. Und es war ihre persönliche Erkenntnis der Dinge. „Natürlich ist er von Dawn nicht angetan, denn ein Teufel kann Dawns Schönheit wohl nicht erkennen“, ergänzte sie bitter, aber bezeichnenderweise hatte Anya ihr kaum zugehört, als die Grenzen einer Epiphanie über Anyas Züge glitten.

 

„Buffy!“, entkam es ihrer Vertrauten mehr als aufgeregt. „Was, wenn dies deine Chance ist?“ Buffy glaubte kaum, was sie hörte. Vor allem, nachdem sie ihn einen Teufel geschimpft hatte. „Was, wenn dieser Mann der Auserwählte ist? Er will Dawn nicht haben, zumindest macht es nicht den Anschein, und mit dir hat er bestimmt doppelt solange eine Unterhaltung geführt“, beteuerte sie mit glühenden Augen.

 

„Anya!“, rief Buffy empört aus. „Er hat mich beleidigt, meine Schwester beleidigt, er ist ungehobelt, unerzogen, er sträubt sich gegen seinen Vater-“


„-also seid ihr euch ähnlich…“, schloss Anya lächelnd aus ihren Worten, und Buffys Mund schloss sich empört. Nein! Denn – nein! So war Buffy ganz und gar nicht.

 

„Wie kannst du uns vergleichen?“ Fast flüsterte Buffy die Worte. „Er ist vulgär. Und gottlos! Er zwingt uns seine Anwesenheit auf, schießt auf unseren Ländereien und ist abscheulich! Niemals würde ich Erwägung ziehen, mit so jemanden auch nur jemals wieder ein Wort zu wechseln!“ Anya schien nicht halb so schockiert, wie Buffy es gerne hätte.

 

„Aber Buffy, was, wenn das die Chance ist, ich meine doch nur-“

 

„-du meinst, bevor ich als alte Jungfer sterbe, sollte ich mich lieber mit dem widerlichen, perversen, vom Teufel besessenen Schuft abgeben? Nein, danke. Da sterbe ich lieber allein!“ Sie war so unglaublich wütend, dass sie, entgegen ihrer Worte, ihr Zimmer doch verließ.

 

Sie war auf den Gang gestürmt, hatte Anya zurück gelassen und wollte jetzt im Moment auch keine Entschuldigung von ihrer vorlauten Zofe hören. Dawn hatte ihr immer erklärt, dass eine Freundschaft zu Untergebenen keine gute Idee war. Aber natürlich hatte Buffy es besser gewusst als ihre kleine Schwester. Nur jetzt gerade im Moment, da hätte sie es lieber, wenn Anya einfach nicht sie selbst wäre. Einfach nicht ehrlich. Für Anya wäre William Giles vielleicht geeignet. Nicht für sie!

 

Sie war die Treppe hinunter geeilt, sie wollte nach draußen, wollte in die Sonne, sich die Beine vertreten und hatte es dringend nötig, sich abzuregen. Die Sonne ging bereits hinter den Bäumen unter.

 

Sie bog in den Salon, ohne großartig darüber nachzudenken. Dabei war es doch höchstwahrscheinlich, dass die Gäste nicht eingesperrt auf ihren Zimmern waren.

Als erste erkannte sie Dawn, die wie gemalt in dem französischen Sessel saß, der mit bunter Seide bespannt war. Sie las ein Buch, dessen Titel Buffy nicht erahnen konnte, aber sie nahm an, würde sie Dawn nach dem Titel fragen, würde auch Dawn keine Antwort wissen. Es schien lediglich hervorragend zu ihrem azurblauen Kleid zu passen, dass sie mit der Eleganz einer Königin trug. Buffys Augen verengten sich beinahe, ob dem Anblick ihrer immer perfekten Schwester.

 

Dawn gegenüber hatten die Gäste des Hauses Platz genommen. Der Abschaum, dachte Buffy blind, als ihr Blick auf ihn fiel. Das weiße Hemd hochgeschlossen, das helle Tuch lose um den Nacken gelegt, der schwarze Gehrock aus glänzendem Samt ebenfalls offen, und sie hasste seinen spöttischen Blick. Seine Lippen schürzten sich fast, gaben seine unverhohlen niederträchtigen Gedanken beinahe Preis, aber nur beinahe. Wenn sie nur wüssten, was William Giles von sich gab! Vielleicht wusste es sein Vater bereits, dachte sie abwesend, als sich sein Vater erhob, um sie zu begrüßen. Mit einem abschätzenden Zucken seiner Mundwinkel erhob sich William ebenfalls, aber Buffy erkannte die lächerliche Geste dahinter.

 

Für einen kurzen Moment hatte Buffy das Bedürfnis, ihn bloßstellen, wollte vor allem Dawn erzählen, was er für ein Widerling war. Aber es war etwas in seinem Blick, das sie tatsächlich davon abhielt. Etwas in seinen hellgrauen Augen, das sie durchleuchtete. Ihr Mund öffnete sich einen Spalt, als William eine sachte Verbeugung mit dem Kopf andeutete, und die Wurzeln ihrer Erziehung schienen ihr einen bösen Streich zu spielen, denn beinahe augenblicklich senkte sich ihr Blick und sie fiel in einen Knicks.

Dawn hatte sogar den Blick von ihrer augenscheinlichen Lektüre gehoben. Sofort stellte sich Buffy aufrecht hin. Was war das? Für gewöhnlich war sie die erste, die die Etikette vergaß.

 

Aber Rupert Giles schenkte ihrer schmalen Geste der unerwarteten Höflichkeit keine weitere Beachtung.

 

„Elizabeth“, begrüßte er Sie formlos. „Eine Freude, Sie zu sehen. Mögen Sie sich zu uns gesellen?“, fragte er direkt, obwohl er und sein Sohn in eine Partie Schach vertieft gewesen zu sein schienen. Wo war ihr Vater?

 

„Lord Giles“, antwortete Dawn statt ihrer mit samtener Stimme, glockenhell und gleichzeitig abwertend, „meine Schwester zieht die Schönheit der Natur der Anwesenheit von Gästen stets vor“, erklärte sie unschuldig, und Buffy betrachtete ihre Schwester. Es musste Dawn schlaflose Nächte bereiten, dass William noch nicht zu ihren Füßen verging, dachte sie plötzlich. Dawn verbarg den Schock recht gut. Natürlich.

 

„Das verstehe ich. Die Natur begeistert mich ebenfalls. Ihr Vater hatte leider eine Pflicht zu erfüllen, aber Lady Dawn unterhält uns vorzüglich“, bemerkte der Lord wohlwollend. Ihm entgingen Dawns Reize scheinbar nicht. Buffy bezweifelte seine Worte nicht. Dawn war eine exzellente Gesellschafterin.

 

„Buffy, wir sprachen gerade über die moderne Literatur“, fuhr Dawn beflissen fort, benutzte ihren Spitznamen ohne Scheu. Sie war eine Schlange. „William hier war so freundlich, mich zu erleuchten“, schloss sie mit einem Zwinkern in seine Richtung. William? Dawn schien die Formlosigkeit sehr leicht zu fallen, war es doch sonst, ‚gnädiger Herr‘ hier, ‚Lord So-und-So‘ da…. „Frauen schreiben ebenfalls Novellen, kann man es sich vorstellen?“, entfuhr es Dawn mit einem Lächeln, wie es sich für eine Dame von Hofe geziemte. Scheu und bescheiden. „Ich halte es für ein Gerücht.“ Natürlich hielt Dawn es für ein Gerücht, dass eine Frau etwas anderes zustande bringen konnte, als die Erziehung der Kinder, die Führung des Haushalts und tausend Ballfrisuren. Jetzt lachte sie glockenhell und Rupert schien sehr angetan.

 

William hingegen lächelte lediglich, allerdings galt sein Blick weiterhin ihr. Und Buffy wusste, was er tat. Er wollte ihr eine zügellose Reaktion entlocken, um ihre Manierlosigkeit zu demonstrieren, aber Buffy begab sich nicht auf sein Niveau. Gott, nein!

 

„Sie lesen nicht, Elizabeth?“, erkundigte sich Rupert, der wohl begeistert von Dawns Naivität schien. Aber sie umschiffte auch diesen Eisberg rigoros.

 

„Sicher, Mylord“, erwiderte sie neutral. „Jedoch ziehe ich es vor, bei schönem Wetter draußen zu sein.“ Und ihr entgingen Dawns gemurmelte Worte nicht.

 

„Die Sonne steht noch zu hoch. Aber viel dunkler kann deine Haut auch nicht mehr werden, nicht wahr?“, bemerkte Dawn spitz. Ihr gelang der Tonfall zwischen Verachtung und Charme sehr gut. Buffy Mundwinkel zuckten bitter. Und Rupert sprach erneut.

 

„Lady Dawn, als wir letzten Monat in Frankreich zu Besuch geladen waren, war es am Hof nicht unschick, eine goldene Bräune von der Sonne zu tragen.“ Buffy gefiel, dass Dawn diese Information mit einem ausdrucklosen Gesicht zur Kenntnis nahm. Als ob sich Dawn in solchen Sachen belehren ließ. Buffy könnte es dem guten Lord of Levisham gleich sagen. Sie mochte Rupert Giles, überlegte sie. Vielleicht verfiel auch er Dawns Schönheit, aber sein Verstand trotzte mit Glück ihrer Dummheit. Und Buffy hatte nicht verlernt, ein Gespräch zu führen.

 

Mylord, wie lange werden Sie und Ihr Sohn noch bei uns bleiben?“, erkundigte sich Buffy mit einem höflichen Lächeln, und hoffte, dass die Abreise nahte. Doch Rupert erinnerte sie sehr plötzlich an seinen Sohn, als sich seine Augen verengten.

 

„Werden wir Ihnen lästig, Elizabeth?“, wollte er fast mit einem Lächeln wissen, und Buffys Mundwinkel gaben nach.

 

„Natürlich nicht, Mylord“, entkam es ihr fast beschämt. „Ganz und gar nicht“, log sie eilig. Aber Rupert lächelte breit.

 

„Wir planen noch eine weitere Jagd, und dann werden wir abreisen. Unsere Gesellschaft wird Ihnen also nur noch ein paar weitere Tage aufgedrängt werden.“ Fast war Buffy gänzlich aufgelöst.

 

„Glauben Sie mir, Mylord, Sie sind keine Lästigkeit. Ganz im Gegenteil!“, beteuerte sie, und wusste selber nicht, warum sie so dringend lügen musste. Vielleicht war es der Anstand? Vielleicht war es die Tatsache, dass ihr Vater die Gelegenheit bekam, mit einem Mann seines Alters auf die Jagd zu gehen, anstatt mit seiner unzulänglichen Tochter? Es waren bittere Gedanken, aber sie kamen ihr dennoch. Und sie bezog sich auch wirklich nur auf den Lord. Nicht auf seinen Sohn. Und es brachte sie zurück zu ihrer Frage.

 

Mylord, welche Pflicht hält meinen Vater ab, Ihnen Gesellschaft zu leisten?“ Denn das war es, was Buffy tatsächlich interessierte, und kurz zuckte so etwas wie Genugtuung über Dawns junge Züge. Es entging Buffy nicht.

 

„Ein Bote ist zu Pferde angekommen, wie ich nur mutmaßen kann“, erklärte er entschuldigend. „Kein Grund zur Sorge“, bemerkte er dann. „Wäre ein Aufstand im Gange, wüssten wir Bescheid“, ergänzte er mit Bedacht, und sein Sohn verdrehte kaum merklich die Augen. Buffy war nicht wie Dawn. Sie war gerne informiert über die Dinge, die geschahen.

 

„Verzeihen Sie meinen raschen Aufbruch, aber ich werde nach meinem Vater sehen“, bemerkte sie dann und bemerkte Dawns fein erhobener Augenbraue, ehe diese den Blick wieder in ihr Buch senkte, mit einem leisen Kopfschütteln. Doch Dawns täuschend gleichmütige Stimme hielt sie auf.

 

„Oh Buffy, Liebes?“, schien sie zu fragen, und Buffy wandte sich um. „Du tätest gut daran, in ein Kleid zu wechseln.“ Buffy nahm die Worte entgeistert zur Kenntnis und blickte an sich hinab. Sie trug ein Kleid. Aber Dawn hatte ihren Blick bemerkt.

Und sie lachte wieder glockenhell. „Ich meine ein richtiges Kleid.“ Sie betonte das Wort so, als würde Buffy gerade einen Kartoffelsack tragen. „Der Bote, der ankam, ist hier in deinem Sinne“, schloss sie lächelnd. „Er ist Vorreiter seines Herrn, des Grafen von Sheffield“, ergänzte sie. „Vielleicht schaffst du es ja, dich nach deinem Spaziergang umzuziehen?“

 

Anmutig blätterte Dawn schließlich eine ungelesene Seite um.

 

Dawn war eine Lady. Eine gemeine, hinterhältige, missgünstige Lady, aber sie war auch eher eine zukünftige Braut, eine zukünftige Gräfin von und zu, als Buffy es je sein konnte. Dawn hatte keine Ahnung von der Politik, den Aufständen, aber sobald ein weiterer Ehrenmann nach Farington kam – davon wusste ihre Schwester jedes Detail. Und verpasste natürlich nicht, den Gästen den Besuch auf die Nase zu binden.

 

„Wie aufregend“, bemerkte Rupert überrascht. Und Buffy wusste, es würde nur schrecklich werden. Sie brauchte nicht unbedingt Publikum, wenn ein weiterer Bewerber kam, um sie für Dawn abzulehnen. Aber sie nahm an, Dawn gefiel die Aussicht. Und sie ignorierte das widerlich erfreute Gesicht von William Giles, der wenigstens jetzt mit Schweigsamkeit geglänzt hatte. Seine Worte hätte sie erst recht nicht ertragen.

 

„Wenn Sie mich entschuldigen würden“, entkamen die Worte tonlos, und Rupert beugte den Kopf, aber sie rauschte bereits aus dem Salon. Jetzt erzählte ihr Vater nicht einmal mehr von den Bewerbern! Dawns Stichelleien und Williams Blicke widerten sie noch mehr an. Sie konnte nicht erwarten, dass die unerwünschten Gäste wieder verschwanden. Allesamt.

 

~*~

 

Er war gespannt. Er war so verflucht gespannt.

Es stellte sich für ihn keine Frage, dass die jüngere Tochter das Rennen machen würde. Ihre Schwester sah gegen sie aus wie eine schlichte Magd. Für ihn war der Aufenthalt hier nicht weiter von Wert, aber es war allemal ein amüsantes Unterfangen.

 

Er hatte den Fürsten gebeten, an dem Empfang der Gentlemen teilnehmen zu dürfen. Er hatte es unscheinbar verlauten lassen, wollte um keinen Preis negative Aufmerksamkeit erregen und war froh, selber nie als mögliche Heiratswahl eingeladen worden zu sein, aber für den Fürsten hatte nicht der Hauch einer Frage bestanden, dass er und sein Vater nicht eingeladen wären. Es schien allgemeine Unterhaltung auf Farington zu sein, Gentlemen zu empfangen.

 

Und recht spät betrat die ältere Fürstentochter den Saal. Zornig wie eine Furie, schon jetzt. Ihre Schwester erschien ihm merklich bescheiden gekleidet, stellte er fest. Vielleicht versuchte sie so, den Glanz auf ihre Schwester zu lenken. Ein Glanz, der zwar nicht vorhanden war, aber nicht jeder Mann legte Wert auf Glanz. Buffy hatte das Kleid gewechselt. Es war ein wenig edler. Aber es war grün. Er bezweifelte, dass dies zu den modernen Farben von Marseille gehören würde. Aber interessanterweise wirkte ihre Haut noch eine Spur dunkler. Es barg ein Hauch von Exotik. Aber wer entschied sich schon für Exotik, wenn er eine englische Rose, wie Dawn es war, haben könnte? Er lächelte ungeniert.

 

Buffys Haare waren hochgesteckt, entblößten den überraschend schlanken Nacken, aber welche Reize barg ein Nacken allein?

 

Ihr Gesicht barg kein Geheimnis. Ihre Gefühle waren offen zu lesen, und wie unwohl sie sich in einem pompösen Kleid fühlte wurde nur übertroffen von ihrer generellen Ablehnung in den hellen Augen. Stirnrunzelnd erkannte er beinahe einige Ähnlichkeiten zwischen den Schwestern. In diesem Kleid erahnte er Buffys Formen fast. In der Art, wie sie ging, wie sie den Kopf hielt, wie der Schatten der Kerzen ihre Wangenknochen hervorhob. Sie waren Schwestern, trotz allen Unterschieden. Er nippte abwesend an dem Glas Champagner.

 

Alle Qualitäten, die Buffy zu verbergen schien, trug Dawn mit dem Stolz, mit dem eine Lady sie zu tragen hatte. Seine Gedanken fanden ein Ende, als der Fürst aufatmete. Er nahm an, der Fürst befürchtete jedes Mal, dass seine ältere Tochter nicht erscheinen würde. Zumindest etwas Ähnliches hatte er vor wenigen Minuten verlauten lassen.

 

Hastig ermahnte der Fürst sie, das Kleid ordentlich zu drapieren, aufrecht zu sitzen und Haltung anzunehmen. Spike musste sich das laute Auflachen fast verkneifen. Dann klopfte es verheißungsschwer an die Türen.

 

„Graf Jonathan Levinson of Sheffield und York”, verkündete ein Bediensteter wichtigtuerisch. Zwei Grafschaften, dachte Spike abschätzend. Wäre es ein Wettkampf, bräuchte Graf Levinson nicht einmal eintreten. Und fast hätte er vor Lachen in sein Glas gespuckt, als der Graf den Saal betrat. Sein Vater warf ihm einen äußerst stechenden Blick zu, und er fing sich gerade so.

 

Der Graf war schmächtig, klein geradezu. Er hatte dunkle Haare, aber sein Haaransatz verschwand schneller am Horizont als die Sonne an einem kalten Wintertag. Er konnte unmöglich älter sein als er. Der kleine Graf, der auch noch unsicher schien, machte seinen beschwerlichen Weg nach vorne zu den Fürstentöchtern.

 

Und natürlich betrachtete er Dawn ausgiebig. Spike konnte es ihm kaum verdenken.

 

„Mein Fürst, Myladys“, sagte er mit kieksiger Stimme, und sein Vater musste wahnsinnig sein, dass er nicht selber in Lachen ausbrach. Er bemerkte, wie Buffy die Augen verdrehte, sich das Kleid glatt strich, und demonstrativ aus der großen Scheibe blickte. Sie war tatsächlich unmöglich, dachte Spike mit dem Hauch von Anerkennung.

 

„Seid- seid Ihr Elizabeth?“, wagte der Zwerg zu fragen. Und er fragte es Dawn. Höchstwahrscheinlich weil Buffy gerade damit beschäftigt war, den Saum ihres Kleides zu betrachten, dachte er amüsiert.

 

„Nein, Mylord, verzeiht“, entschuldigte sich Dawn mit einem ewig höflichen Lächeln, was Spike mittlerweile über hatte.

 

„Oh“, entgegnete der Zwerg schüchtern, und Spike hörte Buffy seufzen.


„Ich bin Elizabeth“, erklärte sie schließlich, und der Graf öffnete peinlich berührt den Mund, wohl um sich zu entschuldigen. Und Spike würde sie niemals Elizabeth nennen, ging ihm auf. Es wurde ihr kaum gerecht. Buffy war wesentlich passender. „Graf von Sheffield, Sie wären nicht der erste, der meine Schwester bevorzugt, und Sie sind auch bestimmt nicht der letzte.“ Und Spikes Augen weiteten sich. Grund Gütiger, dieses Mädchen gehörte übers Knie gelegt bei diesem Ungehorsam. Schnell begriff er, dass es der Fürst versäumt haben musste.

Gleichzeitig setzte die Faszination bei ihm ein.

 

Der Fürst machte ein empörtes Geräusch, und der Graf wirkte ein wenig vor den Kopf geschlagen.

 

„Ich…?“, begann der kleine Graf, aber Buffy hatte sich erhoben. Spike war wie versteinert, wartete förmlich auf den nächsten Höhepunkt, während auch sein Vater nicht schlecht über dieses Frauenzimmer staunte. Eine Frau mit einer eigenen Meinung war ein seltsamer Anblick, aber Spike glaubte, auch Buffy besaß ihren Stolz. Sie wollte den Zwerg ohnehin nicht. Seine Mundwinkel hoben sich langsam.

 

„Ich danke Ihnen für die Mühe der Anreise.“

 

„Elizabeth“, knurrte ihr Vater jetzt ungehalten. Seine Tochter warf ihm einen prüfenden Blick zu, allerdings schienen die Augen ihres Vaters kompromissloser zu sein als sonst. Vielleicht weil Besuch anwesend war. „Setz dich“, forderte der Fürst sie eisig auf. Und sie folgte den Worten nach einigem Zögern, mit gewissem Widerwillen. Wahrscheinlich war es für den Fürsten mittlerweile zu spät, Autorität zu demonstrieren, woran es Buffy scheinbar seit ihrer Geburt mangelte.

 

„Sehr wohl, Vater“, brachte sie gepresst über die Lippen, aber Spike betrachtete sie in einem völlig neuen Licht. Sie bettelte praktisch darum, eine Abreibung zu erhalten. Doch der Fürst würde sich nicht darum kümmern, wusste er. Nicht jeder Graf war ein verliebter Narr, wie Angel es vielleicht war. Nicht jeder kam hierher, nur um seinem Herzen zu folgen. Nicht jeder Graf scherte sich um die Schönste der Schönen. Und er glaubte, Buffy irrte sich in diesem langweiligen, winzigen Exemplar der Inzucht vor ihr. „Verzeiht mir, Graf“, fuhr sie dann fort. „Bezieht sich Euer Interesse auf mich oder meine Schwester?“ Er wirkte sehr kurz verwirrt, und der Fürst machte ein resignierendes Geräusch. Spike musste das Lachen mit einem kurzen Husten verbergen, und sein Vater strafte ihn sofort mit einem mahnenden Blick.

 

Der Graf betrachtete Dawn erneut, sah wieder Buffy an und wandte sich dann entzückend hilflos und überfordert an den Fürsten.

 

„Ich… ich kam doch für Lady Elizabeth?“, wagte er zu fragen. Buffy verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln.

 

„Nun, das ist sie“, erklärte der Fürst erschöpft. „Natürlich seid Ihr… frei in Eurer Wahl, Graf Levinson“, ergänzte er widerwillig.

 

„Ich… verstehe nicht?“, entfuhr es dem Grafen überfordert. Und Buffy sprach erneut.

 

„Ich hoffe, die Anreise war nicht allzu beschwerlich“, bemerkte sie eindeutig, machte Anstalten sich zu erheben, aber der Graf hob die Hand.

 

„Ich… ich kam, um Euch zu heiraten, und… und das werde ich tun!“ Spike verbarg das breite Grinsen hinter der Handfläche, und der Graf hatte gar nicht gezittert beim Sprechen, dachte er amüsiert. Und Buffy starrte perplex auf den kleinen Mann. Dieser wirkte jedoch einigermaßen verängstigt über seine eigenen Worte. Der Fürst schien wie aus einer Art Schlaf erwacht.

 

„Tatsächlich?“, entfuhr es ihm mehr als entgeistert, und auch Dawn bekam große Augen. Aber Spike hatte es geahnt. Steinern war Buffys Ausdruck. Und sie fixierte ihren Vater, der sein Glück kaum zu fassen schien. „Hervorragend!“, sagte er dann. „Mein Graf, ich bin sprachlos vor Glück.“ Aber sein Blick traf seine Tochter. „Buffy, willst du dem Graf nicht danken für diesen Antrag?“

 

Und sie wirkte eher, als wolle sie dem Grafen den Hals umdrehen. Spike presste die Lippen aufeinander, denn laut aufzulachen wäre so schrecklich unpassend.

 

„Vater“, flüsterte Buffy nahezu tonlos.

 

„Liebe Tochter, was ist denn?“ Der Fürst schien blind zu sein. Und Buffy schüttelte schwach den Kopf. Sie erhob sich zaghaft.

 

„Verzeiht mir, Graf Levinson“, sagte Buffy atemlos, ehe sie von ihrem Platz verschwand und mit rauschendem Kleid die Halle im Laufschritt verließ. Die versammelte Menge an Anwesenden und Bediensteten starrte ihr nach, ehe eine blonde Zofe ihr mehr oder weniger unauffällig zu folgen schien.

 

„Fantastisch“, bemerkte Spike lautlos in Richtung seines Vaters, der dem ganzen Spektakel mit halb geöffnetem Mund zugesehen hatte. „Wir müssen unbedingt öfters vorbeikommen“, schloss Spike grinsend.

 

„William!“, zischte sein Vater empört, aber Spike verbarg das Grinsen wieder hinter der Hand.

 

Der Fürst verbarg seinen Ärger über seine Tochter anscheinend gekonnt. Dawn seufzte auf, und der kleine Graf stammelte Worte der Verwirrung.

 

„Keine Sorge“, versprach der Fürst kurzerhand. „Sie ist lediglich scheu“, log er dreist, und Spike lachte auf, so dass ihn einige Blicke trafen. Er fälschte ein Hüsteln und räusperte sich dann unschuldig. Sein Vater schien sich geneigt zu fühlen, dem kleinen Grafen sein Beileid über die wankelmütige Verlobte zu bekunden, aber Spike wartete geistesgegenwärtig, bis sich sein Vater und der Fürst wieder unterhielten, ehe der kleine Graf einen nahen Stuhl am Rande der Halle aufsuchte. Wahrscheinich war heute der aufreibendste Tag seines jämmerlichen Lebens gewesen.

 

Er hatte Lust auf ein kleines Spiel. Er hatte Lust auf eine Wette mit Angel. Denn, wenn er Angel den Weg freimachte, das junge dumme Ding zu bekommen – dann würde Angel vielleicht auf seinen preisgekrönten Zuchthengst verzichten.

 

Der wäre doch eine Verlobung mit der reichen Fürstentochter allemal wert. Er würde Angel noch heute Abend schreiben, nachdem er ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet hatte.

 

Er war gemächlich zum Grafen geschlendert, der auf einem der unbequemen Brokatstühle saß, während einer seiner Bediensteten ihm ein feuchtes Tuch brachte. Er tupfte sich über die schweißnasse Stirn.

 

„Graf!“, begrüßte er ihn, in Ermangelung seines Namens, den er längst wieder vergessen hatte. Der junge Mann hob den Blick verstört, und Spike neige kurz den Kopf. „Lord of Levisham“, stellte er sich der Einfachheit halber mit dem Titel seines Vaters vor. Sofort weiteten sich die Augen des kleinen Grafen.

 

„Lord of Levisham!“, rief er aus. „Es ist… mir eine Ehre“, sagte er hastig, sprang fast vom Stuhl, aber Spike winkte lächelnd ab. „Seid… Seid Ihr ebenfalls zur Brautwahl hergekommen?“, wollte der kleine Graf fast beunruhigt wissen, aber Spike schenkte ihm einen nachsichtigen Blick.

 

„Nein, guter Graf. Ich bevorzuge die Jagd, nicht die Eroberung der Beute“, erklärte er mehrdeutig, was dem Grafen natürlich entging. „Aber… einen Rat meinerseits, wenn Sie gestatten?“, fuhr Spike fort, und der Graf nickte so heftig, dass sein schales Doppelkinn wippte.

 

„Gewiss, natürlich, Mylord“, erwiderte er wissbegierig. Oh, es würde beinahe zu einfach sein, nahm Spike enttäuscht an.


„Die ältere Tochter ist… schwierig, nicht wahr? Aber nicht zu verachten. Sie hat Feuer, wissen Sie?“, begann er zu erzählen. Der Graf runzelte die Stirn.

 

„Feuer, mein Herr?“, vergewisserte sich der Graf nun unentschlossen. „Mir schien, sie wies mich vorhin ab, nicht wahr?“, entkam es ihm resignierend. „Mein Aufenthalt hier scheint von kurzer Dauer.“

 

„Nein“, beteuerte Spike, besann sich aber. „Nun, es mag sein, dass sie sich ziert“, ergänzte er. „Aber es war keine Abweisung!“ Er dachte an seinen eignen kleinen Vergleich, den er zu den Schwestern angestellt hatte. Er würde ihn für den Grafen ein wenig verändern. „Sie müssen natürlich wissen, mit herrischen Frauen umzugehen“, informierte er ihn still, als wolle er ihn in ein Geheimnis einweisen. Der Graf lauschte mit großen Augen.

„Haben Sie je ein Wildpferd gebändigt, nachdem sie es aus der Puszta eingefangen und gebrochen haben?“, wollte Spike leidenschaftlich wissen, aber der kleine Graf sah nicht so aus, als könne er überhaupt ohne Aufsteighilfe ein Pony besteigen. Spike verwarf sein Beispiel mit der Hand.

„Vergessen Sie das. Rufen Sie sich ins Gedächtnis wie schüchtern und naiv die kleine Elizabeth in Wahrheit ist. Sie sucht regelrecht nach der starken Hand, die sie führt und leitet“, ergänzte er eindeutig. „Und ist sie nicht ebenfalls eine Schönheit? Eine seltene englische Rose? Und sie kann es kaum erwarten… gepflückt zu werden“, schloss er eindeutig, und der Graf starrte ihn immer noch an.

 

„Tatsächlich?“, brachte er fast entsetzt hervor.

 

„Oh ja, mein Lieber“, erklärte Spike. „Haben Sie es nicht gespürt?“

 

„Gespürt?“, wisperte der Graf entgeistert.

 

„Sie hat gewollt, dass Sie einfach den Mund aufmachen, zu ihr gehen, sie aus dem Thron heben und ihr sagen, dass Sie nur sie zur Frau haben wollen?“, fuhr Spike dramatisch fort, und der Graf starrte ihn entgeistert an.

 

„I-ich sollte sie aus dem Thron heben?“, wiederholte er ungläubig, und Spike legte den Arm um die Schulter des kleinen Mannes, der wohl hinter geistigem Auge an den Leistenbruch dachte, der ihm blühen würde.

 

„Frauen wollen erobert werden. Sie sind doch ein Eroberer, Graf?“ Der Graf nickte unsicher. „Und Sie wollen heiraten? Den Haushalt der Frau überlassen, einen Erben zeugen?“ Er knuffte ihn kameradschaftlich in die Seite. „Sie wollen die Widerspenstige zähmen? Ich kann Ihnen behilflich sein. Es sei denn natürlich, das Gold der Fürstentochter interessiert Sie nicht, und Sie sind der Herausforderung nicht… gewachsen….“ Er betonte das Wort besonders. Und er wartete. Der kleine Graf wurde plötzlich ernst. Spike wusste, einen kleinen Mann zu beleidigen führte zur Offensive.

 

„Ja, ich will sie heiraten! Für wahr, Recht haben Sie, mein Herr! Ich werde Sie nehmen, ob sie will oder nicht!“ Gut, so ungefähr hatte Spike es sich ausgemalt. Oh, was Buffy für ein Gesicht machen würde, wenn der kleine Graf versuchte, sie über seine schmächtige Schulter zu werfen. Ihr Vater wäre begeistert.

 

Aber Spike nahm an, der Graf würde mit genug Überzeugung auf Farington verbleiben. Und der Fürst würde sich hüten, den einzigen Kandidaten wieder ziehen zu lassen. Und so wurde Elizabeth of Summers die Tochter des kleinsten Grafen unter der Sonne. Spike musste wieder lächeln. Er half doch gerne.

 

Und er bekäme mit großer Sicherheit den schönsten Hengst Europas.

 

 

Kapitel 6

Dire Fate

 

„Er ist geblieben, Buffy!“ Natürlich war Dawn die erste, die das zu interessieren schien. „Er bleibt hier. Und William hat einen Ball vorgeschlagen. Noch dieses Wochenende.“ Buffy hatte sich gerade in das festliche Kleid schnüren lassen. „Ist es nicht großartig?“

 

Großartig? Der untersetzte Graf war geblieben? Wollte er tatsächlich wagen, sie zu nehmen? Das wäre… noch schlimmer, als wäre er verliebt in Dawn und wieder abgereist. Aber Dawn interessierte anscheinend nicht, dass die Möglichkeit bestand, dass Buffy einen Zwerg heiraten musste.

 

„Ich glaube nicht, Dawn“, bemerkte sie also, während sie das Gesangbuch steif in die Hände nahm. Die Kutsche zur Kirche wartete bereits. Dawn war unpassend erregt.

 

„Buffy, könntest du dich einmal wenigstens anstrengen? Endlich kommt ein Mann, der dich heiraten möchte! Willst du mir alle meine Chancen nehmen?“ Buffy starrte ihre Schwester fassungslos an.

 

„Alle deine Chancen? Möchtest du mir sagen, dass, wenn ein Zwerg um deine Hand anhalten wird, dass du zusagen würdest? Einen Mann, mit weniger Besitz als wir? Kilometerweit weg? Du würdest eher alleine sterben als die Frau dieses Mannes zu werden, oder nicht? Und von mir willst du das verlangen?“

 

„Buffy, ich habe jede Wahl offen. Ich kann nehmen, wen ich will. Du musst begreifen, dass sich das Leben nicht nur um dich dreht. Du kannst es dir nicht aussuchen. Du solltest froh sein, wenn dich überhaupt noch jemand will, so alt wie du bist.“ Buffy sah ihre Schwester verächtlich an.

 

„Geh mir aus dem Weg“, sagte sie nur, schritt an Dawn vorbei, und war so wütend wie schon lange nicht mehr. Sie hatte keine Pflicht gegenüber ihrer Schwester. Sie hatte nur eine Pflicht gegenüber sich selbst. Niemandem sonst!

 

Ihr Vater wartete bereits in der Kutsche als sie einstieg. Lord Giles und sein Sohn saßen in einer zweiten Kutsche.

 

„Na, das sieht doch gut aus. Der Graf fährt mit Lord Giles. Er begleitet uns in die Kirche. Ich denke, du hast gute Aussichten.“ Buffy betrachtete ihren Vater aufmerksam.

 

„Welche Verbindungen bezweckst du mit Sheffield, die wichtig wären für die Politik unserer Grafschaft oder unseres Landes?“, fragte sie direkt, ehe Dawn einsteigen konnte.

 

„Was?“ Ihr Vater wirkte verwirrt. „Politik? Was redest du von Politik, meine Liebe?“

 

„Es geht bei deinen Heiratsgedanken doch immer nur um die Politik, die Sicherheit des Landes, aber hier, bei diesem Kandidaten kann ich kein Motiv erkennen, Vater“, erklärte sie schließlich. Das Kleid saß sehr eng. Es war unbequem.

 

„Liebes, ich habe keine-“

 

„Du hattest keine Hoffnung mehr, oder? Das ist eine deiner letzten Chancen, deine Tochter zu verheiraten, richtig? Und deswegen lässt du Grafen aus verschlagenen Ortschaften kommen, um deine älteste Tochter loszuwerden?“ Ihr Vater wirkte ehrlich schockiert.

 

„Buffy, wie kannst du mir so etwas unterstellen? Der Graf hat angefragt, ich habe zugesagt.“ Er war verschlossen und sah aus dem Fenster. Tränen bildeten sich in ihren Augen, und sie konnte nicht fassen, dass es so weit gekommen war. Dawn stieg übertrieben gut gelaunt in die Kutsche, küsste ihren Vater auf die Wange und setzte sich ausgelassen neben Buffy.

 

„Ein schöner Tag heute, nicht wahr?“, fragte sie in die Runde, und Buffy hätte ihr am liebsten an den aufgedrehten Haaren gezogen.

 

Der Weg zur Kirche kam ihr unendlich lang vor. Und als sie angekommen waren, sprach weder ihr Vater noch ihre Schwester ein Wort mit ihr. Die Leute aus den Dörfern, die ebenfalls die Kirche besuchten, tuschelten, als sie ankamen. Denn diese Woche war es nicht nur der Fürst mit seinen Töchtern, diese Woche war es der Fürst mit seinen Töchtern, seinen Gästen und dem vielleicht zukünftigen Ehemann der ältesten Tochter. Sie blickte stur auf den Boden. Die rote Erde wirbelte in der Luft, als sie den Weg zur Kirche empor schritten, und Buffy hoffte inständig, dass Dawns helles Kleid Schaden nehmen würde.

 

Als sie den Kirchenstuhl betraten, der für sie stets reserviert war, schaffte es William Giles, sich neben sie zu setzen. Das Gesangbuch lag ruhig auf seinem Schoss. Und sie sah mit Bestürzung, dass er das eingestanzte Kreuz im Leder ausgekratzt und angemalt hatte. Wenn er es denn gewesen war. Er war also auch noch ein Ketzer. Sie blickte starr nach vorne. Er lehnte sich näher zu ihr.

 

„Es scheint gut zu laufen mit dem Grafen.“ Die Leute aus dem Dorf betrachteten sie interessiert. Und den blonden Mann neben ihr. Sie sah die Frauen auf ihn zeigen und amüsiert tuscheln. Sie sprachen bestimmt über seine auffällig hellen Haare. Sie ignorierte seine Worte. „Findet Ihr nicht, Buffy?“


„Hört auf, mich so zu nennen!“, zischte sie, und vergaß vor Wut ihr eigenes Schweigegelübde. Der Pfarrer begann die Messe, und sie sah William aus den Augenwinkeln lächeln.

 

„Der Graf wird Euch bestimmt nennen, wie Ihr wollt, Buffy“, fuhr er leiser fort. Sie atmete genervt aus.

 

„Lasst mich in Ruhe!“, presste sie hervor und erntete einen mahnenden Bick vom Pfarrer. Als hätte sie angefangen! William hatte das Gesangbuch aufgeschlagen und versteckte sich hinter den Seiten, als er sich wieder näher zu ihr lehnte.

 

„Ich bin wirklich gespannt, wie er mit Euch zurecht kommen wird. Ich habe gehört, im Winter ist die Grafschaft von Sheffield so gut wie ausgestorben“, fuhr er so leise fort, dass sie Mühe hatte, ihn zu verstehen. Und das wollte sie nicht einmal.

 

„Es interessiert mich nicht, was Ihr gehört habt, Mylord. Es wird keine solche Verbindung geben. Der Graf interessiert sich wohl eher für meine Schwester.“ Sie hatte doch geantwortet. Sie hasste sich für ihre Schwäche, immer Widerworte zu geben.


„Das wundert mich nicht“, bemerkte er lächelnd, während sie verbissen geradeaus starrte, als die Gemeinde das erste Lied anstimmte. Sie sang nicht mit. „Wobei… als ich mit ihm gesprochen habe, erschien er mir Euch sehr zugetan.“ Jetzt sah sie ihn an.

 

Mit Entsetzen. Ein Lächeln erhellte seine Züge. Sie hatte ihn noch nicht aus dieser Nähe sehen können. Seine Augen waren hellblau. Fast so grau wie das Eis der Eiszapfen, die im Winter von der Turmspitze hingen. Seine Wangenknochen saßen hoch und waren so stark ausgeprägt, dass seine Wangen straff gespannt wirkten. Er hatte tiefe Grübchen, wenn er lächelte, und er wirkte kein bisschen sympathisch auf sie. Kein Stück!

 

„Ihr habt mit ihm gesprochen“, flüsterte sie entsetzt, und es war keine Frage. „Was habt Ihr…“ Sie konnte nicht weiterreden. Sie musste wieder nach vorne blicken. Was hatte dieser Widerling dem Grafen gesagt? Was hatte er ihm versprochen? Wie konnte er so etwas tun?

 

„Ich habe ihm Euch schmackhaft gemacht. Ich dachte, ich tue Euch einen sehr großen Gefallen, Mylady“, erklärte er und besaß die Dreistigkeit noch breiter zu grinsen. Seine Augen funkelten verschmitzt.

 

„Ihr seid widerlich!“

 

„Schaut ihn Euch an. Wie verlockend er da sitzt. Voller Hoffnung im kleinen Gesicht“, flüsterte William in ihr Ohr. Und tatsächlich, als sie sich ein Stück aus dem Gebälk vorlehnte erkannte sie den Grafen, der ihr ab und zu einen Blick zuwarf. Als sie ihn erwiderte, lächelte er zaghaft. Sofort setzte sie sich zurück, wich ganz an die Kirchenbank und schluckte schwer.

Dann wurde es ihr klar. Sie wandte ihm den Blick zu.

 

„Ich weiß, warum Ihr das tut. Ihr wollt Dawn heiraten“, flüsterte sie schockiert. Es wurde ihr alles bewusst. Er war ein elender, gottloser Mistkerl! Und so etwas würde sie niemals, niemals von jemandem denken, oder es laut sagen, aber hier traf es zu!

Er lächelte nachsichtig, wie es schien.

 

„Buffy, ich habe kein Interesse an einer Ehe, die mich in Pflichten mit einer langweiligen, prüden, jungfräulichen Frau zwingt, die kaum älter ist als ein Kind und von der Verführung nichts versteht.“ Sofort spürte Buffy die Röte in den Wangen als er so sprach. Er lächelte wieder. Wie konnte er so reden? Auch noch in einer Kirche! „Eine Heirat wäre so, als ob ich mich hinter Gitter begebe, gefangen in Anstand und Moral. Ich denke, Ihr könnt mich gut einschätzen. Fürstentöchter sind-“

 

„-was?“, unterbrach sie ihn so scharf, dass der Pfarrer den Blick erneut hob und sie strafend ansah. Überrascht hob William die Augenbraue.

 

„Fühlt Ihr Euch beleidigt? Angegriffen? Herausgefordert? Ich spiele nur, Buffy“ erläuterte er vergnügt.

 

„Ihr spielt mit meiner Zukunft!“, knurrte sie gereizt. „Und es schert Euch nicht!“

 

„Was für eine Zukunft wäre das? Eine Zukunft, gefangen im Schloss Eures Vaters, der immer mehr verbittert, weil er seine Töchter nicht unterbringen kann, seinen Reichtum nicht vergrößert und keinen Erben bekommen wird?“ Schockiert sah sie ihn an. „Oder eine Zukunft bei einem Mann, der Euch tatsächlich ehelichen will? Glaubt mir, der Graf gehört dann wohl mit zu der besseren Wahl, Elizabeth“, sagte er plötzlich ernst. Auch er dachte also so. Auch er dachte, sie würde niemals jemanden bekommen. Sie wollte auch niemanden. Das, was sie tun sollte, war… weglaufen.

 

Sie sollte… einfach gehen. Verschwinden. Sie war ihrem Vater eine Last, ihrer Schwester eine Last. Sie war nichts weiter als eine Last. Und das musste ihr ausgerechnet der blonde Teufel erzählen! Lächelnd hatte er sich zurück gelehnt und stimmte mit überraschend tonsicherer Stimme in das zweite Lied mit ein. Noch nie war sie sich so ungeliebt, so hässlich und wertlos zugleich vorgekommen.

 

Und egal, wie stark sie war, wie viel sie sonst vertragen konnte, ohne dass es sie belastete – das hier heute…, das war mehr als sie ertragen konnte.

Würde sie weglaufen, dann hätte sie alles verwirkt. Sie würde in keinem Palast wohnen. Sie würde nicht einmal ein Haus besitzen. Mit Glück würde sie eine Wäscherin werden. Aber sie konnte nicht einmal waschen!

Sie spürte die Tränen in ihren Augen.

 

War es das? War das die Wahl, die sie hatte? Eine Zukunft im Dorf, zwischen Krankheit, Armut und Verderben, in der sie vom Fürstenturm ins Armenhaus kommen würde? Und dort würde sie sterben? Mit freiem Willen, jedoch einsam und mittellos und allein? Verstoßen von ihrer Familie und ihrem Stand?

Wieso hatte sie keine Wahl? Kein Recht, kein absolut gar nichts?

Und war die andere Möglichkeit, den kleinen, unscheinbaren Grafen zu heiraten? In einer Grafschaft zu leben, abgeschieden von Menschen, von ihrer Familie, wo sie ihren Vater vielleicht einmal im Jahr sehen würde? Wenn er es überhaupt wünschte?

 

Was wäre das für ein Leben? Müsste sie den Grafen heiraten, lieben, ehren und achten, obwohl sie den Gedanken schon nicht ertragen konnte, dass er nicht abgereist war, weil ein dämlicher Lord ihn anderweitig überzeugt hatte? Vielleicht mit Gold? Oder anderem Besitz?

So einen Mann sollte sie bekommen? Einen, der nicht denken konnte, der nichts für sich selber entschied? Der sich eine Frau suchte, weil er musste?

 

Sie schloss die Augen. Was tat Gott ihr an? War das die Bürde, die ihr auferlegt wurde? Musste sie auch noch dankbar sein, dass sich ihrer ein Mann erbarmte, nur weil sie nichts von Ballkleidern, bleicher Haut, schädlicher Fassade fürs Gesicht und für ihre Haare hielt?

Wurde sie für ihre eigene Meinung bestraft?

Es musste so sein.

 

Sie musste wohl einen kleinen Grafen ohne Meinung heiraten, um ihre Sünden wieder auszumerzen.

Was für ein herber Schlag. Ach, würde ihre Mutter noch leben! Sie konnte sich nicht mehr gut an sie erinnern. Sie war fünf gewesen, als sie gestorben war, aber sie meinte sich gut zu erinnern, dass ihre Haare genauso blond gewesen waren wie ihre, dass auch ihre Mutter Reiterhosen ihres Vaters getragen hatte, und dass ihre Eltern manchmal im Streit zu Bett gegangen waren, weil ihre Mutter ihre Meinung hatte durchsetzen müssen.

 

Auf den Portraits sah sie ihrer Mutter ähnlich. Dawn nicht. Aber anscheinend hasste ihr Vater nun all das an ihr, was er an ihrer Mutter geschätzt hatte.

All die Jahre, in denen sie sich über die Mädchen in Ballkleidern lustig gemacht hatte, wurde ihr jetzt wohl heimgezahlt, nahm sie an.

All die Märchen, die sie mit Anya erfunden hatte, suchten sie jetzt heim.

Und William Giles war der Teufel.

Wenn der Graf sie nun tatsächlich fragen würde, und sie würde verweigern, dann würde ihr Vater sie ohnehin enterben, oder des Schlosses verweisen oder… - sie wusste es nicht einmal.

 

Vielleicht würde er mit der Tradition brechen, und Dawn endlich verheiraten. Und sie bliebe dann ungeliebt und als Enttäuschung der Familie allein im Haus wohnen. Mit ihrem Vater.

 

Wie erfüllte man eine Pflicht? Wie war man pflichtbewusst?

Die Frage hatte sich ihr nicht gestellt. Sie hatte gewusst, sie musste ein Kleid tragen, wenn ein Ehrenmann zum Schloss kam. Aber weiter war ihr Pflichtbewusstsein nie gegangen.

 

Vielleicht war es ein Zeichen von Gott, dass sich alles ändern musste. Dass sich alles ändern würde. Weil nichts gleich blieb. Weil nichts gerecht war. Weil es sich gehörte, Opfer zu bringen.

Ihre Mutter würde nicht wollen, dass ihr Vater vor Kummer verging, wo er doch nichts weiter wollte, als seine Töchter der Tradition und dem Stande gemäß zu verheiraten.

 

Buffy faltete die Hände, aber ihr fiel kein Gebet ein, was sie jetzt würde sprechen wollen. Das gute Leben, was bisher schon nicht immer einfach gewesen war, endete wohl bald.

Sie hoffte, Lord Giles und sein Sohn reisten bald ab. Es wäre auch mehr als unwahrscheinlich, würde sie die beiden danach noch einmal wiedersehen müssen.

Das war der eine Lichtblick, der ihr blieb.

 

Kapitel 7

The fairest oft them all

 

Er hatte noch am Abend zuvor einen schnellen Reiter mit seinem Brief losgeschickt. Wahrscheinlich würde Angel in einigen Tagen antworten. Sein Plan war einfach brillant. Er hatte die junge Fürstentochter schon gesehen, mit einem Buch, in dem sie die Namen der Gentlemen rezitierte und überlegte, welcher ihr denn am besten gefallen hatte.

 

Für den Ball war er bereits umgezogen. Sein Vater hatte tatsächlich einen Boten gesandt, um in der Grafschaft Bescheid zu geben, dass sich der Aufenthalt verlängern würde, und das Gesinde ihre besten Sachen zusammen packen sollten. Spike nahm nicht an, dass er und sein Vater unter dem gewöhnlichen Volk besonders beliebt waren. Er war sich auch nicht sicher, für wie lange sein Vater plante, hier zu bleiben.

 

Er saß im Blauen Salon des Schlosses, obwohl er nichts Blaues ausmachen konnte, was diesen Namen rechtfertigen würde. Aber vielleicht rührte der Name daher, dass sich hier der Schrank mit den feinsten Spirituosen befand? Es wäre eine anmaßende Annahme, aber keine besonders weit hergeholte.

Und den Verzehr genoss er nämlich insbesondere.

Und natürlich den Anblick von Buffys Zofe Anya, die ab und zu durch das Schloss wuselte, um letzte Aufgaben zu verrichten. Sie war… wirklich nicht abzulehnen. Vielleicht erwischte er heute Abend ein ruhiges Stündchen in einem abgelegenen Zimmer, in dem er sie zu einem kurzen Spaß begeistern konnte….

 

„William“, begrüßte ihn sein Vater knapp. Spike erwartete den kleinen Grafen hinter ihm jede Sekunde. Er hatte ihn nämlich noch nie länger als fünf Minuten aus den Augen gelassen. Er wurde etwas aufdringlich, hatte sehr viele Fragen, die Hochzeitsnacht betreffend, die Spike zwar alle beantworten, aber, beim besten Willen, nicht mehr hören konnte.

 

„Vater“, entgegnete er nickend. Sein Vater goss sich von der goldenen Flüssigkeit in ein Glas aus Kristall.

 

„Es ist sehr nett, dass sich Lord of Summers zu dieser Festlichkeit hat hinreißen lassen“, bemerkte sein Vater nun. „Das hast du geschickt gelöst, nicht wahr?“ Anscheinend wurde es eine Art Verhör.

 

„Nun, ich habe-“

 

„Du hast… einfach vorgeschlagen, dass der Graf die Tochter heiraten soll, dass alles auf einem Dorfbankett bekanntgegeben wird, und… und… und…“, schloss sein Vater gereizt, und Spike war sich nicht ganz sicher, worauf dieses Gespräch abzielen sollte. „Es wäre schön zu sehen, wenn du für deine eigenen privaten Verbindungen so viel Zeit und Aufwand investieren würdest, wie für die der anderen. Aber ich nehme an, du folgst einer Agenda, einem… Plan?“

 

Spike wollte auflachen. Sehr kurz spielte er mit dem Gedanken, aber er wusste, sein Vater war nicht zum Scherzen aufgelegt. „Ich bin mir nicht sicher, wovon Ihr sprecht, werter Vater“, lenkte er mit einem blassen Lächeln ein. Sein Vater verzog lediglich den Mund.

 

„Schluss damit, William“, warnte er ihn unbeeindruckt. „Wie denkst du, wird deine Zukunft sich gestalten? Du bleibst unverheiratet, bekommst keinen Erben? Du gehst nicht ins Militär, belegst keinen Rang, machst dir keinen Namen – außer bei den Dirnen im Dorf…“

 

Es wurde also solch ein Gespräch…. Na gut.

 

„Denkst du, ich weiß nicht, weshalb du die Dreistigkeit besessen hast, und das halbe Dorf eingeladen hast?“, fuhr sein Vater ihn an, und Spike hob abwehrend die Hände.

 

„Du missverstehst mein Handeln, Vater, ich-“

 

„-ich denke, du hast noch nie etwas getan, was nicht deinem eigenen Vorteil dient, William“, schnitt ihm sein Vater abrupt das Wort ab. „Und es ist widerlich.“ Kurz verlor Spike die Geduld.

 

„Wenn der Graf die Tochter heiraten möchte, dann habe ich richtig gehandelt, wenn ich ihm Mut mache, es zu tun. Dann kann die jüngere Tochter heiraten, der Fürst ist glücklich, und-“


„-ach so“, unterbrach ihn sein Vater gedehnt, eisige Erkenntnis im Blick. „Ist es das? Du hast Interesse an der jungen Dawn? Überzeugst du deshalb den Grafen von den Qualitäten der Älteren?" Sein Vater betrachtete ihn abwägend. Spikes Mund öffnete sich knapp. „Oder handelt es sich wieder einmal um einen rein selbstsüchtigen Grund, mein lieber Sohn?“ Es war eine Fangfrage. Mit seinem Vater zu sprechen war stets entwaffnend. Spike ruckte mit dem Kopf.

 

„Vater, ich wollte-“


„-ich warte bereits sehr lange darauf, dass du Anstalten machst, das Wohl unserer Familie zu unterstützen. Zwar kann ich es mir kaum vorstellen – ja, habe ich nicht einmal mehr gewagt davon zu träumen, aber… so sei es dann. Sobald die ältere Tochter verheiratet ist, machst du der jüngeren den Antrag. Dann hatte unser beschämend unhöflich langer Aufenthalt im Schloss Farington wenigstens noch einen lohnenswerten Zweck für den Fürsten!“ Sein Vater leerte zufrieden sein Glas, und Spike hatte gerade nicht das rechte Argument, um zu widersprechen.

 

Er hatte mehrere Argumente, allerdings… wäre es klüger, das Schicksal diesen drohenden Streit entscheiden zu lassen. Denn Dawn würde Angel heiraten. Und er, Spike, würde dann nicht einmal schlecht dastehen, wenn er seinem Vater erklärte, die kleine Dawn hätte ihn abgelehnt. Er bekäme auch noch den Prachthengst geschenkt. Und das Mitleid seines Vaters. Denn würde er jetzt mit dem Hengst rausrücken, würde sein Vater wahrscheinlich das schwere Glas nach ihm werfen.

Spike schluckte mit Widerwillen die nächsten Worte herunter und zog es vor, ebenfalls zu trinken.

 

„Ich werde noch heute Abend mit dem Fürsten über die Arrangements sprechen. Die Hochzeit wird natürlich nicht hier stattfinden. Ich denke, ich durchschaue langsam deine Art zu denken, William, und ich bin nicht abgeneigt.“

 

„Wirklich, Vater?“, murmelte er bitter, denn sein Vater durchschaute kaum schwach verschleierten Sarkasmus, geschweige denn, seine Art zu denken. Er würde mit Dawn reden. Bei der Aussicht auf Angel würde diese ihm mit Sicherheit entgegen kommen. Sie kam ihm vor wie eine abgebrühte junge Dame. Sie würde sich in kleine, dunkle Tricks einweihen lassen. Ganz bestimmt.

 

~*~

 

Als er an ihre Tür klopfte, öffnete ihre Zofe in derselben Sekunde. Ihn schien sie nicht erwartet zu haben.

 

„Oh“, entrutschte es ihr beschämt, sie senkte hastig den Blick und fiel in einen sehr tiefen Knicks. „Mylord, w…was kann ich für Euch tun?“

 

„Ich hätte gerne mit der Fürstentochter gesprochen“, erwiderte er und versuchte, in das Zimmer zu lugen.

 

„Was? Ihr müsst Euch b…bis zum B…ball gedulden“, flüsterte die Zofe und hielt die Tür fest umklammert.

 

„Es… ist dringend und kann unmöglich solange warten.“

 

„Dawn ist noch nicht bereit“, erklärte die Zofe und sah aus, als befände sie sich in großen Schmerzen.

 

„Bitte, Frau, lasst mich mit ihr sprechen“, bat er erneut. Die Zofe schüttelte, unfähig zu sprechen, den Kopf. Er hob seufzend die Faust, klopfte lauter gegen die Tür, die die Zofe immer noch umklammert hielt, und griff zu lauteren Mitteln.


„Lady Dawn?“, schrie er unpassend laut. „Auf ein Wort!“, fügte er hinzu. Himmel, es stand einiges auf dem Spiel.

 

Das Mädchen erschien im Türrahmen. Die Haare lang und lockig, voll und dunkel. Die Wangen waren weiß, die Haut wie Porzellan. Die Lippen voll und rot bemalt, wie süße reife Kirschen. Er schüttelte den Gedanken mit aller Macht ab.

Nicht einmal die Schönste konnte ihn von seinem Wunsch abbringen, ein lebensfroher Gentleman zu bleiben. Ohne Zwang. Ohne Pflichten, die eine langweilige Frau betrafen.

 

„Es gibt Dringendes zu besprechen, und ich brauche Eure volle Aufmerksamkeit.“ Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Sie war größer als ihre Schwester, aber trotzdem überragte er sie noch. Sie lächelte schließlich wie ein Engel und gebot ihrer stotternden Zofe ins Zimmer zurückzugehen. Sie schlüpfte aus der Tür und betrat den Gang, in einem mitternachtsblauen Kleid, geschneidert für eine Göttin. Es wölbte sich um ihren Körper, ließ ihn ihre feinen Linien erahnen, ihre wohldefinierten Hüften, die bestimmt perfekt dazu geeignet waren, ihm Höhepunkte zu schenken, aber wieder atmete er aus.

 

Mylady, es gibt ein paar Probleme.“

 

„Probleme?“, wiederholte sie in glockenhellem Klang.

 

„Ja, mein Vater ist auf dem Weg zu Eurem Vater, um unsere Hochzeit zu arrangieren.“ Sie öffnete die Augen ein Stück weiter.

 

„Unsere Hochzeit? Wurde ich gefragt?“

 

„Nein. Ich auch nicht. Das ist eines der Probleme. Jedenfalls ist es unabdingbar, dass Ihr ablehnt und Euch für Liam le Comte entscheidet“, erklärte er hastig.

 

„Le Comte?“, wiederholte sie erneut seine Worte und nickte langsam. „Ja. Wie viel Vermögen besitzt Ihr, Lord William?“ Er stutzte kurz.

 

„Bitte?“, entkam es ihm beinahe argwöhnisch.

 

„Ich habe gehört, Ihr seid zukünftiger Herrscher von über zwölf Grafschaften?“, erwiderte sie ungerührt, mit einem schmalen Lächeln auf den hübschen Lippen.

 

„Woher solltet ihr das gehört haben?“, wich er ihrer Frage aus, denn ihn befiel ein kühles Gefühl. Sein Besitz schlug Angels Besitz um Längen. Aber… das konnte unmöglich ein Kriterium in ihrem Kopf sein. Oder?

 

„Liam le Comte besitzt nicht einmal halb so viel, nicht wahr?“ Und er spürte, wie das kalte Gefühl von einer unangenehm sauren Hitze in seinem Mund abgelöst wurde.

 

„Besitze bemisst sich nicht in Unze und Pfund, Hektar oder Vieh, werte Dawn“, begann er unwirsch, denn er mochte nicht, wohin dieses Gespräch führte. „Le Comte besitzt weitaus erstrebenswertere Qualitäten als manch anderer", lenkte er in eine andere Richtung. „Er ist höchst ehrenwert“, lobte er seinen Freund mit Worten, die wohl einer Frau mehr imponierten als einem Mann.


„Ehrenwert?“, wiederholte sie, fast gelangweilt. „Das heißt, Ihr seid es nicht? Ehrenwert?“ Spike ergriff die Gelegenheit, wie sie sich bot.

 

„Oh nein, Mylady. Ein Schurke, ein Schuft“, holte er eilig aus. „Ein schlechter Mann. Die Damen im Dorf werden es Euch bestätigen können“, erklärte er mit einem angeberischen Lächeln, von dem er hoffte, dass es sie abschrecken würde. Aber plötzlich kam sie näher.

 

„Ein Schuft? Ein Lebemann. Ihr seid erfahren und reich?“ Ihr Blick schweifte aus dem Fenster. Er schluckte schwer. Es war ein zweischneidiges Schwer, auf dem er einen gefährlichen Lauf vollführte, wurde ihm klar.

 

Mylady“, begann er stiller, „ich bin nicht für Euch“, schloss er mit Nachdruck. Aber Dawns Augen leuchteten auf.

 

„Deshalb habt ihr den Grafen an Buffy verkauft!“, entfuhr es ihr ehrfürchtig. „Ihr seid tatsächlich ein Schuft! Nur um mich zu bekommen?“ Er schloss die Augen. Grund gütiger! Frauen waren allesamt dämlich.

 

„Nein, ich-“

 

„-wieso sollte ich Liam le Comte vorziehen, wo Ihr doch…“, sie machte eine Pause, um ihn näher zu betrachten, „ein viel attraktiveres Ziel bietet? Ich werde veranlassen, meine Sachen zu packen. Ich hoffe, Eure Anwesen bieten genügend Raum. Ich pflege einen teuren Stil, aber Ihr werdet mir wohl nichts verweigern, richtig? Wenn Ihr solche Mühe auf Euch nehmt?“ Sie verschwand wieder in ihrem Zimmer, mit einem ziemlich teuren Lächeln auf den Zügen. Er lehnte sich an die Wand.

 

Er war sich nicht einmal völlig sicher, was so eben geschehen war.

 

Sein Vater hatte ihm diese Falle gestellt. Und die kleine Prinzessin Nimmersatt würde ihn nicht ablehnen. Eine Frau zu haben, die verrucht war, wie er selber, mochte er im Dorf. Eine Frau, die glaubte sie sei es, das war nicht erstrebenswert!

Er war… zehn Jahre älter…. Fast fand sogar er diesen Unterschied zu groß.

 

Das konnte nicht passieren! Angel würde ihn umbringen. Und er würde den Zuchthengst nicht bekommen! Nein, das würde nicht passieren. Er tauschte nicht den besten Jagdhengst gegen eine rossige, unerfahrene Stute! Niemals!

 

~*~

 

„Halt still!“, befahl Anya nassgeschwitzt. Buffy klammerte sich an den Bettpfosten und wusste, sie würde nicht überleben. Keine Minute.


„Das ist zu eng!“

 

„Das ist nicht zu eng, du bist zu dick!“, stöhnte ihre Zofe, während sie die Schnüre noch straffer zog.


„Ich bin nicht dick!“

 

„Für diese Mode schon!“, beschwerte sich die Zofe, die endlich die letzte Schleife band. „Es gibt nach, im Laufe des Abends. Lieber Gott, Buffy!“, stieß sie aus. „Du hast Formen!“

 

Buffy betrachtete sich im Spiegel und erschrak. Das helle Kleid war ihr wie auf den Leib gepinselt, so eng saß es. Sie war um die Hüften abgeschnürt bis auf ihre Knochen, nur um das weite Becken zu betonen, was sich rund und einladend in den Stoff schmiegte. Sie kam sich vor, als wäre sie nackt, mit einer Idee von Stoff umwickelt. Ihre Brüste präsentierten sich in so provozierendem Maße, dass sie wegsehen musste. Sie wurden geformt und nach oben gedrückt, dass sie annehmen musste, niemand würde ihr Gesicht beachten.

 

Die hellen Farben im Gesicht hatte Anya neu gemischt, damit sie dunkler wurden und besser zu ihrem Teint passten. Es sah perfekt aus. Die Papierfetzen und Wickler aus Holz hatte sie nun den gesamten Tag über in ihren Haaren gehabt, die nun anmutig feine Locken bildeten, die ihr aus der Frisur in Stirn und Nacken fielen. Ihr Hals war schlank und lang. Die Jägerin, ohne Armbrust über der Schulter, war ihr nicht mehr anzusehen, befand sie erschrocken.

 

„Ihr seid tausendmal schöner als Eure Schwester“, entfuhr es Anya völlig verblüfft. Buffy schüttelte nur sachte den Kopf, ohne Anyas mögliche Beleidigung wirklich wahrzunehmen. Sie erkannte die Frau im Spiegel nicht. „Hätten wir das doch nur eher versucht, dann hättet Ihr Euch den Ehrenmann aussuchen können. Nicht Eure Schwester“, fuhr Anya leiser, fast beschämt, fort. Buffy streckte den Rücken durch und wirkte auf den Absatzschuhen endlich mal größer.

 

„Unsinn“, sagte sie bestimmt und versuchte, nur langsam und kurz einzuatmen.

„Wir müssen nach unten. Der Graf wartet bestimmt schon“, fügte sie ergeben hinzu. Anya schüttelte nur bedauernd den Kopf.

 

„Ihr seid viel zu schade für den kleinen, langweiligen Grafen!“

 

„Langweilig mag er vielleicht sein, aber ein gutes Herz wird er haben!“, widersprach Buffy bestimmt, denn sie hatte sich mit dem abgefunden, was eben nicht zu ändern war. „Los, zieh dich an, mach dich zurecht. Ich werde vorgehen.“ Der einzige Trost war, dass Anya auch auf dem Ball sein durfte. Das halbe Dorf war schließlich auch anwesend. Deswegen wurde auch nur der kleine Salon geöffnet. Ihr Vater hatte dort weniger Hemmungen mit den Besitztümern, die beschädigt oder entwendet werden konnte. Er hatte die Sicherheit aber erhöht, und noch mehr Diener abbestellt, die aufpassen mussten.

 

Die besten Musiker hatte er aus der Stadt kommen lassen. Buffy hörte, wie sie bereits begannen zu spielen. Die höhere Gesellschaft erschien immer erst später. Sie wusste nicht recht, weshalb das so war, aber sie nahm an, es war Respektheischerei. Und nichts weiter.

Die Schuhe ließen sie langsamer werden, ungewollt. Sie wollte nicht fallen, denn sie befürchtete, dass der Schock zu einem Erstickungsanfall führen würde oder sie ungünstigerweise, wie ein Käfer auf dem Rücken lag, nicht mehr in der Lage wäre, alleine hochzukommen.

 

Also schritt sie bedächtig die Flure entlang, die ihr auf diese langsame Methode sehr beschwerlich vorkamen – und lang. Erlebte Dawn jeden Weg im Schloss so? Dann verstand Buffy, weshalb sie so ungerne nach draußen ging und sich bewegte. Sie vermisste Vaters Reiterhosen schon jetzt und sehnte sich nach der Ruhe und Ungestörtheit ihrer Gemächer.

 

Aber sie tat ihrem Vater den Gefallen. Nicht ihrer Schwester, nicht dem Grafen, nicht William Giles. Nein, nur ihrem Vater, der nicht viel mehr als das von ihr erwartete. Sie versuchte, nicht zu atmen, so wenig wie möglich von ihrem Körper zu bewegen, und sie kam sich vor wie eine Puppe. Eine zerbrechliche, kostbare Puppe. Es war ein Kleid, was ihr Vater ihr schon vor einiger Zeit aus Frankreich mitgebracht hatte. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, es mit einem Blick zu würdigen. Es war ihr immer zu pompös gewesen, viel zu auffällig. Und es war einer der Versuche gewesen, ihr zu zeigen, dass sie auch wie Dawn –sogar noch schöner – aussehen konnte.

 

Sie hatte es nie gewürdigt, was ihr Vater versucht hatte, zu vermitteln.

Jetzt war wohl der Tag gekommen, an dem es so weit gekommen war.

 

Sie musste zwangsläufig an Dawns Gemächern vorbei. Der Weg war der kürzeste, und sie hätte ihn bei nüchternem Verstand, in Hosen und mit schnellem Schritt, niemals in Erwägung gezogen. Jetzt zog sie das Praktische vor, und das war eben dieser kurze Weg nach unten zu den Gästen – und dem Grafen.

 

Und sie sah, was ihren Abend heute nur noch mehr verderben würde als das Kleid und die unbequem hohen Schuhe zusammen. Sie roch anders als gewöhnlich. Die Farbe auf ihren Wangen, ihren Lippen und Lidern, das Parfüm aus Spanien, das Kleid. Sie fühlte sich nicht wie sie selbst. Ihre Atmung beschleunigte sich vor Wut, und das war jetzt schlecht. Sie würde noch anhalten müssen. Das wäre aber noch schlechter. William Giles kam in ihr Blickfeld, und dieser missliche Lord war nichts, was sie jetzt auch noch ertragen konnte.

 

Er trug bereits ein aufwendiges Stück der Schneiderkunst. Es war mit viel Seide bestickt, so schwarz, dass es das Kerzenlicht in den Gängen aufzusaugen schien, mit einem schimmernden weißen Hemd darunter, glänzenden Schuhen und einer Weste, die so viel Gold trug, dass sein ganzer Aufzug ihn bestimmt um zehn Pfund schwerer machen musste.

 

Er hatte die Hände in den Haaren vergraben, die noch heller schienen, bei seinem schwarzen Aufzug. Noch hatte er sie nicht bemerkt, denn er hatte die Augen geschlossen und wirkte nicht so überheblich, wie er ihr bisher immer vorgekommen war.

 

Vielleicht käme sie unbemerkt an ihm vorbei! Das war eine Hoffnung, die sie an Tempo zulegen ließ. Sie machte kleinere Schritte, dafür schnellere. Sie war schon fast auf seiner Höhe, aber dann öffnete er die Augen. Und anscheinend hatte ihn ihr Anblick um seine Worte gebracht. Sie wurde wieder langsamer, war auf seiner Höhe und an ihm vorbei. Sie atmete auf.

 

„Buffy?“, hörte sie seine fragende Stimme, und sie würde sich am liebsten mit roter Farbe ihren Namen auf das helle Kleid malen. In großen Buchstaben.

Sie hielt ärgerlich inne und blickte über die Schulter zurück.


„Ich bin in Eile“, erklärte sie nur. Was teilweise stimmte, wenn sie überlegte, nur schnell von ihm wergzukommen. Ihr ging erst jetzt auf, dass er vor Dawns Tür stand. Ihr kamen mehrere Gedanken. Vielleicht wollte er Dawn doch für sich gewinnen, entgegen all seiner Absichten davor. Weshalb sollte er sonst jetzt hier oben sein? Vor ihrer Tür? Sie mochte ihn – wenn dies möglich war – noch weniger als vorher. Er hatte sie aber eingeholt. Und sein Blick war… schockiert? Seine Züge schienen völlig entglitten?

 

Sie wurde sich des Gewichts des Schmucks um ihren Hals sehr bewusst, denn ihr Herz schlug nun laut dagegen.

 

„Seid… seid Ihr das?“ Aber sie hörte keinen Spott in seiner Stimme. Höchstens sah sie Unmut in seinem Gesicht. Aber auch das konnte sie nicht bestimmen. Sie wollte auch nicht.

 

„Nein, es ist bloß ein Abbild, Mylord. Ich muss weiter“, wiederholte sie den Wunsch, von ihm wegzukommen, erneut.

 

„Woher habt Ihr ein solches Kleid?“, wollte er unbeeindruckt von ihren Worten wissen. Sie seufzte.


„Was wollt Ihr von mir, William? Ich bin sicher, Euch fällt eine passende Beleidigung ein. Aber ich bin nicht interessiert. Ich denke, Ihr habt ausreichend gezeigt, was Ihr von mir denkt. Oder von meiner Schwester. Dabei sehe ich Euch hier vor Ihren Gemächern. Es ist nett, wenn sich auch der arroganteste Mann der Welt, als Lügner herausstellt, der es nicht erwarten kann, die Schleppe meiner Schwester zu küssen!“

 

Und sie hatte gedacht, er hätte eine passende Beleidigung parat. Sie dachte, er würde gleich grinsen, etwas Unflätiges und Bezeichnendes von sich geben, damit sie sich klein und unerheblich fühlen würde, doch nichts davon geschah.

Sie hätte den Blick längst gesenkt – üblicherweise.

Aber er fesselte sie förmlich mit seinem intensiven Blick, der jede Pore in ihrem Gesicht zu betrachten schien.

Er schien aus all seinen Bahnen geworfen zu sein, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, einen Eindruck hinterlassen zu können. Sie könnte das letzte Wort haben. Sie könnte ihn so stehen lassen, wie er sie sonst stehen ließ: Verwirrt und völlig überrumpelt.

 

„Wenn Ihr mich entschuldigt. Ich plane, den nächsten Tanz zu eröffnen.“

 

Und diesen Satz hatte sie noch nie von sich gegeben. Noch nie gedacht, in keiner Sekunde, und bestimmt niemals davon geträumt. Erstens konnte sie nicht tanzen. Und zweitens wollte sie nicht tanzen. Aber es hatte sich gut angefühlt. Es war etwas, womit sie ihn anscheinend schockieren konnte.

Mit all den Dingen, mit denen er sie völlig ungeahnt treffen konnte, konnte sie es ihm jetzt zurückzahlen, und ihn anscheinend dort treffen, wo er es nicht erwartet hatte: In seiner widerlichen Überheblichkeit. Denn das hatte er bestimmt nicht unter den Reiterhosen erwartet.

 

Er musste ja auch nicht erfahren, dass sie den nächsten Tanz nicht eröffnen würde. Es reichte ihr, überlegen zu tun, ihn stehenzulassen. Zum ersten Mal seit ihrer kurzen Bekanntschaft vollkommen sprachlos.

 

 

Kapitel 8

Mistakes

 

Er brauchte noch ein paar Sekunden. Ein paar Sekunden, in denen er seiner Erektion sagen musste, dass sie verschwinden sollte. Der Nebel in seinem Kopf legte sich langsam. Er nahm an, er war von Dawns Schönheit noch so benebelt gewesen, dass ihm ihre Schwester heute auf einmal… anders vorgekommen war?

War sie… hübscher gewesen?

 

Hübsch war auch gar kein Ausdruck! Er hatte das Verlangen praktisch unterdrücken müssen, ihren bloßen Hals zu berühren. Mit seinen Lippen!

 

Er schüttelte den Kopf. Sein Verstand spielte ihm wohl schon Streiche, denn sein letzter Geschlechtsverkehr lag nun schon fast zwei Wochen zurück. Das war entschieden zu lang! Er würde sich die Zofe nehmen müssen, um sein seltsames Verlangen zu besänftigen.

Buffy war bestimmt schon unten. Und seine Neugierde trieb ihn an, um zu sehen, ob sie wirklich so ausgesehen hatte, ob sie ihn wirklich sprachlos hätte machen können, wenn er sie noch ein weiteres Mal sehen könnte.

 

War ihm ihr Haar hell und schlicht vorgekommen? So war es heute schimmerndes Gold gewesen. Ihre grünen Augen ähnelten nicht mehr dem Dung in den Ställen, nein. Sie waren eher der tiefe endlose Ozean vor den unbezwingbaren Küsten Griechenlands. Ihre Haut, gebräunt und verrucht, verboten verführerisch. Und die geschwungenen Lippen, die böse Worte gesprochen hatten.

 

Nein.

 

Das konnte nämlich eben gerade nicht sein.

Denn sie war nur Elizabeth. Die hässliche Tochter des Fürsten. Unscheinbar, zu alt und spindeldürr.

 

Ihre Brüste… - er wollte gar nicht mehr darüber nachdenken! Es war der Alkohol. Der vorherige Anblick von Dawn. Und der Alkohol!

 

Und seine Füße hatten ihn noch niemals schneller hinunter in den Saal getragen. Selbst nicht einmal, als er vor dem Bäckermeister davongelaufen war, als er dessen Tochter ihrer Jungfräulichkeit beraubt hatte….

 

Er wollte nur sichergehen, dass er sich irrte – sich irren musste!

Und sie konnte tanzen? Das konnte auch nur ein Scherz gewesen sein.

 

Er hatte sein wesentlich dringenderes Problem aus den Augen verloren. Sein Verstand klinkte sich plötzlich wieder ein. Richtig. Lady Dawn, die Schlange.

Er musste verhindern, dass sein Vater mit dem Fürsten sprach! Und zwar schnell.

 

Er hatte den Saal erreicht. Die Leute aus dem Dorf standen bereits in zwei Reihen voreinander. Ein Gruppentanz. Er hasste Gruppentänze. Die Musiker spielten auf. Sehr laut, sehr schnell, und lachend setzte sich die Masse in Bewegung. Er schlängelte sich durch die tanzenden Paare, die sich drehten, in die Höhe sprangen, klatschten und anscheinend die Zeit ihres Lebens genossen.

Er entdeckte seinen Vater. Er stieß gerade mit dem Fürsten an.

 

Den Herren schien der Abend zu gefallen.

 

Die Leute aus dem Dorf bemerkten ihn. Aber er war auch auffällig. Sein Aufzug kostete so viel, wie ein Bauer in zehn Jahren mit seiner Aussaat auf dem Markt verdienen mochte. Einige Damen lächelten ihm zu, nickten, wie um ihn aufzufordern, mitzutanzen. Aber er ignorierte jede Aufforderung und hatte sich einen Weg zu den Herren gebahnt.

Dann entdeckte er Buffy. Und den Grafen.

 

Und der Graf hatte Buffy seinen Arm geboten, und sie hakte sich unter. Und es war das seltsamste aller Gefühle, denn plötzlich missfiel ihm diese Aussicht.

Aber er sagte sich, dass war nur so, weil sein freies Leben auf dem Spiel stand. Denn sollte Buffy den Grafen heiraten, dann…-

Das konnte nicht passieren.

 

Angst und Wut und Erwartung beherrschten seinen Körper, seine Erscheinung. Er hatte die vier Leute erreicht, die das muntere Treiben betrachteten.

 

„Eine großartige Veranstaltung, nicht wahr, Lord William, was denkt Ihr?“ Er wartete, musterte den Fürsten prüfend. Aber der Fürst beglückwünschte ihn nicht, zur erfolgreichen Anhaltung zur Hand seiner jüngsten Tochter. Kurz tauschte er mit seinem Vater einen Blick. Er schien das Gespräch noch nicht geführt zu haben.

Er atmete also knapp aus.

 

„Ja, die Leute scheinen sich zu amüsieren“, bemerkte er und spürte, wie seine Anspannung dennoch nicht völlig schwinden wollte. Seine Augen waren wie magnetisch angezogen von ihrer… Präsenz. Er hatte sich nicht geirrt.


„Lieber Fürst, wie ich sehe knüpft sich bereits eine Bande zwischen dem Grafen und Ihrer reizenden Tochter.“ Die Stimme seines Vaters sprach gedämpft, aber Spike hörte jedes Wort. Es wäre bald soweit. Sein Vater würde das leidige Thema besprechen wollen. Wieder fasste er sie ins Auge. Bei seiner Seele, er hatte sie wahrlich noch nie in einem solchen Licht betrachtete. Fast kam er sich töricht vor, sie diesem Zwerg von Grafen verkuppelt zu haben.

 

„Ja, ja“, flüsterte der Fürst begeistert zurück.

 

„Mein Sohn ist auch äußerst erfreut über diese Verbindung“, fuhr sein Vater glatt fort. „Nicht wahr, William?“, wandte er sich direkt an ihn. Spike brachte es noch nicht über sich, den Blick von ihr zu wenden. „Außerdem-“, fuhr sein Vater lächelnd fort, aber Spike durchfuhr es wie ein Schlag. Er musste dieses Gespräch verschieben.

 

Mylady, wolltet Ihr nicht eröffnen?“, fragte er sie laut, und sie wandte den scheuen Blick. Er musste praktisch starren. Ihre grünen Augen flogen über sein Gesicht. „Wenn Ihr gestattet, werter Graf?“, richtete er die nächsten Worte an den unfähigen Grafen, der sein Glück wohl kaum fassen konnte, denn das hässliche Entlein war ein lächerlich schöner Schwan. Aber er sah den Grafen nicht einmal an, als er um den Tanz mit ihr bat. Er hörte, wie sein Vater beinahe ungläubig die Luft durch die Nase zog, aber er wartete kaum auf ein weiteres Einverständnis und… ergriff ihre Hand. Sanfte Panik lag auf ihrem schön akzentuierten Gesicht. Er entzog sie dem besitzergreifenden Griff des Grafen, und sie atmete flacher, als er sie auf die Tanzfläche zu den Dorfbewohnern zog.

 

Mylord!“, keuchte sie gepresst, wollte sich losmachen, aber die Leute betrachteten sie wohlwollend, machten ihnen Platz, und dankbar nahm er in der Runde teil, die begann im Kreis zu tanzen. Er ergriff ihre Hand, ohne weitere Umstände. „Ich kann nicht-“, begann sie, aber er zog sie mit in den Reigen, und sie schien alle Hände damit zu tun zu haben, den Takt zu befolgen, nicht zu straucheln und dabei anmutig auszusehen. Und er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einem Gruppentanz beigewohnt hatte. Noch gar nicht, beantwortete er diese rhetorische Frage, aber es störte ihn heute nicht.

 

Der Kreis drehte sich nun zur anderen Richtung, und sie sah kurz zu ihm auf.


„Ihr tanzt recht schlecht“, bemerkte er lächelnd, nur um Wut in ihren Augen blitzen zu sehen. „Aber der Zorn steht Euch ungemein gut.“

 

„Ihr seid munter dafür, dass Ihr gleich um die Hand meiner Schwester anhalten wollt“, presste sie angestrengt hervor, während der Kreis an Menschen einmal in die Luft sprang.

Sie klatschten laut in die Hände, aber er verpasste diesen Einsatz.

Der Tanz war irgendwann vorbei, und er applaudierte den Musikern.

Von weitem sah er den Grafen, wie er höchst besorgt auf den Zehenspitzen stand und das Geschehen beobachtete.

Lady Dawn schien den Moment abgepasst zu haben, an dem die Musiker endeten, denn sie betrat nun mit großem Effekt den Saal.

 

Alle Köpfe wandten sich zu ihr um, klatschten und riefen wohlwollende Sachen in ihre Richtung. Er sah, wie Buffy sich aus dem Staub machte und folgte ihr augenblicklich. Er würde nicht alleine sein mit ihrer Schwester, dem Grafen, seinem oder ihrem Vater! Und es war noch etwas anderes, was er nicht benennen konnte.

 

„Buffy!“, rief er ihr nach, als sie durch eine angrenzende Tür verschwand. „Buffy!“ Er schritt an den Dienern vorbei ins nächste Zimmer, das den gewöhnlichen Dorfleuten versperrt wurde.

Es war ein kleines Zimmer mit Bücherregalen an den Wänden, in denen sich dicke Wälzer dicht an dicht aneinander reihten. Der Teppich war ein Perser, weich und dick, lag er auf dem Boden.

 

An der Wand zog sich ein Kamin durch die Mauer, und davor standen Sessel und ein kleiner Tisch. Das Zimmer hatte einen privaten Ausgang, in den nun nachtschwarzen Garten, und dieses Zimmer sah er zum ersten Mal.

 

„Was wollt ihr?“, rief sie, ohne sich umzudrehen. Weinte sie? Hörte er sie tatsächlich weinen? Weshalb? Er war derjenige, der Grund genug hatte, Tränen zu vergießen.

 

„Ich…“, begann er ziellos, wusste nicht, was er wollte, warum er ihr überhaupt folgte! Sie wandte sich zornig um.


„Es sind genügend Zimmer in diesem Schloss vorhanden, Ihr müsst mir also nicht folgen!“, warnte sie ihn, und sie sprach höflich mit ihm. Distanziert. Er musste sie verletzt haben. Natürlich. Er hatte nicht nur sein Leben verwirkt, sondern ihres gleich mit. Sie war so wütend. Und sie weinte. Und er konnte nicht verhindern, näher zu kommen.

 

„Buffy“, begann er und schluckte schwer. Er wollte sich nicht entschuldigen, er wollte nur… - er wusste es nicht. Er hatte sich geschworen, dass ihm das Schicksal dieser Menschen hier egal war, aber… er ging nicht. Er überließ sie nicht sich selbst und ihrer Trauer.

 

Sie wischte sich beschämt die Tränen von der Wange, und er glaubte, sie würde wieder weglaufen. Aber wahrscheinlich war sie solches Schuhwerk nicht gewöhnt, und überlegte es sich deshalb anders.

 

„Lasst mich gefälligst in Frieden“, gab sie bitter zurück und wandte sich wieder dem Fenster zu, das ihr keinen weiteren Ausblick erlaubte, als den auf ihr eigenes Spiegelbild. Und dies war kein schlechter Ausblick, stellte er erneut fest. Sie wirkte königlich.

 

„Buffy“, wiederholte er sinnlos, und mittlerweile löste die schiere Wut ihre Trauer ab.

 

„Nein!“, schrie sie unvermittelt, wandte sich zu ihm um und wich vor der plötzlichen Nähe zurück. „Was wollt Ihr denn? Habt Ihr nicht genug Schaden angerichtet? Ich füge mich! Ich füge mich doch, und trotzdem…“ Sie schien es sich anders zu überlegen und sprach nicht weiter. Sie schüttelte steif den Kopf und wandte sich wieder von ihm ab, wollte gehen. Er umfing ihre Schultern. Sie hob erschrocken den Blick. „Lasst mich sofort los!“, entfuhr es ihr zornig. Und er wusste genau, warum sie es sagte.

 

Es gab keinen logischen Grund, sie zu berühren, sie aufzuhalten, wenn sie doch gehen wollte. Es widersprach der Etikette, jeder Sittlichkeit, zu sie beide wohl erzogen worden waren. Sie war hysterisch, und das Schlimmste, was er tun konnte, war, sie tatsächlich aufzuhalten. Er hatte keinen guten Grund dafür. Sie waren keine Vertrauten.

 

„Lasst mich los!“, forderte sie erneut, aber Panik stand deutlich in ihrem Blick.

 

„Ihr seid schön. Allerdings nicht, wenn Ihr weint“, sagte er schließlich, denn ihm fiel nichts Besseres ein. Und das gehörte wohl mit zu den dümmsten Dingen, die er sagen könnte. Aber sie schien es nicht weiter zu berühren, denn ihr Blick wurde kalt.

 

„Lasst mich sofort los! Ihr habt kein Recht, mich zu halten! Und ich bin nicht schön, Mylord!“, fuhr sie ihn an. „Das Auftreten meiner Schwester wird beklatscht und nicht das meine!“, ereiferte sie sich zornig, bereute aber wohl ihre Worte wieder. „Ich möchte gehen“, wiederholte sie, diesmal mit deutlicher Warnung in der Stimme. Spike hörte es wohl. Er war nicht taub. Nichts an ihren Gebärden machte ihm deutlich, dass sie irgendetwas hiervon wollte. Sie wollte gehen.

 

Aber er ließ sie nicht los. Ihre Haut, die er unter den Trägern des luftigen Kleides fühlen konnte, war warm und angenehm zu berühren. Er spürte ihre Angst, und er glaubte noch kein Mann hatte sie je zu irgendetwas gezwungen.

 

„Der… der Graf wartet“, sagte sie gepresst, mit einigem Widerwillen, und dass sie die Gesellschaft des Grafen seiner vorzog, löste etwas Übles in ihm aus. Er kannte es nicht. Dieses Gefühl war neu.

 

„Der Graf?“, wiederholte er rauer, fixierte ihr Gesicht. Und jede Sekunde, die er länger blieb, verschlimmerte die Situation. „Ihr wollt zu dem Zwerg?“, vergewisserte er sich kalt, und wieder wehrte sie sich in seinem Griff, wieder versuchte sie, zu entkommen. Aber ihre Angst schwand langsam und nur der Zorn blieb übrig.

 

„Der Graf mag ein Zwerg sein“, spuckte sie ihm zornig entgegen, aber dann sah sie direkt in seine Augen, „aber er ist nicht der Teufel, so wie Ihr es seid! Ihr habt mich doch dazu bekehrt, meine Pflichten zu erfüllen. Vielleicht solltet Ihr endlich mal eine der Euren erfüllen!“ Er begriff ihre Worte nicht. Er erfüllte seine Pflichten gut genug! Sie hatte kein Recht so mit ihm zu sprechen. „Ich bete für den Tag, an dem Ihr endlich abreist, und wenn Ihr derjenige seid, der meinen Vater endlich von meiner Schwester befreit, dann ist mir das Opfer einer lieblosen Pflichtehe mit dem Grafen nicht zu hoch!“, schloss sie, und ein eigenartiger Glanz legte sich wieder über ihre Augen.

 

„Ich hoffe, der Graf wird glücklich mit einem Weibe, dessen Zunge schärfer ist als das Messer mit der er sich wohl oder übel das Leben nehmen muss, wenn er gezwungen ist mit Euch unter demselben Dach zu wohnen!“, erwiderte er zornig, denn diese Harpyie wagte es doch tatsächlich, ihn einen Teufel zu schimpfen! Und warum genau es ihn traf, ihn tatsächlich beleidigte, wusste er nicht zu sagen.


„Lasst mich los! Wollt Ihr Eure stumpfe, männliche Macht beweisen? Ist es das, was Ihr tut, wenn Ihr Euch vor Euren Pflichten drückt, wenn Ihr herunter ins Dorf geht, die Dirnen beglückt und Euch von ihnen erzählen lasst, was für ein reicher, schöner Mann Ihr seid?“

 

„Halt deinen Mund!“, schrie er jetzt aufgebracht, und noch nie hatte eine Frau so mit ihm gesprochen! Noch nie hatte er mit einer Frau so gesprochen.

 

„Alle Männer sind vollkommen gleich! Alle Idioten, die hier angetanzt kamen, auf ihren Zuchthengsten und in goldenen Kutschen, sich dachten, sie bekämen die schönste Frau und mussten dann in ihrer Verbohrtheit einsehen, das dem nicht so war. Alle Männer erliegen ihrer eigenen Dummheit, ihrem Stolz, ihrem vergänglichen Reichtum und verdienen überhaupt keine Frau mit einem Funken Verstand in dieser Welt der Unterdrückung und männlichen Machtkämpfe!“ Sie wehrte sich so heftig, dass er fester zudrücken musste. Sie keuchte auf Schmerz.

 

„Seid Ihr so ein Lord? Schlagt Ihr Frauen, die sich nicht fügen? So macht man es doch? Ehrenmann ist ein lächerliches Wort dafür, dass ein Mann nichts gelernt hat, nichts kann, außer auf seinem Pferd zu sitzen und das Vermögen mit beiden Händen aus dem Fenster zu werfen und die Frau, die er bekommt, zu unterdrücken, und ihr seine Leibesfrucht aufzwängen muss!“

 

„Leibesfrucht aufzwängen? Ich glaube, Ihr habt keine Ahnung wovon Ihr sprecht!“, spuckte er ihr entgegen. Sie sprach zu viele Worte!

 

„Ihr dafür bestimmt umso mehr! Gott weiß wie viele von Euren Sprösslingen bereits die Stadt bevölkern. Von Euch verachtet und versteckt bei den mittellosen Müttern!“ Er schüttelte den Kopf, hätte fast gelacht über ihre dummen Worte.

 

„Wisst Ihr, eigentlich gehört Euch der Mund gestopft, der Hintern gehörig versohlt, und Ihr verdient wirklich einen kleinen Einblick von dem, über das Ihr herzieht, Mylady“, erklärte er zornig.


„Wie könnt Ihr es wagen! Ihr seid der widerlichste, vulgärste, gottloseste Mann, der-“

 

Er hatte ihre Schultern losgelassen, mit beiden Händen ihren schlanken Hals erfasst, und ihr Gesicht zu sich gezogen. Er hatte den Kopf gesenkt und verschloss nun ihre zeternden Lippen. Sofort war es still im Zimmer. Das Feuer prasselte ruhig hinter ihm im Kamin, und sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust, entfachte ein Feuer der Wut und der Erleichterung in ihm, dass sie endlich den Mund hielt.

 

Seine Augen hatten sich geschlossen, und er verlor sich in diesem Moment. Diesem hitzigen, bösartigen Moment.

 

Er spürte wie sie versuchte, nach Luft zu schnappen, wie, nach einer schieren Endlosigkeit, die Zeit weiterzulaufen begann, und sie die Hände gegen seine Brust stemmte. Sie quietschte unter ihm, wehrte sich noch heftiger, aber er unterbrach den Kuss nicht.

Er hatte hunderte geküsst. Und keine hatte sich je gewehrt. Ihren Kopf hatte er fest im Griff, sie konnte also nicht zurückweichen, war ihm ausgeliefert, und irgendwo, weit hinten in seinem Kopf, wusste er, dass dies ursprünglich nicht der Plan gewesen war!

 

Er löste sich schließlich, keine Hand breit von ihren Lippen entfernt, öffnete langsam die Augen und begegnete ihrem Blick. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, sie schnappte nach Luft und sah ihm direkt in seine Augen.

Ihre Lippen waren unglaublich weich unter seinen gewesen, und er musste es noch einmal spüren. So zart, so unerfahren und ängstlich. Seine Erektion war wieder erwacht. Ungünstigerweise.

 

„Nein!“, brachte sie noch heiserer hervor, ehe er seine Lippen wieder senken musste. Ganz leicht brachte er sie gegen ihre, ließ ihren Protest verstummen, und wie von selbst glitt seine Zunge zwischen ihre überraschten Lippen. Jetzt trommelte sie vor Entrüstung gegen seine Brust, wusste nicht mit der Situation umzugehen, und er wusste selber, es war nicht die klügste Entscheidung gewesen, die er heute getroffen hatte.

 

Aber das konnte er jetzt nicht mehr ändern. Er löste eine Hand von ihrem Hals, schlang die andere ganz um ihren Nacken, erkundete ihren Mund verlangend und komplett erregt, während sein Arm sich um ihre schmale Taille legte und sie enger an sich brachte.

Sie schrie praktisch in seinen Mund, aber mit seiner Zunge in ihrem Weg, machte es kaum ein Geräusch. Er würde ihr zeigen, was er wollte, wie er war, was er konnte.

Leibesfrucht aufzwängen, hallte es in seinem Hinterkopf wider. Dass er nicht lachte! Die Frauen bettelten regelrecht darum, dass er sie berührte!

 

Er spürte ihren rasenden Herzschlag durch den kaum vorhandenen Seidenstoff ihres Kleides. Er hatte sie eng an sich gepresst, so dass ihm der Druck ihres Körpers Erleichterung an seiner unteren Körperregion verschaffte. Er stöhnte verhalten in ihren Mund. Sie schmeckte göttlich. Nach Erdbeeren, nach süßen anderen Früchten, und ihr Duft war wild und betörend.

Er spürte auch ihre Knie zittern unter dem immensen Schock, den sie gerade bekommen musste.

 

Er ließ es zu, dass sie ihn ein Stück zurück schob, hielt sie aber fest in seinem Arm. Blitzschnell schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Kurz schloss er die Augen. Die Haut brannte etwas, aber es war nichts, im Vergleich zu dem Schlag eines betrunkenen, fetten Schankwirts, wenn er sich selber, angetrunken, an dessen Frau vergriffen hatte.

 

Sie weinte wieder, schnappte keuchend nach Luft und suchte nach einem Fluchtweg.

 

„Hilf-“ Er legte ihr schnell die Hand über den geöffneten Mund und erstickte ihren Schrei.


Shht“, flüsterte er ruhig neben ihrem Ohr. Er küsste die Stelle hinter ihrem Ohrläppchen, und hörte sie gegen seine Finger keuchen. Ihr heißer Atem gegen seine Handfläche machte ihn auch schon wahnsinnig.

Er küsste ihren Hals ein weiteres Mal, strich nur ganz sanft mit den Lippen die Linie ihres Kiefers nach, küsste ihren Kehlkopf, und sie weinte gegen seine Hand, mit der ihren Mund wirksam verschlossen hielt. Ihre Hände hatten sich fest auf seine Schultern gelegt und versuchten, ihn von sich zu schieben.

 

Doch jetzt wagte er, ihr Dekolleté zu küssen, platzierte die Küsse federleicht ihre samtene Haut hinab, goldbraun und verlockend, und sie schrie gegen seine Handfläche. Sie schmeckte süß wie Zucker. Sie rieb sich unbewusst gegen seine Härte, und er musste kurz die Augen schließen, den Kopf gegen ihre Brust sinken lassen, und ließ es über sich ergehen, wie sie ihn wegschieben wollte.

Aber ihr Körper gegen seinen, die verzehrende Nähe, sein Wunsch, ihr Kleid einfach von ihrem Körper zu reißen, raubten ihm noch jedes bisschen vorhandenen Anstand.

 

Dann richtete er sich knurrend zu voller Größe auf, und erschrocken weiteten sich ihre Augen bei seinem Anblick. Sie schien sich nicht rühren zu wollen, wagte nicht, zu schreien oder sonst etwas zu tun. Gut. Denn er war nicht mehr zurechenbar. Er hatte einen riesigen Fehler gemacht und sah es nicht einmal mehr, so verschwommen war alles vor Lust und Willenlosigkeit, welche ihn vor dem Verkehr immer befielen.

 

Er löste fast behutsam die Hand von ihrem Mund, konnte die Augen nicht von den geschwollenen, geschwungenen rosigen Lippen losreißen, hinter denen sich ihre Hitze und ihre widerspenstige Zunge verbargen, und musste sie übergangslos noch einmal küssen. Er musste einfach!

 

Und dieses Mal war es anders. Sie zerrte nicht an seinem Gehrock, trommelte nicht gegen seine Brust oder riss an seinen Schultern. Ihre Hände lagen auf seiner Brust, übten keine Gewalt gegen ihn aus, und ungehindert glitt seine Zunge zurück in ihren heißen Mund. Er zog sie enger an sich und konnte nicht anders, als in ihren Mund zu stöhnen. Tief und rau, grollend vor Verlangen.

Seine Hände hatten sich fest in ihre schmalen Hüften gegraben, pressten sie erbarmungslos gegen seinen Körper – und die Tür öffnete sich.

 

Die Tür öffnete sich, und dumpf hörte er Stimmen der Entrüstung.

 

Er löste sich mit größter Anstrengung von ihr. Er brachte alle Selbstbeherrschung auf und sah, dass sie sich nicht mehr wehrte, weil sie stumme Tränen weinte. Ihre Lippen waren geschwollen, das Rot auf ihrem schönen Mund verschmiert, der Träger ihres Kleides ausgeleiert, und so hing er auch über ihrer Schulter. Seine Hände fielen wie taub von ihren Hüften, und er hörte seinen Vater zornig ausatmen.

 

„Aber… aber…“, sprach der kleine Graf über alle Maßen schockiert, konnte den Satz wohl nicht beenden, und Spike fuhr sich hastig über die Lippen, wollte das Rot fortwischen, aber der Blick seines Vaters war tödlich. Mehr als das.

 

„Lord of Levisham“, entfuhr es dem Fürsten beinahe tonlos, und Buffy wischte sich die Tränen hastig von der Wange. Ihr Körper zitterte und ihre Wangen waren vor Hitze gerötet.

 

„Mein Fürst“, begann Spike ratlos, denn er sah nicht, wie Worte ihn noch retten könnten. Ein Gutes hatte es, denn seine Erektion war verschwunden. Schmerzlich schnell verschwunden. Und beinahe ungläubig musterte der Fürst nun seine Tochter. „Ich-“, hob Spike an, aber der Blick des Fürsten ließ ihn verstummen.

 

„-schweigt!“, befahl der Fürst, fand seine Stimme scheinbar wieder, und Spike erinnerte sich, dass sein Verhalten im Dorf keine Konsequenzen nach sich zog, jedoch unter den vermeintlich Adeligen nicht gestattet wurde. „Geh mir aus den Augen, Buffy!“, befahl der Fürst barsch, und Spike hörte sie neben sich aufkeuchen.

 

„Vater, ich-!“

 

„-geh!“, unterbrach er sie harsch, zitterte vor Zorn, und unter Tränen verließ sie den Salon, ließ ihn hier zurück. „Denkt Ihr, Ihr könnt Ihre Unschuld nehmen, wie es Euch gefällt?“, donnerte die Stimme des Fürsten nun ungebändigt, vibrierte praktisch von Wänden, und Spikes Mund öffnete sich verblüfft.

 

„Ich-“, begann er, aber er kam nicht zu Wort.

 

„-als Gast im meinem Hause habe ich Euch nicht anders als zuvorkommend behandelt, und so wird es mir gedankt?“, fuhr er ihn jetzt an. „Ihr vergreift Euch an meiner Tochter? Sie ist dem Grafen versprochen und Ihr beschmutzt nicht nur Ihre Ehre, sondern gefährdet Ihre Zukunft durch-“ 

 

„-mein Fürst“, wagte sein Vater tatsächlich zu unterbrechen.

 

„Was?“, dröhnte die Stimme des Fürsten nun gänzlich ungehalten.

 

„Er wird sie heiraten“, schloss sein Vater, und Spike stockte der Atem. „Natürlich war das seine einzige Absicht. Er erzählte mir davon, wie unglücklich ihn die Verbindung Elizabeths zu dem Grafen mache, mein Fürst. Verzeiht, dass ihm der Anstand und jede Form der Sitte fehlen, aber er tat nichts, ohne die Absicht, sich in der heiligen Ehe zu binden“, versprach sein Vater blind, sponn sich die Geschichte aus dem Stand aus nichts als heißer Luft zusammen, und Spikes Mund hatte sich schockiert geöffnet. „Vergebt ihm seine Sünde, mein Fürst“, bat sein Vater demütig, und Spike musste mehrfach blinzeln.

 

„Stimme es?“, forderte der Fürst ihn kalt auf, zu sprechen.

 

Nein! Natürlich nicht! Er konnte kaum klar denken!

 

„Ich hatte nie-“, begann Spike entrüstet, aber sein Vater schenkte ihm einen letzten mörderischen Blick.

 

„-er hatte nie eine andere Absicht, ansonsten folgt natürlich sein Verstoß, die Aberkennung seines Titels. Aber natürlich handelte mein Sohn nur in der Absicht, zu heiraten, mein Fürst“, beendete sein Vater den Satz, und Spike verschlug es die Sprache. Sein Vater sagte diese Worte mit so fatalistischer Bestimmtheit, dass Spike wenig Zweifel daran hatte, welche Bedeutung sich dahinter verbarg. Sein Vater würde ihn verstoßen! Weil er einmal nicht nachgedacht hatte! Diese blanke Ungerechtigkeit dahinter jagte heißen Zorn durch seine tauben Glieder.

 

Verdammte Zügellosigkeit! Hätte er sie doch nie angerührt! Was war nur in ihn gefahren? Schaufelte er sich selber sein eigenes Grab? Und wieder sah der Fürst ihn an.

 

„Stimmt es?“, blaffte er wieder, und Spike schluckte schwer. Bei Gott, was blieb ihm noch zu sagen? Er bestritt es, und er würde noch heute Nacht bei den Schweinen schlafen müssen! Bestätigte er, bedeutete es die ewige Verdammnis. Freiheit oder Armut? Freiheit oder Armut? Er schloss verzweifelt die Augen. Er hasste sich selbst. Er hasste sein Leben. Denn von hier an war es vorbei. Und wie bittere Säure schluckte er seinen Widerwillen hinab. Er hatte niemanden zu bestrafen, außer sich selbst! Und natürlich sie! Immer vorweg sie! Die Furie! Und das würde sie zu spüren bekommen, schwor er sich, blind vor Wut.

 

„Ja, mein Fürst“, verließen die Worte rau und fassungslos seine Lippen. Sie schmeckten falsch und bösartig. Kurz herrschte angespanntes Schweigen. Spikes Blick war gefallen, verfing sich ziellos am Muster der Persers, und dann atmete der Fürst aus.

 

„Graf of Sheffield“, wandte sich der Fürst mit Grabesstimme an den Zwerg, der mit offenem Mund erstarrte, „vergebt mir. Meine Tochter Elizabeth wird Euch nicht begleiten können.“

Der kleine Graf schluckte endlich. „Ich werde Euch entschädigen für Eure… Umstände“, versprach der Fürst bitter.

 

„Eine Frechheit!“, entkam es dem Zwerg zitternd. Dann kam er mit wütenden Schritten auf ihn zu. Er starrte zornig zu ihm auf, und bevor Spike den Mund öffnen konnte, hatte er ihm die Faust direkt ins Auge geschlagen. Er taumelte zurück, sah die schwarzen Punkte vor seinem Blickfeld tanzen, aber niemand kam zu ihm. Niemand beschwerte sich über diese grobe Behandlung. „Ihr seid ein elender Lügner, William!“, fuhr der Graf ihn an, während Spike sich die Hand vor das Auge pressen musste, um sich nicht zu übergeben. Und damit stürmte der Graf aus dem Salon.

 

Verfluchter Schmerz!

 

„In drei Tagen wird die Hochzeit sein“, informierte ihn der Fürst kühl, ohne an seinem Zustand anteilzunehmen. Spike begriff nicht, wie es hatte passieren können. Wie er alles versuchte, nicht mit Lady Dawn verlobt zu werden, und er stattdessen an der Schwester hängen blieb! Es kam ihm vor, als hätte er alles getan, um die Dinge noch schlimmer zu machen. Er hatte angenommen, er machte eine kleine Jagdreise mit seinem Vater. Als Junggeselle, als Casanova der Stadt – um dann als verheirateter Mann nach Hause zurückzukehren.

 

Kein Wort verließ mehr seine Lippen. Der Fürst verließ den Salon ebenfalls.

 

Er blieb zurück mit seinem Vater. „Weißt du“, begann sein Vater bitter, „ich wusste, dass all deine schlechten Manieren irgendwann deinen Untergang bedeuten würden, William. Aber ob Fürstentochter oder Schweinemagd – du wirst heiraten. Daran führt nun kein Weg mehr vorbei.“ Spikes Oberlippe kräuselte sich hasserfüllt, als er das feine Lächeln auf den Lippen seines Vaters sah.

 

Kaum war er allein, ließ er sich erschöpft auf einen der Sessel sinken, während er noch immer sein pochendes Auge hielt.

Und so begann also das Ende seines Lebens.

 

 

Kapitel 9

The Deal

 

„Buffy?“ Anya hatte zaghaft gegen den Paravent geklopft, hinter dem sich Buffy gerade umzog. „Buffy, was…?“ Anya hatte natürlich von alldem wenig mitbekommen, weil sie mit einem Burschen namens Alexander Harris hinter den Ställen verschwunden war. So viel hatte Buffy bereits erfahren müssen.

Sie verschloss die Reiterhose ihres Vaters, steckte das ausgebeulte Hemd in den Saum und trat hinter dem Wandschirm hervor. „Wo willst du hin?“, fragte ihre Zofe beunruhigt. „Was ist überhaupt passiert? Du hast seit gestern kein Wort mehr gesprochen!“

 

„Ich habe Gute Nacht gesagt“, widersprach sie steif.

 

„Buffy!“, ermahnte Anya sie aufgelöst. „Sie sagen, du heiratest den Lord!“ Anya starrte sie an, wartete auf ein bisschen Information, aber Buffy sah sich nicht in der Lage. „Ich… ich dachte, du magst ihn nicht?“, versuchte Anya es erneut.

 

„Nein, Anya. Ich mag ihn nicht“, brachte sie zitternd hervor. Sie hasste ihn. Er war ein Mann, der sich nahm, was er wollte, ohne Anstand, ohne zu fragen, ohne Gefühle zu berücksichtigen. Sie hatte sich noch nie so erniedrigt, noch nie so benutzt, so völlig ausgeliefert gefühlt. Und wenn sie darüber nachdachte, dann würde sie noch weinen. Aber sie hatte die gesamte Nachtlang geweint.

 

„Wo gehst du hin?“

 

„In den Wald“, gab Buffy zurück, band sich die Haare unwirsch nach hinten, und glich einem Stallburschen immer mehr. Gut so.

 

Sie floh aus dem Schloss, durch alle Gänge, wich dem munteren Treiben aus, den Gastköchen, die ihr Vater beordert hatte, die sich beratschlagten über ein geeignetes Festessen und erreichte die Eingangshalle.

 

„Buffy!“ Ihre Schwester kam auf sie zugerauscht, die Haare aufgetürmt zu einer pompösen Frisur. Und Buffy wusste nicht zu sagen, ob ihre Schwester wütend oder fröhlich war. Sie trug immer nur dasselbe missbilligende Gesicht zur Schau. Buffy hielt widerwillig inne. „Wie konntest du mir den Lord wegnehmen?“, zischte sie zornig und betrachtete sie abfällig. „Du kannst es einfach nicht ertragen, dass ich etwas Großartiges bekommen soll!“

 

„Dawn-“, begann sie gereizt, aber ihre Schwester hob gebieterisch die Hand.

 

„Er hatte mir einen Antrag gemacht, Buffy! Nicht dir! Du solltest den kleinen, hässlichen Grafen nehmen! Der hätte dich endlich verschleppt, in eine Pampa, eine Walachei, in der du gut aufgehoben wärst und über deine furchtbare Art hättest nachdenken können!“, schrie sie jetzt wütend, so dass die Putzfrauen und Bediensteten, die vorbeihuschten, erschrocken zusammen zuckten.

 

„Er hat dir einen Antrag gemacht?“, wiederholte Buffy kalt und zuckte dann die Schultern. „Anscheinend hat er es sich anders überlegt.“

 

„Du Schlange! Hast du ihn verführt? Mit was, möchte ich wissen? Deinen strähnigen, gelben Haaren? Deiner dürren Figur? Mit was? Es gibt nichts Hübsches an dir, Buffy! Es ist nicht gerecht, dass ich meine beste Zeit vergeudet habe, damit du den reichsten Sohn abbekommst! Er wäre meiner gewesen! Er hätte mir zugestanden! Ich verlange von dir, dass du mir gibst, was ich verdiene! Du wirst den Grafen nehmen und Vater erklären, dass Lord William nichts für dich ist!“

 

Sie sah ihre Schwester an. Sie war eine Furie.

 

„Du bist ein abscheulicher Mensch, Dawn“, sagte sie schließlich. „Deine Zunge ist schärfer als das Messer, mit dem sich dein armer zukünftiger Gemahl umbringen wird, nachdem er mit dir unter einem Dach leben musste.“ Ihre Schwester starrte sie so schockiert und sprachlos an, dass Buffy die Chance nutzte und nach draußen schlüpfte.

 

Drinnen bekam Dawn einen Tobsuchtsanfall. Sie hörte wie etwas zu Bruch ging, und sie beeilte sich, zu den Ställen zu kommen. Sie ignorierte mit größter Macht, dass sie seine Worte benutzt hatte, um ihre Schwester zu beleidigen.

Sie wollte überhaupt keines von den Worten wiederholen, die er zu ihr gesagt hatte, aber sie hatte sie nicht aus dem Kopf bekommen.

Es ärgerte sie über alle Maßen.

 

Als sie zu den Stallungen kamen, wurden die Pferde auf Hochglanz poliert. Sie standen gesammelt draußen auf dem Hof und wurden strahlend geputzt.

 

Und sie war nicht allein unter Bediensteten. Er war da. Sofort kam ein Junge zu ihr.

 

„Mein Pferd, bitte“, befahl sie ungewohnt kühl. Aber sie hatte keine Lust noch länger zu verweilen. Anscheinend bekam er gerade eine Nachricht per Eilboten. Er las sie, und sein Gesichtsausdruck war ihr nicht zu deuten. Aber sie wollte ihn auch gar nicht deuten. Ihre Finger kribbelten vor Wut und Scham, wenn sie ihn sah. Er hob den Blick, als hätte er ihre Wut gespürt.

 

Er sagte nichts zu ihr, kam nicht näher, und sie hasste alles an ihm, bis zu seinen fast weißen Haaren, die widerlich in der Sonne glänzten. Es war ihr egal, dass sie Hosen trug, ein altes Hemd, dass ihre Haare nicht im Turm zu Berge standen, sondern lediglich zusammen gebunden über ihre Schulter fielen.

Der Junge brachte ihr schließlich ihr Pferd und dankbar zog sie sich am Sattelknauf in die Höhe.

 

„Ihr Helm, Mylady“, brachte der Junge eilig hervor, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„Kein Helm. Vielleicht habe ich das Glück, stürze vom Pferd und breche mir das Genick.“ Der Junge starrte sie so schockiert an, fiel dann aber in eine Verbeugung und wich zurück. Sie trat unnötig hart in die Flanken ihres Hengstes, und mit einem Wirbelsturm an Kieselsteinen galoppierte sie vom Hof.

 

~*~

 

„Wo ist Buffy?“ Er könnte die Frage beantworten, sah sich aber außerstande, zu sprechen. Er fühlte einen schweren Stein im Magen, wenn er an seine missliche Lage dachte. „Dieses Kind“, murmelte der Fürst erschöpft. Ein Kind war sie nicht. Lange nicht mehr, dachte Spike grimmig. Sein eigener Vater musterte ihn aufmerksam, bereit, jede Zuwiderhandlung zu unterbinden, die sein Körper äußern könnte.

 

„Nun, diese Reise scheint eine überraschende Wendung genommen zu haben, nicht wahr?“, wandte sich der Fürst mit dunklen Worten an ihn. Spike öffnete langsam den Mund.

„Ich weiß, dass Ihr hervorragende Verbindungen zu Liam le Comte pflegt“, fuhr der Fürst fort. „Mir war, als hätte er sich für meine jüngste Tochter erwärmt“, schloss der Fürst eindeutig. „Vielleicht könntet Ihr den ein oder anderen Brief in die Wege leiten?“ Auffordernd sah der Fürst ihn an. Was war er? Der Kuppler des Schlosses? Auf gar keinen Fall würde er auch noch-!

 

„-gerne wird er das tun“, antwortete sein Vater statt seiner. Spikes Mund verzog sich.

 

„Lord Giles, ich muss gestehen, diese ist nicht die schlechteste aller Verbindungen“, bemerkte der Fürst schließlich, mit einem äußerst abschätzenden Blick auf ihn. „Aufstände gibt es in Euren Grafschaften nicht. Das ist von Vorteil“, fuhr er blasiert fort. Dann fixierte der Fürst ihn direkt, so dass sich Spike von den blauen Augen durchleuchtet fühlte. „Buffy ist kein leichter Umgang“, begann er schließlich. Spike konnte dem nur beipflichten. „Sie ist älter Dawn, wesentlich älter als eine Tochter, die verheiratet werden sollte-“

 

„-mein Fürst“, entfuhr es Spike, der sich nicht länger halten konnte, egal, ob sein Vater ihn mit Blicken erdolchte oder nicht! Egal, ob er alles verlieren würde, was ihm gut und teuer war!

 

„Schweigt!“, befahl der Fürst barsch, aber Spike konnte nicht länger schweigen. „Zwölf Millionen“, sagte der Fürst lediglich, und ehe Spike seine Meinung kundtun konnte, diese Farce beenden wollte, schwieg er abrupt. Zwölf Millionen was?

 

„Mein Fürst?“, erkundigte er sich tonlos, aber der Fürst verzog lediglich den Mund.

 

„Zwölf Millionen Pfund, und keinen Penny mehr“, warnte er ihn jetzt mit wachen Augen. Was?! „Das ist Buffys Mitgift“, schloss er, und Spikes Augen weiteten sich augenblicklich. Die Mitgift seiner Tochter betrug zwölf Millionen Pfund? Sein Vater hatte das gesamte britische Arsenal der Krone letztes Jahr mit 10 Millionen Pfund ausgestattet, und es hatte damit alle Aufstände niederringen können. Ohne Verluste. Diese Menge an Geld war… absolut unfassbar! Damit hätte der Fürst werben sollen! Hätten all die Lords und Grafen gewusst, mit welchen Schatzkisten die älteste Tochter übergeben wurde, dann hätte niemand die hübsche Dawn jemals angesehen, nahm er an. Er fühlte sich etwas leicht im Kopf.

 

Sein Mund schloss sich perplex. „Wolltet Ihr noch etwas sagen?“, erkundigte sich der Fürst glatt bei ihm, aber Spike hatte kurzzeitig vergessen über was er sich beschweren wollte. Er betrachtete knapp seinen Vater, der reichlich unzufrieden wirkte. Denn das Geld wäre seines. Sein Vater könnte es nicht einbinden, es nicht wegschließen – Spike fühlte sich, als hätte er einen Raubzug gewonnen.

 

Und Spike traf eine Entscheidung. Vielleicht geleitet durch die plötzliche Leichtigkeit in seinen Gliedern, der Leere in seinem Kopf und der Vorfreude auf das viele, viele Geld, mit dem er jedes Rennpferd der gesamten Küste würde kaufen können! Jedes Landhaus, jedes Waldstück, in dem er jagen wollte! Er fand sich letztendlich ab.

 

„Mein Fürst, es ist mir eine Ehre Euer Sohn vor Gott zu werden“, entkam es ihm ehrfürchtig, ehe er in eine tiefe Verbeugung sank. Er konnte seinen Vater praktisch stöhnen hören.

 

„Erhebt Euch“, erwiderte der Fürst lediglich, der ihn vielleicht durchschauen mochte, als das, was er war, aber der wohl dringender seine Töchter untergebracht sehen wollte. Sie waren beide Schweine, nahm Spike dumpf an. Jeder aus seinen Gründen.

Heiraten für zwölf Millionen Pfund! Welcher Mann in ganz England bekam so viel, wenn er seine Hand für eine widerliche Ehe geben musste?

Keiner bekäme so viel! Nicht viel konnte ihn wirklich verführen. Aber diese Summe… - das war etwas anderes! Dafür konnte er sie ein paarmal besitzen, bis sie schwanger werden würde.

Und sie könnte von ihm aus den gesamten Tag über im Wald verschwinden, jagen, den Stall ausmisten – was sie eben wollte.

 

Eigentlich gewannen sie doch beide. Er würde seine Affären nun geheimer pflegen und wäre um zwölf Millionen Pfund reicher! Reich wie ein König. Himmel, das waren verdammt gute Aussichten!

 

~*~

 

„Vater!“


„Buffy, Schluss damit!“

 

„Vater, er hat mich missbraucht! Du gibst mich einem Lump und Rumtreiber?“, schrie sie außer sich, während sich Strähnen aus ihrem Zopf lösten. Ihre Hosen standen vor Dreck, der Geruch ihres Pferdes breitete sich im gesamten Zimmer aus. Der Fürst hatte sich umgewandt.


„Ich wünsche nicht, dass so sprichst!“ Buffys Mund öffnete sich empört.


„Vater!“

 

„Genug!“, rief ihr Vater außer sich. Buffy schwieg abrupt. „Lord William mag kein Ehrenmann sein, aber sein Besitz ist größer als der des Grafen, und damit ist er die bessere Partie.“

 

„Die bessere-?“ Sie konnte ihren Vater nur anstarren. „Und es ist unerheblich, dass er ein widerliches Schwein ist?“

 

„Elizabeth!“, donnerte die Stimme ihres Vaters jetzt. „Du wirst dein loses Mundwerk im Zaum halten, dein unpassendes Temperament zügeln. Wir sind uns einig geworden, und das ist mein letztes Wort!“

 

„Vater!“


„Er nimmt dich zur Frau! Er möchte dich heiraten, Buffy! Begreifst du nicht?“

 

„Er will das Geld, nichts sonst!“

 

„Ich dachte, der Lord hätte sich eben erst noch an dir vergriffen?“, entgegnete ihr Vater zornig.

 

„Vater, du kannst nicht-

 

„-ich bin Herr dieses Hauses, und du wirst dich nicht widersetzen, hast du mich verstanden? Es ist eine Peinlichkeit sondergleichen, dass du dich aufgeführt hast, wie eine Dirne des Dorfes! Ein wahres Glück, dass dich der Lord überhaupt nimmt, wo du dich so schamlos an seinen Hals geworfen hast! Willst du auch noch das Gespött der Grafschaft werden, Elizabeth?“ Ihr Mund schloss sich abrupt. Es war das zweite Mal, dass er ihren vollen Namen gesagt hatte. Und die Ungerechtigkeit seiner Worte trieb ihr die Tränen in die Augen. Seit wann war sie schuld?

 

Draußen wurden bereits lautstark Koffer und Kisten mit ihren Habseligkeiten in Kutschen verladen. Ihr Blick wurde glasig. Ihr Vater kam näher.

 

„Du wirst mich nicht enttäuschen. Zeige dich dankbar und demütig. Dankbar und demütig“, wiederholte er eindringlich, und bevor er ihre Tränen sehen konnte hatte sie sich abgewandt und war aus dem Salon geflohen. Als wäre sie eine Bürde! Wieder einmal eine Last. Aber nein, das würde sie ihrem Vater nicht antun. Sie war so wütend! Natürlich würde er sie nehmen, bei so einer absurden Summe an Geld, die ihr Vater ihm geboten hatte!

 

Dawn war ihr den ganzen Tag lang schon aus dem Weg gegangen, mied ihre Gesellschaft, ihren Blick, sprach mit keinem mehr, und Buffy wusste es nicht zu lindern. Schlimmer war, dass sie Anya nicht mitnehmen durfte. Die erste Zofe verließ nicht das Schloss. Sie bekam Tara. Sie hatte noch nie mit Tara zu tun gehabt. Und sie wusste, Dawn und Anya waren nicht gerade begeistert, dass nun sie beide Vertraute werden sollten. Aber Dawn vertraute sich ohnehin niemandem an.

 

„Nein, nicht die Armbrust!“, hörte sie seine widerliche Stimme. Sie stürmte den Rest des Weges zurück zur Eingangshalle. Die Tür stand offen. Vor den Marmortreppen verluden die Diener gerade Waffen und Ausrüstungen.


„Das ist meine Armbrust!“, hörte sie sich wütend sagen, und immerhin versiegten ihre Tränen. Der Lord betrachtete ihren Aufzug nur knapp, schien sie gar nicht wahrzunehmen.

 

„Ich habe genügend Armbrüste. Eure ist alt und-“

 

„Sie gehört mir! Ich werde nur mit meiner eigenen Armbrust schießen!“

 

„Es ist unnütz. Sie ist kaum noch zu gebrauchen, die Sehne ist nicht zu bespannen und weshalb mit Sachen abschleppen, die ich Zuhause im Übermaß habe?“, verlangte er gereizt zu wissen, aber sie kam nur noch zorniger auf ihn zu. „Das wäre genauso albern, als wenn Ihr verlangen würdet, Euren verzogenen Hengst mitzunehmen!“

 

„Ach ja? Ich reise nur mit meinem Hengst!“

 

Er atmete ruhiger aus.

 

„Wisst Ihr, Katharina, die Große, sah es ähnlich…“ Er ließ die Worte verklingen. Ihre Augen weiteten sich.

 

„Das ist ein gemeines Gerücht! Vater ist großer Anhänger ihrer Reitkunst gewesen, und der Absolutismus ist-“

 

„-das Dümmste, was sich jemals jemand hat einfallen lassen können.“ Mit einer Handbewegung deutete er an, die Armbrust wieder zurückzuschaffen, wo die Diener sie hergeholt hatten. Sie schüttelten den Kopf vor Empörung.


Ihr seid das Dümmste, was sich jemand hat einfallen lassen können!“, fauchte sie außer sich.


„Buffy, ich bitte Euch.“ Er kam näher, als wären sie Vertraute, als hätte er sie nicht erst vorgestern überfallen mit seiner… unmoralischen, verwerflichen Wollust! „Ihr könnt mir nicht erzählen, der aufgeklärte Absolutismus sei etwas, worüber Ihr Euch wirklich mehr als einen Gedanken machen könnt.“ Sie begriff nicht, was er da sprach.

 

„Die Fürsten haben-“

 

„- die Macht, nur Gott zwischen sich und ihren Entscheidungen zu haben? Diese Ansicht ist genauso lächerlich, wie anzunehmen, Gott hätte den Menschen nach seinem Abbild erschaffen.“ Ihre Augen weiteten sich.


„Ihr seid ein Ketzer!“, flüsterte sie, mit Tränen in den Augen. Und er wagte auch noch zu lachen.


„Alles andere als das. Nein, das Pferd bleibt hier!“, rief er, als ein Stalljunge mit ihrem Hengst um die Ecke kam. Sie war noch viel zu schockiert von seinen Worten, als zu widersprechen. „Ich bin lediglich gebildeter als Ihr es sein könntet, denn mit Verlaub, Ihr seid nur eine Frau.“

 

Sie hatte bereits ausgeholt, war auf ihn zugestürmt, aber er hatte ihre Hand geschickt abgefangen und mit aller Macht nach unten gedrückt, so dass sie vor Schmerz den Mund verzog. Die Diener betrachteten sie bereits mit größter Neugierde. Röte schoss in ihre Wangen.


„Ihr mögt aufgeklärter sein als Eure Schwester…“, begann er leiser, unverhohlene Wut in seinem Blick, „aber meinen Intellekt werdet Ihr nicht erreichen. Das ist der Grund, warum ich Euch heiraten, verpacken und in meinem Anwesen zur Zierde platzieren lassen kann.“

 

„Ich hasse Euch!“, flüsterte sie erstickt.

 

„Hass ist ein sehr starkes Gefühl.“ Er sah ihr fest in die Augen. Sie waren grau. So grau wie der Himmel vor einem Sturm, so grau wie der wilde Ozean. Sie entriss ihm ihren Arm und beschloss, nie mehr vor ihm zu weinen. Nie mehr! Er hielt sich für einen Geschäftsmann? Gut, dann war sie ebenso ein Geschäftsmann!

 

„Ihr wollt mein Pferd nicht mitnehmen?“ Sie blinzelte nicht, während sie sprach. „Dann könnt Ihr vergessen, dass ich Euch begleite. Dann wird die Hochzeit nicht stattfinden, und Ihr bekommt nicht das viele Geld, weswegen Ihr diese ganze Farce überhaupt auf Euch nehmt. Ich bin nicht so dumm, wie meine Schwester. Eure Ketzerei und Erfahrung, Euer Reichtum und Eure schlechten Manieren können mich nicht beeindrucken, Sir. Eher lasse ich mich verstoßen, als auf meinen Hengst zu verzichten!“ Es verging ein kurzer Moment. Schließlich verdrehte er die hellen Augen.

 

„Fein“, gab er schließlich zurück. Beinahe triumphierend wandte sie sich ab. „Noch etwas, Buffy…“, hielt sie seine furchtbare Stimme auf. Er lächelte, als sie sich umwandte. „Der Hengst kommt mit, sowie Eure alte, unnütze Armbrust und was Ihr sonst noch wollt“, beschloss er ruhig. „Aber eine Woche lang werdet Ihr tun, was ich Euch sage, ohne Widerworte, ohne Streiterei. Eine Woche, sobald wir auf Beaufort angekommen sind.“

 

Es war ein Handel.

 

Und es war ein Handel, den er bereuen würde. Sie durfte alles mitnehmen, was sie wollte? Dann würde sie alles mitnehmen, was sie konnte. Was konnte er schon großartig wollen? Dass sie ein Kleid anziehen würde? Höflich war? Lächelte und Danke sagte? Sie tat es hier ständig. Das würde also kein Problem werden.

Sie lächelte also.

„Sehr wohl, Mylord“, erwiderte sie. Seine Mundwinkel hoben sich ein Stück. Und es bereitete sich ein unangenehmes Gefühl in ihrem Magen aus, während sie die Stalljungen begleitete, um all ihre Sättel holen zu lassen, aber noch konnte sie das Gefühl nicht völlig zuordnen.

 

 

Kapitel 10

A Taste of Despair

 

„Du erscheinst mir ausgesprochen gut gelaunt“, merkte sein Vater an, ohne selber den Hauch von guter Laune zu versprühen. Spike hob den Blick.

 

„Ausgesprochen gut“, bestätigte er, während er den letzten seiner Koffer verschloss. Er traute den Dienern noch weniger, als dem Rest der Menschen auf dem Schloss.

 

„Du weißt, dass eine Heirat mehr bedeutet, als schlichtes Gold, William?“, erkundigte sich sein Vater glatt, und Spike winkte lediglich ab.

 

„Ja, ja… Geschäfte schlafen nicht, ein Erbe muss her – sicher. All das sollst du bekommen, Vater“, gab er lächelnd zurück.

 

„Das Mädchen“, fuhr er unbeeindruckt fort. „Du hast sie ordentlich zu behandeln. Wie eine Frau. Nicht wie Vieh, dass du mästest und vorbereitest, um zu gebären.“ Spike runzelte die Stirn.


„So wie du es ausdrückst, erscheint es mir, dass du mir überhaupt gar nichts zutraust.“ Der Mund seines Vaters wurde schmal.


„Ich traue dir durchaus zu, einem Fürsten zwölf Millionen Pfund abzunehmen. Dass du die Tochter, die er liebt, gut behandelst, nein, das traue ich dir nicht zu.“

 

„Vater-“

 

„-sie wird dich heiraten. Sie wird deine Familie sein, wenn ich nicht mehr da bin. Glaub nicht, dass ich dein Handeln nicht durschaue, William.“

 

„Sie ist nur eine Frau“, erklärte er kälter. Er hatte einen solchen Satz kaum aussprechen wollen. Frauen standen in seinen Augen nicht niederer als sonst irgendjemand. Aber es handelte sich um seinen verletzten Stolz, den er nicht anders zu verbergen wusste, als durch stumpfe, männliche Äußerungen. Er war der Mann, der Herr im Haus, er würde für sie zahlen, und sie war eben seine Frau. Und dafür sollte sie dankbar sein.

 

„Ich bin sehr froh, dass deine Mutter der Möglichkeit beraubt wurde, dich so sprechen zu hören!“ Und mit dieser Beleidigung war sein Vater gegangen. Aber Spike hatte keine Zeit, sich darüber zu ärgern oder sich angegriffen zu fühlen. Was wusste sein Vater schon? Angel würde die Tage den Hengst vorbeibringen! Das war jetzt eigentlich das wichtige.

 

Er schritt zum Fenster. Eigentlich stritt er mit seinem Vater, seitdem er denken konnte. Das war also nichts Neues. Nichts Besonderes. Ob er mit seiner Mutter gestritten hätte? Er stellte sich immer vor, sie wäre das komplette Gegenteil seines Vaters. Nein. Mit ihr hätte er nie gestritten, sagte er sich. Und sie wäre froh, dass er eine Frau gefunden hatte. Mehr oder weniger. Himmel, er würde eine Frau mit nach Hause bringen. Er musste siebenundzwanzig werden, um hier zu landen.

 

Seine Augen verengten sich, als er sich die Auffahrt näher betrachtete. Es reihte sich Kiste um Kiste, Reiter um Reiter, Kutsche um Kutsche. Fast berührte seine Nase schon die Scheibe.

 

Und ein einziges Wort verließ zornig seine Lippen.

 

„Buffy….“ Seine Hand schlug wütend auf den steinernen Sims des Fensters. Was tat diese Verrückte? Nahm sie das gesamte Inventar mit nach Beaufort? Schon hatte er das Zimmer verlassen. Heute war auch noch Abreisetag.

Unten traf er auf der Personal, den Fürsten, die Schwester, seinen Vater, den er jetzt aber ignorierte, und schob sich nach draußen. Er eilte die Stufen hinab zur nächsten Kutsche.

 

„Darf ich fragen, was-“

 

„-entschuldigt, Mylord, aber wir müssen den Ofen holen“, entzog sich ein Diener ängstlich seiner Erscheinung.

 

„Ofen?“, wiederholte er perplex, ehe er ein Knurren unterdrückte. „Buffy?“, rief er über den Hof, aber sie war nirgends zu sehen. Hastig umrundete er die Auffahrt, bog ab zu den Ställen und sah, wie mehr als ein Hengst bereit gemacht wurde, das Schloss zu verlassen. „Nein“, flüsterte er kopfschüttelnd.

Er stieß ohne große Hoffnung die Tore zu den Stallungen auf, und er hatte Glück!

 

Weit hinten, am Ende der bestimmt fünfzig Boxen stand die Frau der Stunde. Sie schien Diener anzuordnen, genügend Sättel einzupacken.

 

„Was tust du?“ Die höfliche Form hatte er an dem Abend abgelegt, an dem er sie geküsst hatte. Er war ihm mittlerweile nicht mehr klar, weshalb er etwas derartig Dummes hatte tun können. Anscheinend war er nicht mehr ganz bei Verstand gewesen. Absolut nicht mehr!

 

„Ich packe“, erklärte sie mit einem feinen Lächeln. Ihre Hosen waren sauber, saßen besser, aber es waren immer noch Männerhosen. Die Bluse war weiß, steckte locker im Hosenbund, und ihre Haare waren im Zopf nach hinten gebunden. „Nein, ich möchte den großen Ledersattel, der kleine ist unbequem auf der langen Reise.“

 

Seine Augen verengten sich.


„Was?“, fragte er, denn er wusste nicht recht, was sie ihm mitteilte.

 

„Bitte?“, entgegnete sie mit einem Lächeln, das ihn wahnsinnig machte.

 

„Was soll das heißen? Unbequem? Du willst doch wohl nicht die Dreistigkeit besitzen und Vorreiten?“, schrie er praktisch, denn diese Frau war zumindest in der Hinsicht der nervenaufreibenden Anstrengung alle zwölf Millionen Pfund mehr als wert.

 

„Ich werde nicht mit Euch in einer Kutsche sitzen, Mylord“, erklärte sie ernst.

 

„Du wirst mich heiraten, dein Bett mit mir teilen, meine Frucht gebären!“, schrie er außer sich. „Und deswegen wirst du garantiert auch die Kutsche mit mir besteigen!“ Sie war gänzlich unbeeindruckt von seinen Worten.

 

„Ich werden reiten, William.“ Sie benutzte seinen Vornamen. Kurz hatte er das Gefühl mit seinem sturen Vater zu sprechen. „Ich darf packen, was ich will“, informierte sie ihn, als hätte er diesen kleinen Handel vergessen.

 

„Das beinhaltete aber nicht, dass du zu Pferde nach Beaufort reiten wirst! Es sind drei Tage, mit all deinem Tand und unnützen Kleinigkeiten!“ Seine Stimme gehorchte ihm kaum noch.

 

„Es sind alles Dinge, die ich notwendig brauche“, widersprach sie knapp und betrachtete wohlwollend die Sammlung an Reiterhelmen.


„Einen Ofen? Weshalb? Denkst du, wir haben keine Öfen auf Beaufort? Denkst du, es ist ein Eisschloss, hoch im Norden?“

 

„Der Eiskönig dürfte immerhin dort beheimatet sein, wie ich hörte“, entgegnete sie schnippisch.

 

„Amüsant, wirklich“, erwiderte er zornig. „Du reitest nicht. Das ist ein Bruch der Abmachung.“

 

„Wenn du mich nicht über deine Schulter wirfst und mit Ketten an deine Kutsche fesselst, dann wirst du mit der Tatsache leben müssen, dass der Handel gebrochen ist!“ Auch ihr letzter Rest an Höflichkeit war wohl nicht mehr vorhanden.

 

Sie machte ihn wahnsinnig!

 

„Schön!“, knurrte er schließlich, fuhr sich durch die hellen Haare und kam übergangslos näher. „Du bist nicht die einzige, die den Handel brechen kann.“ Er würde ihre Überlegenheit schon aus ihrem Gesicht bekommen. Er zog den teuren Gehrock einfach über seine Schultern, ließ ihn hinter sich in den staubigen Dreck fallen und öffnete dann sein Hemd, ohne sie aus dem Blick zu lassen.

 

„Traditionen öden mich an, Buffy. Wozu auf die Hochzeitsnacht warten?“, begann er mit rauer Stimme zu erzählen, und ihre Augen weiteten sich. Sie wich nach hinten zurück, stieß gegen die Sattelbänke, und hastig verließen die drei letzten übrig geblieben Stalljungen den Stall.

 

„Nein!“, gab sie heiser zurück, und er sah die Angst wieder, die er vor einigen Tagen gesehen hatte. „Das ist nicht gerecht! Das ist kein-“


„-nicht gerecht? Oh, so spielen wir auch nicht mehr, wie es scheint!“, brachte er gereizt hervor. „Einen Ofen, einen Perserteppich? Hundert Hengste? Das ist ein klarer Bruch, also habe ich nur das gute Recht, ebenfalls ein paar Änderungen vorzunehmen. Zieh dich aus!“, befahl er knapp.

 

„Niemals!“, keuchte sie bestürzt und griff ängstlich in ihre Knopfleiste.

 

„Niemals?“, wiederholte er mit gespielter Bestürzung. „Du willst den Handel nicht mehr?“ Und voller Abscheu sah sie zu ihm auf. „Wenn du schmutzig spielen willst, dann ist das kein Problem, Lady Summers“, betonte er ihren Namen abschätzend. „Dir ist hoffentlich klar, dass der Name bald sowieso ein anderer ist und du mir gehören wirst? Ich hoffe, wir haben uns richtig verstanden“, fügte er eindringlich hinzu.

 

„Ihr seid widerlich“, fiel sie flüsternd wieder in die höfliche Form zurück. Er sah ihre Tränen.

 

„Und was seid Ihr dann? Wir hatten eine Abmachung. Ihr wollt nicht, dass ich Euch anfasse? Dann haltet Euch an Abmachungen!“ Er knöpfte langsam sein Hemd wieder zu, ohne sie aus den Augen zu lassen.

 

„Ich werde reiten“, begann sie erneut, nur wesentlich tonloser als zuvor.


„Ich werdet nicht reiten!“

 

„Ich werde nicht mit Euch in einer Kutsche sitzen!“, brachte sie unter Tränen hervor. Er schloss ergeben die Augen. „Mann sollte meinen, für zwölf Millionen hätte ich zumindest meinen Willen frei gekauft, wenn schon nicht meinen Körper“, fügte sie böse hinzu.

 

„Ihr wollt reiten? Dann hoffe ich inständig, wilde Tiere reißen Euch vom Pferd!“

 

„Das ist auch exakt meine eigene Hoffnung“, flüsterte sie tonlos, aber deutlich genug, dass er sie verstehen konnte. Und er war nur Millimeter davon entfernt, dass ihm die Hand ausrutschte. Stattdessen schloss er den Abstand zu ihr. Denn er ließ sich garantiert nicht von ihr dazu bringen, auf diese Weise körperlich zu werden, wie sehr sie es auch darauf anlegte! Er umfing ihre Schultern, drückte sie gegen die Sattelbänke, und sie keuchte erschrocken auf.

 

„Dann verzeiht mir, dass ich mir nehme, was mir zusteht“, informierte er sie, ehe er den Kopf senkte. Schon hatten sich ihre Hände gegen seine Brust gestemmt, aber er spürte es kaum. Seine Lippen verschlossen zügig die ihren, die sich bereits geöffnet hatten, um zu schreien. Sie wehrte sich unter ihm, und er kannte es bereits. Es war nur gerecht, dass er das jetzt tat!

 

Weich waren ihre Lippen unter seinen, und seine rechte Hand schlang sich um ihren Hals. Sie schmeckte nach Feuer, nach Widerwillen und etwas Süßem, was er nicht zuordnen konnte. Und bevor ihre Gegenwehr noch mehr zunehmen konnte, ließ er von ihren Lippen ab, entfernte sich aber keine Handbreit von ihrem Gesicht.

 

Ihre Augen waren weit aufgerissen. Das Grün war dunkel geworden. Sein Zeigefinger fuhr über ihre geschwollene Unterlippe.

„Nur, dass wir uns verstehen – wenn wir angekommen sind, bekomme ich dich eine Woche. Wenn du schnell reitest, bist du vielleicht eher da. Dann erwarte ich dich nackt in meinen Gemächern“, informierte er sie mit rauer Stimme, denn sein Penis war schlagartig erwacht. Er brauchte dringend Verkehr mit einer Frau, sonst würde er noch sterben vor Lust!

 

Sie schluckte schwer. Ihre Brust hob und senkte sich unter der Bluse, und sie schien unfähig, zu sprechen. Die Stille klang herrlich in seinen Ohren. Und langsam, immer mehr, kam er sich vor wie ein Monster. Noch keine Frau hatte ihn jemals so angsterfüllt angesehen. Er wünschte jetzt gerade, er hätte es nicht schon wieder getan. Aber jetzt war es nicht strategisch klug, einen Rückzieher zu machen. Und das musste er auch nicht.

Sie schien nicht mit dieser Konsequenz gerechnet zu haben.

Mit aller Macht, ließ er von ihr ab.

 

~*~

 

Als er den Stall verlassen hatte, erlaubte sie es sich, auf den Boden zu sinken. Schluchzend fuhr sie sich über den Mund, versuchte seinen Geschmack, seinen Drang fortzuwischen, versuchte, sich zu beruhigen und nicht vollkommen zu verzweifeln, bei dem Gedanken ihr Leben lang an diesen Mann gebunden zu sein, der sie nur erniedrigen würde, wann immer sie sich gegen ihn auflehnte.

 

Sie wusste, dass manche aus Liebe heirateten. Liam le Comte wäre ein Mann, der ihre Schwester ausrichtig lieben würde.

Lord William war nur boshaft. Ein Monster, ein Ketzer, ein Schurke.

 

Tränen flossen ungehindert ihre Wangen hinab.

 

„M…mylady?“ Erschrocken wischte sie sich über das Gesicht, versuchte die Tränen zu verstecken und erhob sich rasch. „Entschuldigt, ich…“ Tara sah sie bestürzt an. „Bitte, weint nicht!“, flüsterte sie und eilte zu ihr. Und Tara tat etwas, was Anya noch niemals getan hatte. Sie zog sie einfach in die Arme.

„Es ist n…nicht schlimm, Mylady.“ Beruhigend strich sie über Buffys Rücken.

 

„Nicht schlimm?“, flüsterte sie heiser. „Er kann doch nicht einfach…“, begann sie, aber besann sich und ließ sich lediglich von der fremden Frau halten. Es fühlte sich nicht unangenehm an.

 

„Er ist bestimmt ein guter Ehemann. Ihr seid d…doch eine Lady“, beruhigte sie die Zofe leise. „Ihr werdet Euch fügen. Vielleicht… ä…ändert er sich.“

 

„Wieso kann er das tun?“, flüsterte Buffy, ohne die Augen zu öffnen. Doch die Zofe antwortete nicht darauf. „Wäre ich doch ein Mann!“, fügte sie unter Tränen hinzu. Tara drückte sie fester.

 

„Euer Vater verlangt die Hochzeit noch vor Eurer A…abreise“, informierte Tara sie beflissen. Buffy riss die Augen auf.

 

„Was? Jetzt? Heute?“

 

„Der Lord möchte heute Abend abreisen. Euer V…vater würde Euch sonst erst wieder im Herbst wiedersehen. Der Weg wäre zu weit“, erklärte die Zofe mit trauriger Stimme.

 

„Aber… ich… - dann wäre ich schon heute verheiratet“, endete sie tonlos.

 

„Es tut mir leid, aber ich wurde geschickt, Euch diese Nachricht zu bringen. Der Pfarrer ist bereits eingetroffen.“ Buffy schüttelte den Kopf, und nur eine unwichtige Sache kam ihr neben ihrem ganzen Leid noch in den Sinn.

 

„Ich… habe kein Kleid. Und… es ist zu früh! Ich will ihn nicht!“, fügte sie kopfschüttelnd hinzu. „Welche Last bürgt mir der Herr nur auf?“, flüsterte sie, ohne eine Antwort zu erwarten, gen Decke des Stalls.

 

„Alles ergibt Sinn, am Ende“, erwiderte die Zofe ruhig. Aber Buffy schüttelte nur den Kopf.


„Er will mich jetzt verheiraten? So schnell es geht loswerden und abschieben? Schön. Dann heirate ich jetzt. In Hosen. Ganz wie er will!“, presste sie zornig hervor. Sie ließ die Zofe zurück. Was wusste sie schon? Es gab keinen göttlichen Grund, weshalb sie diesen Schuft heiraten würde.

Sie hatte Pech. Das größte Pech von allen Mädchen. Aber ihr Stolz würde es ihr verbieten, noch länger eine Last für ihren Vater zu sein.

Er konnte mit der Schuld leben, sie aus dem Schloss und aus ihrem Zuhause vertrieben zu haben. Er würde es schon noch bedauern, wenn er erst einmal begriffen hatte, an was für einen Widerling er sie verkauft hatte!

 

 

Kapitel 11

Lost and Found

 

Er hatte angenommen, sie würde nicht auftauchen, würde fliehen, aber er hatte sich geirrt. Relativ freiwillig hatte sie vor dem Priester zugestanden, ihn zu heiraten, zu ehren und zu lieben, bis dass der Tod sie beide erlösen würde.

Er hatte dies auch getan, aber es war wie in Trance geschehen. Kurz zuvor hatte er von ihrem Vater schließlich ein Dutzend Kisten mit der versprochenen Mitgift verladen lassen.

 

Sein Vater allein schien nicht begeistert zu sein. Buffys Schwester hatte mürrisch zugesehen, und nur zu schnell hatte sich seine Frau nach der Zeremonie entfernt, war zurück ins Haus gestürmt, und er hatte kein weiteres Wort mit ihr gesprochen. Er hatte die Braut nicht einmal geküsst. Alles in allem war es eine Zeremonie gewesen, wie er es sich niemals gedacht hätte. Kurz, klein und lieblos. Abgesprochen und von Geld beherrscht.

 

Es war eine Zweckehe. Abschreckend, aber durchaus lohnenswert.

 

So viel Geld! Aber er wollte nach Hause. Langsam aber sicher wusste er, dass er es hier nicht mehr aushielt.

Die Kutschen waren bereit zur Abfahrt. Er hatte dem Fürsten versprechen müssen, gut auf seine Tochter acht zu geben, hatte den nächsten obligatorischen Besuch in zwei Monaten geplant und wollte jetzt abreisen.

Ihre Zofe war bereits in einer Kutsche mit den anderen Bediensteten untergebracht. Die Pferde waren wieder ausgeladen, so auch die Sättel, der Ofen, die Teppiche – und was fehlte war schließlich nur noch seine Frau.

 

Der Anzug, den er trug, war unbequem. Es war der traditionelle Hochzeitsanzug gewesen. Ein Stück, unten aus dem Dorf, auf welches sein Vater bestanden hatte. Es war schwer, kratzig und bestimmt nicht dazu gedacht, länger als zehn Minuten am Körper getragen zu werden. Er wollte auf Beaufort ankommen, sich entkleiden, ein heißes Bad und dann seine ungehörige Frau nehmen. Alles soweit so gut geplant.

 

Aber wo blieb sie?

 

Auch sein Vater hatte das Schloss verlassen, kam auf ihn zu, den Fürsten im Schlepptau.

 

„Ich nehme an, alles ist bereit zur Abreise?“, erkundigte er sich glatt, und Spike nickte knapp.

 

Jaah“, entgegnete er langsam. „So gut wie“, fügte er leiser hinzu, und Ärger nagte an seinem Tonfall.

 

„Buffy ist nicht hier, nicht wahr? Sie zieht sich bestimmt um“, vermutete ihr Vater bedächtig, aber es klang beinahe wie eine Ausrede. Spike hätte gerne geäußert, dass sie das nun schon seit einer Stunde tat, aber er schwieg. Er war es müde zu streiten. Es wurde langsam spät.

 

Und endlich kam sie! Die Türen öffneten sich erneut, und seine Frau verließ mit einer anderen Zofe das Gebäude. Seine Frau…. Und er hatte ein bitteres Gefühl, wenn er die Worte nur dachte. Schon jetzt fühlte er sich eingesperrt.

 

„Ich komme mit, das nächste Mal, wenn der Besuch ansteht. Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Alles Weitere habe ich dir aufgeschrieben. Die Sachen bekommst du alle im nächsten Dorf. Mach dir keine Gedanken, und merk dir, die drei Sachen für die erste Nacht!“ Die Zofe sprach sehr leise, aber er verstand sie. Die drei Dinge für die erste Nacht? Was waren das für Dinge? Gab die Zofe Buffy etwa Ratschläge für den Verkehr? Sofort horchte er begierig auf, aber die Zofe sprach nicht weiter, schenkte ihm lediglich einen knappen, undeutbar unfreundlichen Blick, und verneigte sich vor Buffy sehr tief.

 

Und jetzt erst fiel ihm wieder ein, was sein Blut heute noch einmal zum Kochen brachte. Sie trug Hosen. Sie trug ein weißes Männerhemd unter einer weiten Lederjacke. Die Haare waren nach hinten gebunden, der Helm lose unter den Arm geklemmt. Könnte er es riskieren jetzt hier vor allen zu schreien? Vielleicht würde ihm ja ihr Vater diese Bürde abnehmen.

 

„Das erscheint mir ein bequemes Ensemble zu sein“, betätigte sein Vater nickend. Buffy schien sich gefangen zu haben. Sie sah nicht mehr aus, als wäre sie den Tränen nahe. Nein, sie wirkte wild entschlossen. Und Spike wollte die Augen über seinen dämlichen Vater verdrehen.

 

„Das möchte ich meinen. Zu Pferd wäre ein Kleid nur hinderlich“, gab sie lächelnd zurück. Sein Vater starrte sie kurz an.


„Ihr wollt… reiten…“, beendete er diesen Gedankengang. „Liebe Elizabeth, glaubt Ihr, dass das tatsächlich-“ Aber der Stalljunge unterbrach die Sorgen seines Vater, als er mit dem großen Rappen um die Ecke bog.

 

Mylady“, murmelte er unterwürfig, sank in eine kurze Verbeugung und entfernte sich wieder. Spike kam es vielleicht nur so vor, aber der Junge schien entschieden seinen Blick zu meiden.

 

„Ich reite den Kutschen nach. Lange Fahrten sind mir noch nie gut bekommen, Sir“, erklärte sie mit so übertrieben falscher Freundlichkeit, dass es noch mehr an Spikes Geduld zu zerren begann.

 

Langsam schloss er den Abstand zu ihr, und er hoffte, sein Zorn war nicht allzu transparent für alle Anwesenden.


„Das… ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte er so leise, dass es niemand hören konnte. Sie lächelte ihn falsch an.

 

„Oh sicher doch, Mylord“, bestätigte sie kühl.

 

Und er beschloss, dass es ihm gleichgültig war. Es war ihm verflucht noch mal egal!

 

„Fein. Ganz wie du willst!“, knurrte er, schritt zu den Kutschen und wandte sich im Gehen um. „Wir reisen ab, Vater. Wenn sie hinterher reiten will, werde ich sie nicht hindern.“ Er sah, wie sie sich noch ein kurzes Wortgefecht mit ihrem Vater zu liefern schien, aber es war ihm auch egal. Sie war eine widerspenstige Furie! Hoffentlich stürzte sie aus dem Sattel und brach sich das Bein. Das würde ihr lehren, sich nicht zu widersetzen!

 

Sein Vater folgte ihm nach einer ganzen Weile in die Kutsche. Spike knöpfte sich die unbequeme Brokatjacke auf. Er schwitzte höllisch darunter. Die Hosen waren genauso unbequem.

 

„Sie… ist eine Handvoll Arbeit, nicht wahr?“ Es klang nicht wirklich wie eine Frage, und ehe er schreien würde, fand er sich einfach damit ab, der reichste Mann mit der unausstehlichsten Frau zu sein. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Ihm fiel auf, dass er die jüngste Tochter zum Abschied nicht hatte entdecken können.

 

Die drei Dinge für die erste Nacht. Er wusste, was seine drei Dinge wären. Hiebe mit der Peitsche, Brot und Wasser zur Strafe und keine Kleidung mehr, bis er Respekt in sie hineingebracht hatte! Und müsste er die ganze Nachtlang mit ihr schlafen!

 

„William?“ Endlich hob er den Blick zum Gesicht seines Vaters.

 

„Was?“, wollte er mit gezwungener Ruhe wissen, denn seine Gedanken wanderten bereits verboten weit.

 

„Wie sehr hasst sie dich?“ Er blinzelte überrascht, verbarg den unerwarteten Impuls aber schnell. Sein Vater wirkte sehr empfänglich für die Unstimmigkeit zwischen ihnen. Er überlegte kurz, ob er seinem Vater eine ansatzweise ehrliche Antwort gönnen sollte, aber dann lächelte er.

 

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Vater“, erklärte er schließlich und lehnte den Kopf zurück.

 

„Nun, anscheinend so sehr, dass sie nicht mit dir in einer Kutsche sitzen möchte.“ Sein Vater hatte natürlich Recht, aber Spike vertiefte sein Lächeln lediglich.

 

„Du wolltest die Heirat“, entfuhr es ihm doch, und er biss sich auf die Zunge. „Und ich sehe kein Problem darin, dass sie nicht neben mir sitzt“, ergänzte er, um Gleichgültigkeit bemüht. Aber jetzt lächelte sein Vater eines seiner nachsichtigen Lächeln voller Traurigkeit, die Spike schon immer verabscheut hatte.

 

„Wie man sich bettet, William…“, begann er lächelnd, und Spike atmete entnervt ein, „so liegt man auch“, schloss er mit wissendem Blick. „Das arme Mädchen zu benutzen, zu überrumpeln, zu-“

 

„-ich habe nicht Derartiges getan!“, fuhr er seinen Vater harsch und unüberlegt an.

 

„Ach nein?“, ging sein Vater sofort auf seinen Ausbruch ein, und jeder Ansatz eines Lächelns war von seinem alten Gesicht verschwunden. „Ich nehme an, sie hat sich selber geküsst, William? Du hattest nichts damit zu tun? Hat sie dich etwa gezwungen?“, wollte sein Vater fast höhnisch wissen.

 

„Ich habe sie nicht-“, er unterbrach sich höchst verärgert. „Ich streite mich nicht mit dir“, entschied er sich viel zu spät zu sagen, und sein Vater schenkte ihm einen abschätzenden Blick.

 

„Nein, du scheinst jetzt ja Geld genug zu haben, dich nie wieder mit irgendeinem Problem auseinandersetzen zu müssen, richtig, William? Aber du wirst sehen, dass du damit nicht gewinnen wirst. Nicht diesen Streit und auch keinen weiteren.“ Ihm lagen eintausend Dinge auf der Zunge, die er alle mit größter Anstrengung runterschluckte. Sein Vater würde ihn nicht provozieren. Das Miststück draußen würde ihn nicht provozieren. Und er hatte alles richtig gewählt! Hinter ihm in der Kutsche warteten Millionen darauf, von ihm in Besitz genommen zu werden! Und zu gerne würde seinen Vater von dessen hohen Ross stoßen.

 

Sein Vater beugte den Kopf zum offenen Fenster der Kutsche hinaus.

 

„Ich sehe sie nicht mehr“, bemerkte er laut in seine Richtung. Schon hatte Spike selber den Kopf aus dem Fenster gesteckt und warf einen zornigen Blick nach hinten. Allerdings ritt sie immer noch hinter ihnen her, winkte zum Schloss hoch, was sie zurückließen und würdigte ihn keines Blickes, als sie wieder nach vorne sah.

Hastig zog er den Kopf wieder in das Innere der Kutsche und schenkte seinem Vater einen wütenden Blick. Dieser wirkte jedoch das erste Mal zufrieden, als hätte er ihn, Spike, bei etwas erwischt, was er nicht für möglich gehalten hätte. Nur für eine Sekunde zuckten seine Mundwinkel, ehe er aus der Innentasche seines Gehrocks eine Ausgabe eines alten Buches zog.

 

Spike verschränkte beleidigt die Arme und beschloss, auch seinen Vater nicht mehr zu beachten.

 

~*~

 

Still ritt sie hinter der Kolonne an Kutschen. Sie lauschte nur den Geräuschen ihres Hengstes, und hatte seinen misstrauischen Blick vorhin wohl bemerkt, als er sich aus der Kutsche gestreckt hatte. Sein Vater hatte freundlich gelächelt. Mit ihm hatte Buffy auch kein Problem. Sie hielt Rupert für einen netten Mann, im Vergleich zu seinem Sohn.

 

Auch saß Tara in der Kutsche weiter vorne und nicht Anya, was sie wirklich belastete. Sie kannte Tara nicht gut genug. Sie wollte nicht mit ihr über Sorgen und Ängste reden. Dass sie Anya hatte zurücklassen müssen war ein herber Schlag für sie gewesen. Aber Anya war die erfahrenere Zofe, und ihr Vater hatte sie nicht aufgeben wollen, Buffy verstand das ebenfalls.

 

Sie hatte auf vieles verzichtet, aber nicht auf ihre Armbrust und ihre Männerstiefel. Sie fürchtete sich fast vor der Pflicht, die ihr bevorstand, und auf die Dawn schon ihr halbes Leben lang wartete.

Dawn…. Sie war nicht zur Verabschiedung gekommen. Sie war undankbar und verzogen. Anstatt, dass sie sich freute, dass Buffy endlich verschwunden war, und ihr auch noch den Teufel abgenommen hatte – nein – da blieb ihre Schwester lieber dumm und arrogant.

 

Die Sonne versank langsam hinter der Bergkuppe vor ihnen. Sie ritten gen Westen, und sie wusste, der Weg würde ansteigen. Sie hoffte nur, ihr Hengst nahm es ihr nicht zu übel.  Aber sie wog wesentlich weniger als eine der Kutschen. Es würde noch unbequem werden, aber lieber kroch sie auf dem Zahnfleisch, als in einer Kutsche mit diesem Wüstling zu sitzen.

Buffy, du wirst schon noch auf den Geschmack des Wüstlings kommen. Viel zu bald, erinnerte sie sich mit Schaudern an Anyas Worte und wollte nicht mehr nachdenken. Wie viele Vorzüge doch der kleine Graf ihr geboten hätte…. Wahrscheinlich war sie selber dumm und arrogant.

 

Eigentlich war vieles besser gewesen, ehe diese Menschen aufgetaucht waren.

 

Alles wirkte friedlich auf diesem Weg, nahe am Waldrand, nahe der hübschen Lichtung mit den blauen Blumen, die im Licht der Dämmerung schimmerten. Sie sitzte ab und streckte die Arme nach oben. Eine kleine Pause konnte nicht schaden. Die Kutschenpferde trabten kaum, es war eher ein leichter Schritt. Sie würde die Kutschen noch für eine Meile nicht aus den Augen verlieren.

Sie schritt über die frische Wiese, und dachte darüber nach, dass sie jetzt verheiratet war. Es fühlte sich nicht so an. Eigentlich fühlte sich nichts anders an, außer der Tatsache, dass sie nicht mehr Zuhause wohnen durfte.

 

Sie wurde hinfort gerissen. Sie bückte sich nach den blauen Blumen, zupfte eine aus dem Gras und strich mit den Fingern über die blauen Blüten.

Was würde sie nicht alles geben, um eine von ihnen zu sein! Eine von diesen blauen Blumen, deren einziger Zweck darin bestand, einen sommerlang zu blühen, damit sie im Herbst dann nach getaner Pflicht sterben konnten.

 

Sie seufzte auf. Die Kutschen verschwanden hinter dem Waldrand nach der nächsten Biegung. Jetzt waren sie im Wald. Der Weg würde nun spannender werden, überlegte sie. Im Wald gab es viel mehr Bäume und Tiere, kleine Dinge, die einem zu Pferd viel besser auffielen als nur in der Kutsche selbst. Der Wald war freundlich. Noch ein paar Minuten, und die Dunkelheit würde hereinbrechen.

 

Ein Wunder, dass William sie überhaupt hatte reiten lassen. Sie hatte schon damit gerechnet, dass er sie vom Pferd ziehen würde.

 

Pferd… wo war ihr Pferd?

 

„Conan?“, rief sie laut über die Lichtung. Sie entdeckte ihn am Rand. „Conan, komm zurück!“, rief sie erleichtert. Ihr Hengst verspeiste gerade einige Brombeeren, die am Rand wuchsen. Hastig überquerte sie die Wiese.

„Ich weiß, du möchtest auch nicht weiter“, beschwichtigte sie den Hengst beruhigend und streichelte seine Flanke. „Aber wir müssen weiter. Ich verspreche dir, zumindest für dich wird es besser. Die Stallungen sind größer, das Gelände ist weiter. Bestimmt ist auch das Futter besser“, fuhr sie zusammenhanglos fort, während sie wieder aufsitzte.

 

Sie warf einen letzten Blick zurück, und trabte dann Richtung Wald den Kutschen hinterher.

 

Schon als sie die nächste Biegung sah, stand sie vor einer Entscheidung. Ein Weg wandte sich nach oben, dichter in den Wald, der andere führte nach rechts, flach weiter, am Rand entlang. Dieser Weg ging allerdings recht gerade, und sie konnte keine Kutschen ausmachen. Sie mussten also tiefer in den Wald abgebogen sein. Hastig presste sie ihre Schenkel in die Seiten des Hengstes. Sie wollte gar nicht wissen, wie viel Ärger ihr neuer Mann ihr machen würde, wäre sie unterwegs verloren gegangen. Widerwillig trabte Conan den Berg hinauf.

 

Die Sonne verschwand, aber es war immer noch angenehm warm draußen. Die Kutschen würden bald die Laternen entzünden, dann würde sie hinter ihnen bleiben, denn sonst würde es ziemlich schnell sehr dunkel für sie werden.

 

Sie hatte die nächste Biegung nach kaum fünf Minuten erreicht, aber der Pfad wandte sich weiter nach oben und sie gelangte zu einer erneuten Weggabelung.

 

Verflixt. Links oder rechts? Der linke Weg war flacher und mit Kutschen wohl einfacher zu passieren. Conan schnaubte leiser. Denn dieser Weg führte zwischen dunklen Tannen hindurch. Er machte schon nach wenigen Metern eine Biegung. Sie klopfte ihm beruhigend die Seite.

 

„Die Tannen tun uns nichts. In diesem Teil Englands gibt es keine Wölfe“, fuhr sie leise fort. Conan blähte die Nüstern und folgte dann ihrem Willen.

Aber sie hörte nichts. Keine Kutschenräder auf dem Boden, keine gesprächigen Kutscher, nichts.

Sie war sich nicht völlig sicher, dass sie richtig abgebogen war.

 

„Wenn wir sie nicht bei der nächsten Biegung sehen, kehren wir um, hörst du?“, flüsterte sie, aber das Pferd reagierte nicht und trabte locker weiter. Wie konnte sie eine ganze Kutschenkolonne auf ein paar Meilen verloren haben? Sie war wütend mit sich selbst.

Die Dämmerung erfasste den Wald in nahezu einer halben Stunde. Zumindest schätzte sie die Zeit etwa auf eine halbe Stunde. Sie hatte gelauscht, sich umgesehen, hatte sogar gewendet, war dann nach rechts geritten, und jetzt blieb Conan stehen.

 

„Was ist?“, fragte sie gereizt, und spürte langsam den Schweiß auf der Stirn. „Oh.“ Sie standen vor einer Wand. Sie waren in einen Steinbruch geritten.

„Wir kehren um“, beschloss sie gereizt. Hastig lenkte sie den Hengst zurück. Sie zwang ihn in einen leichten Trab, obwohl es bei der Dämmerung leichtsinnig war. Aber sie wollte hier raus.

 

Und nicht, weil sie Angst hatte.

Nein. Eigentlich nur, damit sie von dem Schuft nicht angeschrien wurde, weil er recht hatte und sie nicht.

 

„Ich werde bestimmt nicht zugeben, mich verlaufen zu haben“, murmelte sie verärgert, während sie ihr Pferd ziellos durch den Forst schickte. Hoffentlich suchten sie nicht schon nach ihr.

Es raschelte im Gebüsch, und sie spürte, wie sich die Muskeln des Hengstes versteiften. Eilig lehnte sie sich vor, über den Hals des Pferdes.

 

„Ruhig, bitte, ruhig. Das ist nur ein Tier. Keine Angst, es ist nichts, nur ein Fuchs“, flüsterte sie. Im lauen Abendlicht, dass sie selber schon heftig blinzeln ließ, um etwas zu erkennen, sah sie, wie der Fuchs umher sah und schließlich eilig aus dem Gebüsch sprang und über den Weg davon zischte.

Und Conan stieg, in der Angst, angegriffen zu werden. Hastig griff sie in die Zügel, lehnte sich zurück, aber das Pferd achtete nicht mehr auf seine Reiterin und stieg so hoch, dass sie unsanft über den Sattel hinweg nach hinten aus den Steigbügeln rutschte.

 

Er stieß ein markerschütterndes Wiehern aus.


„Conan!“, rief sie zornig hinter dem Pferd her, als sie schmerzerfüllt wieder auf die Beine kam. Ihr Hintern schmerzte etwas, aber sie konnte die Beine bewegen, sie konnte gehen, hatte sich wohl nur ihr Steiß geprellt. Aber davon merkte sie noch nichts. Ihr Hengst, ihr besonders feiger Hengst, hatte Reißaus genommen.

„Dir zieh ich die Ohren lang, wenn du ich dich wiederfinde“, murmelte sie und machte sich auf den Weg zurück. Sie hörte das Getrappel der Hufe. Conan schien den Weg hinaus gefunden zu haben. Jetzt erst schnaubte er, wieherte und schien nach ihr zu rufen.

 

„Conan!“, rief sie ärgerlich, aber sie kam kaum um die nächste Biegung, da brach die Dunkelheit über den Wald herein. „Oh, das ist doch wohl nicht auszudenken!“, fluchte sie, während sie die Hände nach vorne streckte und durch die graue Dunkelheit blinzelte, um nicht gegen die Äste zu laufen, die hinab hingen. Sie sah vielleicht zwei Meter weit gerade aus, aber danach verschwand alles im dunklen Grau.

 

Sie hörte die Hufe immer noch, sie kamen näher. Sie beschleunigte ihr Tempo, um wieder zur Weggabelung zurückzufinden, und verschätzte sich um vielleicht nur ein Weniges bisschen.

 

Der Schrei entrang sich ihrer Kehle, während sie den ganzen Hang aus Laub hinabstürzte, Meter um Meter, tiefer hinab, den ganzen Weg zurück, den sie doch erst erklommen hatte, direkt am Hang hinab, tiefer ins Waldinnere hinein. Sie stemmte die Füße in den Boden, kullerte weiter, die Hände nach vorn gestreckt, um sich abzufangen, und sie kam mit einem letzten Sturz nach vorn zum Halten. Die Hände sanken in den Matsch vor sich, und sie erkannte flaches Wasser, keinen Meter vor ihr.


„So ein Missgeschick“, murmelte sie verzweifelt. Sie war irgendwo im Wald, an irgendeinem See, ihr Pferd bestimmt dreißig Meter weit über ihr auf einem anderen Weg, und sie hatte keine Ahnung, wie sie den Weg hinaus finden sollte.

 

Irgendwo musste es weitergehen. Sie kam schwankend auf die Beine, nahm an, dass ihre Kleidung komplett mit Matsch und Laub bedeckt sein musste, und sie schmeckte Erde auf ihren Lippen. Seufzend tastete sie sich vorwärts, trat immer wieder in schlammige Pfützen, und hatte das Gefühl die Eulen über ihr schuhuten schadenfroh.

Alles, nur würde sie niemals zugeben, sich verlaufen zu haben! Und würde sie hier hundert Jahre rumirren!

 

~*~

 

Die Kolonne hatte gehalten.

 

Er hatte jetzt genug von ihrer Halsstarrigkeit. Sie würde in die Kutsche steigen, ob sie nun wollte oder nicht. Es war noch weit über zwei Stunden Fahrt, und sie würde diesen Kampf nicht gewinnen. Er war ausgestiegen, streckte sich und wandte sich dann nach hinten, um sie zu erspähen.

 

„Buffy?“, rief er lächelnd, so dass jeder ihren Spitznamen hören konnte. Als er das Ende der Kolonne erreicht hatte, in der letzten Kutsche nur noch Koffer befindlich, stutzte er. Sie war nicht mehr hinten. „Buffy?“, wiederholte er, nun lauter und holte an Schritten aus, ging ein Stück zurück in den Wald, aber finden konnte er sie nicht. „Bringt mir eine Laterne!“, rief er ungeduldig über die Schulter zurück, und eilig kam ein Diener herbeigelaufen. Auch sein Vater war ausgestiegen.


„Wo ist sie?“, fragte er besorgt, als er ihn erreichte, aber Spike konnte eben diese Fragen nicht beantworten. Stattdessen griff er nach der Laterne, hielt sie hoch über den Kopf, um so viel Weg wie möglich zu beleuchten, und fluchte unterdrückt. Er hatte keine Ahnung, wann sie sie verloren haben könnten. „Du hättest sie von Anfang an in die Kutsche zwingen sollen!“, informierte ihn sein Vater jetzt sinnloserweise, und Spike sah ihn gereizt an.

 

„Sag so was nicht, Vater“, knurrte Spike, denn genau das hatte er versucht. Aber das dumme Stück hatte sich ja widersetzen müssen! Was hätte er tun sollen? Sie vor ihrem Vater schlagen sollen?! „Du hättest es ja versuchen können, mal sehen wie weit du gekommen wärst“, fuhr er seinen Vater an, verschwendete aber keine Zeit mit einer Argumentation. „Bringt mir ein Pferd“, befahl er schließlich, und eilig wurde eines der Kutschenpferde abgezäumt. Zwar nicht seines, aber jedes Pferd würde ausreichen.

 

„Da!“, rief sein Vater erschrocken, und während Spike aufsitzte, erkannte er Buffys Hengst aus dem Wald auf den Weg galoppieren, und das Pferd wurde erst langsamer, als es in den Laternenschein geriet. Und kurz hoffte Spike, dass seine Augen ihn täuschen würden. Aber der Moment währte nur sehr kurz. „Er ist allein“, stellte sein Vater das Offensichtliche fest, und kurzerhand trat Spike seinem Pferd hart in die Seiten, während zwei Diener Buffys Pferd festhielten und beruhigten.

 

„Buffy!“, schrie er, während er in der einen Hand die Zügel, in der anderen die Laterne, fest umklammert hielt. Er erhielt keine Antwort und bog tiefer in den Wald zurück, wo sie hergekommen waren. Er hatte keine Ahnung, wann sie hätte verloren gegangen sein können. Das letzte Mal als er aus dem Fenster der Kutsche gesehen hatte, war über eine Stunde her gewesen.

 

„Buffy!“, rief er wieder, lauter in den Wald hinein. Er schwieg für einen kurzen Moment, hielt die Luft an und lauschte.

 

Und ganz leise hörte er eine Stimme. Sie rief seinen Namen. Angestrengt blinzelte er in die Dunkelheit, ließ das Pferd langsam weiter traben, rief wieder ihren Namen, wartete auf ihre Antwort und trieb sein Pferd dann in die richtige Richtung.

 

Er hob die Laterne höher, als er eine weite Lichtung erreicht hatte, an der der Waldweg nicht mehr weiterführte. Und sie humpelte aus den Bäumen hervor. Er sitzte hastig ab, ließ das Pferd grasend zurück und stürmte über die Wiese auf sie zu.


„Buffy!“, rief er, stellte die Laterne auf den Boden, als er sie erreicht hatte, und inspizierte sie schleunigst. Sie stand vor Dreck. Ihr Gesicht war schlammverschmiert, über der Augenbraue blutete sie ein wenig. Die Hose war durchweicht von Schmutzwasser, und kleine Äste hatten sich in ihrem Zopf verfangen. „Was ist passiert? Wieso hast du uns verloren? Wie kann es sein, dass du falsch abgebogen bist? Was hast du dir dabei gedacht, verflucht noch mal?“ Sie entzog sich seiner knappen Untersuchung und verschränkte wütend die Arme.


„Ich hätte den Weg schon gefunden“, erwiderte sie trotzig. Sie zitterte etwas. Er nahm an, nass und durchweicht war es bestimmt um einiges kälter für sie. „Ich habe mein Pferd gesucht“, fuhr sie trotzig fort. Ohne es zu kommentieren zog er den Gehrock aus und legte ihn ihr um die Schultern. Überrascht hatte sie den Blick zu seinem Gesicht gehoben. Sie schien nicht weiter verletzt zu sein.

 

„Dein Pferd hat uns bereits gefunden“, gab er eisig zurück, und er merkte, wie er wieder ruhiger wurde. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass ihn tatsächlich echte Sorge erfasst hatte, bis jetzt. Aber sie lebte noch. Er hatte es nicht geschafft, sie schon auf der Rückreise zu verlieren. Gut. „Und jetzt gibt es keine Widerrede. Du kommst auf mein Pferd, wir reiten zurück, und du bleibst in der Kutsche!“ Und er sah, wie sie ansetzte, zu protestieren.

Aber er sah auch die Erleichterung auf ihren Zügen. Er würde es ihr später vorhalten, dass sie sich komplett verirrt hatte, und hier zugrunde gegangen wäre. Alleine im Wald. Und dass sie seinen Namen hier drin gerufen hatte. Aber alles zu seiner Zeit.

 

„Ich… kann auch laufen“, behauptete sie sehr kleinlaut. „Und deinen Mantel brauche ich nicht“, fügte sie trotzig hinzu, und er verdrehte die Augen.

 

„Sei einmal nicht widerspenstig und undankbar und besserwisserisch, nach dem du allem Anschein nach, in einen dreckigen Tümpel gefallen bist und auch noch dein Pferd verloren hast. Jetzt gerade bist du in keiner überheblichen Position, Lady Elizabeth“, knurrte er, und er beschloss, dass es einfacher wäre, ihr den Rückweg auf seinem Pferd schmackhafter zu machen. Wenn auch mit einer kleinen Lüge.

„Und die Wölfe würden sich über deinen Rückweg zu Fuß bestimmt freuen“, fügte er also kühl hinzu, und ihre Augen weiteten sich für einen kurzen Moment. Das Grün wirkte gehetzt und sehr müde. Müde schien sie nicht die Kraft zu haben, sich zu streiten. Das musste er sich merken. Ihm fielen auch ein paar Dinge ein, wie er sie müde machen könnte.

 

„Fein. Wir reiten zurück“, gab sie sich geschlagen und konnte nun gar nicht schnell genug zu seinem Pferd humpeln. Er folgte ihr erleichtert, aber das würde er ihr bestimmt nicht sagen. Seltsamerweise war seine Wut verflogen. Zumindest für diesen kurzen Moment.

 

 

Kapitel 12

The First Day

 

Die Fahrt nach Hause war ihr nicht mehr im Gedächtnis. Es war auch nicht wirklich ihr Zuhause. Sie war jetzt in einem fremden Bett, in einem fremden Zuhause.

Und sie hatte so fest geschlafen, dass sie nicht einmal gemerkt hatte, wie sie anscheinend ausgekleidet worden war.

 

Sie erhob sich langsam aus den weichen Kissen und Decken. Die Sonne kroch schon in weiten Strahlen durch das Zimmer. Der Teppich war dichtes, weißes Fell eines Tieres, was sie nicht kannte. Welches Tier hatte so weißes Fell? Ein Schaf konnte es nicht sein. Dafür waren die Fasern zu fein.

Aus dem Zimmer nebenan kamen dichte Schwaden, wahrscheinlich von kochendem Wasser.

 

Sie musste zumindest irgendein Geräusch gemacht haben, denn die Tür öffnete sich. Ehe sie aus Reflex die Decke weit nach oben ziehen konnte, erkannte sie Tara. Mit ihr hatte sie nie viel zu tun gehabt, aber anscheinend war sie fleißig genug, ihr ein Bad eingelassen zu haben. Sie hielt ein Handtuch von sich gestreckt.


„Miss Elizabeth“, begrüßte sie sie mit einem Knicks. Buffy wollte ihr schon vorschlagen, sie Buffy zu nennen, aber sie kannte sie wirklich nicht gut genug dafür. „Euer Bad ist eingelassen.“


Sie fragte sich unwillkürlich, ob Tara für Dawn immer ein Bad einlassen musste. Das heiße Wasser zu kochen und in Kübeln nach oben zu tragen dauerte immer weit über zwei Stunden. Tara musste schon lange wach sein, ging ihr auf.

 

„Danke, Tara. Aber du musst das nicht jeden Tag tun, damit du Bescheid weißt. So viel Aufwand ist nicht nötig“, erklärte sie präventiv. Tara wirkte kurz verwirrt.

 

„Nicht… jeden Tag?“, erkundigte sie sich, aber sie verbeugte sich eilig.

 

„Und bitte nicht mehr verbeugen“, fügte Buffy hastig hinzu.

 

„W…wie habt Ihr geschlafen?“, ignorierte Tara jetzt die Worte und überspielte ihre schiere Entgeisterung, indem sie Buffy hal,f die Decken zurückzuschlagen.

 

„Traumlos und tief“, erwiderte Buffy also wahrheitsgemäß. Aber sie musste eine Frage dennoch stellen. „Er… hat nicht hier…?“ Es war keine wirklich vollständige Frage, aber Tara hatte verstanden.


„N…nein!“, erwiderte sie hastig und senkte den beschämten Blick. „Er war keine Sekunde lang hier, außer, als er Euch nach oben getragen hat.“ Daran konnte sie sich Gott sei Dank auch nicht mehr erinnern. Aber sie erinnerte sich sehr wohl an seine Drohung, dass sie hier besser eine Woche lang nackt zu sein hatte. Sie hoffte inständig, er hatte nur einen vulgären Scherz gemacht. Oh ja, das hoffte sie. Aber jetzt wäre es erst mal eine Schande, das gute Badewasser verkommen zu lassen. Lavendel und Rosendüfte stiegen ihr nämlich in die Nase.


„Ich werde jetzt baden. Und… dafür brauche ich deine Hilfe nicht. Danke, Tara“, erklärte sie so höflich, wie es ging.

 

„Sehr wohl, Mylady.“ Tara verneigte sich tief. Buffy beschloss, dass sie ihr das nächste Mal strenger verbieten würde, sich zu verneigen.

 

Die Zofe verließ das riesige Zimmer. Immerhin hatte er sie nicht missbraucht, während sie geschlafen hatte. Das hätte sie ihm nämlich zugetraut. Durchaus.

Fast wünschte sie schon, er hätte es getan, denn dann müsste sie sich jetzt an keine Sekunde erinnern. An das Grauen, was ihr jetzt noch bevorstand.

 

Sie stieg eilig aus dem Bett, streifte das dicke Nachthemd ab, das sie vor der Kälte geschützt hatte und schlich auf Zehenspitzen in das angrenzende Zimmer.

Es war das größte Badezimmer, das sie jemals gesehen hatte, mit seltsamen Kleinigkeiten, die sie nicht kannte. Anscheinend gab es hier Konstruktionen, die es dem Wasser erlaubten aus der Wand zu kommen.

 

Sie glaubte nicht, dass das funktionierte. Sie würde bei Gelegenheit jemanden fragen.

 

Schließlich… war sie jetzt Herrscherin hier. Fast wurde ihr schwarz vor den Augen. Sie schüttelte den Gedanken ab, streckte einen Zeh in das heiße Wasser und sank schließlich dankbar bis zum Hals hinein.

Das hatte sie gebraucht. Ihre beanspruchten Muskeln genossen die Hitze.

Ihre Wunden und Schnitte waren behandelt worden. An ihren Schultern erkannte sie den Geruch von einigen blutstillenden Pflanzen, von Weißmoos und Jod.

 

Die Zahl der blauen Flecken hielt sich ebenfalls in Grenzen, und sie war froh, sich nichts gebrochen zu haben.

Sie erinnerte sich allerdings noch, dass er sie gestern gerettet hatte, und dass sie ohne ihn wohl die Nacht in diesem Wald hätte verbringen müssen.

 

Sie war verheiratet.

 

Sie ließ diese Information langsam sacken.

Was bedeutete es bloß? Sie, die niemals hatte heiraten wollen, nachdem sie gesehen hatte, wie unerfreulich und unterdrückend es für eine Frau war, war sie jetzt genau an diesem Punkt angelangt.

Nur war es nicht halb so unterdrückend, wie sie angenommen hatte.

Sie hatte jetzt zwar eine andere Zofe, aber ihr Gemach war größer als Zuhause und das Badezimmer war… bisher ein Traum!

 

Etwas so weibliches, wie ein aufwendiges Bad hatte sie sich selten gegönnt. Sie fand es unnütz und es kostete die Dienerschaft so viel Zeit.

Aber jetzt… wo sie hier für immer gefangen sein sollte, überlegte sie es sich vielleicht noch einmal. Nur würde sie Tara damit nicht quälen.

Vielleicht gab es einen unfreundlichen Knecht, der so viel Arbeit eben gerade verdiente!

 

Ihr Blick glitt aus den Fenstern, die in einen Erker vor ihr tief ins Mauerwerk eingelassen waren. Sie begannen zu beschlagen, aber sie konnte weit über die Felder bis hin zu den Bergketten blicken, und sah weiter unten, noch auf den Wiesen des Geländes, einige Männer, in grün gekleidet, Waffen vergleichen.

 

Vielleicht erkannte sie Rupert und einen dunkelhaarigen in schwachen Umrissen. Aber die Haare des Lords erkannte sie aus hundert Kilometern, nahm sie an. Golden stachen sie in der Sonne hervor.

Allerdings beschlugen die Fenster immer schneller, was sie annehmen ließ, dass es draußen wesentlich kälter als hier drinnen sein musste.

Sie sank tiefer in das heiße Becken, schüttelte die Gedanken an ihren Ehemann ab, und war zum ersten Mal froh, nicht nach draußen in den Wald jagen zu müssen.

 

Wie lange dauerte ihre Schonfrist wohl?

Es schauderte sie, dass er sie wohl bald nackt sehen würde. Sie konnte es selber kaum ertragen, sich nackt zu sehen. Sie wusste nicht, wie sie es meistern sollte.

Und Tara konnte sie nicht einmal fragen.

Was Anya ihr gesagt hatte, kam ihr viel zu waghalsig und verrucht vor.

Und es widerte sie schon beim bloßen Gedanken an, mit einem wildfremden, ungehobelten, arroganten Widerling ein Bett teilen zu müssen, der sie in eine Heirat gezwungen hatte, bloß wegen einer Menge an Geld, die er wahrscheinlich mit beiden Händen für Frauen und Alkohol aus dem Fenster geworfen hätte, ehe sie für ihn ihr Nachtgewand abgelegt hätte.

 

Sie schloss fest die Augen. Sehr, sehr fest. Sie träumte davon, dass gleich Anya klopfen würde, um ihr mitzuteilen, dass ihr Vater sie erwarten würde, und dass gleich noch ein Graf angereist käme, der bestimmt nur Augen für Dawn haben würde. Und ihr wäre noch eine großzügige Frist gewährt worden.

Sie träumte von Zuhause, und davon, den Namen William Giles, Lord of Levisham, niemals vernommen zu haben.

 

~*~

 

Er war froh, dass Angel angekommen war.

Denn jetzt hatte er sein ersehntes Zuchtpferd bekommen.

 

„Wann willst du weiter?“, fragte er schließlich, nachdem sie die Läufe der Gewehre gereinigt hatten. Die Jagd war wenig erfolgreich gewesen.

Zu wenig Tiere. Fast hätte er annehmen können, sie schliefen alle noch. Oder sie hatten die Flinten gerochen.

 

„Bald“, entgegnete sein Freund. Spike war klar, er konnte es wohl kaum erwarten Lady Dawn den Antrag zu machen. „Wie ist das Leben als verheirateter Mann eigentlich?“, neckte Angel ihn, als sein Vater aus ihrer Hörweite verschwunden war.

 

„Keine Ahnung, mein Freund“, gab Spike gelangweilt zurück, während er den Lauf polierte. „Hatte noch keine Zeit es herauszufinden, aber ich versichere dir, es ist etwas, das ich ohne Abfindung niemals getan hätte.“

 

„Ach nein?“ Spike hörte den Sarkasmus in der Stimme seines Freundes.


„Was soll das heißen?“, fragte er also direkt.

 

„Dem Gerede nach zu urteilen, was in eurem Haus die Runde macht, hast du sie quasi gezwungen. Vom Fleck weg.“ Das stimmte wohl eher weniger.

 

„Das ist nur Gerede“, sagte er also.

 

„Ja, richtig. Ich sehe schon. Das stimmt also nicht. Du bist also immer noch Junggeselle?“ Spike verdrehte die Augen.


„Ich habe sie nicht vom Fleck weg genommen.“

 

„Wie kam es überhaupt dazu? Hast du mit ihr…?“ Spike schüttelte bloß den Kopf. Aber Angels Mund öffnete sich nun überrascht. „Was du mir hier sagst ist also, dass du sie nicht angerührt hast? Sie vorher nicht… gekostet hast, wie du es nennst?“, fügte er leiser hinzu, und gereizt schüttelte Spike erneut den Kopf.


„Du sagst mir, sie wäre nicht dein Geschmack, niemals deine Wahl – aber… jetzt ist sie hier? Als deine Frau? Für immer und ewig?“ Er ließ das Gewehr sinken.


„Was willst du damit sagen?“, schnappte er zornig.

 

„Nichts. Gar nichts. Ich glaube nur deine Geschichte nicht, Spike“, erklärte Angel mit einem feinen Lächeln.

 

„Meine… Geschichte? Es gibt keine Geschichte“, behauptete er also.

 

„Nein? Ich kenne Lady Elizabeth. Und sie erschien mir reichlich viel Ähnlichkeit mit dir zu haben, was die Frage der Heirat betraf. Und es ist ein wenig lächerlich zu behaupten, die Heirat sei dir zuwider, denn bisher hatte ich den Eindruck, dass, was immer dir zuwider war – du auch nicht getan hast“, erläuterte Angel also, und langsam wurde es Spike zu viel.

 

„Es ging um zwölf Millionen Pfund, Angel. Das ist eine Menge Geld. Und jeder hat seinen Preis. Und das war meiner.“

 

„Du kamst also auf das Schloss, da war sie zufällig. Ihr Vater hat dir zwölf Millionen geboten – und das war alles?“ Und in Spikes Kopf reichte dies völlig als Zusammenfassung aus.

 

„So in etwa, ja.“ Er hasste Angels Grinsen. Er hasste es. Er fühlte sich unwohl unter seinem Blick. Er mochte es nicht, sich wie ein Lügner zu fühlen, denn er war keiner. Egal, was Angel sagte.

 

„Kein Kuss? Kein Werben? Gar nichts? Du hast… einfach eingewilligt?“

 

„Ich denke, ich bin fertig, darüber mit dir zu reden.“

 

„Und sie ist seit gestern auf deinem Anwesen und du hast sie immer noch nicht angerührt?“ Angel schüttelte mit unverhohlener Anerkennung den Kopf. „Aber sicher… du fühlst gar nichts. Du wolltest nur das Geld. Geld, was du vor allem… unbedingt gebraucht hast, richtig? Du bist… schließlich so schrecklich arm!“

 

„Wenn du gleich meine Faust in deinem Kiefer sitzen hast, dann fühl dich wenigstens vorher gewarnt“, drohte er mit einem Knurren. Aber Angel lachte bloß.

 

„Ich plaudere bloß, William“, erklärte Angel grinsend. Sein Vater kam zurück.

 

„Worüber plaudert ihr?“, griff er dessen Worte auf.

 

„Oh, nur über Williams neue Frau. Und die interessante Entstehung dieser Verbindung.“ Sein Vater wirkte wieder merklich ernst und verschlossen.

 

„Nun, hätte mein Sohn sich beherrschen können und sich nicht auf sie gestürzt, dann hätte er sein ruhiges Leben weiterhin genießen können“, erklärte sein Vater unverblümt, und Spike schloss resignierend die Augen und ignorierte Angels Blick direkt.

 

„Ach? Auf sie gestürzt?“, wiederholte er verhalten. „So hat es William mir nicht erzählt“, ergänzte er leiser, aber Spike ignorierte ihn weiterhin. Sein Blick glitt am Anwesen empor. „Und die Hochzeit? War er da romantisch, Lord Giles?“, wollte Angel grinsend von seinem Vater wissen, welcher nur verächtlich die Luft durch die Nase stieß. Spike blendete die Stimmen der beiden Männer aus. Sie wollten sich ohnehin nur lustig machen. Angel würde es aber nicht bewerkstelligen, dass er irgendwelche Zugeständnisse machte. Oh nein!

 

Die Fenster ganz oben beschlugen. Sie war wohl im Bad, nahm er an.

 

Und nein, er hatte sie tatsächlich noch nicht gehabt. Er hatte sie noch nicht einmal gesehen, an ihrem ersten Tag auf seinem Schloss.

Er ignorierte die Tatsache an Angels Worten, die selbst ihn stutzig machte.

Fast machte es nämlich wirklich den Anschein, als… - nein.

Sicher besaß er genügend Geld, aber… wer hatte schon genug davon? Man brauchte immer mehr. Es gab keine weiteren Hintergründe. Sie war nicht einmal hübsch. Angel bekam schließlich die Tochter, die das gute Aussehen geerbt hatte.

 

Er hatte die hässliche Gans bekommen.

Sein Gehirn erinnerte ihn an einen ganz bestimmten Abend, an dem er anders von ihr gedacht hatte, aber er verdrängte dies auch. Eigentlich war er hier der Gönner. Er war derjenige, der gelobt werden sollte. Nicht angezweifelt von seinem besten Freund.

Er hatte ihr einen Gefallen getan. Er hatte sich die Last aufgebürgt mit einer Furie verheiratet zu sein. Einer widerspenstigen, hässlichen Furie.

 

Später würde er sein Recht als Ehemann geltend machen.

Ja, und sie sollte froh sein, dass er dazu überhaupt Lust verspürte.

So war das nämlich! Sie sollte dankbar sein und sich glücklich schätzen. Und nicht freiwillig im Wald verloren gehen, nur um ihm zu entkommen.

Und schon war er wieder wütend auf sie.

Wenn er sie erst mal eine Woche nackt gedemütigt hätte, würden ihr ihre vorlauten Worte schon vergehen.

 

Oh ja.

 

Er konnte es kaum erwarten.

 

 

Kapitel 13

The First Night

 

Sie hatte versucht, sich die Wege durch das Gemäuer zu merken. Farington war anders aufgeteilt. Bei Beaufort handelte es sich um eine alte Burg, und die bequemen Vorteile eines Schlosses boten sich hier nicht. Allerdings war die Aufteilung der Räume wesentlich geradliniger als sie es von Farington gewöhnt war. Die Küche lag ganz unten, aber dort hatte sie wenig zu tun. Sie musste sich lediglich darum kümmern, was gekocht wurde, wenn sie es richtig verstanden hatte. Und auch das musste sie lediglich absegnen.

 

Ansonsten war sie Herrin der Bediensteten. Wie sie verstanden hatte, würde Rupert die nächsten Wochen verreisen. Als Probe, wie er es genannt hatte. Es hatte sie bis tief ins Mark erschüttert, denn sie wollte erst recht nicht, dass die einzig normale Person verschwand.

 

Sie würde mit ihrem Ehemann im Westflügel des Schlosses wohnen. Über der Küche lagen die Unterkünfte des Gesindes. Nach draußen war sie noch gar nicht gekommen. Sie trug eines ihrer alten Kleider. Es war schlicht, ohne Tüll, ohne weitem Rock. Es erinnerte sie an Zuhause. Und das Gefühl war schmerzlich, obwohl sie hier niemand respektlos behandelte.

 

Liam le Comte war ebenfalls auf Beaufort anwesend. Sie hatte kurz mit ihm gesprochen, aber er hatte ein seltsames Lächeln im Gesicht getragen, während er sie gefragt hatte, ob sie sich schon eingelebt hätte.

Sie hatte die Frage höflich verneint, und er hatte gesagt, er wolle heute Abend noch weiter nach Farington. Und fast erwischte sie sich dabei, wie sie ihn bitten wollte, sie mitzunehmen.

 

Sie hatte die Wäscherei besichtigt, die verschiedenen Ballsäle, die Essenssäle – so gut wie alle Säle. Die Bibliothek war atemberaubend gewesen, und sie wusste genau, dass sie dort die meiste Zeit zubringen würden. Zumindest bis… bis sie ein Kind bekam. Der Gedanke schickte eine ungeahnte Kälte in ihre Glieder.

Der Blick über die Ländereien war weit und das Dorf lag eine Stunde von hier. Sie würde versuchen, so oft wie möglich dorthin zu gelangen. Wahrscheinlich war es im Winter eine Mutprobe, aber sie war nicht ängstlich. Nein, Angst hatte sie nicht.

 

Sie vertrat sich mit Tara in einem der Kaminzimmer die Beine. Hier war es wärmer als oben. Die Kamine in den Gemächern wurden erst abends entfacht. Sie beobachtete die junge Frau, die gar nichts mit Anya gemein hatte. Buffy hatte nicht gewusst, wie sehr sie ihre Zofe und Freundin wirklich vermissen konnte. Nie waren sie lange voneinander getrennt gewesen, und es war bezeichnend, dass Buffy schmerzlichere Gefühle in Bezug auf Anya hegte, als auf ihre eigene Schwester. Dawn war das einzige, auf das sie getrost verzichten konnte. So herzlos das klang.

 

Sie hörten die schweren Schritte auf dem Steinboden vor dem Zimmer. Die Männer waren wieder da. Sie wusste nicht, ob die Jagd erfolgreich verlaufen war. Sie konnte es nur annehmen, denn die Dämmerung hatte längst ihren stummen Einzug gefunden. Aus der Ferne vernahm sie dumpfes Hundegebell.

 

Es war kalt geworden. Das Feuerholz verheizte schneller als noch vor einem Monat. Vielleicht waren Burgen generell kälter. Sie wusste es noch nicht zu sagen. Sie wusste nur, dass Beaufort dreimal so groß wie ihr Zuhause war, und dass sie sich dennoch noch niemals in ihrem Leben so eingesperrt gefühlt hatte.

 

Die Männer betraten in warmen Roben das Zimmer, als wäre der Winter bereits im Einbruch. Die schweren Schuhe hinterließen Schmutz und Wasser auf dem Boden, aber es schien sie nicht zu stören. Ein junger Bediensteter beeilte sich, eine Karaffe mit goldener Flüssigkeit ins Zimmer zu tragen. Diese goss er in drei schwere Kristallgläser. Scotch, nahm sie an.

 

„Meine liebe Elizabeth“, begrüßte Rupert sie freundlich und war ganz rot um die Nase vor Kälte, „ich habe gehört, du hast die Tour durch die Burg bekommen?“ Er nahm dankend das Glas in die Hand und trank, bevor Buffy antworten konnte. Sie nickte scheu.

 

„Ja, es ist umwerfend“, erwiderte sie ruhig und fixierte ihre Aufmerksamkeit gänzlich auf Rupert. Nicht auf William. Sie hatte heute noch nicht mit ihm gesprochen. Nach ihrem Bad hatte sie den ganzen Tag damit verbracht, sich einzuprägen, wo alle wichtigen Zimmer lagen. Sie würde wissen müssen, wohin sie vor ihm fliehen konnte. Wo sie in Sicherheit war.

 

„Nur einen Whiskey, dann mache ich mich auf den Weg“, warf Liam ein, ohne seine Robe abzulegen. Buffys Blick folgte Taras. Beide Frauen blickten in die Dunkelheit.

 

„Es ist spät“, wagte Buffy zu sagen. „Ein so weiter Weg sollte nicht in der Nacht begonnen werden, Monsieur Le Comte“, schloss sie, mit einem fragenden Blick auf Rupert.

 

„Bleibt, bis zum Morgen, Liam“, ermutigte Rupert den wehmütig blickenden Mann, der es kaum erwarten konnte, nach Farington aufzubrechen. Wie es wohl war, einen Mann zu haben, der sich tatsächlich um einen scherte? Der mitten in der Nacht die Pferde satteln ließ, um drei Tage lang einer Frau entgegenzureiten? War es zu spät für eine Warnung? Was sollte sie sagen? Dass ihre Schwester kein guter Mensch war? Ob William seinem Freund überhaupt gesagt hatte, dass Dawn mittlerweile sogar willens war, ihn zu heiraten? Ihren Mann? Aber sie schwieg.

 

„Und Elizabeth“, bemerkte Rupert mit ernstem Blick, „das ist jetzt dein Heim, wie es meines ist.“ Sein Blick wanderte durch das Zimmer. „Und bald ist es nur noch euers. Dann habt ihr freie Hand.“ Er machte eine kurze Pause. „Sobald die Erben kommen, ist es angenehmer für mich, in Ruhe zu leben.“ Es klang furchtbar, wie er es sagte. Und sie konnte ihn nur anstarren. Er wollte gehen?

 

„Rupert“, entfuhr es ihr, vielleicht ein wenig zu atemlos.

 

„Ich gehe nicht weit fort, Elizabeth“, beschwichtige er sie sanft. „Ein Tagesritt Richtung Norden. Dort befindet sich die Sommerresidenz. Ardeens Park. Mein Sohn hat sich an die Verantwortung zu gewöhnen. Die Pächter, die Ländereien – es funktioniert nicht alles von selbst. Und deshalb bin ich im Wege“, schloss er mit einem Blick auf seinen missratenen Sohn. Ihrem Ehemann. Aber William ignorierte seinen Vater, und Buffy hob nicht einmal den Blick zu seinem Gesicht. Schon wandte sich Rupert an Liam. „Liam, wir können morgen früh in den Stunden des Tages aufbrechen“, wandte er sich zurück an den ruhelosen Gast.

 

„Gut. Eine Nacht. Bei Sonnenaufgang werde ich abreisen. Ich lege mich hin“, bestätigte Liam, verabschiedete sich von ihr mit einem höflichen Nicken, und sie fiel in einen Knicks. „Gute Nacht, Elizabeth.“

 

„Gute Nacht, Monsieur Le Comte.“ Sein letzter Blick galt William.

 

„Ich hoffe, der Hengst gewöhnt sich noch an dich.“ Damit ließ er sie zurück. Buffy runzelte die Stirn, denn sie glaubte nicht, dass sie verstand.

 

Sie waren zu viert, obwohl Tara sich sichtliche Mühe gab, unbemerkt zu bleiben. Sie kontrollierte das Feuer, schüttelte Kissen auf und war als ihre Vertraute gänzlich unsichtbar. Ganz das Gegenteil von Anya.

 

Mylord“, unterbrach ein weiterer Diener Buffys Gedanken. Er war ins Zimmer getreten, verneigte sich tief vor William, und erst jetzt bemerkte Buffy, wie steif er stand, wie blass er war. Ihr Mund öffnete sich minimal.

 

Lorne“, begrüßte Rupert ihn anstatt William. „Kümmern Sie sich, wie das letzte Mal“, schien Rupert zu befehlen.

 

„Sehr wohl, Mylord.“ Auch vor Rupert verneigte er sich tief. William leerte mit ausdruckslosem Blick sein Glas. Mit steifem Gang und seltsam gekrümmter Schulter verließ er das Zimmer. Er hatte sie nicht begrüßt, hatte sich nicht verabschiedet, und es störte sie nicht. Bei Gott nicht! Aber Buffy hätte sich nicht so ungehorsam gegenüber ihrem Vater verhalten, wie William es gegenüber seinem tat. Lorne folgte ihm. Buffy wandte sich an Rupert. Und sie konnte nicht anders, als zu fragen.

 

„Ist etwas geschehen?“ Nicht, dass es sie nicht erfreute, wenn William vielleicht vom Pferd gestürzt war und sich am besten seine Überheblichkeit gebrochen hatte. Und es gefiel ihr, dass er sie ignorierte, sie nicht beachtete, sie nicht strafte mit seiner widerlich dreisten Art. Es war ihr alles Recht, was sie vergessen ließ, dass dieser Wüstling das Recht vor Gott besaß, sie anzurühren.

 

Rupert blickte ins Feuer des Kamins, während er den letzten Schluck seines Scotches genoss. Buffy hatte es noch nie getrunken. Sie hatte noch nie etwas anderes als ein Glas Champagner getrunken, fiel ihr auf. Und sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte.

 

„Sein neuer Hengst hat ihn abgeworfen“, erläuterte Rupert knapp. Buffy hatte also Recht gehabt in ihrer Vermutung. Sie öffnete den Mund. „Ab und an springt seine Schulter aus dem Gelenk“, schloss Rupert nachdenklich. „Lorne weiß üblicherweise, was zu tun ist.“

 

„Oh“, entfuhr es ihr. Es musste schmerzhaft für ihn sein. So schmerzhaft, dass er sie vielleicht heute verschonen würde, von dem Handel, den er mit ihr so selbstsüchtig geschlossen hatte?

 

„Er wird es überleben“, schien Rupert sie zu beruhigen, aber Buffy störte es weitaus weniger, als sie zugeben mochte, dass William vielleicht in Schmerzen darnieder lag. Nein, seltsamerweise hatte dieser Gedanke etwas Tröstliches an sich.

 

„Vielleicht solltet ihr ebenfalls schlafen gehen. Das Feuer wird bald runtergebrannt sein“, fuhr Rupert fort. Buffy nickte gehorsam und Tara wartete auf sie an der Tür. Sie begleitete sie ständig, fiel Buffy auf. Als bräuchte sie einen Aufpasser, jemanden, der ihre nicht vorhandene Schleppe trug. So anders als Anya….

 

„Gute Nacht, Rupert“, verabschiedete sie sich. Nun gab es nichts weiter zu tun, als in ihre Gemächer zu gehen und zu hoffen, dass er sie nicht anrühren würde. Ihr Bauch schmerzte regelrecht bei dieser Aussicht.

 

Sie erklommen die Stufen. Tara schien sich den Weg ebenfalls eingeprägt zu haben. Schweigend schritten sie nebeneinander, bis sie die großen Türen erreicht hatten. Tara schlief im Bedienstetenzimmer auf der anderen Seite.

 

Mylady“, begann sie scheu, „w…wenn Ihr irgendetwas braucht, scheut nicht, m…mich zu wecken“, flüsterte sie, und Buffy nickte. Anya hätte sich bei ihr bedankt, hätte Buffy sie bei jedem Wehwehchen geweckt. Sie hatte nicht vor, heute damit anzufangen.

 

„Danke, Tara. Gute Nacht.“ Tara verbeugte sich, wie Anya es niemals getan hätte. Kurz stutzte Buffy über die Tatsache, dass Dawn ohne weiteres auf ihre persönliche Zofe seit Kindertagen verzichtete. So war ihre Schwester, nahm sie an. Und Buffy atmete schwer aus, ehe sie die schwere Klinke hinabdrückte. Sie öffnete die Tür gerade als Lorne wohl Williams Schulter gerichtet hatte, denn William fluchte so unverblümt, dass Buffy die plötzliche Röte in den Wangen nicht verdrängen konnte. Widerling.

 

William saß verkehrt herum auf dem Ankleidestuhl, den Oberkörper frei. Die Flammen warfen züngelnde Schatten auf seine Haut, und Buffy schämte sich übergangslos, ihn so zu sehen.

 

„Versucht, den Arm heute nicht mehr zu belasten, Mylord“, riet der hochgewachsene Diener mit der gebräunten Haut behutsam.

 

„Es soll deine Sorge nicht sein“, knurrte William gereizt, und bedankte sich nicht bei dem Mann, der ihn von seinen Schmerzen befreit hatte. Es hätte Buffy auch gewundert. Der Diener verneigte sich vor ihm, anschließend vor ihr, und viel zu schnell waren sie dann allein. Noch saß er unbewegt auf dem Stuhl, das Kinn auf der Brust. Sie sah, dass er schwer atmete. Wahrscheinlich hätte sie bei jedem anderen Mitleid verspürt. Aber bei ihm…, da war es Genugtuung.

 

„Ich… kann die Nacht bei Tara verbringen“, sagte sie fast brüsk. „Wenn Ihr Schmerzen habt und-“, doch er hob den Kopf. Langsam stieg er vom Stuhl, bewegte vorsichtig den Arm zurück, und sie hörte ihn vor Schmerz gepresster atmen, aber dann wandte er sich um. Matt schimmerten die blonden Haare auf seiner Brust, und sie wusste nicht, ob sie jemals einen Mann mit nackter Brust gesehen hatte. Nein, natürlich nicht. Es schickte sich nicht. Es gehörte nicht zu ihrer Erziehung, halbnackte Männer zu begutachten.

 

Sie hatte gemerkt, dass sie sich in die höfliche Form geflüchtet hatte. Sie versuchte selbst in ihren Worten, die nötige Distanz zu ihm zu finden. Gute Güte, all ihr Temperament und ihre natürliche Uneinsichtigkeit stießen an die unweigerlichen Grenzen, die die Ehe mit sich brachte.

 

Er sah sie an, ein eigenartiger Glanz in den grauen Augen. Und sein Blick hatte etwas Endgültiges, und Starre befiel sie. Er musste es nicht sagen. Er musste gar nichts tun. Sie wusste, sie mussten die Ehe vollziehen. Vor Gott und dem Gesetz.

Und sie wusste nicht, was ungerechter war. Dass er es schon so häufig getan hatte, oder dass sie gezwungen war, eine intime Bindung mit einem Mann einzugehen, für den sie nichts empfand. Nichts als Abscheu.

 

Anyas Ratschläge fielen ihr voller Angst ein. Sie hatte ihr zum Alkohol geraten, aber Buffy trank nicht. Sie wusste auch nicht, wie sie vor Gottes Augen jemals die anderen beiden Dinge tun sollte! Sie glaubte nicht, dass sie jemals über sich bringen könnte, die Dinge zu tun, von denen Anya geschworen hatte, dass sie ihr eine gute Zeit bescheren würden, in den endlosen Minuten, in denen William wohl über ihr liegen würde, sie in Besitznehmen würde – weil er ein Mann war und es durfte. Es war so ungerecht.

 

Fast rangen sich hilflose Tränen an die Oberfläche, aber was half es noch? Sie schluckte, ballte die Hände unbewusst zu Fäusten, und er kam schließlich näher. Müdigkeit stand in seinem Blick. Erschöpfung und Schmerz.

Sie erkannte bläuliche Verfärbungen um seine Schulter. Wohl dort, wo die Knochen das Gelenk verlassen hatten, sich in seine Haut gebohrt hatten, wohl um seinem Körper zu entkommen. War es nicht seltsam, dass sogar seine Knochen ihm entkommen wollten, dachte sie dumpf? Sie verstand es nur zu gut.

 

Alles wollte ihm entkommen. Nicht nur sie.

 

„Zieh mich aus“, befahl er rau, blanke Kompromisslosigkeit in seinen Worten. Der Geruch des starken Alkohols traf ihr Gesicht, und es bereitete ihr Übelkeit. Sie sah ihm direkt in die Augen. Sie hatte keine Angst vor ihm. So redete sie sich ein. Ihr Mund öffnete sich leicht. „Zuerst die Schuhe“, ergänzte er knapp. Er demütigte sie. Und das mit Absicht. Sie könnte sich verwehren, aber er würde sie zwingen, so oder so. Mit einem kalten Blick auf ihn, ging sie auf die Knie. Mit spitzen Fingern löste sie die Bänder seiner Jagdstiefel, die vor Nässe und Dreck standen. Widerwille überkam sie, als sie die Bänder gelöst hatte. Sie erhob sich.

 

„Du kannst sie selber ausziehen“, informierte sie ihn, die Stimme mutiger als ihre Körpersprache es anmuten ließ. Er war schließlich gut genug bezahlt worden, dafür, dass sie nicht höflich sein musste. Seine vernarbte Augenbraue wanderte entsprechend in die Höhe. Seine Oberlippe kräuselte sich verachtungsvoll.

 

„Ich muss sie nicht ausziehen“, erklärte er dann. „Was ich will, bekomme ich auch, wenn ich meine Schuhe trage“, schloss er. „Öffne meine Hose“, ergänzte er kalt, ohne sie aus dem Blick zu lassen. Wenn es ein Kräftemessen war, dann gewann sie vielleicht in der Ausdauer, aber er belegte die mächtigere Position. Beinahe blind fiel ihr Blick auf seinen Hosenbund. Die teuren Stoffe, die er trug, waren schmutzig. Er war schmutzig. Sie schluckte, denn ihr Mund war trocken.

 

Ihr Herz hämmerte laut in ihrer Brust, und langsam hoben sich ihre kalten Hände. Ein Kreuzknoten hielt seine Hose um seine Hüften, und je näher sie dem Knoten kam, umso mehr zitterten ihre Hände. Kurz schlossen sich ihre Augen.

Es war schwer, Anyas Worten aus der Ferne zu vertrauen. Sie wusste nicht mehr alles, was ihre gute Zofe ihr über die erste Nacht erzählt hatte. Aber wenn es stimmte, dann war es für den Mann die reine Freude. Egal, wo man ihn berührte.

 

Sie öffnete die Augen, und wusste, ihre Wangen mussten glänzen vor Röte. Sie schloss den Abstand und löste den Knoten. Sie spürte seinen Blick auf sich. Und es war eine Mischung aus dem gewohnten Trotz und der schieren Verzweiflung. Es führte kein Weg daran vorbei. Es gab keine Lösung. Sie war sein. Und sie hatte zu gehorchen. Aber sie wollte nicht, dass er dachte, sie gehorche ihm aus Zwang. Er würde nicht gewinnen. Locker hing die Hose um seine Hüften. Sie erkannte seine starken Hüftknochen. Er trug lange Unterwäsche, aber auf der Höhe, wo der Knoten gewesen war, erkannte sie oberhalb des Saums seiner Unterwäsche dichte helle Locken, die tiefer zu wandern schienen.

 

Mittlerweile atmete sie mit halb geöffnetem Mund. Und dann hob sich ihr Blick. Sie wartete auf den nächsten Befehl. Und prompt erhielt sie ihn.

 

„Jetzt zieh dich aus“, verlangte er, aber sie erkannte seine Stimme nicht mehr. Etwas mischte sich mit seiner Müdigkeit, seinem Schmerz. Aber sie wusste nicht, was. „Los“, ergänzte er, als sie nicht reagierte. Sie bückte sich nach dem Saum des Kleides. Sie trug keine lange Unterwäsche, und sie spürte die frische Kälte, als sie den Saum langsam höher hob. Sie konnte diese Kleid ohne Hilfe an und wieder ausziehen, weshalb sie es mochte. Ihr Zopf fiel zurück auf ihre Schulter. Sie trug ein langärmeliges Unterhemd. Weit genug, dass es über ihre Schenkel fiel. Ihre Unterhose raffte sich überm Knie. Und sie nahm an, er wollte, dass sie alles auszog. Und sie tat es, ohne auf seinen Befehl zu warten. Denn sie wollte diese Sache nicht auf seinen Befehl hin tun. Hastig zerrte sie sich das Unterhemd über den Kopf, bevor sie aus den schlichten Schuhen stieg und mit mehr Gottvertrauen, als sie sich zugetraut hatte, auch ihre Unterhose ihre Knie hinab zog.

 

Sie wusste nicht viel vom Akt der Verführung, aber Anya hatte gesagt, der Mann ziehe die Frau gerne aus. Das war nicht passiert. Ihr Atem ging angsterfüllt in ihren Lungen, aber herausfordernd blickte sie ihm entgegen. Sie stand nackt vor ihm. Sein Blick verließ ihre Augen nicht. Dann trat er sich die schmutzigen Schuhe von den Füßen, stieg aus der Hose und bewegte sich, nur noch in Unterhose Richtung Bett.

 

Sie schluckte wieder, als er sich hinlegte. Er verzog schmerzhaft das Gesicht. „Bring mir Wasser“, befahl er schließlich, als er lag. Sie blinzelte überrascht. „Nackt“, ergänzte er, falls sie wohl vorhatte, sich wieder das Kleid anzuziehen. Und mit ruhigen Schritten durchquerte sie den Raum zum Tisch mit der Karaffe. In einen metallenen Becher schüttete sie kaltes Wasser. Dann ging sie zurück, den Blick auf ihn gerichtet, bereit für jede seiner Bewegungen.

 

Er nahm den Becher entgegen und trank seinen Inhalt vollständig in nur wenigen Zügen.

 

„Leg dich hin“, sagte er dann, während er sich in den Kissen zurücklehnte. Es lagen viele davon im Bett, und umständlich legte sie sich auf die harte Matratze. Das schwere Federbett lag zurückgeschlagen am Ende des Bettes. Seine Augen schlossen sich. Aufgekratzt sah sie ihn an.

 

„Was… was soll das?“, entkam es ihr heiser, aber er öffnete die Augen nicht.

 

„Ich will, dass du dich gewöhnst“, erklärte er rau. Ihr Mund öffnete sich entgeistert.

 

„An was?“, flüsterte sie.

 

„Daran, in meiner Gegenwart nackt zu sein. Denn das ist es, was du die nächsten sieben Tage sein wirst, Buffy“, benutzte er ihren Namen abfällig. Träge öffneten sich seine Augen noch einmal, um ihren Körper so schamlos zu begutachten, dass sie die Hitze in ihrem ganzen Gesicht spüren konnte. Das war nicht sein Ernst!

 

„Das – ich kann nicht-!“, begann sie zu protestieren – dass sie überhaupt sprechen konnte, unter diesen unseligen Umständen! Aber er unterbrach sie.

 

„-Liam und mein Vater reisen morgen ab. Es gibt für dich keinen Grund, auch nur einen Fetzen Kleidung am Leib zu tragen. Du wirst dieses Zimmer nicht verlassen.“ Ihr Mund öffnete sich bei dieser Inaussichtstellung empört. Sie vergaß beinahe, dass sie nackt neben ihm lag. Aber nur beinahe.

 

„Ich werde essen müssen! Ich muss-“

 

„-die Diener haben Arme und Beine, Buffy“, informierte er sie nachsichtig und gereizter. Und dann lächelte er. „Die Toilettennische ist nebenan, und wenn es dir nicht fein genug ist, gibt es ein Wasserklosett im Erdgeschoss.“ Er schien Spaß dabei zu empfinden, ihr diese schrecklichen Dinge zu erklären. „Oder du benutzt den Nachttopf“, schloss er mit einem schwachen Lächeln, und ihr Mund öffnete sich.

 

„Widerlich“, entkam es ihr tonlos.

 

„Und jetzt“, begann er abschließend, nachdem er mühsam die schwere Decke über sie beide zog, „möchte ich schlafen.“ Sie sah ihn an.

 

„Ohne-?“, begann sie, ohne dass sie ihren losen Mund aufhalten konnte, aber er war schneller.

 

„-ohne dir heute zu nehmen, woran sich deine Gottesfurcht und Moral so unerbittlich klammern möchten“, schloss er, als wäre sie absurd. Als wäre es falsch, sich die Reinheit zu bewahren. Aber eilig zog sie die Decke höher, verbarg endlich ihre Blöße vor ihm, obwohl sie wusste, dass sie noch immer nackt war. Und er wusste es auch. Es war furchtbar.

 

Er löschte das Petroleum neben sich. Nur noch der sanfte Feuerschein warf flackernde Schatten in den Raum. Er wünschte ihr keine Gute Nacht, so wenig wie sie es tat. Und nach wenigen Minuten war er in einen tiefen Schlaf gesunken.

Und ungehorsam wie sie war, verließ sie das Bett, um wenigstens ihr Unterhemd wieder anzuziehen. Denn sie konnte nicht! Sie könnte nicht vor ihm nackt sein. Keine nachtlang, und erst recht keine sieben Tage!

 

Aber sie verließ nicht das Zimmer. Sie legte sich zurück in das breite Bett. Zumindest war es breit genug für zwei. Und vielleicht fühlte sie sich verheiratet. Mit einem Urmenschen, aber sie fühlte sich… zum ersten Mal anders.

 

Sie schlief nicht. Angst lähmte sie, weil sie neben diesem Mann liegen musste. Es war die erste Nacht, die sie in Gesellschaft eines fremden Mannes verbrachte. Und erst in den frühen Morgenstunden, als die Sonne sich ihren Weg bahnte, fielen ihre trotzigen Augen vor Erschöpfung zu und auf der äußersten Kante des Bettes fiel sie in einen traumlosen Schlaf.

 

 

Kapitel 14

A different Feeling

 

Bei Gott. Seinen Muskeln und Sehnen protestierten, als er probehalber den Arm zurückbewegte. Er war aufgewacht, nachdem sich die Tür leise geschlossen hatte. Der Diener hatte wohl das Feuer im Schlafzimmer neu entfacht, denn knackend brach das trockene Holz, während es langsam wärmer wurde.

 

Er hatte so ausgewählt schlechte Laune, dass er den neuen Hengst am liebsten schlachten lassen würde. Ein Mistvieh war es, und jedes Mal vergaß er wieder, wie sehr es schmerzte, wenn die Schulter aus dem Gelenk sprang. Er verharrte, als sich etwas neben ihm regte.

Und er hatte es fast vergessen! Unbewegt fiel sein Blick nach rechts. Sie hatte sich nahe an die äußere Kante des Bettes gedrängt, und mit einem Hauch Ärger stellte er fest, dass sie sich doch etwas angezogen hatte.

Zumindest beeinträchtigte der Schmerz in seiner Schulter ganz und gar nicht die Bereitwilligkeit seines Geschlechts, was sich in seiner Unterhose bereits aufrichtete. Er räusperte sich unwillkürlich, denn seine Stimmbänder waren schwer vom Schlaf.

 

„Buffy“, murmelte er, und in jäher Panik erwachte sein Weib neben ihm. Sie starrte ihm voller Furcht entgegen, und er war sauer. Erregt und sauer. „Du hast dir etwas angezogen“, erklärte er überdeutlich, die Stimme tief vor Schlaf.

 

„Mir war kalt“, krächzte sie hervor und verschwand praktisch ganz unter dem Federbett, kauerte sich vor ihm zusammen, und sein Kiefer arbeitete hart, damit er nicht direkt am frühen Morgen schrie. Sie log. Aber er würde sie bestrafen dafür. Und zwar sofort. Mühsam richtete er sich auf und griff mit seinem tauben Arm nach der Decke, um sie von ihrem Körper zu ziehen. Sie ließ es zu, lag aber stocksteif neben ihm, die Augen weit und wachsam. Er hörte, wie sich ihre Atmung beschleunigte, sah wie sich ihre Brust unter der Baumwolle hob und senkte, unregelmäßig, so voller Panik. Sie bildete sich sehr viel auf ihre vermeintliche Herkunft und ihre lästige Reinheit ein. Er ließ seine andere Hand langsam zu ihr wandern, bis er ihr Knie berührte. Gleich würde sie bestimmt bewusstlos werden, so schnell ging ihr Atem.

 

„Was-“, wisperte sie panisch, als er seine Hand höher wandern ließ.

 

„-sei still“, unterbrach er sie rau. „Ich werde dich dafür bestrafen, dass du dich angezogen hast, Buffy“, äußerte er seine Gedanken laut, und sie erwiderte seinen Blick. Er rückte näher, und ihr Blick ging wild. Vielleicht überlegte sie, ihn mit dem Kerzenständer zu verprügeln, aber er würde es ihr nicht raten. Schon hatte er sein Gewicht in die Höhe gestemmt und dann lag er über ihr. Ihr heißer Körper unter seinem fühlte sich nicht schlecht an. Ihre Haare waren unordentlich, längst aus ihrem nächtlichen Zopf gefallen, und die grünen Augen waren glasig auf sein Gesicht geheftet. Seine Form der Bestrafung war wahrscheinlich anders, als sie glauben mochte. Er senkte langsam den Kopf, behielt ihre Hände aber aus den Augenwinkeln im Blick, falls sie gleich doch nach dem Kerzenständer griff. Dann fielen seine trockenen Lippen auf ihren Hals. Ihr Puls rannte praktisch, und mit seiner Zunge leckte er eine feuchte Spur ihren Hals hinab.

 

„Nein!“, flüsterte sie gebrochen, verzweifelt, und es reichte ihm langsam. Dieses undankbare Weib! Für sie hatte er kurz darüber nachgedacht, seine Liebschaften im Dorf aufzugeben, aber er glaubte nicht, dass er das tun würde. Er würde sehen, wie sie sich anstellte, wie sie sich anfühlte – wie sie… schmeckte. Dann küsste er ihren Schulterknochen, und sie schnappte nach Luft. Er machte keine Anstalten, ihre Lippen zu küssen. Dort lag nicht sein Interesse. Dort wartete nicht ihre Strafe. Er bewegte sich tiefer und musste seine schmerzende Schulter einfach ignorieren. Zum Wohle der Strafe. Seine Lippen fanden ihre Brustwarzen auch über dem Stoff. Sanft biss er zu, und ihre Körpersprache verriet ihre Gesinnung, dachte er dumpf, denn ihre Brustwarzen wurden härter. Sie keuchte auf, wimmerte, und er glaubte, sie weinte mittlerweile vor Verzweiflung.

 

„Du widerliches Schwein“, wisperte sie hilflos, und mit einem knurrenden Geräusch legte er seine Hand über das Nachthemd, direkt auf ihren Hügel. Er hob den Kopf, und sie riss die Augen auf.

 

„Halt endlich den Mund“, befahl er gereizt, und ihre Tränen machten ihn zornig. Noch immer pochte sein Penis in seiner Unterhose, aber er ignorierte es. Dann wanderte sein Kopf tiefer, über ihr Brustbein, über ihren Bauch. Mit der Zunge stach er durch den Stoff in ihren Bauchnabel, und wieder atmete sie hektischer. Dann griff er nach dem Saum des Nachthemds und schob ihn erbarmungslos höher.

 

„Nein! Nicht!“, bat sie, flehte sie, aber er ignorierte ihre Worte, rutschte mit seinem Körper tiefer, und sie weinte jämmerlich über ihm. Flaumig weich verbarg ihre Scham ihren wohlbehüteten Schatz, und schamlos fuhr sein Daumen über ihre Mitte. Sie versuchte, sich aufzubäumen, aber schnell hatte er sich aufgerichtet und drückte seine flache Hand auf ihren Unterleib, hielt sie ihm Bett, und mit roten Augen starrte sie ihn an.

 

„Du bleibst genau hier liegen, hast du verstanden? Wenn du auch nur daran denkst, zu fliehen, dann verspreche ich dir, wird es wesentlich unangenehmer für dich werden“, knurrte er, und sie weinte heftiger. Ihr Stolz war gebrochen, denn mit stummen Tränen legte sie sich zurück, krallte die Finger abwehrend in das Laken unter sich, und fast verdrehte er die Augen über ihr Verhalten. Undankbares Biest, dachte er wieder. Langsam senkte er den Kopf und stellte ihre Knie auf, um einen angenehmeren Winkel zu finden. Er roch, dass sie frisch gebadet war. Der entfernte Duft der Öle hing noch an ihrem Körper. Sein Kopf näherte sich ihrem Eingang und ihr nervtötendes Wimmern nahm an Lautstärke zu. Betete sie? Entfernt vernahmen seine Ohren ihre stummen Worte. Entweder das, oder sie verfluchte ihn. Beides war ihm recht, und dann öffnete er den Mund, ließ seine Zunge nach vorne gleiten, und ihre Worte verstummten abrupt, als er über ihr heißes Fleisch leckte. Sie wand sich sofort über ihm, aber seine Hand hielt ihren Bauch auf die Matratze gepresst. Seine anderen Finger teilten geschickt ihre Schamlippen, und seine Zunge stieß prüfend nach vorne. Sie schnappte nach Luft, und sein Daumen rieb über die sensible Perle, während er Mühe hatte, seine Zunge tiefer zu stoßen, denn sie presste instinktiv ihre Beine zusammen. Er ließ von ihrem Bauch ab, nutzte nun beide Hände, um ihre Schenkel zu spreizen, und dann leckte er genüsslich über ihre Scham, höher zu ihrer Perle, und er schmeckte, wie sie feuchter wurde, wie ihre Säfte zu fließen begannen.

Ihre Atmung flachte ab, und er wusste, sie musste es spüren können. Es benebelte seine Sinne, und sein Penis war steinhart geworden, aber wieder und wieder leckte er über ihr Fleisch, ließ seine Zunge wieder tiefer wandern, wieder tief in ihr verschwinden, und sie schmeckte frisch und wunderbar in seinem Mund. Fast schon gierig nach diesen anderen Geräuschen, die sie jetzt machte, entfernte er seine Zunge aus ihr, lockerte den Griff um ihre Schenkel, und wundersamerweise versuchte sie nicht mehr, sie zu schließen. Er konnte seinen Daumen wieder einsetzen, reizte sie, ärgerte sie, und ihre Atmung fand den entsprechenden Rhythmus, und sie machte Laute der Überraschung, der Verzweiflung, und sie wurde feuchter unter seinen Mühen.

Ein letztes Mal umzirkelte seine Zunge ihre Perle, und sie war kurz davor – so kurz davor!

Fast schrie sie bereits – und dann zog er sich zurück.

 

Er saß auf den Knien, richtete sich auf, und sie lag unter ihm, atmete schnell, die Wangen gerötet, die Lippen halb geöffnet, und ihr Becken bewegte sich unbewusst. Sie hatte die Beine noch immer geöffnet, präsentierte ihm ihre Weiblichkeit schamlos und starrte ihn hilflos an.

 

Ja. Fast hätte ihr erster Orgasmus ihr Weltbild zerstört. Fast. Sie schien um Fassung zu ringen. Tränen rangen sich wieder aus ihren Augen, aber er nahm an, es waren Tränen der Frustration. Noch immer bewegte sich ihr Becken, und sie war so bereit. So absolut bereit für ihn.

 

„Was… was-“, krächzte sie vollkommen überfordert, und er lehnte sich über sie, sein Kopf nahe über ihrem.

 

„Unbefriedigend, nicht wahr?“, vermutete er, aber seine Stimme war wirklich nicht mehr zum Sprechen geeignet. Sein Gehirn funktionierte nicht wirklich. „Genauso unbefriedigend, wie das verdammte Nachthemd anzuziehen, wenn ich dir befohlen habe, es nicht zu tun“, informierte er sie rau. Sie schien seinen Worten nicht ganz zu folgen, schien vollkommen überfordert zu sein, mit diesen Gefühlen in ihrem Inneren, und er war kein Unmensch. Er war kein Schwein, wie sie ihn schimpfte. Und fast war das Bedürfnis übermächtig, sie zu küssen. Er wollte, dass sie sich selber schmeckte, dass sie begriff, dass er das Beste war, was ihr jemals passieren würde, und ihre grünen, ungläubigen Augen reizten ihn ins Unermessliche, und die Spitze ihrer rosigen Zunge fing seine Aufmerksamkeit. Er senkte den Kopf, und sie tat nichts. Ihre Augen folgten seinen Lippen, und so gefiel sie ihm um einiges besser. Sprachlos, überfordert, absolut willig.

 

Wider besseren Wissens senkte er den Kopf, ohne Beherrschung. Er küsste sie, schob sofort seine Zunge zwischen ihre Lippen, und sie keuchte in seinen Mund, griff fast übergangslos in seine Haare, zerrte schmerzhaft an ihnen, versuchte, ihn wegzuschieben, und dann fuhr seine Hand wieder zwischen ihre Körper, wanderte tiefer, fand ihre unbedeckte Weiblichkeit, und sie war noch immer vollkommen bereit, vollkommen überreizt, und alles, was er nur noch tun musste, war, seine flache Hand gegen ihre Perle zu pressen, und ihr Rücken bog sich plötzlich durch. Sie schlug nicht mehr auf ihn ein, kratzte nicht mehr über seinen Rücken, nein, sie verlor ich völlig, klammerte sich an seine Schultern, und ihre Zunge ahmte seine nach, bewegte sich in schierer Trance, und mächtig erschütterte sie dieser Orgasmus durch seine Hand. Ihr Becken zitterte regelrecht, und er beendete diesen befriedigenden Kuss. Keine Handbreit entfernte er sein Gesicht von ihrem und wartete, bis ihre Lider sich flatternd öffneten. Langsam beruhigte sich ihr Atem, und befriedigende Röte hatte sich auf ihre Wangen gelegt.

 

Neue Tränen rangen sich aus ihren Augen, und er sah den Hass so frisch und deutlich, dass es fast niedlich war. „Du bist der Teufel“, wimmerte sie mit brüchiger Stimme, und ein träges Lächeln hob seine Mundwinkel.

 

„Gern geschehen“, erwiderte er beinahe zufrieden, denn er wusste, er hatte sie zum Kommen gebracht. Und sie wusste das auch.

Zeit, dass er sich um seinen Penis kümmerte, bevor er explodierte. Jetzt gerade war es ihm zu anstrengend, sein Weib auch noch zum Verkehr zu zwingen. Alles hatte seine Zeit. Zwar hatte er sie wirklich bestrafen wollen, hatte ihr den Orgasmus nicht wirklich gegönnt, aber er hatte sich nicht halten können. Er erhob sich vom Bett, um das Zimmer zu verlassen.

„Am besten bist du nackt, wenn ich wiederkomme. Oder meine Zunge findet den Weg erneut in deine königliche Schatzkammer“, ergänzte er spöttisch und musste schmunzeln über seine Worte.

 

~*~

 

Sie war nackt. Ihr Blick ging starr an die Decke, und sie konnte nicht begreifen, was gerade eben passiert war. Sie hatte geweint, hatte überlegt, aus dem Fenster zu springen, und begriff nicht, dass ihr Körper so empfinden konnte – bei diesem Mann! Was er getan hatte! Wie schamlos, wie nieder und absolut widerwärtig er gewesen war! Und dann hatte er es gewagt, sie zu küssen! Ihr ihre eigenen Säfte aufzuzwingen!

Und niemals würde sie sich eingestehen, dass gerade diese grobe Geste ihren Körper praktisch in Brand gesetzt hatte. Dieses unglaubliche Gefühl, was die Kirche mit Sicherheit als schändlich und satanistisch und häretisch verachten würde, konnte nur ein Akt des Teufels sein. Sie hatte geweint, weil sie es noch einmal spüren wollte, weil sie fast süchtig nach diesem Gefühl geworden war, als es sie überkommen hatte.

Und gleichzeitig wollte sie sterben, weil ausgerechnet er es verursacht hatte.

 

Und bei wie vielen Frauen hatte er diese unaussprechliche Sache wohl bereits getan? Sie konnte nicht anders, als immer wieder daran zu denken. Immer wieder seine Zunge zu spüren, immer wieder sein Gewicht auf ihrem Körper zu spüren. Wie er sie ohne Scham berührte, wie er nicht den Anstand besaß, sie zu warnen, sie zu verschonen von… diesen Dingen! Sie fühlte sich nackt und bloßgestellt, und selbst mit allen Schichten an Kleidung würde sie sich von nun an nackt und bloßgestellt fühlen.

 

Nie wieder durfte sie so empfinden! Nie wieder. Sollte er sich nehmen, was er von ihr wollte, aber nie wieder durfte ihr Körper sie so verraten, nie wieder wollte sie sich ihm zuwenden, nie wieder! Der Verkehr sollte furchtbar sein, für ihn und für sie. Es sollte eine Strafe für ihn sein, mit ihr zu nächtigen. Er hatte nicht das Recht, diese Gefühle zu entfachen.

Sie betete mehrfach, bat Maria und Gott um Vergebung für ihre sündhaften Gefühle und verabscheute sich umso mehr.

 

Irgendwann kam ein Diener, brachte Frühstück und sie verbarg sich komplett unter der Decke, aber er stellte keine Fragen, schien es nicht einmal verwerflich zu finden, und sie würde sich niemals daran gewöhnen. Eine Woche sollte sie so existieren? Zu seiner Belustigung, damit er sie diese gottlosen Dinge fühlen lassen konnte? Niemals. Wieder rangen sich Tränen aus ihren Augenwinkeln, die sie nur mit Mühe vor dem Personal verbergen konnte, während der Diener ihr Tee eingoss, als sich ihr Geschlecht wieder zu erinnern schien, und sie die Schenkel aneinander rieb, um das Gefühl noch einmal hervorzulocken.

Er war ein Hexer, ein böser Mensch. Sie würde sich nie mehr ins Gesicht sehen können. Und ihm schon gar nicht mehr! Bei Gott, wo sein Gesicht gewesen war! Wo diese widerliche, schamlose Zunge von ihm gewesen war, mit der er so widerliche Worte formte! Wie konnte so eine abartige Zunge nur so ein Wunder vollbringen?

Endlich ging der Diener mit einer tiefen Verbeugung, und Buffy setzte sich auf. Sie war hungrig. Es hatte sie so hungrig gemacht, dieser Morgen. Sie wusste nicht, wo William war, aber es war ihr gleichgültig, ob er für immer verschwunden blieb.

 

Vielleicht hatte ihn ein Blitz Gottes getroffen, als Strafe für seine Sünden. Es wäre der passende Tod für ihn, dachte sie dumpf, während sie sich das frische Brot griff, es mit Käse belegte und dann gierig den Tee trank. Eine Unschicklichkeit, im Schlafzimmer zu essen! Noch nie hatte sie davon gehört, aber… es war ihr gerade einerlei, denn sie hatte schrecklichen Hunger. Sie aß gierig und ausgiebig, wartete nicht auf ihn und beruhigte sich langsam wieder. Innerlich fand sie wieder Kraft und hasste sich dafür, ihn nicht mit dem Kerzenständer erschlagen zu haben. Es war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen. Sie hätte ihn erschlagen sollen und dann wäre sie geflohen, auf ihrem Pferd! Sie hätte sich in den Wäldern versteckt, eine neue Identität angenommen. Ihr gefielen diese Gedanken.

Erst als sie Stimmen vernahm, kletterte sie aus dem weichen Bett. Sie zog sich erneut das Nachthemd über, was sie vor lauter Angst vor einem erneuten… Überfall angezogen hatte, und stahl sich an die Sprossenscheiben, die das weite Gelände überblickten. Unten hatte Liam le Comte sein Pferd gesattelt. William stand neben ihm, verabschiedete sich anscheinend, und Röte sprengte Buffys Wangen wieder, als sie sich fragte, ob er es dem Grafen nun brühheiß erzählte, was er mit ihr getan hatte. Oh, Grundgütiger! Wehe, das tat er! Wehe ihm!

 

Und er schien sich bester Gesundheit zu erfreuen, ihr elender Ehegatte.

 

Der Abschied wehrte nicht mehr lange, und sie wusste nicht, was seine Pläne heute sein würden, ob er außerhalb der Burg Geschäfte zu erledigen hatte, aber kaum war der Graf davon galoppiert, hatte sich William wieder der Burg zugewandt und marschierte mit straffen Schritten zurück.

Kalte Angst überkam sie. Was würde jetzt passieren? Könnte sie fliehen? Aber es würde sie zu viel Zeit kosten, sich anzuziehen. Bis dahin wäre er längst wieder oben. Sie verblieb am Fenster, aufrecht, mit klopfendem Herzen, und als sie irgendwann die Schritte seiner Stiefel auf dem Steinboden vernahm, griff sie in blinder Panik nach dem Kerzenständer. Grob hielt sie ihn mit zitternden Fingern fest umklammert.

 

Dann öffnete sich die schwere Tür, und ihr Mund öffnete sich überfordert, als er zusammen mit Tara das Zimmer betrat.

 

„Erwartest du wen anders?“, kommentierte er ihre Erscheinung äußerst herablassend, und ihr Mund klappte zu. Tara starrte sie mit großen Augen an, und beschämt stellte Buffy den Kerzenständer zurück auf den Nachttisch. „Du hast gegessen. Gut“, stellte er scheinbar fest, während er durch das Zimmer schritt, um sich ein paar seiner Sachen vom Ankleidestuhl zu suchen. Sein Blick glitt kurz über ihr Nachthemd, und fast erfasste sie ohnmächtige Schuld. Sie war nicht nackt, wie er befohlen hatte. Sie wusste das. „Tara, sie braucht ein elegantes Kleid. Repräsentativ, wenn du verstehst. Du kannst uns begleiten heute“, ergänzte er in Richtung der Zofe, und Buffy sah ihn misstrauisch an.

 

„Begleiten? Wohin?“, wollte sie unwirsch und unhöflich von diesem Biest an Mann wissen, während Tara sich hastig nickend und verbeugend verabschiedete, um im anderen Zimmer wohl nach einem passenden Kleid zu suchen. Sein Blick wurde kühler, als er den Abstand zu ihr schloss.

 

„Wir müssen bedauerlicherweise ein oder zwei Besuche im Dorf machen, mit den Pächtern reden. Unliebsame Aufgaben, die mein Vater mir leider übertragen hat. Und als meine Ehefrau wirst du mich begleiten, nett und höflich anzusehen sein, und…“ Sein Blick glitt über ihren Körper. Schamlos und absolut ekelerregend. „Du trägst schon wieder dein Nachthemd“, erkannte er schließlich, die Drohung im Blick.

 

„William-“, sagte sie sofort, aber er unterbrach sie.

 

„-ich denke, du hast Gefallen an der Strafe gefunden, Buffy“, reizte er sie mit widerlich überheblicher Stimme, und Scham überkam sie, gemischt mit absolutem Ekel.

 

„Nein! Niemals! Ich – niemals würde ich-“

 

„-unerheblich, denn deine Strafe wirst du dafür noch bekommen.“ Er trat nahe an sie heran, und ihr Blick fiel automatisch auf seine Lippen. Seine elenden Lippen, die seine widerliche Zunge verbargen, die heute…- kurz musste sie die Augen schließen, als das verbotene, ohnmächtige Gefühl in ihren Unterleib zurückkehrte und zwischen ihren Beine zu verharren schien. Sie atmete scharf ein, versuchte, ihren Geist zu befreien von diesen dämonenartigen Gedanken, und kurz zuckten seine Mundwinkel. „Je länger du die Kleidung trägst, umso länger wird deine Strafe dauern, Buffy“, schloss er zufrieden und ließ sie zurück. Gerade im rechten Moment, als Tara zurückkehrte, ein Ungetüm von Kleid in den Armen, und allein der Anblick ließ Buffy aufschluchzen. Was für eine Strafe würde es diesmal sein? Wie sehr würde er sie jetzt erniedrigen wollen?

 

Sie wollte nach Hause. Sie wollte hier fort. Für immer. Sofort kam Tara zu ihr und unbeholfen nahm sie sie in den Arm, tröstete sie mit leeren Worten, und Buffy schämte sich, so viele Gefühle gegenüber dieser armen Zofe zu zeigen.

So viele neue Gefühle waren heute auf sie eingeströmt, und sie fürchtete sich davor. Genauso, wie sie sich vor den bösen Gedanken fürchtete, dass sie diese Gefühle noch einmal spüren wollte. Sie war so verloren. Wie sollte es nur weitergehen? Wie sollte sie sich je wieder in die Augen sehen können?

 

 

 

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