Kapitel
Kapitel 1 , Kapitel 2 , Kapitel 3 , Kapitel 4 , Kapitel 5 , Kapitel 6 , Kapitel 7 ,
Kapitel 8 , Kapitel 9 , Kapitel 10 , Kapitel 11 , Kapitel 12 , Kapitel 13 , Kapitel 14 ,
Kapitel 15 , Kapitel 16
, Kapitel
17 , Kapitel 18 , Kapitel 19 , Kapitel 20 ,
Er sah
zu, wie die Bäume sich im Wind bewegten. Sie wuchsen majestätisch hoch, und der
Blick erstreckte sich über Meilen, ohne dass Häuser oder Straßen im Weg waren.
Nur Feld. Weites, grünes Feld. Der Blick beruhigte ihn, denn alles war still
hier draußen.
Seine
Finger umschlossen den so bekannten runden, glatten, schwarzen Knauf seines
Gehstocks, und er erlaubte es sich, mehr auf der rechten Seite zu lehnen, fast
zu entspannen.
„Und, was
halten Sie von diesem Kleinod? Ist es nicht hervorragend zum Erholen geeignet?“
Das
einzig lästige, war die Frau hinter ihm. Er hatte einen männlichen Makler
gewünscht, aber dieser war bereits gebucht worden. Er hatte mit einer Frau
vorlieb nehmen müssen, und seine Geduld war rapide schnell verschwunden. Er
antwortete ihr nicht, denn auch ein Blinder hätte bemerkt, dass dieses Haus
nicht abzulehnen war.
„Tja, mit
Beliebtheit kommt die Prominenz“, hörte er sie lachen. Er hasste das Geräusch.
Und er begriff ihre Worte noch weniger. „Es kommen noch weitere Personen zur
Besichtigung, Mr Malfoy.“ Jetzt wandte er den Blick. Eine dunkle Wolke zog sich
sehr schnell über seine Laune, die von vorneherein nicht die beste gewesen war.
Er hörte die Tür zuschwingen. Es war eine schwere, lautlose Haustür. Sehr
praktisch.
„Es ist
riesig!“, hörte er eine Männerstimme aus der Halle, und er warf einen letzten
Blick nach draußen. Die Stille war vorbei. In seinem Kopf ging er eine mentale
Liste an Personen durch, die sich dieses Exemplar an Haus leisten konnten, aber
ihm fiel niemand ein, außer vielleicht den Reinblütern, die er kannte. Aber
diese waren bereits ausreichend durch seine Klatschtante an Mutter informiert
worden, dass er geplant hatte ein Angebot für Aven Parks zu machen.
Niemand
seiner Bekannten würde ihn also versuchen wollen, auszustechen.
„Halt ihn
doch fest!“, rief jetzt eine Frau, und Dracos Blick nahm eine Spur Genervtheit
an. Noch eine Frau. Er hielt nicht viel von den Frauen seiner Gesellschaft. Und
genauso wenig hielt er wahrscheinlich auch von allen anderen Frauen. Sie waren
für eine einzige Sache brauchbar – wenn er sich denn recht erinnerte – und
ansonsten wünschte er sich, dass sie den Mund hielten.
Er hörte
ein leises Klappern hinter sich. Wie sehr schnelle, kleine Schritte. Sein Blick
fiel langsam neben sich, als er erkannte, dass sich ein sehr pelziges Tier
neben ihn gesetzt hatte.
Der Hund
war anscheinend vor seinen Besitzern geflohen. Draco floh selber vor den
meisten Menschen. Die Zunge hing aus dem Mund des Tieres, in einer typischen
Manie, und er hob den Kopf, wie um Draco anzusehen. Er mochte keine Hunde.
Es war ein
Familienhund. Er ging ihm sitzend fast bis zur Hüfte. Der pelzige Körper
berührte fast seine linke Seite, und der Hund schien seine Nähe nicht
unangenehm zu finden. Und Draco beschloss, es dem Hund nicht übel zu nehmen, in
das schönste Zimmer des Hauses geflohen zu sein.
Er nickte
dem Hund in stillem Einverständnis zu. Bei der Rasse war er sich nicht sicher.
Bestimmt nicht reinrassig, aber es war ein schönes Exemplar von Hund. Teils
weiß, teils schwarz. Der massige Körper war größtenteils weiß, mit einem großen
schwarzen Fleck. Und beide Ohren waren schwarz. Vielleicht war es ein
Bernhardiner. Und Draco war sich sicher, es handelte sich nicht um einen
Animagus. Der Hund verhielt sich nicht menschlich. Er verhielt sich einfach wie
ein Hund. Und überdies hätt sich wohl kein Lebewesen, was die englische Sprache
beherrschte auf eine solche Nähe neben ihn gewagt.
Er war
bekannt für einiges, aber bestimmt nicht für seine Affinität zu
zwischenmenschlicher Nähe.
Der Hund
gähnte ausgiebig neben ihm, und Draco warf den Bäumen einen letzten Blick zu.
„Hallo
Paul!“, begrüßte seine Maklerin wohl ihr männliches Gegenstück, das er hatte
nicht bekommen können.
„Hariette,
auch schon hier?“
„Ja, ich
führe bereits einen Interessenten durch das Haus, aber stören Sie sich nicht
daran“, hörte Draco sie lachen. Nein, wer konnte sich schon an Draco Malfoy
stören, überlegte er bitter.
„Rufus!“,
hörte er jetzt die weibliche Stimme erneut, und sie näherte sich dem
Wohnzimmer. Der Hund hechelte neben ihm.
Anscheinend war das sein Name. Seine Ruhe und Einsamkeit war sowieso schon
gestört. Er wandte den Blick vom weitläufigen Garten ab und drehte sich zur
Tür. Seine Finger trommelten kurz auf dem runden Knauf seines Stocks. Der Hund
blieb gelassen neben ihm.
„Ru- da
bist du ja!“ Eine Frau betrat das Zimmer. Nicht älter als er. Tatsächlich wusste er, dass sie sogar zwei
Monate jünger war als er. Ihre braunen Locken fielen ihr in einem langen
Seitenzopf über die Schulter. Sie trug eine beige Leinenhose, ein helles
Oberteil, und lange, perlenartige Ohrringe. Ihre braunen Augen weiteten sich
für einen kurzen Moment überrascht, als sie ihn erkannte, und ihre vollen
Lippen teilten sich für eine Sekunde, ohne zu sprechen.
„Hallo“,
begrüßte sie ihn, etwas verwirrt, und er war sich sicher, unter anderen
Umständen hätte sie nichts gesagt. Der Hund erhob sich träge und tänzelte an
ihre Seite. Draco wog noch ab, ob er sie begrüßen sollte. Schon erschien die
zweite Person im Türrahmen. Und er konnte dem Hund nur zu Gute halten, dass
dieser den Raum verließ.
„Hast du den Kamin im Eingang gesehen? Ich glaube im gesamten Haus sind zehn-“
Harry Potter unterbrach sich selbst. Draco verdrehte innerlich die Augen. Dann
konnte die Presse unmöglich weit entfernt sein, wenn der Wunderknabe ein Haus
besichtigte. Und Draco beschloss der unausweichlichen peinlichen Stille zu
entgehen.
„Zwölf. Im gesamten Haus sind zwölf Kamine“, entschied er sich, ruhig zu sagen.
Und Potter sah ihn an. Unentschlossen, ob er irgendwie zu erkennen geben
sollte, dass sie sich seit Kinderjahren und nicht bloß den gegenseitigen Namen
aus Zeitungen oder – in Potters Fall- jedem Geschichtsbuch der magischen Welt
her kannten.
„Wirklich,
zwölf?“, erwiderte Potter also tonlos, und Merlin sie Dank kamen die nervigen
Makler in das Zimmer. Draco war wenig unangenehm, aber das hier stieß an seine
Grenzen. Draco hätte am liebsten den Kopf über Potters Erscheinung geschüttelt,
so absurd fand er sie.
Er trug
eine braune Cordhose, einen, allem Anschein nach, selbstgestrickten hellbraunen
Pullover, darunter ein helles Hemd, aber anscheinend hatte er eine neue Brille.
Sie war nicht mehr eines der zwei beliebtesten und einzigen Kassengestelle von Grindle und Burghs. Der Rand war
bedeutend schmaler und die Gläser entspiegelt, so dass Draco in den vollen
Genuss von Potters abweisendem Blick kam.
„Sie
haben sich schon kennen gelernt? Aber jeder kennt Mr Potter, nicht wahr?“,
lachte die Maklerin, und Draco wünschte sich sehr weit weg, am besten dorthin,
wo die Bäume sich im Wind bewegten, dann müsste er sich nicht das Gequatsche
anhören.
„Hat Mr Malfoy schon ein Angebot abgegeben?“, erkundigte sich der männliche
Makler bei seiner Maklerin. Bei näherem Hinsehen fiel Draco jedoch auf, dass
der männliche Makler wohl auch nicht sein Fall gewesen wäre. Er trug ein hell
pinkes Hemd, eine helle Hose und unmögliche Lederschuhe. Die Haare waren in
moderner Façon nach hinten gekämmt, und so voller Gel, dass es wirkte, als wären sie klatschnass. Draco verstand.
Er war eine Maklerin, gefangen im Körper eines Maklers.
Seine Mundwinkel kräuselten sich
spöttisch, und der Makler schien ehrlich verwirrt.
„Nein, nein. Noch nicht. Ich
möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass man das Objekt auch Time-Sharen
könnte“, erklärte die Maklerin überfreundlich. Und Draco dachte darüber nach.
Ja, das wäre eine wunderbare Idee. Er und Potter teilten sich ein Haus. Sie
hatten sich schon nicht die Schlafräume auf Hogwarts geteilt.
„Ein reizendes Angebot“,
entgegnete Draco lakonisch. „Aber ich lasse Mr Potter gerne den Vortritt“,
fügte er ohne einen Hauch an Freundlichkeit hinzu. Was Potter wollte, würde er
garantiert nicht begehren. Sei der Garten noch so verlockend.
„Eigentlich interessiert sich
Miss Granger für das Haus“, erklärte Potter ihm, aus was für einer Muße heraus
auch immer. Dracos Augenbrauen hoben sich knapp. Aber es änderte nicht wirklich
etwas an der Tatsache, dass Draco kein Objekt besitzen wollte, in dem egal
welche Person des goldenen Trios ihren Fuß bereits hineingesetzt hatte.
„Wiedersehen“, rang sich Draco
trocken ab und richtete diesen Abschied an die Maklerin. Er verlagerte sein
Gewicht auf den Stock. Jeder zweite seiner Schritte war lauter als der erste.
Und er bemerkte Grangers Blick sehr wohl. Aber er ignorierte die Blicke
mittlerweile. Kinder hatten ihn schon als Piraten bezeichnet, aber er wäre sehr
gerne ein Pirat, wenn das bedeuten würde, dass sich Kinder und alles andere
Gesocks von ihm fernhalten würden.
Und er war mehr als überrascht,
dass sie ihm folgte.
„Wenn Sie sich schon entschieden
haben, dann werden wir natürlich kein Angebot mehr machen!“, schien sie
unbedingt sagen zu wollen. Er hielt im Flur inne und erlaubte sich, ihr Gesicht
aus nächster Nähe zu betrachten. Für ein Schlammblut war sie recht passabel.
Nicht passabel genug, um in irgendeiner Region seines Körpers sein Interesse zu
wecken, aber passabel genug, um sich nicht direkt abzuwenden.
Dass sie ihn siezte empfand er
als angebracht, wenn auch amüsant.
„Das ist sehr Gryffindor von Ihnen, aber ich habe meine Meinung bereits geändert“, entschied er
zu sagen und wollte gehen.
„Wenn Sie es nicht wollen, werde
ich es nehmen!“, versicherte sie ihm jetzt. War es eine Drohung? Er hob den
Blick zu ihrem Gesicht.
„Sie können tun und lassen, was
Sie wollen.“ Das war genug sozialer Kontakt mit der Unterschicht für das ganze
restliche Jahr, empfand er. Er beschloss also, zu gehen. „Wäre das dann
alles?“, fügte er mit einem freudlosen Ausdruck hinzu, und sie nickte steif.
Sein Bein schmerzte langsam. Und er wollte sich nicht dazu hinreißen lassen,
ausfällig zu werden, gegenüber jemandem, den er mit großer Wahrscheinlichkeit
nicht mehr wiedersehen würde.
Sie gingen in verschiedene
Richtungen davon. Er öffnete die Tür selber, brauchte niemanden, um ihn nach
draußen zu geleiten und war kaum überrascht, den Hund draußen auf der Veranda
zu entdecken. Er gähnte ungeniert, und Draco nickte ihm zu. Der Hund hatte es
drinnen wohl auch nicht mehr ausgehalten.
Draco beäugte missgelaunt die
wenigen Stufen der breiten Treppe, die nach unten führten. Er hasste Treppen.
Und er schloss entnervt die Augen
als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete.
„Rufus!“ Granger griff den Hund
am Halsband. Draco bemitleidete den Hund beinahe. „Brauchst du Hilfe?“, hatte
sie sich jetzt an ihn gewandt. Unsicher und anscheinend beim Du angekommen.
Zuerst dachte er, sie spräche mit dem Hund, aber nein. Granger wollte sich
tatsächlich seiner annehmen.
Und er wandte sich um.
„Wieso? Weil ich einen Gehstock habe? Weil ich humpel?
Weil ich das Haus nicht mehr möchte? Nein, ich benötige keine Hilfe“, schnappte er, während das letzte bisschen an Geduld
verschwand. Sie war unglaublich impertinent und schien sich nicht einmal für
ihre Frage zu schämen.
„Das Bein sieht nicht gut aus.
Wer ist dein orthopädischer Heiler?“
„Mein…?“ Er starrte sie jetzt an.
Diese Frau war doch nicht echt! „Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich aus
meinen Angelegenheiten raushalten würden!“
„Heiler wechseln hilft häufig.
Deine Akte liegt nicht im Mungo. Wahrscheinlich beziehst du irgendeinen
Reinblutstümper, der eine allgemeine Ausbildung abgelehnt hat?“, erkundigte sie
sich, und sein Mund öffnete sich perplex. Er konnte sich beim besten Willen
nicht vorstellen, dass jemand so mit ihm sprach. Und seine Kutsche fuhr Merlin
sei Dank in diesem Moment vor.
„Dieses Gespräch ist beendet“,
informierte er sie leise.
Anscheinend fehlte ihr jegliche
natürliche Angst vor ihm.
„Dummheit und Stolz…“,
informierte sie ihn mit einem wissenden Blick. Anscheinend war dieser Satz noch
nicht beendet, aber sein Mund hatte sich verblüfft geöffnet. Er starrte sie an
und spürte, wie sich seine Augen vor Zorn verengten. Wenn das Schlammblut nicht
in zwei Sekunden mit ihrem Fellbündel verschwunden wäre, würde er-
„Mr Malfoy?“, rief der Kutscher
von unten und unterbrach somit seine finsteren Gedanken.
Dummheit
und Stolz… - Dummheit und Stolz, was? War das irgendein Muggelsprichwort? Er hasste Muggel. Er hasste
Menschen im Allgemeinen. Er wandte sich von ihr ab, griff fest nach dem breiten
Geländer und überwand die fünf Stufen. Jede Stufe schlimmer als die vorherige.
Dass er ihren Blick im Nacken spürte machte es nicht besser.
„Waren Sie erfolgreich?“,
erkundigte sich der Kutscher, der ihm die Türe offen hielt und ihm in den Wagen
half.
„Fahren Sie, Wilson“, gab Draco
grollend zurück, und der Kutscher schloss erschrocken die Tür. Draco mied den
Blick aus dem Fenster, denn er erkannte Granger und ihren Köter immer noch auf
der Veranda.
~*~
Der
dritte sogenannte Experte war heute
gekommen. Draco hatte diesen schon nicht mehr begrüßt. Es war die allmonatliche
Routine, dass die Heiler in Malfoy Manor ein und aus spazierten..
„Dämonsfeuer?
Schwierig zu behandeln. Unmöglich, würde ich meinen“, informierte ihn dieser
nickend. Das wusste Draco selber. Wieso opferte er eigentlich überhaupt seine
Zeit? „Was haben Sie vorher getan?“ Und Draco überlegte nur kurz.
„Gar
nichts“, erläuterte er mit einem freudlosen Lächeln. Der Heiler nickte.
„Ja, so sieht es auch ungefähr aus. Wissen Sie, es gibt eine hervorragende
These über solche Schäden. Die leitende Heilerin der magischen Orthopädie im
Mungo hat ihre Dissertation über Dämonsfeuer verfasst. Wahrscheinlich kennen
Sie ihren Namen.“ Und Draco biss die Zähne fest zusammen, ehe der Heiler weiter
sprach. Ja, wahrscheinlich kannte er ihren verdammten Namen. „Wenn Sie wollen,
kann ich einen Termin mit Hermine Granger für Sie vereinbaren. Ich bin sicher,
sie findet die Zeit für Sie.“
„Nein“,
erwiderte Draco sofort und sehr entschieden. Der Heiler krempelte Dracos
Hosenbein stirnrunzelnd wieder runter.
„Ich
könnte jetzt einige Schmerzhemmungszauber durchführen. Aber diese sind nur
temporär. Für weitere Konsultation würde ich mich auch an Miss Granger wenden.
Sie hatte bereits bemerkenswerte-“
„Nein, Sie wenden sich an keinen! Und ich brauche keine temporäre
Schmerzlinderung. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit“, fügte er hinzu, ohne seine
Unaufrichtigkeit zu verbergen. Der Heiler erhob sich unentschlossen.
„Gut, ich
werde-“
„Sie finden den Ausgang, nehme ich an“, unterbrach Draco ihn und erhob sich. Er
warf einen Beutel Galleonen auf den Tisch. Kurz verzog er den Mund und bereute,
seine Zeit damit verschwendet zu haben. Leitende Heilerin, Merlin, wer hätte
mit so etwas gerechnet! Da hatte er lieber für immer Schmerzen, als bei der
selbstgefälligen Granger auf dem Behandlungstisch zu hocken.
Er
verließ das Zimmer.
„Bleibst
du zum Tee?“, erkundigte sich seine Mutter, die geschäftig die Elfen von einem
Fleck der Halle zum anderen schickte, um die Blumen zu verteilen.
„Nein“,
sagte er knapp.
„Die
Parkinsons kommen. Ich würde es begrüßen, wenn du nicht sofort wieder
verschwinden würdest, Draco“, erwiderte sie, mit einem unausstehlichen Singsang
in der Stimme.
„Du
kannst die Elfen maßregeln, Mutter. Nicht mich“, informierte er sie kalt und
würde so schnell wie möglich zu seinem Büro fliehen.
„Du bist
unausstehlich heute!“, rief ihm seine Mutter nach, und er hätte ihr gerne
erklärt, dass er nicht nur heute so war und dass es eine direkte Reaktion auf
die Menschen war, die ihn bis zur Endlosigkeit aufregten. Sein Bein schmerzte
heute mehr, denn heute durften sich drei Stümper an ihm zu schaffen machen.
Sein
Kutscher wartete bereits ängstlich auf ihn. Aber Draco bezahlte die Menschen
nicht dafür, seine Freunde zu sein. Er bezahlte sie, damit sie ihm untergeben
waren. Und er hatte es am liebsten, wenn sie ihn fürchteten. Dann sprachen sie
wenigstens nicht mit ihm.
Er ließ
seinen Kutscher die Tür offenhalten und ihm raus helfen, als sie angekommen
waren. Manchmal glaubte er selber, er wäre ein schlecht erhaltener
Mittfünfziger, und nicht einunddreißig Jahre alt. Nicht nur schlecht erhalten,
sondern auch äußerst schlecht gelaunt.
„Ich hole
Sie um sechs wieder ab“, informierte ihn Wilson mit gesenktem Kopf. Draco
würdigte dies mit keiner Antwort, denn Wilson holte ihn jeden Tag um sechs Uhr
ab.
Er betrat
das Gebäude und war froh, wenn er sich endlich setzen konnte.
Mit dem Stock
stieß er die Tür am Ende des langen Ganges auf. Selbst die Portraits, die den
Flur säumten mieden den Blick auf ihn. Auch die Damen im Empfang begrüßten ihn
nicht mehr, wenn er kam. Sein Geschrei hatte endlich Früchte getragen.
„Morgen,
Scrooge“, begrüßte ihn Zabini mit einem Lächeln. Dracos Mundwinkel sanken noch
ein Stück tiefer, wenn möglich.
„Hör auf
damit“, erwiderte er, wie jeden Tag.
„Du bist
in der Zeitung“, informierte ihn Blaise, fröhlich, wie immer. Wahrscheinlich
lief das Unternehmen noch immer gut, weil er Blaise Zabini hier beschäftigte.
Er war das freundliche Vorzeigegesicht der Firma. Ohne ihn… wäre es nur Draco.
Und niemand machte besonders gerne Geschäfte mit ihm.
„Das ist mir vollkommen egal“, entgegnete Draco und ließ sich seufzend in den
breiten Ledersessel vor dem Schreibtisch sinken. Endlich. Merlin, er war schon
vor Mittag völlig erschöpft.
„Anscheinend
wolltest du das Haus kaufen, was Mr Harry
Potter nun seiner besten Freundin Hermine Granger zum Geburtstag geschenkt hat!“,
zitierte Blaise und hielt ihm mit einem besonders breiten Grinsen die Zeitung
entgegen. Draco würdigte sie mit keinem Blick.
„Hast du den Termin heute wahrgenommen, Blaise?“, wechselte er jetzt das Thema.
„Bevor
dein Kredithai an Vater es hatte tun können? Ja, habe ich, Draco. Ein
Dankeschön geht einen langen Weg.“
„Ja, und
es kommt einen noch viel längeren. Ich bin nicht in der Stimmung, Zabini.“
„Oh,
Malfoy, du warst seit zehn Jahren nicht mehr in der Stimmung.“ Blaise rollte die Zeitung zusammen und warf sie auf
einen Stuhl in der Ecke. „Hör mal, wahrscheinlich war es wieder einmal sinnlos
von mir einen Tisch im Gangs
zu reservieren, oder?“
„Wann
hattest du jemals Erfolg damit?“
„Gut,
dann habe ich eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht für dich, mein
Freund“, fuhr Blaise gelassen fort. Draco nahm an, Zabini schluckte
irgendwelche Pillen, die es ihm ermöglichten jeden Tag immer wieder gut gelaunt
hier zu erscheinen, obwohl er für Draco Malfoy arbeiten musste. Denn auf
Freundschaft konnte diese Verbindung nicht wirklich basieren.
„Was ist
die schlechte Nachricht?“, ließ sich Draco widerwillig auf das Spielchen ein.
„Wir haben einen Tisch im Gangs“,
antwortete Blaise fast euphorisch, und Draco verdrehte gereizt die Augen.
„Schön,
was ist die verdammte gute Nachricht, Blaise?“
Blaise
lächelte, ehe er sprach. „Ich habe den Sekretärinnen gestattet, heute ihre
Betriebsfeier in unserer Halle zu feiern“, erwiderte Blaise seelenruhig. Draco
starrte ihn an.
„Und wieso solltest du das tun?“
„Jaah,
damit kämen wir wieder zur schlechten Nachricht…“ Draco hatte sich angewöhnt,
schlechte Dinge auszusitzen, seitdem er nicht mehr so leicht aus einem Zimmer
fliehen konnte. Aber Blaise schaffte es jedes Mal, an seinen Nerven zu zerren.
„Zabini!“, begann er drohend, und Blaise seufzte auf.
„Da heute
mein einunddreißigster Geburtstag ist, habe ich mir die Freiheit genommen,
einen Tisch für dich und mich zu reservieren. Zwei Freunde. Ein gemeinsamer
Abend voller harter Getränke und alten Erinnerungen an die gute, alte Zeit.“
Und Dracos Mund verzog sich abschätzend. Blaise hatte eine kranke Art von
Humor. Aber er schien es immer wieder mit Draco aufnehmen zu können. Ohne
schwach zu werden, ohne zu zerbrechen. Sie hatten eine seltsame Symbiose
erreicht.
„Gib mir
einen guten Grund…“, murmelte Draco gereizt.
„Der O’Donnoll-Deal geht klar“, erwiderte Blaise ohne Zögern. Draco atmete aus.
Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Das war keine Millionen für die alte
O’Donnoll Firma, und ein Hundertprozent höhere Gewinn, den er dafür kassieren
würde, wenn er das Gebäude herrichtete und weiter verkaufte.
„Meinetwegen“, knurrte Draco und Blaise widmete sich wieder seinen Unterlagen.
„Das… war mir klar“, erwiderte er
selbstgefällig. Draco würde ihm später zu seinem Geburtstag gratulieren, den er
selbstverständlich vergessen hatte. Blaise nahm es ihm nicht übel. Blaise nahm
ihm nie etwas übel. Blaise scherte sich aber auch kaum darum, was Draco dachte,
solange er monatlichen seinen Gehaltsscheck mit einer fünfstelligen Summe
bekam.
Jetzt
schloss Draco die Augen. Denn jetzt musste er sich schon mental auf einen Abend
mit Blaise vorbereiten. Wahrscheinlich würde er sich dafür sogar einen
Schmerzlinderungszauber gönnen. Zwar würde ihn sein Bein dafür morgen umso mehr
bestrafen, aber ohne Linderung wäre der gesamte Abend einfach nur eine Qual.
Und Draco
hatte wie immer das dumpfe Gefühl, dass Blaise wie immer nicht die volle
Wahrheit gesagt hatte. Es war die Art, wie Blaise lächelte, wenn er wesentlich
Informationen zurückhielt. Wenn ein verlockender Deal ins Haus stand, Draco
sich extra selber dahin bemühte, nur damit Blaise ihm vor Ort eröffnen konnte,
dass er mit Muggeln verhandeln musste, oder dass der Gewinn einem
gemeinnützigen Zweck zu Gute kommen musste, und somit zwang Blaise Draco jedes
Mal, wenn auch nur ungewollt, teilweise etwas nicht rein egoistisches zu tun.
Die
Menschen bekamen ein falsches Bild von ihm. Er war genauso schlimm, wie alle
dachten. Noch schlimmer, wenn möglich. Und er wusste, Blaise würde mit dieser
Taktik irgendwann auf die Nase fallen, um es noch höflich auszudrücken.
Unhöflich ausgedrückt bedeutete es, dass Blaise irgendwann Dracos Stock über
Nacht in seinem Arsch stecken haben würde.
Aber
solange es dem Profit keinen Abbruch tat, würde Draco keine Schritte
unternehmen, es zu unterbinden.
~*~
„Hey,
sieh dich an! Du bist nicht mehr ausschließlich dein schlechtgelauntes,
abscheuliches Selbst!“, rief Blaise, als Draco den Club betrat. Es war brechend
voll, und dass Blaise noch einen Tisch hatte bekommen können, grenzte an
Wahnsinn. Dass jemand in so einem brechend vollen Club überhaupt einen Tisch wollte, grenzte an Wahnsinn, den Draco
nicht nachvollziehen konnte.
„Gib mir
noch fünf Minuten, um mich wieder rein zu finden“, gab Draco laut über die Musik
hinweg zurück, und er wusste, er würde den Linderungszauber morgen garantiert
bereuen. Er hatte keine Linderungssprüche mehr benutzt, seitdem er vor fünf
Monaten eine Woche gebraucht hatte, um überhaupt wieder aufzustehen.
„Ach,
genieß es einfach mal, Malfoy!“ Er schritt neben Zabini zu ihrem zugewiesenen
Tisch. Ausgerechnet direkt neben der Tanzfläche, zwar auf einem erhöhten
Podest, aber dennoch würde Draco nun damit gestraft sein, tanzende, betrunkene
Menschen anstarren zu müssen, während er versuchte ein sehr teures Essen in
winzigen Portionen zu genießen.
Blaise
trug schwarze Elfenlederschuhe, eine schwarze Hose und ein dunkelblaues Hemd.
Es passte farblich perfekt zu seiner olivfarbenen Haut. Er schenkte Draco ein widerlich
aufrichtiges Lächeln, und Draco verzog den Mund.
„Glaub bloß nicht, dass du ein Geschenk von mir bekommst“, gab Draco schroff
zurück. Und Blaises Lächeln vertiefte sich.
„Keine Sorge. Ich glaub, ich würde einen ehrlichen Schock bekommen, wenn du nur
ein einziges Mal nicht an dich denken würdest, Scrooge“, lachte Blaise, und
Draco hatte sich bisher noch nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, wer dieser
Scrooge war, aber er glaubte nicht,
dass Blaise hier einen besonders netten Vergleich gezogen hatte.
Im
Gegensatz zu Blaise war Draco underdressed. Allerdings gab er sich schon lange
keine Mühe mehr, was sein Äußeres betraf. Es war den Aufwand nicht wert. Er
hatte ohnehin mehr Schmerzen als er Spaß empfand. Er trug seinen gewöhnlichen
schwarzen Anzug. Natürlich war dieser ungleich teurer als Blaises Garderobe,
aber es sah eben nicht danach aus. Das war die Kunst an teuren
Kleidungsstücken.
Unter dem
Jackett trug er ein dunkelgraues, fast schwarzes, Hemd, und das einzig farbige,
wenn man es so bezeichnen wollte, war seine Gürtelschnalle. Sie war zwar
schlicht, aber glänzend silbern. Zwar würde er den ganzen Abend sitzen, und
niemand würde sie sehen, aber… er wusste es. Aber es lag ihm wenig daran,
überhaupt irgendwem aufzufallen. Die Presse wäre ohnehin hier, denn sie war
ständig hier. Allerdings wagte die Presse kaum noch, sein Bild zu schießen,
denn er hatte so viele Klagen direkt an den Tagespropheten,
die Hexenwoche, das Magische Blatt geschickt, dass es die
Zeitungen nur noch unter Vorbehalt wagten, ein Bild von ihm zu machen.
Blaise
war da anders. Und Draco würde es nicht zugeben, aber er war dankbar dafür.
Die Musik
war grauenvoll. Eine Kellnerin kam an ihren erhöhten Tisch und brachte ihnen
zwei giftgrüne Shots in hohen, schmalen Gläsern. Draco hob automatisch eine
Augenbraue.
„Oh, ich bitte dich. Muss ich Draco Malfoy erklären, wie man richtig feiert?“,
rief Blaise grinsend und hob das Glas an die Lippen. Und Draco atmete
resignierend aus. Gott, wie sehr er sich morgen Früh hierfür hassen würde! Sie
leerten die hohen Gläser in einem Zug, und die Kellnerin brachte bereits die
zweite Runde.
„Wir
essen anscheinend nicht?“, erkundigte sich Draco hustend. Das grüne Zeug
brannte im Nachhinein in seiner Kehle.
„Essen? Draco Malfoy will essen?“ Es irritierte ihn, dass Blaise zum zweiten
Mal seinen vollen Namen benutzte. Was dachte er? Dass er siebzehn war, gerade
Kapitän der Mannschaft und bereit, von Hogwarts zu fliegen, nur um einen
großartigen Abend zu haben?
Wahrscheinlich,
beantwortete er sich die Frage selbst. „Malfoy, fuck. Du bist alt geworden!“
Blaise trank den zweiten Shot ohne zu zögern. Und Dracos Mundwinkel hoben sich
spöttisch.
Wie
schnell man seine üblichen Schmerzen vergessen konnte, sobald sie für nur ein
paar Stunden verflogen waren. Draco trank den Shot.
„Wie wäre es mit etwas mehr Niveau?“, rief Draco jetzt, hob die Hand, und die
Kellnerin kam in Blitzgeschwindigkeit an den teuersten Tisch des Clubs zurück,
auf dem Tablett zwei weitere Shots. Draco schüttelte den Kopf.
„Miss, bringen
Sie uns Englands teuersten Whiskey“, befahl er knapp. Blaise verschränkte die
Hände zufrieden hinter seinem Kopf.
„Na
endlich“, entgegnete er grinsend.
Auch
Draco lehnte sich zurück und erlaubte sich, abzuschalten. Wenn auch nur für
einen Moment lang.
Seine
Augen glitten durch den Luxusclub. Er sah gegenüber an einem der Tische Korken
knallen, bunte Kracher fliegen und verengte die Augen. Sein Mund öffnete sich
verblüfft.
Die
Kellnerin kehrte eilig mit einer Flasche goldener Flüssigkeit und zwei vorgekühlten
Gläsern an den Tisch zurück.
„Sir“, sagte sie knapp und entfernt sich wieder. Blaise goss ihnen ein. Draco
griff sich grimmig sein Glas.
„Zabini,
wie hoch stehen die Chancen, dass du wusstest, wer heute hier ist?“
„Wovon sprichst
du?“ Blaise hielt das Glas abwartend in die Höhe. Aber Draco hielt seinem
unschuldigen Blick stand. „Ehrlich, Malfoy. Was ist jetzt wieder?“ Aber Draco
glaubte ihm nicht. Er glaubte ihm nie.
„Wusstest
du das?“, fragte er laut und ruckte mit dem Kopf nach links über die
Tanzfläche. Blaise folgte seinem Blick. Seine Augen blieben an dem Tisch
hängen.
„Hm…
Granger muss hier ihren Geburtstag feiern“, vermutete er nachdenklich. Und
Draco setzte das kühle Glas gereizt an die Lippen. Der erste Schluck der
Kostbarkeit traf seinen Gaumen, und er beschloss, Blaise morgen dafür
umzubringen. Oder ihn zumindest so viele Überstunden schuften zu lassen, bis er
nur noch auf dem Zahnfleisch kriechen konnte.
„Ich
glaube, ich gehe ihr gratulieren. Was meinst du?“
„Du hast
am gleichen Tag Geburtstag wie Granger?“, wollte Draco jetzt misstrauisch
wissen, und Blaises Lächeln war unergründlich, wie immer.
„Kommst
du mit, gratulieren?“
„Ja,
sicher“, erwiderte Draco spöttisch und lehnte sich zurück. Das elende Miststück
hatte ihm sein Haus vor der Nase weggeschnappt. Wenn Blaise ihr Happy Birthday
wünschen würde, dann konnte er das alleine tun. Das einzige was Draco ihr
wünschte, war die Pest an ihren verdammten Hals.
Und
Blaise ging tatsächlich. Draco verfolgte ihn mit verengten Augen.
Er war an
ihrem Tisch angekommen, schien sich vorzustellen, alle zu begrüßen, die zu
Grangers jämmerlichen Geburtstag im Club erlaubt worden waren, und dann reichte
Blaise Granger die Hand. Sie schüttelte sie mit einem Lächeln, so viel konnte
Draco von hier aus erkennen.
Aber
Blaise wäre nicht Blaise, wenn er Draco nicht blamieren wollen würde. Freunde
in Slytherin waren selten Freunde, weil sie aneinander immer aus der Klemme
halfen. Slytherins wurden Freunde, wenn sie jemanden gefunden hatte, der
vielleicht noch gemeiner und berechnender war als sie selbst. Und Draco spürte
eine neue Anerkennung für Blaise in sich aufkommen. Er war ein verflucht
schneller Bastard.
Dann
schien er etwas zu sagen und deutete auf ihren Tisch. Die Köpfe der
Weasleybande, Potters und Grangers Blick trafen ihn. Er sah desinteressiert zur
Seite und trank noch einen weiteren tiefen Schluck. Blaise war so ein
arroganter Wichser. Und es dauerte tatsächlich noch weitere fünf Minuten, ehe
er wieder an ihren Tisch zurückkam.
„Schöne
Grüße vom Gryffindortisch“, sagte er mit einem diabolischen Grinsen.
„Oh, danke, da kann ich drauf verzichten.“
„Granger
hat mir gesagt, dass du einige Heiler zu dir hast kommen lassen, aber alle
wieder davon gejagt hast.“ Draco verengte daraufhin
die Augen.
„Ich wüsste nicht, wen das weniger etwas anging, Zabini. Dich oder Granger?“,
mutmaßte Draco mit gekräuselter Oberlippe.
„Ich will
bloß dein bestes, Draco“, rechtfertigte sich Zabini mit erhobenen Händen.
„Und mein
bestes befindet sich hier in diesem lächerlichen Club, nehme ich an?“,
antwortete Draco gedehnt und beäugte Blaise mit erhobener Braue. Dieser trank
stumm seinen Whiskey. Er sah Draco nicht mehr an, sondern ließ den Blick über
die Tanzfläche schweifen. „Wenn du mich gleich zum Tanzen aufforderst, entlasse
ich dich hier und jetzt“, warnte Draco ihn mit gefährlich ruhiger Stimme. Und
jetzt zuckten Blaises Mundwinkel wieder.
„Ich
komme gleich wieder“, entschuldige sich Blaise, ohne ihn anzusehen. Er erhob sich
lächelnd, fuhr sich prüfend durch die dunklen Haare und lehnte sich noch einmal
zu Draco hinab, ehe er ging. „Ach, und Malfoy. Mein Geburtstag war letzten
Monat.“ Bevor Draco den Sinn hinter Blaises Worten begriff, hatte sich dieser
einfach seinen Stock gegriffen. „Und den
leihe ich mir kurz aus“, fügte er hinzu, drehte Dracos Stock in den Fingern,
und Dracos Mund öffnete sich perplex.
„Was zur Hölle denkst du, tust du gerade?“, zischte Draco, aber Blaise hob nur
winkend die Hand.
Und keine
halbe Minute später erkannte Draco mit großem Entsetzen, dass sich Granger auf
den Weg zu ihm gemacht hatte. Was zum…? Mit schnellen Schritten umrundete sie
die Tanzfläche und kam die wenigen Stufen des Podests empor. Ihre Beine waren
nackt unter dem kurzen Kleid, und ihre Füße steckten in hohen Absätzen. Er
zwang seine Augen höher zu ihrem Gesicht.
Und sie
setzte sich auf Blaises Platz. Draco konnte ihr nur stumm dabei zusehen, aber
das Entsetzen musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen. Und… er konnte nicht
wirklich fliehen. Das war wesentlich schlimmer!
„Also?“,
fragte sie, und anscheinend erwartete sie irgendeine Antwort von ihm. Ihre
Lippen waren dunkel geschminkt, so wie ihre Augen. Rouge ließ
ihre Wangenknochen höher wirken, als sie es wirklich waren, und ihre Locken
fielen ihr offen über den Rücken. Was sie trug, wollte sich Draco gar nicht so
genau einprägen, denn es war entschieden zu offenherzig.
Soweit es
ihn betraf, hatte Granger keine Brüste – oder Kurven irgendwelcher Art.
Und sein
Mund öffnete sich endlich.
„Es scheint, als erwartest du, dass ich etwas sage?“, füllte er die Lücke an
Gesprächsthemen zwischen ihnen. Warum zum Teufel saß er hier mit Granger am
Tisch? Ein Blick nach links zeigte ihm, dass ihn Weasley und Potter mit Blicken
erdolchten.
„Du
wolltest dich doch bei mir entschuldigen und mich um professionelle Hilfe
bitten“, erläuterte sie eine Spur ernster. Und Dracos Mund öffnete sich
verblüfft. Das hatte Zabini ihr gesagt? Und das glaubte sie tatsächlich? Das
konnte nicht ihr ernst sein?!
„Granger-“
Aber die Kellnerin unterbrach seine zornige Stimme. Sie stellte zwei Gläser
Rotwein vor Granger und ihm auf den Tisch. Sein Blick hob sich fragend. „Das
habe ich bestellt, nehme ich an?“,
erkundigte er sich trocken. Aber er brauchte nicht auf das verwirrte Nicken der
Kellnerin zu warten, um zu wissen, dass Blaise ihn aus irgendwelchen Gründen in
eine verdammte Falle gelockt hatte.
Und
Blaise hatte nicht Geburtstag. Und genau hier wäre es praktisch gewesen, würde
sich Draco tatsächlich einen Hauch für seine Umgebung interessieren. Anstatt
seinen Satz zu beenden, führte er jetzt das Weinglas an seine Lippen und trank
kopfschüttelnd einen Schluck. Ein Schlammblut saß an seinem Tisch. Sein Partner
hatte ihm seinen Stock gestohlen und ihn sitzen gelassen. Was sollte er anderes
tun, als zu trinken?
Er
blickte entnervt zur Seite.
„Ich
fasse das mal als Entschuldigung auf“, bemerkte Granger nach einer kleinen
Weile. Oh, er hätte ihr gerne gesagt, als was sie es auffassen konnte, aber er beherrschte
sich tatsächlich. Oder der Alkohol ließ ihn sich beherrschen.
„Schon eingezogen?“, erkundigte sich Draco jetzt mit einem gehässigen Unterton,
der ihr wohl entging, denn sie antwortete sofort.
„Nein. Es
soll auch nur ein Wochenendhaus werden“, erklärte sie bereitwillig.
„So etwas
kann sich die leitende Heilerin leisten?“, entfuhr es ihm, und ihre Stirn
runzelte sich.
„Du bist
ein Arschloch“, stellte Granger jetzt nickend fest.
„Hat
Blaise dir das gesagt?“, vermutete Draco freudlos, aber sie machte ein
spöttisches Geräusch.
„Ich
glaube, dass muss man niemandem sagen, Malfoy. Eine Sekunde in deiner
Anwesenheit genügt, um das zu erfahren.“
„Darf ich
dann fragen, was du immer noch an meinem Tisch tust?“ Worauf wartete sie? Dass
er Happy Birthday für sie sang? Auf dem Tisch für sie strippte? Merlin, wo
blieb Blaise?
„Bist du
wirklich so stur, dass du keine Hilfe annehmen möchtest? Was machen die
Schmerzen?“
„Ich habe
keine Schmerzen“, erklärte er knapp.
„Hast du einen Linderungszauber angewandt? Wahrscheinlich einen, der den
Schmerz betäubt und dich morgen dafür bezahlen lässt“, beantwortete sie ihre
Frage selbst.
„Ja, es
ist ähnlich wie mit Alkohol. Oder deiner Stimme“, ergänzte er knurrend.
„Ok. Schade“, bemerkte sie, nahm ihr Glas und erhob sich. „Von mir aus kannst
du hier sitzen und vor Schmerz vergehen! Kein Wunder, dass Blaise dich Scrooge
nennt!“, informierte sie ihn. Hatte er sie doch tatsächlich verletzt, ging ihm
lächelnd auf. Es war fast zu leicht, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen.
„Granger“, hielt er sie auf, denn ihm war wieder etwas eingefallen. Mit einem
tödlichen Blick hatte sie inne gehalten.
„Was, Malfoy?“
„Dummheit und Stolz…? Wie geht der Satz weiter?“ Es interessierte ihn
tatsächlich. Vielleicht war es etwas, das er Lucius bei Gelegenheit vorwerfen
konnte. Zuerst dachte er, sie würde es ihm nicht verraten. Aber sie tat ihm den
Gefallen. Brave Granger. Braves Schlammblut.
„-wächst
am selben Holz“, sagte sie bitter und wandte sich ab. Und tatsächlich erhellte
ein Lächeln seine Züge. Was für ein informatives Sprichwort. Blaise kam kurz
nachdem Granger verschwunden war zurück. Mit seinem Stock.
„Warum
bist du eigentlich so stur?“, wollte er beinahe beleidigt von ihm wissen. Draco
musste tatsächlich lachen.
„Ich? Ich glaube, der einzige, der hier stur ist, bist du, Blaise. Denkst du
wirklich, nur weil du mich zurücklässt, klammere ich mich an das erstbeste
Schlammblut, was mir Hilfe anbietet?“ Und Blaise verzog kaum merklich den Mund,
als Draco das Wort laut sagte. „Oh, ich bitte dich“, ergänzte Draco und
verdrehte die Augen, als er sich wieder seinem Whiskey widmete.
Er hasste
Blaise.
Es fiel
ihm leichter die Schuld abzuladen. Er würde heute nicht aufstehen.
Wahrscheinlich würde er morgen nicht aufstehen. Blaise hatte ihn tatsächlich
sitzen gelassen! Blaise war so betrunken gewesen, dass ihm gar nicht
aufgefallen war, dass Draco nicht apparieren konnte.
Nun, er konnte schon. Aber wenn er das tat… dann
passierte, was jetzt eben passierte.
Die Schmerzen
waren so grausam, dass er am liebsten sofort sterben wollte. Er würde die
Schmerzen liebend gerne gegen den erlösenden Tod eintauschen. Schweiß stand ihm
auf der Stirn.
Widerwillig
hatte ihm seine Mutter den scharfen Grog gebracht, den er jetzt seine Kehle
hinab zwang. Zwar hatte er noch einen Kater von gestern, aber… alles war
nebensächlich neben diesen verdammten scheiß Schmerzen!
Es
läutete an der Tür. Er hoffte beinahe, es wäre ein magischer Vertreter, den er
direkt, ohne Umstände, zur Hölle jagen könnte!
Seine
Mutter hatte geöffnet, und sie sprach hektisch mit der Person, die gerade
gekommen war. Und die Stimmen wurden tatsächlich lauter. Draco lag im
Morgenmantel auf der Couch, unrasiert, und bekleidet war er lediglich mit einer
Shorts darunter und einem Grog in der Hand. Wer auch immer es war, seine Mutter
schien sich für seinen Anblick anscheinend nicht zu schämen.
Es war
also wohl nicht ihr kleines Kaffeekränzchen an Spießerinnen, die viermal die
Woche dafür sorgten, dass er sein Geld im Victoria Hotel aus dem Fenster warf,
um nicht Zuhause schlafen zu müssen. Sein Mund öffnete sich voller Verblüffung,
und wahrscheinlich fantasierte er sich durch die Mengen an Alkohol ein sehr
seltsames Bild zusammen.
„Draco, die Heilerin ist hier“, informierte ihn seine Mutter kleinlaut, und
ungläubig stellte Draco sein Kristallglas mit einem lauten Geräusch auf den
Glastisch zurück.
„Wie es
scheint, sehen wir uns jetzt jeden Tag“, war alles, was er sagte. Seine Stimme
war tief, rau und nicht zum Sprechen geeignet.
„Guten Morgen, Mr Malfoy“, begrüßte ihn Granger, die interessanterweise
wesentlich wacher aussah als er. Er konnte sich erinnern, dass er vor ihr
gegangen war.
„Kann ich
Sie mit ihm alleine lassen?“, erkundigte sich seine Mutter vorsichtig. Er
runzelte entnervt die Stirn. Was dachte seine Mutter? Dass er sich in der
nächsten, unbeobachteten Sekunde auf sie stürzen würde, um ihr Genick zu
brechen oder so etwas? Am liebsten würde er das tun, aber er konnte sich nicht
bewegen.
„Ja, Mrs
Malfoy“, erklärte Granger, und Draco schüttelte voller Verachtung den Kopf, als
seine Mutter sich entfernte.
Granger
trug einen weißen Kittel, darunter weiße Arbeitskleidung. Die Haare waren
streng zurückgebunden, nur ihr Pony fiel ihr etwas länger in die Stirn, so dass
sie ihn hinter ihre Ohren strich. Sie öffnete die Tasche, die sie bei sich
trug, und Draco erkannte stirnrunzelnd einige Gerätschaften, die er noch nie
gesehen hatte.
„Was wird
das? Wenn du glaubst, ich bezahle auch nur-“
„Deine Mutter
hat längst gezahlt“, unterbrach ihn Granger, ohne ihn anzusehen, während sie
eine Ampulle mit klarer Flüssigkeit füllte.
„Was wird das?“, fragte er eher desinteressiert.
„Ich
verpasse dir einen Schmerzblocker“, erklärte sie, als sie die Ampulle auf eine
Spritze zog, die die Länge seines Mittelfingers maß. Sofort saß er gerade auf
der L-förmigen Couch.
„Vergiss
es, Granger“, krächzte er, während er versuchte aufzustehen. Der Schweiß lief
nun seinen Nacken hinab.
„Das
würde ich dir nicht raten“, erwiderte sie völlig ruhig. Er funkelte sie zornig
an.
„Wieso verstehst du nicht, wenn jemand dir sagt, dass er deine Hilfe nicht
will?“
„Weil ich
höre, was du zwischen den Zeilen von dir gibst, du undankbares, arrogantes, in
Selbstmitleid versinkendes Arschloch“, erwiderte sie und verlor etwas an
Professionalität. Er würde sich eher zerspilttern, als ihr zu erlauben, dieses
Monster in sein Bein zu jagen!
„Raus aus
meinem Haus!“, spuckte er ihr entgegen als sie näher kam.
„Ja? Wie wäre es, wenn du mich selber rauswirfst, Malfoy? Könntest du das
versuchen?“
„Was zur Hölle willst du von mir, du nervtötendes Miststück?“, entfuhr es ihm
rau. Sie schob den Morgenmantel über sein Bein zur Seite und blieb recht
unbeeindruckt von seinen Beleidigungen. Sein Herz blieb beinahe stehen, als sie
das tat. Sie hatte keine Angst vor ihm! Sie hatte einfach seine Sphäre
durchbrochen und tatsächlich seinen Morgenmantel angefasst!
„Die Menschen, die dich anscheinend – aus weiß Merlin was für Gründen – immer
noch mögen, möchten dir helfen. Sie zahlen sehr viel Gold dafür, dass ich alles
ignoriere, was du sagst, also spar dir deinen Atem, Malfoy. Das hier wird jetzt
nämlich wirklich wehtun“, informierte sie ihn knapp. Er schluckte, denn er
konnte nicht aufstehen.
„Nein!“,
sagte er nur, schüttelte den Kopf, und sie hob den Blick zu seinen Augen. „Ich
werde dein Leben wirklich zur Hölle machen, das schwöre ich dir, Schlammblut.
Also leg deine gottverdammte Spritze zur Seite und verpiss dich aus meinem
Haus!“, knurrte er. Sie sah ihn an. Das Wort hatte sie getroffen, er sah es.
Gut so. Und er brachte es über sich, aufzustehen. Der Morgenmantel fiel wieder
über sein bloßes Bein. Er trug lediglich eine Shorts, und er hatte es satt,
dass sie seinen Körper inspizieren konnte.
Er hoffte
nur, er würde solange bei Bewusstsein sein, solange sie noch hier war.
Sie sah
ihm dabei zu.
„Wie du
willst“, gab sie bitter zurück. „Aber das Gift wird nicht nur dein Bein
komplett lähmen, Malfoy. Es wird deinen Körper hoch wandern, bis alle Gliedmaßen
unbeweglich werden. Dann greift es deine Organe an, und du wirst insgesamt
nicht viel länger als ein paar Wochen übrig haben. Ein halbes Jahr,
vielleicht.“
Und sein
Atem ging schwer, als er ihr antwortete. Er war größer als sie. Und er war
wesentlich böser als sie.
„Und was
denkst du, ist mir von diesen Dingen nicht bewusst, Granger? Warum genau denkst
du, würde ich dich brauchen, um mir
das zu sagen?“, entgegnete er kochend vor Wut. „Glaubst du nicht, dass ich genügend
Gold besitze, um mir die beste Heilung der Welt zu organisieren, wenn es auch
nur den Hauch einer Chance gebe, das hier aufzuhalten? Aber das gibt es nicht.
Und auch du in deinem überfeinen Kittel, in deinem scheiß neuen Haus wirst
wissen, dass es gegen Dämonsfeuer keine verfluchte Heilung gibt!“, schrie er
jetzt, und die Schmerzen, der Kater, der neue Alkohol in seinem Blut
beschleunigten seinen Puls unangenehm.
„Es gibt
Mittel, die es verzögern könnten, und-“
Er hob
fast hysterisch die Arme.
„Ich will
es nicht verzögern, Granger!“, schrie er zornig. „Warum sollte ich etwas
verzögern wollen, was unter Schmerzen garantiert zu meinem sicheren Tod
führt?“, fügte er bitter hinzu, und sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Gleich würde er hoffentlich sterben.
„Weil es
keine Schmerzen in diesem Maße sein müssten, die dich-“
„Du begreifst es nicht, oder?“
„Nein,
Malfoy! Ich begreife nicht, warum du keine Hilfe annehmen möchtest, die es für
dich erträglicher macht.“ Und er schloss die Augen vor Schmerz und Zorn.
„Erträglich?“, wiederholte er
gefährlich leise. „Du denkst, du könntest das hier irgendwie erträglich machen? Erträglicher wäre es,
wenn ihr mich nicht aus dem
verdammten Feuer gerettet hättet, als es sowieso schon zu spät gewesen war,
Granger!“, knurrte er zornig. Kurz flackerte etwas in ihrem Blick. Sie
erinnerte sich gut, das wusste er. Er erinnerte sich verflucht noch mal gut,
egal, wie lange es jetzt her war. „Erträglicher wäre es, wenn mich kein
Schlammblut in meinem verdammten Haus heimsuchen würde! Erträglicher wäre es,
wenn es vorbei wäre! Ich brauche dich und deine Methoden nicht, um es erträglicher zu machen, verstehst du? Es
gibt niemandem in meinem Leben, für den ich
erträglicher sein müsste!“, ergänzte er gepresst. „Die Heiler haben mich
bereits untersucht. Meine Lebenszeit wird auf kein Jahr mehr geschätzt, ich bin
unfruchtbar, impotent und schwerstbehindert! Aber, die feine Heilerin Granger
hat ja ihre Dissertation darüber verfasst, also weißt du ja ziemlich genau, wie
meine Diagnose lautet, nicht wahr!“
Er konnte
kaum fassen, dass er gerade alle diese Worte laut geäußert hatte. Aber das
angenehme bei einer Krankheit mit solchen Aussichten war, dass es ihm scheiß
egal geworden war.
„Und
jetzt sage ich dir ein letztes Mal, dass du aus meinem Haus verschwinden
sollst, bevor ich die Strafverfolgung rufe“, ergänzte er gefährlich ruhig.
Sie
packte ihre Sachen wieder in ihre Tasche. Ihre Hände zitterten vor Zorn.
„Weißt
du, deine Krankheit verletzt auch die Menschen, die mit dir leben müssen,
Malfoy. Die meisten todkranken Patienten vergessen das.“ Seine Augen verengten
sich.
„Warum sollte ich mich den Teufel darum scheren, was andere Menschen von mir
halten? Und dein persönliches Glück dürfte es dann sein, dass du dich nicht
weiter mit deiner Wohltäter-Show in meinem Haus aufhalten musst“, knurrte er
ungehalten. Sie hatte die Lippen vor Wut aufeinander gepresst.
„Du willst es beschleunigen, Malfoy? Fünfmal apparieren sollte deinen Wunsch
erfüllen“, erwiderte sie mit zitternder Stimme. Merlin, wann verschwand sie
endlich? Was musste er noch tun? Und ja, würde er es physisch schaffen, fünfmal
zu apparieren, dann hätte er es längst getan! Und sie schien selber erschrocken
über sich zu sein. Draco Malfoy brachte die Heiler also schon dazu, ihm Tipps
zu geben, wie er schneller sterben konnte.
Fast
befriedigte ihn dieser Gedanke.
„Raus“,
erwiderte er tonlos, und dann hatte sie sich abgewandt. Als sie verschwunden
war, sank er nass geschwitzt zurück auf die Couch. Sein Bein zitterte unkontrolliert.
Er bemerkte die Tränen nicht mal, die seine Wange hinab liefen. Die
Bewusstlosigkeit war nahe, er spürte es. Sein Atem ging flach. Die
Bewusstlosigkeit erlöste ihn jedoch nie. Sie schenkte ihm nur quälende Träume.
Träume, die ihn glauben ließen, er könnte laufen, rennen, fliegen – ohne
Schmerzen. Ohne jemals Schmerzen empfunden zu haben.
Seine
Lippen waren unglaublich trocken. Er hörte seinen Herzschlag lauter. Und er
erlaubte es sich nicht, zu weinen. Er erlaubte sich kaum, nachzudenken.
Denn, wenn
er es tat, dann war ein nur ein Gefangener in seinem Körper. Ein Gefangener in
seinem Haus. Die Türen standen zwar alle offen, aber er konnte nirgendwohin.
Es war,
als säße er eine Strafe ab. Eine Strafe für etwas, was er nicht begangen hatte.
Und so gerne er Mitleid mit sich selber hätte, so wusste er bedauerlicherweise,
dass es noch andere gab. Weshalb er nicht ins Mungo
ging? Weil alle anderen, die sein unglückliches Schicksal teilten dort an die
Betten gefesselt überlebten!
Er hasste
Granger. Weshalb erinnerte sie ihn? Was brachte es ihr für ein Vergnügen, ihn
an alles zu erinnern, was er seit Jahren verdrängte?
Die
Minuten dauerten Jahre, so kam es ihm vor. Er war nicht einunddreißig. Er war
bereits am Ende seiner Lebenskraft. Ein Hundejahr war sieben Menschenjahre
lang? Dann war ein Jahr im Körper von Draco Malfoy eine Endlosigkeit.
Und es
war eine Lüge. Er hatte gelogen. Denn wenn er träumte, wusste er, was er am
meisten vermisste. Er erinnerte sich wieder. Das einzige, was er liebte, waren
seine Träume. Denn er träumte davon, gesund zu sein. Und das schwerste in
seinem Leben waren nicht die gottverdammten Schmerzen in seinem gottverdammten
Bein.
Nein, das
schlimmste in seinem Leben war, jeden Tag wieder aufzuwachen.
Denn wenn
er aufwachte, dann war er immer noch hier.
Es war
still im Haus. Selbst seine Mutter hielt sich wohl wieder vor ihm versteckt. Er
war allein.
~*~
„Du hast
ihm gesagt, wie er sich am besten umbringen kann?“
Oh Gott.
Die Worte klangen noch schlimmer, wenn sie jemand anders sagte!
Sie fuhr
sich kopfschüttelnd durch die Haare. Sie stand etwas neben sich heute. „Ich,
ich weiß auch nicht. Ich war so unglaublich wütend!“
„Sehr professionell, wirklich“, bemerkte Dean mit falscher Anerkennung. Sie sah
ihn entsetzt an. „Hermine, komm schon. Wir reden von Draco Malfoy. Nein,
eigentlich redet niemand von Draco Malfoy. Alles, was man über ihn weiß, ist,
dass er nur ein Ekel ist“, versuchte Dean sie zu beruhigen.
„Das ist egal. Blaise Zabini hat gesagt-“
„Blaise Zabini ist Malfoys Angestellter! Natürlich will er, dass du Malfoy
hilfst, damit er noch einige Jahrzehnte lang seinen Gehaltsscheck bekommt.“
Dean zuckte die Achseln. „Mach dir keine Sorgen. Anscheinend will Malfoy doch
ohnehin nicht mehr.“
Er zog
sich die sterilen Handschuhe über. Dean musste gleich in den OP, und Hermine
trank ihren fünften Kaffee heute.
„Das gibt mir noch lange keine Berechtigung, Malfoy zu raten, sich schnellsten
umzubringen.“
„Hey, wer
dich Schlammblut nennt, der verdient etwas wesentlich schlimmeres als den Tod.“
Dean klang schon genauso wie Ron. Die beiden verbrachten definitiv zu viel Zeit
zusammen.
„Dean,
ich glaube nicht, dass er-“
„Es ist
egal. Selbst wenn er auf dem Totenbett liegt, hat er dich nicht so zu nennen!
Man nennt uns nicht mehr so, Hermine. Und jetzt möchte ich, dass du den Kaffee
wegkippst und dich fertig machst. Wir gehen heute Abend essen, und ich will es
mir nicht verderben lassen durch irgendwelche Vorfälle, die verdienterweise so
passiert sind, wie sie passiert sind. Hast du gehört? Niemand verurteilt dich
dafür!“ Dean hatte ihre Schultern umfasst.
Doch. Sie
verurteilte sich dafür.
„Kriege
ich ein Lächeln? Ich habe schon deine Geburtstagsparty verpasst. Jetzt lass
diesen Abend nicht durch diese Lappalie verdorben sein, Hermine“,
beschwichtigte er sie, lehnte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die
Lippen.
„Dean, ich-“
„Nein! Kein Wort mehr!“, befahl er versöhnlicher. „Na los, noch drei Stunden,
dann können wir hier raus.“ Sie seufzte auf. Sie lächelte, aber es war nicht
echt. Sie hatte sich heute furchtbar verhalten. Dean verließ winkend das
Aufenthaltszimmer, und Hermine sank zurück auf den Stuhl vor dem Fenster.
Blaise
Zabini wäre das Leben von Draco Malfoy doch nicht nur wegen des Geldes so
wichtig, oder? Sie kaute vergessen auf ihrer Lippe. Dann schloss sie die Augen
und ließ ihren Kopf auf die Tischplatte sinken.
Es
bedrückte sie. Es bedrückte sie sehr, dass es einen Menschen da draußen gab,
der keinen Sinn in seinem Leben sah, und dem sie ausgerechnet noch Tipps gab,
es schneller zu beenden. Es trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Sie war
Hermine Granger. Sie war leitende Heilerin. Und das bestimmt nicht, weil sie
Menschen half, sich umzubringen. Was war nur in sie gefahren? Sie wusste, was
es war. Seine Boshaftigkeit war in sie gefahren!
Sie
konnte annehmen, er hatte keine Beziehung. Er war unfruchtbar und impotent –
fürchterlich. Ja, das war eine häufige Nebenwirkung, die durch das Dämonsfeuer
ausgelöst wurde. Heiler Schwartz war gestern bei ihm gewesen, und er hatte ihr
mitgeteilt, dass sich noch keine schwarzen Färbungen auf der Haut abzeichneten.
Also wäre Malfoy in einer guten Position, die Heilung zu versuchen. Es war
keine echte Heilung, aber sie minimierte die giftigen Zellen in seinem Körper
so drastisch, dass damit zehn weitere Jahre gekauft werden konnten.
Und
selbst Malfoys Mutter war dankbar gewesen, sie zu sehen. Wie konnten sich die
Menschen so um ihn sorgen, wenn er nichts als widerlich war?
Aber sie
wusste, sie durfte nichts davon persönlich nehmen. Sie kannte diese Sorte an
Patienten. Und eigentlich hätte sie es besser wissen müssen. Und sie wusste es
auch besser!
Es ging
ihr mächtig gegen den Strich, dass sie versagt hatte. Für gewöhnlich half sie
den Menschen. So gut es ging. Und nicht nur, wenn es ihr gerade passte.
Dean
hatte Unrecht. Natürlich war Malfoy ein Arschloch, aber er war schon immer ein
Arschloch gewesen. Jetzt war er aber tödlich krank, und jemanden unmenschlich
leiden zu lassen, war noch nie Hermines Stärke gewesen. Und sie würde damit
jetzt nicht anfangen.
Und sie
wusste, Draco Malfoy war bestimmt nicht ohne Grund Kapitän von Slytherin
geworden oder Schulsprecher.
Zwar
hatte es viel damit zu tun gehabt, dass sein Vater ein Todesser gewesen war,
aber Dumbledore und Snape hätten ihn nicht ohne weiteres schalten und walten
lassen, wäre er komplett unfähig. Und er war reich. Er verdiente viel Geld in
seinem Beruf. Und er erledigte ihn mit Sicherheit gut.
Und sie
atmete aus. Merlin, sie war nicht herzlos. Und mochte es Malfoy als Schwäche
ansehen, sie sah es als Stärke an.
Und mit
Bedauern schrieb sie eine Notiz an Dean. Aber Dean würde sie verstehen. Denn er
verstand sie immer. Deshalb hatten sie angefangen, auszugehen.
Dean war
wie sie. Dean war ein Heiler, weil er den Menschen helfen wollte. Den guten und
den schlechten. Denn die Sonne schien für alle Menschen gleich.
Und sie
war eine Heilerin. Und Draco Malfoy hatte eine schlimme Krankheit.
Die
Antwort darauf lag nicht besonders weit entfernt.
Sie
musste vorher nur noch ein paar Besorgungen machen. Und Rufus zu Harry und
Ginny bringen.
~*~
Sie
glaubte es fast selber nicht, dass sie wieder hier aufgetaucht war. Aber
diesmal nicht in Arbeitskleidung. Und Narzissa Malfoy öffnete die Tür, wie
schon vorher.
Überrascht
blickte sie auf Hermine hinab, die mit einer Umhängetasche vor der Haustür
stand.
„Ja?“,
wagte sie vorsichtig zu fragen, und Hermine hörte aus dem Innern des Hauses
Stimmen. Viele Stimmen.
„Ich
wollte noch einmal zu Ihrem Sohn“, erklärte Hermine offen. Narzissa zog die Tür
etwas näher zu sich.
„Draco
ist nicht hier“, gab sie zurück. Sie trug ein fließendes, fliederfarbenes
Kleid. Anscheinend hatten die Malfoys Gäste zu Besuch. Und Draco war nicht da.
„Darf ich
fragen, wo er ist?“ Denn so leicht würde sie nicht locker lassen.
„Er… verbringt die Abende woanders“, wich Narzissa ihrer Frage aus, und Hermine
runzelte die Stirn.
„Sie wollen mir nicht sagen, wo er ist?“, vergewisserte sich Hermine, und
Narzissa atmete ungeduldig aus.
„Nein, ich weiß nicht, wo er die Abende verbringt, wenn er nicht hier ist.
Vielleicht in einem Hotel. Vielleicht bei seinem Vater. Vielleicht bei Mr
Zabini. Miss Granger, ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen“, unterband
Narzissa Malfoy eilig das Gespräch, denn ein Schatten fiel in den Flur.
„Zissy,
kommst du? Ophelia hat eine reizende Anekdote über die Headwells zu erzählen.
Du wirst nicht glauben, was das Tier von einem Ehemann angestellt hat!“ Hermine
erkannte die Stimme nicht, wollte aber bestimmt auch nicht die Geschichte von
Theodore Headwell hören, der zufälligerweise der Chef des Sankt Mungos war.
„Ich
komme!“, rief Narzissa Malfoy, schenkte ihr noch einen entschuldigenden Blick
und schloss die Tür. Hermine stand etwas verloren draußen und fuhr sich durch
die Haare.
Aber
immerhin hatte sie erfahren, dass Lucius Malfoy wohl auch nicht in diesem Haus
wohnte.
Ein Hotel.
Welches Hotel war das teuerste der Stadt, überlegte die knapp. Das Eaton? Das
Victoria? Das Hyes?
Sie
schritt zurück zum Tor und ignorierte die Pfauen, die bereits schliefen. Sie
machten ihr etwas Angst. Unfassbar, dass sie das gerade wirklich tat. Sie war
auf der Suche nach Draco Malfoy, um diesen zu zwingen, nicht sofort zu sterben.
Wahrscheinlich tat man das als Heiler. Als guter Heiler zumindest.
Und er
war nicht im Hyes. Ihr nächster Anlauf war das Victoria, aber sie rechnete auch
damit, dass er nicht mit seinem gewöhnlichen Namen eingecheckt hatte.
Vielleicht war er paranoid. Vielleicht.
Sie lief
durch die dämmrige Winkelgasse, denn die Sonne war untergegangen.
Sie sah
die hohen Scheiben und das gepflegte Ambiente des Hotels schon von weitem. Sie
beschleunigte ihre Schritte. Sie kam sich ein wenig lächerlich vor. Aber nur
ein wenig.
„Hermine!“
Sie blieb
erschrocken stehen. Oh. Sie hatte nicht mehr daran gedacht, dass Dean hier
wohnte. Sie waren erst einige Mal ausgegangen und bisher waren sie nur bei ihr
gewesen.
„Was tust du hier?“, rief er aus seinem Fenster im ersten Stock des Wohnhauses,
was sich etwas schief zur Seite neigte. Die Häuser auf der Winkelgasse waren so
alt und verwinkelt, wie es der Straßenname andeutete. Und ertappt strich sie
die Haare nach hinten.
„Hey, Dean“, rief sie kleinlaut.
„Du versetzt mich, damit du durch die Straßen rennen kannst?“, wollte er
neugierig wissen und stützte seine Arme lässig auf das Fensterbrett. Sie war
kurz davor, ihren Plan zu vergessen und zu ihm hoch zu gehen. Aber sie wusste,
sie würde besser schlafen, wenn sie dieses Problem aus der Welt schaffen würde.
„Mir ist was dazwischen gekommen, Dean. Es tut mir so leid. Ich habe keine
Zeit, bin unterwegs. Aber wollen wir es auf morgen Abend verschieben?“, bot sie
versöhnlicher an, und er tat so, als müsse er überlegen.
„Morgen geht nicht. Ich habe Nachtdienst. Wie wäre es mit übermorgen? Aber wenn
du mich übermorgen versetzt, dann ist der Zug abgefahren, Miss Granger!“,
erwiderte er, und sie war froh, dass er nicht wütend war. Oder auch noch Fragen
stellte. Sie waren erst an der Stelle ihrer Beziehung angelangt, wo man noch
Geheimnisse haben durfte.
„Danke! Wirklich. Ich freue mich! Wir sehen uns morgen!“, versprach sie, und
setzte den Weg fort. Dean blickte ihr kopfschüttelnd nach, aber er lächelte
dabei. Ihr war leichter ums Herz. Etwas zumindest.
Sie hatte
das Hotel bald erreicht, und ein Zauberer in roter Uniform öffnete ihr höflich
die Tür. Ja. Sie war sich sicher, dass sie richtig war. Hier war alles aus
Gold, so kam es ihr vor. Sie ging an den Hauptschalter der Lobby. Eine Hexe hob
argwöhnisch den Blick. Wahrscheinlich sah Hermine nicht so reich aus, wie es
die Hexe gerne hätte.
„Wir sind ausgebucht, Ma’am.“ Dass sie jemand Ma’am nannte, war schon eine
Dreistigkeit.
„Danke,
das ist kein Problem“, erwiderte Hermine mit eisiger Höflichkeit. „Ich habe
einen Patienten hier in Ihrem Hotel, den ich besuchen möchte“, fügte sie hinzu.
„Ach so?“
Argwöhnisch betrachtete die Hexe sie. Hermine fand so viel Engstirnigkeit schon
bemerkenswert.
„Mein Name ist Hermine Granger, ich möchte zu Mr Malfoy“, erklärte sie knapp,
und die Hexe verzog kurz den Mund.
„Werden
Sie erwartet?“
„Was ist?
Hätte ich meinen blutigen Kittel und mein Stethoskop tragen müssen, damit man
Auskünfte bekommt?“, schnappte sie zornig, und die arrogante Fassade der Hexe
geriet ins Wanken.
„Zimmer
1220, Zwölfter Stock“, sagte die Hexe nun widerwillig in gezwungener Höflichkeit.
„Danke sehr“, erwiderte Hermine und machte sich auf den Weg. Merlin!
Kopfschüttelnd
fuhr sie im leeren Fahrstuhl nach oben. Anscheinend handelte es sich hier um
Penthouse-Wohnungen. Schon der Boden hier war feinstes Parkett, die Tapete
unbeschreiblich aufwendig, und riesige Topfpflanzen säumten ihren Weg.
Sie
klopfte an die rote Tür mit der Nummer 1220. Das Schild war golden und glänzte
im warmen Licht des Flurs.
Die Tür
öffnete sich, und ihre Augen schlossen sich automatisch als der Zigarrenqualm
ihr Gesicht erreichte.
„Seit
wann klopfst-“
Die
Stimme unterbrach sich selbst. Hustend wich Hermine zurück. Ihr Mund öffnete
sich verblüfft, als sie aus verengten Augen erkannte, wen sie vor sich hatte.
„Hm. Wir
kennen uns noch nicht?“, vermutete Lucius Malfoy mit gerunzelter Stirn. „Sind
Sie von der Agentur?“, erkundigte er sich und zog noch einmal an der ungesunden
Zigarre.
„Anscheinend
ist rauchen hier erlaubt“, stellte sie trocken fest.
„Das ist das Penthouse. Hier ist alles erlaubt“, erläuterte er
lächelnd, mit einem besonders angsteinflößenden, vielsagenden Blick. Er legte
den Kopf schräg. Dann trat Erkenntnis in seine blauen Augen. „Miss Granger,
wenn ich nicht irre.“
„Ja. Von
keiner Agentur“, stellte sie hastig fest.
„Ich
bezweifele, dass ich irgendetwas für Sie tun kann“, erwiderte er lächelnd.
„Wo ist Ihr Sohn?“ Das schien ihn doch zu überraschen.
„Sie
wollen zu Draco? Draco Malfoy?“, vergewisserte er sich ungläubig, und sie
seufzte ungeduldig.
„Ja. Sie haben nur den einen Sohn, nehme ich an. Von dem Sie… wissen“, fügte
sie verwirrt hinzu, denn hinter Lucius schien gerade eine leichtbekleidete Dame
durch den Flur geschlichen zu sein. Hermine wollte hier weg.
Und Lucius
schien abzuwägen, ob er ihr antworten sollte. Sie verlor die Geduld. Dann
atmete er aus. „Zimmer 1222“, räumte er schließlich ein. „Das wissen Sie nicht
von mir“, war das letzte, was er sagte. Drei Mädchen stiegen aus dem Fahrstuhl,
und Hermine war kurz verblüfft. Sie trugen auffallende Kostüme, knapp und mit
Pailletten besetzte. Außerdem rote Federboas, und wie sie schockiert erkannte,
keine Unterwäsche. Die Kostüme waren durchsichtig, so viel konnte sie erkennen,
als die Damen lächelnd an ihr vorbeischritten.
In das
Zimmer von Lucius Malfoy. Die offensichtliche Scheidung bekam ihm anscheinend
gut.
Er
zwinkerte kurz, und sie wollte nicht wissen, was Lucius Malfoy mit vier jungen
Damen in seinem Zimmer anstellte. Seine Tür schloss sich und nur noch der
leichte Duft von Zigarre hing auf dem Flur.
„Das glaubt mir kein Mensch“, murmelte sie, während sie zwei Türen weiter
schritt. Sie klopfte zaghaft, denn sie war sich nicht sicher, ob sie hier etwas
ähnliches erwartete.
Die Tür
öffnete sich nicht. Sie klopfte erneut, diesmal lauter.
„Verflucht noch mal!“, vernahm sie eine dumpfe, sehr zornige Stimme und
wappnete sich innerlich. „Ich habe ausdrücklich gesagt, ich will niemanden
sehen. Keinen verdammten Zimmerservice, keine verdammten Prostituierten, die
sich das große Geld erhoffen, und Lucius, ich habe kein Interesse an einem
Fünfer teilzu-“
Er hatte die Tür wütend aufgezogen und stockte mitten im Satz, ehe sein Gesicht
sich vor Zorn verdunkelte.
„Das ist
ein verdammter Scherz, hoffe ich“, brachte er gepresst über die Lippen. Er war
immer noch unrasiert, stellte sie fest. Überdies wohl auch betrunken, dem
Geruch nach zu urteilen. Immerhin trug er nicht mehr den Morgenmantel. Seine
blonden Haare lagen wirr auf seinem Kopf. Er trug auch keine Schuhe mehr oder
Socken. Nur noch seine Anzughose, und ein hochgekrempeltes, helles Hemd. Er
hatte sich stark auf seinen Gehstock gestützt, und sie nutzte seine
Sprachlosigkeit aus.
„Ich habe nachgedacht. Und ich möchte dir helfen“, sagte sie schnell.
„Woher
weißt du, dass ich hier bin?“, knurrte er fassungslos.
„Deine
Mutter hat es mir gesagt, und… dein Vater“, schloss sie kleinlaut. Er sah sie
mit großen Augen an.
„Meine Mutter, mein Vater? Mein Steuerberater, meine Reinigungshexe vielleicht
auch noch? Stalkst du mich?“, wollte er mehr als zornig wissen, und sie öffnete
den Mund.
„Bitte,
ich möchte nur-“
„Was?“,
entfuhr es ihm, und sie sah, dass es ihn anstrengte zu stehen. Sie beschloss,
dass sie fertig mit den Höflichkeiten war. Sie schob die Tür weiter auf und
betrat sein Zimmer. Der Flur war derselbe wie vorher bei seinem Vater. Es waren
riesige Suiten, mit bestimmt vier Zimmern, und außerdem einer Treppe nach oben.
Es war eine Maisonette. Sie wollte gar nicht wissen, wie teuer so etwas war.
Mehrere Statuen zierten die kleine Halle, die sie betrat.
„Ich bin
Heilerin, und ich helfe Menschen. Und heute habe ich mich unprofessionell
verhalten und möchte noch einmal von vorne beginnen“, schloss sie aufrichtig.
Er starrte sie an.
„Von vorne beginnen?“, wiederholte er ihre Worte, fuhr sich über das Gesicht
und mit der freien Hand durch die Haare. „Granger“, schaffte er ruhiger zu
sagen, „wir sind keine zehn Jahre alt. Du kannst hier nicht auftauchen, und-“
„Ich werde nicht weggehen, bevor wir eine Lösung gefunden haben“, unterbrach
sie ihn rigoros. Es sah sie nahezu ungläubig an.
„Du hast mich beschimpft, mir Selbstmordtipps gegeben, mich gestalkt-“
„Malfoy,
ich kann
dir helfen!“, beteuerte sie fest. Er lachte auf.
„Ich brauche
deine Hilfe nicht! Ich will deine Hilfe nicht!“
Und sie
sahen sich an. Es verging eine endlos lange Sekunde, in der niemand etwas
sagte.
„Pech für
dich“, entschied sie schließlich. Sein Mund öffnete sich erstaunt.
„Pech für
mich?“, wiederholte er ihre Worte. Und sie nickte bloß. „Hat Blaise dich
geschickt?“, wollte er plötzlich wissen, und sie verneinte. „Was willst du von
mir.“
„Ich will
dir-“
„Sag bloß nicht helfen!“, schnitt er
ihr scharf das Wort ab.
„Ich will
mit dir reden.“
„Über was
sollten wir reden? Du wirst keine Ahnung von Aktien, der Konjunktur oder
Wirtschaft haben“, informierte er sie überheblich.
„Ach nein? Warum? Weil ich ein Schlammblut bin?“ Und kurz entglitten seine
arroganten Züge. „Weil ich Jahrgangsbeste war? Einen Krieg gewonnen habe? Weil
ich leitende Heilerin im größten magischen Krankenhaus Europas bin? Weil Frauen
so etwas nicht wissen?“ Und er seufzte auf.
„Granger, ich weiß, ihr Heiler braucht das. Es ist euer Kick, euer perverser
Höhepunkt, aber ich habe tatsächlich Schmerzen. Und es ginge mir wesentlich
besser, wenn keiner hier wäre, der mich dazu zwingt, über meine Schmerzen zu reden“,
erwiderte er sehr klar und deutlich, als wäre sie schwer von Begriff.
„Ich weiß“, sagte sie nur, und seine Stirn fiel in tausend Falten.
„Verschwinde endlich!“
„Nein“,
erklärte sie kopfschüttelnd.
Und dann
atmete er zornig aus. „Schön. Bleib. Es ist mir scheiß egal“, murrte er, schlug
die Tür ins Schloss, humpelte an ihr vorbei, den Flur hinab in ein anderes
Zimmer.
Und sie
packte mit einem leisen Lächeln ihre Tasche aus. Ihr Verstand ignorierte ihr
absurdes Verhalten. Malfoy war ganz klar ein Patient, der ihre Hilfe wirklich
nicht wollte. Wieso zwang sie ihn? Weil es manchmal nötig war, Menschen zu
zwingen, entschied ihre innere, sehr dumme Stimme einfach.
Und er
kam erst nach einer ganzen Weile wieder. Sie wollte ihn nicht drängen, wollte
ihn ungerne zwingen, aber er hatte sie praktisch hinein gebeten. Jetzt wartete
sie nur, bis er zu ihr kam.
„Du bist immer noch da?“ Es war kaum eine Frage, denn sie saß schließlich auf
der Couch. Er kam zum Tisch und goss sich sein leeres Glas voll mit einer
klaren Flüssigkeit. Sie bezweifelte, dass es sich um Wasser handelte.
„Du solltest nicht trinken. Zumindest nicht, um die Schmerzen zu betäuben.“
Er
schenkte ihr ein schiefes Grinsen.
„Gut,
dann trinke ich, um zu verdrängen, dass du hier bist“, entschied er und wandte
sich wieder ab.
„Wie schlimm ist es?“, erkundigte sie sich und ignorierte seine Beleidigung.
„Lass mich
nachdenken, du vertreibst mich aus meinem Wohnzimmer, du bringst mich um meine
Ruhe, du-“
„Die
Schmerzen, Malfoy“, unterbrach sie ihn nachdrücklich.
„Erstaunlich
gering, im Vergleich zu deiner kopfschmerzerregenden Impertinenz, Granger.“
Er hatte
sich zur ihr umgedreht. Kurz glitt sein Blick über die Couch, wo sie ihre
Sachen ausgebreitet hatte. Sein Blick blieb an einem Buch hängen, das sie
besorgt hatte. Es trug den Titel Scrooge,
und er schien kurz mehr als neugierig zu sein. Dann änderte sich sein Ausdruck,
wurde wieder gleichgültig, und er sah sie kopfschüttelnd an.
„Das wird nicht funktionieren“, bemerkte er ruhiger. Sie sah ihn abwartend an,
denn er würde fortfahren. „Du kannst dein Nachtlager hier aufschlagen, von mir
aus kann deine ganze verdammte Abteilung ihre Zelte hier errichten. Aber wir
sind keine Freunde, Granger. Wir sind nicht mal im Entferntesten miteinander
bekannt. Du bist auch nicht meine Heilerin. Ich habe keinen Heiler. Ich brauche
nämlich keinen. Heiler sind dafür da, Krankheiten zu heilen. Ich will aber
nicht heilen. Ich will sterben“, informierte er sie ernst. „Und das schaffe ich
auch ohne dich.“
Er ließ
sie zurück. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, wie alles in ihrem
Innern ihr erklärte, dass sie einen Fehler beging, aber nichts von diesen
Gefühlen drang an ihre Oberfläche. Sie schob die Sachen beiseite und klopfte
das kleine Kissen auf. Aus ihrer Tasche holte sie die Wolldecke und legte sich
auf die sehr geräumige Couch.
Sie
überschritt ihre Grenzen, das wusste sie. Aber sie würde ihre medizinischen
Fähigkeiten nicht wegen Draco Malfoy anzweifeln. Sie hatte es gesehen. In
seiner Haltung, seinem Blick, als sie in Aven Parks aufeinander getroffen
waren. In der Sekunde, als er sie erkannt hatte.
Er
brauchte Hilfe. Und wenn es niemand sonst sah, dann würde sie es eben tun.
~*~
„Wie wäre es, wenn wir ein eigenes
Unternehmen haben?“
Sie lagen auf dem Rücken. Das kühle
Gras unter sich. Die Nacht war heiß, und selbst unten in den Kellern konnte man
nicht schlafen. Über ihnen funkelten die Sterne, sowie es Sterne nur auf dem
Land zu tun pflegten. Blaise reichte ihm die Zigarette. Draco stand zu
Muggelprodukten eigentlich genauso wie er zu Muggeln generell stand, aber er
nahm Blaise das glühende Stück dennoch ab. Tabak, in Papier gewickelt, mit
einem Filter.
Muggel waren nicht gerade
einfallsreich. Er setzt den Filter an den Mund und zog. Er inhalierte den Rauch
tief und schaffte es fast, einen Ring in die Luft zu pusten.
Er und Blaise hatten sich vor einem
Monat aus Spaß Zigaretten in Hogsmeade in einem Souvenirgeschäft mit
Muggelandenken gekauft.
„Und was soll das für ein Unternehmen
sein? Wie reiche Erben besonders viel Geld eintreiben können?“, wollte Draco
grinsend wissen und reichte Blaise die Zigarette zurück.
„Snape wirft uns bestimmt von der
Schule, wenn er uns entdeckt“, mutmaßte Blaise, aber er grinste dabei. Auch
Draco hatte keine so große Angst, von der Schule zu fliegen. Dann wäre das
Grauen vielleicht endlich mal vorbei. „Denkst du, sie leben noch?“, wollte
Blaise plötzlich wissen und drehte ihm den Kopf zu.
„Wer?“, fragte Draco, wusste aber
ziemlich genau, von wem Blaise sprach. Alle sprachen von nichts anderem mehr. Zwar nicht laut oder auf den Gängen. Aber
heimlich, untereinander, wenn es keiner mitbekam. Kein Lehrer, kein
Hausmeister.
„Wer schon? Potter und so.“
Potter und so… Draco glaubte nicht,
dass sie draußen alleine überleben konnten. Er zuckte im Gras mit den
Schultern.
„Glaubst du, sie kommen wieder?“
Draco zuckte wieder die Achseln.
„Komm schon. Du musst doch-“
„Nein, Blaise“, unterbrach Draco ihn
gereizt. „In meiner freien Zeit denke ich nicht an Potter.“ Und auch das war
gelogen. Er wog oft in seinem Kopf ab, was besser war. In der Wildnis auf sich
allein gestellt, niemandem unterworfen – oder hier zu sein. Als Sohn eines
Todessers. Als Schulsprecher einer verlorenen Schule. Einer Schule ohne
Dumbledore. Ohne jede Hoffnung.
„Nein? An was denkst du dann?“,
wollte Blaise spöttisch von ihm wissen, während er ihm die Zigarette zurück
gab. Draco nahm noch einen tiefen Zug und schnippte sie in die Nacht davon.
„An gar nichts“, erwiderte er
nachdenklich und blies den Rauch nach oben.
„Ja, klar, du Lügner. Vielleicht
denkst du auch an Granger?“, wollte er provozierend wissen, und schon saß Draco
aufrecht im Gras.
„Das nimmst du so was von zurück!“,
fuhr er Blaise an. Dieser lachte auf.
„Oh nein! Mr Malfoy ist heimlich
verliebt! Vielleicht denkst du daran, dass sie mit zwei Kerlen unterwegs ist
und-“
„Jetzt reicht’s!“ Schon waren beide Jungen
auf den Beinen, und Draco stürmte hinter Blaise her.
„Was ist los, Quidditchkapitän?“,
keuchte Blaise lachend, während sie über die Ländereien rannten. „Zu langsam,
um einen Nicht-Quidditchspieler aufzuhalten?“, fügte er hustend hinzu, und
Draco sprintete schneller. Ein riesiges Flutlicht erhellte plötzlich das weite
Grün vor dem Schloss.
„Schüler aus den Betten!“, tönte eine
verstärkte Stimme über das gesamte Gelände.
„Na los! Filch kriegt uns nie!“, flüsterte Blaise und beide Jungen spurteten zurück
zu dem kaputten Fenster im Erdgeschoss, wo das Klassenzimmer für Wahrsagen lag,
durch das sie jeden Abend nach draußen schlichen, wenn die Lehrer es nicht
bemerkten.
…
Seine
Augen öffneten sich träge. Er rieb sich den Schlaf aus dem Gesicht und setzte
sich im Bett auf. Sofort durchzuckte der grelle Schmerz sein Bein. Ein Blick
auf die Uhr sagte ihm, dass es noch vor sechs war.
Granger.
Er
schwang die Beine vorsichtig aus dem Bett, griff blind nach seinem Stock und
hievte sein Gewicht fluchend nach oben.
Er
humpelte lautlos ins Wohnzimmer. Wie schnell sie damals vor Filch geflohen war.
Wie sie jede Nacht vor Filch geflohen waren…. Schmerzhaft war er jetzt wieder
in der Realität.
Er
erreichte das Wohnzimmer, aber sie war nicht mehr da. Ihre mitgebrachten Sachen
lagen noch auf der Couch. Wann war sie gegangen? Wahrscheinlich war sie wieder
im Mungo. Er wusste nicht, wann ihre Schicht dort begann, aber wahrscheinlich
hatte sie nicht einfach frei.
Ein
zusammengefaltetes Pergament lag auf dem flachen Couchtisch. Betont gleichmütig
schritt er zum Tisch. Er lehnte den Stock an den Sessel und faltete es
auseinander.
Bis heute Abend, stand dort. Ihre Handschrift war
säuberlich, akkurat. Eine typische Mädchenschrift. Und er schüttelte stumm den
Kopf. Was war ihr Plan, verflucht? Dachte sie, er wäre heute Abend noch hier?
Doch wohl nicht im Ernst!
Er gähnte
und legte das Papier zurück. Noch drei Stunden, und er und Blaise würden ein
gutes Geschäft machen. Er streckte die Arme über den Kopf. Er würde gleich noch
Klimmzüge machen. Das würde ihn ablenken von der Tatsache, dass er anscheinend
Granger an der Backe hatte, bis… er wusste nicht, wie lange sie ihn nerven
würde.
Aber
anscheinend hatte sie hier geschlafen.
In seinem
Hotelzimmer.
Er atmete
langsam aus und nachdenklich wandte er den Blick nach
draußen. Langsam wurde es hell. Seine Stirn legte sich in Falten. Er konnte in
Sekunden die Abstände berechnen, wann der Schmerz durch seine Glieder zuckte.
Was
kümmerte es sie? Was wollte sie von ihm?
Sie
wollte wiederkommen. Was hatte er an sich, dass ein Schlammblut sich kümmern
wollte? Es war ihm ein Rätsel. Und er würde es nicht soweit kommen lassen.
Ganz
bestimmt nicht.
Sie hatte
die Leine um ihre Hand gewickelt.
„Du hast
ein Essen mit Dean sausen lassen, um dich von Draco Malfoy beleidigen zu
lassen?“ Ginny schritt neben ihr und hatte vor Unglauben den Kopf geschüttelt.
Dann sah sie Hermine wieder an. „Ist er wirklich so reich?“
„Er hat
keinen Geldspeicher in der Stadt“, erklärte Hermine gereizt.
„Nein,
aber… wenn jemand so reich ist, glaubst du nicht, er hätte sich längst um Hilfe
bemüht?“ Hermine zuckte die Achseln.
„Das hat nichts mit Geld zu tun, Ginny.“
„Ach
nein?“ Ginnys Stimme klang spöttisch. „Und was bist du? Seine Sprecherin? Woher
willst du so was wissen? Ich meine, wir finden es lobenswert, dass du deine
Zeit für ihn opferst, aber… auch ein bisschen seltsam“, gestand ihr Ginny ein.
Hermine seufzte auf, während Rufus aufgeregt die Luft schnupperte.
Wahrscheinlich war es die Aufregung seines Tages, dass Kannichenduft in der
Luft lag. Oder was auch immer!
„Ich will
ihm helfen.“
„Warum?“
„Ich…“
Sie wusste es nicht mal. „Vielleicht, weil…“
„Ja?“
Ginny wartete, während sie stumm durch den Park gingen. Die Bäumen hatten
angefangen zu treiben, helle Frühlingsblumen hatte ihre Blüten geöffnet, und
der Tag war eigentlich viel zu schön, um zu grübeln, vor allem, da sie gleich
wieder zurück in die Klinik musste. Ginny war sie nur für eine Stunde mit Rufus
besuchen gekommen.
Denn
Rufus musste heute noch einmal bei Harry und Ginny bleiben. Aber James freute
sich darüber. Und Rufus mochte James. Jungen und Hunde waren… wie füreinander
geschaffen.
„Erhoffst
du dir eine Spende für die Abteilung oder so?“, wollte Ginny grinsend wissen,
und Hermine sah sie empört an. „Oder ist er ein interessantes Objekt, weil du
dreihundert Jahre nach Dämonsfeuer recherchiert hast?“ Hermine ruckte mit dem
Kopf. „Oder findest du ihn sexy? So hilflos und unhöflich und…“
„Ginny“,
unterbrach Hermine sie grinsend. Dann schüttelte sie ratlos den Kopf.
„Sag es
mir. Ich würde es gerne verstehen, Hermine. Niemand ist von Natur aus so gut.“
Hermine konnte ihr keine Antwort geben. Es war jetzt einfach etwas, was sie
machen musste. Sie konnte gar nicht anders.
Aber
erklären konnte sie es nicht.
„Hermine!“
Und sie hob den Blick. Dean kam auf sie zu. Ihre Laune besserte sich. Er sah
sehr schick aus, in dem weißen, gestärkten Kittel. „Hör zu, ich habe großartige
Neuigkeiten. Ich konnte meine Schichten tauschen. Ich habe heute Abend frei!“
Und Hermine spürte, wie ihr innerlich ein Kloß in die Magengrube fiel.
„Heute
Abend?“, wiederholte sie. „Aber… wir hatten morgen gesagt“, wich sie ihm
unsicher aus.
„Ja? Aber ich dachte, je eher desto besser. Ich habe deinen Schichtplan gecheckt,
und du hast dir heute auch eher freigenommen. Also?“ Und Ginny schien es
interessant zu finden, verschränkte die Arme vor der Brust und schenkte Hermine
einen lauernden Blick.
„Ja,
also, Hermine?“, fragte auch Ginny.
Am
liebsten hätte Hermine, wenn Ginny nicht hier wäre.
„Ich…
kann heute nicht, Dean“, erwiderte sie, und es tat ihr so leid. Sein Lächeln
fiel. Es verschwand gänzlich. Die Sonne glitzerte in seinen kupferfarbenen
Haaren, und schlichter Unverstand erschien auf seinen Zügen.
„Warum
nicht?“
„Ich…
habe einen privaten Termin bei einem Patienten“, erklärte sie, während Ginny
leise den Kopf schüttelte.
„Den
ganzen Abend lang?“, wollte Dean ungläubig wissen.
„Dean, ich habe morgen Abend Zeit. Ich verspreche es dir!“ Sie flehte. Und sie
tat es selten. Aber Misstrauen trat jetzt in sein Gesicht.
„Welcher
Patient benötigt bitte deine konstante Aufmerksamkeit? Und wenn es so dringend
ist, wieso ist er dann nicht ohnehin in der Klinik?“
„Es ist
ein Hausbesuch, und bitte, lass es uns auf morgen verschieben“, wiederholte sie
eindringlich. Sie wollte das nicht vor Ginny diskutieren. Aber diese machte
keine Anstalten, zu gehen.
„Hermine,
ich habe meine Schicht getauscht. Heiler Schwartz wird morgen nicht noch einmal
meine Schicht übernehmen. Ich kann heute Abend. Verschieb den Termin mit deinem
Patienten einfach.“ Und sie wusste, er wurde langsam wütend.
„Ich kann nicht.“ Sie hörte Ginny seufzen.
„Wer ist der Patient?“, wollte Dean plötzlich wissen.
„Wer?“, wiederholte sie, um Zeit zu schinden.
„Seinen
Namen. Du wirst den Namen wohl kennen, wo du mich doch für ihn versetzt?“, fuhr
er sie erbarmungslos offen an.
„Malfoy“,
erwiderte sie also, beinahe trotzig, weil er sich auch so kindisch benahm, und
sah, wie Ginny die Augen schloss. Anscheinend hatte Ginny wohl erwartet, dass
sie lügen würde. Aber warum sollte sie? Deans Pupillen wurden schmaler.
„Malfoy? Malfoy, wer?“, fragte er beinahe verständnislos. Hermine atmete
ergeben aus.
„Draco Malfoy. Welcher Malfoy sonst?“
„Ja, das
hatte ich mir gedacht, aber… es ist etwas seltsam, hat er dich doch schließlich
bereits als Schlammblut beschimpft und dich angeblich aus deinem Haus gejagt!
Warst du gestern auch bei Malfoy?“ Er
betonte den Namen, als wäre es eine echte Bedrohung. Als wäre es so etwas, wie…
Konkurrenz? Ginny wirkte auch mehr als schockiert. Sie sah ihn an.
„Er ist
mein Patient, Dean. Er ist lediglich mein Patient. Und ich möchte ihn
behandeln. Ich kenne mich mit dem Thema aus. Es ist eine Herausforderung, aber
ich weiß, dass ich ihm helfen kann.“
„Er wird
sterben, Hermine. Ich verstehe nicht, weshalb du dir die Mühe machst, jemandem
helfen zu wollen, der ein herzloses Arschloch ist!“, entfuhr es Dean, und die
Patienten, die im Park spazieren gingen hatten erschrocken die Blicke gehoben.
„Könntest du leiser sprechen?“, bat Hermine gepresst, und Rufus tänzelte nervös
um ihre Beine herum.
„Warum
sollte ich? Ist es dir unangenehm, wenn Menschen erfahren, dass du es vorziehst
dich von Malfoy beleidigen zu lassen, als mit mir essen zu gehen?“
Sie
verdrehte die Augen und stöhnte auf.
„Dean, bitte!“
„Bitte, was? Hermine, es ist ganz einfach. Lass
mich nicht für Malfoy sitzen. Er ist morgen auch noch am Sterben, wenn du es
denn nicht über dich bringen kannst, den armen, kranken Todesser, der an seinem
Leid selber schuld ist, in seiner reichen Einöde schmoren zu lassen!“
„Ich habe
es versprochen, Dean“, flüsterte sie fast.
„Oh wirklich? Du hast es ihm versprochen?
Was seid ihr? Die besten Freunde? Wenn er ein Patient ist, Hermine, dann wird
er verstehen, wenn du einen Termin verschiebst!“
„Es ist
nicht so einfach!“
„Was?
Natürlich ist es einfach! Du gehst in dein Büro, hockst dich vor den Kamin,
rufst das Arschloch an, und entschuldigst dich für heute Abend.“
„Ich kann
nicht mein Vertrauen mit ihm aufbauen und am zweiten Tag absagen!“, fuhr sie
ihn an.
„Warum
ist dir das wichtig, Merlin noch mal? Du willst mich für jemanden sitzen
lassen, der dich Schlammblut nennt? Vielleicht sollten wir Ginny nach ihrer
Meinung fragen?“, wandte er sich jetzt gereizt an Ginny, die erschrocken den
Blick hob, denn sie hatte vorher heftiges Interesse an einem blühenden Busch
vorgetäuscht.
„Äh… was?“, fragte sie mit einem übertriebenen Lächeln.
„Sollte
Hermine mich für Malfoy sitzen lassen?“, wiederholte Dean hitzig, und Hermine
schloss die Augen.
„Weißt
du… es geht mich wirklich nichts-“
„Ja, ich
weiß. Aber du stehst trotzdem noch hier, oder?“, unterbrach Dean sie scharf. Er
war wirklich gekränkt. Ginny wirkte jetzt ebenso beleidigt und hatte die Arme
vor der Brust verschränkt.
„Oh,
wirklich Dean?“, wollte Ginny herausfordernd wissen, und Hermine fiel wieder
ein, dass Ginny und Dean für einen Monat im sechsten Jahr zusammen gewesen war.
Merlin, war das unangenehm. Gut, dass die meisten Patienten gerade bei der
Krankengymnastik waren! „Willst du dich wieder mit mir streiten? Den Streit
verlierst du ohnehin!“ Hermine beschloss, dieses Thema schnellsten zu
unterbinden, bevor es hässlich wurde.
„Dean,
wenn du so ein Problem mit meinem Patienten und meiner Aufopferung hast, dann
sollten wir das Ausgehen gleich vergessen.“ Und er sah sie plötzlich ernst an,
und schüttelte fast resignierend den Kopf.
„Nein, Hermine. Ich habe ein Problem mit deinem einen Patienten, der nicht mal
dein Patient sein will, und für den du deinen gesamten Abend opfern willst!“,
informierte er sie gepresst.
„Dean,
ich möchte Menschen helfen!“
„Es ist
Malfoy, Hermine!“, entfuhr es Dean haltlos. „Schon vor Jahren hat er in
Presseberichten bekannt gegeben, dass er in Ruhe gelassen werden möchte, dass
er keine Hilfe will. Denkst du, wir hätten nicht alle das große Geld gewittert,
als rauskam, dass der Malfoy-Erbe nur noch ein Jahrzehnt zu leben hat?“ Hermine
starrte ihn an.
„Du bist
widerlich!“
„Und du
bist verrückt geworden! Bezahlt er dich für irgendwelche… Dienstleistungen,
oder-“ Sie schnaubte auf.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Ich kann mir meine Patienten aussuchen,
Dean. Ich muss dich nicht vorher um Erlaubnis fragen! Du bist nicht mein fester
Freund. Du bist nicht mein Ehemann oder mein Vorgesetzter!“, rief sie wütend,
und Deans Ausdruck wurde finster.
„Nein, ich bin nicht dein Freund. Dazu müsstest du nämlich mit mir ausgehen, Hermine!“ Und er hatte sich
von ihr abgewandt, ohne Abschied. Sie sah ihm nach, Tränen in den Augen.
„Ich
mochte Dean“, bemerkte Ginny kleinlaut. Hermine warf ihr einen bösen Blick zu.
„Nicht für mich, natürlich“, ergänzte sie eilig. „Er ist ein wirklich
gutaussehender Heiler. Und ein Muggel noch dazu. Aber Hermine entscheidet sich für
Draco Malfoy“, ergänzte Ginny kopfschüttelnd mit Grabesstimme.
„Ich entscheide mich nicht für
Malfoy“, knurrte Hermine aufgebracht.
„Weißt
du, Dean war damals genauso wütend, als Harry Interesse für mich bekundet hat. Aber
da hatte er mit seiner Sorge auch irgendwie recht gehabt“, fuhr Ginny
nachdenklich fort. Hermine sah sie an.
„Niemand bekundet für mich Interesse, Ginny. Das ist absurd“, erklärte sie
trocken.
„Ja, im
Moment scheint sogar Dean abgeneigt“, bemerkte Ginny und traf den Nagel auf den
Kopf. Hermine war sauer auf sich selbst. Und auf Dean. Und auf Ginny. Und auf
Draco Malfoy. Rufus jaulte leise zu ihren Füßen.
„Du nicht
auch noch!“, fuhr Hermine ihn mahnend an und zog ihn an der Leine weiter.
~*~
„Er ist
nicht da?“, entfuhr es ihr, mehr als zornig. „Wo ist er?“
„Mr Malfoy hat heute Morgen ausgecheckt. Das sollten Sie als seine persönliche
Heilerin doch wissen, nehme ich an?“, erkundigte sich die Hexe hinter dem
Tresen glatt, mit einem falschen Lächeln.
„Lagen
noch weitere Sache im Zimmer?“, fragte sie, anstatt auf die Worte der Hexe
einzugehen.
„Ich bin
nicht das Zimmermädchen, also woher sollte ich das wissen? Der Concierge jedoch
hat behauptet, Sie hätten das Hotel erst heute Morgen wieder verlassen? Welche
Privatheilerin bleibt über Nacht?“, wollte sie mit einem dreisten Lächeln
wissen, und Hermines Ausdruck wurde finster.
„Ich
denke, es geht Sie überhaupt nichts an. Ich hoffe, Sie verdienen sehr wenig
Geld, bei dem schlechten Job, den Sie hier machen!“, fügte sie aufgebracht
hinzu und erntete einen sauren Blick von der Tresenhexe.
„Am besten verlassen Sie unser Hotel, Miss. Wir behalten uns vor, jeden, der
uns nicht passt, nicht zu bedienen“, erklärte sie hochnäsig, und Hermine wandte
sich schnaubend um.
Nicht zu
bedienen! Pah! Hermine wollte überhaupt nicht bedient werden!
Und sie
verließ das Hotel, stand wieder auf der belebten Winkelgasse und wandte sich
nach rechts. Das Problem an reichen Unternehmen war, dass sie nur zu leicht zu
finden waren. Auf einer Plakattafel prangte nämlich bereits das freundliche,
bewegte Bild von Blaise Zabini, der für ihr Unternehmen warb. Die Malfoy Group kaufte anscheinend Firmen
an, die kurz vor der Pleite standen und ließ es als großzügige Tat erscheinen.
Ihr Ausdruck wurde noch finsterer als sie sich in Bewegung setzte.
Und wehe,
er hatte ihre Bücher weggeworfen! Oh, sie war wütend auf ihn. Und nicht, weil
er krank war. Nein, weil er ein Arschloch war. Und weil sie wegen ihm Streit
mit Dean hatte! Und überhaupt! Sie schob sich durch die Menschenmengen, während
sie von kleinen Kindern erkannt wurde. Die Kinder in Hogwarts nahmen im ersten
Jahr nämlich bereits die Geschichte des Kriegs durch. Zwar nicht in allen
Einzelheiten, aber jedoch so viel, dass alle Kinder wussten, dass Harry Potter
zwei beste Freunde hatte.
Und
normalerweise wurde sie gerne von Mädchen angehalten, angesprochen, gab gerne
ihr Autogramm und war das perfekte weibliche Idol, aber heute nicht! Heute war
sie schlecht gelaunt. Und sie bog um die nächste Kreuzung. Das Gebäude war ein
Eckhaus. Die Fenster waren dunkel verspiegelt, und es erweckte einen höchst
seriösen Eindruck.
Die Türen
waren ebenfalls verblendet und kein uniformierter Zauberer hielt ihr die Tür auf.
Sie schwangen leicht zur Seite, und Hermine fand sich in einer sehr sterilen,
modernden Eingangshalle wieder.
Streng
frisierte und elegant gekleidete Hexen huschten an ihr vorbei, die Arme beladen
mit Akten und Ordnern. Die Theke war glatt poliert, und eine junge, blonde Hexe
mit einer goldumrandeten Brille blickte desinteressiert zu ihr empor.
„Ich möchte zu Mr Malfoy“, erklärte Hermine knapp angebunden. Die Stirn der
Hexe runzelte sich verblüfft und auch ihre Kollegin hob den gelangweilten Blick
von ihrem Kreuzworträtsel.
„Sie möchten was? Sie meinen bestimmt Blaise Zabini“, korrigierte die Hexe sie
freundlich, mit einem Kopfschütteln, was ein wenig nachsichtig wirkte. Hermine
mochte es nicht, wenn man ihre Worte anzweifelte.
„Nein, Miss. Ich möchte zu Draco Malfoy. Ich möchte zu dem wahrscheinlich
schlechtgelauntesten Mann in diesem Gebäude. Nicht zu Blaise Zabini, nicht zu
Malfoys Mutter. Zu keinem Vertreter. Ich möchte gerne zu Draco Malfoy, dem
humpelden Mistkerl.“
Und
üblicherweise blieb Hermine höflich. Aber heute musste sie zugeben, fiel es ihr
etwas schwer. Vor allem, nach dem sich der junge Thomas Harkiss über ihre neuen
Schuhe übergeben hatte, weil ihm von ihrer Routine-Spritze gegen Griselkrätze
schlecht geworden war und sie nun in ihren Arbeitsturnschuhen hier auftauchen
musste.
Und die
Hexen sahen sie so verblüfft an, als hätte sie drei Schrumpfköpfe auf ihren
Schultern, anstatt ihres richtigen Kopfes.
„Sie sind Hermine Granger. 17 waagerecht“, sagte die andere Hexe plötzlich, hob
ihre Hexenwoche höher, und Hermine erkannte ein bewegtes Miniaturbild von sich
in der Mitte eines magischen Kreuzworträtsels. Sie unterdrückte ihre Wut und
nickte knapp.
„17
waagerecht nennen mich meine Freunde“, gab sie lakonisch zurück, und die Hexen
warfen sich einen amüsierten Blick zu.
„Sie wollen zu Draco Malfoy? Gehen Sie den Gang entlang, das Zimmer gerade aus,
mit den zwei Flügeltüren“, erklärte die Hexe höflicher, und Hermine wunderte es
nur kurz, dass sich beide Hexen sofort erhoben, als Hermine losging. Sie kamen
um den Tresen herum und starrten ihr nach. Hermine hörte sie tuscheln.
Wahrscheinlich
zettelte sie in dieser Firma gerade einen handfesten Skandal an. Aber auch das
war ihr heute egal. Heute war sie Malfoys Heilerin. Und er verhielt sich wie
ein kleines Kind.
Sie
zögerte kurz, ob sie klopfen sollte, hob ihre Hand und entschied sich keine
Sekunde später dagegen. Sie drückte die Klinke der Flügeltüren hinab, stieß sie
auf, und betrat das riesige Büro. Das Parkett hier war dunkel, Yucca Palmen
wuchsen links und rechts neben ihr empor, und zwei Schreibtische standen schräg
zu einander in beiden Seiten des Raumes.
An dem
einen saß Blaise Zabini, und seine Feder sank in milder Überraschung in seiner
Hand, als er sie erkannte. Am anderen Schreibtisch saß das Objekt ihres Zorns.
Und er betrachtete sie ausdruckslos.
„Raus!“,
sagte er lediglich, ehe er den Blick unbeeindruckt wieder in seine Unterlagen
vor sich vertiefte. Sie schloss die Türen hinter sich und warf einen entnervten
Blick in den Flur, in dem sich wohl die gesamte Belegschaft der Firma
versammelt hatte.
Sie
durchschritt das Büro und baute sich vor seinem Schreibtisch auf. Sie sah, wie
Zabini sich gespannt in seinem Stuhl zurücklehnte. Es störte sie nicht, dass er
hier war und sie beobachtete.
„Miss
Granger, sofern Sie kein Unternehmen haben, was nahe dem Bankrott steht, muss
ich Sie auffordern dieses Gebäude zu verlassen“, erklärte Malfoy, ohne sie
anzusehen.
„Haben Sie meine Bücher weggeworfen?“
Sie griff
seinen höflichen Ton auf. Er konnte sie mit Distanz nicht schocken. Sie war
Heilerin verflucht. Eiternde, blutende und Lava schießende Furunkel konnte sie
nicht schocken!
„Was?“,
fragte er, ehrlich verwirrt, aber sein Ausdruck war gequält. Sie kannte den Ausdruck
der Menschen, die jeden Tag, jede Sekunde ihres Daseins, von Schmerzen geplagt
wurden. Und sie hasste Malfoy dafür, dass sogar er ihr Helfersyndrom in ihr
erweckte.
„Meine Bücher. Meine Sachen. Die Tasche, die ich gestern mit in Ihr Hotelzimmer
gebracht habe. Erinnern Sie sich? Ich habe auf der Couch geschlafen, nachdem
Sie sich entschlossen haben, sich zu betrinken, um meine Stimme auszublenden?“,
erinnerte sie ihn scharf und hörte Blaise Zabini amüsiert die Luft einziehen.
„Ich
erinnere mich dunkel. Was wollen Sie von mir?“
„Ich will
wissen, wo meine Sachen sind“, begann sie ruhig.
„Ich nehme an, das Personal des Hotels wird sie entsorgt haben“, erwiderte er
mit der gleichen Ruhe. Das hatte sie von ihm erwartet gehabt. Natürlich.
Arschloch.
„Wie zuvorkommend von Ihnen“, entgegnete sie mit einem bitteren Lächeln.
„Wenn das alles wäre?“ Sein Blick drohte sich wieder zu senken.
„Oh nein. Wo denken Sie hin?“, unterbrach sie ihn zuckersüß. „Sie werden jetzt
aufstehen. Und Sie werden jetzt mit mir kommen“, erklärte sie, und hörte Zabini
in die Hände klatschen.
„Bravo,
Miss Granger. Ich sollte die Fenster und Türen öffnen, damit ganz London Ihnen
zusehen kann.“
„Das
lässt du bleiben!“, knurrte Malfoy sofort, aber sie ignorierte Zabini
entschlossen. Und sie umschritt seinen Schreibtisch ohne zu zögern. Seine
Augenbraue hob sich entsprechend.
„Mr Malfoy, ich bin Ihre Heilerin, und Sie werden jetzt aufstehen“, informierte
sie ihn fest.
„Verpiss dich, Granger“, gab er gleichgültig zurück, und sie zog ihren
Zauberstab. Überrascht sah er sie an. „Eine Bewegung, und ich werde-“ Aber er
schüchterte sie nicht ein. Stumm führte sie den Wingardium Leviosa aus, und sein Schreibtisch erhob sich in die
Luft. Hastig wich er auf seinem Stuhl nach hinten aus, als sie seinen
Schreibtisch einige Meter weiterschweben ließ, und ihn wieder auf den Boden
setzte. „Verrücktes Miststück“, ergänzte er entsetzt und starrte sie an.
„Wenn Sie nicht wollen, dass ich den gleichen Zauber bei Ihnen anwende, werden
Sie jetzt aufstehen!“, erklärte sie erbarmungslos und entwaffnete ihn in der
Sekunde, in der er seinen eigenen Zauberstab zog.
„Blaise, wenn du sie nicht sofort außer Gefecht setzt, bist du entlassen!“,
drohte Malfoy jetzt Zabini, aber sie schloss den Abstand zu ihm, so dass er zu
ihr aufsehen musste.
„Aufstehen, Malfoy“, wiederholte sie den Befehl.
„Fick dich, Granger!“, spuckte er zurück, und stumm riss ihr nächster Spruch
ihn aus dem Stuhl, so dass er fluchend auf die Beine kam. „Du bist-“
„Halt deinen Mund, Malfoy. Du wirst dir helfen lassen, und wenn ich dich aus
deinem Büro schweben lassen muss!“
„Zabini!“,
schrie er zornig, aber Blaise blieb ernst an seinem Schreibtisch sitzen. „Du
bist gefeuert, ich hoffe, das ist dir klar?“, erkundigte sich Malfoy eisig bei
seinem Partner.
„Glasklar“, erwiderte Blaise jedoch relativ unbeeindruckt. „Aber das hier war
es mir mehr als wert“, ergänzte er leise. Hermine wusste nicht, ob Malfoy diese
Kündigung ernst meinte, aber jetzt gerade hatte sie das Problem, dass Malfoy
sie mehr als tödlich fixiert hatte.
„Wieso wendest du nicht einfach den Avada
an und erlöst mich von diesem Scheiß?“, wollte er sehr zornig von ihr wissen.
Sie hielt den Zauberstab auf ihn gerichtet, denn im Augenblick zweifelte sie
nicht daran, dass er grobe Gewalt anwenden würde, würde sie ihn senken.
„Wir werden jetzt gehen“, informierte sie ihn still. Er sah sie ungläubig an.
„Was soll das, Granger? Was willst du von mir? Ich habe dir schon gesagt,
dass-“
„Halt deinen verdammten Mund, ja? Du wirst mit mir kommen. Ich habe es satt.
Ich will dir genauso wenig helfen, wie du es möchtest, aber ich kann nicht
anders. Du wirst dich jetzt bewegen, denn ich will dir die Demütigung ersparen,
dich schweben zu lassen, Malfoy.“ Und er sah sie voller Verachtung an.
„Ich denke, die Demütigung in Begleitung eines Schlammbluts gesehen zu werden,
ist wesentlich schlimmer“, erwiderte er kalt. „Du kannst mich zu gar nichts
zwingen!“
Und jetzt
platzte ihr der Kragen. Wie konnte er sturer sein als der geisteskranke fünfundachtzigjährige
Mr Lark, der kein Bad mehr nehmen wollte, weil er glaubte, Schaumzwerge würden
an seinen Beinen knabbern? Und sie griff in sein Hemd. Und damit schien er
nicht gerechnet zu haben. Sein Blick senkte sich auf ihr Gesicht. Seine grauen
Augen dunkel vor Zorn.
„Du
willst nicht mitkommen. Ich gehe nicht ohne dich. Also beginnen wir die
Behandlung hier, und dein Kollege kann zusehen, oder du kommst mit mir und du
ersparst dir deine Arschloch-Show.“ Und er sah sie immer noch an.
„Es ist keine Show, Granger“, knurrte er ungehalten, mit einem freudlosen
Lächeln, und sie hielt den Blick unverwandt auf ihn geheftet.
„Du
willst das so, richtig? Du vertraust keinem? Nicht mal dir selbst?“, knurrte
sie, und mittlerweile hatte sie jede freundlich, höflich-distanzierte
Heiler-Patienten-Methode weit hinter sich gelassen. „Ich hasse Demonstrationen,
Malfoy, aber wenn du ein stures Arschloch sein willst, lässt du mir keine
Wahl!“
„Ich habe
dich nie-!“, begann er aber sie zog den Zauberstab und presste ihn gegen sein
Bein. Er schrie auf vor Schmerz, sank nach vorne gegen sie, und sie musste die
Augen schließen, um sich zu konzentrieren. Jetzt hörte sie, wie Blaise sich
doch erhob.
„Deminuitur“, flüsterte sie, spürte,
wie sich sein Schmerz durch ihren Zauberstab mit ihrem Körper verband, und sie
spürte, wie sich ihr Zauberstab die Kraft und Energie aus ihrem eigenen Körper
zog. Nicht viel. Vielleicht die Energie von fünf gesunden Stunden, aber sie
wurde augenblicklich schlapp, hielt sein Gewicht hartnäckig. Sie hatte alle
Thesen über diesen Zauber verfasst, wusste, dass ein gesunder Mensch einem
kranken, einen Teil seiner Tagesenergie praktisch schenken konnte, um die
kranken Zellen im kranken Körper zu verdrängen, zwar nicht zu zerstören, aber
zu verdrängen.
Und sie
spürte Malfoy heißen Atem an ihrem Hals, spürte, seine Hände, die sich an ihre
Schultern klammerten, und dann riss sie mit aller Kraft den Zauberstab zurück
und unterbrach den Zauber. Sie spürte feine Schweißperlen in ihrem Nacken. Sie
standen auch auf seiner Stirn, als er keinen Zentimeter von ihrem Gesicht
entfernt in ihre Augen blickte.
„Was zur Hölle…?“, flüsterte er heiser. Kurz schien er in ihren Augen zu
versinken. Seine grauen Augen verengten sich vor Verwunderung, und sein Mund
öffnete sich einen Spalt. Sie sah, dass sein Zorn verraucht war.
„Draco?“,
hörte sie Blaise besorgt neben sich, und Malfoy wich vor ihr zurück. Die Farbe
war in sein Gesicht zurückgekehrt. Seine Stirn war glatt, nicht mehr in Falten
gelegt, und der Schmerz war aus seinem Blick verschwunden. Er ignorierte Blaise
und sah sie an.
„Was hast
du getan?“, flüsterte er, und es klopfte gegen die Flügeltüren.
„Mr
Malfoy?“, hörte sie besorgt eine Stimme fragen, aber niemand reagierte.
„Das
nennt man Kräftetausch“, erklärte sie müde, und musste sich an der Wand hinter
sich stützen. „Du hast jetzt meine Energie. Einen Teil davon“, ergänzte sie und
fuhr sich erschöpft über ihr Gesicht. Er hob sein Bein vom Boden hoch.
„Das… ist
unmöglich“, sagte er plötzlich,
schüttelte den Kopf und lehnte sich probeweise mit seinem gesamten Gewicht auf
sein rechtes Bein. Dann sah er sie wieder an. „Es tut nicht weh. Nicht mal
unterschwellig wie bei den Linderungszaubern!“, fügte er verblüfft und wohl
eher für sich selbst hinzu.
„Nein, es
ist ein effektiver Zauber. Ich habe es dir vorher schon gesagt. Und du
befindest dich in einem Stadium, wo es wirklich ein wirksamer Zauber sein
könnte, wenn man ihn täglich ausführt. Es bringt dir fünf bis zehn Jahre mehr“,
erklärte sie und musste die Augen schließen. Es zerrte doch etwas an ihr. „Dein
Gewebe ist noch nicht beschädigt, oder abgestorben. Das Gift in deinem Innern
beschränkt sich auf dein Bein. Du bist relativ gesund. Dein Körper kämpft noch
immer gegen das Gift. Denn egal, was dein Kopf denkt, dein Körper hat noch
nicht aufgegeben.“
„Mr
Malfoy?“, hörte sie wieder die besorgte Stimme, nur lauter.
„Es ist alles in Ordnung!“, rief Blaise gereizt. Schritte entfernten sich
hastig von der Tür, und Hermine hörte lautes Getuschel auf dem Flur.
„Und
jetzt möchte ich, dass du mitkommst, denn…“ Sein Kopf verschwamm vor ihrem
Sichtfeld, schien sich zu verdoppeln und sie musste heftig blinzeln. Sie sah
noch, wie sich seine Stirn in Falten legte, bevor sie das Bewusstsein verlor.
Verdammt, hätte sie sich doch
hingesetzt…,
überlegte sie noch, bevor sanftes Schwarz sie einhüllte.
Nachdenklich
saß er auf dem Sessel, versunken in Gedanken. Er sah nach draußen in den
Garten, sah die Pfauen stolzieren, die Elfen schuften und Wolken hatten sich mittlerweile
vor die Frühlingssonne geschoben. Was wirklich faszinierend war, war, dass er
das rechte Bein über das linke geschlagen hatte. Und er spürte keinen Schmerz.
Er spürte nichts.
Es war…
als hätte er nie Schmerzen gehabt. Zumindest, als hätte er nie Schmerzen
gespürt.
„Es war
nur die Erschöpfung, Mr Malfoy“, fasste Heiler Schwartz seine Untersuchung
zusammen, während er seine Tasche packte. „Ich habe ihr einen Beruhigungszauber
gegeben, ich nehme an, sie wird in der nächsten Stunde aufwachen. Sie hat sich
etwas überschätzt. Wie ich sehe aber erfolgreich“, fügte der Heiler mit einem
Blick auf Dracos Haltung hinzu.
„Anscheinend“,
erwiderte Draco tonlos.
„Möchten
Sie, dass Miss Granger abgeholt wird? Ein Krankentransport kann sie auch ins
Mungo befördern.“ Und Draco hob den Blick zum Gesicht des Heilers, der auf eine
Antwort wartete.
„Nein“,
sagte Draco schließlich und wandte den Blick wieder nach draußen. Der Heiler
sah ihn ausdruckslos an. Draco vernahm zumindest keine Regung im Gesicht des
Mannes. Ja, er hatte sie nach Malfoy Manor gebracht. Er hatte nicht ins Mungo gewollt, hatte dort nicht Aufsehen erregen wollen,
weil er anscheinend ein erfolgreiches Projekt qualifizierte. Es waren dumme
Gedanken gewesen, aber jetzt war es ohnehin zu spät. Jetzt war sie hier.
„In
Ordnung. Sorgen Sie dafür, dass sie ausreichend trinkt“, fügte der Heiler
hinzu. Seine Stimme verriet, dass er Draco nicht traute. „Ansonsten einen
schönen Tag noch.“ Draco gab demselben Heiler wiederholt einen Beutel Galleonen
dafür, dass er einen Privatbesuch unternommen hatte. Der Heiler schien noch
einiges mehr sagen zu wollen, nahm jedoch schweigend den Beutel entgegen und
verließ das Gästezimmer in Malfoy Manor.
Draco
erlaubte sich, den Blick vom Fenster abzuwenden und über ihre schmale Figur
gleiten zu lassen, die praktisch im riesigen Gästebett versank. Die Elfen
hatten bereits ein Tablett mit verschiedenen Brotsorten, Aufstrich, eine Kanne
Tee und Saft gebracht. Sie wirkte friedlich, wenn sie schlief. Nicht so
aufbrausend und besserwisserisch. Probeweise bewegte er das Bein, streckte es
weit von sich und konnte nicht aufhören, fasziniert über diese Wirkung zu sein,
die nun seit über vierundzwanzig Stunden nicht an Kraft verloren hatte.
Dafür
hatte sie Granger fast einen Tag außer Gefecht gesetzt.
Er lehnte
seine Finger aneinander, und ohne Schwierigkeiten, Schmerzen oder Zögern erhob
er sich aus dem Sessel, als wäre er ein junger Mann, der er ursprünglich
gewesen war. Er setzte sich vorsichtig auf die Bettkante. Mit einer steilen
Falte zwischen den Augenbrauen betrachtete er ihr blasses Gesicht. Kein Muskel
war angespannt. Die vollen Lippen waren trocken, ihre Locken lagen wie ein
Fächer um ihren Kopf und nur eine hatte den Weg in ihr Gesicht gefunden.
Und er
fand sich selber an Grangers Seite sitzend fasziniert mit sich wieder, wie er
die Hand hob und die Locke sanft zwischen seine Finger nahm. Er steckte sie
vorsichtig hinter ihr Ohr.
Sie
duftete nach Vanille, nach Rosen, nach… etwas Fruchtigem. Er konnte es nicht
bestimmen. Ohne die Schmerzen hatte er tatsächlich Zeit sich auf etwas anderes
als sich selbst zu konzentrieren.
Er sah,
wie sich ihre Stirn kurz kräuselte. Sie wachte auf.
Ihre
Augen zogen sich zusammen, bevor sie die Lider blinzelnd öffnete. Ihre braunen Augen
waren nicht mehr zornig. Und dann erkannte sie ihn. Ernst sah er auf sie hinab.
Und tatsächlich überraschte ihn dieses Mädchen in seinem Haus.
„Tut es
weh?“, fragte sie heiser, und er konnte nicht wirklich glauben, dass sie sich
bei ihm erkundigte, wie es ihm ging, wo sie diejenige war, die bewusstlos in
einer fremden Umgebung aufwachte.
„Nein“,
erwiderte er also, und ersparte sich vorerst seinen Vortrag, was für ein dummes
Miststück sie war, sich so in Gefahr zu bringen.
„Nicht?
Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie, setzte sich auf, und sah sich
erstaunt um. „Und… wo habe ich
geschlafen?“ Sie sah ihn an, während sie sich die wilden Locken aus dem Gesicht
schob. Er beobachtete sie dabei.
„Malfoy
Manor“, erklärte er, und sie hob die Augenbrauen.
„Du hast
mich mitgenommen?“
„Ich
hätte dich schlecht in meinem Büro liegen lassen können, oder? Glaub mir, das
wäre erheblich einfacher gewesen, Granger“, fügte er bitter hinzu. Ihr Blick
wirkte wieder verschlossen, und fast tat es ihm schon leid, die Worte gesagt zu
haben. Fast.
„Es ist
also immer noch in Ordnung?“, erkundigte sie sich. „Das ist großartig! Wir
können es heute Abend direkt noch einmal-“
„Nein!“, unterbrach er sie und erhob sich von der Bettkante. Und wie leicht es
ging! Wo war sein Stock doch gleich? Er wusste es nicht mal! Sie sah ihn an.
Verstört, und er konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. „Du glaubst doch wohl
nicht wirklich, dass ich dich jeden Morgen hier im Bett liegen haben möchte,
oder? Du wirst nicht jeden Tag-“
„Malfoy,
das war einfach ein Versehen!“, unterbrach sie ihn sofort. „Ich habe mich
verschätzt. Es war einfach etwas zu viel von-“
„Nein!“, wiederholte er wieder. Ernster als vorher. „Du wirst das nicht noch
einmal machen.“
„Aber…
deine Schmerzen sind weg. Mir geht es gut. Es war-“
„Eine einmalige Sache, Granger. Ja, es fühlt sich verflucht fantastisch an,
aber die Schmerzen werden wieder kommen, und dann… dann bin ich davon abhängig,
ob du in meinem Büro in Ohnmacht fällst? Nein. Das mache ich nicht.“
Kurz schwiegen
sie. Sie sah ihn sogar wieder zornig an. So zornig, wie er es schon von ihr
gewöhnt war. Merlin! Er war etwas von Granger gewöhnt.
„Warum
nicht?“
Hatte sie
ihm nicht zugehört, das Miststück?
„Das habe
ich dir erklärt“, gab er zurück. „Sie dich an! Was nützt meine Heilung, wenn
du…“ Er unterbrach sich. Es war ihm verflucht egal, ob sie sich schlecht
fühlte, ob sie Schmerzen hatte. Aber er wollte nicht dafür verantwortlich sein.
Er fühlte sich nicht schuldig, aber… er wollte nichts mit einem fremden Leben
zu tun haben.
„Es hat
aber funktioniert!“, beharrte sie stur, und er stöhnte gereizt auf.
„Granger!“, rief er zornig. „Du hast keinen Grund, dir so etwas anzutun!“
„Ich weiß das! Aber du wirst sterben!“
Wieder
sahen sie sich an.
„Das ist eben so“, rang er sich ruhiger ab. „Es kann dir egal sein.“
„Es ist
mir auch egal!“, erwiderte sie genauso bockig wie vorher. Er atmete angestrengt
aus.
„Gut“,
erwiderte er.
„Aber du müsstest keine Schmerzen haben!“, erklärte sie kleinlaut, aber
trotzdem stur.
„Granger,
ich verzichte darauf, keine Schmerzen zu haben, wenn dieses Gefühl von dir abhängig ist!“, entfuhr es ihm
zornig.
Und diese
Stille war anders.
Er fühlte
es. Und er sah es sofort. Ihr Ausdruck wurde härter. Er hatte sie verletzt. Und
sie schob die Decke zurück und kletterte aus dem Bett. Er fuhr sich durch die
Haare. Fuck! Er hatte nicht vorgehabt, zu schreien. Er hatte wirklich nicht
vorgehabt, zu schreien! Was er hatte tun wollen, war, sich das erste Mal in
fast zwanzig Jahren bei jemandem zu bedanken, aber das war ja wunderbar
danebengegangen.
„Wo sind
meine verfluchten Sachen?“, schnauzte sie ihn an, und er riss sich zusammen,
schritt auf sie zu – und es ging ohne Stock, ohne Stolpern, ohne Humpeln.
„Ich habe
es nicht so gemeint, ich-“, begann er gereizt, aber sie schüttelte den Kopf, so
dass ihr Locken über ihre Schulter flogen.
„Vergiss es. Ich will es nicht hören! Wo sind meine Sachen, du scheiß
Arschloch?“, schrie sie, und er zwang sich, einzuatmen, presste die Zähen
aufeinander und umfing ihre Schultern.
„Halt die
Klappe, du dummes Miststück!“, knurrte er, und wusste, er würde es niemals
schaffen, auch nur ein nettes Wort zu ihr zu sagen!
„Lass
mich los, du undankbarer Scheißkerl!“ Ihr Blick war tödlich. Und er sah ihre
Tränen. Er kannte sich nicht wirklich damit aus, denn es war lange her, dass er
jemand anderen als seine Mutter zum Weinen gebracht hatte, aber es fühlte sich
nicht gerade herausragend gut an.
„Merlin, halt
endlich den Mund! Du solltest etwas essen, verflucht!“
„Ich habe keinen Hunger!“ Sie wehrte sich gegen seinen Griff. „Ich hoffe, die
Schmerzen kommen sehr schnell zurück!“, flüsterte sie tränenerstickt, aber er
sah, dass sie es nicht so meinte. Merlin, er konnte hören, dass sie es nicht so
meinte! Sie sollte es gefälligst so meinen!
„Das
hoffe ich auch, dann kann ich ziemlich schnell vergessen, wie es sich angefühlt
hat. Eigentlich sollte ich dich verklagen dafür, dass du falsche Hoffnungen
erweckst, du elendes Schlammblut.“ Er konnte nur verletzen, dann würde er das
jetzt auch einfach tun. Es war wohl sowieso die sichere Art, sie loszuwerden,
als wenn er sich bedanken würde! Bedanken!
Was für eine absurde Idee von ihm!
„Oh, fick
dich, Malfoy!“, flüsterte sie, und die erste Träne fiel auf ihre Wange. Und
etwas reagierte in ihm. Etwas, dass er seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt
hatte. Es war ihm zuerst nicht aufgefallen. Er hatte es als Nebenwirkung
abgetan, hatte es falsch gedeutet, aber mit dem Verlust der Schmerzen kam etwas
ganz entscheidendes zurück.
Fuck. Und jetzt?
Er
spürte, wie er ihre Schultern fester drückte, wie sie vor Schmerz die Luft
einzog. Sein Atem hatte sich beschleunigt, Leben schien ihn praktisch zu
durchfluten, und er schüttelte benommen den Kopf, denn all sein Blut rauschte
auf einmal mit einer immensen Geschwindigkeit nach unten in tiefere Regionen,
über die er seit Jahren nicht mehr nachgedacht hatte.
„Fuck…“, murmelte er, denn sein Blick
verfing sich an ihrem Mund. Sie sagte irgendetwas, aber war es wirklich
wichtig, was sie sagte? Denn Draco Malfoy hatte seit zwölf Jahren wieder eine
Erektion, und es war verflucht fantastisch.
Er hörte
seinen Puls in seinen Ohren hämmern, und er blendete ihre Stimme aus. Er nahm
ihren Körper plötzlich offensichtlicher war, ihre Windungen unter ihm, und ihm
wurde bewusst, dass sie eines seiner Shirts anhatte. Der Heiler hatte ihr
gestern ihre Kleidung ausgezogen, und er war nicht mal so höflich gewesen,
einen Pyjama seiner Mutter zu suchen.
Sie hätte
für ein Schlammblut wahrscheinlich sowie keinen übrig gehabt, aber er bereute
jetzt ziemlich heftig, dass sie nur sein weißes Trainingsshirt anhatte.
Kurz
schloss er seine Augen, schluckte schwer, und bemerkte, dass sie aufgehört
hatte, zu sprechen. Er öffnete die Augen wieder, nur um wieder auf ihren Mund
zu starren.
„-hörst
du, Malfoy?“, fing er ihre letzten Worte auf, und sein Blick hob sich langsam
von ihren Lippen zu ihren dunklen Augen. Er sah, wie ihr zorniges Gesicht jeden
Ausdruck verlor. Ihre Augen waren plötzlich sehr weit aufgerissen, als hätte
sie erraten, was er dachte. Konnte sie das? War es ihm ins Gesicht geschrieben?
„Malfoy-?“, begann sie heiser, aber er ließ von ihrer Schulter ab und hatte die
Hand zu ihren Lippen gehoben, strich mit dem Daumen über ihre volle Unterlippe,
und sie blinzelte erschrocken.
Er wusste
nicht, woher die plötzliche Erregung gekommen war. Und sie hätte jetzt
wahrscheinlich auch die hässlichste Hexe ganz Londons sein können – und ein
Schlammblut war nicht weit davon entfernt –, aber sein Körper reagierte
nichtsdestotrotz.
Seine
Hand legte sich probehalber um ihren Nacken, sein Daumen strich über die weiche
Haut ihres Kiefers, und sie sah ihn fast ängstlich an. Er zwang ihren Kopf
sanft nach hinten, und bevor sich ihre Hände in einem plötzlich realisierenden
Impuls zu seiner Brust heben konnten, überwand er den Abstand.
Er
musste, er konnte nicht anders! Das Verlangen war übermächtig, seinen Mund auf
ihre geschwungenen, protestierenden, wütenden Lippen zu pressen. Der Funke war
längst übergesprungen, und seine wiedererwachte Erektion pochte in voller,
ungeduldiger Länge gegen den Reißverschluss seiner Hose.
Fuck! Fuck, fuck, fuck! Wie sich das
anfühlte! Wie sie sich anfühlte!
Seine Augen
schlossen sich in derselben Sekunde, und sie quietschte gegen seine Lippen.
Dass sie beide Hände gegen seine Brust gestemmt hatte, gab ihm genügend Zeit,
seinen Arm um ihre Taille zu legen, sie an sich zu pressen, und als ihr
weicher, spärlich bekleideter Körper gegen seinen Schwanz drückte, stöhnte er
ungehalten gegen ihre Lippen. Ihr Mund öffnete sich, bereit zu schreien, aber
er nutzte auch diesen Fehler von ihr aus, und seine Zunge glitt hungrig
zwischen ihre Lippen, und ihr Schrei verstummte abrupt.
Sie war
gerade aufgewacht, schmeckte noch nach Schlaf, doch es war ihm so herrlich
egal, denn sein Arm presste sie fester an sich, und seine Finger krallten sich
unsanft in ihre Locken, um diese nach unten zu ziehen und sie zu zwingen, ihn ihren
Mund weiter erkunden zu lassen, seine Zunge immer wieder in die Hitze ihres
Mundes zu stoßen, ihre Zunge mit seiner zu reizen, zu massieren, zu umkreisen,
über ihre Zähne zu fahren, und er wollte nicht mal atmen!
Sie hatte
verzweifelt ihre Hände zu seinem Kopf gehoben, hatte in seine Haare gegriffen
und zog mit aller Kraft. Aber ein Grollen verließ lediglich seine Lippen, und
seine Erektion pulsierte härter in seiner Hose.
Fuck!
Damit hatte er nicht gerechnet. Absolut nicht! Und jetzt war er überfordert!
Und er konnte nicht aufhören. Er wüsste nicht, wie er aufhören sollte. Er hatte
jetzt beide Arme um sie geschlungen, hob sie vom Boden hoch, und erschrocken,
hörte sie auf an seinen Haaren zu ziehen, und hielt sich nun an seinen
Schultern fest. Er löste den Kuss nicht eine Sekunde, und krachte mit ihr gegen
den hohen Pfosten des Bettes. Er stieß seine Zunge erneut in ihren heißen Mund,
und dieses Mal stieß ihre Zunge gegen seine, versuchte sie zu verdrängen, und
es erregte ihn umso mehr. Er lehnte sie gegen den harten Pfosten, und seine
Hand fuhr in einer plötzlichen Eingebung über ihren Körper, hinab zum Saum
seines Shirts. Seine Hand schlüpfte unter das dünne Material, und sie schnappte
hörbar nach Luft, in seinem Mund, als seine Hand ihren nackten Bauch berührte.
Und sie
wehrte sich heftiger. Wieder stemmten sich beide Hände gegen seine Brust, doch
seine Hand glitt tiefer, bevor sie ihn von sich schieben konnte, und er fuhr
zwischen ihre Beine, über ihren Slip. Sie schnappte wieder nach Luft, und er
löste sich von ihren Lippen, nur um ihren Hals zu küssen.
Verdammt,
wo war sein Verstand?! Fort. Ganz weit fort.
„N…nein!“,
wimmerte sie jetzt, und ihm kam in den Sinn, dass das hier wie einen Besen
besteigen war. Auch wenn man es Jahrzehnte nicht tat – man verlernte es nie. Er
hatte es nicht verlernt, merkte er fasziniert, als seine Finger ihren Slip
ungeduldig beiseiteschoben, damit er einen Finger in ihr feuchte Öffnung
gleiten lassen konnte. Und ja, sie war feucht. Verflucht feucht! „Malfoy!“, keuchte
sie, und seinen Nachnamen aus ihrem Mund zu hören, war praktisch zu viel!
Mit einem
Knurren warf er sie auf das Bett, während er hastig seine Hose öffnete. Merlin,
er hatte nicht damit gerechnet, das überhaupt noch mal jemals wieder zu tun!
Sie hatte
keine Zeit, sich aufzusetzen, zu fliehen oder irgendwas zu tun, denn er war
über ihr, ehe sie wieder aufstehen konnte. Sein Gewicht presste sie zurück auf
die Matratze, und wieder bewegte sich ihr Körper auf köstliche Weise, gegen
seinen Schwanz. Die Spitze drückte sich bereits unter dem Bund seiner Shorts
hervor, so lang und so unglaublich hart war er.
Ihre
Hände fanden wieder protestierende Wege in seine Haare, aber er schob achtlos
sein Shirt ihren Körper empor.
„Nein!“,
schrie sie jetzt, aber er hatte sein Ziel gefunden. Ihr nackter Oberkörper bot
sich ihm dar, in voller Schönheit. Sie trug keinen BH. Sie trug keinen
verdammten BH! Und ihre Haut war so verflucht verführerisch weich, dass er sich
nicht beherrschen konnte. „Malfoy, nein!“, rief sie warnend, wollte ihn von
sich schieben, aber ihre Nippel waren zu verlockend. Hart, ebenmäßig und dunkel
boten sie sich ihm dar.
Schnell
hatte er den Kopf gesenkt und saugte eine dunkle Spitze bereits in seinen Mund.
Und sie bog ihren Körper nach oben, wehrte sich und abgehackte Laute verließen
ihren Mund. Es fühlte sich fantastisch an. Seine Zunge fuhr immer wieder über
die harte Spitze, saugte sie tiefer in seinen Mund, und er spürte, wie sie
unter ihm zitterte.
Fuck,
ergab sie sich gerade?
Er ließ
ihren Nippel fahren, küsste eine heiße Spur zu ihrer anderen Brust und widmete
sich ihrem zweiten perfekten Nippel. Er leckte mit der Zunge über die harte
Perle, und riskierte einen Blick in ihr Gesicht.
„Sag, dass ich aufhören soll“, entfuhr es ihm rau, voller Ungeduld, und er
wartete eine quälend lange Sekunde, in der sie ihm mit offenem Mund ins Gesicht
starrte. Ihre Wangen waren gerötet, und er erinnerte sich an den Abend im Gangs, wo sie
so verboten ausgesehen hatte. Und es wäre ihm da schon aufgefallen, wäre er da
in der Lage gewesen… überhaupt etwas zu fühlen. Ihre Brust hob und senkte sich
in unregelmäßigen, flachen Atemzügen.
Und die
Sekunde verstrich. „Granger“, knurrte er ungehalten und gab ihr damit
tatsächlich noch eine Chance. „Ich kann es nicht verhindern“, brachte er
gepresst hervor. „Ich… ich muss mit dir schlafen. Ich muss dich haben. Ich… muss…!“ Seine Stimme war heiser, kaum
als seine eigene zu erkennen, und er sah sie schlucken, sah, wie sich ihre
Augen mit Tränen füllten, wie es seine Worte in ihr auslösten. Er blinzelte,
denn es kostete ihn so viel Überwindung, sie nicht einfach zu nehmen.
Und er
wusste nicht, was es war. Er konnte den Blick nicht deuten, war nicht in der
Lage dazu. Er sah den Schmerz, den Abscheu, die Verwirrung, aber er wusste
nichts damit anzufangen, denn sie sagte nichts.
Gar
nichts. Und es brachte ihn um. Wirklich! Es brachte ihn-
Und sie
hob die Arme plötzlich über ihren Kopf, hielt ihn nicht mehr auf, zog nicht
mehr an seinen Haaren oder wehrte sich unter ihm. Und er wollte nicht
analysieren. Er wollte ihren schutzlosen, so verdammt offenen, verwundbaren
Blick nicht deuten. Nein! Scheiß drauf!
Das war seine Erlaubnis! Seine Hände
griffen fahrig in den Stoff des Shirts, zerrten es über ihren Kopf und achtlos
warf er es neben das Bett. Sie erwiderte seinen Blick, und er dachte nicht mehr
nach. Er küsste sie hart, schob seine Zunge zwischen ihre Lippen, und sie
wehrte sich nicht mehr. Nein. Träge begann ihre Zunge, seiner zu begegnen, bis
er ihren Slip knurrend ihre Beine hinab zerrte, über ihre Knie, weg von ihren
Füßen. Ihre Zunge erwachte, als er mit seinen Händen ihre Knie spreizte, mit
einem Ruck seine Hose und seine Shorts tiefer schob, und seinen Schwanz vor ihr
positionierte.
Sie
schien keine Zeit verschwenden zu wollen, drängte ihren Eingang gegen seine
bereits feuchte Spitze, und er starb in ihrem Mund. Ihre Zunge umgarnte seine,
und ihr plötzlicher Umschwung raubte ihm alle Sinne. Blind stieß er nach vorne,
konnte nicht mehr warten, und seine gesamte Länge teilte, weitete mit einem
massiven Stoß ihren Eingang, und er keuchte gegen ihre Lippen, als ihn ihre
Enge und Hitze überwältigte.
„Fuck… oh mein… Granger!“, brachte er zusammenhanglos hervor, als er sich wieder
zurückzog, nur um erneut kraftvoll in ihre Enge einzudringen. Sie umschloss
seinen Schwanz wie eine heiße, perfekte zweite Haut. Sein Schwanz prickelte,
kribbelte vor Erregung, und wieder musste er nach vorne stoßen. Seine Hände
hatten sich fest um ihre schmalen Hüften gelegt, und er musste sie vögeln, als
wolle er sie zerbrechen, so kam es ihm vor, aber er konnte nicht sanfter sein.
Er konnte nicht! Er brauchte es viel zu dringend, verlor sich völlig in dem
harten Rhythmus, griff um ihren Po, und sie stöhnte plötzlich auf. Dieser Laut
klang unglaublich in seinen Ohren, und er verschloss ihre Lippen
augenblicklich.
Ihre
Zunge traf seine. Fordernd, willig, und ihre Hände griffen in seine Haare,
schienen ihn näher zu sich zu ziehen, und er eroberte ihre Lippen ein letztes
Mal, als er ein letztes Mal nach vorne stieß, und zitternd auf ihr
zusammenbrach.
Seine
Gedanken rissen ab, bevor er sich Gedanken darüber machen konnte, ob sie Spaß
empfunden hatte, denn… Draco Malfoy war nach zwölf Jahren das erste Mal
gekommen. In einer Frau. Und… sein Kopf sank auf ihre Brust.
Er
verharrte in ihr, denn er konnte sich nicht mehr bewegen. Er würde sich nie
mehr bewegen. Und er spürte, wie ihre Finger durch seine Strähnen fuhren, wie
sie mit ihnen spielten.
Er atmete
tief ein und stützte sich auf seine Ellenbogen.
Wie sie
ihn ansah…. Die Lippen geschwollen und feucht von seinen Küssen. Die Wangen
köstlich gerötet, die Augen groß und verwirrt. So perfekt und nackt unter ihm.
Er schluckte schwer.
„Granger“,
begann er tonlos, ohne eine Ahnung, was er sagen wollte, und sie biss sich auf
die Unterlippe.
Und ohne
Vorwarnung, spürte er es. Ein scharfer, beißender Schmerz schoss in seinen
Oberschenkel. Sein Penis wurde direkt schlaff, er zog sich fluchend zurück und
fiel keuchend neben ihre Seite. Schweiß brach auf seiner Stirn aus.
Nein!
Pochend und erbarmungslos weitete sich der Schmerz aus. Seine Lunge, sein Herz,
sein Magen, sein Verstand – alles zog sich zusammen, alles starb in seinem
Innern, während er sich auf dem Bett krümmen musste.
„Malfoy!“,
hörte er ihre Stimme über sich, wie aus einem Nebel, unglaublich weit entfernt.
„Es ist ok. Sieh mich an Sieh mich an! Das ist nur der Schock, es wird gleich
besser, hörst du? Sieh mich an!“, befahl sie mit zitternder Stimme, und seine
Lider flatterten auf.
Es
verging eine Minute. Oder zehn. Oder hundert.
Und er
konnte es besser wieder einigermaßen beherrschen. War der Schmerz immer so? Wie
hatte er ihn nur vergessen können, war er doch so präsent, ein so großer Teil
seines Lebens.
Er
spürte, wie sich sein Mund vor Schmerzen verzogen hatte.
Und sie
hatte recht. Es wurde erträglicher. Nicht gut. Wirklich nicht, aber gut genug,
dass er sich mit aller Kraft aufsetzen konnte. Sie war aufgestanden, hatte sich
sein Shirt wieder übergezogen, und ihre Haare lagen wild auf ihrem Kopf,
standen in alle Richtungen.
„Zieh die
Hose aus“, befahl sie, und plötzlich war sie wieder Granger. Er warf ihr einen
knappen Blick zu, aber sie verdrehte die Augen. „Komm schon.“ Sie half ihm, zog
die Hose seine Beine hinab, und ohne mit der Wimper zu zucken schob sie seine
Shorts wieder über seine Hüften nach oben.
Er saß
regungslos auf dem Bett. Sie strich sich die wirren Locken hinter ihre Ohren
und hob den Blick zu seinem Gesicht. Ihre braunen Augen waren ernst und
besorgt.
„Ich werde deinen Oberschenkel massieren, die Durchblutung wieder anregen, und
du wirst es ertragen, ok?“ Er hätte gerne den Kopf geschüttelte, aber er konnte
nicht. Und schon umfassten ihre Finger seinen Oberschenkel mit medizinisch
erfahrenen Griffen.
Er biss
sich auf die Lippe, stöhnte verhalten und schloss die Augen sofort, als ihm der
Schmerz unerträglich vorkam. Sie massierte mit harten Bewegungen, rieb über
seine Muskeln, und er glaubte, sterben zu müssen.
„Wieso…“, keuchte er, „wieso tut es so verflucht weh, verdammt?“, entfuhr es
ihm krächzend.
„Weil du gerade Bewegungen gemacht hast, die du höchstwahrscheinlich schon eine
ganze Weile nicht mehr gemacht hast. Der Muskelkater setzt sofort ein“, erklärte
sie ernst, als würde sie es ablesen. Als hätte er diese Bewegungen gerade mit sonst wem gemacht und nicht mit ihr!
„Granger“,
presste er hervor, aber sie ließ ihre Daumen weiter über seinen Schenkel
kreisen.
„Was, Malfoy?“ Sie klang abweisend. Kalt. Und langsam spürte er, wie der
Schmerz ein normales Ausmaß annahm. Und er fing ihre Finger mit seinen Händen
ab.
„Genug“,
informierte er sie still. Sie hatte sein Shirt auf links angezogen, erkannte er
jetzt. Oh nein. Er wusste, er musste sich entschuldigen, bedanken oder
irgendwas tun! Aber es fiel ihm unglaublich schwer. Sie sah ihn an. Merlin, was
war in ihn gefahren? War er das wirklich gewesen?
„Wo ist
dein Stock?“ Sie war Heilerin Granger. Die andere
Granger war verschwunden.
„Nicht hier“, erklärte er, denn er wusste es selber nicht mehr. Dass er
geglaubt hatte, er würde ihn nicht mehr brauchen!
„Hättest
du nicht mit mir…“, begann sie, fing sich dann aber. „Dann hätte die Heilung
länger gehalten“, erklärte sie kurz angebunden. Und er sah sie an.
„Wegen
dieser Sache…“, begann er und fühlte sich so unwohl wie noch nie zuvor. Er war
ein widerliches Schwein. Scheiße.
„Schon
gut“, sagte sie lediglich. Sie nahm ihm seine Entschuldigung ab. Er starrte sie
an. Ungläubig. Perplex. Entgeistert.
„Das ist typisch für eine erste Heilung“, sagte sie, und er spürte, wie sich
seine Mundwinkel grimmig nach unten zogen.
„Ja? Mit etwa wie vielen todkranken Schweinen hattest du schon Heilungssex,
Granger?“
Und er hatte
es wieder getan. Ihr Ausdruck war jetzt gänzlich verschlossen. Und sein Mund
öffnete sich. Er hätte ihn halten sollen. Verdammt.
Sie erhob sich, schritt zum Schrank, öffnete ihn probeweise und fand ihre
Sachen dort ordentlich zusammengelegt. Die Elfen hatten es gestern übereifrig
getan.
Und sie
zog sein Shirt über ihren Kopf. Nackt stand sie vor dem Schrank, und er fühlte…
nichts. Sein Penis hatte ihn wieder im Stich gelassen. Alle Gefühle hatten ihn
wieder im Stich gelassen. Aber sie war gut anzusehen. Sie war… wirklich hübsch.
Verdammt.
Sie griff
sich ihren Slip vom Boden, stieg in ihre Hose, zog den Rest ihrer Kleidung an
und würdigte ihn mit keinem Blick mehr. Sie verließ das Zimmer und ließ die Tür
offen stehen.
Oh
verdammt! Er lehnte sich stöhnend im Bett zurück. Dann würde er ihr Frühstück
essen.
Aber
bevor er diesen Gedanken abschließen konnte, hatte ihn die Erschöpfung
eingeholt.
Er war
eingeschlafen.
„Tante
Hermine, kann ich mit Rufus nach draußen gehen?“, wollte James gelangweilt
wissen, denn Hermine und Ginny hatten den gesamten Vormittag schon
Zerbrechliches aus den Kisten ausgepackt.
„Sicher,
aber geh nicht zu weit“, erwiderte Hermine, ohne aufzusehen. Rufus schien ihr
einen dankbaren Blick zuzuwerfen und tänzelte hinter dem Jungen her. Rufus war
noch ein so junger Bernhardiner, dass seine Bewegungen noch grazil waren,
obwohl er ihr schon bis zur Hüfte reichte. Ginny sah den beiden nach.
„Schade,
ich dachte James würde wenigstens einmal Zeit für die Dinge aufbringen, die ich
mit ihm mache“, beschwerte sich Ginny missgelaunt.
„Ach komm schon. Du weißt doch, dass Jungen ihren Vätern nacheifern“, erklärte
Hermine unbeeindruckt und stellte die Vase ins Regal.
„Sind das alle Kisten, die du hier mithin nehmen wolltest?“
„Ja“, erwiderte
Hermine unentschlossen. „Ich weiß auch nicht. Und, ich habe dir gesagt, du
kannst alles mitbringen, was du hier haben möchtest!“, ergänzte Hermine
verärgert.
„Das ist dein Haus, Hermine. Es war ein Geburtstagsgeschenk!“ Hermine schnaubte
auf.
„Parfüm ist ein Geburtstaggeschenk, Ginny. Das hier ist…“ Sie deutete hilflos
um sich. „Das ist ein Haus!“, stellte sie ungläubig fest. „Und ich kann es
nicht mal zurückgeben, weil Harry in den Vertrag aufgenommen hat, dass es
sofort abgerissen werden soll, wenn ich es nicht will. Er ist hinterhältig.“
„Er ist
vorsichtig. Es ist ein Geschenk. Für dich. Einfach, weil du du bist. So, und
jetzt erzähl mir lieber, was noch mit Dean passiert ist? Habt ihr euch
vertragen?“ Ginny stützte sich gespannt auf einen noch verschlossenen Karton
und führte ihre Teetasse an die Lippen.
„Nein. Ich weiß nicht“, wich Hermine ihr aus. Ginny runzelte die Stirn.
„Es ist Samstag. Ihr hatte vier Tage Zeit, um euch zu vertragen“, erläuterte
sie ungläubig. „Wenn er so stur ist, und mit dir nicht sprechen möchte, weil du
dir extra viel Mühe mit einem Patienten gibst, dann ist er einfach nur ein-“
„Ginny,
ich habe mit Malfoy geschlafen“, entfuhr es ihr so schnell, dass Ginny mehrfach
blinzeln musste. Hermine hatte sich die Hand vor den Mund geschlagen. Ginny
starrte sie an. Dann setzte sie die Teetasse auf dem Karton ab.
„Was?
Was?! Ich hab mich verhört, richtig? Du meinst Dean?“
Doch
Hermine schwieg. Oh Gott. Sie hatte es Ginny gesagt. Oh Gott!
„Hermine?“,
wiederholte Ginny nachdrücklich, aber Hermine vergrub jetzt ihren Kopf in ihren
Händen.
„Das war
so dumm. Ich bin so dumm!“
„Was? Ich
verstehe nicht. Ich verstehe gar nichts. Du hast… nein, oder?“ Ginnys blaue
Augen leuchteten so hell, wie Rons. Sie griff sich gespannt ihre Tasse zurück.
„Ich stelle die absolut falschen Fragen. Vergiss Dean. Was ist mit dir und
Malfoy?“, wollte sie nun voller Spannung wissen. Und fast hätte Hermine
hysterisch aufgelacht.
„Ich… gar nichts ist mit mir und Malfoy! Ich… hab ihm eine Heilung verpasst
und… die hat gewirkt. Ich war irgendwie bewusstlos und bin bei ihm im Bett
aufgewacht und-“
„Und er hat dich im Schlaf vergewaltigt?“, unterbrach sie Ginny völlig
entsetzt, und Hermine schüttelte den Kopf.
„Nein…
danach.“
„Dan-… er
hat dich danach vergewaltigt?“, entfuhr es Ginny hysterisch, und Hermine
ruckte mit dem Kopf.
„Ich…
nein, nicht… wirklich. Ich… habe es nicht… aufgehalten.“
„Für
gewöhnlich kann man Vergewaltigungen auch nicht aufhalten, Merlin, noch mal,
das ist doch wohl unfassbar! Warte, bis ich es Harry sage, dann landet Malfoy
sofort-“
„Er hat
mich vorher gefragt, Ginny!“,
unterbrach Hermine ihre Freundin gereizt.
„Er hat
dich… gefragt? Und du hast einfach ja gesagt?“ Ginny starrte sie an. Hermine
verdrehte die Augen.
„Nein, natürlich nicht, aber…“ Und Ginnys Augen nahmen wieder einen wachsamen
Ausdruck an. Hermine machte er fast Angst. Und Ginnys Stimme war voller
Spannung als sie sprach.
„Du
willst mir sagen, Malfoy war geheilt, hat eine Erektion bekommen und sich das
erstbeste genommen, was er finden konnte, und… es hat dich angeturnt?“ Und
Hermine schüttelte den Kopf heftig und errötete bis unter den Haaransatz.
„Oh Gott,
Ginny!“
Doch Ginny
nippte gespannt an ihrem Tee. „Also, wenn es stimmt, was du gesagt hast, dann
macht Dämonsfeuer impotent? Wann war dann das letzte Mal, dass er…?“ Sie ließ
die Frage offen im Raum stehen, aber Hermine hatte darüber noch gar nicht mal
nachgedacht gehabt. Ihr Mund öffnete sich, und sie spürte immer noch die Hitze
in ihren Wangen.
„Und
anscheinend… war es… gut?“, wagte
Ginny lauernd zu fragen. Und Hermine schloss beschämt die Augen. Oh Gott! Oh
Gott, oh Gott!
„Hmm…“,
machte Ginny nachdenklich. „Ich meine, er sieht gut aus, aber das heißt ja
nicht unbedingt immer etwas. Du kannst Malfoy also mit deiner Heilung an und
ausschalten und-“
„Ginny!“, fuhr Hermine sie an.
„Theoretisch“,
verbesserte sich Ginny, und Hermine seufzte auf.
„Nein,
dafür ist die Heilung nicht da“, fiel sie wieder in das medizinische Muster.
„Sex zu haben verkürzt die Lebenszeit wieder. Es ist ein Ausgleich. Entweder
man lebt oder man hat Sex“, erklärte sie rigoros und erntete Ginnys ungläubigen
Blick.
„Was für ein scheiß Leben, wenn man sich zwischen diesen beiden Sachen
entscheiden muss“, bemerkte Ginny kopfschüttelnd, und Hermine verdrehte die
Augen.
„Ich
nehme an, du hast ihn nicht mehr gesehen?“, vermutete Ginny nachdenklich, und
Hermine ruckte mit dem Kopf. „Und willst du ihn wiedersehen?“ Und Hermine
ruckte wieder mit dem Kopf. „Was ist mit Dean?“, fuhr Ginny jetzt fort.
Und
verzweifelt ruckte Hermine wieder mit dem Kopf.
Eigentlich
war sie zu ihrem neuen Haus rausgefahren, um Ruhe zu finden. Nicht um sich die
exakt gleichen Fragen zu stellen, wie in den letzten Tagen zuvor.
~*~
„Also?“
Draco hob
gereizt den Blick. „Also was?“, fuhr er Blaise an.
„Du
feuerst mich, und schickst mir vier Tage später einen Heuler, der mich mit dem
Tode bedroht, wenn ich nicht sofort zur Arbeit erscheine. An einem Samstag. Also?“, wiederholte er nachdrücklicher
und Draco verzog den Mund.
„Du kannst doch wohl nicht glauben, ich würde dich entlassen und auf die
Gewinne verzichten, solange ich lebe.“
„Solange
du lebst? Du willst damit sagen, du lässt dich nicht mehr heilen?“, vermutete
Blaise seufzend.
„Nein,
lasse ich nicht“, knurrte Draco.
„Wie geht es Granger? Ist sie ok?“, nahm Blaise das Gespräch nun auf.
„Woher zum
Teufel soll ich wissen, ob die dämliche Schlampe ok ist oder nicht?“, schnauzte
er ungehalten, und Blaise Augenbraue hob sich unweigerlich. Draco verfluchte
sich selbst.
„Ah…“,
entfuhr es seinem ältesten Freund mit einem wissenden Nicken.
„Oh, tu
bloß nicht so selbstgefällig, du Arschloch“, gab Draco sofort zurück.
„Oh! Es ist also ernst“, bemerkte
Blaise mit einem Grinsen. Draco erhob sich, verzog vor Schmerz den Mund und
griff sich seinen Stock.
„Du
kannst die Klienten unterhalten, ich gehe spazieren“, verkündete Draco gereizt,
und Blaise betrachtete ihn voller Unglauben.
„Spazieren? Du gehst spazieren?
Alleine? Draco Malfoy will zu Fuß von einem Fleck zum anderen laufen?“ Blaise lachte auf.
„Fick dich, Zabini“, knurrte Draco und legte sein Gewicht auf den Stock.
Auch die
Hexen am Empfang warfen ihm scheele Blicke zu, während er nun noch zorniger in
Richtung Tür lief.
„Mr Malfoy, Sir, der Kutscher ist nicht hier“, begann eine blonde Schlampe
verzweifelt, aber sein zorniger Blick ließ sie verstummen. Er hasste Menschen.
Vor allem die, die er eingestellt hatte. Draußen vor dem Gebäude musste er
verschnaufen.
Wie hatte
es sein können, dass er vor vier Tagen noch Sex haben konnte? Dass er nicht mal
mehr wusste, wo er seinen Stock zuletzt gelassen hatte? Und jetzt fühlte er
sich hundert Jahre älter. Das Hotel erschien ihm erschreckend weit weg zu
liegen. Aber er seufzte auf. Er hatte die letzten Tage jeden Tag zwölf Stunden
an seinem Schreibtisch gesessen, versucht, alles wie immer zu verdrängen. Alles
zu vergessen.
Und wenn
es ihr anscheinend wunderbar gelungen war, dann würde er kein verdammt
weinerlicher Schwächling sein und genau dasselbe tun. Er hatte Sex gehabt. Es
war Ewigkeiten her. Er hatte vor vier Tagen tatsächlich sehr erfolgreichen,
verflucht guten Sex gehabt. Und es war vielleicht Sarkasmus des Schicksals.
Aber er traf auf den einzigen Menschen, dem diese Information vielleicht
genauso wichtig war, wie sich selbst.
„Draco, du siehst abscheulich aus“, bemerkte sein Vater mit einem schneeweißen
Lächeln, und Draco spürte, wie sich seine Mundwinkel nach unten zogen. Lucius
trug eine dunkle Sonnenbrille, einen langen schwarzen Gehrock und einen
Ausdruck, dessen Selbstgefälligkeit in Draco pure Übelkeit erweckte.
„Gleichfalls“, konterte er lediglich.
„Wohin
des Wegs? Ich dachte, heute ist der Tag, an dem du meinen Klienten erfolglos
ihre Anzüge vom Körper flirten wolltest, um ihr Unternehmen zu bekommen?“,
erkundigte sich sein Vater mit einem falschen Lächeln. Und Draco sah seinen
Vater an.
„Ich
hatte Sex“, erwiderte er schlicht. Und Lucius‘ Lächeln wurde dünner. Es verging
eine kurze Sekunde.
„Ich
dachte… das wäre nicht möglich?“, wollte Lucius ernster wissen und war für
einen Moment sein Vater und kein aalglattes Arschloch.
„Ist es auch nicht. Aber… ich war für eine kurze Zeit geheilt“, sagte er
tonlos. Lucius blickte skeptisch an ihm hinab.
„Ist dir
anscheinend nicht gut bekommen“, stellte er trocken fest. Draco spürte, wie
sich seine Mundwinkel hoben.
„Nein, anscheinend
nicht“, gab er zurück. Nachdenklich betrachtete Lucius seinen Sohn.
„Und du
erzählst mir das, weil du dich jetzt entschieden hast, auch meine Agentur zu
benutzen?“, vermutete Lucius und das aalglatte Lächeln stahl sich zurück auf
seine Züge. Draco stützte sich auf seinen Stock und begann weiter zu gehen,
sein Vater neben ihm, etwa doppelt so agil wie er.
„Oh nein.
Ich bitte dich. Ich würde meinen Schwanz in kein Mädchen stecken wollen, bei
dem du schon das Vergnügen hattest. Wer weiß, was ich mir einfangen würde“,
erwiderte er lächelnd. Und Lucius lachte auf.
„Galgenhumor. Sehr passend. Mit wem hattest du das Vergnügen, wenn ich fragen
darf?“ Draco wusste, sein Vater ging mit Absicht jetzt langsam. Draco seufzte
auf.
„Darfst du nicht. Die Frage ist, ob ich es wieder will“, mutmaßte er still.
Lucius ruckte mit dem Kopf.
„Weshalb
nicht? Wenn das wieder funktionieren kann, würde ich mich nicht mit einer
Entscheidung rumärgern.“ Das war Draco klar.
„Ja, aber… mir scheint, es raubt mir mehr Lebenszeit.“ Sein Vater hielt inne.
„Ich
bitte dich. Sieh dir dein Leben an. Was willst du? Es auskosten und auf alles
verzichten, was er dir noch versüßen könnte? Draco, wenn der Preis dafür, dass
du keine Schmerzen hast und Sex haben kannst, der ist, dass du eher stirbst,
dann…“ Und Lucius schien sich zu besinnen. Und manchmal, manchmal bekam er
einen seltsamen Ausdruck. Und Draco konnte ihn dann noch weniger leiden.
Draco
wusste, sein Vater gab sich selber keine Schuld an Dracos Schicksal. Und Draco
selber hatte auch nicht das leiseste bisschen Lust, seinem Vater irgendeine
Schuld zu geben. Nicht heute. Vielleicht wenn er mal wieder in der einsamen
Stille genug Zeit hatte, dann vielleicht. Das Leben war zu kurz, um andere zu
beneiden. Er wusste das.
„Wie lange
noch?“ Und Lucius nahm die Sonnenbrille von der Nase. Sie gingen weiter, denn
Draco wollte diese Frage nicht Auge in Auge beantworten. Gehen lenkte ihn ab.
„Keine
Ahnung. Der letzte Experte hat mich auf ein halbes Jahr geschätzt“, gab Draco
achselzuckend zurück.
„Und mit der Heilung?“, wollte Lucius sofort wissen.
„Zehn Jahre länger? Vielleicht…“, schätzte Draco ungerührt, und Lucius seufzte
neben ihm.
„Du
solltest das tun, Draco“, sagte Lucius schließlich. Draco lachte auf.
„Schon gut. Ich brauche dein Mitgefühl nicht, Dad.“ Er betonte das Wort besonders. Sie hatten das Hotel erreicht.
Lucius sah ihn unschlüssig an.
„Weiß
Narzissa wie lange es noch ist?“, erkundigte er sich. Draco sah ihn beinahe
nachsichtig an.
„Ich glaube, Narzissa würde mich nicht mehr nach draußen lassen, wenn ich es
ihr so explizit gesagt hätte. Darum geht es auch nicht. Ich dachte mir, du
würdest meine Information am ehesten wertschätzen können.“ Und sie tauschten
einen Blick. Draco zwang seinen Vater förmlich dazu. Lucius räusperte sich,
setzte sein übliches Grinsen auf, aber es erreichte seine Augen nicht. Er
setzte die Brille wieder auf.
„Ich freue mich, dass du Verkehr hattest. Wir sehen uns, Draco“, sagte er und hatte
sich abgewandt. Es war unmöglich, mit seinem Vater über die wichtigen Dinge zu
reden. Über alles andere ließ es sich gut mit ihm diskutieren. Und so wollte es
Draco auch. Er hatte seinem Vater nicht verziehen, ausgezogen zu sein. Er hatte
ihm nicht verziehen, dass er ihn und seine Mutter verlassen hatte. Aber er
würde es ihm nicht auf die Nase binden. Wozu noch?
Er betrat
die Lobby. Sein Bein kam ihm millionenkiloschwer vor. Am Tresen hob die Hexe
lächelnd den Blick.
„Mr Malfoy, Zimmer 1222 ist frei.“ Er nickte.
„Haben Sie die Tasche noch?“, erkundigte er sich, und die Hexe nickte lächelnd.
„Einen
Moment, bitte.“ Sie wandte sich um, ging zu den goldenen Schließfächern, holte
die Tasche wieder raus, und reichte sie ihm, inklusive des Schlüssels.
„Einen angenehmen Aufenthalt!“, wünschte sie ihm, und unter Qualen schritt er
zum Aufzug.
Er lehnte
sich gegen die verspiegelte Wand, als sich die Türen schlossen. Er betrachtete
sich in der anderen Wand. Er war blass. Er sah nicht gut aus. Ringe zierten seine
Augen, und er könnte sofort einschlafen, fiel ihm auf.
Die
Heilung kam mit einem bitteren Preis. Denn er wünschte sie sich zurück. Er
wünschte sich auch andere Dinge zurück. Grangers Körper war nur eines davon.
Zornig
stieß er sich von der Wand ab, als der Fahrstuhl hielt.
Er
schleppte sich auf seinem Stock zu seinem Zimmer, schloss es auf und humpelte
anschließend zur Couch. Er sank darauf nieder, und sofort erschien ein Elf im
Zimmer.
„Was kann ich Ihnen bringen, Mr Malfoy, Sir?“, fragte das Geschöpf, und Draco
bestellte ein komplettes Menü in doppelter Menge, so groß war sein Hunger. Und
eine Flasche Scotch.
Dann
griff er in ihre Tasche und zog ein dünnes Heft hervor. Seine Stirn runzelte
sich.
„Superman“, las er den Titel. Es war ein
Muggelheft, denn die Bilder bewegten sich nicht. Sie waren gezeichnet und
zeigten einen muskulösen, lächerlich starken Mann in Strumpfhosen und Cape. Es
war eine Ausgabe von 1949 und neben dem markanten Helden schimmerte eine
Ansammlung giftgrüner Steine.
Er blätterte
durch die Seiten. Anscheinend hieß das grüne Zeug Kryptonit und war die einzige
Schwachstelle von Superman. Die
Falten auf seiner Stirn vertieften sich.
Was
wollte Granger ihm damit sagen? Er spähte in die Tasche und entdeckte weitere Superman-Hefte. Daneben noch Ordner mit
Symptomen seiner Krankheit, seiner Lebenserwartung, Transformationen und alle
Nebenwirkung, die kurz vor seinem Tod auftreten würden.
Schaudernd
ignorierte er diese Aufzeichnungen und widmete sich widerwillig den Comics, wie sie genannt wurden.
~*~
Es war
Dean, der ihr die Nachricht überbrachte, die für sie angekommen war, während
sie im OP gewesen war. Für gewöhnlich hatte sie samstags frei, aber sie hatte
die Schicht freiwillig übernommen. Sie hatte nichts mit sich anzufangen gewusst,
und James hatte sich nur zu gerne bereiterklärt, Rufus mitzunehmen.
Sie
vernachlässigte ihren armen Hund!
Sie zog
sich den Mundschutz vom Gesicht, reinigte ihren Zauberstab sorgfältig und sah
Dean an, der abwartend vor ihr stand.
„Du hast sie gelesen?“, vermutete sie kühl.
„Ich
wusste nicht, dass es sich um ein Geheimnis handelt, stammt sie doch von deinem
Patienten.“ Und er betonte das Wort
so scharf, dass sie nicht lange nachdenken musste, von welchem Patienten er
sprach. Sie schnappte ihm beinahe ertappt die Notiz aus seiner Hand, entfaltete
das Papier, und schämte sich dafür, dass ihr Herz schneller schlug. Und ihr
Mund öffnete sich überrascht.
„Ist das
irgendein Geheimcode?“, wollte Dean wissen, und sie merkte, wie wütend er noch
war.
„Du
hättest mich einfach um ein Date bitten können, Dean“, erklärte sie gedämpft.
„Wie mir
scheint hast du bereits ein Date mit Superman?“,
entfuhr es ihm herausfordernd, und sie schüttelte traurig den Kopf, aber Dean
wandte sich wütend von ihr ab.
Das hatte
sie nicht gewollt. Aber jetzt gerade klopfte ihr Herz zu schnell, als dass sie
sich wirklich zu große Sorgen um Deans angeknacksten Stolz machen konnte.
Ihre
Augen senkten sich wieder auf die Notiz.
„Ich kann nicht verstehen, wie Lois
Lane so blind sein kann.
Clark Kent und Superman sind dieselbe
Person. Ich halte es für Arroganz, dass sie nicht über
die Brille hinaus sehen kann. Könnte eine zweite Meinung gebrauchen.
- D.M.“
Und ihr
ging auf, er hatte ihre Tasche nicht weggeworfen. Verdammtes Pokerface. Dann
war er im Hotel. Sie kaute vergessen auf ihrer Unterlippe. Er wollte sie sehen.
Oh, hätte sie doch die Zeit, Ginny zu konsultieren und über das Für und Wider
zu sprechen! Aber ihre Hände knöpften bereits ihren Kittel auf. Sie war schon
unterwegs in die Dusche.
Sie würde
Ginny nachträglich konsultieren, beschloss sie mit klopfendem Herzen.
Es waren
fast drei Stunden vergangen, bevor sie vor das Hotel apparierte. Sie hatte sich
ungefähr fünfmal umgezogen. Und sie wusste nicht einmal genau, weshalb. Jetzt
trug sie ihr blaues Kleid. Es war etwas zu dünn für diese Jahreszeit, aber sie
trug einen dazu passenden blauen Mantel. Beides reichte ihr bis zum Knie.
Es war
kurz vor neun. Die Laternen verströmten milchiges Licht, und nervös strich sie
über ihren Mantel. Die Schuhe waren hoch, aber sie zwang sich, nicht zu
stolpern.
Sie trug
schwarze Ohrringe, hellen Lippenstift, helles Makeup, hellen Lidschatten. Sie
hatte ihre Haare gewaschen und solange getrocknet, bis sie in weichen Wellen
über ihre Schultern fielen. Ihren Pony hatte sie zurückgesteckt, so dass er
nicht mehr in ihr Gesicht fiel
Nervös
kaute sie auf ihrer Unterlippe. Der Türsteher sah sie abwartend an.
„Möchten Sie rein, Miss?“
Unschlüssig
nickte sie und betrat dann zaghaft das Hotel.
Sie ging
schnurstracks am Tresen vorbei, denn sie war nicht bereit für eine Diskussion
mit der unfähigen Hexe. Der Fahrstuhl öffnete sich, als sie auf ihn zukam und
sie schlüpfte eilig ins Innere. Sie betrachtete sich hastig in den goldenen
Spiegeln im Aufzug, zupfte an ihren Haaren, presste ihre Lippen zusammen, um
den Lippenstift neu zu verteilen und kam sich lächerlich aufgeregt vor.
Und
albern. Und unsagbar dumm. Mit klopfendem Herzen verließ sie den Aufzug im
zwölften Stock und schritt den leeren Gang entlang bis zum Zimmer 1222. Sie
atmete mutig aus und klopfte zweimal.
Es
verging eine halbe Minute, in der sie jede Art von Panik befiel, die sie
befallen konnte. Vielleicht war er nicht hier. Vielleicht war das der größte
Fehler gewesen. Vielleicht…. Dann öffnete sich die Tür. Ihr Herz blieb stehen.
Sie sah, wie sich ein Lächeln auf seinen Zügen andeutete. Sein Gesicht hellte
sich eine Spur auf, als er sie erkannte. Kurz glitt sein Blick über ihre
Erscheinung, verweilte am Saum ihres Kleides, den Schuhen und inspizierte dann
ihr Gesicht. Seine Augen schienen über ihren Körper zu tanzen, schien sich
alles an ihr einzuprägen. Er wirkte jedoch müde. Und erschöpft. Und sie hatte
ein sehr schlechtes Gewissen, wieder hier zu sein.
„Miss Granger, ich hatte fast nicht mehr mit Ihnen gerechnet“, begrüßte er sie
mit ruhiger Stimme. Sie befeuchtete nervös ihre Lippen. Dass er sie siezte
machte sie nervös. Wirklich nervös. Es lag etwas in seinem Blick. Etwas neues,
etwas sehr unbekanntes. Etwas, worüber er selber mehr als überrascht zu sein
schien.
„Bei so
einer seltsamen Nachricht muss ich doch nach dem Rechten sehen“, erwiderte sie
leise, versuchte, einen Scherz zu machen, aber sie war sehr schlecht bei so
was. Sie war nicht besonders komisch. Sie runzelte also die Stirn, denn erst
jetzt fiel ihr etwas auf. Etwas, dass sie bei Harry mittlerweile als
selbstverständlich hinnahm, bei Malfoy jedoch als fehl am Platze einstufte.
„Du… trägst eine Brille“, stellte sie verblüfft fest. Er schien es vergessen zu
haben und nahm sie hastig ab. Seine Hände, seine Finger… - ihr Mund wurde
trocken, als sie sich wieder erinnerte. Merlin, sie wurde verrückt.
„Nur zum Lesen“, sagte er schnell und schien sich tatsächlich ein wenig zu
schämen. „Das Alter holt mich schneller ein“, erklärte er, und sie fühlte sich
wieder schlechter. „Komm rein. Äh… bitte“, fügte er hinzu, als hätte er es den
ganzen Abend über einstudiert, um es ja nicht zu vergessen. Ihre Mundwinkel
zuckten kurz. Es stand ihm nicht. Höflichkeit stand ihm wirklich nicht. Sie
hatte sich schon erschreckend gewöhnt an die Beleidigungen, an das spöttische
Funkeln in seinen grauen Augen.
Und auch
all seine Bewegungen kamen ihr schon vertraut vor, dabei kannte sie ihn nicht.
Nicht wirklich zumindest.
„Ok“, sagte sie, und wusste nicht, was sie gerade zugestimmt hatte.
Wahrscheinlich nichts gutem, warnte sie ihre innere Stimme. Sie legte ihren
Mantel über die Sessellehne.
„Interessante
Lektüre“, bemerkte er hinter ihr, während er sich auf den Stock stützte und ihr
folgte. Sie setzte sich auf die große Couch, auf der sie bereits geschlafen
hatte, und sah, dass er in alle Comics verschiedene Zettel gesteckt hatte, so
wie Lesezeichen. Er setzte sich neben sie.
Es
entstand eine kurze Pause. Eine sehr unangenehme Pause. Dann räusperte er sich.
Abgesehen
von seinem müden Gesicht sah er sehr elegant aus. Er trug eine dunkle Anzughose
und einen silbernglänzenden Gürtel, darüber ein helles Hemd. Die Ärmel wieder
hochgekrempelt. Die Krawatte saß locker und er schien vergessen zu haben, sie
wieder zu richten, als sie geklopft hatte. Und sie erkannte das dunkle Mal erst
jetzt.
Richtig…
das hatte sie vergessen. Draco Malfoy war… ein Todesser. Aber ihm schien es gar
nicht mehr aufzufallen. Er schien es gar nicht wahrzunehmen.
Er sah
sie an. Ihr Herz machte einen Satz. Ein Schatten seiner selbst lag auf seinen
Zügen. Ja, sie erinnerte sich. Draco Malfoy, der Casanova von Slytherin. Harrys
Widersacher. Ihr persönlicher Feind. Er hatte ein schönes Gesicht, fiel ihr
auf. Er besaß schöne Proportionen, eigentlich überall. Es war ihr nie wirklich
aufgefallen.
Er schien
Schmerzen zu haben, sie vor ihr aber nicht zeigen zu wollen. Sie war sich nicht
sicher, weshalb er sie hergebeten hatte. Sie war sich auch nicht sicher, warum
sie überhaupt gekommen war. Sie hatten sich nicht wirklich freundschaftlich
getrennt. Und er wollte ihre Hilfe nicht.
Wieso
hatte sie sich dann für einen Impotenten so angezogen als könne sie es gar
nicht erwarten, dass er die Kleider vom Leib riss? Sie spürte, wie sie rot wurde.
Merlin, noch mal.
Sie
wollte ihn heilen. Sie durfte danach nur nicht mit ihm schlafen. Und er durfte
es nicht wollen. Ach, sie wusste es doch auch nicht!
„Aufgepasst“,
murmelte er jetzt, und sie hob überraschend den Blick. Er bewegte die Finger,
wie vor einem magischen Trick, zeigte, dass er nichts versteckte, und hob sie
zu seiner Lesebrille. Sie war randlos und schlicht, wirkte aber sehr teuer.
Mit
einigen Showeinlagen zog er sie von seiner Nase.
Dann hob
sich sein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen, und es war ansteckend. „Ta da!“
„Oh mein Gott!“, entfuhr es ihr. „Wie hast du das gemacht, Superman? Gerade war
Clark noch hier“, gönnte sie ihm den Scherz, und jetzt vertiefte sich sein
wunderschönes, von Schmerzen gezeichnetes Lächeln.
„Siehst du, ich begreife es nicht“, gestand er ein. Er legte die Brille auf den
Tisch.
„Wärst du
lieber Clark oder Supeman?“, fragte sie jetzt still.
„Hm…“,
erwiderte er ratlos. „Superman wird von Kryptonit besiegt. Clark bekommt das
Mädchen nicht. Scheint beides nicht vorteilhaft zu sein. Aber… wahrscheinlich
wäre ich lieber Superman“, entschied er sich. „Superman hat keine Schwäche
außer sein Kryptonit“, fügte er stiller hinzu. „Wenn das nicht wäre, wäre er
unbesiegbar“, schloss er lächelnd. „Aber… Clark hat ja dieselbe Schwäche…“,
fügte er nachdenklich hinzu.
Sie sah
ihn traurig an.
Dann
hoben sich seine grauen Augen. „Was ich gesagt habe, war…“ Und wieder schien er
mit der Entschuldigung kämpfen zu müssen.
„Du
wolltest, dass ich komme, damit ich dich heile, richtig?“, flüsterte sie, und
seine Augenbrauen hoben sich. Er seufzte.
„Ich
hatte jetzt einige Stunden Zeit über meine Notiz nachzudenken. Und die meiste
Zeit hatte ich ehrlich gehofft, dass du nicht mehr kommen würdest“, erklärte er
ernster. Sie blickte starr nach vorne, bereit, sich erheben. War das so? Dann
konnte sie auch wieder gehen. Sie war dumm. „Und nicht, weil ich nicht wollen
würde, dass du… hier bist, Granger“, fügte er nachdrücklich hinzu, als hätte er
ihre Gedanken erraten. Er stützte die Ellbogen auf seine Knie und vergrub kurz
seinen Kopf in seinen Händen. „Das… was ich vor einigen Tagen gefühlt habe,
war… es war fast verboten gut“, murmelte er, bevor er sich durch die Haare fuhr
und sie wieder ansah.
„Und
allein, um die Schmerzen zu töten würde ich die Heilung wollen, aber…“ Er sah
sie kopfschüttelnd an. „Das würde mir kaum was bringen, oder?“, wollte er
traurig wissen.
Sie
schüttelte sofort den Kopf.
„Doch!
Natürlich, deine Lebenszeit würde-“
„Sieh dich
an“, unterbrach er sie rau. Sein Blick jagte ihr die Röte ins Gesicht. Sie
erkannte ihn. Ideen von dem Malfoy, der die Herzen aller siebzehnjährigen
Mädchen in Hogwarts gebrochen hatte, wenn er die Zeit dafür gefunden hatte.
Seine Hand hob sich unwillkürlich zu ihrem Gesicht, strich über ihre Wange und
schamlos lehnte sich ihr Körper in seine Berührung. „Granger, sieh dich an“,
wiederholte er fast verzweifelt. „Die Krankheit dürfte nicht mein Kryptonit
sein“, erklärte er lächelnd. Und ihr Mund öffnete sich sprachlos.
„Und das
sollte nicht so klingen“, fügte er eilig hinzu und ließ seine Hand sinken. „Du
wärst verdammt… lohnenswertes Kryptonit, ist, was ich
sagen will.“ Er schien die richtigen Worte angestrengt suchen zu müssen.
„Ich hätte nicht kommen dürfen“, flüsterte sie und spürte die Tränen erneut.
Was war nur los mit ihr? Sie mochte ihn doch gar nicht! Hatte ihn zumindest gar
nicht gemocht. Verdammt…. „Vielleicht schon, aber dann mit einem Kartoffelsack
an. Oder gewälzt in Eulendreck“, schluchzte sie und fuhr sich über die Wangen.
Seine
Mundwinkel hoben sich. Gott, er war tatsächlich attraktiv. Es war ihr noch gar
nicht so aufgefallen wie jetzt. Wenn er schrie und ein Ekel war, konnte es
einem leicht entgehen.
Und dann
fiel sein Blick auf ihre Lippen.
„Ich
glaube, selbst in Eulendreck könntest du mir gefährlich werden“, erwiderte er
leise, und irgendwie war sein Gesicht ihr sehr nahe gekommen. Ihre Hände waren
feucht geworden, und alles in ihr kribbelte.
„Nein!
Das ist eine schlechte Idee, wir sollten wirklich nicht-“
Er nickte
traurig, schlang die Hand um ihren Nacken und beendete ihre fahrigen Proteste,
indem er ihre Lippen mit seinem Mund verschloss. Und es zog in ihrer Mitte,
kaum als sein Mund sie berührt hatte. Sein Arm schlang sich um ihren Körper,
zog sie näher an sich, und sie wusste nicht wie, aber ihre Hände hatten den Weg
in seine Haare gefunden, hatten sein Gesicht näher an ihres gezogen, und sie
küsste ihn so schamlos und hungrig, als wäre es lebensnotwendig. Überall, wo er
sie berührte, kribbelte ihr Körper.
Sie
öffnete ihre Lippen für ihn nur zu willig, und ein unkontrolliertes Stöhnen
entrang sich seinem Mund, als er seine Zunge unbeherrscht zwischen ihre Lippen
gleiten ließ.
Aber sie
spürte, wie es ihn anstrengte. Sie verschloss ihre Lippen unter größter
Anstrengung wieder und beendete den Kuss.
„Heil
mich“, flüsterte er rau gegen ihre Lippen. Und eine Träne fiel auf ihre Wange,
als sie den Kopf schüttelte.
„Malfoy,
nein“, erwiderte sie leise. Unsicher, hin und hergerissen.
„Bitte. Ich fühle mich… lebendig mit dir. Als wäre ich… wieder hier.“
Wieder
nahm er ihr Gesicht in seine Hände, küsste sie, und sie hätte unter seinen
Küssen schmelzen können. Was machte er mit ihr? Warum fühlte sie das plötzlich?
Sein leises Flehen war fast zu viel für sie. Er war widerlich und gemein zu ihr
gewesen. Sie schüttelte den Kopf unter seinen Küssen, und seine Hand wanderte
plötzlich über ihren Hals, zwischen ihren Brüsten tiefer. Sie strich über ihren
Bauch, bis er zwischen ihren Beinen angelangt war. Sanft massierte er den
sensiblen Punkt zwischen ihren Beinen durch den dünnen Stoff des Kleides, den
er ohne Mühe gefunden hatte.
Und
sofort schickte es hundert Stromstöße über ihre Wirbelsäule.
„Nein“,
flüsterte sie so leise, dass er es wohl kaum hören konnte. Seine Lippen küssten
die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr, sein heißer Atem ließ sie schaudern,
und seine Hand rieb weiter über ihre Klitoris, so dass sie sich immer
unangenehmer fühlte. Ihr wurde heißer, sie bewegte ihren Unterleib sehnsüchtig
auf der Couch, und dann zog sie den Kopf von ihm zurück.
„Nein“,
sagte sie fester. Seine Augen waren dunkel geworden. Sein Mund leicht geöffnet,
und ehrliches Verlangen lag in seinem Blick. Und sie wollte schnellsten
weglaufen, denn Malfoy wurde ihr gefährlich. Sie biss sich unschlüssig auf die
Lippe, und es schien sein Anreiz zu sein. Mit einem Knurren schlang er seine
Arme um ihre Taille, zog sie auf seinen Schoss und küsste sie heftig, während
sie ihn nur hilflos an sich ziehen konnte.
„Wo ist
dein Zauberstab“, keuchte er gegen ihre Lippen, und… sie ergab sich.
„Jackentasche“, flüsterte sie zurück, und er ließ von ihr ab.
„Bitte.“ Er sah ihr tief in die Augen. „Dieses Mal noch“, und sie hörte die
Lüge in seinen Worten sofort. Sie kam zitternd auf ihre wackligen Beine,
stolperte zu ihrem Mantel holte den Zauberstab aus der Tasche und setzte sich
wieder neben ihn.
Sie
drückte die Spitze gegen sein Bein. Scharf sog er die Luft ein, aber er brach
den Blickkontakt zu ihr keine Sekunde. Und sein Blick ließ ihr Herz eine
Sekunde lang aussetzen.
Ja, nur
noch dieses eine Mal, versprach sie sich selbst, als sie den Zauber
durchführte.
Sie lag
beinahe auf der Couch, war darauf zusammen gesunken. Er hatte sie zugedeckt,
aber es ging ihr gut. Viel besser als das letzte Mal. Sie hatte ihm weniger
Energie geschenkt.
„Alles
klar?“, fragte sie ihn still, und er schenkte ihr ein umwerfendes Lächeln.
Verflucht.
Er sah… unglaublich aus. Seine Haut, seine Gesichtsfarbe! Er hatte keine Ringe
mehr unter den Augen, er bewegte sich kraftvoll, jung, dynamisch und stellte
ihr eine Tasse Tee auf den Couchtisch.
„Es ging mir nie besser“, erwiderte er, die Stimme sorgenfrei, angenehm tief.
„Wie geht es dir?“ Kurz flackerte Sorge in seinem Blick, aber sie schüttelte
den Kopf.
„Gut. Wirklich“, versicherte sie, setzte sich auf, und hob die Hand vorsichtig
zu seinem Gesicht. Wie jung er wirkte. Merlin, sie spürte einen mächtigen
Stich, weil… die Krankheit ihn wirklich umbrachte. Sie nahm ihm alles. Und es
gab keine Heilung. Und… sie sollte nicht mit ihm schlafen. Er war jung und
konnte die Kraft gut verbauen. Er könnte vielleicht sogar drei Tage ohne
Schmerzen leben. Und nicht nur einige Stunden!
Ihre
Finger strichen über seine samtene Haut. Ihn anzufassen war… schrecklich. Zu
wissen, dass er nur allzu bald wieder schwach und krank und blass sein würde,
das riss an ihrem Innern.
„Granger?“
Seine Stirn runzelte sich. Es bildete sich eine steile Falte. Es war wie ein
absurdes Spiel. Eine widersprüchliche Lüge. Er war der schöne. Er war der
fröhliche von beiden. Nicht Blaise Zabini, dessen fröhliches Gesicht auf allen
Plakaten der Stadt prankte.
Draco war
der fröhliche, wunderschöne Zauberer. „Du weinst“, stellte er ernst fest. „Tu
das nicht“, fügte er hinzu, strich mit seinem Daumen die Träne weg.
„Es ist ungerecht“, brachte sie hervor, aber er lächelte tatsächlich.
„Du bist
Heilerin. Du siehst das jeden-“
„Nicht!“, unterbrach sie ihn. Sie wollte nicht, dass er es weniger wichtig
machte, dass er es pauschalisierte, als wäre es nichts. Nur eine Statistik, als
wäre er nur ein weiterer Patient. Doch er ergriff ihre Hände mit plötzlicher
Entschlossenheit.
„Ich
werde sterben, hörst du?“ Und sie weinte nur noch mehr. „Aber auf diese Art zu
gehen…“, fügte er hinzu. „Sieh mich an!“, ergänzte er lächelnd, erhob sich, und
schlug ihre Decke zur Seite. Er hob sie auf seine Arme, als wöge sie nichts.
„Ich kann gehen! Ich kann… ich kann alles!“
„Für zwei
Stunden“, flüsterte sie stockend. Aber er lachte tatsächlich.
„Und wäre es für zwei Minuten, ich würde es nicht tauschen wollen!“ Und er
wirkte unbeschwert glücklich.
„Malfoy,
wenn…“ Er sah sie an.
„Was?“ Aber sie konnte nicht. Sie konnte nicht weiter sprechen. Er stellte sie
sehr abrupt wieder auf ihre Füße, sah sie besorgt an, und seine Heilung raubte
ihr die Luft zum Atmen. Er hatte sich verwandelt. Und sie wollte es nicht
wieder nehmen. „Weißt du, was mir eingefallen ist?“, wollte er mit einem
verschlagenen Lächeln wissen, dass einen Stromstoß durch ihren Körper schickte.
Sie schüttelte, unfähig zu sprechen, den Kopf. „Wenn die Mädchen mich angesehen
haben, lag immer Bewunderung in ihrem Blick. Aber bei dir…“ Er tat so als müsse
er sie genau betrachten.
„Malfoy“, begann sie wieder, unterbrach ihn, wie man einen Jungen unterbrach,
der das Thema aus den Augen verloren hatte. Doch er grinste breiter.
„Ich bin Superman!“, stellte er nickend fest. „Lois, ich bin beides“, hauchte
er, während er die Arme um ihren Körper schloss. Und wie sich das anfühlte! Sie
konnte es nicht beschreiben. „Küss mich, Granger“, flüsterte er jetzt, nahe vor
ihrem Gesicht. Seine grauen Augen leuchteten.
„Draco“,
sagte sie jetzt, stolperte fast über den Namen, den sie nie laut zu ihm gesagt
hatte. Kurz änderte sich sein Ausdruck, aber dann vertiefte sich sein Lächeln
wieder.
„Nenn
mich nie wieder anders“, befahl er ihr
rau. Und sie wusste, er würde sich wieder verwandeln.
„Ich kann nicht. Ich kann dich nicht küssen.“ Er wurde schlagartig ernst.
„Granger, ich will keine Heilung von dir, wenn ich dich nicht küssen darf“,
erwiderte er streng.
„Was ist
nur in dich gefahren?“, murmelte sie völlig verwirrt von der Erscheinung vor
sich.
„Zeit ist
so unglaublich kostbar. Und ich kann sie nicht vergeuden. Ich…“ Und sie spürte
wieder die Tränen kommen. „Bitte, weine nicht“, sagte er mit so warmer Stimme,
dass es ihr weh tat. „Bitte. Lass mich nicht länger betteln, Hermine. Ich habe
keine Zeit“, flüsterte er keinen Zentimeter vor ihrem Mund. Und sie schluchzte
auf, bevor sie ihre Hände um seinen Nacken schlang.
Seine
Hand griff erbarmungslos um ihren Nacken, zog sie zu einem Kuss heran, und es
war wie Feuer und Wasser. Der Kuss war notwendig. So unglaublich notwendig.
Ihre Finger griffen in seine Haare, zerwühlten seine Frisur, was er unter
normalen Umständen bestimmt nicht geduldet hätte, aber jetzt fuhren seine Hände
über ihren Rücken, hielt sie eng sich gepresst, und er hob sie mühelos auf
seine Arme zurück.
„Was…?“, murmelte sie, aber er schüttelte nur den Kopf.
„Ich will dich in meinem Bett“, sagte er schlicht. Sie hatte den Drachen
geweckt. Den schlafenden, kranken Drachen. Und er verzehrte sich nach ihr.
Das war…
nicht normal. Absolut nicht! Aber seine Worte klangen so verflucht gut, dass
sie sich nicht dagegen wehrte. Sie ließ sich von ihm tragen.
Sie
konnte ihm nicht widerstehen.
Sie
konnte nicht.
~*~
„Hast du
Hunger?“, fragte sie ihn besorgt, aber er ruckte lächelnd mit dem Kopf. „War
das ein Ja? Wenn du Hunger hast, dann sollten wir wirklich-“
„Granger“, sagte seine Stimme, lasziv langsam, rau und unglaublich sexy. „Ich
habe keinen Hunger“, erklärte er immer noch lächelnd. Dann runzelte sich seine
Stirn, und lehnte sich vor, um in ihre bloße Schulter zu beißen. Sie wehrte
sich halbherzig.
„Draco!“,
lachte sie und schob ihn sanft von sich. „Du solltest dich ausruhen“, sagte sie
ernster.
„Dich in die Schulter zu beißen ist nicht besonders anstrengend“, wagte er mit
erhobener Augenbraue zu erwidern. Sie atmete mahnend aus. „Komm schon“,
murmelte er rau, küsste ihre Schulter, und sie biss sich auf die Lippe. „Du
bist völlig verspannt“, erklärte er kopfschüttelnd.
„Draco,
du-“
Er
schloss den Abstand und küsste sie. Direkt auf den Mund, ohne zu zögern.
„Bist du wohl still!“, flüsterte er gegen ihre Lippen. Seine vollen Lippen
teilten sich zu einem sehr schiefen Grinsen, und sie wollte so dringend
vorsichtig mit ihm sein, also, warum machte er es ihr so schwer?
„Könntest
du dich vielleicht wie ein Kranker verhalten?“, zischte sie verzweifelt, und er
verharrte. Und sie wusste in derselben Sekunde, sie hatte es so nicht gemeint.
Ganz bestimmt nicht! Er wich langsam zurück, aber sie folgte ihm, rückte näher
zu ihm. „Nein. Ich habe es nicht so-“
„Du willst, dass ich mich entsprechend verhalte? Du willst, dass ich mich so
verhalte, als würde ich in sechs Monaten sterben, Granger?“, verlangte er von
ihr zu wissen, und seine Stimme hatte sich abgekühlt. „Es ist schön, von dir
daran erinnert zu werden, aber könntest du das morgen tun, wenn die gottverdammten
Schmerzen mich wieder lähmen und mich an meinen Stock fesseln?“ Sie spürte die
Tränen.
„Ich will
doch nur, dass du vorsichtig bist!“, erklärte sie stotternd.
„Ich bin mein ganzes Leben vorsichtig!“, gab er zurück. Sie hob verzweifelt die
Hand zu seinem Gesicht, aber er wich zurück.
„Draco“, begann sie, aber er schüttelte den Kopf, wich zurück und zog die Decke
über seinen nackten Körper.
„Nein,
ich glaube, ich möchte jetzt still hier liegen, über den Tod nachdenken, und du
hältst mich davon ab, vorsichtig zu sein, Granger“, erwiderte er eisig kalt,
mit einem Blick, der ihr die Haut vom Körper hätte ziehen können. Er war
wütend. Sie unterdrückte die Tränen und erhob sich. Sie wickelte sich das Laken
um den Körper und verließ das Zimmer.
Er folgte
ihr nicht.
Er hatte
wieder mit ihr geschlafen. Und es war unglaublich gewesen.
Absolut
umwerfend. Sie sank auf die Couch. Was hatte sie getan? Was sollte sie tun? Und
vielleicht… wusste er, was er wollte. Vielleicht wollte er nicht, dass sie
vorsichtig mit ihm umging? Vielleicht hatte er alles kalkuliert? Vielleicht…
konnte sie nicht alles so haben, wie sie es wollte, so wie es richtig war.
Die
Heilung wurde vollzogen, damit man schmerzlos leben konnte. Nicht damit man
sich niederen Gelüsten hingab.
Aber…
wofür lebte man dann überhaupt, wenn man immer nur vorsichtig sein musste?
Und sie
erhob sich in einem Moment völliger Klarheit.
Das Laken
fiel von ihrem Körper auf den Boden, und sie stand nackt in der Luxus-Suite.
Er war
erwachsen. Und vielleicht konnte sie eben nicht alles kontrollieren, auch wenn
sie es wollte. Ihre Füße trugen sie wieder vor seine Tür. Es waren keine fünf
Minuten vergangen. Sie öffnete sie lautlos. Er lag immer noch im Bett. Aber
sein Blick verfing sich an ihrem nackten Körper.
„Du
solltest dir etwas anziehen. Es könnte zu viel Aufregung für mich sein, wenn
ich-“
„Halt die
Klappe, Malfoy“, unterbrach sie ihn tonlos, und kam auf ihn zu. Überrascht
stützte er sich auf die Ellenbogen, die blonden Haare zerzaust und die Stirn in
anbetungswürdige Falten gelegt. Sie zog die Decke von seinem Körper,
betrachtete seine schöne Figur, und sie setzte sich rittlings auf ihn. Stumm
sah er ihr zu.
Doch
Spannung stand in seinen Augen.
Sie
ergriff seinen Penis und pumpte langsam auf und ab. Sein Mund öffnete sich
überrascht.
„Einmal
die Woche“, sagte sie. Er sah sie fragend an und biss sich auf die Unterlippe.
„Du kannst einmal die Woche mit mir schlafen. Einen Tag lang. Und den Rest der
Zeit ruhst du dich aus!“ Es war ein Befehl. Es war ein Ultimatum, und er schien
nicht zu begreifen.
„Du willst… einen ganzen Tag lang mit mir Sex haben…?“, wiederholte er
abgehackt.
„Na ja…
ungefähr“, sagte sie nickend, während sie spürte, wie sie bereit für ihn wurde.
Die Feuchtigkeit sammelte sich in ihrer Mitte, denn es machte sie an, ihn
zwischen ihren Schenkeln liegen zu haben. Diesen perfekten Mann. Und er
runzelte die Stirn, verwirrt und verständnislos, aber sie rieb über seine
feuchte Spitze, und er keuchte augenblicklich auf. Sie ließ sich auf ihm
nieder, musste die Augen schließen, sich sammeln, denn er dehnte sie, füllte
sie komplett aus, und sie fing an, sich in kreisenden Bewegungen zu heben, zu
senken, und seine Hände krallten sich in ihre Hüften, halfen ihr, hoben sie
hoch, pressten sie so hart wieder auf seinen Penis, dass sie stöhnen musste,
und sie fühlte sich unglaublich mächtig, unglaublich erregt, und sie wusste
sehr plötzlich, als der Orgasmus sie überrollte, dass sie mit keinem anderen
Mann Sex haben wollte.
Sie
wollte ihn. Ganz.
~*~
Die Tage
waren vergangen. Sie war noch immer müde von dem langen Streit, den sie mit
seiner Mutter geführt hatte. Der Streit war auch zu keinem guten Ende gekommen.
Seine Mutter hatte sie beinahe aus dem Haus geworfen, mit beiden Händen. Hatte ihr gedroht, sie zu verklagen, hatte getobt und sich
am allermeisten über die Tatsache aufgeregt, dass ihr Sohn tatsächlich mit
einem Schlammblut zusammenleben wollte.
Das Ganze
war dann eskaliert, als Draco sich eingemischt hatte, geschrien hatte, bis ihn seine
Kräfte verließen, und er vor den Augen seiner Mutter zusammen gebrochen war.
Hermine
hatte Narzissa mit dem Zauberstab gedroht und hätte sich nicht gewundert, wenn
das Ergebnis dieses Tages gewesen wäre, wenn Narzissa sie umgebracht hätte.
Aber das
war nicht passiert. Blaise war rechtzeitig eingetroffen, hatte Narzissa
irgendwie beruhigt – Hermine hatte keine Ahnung wie – und hatte Draco mit ihr
zusammen aus dem Haus geschafft. Blaise hatte sich auch um den Umzug gekümmert.
Viele von Dracos Möbeln hatte er zurückgelassen, hatte sich um neue Stücke
gekümmert, die besser in das neue Haus passten.
Und heute
war ein schlechter Tag.
Heute
waren die Schmerzen wieder da, und Draco hatte sie gebeten, ihn nicht sofort zu
heilen, damit er, wie er es nannte, nicht vergaß, wie sich die Schmerzen
anfühlten. Er wäre dankbarer für die Heilung, wenn er sich gut genug daran
erinnerte, wie es sich ohne die Heilung anfühlte.
Hermine
passte das gar nicht gut. Unter anderem weil sie es nicht wertragen konnte,
wenn es ihm nicht gut ging, dann, weil heute Harry und Ron zu Besuch kamen,
aber diese selbstsüchtigen Gründe waren nur nebensächlich.
Und es
würden noch fünf Tage vergehen, ehe sie… wieder… intim werden würden. Sie würde
es durchziehen. Sie hatten es bereits zwei Wochen so gemacht. Er war zwar die
meiste Zeit über schlecht gelaunt und versuchte sie, zu verführen, aber es
funktionierte immerhin ungefähr.
Er saß in
dem frisch eingerichteten Wohnzimmer und blickte auf den weiten Garten, das
weite Feld und schien die Bäume zu betrachten, die sich im Wind bewegten.
„Alles
klar?“, unterbrach sie seine Gedanken und stellte sich neben seinen Sessel.
Heute war er… anders.
„Bestens“,
erwiderte er, aber sie erkannte seine schlechte Laune.
„Gleich…
kommt Besuch“, gestand sie ihm ein. Sie war sich nicht sicher, ob sie Harry und
Ron absagen sollte. Aber… eigentlich wollte sie es nicht. Sie wollte, dass
Harry und Ron Draco kennenlernten. Ihn wirklich kennenlernten. Sein Blick wurde
tatsächlich finster, obwohl er es wohl vor ihr hatte verbergen wollen.
„Großartig.
Wer ist es? Deine Eltern, meine Eltern? Die scheiß Hexenwoche? Das Arschloch
Dean?“, erkundigte er sich ohne seinen Unmut weiterhin zu verbergen, aber sie
verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein.
Harry und Ron.“ Sein Blick hob sich, und er sah sie an, als würde sie einen
Scherz machen.
„Oh
wirklich?“, erwiderte er ruhig.
„Ja,
wirklich. Und Dean ist kein Arschloch“, fügte sie gereizt hinzu. Draco und Dean
hatten vorgestern nicht gerade das beste Zusammentreffen gehabt, als Draco sie
aus dem Mungo abgeholt hatte. Sie war froh, dass es nicht in einer Schlägerei
geendet war.
„Entschuldige,
Granger, aber ich bin gerade nicht in der Stimmung für ein Gryffindor-Fanclub-Treffen“,
entgegnete er bitter. Sie verengte die Augen.
„Es ist
nicht so schlimm, verstehst du? Ich kann dich vorher einfach-“
„-heilen?“,
unterbrach er sie lauernd. „Damit ich freundlich und zuvorkommend gegenüber
deinen Freunden bin?“, ergänzte er kalt. Sie atmete aus.
„Draco“,
begann sie, und er stützte sich auf seinen Stock.
„Ich
verstehe“, erwiderte er nur, und sie wusste, das tat er nicht. „Aber ich bin
nicht dein Spielzeug, ok?“, fuhr er langsam fort. „Wenn ich dir nicht passe,
kannst du mich nicht ausschalten, Granger“, knurrte er.
„Das habe
ich auch nicht vor!“, ging sie kraftlos in die Verteidigung. „Ich dachte nur,
dass es vielleicht für uns alle angenehmer wäre, wenn wir uns verstehen.“
„Du
schämst dich für mich?“, entgegnete er mit verengten Augen, und sie verdrehte
die ihren daraufhin.
„Nein,
Draco!“
„Wieso
sagst du nicht ab?“, knurrte er. „Ich glaube, ich bekomme einen
Patienten-Todes-Bonus, oder nicht?“ Sie hasste es, wenn er so sprach. Und Wut
schäumte in ihrem Bauch.
„Nein, tust du nicht“, sagte sie bloß, wandte sich von ihm ab und war erst mal
wütend. Wirklich wütend. Dann sollte er doch seine ätzende Show abziehen!
Sollte er doch schlecht gelaunt sein, weil er seinen Respekt vor seinen
verdammten Schmerzen behalten wollte. Sollte er doch ihre Freunde fertig machen
und ihr damit zeigen, wie wenig ihre Gefühle ihm bedeuteten! Sollte er nur!
Sie war
aus dem Zimmer gegangen. Lautlos, um in die Küche zu gehen. Rufus lag vor dem
Kamin und hob träge den Kopf, als sie reinkam. Sie stützte die Hände wütend auf
der Arbeitsfläche ab, unschlüssig, ob sie weinen oder schreien sollte. Sie
starrte vor sich auf den polierten Marmor und wusste nicht, was sie tun sollte.
Wieso war
er heute so… schwierig? Er war sonst nicht so widerlich! Sie verstand es nicht!
Wirklich nicht.
~*~
Als es
klopfte, zauberte sie ein Lächeln auf ihre Züge und schritt betont munter zur
Tür.
„Hey!“,
begrüßte sie die beiden, und unschlüssig wog Harry den bedeckten Kuchen in der
Hand.
„Hi“, erwiderte
er, und Ron lugte hinter sie, als erwarte er, dass Draco gleich in den Flur
springen könnte.
„Kommt
rein“, bedeutete sie ihnen mit einer einladenden Geste. „Apple Crumble?“,
vermutete sie, denn das war Ginnys Spezialität.
„Ja“,
sagte Harry und schien sich unwohl zu fühlen. „Und?“, ergänzte er, während er
sich umsah. „Gut… eingelebt? Du und…?“ Er beendete den Satz nicht.
„Ja,
alles wunderbar“, schloss sie, immer noch betont freundlich.
„Und?“
Das war Ron, der die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte, und nun um die
offenen Türen spähte.
„Merlin,
Ronald, Draco wird an diesem Nachmittag nicht teilnehmen“, klärte sie ihn auf.
Kurz wirkte Ron erleichtert, aber er räusperte sich.
„Oh? Ach wirklich? Schade“, sagte er wenig überzeugend, und sie seufzte auf.
„Wieso nicht?“, fragte Harry jetzt misstrauisch. Hermine nahm ihm den Kuchen ab
und schritt voran in das kleine Kaminzimmer.
„Weil er
sich nicht gut fühlt“, wich sie ihm aus. Harry folgte ihr und bedachte den
gedeckten Tisch.
„Ja?
Wieso essen wir nicht im großen Wohnzimmer? Oder hat sich Graf Dracula da
verschanzt?“ Harry verbarg seine Abneigung ebenfalls überhaupt nicht.
„Harry!“,
fuhr sie ihn an, aber er schien die Worte nicht zu bereuen.
„Ok“,
erwiderte er und ruckte mit dem Kopf. „Ich dachte, dieses Treffen diene dazu,
dass wir einen guten Eindruck von Draco Malfoy bekommen sollen, aber mir war
schon vorher klar, dass so etwas überhaupt nicht möglich ist.“
„Harry,
hör schon auf!“
„Ich kann
mir ohnehin nicht vorstellen, dass du mit zusammen wohnst! Uährg!“, entfuhr es
Ron angewidert, und er schüttelte sich.
„Oder
dass du überhaupt mit ihm sprichst“, merkte Harry an und nahm sich ein Stück
kühlen Crumble vom Teller.
„Wir
sprechen nicht immer, Potter.“
Er war
lautlos im Türrahmen erschienen. Er hatte sich wohl nicht auf dem Stock
abgestützt, ging ihr mit Schrecken auf. Sein Ausdruck war nicht zu deuten.
Harry und Ron spannten sich automatisch an. „Manchmal haben wir Sex, ohne ein
Geräusch zu machen“, fuhr er fort, und sie schloss kurz vor Scham die Augen,
während er das Zimmer betrat. „Kein Teller für mich, Darling?“, entfuhr es ihm mit einem kühlen Lächeln, und sie erhob
sich.
„Ich hole
dir einen.“ Und die Aussicht die drei Männer alleine hier in diesem Zimmer zu
lassen behagte ihr überhaupt nicht.
„Vielen
Dank.“ Seine Stimme klang immer noch abweisend, und der Blick mit dem er sie
bedachte jagte ihr kalte Schauer der Wut über den
Rücken.
Jetzt
stützte er sich wieder auf seinen Stock, und jeder zweite Schritt war mit dem
dumpfen Geräusch begleitet, was sie manchmal schon vergessen hatte. Mit
schnellen Schritten hatte sie das Zimmer verlassen, rannte förmlich in die
Küche, griff sich einen Teller aus dem Regal und erntete einen verwirrten Blick
von Rufus, als sie wieder aus der Küche hastete.
Außer
Atem kam sie wieder im kleinen Kaminzimmer an. Sie atmete flach, während wohl
kein Wort gefallen war. Aber Harry sah so aus, als würde er sich gleich auf
Malfoy stürzen wollen.
„Warum
wohnt er hier?“, erkundigte sich Ron eisig bei ihr, und sie sah Dracos
Mundwinkel zucken.
„Ron“,
begann sie mahnend.
„Nein,
erklär’s mir. Er ist ein Arschloch“, fuhr er fort. Hermine atmete ergeben aus.
Sie hatte jetzt gerade keine gute Erklärung. Er war krank. Das war seine Laune.
Das waren seine Schmerzen. Aber als ob es ihre Freunde glauben würden.
„Ihr seid
Gäste in diesem Haus“, begann Draco jetzt gefährlich ruhig.
„Nein,
eigentlich bist du der Gast in
Hermines Haus“, korrigierte ihn Harry, während er zornig aß. Dracos Ausdruck
war mörderisch.
„Ja, das
war eine dumme Idee“, murmelte sie, mehr zu sich selbst. Sie sah, wie er die
Augen schließen musste und wie sich seine Mundwinkel angespannt nach unten
zogen. Er machte kein Geräusch, obwohl sie wusste, dass ihn die Schmerzen
nahezu umbringen mussten. Sie vergaß ihren Zorn für einen Moment.
„Draco?“
Sie kniete sich vor ihn.
„Es ist
schon gut“, gab er tonlos zurück, ohne die Augen zu öffnen.
„Du musst
es nur sagen“, flüsterte sie, während sie Harry und Ron ignorierte, die sich
näher gelehnt hatten.
„Was muss
ich nur sagen? Dass ich deine Heilung brauche?“, knurrte er. „Ich will es aber
nicht!“
„Ok“,
sagte sie ruhiger und legte ihre Hand auf seine verkrampften Finger, die er um
den Knauf seines Gehstocks gekrallt hatte. Sein Atem wurde ruhiger, und er
öffnete die Augen. Und sie erkannte eine Müdigkeit in seinen hellgrauen Augen,
die an ihrem Innern zerrte.
Er löste
den Blick von ihr und ließ ihn über Ron und Harry gleiten. Unter Schmerzen
erhob er sich. Er brauchte zwei Anläufe.
„Vielleicht…
sollte ich euch diesen Tag wirklich nicht verderben durch meine Anwesenheit“,
schloss er ausdruckslos.
„Draco,
du-“
„-schon
gut“, unterbrach er sie kühl. Er senkte den Blick und atmete angestrengt aus.
Sie konnte es kaum mit ansehen. Es war, als wäre es schlimmer als sonst. Sie
war alarmiert. Ihr ganzer Körper war angespannt und besorgt. Langsam, aber
beherrscht verließ er das Zimmer wieder.
Sie sah
ihm nach.
„Äh…
Hermine?“ Ron sah sie an. Aber sie erhob sich.
„Entschuldigt mich“, sagte sie und konnte nicht anders. Sie konnte einfach
nicht anders, und kam hinter ihm her. „Draco?“ Sie hielt ihn auf dem Flur auf.
„Geh
wieder rein“, sagte er ruhig.
„Sag mir,
was los ist“, forderte sie.
„Geh. Hab
deinen Nachmittag mit deinen Freunden“, erwiderte er harsch.
„Nein.
Nicht, wenn du mir nicht sagst, was los ist!“
Er
seufzte auf. „Es ist gar nichts.“
„Wieso
bist du so?“, wollte sie wissen.
„Wie?
Todkrank?“, entfuhr es ihm lakonisch, aber sie schüttelte wütend den Kopf.
„Du bist
sonst nicht-“
„-es hat
angefangen“, sagte er nur. Zorn stand in seinen Augen. Sein ganzes Gesicht war
angespannt. Sie runzelte die Stirn.
„Was hat angefangen?“
Und er
zögerte, ehe er unter Umstand sein Hosenbein höher zog. Und sie konnte es an
seinem Knöchel über seinem Socken erkennen. Ein schwarzes Band hatte sich um
seine Haut gelegt. Sie ging auf die Knie. Ohne Zögern. Sie begutachtete die
Verfärbung. Und er hatte recht. Sie schluckte hart. Das Gift ließ seine Haut
sterben. Es war ein schmaler giftig schwarzer Ring. Winzige Linien zügelten
sich, noch kaum zu bemerken, schwarz durch seine Venen.
Sie
atmete aus. Aber sie erlaubte sich keine Tränen.
Es hatte
angefangen. Das Gift wirkte nun stärker. Sie erhob sich.
„Gut“, sagte sie mit ihrer besten Heilerstimme. „Das heißt, wir müssen es
täglich beobachten. Wir notieren jede Veränderung und können den Prozess mit
der Heilung verlangsam. Wenn wir-“
„-Granger?“,
unterbrach er sie, als hätte er sie nicht gehört. Sie sah ihn an. „Ich… ich
hatte geglaubt, dass… es vielleicht nicht passieren würde“, fügte er
schließlich ruhig hinzu. Und sie spürte die Tränen jetzt mächtiger. Denn sie
hatte das gleiche gehofft, auch wenn es natürlich nur Wunschvorstellungen
waren.
„Ich
weiß“, flüsterte sie. Sie legte die Arme um seinen Nacken. Es machte sie so
traurig, ihn leiden zu sehen.
„Du hast
Gäste“, murmelte er in ihre Haare, denn sie hielt ihn immer noch fest.
„Ist doch
egal“, gab sie schluchzend zurück.
„Hey,
nicht weinen“, murmelte er, und seine Hand legte sich um ihre Taille. „Es… tut
mir leid. Ich war nur…“
„Ich
weiß“, wisperte sie.
„Heil
mich“, erwiderte er jetzt. Sie hielt ihn noch einen Moment fest.
„Bist du
sicher? Ich-“
„-ja.
Heil mich, bitte“, sagte er.
Sie zog den
Zauberstab, sprach die Formel, und mittlerweile konnte sie es gut genug
dosieren, dass sie danach keine Schwächeanfälle mehr bekam. Er musste sie
halten. Sie spürte, wie er stärker wurde und sie wieder schwächer. Er hielt sie
fest in seinen Armen.
Sie spürte,
wie er achtlos den Stock gegen die Wand lehnte, als er ihn nicht mehr brauchte,
und sie sich ohne Bedenken gegen seinen Körper sinken lassen konnte, um kurz
auszuruhen.
„Alles in
Ordnung?“, flüsterte er gegen ihren Haaransatz, und sie wusste nicht, ob eine
Minute vergangen war oder zehn. Sie hob lächelnd den Blick.
„Ja“,
versprach sie leise, und er senkte den Kopf auf ihre Lippen. Sein Kuss war süß
und verzweifelt. Sie klammerte sich an ihn, denn sie begriff, sie würde ihn
verlieren.
Wirklich
verlieren. Und sie wollte nicht. Er löste sich von ihr, und sie ergriff seine
Hand.
Sein
Blick war so offen. Sie wusste nicht, wie viel Überwindung es ihn kostete, aber
er drückte kurz ihre Hand und zog sie wieder mit sich über den Flur zum kleinen
Kaminzimmer, in dem Harry und Ron immer noch unangenehm berührt auf
verschiedenen Sesseln saßen.
Sie sagte
nichts. Wahrscheinlich sahen die Jungen, dass sie geweint hatte. Deswegen
wurden ihre Blick auch finsterer.
Und Draco
atmete aus, ehe seine Mundwinkel sich tatsächlich hoben.
„Was
macht man eigentlich so als Auror, wenn alle Todesser gefangen oder tot sind?“,
fragte er in die Stille, und sie sah, wie Harrys Mund sich langsam öffnete.
„Ich meine… wen jagt ihr? Irgendwelche Kleinkriminellen, die Toaster verhexen?
Oder… Jugendliche, die die Winkelgasse mit magisch wechselnder Farbe
beschmieren?“
Und sie
atmete aus. Beinahe erleichtert. Für ihn schien es letztendlich leichter zu
sein, sich wieder zu fangen. Oder er war ein guter Schauspieler.
Er ließ
ihre Hand nicht los. Nicht eine Sekunde lang.
Und egal,
wie sehr es Harry und Ron hassten mussten, sie ließ die seine ebenfalls nicht
los.
Es war
das erste Mal, dass er geheilt ins Büro ging. Die Winkelgasse kam ihm nicht
bedrohlich vor. Sie bereitete ihm keine Mühen. Jeder Schritt ging federleicht,
und ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er war noch nie ohne Kutsche zur
Arbeit gegangen. Er war noch nie zur Arbeit appariert.
Und schwungvoll
öffnete er die Schwingtüren zu seinem Unternehmen. Er schlenderte zum
Empfangstresen.
„Einen
wunderschönen guten Morgen“, begrüßte er die Hexen dort mit einem gewinnenden
Lächeln, und verwirrt hoben sie die Blicke.
„Sie
wollen zu-?“ Aber die Hexe unterbrach sich mit größer werdenden Augen. „Mr
Malfoy…?!“, entfuhr es ihr tonlos.
„Irgendwelche
Nachrichten?“, erkundigte er sich, immer noch lächelnd, und die Hexen sahen mit
offenen Mündern an. „Meine Damen?“, ergänzte er rau, und sie schraken aus der
Starre.
„Oh!
Ver…verzeihen Sie, Sir. Wir…“ Sie sahen sich beide ratlos an. Dann zuckte die
eine zusammen.
„Ihr… Ihr
Vater ist hier!“, sagte sie hastig, als fiele es ihr jetzt wieder ein.
„In
Ordnung, vielen Dank“, schloss er ein wenig überrascht, aber er zwinkerte ihnen
zu, und sie starrten ihm vollkommen perplex nach. Sein Lächeln vertiefte sich.
Seine Hand steckte locker in seiner Tasche und er öffnete mit der anderen Hand
die Flügeltüren zu seinem Büro.
„-weil
nicht jedes Unternehmen chancenlos von euch ausgeschlachtet werden-“ Lucius
unterbrach sich selbst, als er sich umwandte. Blaises Krawatte war bereits
gelockert, und beide schienen einen handfesten Streit zu führen, den Draco
gerade unterbrach.
„Probleme?“,
erkundigte sich Draco, während er gelassen zu seinem Schreibtisch wanderte, die
Post inspizierte und sie pfeifend neu sortierte. Sein Vater kam auf ihn zu.
Sein Vater hatte ihn noch nicht gesehen, seit er beschlossen hatte, verrückt
nach Granger zu sein. Seit er beschlossen hatte, die Heilung anzunehmen.
„Draco?“,
flüsterte sein Vater, als wäre er nur ein Trugbild. Und er kannte seinen Vater
gut. Er kannte sein Gesicht so genau wie sein eigenes. Er erinnerte sich
plötzlich an einen Moment aus seiner Kindheit. Er hatte den Besen seines Vaters
von der Wand genommen und war heimlich damit geflogen. Draußen im Garten. Er
war den Elfen entkommen, die ihn hatten aufhalten wollen, und draußen in der
Luft hatte er den Besen als neunjähriger im Wind nicht halten können.
Er war
zehn Meter in die Tiefe gestürzt, während die Elfen seinen Sturz nicht
aufhalten konnten. Nur verlangsamen. Und er hatte vieles vergessen. Hatte
vergessen, wie es sich angefühlt hatte, als er sich die Elle in seinem Arm
gebrochen hatte, aber er erinnerte sich noch genau an das Gesicht seines
Vaters, als die Elfen ihn gerufen hatten, und er nach draußen gestürmt war. Wie
er ein Geschäftstermin mit Mr MacNair ignoriert hatte und nach draußen in den
Garten gerannt gekommen war.
Wie er
sich über ihn gebeugt hatte, und wie die kalkweiße Farbe endlich aus seinem
eleganten Gesicht verschwunden war, wie seine Pupillen sich vor Erleichterung
geweitet hatten, als er, Draco, die Augen geöffnet hatte.
Er hatte
im Gras gekniet, hatte ihn in seine Arme genommen, hatte irgendetwas gemurmelt,
was Draco nicht hatte verstehen können, und er hatte geglaubt, die Prügel
seines Lebens zu bekommen, aber Lucius hatte den Heiler gerufen, hatte seinen
Termin abgesagt, und war bei ihm geblieben. Den ganzen Tag. Lucius hatte ihm
heiße Schokolade gebracht, hatte ihm sogar seine Lieblingsdrachengeschichte
vorgelesen. Es war mittlerweile kaum mehr vorstellbar, dass Lucius Malfoy so
etwas tat.
Der Ärger
kam anschließend am nächsten Tag, aber… Draco hatte mehr Ärger bekommen, als er
die Elfenweinkaraffe beim Toben auf einem Bankett seiner Mutter umgerissen und
den Perserteppich mit Blumenwasser getränkt hatte.
Dagegen
war der Tag, als er vom Besen gefallen war, regelrecht entspannt gewesen.
Und der Blick
seines Vaters jetzt gerade, brachte diese Erinnerungen aus seiner Kindheit
zurück. Draco konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass ihn sein Vater seit
seiner fortschreitenden Krankheit überhaupt jemals wieder so angesehen hatte.
Er
räusperte sich, denn ihm war der Moment unangenehm.
„Wir
schlachten keine Unternehmen aus, Lucius. Was für ein hässliches Wort. Wir-“
Aber sein Vater hatte ihn unterbrochen, ihn an den Schultern gefasst und an
sich gezogen. Draco wurde überraschte gegen seinen Vater gepresst, den Griff
hart wie einen Schraubstock.
„Va-ter“,
brachte er stockend über die Lippen, spürte aber wie Lucius den Kopf
schüttelte.
„Draco!“, wiederholte er, und Draco glaubte, zu hören, wie
seine Stimme eigenartig belegt klang. „Sieh dich an“, fügte Lucius hinzu, ließ
ein Stück von ihm ab, um ihn näher zu betrachten. Und ja, Draco hatte Recht,
denn tatsächlich standen Tränen in den Augen seines Vaters. Faszinierend. „Sieh
dich an…“, wiederholte er ungläubig. „Mein Junge“, ergänzte er, und Dracos Mund
öffnete sich langsam.
Schon
wurde er wieder an die Brust seines Vaters gezogen. Es war ein bitteres Gefühl
in seinem Innern. Wenn sein Vater ihn jetzt so fest umarmte, was er vorher nie
getan hatte, musste sich Draco unwillkürlich fragen, welchen Eindruck er vorher
auf seinen Vater gemacht hatte. Einen anscheinend sehr fremden Eindruck. Er
sagte nichts und hoffte, die Umarmung würde gleich enden, denn auch der Duft
des herben Parfüms seines Vaters weckte lang vergessene Erinnerungen, tief in
seinem Innern, die er bis heute erfolgreich verdrängt hatte.
Auch
Blaise war aufgestanden. Und auch er wischte sich über die Augen. Wenn Draco
heute noch einen Mann weinen sah, dann würde er wieder nach Hause verschwinden.
„Lucius,
lass mich los“, murmelte er, und endlich ließ sein Vater von ihm ab und wich
zurück.
Und Draco
fand es übertrieben. Er fand sein Vater überreagierte maßlos.
„Lasst
uns essen gehen“, schlug Lucius vollkommen verändert vor.
„Ich bin
gerade erst gekommen!“, beschwerte sich Draco, aber Lucius lächelte, als würde
er ihn nicht verstehen.
„Wir
arbeiten ohnehin nur noch zur Schau“, erklärte Blaise glücklich. Draco
verdrehte die Augen.
„Nein.
Ich arbeite, weil ich es will. Weil es gut ist. Weil es Geld bringt. Ihr könnt
gerne essen gehen, aber ohne mich.“ Blaise schien etwas sagen zu wollen, aber
Draco unterband diese seltsame Szene ohne Gnade.
„Ich
brauche keinen Stock, ich weiß“, sagte er. „Und… ich weiß, es sieht so aus, als
wäre ich gesund, aber das bin ich nicht“, schloss er langsam. Nein, denn während er sprach, und während sein Vater eine seltsame
Läuterung erfuhr, züngelten sich giftige schwarze Bänder seine Venen empor.
Unaufhaltsam, egal welche Heilung er in Anspruch nehmen würde.
„Aber, es
geht dir gut! Ich… würde gerne mit dir Zeit verbringen“, erwiderte sein Vater
jetzt ernst.
„Und… das
wolltest du vorher nicht?“, zog Draco mit spöttisch erhobener Augenbraue den
Umkehrschluss. Lucius atmete aus.
„Du warst nicht in der Verfassung zu-“
„-zu
essen?“, beendete Draco den Satz trocken. „Ich habe mein ganzes Leben lang
gegessen, Vater.“
„Draco-“
„-was?
Dir fällt es jetzt leichter zu fragen, weil der Tod nicht sekündlich aus meinen
Augen blickt?“, fuhr er ihn an. Und vielleicht war seine Wut unpassend, aber er
war kein Aussätziger gewesen! Nur weil es seinem Vater noch vor ein paar Wochen
unangenehm gewesen war, mehr als zwei Worte mit ihm zu wechseln, brauchte er
jetzt nicht angekrochen kommen!
„Das ist
es nicht. Das weiß du auch, ich… - ich habe dich so nicht mehr gesehen, seit…
seit…“ Lucius hob hilflos die Hände. „Ich weiß es nicht mal mehr! Immer wenn
wir uns gesehen haben warst du kalt, du warst… krank und du hast dafür gelebt,
krank zu sein! Alle zu verdrängen, niemanden mehr in dein Leben zu lassen,
und…“
„Und?“
Draco war interessiert an den Ausführungen seines Vaters.
„Und ich
erinnere mich wieder an dich. Ich habe dich ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen,
Draco Malfoy“, erwiderte er. „Entschuldige, wenn ich mich über dein Wiedersehen
mehr gefreut habe, als unter Malfoys angemessen“, ergänzte er knapp und nahm
seine Robe über den Arm. Draco schwieg. „Ich hatte keinen Sohn mehr. Vielleicht
weißt du auch nicht, wie es sich anfühlt, wenn-“
„-nein!“, unterbrach ihn Draco, plötzlich wütend. „Du bist ausgezogen, Lucius!
Du hast dich von Mutter getrennt! Du hast die Scheidung eingereicht. Weil du
nicht mehr konntest! Weil es dir zu viel wurde, mit deinem kranken Sohn, der
für deine kranken Ziele im Feuer gelandet ist! Du hattest einen Sohn! Du
hattest nur keine Lust mehr!“, entfuhr es ihm. Und er hatte mehr gesagt, als er
eigentlich vorgehabt hatte. Er wusste doch, dass er mit seinem Vater nur gut
über Belanglosigkeiten sprechen konnte. Über nichts sonst! Es war seine eigene
Schuld, dass er sich darauf eingelassen hatte!
„Draco!“,
rief Lucius zornig, aber Draco schüttelte den Kopf.
„Wenn du denkst, dass Essengehen irgendetwas ändert, wenn du denkst, dass wir
zu Freunden werden, weil ich dich an die Zeit erinnere, bevor du uns verlassen
hast, dann tut es mir wirklich leid. Wir sind keine Freunde“, sagte er ruhiger.
Lucius wirkte betroffen. Sollte er auch, befand Draco. Es war kein Spiel. Es
war sein Leben. Sein ziemlich kurzes Leben.
„Du hast
deine Mauern gut um dich errichtet, Draco“, entgegnete Lucius tonlos. „Aber ich
weiß, ich bin nicht daran schuld. Nicht nur“, räumte er ein, als Draco zornig
den Mund verzog. „Ich hatte mich abgefunden, verstehst du?“, sagte er jetzt mit
mehr Nachdruck. „Ich hatte mich jeden Tag neu mit dem Gedanken abgefunden, dass
du… dass es zu Ende gehen wird. Und es fällt einem leichter,
Dinge zu glauben, die man mit eigenen Augen sehen kann“, fuhr Lucius
ernster fort. „Aber jetzt…“ Er machte eine knappe Pause, in der ihn einfach nur
ansah. „Aber jetzt bist du wieder da. Und jetzt… ist es schwieriger, sich
wieder neu zu gewöhnen, Draco.“ Draco hatte kein Mitleid mit seinem Vater. Als
wäre er derjenige, der sich auf irgendetwas einstellen müsste. Er konnte sich
nicht vorstellen, dass es seinen Vater so sehr zu schaffen machte.
„Und ich
weiß, du weißt nicht, wie es sich anfühlt, aber… zu wissen, dass der eigene
Sohn vor einem selber sterben wird, ist…“ Lucius machte eine knappe Pause,
während seine Züge plötzlich härter wurden. „Ich glaube nicht, dass es etwas
Schlimmeres gibt als das, Draco. Vielleicht ist schlimmer, dass du niemals das
Gefühl erfahren wirst, Vater zu sein. Aber du bist mein Kind“, fügte er ruhiger
hinzu, und irgendetwas zerrte in Dracos Innerem. Irgendetwas, was er längst
vergessen hatte. Lange hatte ihn keiner mehr Kind genannt. „Und wenn wir gerade
ehrlich sind, wenn du auch nichts von mir wissen willst, sage ich es dir
dennoch. Denn wenn ich dich dann letztendlich verliere, und du siehst mich an,
so wie du mich jetzt ansiehst! Gesund und stark und so unglaublich jung, Draco
– dann fällt mir wieder ein, dass dann, wenn es vorbei ist, nichts mehr wieder
gut werden wird. Nie mehr“, schloss Lucius rau. „Und jeden weiteren Tag, werde
ich wissen, es war meine verdammte Schuld. Wegen mir warst du im Feuer. Wegen
meiner beschissenen Ideologie. Wegen…“ Er unterbrach sich selbst. „Aber das
weißt du alles.“
Er hatte
diese Worte beinahe kühl gesprochen, und sie kribbelten unangenehm auf Dracos
Haut. Die Augen seines Vaters wirkten hell im Tageslicht. Er spürte, dass seine
eigenen Augen brannten. Er wollte nicht vor seinem Vater weinen. Er wollte
nicht wahrhaben, dass die Worte seines Vaters Tränen in ihm auslösen konnten.
Er beschloss, kalt zu bleiben. Das wäre besser als seine Gefühle zu offenbaren.
„Und du
denkst, eine Umarmung, Essen gehen und eine reißerische Ansprache bringt mich
dazu, dir zu vergeben?“, wollte Draco nun wissen, und Lucius lächelte
plötzlich.
„Nein.
Ich will keine Vergebung. Aber vielleicht verbringen wir noch irgendwann ein
letztes Mal Zeit zusammen, Draco.“ Draco merkte erst jetzt, wie Blaise ihn fast
aufmunternd ansah.
„Wenn mir
jemals danach sein sollte“, erwiderte Draco und ignorierte Blaise. Dieser hatte
den Blick gesenkt und atmete resignierend aus. Es verging noch ein weiterer Moment
in Stille. Dann nickte sein Vater.
„Schön,
dich gesehen zu haben, Draco“, sagte er noch, ehe er ging. Die Türen fielen ins
Schloss.
„Ein
Essen, Draco“, sagte Blaise plötzlich mahnend. „Was wäre so schlimm daran
gewesen?“
„Man kann
nicht alle Dinge regeln, bevor man stirbt“, erwiderte Draco kalt. „Nicht alle
losen Enden verbinden“, fügte er grimmig hinzu.
„Der Mann
ist dein Vater. Und ich wüsste nicht, wie er noch deutlicher hätte machen
sollen, dass er sich Zeit mit dir wünscht!“
„Er hätte
genug Zeit mit mir haben können. Er braucht nicht auf die letzten paar Meter
anzukommen“, knurrte Draco ungehalten, und ehe Blaise widersprechen konnte,
sprach er weiter. „Und jetzt… möchte ich arbeiten“, ergänzte er erbarmungslos.
„Gute
Entscheidung“, sagte Blaise höchst ironisch, mit unüberhörbarer Bitterkeit.
„Wirklich“, fügte er mit Nachdruck hinzu und fast zornig setzte sich Blaise
zurück an den Schreibtisch, ohne noch einmal aufzublicken. Draco atmete aus.
Was dachten die Leute? Dass sich seine Persönlichkeit magischerweise geändert
hatte? Er war derselbe Mensch. Nette Worte und leere Gesten konnten ihn nicht
überzeugen. Was dachte Blaise eigentlich? Und was dachte Lucius? Nein, so
einfach lief es nicht.
Ganz
bestimmt nicht.
~*~
Er hatte
den Besuch Zuhause nicht erwartet. Und er begrüßte diesen Besuch auch nicht.
Potter und Weasley waren eine Sache, aber das hier war eine andere. Hermine
wirkte so nervös, wie jedes Mal, wenn Fremde ins Haus kamen. Er registrierte,
wie gut sie aussah, in dem fließenden Rock, der hellen Bluse, und ihren Haare,
lockig und wild. Und er hasste, dass der unwillkommene Besuch sie so sehen
durfte. Die Heilung hatte nachgelassen, und die Müdigkeit kroch wieder in
Dracos Glieder.
„Was für
eine nette Überraschung“, sagte er nur, denn er wusste genug über Dean Thomas,
dass er sagen konnte, dass er ihn nicht leiden mochte.
„Malfoy“,
begrüßte ihn Dean mit eben derselben Missachtung.
„Draco,
Dean und ich haben gesprochen“, begann sie vorsichtig. Draco wartete lauernd,
ob das alles war, was sie mit Dean
getan hatte. „Über alternative Behandlungen“, fuhr sie fort.
„Alternative Behandlungen?“ Immerhin schien sie ihm keine Affäre mit dem
Muggel-Mann beichten zu wollen. Das war beruhigend, überlegte er bitter.
„Ja, ich…
bin eine Frau, und meine Kräfte sind begrenzt. Und… es würde viel mehr Sinn
machen, wenn du eine Behandlung von einem Mann bekommen würdest, der seine
Kräfte wesentlich besser dosieren könnte“, schloss sie ernst.
„Und
deine erste Idee war Dean Thomas zu fragen?“, entfuhr es ihm überrascht. Sie
verdrehte die Augen. „Wieso fragst du nicht Potter? Oder Weasley? Oder gleich
alle Muggel-Aktivisten, die mich nicht leiden können?“, zählte er ironisch auf
und hörte Dean ausatmen.
„Malfoy, glaub mir, ich bin nicht gerne hier.“
„Nein“,
erwiderte Draco kalt, „du tust Granger nur einen Gefallen, nicht wahr?“,
beendete er den Satz so feindselig, dass ein überraschter Ausdruck auf Deans
Züge trat. „Danke, aber nein danke“, schloss Draco knapp.
„Draco,
ich bitte dich…!“
„Du bittest mich, was zu tun, Hermine?“, wollte er hart wissen. „Du willst,
dass wildfremde Männer mich heilen?“
„Es würde
deine Zeit verlängern. Dean ist-“
„-es ist mir verflucht egal, was Dean
ist!“, knurrte er. „Er ist hier nicht willkommen, und das ist alles, was
wichtig ist“, fügte er streng hinzu, und Dean schien Granger einen wissenden
Blick zu schenken, und Draco verzog grimmig den Mund. „Spar dir das, Thomas“,
bemerkte er zornig. „Ich bin kein Patient in diesem Haus“, ergänzte er bitter.
„Malfoy,
ich-“
„Was?“, unterbrach er ihn scharf.
„Meine
Hilfe wäre nur zu deinem Vorteil, garantiert nicht zu meinem“, erwiderte Dean
kühl.
„Dann
hast du Glück, denn ich scheiße auf deine verdammte Hilfe“, entgegnete Draco
mit einem täuschend echten Lächeln.
„Draco!“, fuhr sie ihn an, aber er schenkte ihr einen knappen Blick.
„Vielen
Dank für deine Besorgnis, aber ich komme zurecht, ohne die Hilfe von deinem
Wunderjungen, Granger“, sagte er und verließ das Zimmer. Wut kochte in seinem
Körper, und er hasste nichts mehr, als sich so komplett hilflos zu fühlen. Dass
sie ihn dazu brachte, sich so zu fühlen machte es nicht besser.
Er war
die Treppe hochgegangen und knallte die Schlafzimmertür so zornig ins Schloss,
dass die Wände zu beben schienen. Er fuhr sich durch die Haare und atmete aus.
Es war anstrengend gewesen. Der ganze Tag. Die Szene mit seinem Vater, die
ganzen neuen Gefühle und Blaise war immer noch tief beleidigt.
Es war
schwer. Alles war schwer. Er hatte sich geändert, und das sogar um viele Grade,
seitdem er Granger kannte, die sich um ihn kümmerte, die nicht zuließ, dass er
sich gehen ließ, dass er zornig wurde, dass er… sich krank fühlte, aber er
fühlte sich krank. Er hasste es. Es kam durch, egal, wie sehr er versuchte,
irgendein Licht der Hoffnung zu sehen.
Er hörte,
wie sie unten die Haustür schloss.
Er stand
unbewegt im Zimmer, als sie die Treppe hochkam. Ihre Schritte waren schnell.
Wahrscheinlich war sie mächtig sauer. Bestimmt hatte sie Thomas mit all ihren
Künsten überzeugen müssen, hierherzukommen. Und war es nicht verflucht
praktisch? Der verdammte Heiler spazierte hier ein und aus, bot an, ihn zu
heilen, erntete Bonuspunkte bei Granger, und wenn er, Draco, endlich gestorben
war, würde Dean Thomas seine Chance nutzen.
Dracos Hände
zitterten vor Wut.
Sie
klopfte nicht, als sie eintrat.
„Draco,
das war wirklich unnötig! Das war so ungerecht von dir! Du kannst nicht-“
„-was?“,
unterbrach er sie, ohne sich umzudrehen. Er hörte sie aufschnauben.
„Ich bin
zu hundert Prozent dabei, Draco. Ich bin hier. Bei dir. Ich bleibe bei dir, und
du könntest wenigstens versuchen, alles leichter zu machen. Weißt du, ich tue
das für dich! Ich will nur, dass du-“
„-danke,
das ist nicht nötig“, entfuhr es ihm kühl. Sie kam näher, griff grob nach
seinem Arm und drehte ihn zu sich herum.
„Sieh
mich wenigstens an, du egoistischer scheiß Kerl!“, zischte sie, den Tränen
nahe. Sein Blick glitt über ihr hübsches Gesicht. Sie war hübsch, auch wenn sie
wütend war. „Ich liebe dich“, informierte sie ihn, fast zornig. Sein Mund
öffnete sich verblüfft. „Und wir sind zusammen. Es kann nicht immer nur nach
deinem Willen gehen, denn-“
„-Granger“,
unterbrach er sie tonlos, aber eine Träne rollte über ihre Wange. Etwas in ihm
zog sich zusammen bei diesem Anblick. Sie schüttelte heftig den Kopf.
„Und ich
lasse dich nicht gehen, Malfoy, hörst du?“, sagte sie mit felsenfester
Überzeugung. „Ich… weiß nämlich nicht, wie, und ich…“
Aber er
schlang eine Hand um ihren Hals und senkte seine Lippen auf ihren Mund. Alles in
ihm kribbelte, und er würde dieses Gefühl niemals vergessen. Er würde sich
immer daran erinnern. Egal, ob tot oder lebendig. Er hörte sie schluchzen, aber
seine andere Hand legte sich sanft um ihren Hals, während er mit seiner Zunge
zärtlich ihre Lippen teilte.
Sie
erwiderte den Kuss plötzlich hungrig, lehnte sich enger gegen ihn, und er ließ
eine Hand von ihrem Hals gleiten, um seinen Arm fest um ihre Taille zu legen.
Sie
liebte ihn… Hermine Granger liebte ihn. Jemand liebte ihn! Er hatte damit nicht
mehr gerechnet.
Sie
wehrte sich zaghaft, als er ihre Bluse einfach öffnete.
„Draco,
nicht, deine Kräfte-“, begann sie, aber er verschlang wieder ihren Mund und
hatte ihre Bluse komplett geöffnet. Er löste sich sanft von ihren vollen
Lippen.
„-ich
will dich. Jetzt“, ergänzte er verlangend, und sein Blick bohrte sich in ihre
dunklen Augen. Er sah, wie ihr Atem unregelmäßig ging. „Bitte“, fügte er hinzu,
aber sie widersprach nicht, entzog sich ihm nicht, und er schloss den Abstand
wieder, um sie zu küssen, sie an sich zu ziehen, und griff nach dem Saum ihres
Rocks, um ihn ihre Beine hochzuschieben.
Er
bugsierte sie rücklings zum Bücherschrank. Nicht zum Bett. Sie entzog sich
seinen heißen Küssen, hielt ihn an den Schultern auf Abstand und schüttelte wieder
ihren hübschen Kopf.
„Nein! Das ist zu anstrengend, du-“ Aber er unterbrach ihre Worte, indem er
zornig unter ihren weichen Po fasste und sie mühelos hochhob. Mit Kraft presste
er sie gegen das Regal hinter sie, dass sie aufkeuchen musste, und er registrierte
mit erwachender Erektion, wie ihre Augen dunkler wurden. Wie von selbst legten
sich ihre Beine um seine Hüften.
„Halt
einfach den Mund, Granger“, knurrte er rau, während er ihren BH öffnete. Der
Verschluss war vorne, und das fand er durchaus praktisch. Fast zornig sah sie
ihm entgegen und schämte sich nicht, als ihre Brüste sich ihm darboten. Weich
und fest zugleich hoben sie sich perfekt unter ihren zornigen Atemzügen. Ihre
Locken umrahmten ihr Gesicht und feine rote Flecken der Wut zierten ihre hohen
Wangenknochen.
Gott, sie
war perfekt. Er neigte den Kopf und sog eine dunkle Spitze in seinen Mund und
spürte, wie sie stöhnend den Kopf nach hinten legte. Ihre Finger krallten sich
in seine Haare, und er rieb seine Erektion durch den Stoff seiner Hose an ihrem
feuchten Höschen.
Seine
Hand fuhr fahrig zwischen sie, öffnete den Reißverschluss, und er wusste, er
würde nicht lange aushalten. Sie bewegte sich zu köstlich unter seinen
Bewegungen. Er schob seine Shorts ein Stück tiefer, und befreite seinen
Schwanz. Mit erfahrenen Griffen, die ihn immer noch überraschten, hatte er ihr
Höschen beiseite geschoben und ihr Eingang war frei.
Sein
Herzschlag hatte sich beschleunigt und er hob den Kopf, lehnte sich enger gegen
sie und verschlang wieder ihre Lippen, ehe sie protestieren konnte. Sie war
unglaublich feucht. Egal, wie oft sie ihm sagte, sie könnten keinen Sex haben,
so wusste er doch, dass sie es auch unbedingt brauchte.
Seine
Spitze drängte sich weiter vor, teilte ihren feuchten Eingang, und endlich
spürte er ihre erlösende Hitze, ihre Enge, und sie krallte sich verlangend in
seine Haare. Sie keuchte in seinen Mund, als er sich tiefer in sie stieß. Einen
Arm hatte er um sie geschlungen, die andere Hand griff um die Kante eines
höheren Regalbretts des Bücherregals, während er härter in sie stieß, und er
liebte, dass sie hier in diesem Haus alleine waren, dass er sie einfach gegen
ein Regal nehmen konnte, wenn er die Lust verspürte.
Wieder pinnte er sie gegen das breite Regal,
und dann löste sich ihr Kopf und fiel nach hinten, als sie kam und seinen Namen
stöhnte.
Er folgte
ihr beinahe übergangslos, denn er konnte sich nicht zurückhalten, so perfekte
Geräusche verließen ihren süßen Mund.
Sie liebte ihn….
Er atmete
heftig, während er ein letztes Mal kraftlos in sie stieß und sein Kopf auf ihre
Schulter gesunken war. Gleich würde er von ihr Ärger bekommen. Er spürte, wie
seine Beine anfingen unter ihrem Gewicht zu zittern. Sie kam zu sich, und
machte sich mit sanfter Gewalt von ihm los, bis er sie wieder auf ihre eigenen
Beine stellte. Er stand vor ihr und hielt die Augen geschlossen, während der
Schmerz ihn praktisch überflutete.
Ach wäre
es doch nicht so…. Er spürte die Tränen hinter seinen Augenlidern.
„Draco“,
flüsterte sie fast panisch. Und er wusste, sie hatte recht. Er konnte es nicht
mehr. Er konnte sie nicht im Stehen nehmen, so viel Spaß es ihm auch machte.
Und er wusste, er würde sich nicht erholen können.
Und seine
Lider flogen zitternd auf. Ihr Bild verschwamm vor Schmerzen. Aber er lächelte
leicht. Er spürte es. Durch den Schmerz hindurch, denn, egal, ob er es nicht
mehr konnte – es war es wert gewesen. Er spürte, wie seine Finger die Kanten
des Regals nichts mehr umschlossen halten konnten, wie sein Sichtfenster rapide
schmaler wurde, wie alles schwarz wurde, und er hörte ihre panische Stimme
nicht mehr, als er bewusstlos auf den Boden schlug.
Sie saß
auf einem der Besucherstühle neben seinem Bett und sah Dean dabei zu, wie er
sich über Dracos regungslose Gestalt beugte. Und sie schämte sich. Sie schämte
sich, dass sie nicht stärker gewesen war, dass sie seinem Verlangen nachgegeben
hatte, obwohl sie es beide besser gewusst hatten. Und sie schämte sich, weil
Dean es wusste.
Und sie hasste,
dass sie rot wurde, als er sich zu ihr umgewandt hatte.
„Weniger
Sex würde ihm deutlich besser tun“, sagt er tatsächlich abweisend, ehe er den
Blick wieder von ihr abwandte. Sie biss sich auf die Lippe und schloss die
Augen. Gott! Auf dem Flur hörte sie die gedämpften Stimmen von Lucius und
Narzissa Malfoy, die sich seit zwanzig Minuten stritten.
Sie hatte
untersagt, dass Narzissa hier rein kam, während sie hier war. Denn es endete
nur in lauten, bösen Worten. Und sie wollte nicht, dass Draco unbedingt von
einem Streit zwischen ihr und seiner Mutter geweckt werden würde.
„Danke,
Dean“, erwiderte sie trocken, während sie sich erhob und ebenfalls neben das
Bett trat. Fachmännisch begutachtete sie seinen Zustand. Ohne weißen Kittel
macht sie gleich weniger her als Dean, ging ihr auf. „Aber… danke, dass du ihn
geheilt hast“, entfuhr es ihr kleinlaut. Dean hob den Blick vom Klemmbrett, was
er in den Händen hielt, um Dracos Werte einzutragen, und sah sie wieder an.
„Bedank
dich bitte nicht dafür“, erwiderte er gequält. „Ich will diesem Bastard meine
Energie bestimmt nicht schenken“, ergänzte er fast zornig, aber er sprach noch
immer leise mit ihr, um Draco nicht zu wecken. „Aber wir wissen beide, dass es
dich schwächt, und bestimmt hast du bereits ein halbes Jahr Lebensenergie auf
Malfoy verschwendet“, erklärte er bitter.
„Es war nicht verschwendet!“, fuhr sie ihn an.
„Doch,
Hermine. So nennt man etwas, dass nicht lange vorhält!“, fuhr er sie plötzlich
an. „Du schenkst ihm Monate deines eigenen Lebens, und wofür? Für ein paar
Minuten Sex!“, knurrte er. „Sex, der ihm nicht gut tut! Sex, der dir nicht gut
tut, Merlin, noch mal!“, fügte er wütend hinzu und steckte das Klemmbrett
wieder an Dracos Bett zurück.
„Dean-“
„-nein!“,
unterbrach er sie kopfschüttelnd, die Stimme wieder gesenkt. „Wenn du so weiter
machst, verlierst du selber Jahre deines Lebens, damit Malfoy hier noch ein
halbes Jahr lang vögeln kann“, sagte er so bitter, dass sie zusammen zuckte.
„Du bist widerlich!“, spukte sie ihm entgegen. Ihre Stimme zitterte vor Zorn.
„Ja? Wie
würdest du es umschreiben, Heilerin
Granger?“, entgegnete er kalt.
„Ich
liebe ihn, Dean!“, entfuhr es ihr zornig. Seine Augen wurden plötzlich groß.
„Was?
Mach dich nicht lächerlich, Hermine!“, gab er zurück, aber sie begegnete seinem
Blick ohne Zögern, voller Überzeugung. Er atmete entnervt aus. „Du kennst ihn
überhaupt nicht! Und es ist Malfoy! Und er ist totkrank, verflucht!“, entfuhr
es ihm kopfschüttelnd.
„Ja, ich
weiß das. Aber ich kann es nicht ändern, ok? Und ich will es auch nicht
ändern!“, zischte sie, damit Draco nicht aufwachte. Dean schüttelte wieder den
Kopf.
„Gut zu
wissen“, knurrte er, während er Dracos Puls mit dem Zauberstab kontrollierte.
„Was?“,
gab sie gereizt zurück.
„Dass man
nur tot krank zu sein braucht, um deine Liebe zu bekommen“, gab er zornig
zurück, ohne sie anzusehen. Sie atmete ebenfalls aus.
„Oh, ich bitte dich!“, sagte sie kopfschüttelnd.
„Nein,
bitte mich nicht, ok? Bitte mich bitte nie wieder, ja, Hermine? Denn ich will
wirklich nicht dafür verantwortlich sein, euer kleines, schon längst
verdammtes, Liebesglück aufrecht zu erhalten!“, fluchte er unterdrückt.
„Dean-“,
erwidert sie aufgebracht, aber er zog den Zauberstab zurück und sah sie wieder
an.
„Er wird bald aufwachen“, schnitt er ihr das Wort ab und klang neutral. Mit
aller Macht hatte Gleichgültigkeit in seine Stimme zurückgebracht. Verzweifelt
sah sie ihn an.
„Dean, es
tut mir leid.“
„Ja, mir
tut es auch leid, Hermine“, sagte er nur und wandte sich ab und schritt zur Tür
des Einzelzimmers. Er öffnete sie in den Gang hinein, wo Lucius und Narzissa
nun verstummten.
„Er wird
gleich aufwachen, Mr und Mrs Malfoy“, erklärte er mit gleichmütiger Stimme und
hatte das Zimmer verlassen. Hermine sah hinab auf den schlafenden Draco. Er sah
müde aus, aber nicht mehr krank. Das Gift wirkte schneller. Eine Vene war
bereits pechschwarz gefärbt, hatte sie vorhin festgestellt. Wenn sie beide so
weiter machten, dann hatte Dean recht. Dann wäre die Heilung umsonst gewesen. Sie fuhr sich über die Stirn und hasste sich
selber für ihre Maßlosigkeit.
„Miss
Granger“, vernahm sie die ihr relativ unbekannte Stimme von Lucius Malfoy. Er
hatte sich neben sie gestellt. Er erinnerte sie so sehr an Draco, dass sie kurz
ein unangenehmes Gefühl im Innern bekam. Zuvor war es ihr nicht besonders
aufgefallen, denn damals vor einigen Wochen, hatte sie ihn genauso wenig
gekannt, wie Draco. Aber mittlerweile war die Ähnlichkeit selbst für sie nicht
mehr zu übersehen. Draco und sein Vater waren gleich groß, stellte sie fest.
Sie hatten dieselbe Haarfarbe, und dieselbe Augenpartie. Er sah sie an, und es
war beinahe gruselig. Man selber sah nie die Ähnlichkeit zu seinen Eltern, aber
Hermine raubte es fast den Atem, als Dracos Augen sie durchleuchteten. Nur
waren es eben nicht wirklich Dracos Augen, stellte sie fest. Der Blick, die
Form, die Farbe an die sie sich so gewöhnt hatte, gehörte Lucius Malfoy.
Er roch
angenehm, unauffällig, während er neben ihr stand und auf seinen Sohn hinab
blickte. Sie konnte sein Alter nur schwer schätzen. Ende vierzig? Oder älter?
Eigentlich müsste er älter sein, aber es war ihm nicht anzusehen. Sie hatte das
letzte Mal als sie ihn gesehen hatte nicht damit gerechnet, noch einmal mit ihm
zu tun zu haben. Das war, bevor sie sich in seinen Sohn verliebt hatte. Seinen
totkranken Sohn, dem sie auch noch willentlich die letzte Zeit raubte, die er
auf Erden hatte. Ihre Kehle schnürte sich zu.
„Geht es
ihm gut?“, wollte sein Vater wissen. Anscheinend war Narzissa nicht mehr hier.
Immerhin schien sich Lucius auch nicht mit ihr zu verstehen.
„Es wird
schon wieder“, sagte sie tonlos. „Er wird aufwachen. Er ist wieder geheilt.“
„Wieso
ist er hier? Im Sankt Mungo?“, erwiderte Lucius, ohne aufzublicken.
„Er ist
ohnmächtig geworden. Und… ich habe ihn vorsichtshalber hier her gebracht“,
erklärte sie kleinlaut.
„Weshalb
ist er ohnmächtig geworden? Wegen der Schmerzen?“, fragte Lucius weiter und sah
sie schließlich an. Verschlossen erwiderte sie den Blick. Oh Merlin, das war
unangenehm. Wirklich unangenehm.
„Ich…
ja“, kürzte sie das Gespräch ab. Sie hatte nicht vor, auch noch mit Lucius über
ihr Sexleben zu reden, vor allem, da sie schon von seinem viel zu viel wusste,
ging ihr auf, als sie an den Abend zurückdachte, als die vielen spärlich
bekleideten Damen in sein Hotelzimmer spaziert gekommen sind.
„Mhm“,
war seine vielsagende Antwort. „Wie… wie lange hält eine solche Heilung,
gesetzt den Fall man kürzt sie nicht mit Sex ab“, ergänzte er so lapidar, als
hätte sie es vorher eingestanden gehabt. Ihr Mund öffnete sich kurz, schloss
sich aber wieder, denn sie musste sich nicht davon getroffen zeigen. Und sie
würde es auch nicht!
„Dean
Thomas hat ihn heute geheilt. Er ist ein Mann, hat somit mehr Energieressourcen
zur Verfügung, und ich nehme an, diese Heilung hält bestimmt zehn Tage an.“
Lucius schien darüber nachzudenken.
„Hat Mr Thomas vor, diese Heilung zu wiederholen?“ Und sie wusste nicht, wie
Lucius es anstellte, genau das Falsche zu fragen, aber er schaffte es
seltsamerweise.
„Nein,
wahrscheinlich nicht“, erwiderte sie also ehrlich. „Ist Ihre Exfrau gegangen?“,
wechselte Hermine jetzt das Thema, und Lucius ruckte mit dem Kopf und blickte
wieder auf Draco hinab.
„Ja. Sie
wird sich mit ihm in Verbindung setzen, sobald er wieder Zuhause ist. Und ich
werde auch gehen, bevor er aufwacht“, fügte er hinzu.
„Wieso?“,
entfuhr es ihr, ohne dass sie nachgedacht hatte. Es ging sie gar nichts an. Sie
jedenfalls würde wollen, dass ihre Eltern da wären, wenn sie ohnmächtig im
Mungo lag und aufwachte. Aber natürlich galt das nicht für jeden. Lucius sah
sie wieder an, als er sich vom Bett abwandte. Kurz schien er abzuwägen, ob er
mit ihr reden sollte. Sie sah den Gedankengang praktisch hinter seinen ihr
mittlerweile so bekannten Augen.
„Draco
und ich haben selber eine heikle Beziehung. Und ich will ihn nicht mit meiner
Erscheinung belästigen“, erklärte er. Hermine runzelte die Stirn. Sie hatte
gewusst, dass Lucius gestern in Dracos Firma gewesen war. Blaise hatte es ihr
gesagt, als sie angerufen hatte, um Draco für heute abzumelden. Aber sie fragte
nicht weiter. Draco sollte seine Probleme mit seinem Vater lösen und nicht sie.
„Machen Sie es gut, Miss Granger“, verabschiedete sich Lucius mit einem Nicken
von ihr. „Und… passen Sie auf ihn auf“, ergänzte er, den Blick bereits
abgewandt, und auch er verließ das Zimmer.
Sie
setzte sich wieder neben Draco. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Nein,
sie konnte sich eben nicht um ihn kümmern. Sie konnte anscheinend nicht
aufpassen, denn nur wegen ihr lag er hier. Wegen ihr war er bewusstlos
geworden. Weil sie ihn nicht aufgehalten hatte.
Und sie
wusste, es ging so nicht weiter. So würde keine Heilung einen Erfolg bewirken.
Sie
schloss die Augen, denn sie spürte die Tränen. Es würde nicht funktionieren,
Merlin noch mal. Die Tränen kamen an die Oberfläche. Sie wischte sie mit dem
Handrücken fort.
„Warum
weinst du, Granger?“, hörte sie seine Stimme und öffnete hastig die Augen.
„Du bist
wach“, entgegnete sie hastig und bemühte sich um einen neutralen Ausdruck.
„Ich
möchte nicht, dass du weinst, ok?“, sagte er und setzte sich auf. „Warum bin
ich im Mungo?“, wollte er wissen und sah sich im hellen Zimmer um.
„Ich
hatte Angst um dich. Du warst zu lange bewusstlos“, erklärte sie tonlos.
„Hast du
mich geheilt? Es geht mir verflucht gut“, erklärte er und streckte sich.
„Nein“,
gab sie zu. Er hob den Blick. „Dean hat dich geheilt“, ergänzte sie. Sein Blick
änderte sich, wirkte plötzlich genervt.
„Warum?“,
wollte er ernst wissen.
„Weil… er
es besser kann. Es strengt mich an und hält nicht lange“, räumte sie ein. Kurz
runzelte sich seine Stirn.
„Es… strengt dich an? Ist es schlimm?“, fragte er sofort, und er verarbeitete
die Tatsache, dass Dean ihn geheilt hatte, besser als sie angenommen hatte.
„Nein,
ich…“ Sie versuchte, die Tränen zu verdrängen. „Draco, ich… kann das so nicht“,
flüsterte sie. Er sah sie an. Er trug ein langes Unterhemd vom Mungo, nachdem
er hier komplett untersucht worden war. Aber dennoch tat es seinem guten
Aussehen keinen Abbruch.
„Was
kannst du nicht?“, wollte er plötzlich merklich angespannt von ihr wissen.
„Ich kann
nicht… zusehen, wie wir die Heilung verschwenden“, sagte sie knapp. Sie blickte
hinab auf ihre Finger. Sie waren eiskalt geworden.
„Was
meinst du damit?“, wollte er jetzt wissen.
„Ich…
kann keinen Sex mehr mit dir haben, Draco. Es ist nicht richtig“, flüsterte sie
und sah nicht auf. „Ich meine, du vollziehst die Heilung nicht, damit du… nur
kurze Zeit später wieder-“
„-hey!“,
unterbrach er sie lauter, und sie sah ihn an. „Granger, wir haben darüber
gesprochen“, sagte er angespannt. „Wir… wir wohnen zusammen. Wir… sind
zusammen, oder nicht?“, vergewisserte er sich jetzt, und sie hörte seine
unterdrückte Wut deutlich. Ihr Mund öffnete sich verzweifelt, aber er sprach
weiter. „Und irre ich mich oder hast du mir nicht erst gestern gesagt, dass du
mich liebst?“, entfuhr es ihm ärgerlich. Wieder wischte sie sich einige Tränen
fort.
„Ja! Aber
es geht einfach nicht! Ich… ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass du
noch weniger Zeit hast!“, schrie sie ihn jetzt an. Sie wusste, wie
unprofessionell es war, den Patienten auch noch anzuschreien, aber sie konnte
nicht anders.
„Und was
jetzt?“, wollte er kalt wissen. „Was denkst du, was ich davon habe, geheilt zu
sein, und mich in unserer… Beziehung, oder was auch immer es ist, nicht so
verhalten kann, wie ich es will?“, wollte er zornig wissen. Beziehung…. Ja, sie
hatte eine Beziehung mit Draco. Sie liebte ihn. Und er hatte es nicht erwidert,
fiel ihr auf.
„Vielleicht…
vielleicht können wir dann keine Beziehung haben“, sagte sie tonlos und hatte
den Blick wieder gesenkt. Er hatte die Beine aus dem Bett geschwungen. Er war
barfuß und sie blickte hinab auf sein Bein. Fast sah es aus wie ein Tattoo. Als
wären die gezüngelten Linien mit Absicht so gewollt. Nur eine war ein wenig
länger, ein weniger dunkler als die anderen, die sich von seinem Knöchel weiter
nach oben wanden.
„Das ist
es, was du willst?“, knurrte er rau. „Sieh mich an!“, befahl er streng, und sie
hob trotzig den Blick. Die Tränen stachen in ihren Augen. „Ich mache es dir
verdammt einfach, Granger“, informierte er sie mit eisiger Kälte. Ihr Mund
öffnete sich panisch. „Wenn es dich so sehr belastet, bei mir zu sein, dich mit
der Tatsache abzufinden, dass ich sterben werde und dass ich garantiert nicht
vorhabe meine Zeit im Zölibat zu verbringen, nur damit du keine Schuldgefühle
hast, dann kannst du gehen.“
„Draco-“,
begann sie verzweifelt, aber ernst schüttelte er den Kopf, während er aus dem
Bett aufstand.
„Nein“,
widersprach er kalt. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich hatte recht
gehabt, nicht wahr“, sagte er plötzlich, allerdings schien er nicht auf ihre Antwort
zu warten. „Hättest du es nur niemals getan, Granger“, fuhr er fort. „Wäre ich
doch niemals in das Haus gegangen. Dann hätte ich dich dort niemals gesehen.
Wärst du doch niemals in mein Haus gekommen und hättest versucht, mich zu
überzeugen.“ Seine Verzweiflung trieb ihr die Tränen in die Augen. Dann wandte
er sich um.
„Weißt
du, mit all meinen Schmerzen war ich besser dran, als mit deinem scheiß
Mitgefühl, Granger“, knurrte er plötzlich. „Ich wünschte, du würdest mich
wieder hassen. Ich wünschte, alles wäre so wie es gewesen ist. Ich wünschte,
ich hätte deinen Körper niemals angerührt, nur weil es das erstbeste war, was
ich in die Finger bekommen habe! Hätte ich doch gewartet“, fuhr er zornig vor.
„Eine Hure hat wenigstens kein schlechtes Gewissen nach dem Sex mit einem
totkranken“, endete er kalt.
Und sie
erhob sich abrupt. Ihre Hände zitterten vor Wut.
„Gut,
dann mach das, Malfoy“, brachte sie zitternd hervor. „Wenn du nicht ertragen
kannst, dass ich mir Sorgen mache, dass ich dich nicht verlieren will, dann geh
zu irgendeiner Hure, der dein scheiß Schicksal egal ist, du verdammter
Mistkerl!“
„Ich hole
meine Sachen morgen aus dem Haus“, informierte er sie, während Tränen ihre
Wange hinab liefen, und sie sie nur zornig mit der Hand fort wischte.
„Ja, bitte!“, schrie sie und stürmte aus dem Zimmer. Sie weinte den ganzen Weg
durch den Flur, hinab ins Erdgeschoss. Sie weinte und hielt nicht an, weil sie
sonst vielleicht zurückgerannt wäre. Sie weinte als sie draußen war, als sie
apparierte, als sie vor dem weißen Zaun angekommen war und das wacklige
Gartentor beinahe auftrat, so wütend war sie, so unglaublich wütend. Sie lief
schluchzend den kleinen Kiesweg entlang.
Und sie
klingelte. Sie klingelte solange, bis sich die Tür zornig öffnete.
„Was-“ Ginny unterbrach sich, als Hermine sich die Hand vor den Mund schlug, um
nicht zu schreien vor Schmerz und Verzweiflung. Ginnys Mund öffnete sich
perplex, aber sie brauchte keine Sekunde länger, ehe sie nach draußen trat und
Hermine heftig in die Arme zog.
„Schon
gut“, flüsterte Ginny und hielt Hermine unglaublich fest. Fast, wie es eine
Mutter tun würde. So wie es Molly immer tat. „Schon gut, ist schon ok. Lass es…
einfach raus. Ich bin da“, murmelte Ginny tröstliche Worte, die Hermine einfach
nur zur Kenntnis nahm, während sie in Ginnys Armen zitterte und Tränenanfälle
sie schüttelten. Und Ginny sagte nichts, hielt sie einfach nur fest.
~*~
„Ich
halte nichts davon“, sagte Blaise schon wieder, während Draco auf seiner Couch
durch einige Unterlagen ging. „Gar nichts, Malfoy!“, wiederholte er mit
Nachdruck.
„Hm.
Haben wir die neuen Unterlagen von Hobbes und Cramer?“, erkundigte er sich
gleichmütig.
„Draco!“,
fuhr Blaise ihn ungläubig an. „Es sind sieben Tage vergangen! Du schläfst seit
sieben Tagen auf meiner Couch! Ganz abgesehen von deinen unzähligen Kisten und
Möbelstücken, die in meinem Keller stehen!“
„Es stört
dich? Ich schaffe sie weg“, erwiderte Draco gelassen und wedelte mit den
Unterlagen vor Blaises Nase. „Also?“, wiederholte er.
„Nein!
Darum geht es nicht! Es geht mir auch nicht darum dass du im Hotel einziehen
könntest, Merlin noch mal! Hier!“ Er deutete zornig auf den Gehstock, der neben
Draco an der Couch lehnte. „Dein Stock! Ich habe gesehen, wie du ihn heute
mehrfach benutzt hast. Die Heilung lässt nach, oder nicht?“
„Blaise“,
begann Draco gereizt, aber Blaise schüttelte den Kopf.
„Nein! Es reicht! Vor allem war Dean hier!
Dean hat dir die Heilung angeboten! Von sich aus!“
„Ja, sicher“,
knurrte Draco, der annahm, dass Granger sich bei Dean ausgeheult hatte und nun
glücklich mit ihm in ihrem scheiß Haus lebte, und er zum Dank seine Hilfe
anbot.
„Was ist
los mit dir? Du willst Granger nicht mehr? Schön, von mir aus! Aber wenn dir jemand
Heilung anbietet, dann nimmt man so etwas verflucht noch mal an! Denkst du, ich
will hier sitzen und zusehen, wie du wieder der Alte wirst? Schlecht gelaunt?
Von Schmerzen geplagt? Mit noch weniger Zeit als vorher?“ Draco erhob sich und
verzog kurz den Mund, denn er fühlte den dumpfen Schmerz in seinem
Oberschenkel. Spürte, wie er beständig zurückkehrte.
„Ich
werde meine Sachen hier wegschaffen. Dann musst du nicht mit mir hier leben.
Ich hatte angenommen, wie wären Freunde, aber-“
„-wir sind Freunde, du Arschloch! Aber
vielleicht kannst du verstehen, dass ich dich nicht leiden sehen möchte, wenn
du es verhindern kannst!“, fuhr Blaise ihn an. Draco spürte die Wut wieder.
Wut, die er seit Tagen nur noch spürte.
„Ich
scheiße auf die Hilfe von diesem Arschloch!“, schrie er jetzt. „Tut mir leid
für dich, Blaise! Aber ich werde die Heilung nicht mehr in Anspruch nehmen“,
informierte er Blaise, und dieser starrte ihn an.
„Was? Bist du wahnsinnig? Nur weil du den Kerl nicht leiden kannst? Draco, du
bist-“
„-was?
Ich bin was? Und es ist mir scheiß egal, was du denkst, ok? Das ist mein Leben.
Ich wollte seit einer Weile sterben. Schon längst wollte ich gestorben sein,
verflucht. Und glaub mir, ich verbringe meine letzten Monate lieber ohne Dean
Thomas und seiner scheiß Heilung!“, knurrte er.
„Wo gehst
du hin?“, rief Blaise ihm wütend nach, aber Draco hatte sich seinen Umhang
geschnappt und hatte Blaises Wohnung verlassen.
Er
brauchte ihn nicht! Er brauchte niemanden mehr! Blaise hatte die Tür wieder
aufgerissen, aber Draco wandte sich nicht mehr um.
„Du bist
unmöglich, Draco! Entschuldige dich bei ihr, verdammt! Geh zu ihr, entschuldige
dich, dass du ein verdammtes Arschloch bist, und alles ist wieder ok! Du bist
so unglaublich stur, dass es mich wahnsinnig macht!“, schrie Blaise außer sich.
Draco hielt inne und wandte sich um, während er sich auf den Stock stützte.
„Dann kannst du ja froh sein, wenn ich weg bin“, sagte Draco unbeeindruckt.
Kurz schwieg Blaise.
„Du bist
ein Arschloch“, sagte er schließlich, tonlos. „Das ist dein Wunsch? Du willst
niemanden in deinem Leben haben? Schön“, fuhr Blaise resignierend fort. „Sieh
das als meine Kündigung an, Malfoy. Endgültig. Du willst, dass ich dich
aufgebe? Dann bitte! Sieh zu, wie du zurecht kommst!“
Ohne ein weiteres Wort war Blaise zurück in seine Wohnung gegangen und knallte
die Tür ins Schloss, so laut, dass Draco unwillkürlich zusammenzuckte.
Gut. Er
brauchte ihn nicht. Er brauchte niemanden!
Sie hatte
sich gewöhnt. Das bedeutete nicht, dass es gut war, aber es bedeutete, dass sie
nicht jeden Morgen aufwachte, nachdem sie sich in den Schlaf geweint hatte. Sie
weinte nicht mehr deswegen. Sie war zwar unglaublich traurig, aber sie weinte
nicht mehr.
„Mund
aufmachen!“, befahl sie dem Jungen vor sich auf der Liege freundlich. Dieser
sträubte sich und begutachtete ihren Zauberstab misstrauisch.
„Warum?“,
wollte er abwehrend von ihr wissen. Timmy Bolton war sieben Jahre alt und ließ
sich von keinem mehr irgendwelche Märchen erzählen, hatte er ihr erklärt.
„Weil ich
mit dem Zauberstab in deinen Rachen leuchten möchte, um zu gucken, wie
geschwollenen deine Madeln sind, Timmy“, erklärte sie mit Engelsgeduld.
„Hm“,
machte er und schien die dadurch resultierende Gefahr abzuwägen. „Und was wenn
die geschwollen sind?“
„Na dann
können wir sie noch nicht rausnehmen“, erwiderte sie. Seine Augen weiteten
sich.
„Oh Mann!
Heilerin Granger, die sind so was von geschwollen! Geschwollener geht es gar
nicht mehr!“, rief er aus.
„Wirklich?
Dann will ich sie mir unbedingt angucken! Wenn sie nämlich so groß sind wie
meine Faust bekommst du einen Preis!“, entgegnete sie beeindruckt.
„Echt?
Was für einen Preis?“ Wieder war Misstrauen in seine Augen getreten.
„Du weißt
doch, dass ich Harry Potter kenne, richtig?“ Der Junge verschränkte die Arme
vor der schmalen Brust.
„Ja?
Und?“
„Und
Harry Potter verschenkt seinen Rennbesen an denjenigen mit den größten
Mandeln“, log sie nickend. Der Junge sah sie mit großen Augen an, ehe er so
weit wie möglich den Mund öffnete und ihr das „Ahhh“ praktisch entgegen
brüllte. Lächelnd leuchtete sie in seinen Rachen.
„Hm, hm,
hm…“, sagte sie und senkte den Zauberstab. Timmy sah sie so erwartungsvoll an,
dass es ihr fast leid tat.
„Nein,
Timmy. Leider überhaupt nicht geschwollen“, sagte sie mit einem bedauernden
Kopfschütteln.
„Oh, so eine Hippogreifkacke“, fluchte er, und sie bedachte ihn tadelnd.
„Nächste
Woche kommen sie raus. Ich sage deiner Mutter noch Bescheid.“
„Oh schon
gut!“, brummte er. Ja, wahrscheinlich würde es Heilerin Bolton sowieso aus der
Akte ersehen können. Seine Mutter arbeitete ebenfalls hier in der Abteilung.
Sie zerstrubbelte lächelnd seine Haare.
„Komm
schon. Du darfst dir einen Schokofrosch aus der Schublade holen.“
„Darf ich
auch zwei?“, fragte er mit einem Hundeblick, und sie verdrehte die Augen.
„Fein,
meinetwegen. Aber sag es keinem!“, erklärte sie kopfschüttelnd.
„Wenn er zwei kriegt, will ich auch zwei, Tante Hermine!“, rief James beleidigt
von der Tür und zog seine kleine Jacke aus, bevor er auch zu der Schublade mit
Schokofröschen stürmte.
„Nein,
James! Ich bin sicher, Timmy ist schlimmer dran als du, und deshalb nimmst du
dir einen, hast du verstanden!“, rief Ginny von der Tür aus rüber, und James
verzog grimmig den Mund.
„Hey“,
begrüßte Hermine jetzt Ginny, und Ginny betrat staunend den Behandlungsraum.
„Hi. Sag
mal, seit wann übernimmst du jetzt auch noch die Schichten auf der
Kinderabteilung?“, wollte sie scheinheilig von ihr wissen, und Hermine erhob
sich. Gut, sie übernahm ein paar Schichten mehr, aber sie hatte auch mehr Zeit.
„Ich
hatte die Zeit“, sagte sie also achselzuckend.
„Als leitende Heilerin der Orthopädie hast du die Zeit, Schichten einer völlig anderen Abteilung zu übernehmen?“
Ginny klang nicht überzeugt. Ganz und gar nicht überzeugt. Hermine seufzte auf.
„Ginny-“
„-du
willst nicht alleine Zuhause sein, schon klar, Hermine. Aber du kannst dich
nicht zu Tode schuften“, fuhr Ginny fort und setzte James schließlich auf den Behandlungstisch.
„Du zeigst Tante Hermine jetzt deine Hand“, befahl sie beiläufig. James
streckte ihr seine kleine Hand entgegen, die über und über mit Schokolade
beschmiert war. Hermine unterdrückte das Lächeln.
„Die
andere Hand, James“, knurrte Ginny praktisch, und hastig zog James die andere
Hand hervor, die nicht minder vor Schokolade klebte. Hermine säuberte die
Finger mit einem stummen Zauber.
„Cool!“, entfuhr es James. „Kann ich mich ausziehen, und du machst das an
meinem ganzen Körper, damit ich heute nicht baden muss?“, wollte er neugierig
wissen, aber Ginny stöhnte auf.
„Hey,
Hermine. Hat er den Mund für dich aufgemacht?“ Brenda Bolton lehnte sich in den
Raum, um ihren Sohn abzuholen. Der hatte ebenfalls Schokolade um seinen Mund.
„Ja, müssen
raus, Brenda. Nächste Woche ok?“, rief Hermine ihr zu, und Brenda nickte.
„Ja
perfekt? Kannst du es machen? Ich will mein Kind nicht unbedingt selber
operieren“, erwiderte sie. Hermine bemerkte Ginnys eindeutigen Blick.
„Klar, gerne, Brenda. Mach den Termin nächsten Montag, ab acht, dann bin ich
hier“, entgegnete sie.
„Montag um acht? Da ist die Geburtstagsfeier in der Vorschule!“, rief Timmy
ärgerlich aus, aber seine Mutter schnippte mit den Fingern, um ihn zum Gehen zu
bewegen.
„Los,
Abmarsch!“, rief Brenda und missmutig verließ Timmy den Raum.
„Wiedersehen,
Heilerin Granger“, murmelte er noch seufzend, und lächelnd wandte sich Hermine
wieder James zu.
„Jaah, du
hast ja so viel Zeit“, wiederholte Ginny ironisch.
„Also, was haben wir hier?“, ignorierte Hermine konsequent Ginnys Worte.
„Ein
Autschie“, erklärte James ihr fachmännisch.
„Mhm, das
sehe ich. Du hast dich geschnitten“, erwiderte Hermine nickend. „Das sieht
ziemlich brutal aus“, fügte sie hinzu, und James lächelte stolz.
„Oh ja!“,
bestätigte er nickend.
„Mit
einem Stich genäht“, fuhr sie anerkennend fort. Ginny hatte es wohl gemacht.
„Dann wollen wir dir mal den Faden ziehen und die Narbe verschwinden lassen“,
ergänzte sie ruhig.
„Kann
ich… kann ich die Narbe nicht behalten, Tante Hermine?“, wollte er jetzt
vorsichtig wissen. „Daddy hat auch eine Narbe. Mitten auf der Stirn. Und die
ist cool“, fügte er hastig hinzu.
„Wenn du
das nächste Mal eine Narbe hast, dann behalten wir die, ok?“, wandte sie ein,
als Ginnys stumm den Kopf geschüttelt hatte, ohne dass
James es bemerkte.
„Ok…“,
stimmte er missmutig zu.
„Was hast
du überhaupt gemacht?“
„Mummy
beim Kochen geholfen“, brummte er, und Hermine schüttelte den Kopf.
„Nein, so
was hilfsbereites“, sagte Hermine, wandte den Zauber an, um den magischen Faden
verschwinden zu lassen und heilte anschließend die Narbe in keiner Sekunde.
Staunend sah James ihr zu.
„Tante
Hermine, ich will auch Heiler werden, wenn ich groß bin!“, entfuhr es ihm
voller Ehrfurcht.
„Da würde
ich mich mächtig freuen, James“, erwiderte sie und fuhr ihm über die
unordentlichen schwarzen Haare, die Harrys so ähnlich waren.
„Ja, und
nächste Woche willst du wieder einmal Quidditchkapitän auf Lebenszeit sein“, bemerkte
Ginny als sie ihn wieder vom Tisch hob.
„Das mach
ich nebenbei“, erklärte er großspurig und wandte ihr wieder den Blick zu.
„Tante Hermine?“, bat er jetzt flehend, und sie atmete aus.
„Ja, du
darfst noch einen. Du warst so tapfer“, fügte sie hinzu, als Ginny seufzend die
Augen verdrehte. Kurz schloss Hermine die Augen und fuhr sich über die
Schläfen.
„Alles
ok?“ Ginnys Ironie war von ihr abgefallen. Hermine nickte lediglich.
„Ja,
etwas Kopfschmerzen.“
„Kopfschmerzen?“,
wiederholte Ginny, als wäre es ein Fremdwort.
„Ja, ich
weiß“, räumte Hermine ein.
„Du sagst
doch immer, Kopfschmerzen wären nur Wahnvorstellungen der Hysteriker“, zitierte
Ginny sie mit spöttisch erhobener Augenbraue.
„Ja, ja.
Jetzt hab ich aber Kopfschmerzen.“
„Kann ja
wohl kaum vom zu vielen Arbeiten kommen, oder?“, wollte Ginny fast wütend
wissen. „Das wäre ja unmöglich! Hermine Granger arbeitet ja nur siebzig Stunden
die Woche!“, rief sie aus.
„Unsinn,
tue ich nicht.“ Sie arbeitete fünfundfünfzig Stunden die Woche. Und das auch
nur zurzeit, sagte sie sich mental.
„Aha. Wie
wäre es, wenn du heute zum Essen kommst? Es ist Freitagabend, und ich
bezweifel, dass ein Date auf deiner Tagesordnung steht?“ Ginny klang garstig.
Und Hermine fühlte sich ungerecht behandelt.
„Du, Ginny,
ich-“
„-oh
nein! Du sagst mir nicht wieder ab. Es ist fünf Wochen her, dass du weinend vor
meiner Tür gestanden hast!“, zischte Ginny, damit James sie nicht hören konnte,
während er kopfüber in der Schokofroschschublade steckte. „Und jetzt bist du seit
zwei Wochen in Arbeit versunken und meldest dich überhaupt nicht mehr! Du wirst
zu uns kommen und meinen falschen Hasen essen,
verstanden? Ich lasse dich nämlich nicht bis zum Tode hier schuften!“,
informierte sie Hermine streng.
Sie
nickte ergeben. Es wäre wohl einfacher, nicht zu diskutieren. Und sie wusste,
sie würde den falschen Hasen nicht vertragen. Sie vertrug nämlich gar nichts
mehr, in letzter Zeit. Das mochte entweder damit zusammenhängen, dass ihr Magen
sensibel geworden war, weil sie psychisch zurzeit so labil war, dass sie nichts
mehr vertrug, oder es lag daran, dass sie seit vier Wochen schwanger war.
Sie nahm
an, es war wohl eher letzteres. Aber das wusste Ginny nicht. Das wusste
niemand, außer ihr. Und so würde es bleiben. Zumindest solange es niemand sehen
konnte. Denn sie hatte sich selber noch nicht völlig mit dieser Tatsache
abgefunden und wusste auch nicht genau, was sie damit anfangen sollte.
Immerhin
war ihre Panik deswegen nach zwei Wochen ein wenig abgeklungen, und sie weinte nicht
mehr durch.
„Schön,
ich komme heute Abend“, gab sie sich geschlagen. Sie hoffte nur, sie müsste
sich erst hinterher übergeben. Es wäre sonst so unhöflich Ginny gegenüber,
überlegte sie dumpf.
~*~
Er saß im
Sessel der Bibliothek, als seine Mutter lautlos das Zimmer betrat. Nein, er lag
vielmehr. Träge hing er im alten Leder und blätterte durch die neueste
Rennbesenzeitschrift. Sein Bein hatte er auf dem anderen Sessel hochgelegt und
mit kalten Bandagen ruhig gestellt. Na ja, die Elfen hatten es ruhig gestellt.
Unter seinen ständigen Flüchen.
Er hob
den Blick. Er sagte nichts, hatte keine Lust mit ihr zu reden.
„Draco,
du hast Besuch“, sagte sie mit belegter Stimme. Aber sie hatte seit Wochen
Tränen in den Augen, wenn sie mit ihm sprach. Er verzog den Mund.
„Ach ja?
Ich wüsste nicht, wer das sein sollte“, erwiderte er kalt und senkte den Blick
zurück in das Hochglanzmagazin, was er nur wegen der Bilder gekauft hatte.
Nein, hatte kaufen lassen. Er bewegte sie kein Stück mehr, wenn es nicht
unbedingt sein musste.
Seine
Mutter hatte sich stumm abgewandt, und eine andere Person betrat die
Bibliothek. Draco seufzte theatralisch auf.
„Merlin,
wer hat das Ungeziefer ins Haus gelassen?“, entfuhr es ihm rau, mit
unverhohlener Verachtung.
„Auch schön, dich zu sehen“, erklärte Dean Thomas, ohne Umschweife und näherte
sich ohne Aufforderung oder Scheu. „Wie ich sehe, geht es dir – wie zu erwarten
– beschissen?“, stellte er die rhetorische Frage.
„Verpiss
dich, Thomas“, sagte Draco verächtlich, und sein Blick senkte sich wieder.
„Du
willst immer noch keine Heilung, Malfoy?“, fragte der Heiler, stellte seine
Tasche neben dem Sessel ab und kniete sich vor ihn.
„Kluger
Junge“, knurrte Draco desinteressiert.
„Wie hoch
ist das Gift gewandert?“, ignorierte Dean seinen Sarkasmus.
„Was zum
Teufel willst du von mir? Ich habe dich vor drei Wochen rausgeworfen, was lässt
dich denken, dass ich es heute nicht auch tun werde?“ Er wollte nicht schreien.
Es kostete unnötige Kraft. Kraft, die er für das Arschloch Thomas bestimmt
nicht aufwenden wollte.
„Malfoy-“
„-wieso bist du so scharf darauf, mir zu helfen, Arschloch?“, provozierte er
den Mistkerl vor sich, aber dieser blieb bemerkenswert gleichgültig. „Hat sie
dich geschickt?“, wollte er spöttisch wissen, sagte ihren Namen aber nicht. Und
jetzt lächelte der Mann vor ihm, als er ohne Furch sein Hosenbein höher schob.
Draco ließ ihn gewähren. Er wäre niemals in der Lage aufzustehen.
„Nein,
keine Sorge. Hermine hat seit über einem Monat nicht mehr deinen Namen erwähnt,
Malfoy“, beantwortete er beinahe mit Genugtuung seine Frage. Gut so, dachte
Draco bitter.
„Was
veranstaltest du da?“, knurrte er stattdessen, während Dean sein Bein aus jedem
Winkel betrachtete. Die Verfärbung war jetzt an drei Stellen ausgebrochen.
Neben dem schwarzen Gift, was in einer Vene bereits hoch zum Knie gewandert
war, zeigte sich nun ein grünlicher Schimmer um das Gift. Dean atmete aus.
„Malfoy“,
begann er, sprach aber nicht weiter.
„Was?“,
fuhr Draco ihn an, aber es ermüdete ihn. So wie nichts sonst. Er musste die
Augen schließen. Es ermüdete ihn schon, jemanden zu lange anzusehen. Wie es
sich angefühlt hatte, als er geheilt gewesen war? Er hatte keine scheiß Ahnung
mehr, dachte er verzweifelt, während den Kopf erschöpft zurücklehnte.
„Hör mir
genau zu“, vernahm er Deans Stimme plötzlich ziemlich nahe neben seinem Ohr.
Seine Lider flogen träge auf. Der Mann sah ihn unglaublich zornig an. „Ich will
wirklich nicht hier sein, Malfoy. Und ich bin der Letzte, der dir gut zureden
möchte“, ergänzte er bitter.
„Aber
meine Eltern bezahlen dich?“, unterbrach ihn Draco heiser, und wieder lächelte
Thomas freudlos.
„Ja,
deine Mutter gibt mir Gold, aber es wäre bei weitem niemals genug Gold auf der
Welt vorhanden, das mich dazu bringen könnte, hierher zu kommen, Malfoy, um
mich von dir beleidigen zu lassen“, gab er zornig zurück. Draco begriff seine
Motivation nicht und musste wieder die Augen schließen. „Aber weißt du, ich bin
kein Arschloch. Ich bin kein schlechter Mensch. Ich bin Heiler, und auch, wenn
ich Menschen wie dich verachte, kann ich leider nicht anders“, endete er
wütend.
„Oh
bitte“, entfuhr es Draco herablassend. „Willst du mich als dein neues
Forschungsprojekt, Thomas? Ich bitte dich ernsthaft!“, knurrte er.
„Nein, bestimmt
nicht, Malfoy“, erwiderte Dean, als er seinen Zauberstab gelassen zog.
„Tu das,
und ich bringe dich um, sobald meine Kräfte da sind“, flüsterte Draco und
meinte jedes Wort.
„Das
sehen wir dann“, erwidert Dean bloß, presste die Spitze seines Zauberstabs
gegen Dracos bloßes Bein, und er schrie auf vor Schmerz, dass es in der
Bibliothek widerhallte.
Und als
er glaubte, gestorben zu sein, öffneten sich seine Augen.
„Ich
dachte schon, du schläfst den Abend durch“, wurde er von der verhassten Stimme geweckt.
Er blinzelte und funkelte Dean an. Ohne nachzudenken, war er aufgesprungen. Er
hatte in seinem Bett gelegen, fiel ihm auf, und an seinen Stock hatte er nicht
mal eine Sekunde gedacht. Kurz blieb er keuchend stehen. Er konnte alle Farben
wieder erkennen, wie sie waren. Nichts war verschwommen. Nichts war mehr
schmerzhaft oder schwer.
Und er
war größer als Thomas. Zornig schloss er den Abstand, wieder Herr seiner
Kräfte, zerrte Thomas aus dem Stuhl und krallte sich in dessen Hemdkragen,
während er ihn grob gegen die Wand presste, dass die Bilder kurz wackelten.
„Was fällt dir ein, du verdammter scheiß Bastard!“, schrie er so kraftvoll, wie
seit einem Monat nicht mehr. „Ich habe dir gesagt, ich bringe dich um!“,
ergänzte er lauter, ließ Thomas noch einmal gegen die Wand hinter sich krachen,
und der Heiler verzog schmerzhaft das Gesicht. Seine Hände legten sich um
Dracos Handgelenke und versuchten seine Hände von ihm zu ziehen.
„Lass
mich los, du wahnsinniger Idiot!“, keuchte Thomas aufgebracht, aber Draco war
zu zornig dafür.
„Was fällt dir ein! Ich habe dich nicht darum gebeten, verdammt!“
„Nein, du
bittest nie um irgendwas, oder du Wichser?“, schrie Thomas hustend, und
fluchend ließ Draco ihn ein letztes Mal gegen die Wand krachen, ehe er zornig die
Hände von ihm zog. Er lief ziellos durch das Zimmer, testete sein Bein, was
nicht mehr schmerzte – nie geschmerzt hatte, so kam es ihm vor, und er
erinnerte sich wieder an die Zeit, vor einigen Wochen. Er hasste es!
Hinter
ihm lehnte Thomas noch immer hustend an der Wand. „Du bist so ein undankbarer
Idiot, Malfoy“, stöhnte dieser gepresst. Er hatte die Hände auf die Knie
gestützte. Draco wandte sich wieder zu ihm um.
„Wieso
hast du das getan?“, wiederholte er kalt.
„Was?
Dich geheilt? Gott, du bist unfassbar! Ich sage dir, du willst nicht dahin
siechen. Ich verspreche dir, das willst du nicht!“
„Du hast
doch keine Ahnung!“, rief Draco außer sich. „Ich habe keine Lust, gesund zu
sein! Ich will mich nicht so fühlen! Es bringt mir nichts, und der Schmerz
danach ist nur noch unerträglicher! Ich wollte nicht, dass sie mich heilt, und
ich will erst recht nicht, dass du es tust!“, schrie er wieder.
Dean
atmete aus und richtete sich auf. Er wirkte… müde, fiel Draco plötzlich auf. Er
wirkte… anders, als vor ein paar Wochen.
„Sie
könnte es auch gar nicht mehr tun, Malfoy“, sagte er schließlich, und kurz sah
ihn Draco wachsam an. Deans Ausdruck war immer noch feindlich, aber… da war
noch etwas anderes. Draco hasste zu fragen. Er hasste es einfach! Und dennoch musste
er.
„Ist sie
krank?“, entfuhr es ihm widerwillig, aber Dean ruckte nur mit dem Kopf.
„Das könnte man so sehen. Ich würde
so sehen“, beteuerte er grimmig. „Aber die meisten Leute würden sagen, nein.
Sie ist nicht krank“, schloss er, und Draco verengte die Augen.
„Hör auf
mit der Scheiße. Was ist los?“ Und er wollte nicht fragen, denn es
interessierte ihn nicht, aber er konnte sich nicht abhalten zu fragen. Es
änderte nichts. Es änderte wirklich nichts, denn sie war ja… sie wollte ihn ja
nicht… sie war einfach ein scheiß Miststück! Ein scheiß Schlammblut! Scheiß
Kryptonit. Er hatte lange nicht mehr an sie gedacht, und es machte ihn zornig,
an sie zu denken. Unglaublich wütend.
„Hermine
kann keinen Kräftetausch mehr vornehmen, denn sie ist schwanger. Und bei einer
schwangeren, die einen Kräftetausch vornimmt, bleibt sie zwar verschont,
allerdings würde das ungeborene Kind so etwas nicht überleben“, erklärte Dean,
als läge es auf der Hand.
Und Draco
sah ihn an.
„Sie ist was?“, wiederholte er, denn
er glaubte, er hatte sich verhört.
„Sie ist
schwanger. Und falls du es nicht begriffen hast, Malfoy: Von mir ist sie es
nicht“, ergänzte Dean gereizt. Und angewidert. Das war es, was er war! Es stand
ihm ins Gesicht geschrieben! Er war angewidert. Dracos Mund schloss sich nach
einer Weile.
„Aha. Was
soll mir das sagen, Thomas?“, sagte er schließlich. „Ich bin auch nicht der
Schuldige. Ich bin unfruchtbar.“
Dean
atmete wieder langsam aus, als bereite es ihm Mühe zu sprechen. „Ja, sicher. Du
bist unfruchtbar, du bist impotent, schwerbehindert…. – wenn du nicht geheilt
bist“, ergänzte er entnervt. „Ich nehme an, du hattest eher weniger Probleme
mit deiner Potenz, während sie dich geheilt hat, oder Malfoy?“, fuhr er noch
offensichtlicher fort, und Dracos Mund öffnete sich perplex. Ja, er hatte eine
Erektion bekommen, aber er hatte nicht gewusst, dass… -
„Durch
die Heilung kann ich potent werden?“, entfuhr es ihm verblüfft.
„Durch
die Heilung kannst du Berge besteigen. Die Heilung nimmt dir temporär alle
Begleiterscheinungen, Malfoy. Ich dachte, das hättest du mittlerweile
begriffen!“, fuhr Dean ihn an. „Hast du begriffen, was ich dir gesagt habe?“,
ergänzte er, etwas ruhiger, aber Draco schüttelte nur den Kopf.
„Das
heißt, ich bin jetzt gerade… voll funktionsfähig?“, wollte er noch mal wissen.
„Ja, Malfoy. Merlin…“, entfuhr es Dean kopfschüttelnd.
„Wieso
hat sie mir das nicht gesagt?“, wunderte er sich.
„Sie hat
bestimmt angenommen, dass es offensichtlich für dich wäre, wenn du einen scheiß
Ständer bekommen kannst!“, knurrte Dean außer sich. „Und du hast es nicht
begriffen, oder?“, erkundigte er sich erneut, während er näher kam. „Sie weiß
nicht, dass ich es weiß, ok? Ich bin hier, weil ich denke, du könntest es
vielleicht noch neun Monate schaffen, Geld zur Seite legen. Sie unterstützen…“,
fuhr er fort, währen sich Dracos Stirn in Krause Falten legte.
„Was?
Wieso sollte ich das?“, knurrte er jetzt. Dean starrte ihn an. „Ich soll
Granger Geld geben, nur weil sie…“
Oh….
Oh Merlin…!
„Na, begriffen?“,
wollte Dean kalt von ihm wissen. „Schön, dass du endlich angekommen bist, du
arrogantes Arschloch.“ Panisch starrte Draco ihn jetzt an.
„Woher… woher weißt du das?“, flüsterte er tonlos, aber Dean ignorierte seine
Panik mit Genugtuung, stellte Draco am Rande fest.
„Zufall.
Wirklich, purer Zufall“, räumte Dean gereizt ein. „Vor einem Monat war die
Routineuntersuchung der Heiler. Keine große Sache, wir bekommen alle per
Zauberstab einen Tropfen Blut abgenommen, der wird ausgewertet. Ist jeden Monat
dieselbe Prozedur. Wir bekommen dann ein Memo, sollten wir eine auffällige
Krankheit haben. Eine Schwangerschaft qualifiziert nicht als so etwas, aber
Hermine ist immer überbesorgt. Weil sie aber zu der Zeit einen Privatpatienten
vierundzwanzig Stunden am Tag zu betreuen hatte, hat sie mich gebeten,
nachzusehen“, erklärte er mit einem eindeutigen Blick auf ihn. Er machte eine
kurze Pause.
„Du
wusstest das? Die ganze Zeit über?“, schloss er. Dean wirkte bitter.
„Ja, ich
wusste das. Aber ich habe nichts gesagt“, erklärte er. Draco starrte ihn an.
„Ich hatte die Hoffnung, sie würde das Kind durch die Heilungen verlieren, aber
anscheinend hat sie dich dann nicht mehr geheilt, oder es konnte dem Embryo
dann nicht mehr schaden“, schloss er. „Dann kamst du ins Krankenhaus, und ich
habe mich angeboten, dich zu heilen. Nicht wirklich freiwillig, aber… im
Gegensatz zu dir habe ich schließlich doch ein Gewissen, und… ich wollte nichts
riskieren, was Hermine gefährden könnte“, sagte er ruhiger. Draco starrte ihn immer
noch an. „Diesen Monat hat sie den Routinetest nicht in der Gruppe machen
lassen, sondern privat bei den Schwestern. Das heißt, sie weiß es. Und das hieß
für mich, sie ist immer noch schwanger.“
„Du
wusstest das…“, wiederholte er erneut. Er musste sich setzen. Sofort. Er sank
auf das Bett hinter sich. „Das ist unmöglich!“, flüsterte er kopfschüttelnd.
„Ja, ich weiß. Glaub mir, ich weiß
das, Malfoy! Ich wollte es dir vor zwei Wochen sagen, als ich hier war“,
bemerkte er. „Aber du warst so widerlich, dass es mir leicht gefallen ist,
wieder zu gehen. Aber…“
„Aber
was?“, fuhr Draco ihn plötzlich an. Denn er wusste, es wäre verflucht noch mal
leichter gewesen, es nicht zu wissen. Er hätte sein Leben in Ruhe und Schmerzen
zu Ende bringen können, während er sie hasste!
„Aber ich
dachte, selbst Draco Malfoy verdient es zu wissen, wenn er Vater wird.
Außerdem, durch deine vehemente Ablehnung einer Heilung, hat sich dein Zustand
verschlechtert. Sehr verschlechtert. Das ist die Sache mit der Heilung. Wird
sie unterbrochen, zahlst du den doppelten Preis. Zehn Jahre zu überleben stehen
für dich jetzt in den Sternen. Aber neun Monate, vielleicht ein Jahr, sind noch
drin. Ohne Sex. Und dann… kannst du immerhin noch Vater werden“, schloss Dean
bitter. Draco atmete flach aus und starrte auf keinen bestimmten Punkt an der
Wand, als ihm etwas klar wurde.
„Sie
scheint das nicht zu denken“, sagte er tonlos. Dean schien seinen
gleichgültigen Ton zu registrieren und kam näher.
„Sie hat Angst.“
„Sie
hatte die Wahl“, korrigierte Draco ihn kühl. Er war von zehn Jahren auf ein
Jahr abgestiegen. Das waren bittere Aussichten. Er verdrängte das Gefühl in
seinem Innern.
„Ja,
Malfoy, ich denke, ich werde jetzt gehen, bevor ich mich hinreißen lassen und
dich mit dem Imperio belege“,
informierte ihn Dean mit kochender Selbstbeherrschung.
„Oh ja?
Und was dann? Du willst mich zwingen, zu ihr zu gehen?“, fuhr er Dean scharf
an, aber dieser war zur Tür geschritten.
„Oh nein,
Malfoy! Das ist mir scheiß egal. Ich würde dich lediglich aus dem Fenster
stürzen lassen! Von mir aus, hab keinen Kontakt mit ihr! Wäre mir lieber. Lass
sie in Ruhe. Sie war wochenlang ein Wrack, sie schuftet sich jetzt zu Tode, und
vielleicht, in ein paar Monaten, wenn sie dich vergessen hat, vielleicht wird
sie dann wieder normal. Ich will nur, dass rechtlich alles einwandfrei geregelt
ist, du scheiß Bastard. Du hast Geld, und Hermine verdient jeden Sickel, den du
ihr verpflichtet bist zu geben. Meinetwegen auch erst nach deinem Tod, Malfoy.
Ich persönlich halte dich für einen besseren Vater, wenn du keinen Kontakt mehr
mit der Mutter deines Kindes aufnimmst“, sagte Dean voller Aufrichtigkeit.
„Und was
springt für dich dabei raus?“, wollte Draco emotionslos wissen. Und jetzt
lächelte Dean wieder.
„Ich
weiß, dass kann sich jemand so selbstfixiertes, egoistisches und selbstsüchtiges wie du nicht vorstellen,
aber stell dir vor: Ich habe einen absoluten Scheißdreck davon! Ich bin ein
guter Mensch. Weißt du, was das ist, Arschloch? Ein guter Mensch? Das ist
jemand, der etwas zu seinem Nachteil tut, nur einem anderen zuliebe. Aber davon
verstehst du nichts, Malfoy. Also versuch es gar nicht erst“, warnte Dean ihn
behutsam. „Und ich bereue jede Sekunde hiervon. Aber in zwei Wochen werde ich
dich wieder heilen kommen. Ganz einfach, weil ich ein Idiot bin. Ein netter,
freundlicher Idiot. Das einzig Gute ist, dass du am Ende sterben wirst, während
der gute Idiot überlebt. Ohne irgendeinen verdammten Vorteil“, entfuhr es Dean
voller hoffnungsloser Bitterkeit.
Und dann
verließ der Heiler sein Haus.
Sie
kraulte Rufus abwesend am Hinterkopf, während sie mit stillem Horror las, dass
ihre Füße voraussichtlich auf das Doppelte anschwellen würden. Ihr würden keine
Schuhe mehr passen, durchfuhr es sie mit klopfendem
Herzen. So viele Dinge sollte sie essen, so viele auch wieder nicht. Es war so
unüberschaubar!
Das Feuer
im Kamin knisterte gemütlich, und wieder vermisste sie ein Glas Rotwein. Oder
gleich eine ganze Flasche. Sie wusste, ein Glas Rotwein schadete ihr nicht.
Ginny hatte ab und an auch Rotwein getrunken, als sie schwanger gewesen war,
aber Hermine traute sich nicht. Sie wollte es nicht riskieren. Sie wollte gar
nichts mehr riskieren.
Sie war
nun sechs Wochen schwanger. Das war nicht besonders lange. Aber es war ein
Fünftel der Gesamtzeit. Sie legte das gruselige Buch beiseite und legte die
Hand auf ihren Bauch, während sie zusah, wie sich die Bäume im Wind bewegten.
Ob es ein
Mädchen werden würde? Oder vielleicht ein Junge mit weizenblonden Haaren? Sie
schluckte schwer. Sie hatte sich noch nicht getraut, das Geschlecht
herauszufinden. Eigentlich wollte sie altmodisch sein und warten. Warten, bis
das Baby kam, bis sie wusste, was es war. Sie musste lächeln, während sie
überlegte, was Ginny dazu sagen würde. Sie würde ihr bestimmt vorwerfen, dass
alles wesentlich einfacher zu planen sei, wüsste man das Geschlecht. Man könnte
die Geschenke für die Babyparty besser aussuchen, die Tapeten für das Kinderzimmer,
aber eigentlich wären das nur Ausreden, weil Ginny so schrecklich neugierig
war.
Und
Hermine musste schlucken. Denn niemand gab ihr mütterliche Ratschläge. Niemand
wusste davon. Sie hatte seit sechs Wochen ein Geheimnis. Und bevor Ginny Potter
ihr Ratschläge geben würde, wäre sie erst mal mächtig sauer. So viel wusste
Hermine.
Rufus
brummte zufrieden unter den Streicheleinheiten, die er bekam. In einem Buch
stand, dass man alle Tiere loswerden sollte. Das hatte sie Rufus gar nicht erst
erzählt. Sie hatte stattdessen dieses Buch sofort wieder zurückgebracht. Sie
schloss gedankenverloren die Augen.
Sie würde
es Ginny sagen. Sie wusste, sie musste es irgendwem sagen. Vor allem, da sie ja
schon wusste, dass sie es nicht aufgeben würde. Das wusste sie schon seit sie
es herausgefunden hatte. Sie hatte keine Sekunde auch nur einen Zweifel gehegt.
Aber sie
wusste auch, warum sie es Ginny nicht schon längst gesagt hatte. Ginny wusste
zwar nicht alles besser, aber sie wusste auch so, was Ginny zu ihr sagen würde.
Ginny würde keinen Atemzug verstreichen lassen, ehe sie Hermine fragen würde,
ob er es wüsste.
Der
Vater.
Draco.
Seinen
Namen zu denken, war so schmerzhaft, deswegen tat sie es nicht mehr. Denn sie hatte
Angst, das Baby würde in ihrem Innern fühlen, wie weh es tat. Und sie wollte
nicht, dass ihr Kind traurig zur Welt kam, weil seine Mutter die ganze
Schwangerschaft über weinte. Und sie wollte das Geschlecht nicht wissen, weil
sie nicht wissen wollte, ob es ein hübscher blonder Junge werden würde, der sie
ihr gesamtes Leben lang an ihn erinnern würde.
An Draco.
Weil er seine Augen hatte, oder seine Haare. Sein Lächeln oder… seine Hände. Es
war egal, was es war. Deswegen hoffte sie innerlich, dass es ein Mädchen werden
würde. Und auf gar keinen Fall sein Ebenbild.
Sie
erlaubte nur einer einzigen Träne auf ihre Wange zu fallen. Beständig kraulte
sie Rufus weiter. Er war eingedöst.
~*~
Er hatte
die Räume selten so leer erlebt. Er hatte selten seiner gesamten Belegschaft
freigegeben. Und er hatte sich selten so viele Gedanken um Blaise gemacht. Aber
er hatte gewusst, würde er Blaise persönlich sagen, dass er kommen sollte,
wusste er zumindest dieses Mal mit Sicherheit, dass Blaise nicht erscheinen würde.
Und es
vergingen ein paar weitere Minuten, die Draco in Stille in seinem Büro
verbrachte, an seinen Schreibtisch gelehnt, mit der Seltenheit von offenen
Türen. Blaises Schreibtisch war leer. Das schon seit Wochen. Draco hatte selber
wenig Zeit im Büro verbracht, als die Schmerzen so unerträglich geworden waren,
dass er kaum mehr eine Zeile lesen konnte, ohne zu zucken, vor Schmerz.
Jetzt war
er wieder hier. Die Damen hatten sich um die Pflanzen gekümmert, um die
Sauberkeit, und wahrscheinlich auch um sonst alles. Sie hatten Profit eingebüßt
in den letzten Wochen, seitdem Blaise nicht mehr da war. Draco wusste das.
Endlich
hörte er, wie die vorderen Türen sich öffneten. Langsame Schritte drangen an
sein Ohr.
„Hallo?“,
hörte er Blaises misstrauische Stimme, und seine Schritte näherten sich dem
ehemals gemeinsamen Büro. Draco hatte keine Eile. Selbst wenn Blaise sofort
wiederkehrt machen würde, hatte er die Eingangstüren mit einem Sperrzauber
belegt, den Blaise einiges an Fantasie kosten würde zu lösen.
Blaise
hatte die Flügeltüren erreicht und verharrte in der Bewegung.
„Was wird
das? Wo sind die Empfangshexen?“, fragte er sofort. Kein Hallo. Kein, du siehst
umwerfend aus, Draco. Gar nichts.
„Haben
frei“, erwiderte Draco, ebenfalls ohne jede Begrüßung.
„Aha“,
entgegnete Blaise, dem das Misstrauen ins Gesicht geschrieben stand. Aber das
war bei Slytherins meistens der Fall. „Mir wurde von den Damen gesagt, es
handelt sich um einen Notfall. Das kann ja wohl kaum der Fall sein, wenn keine
der Damen überhaupt anwesend ist“, fuhr Blaise gereizt fort.
„Amüsant, dass du sie die Damen nennst“, bemerkte Draco jetzt ruhig. Kurz
schwieg Blaise unbewegt.
„Ganz
klar ist das hier ein Scherz“, sagte er schließlich und wandte sich ab. Draco blieb,
wo er war. Er hatte genügend Zeit. Blaise hatte die Türen schnell erreicht,
rüttelte laut an ihnen, bis Draco hörte, wie er zornig einige Flüche sprach.
Lächelnd stieß er sich vom Schreibtisch ab und schritt betont gleichmütig den
langen Flur hinab zu Eingangshalle.
„Was wird
das, Draco?“, fuhr ihn Blaise zornig an, ohne sich umzudrehen, während Funken
von den Türen stoben. „Ist das eine Falle? Bringst du mich jetzt hier um?“,
ergänzte er und ließ den Zauberstab sinken. Er wandte sich um, die Stirn in
zornige Falten gelegt.
„Ich
wollte mit dir reden“, erklärte Draco ohne Umschweife.
„Es gibt nichts zu reden!“, knurrte Blaise haltlos.
„Ich
dachte, du wärst nur sauer, weil ich keine Heilungen mehr bekommen würde. Hier,
Problem gelöst. Ich bekomme Heilungen“, bemerkte er und deutete kurz an sich
hinab.
„Witzig,
Malfoy“, sagte Blaise nur.
„Ok,
anscheinend ist es damit nicht gelöst? Was muss ich sonst noch tun, damit du
bleibst?“, fragte er entnervt.
„Sonst
noch tun? Du hast doch genug getan. Ich denke, ich brauche bestimmt noch ein,
zwei Minuten, um deinen lächerlichen Sperrzauber zu lösen. Bei allem Respekt,
red dir von der Seele, was du loswerden willst. Aber erwarte nicht, dass ich
dir zuhöre.“ Damit wandte sich Blaise von ihm ab, und Draco bemerkte schnell,
dass Blaise langsam auf die richtige Spur kam.
Er war in
Verteidigung gegen die Dunklen Künste schon damals besser gewesen als er, fiel
Draco ärgerlich wieder ein. Dann hatte er doch nicht ganz so viel Zeit, wie er
gehofft hatte. Und er hatte schon geahnt, dass Blaise wohl mehr erwartete, als
das offensichtliche Resultat seiner Heilung. Aber Draco hatte keine Ahnung von
Entschuldigungen. Er hatte sich ja nicht mal damals entschuldigen können, als
er Granger praktisch vergewaltigt hatte. Die Sache mit Blaise lag nicht mal
ansatzweise so schlimm.
„Ich
brauche deine Hilfe“, sagte er also und entschied sich gegen eine verdammte
Entschuldigung. Es kostete nur unnötig Zeit. Blaise ignorierte ihn, wie er es
versprochen hatte. Draco fuhr also fort. „Ich brauche jemanden, der sich um
meine Angelegenheiten kümmert, wenn ich… nicht mehr da bin“, entschied er sich
zu sagen, denn er wusste, Blaise konnte es nicht leiden, wenn er, Draco, das
Wort tot zu oft benutzte.
„Frag
deine Berater“, rang sich Blaise anscheinend genervt ab.
„Ja, das
würde ich. Aber es handelt sich nicht um eine… monetäre Angelegenheit“,
erwiderte Draco, aber wieder sagte Blaise nichts. Und Blaise erkannte den
Basisspruch der Formel. Er hatte nur die Zauberstabbewegung noch nicht raus, aber
Draco nahm an, Blaise würde nur noch ein paar Sekunden brauchen. „Ich…“ Draco
wog ab, ob er es sagen sollte. Aber Blaise machte sich nicht einmal die Mühe,
rauszufinden, weshalb Draco ihn überhaupt herbestellt hatte. Eigentlich wollte
Draco es gar nicht sagen. Dummheit und
Stolz…, fiel ihm plötzlich wieder ein. Ja. Er lebte dieses verdammte
Sprichwort! „Ich brauche jemanden, der sich um einen Teuhandfond kümmert. Für
siebzehn Jahre“, fügte er hinzu.
Und
Blaise hatte es geschafft. Die Türen schwangen auf.
„Frag
Lucius. Oder spricht er gar nicht mehr mit dir?“, erwiderte Blaise abschätzend,
ohne ihn anzusehen.
„Ich
will, dass du es tust!“, beharrte Draco gereizt. Merlin, Blaise war
anstrengend.
„Fick dich,
Malfoy“, sagte er tatsächlich und war gegangen. Draco wusste, hätte er es
einfach gesagt, dann… nein. Vielleicht wäre Blaise auch dann gegangen. Langsam
schritt Draco zurück zum Empfangstresen, der Verlassen in der Halle lag. Er
rutschte am glatten Holz hinab, auf den kühlen Marmorboden und vergrub den Kopf
in seinen Händen, während er die Knie anwinkelte.
Er hatte ernsthaft nicht geglaubt, dass Blaise gehen würde. Er hatte nicht mal
geglaubt, dass der Sperrzauber nötig wäre. Er hatte sich geirrt. Das kam
bestimmt auch mal vor, überlegte er grimmig. Er hatte es jemandem sagen wollen.
Er wusste nur nicht wie.
Er wusste
nicht mal, ob er es wirklich wollte.
Er hatte
es noch nicht verarbeitet. Und jeden Tag, wenn er wieder einmal die Elfen oder
seine Mutter anschrie, dann wusste er, er schrie die Falschen an. Denn
eigentlich müsste er jemand komplett anderen zur Rede stellen. Das war
natürlich auch nicht Blaise. Aber er konnte nicht.
Er konnte
es nicht. Es war Stolz. Es war… Angst. Es waren so viele Dinge. Er war nicht
gut, wenn Dinge ernst wurden. Er war ein Theoretiker. Er war nicht gut oder
vorbereitet gewesen, als die Heilung eingetreten war. Nein, in der ersten
Minute hatte er Granger haben müssen. Er hatte sie regelrecht vergewaltigt. Er
hatte komplett beschissen reagiert.
Als er
ohnmächtig geworden war, als er im Mungo aufgewacht ist, als sie gesagt hatte,
sie könne es so nicht mehr, da hatte er nicht die Ruhe bewahrt! Nein, er hatte
überlegt, lieber Sex mit einer Hure zu haben, ehe er es aufgab und bei ihr
blieb.
Sie hatte
gesagt, dass sie ihn lieben würde. Was hatte er getan? Er hatte sie gegen ein
Bücherregal genommen. Er atmete unglücklich aus.
Und
jetzt? Jetzt sagte ihm ausgerechnet Dean Thomas, dass sie schwanger war! Seit
zwei Wochen wusste er es. Seit zwei Wochen hatte er nichts anderes getan, als
zu überlegen, wie er das Geld verwalten könnte, anstatt auch nur einmal daran
zu denken, zu ihr zu gehen.
Wenn
Dinge ernst wurden, dann verkackte er. Das war eben so.
Er wusste
nicht, was er machen sollte, würde er zu ihr gehen. Er wusste, was er ganz
bestimmt machen würde. Er würde schreien. Sie würde schreien. Er würde sie zum
Weinen bringen, sie würde ihn rauswerfen. Nein, vielleicht zwang er sie vorher
noch mal, mit ihm zu schlafen. Einfach nur so.
Und dann
war da noch die Sache, dass sie ihm nicht egal war. Nicht so egal, wie er es
sich vormachte. Und er hatte Angst. Er hatte Angst, dass er nicht mehr neun
Monate leben würde. Und er hatte Angst, dass er doch noch solange leben würde.
Solange, um vielleicht in der Zeitung oder sonst wo von der Geburt eines
mysteriösen Kindes von Hermine Granger lesen würde. Er starb schon vor Angst,
würde er tatsächlich solange leben, das Kind noch zu sehen. Egal, wo.
Und neun
Monate… das war eine Zeitspanne, in der er schon lange aufgehört hatte zu
rechnen. Keiner seiner Termine ging über die nächsten zwei Wochen hinaus, denn
er konnte es sich nicht leisten, länger als vierzehn Tage zu planen. Er konnte
schon gar nicht hoffen, solange planen zu können. Und das tat er auch nicht.
Er hatte
es nie gemusst. Es hatte nie etwas gegeben, weswegen er länger als vierzehn
Tage hätte planen müssen. Ein Urlaub dauerte nicht länger, aber er nahm nie
Urlaub. Ein Arbeitsprojekt dauerte nicht länger – na ja, im Moment schon, denn
Blaise war nicht mehr da.
Nur für
Granger hatte er… länger planen wollen. Er hatte nicht wirklich darüber
nachdenken wollen, aber er… hatte wohl mehr als vierzehn Tage in Aussicht
gehabt.
Denn er
wusste nie, wo er in vierzehn Tagen sein würde. Und jetzt… jetzt mit Deans
Heilung, da hatte er zumindest die Aussicht auf… mehr Zeit. Vielleicht sogar
sehr viel mehr Zeit. Er seufzte auf. Er hatte keine Schmerzen, aber manchmal
war es leichter Schmerzen zu haben, als keine, überlegte er bitter.
„Warum
siebzehn Jahre?“
Erschrocken
hatte er den Kopf gehoben. Blaise stand in den offenen Türen. Hin und her
gerissen, wie es schien. „Du planst etwas für siebzehn Jahre? Was ist in
siebzehn Jahren?“ Anscheinend war auch Blaise wieder eingefallen, dass er Draco
gut kannte, nahm dieser an. Und Draco konnte gar nicht sagen, wie dankbar er
war, dass Blaise wieder hier war. Er würde es nicht sagen können, aber
vielleicht wusste Blaise es auch so.
Und kurz
wog er ab. Kurz überlegte er, was er Blaise sagen könnte, was in siebzehn
Jahren war. Aber… ihm fiel beim besten Willen keine Ausrede ein, die Blaise
nicht wieder über alle Berge schicken würde.
„Sie…
erwartet ein Kind.“ Er sprach die Worte langsam, neutral. Als würde es ihn überhaupt
nicht betreffen. Und Blaise starrte ihn an.
„Von…?“
Er ließ die Frage offen im Raum, aber Draco wusste, Blaise hatte begriffen.
Langsam kam sein ehemaliger Kollege und bester Freund wieder in die Firma
geschritten, bis er über ihm stand und sich seufzend neben ihn setzte. Er legte
seine Arme über die angewinkelten Knie und atmete noch einmal aus, als wäre er
schwer.
„Weiß
sie, dass du…?“, begann Blaise wieder, aber Draco schüttelte unwirsch den
blonden Kopf.
„Nein,
sie weiß nicht, dass ich es weiß. Dean hat es mir gesagt. Er heilt mich auch.
Es hält länger vor. Aber… so wie die Krankheit fortgeschritten ist, habe ich
kein Jahr mehr“, schloss er knapp. Wieder sagte er Worte, als würden sie ihn
nicht betreffen. Blaise sah ihn an. Draco wusste, Blaise riss sich zusammen.
„Kein
Jahr?“ Blaise starrte ihn an. „Draco, das ist nicht genug Zeit!“
„Ja,
deswegen brauche ich dich, um-“
„-kein
Jahr?“, unterbrach ihn Blaise schockiert. „Das ist kein Jahr! Das ist…“
„Ich
weiß, wie lange es ist, Blaise“, knurrte Draco gereizt.
„Du musst mit ihr reden!“, entfuhr es Blaise aufgebracht.
„Ja,
weißt du, es sieht nicht so aus, als wäre sie an meiner Anwesenheit hierbei
interessiert. Aber… ich will, dass das Kind versorgt ist. Ich weiß, sie hat…
Gold, aber… wer weiß, wie lange das vorhält. Und sie hat bei weitem nicht so
viel Gold wie ich“, fügte er achselzuckend hinzu.
„Draco…“,
sagte Blaise wieder, aber anscheinend nur, um seinen Namen zu sagen. Draco hob
ernst den Blick.
„Und ich
habe es dir bestimmt nicht gesagt, weil ich heimlich darauf vertraue, dass du
nicht an dich halten kannst und zu ihr gehst. Ich brauche dich, als
Vertrauensperson. Nicht als jemand, der tratschten geht.“ Blaise wirkte
zutiefst gekränkt.
„Du musst
es ihr sagen“, wiederholte er ruhiger.
„Und dann
was? Wozu? Ich werde die Geburt höchstwahrscheinlich ohnehin nicht miterleben.“
Und
darauf schien Blaise keine Antwort zu wissen.
~*~
„Sag
mal…“, sie betrachtete den Aushang. „Wieso bist du eigentlich jeden zweiten
oder dritten Donnerstag als aushäusig
eingetragen?“, wollte sie mit gerunzelter Stirn wissen. Für gewöhnlich standen
die Namen der Privatbesuche auch am Aushang, selbst wenn es besondere Fälle
waren.
Dean
betrachtete den Aushang, als wäre es für ihn auch neu. „Du bist heute doch auch
mal unterwegs, oder nicht?“, wich er ihrer Frage aus, aber sie registrierte es
zuerst gar nicht.
„Nein,
ich… ich musste diesen Termin verschieben“, erwiderte sie und hoffte, er würde
nicht fragen, weshalb. Aber das tat er gar nicht. Stattdessen musterte er sie
kurz.
„Das
heißt, du bist hier? Heute?“, erkundigte er sich beiläufig, aber in einem
sonderbaren Tonfall, fiel ihr auf.
„Ich…
ja?“, erwiderte sie also ein wenig verwirrt. In seinen Blick trat etwas
anderes. Etwas Gehetztes.
„Hm, tja.
Also, ich muss weiter“, erklärte er knapp und hatte sich abgewandt. Perplex sah
sie ihm nach. War dieses Gespräch schon zu Ende gewesen? Hatte sie das Ende
verpasst? Wo ging er donnerstags hin? Hatte er es ihr nicht sagen wollen? Sie
glaubte, sich zu erinnern, dass er Hausbesuche sowieso noch nie hatte leiden
konnte?
Ihr Bauch
rumorte in dieser Sekunde.
„Ich habe
nicht mal was gegessen!“, murmelte sie anklagend ihrem Bauch zu. Eine Wölbung
war noch nicht zu erkennen. Und ihr war unglaublich übel. „Merlin, noch mal“,
murmelte sie, während sie langsam und unauffällig den Weg zu den privaten
Toiletten der Heiler einschlug.
Es war
eine echte Qual. Ginny hatte nicht ein einziges Mal Übelkeiten gehabt, und
Hermine war neidisch, auch wenn sie es Ginny nicht sagen konnte. Denn sie hatte
es noch immer keinem gesagt. Auch nach acht Wochen nicht. Und sie merkte, wie
sie einsamer wurde. Wie Geheimnisse immer einen Preis kosteten. Je größer, umso
mehr.
Sie
öffnete das private Heilerzimmer, aber keiner war hier. Sie schlüpfte hinein
und verschloss im angrenzenden Bad die Tür sorgfältig, bevor sie in die Kabine
ging, die Tür verschloss, und vorsintflutlich mit dem Zauberstab die Toilette
desinfizierte, ehe sie sich seufzend auf den Boden niederließ.
Und sie
hatte gelesen, dass man die Morgenübelkeit mit Zaubern unterbinden konnte, aber
es hatte große Nebenwirkung, wie Blähungen und Magenkrämpfe. Und diesen Tausch
würde sie nicht eingehen. Sie nahm ihre Haare zurück und wartete ergeben.
„Na? Was
ist?“, fragte sie ihren Bauch, aber die Übelkeit war abgeklungen. „Wirklich
witzig“, bemerkte sie und erhob sich ächzend wieder. Falscher Alarm, wie es
schien. Aber sie wusste, irgendwann heute, würde sie nicht verschont bleiben.
Sie kannte das Geschöpf in ihrem Bauch mittlerweile seit zwei Monaten. Und
auch, wenn sie nicht wusste, was es werden würde, wusste sie, dass es seine
Termine immer einhielt.
Sie
verließ das Badezimmer kopfschüttelnd wieder, richtete ihren Kittel, und dann
klopfte es an der Tür. Sie schloss den Abstand und öffnete.
„Hey“,
entfuhr es ihr überrascht.
„Guten
Morgen. Ich habe ein bisschen Extrazeit, ehe James aus der Vorschule kommt, und
dachte mir, wir gehen runter frühstücken. Und ich habe auf den Aushang geschaut
und gesehen, dass du deinen jetzigen Termin nicht wahrnimmst“, ergänzte Ginny
eilig, ehe Hermine wohl widersprechen konnte. Aber Hermine nickte nur.
„Ok. Ja,
ich habe zwei Stunden Zeit“, räumte sie ein. Kurz wirkte Ginny ehrlich
überrascht.
„Großartig.
Wir haben eine Woche nicht mehr gesprochen. Also, was gibt es neues?“ Ginny
hakte sich betont munter bei ihr unter. Hermine kannte ihre Freundin. Es war
eine freundliche Ruhe vor einem unfreundlichen Sturm Ginny witterte, dass
Hermine ihr etwas verschwieg. Hermine wusste es.
Sie
gingen den Gang entlang und fuhren im leeren Fahrstuhl nach unten, während
Ginny von James‘ neuesten Streichen berichtete. Anscheinend hatte er Harry
heute Morgen erfolgreich mit Superkleber von Weasley Zauberhafte Zauberscherze
auf dem Stuhl festgeklebt, wo Harry wohl auch noch immer saß, bis George
eintreffen würde.
„Ich
durfte nicht lachen, weiß du, aber… ich habe mich doch an die Zwillinge
erinnert gefühlt. Auch George hatte begeistert ausgesehen, als ich ihn im Kamin
gerufen habe“, fügte sie leiser hinzu, als würde sie abgehört werden, und
jemand könnte es Harry erzählen. „Und ich wollte dir etwas erzählen“, ergänzte
sie ruhiger. Ginny zwinkerte verschwörerisch. Hermine hoffte bloß, es wäre
nicht wieder der Versuch eines Blinddates, was Ginny seit einigen Wochen bei
ihr öfters versuchte.
Sie kamen
unten an, und sie sah, wie Dean durch die Eingangshalle lief, mit sehr zügigen
Schritten.
„Dean!“,
rief sie ihm nach, und widerwillig schien er inne zu halten. Er wandte sich um.
„Hey, Ginny. Hermine. Ich muss wirklich ganz, ganz dringend-“
„-was
macht er denn hier?“, entfuhr es
Ginny zornig, und Dean wandte sich wieder um. Dann verließ wohl die angespannt
angehaltene Luft seine Lungen. Hermines Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie
hatte Malfoy seit… acht Wochen nicht mehr gesehen. Ihre Handflächen wurden
feucht. Und… er hatte keinen Stock bei sich. Wer heilte ihn?
Aber sie
hatte begriffen. Sie machte einen Schritt neben Dean.
„Was soll
das?“, flüsterte sie. „Heilst du ihn?“, fuhr sie ihn zischend an, aber Dean
lächelte Malfoy und Blaise begrüßend entgegen. Malfoy erschien nämlich in
Begleitung. Blaise ließ seinen Blick über Dean wandern und anschließend über
sie. Er neigte seinen Kopf Malfoy zu und sprach etwas in sein Ohr. Malfoy
jedoch hatte den Blick auf sie gerichtete, und ihr Herz jagte. Er sah gut aus.
So gut, dass es wehtat.
Wieso
heilte Dean ihn? Hatte Draco ihn darum gebeten? Oder hatte er nicht? Sein Blick
war so, wie sie sich erinnerte. Oh, wieso sah er so gut aus? Sie hatte so lange
nicht mehr geweint, und sie würde jetzt nicht wieder anfangen! Sie hoffte es
zumindest.
„Granger“,
sagte er tatsächlich ihren Namen. Er betrachtete sie. Sie allerdings war
verstummt, als er so nahe vor ihnen stand.
„Du hast
Nerven!“, bemerkte Ginny neben ihr bitter in seine Richtung. „Und ich glaube
nicht, dass wir hier noch länger stehen wollen. Dean ist ja jetzt dein neuer… Freund“, schloss Ginny, ganz die beste
Freundin.
„Ja, vielleicht bleiben wir alle doch noch ein bisschen?“, wandte Blaise mit
Nachdruck ein, während er Draco wieder einen Blick zuschoss.
„Nein,
ich denke… wir können gehen“, sagte sie zaghaft zu Ginny, und war froh, dass
überhaupt ein Ton aus ihrem Mund kam. Ginny zog sie dankbar mit sich.
„Hermine!“,
rief Dean ihr nach und sie hielt inne, obwohl Ginny sie weiterziehen wollte.
Sie wandte den Kopf über die Schulter. Sein Blick schien sie anzuflehen, obwohl
sie nicht wusste, um was er sie bat.
„Schon
gut“, sagte Draco jetzt, ohne sie überhaupt aus dem Blick gelassen zu haben.
„Es muss nicht sein“, ergänzte er leiser, aber sie hatte ihn verstanden. Was
musste nicht sein?!
„Draco,
ich bitte dich!“, entfuhr es Blaise.
„Willst
du dich entschuldigen, Malfoy?“, rief Ginny wütend, und Hermine schloss die
Augen. Oh nein, bitte nicht! „Denn dafür ist es zu spät!“ Hermines Atem ging
schneller vor Aufregung.
„Nein,
das hatte ich nicht vor“, vernahm sie seine kühle Stimme. Ihre Augen öffneten
sich. Hatte er nicht? Gut. Sie war dankbar, dass er ein Arschloch war. Ihr
Bauch rumorte wieder. Aber diesmal waren es tonnenschwere Flugzeuge, keine
Glücksgefühle oder Übelkeit. Nein, es war schiere Nervosität.
Sie ließ
sich von Ginny weiterziehen.
Keiner
hielt sie auf.
„Wirst du
weinen?“, wollte Ginny behutsam von ihr wissen, und Hermine spürte einen so
großen Kloß in der Kehle, dass sie kaum noch Luft bekam. Sie kamen vor der
Kantine an, aber Ginny zog sie sanft beiseite neben eine der hohen grünen
Pflanzen.
„Hermine?“,
vergewisserte sie sich besorgt, aber Hermine legte die Hand über ihren Mund und
schloss die Augen.
„Ginny,
es… es tut mir so leid!“, flüsterte Hermine und ließ die Augen zu.
„Was? Was
tut dir leid? Oh Merlin, Hermine, rede mit mir! Ist es so schlimm? Ich-“
„-ich
bin…“, begann sie, aber die Worte kamen nicht über ihre Lippen. Jetzt war der
richtige Moment. Hermine spürte es genau. Jetzt hatte sie ein Zeitfenster
gefunden. Das war ihre Möglichkeit. Und es verstrichen ein paar Sekunden, aber
die Worte kamen nicht. Sie kamen einfach nicht!
„Du bist
immer noch in ihn verliebt, richtig?“, vermutete Ginny jetzt schließlich, und
die Luft entwich Hermines Lungen. Der Moment war vorbei. Bevor alles schlimmer
wurde nickte sie einfach einmal. „Oh, meine Süße! Es tut mir so leid! Er ist so
ein Arsch! Vergiss ihn einfach, ja?“ Es waren belanglose Worte, und Hermine
wusste, Ginny wusste das auch. Es waren einfach nur Worte zum Trösten. Nichts
weiter. Denn, wie sollte sie ihn überhaupt vergessen?
Hermine
sagte nichts und ließ sich von Ginny in die noch leere Kantine ziehen.
„Wusstest du, dass Dean ihn jetzt heilt?“, wollte Ginny jetzt wissen, und
Hermine ruckte wieder mit dem Kopf.
„Nein,
wusste ich nicht.“
„Das ist
so seltsam! Wieso hat er es dir nicht gesagt? Wieso macht er es überhaupt?“, entrüstete sich Ginny. „Hat
er nicht vor ein paar Wochen noch gesagt, wie ätzend er ihn findet?“ Hermine
nickte wieder. Aber sie war sehr dankbar, dass er geheilt wurde. Es war nur
einer ihrer vielen Albträume, dass Draco sich jede Nacht unter Schmerzen in den
Schlaf wälzte.
„Na,
komm. Wir setzen uns. Willst du Kaffee?“, wollte Ginny jetzt mitfühlend wissen.
Hermine nickte, ehe sie sich erinnerte, dass sie keinen Kaffee mehr trinken
durfte. Zumindest nicht in Übermaßen, und hier in der Kantine war er definitiv
zu stark.
„Ok, dann
holen wir dir einen. Weißt du… ich… darf keinen mehr“, fügte sie plötzlich
lächelnd hinzu. Hermine hatte sich gerade eine Tasse vom Stapel gegriffen, ehe
sie sich perplex umwandte.
„Was?“,
erwiderte sie, einen Hauch verständnislos.
„Weißt
du, Hermine… niemand weiß es, ok? Harry nicht, Mum nicht! Aber… ich bin seit
einem Monat schwanger!“, flüsterte Ginny strahlend. Hermines Mund klappte auf,
während eine Kantinen-Hexe ihren Becher wortlos mit Kaffee füllte.
„Oh
mein…“ Hermine starrte sie an. Das war doch nicht wahr! Dann fing sie sich.
„Oh, herzlichen Glückwunsch, Ginny! Ich freue mich ja so!“
„Danke,
Hermine!“, rief Ginny glücklich aus. „Und weißt du was? Es wird ein Mädchen!“,
fügte sie grinsend hinzu. Ein Mädchen… Hermine starrte hinab in ihren Kaffee,
den sie nicht trinken würde.
„Wow, das
ist…“, begann Hermine kopfschüttelnd. „Das ist wirklich großartig, Ginny!“ Sie
überwand alle Gefühle, die sie hatte. „Dann bekommt James eine kleine
Schwester“, fuhr sie fort.
„Ja, da
habe ich schon Angst vor. Ich hoffe nur, er klebt sie nicht am Stuhl fest“,
bemerkte Ginny besorgt. „So, und jetzt kommen wir zu dir“, kürzte sie ab, und
Hermines Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Ginnys friedliche Ruhe war vorbei.
„Wieso meidest du mich seit Wochen?“, kam sie direkt zur Sache.
„Das… das
tu ich nicht!“, rechtfertigte sich Hermine sofort. „Ich…“
„Ich
weiß, du vermisst ihn. Aber weißt du, gerade eben wäre eine gute Gelegenheit
gewesen, ihm das zu sagen, oder nicht?“, fuhr Ginny fort.
„Nein,
ich könnte nicht-“
„-weißt
du, Hermine, es muss so nicht sein“, unterbrach Ginny sie streng. Ja, Ginny,
die immer nur nach Lösungen suchte, alles andere nicht akzeptierte, aber
Hermine war so nicht.
„Ginny,
im Gegensatz zu Harry wird Draco sterben. Und zwar sehr bald“, fügte sie
gepresst hinzu. „Es ist schwer genug, ihn nicht zu sehen. Es war schwer genug,
die Dinge zu beenden!“, erklärte Hermine fast zornig.
„Ok“,
entgegnete Ginny beschwichtigend. „Ok, schon gut, ich dachte nur…“
„Was?“, wollte
Hermine wissen. „Weißt du, es ist besser, dass Dean ihn jetzt heilt“, murmelte
sie, trank abwesend einen Schluck Kaffee, verharrte erschrocken und spuckte den
heißen Schluck hastig zurück in die Tasse. Ginnys Stirn runzelte sich.
„Alles in
Ordnung?“, fragte sie und klang so, als würde sie Hermine für verrückt halten.
„Ich… ja.
Schmeckt furchtbar“, erklärte Hermine ausweichend, aber Ginnys Stirn blieb
gerunzelt. Beide schwiegen einen Moment lang. Aber Hermine hatte etwas
begriffen. Bei ihr waren es nur zum Teil gute Neuigkeiten. Sie bekam zwar ein
Kind, aber der Vater musste sterben. Es war nichts, was man fröhlich beim
Frühstück erzählen konnte. Und sie wusste, sie war noch nicht soweit.
Zumindest
nicht, wo Ginny sie gerade mit ihren guten Neuigkeiten erschlagen hatte.
„Wir
sollten dringend ausgehen!“, beteuerte Ron verständnislos. „Dann trinkst du
eben keinen Alkohol, wenn du keine Lust hast, was ich zwar nicht verstehe, aber
bitte! Dann tanzt du einfach mit mir“, ergänzte er achselzuckend. „Das sollte
eine ähnlich berauschende Erfahrung sein“, fügte er zwinkernd hinzu.
Sie saß
am Küchentisch der Potters und rührte Zucker in ihren Kräutertee.
„Ron,
ich-“
„-was,
Hermine? Komm schon! Wir gehen bloß aus, ich schlage ja nicht vor, dass wir in
den Krieg ziehen und uns auf der Flucht in einem Zelt verstecken müssen. Obwohl
wir das auch schon gemacht haben, und du ganz Feuer und Flamme warst!“,
erwiderte mit einem Lächeln. „Komm schon!“
Sie
seufzte auf – und gab nach.
„Fein,
schön. Meinetwegen“, gab sie sich geschlagen. Es war doch lächerlich, wie sehr
Ron sich freute!
„Oh ja,
eine Nacht in der Stadt!“, rief Harry aus, als er zurück in die Küche kam.
„Aber Ginny kann nicht mit. Tatsächlich bereitet dieses Baby ihr
Übelkeit“, bemerkte er achselzuckend.
„Ist sie
ok?“, fragte Hermine sofort, aber Harry winkte ab.
„Ja,
sicher. Sie hat sich hingelegt. Lily hält sie ganz schön auf Trab“, fügte er
hinzu. Ron und Hermine hoben die Blicke.
„Lily? Habt ihr euch endlich für einen Namen entschieden?“, entfuhr es Ron, und
Hermine musste lächeln.
„Lily ist schön, Harry“, sagte sie. „Wirklich“, fügte sie warm hinzu. Harry
schenkte ihr ein Grinsen. Wie sehr er sich freute. Er war so ein stolzer Vater.
Und er nannte seine Kinder nach seinen verstorbenen Eltern. Es war fast schon
zu traurig. So traurig, wie es schön war.
„Hermine?“
Ron schreckte sie aus ihren Gedanken.
„Äh…
was?“ Sie fuhr zu ihm herum.
„Wann du endlich Kinder kriegst?“, wiederholte er anscheinend. „Jetzt wäre es
passend. Dann könnten sich deine Kinder mit Harrys Kindern verheiraten!“,
schlug er begeistert vor.
„Ja,
sicher. Als ob das passieren würde“, erwiderte sie. Sie ließ ihren Blick aus
dem Fenster wandern, über den streng getrimmten Vorgarten der Potters. Ginny
Werk, garantiert nicht Harrys, der lieber alles wild wuchern ließ, weil er noch
immer Schäden von den Dursleys davon getragen hatte, bei denen alles so penibel
gewesen war.
„Außerdem“,
fügte sie hinzu, als sie Ron wieder ansah, „könntest du genauso gut Kinder
bekommen“, schloss sie.
„Jaah“,
bemerkte er nickend, „aber die können dann Harrys Kinder schlecht heiraten,
oder?“, fügte er nachsichtig hinzu.
„Na ja, oder ihr beide gebt der Sache noch einen Versuch“, bemerkte Harry mit
spitzer Bemerkung, so wie er es jedes Mal tat, wenn er die Chance dazu hatte.
Ron und sie warfen ihm einen kurzen unbequemen Blick zu. Ron fuhr sich zu
offensichtlich nervös durch die Haare.
„Mensch,
Harry!“, sagte er bloß, fast heiser. Das Ron-Fiasko war nichts, woran Hermine
noch einmal erinnert werden wollte. Ja, sie war mal in Ron verknallt gewesen.
Das war aber auch schon fünfzehn Jahre her. Und sie waren auf einem einzigen
Date gewesen, nach dem Krieg. Es hatte in einem peinlichen Abschiedskuss
geendet, ohne Funken, ohne überhaupt irgendein Gefühl. Und das Date war
außerdem noch Harrys Idee gewesen. Natürlich. „Die… können dann doch auch nicht
deine Kinder heiraten…“, endete Ron lahm mit so einem roten Kopf, dass es fast
schon komisch war, wie sehr es sich mit seinen Haaren biss.
Hermine
schmunzelte in ihren Tee und vergaß beinahe ihre momentanen Probleme. Gut, dass
sich Ron so schämte. Dann musste sie es nicht tun.
„Ich
schlage vor, wir fangen bei Tom an!“, wechselte Harry jetzt das Thema.
„Hermine, aber du hast nicht vor, heute Abend Tee zu trinken, oder?“
„Harry
Potter, ich bin auch ohne Alkohol eine angenehme Begleitung!“, fuhr sie ihn an,
und Harry hob lächelnd die Hände.
„Schon
gut! Ich meine ja bloß…“, wehrte er lachend ab.
Vielleicht
wäre eine Nacht unterwegs eine gute Ablenkung, überlegte sie seufzend. Sie
musste ihre Gedanken mal von Malfoy und Babys abbringen, und sie musste das
schlechte Gewissen loswerden, das sie jeden Tag verspürte, weil sie das
Geheimnis für sich behielt. Vor allem hatte es angefangen…. Ihr Bauch hatte
eine winzige Wölbung angenommen. Zu winzig, um es für eine Schwangerschaft zu
halten, aber sie wusste es besser.
Und es
brachte sie um, es mit keinem teilen zu können.
„Dann muss
ich mich noch umziehen gehen“, schloss sie. Wenn sie schon ausgingen, dann
würde sie auch so aussehen, als würde sie es tun. Mit Kleid und High-Heels, mit
Makeup und gemachten Haaren.
„Und das
Trio schlägt wieder zu!“, bemerkte Harry grinsend. Hermines Mundwinkel zuckten.
Ja, sie waren das Trio. Aber so hatten sie sich schon lange nicht mehr genannt.
Nicht mehr, seit James geboren war. Ja, sie würde mit ihren besten Freunden
ausgehen.
~*~
„Eigentlich
war ich froh, das ganze Windelwechseln und Aufstehen mitten in der Nacht hinter
mir zu haben“, sagte Harry nachdenklich, während seine Haare noch strubbeliger
lagen.
Am Tisch
hinter ihnen diskutierten zwei Zauberer immer noch, ob sie sich ein Autogramm
von ihm holen sollten, aber Harry merkte es gar nicht.
„Ach hör
schon auf!“, beschwerte sich Ron angetrunken. „Immerhin hast du wen, mit dem du
Kinder hast und zusammen wohnst!“ Der lustige Abend war irgendwie anders
geraten als geplant, war Hermine aufgefallen. Mit jedem Bier waren die Jungend
deprimierter geworden.
„Wir sind
so furchtbar alt, oder nicht?“, entfuhr es Harry plötzlich. „Ich meine, gerade
eben war ich noch zwanzig, gerade mit Ginny zusammen gezogen, und jetzt bekomme
ich das zweite Kind?“ Harry schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich bin Abteilungsleiter
und das Abenteuer ist… fort, Hermine!“, wandte er sich jetzt unglücklich an
sie.
„Kinder
sind ein Abenteuer“, korrigierte sie ihn.
„Wann sind wir alle so langweilig geworden?“, ignorierte er ihre Worte
verzweifelt. „Ron, lass uns irgendwas machen! Lass uns was anstellen!“
„Was
anstellen?“, wiederholte Ron unschlüssig. „Harry, wir sind keine Kinder mehr.
Wir können nichts anstellen. Wenn wir was anstellen, kommen wir ins Gefängnis“,
bemerkte Ron besorgt.
„Nein! Ich meine ja nicht, was anzünden oder kaputt machen. Ich meine… irgendwas!“
„Häuser
mit Eiern bewerfen?“, schlug Ron ratlos vor, aber Harry nickte unwillig.
„Ja, so
was. Aber eben keine Eier“, erwiderte er kopfschüttelnd.
„Äh,
Jungs? Ich habe heute Abend bestimmt nicht vor, durch die Winkelgasse zu
schleichen und Passanten zu erschrecken“, klärte sie die beiden auf, obwohl
Harry selbst von dieser Idee sichtlich angetan wirkte. „Wir sind erwachsen.
Harry, du musst das einsehen. Und es ist nichts schlimm daran, erwachsen zu
sein“, fuhr sie fort.
„Nein?“,
mischte sich Ron plötzlich ein, und war ernster geworden. „Ich finde es
ziemlich schlimm, so gleichgültig sein zu müssen, und überhaupt nicht mehr
davon zu reden, dass du mit Malfoy zusammen gewohnt hast!“, sagte er plötzlich.
Ihre Augen wurden größer, und ihr Mund schloss sich perplex.
„Was?“
Harry sah Ron nicht minder verwirrt an.
„Ja. Ich
meine, früher auf Hogwarts da… hätten wir wochenlang deswegen Streit gehabt! Es
wäre vollkommen unmöglich gewesen, dass wir das akzeptieren, und dass wir
Malfoys Schlafsaal nicht mit Eiern bewerfen, weil er mit dir Schluss gemacht
hat – nicht, dass wir überhaupt noch mit dir gesprochen hätten, aber
theoretisch…!“, schloss er nickend.
Hermine
starrte ihn an. „Was möchtest du mir sagen, Ron?“ Nüchtern war sie weitaus
weniger geduldig, als Ron es betrunken zu sein schien.
„Mann,
Hermine! Malfoy?“, wiederholte er eindringlicher, mit dem bekannten Unglauben.
„Ron, das
ist seit Monaten vorbei.“
„Ja, aber
das macht es nicht ungeschehen! Ich meine, ok, du warst mit Malfoy zusammen,
ihr habt zusammen gewohnt, es hat nicht funktioniert – aber, oh mein Gott,
Hermine! Das ist so absurd, findest du nicht? Gerade du!“
„Gerade
ich was?“, griff sie seine Worte vollkommen tonlos auf.
„Na ja…“,
ruderte Ron zurück und trank hastig den letzten Schluck Bier. Ob um Zeit zu
schinden oder sich Mut anzutrinken wusste Hermine nicht. „Ich meine nur, dass
wir mit fünfzehn bestimmt nicht ruhig zusammen gesessen hätten und einfach...
nicht mehr über die Sache gesprochen hätten“, versuchte er kleinlauter zu
erklären.
„Ok“,
sagte sie ruhiger. „Du willst ein Gespräch führen, auf dem Niveau eines
Fünfzehnjährigen? Gut, was willst du wissen? Wie er im Bett ist?“, erkundigte
sie sich eisig, und Rons Ausdruck nahm etwas Gequältes an. „Wie gut er gebaut
ist? Wie viel Tonnen an Gold er hat?“, fuhr sie lauter fort, und Ron verzog den
Mund.
„Nein,
ok?“, fuhr er sie jetzt zornig an. „Gott!“, ergänzte er und vergrub kurz den
Kopf in seinen Händen, ehe Harry sich räusperte.
„Ron,
wenn Hermine nicht darüber sprechen will, dann-“ Aber Ron hatte den Kopf
ruckartig wieder gehoben.
„Das ist es ja gerade, oder nicht? Uns erzählt du, er ist dir so wichtig, du
willst, dass wir alle klar kommen, und dann sägt er dich ab, und wir… wir
dürfen nicht mal… wir dürfen nicht mal etwas Schlechtes sagen, weil das
Arschloch auch noch stirbt!“, knurrte Ron ungehalten. Hermine sah ihn
kopfschüttelnd an.
„Fein, du
willst ihn fertig machen, dann lass es raus, Ronald. Meinetwegen musst du
wirklich nicht so tun, als würdest du irgendwas begreifen!“, fuhr sie ihn an,
und Rons Augen weiteten sich ungläubig.
„Nicht begreifen? Ich begreife sehr wohl, Hermine. Du liebst das Arschloch. Du
kommst nicht drüber weg. Und ich will dir immer nur sagen, wie sehr du deine
Liebe vergeudest, denn, krank hin oder her, er ist ein scheiß Wichser!“, rief
Ron jetzt. „Da! Hier hast du deinen scheiß Erwachsenenabend. Da hast du meine
ehrliche und aufrichtige Meinung. Du hast alles getan, und noch mehr als das!
Und er verdient den Tod, und du willst es nicht akzeptieren“, schloss er
kopfschüttelnd.
„Du bist
widerlich!“, entfuhr es ihr angewidert und voller Entrüstung. „Wie kannst du so
etwas sagen?“
„Leute!“,
rief Harry strenger aus, und beide sahen ihn schließlich an. „Muss das sein?
Müssen wir uns den Abend verderben, indem wir spielen: Lasst uns Dinge sagen,
die wir morgen garantiert bereuen?! Ron, krieg dich mal wieder ein! Malfoy ist
weg. Es ist vorbei. Es gibt nichts mehr zu sagen“, schloss Harry gereizt.
„Ich bin
schwanger“, entfuhr es ihr plötzlich tonlos. Harry wandte den Blick mit offenem
Mund, und er schüttelte entgeistert den Kopf.
„Was?“ Er
sah sie an, und ihr Herz schlug laut, so unglaublich laut. Und sie sah Ron
nicht mal an, denn sie konnte den Zorn in seinem Gesicht auch so erahnen. Harry
bedeckte die Augen mit seinen Händen und legte kurz den Kopf zurück, als er
tief einatmete.
„Wir hätten
einfach Häuser mit Eiern bewerfen sollen“, murmelte er verzweifelt.
„Schwanger? Seit wann?“, wollte Ron ernster wissen und vermied wohl
entschieden, nach dem Vater zu fragen.
„Seit
acht Wochen“, beantwortete sie gleichmütig seine Frage, nicht willig, ihm eine
Angriffsfläche zu bieten.
„Weiß er
es?“, fuhr er direkt fort, nahezu kalt. Damit war wohl auch die Frage nach dem
Vater geklärt. Sie schwieg daraufhin. Ron atmete schwer aus. „So kann man
natürlich auch den Abend verderben“, bemerkte er grimmig, und sie erhob sich so
abrupt, dass sie zuerst gar nicht bemerkte, dass sie stand. Mit fahrigen
Fingern griff sie in ihre Handtasche und warf ein paar Knuts auf den Tisch.
„Danke,
für den schönen Abend“, sagte sie zu beiden, und Harry hatte Ron einen zornigen
Blick zugeworfen, als sich Hermine abwandte. Sie hörte, wie der Stuhl
zurückgeschoben wurde, und als sie die Tür zur Kneipe erreicht hatte, hatte Ron
sie eingeholt.
„Warte!
Bleib hier, ok? Es tut mir leid, Hermine!“, entschuldigte er sich gepresst, denn
einige Hexen und Zauberer hatten ihre Köpfe höher gereckt, um die Szene zu
betrachten.
„Es tut
dir überhaupt nicht leid!“, zischte sie und entriss ihm ihren Arm wieder, den
er festgehalten hatte. Sein Blick lag jetzt ausdruckslos auf ihrem Gesicht.
„Merlin,
noch mal! Ich habe einfach reagiert, ok? Ich wusste nicht, dass du schwanger
bist!“, erwiderte er außer sich.
„Niemand weiß es!“, sagte sie nur. „Und ich wäre dir dankbar, wenn es auch so
bliebe“, fügte sie mit einem angespannten Blick in die neugierige Runde an
wildfremden Menschen hinzu. Ron atmete kurz aus, ehe er ruhiger sprach.
„Hermine,
ich… - wieso hast du nichts gesagt?“, wollte er jetzt wissen. Eindeutig hatten
sich ihre Augenbrauen gehoben.
„Ja?
Wirklich? Das war es, was du dir gewünscht hättest? Hey Ron, ich bin schwanger
von Malfoy. Wie findest du das? Möchtest du darüber reden? Am besten den ganzen
Abend lang? Und dann tun wir so als wären wir fünfzehn und Dumbledore löst
jedes Problem?“, knurrte sie praktisch, und er senkte den Blick.
„Wir sind
deine Freunde!“, fuhr er sie an.
„Ja, aber
manche Sachen kann man nicht beim Tee besprechen, Ron!“, erwiderte sie.
„Weil es
Malfoy ist?“, wollte er ungerührt wissen, und sie spürte, wie sie zorniger
wurde.
„Nein, Ronald. Weil er stirbt. Weil er unweigerlich sterben wird. Und ich weiß,
dir könnte nichts Besseres passieren, aber ich… ich…“ Und sie musste aufhören
zu sprechen, weil sie sonst weinen würde.
Auch Ron
sagte nichts mehr. Er blickte schließlich zur Seite. Es verging ein kurzer
Moment.
„Und du
hast es nicht abtreiben wollen?“, sagte er schließlich, und sie wandte sich um.
Sie zog die Tür zornig auf und war nach draußen gegangen. Er folgte ihr sofort.
„Hermine!“
„Nein!“,
schrie sie auf der leeren Winkelgasse, auf der die Sonne nun endlich
untergegangen war. Die Laternen erleuchteten die lauwarme Nacht. „Nein, Ron,
ich wollte es nicht abtreiben, stell dir vor!“, entfuhr es ihr, aber sie weinte
bereits. Und er schloss den Abstand, zog sie in seine Arme, und stocksteif ließ
sie die Umarmung ihres besten Freundes über sich ergehen.
„Ich bin
ein Arsch. Verzeih mir“, flüsterte er in ihre Haare. „Ach scheiße. Es tut mir
leid“, fügte er hinzu und hielt sie einfach fest.
Harry
räusperte sich hinter ihnen.
„So, das
war lustig. Wo gehen wir als nächstes hin?“, täuschte er muntere Begeisterung
vor. Hermine und Ron trennten sich, und fast musste sie lächeln, als sie Harry
hinter ihnen sah, die Hände in den Taschen vergraben, unentschlossen und völlig
überfordert.
„Spazieren“,
schlug Ron resignierend vor, und zu dritt schritten sie in der Dunkelheit
nebeneinander.
Eine
Weile sagten sie gar nichts. Ron hatte mittlerweile ihre Hand ergriffen. Sie
nahm die Geste stumm zur Kenntnis, entzog ihm auch nicht ihre Hand.
Hermine
hatte nicht gemerkt, wie sie irgendwann nach rechts gebogen waren. In dieser
Straße standen weniger Laternen.
„Ich bin
wieder nüchtern“, informierte sie Harry.
„Jap“,
bestätigte Ron, der in der Mitte ging. „Und? Wie soll es heißen? Draco Lucius?“
„Es wird
ein Mädchen“, ignorierte Hermine den Seitenhieb.
„Wirklich?“,
entfuhr es Harry, aber Hermine ruckte mit dem Kopf.
„Nein,
ich weiß es nicht. Es wäre mir einfach lieber.“ Zum ersten Mal sprach sie über ihre
Schwangerschaft, stellte sie milde überrascht fest.
„Ginny
wird ausrasten!“, bemerkte Harry jetzt. „Die wird sich so sehr freuen, dass sie
es sogar einrichten wird, dass ihr eure Kinder am selben Tag gebärt“, fügte
Harry hinzu, und Hermine musste schmunzeln.
Die
beiden blieben stehen, somit musste sie an Rons Hand ebenfalls inne halten. Ihr
Blick hob sich langsam. Sie waren vor der Malfoy
Group angekommen.
Und in
der Halle brannte noch Licht. Sie wandte langsam den Blick.
„Tja, dann…
gehen wir es ihm sagen“, entschied Ron achselzuckend.
„Was?“ Sie starrte beide an. „Seid ihr verrückt?“
„Wäre ich
der Vater, dann würde ich es wissen wollen. Du willst doch, dass wir uns gut
verstehen“, murmelte Ron.
„Nein,
ich…“
„Hey,
also ich bin Harry Potter“, erklärte Harry langsam. „Und… wenn ich denke, eine
Sache ist richtig, dann würde Dumbledore mir auch vertrauen“, fügte er streng
hinzu.
„Nein“,
wiederholte sie kopfschüttelnd. „Ich bin nicht Dumbledore! Und so einfach ist
es nicht, ich-“
„-Hermine,
komm schon. Da gibt es doch gar nichts zu überlegen. Es gibt keinen anderen
Weg“, erklärte Harry und war wieder einmal der bessere Mensch, wie schon
hunderte Male zuvor. Sie atmete gereizt aus.
„Wir kommen mit rein“, bot Ron an und zog Hermine über die Straße. Ohne Zögern
schob Harry die Schwingtüren auf und schon standen sie in der langen Halle,
während Hermines Beine taub wurden vor Angst.
„Er ist
bestimmt nicht mehr da!“, sagte sie ernst, während Ron sie erbarmungslos
weiterzog.
„Klar, deswegen brennt Licht und alles ist auf“, erwiderte er ungläubig. „Los,
komm schon. Bringen wir es hinter uns.“
„Den
lustigen Abend konnten wir knicken, als Ron angefangen hat beleidigt zu sein“,
fügte Harry bestätigend hinzu und erntete Rons überraschten Blick. „Außerdem
werden wir ohnehin Mordsärger von meiner Frau bekommen, weil sie nicht dabei
sein durfte.“
„Ich war nicht beleidigt!“,
beschwerte sich Ron leise. Hermine löste sich aus Rons Griff.
„Haltet
die Klappe!“, zischte sie mit klopfendem Herzen. „Geht einfach!“, sagte sie
wütend und schritt alleine bis zum Ende des Flurs, bis zu den beiden
verschlossenen Flügeltüren.
Sie hob
die Hand und verharrte. Hinter ihr schwiegen die beiden Jungen. Sie musste wahnsinnig
sein, das gerade zu tun. Sie hasste Harrys Pragmatismus.
Sie
klopfte also. Es folgte keine Erwiderung, also öffnete sie einfach die Türen.
Sie blieb im Türrahmen stehen.
„Wir
haben geschlossen“, informierte er sie mit gehobenem Blick. Seine Stimme klang
nicht großartig verwundert. Er sah gut aus. Wieder einmal. Ihr Herz schlug so
schnell und am liebsten wollte sie sich umdrehen und wegrennen. Wie bei einem
misslungenen Klingelstreich, dachte sie panisch.
Sie stand
in der Tür und bekam nur sehr schlecht Luft.
„Ja,
ich…“, sagte sie also, ein wenig außer Atem. Und sie wusste auch nicht, was sie
sagen wollte. Sie wusste nur, dass sie sich an alles erinnerte. An jeden Tag,
den sie zusammen verbracht hatten, und es schmerzte sie so sehr, ihn zu sehen.
Ihn gesund zu sehen.
„Aber
gut, dass du hier bist“, schien er sich zu besinnen und bedeutete ihr,
einzutreten. Er hatte ihre Erscheinung schnell verwunden. Er schien sich nicht
einmal besonders daran zu stören, dass sie hier in seinen Büroräumen war, nicht
eingeladen, um zehn Uhr abends.
Sie
betrat unschlüssig das Büro, in dem sie nun schon häufiger gewesen war. Sie kam
zu seinem Schreibtisch. Sein Blick verharrte nicht lange auf ihr. Er schien sie
nicht ansehen zu wollen. Sie wusste nicht, warum. Sie schluckte schwer.
„Malfoy, ich-“, begann sie, aber er hob die Hand.
„Ich
bräuchte deine Unterschrift“, unterbrach er sie, in geschäftsgewohntem Ton. Ihr
Mund schloss sich.
„Was?“, fragte sie, denn sie begriff nicht. Vielleicht war er jetzt verrückt geworden?
„Deine Unterschrift. Hier, auf diesem Dokument“, erklärte er erstaunlich
gelassen. Sie lehnte sich näher über den Schreibtisch.
„Was ist
das?“
„Evertons“,
erwiderte er gleichmütig. „Sie wollen beide Unterschriften“, erklärte er das
offensichtliche. Sie streckt den Rücken wieder durch.
„Das ist
eine Vorschule“, brachte sie über die Lippen.
„Nein. Das ist die beste magische Vorschule in ganz England“, verbesserte er
sie. „Ich habe mich umgesehen. Und ich denke, die beste Vorschule ist gerade
gut genug, findest du nicht?“ Und erst jetzt sah sie es. Sie sah die Unmengen
an Broschüren auf seinem Schreibtisch, die allesamt gar nichts mit seiner
Arbeit zu tun hatten. Ihr Mund öffnete sich perplex. Vorschulen, Kindergärten,
Ranglisten von Hogwarts! Zuwendungsverträge, Erbschaftsbriefe! Sie hob den
Blick zu seinem Gesicht.
Ein müder
Schatten lag um seine Augen.
„Was tust
du?“, flüsterte sie. Aber viel wichtiger: Woher wusste er es?!
„Was ich tue?
Ich mache mir Gedanken, Granger“, informierte er sie müde, rieb sich kurz die
Augen und streckte sich dann auf seinem Ledersessel.
„Du weißt
es“, flüsterte sie. Es war keine Frage. Es war eine nüchterne Feststellung.
Jeder Boden war unter ihren Füßen genommen worden. Es war, als fiele sie in die
Tiefe, als hätte sie eine Stufe verpasst. Als hätte sich ein ganzes Treppenhaus
unter ihr aufgelöst, und sie fiele einfach nur noch hinab.
„Nein,
Granger. Ich verbringe zum Spaß meine kostbare Zeit damit, Vorschulen und
Kindergärten auszusuchen, Verträge aufzusetzen, Sparbücher anzulegen!“, fuhr er
sie plötzlich an, und sie zuckte zusammen. „So etwas benötigt Planung. Und da
ich nicht mehr viel Zeit zur Verfügung habe, will ich, dass für das Kind
gesorgt ist“, erklärte er knapp.
„Mit
deinem Geld“, sagte sie, und wusste, sie wollte eigentlich schreien. Sie müsste
es eigentlich. Wenn er es wusste, wieso war er nicht schon längst zu ihr
gekommen? Aber sie wusste die Antwort darauf doch schon, oder nicht? Er regelte
das nötige, ohne sie. Wahrscheinlich wollte er gar nicht involviert sein,
wollte nur seinen Part erfüllen und nicht mehr damit belästigt werden.
„Sicher
mit meinem Geld. Mit meiner ausgezeichneten Gesundheit werde ich es wohl nicht
können“, gab er bitter zurück. Und plötzlich erhob er sich. Sie wich
automatisch zurück.
„Was tust
du hier überhaupt? Dachtest du, du spazierst hier mitten in der Nacht rein und
sagst mir, dass du schwanger bist?“, wollte er wissen, und sie ballte plötzlich
die Hände. „Etwas spät, nach zwei Monaten, findest du nicht?“
Wieso
wusste er es? Woher wusste er es? Aber wollte sie wissen, woher er es wusste?
War es nicht schon ohnehin egal? Freute er sich? Wahrscheinlich nicht.
Natürlich nicht! Wieso sollte er sich über einen Kostenfaktor freuen?! Das war
es doch, was dieses Kind für ihn darstellte, oder nicht? Das war es doch, was
er hier trieb.
Wieder
hatte er den Blick von ihr abgewandt. „Oder war es etwas anderes? Wolltest du
mir auch heute nicht sagen, dass du ein Kind von mir erwartest?“ Seine Stimme
klang so kühl. So erschreckend kühl, während er anscheinend ire Aufmachung
musterte, bis hinab zu ihren hohen grünen Stilettos. – Die ihr jetzt vollkommen
unangebracht vorkamen.
„Dean“,
entfuhr es ihr plötzlich, mit erwachender Erkenntnis. „Dean hat es dir gesagt!“
Natürlich! Die Routineuntersuchung. Dean musste es wissen! Und er hatte es ihr
nicht einmal gesagt! Alles machte keinen Sinn mehr in ihrem Kopf. Aber Draco
konnte es nur von Dean erfahren haben. Und tatsächlich verzog er den Mund, als
wäre dies eine schlechte Erinnerung, die er hatte.
„Ja, ist
das nicht verflucht fantastisch? Dein neuer Typ erzählt mir, dass du schwanger
bist“, knurrte er. Verwirrt runzelte sie die Stirn.
„Was? Dean ist nicht mein-“
„-unwichtig“,
sagte er nur, und sie verstummte.
Sie stand
vor ihm und war mit dieser Situation überfordert. Aber was hatte sie erwartet?
Dass er in Freudentränen ausbrechen würde, wenn sie ihm sagte, sie erwarte sein
Kind? Vielleicht hatte sie so etwas erwartet. Ja, vielleicht.
Aber das
war eben nicht passiert. Und plötzlich ignorierte sie die lästige Tatsache von
ihm schwanger zu sein. Im Moment war da nichts, außer er und sie. Nur sie beide
waren gerade eben hier. Es war kein Kind da.
„Dean
heilt dich?“, fragte sie plötzlich ruhiger. Denn sie war an erster Stelle
Heilerin. Sie war keine Mum. Sie war keine feste Freundin von irgendwem. Nicht
von Draco Malfoy. Nicht von Dean Thomas. Nein, sie war nur Hermine Granger,
leitende Heilerin der Orthopädie.
„Ja“,
erwiderte er, kurz überrascht. Er schien ihre Reaktionen abzuwägen und sah ihr
wieder ins Gesicht.
„Das ist gut. Die Heilungen halten länger vor, allerdings…“ Sie unterbrach
sicher selber. „Du hast eine Pause gemacht“, schloss sie bitter. Ja, es würde seine
Zeit verkürzt haben, vermutete sie.
„Ja“,
wiederholte er wieder. Es war traurig. Das war es, was es eben war.
„Aber
jetzt hältst du die Termine ein?“, vergewisserte sie sich nüchtern. Er ruckte
mit dem Kopf. Das war wohl eine Zustimmung. Sie sah seinen Stock nirgendwo.
„Draco?“, begann sie langsam, und er sah sie an. Sie kannte sein Gesicht so
gut. Und er tat ihr leid. Wie immer, wenn sie ihn sah. „Du musst das nicht
tun“, erklärte sie sanft und deutete auf den Schreibtisch vor sich. Er folgte
ihrem Blick.
„Ich
hätte dir niemals… Probleme deswegen bereitet. Ich… hätte es abtreiben können.
Aber ich habe es nicht übers Herz gebracht“, gestand sie ihm ruhig ein. Er
hörte ihr nur zu. „Aber ich hatte nie im Kopf gehabt, dass ich dich um Gold
anbetteln würde, wenn-“
„-das steht dir zu“, kürzte er ihre Worte ab.
„Ich habe
genug eigenes Gold. Ich hätte nie ein Problem gehabt, finanziell gesehen“,
sagte sie gleichmütig. „Ich weiß, dass du dein Leben bestimmt mit anderen
Dingen verbringen willst. Solange du noch kannst.“
„Und was
für Dinge wären das?“, wollte er von ihr wissen, und es kam ihr nicht so vor,
als hätte sie vor zwei Monaten das letzte Mal gesprochen. Und sie erkannte die
Fangfrage und sagte nichts. „Meine Zeit ist knapp geworden. Ich treibe mich
nicht in Bordellen rum, falls es das ist, was du denkst.“
„Das
denke ich nicht!“, sagte sie schnell, aber vielleicht durchschaute er ihre
Worte, denn seine Augenbraue hatte sich spöttisch gehoben. Sie hatte etwas
Ähnliches gedacht, aber nicht dass er in Bordelle musste. Die Mädchen müssten
doch auch so bei ihm Schlange stehen, nahm sie bitter an.
„Du
kannst denken, was du willst. Diese Sache… mit uns – ich bin drüber weg. Du
hast mir klar gemacht, was du nicht willst, und ich respektiere das. Ich will
es auch nicht, aber… die Konsequenz ist ein Kind. Und ich werde mich darum
kümmern, dass es gut versorgt ist, und von seinem Vater nicht denken muss, er
wäre nicht… verantwortungsbewusst gewesen“, schloss er kühl. Sie schluckte
schwer.
Er war
drüber weg. Er war verantwortungsbewusst.
Das war
gut, sagte sie sich. Das hatte sie so gewollt. Man konnte nicht alles haben,
und er tat eine gute Sache. Und vielleicht hatte er recht. Sie hatte ihm die
Schwangerschaft zwei Monate verschwiegen, weil sie nicht gewollt hatte, dass er
davon wusste. Und jetzt bekam sie die Rechnung dafür. Er war drüber weg.
„Möchtest
du… involviert sein?“, fragte sie also unsicher, und er sah sie an.
„In wie
weit könnte ich das denn?“, wollte er achselzuckend von ihr wissen. „Ich habe
kein Jahr mehr“, fügte er ruhiger hinzu. Sie atmete aus. Kein Jahr? Er hatte
kein Jahr mehr. Das war zu wenig. Etwas in ihrem Innern schmerzte fürchterlich.
„Ich weiß nicht, ob ich Lust habe, dir dabei zuzusehen, wie du dick wirst“,
fügte er hinzu.
„Ja“,
erwiderte sie nickend. „Ich verstehe“, ergänzte sie und senkte den Blick auf
ihren Bauch. Sie verschränkte unauffällig die Arme vor ihrem Körper. Und in
Heilerinnenhöchstform tat sie ihr bestes, seine Aussagen nicht persönlich zu
nehmen. Aber nüchtern war das verdammt schwer.
„Weißt
du, was es wird?“, fragte er jetzt. Sie ruckte mit dem Kopf.
„Nein“,
erwidert sie tonlos.
„Es wäre
nett, es zu wissen, bevor ich-“ Sie ließ ihn nicht ausreden. Denn sie wusste, würde
er es laut sagen, würde sie weinen. Unweigerlich.
„Ich gehe morgen zu den Schwestern und lasse es mir sagen“, unterbrach sie ihn
hastig.
„Ich…
kann mit dir kommen?“, bot er an, und sie sah ihn an. Es war so traurig. Es
war… - sie konnte nicht richtig darüber nachdenken. Sie vermisste ihn und
durfte nicht. Er hatte kein Jahr mehr Zeit! Und alles was sie dachte war, dass
sie sich ungerecht behandelt fühlte. Dass sie verletzt war, weil er sie nicht
liebte! Aber sie konnte so nicht denken. Es war nicht gerecht ihm gegenüber.
Denn er hatte das alles nicht gewollt. Das wusste sie. Sie hörte es ja.
„Das musst du nicht“, sagte sie also und brachte mehr Stärke in ihre Stimme.
„Wofür? Es dauert keine zwei Sekunden, und ich schicke dir einfach eine Eule“,
schloss sie und stellte sich vor, sie spräche gar nicht mit ihm persönlich.
„Dann…
soll ich nicht mitkommen?“, schien er ihre Aussage zu werten.
„Ich bin
sicher, du hast genug Arbeit hier“, sagte sie also. Er schwieg einen kurzen
Moment lang. „Es sei denn, du willst… mit“, ergänzte sie hastig. Gott, es war
nicht leicht, rational und verletzt zu sein, zur selben Zeit….
„Ich habe
viel zu tun, aber bedenkt man, dass es für mich sowieso nicht mehr von langer
Dauer sein wird, wäre ein Besuch im Mungo vielleicht einmaliger als hier Ordner
zu wälzen“, überlegte er, ohne sie anzusehen. „Wie oft werde ich noch das
Geschlecht von meinem Kind erfahren?“, ergänzte er nachdenklich.
„Wahrscheinlich nicht mehr oft“, beantwortete er seine Frage selber. Sie sagte
nichts auf seine Gedankengänge hin.
„Ich
werde mitkommen“, entschied er also achselzuckend. Er sah so gut aus. Wieso sah
er so gut aus? Wieso war ihm alles egal?
Sie
nickte, immer noch mit verschränkten Armen.
„Ok“,
sagte sie und wandte sich ab.
„Ich
werde morgen früh ins Mungo kommen, gegen acht“, rief er ihr nach. „Ach, und
Hermine?“, hielt er sie auf, und ihr Vorname aus seinem Mund schmerzte genauso
wie jedes andere Wort, das er sagte. „Es tut mir leid“, sagte er. „Aber… es ist
einfacher, verstehst du?“
Sie nickte,
obwohl sie nicht verstand. „Du empfindest nichts mehr für mich, ich… empfinde
nichts für dich, und… ich dachte, vielleicht ist es für uns beide gesünder…
diese Sache einfach auszusitzen?“, schloss er ernst.
„Ja,
Draco. Ich… verstehe. Bis morgen“, sagte sie nur. Das war alles, was sie sagte.
Dass sie ihn liebte fügte sie nur in Gedanken hinzu. Und was sollte sie auch
sonst tun? Es war vorbei.
Sie
öffnete seine Türen und schritt hinaus. Harry und Ron standen immer noch im
Flur. Sie kamen ihr entgegen.
„Das ging schnell. Wir wollten gerade gehen, weil wir dachten, ihr würdet
irgendwelche ekligen-“ Aber Harry unterbrach sich sofort. Sein Lächeln fiel von
ihm ab. „Hermine? Du bist kalkweiß. Was ist passiert? Was hat er-“
„-er weiß es. Alles ist ok“, sagte sie nur. Tonlos, gleichmütig. „Lasst uns
gehen.“ Sie schritt an ihnen vorbei zu den Eingangstüren.
„Hermine?“
Ron folgte ihr sofort. „Was ist los? Wir hatten gedacht, ihr… versöhnt euch?“, sagte er, und betonte
das Wort angewidert.
„Es ist alles
in Ordnung“, ignorierte sie seine Anspielung.
„Was
heißt das?“, fragte Harry unsicher nach, und sie wandte sich um. Und fast war
sie dankbar, denn ein großer Stein war von ihrem Herzen gefallen. Er wusste es
jetzt. Und er tat das, was nötig war. Er wollte ihr Sicherheiten bieten. Er
liebte sie nicht, aber vielleicht war das nicht schlimm. Vielleicht reichte es
aus, dass er für das Kind da sein wollte, so gut er konnte? Und sie konnte es
jetzt Ginny sagen.
„Das
heißt, dass wir vernünftig sind. Kein Drama, kein zweiter Versuch“, erklärte
sie nüchtern, während Harry und Ron sie anstarrten. „Alles in Ordnung“,
wiederholte sie nur.
„Und… das
war es, was du wolltest?“, wollte Harry ungläubig wissen, und sie zuckte die
Achseln.
„Ich wollte es ihm sagen. Er hat alles gut aufgenommen. Wir treffen uns morgen,
um das Geschlecht zu erfahren, und das war’s“, sagte sie schlicht. Ron schien
noch missgelaunter als vorher.
„Ok“,
sagte Ron nur. „Dann… lasst uns gehen. Ich könnte noch ein paar Bier
gebrauchen“, murmelte er dumpf, und sie verließen schweigend das riesige
Bürogebäude.
Er hatte
wenig geschlafen. Er hatte sich gewälzt, hatte schlecht geträumt, und es war
noch früh, als er unten Stimmen hörte. Er hatte es seiner Mutter gestern Abend
erzählt.
Er wusste
nicht, weshalb. Vielleicht, weil er es sagen musste. Vielleicht, weil er es
gewollt hatte.
Er hatte
nicht gedacht, dass Hermine noch zu ihm kommen würde. Er hatte nicht damit
gerechnet, dass sie wollen würde, dass er von ihrer Schwangerschaft erfuhr,
aber anscheinend hatte er sich geirrt. Sie war zu ihm gekommen.
Und er
hatte sich zum ersten Mal richtig verhalten. Er hatte nicht geschrien, obwohl
er gewollt hatte. Er hatte nicht gesagt, was er impulsiv als erstes hätte sagen
wollen.
Er hatte
sich beherrscht. Trotz ihrer Aufmachung. Er hatte gesagt, dass er nichts für
sie empfand, und er musste es nur ganz glauben, dann wäre es wahr.
Vor allem
würde sie es ihm schon leichter machen, denn so wie es aussah, hatte sie nicht
das geringste Interesse an ihm.
Sie war
so nüchtern gewesen. Sie war ihm nicht böse. Aber er war ihr böse. Sie hätte es
ihm sagen sollen. Oder sie hätte ihn wenigstens anschreien können. Aber es war
besser, denn so wusste er, dass sie ihn wirklich nicht wollte. Aber warum
sollte sie auch?
Sie war
nur schwanger von ihm, sonst nichts.
Er erhob
sich träge. Die Stimmen unten unterhielten sich heftig.
Er zog
den Morgenmantel über. In einer Stunde musste er sowieso los. Das Geschlecht erfahren.
Er wusste nicht, wie gut dieses neutrale Verhalten zwischen ihm und Hermine
halten würde, oder wie lange, aber vorerst wollte er es nicht riskieren.
Vielleicht
konnten sie wieder zurück. Zu dem Punkt, wo sie seine Heilerin gewesen war, und
er ihr Patient.
Oder
vielleicht sogar noch weiter zurück. Wo sie nichts miteinander zu tun gehabt
hatten.
Er
streifte die Pantoffeln über und verließ sein Schlafzimmer. Er würde sich
gleich waschen und anziehen. Erst mal wollte er sehen, wer seine Mutter so früh
ärgern konnte.
Er lief
die Treppen hinab. Ohne Stock, ohne Schmerzen. Alles war besser als die
Schmerzen. Doch, er gab es zu. Und schon alleine deshalb würde er kein Mädchen
mehr ansehen. Es war sowieso keine wert. Die eine, die es vielleicht wert gewesen
wäre, beachtete ihn sowieso nicht mehr, also hatte er kein Problem.
„Und was
soll das heißen?“ Er erkannte die Stimme seines Vaters blind. Er kam in die
Halle, unbemerkt.
„Na ja,
was denkst du, was es heißen soll?“, rief seine Mutter außer sich. „Sie wird
sein Kind bekommen!“ Aha. Seine Mutter hatte es Lucius gesagt. Er hatte es ihr
auch nicht ausdrücklich verboten gehabt, aber auch das hätte sie bestimmt nicht
aufgehalten. Lucius nahm ihn wahr. Er wandte den Kopf.
„Draco“,
sagte er nur.
„Lucius“,
begrüßte er ihn, und er erinnerte sich an das letzte Gespräch mit ihm. An den
letzten Streit. Seitdem hatte er ihn nicht mehr gesehen.
„Du siehst gut aus“, bemerkte Lucius, und schien bestimmt nicht seinen
Morgenmantel und seine Hausschuhe zu meine. „Ich möchte sie kennenlernen“,
ergänzte er nahtlos.
„Was?“, fragte Draco ehrlich verblüfft.
„Miss Granger. Ich möchte, dass du sie hierhin einlädst.“ Es war keine Frage.
Es war keine Bitte. Es war ein klarer Befehl.
„Du wohnst hier nicht mehr!“, informierte ihn seine Mutter glücklicherweise.
Aber Lucius wandte sich ihr zu.
„Dass ich
hier ausgezogen bin heißt nicht, dass ich hier nicht mehr wohne“, klärte er sie
auf.
„Oh doch,
genau das heißt es Lucius!“, zischte sie. „Und ich möchte sie nicht empfangen“,
fügte sie stur hinzu.
„Das liegt nicht in deiner Hand. Es ist mein Haus, und ich empfange, wen ich
will. Außerdem war das doch der Grund, weshalb du mich informiert hast, oder
nicht?“, wollte er knapp wissen. „Wenn Draco stirbt, denkst du, wir haben auch
nur ein Mitspracherecht bei der Erziehung des Kindes?“
Draco
hörte zu. Darum ging es. Und sein Vater sprach nüchtern genug über seinen Tod,
um Draco die Falten auf die Stirn zu treiben. Lucius war wütend auf ihn.
„Und du
denkst, sie hier her zu holen, ändert das?“
„Sie sind
nicht verheiratet, also müssen wir nehmen, was wir kriegen können!“, fuhr er
sie an. Draco sah von einem zum anderen. Seine Eltern sorgten sich mehr als er,
aber ihm wurde klar: Natürlich sorgten sie sich mehr, denn sie würden ja hier
sein, während er… nicht hier sein würde.
„Das Kind wird ein Malfoy“, fuhr Lucius kalt fort. „Sie wird uns noch jeden
Sickel nehmen!“
„Das wird
sie nicht“, widersprach Narzissa. „Sie kann uns sicher nicht leiden“, fügte sie
achselzuckend hinzu.
„Und das
willst du? So willst du diese Verbindung aufrecht erhalten? Du hast kein
Interesse an einem Enkelkind?“, fuhr Lucius sie an. „Denn glaub mir, das
Enkelkind wird nur zu schnell Interesse an uns bekommen, sobald es weiß, was
dieser Name bedeutet.“
„Das wird
Granger schon zu verhindern wissen“, entfuhr es Draco relativ unbeteiligt.
„Was?“
Lucius sah ihn an. „Du wirst sie einladen. Sie wird hierher kommen, und wir
werden uns kennenlernen“, befahl sein Vater, ohne Raum zur Diskussion.
„Du kennst sie doch!“, behauptete Draco jetzt. Der Ausdruck seines Vaters wurde
finster.
„Sie wird
die Mutter deines Kindes, Draco“, erklärte Lucius, als wüsste es Draco nicht.
„Ich will sie kennenlernen. Es gehört sich so. Und wir werden für das Kind
genauso verantwortlich sein.“
Er atmete
aus. Ihm konnte es eigentlich egal sein. Denn er war ja nicht hier. Sollte sich
Granger mit seinen Eltern rumärgern. Nicht er. Das war
ein Lichtblick und vielleicht auch der Grund dafür, dass er die Achseln zuckte,
wohl auch sehr zur Überraschung seines Vaters.
„Meinetwegen. Heute Abend? Ich werde sie gleich fragen. Wie treffen uns im
Mungo, um das Geschlecht rauszufinden.“ Sein Vater sah ihn an. Ein sonderbarer
Ausdruck erschien auf seinen Zügen. Und er nickte. Wahrscheinlich hatte er mit
einer handfesten Auseinandersetzung gerechnet, die länger dauern würde, als
zwei Minuten, nahm Draco an.
„Ach, und
Lucius?“, sagte Draco, ehe er sich abwandte, um sich anzuziehen. „Wenn sie
nicht will, werde ich sie nicht zwingen“, informierte er seinen Vater mit
Bedacht. Lucius sagte nichts darauf, und zum Ärger seiner Frau setzte er sich
auf die Couch vor dem Kamin.
„Was genau tust du da?“, wollte sie zornig wissen.
„Ich wohne hier. Ich setze mich also auf meine Couch.“
Und kurz
kam es Draco so vor, als bereite sich Lucius auf einen längeren Aufenthalt in
Malfoy Manor vor. Seltsam, wirklich seltsam.
Er
verließ die Halle, bevor seine Mutter ausbrach, wie ein tosender Vulkan.
Er musste
sich fertig machen. Er war nicht nervös, er war nicht aufgeregt. Es war, als
ginge es um ein fremdes Kind, welches er sich nur kurzfristig annahm. Und so
ähnlich war es ja auch. Er wusste, er würde keine Verbindung aufbauen können,
denn… es gab keinen Grund.
Und so
traurig es klang, er konnte auch keinen finden.
~*~
Sie hatte
fast nicht erwartet, dass er kam. Aber er erschien pünktlich in der
Eingangshalle, wo sie ihn empfing. Sie trug ihren Kittel, war gefasst und nicht
emotional.
„Guten
Morgen, Draco“, begrüßte sie ihn. Dass sie kaum geschlafen hatte sah man ihr, dank
des Makeups, nicht an.
„Morgen“,
erwiderte er höflich.
„Geht es
dir gut?“, fragte sie, aber sah gut aus, also hatte sie keinen Grund, das
Gegenteil anzunehmen. Aber sie wusste, wie sein Bein wohl aussehen musste, wenn
er kein Jahr mehr hatte. Sie schluckte bei diesem Gedanken.
„Ja, mir
geht es gut, aber ich muss mit dir sprechen. Und du musst dich nicht unter
Druck gesetzt fühlen, du musst nichts dazu sagen, und du musst nicht
zustimmen“, sagte er jetzt, und sie runzelte die Stirn. Was wollte er ihr
sagen?
„Ähm,
ok?“, erwiderte sie ratlos, während sie in Richtung Fahrstuhl gingen. Mit dem
schönen Mann, dem Vater ihres Kindes, der sie nicht liebte. Und es auch offen
zeigte, denn er schüttelte ihr nicht die Hand, berührte sie überhaupt nicht,
schenkte ihr nicht mal so viel wie ein Lächeln. Hermine, reiß dich zusammen! Du bist keine verzweifelte Frau.
„Meine
Eltern möchten dich kennenlernen“, eröffnete er gleichmütig. Sie hob verstört
den Blick.
„Ich kenne deine Eltern“, entfuhr es ihr sofort. Er nickte daraufhin.
„Ja, das habe ich auch gesagt. Mein Vater sagt allerdings, dass das nicht
ausreicht. Er möchte… für die Zukunft sicher gehen, dass… er sein Enkelkind
sehen wird“, schloss er, wohl unangenehm berührt.
„Oh!“,
sagte Hermine, denn daran hatte sie gar nicht gedacht. Malfoy hatte Eltern. Und
die interessierten sich tatsächlich für ein Kind, das aus einer Verbindung
zwischen einem Reinblut und einer Muggel stammte? Es wunderte sie wirklich. Und
er las ihre Gedanken.
„Blut spielt keine Rolle“, sagte er, und tatsächlich hoben sich ihre
Augenbrauen spöttisch. „Mehr“, fügte er hinzu. Sie ersparte sich ihren
Kommentar darauf.
„In
Ordnung“, sagte sie also.
„Was?“ Er wirkte überrascht.
„In Ordnung, ich treffe deine Eltern“, stimmte sie zu. Anscheinend war das
nicht die Antwort, die er hatte hören wollen.
„Du musst
nicht!“, beteuerte er. „Ich zwinge dich nicht.“
„Ich
weiß“, erwiderte sie, als sie im Fahrstuhl standen und die Türen sich
schlossen. „Willst du, dass ich ablehne? Dann musst du mir das sagen“, ergänzte
sie kälter.
„Ich…
nein. Ich…“
„Weil ich
annehme, dass ich ohnehin noch mit deinen Eltern zu tun haben werde. Ich hätte
darüber nachdenken sollen“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Wirst du anwesend sein
später?“, fügte sie hinzu, denn sie wusste, sie würde den Abend wohl nicht gut
überstehen, alleine. Aber sie wusste nicht, was er dachte, also nahm sie an,
dass sie vielleicht auch alleine zu seinen Eltern müsste. Er interessierte ja
nicht mehr für sie.
„Ja, ich…
wohne dort“, sagte er nur.
„Ja, ich
weiß. Ich meine…“
„Ich
weiß, was du meinst!“, entfuhr es ihm plötzlich schärfer. Kurz flackerte etwas in seinem Blick, aber zu
schnell war es fort, und sie kamen schweigend im dritten Stock an. Ok? Er wäre
also wohl dabei, schloss Hermine daraus unsicher. Schweigend verließen sie den
Fahrstuhl.
Schweigend
gingen sie den Flur entlang, und sie würde gar nichts sagen! Er fragte sie, ob
sie zu seinen Eltern kommen würde, und war jetzt beleidigt, weil sie sich
erkundigte, ob er auch anwesend sein würde?! War das so abwegig? Nein, war es
nicht.
Sie
klopfte stur an die Tür des Schwesternzimmers. Die Tür öffnete sich.
„Heilerin
Granger“, begrüßte Schwester Edith sie freundlich. „Kommen Sie doch rein. Das
ist der Vater?“, erkundigte sich die Schwester, und Hermine nickte mit einem
aufgesetzten Lächeln.
Die
Schwester führte sie in den Behandlungsraum, der genauso aussah wie jeder
andere Behandlungsraum im Krankenhaus. „Heilerin Bolton kommt sofort“, fügte
sie hinzu, und Hermine nickte.
Sie
setzte sich auf den Stuhl. Draco neben ihr schritt zum Fenster, ohne ein
weiteres Wort zu sagen. Er würde jetzt tatsächlich beleidigt sein? Schön,
sollte er doch. Ihr war es egal. Sie machte den ganzen Zirkus des
Geschlechtrausfindens zwar nur wegen ihm, aber wenn er jetzt bockig sein wollte
– schön!
„Hermine!“
Brenda kam ins Zimmer, den Zauberstab schon in der Hand. „Mr Malfoy, ich bin
Heilerin Bolton“, begrüßte sie ihn freundlich. Draco wandte sich immerhin um
und schüttelte ihre Hand. „Sie sehen gut aus!“, fügte sie hinzu. Draco lächelte
kurz und nickte.
„Danke“,
war alles, was er sagte. Hermine nahm an, der Fall Draco Malfoy war auch auf
dieser Station bekannt.
„Wie geht
es Timmy?“, erkundigte sich Hermine. Brenda schüttelte bloß den Kopf, als sie
sich vor Hermine stellte.
„Ein furchtbarer Quälgeist, wie immer“, erwiderte sie lächelnd. „So, wir wollen
also endlich wissen, was es wird? Schon Namen ausgesucht?“, machte Brenda
munter Smalltalk, als sie den Zauberstab an Hermines Bauch setzte. Hermine
schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich dachte Brenda, sie wären zusammen. Und
glücklich, und, und, und…. Aber waren sie nicht.
„Na dann
sind ja noch alle Türen offen“, fuhr Brenda munter fort und sprach die Formel.
Und anscheinend gegen seinen Willen kam Draco näher, kam neben sie und sah
hinab auf ihre Bauchdecke, die durch den Spruch transparent geworden war, so
wie ihre Kleidung. „Das Baby liegt günstig!“, rief sie aus. Hermine atmete
gepresster. Sie konnte selber nichts sehen, und sie wollte sich auch nicht
vorbeugen, um ihre Eingeweide sehen zu können. Aber sie hatte tatsächlich Leben
in sich, ging ihr auf. Und natürlich war es dumm. Sie übergab sich nicht
täglich ohne Grund, das wusste sie, aber jetzt hatte sie den Beweis.
Draco
ging vor ihr in die Hocke. Es war ihr unangenehm. Sie war praktisch nackt. Und
noch mehr…, wenn sie darüber nachdachte.
„Und, Mr
Malfoy, können Sie erkennen, was-?“
„-ein
Junge! Nicht wahr?“, hauchte er praktisch, und Hermine entwich die angehaltene
Luft.
„Ein
Junge?“, flüsterte sie, und kurz spürte sie einen Stich, denn sie hatte sich so
sehr gewünscht, dass es ein Mädchen werden würde! So, so sehr!
„Ja, ein
gesunder, und für einen Embryo, erstaunlich großer Junge“, bemerkte Brenda
lächelnd. Sie führte einige weitere stumme Tests durch. Dann hob sie den Blick.
„Alles in Ordnung, Vitalfunktionen sind unauffällig, das kleine Herz schlägt
kräftig. Keine Komplikationen“, stellte Brenda mit einem sonnigen Lächeln fest,
während Draco gebannt auf ihren Bauch starrte.
„Der
Zauber verfliegt in fünf Minuten. Möchten Sie solange noch alleine bleiben?“
Aber Draco reagierte gar nicht auf die Heilerin, sondern rückte noch näher an
sie heran. „Ich lasse euch alleine“, wandte sich die Heilerin zwinkernd an
Hermine. Dann verließ sie den Raum.
Es war
wieder still. Hermine konnte nicht sagen, wie unangenehm es ihr war vor Draco
transparent zu sein. Sie zwang den Blick aus dem Fenster.
„Das habe
ich gemacht“, flüsterte er beinahe ehrfürchtig und riss sie aus ihren Gedanken.
Sie sah auf den Mann hinab, der mittlerweile vor ihr kniete. Das Blau seiner
Augen war heute besonders hell. Gerne wäre sie durch seine dichten blonden
Haare gefahren, aber sie beherrschte sich. „Er ist perfekt“, wisperte er voller
stiller Ehrfurcht.
„Er ist
von dir“, erwiderte sie. Aber sie meinte es kaum als Bestätigung seiner Worte,
doch er hob den Blick zu ihrem Gesicht. Und hastig räusperte sie sich. „Also…
kann das ja schon mal… nicht stimmen“, ergänzte sie stotternd. Und sehr kurz
hob sich sein Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Sie spürte die Röte in den
Wangen.
„Ja,
richtig, Granger“, sagte er rau. Oh Gott! Nein, sie würde es nicht können. Sie
würde weinen, weil er sie nicht liebte. „Danke, dass du das tust“, ergänzte er
schließlich und lenkte sie ab.
„Was?“,
wollte sie verwirrt wissen.
„Mein
Kind bekommen“, erklärte er ruhig. Sie musste fast lächeln.
„Na ja, ich tue wenig. Ich hab ja keine Wahl“, bemerkte sie und deutete auf
ihren Bauch.
„Ich
wünschte, ich könnte ihn sehen, wenn er kommt“, sagte er plötzlich mit einer
Traurigkeit in der Stimme, die ihr Herz schmerzen ließ.
„Das wirst du“, flüstert sie zuversichtlich. „Natürlich wirst du das“,
wiederholte sie und nicht zu weinen, war das schwerste, was sie jemals getan
hatte, als sie die Worte sagte.
„Nein,
das werde ich nicht“, erwiderte er bloß. Und sie wusste, er hatte Recht. Er
würde es wohl nicht erleben. Die Chancen waren gering. Sie spürte, wie der
Zauber verflog. Die Transparenz war vorbei. Ihr Kittel war wieder zu sehen. Sie
senkte den Blick, konnte ihn nicht mehr ansehen, denn sonst würde sie weich
werden, sie würde in seine Arme fallen und nicht mehr aufhören zu weinen, bis
es dunkel werden würde.
Er erhob
sich schließlich.
„Kommst du
heute Abend? Um sechs?“, fragte er mit gewöhnlicher Stimme. Sie zwang sich,
neutral auszusehen. Und sie nickte nur. Ja, sie würde da sein. Ihm zuliebe.
~*~
Sie
konnte gar nicht mehr aufhören! Und anscheinend musste Ginny jedes Mal
herhalten, und das tat sie auch dieses Mal. Und Hermine hatte alles gebeichtet.
Ihre Schwangerschaft, das Zusammentreffen, seine Kälte, ihre Kälte, obwohl sie
ihn liebte.
„Schon
gut“, murmelte Ginny, die den Arm um sie gelegt hatte, obwohl Hermine die
ältere von beiden war. „Alles wird schon wieder“, sagte sie. „Ich würde mich
zwar lieber umbringen, als bei den Malfoys zu Abend zu essen, aber das ist dein
Leben“, schloss Ginny beruhigend.
„Es tut
mir… so leid“, flüsterte Hermine und setzte sich wieder aufrecht hin, um mit den
Fingern die Tränen wegzuwischen.
„Schon gut. Ich weiß, es muss alles schwer sein, Hermine. Aber sieh es so… du
bekommst einen Jungen, ich ein Mädchen… und sie werden heiraten“, schloss sie
glücklich. Hermine musste grinsen.
„Ach hör
schon auf, du bist ja wie Ron!“, flüsterte sie und merkte, wie ihre Tränen
langsam versiegten. Ginny strich ihr lächelnd über die welligen Haare.
„Es wird
bestimmt ein wunderschöner Junge“, sagte Ginny jetzt sanfter.
„Ja, das hatte ich befürchtet“, flüsterte Hermine jetzt und blickte
nachdenklich auf keinen bestimmten Punkt. Ginny nahm die Hand wieder zurück.
„Oh, du…
denkst, er wird aussehen wie er?“, erwiderte Ginny und nickte. „Mach dir keine
Sorgen, Hermine, ok?“, fügte sie hinzu. Kurz schwiegen sie beide, und Hermine
machte sich Sorgen, aber sie schüttelte knapp den Kopf, um wieder klar denken
zu können.
„Was soll
ich heute anziehen?“, fragte sie nüchtern. „Am besten eine Aurorenuniform,
meinst du nicht?“, ergänzte sie trocken, und Ginny musste grinsen.
„Wäre wohl am besten. Aber halte wenigstens deinen Zauberstab immer
griffbereit. Wer weiß, was diese Malfoys vorhaben! Vielleicht betäuben sie dich
und verpflanzen das Baby in Narzissas Bauch und löschen dann dein Gedächtnis!“
Hermines
Mund öffnete sich angewidert. „Ginny!“, entfuhr es ihr schockiert.
„Ich
meine nur! Das wäre wohl das schlimmste Szenario, oder?“
„Du bist
eklig“, flüsterte Hermine und strich über ihren Bauch.
„Du
glaubst gar nicht, wie fantastisch ich es finde, dass wir gleichzeitig schwanger
sind. Und ich sage dir, dieses Kind wird von mir noch ordentlich zu hören
bekommen!“, versprach Ginny und deutete auf ihren eigenen Bauch. „Diese
Morgenübelkeiten, die auch noch nachmittags und nachts kommen. Dafür bekommt es
schon jetzt sieben Jahre Hausarrest“, schloss sie grimmig. Hermine musste
grinsen.
„Du kannst dafür doch nicht das Kind bestrafen“, maßregelte Hermine sie.
„Bei
James hatte ich nicht solche Probleme“, beschwerte sich Ginny wehleidig. „Und
wenn man vom Teufel spricht“, entfuhr es ihr mit aufgerissenen Augen, als sie
sich hastig erhob. „Bin gleich wieder da!“, rief sie, als sie die Hand schon
vor den Mund halten musste und aus dem Wohnzimmer stürmte.
Hermine
kaute vergessen auf ihrer Unterlippe. Es war fünf Uhr. Sie trug bisher nur
Jeans und ein hellblaue kurzärmelige Bluse, dazu weiße, offene Leinenschuhe.
Musste sie für die Malfoys anders aussehen? Sie entschied sich dagegen.
Wer aß
außerdem um sechs Uhr abends? Senioren vielleicht, nahm sie ungläubig an.
Sie würde
die Zeit hier noch absitzen. Die Haustür fiel ins Schloss.
„Kinder,
ich bin Zuhause!“, rief Harry vom Flur aus. James kam die Treppe runter
gepoltert.
„Daddy!“, rief er laut aus, und Hermine hörte, wie Harry ihn wohl an sich
drückte und anschließend durchkitzelte, denn James‘ Lachen schallte durch das
komplette Haus. Dann kam Harry ins Wohnzimmer. „Oh, na einen schönen guten Tag,
leitende Heilerin“, begrüßte er sie. „Hast du meine Frau gesehen?“ Er kam zu
ihr und setzte sich neben sie auf die Couch.
„Die
kämpft gerade gegen Übelkeiten“, entgegnete Hermine mitleidig. Sie war die
letzten beiden Tage verschont geblieben. Immerhin etwas gutes.
„Oh“,
bemerkte Harry und verzog den Mund. James kam ins Wohnzimmer gelaufen.
„Du hast
es versprochen!“, sagte er fest. „Und mit Tante Hermine sind wir sogar drei!“,
fügte er grinsend hinzu und hielt in seinen kleinen Fingern ein altes
Kartenspiel.
„James-“,
begann Harry müde, aber der kleine schüttelte ernst den strubbeligen Kopf.
„Nein, Dad! Du hast versprochen, wie spielen Snape explodiert!“, beschwerte
sich der Kleine und durchbohrte Harry mit einem Blick der Beharrlichkeit, den
Hermine schon von seiner Mutter gut genug kannte.
„Ok, fein! Dann teil aus!“, befahl er mit einem entschuldigenden Blick auf
Hermine. Diese schüttelte perplex den Kopf.
„Harry Potter, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal Snape explodiert
gespielt habe! Seit seiner Beerdigung bestimmt nicht mehr“, erklärte sie
lächelnd.
„Wir
halten ihn in Ehren“, bemerkte Harry mit einem ehrfürchtigen Unterton. Hermine
verdrehte schließlich die Augen.
„Ok, eine
Runde“, sagte sie, und aufgeregt teilte James die Karten aus. Es wäre eine
nette Ablenkung von der bevorstehenden Katastrophe, überlegte Hermine mit
klopfendem Herzen.
~*~
Sie war angekommen.
Und es war lächerlich, wie scheu sie war. Sie war schon öfters hier gewesen.
Und jedes Mal war sie lebendig wieder verschwunden. Sie klopfte also an die
schwere Tür.
Und es
vergingen vielleicht drei Sekunden, ehe der alte Elf öffnete.
„Kommen
Sie rein, Miss“, sagte er mit einer rostigen Verbeugung. Hermine könnte sein
Alter nicht einschätzen. Vielleicht 250? Mindestens?!
„Ich…
danke“, sagte sie. Sie trug keinen Mantel, es war warm genug gewesen, also
führte der Elf sie direkt weiter durch die Halle. Aber so sehr es ihr missfiel
– sie kannte den Weg bereits. Auf dem Weg öffnete sich im nächsten Flur eine
Tür. Lucius Malfoy betrat die Szene, dachte sie dumpf.
Er
empfing sie mit einem überraschenden Lächeln.
„Guten Abend, Miss Granger. Avalon, ich übernehme ab hier“, schien er dem Elfen
zu sagen, denn dieser wandte sich mit einer weiteren steifen Verbeugung um.
„Schön, dass Sie hier sind“, sagte er, und tatsächlich erlebte sie, wie Lucius
Malfoy seine Hand auf ihre Taille legte, um sie ins angrenzende riesige
Wohnzimmer zu führen. Es war wohl eher ein Salon, als ein Wohnzimmer, nahm sie
an. Der Kamin war entzündet, das Feuer prasselte angenehm, und auf dem kleinen
Couchtisch davor standen bereits vier gefüllte Gläser.
Narzissa
betrat den Salon ebenfalls.
„Oh, Sie
sind pünktlich. Willkommen, Miss Granger“, begrüßte auch sie Hermine mit
entsprechender Höflichkeit. Hastig schüttelte Hermine die ihr dargebotene Hand.
Sie hatte wenig Zeit, um zu reagieren. Sie hörte, wie jemand aus einiger
Entfernung Treppen runter kam. Sie schluckte und zwang sich zu einem weniger
verkrampften Lächeln.
„Sie
haben, wie immer, ein sehr schönes Haus“, sagte sie, in Ermangelung anderer
Worte.
„Vielen Dank“, winkte Narzissa ab. „Wie geht es Ihnen?“, wechselte sie das Thema.
Hermine wurde zur schmalen Couch geführt und musste Platz nehmen. Narzissa
setzte sich ihr gegenüber. „Haben Sie diese schrecklichen Übelkeiten?“, fuhr
Narzissa fort, und Hermine fühlte sich nicht wohl unter der Aufmerksamkeit von
beiden Malfoys.
Draco
betrat wie aufs Stichwort den Salon.
„Mutter, vielleicht verschieben wir das Gespräch über Übelkeiten auf später?“,
schlug er glatt vor und setzte sich neben sie. „Schön, dass du da bist“,
ergänzte er in ihre Richtung, aber sie nahm an, es war eine Floskel, wie auch
Lucius sie gebraucht hatte.
Oh
Merlin, sie bekam einen Malfoy!
Sie
zuckte zusammen, als ein Elf aus dem Nichts neben ihr erschien, zwei Karaffen
in den Händen.
„Dreimal Champagner“,
erklärte er, während er drei Gläser füllte. „Einmal Orangensaft“, murmelte er
bei ihrem Glas. Dann verschwand er wieder, ohne dass ihn jemand beachtet hatte.
Lucius
und Narzissa hoben ihre Gläser.
„Dann
stoßen wir mal an“, entschied Lucius, immer noch lächelnd. „Auf die Familie“,
rief er freundlich aus. Hermine hob ihr Glas zögerlich, aber sie hob es.
„Auf die
Familie!“, rief auch Narzissa. Draco hatte sein Glas gehoben, sagte aber
nichts. Dann tranken sie stumm.
„Wissen
Ihre Eltern Bescheid?“, erkundigte sich Lucius plötzlich, und Hermine hätte
sich fast verschluckt.
„Äh…
nein. Ich hatte noch keine… Gelegenheit es ihnen zu…“ Sie brach ab. Sie hätte
genug Gelegenheiten gehabt. Eigentlich. „Wissen Sie, ich… komme nicht gut mit
meiner Mutter zurecht“, gestand sie nun leiser ein. Narzissa und Draco schienen
einen Blick zu tauschen.
„Das ist
bedauerlich“, bemerkte Lucius.
„Ich…
werde es schon noch machen“, versprach Hermine hastig.
„Bei
allem Respekt, es geht uns wenig an. Da fühlen wir uns geehrt, dass Sie
wenigstens mit uns offen reden“, entgegnete er freundlich. Sie atmete aus und
lächelte wieder. Ach wie gerne würde sie trinken! Vor allem erinnerte sie sich
noch gut genug an ihren letzten Streit mit Narzissa. Draco sprach noch immer nicht.
„Wie
läuft es mit Ihrer Arbeit? Sie werden doch nach der Schwangerschaft bestimmt
freigestellt werden? Wissen Sie, Miss Granger, wenn Sie es möchten, können Sie
auch hier einziehen, solange Sie-“
„-Narzissa“,
unterbrach Draco sie schließlich kopfschüttelnd.
„Was?“, fuhr Narzissa ihn freudlos an.
„Ich
denke nicht, dass das nötig ist. Sie hat ein perfektes Haus.“
„Ja, aber
sie ist jetzt allein, nicht wahr?“, schien Narzissa mit Selbstbeherrschung zu
erwidern.
„Oh, ich…
komme zurecht. Bisher gab es nichts… Problematisches“, erklärte Hermine eilig.
„Und… natürlich werden Sie Ihre Enkelkind sehen können, wann immer Sie es
wünschen“, ergänzte sie eilig, denn das war doch die Sorge der Malfoys gewesen,
oder?
Anscheinend
stand dies jedoch für Narzissa außer Frage. Denn sie nickte lediglich.
„Ja,
haben Sie sich schon Gedanken über die Vorschulen gemacht? Wir-“
„-ich
habe bereits Bescheid gegeben“, unterbrach Draco seine Mutter erneut.
„Aber ich
hoffe nicht in Beatons? Dort gibt es nicht das richtige Erziehungsprogramm
für-“
„-nein,
Evertons. Außerdem habe ich mich bei weiterführenden Kindergärten gemeldet, die
vielleicht ein besseres Konzept verfolgen als ordinäre Vorschulen“, ergänzte
Draco knapp.
Hermine
klinkte sich aus. Das Kind war noch nicht einmal geboren. Sie leerte ihr Glas.
Anscheinend ging alles relativ gut.
„Möchten
Sie noch etwas trinken?“, unterbrach Lucius die beiden anderen. Hermine
schüttelte dankbar den Kopf.
„Wir
sollten außerdem über das Finanzielle sprechen“, sagte Narzissa schließlich.
Draco stellte sein leeres Glas auf den Tisch.
„Ich habe dafür gesorgt“, sagte er nur.
„Ich bin
mir sicher, du hast gute Pläne, aber ich möchte sicher sein, dass-“
„-nach
meinem Tod ist für alles gesorgt, Mutter!“, unterbrach er sie scharf. Die
folgende Stille war angespannt, und Narzissa fuhr sich kurz über die Stirn.
„Sie
wohnen noch immer in Aven Parks?“, unterbrach Lucius die unangenehme Stille,
und Hermine nickte wieder.
„Ja, ich…
das Haus würde ich nicht hergeben“, sagte sie, ohne zu wissen, was sie sonst
sagen sollte.
„Wieso –
wenn ich fragen darf – ist die Beziehung letztendlich überhaupt gescheitert?“
Hermines Blick schoss zu Narzissas Gesicht. Röte trat in Hermines Wangen,
schneller als sie angenommen hatte. Sie hörte Draco neben sich aufstöhnen. Oh
Gott, sie hatte nicht mit einer solchen Frage gerechnet! Und sie wusste sie
auch nicht zu beantworten. Sie wollte auch gar nicht.
„Ich
denke, das gehört hier nicht hin“, bemerkte Lucius. Und erst jetzt fiel Hermine
die angespannte Stimmung zwischen Narzissa und Lucius erst auf. Erst jetzt fiel
ihr wieder ein, dass beide geschieden waren. Aber anscheinend gaben sie sich
heute Mühe, oder versuchten es zumindest.
„Ich habe
lediglich gefragt“, zischte Narzissa. „Mir kommt es jetzt auch nicht so vor,
als ob die beiden sich nicht verstehen, das ist alles“, knurrte sie ihrem
Exmann zu. Hermine senkte den Blick auf ihren Schoß.
„Wir sind
auch erwachsen“, mischte sich Draco übellaunig mit ein. „Und wir sind bestimmt
nicht hier, um über irgendwelche gescheiterten Liebschaften zu reden“, fuhr er
geflissentlich fort.
Gescheiterte Liebschaften. Die Worte rauschten in Hermines
Ohren. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn liebte. Sie hatte es ihm gesagt!
Hatte er das wieder vergessen? Ausgeblendet? Sie fühlte sich wieder einmal so
ungerecht behandelt, dass sie kaum atmen konnte.
Aber sie
zwang sich zur Ruhe. Sie zwang ihre Stimme zu einem neutralen Ton.
„Mr
Malfoy, Mrs Malfoy, wo ist die Toilette?“, fragte sie so ruhig, wie nur
möglich.
Lucius
schnippte mit den Fingern, und eine weibliche Elfe erschien.
„Lowyn,
zeig Miss Granger das Gästebad“, rief er aus, und die Elfe verneigte sich
mehrfach. Hermine erhob sich, und ihre Hände zitterten vor Wut. Sie folgte dem
kleinen Geschöpf, was recht schnell durch den Salon lief, um die Ecke bog und
eine Treppe hinauf tapste.
„Finden
Sie den Weg zurück, Miss?“, erkundigte sich die Elfe und hundert weiteren
Verbeugungen. Hermine nickte.
„Ja,
danke, ich finde ihn, Lowyn“, bestätigte sie, und die Elfe verschwand. Sie
fragte sich, was die Elfen hier wohl alles zu tun hatten – und, ob sie
anständig bezahlt würden. Sie atmete aus und öffnete die Tür hinter sich.
Das war
ein Gästebad? Es war so groß wie die Grundfläche ihres Hauses, überlegte sie
dumpf. Ein weißer Sessel stand weiter hinten an den langen Fenstern, die den
Garten überblickten. Auf einem erhöhten Podest war eine goldene Wanne
eingelassen, und sie setzte sich seufzend auf den bequemen Sessel. Das Bad war
blitzeblank. Es besaß drei Waschbecken, zwei barrierefreie Duschen und eben
jene monströse Badewanne aus Gold. Und natürlich eine Toilette, die breiter
wirkte, als alle anderen Toiletten, die Hermine kannte.
Sie war
achteckig. Die vielen Fenster waren verhangen mit weißem Leinen. Auf dem Boden
lagen weiße glänzende Fliesen mit Goldeinschlüssen, die ab und an funkelten.
Das Bad hatte auch noch zwei Flügeltüren nach draußen zu einem kleinen Balkon.
Das alles hier hatte Draco aufgegeben, um mit ihr zu wohnen, ging ihr auf.
Gescheiterte Liebschaften…
Sie
schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Was tat sie hier überhaupt? Ihr
Bauch rumorte. Na großartig! Aber immerhin befand sie sich in einem Badezimmer.
Sie erhob sich vorsintflutlich. Das Kind hatte Timing, das musste sie ihm
lassen.
Und die
Übelkeit kam plötzlich. Eilig stürmte sie zum Klo, öffnete den Deckel und fiel
ergeben auf die Knie.
Es war
immerhin schnell vorüber, aber nachdem sie sich gründlich den Mund ausgespült
und einen Reinigungszauber angewendet hatte, verblieb sie im Bad. Sie war
wieder zurück zum Sessel gewandert und wusste nicht, was sie mit der Situation
anfangen sollte.
Ihr Blick
verlor sich auf dem endlosen Grundstück, was im Sommer wohl zur Höchstform
aufblühte.
Es
klopfte an der Tür. Erschrocken hob sie den Blick, als sich die unverschlossene
Tür öffnete.
„Ich
hatte angenommen, du hättest dich bereits in der Wanne ertränkt“, entfuhr es
ihm spöttisch, als er eintrat. Aber er verharrte im Türrahmen. „Darf ich?“, fragte
er tatsächlich.
„Es ist
dein Haus, sicher“, sagte sie nur. „Tut mir leid, ich… mir war übel“, schloss
sie knapp und wandte den Blick wieder nach draußen. Es war schlimm genug hier
zu sein, da musste sie ihn nicht auch noch ansehen.
„Das geht
mir immer so, wenn ich mit meinen Eltern zu tun habe“, erwiderte er
verständnisvoll und kam näher, bis er vor ihr stand. „Das ist die Hölle für
dich?“, vermutete er knapp.
„Nein,
deine Eltern sind in Ordnung“, sagte sie widerwillig. Sie sah ihn aus den
Augenwinkeln nicken.
„Oh, ok. Dann bin ich die Hölle für dich?“, erkundigte er sich spöttisch, und
jetzt hob sie den Blick. Es war ermüdend. Es war zu anstrengend, sich zu
streiten.
„Nein,
Draco“, sagte sie also. „Du bist gar nichts für mich. Es ist alles ok, ich
wollte mich nur kurz… sammeln“, schloss sich. Sein Blick wirkte verschlossen.
Sie konnte seine Gedanken nicht erahnen.
„Fein,
ich komme auch nur, um dich zu Tisch zu bitten. Es ist angerichtet. Oder hast
du keinen Appetit mehr?“, erkundigte er sich kälter als zuvor.
„Nein,
ich… komme“, sagte sie seufzend und erhob sich aus dem Sessel. Er hatte sich
bereits abgewandt. Kurz verharrte sie. Kurz zögerte sie, ließ ihn gehen und war
wieder alleine, mitten im fremden Badezimmer. Die Tür öffnete sich erneut.
„Nur dass ich Bescheid weiß, wir gehen getrennt?“, wollte er kühl wissen, und
sie atmete müde aus.
„Nein,
Draco“, zwang sie sich zu sagen und schloss zu ihm auf. Aber er bewegte sich
nicht, als sie die Tür erreicht hatte. Sie sah zu ihm auf.
„Es ist
für mich auch nicht leicht“, sagte er schließlich, und sie hörte seinen Vorwurf
durchaus.
„Mit
einer gescheiterten Liebschaft zu essen?“, wollte sie bitter von ihm wissen,
und kurz öffnete sich sein Mund sprachlos. „Ich hatte angenommen – nein, ich
hatte zumindest gehofft – dass wir
mehr waren als das“, informierte sie ihn, eine Spur schärfer, drängte sich an
ihm vorbei und ließ ihn stehen. Sie erreichte den Salon wieder, aber niemand
war mehr hier. Er trat neben sie.
„Wir essen im Esszimmer“, erklärte er, und seine Stimme klang gleichmütig. Er
griff ihre Worte nicht mehr auf, und widerwillig ließ sie sich von ihm zum
Esszimmer führen. Sie wunderte sich nicht, dass es sich um ein Zimmer handelte,
was nichtminder groß war wie das vorherige. Schwere Kerzenleuchter standen auf
der langen, mit Leinen bedeckten Tafel, auf der sich die dampfenden Schüsseln
häuften.
„Ah, da
sind Sie ja. Haben Sie sich verlaufen?“, wollte Lucius freundlich wissen, aber
Narzissa wirkte nur noch angespannt.
„Nein, ich…
alles in Ordnung“, sagte Hermine wieder einmal, obwohl es alles andere als das
war. Sie ließ sich widerwillig von Draco zum Platz führen, ergriff aber ihren
eigenen Stuhl, bevor er noch so etwas lächerlich Aufgesetztes tun konnte.
Ihr
Kristallglas war bereits mit Wasser gefüllt. Das Essen duftete herrlich. Ihr
war noch etwas flau im Magen, aber zum Essen war sie hergekommen, und zum Essen
würde sie bleiben!
„Ich
hoffe, sie essen Fleisch, Miss Granger?“, rang sich Narzissa schließlich ab.
Hermine nickte nur. „Ich hab extra ihrem Umstand entsprechen kochen lassen. Sie
sollten alles vertragen können“, ergänzte sie, und Hermine schenkte ihr
tatsächlich ein Lächeln.
„Ich
danke Ihnen“, sagte Hermine, obwohl Narzissa ja nur hatte kochen lassen. Wenn
man reich war, kochte man wohl nicht selber. Wenn man reich war, tat man wohl
nichts mehr selber.
„Wann
immer Sie zu uns kommen wollen, es wird Ihnen an nichts fehlen“, fügte Lucius
hinzu. Sein Ausdruck war warm, stellte sie verblüfft fest. Tatsächlich schien
er ihr freundlich gesinnt zu sein.
„Ich bin
sicher, das wird Ihr Enkelsohn auch zu schätzen wissen“, erwiderte sie
lächelnd. Und kurz verlor sich der Ausdruck auf Lucius‘ Gesicht. Er tauschte
einen Blick mit Narzissa.
„Ein…
ein… Junge? Sie bekommen einen Jungen?“, entfuhr es Narzissa tonlos, und
Hermines Mund öffnete sich verblüfft. Draco hatte es anscheinend noch gar nicht
erwähnt.
„Ja“, sagte dieser jetzt, der ihr gegenüber saß. Seinen Ausdruck konnte sie
noch immer nicht deuten. „Sie bekommt einen Sohn.“
Kurz
stutzte sie über seine Worte. Sie bekam ihn nicht allein! Es war auch sein
Sohn! Aber jeder Appetit verging ihr. Nein, vielleicht war sie bereits allein,
wenn sie ihr Kind bekam. Ihr Blick senkte sich auf den glänzenden Teller. Aber
schon hatten sich Lucius und Narzissa erhoben. Sie kamen um den Tisch.
Hermine
war stocksteif vor Schreck, als Lucius sie erreichte und die Arme um sie legte,
um sie gegen seinen Bauch zu pressen.
„Ich…
herzlichen Glückwunsch! Ich… bin sofort zurück!“, versprach er, ehe er das
Zimmer verließ. Narzissa hatte Draco über die Haare gestreichelt, ehe sie auch
zu ihr kam.
„Wie
wunderbar!“, entfuhr es der schönen Frau, die nun ehrlich lächelte. „Einen
Moment!“, entschuldigte sie sich auch. Und Hermine und Draco waren allein.
„Du hast
es ihnen noch nicht gesagt“, schloss Hermine, während sie einen Schluck Wasser
trank und Draco sich Kartoffeln auf seinen Teller lud.
„Nein“,
entgegnete er bestätigend. „Aber jetzt hast du ihnen den größten Wunsch
erfüllt“, ergänzte er, als er nun Soße über die Kartoffeln kippte und nach dem
Fleischteller griff.
„Was tun
sie jetzt?“
„Ich kann
nur vermuten, dass sie sämtliche Freunde und Bekannte anflohen, in Clubs
Reservierungen machen, winzige Anzüge maßschneidern lassen – das übliche.“
„Das
übliche?“, wiederholte sie ungläubig.
„Granger,
ein männlicher Erbe ist der Traum aller Reinblüter-Großeltern“, merkte er
spöttisch an. „Kartoffeln?“, ergänzte er jetzt, aber sie schüttelte nur den
Kopf.
„Ich habe
keinen Hunger“, flüsterte sie. Seine Stirn runzelte sich.
„Das ist
dein Abendessen“, erklärte er verwirrt.
„Ich
weiß, ich…“ Und sie schüttelte schließlich den Kopf. „Nein. Weißt du, ich will
nicht, dass es mein Sohn ist. Es ist unser Sohn. Es… - und ich will nicht
alleine sein. Ich will ihn nicht alleine bekommen! Ich will nicht ohne dich
irgendwo liegen müssen, dick und verzweifelt, während ich alleine dieses…
dieses Dinge bekomme!“, rief sie zornig aus und deutete wütend auf ihren Bauch.
„Granger“,
sagte er ruhiger, aber sie schüttelte den Kopf und erhob sich.
„Nein!“,
rief sie ärgerlich aus. „Ich will auch keine abgelegte, gescheiterte Liebschaft
von dir sein! Ich will diese Sache nicht alleine machen! Ich bin keine Mutter,
und ich will auch keine sein, wenn es keinen Vater gibt!“
„Das
sollte sich schwierig gestalten, aber ich denke, dein Kollege Dean wäre scharf
auf-“
„-ich
will nicht, dass du dich um einen Nachfolger kümmerst, Malfoy!“, schrie sie
jetzt. Er legte das Besteck beiseite.
„Ich bin
aber nicht mehr da, ok?“, fuhr er sie zornig an, während er sich ebenfalls
erhob und seine Serviette achtlos zu Boden fiel. „Was soll ich tun? Es
rückgängig machen? Tut mir leid, aber du wirst damit klarkommen müssen“,
schloss er bitter.
„Ich will
es aber nicht!“, widersprach sie tonlos. Sie wandte sich von ihm ab und schloss
die Augen. „Ich hätte nicht kommen sollen“, flüsterte sie, ohne ihn anzusehen.
„Ich hätte nicht in dein scheiß Büro kommen sollen, neulich Nacht“, fügte sie
kopfschüttelnd hinzu. Tränen der Verzweiflung stiegen in ihr empor und brannten
in ihren Augen.
„Ja, das
sehe ich ähnlich“, hörte sie seine Stimme recht nahe neben sich. Sie zwang
sich, die Augen zu öffnen.
„Du bist
ein Arschloch“, entfuhr es ihr heiser. Er lächelte daraufhin freudlos.
„Am
besten setzt du dich. Sie kommen wieder“, sagte er jetzt und deutete
ausdruckslos auf den Stuhl hinter sie. Ihr Herz schlug schnell. Wie konnte er
so sein? Wie konnte er nur? Als wolle er nichts damit zu tun haben?! Ihr Sohn?
Nur ihrer allein? Wollte er das so? Und was sollte sie tun? Sie konnte ihn
nicht zwingen, sie zu mögen. Sie konnte gar nichts tun.
Sie
ballte die Hände zu Fäusten, und ohne jeden Antrieb nahm sie wieder Platz.
Es war
der Deal gewesen. Sie war hier eingeladen, also würde sie es aussitzen.
Allerdings lag jetzt sein Blick auf ihrem Gesicht. Munter plaudernd kehrten
Lucius und Narzissa wieder, setzten sich, hatten nichts vom Streit bemerkt,
aßen, verwickelten Hermine in unzählige Gespräche, planten unzählige weitere
Treffen, bei denen sie unzählige Fremde kennenlernen sollte.
Aber
Dracos Blick verließ sie nicht mehr. Und sie aß mit klopfendem Herzen. Denn sie
war so wütend auf ihn. So unglaublich, irrational wütend. Sie sah ihn nicht
mehr an. Aus Strafe. Und aus reinem Selbstschutz, denn wahrscheinlich würde sie
keinen Bissen mehr essen können, würde sie es tun.
Das
Wasser prasselte auf ihn hinab. Er stand schon solange unter der Dusche, dass
er spüren konnte, wie das Wasser rote Striemen in seinen Rücken gewaschen haben
musste.
Es
klopfte an die Badezimmertür. Seine gläserne Duschtür war beschlagen, er konnte
also nicht sehen, wer es war. Aber seine Badezimmertür öffnete sich.
„Draco?“
Sein
Vater war reingekommen.
„Was?“,
fuhr Draco ihn an.
„Nichts.
Ich wollte nur… sehen, ob alles in Ordnung ist. Du bist seit einer Weile
duschen“, erklärte Lucius ausdruckslos.
Anscheinend
konnte man es hören, nahm Draco an, obwohl das nahezu unmöglich war, würde sein
Vater nicht seit einer Weile auf dem Flur vor seinem Zimmer stehen. Es war
vielleicht halb zwei morgens. Er hatte die Lust verspürt, zu duschen. Er hatte
nicht schlafen können, hatte keinen klaren Gedanken fassen können, und er war
sauer auf sie. Auf Granger. Was dachte sie eigentlich?!
Dass
alles so lief, wie sie es gerne wollte? Nein, tat es nicht!
„Ja,
alles in Ordnung!“, schnauzte er. Er glaubte nicht, dass man zwei Stockwerke
höher hören konnte, wie er duschte. Er glaubte, sein Vater war mit Absicht
gekommen. Mit einem zornigen Schlag hatte er das Wasser ausgestellt. Er drückte
die Tür auf und heißer Dampf hatte das Bad eingehüllt. Sein Vater stand noch
immer im Türrahmen. Draco griff sich wahllos eines der Handtücher vom Stapel
und legte es sich um die Hüfte.
„Was
willst du?“, fuhr er seinen Vater zorniger an, als er es vorgehabt hatte.
Teilweise hatten sich Strähnen aus Lucius‘ Zopf gelöst. Wasser perlte Dracos
Rücken hinab, und auch durch den dichten Dampf schien sein Vater ihn erkennen
zu können. Sein Blick wanderte hinab, zu Dracos Bein.
Draco
hörte, wie Lucius nach Luft schnappte. Draco hoffte, er würde jetzt keinen
Anfall bekommen.
Mit der
Hand wischte sich Draco übers Gesicht und kämmte sich die nassen Strähnen über
den Kopf nach hinten. Er leckte von den Lippen das Wasser und sah seinem Vater
entgegen.
Er trug
noch immer seinen Anzug. „Bist du jetzt wieder eingezogen? Stört es dich, wenn
ich dusche?“, wollte Draco es abkürzen, aber sein Vater kam langsam näher.
Die
Tränen standen in Lucius‘ Augen, aus denen die Kälte sonst nicht verschwand.
„Nein, es stört mich nicht“, entgegnete er nahezu tonlos. Er störte sich nicht
daran, dass Dracos Haut nass war, dass er nur ein Handtuch um die Hüfte trug.
„Mein Sohn“, fügte er hinzu. Seine Hand legte sich um Dracos Nacken. Draco biss
fest auf seine Unterlippe bis es schmerzte. Er schloss die Augen und ließ es
zu.
Lucius
zog ihn umstandslos in seinen Arm.
Draco
hatte vorgehabt, zu lachen, seinen Vater von sich zu stoßen, kaum, dass er ihn
berührt hatte. Aber plötzlich konnte er nicht.
Lucius‘
Duft war so vertraut. Er atmete ihn tief ein. Sein Vater ließ von ihm ab, um
sein Gesicht nun mit beiden Händen zu halten. Hart rieben seine Daumen über
Dracos Wangen.
„Mein
Junge“, flüsterte Lucius, und seine Augen waren jetzt gerötet. Der Wasserdampf
hatte seine Haare benetzt. Die losen Strähnen um sein Gesicht waren nass.
„Keine Angst“, ergänzte er, und hatte Draco bisher nicht weinen müssen, rang
sich jetzt ein Schluchzen aus seiner Kehle. Er merkte, wie er zitterte. „Schon
gut“, murmelte Lucius und hielt ihn wieder fest in seinen Armen. Merlin! Er
wollte ihn noch immer von sich stoßen, konnte aber nichts anderes tun, als sich
halten zu lassen, während er merkte, wie er zornig auf Lucius wurde.
Die
beiden Männer standen im beschlagenen Badezimmer. Und es war nicht so leicht
und einfach, wie es sich Draco vorgemacht hatte. Es war schwer, auf Lucius
wütend zu sein.
Und auch
jetzt durch den Wasserdampf war es klar zu erkennen.
Das
giftige Muster hatte sich um Dracos Wade gezogen, in feinen fast kunstvollen
schwarzen Linien. Sie schimmerten grün hoch, über sein Knie, wanden sich wie
schwarzer Efeu seinen Oberschenkel hoch, über seine Hüfte, bis kurz unter seine
rechte Brust.
Die
Linien verliefen sich in geschwungenen Spitzen. Eine tödliche Krankheit, die so
giftig schön anzusehen war.
Sein
Vater hielt ihn so fest, als würde er ihn nicht mehr loslassen wollen. Und
Draco wusste es, auch ohne weitere Worte. Und Lucius wusste es wohl auch. Draco
hatte ihm längst vergeben. Jetzt gerade war er einfach nur sein Vater. Den er
so dringend brauchte – immer gebraucht hatte.
Es
verging eine Endlosigkeit, bis Draco die Kälte in den Knochen spüren konnte.
Lucius ließ von ihm ab, als würde er es selber spüren.
„Zieh dir was über“, sagte Lucius schließlich. Draco ruckte mit dem Kopf und
sie verließen das Bad. Sein Zimmer war vergleichsweise kühl.
„Es sieht
schlimm aus“, sagte Lucius ernst. Draco erwiderte nichts, als er seine
Schranktüren öffnete. Ohne nachzudenken griff er sich eine Jeans aus dem
untersten Fach – nicht seinen Pyjama. Ihm war nicht nach Schlafen zumute. Ihm
war nach gar nichts zumute. Er löste das Handtuch von seinen Hüften und nahm
an, Lucius besaß so viel Anstand den Kopf zu wenden, wenn Draco seine Shorts
anzog. Aber nicht einmal das störte ihn besonders. Er zog sich Socken über, nachdem
er die Hose verschlossen hatte. Dann griff er nach einem beigen Pullover. Er
trug ihn nie. Narzissa hatte ihn irgendwann mal ausgesucht.
Er mochte
beige nicht. Aber jetzt gerade dachte er darüber auch nicht wirklich nach.
„Möchtest
du… reden?“, schloss Lucius, und sein Ton klang abwägend. Draco wusste nicht,
was er wollte. „Oder hast du noch Pläne?“, fügte Lucius hinzu und Draco wandte
den Kopf. Sein Vater deutete auf seine Kleidung. „Schlafen hast du wohl nicht
im Sinn“, erläuterte er knapp. Draco ruckte wieder mit dem Kopf.
Er war sauer. Auf sie. Er fühlte sich hilflos in seinem scheiß Körper.
„Hast du…
schon über einen Namen nachgedacht?“, fragte Lucius plötzlich und riss Draco endgültig
aus den Gedanken. Der Moment im Badezimmer hing immer noch greifbar im Raum.
Draco konnte nicht mehr so tun, als würde er Lucius die Pest an den Hals
wünschen. Was er nicht mal tat.
„Was für
einen Namen?“, sagte er also ernsthaft verwirrt, aber er war dankbar nicht über
seine Gesundheit – die nicht mal vorhanden war – sprechen zu müssen.
„Einen
Namen für… deinen Sohn“, sagte Lucius bedächtig. Draco sah ihn an.
Nein,
hatte er nicht. Er wusste, sobald man Dingen einen Namen gab, band man sich emotional
an sie. Er schüttelte stur den Kopf.
„Nein“,
sagte er unwillig.
„Es… gibt
traditionelle Familiennamen, das weißt du?“ Draco nahm an, Lucius gab sich
Mühe, das Thema von seiner Krankheit zu lenken. Draco ließ sich widerwillig
darauf ein. Ihm war irgendwie nicht danach, seinen Vater aus dem Zimmer zu
jagen.
„Mh…“,
sagte er also. Kurz schweiften seine Gedanken ab. Sein Sohn…. Er bekam einen
Sohn. Nein, Granger bekam seinen Sohn. Und wenn er sie nicht heiratete, würde
das Kind Granger heißen, nahm er an. Seine Mundwinkel sanken.
„Und… in
der nächsten Rangfolge wäre der Name Scorpius“, erklärte sein Vater, wohl nur
um irgendwas zu sagen. Draco hob den Blick. „Aber… das ist natürlich dir
überlassen. Oder… überlässt du es ihr?“, fragte Lucius weiter. Draco ruckte mit
dem Kopf. Er hatte sich darüber keine Gedanken gemacht.
„Na gut,
ich… werde jetzt… gehen“, sagte Lucius schließlich. „Dann… hoffen wir mal, dass
sie das Kind nicht Harry nennt, nicht wahr?“, schloss sein Vater mit einem
trockenen Lächeln, und Dracos Mund öffnete sich knapp.
Oh ja.
Das konnte er sich vorstellen! Das würde ihr ganz bestimmt gefallen! Er biss
die Zähne fest zusammen.
„Gute
Nacht, Draco“, sagte sein Vater nickend, ehe er das Zimmer verließ.
Wütend
stieg Draco in seine Schuhe.
Niemals
würde sein Sohn Harry heißen! Niemals!
~*~
Sie
glaubte fast, sie hatte das Essen nicht vertragen. Das würde sie zumindest
gerne glauben, damit sie es darauf schieben konnte. Aber sie nahm an, daran lag
es nicht. Ihr Unwohlsein. Ihr Magen tat weh, aber es war nicht wirklich
Übelkeit.
Der Abend
war so furchtbar gewesen! Sie hatte jede einzelne Sekunde dort zurück nach
Hause gewollt. Sie setzte sich im Bett auf, griff nach dem Zauberstab und
entfachte das Licht wieder. Sie stellte die bloßen Füße auf den weichen Teppich
vor ihrem Bett. Rufus hob träge den Kopf, als er wach wurde.
„Schlaf
weiter“, murmelte Hermine dem Hund zu. Sie erhob sich rastlos und zog sich
ihren Morgenmantel über, den sie über den Sessel gelegt hatte. Sie hatte keine
Ahnung, wie sie mit der Tatsache umgehen sollte, dass sie an die Malfoys
gebunden sein würde.
Ohne
Draco.
Sie
mochte Narzissa nicht, und sie glaubte nicht, dass sie Lucius leiden konnte.
Und wann
sollte sie es ihrer eigenen Mutter sagen?
Wieder
grummelte es in ihrem Magen.
Hermine
verließ das Schlafzimmer, und betrat den dunklen Flur des ersten Stocks. Sie
schlurfte durch den langen Gang zur Treppe und ging im Dunkeln ins Erdgeschoss.
Der Mond schien hell durch die langen Fenster im Flur. Sie hörte, wie Rufus
sich erhob und ebenfalls auf den Flur tapste. Er folgte ihr nach unten. Sie
schritt in die Küche, entfachte hier ebenfalls das Licht und setzte Wasser im
Kessel auf den Herd.
Sie würde
sich einen Magentee kochen. Sie war nicht nur schwanger, nein, sie war
anscheinend auch noch hundert Jahre alt.
Rufus
ließ sich in der Küche gegen den Tresen fallen und sank träge daran hinab,
während er mit weit aufgerissenem Maul gähnte. Hermine nickte ihm zu.
„Ja, ich bin auch müde“, bestätigte sie. Die Uhr teilte ihr mit, dass es halb
drei war. Eine richtig beschissene Zeit. Stumpfsinnig starrte sie auf den
Kessel. Einem Kessel, dem man zuguckte, würde niemals anfangen zu kochen – oder
so ähnlich ging doch diese Sprichwort, oder?
Sie
wandte den Blick ab.
Sie
horchte auf. Draußen hörte sie ein bekanntes Geräusch. Jemand war… appariert?
Konnte das sein? Völlig ruhig blieb sie in ihrer Küche stehen und lauschte in
die nächtliche Stille.
Sie hatte
sich wohl verhört, überlegte sie.
Doch fast
zuckte sie zusammen vor Schreck, als es tatsächlich laut an ihrer Haustür
klopfte. Rufus hob alarmiert den haarigen Kopf vom Boden und kam strauchelnd
auf die Pfoten.
„Shh“,
machte Hermine bloß, aber Rufus gähnte nur erneut. Er bellte nie, knurrte nie,
und Hermine glaubte, würde wirklich jemals ein Räuber in ihr Haus kommen, würde
Rufus eher mit ihm Stöckchen spielen, als sein Herrchen zu verteidigen.
Sie
knotete den ihren Morgenmantel fester um ihren Körper. Unschlüssig verharrte
sie. Wer kam um halb drei Uhr nachts an ihre Tür appariert?! Harry? Wohl eher
nicht. Ron? Sie konnte es sich nicht denken.
Und dann
klopfte es lauter. Anscheinend war es kein Versehen. Der Zauberstab lag fest in
ihrer Hand. Sie durchschritt den Flur, Rufus direkt hinter ihr. Immerhin kam er
mit ihr, wenn auch mit hängender Zunge und müdem Blick. Durch die Scheiben
neben der Haustür konnte sie nicht erkennen, wer es war.
Sie war
paranoid. Der Krieg ließ jeden paranoid werden, nahm sie an.
Sie
zögerte eine weitere Sekunde und zuckte beim nächsten Schlag gegen die Tür
zusammen.
„Granger!“,
dröhnte seine Stimme zornig durch das dicke Holz. Ihr Herz schlug übergangslos
schneller. Rufus trottete neben sie und wedelte träge mit dem Schwanz. Ihre
Magenschmerzen wurden wieder deutlicher und jetzt zögerte sie erst recht.
Malfoy.
Draco stand vor ihrer Tür! Eigentlich musste sie erst Ginny anflohen, um zu
konsultieren, was sie am besten tun sollte. Ihr Herz sprang in ihren Hals, als
er plötzlich den Kopf zur Seite lehnte und sie durch die Glasscheiben neben der
Tür direkt ansah.
„Granger,
mach die scheiß tür auf!“, rief er kopfschüttelnd, und sie setzte sich in
Bewegung, während Rufus neben ihr laut zu hecheln begann. Ihr Hund war ein
Verräter, überlegte sie bitter, als ihr Hand zitterten den Schlüssel drehte.
Wieso zur
Hölle öffnete sie ihm?!
Aber
schon drückte sie die Klinke und die kühle Nachtluft drang ins Haus.
Er stand
kurz unschlüssig vor der Tür. Rufus tänzelte an seine Seite, und anscheinend
abwesend tätschelte Draco den Kopf des zotteligen Hundes. Draco blickte an ihr
hinab. Er trug Jeans, einen beigen Pullover und einen Mantel. Sie glaubte zu
erkennen, dass seine Haarspitzen feucht waren. Hatte es geregnet?
War das
wichtig?!
„Was… was
tust du hier?“, fragte sie perplex. Sie hielt noch immer die Tür in der Hand.
Kurz dachte sie, er würde antworten, aber dann verzog er grimmig den Mund und
drängte sich ins Haus, an ihr vorbei, und mit wedelndem Schwanz folgte Rufus
ihm.
Hermine
stand noch immer in der Haustür, starrte in die Dunkelheit und hatte keine
Ahnung, was gerade passiert war. Aber ihr Herz brach tausend neue Rekorde, so
schnell schlug es in ihrer Brust.
Das war
doch unfassbar! Was tat er hier, mitten in der Nacht? Sie schloss hastig die
Tür und folgte ihm. Der Kessel in der Küche hatte zu pfeifen begonnen, doch als
sie die Küche betrat, hatte er ihn bereits vom Herd genommen. Sie starrte ihn
an. Rufus saß gemütlich zu seiner rechten.
Er stand
zwischen Herd und Arbeitsplatte und sah sie fast herausfordernd an.
„Was willst du hier?“, wiederholte sie die Worte schärfer und stemmte die Hände
in die Hüften. Sie war sich nicht sicher, was sie fühlte, aber Wut übernahm
zumindest einen Großteil der Gefühle, das wusste sie.
Er
stützte die Hände auf der Arbeitsfläche ab und fixierte sie.
„Hast du
vor dich zu entschuldigen?“, fragte er tatsächlich lauernd, und ihr Mund
klappte auf. „Für heute Abend“, ergänzte er, falls sie es wohl nicht mehr
wüsste.
„Was?!“, fuhr sie ihn an. „Du kommst mitten in der Nacht hierher, um mich das
zu fragen?“, zischte sie fassungslos, aber sein Blick hielt ihrem stand.
„Du hast
dich unmöglich verhalten“, klärte er sie auf, und ihr Mund schloss sich stumm.
„Das ist
nicht dein ernst, oder?“, fragte sie fast belustig.
„Außerdem“,
fuhr er fort, als er sich von der Platte abstieß, die sie trennte und den Weg
zu ihr fortsetzte. Sofort reagierte ihr Körper, denn sie machte einen Schritt
zurück, „habe ich noch einige Dinge zu sagen“, erklärte er schroff, als wären
sie immer noch in Malfoy Manor. Also wäre sie gar nicht verschwunden, als wäre
der Abend noch nicht vorbei.
„Was für
Dinge?“, wollte sie tonlos wissen, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass
er nette Worte für sie parat hatte. Sie ballte die Hände zu Fäusten als er vor
ihr stand.
„Der
Name“, spuckte er ihr fast entgegen. Sie starrte ihn an. Was?!
„Was?“,
sagte sie tatsächlich verblüfft, aber es schien ihn nur mehr aufzuregen.
„Das hast
du gut geplant, oder?“, sagte er böse, und sie starrte ihn kopfschüttelnd an.
Wovon sprach der Mann?!
„Geplant?“, wiederholte sie perplex.
„Ja“,
bestätigte er gereizt. „Mein Sohn bekommt deinen Nachnamen und wir Harry
Arschloch Granger heißen!“, donnerte er plötzlich, und sie zuckte zusammen.
„Hast du
getrunken?“, entfuhr es ihr böse, aber er wirkte gefährlich ruhig, als er näher
kam.
„Ist es
nicht so?“, knurrte er, ohne sie aus dem Blick zu lassen.
„Malfoy-“
„-aber
das kannst du vergessen!“, sagte er nur. „Er wird auf keinen Fall so heißen!“,
schloss er, als hätten sie seit Wochen über nichts anderes gesprochen. Hermines
Mund öffnete sich kurz, ehe sie ihn verständnislos wieder schloss.
„Was?“,
fragte sie wieder, ehrlich verwirrt, und tatsächlich lockerte sich seine Anspannung.
Nur etwas, aber sie sah es in seinem Blick. Und sie atmete aus. „Malfoy, ich
habe mir noch keine Gedanken über einen Namen gemacht, falls es das ist, was du
mir sagen möchtest“, wagte sie zu antworten. Er war unfassbar! Der Mann vor ihr
war ein unglaublicher Idiot. Und sie hasste ihn. Wirklich. „Und wenn, dann
würde ich ihn bestimmt nicht Harry nennen“, schloss sie kopfschüttelnd. Und
widerwillig.
Sie sahen
sich an. Dann fasste sie ihn näher ins Auge. „Ich dachte, es wäre dir egal?“,
sagte sie plötzlich und verengte die Augen.
„Was?“,
entfuhr es ihm scharf, aber sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„So egal
kann es dir ja wohl kaum sein, wenn du wegen so etwas Dummem nachts um drei Uhr
zu meinem Haus apparierst“, schloss sie mit überlegenem Unterton.
„Es ist
nicht dumm“, brachte er gepresst hervor.
„Wieso? Hast du mir nicht noch erzählt, dass du sowieso nicht da wärst? Dass du
es am liebsten gar nicht erfahren hättest, dass-“ Aber sie unterbrach sich,
denn er war näher gekommen.
„Ich habe
meine Meinung geändert, Granger“, informierte er sie verächtlich, während sich
ihre Körper beinahe berührten. Sie schüttelte bitter den Kopf.
„Du bist
unfassbar! Du weißt, wo die Tür ist!“, flüsterte sie bitter und wandte sich von
ihm ab, aber er folgte ihr und ehe sie die Tür erreicht hatte, schnellte seine
Hand vor und hatte ihr Handgelenk umfangen. Er zog sie hart zurück, dass sie
fast in ihn stolperte. Ihr Blick schoss hoch in sein Gesicht. Seine grauen
Augen waren dunkel, seine Gedanken unvorhersehbar. Ihr Herz machte einen Satz,
als hätte sie eine Stufe verpasst.
„Draco“,
flüsterte sie heiser, ohne zu wissen, was sie sagen wollte. Sein Blick war
hart, unangenehm und… hungrig.
„Ich habe
keine Lust, Granger“, entfuhr es ihm gepresst, während er einen Schritt auf sie
zumachte und sie plötzlich die Wand im Rücken hatte. Seine Augen brannten sich
in ihre. Ihr Mund öffnete sich, aber er sprach weiter. Er war so nah, dass sie
seine Körper spüren konnte, als er sich gegen sie lehnte. Sie roch seinen Duft
und ein bekanntes Gefühl stieg in ihr empor. „Das ist mein Sohn. Und soweit ich
es verstehe, bist du ebenfalls mein“, fuhr er so selbstverständlich fort, dass
sie die Röte förmlich spürte, die in ihre Wangen stieg.
„Du
kannst vögeln, wen du willst, wenn ich nicht mehr hier bin, aber bis dahin…“
Ihr Atem ging schnell und sie konnte ihm nicht ausweichen, konnte nicht
wegsehen, als sein Blick auf ihre Lippen fiel. „Bis dahin wird dich niemand
anrühren, hast du mich verstanden?“, knurrte er rau.
Es
kribbelte in ihrem Bauch, als sein Blick sich wieder zu ihren Augen hob.
Seine
Lippen waren so nah. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie auf seinen Mund
gestarrt hatte. Und fast schämte sie sich dafür, dass sie wollte, dass er es
tat.
Sie
wollte, dass er sie küsste, aber… das passierte nicht. Plötzlich riss er sich
von ihrem Anblick los. Sie konnte seinen Blick noch immer nicht deuten, aber
ihre Gefühle mussten ihr glasklar auf den unkeuschen roten Wangen geschrieben
stehen, dachte sie plötzlich in einem Anflug von Selbsthass. Merlin, wieso
wollte sie so etwas, wenn das genau der Grund gewesen war, weswegen sie nicht
mehr zusammen waren?!
Er machte
einen Schritt zurück, fast so etwas wie Triumph auf den schönen Zügen. Ihr
Herzschlag ging schmerzhaft schnell. Sie wusste nicht, was es ihn für
Überwindungen kostete, sie nicht zu küssen, aber anscheinend nicht besonders
viele. Sie konnte kaum atmen, geschweige denn klar denken.
„Ich
ziehe übrigens wieder ein“, eröffnete er ihr. Kurz ruhte sein Blick auf ihrer
Gestalt, ehe er sich in Bewegung setzte. Sie starrte ihn an. Was?! Das hatte er sich alles heute
Nacht überlegt?! Sie konnte nicht sprechen. Sie war froh, dass sie stehen
konnte! „Das war es doch, was du mir heute klar machen wolltest, oder?“, fuhr
er herablassend fort. „Dass du nicht alleine dick werden willst?“, ergänzte er
mit einem freudlosen Lächeln.
Ihr Mund
öffnete sich perplex. Nein, das… hatte sie ihm nicht klarmachen wollen!
„Also, gute
Nacht. Wir sehen uns morgen“, verabschiedete er sich mit einem Lächeln und
verließ die Küche. Hermine starrte nach vorne, konnte noch immer nicht
sprechen, während Rufus den Kopf schief gelegt hatte.
Die
Haustür fiel ins Schloss.
Oh
Merlin. Was… war jetzt gerade passiert?! Zorn kehrte endlich wieder in ihren
Körper zurück! Was erlaubte er sich eigentlich?! Aber wahrscheinlich war es
mittlerweile zu spät, dass sie endlich ihre Wut wiedergefunden hatte. Sie
schloss die Augen.
Sie war
sein?! Was sollte das überhaupt heißen? Oh Merlin, sein Blick! Ihre Knie wurden
wieder weich, und zornig schüttelte sie wieder den Kopf, um klar denken zu
können.
Nein! Oh
nein, das würde so nicht passieren!
Ihr Herz
schlug immer noch verräterisch schnell. Er wollte wieder einziehen.
Draco
wollte wieder einziehen….
Und
irgendwie waren ihre Magenschmerzen verschwunden, stellte sie gereizt fest.
Blaise
hatte ihm geholfen und auch Dean Thomas war eingetroffen, nicht unbedingt
begeistert, aber dennoch hatte er ebenfalls mit angepackt.
Er war
hier her gekommen, um ihn vorsintflutlich zu heilen, denn Draco spürte bereits
wieder ein Stechen oberhalb seines Knies. Er hatte auf die Frage, wie er denn
die Haustür aufbekommen habe, wenn Granger gar nicht hier wäre, nicht
geantwortet. Wahrscheinlich war es ohnehin überflüssig.
Ja, er
war quasi eingebrochen, aber das war ihm scheiß egal. Es ging Thomas einen
Scheißdreck an. Und er behielt seine Meinung dankenswerterweise für sich.
Sie
standen in der Küche, lehnten am Tresen und Draco kraulte Rufus hinter den
Ohren. Der Hund schien es ihm nicht übel zu nehmen, dass Draco hier praktisch
eingebrochen war, um seine Möbel unterzubringen. Sie tranken alle drei ein
Butterbier und Draco genoss den Ausblick, wenn auch nur heimlich für sich.
„Hermine
wird begeistert sein“, bemerkte Thomas verschlossen.
Draco ignorierte die unterschwellige Abneigung.
„Ich
finde es gut“, sagte Blaise achselzuckend.
„Es ist
mir egal, was ihr denkt“, erklärte Draco gleichmütig.
„Ich hoffe nur, du fängst nicht wieder mit Sex an“, sagte Thomas mahnend.
„Wieso?“,
entgegnete Draco gedehnt. „Würde dich das umbringen?“, wollte er dreist wissen,
und Thomas verengte verächtlich die Augen.
„Wegen
deiner Gesundheit, Malfoy, du Arschloch“, fügte er gereizt hinzu. Draco musste
lächeln.
„Keine
Panik, ich rühr sie nicht an“, versprach er, wenn auch nur halbherzig, ohne
Dean in die Augen zu sehen. Dieser atmete entnervt aus.
„Ja, sicher“, brummte er in sein Bier.
„Hey!“, rief Draco aus. „Ich würde meinen Sohn gerne noch sehen“, erklärte er
zornig. „Ich habe kein Interesse an Granger“, log er so gut er konnte, denn
gestern Nacht hatte er die schmutzigsten Träume gehabt, nachdem er sie hier in
der Küche gegen die Wand gepresst hatte. Er glaubte nicht, dass sie überhaupt
gemerkt hatte, wie hart er geworden war, alleine durch den bloßen Kontakt! Er
glaubte auch nicht, dass er jemals all seine Instinkte so sehr hatte bekämpfen
müssen, weil sie ihn mit ihren Augen gerade zu angebettelt hatte, sie zu
küssen.
Aber er
hatte sich Zuhause nicht angefasst, hatte sich nicht Erleichterung verschafft,
denn jeder Orgasmus war anstrengend. Jetzt war er geladen mit sexueller,
lästiger Energie, die er nicht raus lassen konnte. Und bei Merlin, das würde er
auch nicht tun, selbst wenn sich Granger nackt vor ihn werfen würde und drum
bettelte, dass er sie in jeder erdenklichen Position in jedem Zimmer des Hauses
nehmen sollte!
Scheiße. Kurz musste er die Augen schließen.
Er hasste seine verfluchten scheiß Gedanken!
Die
Haustür riss ihn aus den Gedanken, denn sie fiel laut ins Schloss. Er hörte
ihre zornigen Schritte auf dem Flur.
„Uh oh…“,
sagte Blaise grinsend. „Die Misses
ist da“, ergänzte er und wartete gespannt. Granger kam ihn die Küche. Sie trug
noch ihren Kittel, die Haare ordentlich hochgesteckt.
„Was
zur-“ Sie unterbrach sich, als sie sah, dass er nicht alleine hier war. „Dean,
was…?“ Draco konnte nicht leiden, dass sie den Namen seines Heilers zuerst
sagte, aber immerhin galt ihm ihr ganzer Zorn. Fast musste er lächeln.
„Hermine, hey… ich… es war Zufall, dass… - wirklich, ich…“ Aber immerhin hatte
Thomas wenigstens den Anstand, ihn nicht noch weiter reinzureißen.
„Kann ich dich sprechen?“, knurrte sie ihm tatsächlich zu, und Draco stieß sich
locker vom Tresen ab. Rufus folgte ihm, aber Granger schoss dem Hund ebenfalls
einen zornigen Blick zu. „Platz, du Verräter!“, ergänzte sie, und mit einem
kleinen Jaulen fiel Rufus dumpf auf den Küchenfußboden zurück.
Draco
folgte ihr auf den Flur. „Das war wirklich ziemlich unhöflich von-“
„-halt ja deinen Mund, du scheiß Kerl!“, unterbrach sie ihn, stieß die Tür zum
großen Wohnzimmer auf, das er so sehr vermisst hatte und schob ihn
erbarmungslos hinein. „Ist das dein Ernst? Du wartest, bis ich auf der Arbeit
bin, schleppst deinen Kram hier wieder hin, brichst in mein Haus ein und
erwartest, dass ich damit einverstanden bin?! Hast du sie nicht mehr alle?“,
schrie sie, und Draco nahm an, dass die Männer in der Küche dem Gespräch
trotzdem wunderbar folgen konnten, auch wenn Granger sich die Mühe machte ihn
ein Zimmer weiter anzuschreien.
„Fluch
nicht so vor meinem Sohn“, informierte er sie mit gleichgültiger Ruhe. Sie
starrte ihn an, als hätte sie nicht verstanden. Dann klärte sich ihr zorniger
Blick.
„Er kann es nicht hören! Aber er soll ruhig wissen, was sein Vater für ein
Arschloch ist!“, fuhr sie ihn wütend an. Kurz zuckten seine Mundwinkel.
„Gut. Ich
würde es wirklich hassen, würdest an gebrochenem Herzen vergehen, nur weil ich hier
wieder einziehe, und du dich nachts nach mir verzehrst“, gab er unbeeindruckt
zurück. Zornig hatte sie den Abstand geschlossen und ihre flache Hand knallte
in sein Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite, und er verzog den Mund unter dem
brennenden Schmerz in seiner Wange.
„Davon
träumst du, du widerlicher Kotzbrocken! Rühr mich noch ein einziges Mal an, und
ich zertrümmer deinen Schwanz mit dem grausamsten Fluch der mir einfällt,
Malfoy, hast du mich verstanden?“ Ihre Stimme bebte vor Zorn, als sie sprach.
Er hob
den Blick und fixierte sie. „Vorsicht, Granger“, sagte er betont ruhig. Ihre
Haltung änderte sich schlagartig, als er den Abstand zu ihr schloss. Berühren
tat er sie allerdings nicht. „Ich habe zwar keinen Todeswunsch, aber wenn du
mich reizt, könnte es sein, dass ich mein Recht geltend mache, denn noch
gehörst du mir“, erklärte er so konsterniert wie möglich. Ihre Augen weiteten
sich.
„Ich gehöre dir nicht, Malfoy, denk das ja
nicht!“, zischte sie, aber er hörte ihrer Stimme die leise Panik an.
„Ist das
so?“, erwiderte er glatt. Ihre Augen waren so dunkel vor Zorn, dass ihm ihre
Liebeserklärung von damals sehr weit entfernt vorkam. „Dann sieh mich nicht so
an, als würdest du es unbedingt wollen“, flüsterte er praktisch, und nahezu
augenblicklich stieß sie ihm die Hände vor die Brust.
„Fick
dich!“, sagte sie heiser und verließ das Wohnzimmer. Er hörte die Haustür keine
Sekunde später wieder ins Schloss knallen.
Seine
Erektion pochte laut in seiner Hose. Scheiße.
Er hasste
sie. Fuck.
~*~
Sie leerte
das einzige Glas stark verdünnte Weinschorle praktisch in einem Zug.
„Gott,
ich könnte noch hundert Gläser Wein trinken!“, rief sie verzweifelt aus. Ginny
bedachte sie mit einem leicht panischen Blick.
„Besser
nicht, Hermine. Besser nicht“, erwiderte sie konsterniert.
„Er… macht mich so… wütend, Ginny!“, entfuhr es Hermine zornig. „Wie kann er es
wagen?“
„Was
genau?“, wagte Ginny zu fragen, und Hermine sah sie an.
„Was genau?“, wiederholte Hermine
fassungslos.
„Ja, ich meine… nachts bei dir aufzutauchen, dich zu bedrohen, oder meinst du,
dass er tatsächlich am nächsten Tag bei dir einzieht, dass er dir sagt, du
gehörst ihm und darfst niemand anderen sehen?“, zählte Ginny behutsam auf, und
Hermine wurde wieder wütend.
„Ja“, sagte
Hermine nur. „Ja, all das!“
Ginny
faltete die Hände auf dem Küchentisch. „Also, ich weiß, das willst du nicht
hören, aber ich denke, es ist gut, dass er wieder bei dir wohnt. Ich meine, du
hast ihn vermisst, oder nicht?“, fragte sie behutsam, und Hermine funkelte sie
an.
„Nein, habe ich nicht“, gab sie aggressiv zurück. „Ich…“
„Im Krankenhaus hast du-“
„-ich habe gelogen!“, rief Hermine gereizt. „Merlin, noch mal!“
„Aha“, erwiderte Ginny, nicht überzeugt. „Ich denke, es ist trotzdem gut. Er
ist der Vater.“
„Na und?
Was hat er bisher getan?“, schnauzte Hermine und wusste, es war falsch, die Wut
an Ginny auszulassen. Ganz falsch!
„Na ja,
hat er nicht einen Fonds angelegt? Und… Vorschulen ausgesucht? Sind seine
Eltern nicht sogar Feuer und Flamme? Und-“
„-auf
welcher Seite stehst du eigentlich?“, unterbrach Hermine sie tonlos.
„Auf der Seite deines Sohnes“, sagte Ginny gleichmütig. „Da, wo du auch stehen
solltest“, fügte Ginny mahnend hinzu, während sie die roten Haare in einen Zopf
fasste.
Missmutig
blickte Hermine in ihr leeres Glas. Sie hasste es, wenn Ginny vielleicht
richtig lag.
„Trotzdem“,
murrte Hermine kleinlaut. „Ich… ich kann schlafen mit wem ich will“, ergänzte
sie und wusste, wie kindisch ihre Worte klangen. Und auch Ginny lächelte.
„Ja, und wer wäre das?“ Hermine hasste das Lächeln auf Ginnys Lippen.
„Nicht Malfoy!“, widersprach Hermine sofort. „Garantiert nicht Malfoy!“,
wiederholte sie noch einmal. Aber ihr Herz setzte einen Schlag aus als sie an
die letzte Nacht dachte, an seine Nähe, seinen Duft, seine Arme, seinen
Körper….
„Dann ist
ja gut!“, bemerkte Ginny gedehnt. „Hermine…“, begann Ginny schließlich, und sie
hob den Blick. „Wann… wird er sterben?“ Es war eine Frage, die Hermine schon
fast wieder verdrängt hatte. Er sah so gesund aus. Er stritt sich wie ein
gesunder Mensch. Er sah aus wie ein gesunder Mensch, aber… Hermine wusste es
besser. Eigentlich.
Malfoy
würde sterben, und sie schlug ihm auch noch ins Gesicht dafür, dass er wollte,
dass sie sein war.
Sie
schloss kurz die Augen, als die Magenschmerzen wiederkehrten.
„Ich… ich
weiß es nicht. In… ein paar Monaten“, sagte sie also und macht sich besser
nicht zu viele Hoffnungen, in dem sie sagte, es wäre noch ein ganzes Jahr. Denn
Dean hatte ihr schon gesagt, wie gering die Chancen standen. Dean hatte ihr von
den schwarzen Flammen auf Dracos Körper erzählt, und Hermine erfassten jedes
Mal unangenehme Schauer, wenn sie daran dachte.
Wie schön
wäre es, wenn sie ihn wirklich hassen könnte. Wie schön wäre es, wenn er nicht
krank wäre. Aber das war nicht so. Und… schlimmer war, sie hasste ihn nicht mal
wirklich.
Sie fand
ihn dreist und unausstehlich, aber… hassen tat sie ihn nicht. Nicht einmal
fast.
Und das
war doch das Schlimme daran, nicht wahr…?
Es war schon
spät, als sie ging und Harry vom Auroren Quidditch Training kam. Sie drückte
ihn noch an sich, erzählte ihm von Dracos Einzug, erntete sein ungläubiges
Lachen, und sie versprach, ihn nächste Woche mal wieder einzuladen.
Zwischenzeitig
waren ihre Magenschmerzen zurückgekehrt. Sie seufzte auf, als sie apparierte.
Sie wusste, nächsten Monat durfte sie nicht mal mehr das.
Es war
dunkel, aber das Haus lag hell vor ihr. Und es war… schön. Es war nett, nicht
in ein einsames Haus zu kommen, Es war außerdem schön, dass Rufus nicht alleine
sein musste.
Aber
jetzt gerade war ihr nicht danach, es Malfoy wissen zu lassen.
Gott, sie
war so kindisch. Sie war sich nicht ganz sicher, warum. Aber sie nahm an, es
war ihr verletzter Stolz. Und sie musste ihn bekämpfen. Sie musste wieder
erwachsen werden.
Sie
schloss auf und betrat den Flur. Rufus hechtete auf sie zu, rutschte über das
Parkett und wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Immerhin nahm ihr eigener Hund
ihr ihren Ausbruch von vorher nicht übel. Im Haus war es still.
„Na, wo
ist er?“, fragte sie den Hund leise und streichelte seinen Kopf. Rufus
antwortete ihr nicht und schmiegte sich gegen ihre Hand, bis er genug
Streicheleinheiten bekommen hatte und wieder davon tapste. Hermine legte den
Schlüssel auf die Kommode neben der Tür, hing ihren Mantel und ihre Handtasche
an die Garderobe und ging lautlos über den Flur in die Küche.
Sie
entzündete das Licht in den Leuchtern stand unschlüssig in der Küche. Sie hatte
Hunger. Auf irgendetwas… fettiges, dachte sie verzweifelt. Nein! Sie konnte
diese Anfälle nicht leiden, die sie verspürte. Und sie traute sich nicht, ein
Geräusch zu machen.
Es war
ihr unangenehm. Sie wollte nicht, dass er sie hörte.
Sie
wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
Sie
wusste nicht, wie man mit dem Vater des eigenen Kindes zusammen wohnen sollte.
Sie wusste nicht, wie man jemanden, den man liebte, nicht berühren konnte. Ihm
nicht zeigen konnte, wie man fühlte.
Es war
vorbei. Schon längst vorbei, und sie wusste nicht, wie es funktionieren sollte.
Er würde sterben, und sie konnte ihn nicht halten. Sie machte einige Schritte
nach vorn, stützte beide Hände auf der Arbeitsplatte der Kücheninsel ab und
schloss die Augen.
Sie zwang
sich, zu atmen. Ein und aus. Immer wieder, bis sich ihr Herzschlag beruhigte.
Sie
wusste, wenn sie es könnte, würde sie alles ungeschehen machen, nur um nicht
dieses Gefühl zu haben. Diese bodenlose Angst, ihn unweigerlich verlieren zu
müssen.
Bald. Es
war zu wenig Zeit. Viel zu wenig. Zu wenig, um sich nicht zu lieben.
Sie
streckte den Rücken durch und verließ die Küche. Sie durfte nicht zu lange da
bleiben, denn sonst würde sie doch noch von einer Fressattacke heimgesucht, die
sie nicht würde verhindern können. Lautlos lief sie durch den Flur und öffnete
die Tür zum großen Wohnzimmer. Sie verharrte im Türrahmen.
Er hatte
die schweren hellen Vorhänge zugezogen, und das warme Licht der Flammen
erhellte den schönen Raum. Er selber war im Lehnsessel eingeschlafen. Aber er
war nicht zusammen gesunken, sabberte und schnarchte dabei, wie sie es Ron
zutrauen würde, nein.
Draco saß
beinahe selbstgerecht in dem kuscheligen Sessel, den Kopf angelehnt, die Augen
entspannt geschlossen. Seine Hände ruhten auf den Armlehnen. Er trug einen beigen
Pullover, darunter ein weißes Hemd. Wahrscheinlich von auserwählt teuren
Marken. Seine Jeans hatte ein angenehmes verwaschenes Blau, und würde er
aufstehen, würde sie nicht unangenehm eng anliegen, aber doch eng genug, dass
sie die Beule in seiner Hose nicht würde verbergen können, das wusste Hermine.
Und es nervte sie, dass sie es wusste und daran dachte. Seine Schultern waren
so breit und seine Brust hob und senkte sich im Schlaf ruhig und gleichmäßig.
Er war so
schön. Und sie stand im Türrahmen und ertappte sich dabei, wie sie ihn
versonnen anstarren musste. Sie hatte ihn heute angeschrien und geschlagen.
Sie hatte
sich schon so oft mit ihm gestritten, ihn schon so oft berührt, ihn so oft
nackt gesehen. Sie hatte mit diesem Mann geschlafen und erwartete sein Kind.
Es war so
absurd. Absurder als es Harry, Ron oder Dean empfanden.
Unschlüssig
betrat sie ihr Wohnzimmer. Sie ging lautlos über das Parkett und ging vor ihm
schließlich in die Hocke, um in sein Gesicht hinaufzublicken.
Sie hatte
ihn schon so oft angesehen. Aber sie bekam nicht ansatzweise genug von ihm.
Seine
langen Wimpern ruhten auf seinen Wangenknochen. Seine Lippen waren voll und
wunderschön und kurz erwischte sie sich dabei, wie sie hoffte, ihr Sohn würde
diese Lippen erben.
Er musste
müde sein, ging ihr auf. Er war heute umgezogen. Wenn er so agil und gesund
aussah, vergaß sie regelmäßig, dass er krank war. Er wirkte so jung. So
wunderschön und jung.
Ihr Blick
fiel jetzt erst auf den niedrigen Beistelltisch. Ein Umschlag lag dort. Ihre
Stirn runzelte sich langsam. Scorpius Malfoy.
Wer war
Scorpius Malfoy? Wem hatte er diesen Brief geschrieben? Sie erkannte seine
Handschrift, und dieser Name prangte auf der Mitte des Umschlags.
Vorsichtig
griff sie zum Tisch und nahm den Umschlag auf. Ein Blick in sein Gesicht sagte
ihr, dass er noch immer schlief. Sie drehte den Umschlag in den Händen und
erkannte, dass die Rückseite bereits versiegelt worden war. Hinten auf der
Lasche standen weitere Worte.
Zu seinem siebzehnten Geburtstag.
Und sie
spürte, wie ihr Mund merklich trocken wurde. Sie wusste, wer Scorpius Malfoy
war, und fast hätte sie den Umschlag fallen gelassen, als wäre er plötzlich
kochend heiß geworden. Scorpius Malfoy war ihr Sohn.
Ihr
ungeborener Sohn, der bisher noch keinen Namen hatte. Sie schluckte schwer und
hörte, wie sich sein regelmäßiger Atem unterbrach. Sie hob ertappt den Blick
und sah gerade noch wie sich seine Augen blinzelnd öffneten. Gerade fielen ihr
keine Worte ein, die sie sagen könnte. Sie sah ihn nur an. Sein Blick fiel
schließlich auf den Umschlag in ihrer Hand.
Seine
Augen waren hellgrau und klar. Als sie sich wieder zu ihren Augen hoben, spürte
sie das Ziehen in ihrem Bauch deutlich.
Er sagte
noch immer nichts. Er kommentierte nicht mal, dass sie vor ihm hockte, was ihr
erst jetzt gerade siedend heiß wieder einfiel. Sie spürte, wie sie rot wurde.
„Scorpius
Malfoy?“, sagte sie also mit schwacher Stimme, und sein Ausdruck blieb
undeutbar.
„Ein Familienname.
Er hat Tradition“, erklärte er mit rauer Stimme.
„Und…
damit soll ich mich abfinden? Ohne Diskussion?“, erwiderte sie und hockte immer
noch vor ihm. Er ruckte lediglich mit dem Kopf und streckte im Sitzen kurz
seinen Rücken durch. „Und wie soll er deinen Nachnamen bekommen?“, wollte sie
weiter von ihm wissen.
Und fast
nachsichtig sah er sie an. Und kurz stockte ihr der Atem unter seinem Blick,
denn sie wusste, was er sagen würde. Und sie würde ihn gerne aufhalten, aber
sie sprach zu spät.
„Dir war
aber schon klar, dass du mich heiraten würdest, oder?“, informierte er sie, als
wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Es macht es leichter mit den Finanzen,
mit der Erbschaft – mit eigentlich allem“, fuhr er fort und in seiner Stimme
klang eine besorgniserregende Müdigkeit mit. Ihr Mund öffnete sich perplex.
„Das wolltest du doch?“, wiederholte er wieder einmal Worte, die nicht die
ihren gewesen waren. Sie erhob sich langsam, den Brief immer noch in der Hand.
„Ich… ich
kann dich nicht heiraten, Malfoy“, sagte sie tonlos und vollkommen überfordert.
„Sicher
kannst du“, sagte er und erhob sich langsam aus dem Sessel. „Der Form halber“,
ergänzte er achselzuckend. „Ich sterbe, Granger“, schloss er neutral. „Du
müsstest nicht lange-“
„-nicht“,
unterbrach sie ihn plötzlich kopfschüttelnd. Er verstummte und fuhr sich mit
beiden Händen durch seine dichten Haare, kämmte sie über seinen Kopf zurück,
und sie biss sich auf die Unterlippe.
„Ich… ich
kann das nicht“, flüsterte sie kopfschüttelnd, ohne ihn anzusehen.
„Was?“,
wollte er tatsächlich entnervt wissen. Und sie sah ihn an. Es war so schwer. Es
war so schwer, nicht zu weinen. Nicht zu zerbrechen.
„Ich will
nicht so heißen wie du! Ich will nicht, dass mein Sohn einen Namen trägt, der
so klingt, als wäre er einer römischen Fabel entsprungen!“, fuhr sie ihn an,
während sie den Brief vor sein Gesicht hielt. Unwillkürlich fragte sie sich,
was er geschrieben hatte.
„Es ist
dir wirklich so zuwider?“, bemerkte er zornig. „Komisch, ich dachte ja, vor
einigen Wochen wärst du noch haltlos in mich verliebt gewesen, Granger“,
knurrte er gepresst.
Oh sie
hasste ihn!
„Denkst
du ernsthaft, ich möchte heißen wie du, ohne dass du noch da bist, um genauso
zu heißen?“, schrie sie, und sein Mund öffnete sich verständnislos.
„Bist du
verrückt geworden? Was-“
„-weil
ich dich liebe, würde ich dich nur heiraten, wenn wir zusammen ein Leben
verbringen könnten, Malfoy!“, unterbrach sie ihn aufgebracht. „Aber alleine, ohne
dich, bedeutet der Name nichts!“, schloss sie zitternd. Er atmete aus und
schloss kurz die Augen, während sie inständig flehte, dass ihm ihr Geständnis
irgendwie entgangen war. Ihr Herz schlug verräterisch laut und sie schalt sich
selber einen unglaublichen Dummkopf, denn das hatte sie nicht sagen wollen!
Alles, nur das nicht!
Seine
Augen öffneten sich wieder. „Ich kann nicht bleiben, begreifst du das nicht?“,
flüsterte er praktisch, und jetzt füllten die lächerlichen Tränen ihre Auge,
dass ihre Sicht verschwamm. Zornig wischte sie sich über ihre dummen Augen.
„Ich will
nicht ohne dich-“ Aber er unterbrach sie, ehe sie weitersprechen konnte. Er
hatte den Abstand zu ihr geschlossen, und seine Hände legten sich fest um ihre
Schultern, als er sie ansah.
„Ich muss
gehen“, sagte er mit Nachdruck, ohne sie aus den Augen zu lassen, während
weitere Tränen auf ihre Wange fielen, als sie schwach den Kopf schüttelte. „Das
weißt du. Ich… wünschte, ich könnte bleiben. Ich möchte nichts mehr, als
bleiben, begreifst du nicht?“ Seine Stimme wurde lauter. „Ich…“ Er sprach nicht
weiter. „Merlin, ich will doch nur das richtige tun!“, knurrte er wieder
zorniger und seine Augen waren vor Wut dunkler geworden.
„Draco,
ich kann aber nicht-!“
Doch er
hatte den Kopf geschüttelt und den Kopf gesenkt. Sein Arm schlang sich um ihre
Taille, und es passierte so schnell. So überraschend, dass sie gar nicht tun
konnte.
~*~
Er sah
sie an, wie sie hier vor ihm stand. Völlig verloren, als wüsste sie nicht mehr,
wo sie war. Ihr Gesicht war von Trauer gezeichnet, aber er glaubte nicht, dass
sie es überhaupt registrierte, würde er sie nicht darauf hinweisen.
Und
Merlin. Wie sie ihn ansah.
Es
schmerzte ihn so sehr, dass er sein Wort nicht mehr halten wollte. Es machte
überhaupt keinen Sinn mehr in seinen Gedanken, sie nicht zu berühren.
Wieso tat
sie ihm das an? Aber eigentlich tat er es sich selber an, oder nicht? Er war
hier her gekommen, und wahrscheinlich hatte er unterbewusst genau gewusst,
weshalb er gekommen war. Zurück zu ihr.
Er sah,
wie ihre Augen einen seltsamen Glanz annahmen, sah, wie sie leicht den Kopf
schüttelte.
„Draco,
ich kann aber nicht-!“
Er rührte
sich nicht. Er schluckte schwer. Sie liebte ihn. Sie hatte es gesagt, und es
hatte sich praktisch in sein Herz gebrannt. Wieder fiel eine Träne auf ihre
Wange.
Sie war
so schön. So verflucht schön, und er schüttelte über sich selbst den Kopf.
Scheiß
auf die Worte! Er brauchte keine weiteren Worte, keine weitere Erlaubnis,
verdammt!
Er schloss
den Abstand zu ihr, ungeduldig und unaufhaltbar. Er zog sie in seine Arme,
schlang eine Hand um ihren Nacken und hielt sie für eine Sekunde in seiner
Gewalt, um sie anzusehen. Ihre Augen hatten sich kurz vor Schreck geweitet, ihr
Atem ging unregelmäßig, und er wusste, es gab kein Zurück. Jetzt, hier, in
diesem Moment.
Seine
Lippen fanden ihre im Bruchteil einer Sekunde.
Und es
war wie nach Hause zu kommen.
Alle
Nervenenden in seinem Körper reagierten auf ihre Nähe, auf ihren Duft, ihre
Fingerspitzen, die seinen Nacken berührten, als sie den Kuss erwiderte, ihn
enger an sich zog. Er hatte keine Ahnung, was er sich vorgemacht hatte, denn
niemals hätte er noch viel länger ohne sie ausgehalten.
Er
schlang die Arme um ihren Körper, hob sie fast vom Boden hoch, als er den Kuss
vertiefte. Er wollte, dass sie seine Frau wurde. Er wollte nichts mehr sonst.
Er wollte nur sie.
„Hier,
Draco“, sagte ihr Vater als er auf die sonnige Terrasse trat und sich gemütlich
auf die Liege neben Dracos setzte. Er reichte ihm das kalte Bier, was Draco
dankend entgegen nahm. Im Sonnenlicht schimmerten seine blonden Haare fast
silbern.
Er hob
den Blick zu ihrem Gesicht. Ehe er etwas sagen konnte trat ihre Mutter
ebenfalls nach draußen.
„Hermine,
komm, ehe die Sonne verschwindet“, sagte sie streng. Und Hermine war schon mit
Dumbledores Autorität nur schwer zurecht gekommen,
weil sie einschüchternd gewesen war, aber Rose Granger war noch ein anderes
Kaliber. Ihre Mutter musterte sie streng, und fast neidisch betrachtete Hermine
ihren Vater, der entspannt neben Draco lag und die Sonne genoss.
Eigentlich
hatte sie noch genügend Dinge mit dem blonden Mann vor sich zu besprechen. Sie
hatte nicht gewusst, dass ihre kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter ihrer
Eltern ihre Mutter direkt dazu veranlasste, für das Wochenende aus London aufs
Land zu flüchten, um ihre Tochter zu maßregeln, aber genau das würde
stattfinden.
Sie
wusste, Draco zu heiraten brachte viele Vorteile mit sich. Natürlich auch
genügend Nachteile, aber darüber wollte sie sich jetzt eigentlich keine
Gedanken machen. Sie waren sich einig, dass sie zusammen sein wollten. Und
bisher war er der stärkere von ihnen, denn sie war beschämend schwach, wenn es
zu körperlichen Intimitäten kam. Ihre Mitte zog und ziepte jedes Mal angenehm,
wenn sie ihm nahe genug war, und sie konnte sich kaum beherrschen, ihm nicht
nahe zu sein.
Aber er
hatte sie nicht angerührt, sie nicht ausgezogen. Er hatte sie geküsst, als
würde er sie nie wieder küssen, und das alleine brachte sie zum Weinen, wenn
sie ihn danach nicht einmal ausziehen konnte. Allerdings war er nicht
ungeschickt. Dass er zu keinem Höhepunkt kommen wollte, bedeutete nämlich ganz
und gar nicht, dass sie nicht dazu kam.
Draco
Malfoy war ein geschickter Teufel, so viel hatte sie begriffen. Und es war
unglaublich, wie dringend sie ihn nackt wollte, auch wenn es ihn Lebenszeit
kostete. Und das war aber letztendlich der Punkt, der sie wieder zur Vernunft
brachte.
Sie wohnte
jetzt seit zwei Tagen wieder zusammen. Und in diesen zwei Tagen war sie fünfmal
gekommen? Sie wusste es nicht mal mehr genau. Und er… noch nicht.
„Bis
später“, sagte Draco abschließend, während sie das Gefühl hatte, dass er ihre
Gedanken gelesen hatte, denn sein Blick war mehr als nur eindeutig hungrig. Er
setzte das Bier an die Lippen, und Hermine ergab sich ihrem ungnädigen
Schicksal. Ihre Eltern waren heute Nachmittag angekommen und planten das
gesamte Wochenende über in Aven Parks zu bleiben, man stelle es sich vor!
Sie
wusste gar nicht wohin mit ihrer schieren Freude über diesen misslichen Anlass!
Draco hatte darüber nur gelacht und gemeint, ihre Eltern könnten unmöglich
schlimmer sein als seine, aber er musste ja auch nicht alleine mit ihrer Mutter
über die Wiese spazieren, während sie ihn mit dem Blick der mütterlichen Schuld
durchleuchtete.
Hermine
hasste diesen Blick.
Und jetzt
ließ sie die Sicherheit und Neutralität ihres Hauses hinter sich und folgte
ihrer Mutter in die Ungestörtheit der Natur.
„Ich
nehme an, neben deiner Arbeit als leitende Heilerin hattest du einfach…“, sie
hob scheinbar in Ermangelung besserer Worte die Arme und schenkte ihr ein
tödlich verletztes Lächeln, „keine Zeit mir von deiner Schwangerschaft zu
erzählen, hm, Liebling?“
Hermine
verzog den Mund, während sie neben ihrer Mutter durch die Wiese stapfte, die
vom Haus wegführte. Da, wo Draco und ihr Vater gemütlich Bier tranken und sich
nicht gegenseitig beschuldigten, sonst was verheimlicht zu haben.
„Nein,
Mutter, ich… es tut mir wirklich-“
„-und dir
dann auch noch einen Mann auszusuchen, der dein Patient gewesen war? Ist das
nicht gegen den hippokratischen Eid? Oder gibt es so etwas unter magischen Menschen nicht?“ Sie betonte
das Wort, als würde Hermine zu den Zeugen Jehowas gehören und nicht eine
angesehen Hexe sein. Die dunklen Augen ihrer Mutter waren anklagend und
erbarmungslos auf sie geheftet.
„Mutter,
ich-“
„-und
schwanger bist du!“, fügte ihre Mutter kopfschüttelnd hinzu. „Schwanger,
Hermine. Von einem Totkranken“, ergänzte sie kopfschüttelnd. Fast wirkte sie
sogar angewidert, als hätte Draco etwas Sozialkritisches wie Lepra, fiel
Hermine stirnrunzelnd auf. „Du wirst alleine ein Kind bekommen, ist dir das
überhaupt bewusst? Das Kind wird keinen Vater haben!“
Hermine
atmete aus. Ganz ruhig. Ein und aus.
Ein und
wieder aus.
„Ich weiß
das, Mutter.“
„Und es
ist ja nicht so, als hättest du es nicht vorher gewusst!“, fuhr ihre Mutter fort,
während sie nebeneinander weiterschritten und Hermine überlegte, ob sie nicht
einfach unauffällig wieder zurück konnte, ohne dass es ihrer Mutter auffiel.
„Mutter-“,
versuchte es Hermine erneut.
„-was
hast du dir dabei nur gedacht?“, fuhr ihre Mutter sie nun eisig an. Ihr Blick
wurde nun kälter. „Und ich weiß, wer die Malfoys sind, Hermine“, ergänzte sie
gefährlich ruhig.
Sie hörte
Wasser plätschern. Sie kamen an dem kleinen Bach vorbei. Und sie wollte
wirklich nicht, dass ihr ihre Mutter erklärte, wer die Malfoys waren. Hätte
Hermine doch früher einfach nicht so viel erzählt.
„Reinblüter
waren doch sonst nie dein Schlag? Was ist eigentlich aus Dean geworden?“,
erkundigte sich ihre Mutter plötzlich bei ihr.
„Dean hat
uns umziehen geholfen“, gab Hermine konsterniert zurück.
„Dafür
ist er also noch gut genug“, erwiderte ihre Mutter, aber Hermine war abrupt
stehen geblieben.
„Mum, ich
habe euch angerufen, dir gesagt, dass ich mit Draco zusammen wohne, von ihm
schwanger bin, und ich werde ihn heiraten! Und ob dir das jetzt gefällt oder
nicht, ist nicht-“
„-du
willst ihn heiraten?“, unterbrach ihre Mutter sie fassungslos, und Hermine biss
sich kurz auf die Zunge. Das hatte sie an diesem Wochenende eigentlich noch
nicht erzählen wollen.
„Ja,
Mum“, räumte sie schließlich trotzig ein.
„Was für
eine wunderschöne Zukunft, nicht wahr, Hermine?“, sagte ihre Mutter
kopfschüttelnd mit einem freudlosen Ausdruck. „Plant ihr gleichzeitig seine
Beerdigung?“, entfuhr es ihr bitter, und Hermine schritt mit großen Schritten
weiter voran. Ihre Mutter holte sie seufzend ein.
„Es ist
nicht leicht für uns, ok? Es ist nicht so, als wärst du die einzige, die
wüsste, dass Draco stirbt und die weiß, was das für uns bedeutet! Du bist nicht
die einzige! Es betrifft dich nicht mal, Mum!“, fuhr Hermine sie zornig an,
ohne den Blick zu wenden.
„Hermine,
ich denke nur an dich!“
„Nein,
Mum!“, schrie sie außer sich, blieb stehen und funkelte ihre Mutter an. „Du
denkst nur an dich und was es für ein tragisches Licht auf dich und Dad werfen
könnte, dass deine einzige Tochter solche Entscheidungen trifft!“, fuhr sie
lauter fort.
„Hermine,
das ist nicht wahr“, erwiderte ihre Mutter mit fast nachsichtiger und
selbstgerechter Stimme, als wäre Hermine ein Kleinkind. „Ich denke, du hast es
dir nicht reiflich überlegt, was sonst eigentlich deine Stärke-“
„-tja,
habe ich eben nicht! Habe ich einfach dieses Mal nicht, Mum. Manchmal kann man
nicht alles planen. Du bist doch nur wütend, weil du es als letzte erfahren
hast!“, setzte sie gepresst hinzu, und ihre Mutter betrachtete sie mit einem
erstaunten Blick.
„Du
brauchst mich überhaupt nicht anschreien, Hermine. Ich bin anscheinend die
einzige, die das Problem erkennt“, schloss Rose kopfschüttelnd.
„Oh, ich
erkenne das Problem, Mum! Gott, natürlich erkenne ich das Problem! Du bist so…
so…!“ Hermine raufte sich schließlich die Haare. Ihre Mutter war nicht
auszuhalten. Ihre Mutter war noch schlimmer als Narzissa und Lucius Malfoy
zusammen! „Weißt du was, ich will nicht mehr. Ich rede darüber jetzt nicht
mehr“, riss sich Hermine zusammen. „Ich bin erwachsen, begreifst du das? Es ist
meine Entscheidung, und wenn dir daran irgendetwas nicht gefällt, dann hast du
eben Pech gehabt!“, informierte Hermine sie tonlos.
„Du
willst also ignorieren, dass dein zukünftiger Ehemann bald sterben wird und du
noch nichts geplant hast, was-“
„-nein!
Halt deinen Mund! Halt einfach deinen Mund, Mum! Natürlich will ich darüber
nicht nachdenken, Herr Gott noch mal!“, schrie Hermine außer sich, so dass die
Vögel erschrocken aus den Baumwipfeln stoben. „Bist du aus Stein, Mum? Willst
du mich zwingen über seinen Tod zu sprechen? Das werde ich nicht tun!“
„Hermine,
du bist Ärztin“, benutzte ihre Mutter das Muggelwort, und ihre Stimme klang
immer noch so lächerlich ruhig und furchtbar nüchtern. Hermine hasste ihre
Mutter! Sie wusste, sie hatte den kühlen Verstand ihrer Mutter geerbt, aber
manchmal war ihre Mutter zu kühl. Zu rational! Ohne jede Empathie oder jedes
Verständnis für Fehler anderer. Und Hermine konnte es nicht ausstehen. Aber sie
zwang sich, nicht zu widersprechen. Sie biss die Zähne fest zusammen. „Du bist
Ärztin, und du weißt sehr genau, was passieren wird. Also am besten kommst du
sehr schnell über deine… Verdrängung hinweg und wirst dir klar, was es
bedeutet“, bemerkte ihre Mutter ruhig.
„Und dann
was, Mum?“, entfuhr es Hermine müde. Sie bedeckte die Hand mit den Augen. „Ich
heirate Draco, plane nebenbei seine Beerdigung und halte mir Dean Thomas warm,
wenn Draco dann unter der Erde liegt?“, flüsterte sie angewidert, und ihre
Mutter atmete langsam aus.
„Du warst
schon vieles, Hermine. Eine Weltretterin, eine Kriegsheldin, die beste deines
Jahrgangs, aber du warst noch keine Mutter. Du warst noch keine Witwe. Und der
Schmerz wird kommen, mein Kind. Und ich will nicht mit ansehen müssen, wie du
von ihm überrascht wirst“, schloss ihre Mutter streng.
„Keine
Sorge. Du musst gar nichts tun, Mutter“, erwiderte sie kalt und trat den
Rückweg an, am plätschernden Bach vorbei, durch das hohe Gras wieder zurück.
Einfach wieder zurück zu den Leuten, die sie nicht pausenlos daran erinnerten,
dass der Mann, den sie liebte, sterben musste.
~*~
„Ich
hasse meine Mutter. Ich hasse sie“, murmelte sie, den Blick in die Ferne
gerichtet, während Draco den Teebeutel aus der Teekanne holte und in die Spüle
warf.
„Sie
bleiben nur dieses Wochenende“, erinnerte er sie sanft, aber sie schüttelte nur
unablässig den Kopf.
„Gott,
wieso habe ich sie nur angerufen? Was habe ich mir davon versprochen?“, sagte
sie, anscheinend nicht an ihn gewandt. Er hob die Kanne hoch.
„Du wirst
jetzt mit mir ins Wohnzimmer kommen, denn alleine werde ich den Blick deiner
Mutter nicht ertragen können“, bemerkte er still. Endlich sah sie ihn an.
„Welchen Blick?“, entfuhr es ihr verwirrt.
„Der
Blick, als ob ich jede Sekunde zusammen breche und sterbe. Dieser Blick“,
erklärte er knapp. Sie verdrehte verzweifelt die Augen.
„Draco,
es tut mir so leid. Wirklich“, sagte sie kopfschüttelnd. Er stellte die Kanne
zurück auf die Arbeitsfläche und kam zu ihr. Sein Arm legte sich um ihre
Taille, als hätte er nie was anderes getan. Sie passte so leicht in seine Arme,
als wäre sie für ihn gemacht.
Und dann
lehnte sie sich an ihn. Ihr Geruch war ihm so vertraut, und unbewusst legte er
die Hand auf ihren Bauch. Dort befand sich sein Sohn.
So
standen sie Arm in Arm in der Küche. Sie hielt ihn fest, als könne er jede
Sekunde verschwinden. „Du darfst keine Angst haben, hörst du?“, sagte er
plötzlich und seine freie Hand strich über ihren warmen Rücken. Sie hob fragend
den Kopf, der an seiner Brust lehnte. Er sah auf sie hinab. Sie kam ihm viel
verletzlicher vor, wenn sie gerade mal nicht alles besser wusste.
„Angst?“,
wiederholte sie unsicher, und er nickte.
„Es ist
nicht schlimm, wenn ich nicht mehr da bin“, entgegnete er ruhig und hielt sie
fester. „Hauptsache, dir geht es gut“, ergänzte er, seine Stimme schon weit
entfernt. Er spürte, wie sie sich aus der Umarmung wandte.
„Nicht!“,
sagte sie jetzt ernst. Er sah sie an. „Sprich nicht darüber, ok?“, fuhr sie fast
bitter fort, und er runzelte die Stirn.
„Hermine,
ich muss darüber sprechen, sonst…-“ Aber sie schüttelte wieder den Kopf.
„Ich will
es aber nicht hören, Draco“, rang sie sich heiser ab. Er zog sie wieder in
seine Arme.
„Wir
müssen darüber reden, Granger. Das weißt du auch“, erinnerte er sie sanft. Sie
schüttelte den Kopf gegen seine Brust und vergrub sich in seinem Hemd. „Ich
muss dir alle Unterlagen zeigen, muss dir erklären, was du tun musst, um das
Gold-“
„-nicht“,
flüsterte sie wieder, und er seufzte.
„Und was,
wenn ich Angst habe?“, fragte er jetzt und küsste ihren Haaransatz. „Was dann?
Darf ich dann darüber reden?“, wollte er ruhig wissen und spürte, wie sie
schluchzte. Sie nickte stumm gegen seine Brust. „Ok, gut zu wissen“, flüsterte
er lächelnd gegen ihre Haare. „Keine Sorge. Noch habe ich keine Angst. Ich sag
dir Bescheid.“
Es
verging ein kurzer Moment. Niemand sprach ein Wort.
„Draco?“,
sagte sie plötzlich und wischte sich anschließend über die feuchten Wangen.
„Ja?“,
erwiderte er und ahmte ihre Bewegung mit seiner Hand nach, berührte ihre weiche
Haut und würde sie zu gerne küssen.
„Was
steht in dem Brief?“, fragte sie schließlich und Neugierde war in ihre Stimme
getreten.
„In
welchem Brief?“
„In dem
Brief… an Scorpius“, sagte sie unschlüssig.
Seine Mundwinkel hoben sich, bei der Art wie sie den Namen betonte. Sie
betrachtete ihn genau.
„Versprich
mir, dass du ihn nicht öffnest“, erwiderte er bloß.
„Du
willst mir nicht sagen, was du-“
„-nein“,
unterbrach er sie lächelnd. „Und jetzt sei ruhig“, ergänzte er, und ihre Augen
weiteten sich ungläubig.
„Ich soll
ruhig sein?“, vergewisserte sie sich beleidigt. „Du bist-!“ Aber er unterband
all ihre Worte, indem er den Kopf senkte. Er küsste sein Mädchen. Und er legte
sehr viel Verlangen in den Kuss, denn er hasste, dass er nicht mehr hier sein
würde.
Mit einem
Knurren hob er sie auf die Platte der Arbeitsinsel und sie schlang die Arme um
seinen Nacken. Aber er spürte, dass sie sich zurück hielt, dass sie nicht so
war, wie sie gewesen ist, bevor… bevor… dieser Nacht. Fast zornig griff er um
ihre Hüften, presste die Finger in den weichen Stoff des Kleides was sie trug,
und sie ließ ihn gewähren, schob ihn nicht von sich, maßregelte ihn nicht.
Er spürte
seine eigene Wut, spürte, wie er sie härter küsste, seine Zunge härter zwischen
ihre Lippen drängte, und dann griffen seine Hände fahrig nach dem Stoff des
Kleides, schoben ihn nach oben, weiter und weiter, bis sie plötzlich von ihm ab
ließ und ihn aufhalten wollte, aber er presste sich gegen sie, schlang den Arm
um ihren Körper und brachte seine Mitte
zwischen ihre Beine. Hart drückte seine Erektion gegen seine Jeans, und sie
keuchte auf, als er sich durch den Druck gegen ihre Mitte Erleichterung verschaffen
wollte.
„Draco“,
versuchte sie zu sagen, aber er küsste sie nur wieder. „Nicht!“, sagte sie
fester und presste ihre flachen Hände gegen seine Brust. Unwillig wich er
zurück. Nicht weit, nicht viel. Keinen Zentimeter, würde er schätzen müssen.
„Was?“,
fuhr er sie praktisch an, denn nicht mehr viel Blut zum Denken und Sauerstoff
übertragen war in seinem Gehirn übrig geblieben. Ihre Augen weiteten sich
verletzt.
Mit einem
Knurren fielen seine Hände von ihr ab.
Er
spannte den Kiefer an, musste die Zähne unglaublich fest zusammen beißen, um nicht
irgendetwas vollkommen dummes zu sagen, und sie glitt von der Arbeitsfläche
runter, während ihr Kleid wieder um ihre Beine fiel.
Vorbei.
Der Moment war vorbei.
„Keinen
Sex“, warnte sie ihn, und ihre Stimme klang dabei… furchtbar. Und das waren
auch die Worte, die sie sprach. Furchtbare Worte. Und fast hoben sich seine
Mundwinkel zu einem tragischen Lächeln. Sie musterte ihn genau, die Wangen
bereits herrlich gerötet.
„Jaah,
Granger. Das… wird nicht funktionieren“, erwiderte rau und ehrlich betroffen.
„Draco,
du hast gesagt-“
„-ich
weiß, was ich gesagt habe“, unterbrach er sie ungehalten. „Aber ich kann nicht
anders. Und… nicht mit dir zu schlafen ist… einfach keine Option“, fuhr er
fort, ohne sie aus seinem Blick zu lassen. Und ihr Blick wurde härter.
„Dann
gewöhnst du dich am besten ziemlich schnell daran“, zischte sie, griff sich die
Kanne und verschwand ohne ihn aus der Küche. Seine Hand fuhr über seine Augen.
Er war sich nicht sicher, wie viel Ernst hinter ihren Worten stand und wie viel
Tapferkeit sie nur für ihn aufwand, aber… er wusste mit Sicherheit, dass er mit
ihr schlafen würde.
Ob nun
mit oder gegen ihren Willen.
Und fast
machten ihm diese Gedanken noch mehr Angst als die Schmerzen, die unwillkürlich
folgen mussten.
~*~
Das Memo
kam zurück. Neben ihrer Schwangerschaft zeigte sich nichts Auffälliges. Aber
das war wohl auffällig genug, dachte sie dumpf. Kurz verfing sich ihr Blick an
einem Wert in der Tabelle, aber sie nahm an, alles Außergewöhnliche ließ sich
auf die Schwangerschaft zurückführen.
Sie biss
in ihr Brot, während sie wieder durch das Mikroskop spähte. Sie würde sich
später um ihre eigene Werte kümmern. Mr Wheelers Probe jedoch zeigte in der
magischen Lösung keine Auffälligkeiten.
Aber das
hatte sie nach der erfolgreichen Transplantation auch nicht erwartet. Sie war
fast dankbar, dass es Montag war. Sie hatte sich nicht mehr gut mit ihrer
Mutter verstanden, und auch mit Draco lief es… nicht unbedingt perfekt, nach
ihrem Gespräch vor zwei Tagen. Sie ging ihm aus dem Weg und er schien wütend
auf sie zu sein.
Nur ihr
Vater war ein guter Mann. Er machte keine Weltuntergangsstimmung. Er hatte ihr
sogar versprochen, sie nächste Woche auf der Arbeit zu besuchen. Ohne ihre Mutter.
Auch dass
Harry und Ginny am Sonntag zu Besuch gekommen waren, hatte es nicht besser
gemacht. Dabei hatte Hermine so hohe Hoffnungen gehabt, war ihre Mutter doch
vernarrt in Harry gewesen. Wahrscheinlich war sie jetzt sauer, dass Hermine
nicht schon längst Harry zum Mann genommen hatte. Unfassbar!
Ein
Krümel des Brotes fiel in die Lösung. Sie fluchte unterdrückt. Gut, dass Dean
nicht hier war. Für gewöhnlich machte sie ihn nämlich fertig, wenn ihm so etwas
passierte, aber zurzeit hatte sie so viel Hunger, sie hatte sich nicht
beherrschen können. Aber die magische Lösung ließ den Krümel augenblicklich
zerfallen und schluckte ihn komplett.
Es
klopfte und Dean kam rein, ohne ihre Antwort abzuwarten.
„Hey, ich
wollte dich eigentlich zum Essen abholen. Aber ich sehe, du bist gerade dabei“,
bemerkte er spöttisch.
Aber
Hermine hörte ihm nicht zu, denn ihr Blick war starr auf die Lösung gerichtet.
„Hermine?“,
wagte Dean zu wiederholen und kam näher. Das Brot sank vergessen in ihrer Hand.
„Hermine, alles klar?“
Sie
blinzelte. Die Lösung war klar, keine Spur mehr vom Brotkrümel war übrig
geblieben. Ihre Stirn runzelte sich unwillkürlich.
„Hermine?“,
fragte er erneut, und langsam hob sich ihr Blick.
„Das
Mal“, sagte sie tonlos. „Dean, was passiert, wenn das Gift auf das Mal
trifft?“, fragte sie alarmiert. Kurz schien er nicht zu begreifen, erst nach
einem Moment klärte sich sein verständnisloser Blick.
„Malfoys
Mal?“, vergewisserte er sich verwirrt, und sie nickte. „Ich denke, es… - interessant“,
schloss er schließlich. „Du meinst, weil es ebenfalls mit Gift geschaffen ist?
Einen Basenausgleich quasi?“ Er rieb sich die Schläfe. „Aber ich glaube nicht,
dass sich irgendwas neutralisieren ließe, Hermine“, begann er kopfschüttelnd,
als sie aufgestanden war.
„Können
wir das prüfen?“, fragte sie plötzlich, und er atmete ratlos aus.
„Wie?“
„Wie…
macht man das Mal?“, fragte sie aufgeregter als zuvor.
„Wie
macht man das Mal?“, wiederholte er belustigt. „Nun, man braucht einen Idioten,
der es haben möchte, und noch einen Idioten, der es einem auf den Arm flucht“,
begann er lakonisch.
„Dean!“,
ermahnte sie ihn, aber Dean seufzte auf. „Keine Ahnung, Hermine.“
„Oder…
wir bräuchten wen, der das Mal hat und bereit wäre-“
„-sich
eine Dosis Dämonsfeuer verpassen zu lassen? Ja, ich bin sicher, es laufen
tausende Todesser durch London, die geradezu ganz scharf darauf wären, das auszuprobieren!“, bemerkte er
trocken.
„Aber… es
ist begrenzt! Das Gift des Mals ist begrenzt auf diese eine Stelle. Kann man das
Gift des Dämonsfeuer nicht vielleicht ebenso begrenzen?“, murmelte sie
verzweifelt, den Blick aus dem Fenster gerichtet.
„Du hast die These darüber geschrieben“, erwiderte er ruhig. „Du müsstest es
wissen, und du hast gesagt, es geht nicht“, schloss er. Sie rieb sich über die
müden Augen.
„Aber…
wie wird das Mal begrenzt?“, fragte sie niemand bestimmten.
„Es ist
eine viel geringere Menge Gift“, erwiderte er sanft. „Hermine, es wird-“
„-ich
werde Lucius fragen!“, entfuhr es ihr.
„Hermine!“,
rief Dean ihr nach, aber sie war bereits aus dem Labor verschwunden.
Draco
wusste, dass Blaise ihn beobachtete. Er arbeitete angespannt weiter. Es
vergingen bestimmt noch fünf weitere Minuten, ehe Dracos Limit erreicht war und
er den Kopf hob.
„Was?“,
wollte fast angriffslustig wissen.
„Nichts“,
bemerkte Blaise so unschuldig, wie er nur konnte. Draco atmete gepresst aus. Es
verging eine weitere Minute, in der Blaise sich nicht anders verhielt als
vorher.
„Was?“,
wiederholte Draco gereizter als vorher.
„Wirklich,
es ist nichts“, bestätigte Blaise lächelnd. „Ich habe mich nur gefragt…“,
begann er langsam, und Draco platzte der Kragen endgültig. Geduld war nicht
seine Stärke.
„Was? Was
hast du dich zum Teufel noch mal nur
gefragt?“, fuhr Draco ihn an und hätte Blaise das Grinsen aus dem Gesicht
schlagen können.
„Wann du
das letzte Mal Sex gehabt hattest“, entgegnete Blaise lapidar. Draco atmete die
Luft zornig aus.
„Halt
dein Maul, Blaise“, knurrte Draco schließlich, und Blaises Grinsen verblasste
eine Spur. Aber es verschwand nicht ganz von seinem Gesicht. Draco schüttelte
nur den Kopf. Dieser unfassbare Idiot! Nicht, dass er nicht schon so den ganzen
Tag an nichts anderes denken konnte – nein! Da musste es dieser Wichser auch
noch aussprechen!
Er
drückte die Spitze der Feder so fest aufs Papier, dass sie beinahe brach.
Merlin, noch mal!
„Schon
mal überlegt, es einfach zu tun?“, neckte ihn Blaise weiter, und Draco schoss ihm
einen wütenden Blick zu. „Deine seltsame sexuelle Anspannung schwappt nämlich
auf mich über, Malfoy“, bemerkte er belustigt.
„Halt
deine Klappe!“, wiederholte Draco gereizt. „Wenn du es nicht ertragen kannst,
dann geh raus und nimm dir eine Sekretärin, Merlin noch mal!“, fuhr er Blaise
an. Dieser lächelte immer noch.
„Hm,
könnte ich. Aber… das würde es für mich nicht bringen, Draco“, erklärte er
lächelnd und senkte den Blick. Draco musterte seinen Freund kurz. Was?!
Oh bitte…
- das war jetzt nicht sein ernst, oder?
„Wieso,
sind dir die Empfangshexen nicht gut genug?“, wollte er also sicherheitshalber
wissen, aber Blaise lächelte stumm vor sich auf das Papier.
„Ja,
Draco. Genau das“, erwiderte er mit einem feinen Lächeln. Draco verzog den
Mund. Damit konnte er nicht wirklich gut umgehen. Und was meinte Blaise mit
sexueller Anspannung, und dass sie auf ihn über schwappte? Das klang… eklig.
Blaise
hob den Blick zurück zu seinem Gesicht, als er merkte, dass Draco ihn
unverwandt ansah.
„Was?“,
fragte Blaise nun anstelle von Draco.
„Nichts“,
erwiderte Draco hastig und senkte den Blick. Er las keine Zeile des Dokuments
vor sich. Aber wahrscheinlich war alles ohnehin egal. Er würde sterben und
Blaise wäre schwul. Wen interessierte es schon noch? Aber er glaubte, sich zu
erinnern, dass Blaise in der Schule Mädchen bevorzugt hatte, oder? Draco hatte
wieder den Blick gehoben und wartete, bis Blaise ihn wieder ansah. „Seit
wann?“, fragte er nur, denn er wollte es nicht auch noch aussprechen. Blaise
wirkte amüsiert.
„Seit
wann was?“, wollte er wissen, und Draco verdrehte die Augen.
„Wieso
hast du es nicht gesagt?“, verlangte Draco zu wissen.
„Es hat
dich nicht betroffen, Draco“, erklärte Blaise offen.
„Und
deshalb hast du nie für nötig gehalten, mir-“
„-ich
hatte angenommen, es wäre offensichtlich, da ich noch nie eine Freundin hatte,
Draco?“, unterbrach Blaise ihn ungläubig, und je länger Draco über diese Worte
nachdachte, umso mehr Sinn machten sie. Es stimmte nämlich.
„Und jetzt
dachtest du, wäre ein guter Moment, es mir mitzuteilen?“, erkundigte sich Draco
entgeistert. Blaise zuckte die Achseln.
„Warum
nicht?“, entgegnete er. Draco nickte langsam. Merlin, jetzt konnte er Blaise
nur anstarren.
„Du… ähm…
hattest du schon…?“
„Sex?“,
beantwortete Blaise seine Frage lächelnd, und Draco verzog automatisch den
Mund. Eklig. Absolut eklig! „Ja, Draco“, ergänzte Blaise fast nachsichtig.
„Mit-?“
„-einem
Mann, ja“, bestätigte Blaise. Draco schloss kurz die Augen.
„Uägh!“
Es schauderte ihn unwillkürlich, und Blaise musste tatsächlich lachen.
„Du bist ein Arschloch, Malfoy“, erklärte er offen heraus. Draco nickte
angewidert.
„Bin ich
gerne, wirklich“, bestätigte er. „Aber hey… danke für die Ablenkung von meinem
eigenen Schicksal“, merkte er an. Dann wurde er plötzlich ernst. „Warst du
jemals in… also… in mich…?“ Er ließ die Frage offen im Raum hängen. Blaise sah
ihn mit erhobener Augenbraue an.
„Nein“,
sagte Blaise ehrlich. „Du schmeichelst dir“, fügte er hinzu. Dracos Mund öffnete
sich.
„Nicht?
Nicht mal… kurz?“, wollte er fast beleidigt wissen, ehe er sich wieder fing und
sich räusperte.
„Nein,
nicht mal kurz. Du bist so heterosexuell, dass es praktisch abturnend ist“,
erklärte Blaise lächelnd.
„Willst
du mein Trauzeuge werden?“, entfuhr es Draco praktisch augenblicklich, denn
jetzt war ihm der Gedanken wieder eingefallen. Er hatte vor einigen Tagen daran
gedacht, Blaise zu fragen. Dieser sah ihn verdutzt an.
„Ihr
heiratet?“, vermutete er jetzt trocken.
„Ich… ja.
Ich hatte vergessen, es zu erwähnen?“, erkundigte sich Draco tonlos, und Blaise
ruckte mit dem Kopf. „Also?“, wiederholte er, und Blaise atmete aus.
„Sicher werde ich dein Trauzeuge. Fragst du mich nur, weil du weißt, dass ich-“
„-nein! Nein,
ich weiß auch nicht, weshalb es mir jetzt einfällt. Ich… also, gut. Dann wirst
du mein Trauzeuge“, bestätigte er nickend.
„Ich
hatte Sorge“, sagte Blaise plötzlich, ohne ihn anzusehen. Draco hob erneut den
Blick.
„Sorge?
Weswegen?“
„Dass du…
mit mir nichts mehr zu tun haben wollen würdest, wenn du es wüsstest“, erklärte
er beinahe kühl. Draco sah ihn an.
„Was für
ein unglaublicher Bullshit, Blaise“, fuhr er seinen besten Freund jetzt
kopfschüttelnd an. „Mir ist es völlig egal, ob du Pansy wollen würdest oder
Ronald Weasley“, erklärte er gereizt, obwohl ihm letztes Albträume verursachen
würde. Blaise grinste schief.
„Weasley
ist nicht schwul“, erklärte Blaise fast bedauernd, und Draco schloss kurz die
Augen. „Sein Bruder Percy vielleicht. Aber der sieht nicht annähernd so gut aus
wie Bill Weasley…“
„Weißt
du, wenn du nicht hier sitzen würdest und mir erklären würdest, welcher Weasley
schwul ist und welcher nicht – würde ich den Tag bestimmt nicht überstehen“,
merkte Draco trocken an, und Blaise musste wieder grinsen.
~*~
Jetzt, wo
er hier war, war sich Hermine gar nicht mehr so sicher, ob ihre Idee gut war.
Oder ob an ihrer Theorie überhaupt irgendwas stimmte.
„Sie
haben ein großes Büro“, sagte Lucius schließlich als er die Robe abgelegt
hatte. Er nahm ihrem Schreibtisch gegenüber Platz. „Möchten Sie mir jetzt
erklären, weshalb Sie mich sehen wollten?“, fragte er neutral, aber sie sah die
Neugierde in seinem Blick durchaus.
Er sah
Draco sehr ähnlich. Verblüffend ähnlich, stellte sie fest.
„Ich… ich
hatte eine Art Eingebung, Mr Malfoy“, begann sie nun etwas unschlüssig.
„In Bezug
auf… meinen Sohn?“, wollte er jetzt wissen, denn er war nun mal nicht dumm.
„Ich –
ja“, bestätigte sie unspektakulär. Er nickte langsam.
„Und was habe
ich damit zu tun?“, kam er auf den Punkt der Unterhaltung, und sie atmete zu
ihrer eigenen Bestärkung aus.
„Wissen
Sie, es ist allgemeinen anerkannt, dass zwei Gifte, wenn sie nur stark genug an
Dosierungen sind, sich gegenseitig ausgleichen, sich also… neutralisieren
können“, begann sie vorsichtig.
„Sie
sprechen von… dem Dämonsfeuer?“, vergewisserte er sich. „Sie sagen, es gibt ein
Gift, mit dem sie den Fluch neutralisieren könnten?“
„Nein,
ich…“ Sie war dankbar, dass er so schnell zu begreifen schien. „Ich… mir kam
ein Gedanke, Mr Malfoy. Draco trägt das Dunkle Mal“, fuhr sie ruhiger fort.
Lucius‘ Augenbrauen hoben sich verblüfft. „Und es ist doch… kein Tattoo in dem
Sinne, nicht wahr?“
„Nein, es
ist der Foedus Mortem“, sagte er
sofort. Und sie sah ihn ungläubig an.
„Das
Bündnis des Todes?“, entfuhr es ihr. „Aber… das… - das ist höchst gefährlich,
es-“
„-ich
denke, das… war Sinn und Zweck des ganzen“, unterbrach er sie langsam. Das
erklärte einiges.
„Und… und
was ist die Farbe? Wofür ist die Farbe wichtig? Den Foedus Mortem kann man ohne Spuren binden“, sagte sie, mehr zu sich
selbst. Ihr fiel jetzt erst auf, wie bereitwillig er darüber sprach. Es war ihr
eine große Hilfe.
„Nur wenn
man das Tattoo entfernen wollen würde, würde der Fluch sich erfüllen. Das… hat
den Fluch unaufspürbar gemacht. Wie Sie wissen, ist dieses Bündnis allein unter
Strafe verboten. Bei einem solchen Verbrechen hätte das Ministerium nur zu
schnell Verdacht geschöpft, wenn Reihenweise Zauberer gestorben wären, nur weil
sie in ihren Gedanken überlegt hätten, Voldemort zu stürzen“, erklärte er
offen.
„Also… war es eine Sicherheit? Das Tattoo diente dann als… Garantie?“, schloss
sie langsam. Lucius nickte. „Und… es zu entfernen bedeutet-“ Sie unterbrach
sich selbst.
„Es bedeutet
den sofortigen Tod, Miss Granger“, beendete er den Satz nickend.
Kurz
schwiegen sie beide. Großartig.
„Sie
gehen von einem Ausschluss aus? Einer Neutralisierung, wenn das Gift des
Dämonsfeuer auf das Mal trifft?“, vermutete er langsam. Dann hob sich ihr Blick
zu seinem Gesicht.
„Was ist
es für eine Farbe, Mr Malfoy?“ Er sah sie kurz verwirrt an.
„Was
meinen Sie damit?“, erwiderte er.
„Die
Farbe des Mals. Es ist schwarz, aber… woraus besteht die Farbe? Und wie bindet man
das Mal?“, fragte sie angespannter.
„Es ist
nicht gebunden, es…“ Er unterbrach sich, öffnete die Knöpfe seines weißen Hemds
und krempelte seinen Ärmel ruckartig höher. Sie konnte nicht verhindern, als
gebannt auf das Tattoo zu starren, was schwarz auf seinem Arm leuchtete.
„Es ist
bewegt. Es ist…“, entfuhr es ihr überrascht, denn sie hatte sich nie die Mühe
gemacht, Dracos Tattoo näher zu inspizieren. Es war eher abschreckend gewesen.
Aber sie erkannte etwas Entscheidendes. Und ihr fielen sehr viele Formeln aus
ihrem Studium wieder ein, sehr viele Nebensächlichkeiten, die sie fast schon
vergessen hatte.
„Die
Farbe ist auf der Haut gebunden. Sie ist nicht gestochen“, flüsterte sie, als
ihre Finger über Lucius‘ Haut fuhren. „Der Fluch verhindert, dass sich die
Farbe ausbreitet. Es beschränkt das Bündnis auf… auf diese Stelle. Eine bewegte
Stelle, wahrscheinlich direkt auf der Haut, aber nicht… unter der Haut“,
flüsterte sie langsam.
„Was
wollen Sie damit sagen?“, unterbrach Lucius sie angespannt.
„Der Fluch
schließt die Farbe ein, Mr Malfoy. Wie in einer… einer Art Schutzschicht,
damit… sich das Gift nicht auf der Haut ausbreiten kann. Tattoos oder
Farbkennung, die Flüche halten sollen, können nur mit Gift verbunden sein.
Farbe würde nichts Böses halten können. Man braucht ein Gift. So wie
Zaubertränke, die besonders starke Wirkung haben müssen, an Gold gebunden
sind“, führte sie näher aus. „Der Fluch braucht einen Gegenpol. Das hier…“ Ihre
Finger strichen sanft über die bewegten Konturen des Totenschädels. „Das hier
ist hohe Magie. Das hier ist… Dunkle Kunst. Und es würde mich nicht wundern,
wenn Voldemort auch noch einen Weg gefunden hätte, Dämonsfeuer zu binden. Auf
dieser einen Stelle“, ergänzte sie und spreizte Daumen und Zeigefinger, bis sie
Ende und Anfang des Mals erfassen konnte.
Und
Lucius’ Mund öffnete sich langsam. „Sie meinen… Dämonsfeuer lässt sich
binden?“, fragte er tonlos.
„Nein“,
verneinte sie kopfschüttelnd. „Ich habe nie herausgefunden, wie“, erklärte sie.
„Aber… das Dunkle Mal kann es… vielleicht binden. Wenn das Gift den Punkt
erreicht, an dem das Mal gebunden ist, könnte sich das Mal entweder-“
„-ausweiten!“,
entfuhr es Lucius. „Sie denken, es könnte das Gift in Dracos Körper umschließen
und es für ihn so ungefährlich werden lassen, wie das Mal selber?“, sagte er
sehr schnell, und sie nickte einmal.
„Ja, das. Oder es würde den Fluch auslösen“, sagte sie langsam.
„Den
Fluch?“, wiederholte er, und dann klärte sich sein Blick. „Oh“, schloss er, als
würde es ihm jetzt erst klar werden. „Können wir… können wir das testen?“,
fragte er sofort, und sie sah ihn unschlüssig an.
„Mr
Malfoy, mir war nicht klar, dass Sie beide einen Todesfluch in sich gebunden
tragen“, sagte sie vorsichtig.
„Ich bin
mir sicher, Sie wissen, wie man Dämonsfeuer beschwört.“
„Ja
sicher, weiß ich wie man es beschwört, aber-“
„-aber?“,
wollte er hastig wissen, doch sie schüttelte heftig den Kopf.
„-aber,
ich gehe bestimmt nicht das Risiko ein, es an Ihnen zu testen!“, erklärte sie
aufgebracht.
„Dafür bin ich hier, oder nicht?“, schloss er scharf. Seine Augen musterten sie
wachsam.
„Nein!“,
widersprach sie zu schnell. „Nun gut, ja, vielleicht. Als ich noch dachte, es
wäre lediglich Gift, und nichts Schlimmes könnte passieren.“
„Machen
Sie es. Ich bitte Sie. Wenn es hilfreich ist?“
„Mr
Malfoy, Sie verstehen nicht! Eine geringe Dosis Dämonsfeuer ließe sich
behandeln, sogar recht zügig, aber einen Todesfluch kann nicht einmal ich
rückgängig machen!“
„Und was,
wenn es funktionieren würde?“
„Und was
wenn nicht?“, wand sie ein, und er atmete aus.
„Dann
möchte ich, dass Sie es versuchen!“, beharrte er streng.
„Und wenn
Sie dabei sterben?“
„Dann
unterschreibe ich, dass es in meinem Wunsch geschah.“
„Nein“,
sagte sie kopfschüttelnd.
„Miss
Granger!“, fuhr er sie an. „Es könnte ein Möglichkeit
bestehen, dass mein Sohn überlebt! Es könnte sein, dass-“
„-ja, es
könnte sein. Aber so etwas werden wir mit Ihrer Familie besprechen. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass weder Ihr Sohn, noch Ihre Frau-“
„-Exfrau“, warf er ein, aber Hermine ignorierte den Einwand konsequent.
„-damit
einverstanden wären, dass ich Sie möglicherweise lebensgefährlich gefährde.“
Wobei sie ihm schon unheimlich dankbar dafür war, dass er sich tatsächlich als
Objekt zur Verfügung stellen wollte.
„Ich
weiß, dass es funktionieren wird“, sagte er leise. Hermine sagte daraufhin
nichts. Es war ein Silberstreifen Hoffnung am Horizont, aber sie war sich
sicher, dass zehn Jahre Thesenforschung nicht vollkommen umsonst gezeigt
hatten, dass Dämonsfeuer das gefährlichste Gift auf der Welt war. Tausend Dinge
konnten schief gehen.
„Ich
werde heute Abend mit Draco sprechen“, sagte sie ruhig. Ruhiger, als sie sich
fühlte. Ihre Magenschmerzen waren zurückgekehrt. Sie glaubte, es war Angst. Sie
hatte Angst, dass es funktionieren würde und alle Sorgen umsonst waren. Sie
hatte aber noch mehr Angst, dass es… eben einfach nur eine leere Hoffnung war.
Und dass all der Aufwand für nichts gut gewesen wäre, außer für eine noch
größere Enttäuschung.
Unschlüssig
stand er vor einem der Bücherregale im Wohnzimmer und schien sich nicht für ein
Buch entscheiden zu können. Als sie näher kam, sah sie, dass er einen Comic in
der Hand zusammen gerollte hatte.
„Irgendwie
ist mir nach Superman, aber ich dachte, das kann literarisch unmöglich
anspruchsvoll genug sein“, erklärte er, ohne sie anzusehen.
„Draco“, begann sie ruhig, aber er fuhr fort.
„Nicht, dass Lesen besonders stimulierend wäre“, bemerkte er, nahezu
vorwurfsvoll. „Es gäbe… entspannendere Dinge, die man tun könnte“, ergänzte er
vielsagend.
„Draco“,
wiederholte sie, und endlich wandte er ihr den Blick zu. Es raubte ihr kurz den
Atem. Er sah unglaublich aus. Jedes Mal wieder musste sie erst überwinden, wie
attraktiv er doch war. Seine hellen Augen fielen ihr heute wieder besonders
stechend auf. Man konnte kaum den Blick abwenden, wenn sie einen ansahen.
„Ja?“
„Dein
Vater war heute bei mir“, begann sie.
„Ist er
krank?“, wollte er unbeeindruckt wissen, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nein,
ich… hatte ihn zu mir gebeten.“
Er schien
mit dieser Information nicht viel anfangen zu können.
„Wir…
haben über eine Möglichkeit nachgedacht. Es war… mehr eine Idee.“ Immer noch
betrachtete er sie abwartend. „Das Dunkle Mal bindet durch starkes Gift einen
tödlichen Fluch auf eurer Haut“, erklärte sie langsam. Seine Stirn runzelte
sich langsam.
„Foedus Mortem“, sagte er ebenfalls
nickend. Anscheinend wusste jeder Todesser besser über gebundene Todesflüche
Bescheid, als sie, stellte sie fast bitter fest.
„Ja“,
bestätigte sie also. „Und wir glauben an die Möglichkeit, dass das Dämonsfeuer
durch den Zauber auf dem Mal ebenfalls gebunden werden könnte, dass es… keinen
Schaden mehr anrichten könnte…“ Sie unterbrach sich, denn er hatte lächelnd den
Kopf geschüttelt und wandte sich wieder den Büchern zu.
„Vielleicht
gebe ich Moby Dick noch eine Chance. Der Kapitän stirbt auch am Ende, nicht
wahr?“
„Interessiert dich diese Aussicht überhaupt nicht?“, fuhr sie ihn zornig an,
und er atmete langsam aus.
„Granger,
Vincent Crabbe ist im Dämonsfeuer verbrannt, wenn man es so nennen kann, denn
es brennt ja nicht einmal“, bemerkte er bitter. „Und ich musste seine Leiche
identifizieren, weil sein Vater bereits in Askaban gesessen hat, als er starb.
Und das Mal auf seinem Arm hatte nichts von dem schwarzen widerlichen Zeug
gebunden. Gar nichts“, ergänzte er.
Hermines
Mund öffnete und schloss sich ratlos. „Nach deiner Theorie müsste das Mal ja
stark genug gewesen sein, um… keine Ahnung, irgendeinen Effekt zu haben? Hatte
es aber nicht.“
„Das
Feuer hat ihn getötet, Draco“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Wenn er stirbt,
ehe das Gift das Mal berührt, ist der Fluch des Mals aufgehoben. Es hat keinen
Effekt mehr“, schloss sie, aber obwohl ihre Stimme sicher genug klang, war sie
es selber nicht. „Das Bündnis des Todes…“, sie dachte kurz über ihre Worte
nach, ehe sie nickte, „erlischt mit dem Tod“, erklärte sie nüchtern.
Er wirkte
nicht überzeugt. Er verzog den Mund. „Ich glaube nicht, dass es funktioniert.“
„Dein
Vater will es testen.“
„Mein
Vater?“ vergewisserte er sich ungläubig. „Wieso? Ich bin derjenige mit dem Gift
im Körper, schon vergessen?“, bemerkte er knapp, aber sie schüttelte den Kopf.
„Mit
einer winzigen Dosis, die behandelbar wäre, wenn es nicht funktioniert.“ Aber
Draco hatte begriffen und schüttelte lächelnd den Kopf.
„Wenn es
nicht funktioniert, ist er tot, Granger. Eine Prognose besser als diese müsstest
du schon auf Lager haben, damit ich das zulasse.“
„Draco-“
„-ich habe Crabbe gesehen, Granger!“,
fuhr er sie an. „Ich habe die Leiche meines Freundes gesehen, überzogen mit
diesem… Efeu aus schwarzem Gift!“, knurrte er. „Das Mal gestochen bekommen zu
haben war ein lustiger Kindergeburtstag dagegen!“
Sie gab
nach. „Er will es probieren. Und was, wenn es funktioniert?“ Draco war selber
so desillusioniert, dass er sich wohl nicht einmal mehr das vorstellen konnte.
„Wird es nicht.“
„Was,
wenn ich recht habe, Draco?“, wollte sie jetzt wissen. „Was, wenn Crabbe
bereits tot war, als das Gift das Mal erreicht hat? Was, wenn der Fluch nicht
mehr aktiv binden konnte? Was, wenn es funktioniert?“
„Ok.
Unter einer Bedingung“, sagte er achselzuckend, und sie hasste, dass er so
gleichgültig klang.
„Was?“ Verwirrt sah sie ihn an.
„Ich
lasse meinen verdammten Vater machen, was zur Hölle er will. Unter eine scheiß
Bedingung.“
„Welche
Bedingung, Malfoy?“, wollte sie angriffslustig wissen. Und ein gefährlicher Ausdruck
trat auf sein Gesicht. Gefährlich für sie, denn sie wusste, was er bedeutete,
ehe er den Mund aufmachen konnte.
„Schlaf
mit mir“, sagte er nüchtern genug, dass sie lediglich die Augen weitete.
„Was?“, entfuhr es ihr, bei weitem nicht mehr so selbstsicher, wie zuvor.
„Sex. Hab Sex mit mir, Granger. Schmutzigen, gewöhnlichen, verruchten, absolut
göttlichen Sex. Dann gebe ich mein Einverständnis zu eurem idiotischen Plan“,
erklärte er lächelnd.
„Du bist ein Arsch“, sagte sie nur.
„Schlag ein oder lass es bleiben“, sagte er, ohne sie aus dem Blick zu lassen.
Fast
hätte sie die Augen verdreht.
„Fein“,
sagte sie nur. Kurz hob sich seine Augenbraue. „Schön, ich meine – wie du
willst! Riskier deine Gesundheit für Sex! Kein Problem für mich. Nutz diese
Sache ruhig für dich aus! Hab ich wirklich nichts gegen!“, beschwerte sie sich
ironisch.
„Nein?“,
fragte er ruhiger, rauer. Sie spürte das Ziehen in ihrer Mitte wieder.
„Nein.
Wäre ja nicht unser erstes Mal, was schädlich für dich wäre“, brachte sie wesentlich
cooler über die Lippen, als sie angenommen hatte. Denn ihr Puls brach gerade
neue Rekorde unter seinem sexy Blick. Und gleichzeitig war sie sauer auf ihn.
Und auf sich.
„Gut.
Dann triff mich oben in einer halben Stunde. Wir nehmen ein Bad“, erklärte er
fast fröhlich.
„Was? Wir tun was? Die Wanne ist zu
klein für zwei!“, brachte sie hervor als er an ihr vorbeigeschritten war. Er
hielt inne und schenkte ihr einen eindeutigen Blick.
„Du bist eine Hexe, Granger“, sagte er, als wäre es selbstverständlich, und
kurz fühlte sie sich, als wäre sie wieder elf, und müsste sich von Ron erklären
lassen, dass sie eine Hexe war, als sie krampfhaft nach Streichhölzern gesucht
hatte, nachdem sie der Schlingpflanze entkommen waren.
Malfoy
war verschwunden. Er war so ätzend.
Aber
eigentlich war sie viel zu aufgeregt. Es bestand Hoffnung. Es gab eine
Möglichkeit! Immerhin das! Und sie fühlte sich viel zu sehr zu ihm hingezogen,
als dass sie sein Angebot wirklich so verboten falsch finden konnte.
~*~
Er hatte es
sich vor dem Kamin bequem gemacht. Er hatte immerhin noch fünfundzwanzig
Minuten, ehe er endlich bekam, was er seit langem wollte.
„Malfoy
Manor“, sagte er in die grünen Flammen, und sein Kopf landete im einzigen
offenen Kamin des Hauses. Im Studierzimmer seines Vaters. Und er erkannte
seinen Rücken. Sein Vater hatte ihn noch nicht bemerkt, und dass Lucius
anscheinend wieder zuhause wohnte war so seltsam wie es vertraut war.
„Hey“, rief Draco unschlüssig, und Lucius wandte sich um.
„Draco“,
sagte er überrascht und kam näher. Sein Vater hielt nichts von langgezogenen
Gesprächen oder von Menschen, die um den heißen Brei herumredeten, und kam also
direkt zur Sache. „Ich nehme an, du meldest dich, weil Hermine dir erzählt hat,
was ich vorhabe?“
„Vater,
du musst das nicht machen“, räumte Draco ruhig ein. „Wirklich nicht. Wenn du…
dich irgendwie schuldig fühlst, und es deshalb machen willst – das ist wirklich
nicht nötig“, erklärte er bloß. Lucius sah ihn lange an.
„Nein,
Draco. Ich will es machen, weil du mein Sohn bist. Ich bin lieber selber tot,
als nicht alles versucht zu haben“, sagte er so ehrlich, dass es Draco fast
überraschte. Aber er ließ es sich nicht anmerken. „Und es liegt nicht in deiner
Macht, mich abzuhalten“, sagte er mit einem sehr endgültigen Ton in der Stimme.
„Ich
weiß“, erwiderte Draco nur.
„Wie geht
es dir?“, fragte Lucius endlich.
„Gut“,
erwiderte Draco wahrheitsgemäß.
„Mit dir
und… Hermine alles in Ordnung?“, wollte Lucius jetzt wissen.
„Ich werde sie heiraten, Dad“, sagte Draco unwillkürlich und benutzte das Wort,
was ihn sich wieder wie ein Kind fühlen ließ. Lucius schwieg daraufhin.
„Eine
kluge Entscheidung“, sagte er anerkennend. „Dann sind wohl Glückwünsche
angebracht. Freut sie sich?“, fügte er hinzu.
„Danke, und… ich kann es dir nicht sagen“, entfuhr es Draco selber etwas
verblüfft. „Wir haben eher in der Form eines Vertrags darüber gesprochen, weißt
du? Wegen der… Vermögenswerte. Und des Namens“, ergänzte er langsam. „Ich… habe
noch keinen Ring für sie“, fuhr Draco fort.
„Das hat Zeit“, sagte sein Vater. „Gut, dass du sie heiraten willst.“
Es war
ein steifes Gespräch von einem Mann, der mit Gefühlen schlecht umgehen konnte,
zum andern, der von Gefühlen nicht die geringste Ahnung hatte. Aber Draco
fühlte sich gehalten, die Worte zu irgendwem zu sagen.
„Ich… ich
liebe sie“, sagte er, von sich selber überrascht. Lucius lächelte daraufhin.
„Gut für
dich“, erwiderte er schließlich.
„Lucius,
wenn es nicht funktioniert – also, dieser Zauber, den ihr vorhabt-“, begann er,
aber Lucius unterbrach ihn strikt.
„Ich will davon nichts hören!“
„Nein,
bitte“, bat Draco ihn still, und widerwillig sah Lucius ihn durch die Flammen
an. „Selbst… wenn es funktionieren sollte – dann sei nicht enttäuscht, wenn es
bei mir nicht der Fall ist, hörst du?“, sagte er ernsthaft.
„Draco-“
„-nein, ich möchte, dass du das tust, was die vielen Heiler alle gesagt haben.
Ich möchte, dass du anfängst, dich abzufinden.“
„Mit
was?“, wollte Lucius kalt wissen.
„Dass dein Sohn sterben wird“, sagte Draco langsam.
„Draco,
es gibt eine Möglichkeit!“, beharrte Lucius.
„Ja, das
ist gut. Und wenn es so ist, dann bin ich der erste, der Luftsprünge machen
wird, glaub mir das“, sagte er beharrlich, zwang aber seinen Vater den
Blickkontakt aufrecht zu erhalten. „Wenn es aber bei mir nicht funktioniert,
dann sei vorbereitet, ja? Das ist alles, was ich möchte“, schloss er ruhiger.
„Und wenn es bei dir nicht funktioniert, bin ich mächtig sauer auf dich“,
ergänzte er finster.
Lucius
reagierte einen momentlang nicht. Dann nickte er widerwillig.
„Ich
werde vorbereitet sein“, sagte er schließlich. „Ich verspreche es“, sagte er
nur. „Aber ich möchte, dass du dieser Sache wenigstens eine Chance gibst. Der
Glaube versetzt Berge“, sagte sein Vater jetzt. Draco dachte kurz über die
Worte nach.
„Ok“,
sagte er nur. Mehr nicht.
„Ich
werde morgen ins Mungo kommen“, sagte Lucius dann.
„Hast du…
mit Narzissa über diese Sache gesprochen?“, wollte Draco jetzt wissen, aber
Lucius ruckte mit dem Kopf.
„Ich glaube eher, dass sich deine Mutter für deine Ergebnisse interessiert. Ich bin hier unwichtig“, ergänzte er
knapp.
„Du…
solltest es ihr wenigstens sagen“, entgegnete Draco unschlüssig. Lucius
runzelte die Stirn.
„Mal sehen“, sagte er vage. Draco hätte sich dazu gerne noch geäußert, aber
sein Vater wirkte nicht in der Stimmung, über seine Exfrau zu diskutieren.
„Draco?“,
vernahm er dumpf Hermines Stimme aus dem Badezimmer, und seine Erektion
erwachte schlagartig in seiner Hose.
„Dad, ich
muss los“, sagte er nur.
„Bis morgen“,
erwiderte Lucius, und Draco ließ die Verbindung verschwinden.
Er erhob
sich fast zu hastig und konnte nicht würdevoll genug ins Bad gehen. Seine
Schritte waren schnell und erwartungsvoll. Er lief über den Flur und öffnete
die Tür zum Badezimmer.
Er trat
ein und Hitze erschlug ihn.
„Hast du
dir so etwas vorgestellt?“, wollte sie herausfordern von ihm wissen, während
sie im Schaum der Wanne nahezu versank. Sie hatte Teelichte aufgestellt.
Überall im Bad. Es war in ein helles, warmes Licht getaucht.
Grinsend
schloss er die Tür hinter sich. Ja, verflucht! Das hatte er sich vorgestellt!
Fast war es amüsant, ihr zuzusehen, wie sie hin und gerissen zu sein schien,
zwischen der Pflicht, die sie sich selber auferlegt hatte, seinem Verlangen
nicht nachzugeben, und ihrem eigenen Verlangen, was er nur zu deutlich auf
ihren hübschen, geröteten Zügen erkennen konnte.
„So
zuwider scheint es dir nicht zu sein“, bemerkte er spöttisch, um seine ganze
Unsicherheit zu überspielen, die er empfand, denn immerhin waren sie bereits
hier in dieser Situation gewesen, während er die Schuhe auszog, dann die
Socken. Das Wasser plätscherte, als sie sich zu bewegen schien.
„Ich
denke, der Zauber hat funktioniert“, sagte sie und wich seinen Worten aus. „Die
Wanne sieht nicht größer aus, aber sie fühlt sich größer an.“
„Selbes
Prinzip wie mit den Zelten auf der Quidditch Weltmeisterschaft“, sagte er
nickend. Und öffnete seine Hose. Sie redeten also um diese Sache herum?
Wirklich? Sie waren gleich beide nackt in einer Wanne und sie wollte über den
Vergrößerungszauber reden? Sein Lächeln verschwand von seinen Zügen.
Und er
hielt abrupt inne. Er hob den Blick. „Hör zu…“, begann er unschlüssig. Er
spürte, wie er Schlucken musste, weil sein Mund trocken geworden war. Er hatte
gar nicht darüber nachgedacht. „Du… hast es eine Weile nicht-“
„Dean hat
mir erzählt wie… es aussieht“, schloss sie leise. Dean… - ja, Dean konnte er
auch nicht leiden. Plötzlich befiel ihn die nagende Angst, dass sie ihn
abstoßend finden würde. Er fand sich ja selber abstoßend! Und er bezweifelte,
dass sie überhaupt noch mit ihm schlafen wollen würde. Er sah aus wie… ein
verrückter Exzentriker mit einem wahnsinnigen Tattoo.
„Draco?“,
sagte sie, als er sich nicht gerührt hatte.
„Ich… es ist nur…“
„Was?“,
wollte sie nun wissen.
„Es sieht
nicht schön aus“, sagte er widerwillig. Sie sah ihn verdutzt an.
„Ich… ich
kenne diese Krankheit, Draco. Ich weiß, wie… Menschen aussehen“, schloss sie
tonlos.
„Ok“, sagte
er nur und streifte die Hose seine Beine hinab. Er hasste es, sich so zu
fühlen. Er hatte sich ein Jahrzehnt so gefühlt, und war erst in den letzten
Monaten wieder ansatzweise wie er damals gewesen war, also riss er sich
zusammen. „Wenn du nicht willst, dass ich zu dir komme, dann… sag es einfach“,
murmelte er beschämt und stieg aus den Hosenbeinen. „Denn neben all meinen
perfekten Attributen ist das eher ein Minuspunkt“, ergänzte er mit dem Hauch
von Arroganz, der ihre Mundwinkel zum Zucken brachte.
„Das
entscheide ich dann“, erwiderte sie fast sanft. Dann zog er den dünnen Pullover
über den Kopf. Er trug nur noch seine Shorts, und er sah, wie sie die Zähne
zusammen beißen musste. Seine Brust hob und senkte sich rasch unter seinen
unregelmäßigen Atemzügen.
Ihr Blick
glitt über das Muster auf seiner Brust, tiefer, über seinen Bauch, zu seinen
Beinen.
„Dein
Arm…“, flüsterte sie, und er sah, dass sie weinte. Scheiße. Ja. Das giftige
Efeumuster hatte sich bereits seinen rechten Arm hinab gewunden, bis zu seinem
Handgelenk.
„Es tut
mir leid, Granger“, entfuhr es ihm, und beschämt kämmte er mit den Fingern
seine Haare über seinen Kopf nach hinten. Jetzt weinte sie noch mehr.
„Es muss
dir doch nicht leidtun, du Idiot!“, fuhr sie ihn heiser an. „Gott!“ Sie
schüttelte unfähig den Kopf. „Draco, mir tut es leid!“
„Ich spür
nichts davon“, tat er es achselzuckend ab. Aber es stimmte nicht mehr. Er
spürte es, wann immer er sich dehnte und streckte. Es war als hielten ihn, die
gewundenen Stränge aus Gift auf seiner Haut gefangen. Es war ein unangenehmes,
beängstigendes Gefühl. „Du findest mich nicht widerlich?“, vergewisserte er
sich, und sie sah ihn an. Dann schüttelte sich ihr Kopf. Die braunen Locken
wippten in der Hochsteckfrisur, die sie wohl trug, damit ihre Haare nicht nass
werden würden.
„Ich… ich
hasse dich nie“, flüsterte sie. Sie hatte die Worte widerwillig gesagt.
Wahrscheinlich war es etwas, was ihr selber nicht gefiel, fiel ihm lächelnd
auf. Er zog die Shorts aus und schämte sich überhaupt nicht mehr. Sein Penis
war schlaff. Im Moment fühlte er sich nämlich gerade nicht besonders großartig.
Er hatte vollkommen vergessen, wie abscheulich er unter seiner Kleidung aussah.
Wie dumm von ihm.
„Dann…
komme ich jetzt rein“, sagte er und hasste sich für seine Unsicherheit. Sie
reagierte nicht darauf. Er setzte einen Fuß in die Wanne. Das Wasser war
angenehm heiß. Und er spürte den Zauber wirken. Es war, als lägen zwischen ihm
und Hermine mehrere Meter an Platz. Aber das gefiel ihm auch nicht wirklich.
Langsam setzte er sich in das warme Wasser und genoss die Hitze, die seine
Muskeln entspannte.
„Es sieht
aus wie ein Tattoo“, bemerkte sie, immer noch gefangen von den giftigen Linien
auf seinem halben Körper.
„Ja“,
bestätigte er. „Und es sieht nicht mal billig aus“, fügte er lächelnd hinzu.
Ihr Blick hob sich nach einer halben Sekunde irritiert zu seinem Gesicht. Dann
zuckten ihre Mundwinkel.
„Hast du…
gerade einen Witz darüber gemacht?“, wollte sie ungläubig wissen, und er spürte
das Lächeln auf seinem Gesicht ebenfalls und zuckte die Achseln als er den Kopf
zurücklehnte.
„Was soll
ich sonst tun, Granger?“, wollte er bereits selbstbewusster wissen. Und er
entschied, sie hatten sich genug über diese Abscheulichkeit unterhalten.
Interessiert musterte er sie jetzt. „Bist du… nackt unter all dem Schaum?“,
wollte er wissen und versuchte, durch die weiße Masse ihren Körper erkennen zu
können.
„Wäre
möglich“, erwiderte sie scheu. Er berührte ihren Körper nicht, obwohl es so wirkte,
als säßen sie direkt voreinander. Er hatte genug Platz für sich, was ihn
plötzlich mächtig störte.
„Du…
findest mich nicht abstoßend?“, vergewisserte er sich erneut und sah, wie sie
sich nach vorne lehnte und langsam auf ihn zukam. Wie ein Junge hielt er den
Atem an.
„Nein,
Malfoy“, flüsterte sie, als er sie plötzlich spüren konnte. Sie war zwischen
seine Beine gekrabbelt und lehnte den Kopf nach vorne. Er roch noch den
schwachen Duft ihres Parfüms, ehe sich seine Augen automatisch schlossen, und sie
den Abstand zu seinen Lippen überwand. Es war so großartig, ihren Körper unter
Wasser an seinem zu spüren, dass er nicht wagte, die Arme zu heben, als ihre
weichen Lippen die seinen verschlossen.
Das
Gefühl war so bittersüß. Er hatte es vermisst. So sehr vermisste. Und es war
ihm egal, ob es einen Weg gab, ihn zu retten, oder nicht. Solange er sie bloß
noch einen ewigen momentlang behalten konnte.
Vorsichtig
hob sich seine Hand aus dem Wasser, legte sich probehalber um ihren weichen
Nacken, und er spürte, ihre nassen Locken an seinen Fingern, spürte die nasse,
heiße Haut unter seinen Fingerspitzen, und dann lehnte er sich vor, übte mehr
Druck auf ihre Lippen aus und spürte, wie sie ergeben die Lippen für ihn
öffnete.
Ihre
Zungen umspielten einander fast scheu, als wäre es neu, als hätten sie das noch
nie getan, aber er verlor die Angst schwindend schnell, denn er hob seinen
anderen Arm aus dem Wasser, legte ihn um ihren warmen Körper und zwang sie
näher an sich.
Er ließ
seine Beine unter Wasser gleiten, so dass sie sich rittlings auf ihn setzen
musste.
Seine
Erektion stand bereits so aufrecht, voller Erwartung, dass sie aufkeuchte, als
sie es wohl spüren konnte.
Ihre
Finger fuhren hart durch seine feuchten Haare, kämmten sie wieder und wieder
über seinen Kopf nach hinten, legten mal mehr mal weniger Zärtlichkeit in die
Berührungen, und sein Herzschlag beschleunigte sich unter jeder weiteren
Berührung.
Seine
Hände lagen auf ihren ausladenden, perfekt geformten Hüften und kurz öffneten
sich seine Augen.
Diese
perfekte Frau war schwanger mit seinem Sohn.
Und bald
wäre sie seine Frau.
Sie
öffnete ebenfalls die Augen und blinzelte verwirrt. Sie wollte wohl sprechen,
aber hastig schloss er kopfschüttelnd den Abstand, und wollte nicht reden,
wollte nichts mit reden zerstören. Er griff zwischen ihre beiden Körper,
platzierte seine Erektion vor ihrem Eingang, hob ihren Körper an, und schon war
er in sie geglitten.
Sie
stöhnte laut, dass es dumpf von den Fliesen widerhallte, und er war überwältigt
von der Hitze. Der heißen Enge in ihr. Sein Kopf fiel zurück, aber sie begann,
sich zu bewegen, schien nicht warten zu wollen, und hob sich aus dem Wasser, um
wieder zurückzugleiten.
Ihre
Fingernägel kratzten über seine bloße Brust, und am Rande nahm er wahr, wie Wasser
aus der Wanne schwappte. Es war ihm egal, denn jetzt übernahm er den Rhythmus.
Hart stieß er nach oben in sie, öffnete die Augen und wollte keine Sekunde
verpassen, wollte nichts vermissen, wenn dies das letzte Mal sein sollte.
Ihr Körper
bog sich ihm entgegen, ihre Brüste, und seine Hände wanderten hart ihren Körper
höher, begegneten ihrer Lust, und das hier konnte einfach kein Fehler sein.
Jetzt
gerade hatte er keine Angst, spürte keine Schwäche und wusste, es war richtig,
was er tat.
Er liebte
sie. Er hatte die Worte nur gedacht, aber ihre Augen öffneten sich. Ihr Blick
war verschleiert aus den dunklen schönen Augen. Sie sah auf ihn hinab, als
hätte sie seine Gedanken gehört. Langsam senkte sich ihr Kopf. Atemzüge
verließen stoßweise ihren Mund, während sie den Rhythmus nicht unterbrach,
seinen Mund verschloss, und sie küsste ihn so verlangend, dass er spürte, wie
er nicht mehr lange aushalten würde.
Seine
Finger krallten sich in ihr weiches Fleisch, und sie stöhnte in seinen Mund,
während er ihre Lippen gefangen hielt. Und sie kam, er spürte er, spürte wie
sie erzitterte, wie Schauer sie erschütterten, und er genoss jede Sekunde, als
er sich selber nicht mehr beherrschen konnte, und seine Arme ihren Körper fest
umschlangen.
Und es
verging eine Endlosigkeit, in der sich keiner von ihnen bewegte. Nur ihr
gemeinsamer Atem hallte von den Badezimmerwänden wider. Sie hielt ihn fest in
ihrer Umarmung. Er hatte den Kopf gegen ihre Schulter gelehnt, ihr Körper war
gegen seinen gesunken, und er brauchte nichts mehr. Er
schmeckte ihre Haut gegen seine Lippen, und jetzt gerade war er nur, was er
eben war. Einfach nur ein Mann, der einer Frau verfallen war, mit allem, was er
besaß. Er war sich nicht sicher, ob sie überhaupt wusste, was für eine Macht
sie über ihn hatte. Er war ihrs.
„Das
Wasser wird kalt“, murmelte sie irgendwann. Es hätten Jahre vergangen sein
können, er wusste es nicht, entschied er träge in seinem Kopf. Er seufzte
langsam. Der Moment war vorbei, sie löste sich langsam von ihm, küsste seine
Stirn, und er hob müde den Blick. „Bist du ok?“, fragte sie sanft, und er
nickte ergeben.
„Perfekt“,
flüsterte er rau, und sah sie lächeln.
„Gut“,
erwiderte sie. Sie erhob sich aus der Wanne. Wasser perlte ihren Körper hinab,
über ihre Rundungen, die leichte Wölbung ihres Bauches, und seine Hand hob sich
automatisch, um die Rundung des Bauches nachzuzeichnen. Das Wasser perlte ihren
glatten Venushügel hinab, zwischen ihre Beine.
Er riss
sich zusammen und folgte ihrem Beispiel, erhob sich, testete seine Kräfte, aber
es ging ihm gut. Er stand vor ihr, und Wasser perlte auch von seinem Körper
zurück in die Wanne. Ihre Finger glitten ehrfürchtig und fast verzweifelt über
seinen Brustkorb, fuhren die giftigen Linien entlang, und sein Blick senkte
sich auf ihre Finger.
Sie fuhr
eine schwarze Linie entlang, bis sie zu einer Stelle gelangte, die zumindest
noch heute Morgen eine Knospe gewesen war. Das Efeumuster auf seinem Körper
endete ab und an in geschlossenen Knospen. So sah es zumindest aus.
Aber
diese hier, über seine Brust, hatte sich geöffnet, stellte er stirnrunzelnd
fest.
Und sie
war wunderschön. Es war eine Blume geworden. Eine rote Blume, mit gelbem
Stempel im Innern. Das Tattoo auf seiner Haut wurde immer verrückter, stellte
er fest.
„Was ist
das?“, fragte sie verwirrt, und er sah sie an.
„Du hast
es doch studiert“, neckte er sie.
„Es… es
fängt an zu blühen“, flüsterte sie kopfschüttelnd. Ihre Fingerspitzen fuhren
über die zarten Blütenblätter auf seiner Haut. „Tut es weh?“, fragte sie
sofort, aber sein Kopf schüttelte sich langsam.
„Nein“,
erwiderte er. Er fing ihre Finger ab und fast erschrocken hob sich ihr Blick zu
seinem Gesicht, als hätte sie schon vergessen, was gerade passiert war.
„Danke“, flüsterte
er, als er den Kopf senkte. Überrascht ließ sie ihn gewähren, als er ihre
Lippen verschloss. Sie lehnte sich in den Kuss, und er wich zurück. „Komm“,
sagte er sanft, stieg aus der Wanne und half ihr anschließend.
Er legte
ein Handtuch um ihre Schultern, rieb ihren Rücken trocken und sah, wie sie
lächelte.
Als sie
trocken war, trocknete er sich halbherzig mit demselben Handtuch ab, warf es
über den Ständer und nahm ihre Hand in seine.
Und sie
protestierte nicht. Nackt schritten sie über den Flur und Rufus hob nicht mal
den Blick, als sie ins Schlafzimmer kamen und er sie Richtung Bett zog.
Er wollte
nicht mehr reden. Wollte nur noch ihre Nähe haben. Wollte sie nur noch spüren.
Und nicht
mehr denken. Sie folgte ihm, ließ sich von ihm zu decken und ihr Kopf legte
sich auf seine Brust, als er die Augen schloss und sie einfach in seinen Armen
hielt.
Er merkte
nicht mehr, wie sie das Licht löschte und sich enger an ihn schmiegte.
Er war
mit ihr in seinen Armen eingeschlafen.
Sie hatte
alle Bücher über sämtliche Flüche und Gifte vor sich liegen. Aber in keinem
hatte sie auch nur ansatzweise irgendetwas über blühendes Gift gefunden! Oder
über Gift in Form von einem Tattoo, das seine Gestalt änderte. Und es machte ihr Angst, denn das war ihr in all ihren Forschungen noch
nicht untergekommen. Dass es wanderte, ja. Dass es wie Efeu aussah, giftig
schwarz und grün, ja. Aber dass es Blüten zeigen konnte – das war absolut
ungewöhnlich!
Und sie
wusste nicht, weshalb es das tun konnte und was es bedeutete.
Aber sie
wusste, es wurde Zeit, dass sie handelten.
Draco kam
von draußen rein, Rufus tänzelte aufgeregt an der Leine.
„Na, immer noch dabei?“, fragte er vollkommen zufrieden, und sie wusste, ihre
Haare türmten sich in einem schrecklichen Dutt auf ihrem Kopf, während sie noch
immer ihren Bademantel trug und ihr Kaffee kalt vor ihr stand.
„Ich…“
„Wie wäre
es mit einem zweiten Frühstück und einer Pause?“, erkundigte er sich lächelnd.
Gott, wieso war er so ruhig? Und wieso sah er schon wieder verboten hungrig auf
sie hinab? Sie spürte das Kribbeln in ihrer Mitte deutlich. Ihr Magenrumorte
und kündigte die verdammte Übelkeit an.
„Gib mir
fünfzehn Minuten, um mich… anzuziehen“, bemerkte sie entschuldigend und erhob sich
eilig. Es war Samstag, aber sie fühlte sich nicht so, als wäre es wirklich
Samstag. Lucius würde ins Mungo kommen. Alles war
geplant.
Eilig
verschwand sie nach oben, denn ihr Bauch sagte ihr, wie dringend es Zeit wurde!
Heute
ging alles schnell. Die Übelkeit war schnell abgeklungen, nachdem sie sich
übergeben hatte, sie hatte schnell geduscht, hatte ihre Haare halbherzig in
Form gebracht und trug jetzt ein blaues Kleid, von dem sie wusste, dass Draco
es leiden konnte. Sie wusste nicht, wann sie damit angefangen hatte, sich nach
seinen Wünschen anzuziehen, aber es störte sie weit weniger, als sie es von
sich gedacht hätte.
Sie war
zu nervös für Schmuck heute. Sie nahm an, sie würde den
Verschluss der Kette sowieso nicht zu bekommen und an Ohrringe wollte sie gar
nicht erst denken.
Sie kam
die Treppe wieder runter, ging zurück ins Wohnzimmer und sah, Draco hatte
bereits den Tisch gedeckt. Frische Croissants und dampfender Kaffee standen auf
dem kleinen Tisch. Rufus döste gemütlich vor dem Feuer, und sie kam näher.
Ihr Blick
verfing sich an einer winzigen Schachtel, die auf ihrem Teller stand.
Ihre
Augen hoben sich zu seinem gespannten Blick.
Sie
spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte.
„Was… was
ist das?“, entfuhr es ihr schwach. Seine Mundwinkel zuckten.
„Magische
Hausratsversicherung, Granger“, entgegnete er trocken, mit erhobener
Augenbraue. Mit zitternden Fingern steckte sie eine Locke hinter ihr Ohr und
kam näher, setzte sich an den Tisch und hatte schon wieder vergessen, dass sie
ihn ja heiraten wollte.
Und das
hier… war wohl… der Ring, der all das wahrmachen sollte.
„Draco“,
begann sie ratlos, aber er nickte der Schachtel zu.
„Mach sie
schon auf“, befahl er ihr grinsend. Sie griff nach der Schachtel, öffnete den
Deckel, und ihr Blick fiel auf die Steine, die im Licht funkelten. Sie waren
tiefblau. Fünf blaue Steine in einer Reihe, dazwischen jeweils kleine silberne
Steine. Sie nahm an, es handelte sich nicht mal um Silber, in das die Steine
gefasst waren, aber sprachlos hob sich ihr Blick wieder.
„Wenn er
dir nicht gefällt, kann ich-“, begann er aber sie schüttelte den Kopf und er
unterbrach sich.
Ihr Herz
schlug viel zu schnell. Dann schien er sich zu besinnen, schüttelte sanft den
Kopf, erhob sich und ging auf ein Knie. Sie hielt die Luft an. Das war jetzt
nicht sein ernst?!
„Hermine
Granger“, begann er lächelnd, und sie weinte, obwohl sie nicht wusste, warum!
Sie war sonst auch nicht so weich! „Willst du mich heiraten?“, fragte er
vorsichtig, und sie verdrehte die Augen.
„Ja,
Malfoy“, flüsterte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen. Er grinste
und sah unglaublich jung aus. Fast sorglos.
„Ach, und
Granger?“, sagte er, als er den Ring aus der Schachtel nahm und auf ihren
Ringfinger schob. Er passte, fiel ihr nervigerweise auf. Es wäre nett, wenn er
irgendwas nicht perfekt machen würde.
„Was?“,
wollte sie schniefend wissen.
„Ich
liebe dich“, sagte er ruhig, und sie schniefte erneut. Er war so ein Arsch.
„Auch wenn du ständig weinst“, ergänzte er lächelnd. Sie konnte nicht anders
und schlang ihre Arme um seinen Hals.
„Ich
liebe dich“, wiederholte sie heiser und hielt ihn so fest sie konnte, bis er
lachen musste. Aber sie weinte nur noch mehr.
„Hey, schon gut! Die meisten Mädchen freuen sich über einen Antrag, weißt du?“,
bemerkte er, während er über ihren Rücken strich. Sie umarmte ihn immer noch
genauso fest, wollte ihn überhaupt nicht mehr loslassen.
Er hatte
ihr einen Ring geschenkt…. Er war also doch romantisch.
~*~
Sie hatte
ein ungutes Gefühl. Ihr Mund war trocken, und ihre Hände führten stoisch die
Bewegungen aus, die sie mussten, während sie ihren Zauberstab neben die
verschiedenen Flüssigkeiten legte, die sie vorbereitet hatte.
Draco saß
neben seinem Vater auf der Patientenliege. Sie unterhielten sich über
irgendwelche Geschäfte, denen Hermine nicht folgen konnte, während sie sich auf
das konzentrierte, was sie gleich würde tun müssen.
Das Mungo war stiller als unter der
Woche. Weniger Boten, weniger Post, weniger Verwaltungsaufgaben. Nur Patienten,
Heiler und Besucher waren heute hier.
Es
klopfte.
Dean
steckte den Kopf herein.
„Hallo
zusammen“, sagte er in die Runde. Hermine hob den Blick nicht von dem Trank,
den sie gerade fertigstellte.
„Hey“,
sagte sie nur.
„Draco, alles ok?“
„Eine
Heilung heute wäre vielleicht angebracht“, sagte Draco neutral, und ihr Blick
hob sich schließlich doch. Ging es ihm schlecht? Es war ihr gar nicht
aufgefallen, aber sie hatte sich ja schließlich hinreißen lassen, mit ihm zu
schlafen. Wahrscheinlich ging es ihm schlechter als gestern, nahm sie zornig
an. Aber sie liebte ihn. Es war schwer genug.
„Ok. Jetzt oder… später?“, wollte Dean mit gespanntem Blick auf Lucius wissen.
„Wie
lange dauern die Vorbereitungen noch, Miss Granger?“, erkundigte sich Lucius
wieder förmlich, nachdem er sie doch zur Begrüßung fest umarmt hatte, als sie
ihm den Ring gezeigt hatte, den Draco wohl heute mit Rufus in der Stadt besorgt
haben musste.
„Ich…
noch einen Moment. Ihr könnte gerne…“, ließ sie den Satz unbeendet und hob
lediglich die Hand, um Draco zu bedeuten, mit Dean zu gehen. Er stand von der
Liege auf. Er lächelte sie an, und es schickte sofort ein weiches Gefühl in
ihre Knie. Sie war froh, dass sie saß.
„Bis
gleich“, versprach er ihr rau, sie nickte nur. Gott, er war so… dreist!
Sie sah
Dean gar nicht mehr, so rot wie sie geworden war. Wieder konzentrierte sie sich
auf die Zaubertränke zur Heilung, falls etwas schnell gehen musste.
„Sind Sie
nervös?“, erkundigte sich Lucius fast neutral, und sie musste angestrengt
lächeln.
„Das sollte ich Sie fragen, oder nicht?“, war ihre behutsame Gegenfrage. Sie
wusste nicht viel über Lucius Malfoy zu sagen, aber während sie ihn beobachtete
als er auf ihrer Liege saß, konnte sie nicht den Hauch an Angst auf seinen
Zügen feststellen. Es war ein regelrecht bemerkenswerter Charakterzug dieser
Familie. Man mochte vieles über die Malfoys sagen, aber Angst schien nicht in
ihren Genen zu liegen.
Die Tür
flog praktisch auf und Hermine zuckte kurz zusammen.
„Was fällt dir ein!“ Kurz hatte Hermine angenommen, Narzissa spräche mit ihr,
denn ein solcher Ton würde ihr nicht fremd vorkommen, aber nein. Narzissas
Blick galt ihrem Exmann.
„In Bezug
auf…?“, erwiderte Lucius gelassen und zornig schloss Narzissa ihre Tür, ohne
Hermine zu begrüßen. Anscheinend war sie wirklich wütend.
„In Bezug
auf diese Aktion, die du für so brillant hältst, Lucius Malfoy!“, fuhr sie
ihren Mann an. „Was, wenn du stirbst? Was dann?“
„Dann
erbst du alles“, erklärte Lucius fast gönnerhaft, und Hermine sah, wie Narzissa
den Abstand schloss und ihren Exmann mit der Handtasche schlug. Lucius erhob
sich augenblicklich. „Ich weiß, du machst gerne Szenen, wo du stehst und gehst,
aber heute wäre ich dir dankbar, wenn-“
„-oh du wärst mir dankbar?!“, zischte
Narzissa so böse, dass sich Hermine erhob.
„Ich
denke, ich werde kurz-“, begann sie, aber Narzissa fuhr fort, ohne sie zu
beachten. Hermine wollte wirklich gehen. Wirklich.
„Legst
mir einfach eine Notiz auf den Kamintisch! Wirklich ausgesprochen taktvoll von dir!“,
knurrte sie.
„Es besteht kein Grund für dein Auftauchen“, sagte Lucius jetzt gepresst. „Ich
habe dir die Losungen für die Verliese dagelassen, dir aufgeschrieben, wo die
wichtigen Unterlagen sind, und-“ Und jetzt knallte Narzissas Hand in das glatte
Gesicht ihres Exmannes, so laut, dass es Lucius die Sprache verschlug.
O-k…
Hermine griff sich die Notizen und zog sich den Kittel über.
„Das…
hast du jetzt nicht gerade wirklich getan?“, wollte Lucius gefährlich leise von
seiner Exfrau wissen, aber Narzissa funkelte ihn mit offenen Haaren und einem
mörderischen Blick an.
„Wieso,
wenn du sowieso vorhast zu sterben, wird dich das schon nicht allzu sehr
verletzt haben!“ Hermine ging allerdings ganz stark davon aus, dass Narzissa
verletzt war. Und auch wenn die Malfoys geschieden waren, war Hermine
überzeugt, dass sich Liebe nicht einfach durch eine Scheidung auflösen konnte.
Denn sie hatte vor sich ein sehr gutes Beispiel.
„Wenn das
deine Sorge um mich ausdrücken soll, dann-“
„-Sorge? Nein, ich komme hierhin, um dir persönlich ins Gesicht zu sagen, wie
egal es mir ist, was du heute hier veranstaltest, du egoistischer Scheißkerl!“
Narzissa weinte bereits, als Hermine lautlos die Tür öffnete und nach draußen
schlüpfte. Sie sah nur noch aus den Augenwinkeln, wie Lucius die Hand
ausdruckslos zu Narzissas Wange gehoben hatte und mit den Fingern die Spur
ihrer Tränen nachfuhr.
Und mehr
wollte sie definitiv nicht sehen! Absolut nicht nötig! Sie kannte den
Malfoy-Charme in dramatischen Situationen. Er hatte ihr selber mehr als einmal
das Genick gebrochen, weil sie nicht stark genug war, um standhaft zu bleiben.
Sie hatte Draco selber oft genug nachgegeben, und es war nett zu sehen, dass er
wohl seinen Charme gänzlich von seinem Vater geerbt haben musste.
Sie lehnte
sich im Flur gegen die Wand.
Draco und
Dean kamen gerade zurück. Draco wirkte gestärkt, kraftvoll. Vollkommen gesund.
Es war seltsam, aber je gesünder Draco wirkte, umso kränker kam er ihr vor,
denn es erinnerte sie nur wieder an die schlimmen Zeiten.
„Was ist
los?“, wollte Draco wissen, als er ihren Ausdruck bemerkte.
„Nichts“, sagte Hermine hastig. „Ich… wollte mir nur die Beine vertreten, ich…“
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Und
meinen Vater hast du alleine gelassen?“, wollte Draco mit gerunzelter Stirn
wissen. Hermines Mund öffnete sich und sie nickte unschlüssig. Draco schritt an
ihr vorbei und öffnete die Tür wieder.
„Nein,
nicht, ich-“, begann Hermine eilig, aber er hatte die Tür schon geöffnet – und
verharrte in der Bewegung.
„Oh
verflucht!“, entfuhr es ihm und er hatte sich im Bruchteil einer Sekunde auf
dem Absatz umgewandt. „Granger!“, fuhr er sie jetzt an. „Du könntest ich vorher
warnen, oder nicht?“, knurrte er.
„Wieso? Was ist los? Was… tun sie?“, wollte sie peinlich berührt wissen,
während Dean vollkommen verwirrt aussah. Auch etwas mitgenommen. Bestimmt
schwächte ihn die Heilung auch. Es war sehr nett, dass er es tat, ging Hermine
auf.
„Eklige
Sachen“, erwiderte Draco schlicht. Die Tür öffnete sich. Lucius wirkte eine
Spur außer Atem.
„Nein,
keine ekligen Sachen, Merlin, noch mal“, korrigierte er Draco mit einem
mahnenden Blick. „Miss Granger, wir wären soweit“, wandte er sich an sie, ohne
rot zu werden, ohne den Hauch von einem schlechten Gewissen. Hermine atmete aus.
„In
Ordnung.“ Sie, Draco und Dean betraten wieder ihr Behandlungszimmer. Narzissa
saß so akkurat gerade auf der Besucherliege, dass man annehmen könnte, es wäre
kein Streit vorgefallen. Lucius setzte sich wie selbstverständlich neben sie.
„Mrs Malfoy“, begrüßte Dean die neue Person, und Narzissa nickte höflich.
„Hermine, entschuldigen Sie meinen Ausbruch. Geht es Ihnen gut? Fühlen Sie
sich… entsprechend?“, fragte sie freundlich und Hermine fürchtete sich vor den
vielen Gesichtern der Narzissa Malfoy.
„Ja,
danke. Alles… bestens“, log Hermine, denn sie war unglaublich aufgeregt, und es
ging ihr überhaupt nicht gut. „Allerdings haben wir ein Problem“, bemerkte sie
jetzt. Lucius hob den Blick.
„Problem?“,
wiederholte er besorgt, und sie nickte.
„Dracos Gift… es zeigt Formen, die mir bisher unbekannt sind“, erklärte sie.
Sie wandte sich an Dean. „Der giftige Efeu zeigt… Blüten“, erläuterte sie
ruhiger. Dean sah sie an.
„Blüten? Du meinst…?“ Er schien sich keinen rechten Reim darauf machen zu
können.
„Ja“,
bestätigte sie. „Das Gift fängt an zu blühen. Und meiner Meinung nach, ist das
nicht gut. Es wird Zeit, dass wir handeln“, sagte sie aufgeräumt.
„Ich
werde es mir gleich ansehen“, versprach Dean. „Erst sollte wir… mit Mr Malfoy
beginnen“, erklärte er mit einem Blick auf Lucius.
„Ja, da bin ich auch für“, bestätigte Hermine.
„Aber was
bedeutet das?“, wollte Narzissa wissen. „Es blüht?“, wiederholte sie. „Ist das…
schlecht? Ändert das irgendetwas?“ Hermine zuckte die Achseln.
„Wir… wissen es noch nicht.“
Draco
blickte relativ gelangweilt aus dem Fenster. „Ich schlage vor, wir kümmern uns
erst mal um Lucius“, sagte sie, und benutzte seinen Vornamen das erste Mal
laut. „Ich habe eine kleine Dosis Gift vorbereitet. Ich werde es direkt unter
das Mal bringen. Sollte ein Effekt ausbleiben, und das Gift Wirkung zeigen,
wird Dean Sie heilen und das in so kurzem Abstand, dass ihre Zellen das Gift
kaum aufnehmen und vervielfältigen können“, erklärte sie die Prozedur so
einfach wie möglich.
„Und was, wenn es funktioniert?“, wollte Lucius aber wissen.
„Was,
wenn er stirbt?“, unterbrach Draco sie, ehe sie antworten konnte. Alle sahen
sie an.
„Sollte
der Todesfluch ausgelöst werden, ist Dean bereit einen Hemmzauber auszuführen,
welcher den Herzschlag deines Vaters für einige wenige Sekunden gefrieren
lässt, denn der Foedus Mortem ist an
den Herzschlag gebunden. Das lässt uns vielleicht ein, zwei Sekunden Zeit, den
Todesfluch zu neutralisieren und stattdessen ein leichtes Koma hervorzurufen“,
erklärte sie knapp.
„Koma?“,
wiederholte Narzissa besorgt.
„Ja, es ist kaum von einer Ohnmacht zu unterscheiden“, erklärte Dean sachlich.
„Es dauert auch nicht lang, aber für eine magische Sekunde werden die Organtätigkeiten
ausfallen, aber es wird so ein winziger Moment sein, dass es dem Fluch so
vorkommen wird, als wäre das Herz, an das er gebunden ist, stehen geblieben.
Somit umgehen wir die schwarzen Folgen des Fluchs.“ Narzissa wirkte nicht
zufrieden.
„Eine magische Sekunde lang?“, wiederholte sie.
„Es ist eine Metapher“, erklärte Hermine eilig. „Es passiert nicht wirklich,
nicht zeitlich messbar. Nur magisch messbar.“ Narzissa wirkte nicht überzeugt
und nicht so, als hätte sie begriffen, was Hermine meinte. „Es ist schwer zu
erklären, aber Lucius wird nichts davon merken. Es sollte keinerlei
Auswirkungen auf seine Psyche, seine Gehirn- oder Körperfunktionen haben“,
versprach sie sicherheitshalber.
„Und das steht fest?“, wollte Draco wissen.
„Das…
steht zu 99% sicher fest, ja“, bestätigte sie.
„Und der
letzte Prozent?“, wollte er nicht überzeugt wissen.
„Der
letzte Prozent ist die üblicher Fehlerquote“, sagte sie zähneknirschend. „Es
kann immer etwas passieren.“
„Von hier
zur Toilette kann man ebenfalls von der herunterfallenden Decke erschlagen
werden“, führte Dean aus. „Aber die Chance ist so gering, dass es kaum den
Prozent wert ist“, schloss er. Draco verschränkte die Arme vor der Brust und
sah seinen Vater an.
„Du musst das wirklich nicht ausprobieren. Ich kann auch direkt das Experiment
an mir durchführen lassen, dann-“
„-nein“, unterbrach ihn sein Vater. „Bitte, fangen Sie an“, sagte er zu
Hermine. Hermine sah, wie Narzissa nach der Hand ihres Exmannes griff. Dracos
Stirn kräuselte sich bei dieser Geste, aber er sagte gar nichts.
„In
Ordnung“, sagte Hermine, so ruhig, wie sie es immer tat, wenn sie mit einem
Patienten sprach. „Strecken Sie Ihren Arm aus“, befahl sie mit einem Hauch
Spannung in der Stimme, als sie die Spitze ihres Zauberstabs in die
hochkonzentrierte Lösung der übriggebliebenen Flüssigkeit des Dämonsfeuers
tunkte. Brannte das Feuer nämlich aus, entstand keine Asche. Das Feuer war auch
nicht heiß. Es war eiskalt. Es basierte auf einem flüssigen Gift, dessen
Brennbarkeit keine heißen Flammen wie zum Beispiel Alkohol verursachte, sondern
die Flammen lediglich eine Illusion darstellten. Es war eine komplizierte
Materie, und allein mit der winzigen Dosis an Flüssigkeit wäre Hermine in der
Lage sich selbst und alle übrigen hier auf dieser Etage in Lebensgefahr zu
bringen, wenn man es richtig anstellen würde.
Aber es
reichte erst mal, dass sie nur Lucius gefährden würde, überlegte sie mit
klopfendem Herzen.
„Ich
bringe das Gift nun unter die Haut, Lucius. Die Flammen würde es automatisch
tun, aber ich simuliere diese Flammen mit einem Spruch, damit ich den
Kontaktbereich besser kontrollieren kann“, erklärte sie, mehr für sich selbst,
als für die anderen.
Lucius
hielt komplett still, während sich die Schlange nervöser um das Mal zu winden
schien, als würde sie spüren, dass sie gleich vernichtet werden sollte. Dean
machte sich neben ihr bereit.
„Venenum permanantem“, murmelte sie, als
sie die Spitze des Zauberstabs auf das Mal drückte. Lucius zuckte nicht
zusammen, als eine kalte Flamme in die Luft züngelte und das Gift in die Haut
sank. Und für eine Sekunde passierte gar nichts, während Dean den Zauberstab
gezogen und die Luft angehalten hielt.
„Was ist
los?“, wollte Draco neben ihr wissen. Hermine sagte nichts, hielt die Augen auf
das Mal geheftet.
„Hat es
nicht funktioniert?“, fragte Lucius und starrte ebenfalls auf seinen Unterarm.
„Haben
Sie Schmerzen?“, wollte Hermine wissen, ohne ihn anzusehen.
„Nein“,
sagte er nach einem Moment. Es verging noch eine Sekunde.
Dann atmete
sie aus.
Sie
wollte auf ihrem Schreibtischstuhl nach hinten zurückrollen, aber Deans Stimme
hielt sie auf.
„Hermine“, sagte er mit Nachdruck und sie wandte den Blick zurück. Ihr Mund
öffnete sich stumm. Es hatte sich ein weißer Fleck in der Mitte des Mals
gebildet. So weiß, dass es ihr zuerst nicht auffiel, aber als sie genauer
hinsah bemerkte sie etwas Entscheidendes.
„Haut!“,
entfuhr es ihr. „Es löscht das Mal!“, schloss sie aufgeregt und sie sah Lucius
ins Gesicht, welcher wie gebannt auf die Schlange starrte, die sich stumm in
Todesqualen zu winden schien.
„Der
Fluch, wird er ausgelöst?“, fragte Dean atemlos, aber Lucius schüttelte den
Kopf.
„Ich spüre nichts!“, sagte er heiser. Narzissa schien Lucius‘ Hand noch fester
zu halten.
Und es
war, als würde man einem Fetzen Papier beim Brennen zusehen. Das Gift fraß sich
durch die Poren des Mals, während das Gift des Mals selber, das Dämonsfeuer
neutralisierte.
Nach
keiner halben Minute war die Schlange verschwunden, der Schädel verschwunden,
die dunklen Umrisse verschwunden und eine kurze Dampfwolke stieg von Lucius‘
Unterarm empor.
„Merlin!“,
entfuhr es ihm beeindruckt als er seinen unversehrten Unterarm näher begutachtete. „Es ist… fort“, flüsterte er. Dann hob
sich sein Blick zu Dracos Gesicht. „Draco! Es ist fort!“, wiederholte er, mit
Tränen in den Augen. Und zum ersten Mal wirkte Draco sprachlos. Nicht
überheblich, nicht arrogant oder abweisend gegenüber der Heilung. Nein, er
starrte vollkommen ungläubig auf den Arm seines Vaters.
Eilig sprach
Hermine die Formel, die zeigen sollte, wie viel Gift im Körper vorhanden war.
Sie hielt den Zauberstab still auf Lucius geheftet und wartete noch eine
prüfende Minute lang. Dann lehnte sie sich zurück.
„Lucius,
es befindet sich kein Gift mehr in Ihrem Körper und der Todesfluch ist
zerstört“, erklärte sie lächelnd.
„Ok“,
murmelte Draco nickend, während er sein Hemd aufknöpfte. „Verkauft, Granger“,
hauchte er beinahe ehrfürchtig, und sie grinste bei seinen Worten. Dean fuhr
sich lächelnd durch die Haare.
„Dann ist
ein so großer Fortschritt, du könntest gleich ein neues Buch schreiben“, wandte
er sich an sie. Hermine wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Es
hatte funktioniert! Sie hatte recht gehabt und es hatte funktioniert!
Dracos
Oberkörper war frei und er setzte sich auf die Liege neben seine Mutter.
Narzissa starrte geschockt auf Dracos Oberkörper.
„Was zur…“, entfuhr es Dean, der die Blüte skeptisch begutachtete. „Seit wann
hat er das?“, wollte er von Hermine wissen.
„Seit gestern
Abend“, erwiderte sie unbedacht und erntete einen Blick von Dean. Sie spürte
die Röte in ihren Wangen sofort.
„Vielleicht
ist es nur eine Auswucherung und bedeutet gar nichts“, murmelte Dean
unschlüssig. „Wie willst du es angehen?“ Sie war froh, dass er sie nicht weiter
löcherte.
„Ich weiß
nicht. Wir… müssten das Mal praktisch strecken, damit das Gift es… öffnen
kann“, sagte sie, mehr zu sich selbst, während sie überlegte, wie es am besten
anzustellen war. Dean wirkte nachdenklich.
„Hermine…“,
begann er langsam, „das Gift hält sich auf Dracos rechter Seite. Das Mal ist
auf der linken. Ist es nicht… seltsam, dass es nicht nach links wandert, also
der Efeu? Meinst du, das Gift des Mals hält es bereits so weit auf, wie es
möglich ist?“ Hermine biss sich auf die Lippe. Sie hatte darüber nachgedacht,
aber nicht ausführlich.
„Dann
müssen wir das Mal vergrößern.“
„Seine
Durschlagkraft erhöhen? Das könnte gefährlicher werden“, bemerkte Dean.
„Ich
dachte an den Ingemino-Zauber“, sagte sie ruhiger. Dean hob den Blick.
„Es ist
aber keine Zelle, Hermine“, warnte er sie unschlüssig.
„Was ist das für ein Zauber?“, wollte Narzissa wissen.
„Es würde
das Mal verdoppeln. Alles am Mal. Sein Aussehen und seine Kraft“, erklärte Dean
statt ihrer. „Wenn es funktioniert“, fügte er hinzu.
„Ein
zweites Mal?“, wiederholte Draco.
„Ja, auf
deinem rechten Arm.“ Hermine wusste, es war ein Risiko, aber das Gift würde den
Fluch neutralisieren. Zumindest das würde es tun. Draco schien nachzudenken.
Alle warteten gespannt. Dann hob er den Blick.
„Ok“,
sagte er bloß. Narzissa schien vor Aufregung völlig aufgelöst zu sein, denn sie
knetete ihre Finger abwesend in ihrem Schoß.
„Dafür…
müsste ich die Haut öffnen, Draco. Es wird wehtun“, erklärte sie, aber er
schenkte ihr einen nachsichtigen Blick.
„Granger,
glaub mir, ich bin Schmerzen gewöhnt.“
Es
klopfte laut an der Tür, und die Tür wurde geöffnet, ohne dass Hermine, einen
Ton sagen konnte.
„Bin ich zu spät?“, entfuhr es Blaise außer Atem, als er näher kam.
„Nein“,
sagte Hermine gereizt. „So viel Platz ist hier auch nicht“, ergänzte sie
mahnend.
„Ich bin
nur eine schmale kleine Person und werde keinen Mucks machen“, versprach Blaise
andächtig. Hermine verdrehte die Augen.
„Fein.
Aber das war’s!“, bemerkte sie in Richtung Tür, falls dort noch mehr Publikum
wartete. Blaise zog sich einen Stuhl heran und setzte sich lautlos.
„Ich
öffne, du verdoppelst“, sagte Dean, ohne Blaise begrüßt zu haben. Er wirkte
nervös. Hermine nickte, und dann hatte Dean begonnen. Das war es jetzt also!
Jetzt würde sie Draco retten.
„Asperio!“, sagte Dean und drückte die
Spitze seines Zauberstabs in Dracos rechten Unterarm, so dass die Haut
regelrecht aufriss. Draco biss die Zähen fest zusammen, und Narzissa schnappte
nach Luft.
„Ingemino!“, rief Hermine eilig, ehe sich
die Wunde wieder schloss, denn der Asperio-Zauber öffnete die Haut oder eben
das Organ, die Zellen oder selbst eine Schublade nur für wenige Sekunden. Es
war ein praktischer Zauber, der verwendet wurde, um Wunden zu säubern, die man
nicht nähen wollte. Es war ein praktischer chirurgischer Zauber.
Dieser
Zauber jedoch war ohne die richtige Zauberstabbewegung wirkungslos. Hermine
beschrieb einen engen Halbkreis und presste die Spitze des Zauberstabs auf
Dracos Mal. Kurz schien sich ein Abbild seines Mals in die Luft zu heben,
verschwand aber keinen Moment später.
„Hermine“,
brachte Dean gepresst hervor, und Hermine beeilte sich, den Zauberstab zu
Dracos anderem Unterarm und ließ die Kopie des Mals sanft in die Wunde gleiten.
Und jetzt
schrie Draco auf, als heißer Dampf die Wunde verschloss und das Mal wuchtig auf
dem Unterarm erschien, ehe der giftige Efeu es öffnete. Die Ränder des frischen
Mals schienen in Flammen zu stehen, während beide Gifte sich zu neutralisieren
schienen. Hermine ergriff Dracos Hand so heftig, dass er zusammen zuckte.
Tränen fielen auf seine Wange, als er sich nach vorne krümmte, während seine
Eltern hastig von der Liege aufstanden.
„Merlin, verfluch!“, entfuhr es ihm keuchend, als er nach vorne auf den Boden
stürzte. Hermine ging neben ihm zu Boden.
„Draco!“, rief sie außer sich, als er schrie. „Hörst du mich? Ist der
Todesfluch aktiviert?“, fragte sie panisch, aber er reagierte nicht. Sie sah,
wie sich das andere Mal öffnete, wie es ebenfalls anfing zu brennen, wie weiße
Nebenschwaden seinen Oberkörper einzuhüllen schienen. Hermine stolperte nach
hinten zurück, als Dracos Hose zerriss und sich der Stoff einfach schwelend
auflöste. Doch es waren kalte Flammen. Sie zeigten keine Wirkung auf seiner
Haut. Alle hatten sich erhoben und Dean stürzte zum Fenster, um es zu öffnen,
denn weißer Nebel füllte Hermines Behandlungszimmer.
Dracos
Schreie waren plötzlich verebbt.
„Dean!“, rief Hermine heiser, und Dean fluchte unterdrückt.
„Evanesco!“, donnerte Deans Stimme, und
der Nebel lichtete sich augenblicklich. Narzissa hatte sich an Lucius
geklammert, während Hermine auf Draco zu kroch. Sie schnappte nach Luft. Er lag
nackt auf dem Boden, aber das erst, was Hermine erkannte war, dass das giftige
Muster auf seinem Rücken und seinem Arm verschwunden war.
„Draco“,
flüsterte sie ängstlich. Es war nicht so verlaufen, wie sie angenommen hatte.
Aber sie sah, dass er atmete.
„Bin… bin ich tot“, flüsterte er lautlos, und Hermine atmete die angehaltene
Luft erleichtert aus.
„Nein!“,
rief sie glücklich aus. Sie erkannte, auch sein Bein war vom Muster befreit.
„Draco!“, rief sie erneut, schloss den Abstand zu ihm, und schwerfällig
richtete sich sein Oberkörper auf. Das Muster war fort. Die beiden Male waren
fort, aber… ehe sie ihn umarmte sanken ihre Arme unwillkürlich. Sorge trat auf
ihre Züge, und Draco sah sie schwer atmend an.
„Was? Was ist?“, wollte er heiser wissen, dann fiel sein Blick. „Oh…“, murmelte
er leise.
Seine
Brust hob und senkte sich, während Dean geistesgegenwärtig eine der
Krankendecken über Dracos Blöße legte, aber dran störte sich Hermine im Moment
überhaupt nicht.
Ihr Blick
war auf die Blume geheftet, die unversehrt auf Dracos Brust blühte.
„Hat es…
hat es funktioniert?“, wollte Lucius schließlich wissen, und Hermine riss den
Blick von der Blüte los.
„Draco“,
flüsterte sie, während sie ihn endlich umarmte. Seine Arme legten sich um ihren
Oberkörper und er atmete ruhiger. Aber er hielt sie fest, ließ sie nicht los,
und Hermines Herz schlug schnell.
„Das
bleibt abzuwarten“, hörte sie Dean Lucius‘ Frage beantworten. Und er klang, wie
Hermine sich fühlte. Enttäuscht, erschlagen und äußerst skeptisch.
Die Blüte
war nicht verschwunden. Vielleicht war sie nur ein Überbleibsel, so etwas wie
ein Mahnmal, was nicht verschwand. Vielleicht hatte sie keine Auswirkungen.
Vielleicht… war es nichts weiter.
Aber
Hermine wollte diese Gedanken nicht laut äußern, denn sie wollte die Worte aus
Dracos Mund nicht hören, die er jedes Mal parat hatte, wenn sie eine Heilung
für seine Krankheit verschlug.
…was, wenn nicht…?
Und genau
darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken, wenn sie sich doch sicher war, dass
alles gut werden würde. Aber Draco sagte nichts. Er hielt sie einfach nur fest.
Und
Hermine hatte Angst.
„Du wirst
nicht aufstehen, du wirst dich nicht bewegen. Heilerin Bolton hat gesagt, dass
die Werte nur wegen des Stresses so hoch gestiegen sind, und deshalb bleibst du
liegen!“, ermahnte er sie so streng, dass sie nicht einmal wagte zu
widersprechen. Ihre Heilerin hatte ihr strengste
Bettruhe verordnet, die sie hin und wieder missachtete.
Draco
hatte ihr Essen, Tee und ein Buch nach dem anderen gebracht, während sie sich
danach sehnte, einfach nur mit Rufus spazieren zu gehen. Der Hund lag neben ihr
und döste vor dem Kamin. Draco hatte seit zwei Monaten keine Heilung mehr
gebraucht.
Es war
etwas, was sie vor einer Woche gefeiert hatten.
„Ich
liege doch!“, beschwerte sie sich, während sie prüfend ihre Tasse auf ihrem
kugelrunden Bauch abstellte. Zwar war er noch nicht vollkommen ausgeprägt, aber
ausgeprägt genug, dass sie keine ihrer Hosen mehr zubekam. Und ausgeprägt
genug, dass sie ohne Probleme ihre Teetasse darauf abstellen konnte. Draco
grinste schief.
„Sieht
gut aus. Nächste Woche ok?“, fragte er unwillkürlich, und sie runzelte die
Stirn. „Das Wetter soll fantastisch sein“, sagte er lächelnd.
„Nächste
Woche was?“, wollte sie gähnend wissen. Er deutete eindeutig nach draußen in
den Garten.
„Deine
Eltern haben Zeit, meine Eltern haben Zeit, Potter und Weasley haben Zeit“,
zählte er knapp auf. Sie begriff.
„Die Hochzeit?“, entfuhr es ihr.
„Ja,
Kingsely würde uns trauen. Ich habe mit ihm gesprochen und er ist noch immer
vom Ministerium befugt. Ein Anruf über Floh bei McGooses, und wir haben Essen
für hundert Personen, was nötig sein wird, wenn alle Weasleys aus London
auftauchen wollen.“ Er sah sie abwartend an.
Sie
hatten nicht mehr über die Blüte gesprochen. Hermine hatte keinen Zauber finden
können, der die Blüte zum Verschwinden brachte. Und gestern Abend hatte die
Blüte auf Dracos Brust das erste Blütenblatt verloren. Es war einfach
verschwunden. Es waren vier Blütenblätter gewesen. Und Hermines Herz blieb
regelmäßig stehen, wenn sie darüber nachdachte. Dracos Theorie dazu, wenn er
sich denn überhaupt dazu äußerte, war, dass sich der Fluch endlich löste, und
dies eben einfach nur der Rest des Tattoos war, der verschwand.
Aber
Hermine nahm, er log. Er glaubte das nicht wirklich.
Sie
glaubte es, aber er nicht.
Aber sie
sprach es nicht aus. Sie wusste nicht, wie.
„Ok“,
erwiderte sie schließlich.
Er
schenkte ihr ein warmes Lächeln. Sie wandte den Blick und sah stur geradeaus,
während sich ihre Augen mit unkontrollierten Tränen füllten.
Sie sah
aus den Augenwinkeln, wie er näherkam und sich neben sie kniete.
„Sieh
mich an“, befahl er sanft. Sie schüttelte unbewegt den Kopf. „Hermine“, setzte
er mit Nachdruck hinzu, und sie atmete zitternd aus. „Bitte, sieh mich an“,
flüsterte er fast. Endlich wandte sie den Blick. Seine Haare waren lang
geworden, stellte sie fest. Er konnte den Pony bereits hinter seine Ohren
stecken. Sie musste lächeln. Er sah gut aus. So gut wie noch nie, müsste sie es
jetzt vergleichen. Sie erinnerte sich noch, als sie ihn das erste Mal gesehen
hatte, nach Hogwarts.
Hier, in
diesem Haus. Hier, in diesem Zimmer. Sie erinnerte sich daran, dass Rufus
sofort zu ihm gelaufen war, sich sogar neben ihn gesetzt hatte, während Hermine
sich gewundert hatte, wohin ihr Hund verschwunden sein könnte.
Und Hunde
waren anders als Menschen. Menschen konnten ihre Gefühle und Abneigungen
gegenüber Menschen verbergen, wenn sie wollten, aber nicht gegenüber einem
Tier.
Und war
es nicht seltsam, dass dieser widerliche Mann in ihr kalte Schauer der
Abneigung hervorgerufen hatte, während ihr eigener Hund, seinen Kopf an Dracos
Bein gelehnt hatte? Hätte sie da schon wissen müssen, dass hinter Dracos
Fassade noch so viel mehr gelegen hatte?
Denn
jetzt tat sie es ihrem Hund gleich und vergötterte diesen Mann. Dieser Mann,
dem alles egal war. Egal, ob er gesund war, egal, ob er starb, Hauptsache, sie
hielt die Bettruhe ein, Hauptsache, sie heiratete ihn, damit sie abgesichert
war. Hauptsache, sie bekam seinen Sohn, nannte ihn Scorpius und würde für immer
glücklich sein.
Sie presste
die Lippen aufeinander.
„Ich
liebe dich“, flüsterte sie, ehe sie irgendwas anderes sagen würde, was wieder
zu endlosen Diskussionen führen würde.
„Ich
liebe dich auch“, erwiderte er fast überrascht. Anscheinend hatte er sich auch
bereits für eine weitere Diskussion über seine Gesundheit gewappnet.
„Wer
hätte das gedacht?“, sagte sie mit einem schmalen Lächeln.
„Bitte?“,
entfuhr es ihm verwirrt, aber sie lächelte breiter.
„Ich bin
froh, dass wir uns hier getroffen haben“, informierte sie
ihn, ohne jeden Kontext. Er wirkte immer noch unschlüssig, einen Hauch
misstrauisch.
„Ok?“, erwiderte er langsam. Sie grinste plötzlich. „Diese Schwangerschaft ist
eine ziemlich verrückte Sache, Granger“, bemerkte er spitz.
„Lass uns
heiraten, Draco. Ich will nicht länger warten. Leute werden noch anfangen zu
reden“, erwiderte sie lächelnd, während sie auf ihren runden Bauch deutete, und
er lachte laut auf.
„Etwas
spät dafür, findest du nicht? Aber kein Problem. Du willst heiraten, dann
heiraten wir. Ich mache eben ein paar Anrufe“, erklärte er jovial, während er
sich vollkommen unbefangen und agil erhob.
Sie würde
es hassen, würde er wieder eine Heilung brauchen. Aber das würde er nicht. Er
hatte seit zwei Monaten keine gebraucht. Und alles war gut. Alles. Er hatte
inne gehalten, machte wieder kehrt und kam zu ihr zurück, um sich noch einmal
hinzuknien. Seine Hände legten sich um ihren Bauch, während er den Kopf so tief
neigte, bis seine Lippen die Wölbung berührten. Das tat er jedes Mal, wenn er
länger als eine Minute von ihr wegging. Jedes Mal! Auch wenn sie sich schlafen
legten, sprach er kurz mit ihrem Bauch, mit seinem Sohn.
Sie
verstand nie, was er flüsterte, und egal, wie oft sie fragte, er lächelte immer
nur geheimnisvoll und wollte es nicht weiter erklären. Es war schrecklich
frustrierend und gleichzeitig so liebevoll, dass sie ihm nicht lange böse sein
konnte.
Jetzt
lehnte sie sich kopfschüttelnd zurück, verdrehte die Augen und betrachtete ihren
wunderschönen Verlobten. Sie wusste nicht, wie es alles hatte passieren können,
wie sie so weit gekommen waren, dass sie kurz davon standen, einen gemeinsame
Sohn zu bekommen und zu heiraten, aber… das war es jetzt. Hier waren sie.
Und es
machte ihr nicht mal mehr Angst.
~*~
Eine
Woche später…
Ihr war
schlecht. Schlichtweg übel war ihr!
Erst
vorhin hatte sie aus dem Zeltschlitz gesehen, wie sich Lucius Malfoy und ihr
Vater ratlos angeschwiegen hatten, weil sie beim besten Willen über nichts hatten
reden können.
Sie
könnte sich schon jetzt betrinken, überlegte sie dumpf. Aber sie durfte ja
nicht trinken. Dabei hätte sie allen Grund! Sie war so wütend!
Das Kleid
saß zu eng, denn ihre Wölbung ließ es anscheinend nicht mehr zu, dass sie noch
attraktiv genug aussah. Und erst gestern hatte sie sich so sehr mit Draco
gestritten, dass sie seit sechzehn Stunden kein Wort mehr gewechselt hatten.
Und das hatte er verdient! Elender Mistkerl!
Und das
war ihr Hochzeitstag.
Ginny
hatte ihr die Haare hochgesteckt, Molly hatte ihr beim Anziehen geholfen, und
Narzissa hatte ihr gesagt, würde sie den teuren Familienschmuck verlieren,
müsste sie ihn ersetzen, egal, wie lieb sie Hermine gewonnen hatte. Alles in
allem war es… ein grauenhafter Tag.
„Ist dir
noch übel?“, wollte ihre Mutter geflissentlich wissen, als sie die Zeltplane
einfach zur Seite geschoben hatte.
„Mum!“,
entfuhr es Hermine erschrocken und sie wich zurück, damit die Gäste sie noch
nicht sehen würden. Aber so viele Gäste waren es ohnehin nicht. Ihre Eltern,
Malfoys Eltern und sein Onkel väterlicherseits, die Weasleys samt aller Kinder
und Kindeskinder, die Potters, Luna und Neville, Dean, Blaise und Malfoy und
sie. Nur Blaise und Malfoy waren bedauerlicherweise noch nicht da. Wusste der
Himmel, was sie trieben, und wie sie es wagen konnten, sie hier die Stellung
halten zu lassen! Ihre Mutter betrat das Zelt und betrachtete ihre Tochter
tadelnd.
„Mein
Gott… alle werden wissen, dass du aus Umständen heraus heiratest!“, entfuhr es
ihrer Mutter streng, während sie die Falten des Kleides gerade zog.
„Mum!“,
wiederholte Hermine entnervt. „Ich heirate nicht aus Umständen heraus, und es
wissen doch ohnehin schon alle!“, korrigierte sie ihre Mutter bitter. Aber
diese verdrehte die Augen.
„Ja, es ist
sowieso eine ganz charmante Verbindung, nicht wahr?“ Anscheinend war es auch
für ihre Mutter ein schwarzer Tag. „Und diese… Malfoys? Solche Snobs!“, stieß
sie aus. Hermine hatte mit ihrer Mutter nicht mehr gesprochen, seitdem sie zu
Besuch gekommen waren. Und jetzt wusste sie auch wieder warum.
„Mum!“,
warnte sie ihre Mutter drohend.
„Und ist
er jetzt gesund?“, bohrte ihre Mutter erbarmungslos weiter, und Hermine spürte,
wie sie wütend wurde.
„Ja, Mum.
Ja!“, entfuhr es ihr zornig. „Er ist gesund, ok? Er ist gesund!“, knurrte sie.
Sie stand kurz vor einem Anfall, den sie nur zu gerne an ihrer Mutter auslassen
würde.
„Bitte,
schrei mich ruhig an, Hermine! Ich bin ja bloß deine Mutter die sich Sorgen
macht!“
Hermine
schloss verzweifelt die Augen. „Mum, bitte!“,
brachte sie gepresst hervor, als ihre Mutter immer noch am Kleid zerrte.
„Und
wieso mussten diese Malfoys überhaupt für alles bezahlen?“, wollte ihre Mutter
weiter wissen.
„Weil sie
Geld haben“, erklärte Hermine nüchtern.
„Oh
wirklich?“, entgegnete ihre Mutter trocken. „Wenn sie so viel Geld haben, dann
sollten sie vielleicht erst mal-“
„-Mutter!“,
unterbrach Hermine sie scharf. „Es reicht. Der Tag ist anstrengend genug, auch
ohne deine Laune!“
„Meine Laune?“, entrüstete sich ihre
Mutter aufgebracht, aber Hermine wollte nicht mehr streiten.
„Wir
werden das hier hinter uns bringen, und du wirst freundlich sein, hast du
gehört? Draco und ich-“
„-Draco und du! Anscheinend wisst ihr noch nicht mal, ob er jetzt überleben
wird oder nicht…“, unterbrach ihr Mutter sie fast bitter. Ginny betrat das
Zelt, als sich Hermine nicht mehr fassen konnte.
„Geh
raus! Geh zu Dad! Geh irgendwohin! Ich kann dich nicht ertragen, Mutter!“,
knurrte Hermine hilflos. Schimpfend ließ sich ihre Mutter von Ginny aus dem
Zelt schieben, während Hermine seufzend auf einen Hocker sank.
Merlin,
wo blieb Malfoy?! Sie würde ihn umbringen!
~*~
„Blaise!
Wir kommen zu spät!“, beschwerte er sich, nachdem er zum zehnten Mal auf seine
Taschenuhr geblickt hatte.
„Man
heiratet nur einmal, Malfoy. Im besten Fall“, ergänzte Blaise, während sie Aven
Parks wieder betreten hatten. „Und deshalb darf ich dich vorher ganz offiziell
entführen“, fuhr er fort, als Draco ihm stirnrunzelnd folgte. Sie waren wieder
zuhause, und Draco konnte die Stimmen der Gäste aus dem Garten hören. Vom
Fenster im Treppenhaus sah er auch das weiße Zelt, indem seine Verlobte wohl
gerade mächtig sauer auf ihn wartete.
Sie waren
im ersten Stock angekommen und Blaise führte ihn zum Gästezimmer.
„Blaise, was zur-“
„-Gemach, Malfoy“, beschwichtigte ihn sein bester Freund. Draco hatte es noch
immer nicht geschafft, seine Fliege zu binden. Es gelang ihm heute nicht, und
er war schon kurz davor, sie offen um seinen Hals hängen zu lassen.
„Blaise,
was-“ Aber Blaise hatte die Tür geöffnet und Draco verstummte.
„Für den
Mann, der alles hat“, erklärte Blaise lächelnd. „Eine Reise wollte ich dir
nicht schenken, denn du hast da ja deine eigenen expliziten Vorstellungen, also
schenke ich, was von einem schwulen besten Freund erwartet wird“, bemerkte er
lächelnd.
„Verflucht…“,
entfuhr es Draco. „Weiß sie davon?“, stellte er die nächste logische Frage.
„Merlin, nein! Dann wäre die Überraschung hin, nicht wahr?“, erklärte Blaise,
der mächtig stolz mit sich schien.
„Ist das der Kodex der schwulen besten Freunde?“, wollte Draco mit erhobener
Augenbraue wissen. „Ein Kinderzimmer schenken?“ Blaise schlug ihm scherzhaft
gegen den Arm.
„Ich
bitte dich! Es ist das beste Kinderzimmer der Welt“, erklärte Blaise fest
überzeugt. Aber Draco hatte nicht viel zu meckern. Es erinnerte ihn überhaupt
nicht an sein eigenes Kinderzimmer und dann wiederum war es doch ähnlich. Eine
hellblaue Wiege, bespannt mit weißem Bast stand neben einem Kinderbett. Unter
dem Fenster befand sich ein Schreibtisch, daneben ein Regal mit unzähligen
Kinderbüchern, deren Titel Draco alle bekannt waren, welche er aber schon
längst vergessen hatte. Ein nächstes Regal war gefüllt mit babygerechtem
Spielzeug. Viele Plüschtiere, Lernbücher aus Gummi und Babydecken befanden sich
darin.
Auf der
anderen Wand – die Tapete war übrigens dunkelblau, zumindest bis zur Hälfe, die
andere Hälfte bis zur Decke war weiß – hing der magische Stammbaum. Draco
kannte ihn aus seinem Zimmer. Er stutzte unwillkürlich.
„Das ist
mein Stammbaum“, entfuhr es ihm überrascht.
„Jaah“,
erwiderte Blaise bedächtig. „Es hat mich einen ganzen Nachmittag mit deiner
Mutter gekostet und all meine Nerven, um ihn zu bekommen.“
„Und… das
ist mein Schreibtisch!“, fiel Draco anschließend auf.
„Ebenfalls
korrekt, Mr Malfoy“, bemerkte Blaise spöttisch, ging zum Schreibtisch, zog die
Schublade auf und tippte mit dem Zauberstab auf das verborgene Fach im Innern,
was quietschend aufsprang. Draco kam näher und musste grinsen.
„Wie passend“,
entgegnete er, als Blaise den alten Whiskey und zwei Gläser hervor holte.
„Der ist
allerdings frisch gekauft“, erklärte Blaise, während er sich auf den
Schreibtischstuhl setzte. Draco setzte sich ihm gegenüber auf den
Schaukelstuhl, der neben der Wiege stand.
„Es ist perfekt“, bemerkte er, als er die ganzen anderen Spielzeugkisten
entdeckte, die hinter der Wiege nur darauf warteten, von einem Jungen erkundet
zu werden. „Ich wünschte, ich wäre hier“, ergänzte er leise. Blaise sah ihn an.
„Du… du
wirst hier sein, Draco“, sagte er voller Überzeugung. „Natürlich bist du
hier!“, ergänzte er mit mehr Nachdruck.
Draco
erwiderte nichts, wippte vor und zurück und ließ sich von Blaise ein halbes
Glas vollgießen. Sie stießen an und tranken schweigend.
„Verdammt
gut“, stellte Draco überrascht fest.
„Ich
bitte dich, natürlich ist er verdammt gut. Denkst du, ich weiß nicht, was ich
tue?“, warf Blaise ihm kopfschüttelnd vor, und Draco sah sich entsprechend im
Zimmer um.
„Nein,
ich sehe, du weißt ganz genau, was du tust, Blaise!“, widersprach Draco
lächelnd.
„Ich
weiß“, erwiderte Blaise cool. „Wieso hast du dich eigentlich mit ihr
gestritten? So viel habe ich nämlich mitbekommen“, ergänzte Blaise wohl, falls
er es abstreiten wollte. Draco atmete langsam aus.
„Ich habe
nichts getan!“, rechtfertigte er sich direkt, aber Blaise schien ihm nicht zu
glauben. „Wirklich! Es ist komplett ihr Fehler.“
„Es ist
euer Hochzeitstag. Und die Braut macht keine Fehler an ihrem Hochzeitstag,
Malfoy“, korrigierte ihn Blaise ernst. Draco verdrehte die Augen. „Also?“,
beharrte Blaise unnachgiebig.
„Dean
musste mich vor einigen Wochen heilen“, gestand Draco, ohne Blaise anzusehen.
„Ich… habe gemerkt, dass… es ging nicht. Ich… hatte Schmerzen und…“
„Du
hattest Schmerzen?“, vergewisserte sich Blaise ungläubig. „Bist du sicher? Ich
meine…“
„Denkst
du, ich weiß nicht, wann ich Schmerzen habe?“, schnappte Draco, der erst
gestern genau dieses Gespräch mit Hermine hatte führen müssen. „Ich wollte es
ihr nicht sagen, ich.. – und keine Ahnung! Ich Idiot
habe es ihr doch gesagt, und… sie ist ausgerastet!“, entfuhr es ihm zornig.
„Als hätte ich etwas Schlimmes getan!“
„Aber… du… - das kann nicht sein!“, entfuhr es Blaise kopfschüttelnd. „Wenn du…
wieder Schmerzen hast, dann…“ Er schwieg schließlich.
Blaise
sah ihn so verstört an, dass Draco am liebsten das Glas gegen die Wand geworfen
hätte.
„Denkst
du, es macht mir Spaß?“, fuhr er ihn an, aber Blaise senkte den Blick.
„Vielleicht
ist es nur temporär. Vielleicht nur, bis die Blume alle Blütenblätter verloren
hat“, versuchte Blaise, eine Erklärung zu finden, aber Draco lächelte freudlos.
Blaise schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück.
„Blaise,
ich muss darüber reden“, sagte Draco jetzt ruhiger. Blaise öffnete die Augen
wieder. „Mit irgendwem muss ich darüber reden können.“ Und Blaise sah aus, als
wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Lachen wäre Draco um einiges
lieber. „Es… es hilft mir nicht, wenn mir Leute versichern, dass alles gut
wird, dass ich wieder gesund werden. Ich brauche jemanden, der mir versichert,
dass alles gut wird, wenn ich sterbe“, schloss er ruhiger.
Blaise
schüttelte langsam den Kopf. „Scheiße, Draco. Kannst du dir dafür nicht jemand
anderen aussuchen?“, fuhr sein bester Freund ihn praktisch an, leerte dann aber
in einem Zug sein Glas. „Weil es ja auch so verdammt leicht ist!“, knurrte
Blaise.
„Blaise!“,
sagte Draco und sein bester Freund stellte mit einem lauten Geräusch das Glas
zurück auf den Tisch.
„Ok, wie
du willst!“, schnappte Blaise wütend. „Wenn du stirbst, wird alles gut, Draco.
Willst du das hören?“, rief Blaise verletzt und halbherzig, aber Draco blieb
ernst.
„Ja“,
sagte Draco nickend und vollkommen aufrichtig.
Die Tür
flog auf, als Blaise das Zimmer wütend verlasse wollte.
„Deine
Mutter raubt mir den letzten Nerv! Und meine Mutter erst!“, schnauzte sie ihn
an. „Und du versteckst dich hier und trinkst? Was fällt dir überhaupt – was…?!“ Sie hatte sich selber unterbrochen, als ihr wohl
aufgefallen war, dass das Gästezimmer kein Gästezimmer mehr war. „Ach du liebe
Güte, wer…? Hast du…?“ Sie sah ihn mit großen Augen an, aber er schüttelte den
Kopf und deutete auf Blaise.
Dieser
senkte den Kopf, wie ein schuldiger Junge, der eine Vase zerbrochen hatte.
„Ich war
das“, bestätigte Blaise schuldbewusst. Aber Hermine schloss den Abstand und zog
Blaise in die Arme. Dieser wirkte ähnlich perplex wie Draco über diese Geste,
aber Dracos Blick verfing sich an ihrer Gestalt. Sie war… wunderschön.
„Danke,
Blaise! Das ist… das beste Geschenk“, murmelte sie leise.
„Ich lass
euch kurz allein. Und dann… wird geheiratet, ok?“ Blaise konnte wohl mit so
viel Aufmerksamkeit nur schwer umgehen, wenn er gerade dabei wütend auf Draco
zu sein. Und das brachte Draco zu seinem eigenen Problem mit Hermine. Seine
Laune verschlechterte sich ungemein, als die Tür leise ins Schloss gefallen
war.
„Hör zu,
wenn du sauer bist, weil ich Schmerzen habe, haben wir ein Problem“, begann er
sofort, obwohl er ihr lieber gesagt hätte, wie hübsch sie aussah.
„Ich bin
nicht sauer, weil du Schmerzen hast, du Arsch“, korrigierte sie ihn zornig.
„Ich bin sauer, weil du es mir nicht gesagt hast, und mich im Glauben gelassen hast,
alles wäre ok! Ich bin sauer, weil wir ein verdammtes Fest für deine Gesundheit
veranstaltet haben, während du genau wusstest, dass-“
„-ja, und
genau deshalb habe ich es dir nicht
gesagt!“, unterbrach er sie so zornig, dass sie abrupt verstummte und hatte
sich aus dem Schaukelstuhl erhoben. Sie funkelte ihn wütend an. „Weil ich von
dir nur angeschrien worden wäre und bestimmt kein Fest bekommen hätte!“,
ergänzte er bitter.
„Ich habe
dich nicht angeschrien!“
„Doch,
hast du! Als wäre es meine Schuld! Ich habe nicht darum gebeten, ok? Die
Schmerzen sind einfach da! Denkst du nicht, ich hätte alles versucht? Glaubst
du etwa, ich sage es dir nicht, um dich
extra zu verletzen? Du warst so verflucht glücklich, und…-“
„- und du denkst, mir zu verheimlichen, dass du sterben wirst, macht es besser,
Draco Malfoy?“
Und die
Stille, die sich anschließend über das Kinderzimmer legte war erdrückend. Ihre
Worte drangen tief durch seine Haut, tief in seinen Verstand. Sie atmete heftig
und hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
„Können
wir dann jetzt endlich anfangen uns damit abzufinden?“, wollte er gepresst von
ihr wissen, und sie starrte ihn mit großen Augen an, als könne sie nicht
glauben, dass sie die Worte gerade wirklich laut gesagt hatte. Und das war der
Moment! Das war es jetzt. Hier endete alles. „Oder willst du mich jetzt nicht
mehr?“, reizte er sie noch ein Stück weiter, jetzt, wo er ohnehin nichts mehr
zu verlieren hatte. Denn, wenn sie jetzt wieder ging, dann hatte er alles
getan. Er hatte alles versucht.
Und er
wusste, sie war wütend. Denn jedes Mal, wenn sie wütend war, wurden ihre
dunklen Augen noch eine Spur dunkler. Ihre Wangen bekamen einen Hauch mehr
Farbe, und ihr feiner Kiefer spannte sich mehr an. Und er sah ihre Hand kommen,
konnte bereits die Wucht des Schlags einschätzen und rührte sich nicht. Ihre
flache Hand traf ihn hart auf der linken Wange, während er sie nicht aus dem
Blick ließ und nicht die Balance verlor. Sie hatte irgendwann angefangen zu
weinen, aber er biss die Zähne fest zusammen, um das jetzt nicht zu
kommentieren.
„Wie
kannst du es wagen, mir vorzuwerfen, ich würde dich jetzt verlassen? Ich war diejenige, die-“
„-die mich wie einen komplett Invaliden behandeln wollte! Einen entmündigten
Vollidioten, mit dem du keinen Sex haben wolltest! Dem du nicht mal erlaubt
hast, eine scheiß Tasse aus dem Schrank zu holen, weil es mich verflucht noch
mal zu sehr anstrengen könnte!“, donnerte er los, und ihre Augen weiteten sich
voller Abscheu.
„Ich habe das dir zuliebe getan, Mistkerl!“, fuhr sie ihn tiefverletzt an.
„Mir
zuliebe?“, wiederholte er bitter. „Mir zuliebe hättest du mich wie einen
Erwachsenen behandeln sollen, der verdammt noch mal weiß, was er tut, Granger!“
„Weißt du
was, du kannst tun, was du willst!“, informierte sie ihn kalt.
„Ich
weiß, dass ich das kann“, klärte er sie trotzig auf, denn was glaubte sie? Dass
er darauf angewiesen wäre? Auf ihre Gnade? Ihre Hilfe?
„Ich habe
getan, was dich länger am Leben gehalten hätte!“, setzte sie tatsächlich noch
einen drauf, und er lachte hart auf.
„Was bin ich, Granger? Bin ich schon tot in deinen Augen?“, wollte er
herausfordernd wissen und wandte sich voller Zorn um. Er griff nach dem
Schaukelstuhl und warf ihn um, dass er laut auf den Boden aufschlug. „Hier!
Siehst du? Ich bin nicht tot! Ich bin nicht schwach! Ich kann Sachen bewegen!
Ich kann Sachen durch den verdammten Raum werfen, wenn mir danach ist!“ Er
griff sich die Whiskeyflasche, trank noch einen erlösenden Schluck und
schleuderte sie dann an die Wand. „Siehst du das? Ich brauche keinen Stock
hiernach! Ich bin kein Kind, Granger!“ Sie zuckte zusammen, als das Glas an der
Wand zerbrach. Die braune Flüssigkeit hatte die Tapete getränkt und tropfte nun
beständig auf das Parkett. Er wischte sich mit der Handfläche über den Mund.
„Du
führst dich verdammt noch mal auf, wie ein Kind!“, knurrte sie zornig, aber er
erkannte den Hauch an Panik in ihren Augen. Gut, sie sollte Angst vor ihm
haben. „Unten warten Gäste!“, ergänzte sie tonlos.
„Weißt
du, wie egal mir das ist?“, fuhr er sie an. Er atmete heftiger als vorher. Ihre
Augen verengten sich.
„Es ist dir egal?“, wiederholte sie gefährlich nahe am Explodieren.
„Sicher!
Es ist mir scheiß egal! Ich habe das verdammte Recht jeden auf dieser gottverfluchten
Welt für mich warten zu lassen, wenn es das ist, wonach mir ist, Granger! Ich
bin krank. Ich sterbe. Und weißt du was? Zum ersten Mal ist es ein verdammt
gutes Gefühl!“ Sie schnappte entrüstet nach Luft. „Das erste Mal kann ich
sagen, was ich denke, und du kannst absolut nichts dagegen tun!“ Sie starrte
ihn an, aber er war noch nicht fertig. „Wenn du mich nicht willst, dann
interessiert es mich einen Scheißdreck, wie viele Menschen da unten warten!“
„Du bist
unglaublich, Malfoy“, gab sie gepresst zurück.
„Vielen
Dank, Granger“, erwiderte er selbstgerecht.
„Das meinte ich nicht positiv!“, korrigierte sie ihn wütend.
„Das ist
mir scheiß egal!“, setzte er noch einen drauf und wieder nahm ihr Ausdruck
etwas Gefährliches an. Dann schien sie sich zu sammeln, schluckte wohl all
ihren Ärger runter und streckte den Rücken gerade durch.
„Draco Malfoy, ich werde mich nicht mit dir streiten. Kingsley wartet unten
darauf, dass er uns trauen kann. Meine Eltern und deine Eltern verstehen sich überhaupt nicht, und ich möchte nicht
riskieren, dass unten ein Familienstreit ausbricht!“, informierte sie ihn
gepresst. „Du wirst mit mir nach unten kommen, und du wirst mich heute
heiraten, denn mein Bauch wird immer größer, und es ist schon schlimm genug,
dass ich so fett bin, dass ich nicht mehr in mein perfektes Kleid passe – was
letzte Woche noch hervorragend gepasst hat!“, knurrte sie praktisch. „Und wenn
du mich in einigen Monaten verlassen musst, weil es die Krankheit nicht
einrichten kann, dann werde ich mich damit abfinden, aber heute…!“ Sie machte
eine entscheidende Pause und deutete mit drohendem Zeigefinger auf ihn. „Heute
ist mein Tag! Mein verdammter Tag! Der schönste Tag in meinem Leben! Und ich
werde ihn mir nicht durch meine Mutter, deine Mutter oder deinen bevorstehenden
Tod verderben lassen, hast du mich verstanden?“, endete sie heiser, mit
zitternder Stimme.
Und die
nächste Träne fiel völlig stumm auf ihre Wange. Ihr wunderschönes Gesicht.
Abwartend sah sie ihn an, die Augen groß, so groß, dass er Gefahr laufen
konnte, sich darin zu verlieren. Ihr Mund öffnete sich, aber schüttelte
lediglich den Kopf und schloss den Abstand.
Genug. Es
war genug.
Seine
Hand schlang sich um ihren Nacken, und er brachte sie so nah an sich, wie es
mit dem Babybauch eben möglich war. Sein Mund verschloss ihren mit einer
unerträglichen Lust und Leichtigkeit, dass er stöhnen musste, als sie sich
ergab und ihre Lippen für ihn öffnete. Seine Zunge glitt zwischen ihre süßen
Lippen. Und er wollte sie nicht verlassen! Er wollte nicht. Aber er musste. Er
wusste das.
Seine
Hände hatten den Verschluss des Kleides gefunden. Erschrocken wich sie zurück.
„Draco!“,
entfuhr es ihr heiser. „Die… die Gäste…“ Sie unterbrach sich selbst, als sie in
sein Gesicht sah. Hunger trat in ihre Augen und fast musste er grinsen, denn er
konnte ihre Gedanken sofort erraten. Er zog sie mit zum Kinderbett, und es war
egal, dass es zu klein war. Es war ein verdammtes Bett. Schon hatte er sie
umgedreht, so dass sie mit dem Rücken zu ihm stand, hatte ihr Kleid geöffnet
und streifte es verlangend ihr Schultern hinab.
„Hab ich
dir gesagt, wie unglaublich sexy ich dich heute finde?“, raunte er in ihren
Nacken, so dass er sehen konnte, wie sie eine Gänsehaut bekam, als sich die
feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten.
„Halt die
Klappe, Malfoy!“, entfuhr es ihr gepresst, mit so unterdrücktem Verlangen, dass
er sie knurrend zu sich herum drehte und erneut ihren Mund verschlingen musste.
Er wusste nicht, woran es lag, aber Sex nach einem Streit war der beste Sex,
den er sich mit ihr vorstellen konnte. Fast musste er wieder grinsen bei diesen
Gedanken. Grob hatten ihre Hände in seine Haare gegriffen, pressten ihn enger
an sich, und er liebte dieses Gefühl.
Er hatte den
Arm um sie gelegt und hielt ihr Gewicht als er sie runter auf die Matratze
presste. Auch wenn er sie oft neckte und sagte, sie wäre dick geworden, hatte
sie an Gewicht nicht viel zugenommen, stellte er immer wieder fest, wenn er sie
hielt.
Er liebte
ihren Babybauch. Er liebte sie, ging
ihm immer wieder auf. Kurz verharrte er über ihr. Sie sah hinauf in sein
Gesicht, und er könnte auch jetzt sterben und würde nichts vermissen. Gar
nichts!
Seine
Hände schoben den Saum ihres Kleides ungeduldig höher, während sie ebenso
ungeduldig seinen Reißverschluss öffnete. Sie schien ihn nicht schnell genug
spüren zu können, und nur zu gerne gab er ihr, was sie brauchte. Ihr Kopf flog
zurück, als er um ihre Hüften griff, um sich bis zum Anschlag in sie stoßen zu
können.
Unterdrückt
stöhnte sie auf, konnte sich kaum beherrschen, und er wollte gar nicht, dass
sie es tat. Er liebte es, wenn sie schrie. Am besten seinen Namen.
Wieder
stieß er in sie, stützte sich auf den Handflächen auf, um noch kraftvoller,
noch tiefer in sie zu stoßen, und er erlaubte sich erst zu kommen, als er sich
sicher war, dass er sie über die Klippe geschickt hatte. Sie war unter ihm
erzittert, und er konnte nicht länger aushalten. Ihre Enge war für ihn immer
noch schwer zu verdauen, und er dachte an ihr erstes gemeinsames Mal. Er
erinnerte sich noch, dass er damals geglaubt hatte zu sterben und im Himmel
angekommen zu sein.
So
perfekt war es gewesen. So perfekt war es jedes Mal.
Er brach
stöhnend auf ihr zusammen, musste erst zu Atem kommen und ließ sich von ihr
durch die Haare fahren. Liebevoll, fast abwesend. Sein Kopf ruhte in ihrer
Halsbeuge, und erst als die Punkte vor seinen Augen langsam wieder verschwunden
waren, hob er den Kopf, um sie anzusehen.
Sie
weinte nicht mehr. Das war ein Vorteil.
„Ich… ich
werde dich so sehr vermissen“, flüsterte sie plötzlich, aber er schüttelte kurz
den Kopf.
„Nicht.
Nicht verabschieden, Hermine. Nicht jetzt“, befahl er still. Sie nickte stumm.
„Es ist noch nicht soweit“, ergänzte er. „Ich sage dir, wann“, schloss er,
entfernte sich aus ihr und verschloss seine Hose als er aufstand.
Sie
setzte sich auf und richtete ihr Kleid.
„Wollen
Sie mich jetzt heiraten, Miss Granger?“, bot er ihr einigermaßen außer Atem an,
während er ihr den Arm reichte. Mit einem Kopfschütteln und einem ungläubigen
Lächeln erhob sie sich.
„Gerne,
Mr Malfoy.“
„Hermine
Granger, möchten Sie den hier anwesenden Draco Malfoy lieben und ehren, in
guten wie in schlechten Zeiten, bis das der Tod euch scheide?“, erkundigte sich
Kingsley mit einem Lächeln nun auch bei ihr, nachdem Draco diese Frage schon
bejaht hatte.
Eine
leichte Röte zierte ihre Wangen, die Ron bereits entsprechend kommentiert
hatte, als sie und Draco aus dem neuen Kinderzimmer nach unten gekommen waren. Ihre
Mutter hatte beleidigt am Buffet mit einem Glas Wein gestanden, während ihr
Vater dabei gewesen war einem stirnrunzelnden Lucius Malfoy Canasta
beizubringen.
Endlich
war es soweit.
Bis dass
der Tod sie scheiden würde…. Hermines Ausdruck wurde ernster. Sie sah Draco an,
der fast spöttisch auf sie hinab blickte.
„Ja, ich
will“, erklärte sie also lächelnd.
„Wunderbar.
Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau“, schloss Kingsley mit erhobenen
Händen. „Mr Malfoy, Sie dürfen Mrs Malfoy jetzt küssen“, fügte er zwinkernd
hinzu. Draco musste grinsen bei diesen Worten.
„Keine
Angst, ich beiße nicht, Mrs Malfoy“, benutzte er den Namen zum ersten Mal, als
er sich näher zu ihr lehnte.
„Ich
liebe dich“, flüsterte sie so leise, dass nur er es hören konnte. Er lächelte
gegen ihre Lippen, als er sie endlich küsste. Sie hörte den Applaus der Gäste
als sie die Augen schloss, auch wenn sie sich sicher war, dass ihre Mutter nur
halbherzig klatschte. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken, und er
vertiefte den Kuss gerade so lange, dass es noch angemessen war, ehe er sich
wieder aufrecht hinstellte.
Sie
wandten sich den Gästen zu. „Lasst uns feiern!“, beschloss er laut, und Harry
und Ron stimmten diesem Vorschlag pfeifend zu.
Ginny
umarmte sie heftig, während Blaise und Lucius Draco gratulierten.
„Wo wart
ihr solange?“, erkundigte sich Ginny mit einem eindeutigen Blick.
„Ach…
nirgendwo“, wich Hermine Ginny aus.
„Aha“,
entgegnete Ginny. „Ihr seid unmöglich. Jetzt, wo das Gift ihn nicht mehr hemmt,
macht ihr wohl gar keine Pause, hm?“, bemerkte sie spitz, und Hermine merkte
ihr falsches Lächeln wollte nicht so recht sitzen. Und sie hatte gar keine
Lust, zu lächeln.
„Ginny…“,
begann sie also, und Ginnys Ausdruck wurde ernster.
„Was?“, flüsterte sie fast, als wäre es ein Tabu-Thema. Etwas Böses, worüber
man nicht sprach. Und Hermine spürte, wie sie etwas Wichtiges tat. Wie sich
etwas Wichtiges in ihr regte. Wie sie es endlich akzeptierte.
„Es hat
nicht geklappt“, erwiderte sie fest. „Draco wird sterben.“
Ginnys
Mund hatte sich geöffnet. „Aber… aber das – oh mein Gott, Hermine!“, entfuhr es
Ginny voller Mitgefühl.
„Wir… wir werden damit fertig werden“, versprach Hermine mit fester Stimme.
„Wir müssen. Und jetzt… möchte ich feiern“, schloss sie und lächelte wieder,
während Ginny den Tränen sehr, sehr nahe stand.
„Geh zu deinem Mann“, flüsterte Ginny mit glasigen Augen. Und das tat Hermine.
Draco
bückte sich gerade um den gelangweilten Hund zu streicheln.
„Na? Hast
du Spaß?“, neckte er den Hund, und Hermine bückte sich ebenfalls, um Rufus
hinter den Ohren zu kraulen.
„Und? Wie
ist es so verheiratet zu sein?“, wollte sie von ihm wissen. Kurz schien er zu
überlegen.
„Kann mir
nichts besseres vorstellen“, erwiderte er schließlich. „Dein Vater hat mir
gerade erklärt, dass ich mit dir den ersten Tanz tanzen muss. Am besten bringen
wir das hinter uns.“ Hermine sah ihn mit erhobener Braue an.
„Kannst
du nicht tanzen?“, fragte sie belustigt, aber er schenkte ihr ein schiefes,
überhebliches Grinsen.
„Ich
tanze wie ein junger Gott, Granger. Ich nehme an, du bist diejenige, die keine
gute Figur machen wird.“ Sie stieß ihn in die Seite. Aber sie liebte es, wie er
sie immer noch bei ihrem alten Nachnamen nannte.
„Das
werden wir sehen, Malfoy“, erwiderte sie und nahm die Herausforderung an.
~*~
Es war
schon spät, als sich ihre Eltern verabschiedet hatten. Harry, Ron, Ginny und
Draco spielten die zehnte Runde Canasta und Rufus schnarchte zu Dracos Füßen.
Ja, er war auch nicht mehr der draufgängerische Welpe – der er niemals gewesen
war, dachte Hermine belustigt.
„Wer
hätte gedacht, dass auf meiner Hochzeit Canasta gespielt wird“, bemerkte sie
kopfschüttelnd. Dean und Blaise hatten sich vor einer Stunde verabschiedet, und
sie hatte es ihnen nicht übel genommen. Sie war selber kein Canasta-Fan.
„Liebling,
ich gewinne“, informierte sie Draco.
„Ich
hatte gedacht, wir… würden vielleicht gerne… unter uns sein?“, versuchte sie
es, so wenig subtil wie möglich auszudrücken. Ron hob kauend den Blick.
„Das wart ihr doch schon vor der Trauung ausführlich genug, oder nicht?“,
wollte er mit erhobenen Augenbrauen von ihr wissen, und tatsächlich konnte sie
nicht verhindern rot zu werden.
„Ron!“, entfuhr es ihr aufgebracht. „Meine Güte, ich dachte nur-“ Sie deutete um
sich. Die Veranda lag im Dunkeln, aber die aufgestellten Heizpilze und Laternen
brannten noch immer warm und freundlich. Es war ein schöner Sommerabend, eine
laue Sommernacht.
„Setz dich, Liebes. Du darfst in mein Team kommen. Malfoys halten zusammen“,
informierte ihr Mann sie nickend.
„Hermine
ist jetzt eine Malfoy“, fiel Harry stirnrunzelnd auf.
„Furchtbar“, erwiderte Ron unbeeindruckt, während er die Karten auf seiner Hand
neu sortierte.
„Hm, da
habe ich noch gar nicht ausführlich drüber nachgedacht“, räumte Ginny besorgt
ein. „Hermine Malfoy“, sagte sie zweifelnd und schüttelte stirnrunzelnd den
Kopf, während sie ein Canasta schloss. „Ha! Nimm das!“, bedeutete sie ihrem
Bruder lächelnd.
„Mir
gefällt es“, behauptete Hermine, aber hatte sich selber noch überhaupt nicht an
die Idee gewöhnt, ihren Nachnamen aufgegeben zu haben.
„Hermine?“,
sagte Draco schließlich, während er nachdenklich sein gutes Blatt studierte.
„Ja?“,
wollte sie lächelnd wissen, als sie sich erschöpft auf seinen Schoß setzte und
er einen Arm um sie legte.
„Kennst
du die Schildkrötenbucht?“, wollte er im Plauderton von ihr wissen, während er
seine letzten Karten auf den Tisch warf und das Spiel beendete.
„Schildkrötenbucht?“,
wiederholte sie langsam.
„La Baie
des Tortues“, übersetzte er auf Französisch, und sie fixierte ihn kurz.
„Du
meinst Neukaledonien?“, vergewisserte sie sich, und er nickte, anscheinend
zufrieden, dass sie wusste, von was er sprach.
„Würdest du es zwei Wochen an einem weißen Sandstrand an der Küste aushalten?“,
erkundigte er sich beiläufig, und ihre Augen wurden groß.
„Was hast
du gemacht?“, entfuhr es ihr sofort.
„Ich habe
deinen Urlaub eingereicht“, erwiderte er achselzuckend. „Ich denke, es gehört
sich, dass das Brautpaar in die Flitterwochen fährt, findest du nicht?“ Sie sah
ihn an.
„Oh, ich
würde es lieben dort hinzufahren!“, rief Ginny neidisch aus. Hermine und Harry
tauschten einen Blick. Harry hasste Urlaub, ähnlich wie Hermine es tat. Sie
liebte London, aber ganz bestimmt würde sie einem geschenkten Gaul nicht ins
Maul gucken.
„Ok,
wenn… du willst?“, sagte Hermine schließlich, und konnte sich fast nicht
vorstellen, mit Draco Malfoy in Urlaub zu fahren.
„Ok“,
erwiderte er lächelnd. „Pack am besten deine Tasche, denn wir reisen morgen ab“,
fuhr er fort.
„Morgen?“, entfuhr es ihr schockiert. Er nickte nur. „Was ist mit Rufus?“ Sie
deutete auf den schlafenden Hund zu ihren Füßen.
„Wir
nehmen Rufus gerne. James freut sich“, bemerkte Ginny achselzuckend, und Harry
kraulte den schlafenden Hund liebevoll.
„Ja, kein
Problem“, bestätigte auch er.
„Ähm,
tja…“, wandte Hermine sich an die anderen, „dann fühlt euch jetzt offiziell
rausgeworfen, denn Draco und ich müssen packen“, erklärte sie streng. Harry
streckte sich gähnend, und auch Ron schien müde zu sein.
„Schreibt uns eine Karte“, sagte Ron knapp und erhob sich ächzend. „Man wird
alt…“, ergänzte er und streckte sich schließlich. „War eine gute Hochzeit“,
ergänzte er, und er tat sich einigermaßen schwer, Draco ins Gesicht zu blicken,
stellte Hermine fest.
„Danke,
dass ihr hier wart“, erwiderte Draco in die Runde und erhob sich ebenfalls.
„Mrs Malfoy?“ Er deutete zurück ins Haus.
„Mr Malfoy“, entgegnete sie mit einem schiefen Lächeln, und ihre Freunde gingen
durch den Garten nach vorne.
„Viel Spaß euch!“, rief Ginny ihr noch zu. Harry zog Rufus am Halsband mit in
die Dunkelheit. Hermine hoffte, Rufus würde keine Probleme beim Apparieren
machen, denn er hasste nichts mehr als das, aber das war jetzt Harrys und
Ginnys Problem.
Etwas
ratlos folgte sie Draco ins Haus.
„Dann…
sind wir jetzt verheiratet und fahren in die Flitterwochen?“, vergewisserte sie
sich ungläubig, und er schien kurz zu überlegen.
„Scheint
so“, bestätigte er und wirkte sehr zufrieden. „Ich… liebe dich“, fügte er
stiller hinzu.
„Danke,
dass du mich geheiratet hast, Hermine.“ Und Hermine wusste nicht warum, aber
sie hatte schon wieder das Bedürfnis loszuheulen. Aber sie beherrschte sich und
lächelte stattdessen.
„Gern
geschehen. Ich liebe dich auch“, erwiderte sie also und streckte ihre Hand aus.
„Wir können morgen packen“, erklärte sie gelassen. „Ich glaube, in der
Hochzeitsnacht macht man etwas anderes…“, erklärte sie mit einem so offenen
Lächeln, dass er eine Augenbraue hob.
„Zweimal
an einem Tag? Das nenne ich eine gute Quote“, sagte er und folgte ihr sofort.
Sie konnte ihr Grinsen nicht mehr verbergen. Sie liebte ihn mehr, als es
möglich war, überlegte sie fast verzweifelt.
~*~
~
Sechs Monate später…~
Sie hatte
beschlossen, jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte Tag, den sie mit ihm
verbringen würde. Sie hatte beschlossen, jede Sekunde auszukosten.
Und es
war, wie es wohl immer war, wenn man sich fest vornahm, etwas wertzuschätzen
und es so lange wie möglich hinauszuzögern.
Die Zeit
schien unaufhaltsam schneller zu laufen.
So wie
sie sich geschworen hatte, sich das Gefühl des weißen Sandes unter ihren Füßen
einzuprägen und niemals zu vergessen, blieb jetzt nur noch als Beweis ihrer
Flitterwochen ein Einmachglas des weißen Sandes auf dem Kaminsims übrig.
Sie hatte
nicht einen einzigen Moment vergessen wollen, in dem sie sich innig geliebt
hatten, indem er sie so glücklich machte, wie niemand sonst. Sie hatte sich
jedes Mal aufgeschrieben, wann er eine Blüte verloren hatte, so dass sie
vielleicht ein Muster erkennen konnte, aber es gab kein Muster. Es war
vollkommen willkürlich. Manchmal geschah es nach einem Monat, manchmal nach
drei.
Sie hatte
auch geglaubt, niemals die Schmerzen der Geburt überwinden zu können und
niemals zu vergessen, wie er sie angesehen hatte, als er seinen Sohn das erste
Mal in seinen Armen gehalten hatte. Aber ihre Erinnerungen glichen immer mehr
einem Sieb, und sie glaubte, bereits viel zu viel vergessen zu haben.
Und sie
wusste nicht, wo die Zeit geblieben war, die sie doch so kostbar und wertvoll
geschätzt hatte und hatte aufhalten wollen. Der Herbst war gekommen und
gegangen.
Die Bäume
hatten all ihr Laub verloren und Winter zog ein wie ein Freund, der länger
abwesend gewesen war.
Sie
betrat das Wohnzimmer. Es lag voller Spielzeug. Draco hatte vor einigen Tagen
aufgehört zu arbeiten. Er blieb nun zuhause bei Scorpius, während sie wieder
arbeiten ging.
Dean
hatte ihn heute schon geheilt, aber er saß dennoch im Sessel, als hätte er
Schmerzen. Nachdenklich war sein Blick in die Ferne auf die Bäume gerichtet,
die sich im Wind wogen. Sie waren kahl. Schwarz standen sie in der Ferne.
Sie kam
näher, ohne dass er sie zu bemerken schien. Und es war ausgerechnet diesen
Herbst passiert, dass Rufus krank geworden war.
„Draco?“,
sagte sie behutsam, und nach einer Sekunde riss er den Blick von den Bäumen.
„Bald ist
Frühling“, sagte er schließlich zuversichtlich, während Scorpius ruhig in
seinen Armen schlief. Er sagte die Worte so voller Wehmut, als wäre es der
letzte Frühling auf der Welt, aber das würde sie nicht zulassen. Sie ignorierte
seine traurigen Worte, denn sonst wäre sie nicht in der Lage, zu sprechen.
„Draco,
der Tier-Heiler war hier“, sagte sie, bemüht um Ruhe in ihrer Stimme.
„Und?“,
erwiderte er, ohne den Blick zu wenden. Sie wusste, sie hatten beide mit einer
Hundegrippe gerechnet, mit nichts weiter von Bedeutung. Einer Magenverstimmung,
einer Winterdepression – mit irgendetwas, was nicht wichtig war. Ihre Kehle war
trocken als sie sprach.
„Er… er
hat einen Tumor“, sagte sie heiser. „Mehrere. Mehrere Tumore“, verbesserte sie
sich wahrheitsgemäß. Seine grauen Augen wirkten heller als sonst, als er den
Blick überrascht gehoben hatte. Immer wieder versuchte sie sich ins Gedächtnis
zu rufen, wie er vor zwei Monaten ausgesehen hatte – oder vor vier. Und sie
wusste, er musste mittlerweile anders aussehen. Hatte er immer die Ringe um
seine Augen gehabt? Hatte er schon letzten Monat müde ausgesehen? Sie erinnerte
sich nicht mehr. Und sie wollte diese schlechten Neuigkeiten genauso wenig
wahrhaben wie er. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen.
„Ist… ist
es behandelbar?“, fragte er besorgt und stumme Panik war in seinen Blick
getreten.
„Er… - es
ist kein gutartiger Tumor, also…“
„Also
nicht?“, wollte er zornig wissen, aber er hielt die Stimme gesenkt.
„Man… nennt es Mastzelltumor und bei den meisten Hunden ist er… bösartig. Und
wäre er nur oberflächlich auf der Haut, dann…. - Aber bei Rufus…“ Sie atmete
aus, denn es fiel ihr so schwer darüber zu sprechen. So unsagbar schwer.
Draco
wandte den Blick abwesend wieder aus dem Fenster.
„Verdammt“,
murmelte er wütend. „Verdammte Scheiße!“
„Ich
glaube nicht, dass wir… dem Hund eine solche Behandlung antun sollten“, sagte
sie behutsam, ohne ihn anzusehen. „Er… isst nicht mehr, erbricht sich zu häufig
und hat Teerstuhl. Es sind… einfach zu viele Geschwüre, sagt der Heiler“,
flüsterte sie, während die Tränen auf ihre Wangen fielen.
Er erhob
sich ohne Schmerzen, aber so vorsichtig als könnten sie beim leisesten Geräusch
wiederkommen, und er sah sie an. Er hatte ihren Sohn auf seinen Armen. Scorpius
schlief selenruhig, so tief und fest, als könne ihn nichts stören.
Er löste einen Arm von Scorpius‘ kleinem Körper und sie sank in seine Umarmung.
Sie hörte, wie er tief seufzte.
„Gut,
dann…“ Er schien selber nicht zu wissen, was er sagen sollte. „Was dann?“,
fragte er plötzlich, fast hilflos, aber er weinte nicht.
„Ich… -
der Heiler hat mir einen Trank gegeben“, erklärte sie tonlos.
„Zur
Beruhigung?“, wollte Draco von ihr wissen, aber Hermine atmete langsam aus.
„Nein“,
erwiderte sie ruhig. „Es… es besteht die Möglichkeit, dass…“ Sie war Heilerin.
Und diese Gespräche zu führen war für sie fast natürlich. Sie wollte nicht
behaupten, dass sie sich wie ein Fisch im Wasser fühlte, aber schon so oft
hatte sie Menschen so viele schlechte Nachrichten bringen müssen. Aber… dieses
Mal. Es war vollkommen anders. Es ging um ihren Hund! Und sie wusste, sie
musste die Kraft für ihren sterbenden Ehemann aufbringen. Aber jetzt auch noch
das? Und sie wusste, weder Draco noch Rufus ließen sie mit Absicht im Stich,
aber… sie wollte es nicht.
Sie
wollte so nicht denken! Nicht denken müssen! Denn es war ungerecht, das war
alles, was es war!
„Was?“,
fragte er schließlich, während sein Arm immer noch warm um ihren Rücken lag.
„Sein
Darm könnte brechen“, flüsterte sie. „Es… es tut ihm weh, Draco. Er hat…
unfassbare Schmerzen, die er sich nicht wird erklären können und die nicht
behandelbar sind“, schloss sie mit brüchiger Stimme. Und Draco nickte schroff,
brachte sie näher an sich und sie schloss die Augen an seiner Brust.
„Wie
konnte das nur passieren?“, flüsterte er fassungslos.
„So etwas… passiert eben“, sagte sie tonlos. Und sie weinte immer mehr Tränen
an seiner Brust.
„Er… er
sollte hier liegen. Hier ist das wärmste Zimmer. Und das schönste“, ergänzte er
abwesend, ließ sie los und gab ihr Scorpius vorsichtig zurück.“ Unglücklich
drückte sie ihren Sohn sanft an sich, küsste seine kleine Stirn und betrachtete
mit glasigem Blick die feinen blonden Locken die sich langsam auf seinem Kopf
zu kräuseln begannen.
„Mein
wunderschöner Junge“, flüsterte sie ihrem schlafenden Kind zu. „Unser Hund muss
sterben.“ Ihre Hände zitterten beinahe.
Draco war
zurückgekommen und das Bild, was sich ihr bot, war herzzerreißend, denn er trug
Rufus auf dem Arm. Ihren riesenhaften Hund, der seit einigen Tagen nicht mehr
laufen wollte. Draco legte ihn auf das Fell vor dem großen Kamin. Träge
blinzelte Rufus, hechelte müde und sein Schwanz hob sich kaum noch, wenn er
wedelte. Draco nahm Hermine Scorpius ab und legte ihn in die Wiege neben dem
Fenster.
Sie
hatten zwei, denn dieses Zimmer war ihr Hauptaufenthaltsort. Scorpius schlief
immer noch ruhig. Hermine ging vor Rufus auf die Knie und legte seinen Kopf
sanft auf ihren Schoß. Rufus schien sich wohl zu fühlen, denn er schloss müde
die Augen.
„Na, mein
Braver?“, flüsterte sie erstickt und wusste eines sofort. Sie hob den
tränenschweren Blick. „Draco, ich kann das nicht!“, entfuhr es ihr
kopfschüttelnd, fast panisch. „Ich… ich kann doch meinem Hund keinen Trank des
ewigen Schlafs verabreichen!“ Sie flüsterte, denn sie hatte Angst, dass Rufus
sie verstehen konnte.
Auch
Draco kniete sich neben sie und streichelte das weiche Fell des Tieres. Rufus
war so dünn geworden. Er lag die meiste Zeit über. Er machte kaum ein Geräusch
mehr, und Hermines Herz brach jedes Mal, wenn sie daran dachte, was für ein
fröhlicher Hund es einst gewesen war. Er war viel zu jung! Alle waren immer
viel zu jung, wenn so etwas passiert, dachte sie verzweifelt!
Es konnte
nicht sein.
„Hermine“,
begann Draco langsam, „wenn er sich quält, dann… - wir wollen nicht, dass du
dich quälst, Junge“, wandte sich Draco an Rufus, der in langen Atemzügen ausatmete.
„Ich kann
nicht“, widersprach sie, immer noch kopfschüttelnd.
„Ich bin
froh, dass ich kein Hund bin“, merkte Draco ernst an, und sie hob erschüttert
den Kopf.
„Wie
kannst du so was sagen? Wie kannst du das vergleichen?!“, fuhr sie ihn entsetzt
an.
„Hermine!“,
sagte er mit Nachdruck. „Wir haben doch schon drüber gesprochen“, fuhr er ernst
fort. „Rufus ist seit Wochen krank. Wenn es nicht anders geht-“
„-ich
kann es aber nicht“, sagte sie haltlos. „Wir haben nicht ernsthaft darüber gesprochen!
Wir haben es nicht ernst gemeint! Ich kann nicht jeden verlieren!“, entfuhr es
ihr zitternd.
„Das tust
du nicht“, beruhigte er sie. Sie warf ihm einen entsprechenden Blick zu. Und er
sagte nichts darauf. Es war nicht fair! Sie biss sich verzweifelt auf die
Unterlippe.
„Rufus
liebt uns, Hermine. Und deshalb sind wir es ihm schuldig, dass er keine
Schmerzen mehr hat, wenn er sie nicht haben muss“, erklärte er vollkommen
ruhig.
Sie
nickte nach einer ganzen Weile.
„Dann
will ich aber nicht dabei sein“, erwiderte sie kopfschüttelnd. Draco sah sie
mitleidvoll an.
„Das
meinst du nicht so“, bemerkte er sanft.
„Doch! Doch, das meine ich genauso so“, flüsterte sie, legte Rufus‘ Kopf zur
Seite und erhob sich lautlos. Sie verließ das Wohnzimmer, während Draco
zurückblieb.
~*~
Es war
dunkel, als es klingelte. Sie öffnete die Tür, die Augen rotgeweint und sah Ron
entgegen, der nicht minder aufgewühlt wirkte.
„Wie kann
man eine Trauerfeier für einen lebenden Hund veranstalten?“, wollte er
schniefend und schluchzend wissen.
„Kommt
rein“, sagte Hermine verweint, und Ron, Harry und Ginny kamen betreten ins
Haus.
Hermine
putzte sich wieder die Nase. „Danke, dass ihr gekommen seid“, murmelte sie. Sie
fand es morbide genug. Es war einfach nur furchtbar.
„Es ist richtig so“, sagte Ginny schließlich, die nicht minder verheult aussah.
„Wo ist er?“, ergänzte sie drängend.
„Im
großen Wohnzimmer“, sagte Hermine heiser. Die vier gingen langsam ins
Wohnzimmer, wo Rufus immer noch auf der Decke vor dem Kamin lag. Ruhig und
friedlich. Ron schniefte lauter.
„Oh, das ist wirklich schön. Dass er hier… liegen kann…“ Ron war vollkommen
aufgelöst und weinte mittlerweile so heftig, dass er sich geräuschvoll in sein
Taschentuch schnäuzen musste.
„Der Tod
ist nichts Schlimmes“, bemerkte Draco hinter ihnen als er ins Zimmer kam,
Rufus‘ Wasserschüssel in den Händen. „Die Schmerzen sind schlimm, der Tod
selber ist eine Erlösung“, fuhr er fort, als er sich neben Rufus kniete.
„Oh, du bist einfach ein Scheusal, Draco Malfoy!“, fuhr Hermine ihn an und
weinte nur noch mehr. Er erhob sich wieder, um sie in den Arm zu nehmen.
„Es tut
mir so leid, Liebes“, sagte er, und sie wusste, er entschuldigte sich dafür,
dass auch er würde sterben müssen. Sie wusste nicht, wie sie überhaupt noch stehen
konnte! Wie es überhaupt noch möglich war!
„Ich
hasse dich“, flüsterte sie so leise, dass nur er es hören konnte, während sie
heiße Tränen gegen seinen Hals weinte.
„Ich
weiß, Baby“, murmelte er lächelnd. Sie wollte ihn gar nicht mehr loslassen. „Ich
habe den Trank in den Napf gefüllt, damit ihr Bescheid wisst“, kündigte er
jetzt für alle an. Sofort richteten sich alle Blicke bestürzt auf den Napf und
Ron kauerte sich zu Boden, um ihn schützend vor Rufus fernzuhalten.
„Das ist
doch…! Nein! Ihn direkt vergiften? Unseren ahnungslosen lieben, treuen Hund?“,
fuhr er Draco zornig an und wischte sich über die roten Wangen.
„Ron“,
sagte Ginny streng, „sieh ihn dir doch an! Hermine sagt, der Heiler hat über
zwölf Geschwüre entdeckt! Möchtest du gerne so leben?“, fuhr sie ihn an, aber
Ron hielt die Schüssel stur in den Händen.
„Das ist
nicht gerecht. Hey, Rufus!“, sagte er jetzt, betont munter, und Rufus schlug
die Augen auf. Er hob hechelnd den Kopf, als er den Besuch wohl erkannte. Und
Hermine zerriss innerlich als sie sah, wie ihr Hund versuchte, aufzustehen,
versuchte, Ron zu begrüßen, und Ron biss sich so fest auf die Lippe, aber er
musste trotzdem weinen. „Oh, mein Armer! Schon gut, ich komm zu dir“, murmelte
Ron, und auch er nahm Rufus‘ Kopf behutsam in die Hände. Rufus wedelte sanft
mit dem Schwanz, als Ron ihn ausgiebig streichelte.
„Na
schön“, brachte Ron unwillig über die Lippen. „Was für ein armer, armer Hund.
So lieb!“, flüsterte er.
„Oh, hör schon auf!“, beschwerte sich Ginny, die mittlerweile auch nicht mehr
die Tapfere markieren konnte und sich neben Ron setzte und Rufus zu kraulen
begann.
Draco und
Hermine betrachteten ihre weinenden Freunde.
„Ich kann
ihm helfen“, sagte Harry schließlich mit schwerer Stimme. „Ich weiß, ihm wird
es besser gehen. Danach“, schloss er nickend. Hermine hielt sich immer noch an
Draco fest. „Habt ihr ein Loch im Garten ausgehoben?“, fragte Harry plötzlich.
Hermines Mund öffnete sich schockiert.
„Harry!
Nein! Und das ist nicht erlaubt!“, entfuhr es ihr zischend, denn sie wollte
nicht, dass Rufus es auch noch mitbekam, auch wenn er ihre Sprache nicht
verstand.
„Ich
bitte dich, Hermine! Dein Garten ist endlos groß, und Rufus würde es sich
wünschen“, sagte er ernsthaft. Hermine wollte darüber nicht nachdenken.
„Unter
dem Apfelbaum wäre es doch schön“, bemerkte er schließlich.
„Du bist
herzlos, Harry!“, fuhr Ron ihn jetzt schniefend an.
„Ron,
Rufus ist zwölf Jahre alt. Das ist alt. Und er ist krank und hat Schmerzen. Und
weil du selbstsüchtig bist, soll er noch weiter leiden?“, entgegnete Harry mit
erhobenen Augenbrauen, während Ron daraufhin wortlos schniefte.
Ja, Rufus
war kein Welpe mehr. Hermine wusste, Tiere konnten überraschend krank werden.
Und sie wusste, irgendwann starb jedes Haustier, aber sie hätte Rufus noch
gerne zehn weitere Jahre behalten. Sie würde ihn auch jetzt pflegen und es
würde ihm an nichts fehlen, aber sie wusste, immerhin hatten Tiere die Chance,
zu gehen, wenn es noch würdevoll genug für sie war. Und sie wusste auch, Rufus
würde bestimmt vorziehen einzuschlafen, als schließlich irgendwann vor
Schmerzen zusammenzubrechen.
Wieder
spürte sie die Tränen.
„Ich
kümmer mich um das Grab“, entschied sich Harry schließlich und öffnete die
Verandatür, um nach draußen zu treten.
„Er sich
schon um Dobbys Grab gekümmert“, bemerkte Ron schließlich. „Harry ist…“
„…vernünftig“,
bemerkte Draco nickend. Ron sah ihn schockiert an. Aber dann schien sich auch
Ron wieder daran zu erinnern, dass das größte Problem wohl nicht der Hund im
Zimmer war. Er wirkte wieder trauriger.
„Ach, das ist doch alles scheiße“, fasste er es gut zusammen, wie Hermine fand.
Alle
waren kurz still. Hermine löste sich seufzend von Draco um sich vor Rufus zu
knien. Er hob träge und zitternd den Kopf und kam auf die Beine. Und Hermine
verdrängte die Tränen, so gut es ging, aber als ihr braver Hund zitternd und
dünn vor ihr stand, weil er so gerne zu ihr kommen wollte, brach ihr Herz.
„Mein
Guter“, murmelte sie und legte ihre Arme um den Hund. „Ist schon gut“,
flüsterte sie, hob ihn mit Kraft an und legte ihn wieder auf die Decke. Sein
Schwanz wedelte müde, als sich Draco neben sie kniete.
„Er hat
es hier sehr gut gehabt“, sagte er ruhig, während er Rufus’ Körper ausgiebig
streichelte. „So viele Freunde sind hier, mein Alter“, fuhr fort, während Rufus
die Streicheleinheiten zu genießen schien. Ron bedeckte anschließend Rufus fast
mit seinem gesamten Körper, als er ihn umarmte. Und fast fünf Minuten flüsterte
er ihrem Hund etwas ins Ohr, was Hermine nicht verstehen konnte. Ginny küsste
Rufus auf die glatte, weiche Stirn und weinte vollkommen stumm.
Harry kam
wieder rein und klopfte sich die Hände ab.
„Ok“,
sagte er nur. Dann kniete auch er sich vor dem Hund nieder. „Du musst keine
Angst haben, ok?“, sagte er und tätschelte liebevoll Rufus‘ Kopf. Und Draco hob
schließlich Rufus‘ Kopf an und hielt die Schüssel direkt unter seine Schnauze.
Träge schleckte ihr Hund das Wasser, und als wüsste er, dass es wichtig war,
trank er die gesamte Schüssel leer.
Und
Hermine sah, wie eine Träne über Dracos Wange rollte. Nur die eine, während er
Rufus weiterhin hielt, ihn streichelte und anschließend seinen Kopf sanft
zurück auf das weiche Fell legte.
Rufus‘
Brustkorb hob und senkte sich langsam, während er ruhig hechelte.
Die fünf
saßen um den Hund, streichelten wortlos sein schönes Fell, und Hermine weinte
weiter, und sie glaubte nicht, dass sie jemals würde aufhören können.
„Du bist
der beste Hund der Welt“, flüsterte Ron vollkommen aufgelöst. Hermine musste
lächeln.
„Ja, mein
Braver“, sagte sie wieder, streichelte ihn sanft, und wusste, ihre Stimme
beruhigte Rufus immer. Und langsam, sehr langsam flachte seine Atmung ab. Alle
streichelten ihn ruhig weiter, und selbst, als er auf einmal nicht mehr
einatmete streichelten die fünf Hände weiter.
Und er
starb. Er war einfach… entglitten. Wenn jemand starb, verweilte seine Seele
noch einen Moment länger im Raum. Das dachte Hermine immer. Auch bei den
Patienten, die gingen. Sie hoffte nur, ihr Hund wusste, wie sehr sie ihn
liebte.
„Ich glaube, wir haben ihn gut rüber gebracht“, murmelte Harry schließlich. Ron
beugte sich hinab, legte den Kopf vorsichtig auf Rufus‘ Brust, um nach einer
halben Minute mit verquollenen Augen zu nicken.
„Er… er
ist eingeschlafen“, hauchte er. Draco neigte sich zu Rufus‘ Kopf und küsste ihn
lange zwischen die Ohren.
„Mach’s
gut“, flüsterte er. Ginny sagte gar nichts, und erhob sich als Hermine es tat,
um sie zu umarmen.
„Dann
kommt“, sagte Harry, und mit einem stummen Zauber ließ er Rufus schweben. Ron
war vollkommen fertig und erklärte, er könne auf gar keinen Fall mitkommen.
Draco und Harry tauschten einen Blick und gingen schweigend nach draußen. Rufus
schwebte im Licht vor ihnen, und Hermine hatte zwar gerade keinen Tränen mehr
übrig, aber es war ein unglaublich beschissenes Gefühl.
Nach
einer Weile kamen Harry und Draco wieder.
Draco
bückte sich neben die Couch und stellte eine Flasche Feuerwhiskey auf den
Tisch. Er deutete auf den Glasschrank und Harry holte fünf Pinnchen raus.
Draco
goss sie anschließend randvoll und reichte sie jedem, Ron als erstem.
„Auf
Rufus, den besten Freund!“, sagte er feierlich, während Ron tränenüberströmt
sein Pinnchen leerte. Er hustete heftig, sowie auch Ginny. Hermine genoss die
brennende Flüssigkeit in ihrer Kehle. Es wärmte sie mehr, als sie gedacht
hatte. „Ich glaube, besser kann man nicht gehen, als unter den besten
Freunden“, bemerkte Draco nachdenklich.
„Wehe, du
fängst jetzt an dich zu verabschieden!“, fuhr Hermine ihn knurrend an, aber er
schenkte ihr ein schiefes Lächeln. Sie spürte die Tränen wieder.
„Keine
Angst, Liebes. Das ist Rufus‘ Nacht. Nicht meine“, erklärte er, und Ron
schniefte wieder laut.
„Das doch nicht fair!“, flüsterte er und füllte sein Pinnchen erneut.
„Komm
her“, sagte Draco zu ihr, und schließlich setzte sie sich auf seinen Schoß, um
ihn fest in die Arme zu schließen. „Ich liebe dich“, murmelte er in ihre Haare,
und sie schloss fest die Augen.
„Also,
erinnert ihr euch noch daran, als Hermine Rufus geholt hatte? Er war winzig
klein und hat einfach alles angeknabbert, was ihm in den Weg kam“, begann Harry
lächelnd. Er schien darüber nachzudenken. Und Hermine glaubte nicht, dass es
funktionieren würde, was Harry versuchte. Es vergingen ein paar Sekunden.
Und dann
riss sich Ginny zusammen.
„Oh ja! Ich erinnere mich gut, denn es waren meine einzigen Designer-Schuhe!
Die ich sehr gerne länger als zwei Tage besessen hätte!“, merkte sie streng an,
musste aber ebenfalls lächeln.
„Ja, er hatte…
diese komische Angewohnheit von einer Seite des Fuchsbaus in die andere zu
rennen und hat unsichtbare Mäuse gejagt. Keine Ahnung, was in seinem Kopf
vorgegangen ist…“, sagte Ron plötzlich mit gerunzelter Stirn, während er erneut
die Nase hochzog.
„Ja, er
war seltsam, aber er hat mit Hermine zusammengewohnt – kein Wunder!“,
bestätigte Ginny grinsend. Hermine schenkte ihr einen säuerlichen Blick.
„Schönen
Dank“, bemerkte sie spitz.
„Oh, und
als Krummbein gestorben ist?“, warf Ron ein. „Wie er sich gefreut hat, dass er
endlich ins Wohnzimmer durfte?“
„Er
durfte immer ins Wohnzimmer“,
widersprach Hermine mit verschränkten Armen. Ja, sie erinnerte sich noch wie
traurig sie gewesen war, als Krummbein den Trank hatte nehmen müssen. Sie
erinnerte sich auch noch daran, dass wieder Harry mitgekommen war, als es an
der Zeit gewesen war.
„Ja, sicher. Als hätte der verrückte Kater ihn gelassen!“, erwidert Harry
kopfschüttelnd. „Und er war der schlechteste Wachhund“, ergänzte Harry dann.
„Ja,
bestätige ich“, mischte sich Draco nickend ein. „Ich glaube, ich habe ihn in
der ganzen Zeit hier nicht ein einziges Mal bellen gehört. Ich glaube, Bellen
war unter seiner Würde“, fuhr er kopfschüttelnd fort, während er alle Pinnchen
noch mal füllte.
Stille
fiel über die Freunde. Hermine weinte wieder. Halb aus Freude, halb aus Trauer.
Denn sie hatte ihren Hund verloren. Und es gibt nicht viel Schlimmeres als das.
Wirklich nicht viel.
Und wie
so vieles war auch das zu schnell gegangen.
Und sie
saßen noch bis die Sonne aufging und Scorpius das erste Mal wach wurde zusammen
und tranken Feuerwhiskey und dachten an die alte Zeit.
Hermine
fuhr abwesend mit dem Finger über die letzte Blüte auf Dracos Brust. Er hielt
sie in seinem Arm, und sie fühlte sich so schwer heute. Es war Bestandteil von
jedem ihrer Albträume. Dass die verdammte Blüte verschwand, sie aufwachte und
Draco gestorben war.
Jede
Nacht träumte sie davon. Jede.
„Hey…“,
sagte er ruhig und streckte sich ausgiebig. Es war großartiger Sex gewesen. Sie
genoss jede Sekunde mit ihm. Sie hatten noch nicht gesprochen. Sie waren
aufgewacht und sie hatte ihn einfach küssen müssen. So war es jeden Morgen.
„Hey“,
wiederholte sie müde. „Ich habe zum ersten Mal nicht von ihm geträumt“, sagte
sie und sah zu ihm auf.
„Von Rufus?“, erkundigte er sich, und sie nickte gegen seine Brust. „Gut. Dann
überwindest du jetzt.“
„Hör mir
auf mit deinen Phasen der Trauer“, murrte sie gegen seine Haut. Sie spürte sein
Lachen, denn seine Brust vibrierte. Beide setzte sich auf, als sie Scorpius
durch die Wand weinen hörten.
„Ok, Zeit
aufzustehen“, sagte er seufzend. „Ich gehe duschen“, erklärte er grinsend.
„Danke. Vielen Dank, dass du mir seine dreckigen Windeln überlässt. Ich wüsste
nicht, wie mein Tag anders anfangen sollte!“, fuhr sie ihn funkelnd an. Er wich
lachend dem Kissen aus, das sie nach ihm geworfen hatte. Sie hatte den
Morgenmantel übergezogen, doch sie spürte, wie er sie am Arm zurückzog. Er
küsste sie so leidenschaftlich, dass sie vergaß, dass sie gerade noch wütend
auf ihn gewesen war. Er hielt sie eng an seinen Körper gepresst, und sie verlor
sich fast in seinem Kuss. Ihr Sohn weinte wieder lauter, und unwillig zog er
schließlich den Kopf zurück.
„Ich liebe
dich“, sagte er lächelnd. Sie verdrehte die Augen.
„Na los, geh duschen!“, forderte sie ihn auf, während sie etwas wacklig auf den
Beinen das Schlafzimmer verließ. Im Kinderzimmer war ihr Sohn hellwach, hatte
sich bereits auf den Bauch gedreht und schrie wie am Spieß.
„Einen
schönen guten Morgen auch dir, Scorpius“, begrüßte sie ihn lächelnd und hob ihn
aus der Wiege. „Du bist wirklich clever“, bemerkte sie, denn schon hatte er
aufgehört zu weinen. Interessiert sah er sich um, als sähe er alles zum ersten
Mal. Seine blauen Augen waren so hell wie Dracos als er sie ansah. Sie wusste
nicht, ob er sie mittlerweile im Gedächtnis behielt, aber sie hoffte es. Bald
war es auch soweit, dass er seinen eigenen Kopf halten konnte. Sie spürte, wie
er es immer wieder versuchte.
Aber sie
roch, dass es Zeit für eine frische Windel wurde.
„Ok, dann
beginnen wir den Tag damit, dass wir schauen, was du Mummy für ein Geschenk
hinterlassen hast, hm?“, neckte sie ihn. „Wenn du groß wirst, wirst du mir so
viel schuldig sein, Scor“, fügte sie mit gerümpfter Nase hinzu. Und dann
lächelte er. Sie wusste, ab dem zweiten Monat lächelten Babys bei bekannten
Gesichtern. Er lächelte öfters bei Draco als bei ihr, war ihr aufgefallen.
„Mummy liebt dich, Scor“, flüsterte sie und küsste seine pausbäckige Wange. Sie
legte ihn auf den Wickeltisch und brachte in Windeseile hinter sich, was sie
eben hinter sich bringen müsste und fand, mittlerweile verdiente sie sogar ein
Abzeichen dafür, wie schnell sie die schmutzigen Windeln entsorgen konnte.
Sie
säuberte und puderte ihn neu und hatte mit drei Handgriffen die frische Windel
verschlossen.
„Na, hast du die Zeit gestoppt?“, fragte sie ihren Sohn, aber dieser lächelte
wieder nur verschmitzt. Sie grinste kopfschüttelnd zurück.
„Hermine!“,
vernahm sie Dracos Stimme laut von nebenan aus dem Badezimmer. Sie klang
drängend, und ihr Lächeln fiel sofort und verschwand von ihrem Gesicht. Sie war
immer in Sorge um Draco, aber erst, wenn er selber auch besorgt klang,
schrillten bei ihr sämtliche Alarmglocken. Hastig hob sie Scorpius auf die Arme
und verließ mit ihm das Zimmer.
Sie
öffnete die Badezimmertür und Dampf erschlug sie kurz. Draco stand vor dem
Spiegel und hatte ihr den Rücken zugekehrt. Er hatte ein Handtuch um die Hüften
geschlungen und seine Haare tropften nass, als er sich zu ihr umwandte.
Er musste
nichts sagen, denn ihr Mund öffnete sich vollkommen schockiert.
Und das
war es jetzt.
Und sie
hatte es sich anders vorgestellt.
Die
Blüte… war verschwunden. Nur seine weiße, glatte Haut war zurückgeblieben.
„Oh großer Merlin!“, entfuhr es ihr panisch. „Oh mein Gott! Sie war doch…
gerade noch da!“, flüsterte sie fast zornig. „Wie… wie fühlst du dich? Was… was
ist passiert?! Kannst du…?“ Sie starrte ihn an, hielt ihren Sohn ein wenig zu
fest, aber es war ihr vollkommen egal. „Draco!“, sagte sie hastig, und er
ruckte mit dem Kopf.
„Ich…
ich…“ Er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.
„Was
passiert jetzt?“, wollte sie ängstlich wissen, und dann riss er sich
anscheinend zusammen und erwachte aus seiner Starre.
„Nichts passiert. Ich… werde mich jetzt anziehen“, entschied er sich zu sagen.
„Ok. Ok! Ich… ich sag deinen Eltern Bescheid, ich…“, plapperte sie ratlos und
machte kehrt. „Und… und wenn… irgendwas ist, dann schreist du, ja?“, fuhr sie
ihn an, und ihr Herz klopfte voller Angst. Die Blüte war verschwunden. Er
lebte! Es ging ihm gut! Vielleicht war alles gut!
Sie nahm
die Stufen schneller als gewöhnlich. Scorpius verzog unzufrieden den Mund und
sie wusste, er würde gleich weinen. Hastig entfachte sie mit dem Zauberstab
Feuer im Kamin und warf das grüne Pulver in die trägen Flammen. Mit Scorpius
auf dem Arm kniete sie sich vor den Kamin.
„Malfoy
Manor!“, rief sie eilig.
Und sie
hätte schreien können, dass es solange dauerte. Der Kamin im Studierzimmer
öffnete sich. „Lucius?“, rief sie fast hysterisch, bekam aber keine Antwort.
„Lucius!“, rief sie lauter und fluchte unterdrückt. „Lucius!“, weinte sie jetzt
außer sich in die Flammen, aber niemand tauchte auf.
Scheiße!
Sie erhob
sich mit einem wimmernden Scorpius auf dem Arm zornig, ließ die Flammen brennen
und verschwand aus dem Zimmer auf den Flur.
„Draco?“,
rief sie ängstlich und wartete mit klopfendem Herzen.
„Ich
ziehe mich an!“, rief er gereizt zurück. „Hör auf mit der Panik!“, ergänzte er
lauter, und fast erleichterte es sie, dass er genervt klang.
Sie
verblieb im Flur, schaukelte Scorpius auf ihrem Arm, damit er nicht weinen
würde, und wartete, bis Draco die Stufen runter kam.
„Was tust
du?“, wollte er wissen und blieb auf dem Treppenabsatz stehen.
„Was ich…? Ich warte auf dich“, erklärte sie ungläubig. „Draco, wir-“
„-alles
ok“, unterbrach er sie streng. Aber sie starrte ihn an.
„Deine Haare-“,
begann sie atemlos, aber er schnitt ihr das Wort mit einer Armbewegung ab.
„Ja, ich
habe es gesehen“, erwiderte er, zerknirscht. Einige Strähnen auf seinem Kopf
waren plötzlich grau geworden. Ganz hell grau, dass es nur bei genauem Hinsehen
auffiel, aber sie wusste in und auswendig wie ihr Mann aussah, und Tränen
traten unwillkürlich in ihre Augen.
„Du
alterst!“, flüsterte sie.
„Hermine“,
begann er warnend, aber sie griff nach seinem Arm.
„Du
solltest dich setzen. Brauchst du etwas? Wie fühlst du dich?“, bombariderte sie
ihn sofort, und redete nur, um sich selber zu beruhigen.
„Frühstück
wäre gut…“, beschloss er achselzuckend und ignorierte ihre Panik komplett. Sie
sah ihn verständnislos an.
„Ok, du… du hast Hunger?“
„Wir
hatten gerade Sex, also… ja. Ich habe Hunger“, erwiderte er nickend, mit einem
eindeutigen Blick. Er nahm ihr Scorpius ab und begann, mit ihm zu plappern.
Hermine blieb stehen, während er ins Zimmer schritt.
„Draco“,
sagte sie nur.
„Was?“
Sie hörte es, seine Stimme befand sich zwischen genervt sein und wütend werden.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, damit er nicht wütend werden würde.
Denn sie hatte Angst.
„Hast du…
Schmerzen?“, fragte sie also behutsam. Er hielt Scorpius ruhig auf seinem Arm.
„Nein“,
sagte er fest, und wie zum Trotz färbte sich vor ihren Augen eine weitere
Strähne auf seinem Kopf grau. Sie legte sich erschrocken die Hand über den
Mund.
„Was?“,
wollte er jetzt alarmiert wissen und griff bereits zornig mit der freien Hand
in seine Haare. „Nicht noch eine!“, entfuhr es ihm ärgerlich.
„Ich rufe
Dean“, war alles, was sie sagte, ehe sie in die Küche hastete.
„Ich kann
Dean nicht leiden!“, hörte sie ihn hinter sich rufen, aber sie ignorierte ihn
einfach.
~*~
Sie wusste
nicht mehr, was sie zu Dean gesagt hatte. Sie wusste nur, dass sich alles
schlecht anfühlte, dass sie nicht zu viel Zeit in der Küche verbringen wollte,
denn jede Sekunde konnte kostbar sein. Dean war gerade dabei gewesen,
irgendwelche Dränagen zu setzen, jetzt war es ihr erst aufgefallen, dass er
etwas in der Hand gehabt hatte.
Er hatte
versichert, er würde sofort kommen.
Aber sie
hatte sich wie in Trance bewegt. Hatte sie Teewasser aufgesetzt? Sie wusste es
nicht mal mehr, als sie fast lautlos durch den Flur zurück ins Wohnzimmer
eilte.
Wie lange
hatte sie gebraucht? Eine Minute, vielleicht zwei? Höchstens drei, nicht
länger, entschied sie, als sie die Tür zum Wohnzimmer nach innen öffnete.
Er saß im
Sessel. Er hatte ihn zu den großen Flügeltüren der Veranda gedreht, Scorpius
döste wieder in seinen Armen.
Und sie
kam näher, und ihr Herz schlug ungewöhnlich schnell. Sie fühlte sich so
hellwach, wie sie sich nur in Zeiten des Kriegs gefühlt hatte. Immer wenn etwas
Ungewisses gefährlich werden konnte. Sie ignorierte, dass seine Haare weiß
geworden waren. Es sah grotesk aus. Noch grotesker als das helle Blond.
„Draco,
Dean kommt sofort, wir-“
„Hermine“,
unterbrach er sie, die Hände ruhig um Scorpius gelegt. „Jetzt“, fuhr er stiller
fort. Und ihre Atmung änderte sich. Was?
„Was
meinst du damit?“, entfuhr es ihr tonlos. Dracos Hand strich immer noch
behutsam und liebevoll über Scorpius‘ Körper.
„Hermine,
es wird Zeit“, sagte er so gefasst und entspannt, dass sie den Atem
anhielt.
Und
stocksteif verharrte sie. Nein.
Ganz
einfach nein.
Und sie
hatte geglaubt, es würde anders geschehen. Sie hatte geglaubt, es würde zu
einem riesigen Streit kommen. Sie hatte geglaubt, es wäre spektakulärer als das
hier. Sie hatte nicht gedacht, dass er vor ihr im Sessel sitzen würde. Ruhig
und gefasst. War er gerade nicht noch genervt gewesen? Hatte es als unwichtig
abgetan? Sie hatte nicht erwartet, dass er es einfach nüchtern und ruhig zu ihr
sagen würde.
„Ich werde
mich nicht verabschieden, Draco“, informierte sie ihn warnend. Er hob den
Blick. Langsam, träge, und sie erschrak über das plötzliche Alter in seinen
Augen.
Oh
Merlin! Er war alt geworden. „Die Heilung“, entfuhr es ihr unwillkürlich. „Sie
fordert den Preis“, flüsterte sie kopfschüttelnd. „Ich werde… ich… muss etwas tun!“, sagte sie
zu sich selbst.
„Hermine,
ich werde gleich mein Bewusstsein verlieren“, sagte er rau. „Ich merke, wie… es
fühlt sich komisch an“, fuhr er schneller fort.
„Nein!“,
sagte sie nur. „Das… das ist normal, es ist… - ich lasse mir was einfallen,
ok?“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe und vergrub die Hände in den Taschen des
Bademantels. Scheiße. Ihr fiel nichts ein.
„Ich… ich
muss jetzt schlafen“, flüsterte er, während sie praktisch sehen konnte, wie
seine Lider schwerer wurden. Unvermittelt ging sie auf die Knie vor ihm,
ergriff seine Hand und drückte sie fest.
„Draco!“,
entfuhr es ihr unter Tränen. „Du darfst jetzt nicht einschlafen, ok? Du musst
wach bleiben! Du kannst nicht…!“ Sie glaubte schon fast nicht mehr, dass er sie
hören konnte, denn seine Augen hatten sich seufzend geschlossen, als er sie ein
letztes Mal betrachtet hatte.
„Draco!“,
rief sie heiser. „Nein! Sieh mich an! Sieh mich an! Ich… ich liebe dich! Bitte,
geh jetzt nicht weg! Ich… bitte, sieh mich an. Komm schon! Bitte…“, weinte sie
in seinen Schoß, als ihr Kopf zitternd gesunken war. Scorpius machte leise
Geräusche im Schlaf, aber dennoch war es still geworden.
So
unglaublich still….
~
Dreizehn Jahre später ~
„Lass
mich einfach in Ruhe!“, schrie er zornig und schlug seine Zimmertür zornig ins
Schloss.
Er hasste
alle! Er hasste Hogwarts und seine schlechten Noten! Er hasste es, dass er sich
immer mit denselben Leuten anlegte, dass er sich vollkommen hässlich vorkam –
und er hasste seine Familie!
Er trat
heftig gegen seinen Schreibtischstuhl, zerrte seine Schubladen auf und kramte
wild nach seinen Schulsachen, um diese lieblos in den Schrankkoffer zu werfen,
denn morgen würde er wieder zurück müssen, in diese scheiß Schule, auf die er
gezwungen worden war! Niemand verstand ihn, und er hatte keine Lust mehr,
dorthin zugehen!
Wo war
sein verdammtes Zaubetränkebuch?! Scheiße!
Er schlug
mit der flachen Hand so hart auf die Tischplatte, dass sie kurz taub wurde und
er sie fluchend schüttelte, um den Schmerz loszuwerden.
Irgendein
Mechanismus löste sich und er sprang praktisch zurück, als alte Federn und
zerknülltes Pergamentpapier aus der Schulblade flogen. Der Boden hatte sich quietschend
geöffnet, und Scorpius blickte näherte sich seinem Schreibtisch wieder
misstrauisch.
Er lugte
in das Geheimfach seiner Schublade. Es war verdammt staubig. Mit spitzen
Fingern griff er nach einem Brief, der an ihn adressiert war. Er stutzte verwirrt.
Er drehte ihn um.
Der
Absender lautete Draco Malfoy. Seine Stirn runzelte sich und er öffnete das
Siegel des Umschlags.
An
Scorpius D. Malfoy
Aven Parks
Juli,
2022
Lieber Scorpius,
herzlichen Glückwunsch zu deinem elften
Geburtstag. Ich hoffe, mein Geschenk ist angekommen. Ich habe die Bestellung
des neuesten Rennbesens bei Featherton’s im Jahre 2011 aufgegeben. Keine
Ahnung, wie die Lieferbedingungen 2022 stehen. Und natürlich hoffe ich, dass
Quidditch zu den Dingen gehört, die dich begeistern. Aber dein Onkel Harry wird
dafür schon gesorgt haben. Dein erstes Jahr in Hogwarts wird bestimmt gut
werden. Ich kann mich noch erinnern, wie es damals war. Und keine Angst, wenn
du nach Slytherin kommst. Ich sage dir, es macht mehr Spaß in Slytherin, egal,
was deine Mutter sagen wird.
Dann lass mich dir ein paar Dinge
erzählen. Ich habe mir den Platz auf dem Hügel ausgesucht, den du bestimmt
bereits kennst, weil sie dich jeden Sonntag dorthin schleift, um einen Stein
anzustarren, auf dem ein fremder Name steht. Fremd ist er nicht unbedingt, denn
mein Name ist dein zweiter Vorname. Ich habe Friedhöfe nie gemocht, also fühl
dich frei, nicht oft dorthin zu gehen. Ich nehme es dir bestimmt nicht übel.
Aber es ist ein guter Platz, denn
wenn der Wind gut steht, kann ich durch die Blätter der Bäume das Haus
erkennen. Kann darauf aufpassen, durch die Jahreszeiten hindurch, solange du
hier bist.
Ich habe gelernt, der Tod lässt sich
nicht kaufen, lässt sich nicht überzeugen und lässt sich auf keinen Handel ein.
Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, will man mit Bedingungen beginnen. Man
bereut die Dinge, die man nicht getan hat. Man bereut die Tage, die man
vergeudet hat. Ich bin sicher, du wirst diese Erfahrungen noch machen. Denn es
gibt immer etwas, was man am Ende bereut. Aber das Gegenteil vom Leben ist
nicht der Tod. Das Leben hat kein negatives Gegenstück, denn es ist alles eins.
Das Gute und das Schlechte. Und ich habe keine Zeit mehr, zu vermissen. Und
wenn ich darüber nachdenke, hatte ich alles.
Ich hoffe, ich verpasse deine Geburt
nicht. Ich wünschte, ich würde dich kennenlernen, deinen ersten Schritt
miterleben. Ich bin so gespannt auf dich, aber so wie es aussieht, werde ich
mir nur noch in meinen Gedanken vorstellen können, wie du aussehen wirst, wenn
du erwachsen bist. Aber da bin ich zuversichtlich, dass du mehr von ihr haben
wirst als von mir.
Ich würde dir die Dinge erzählen, die
ich weiß. Verteidigungsstrategien und Angriffe auf die Torringe beim Quidditch,
aber ich habe ein gutes Buch im Regal. Es sei denn, deine Mutter hat es
vorsintflutlich entsorgt. Sprich sie einfach darauf an. Oder besser vielleicht
deinen Onkel Harry. Frauen haben keine Ahnung von Quidditch.
Ich würde dir jede Angst vor deinem
ersten Date nehmen, denn Malfoys haben keine Angst vor Mädchen. Es ist eine
Prüfung, die wir mit Erfolg bestehen. Deine Mutter wird vielleicht versuchen,
dir etwas anderes zu erklären, aber glaub ihr einfach nicht.
Ich hatte sechs Monate Zeit, mein
Leben zu korrigieren. Das ist nicht viel. Ich war nicht unbedingt in guter
Verfassung, ehe ich deine Mutter kennen gelernt habe. Wir kannten uns aus der
Schule, aber deine Mutter wird dir diese Geschichte auch besser erzählen können
als ich es könnte.
Ich habe die Frau meines Lebens
geheiratet und wir sind in das Haus unserer Träume gezogen. Und jetzt ist sie
schwanger mit meinem Kind. Ich weiß nicht, ob du es begreifen kannst, aber
diese letzten sechs Monate waren wie ein ganzes Leben für mich. Es war ein
Geschenk. Deine Mutter hat mich gerettet.
Ein Leben zu retten, bedeutet nicht,
den Tod abzuwenden. Ein Leben rettet man, indem man einem die Angst nimmt. Die
Furcht vorm Sterben. Die Furcht vor allen Dingen.
Ich habe keine Angst mehr.
Und mögen mich manche für einen
Idioten halten. Es ist mir egal. Sollen sie sagen, Draco Malfoy ist selber
schuld und hat es nicht besser verdient. Dann will ich es gar nicht anders
haben. Das wirst du bestimmt noch erfahren. Malfoys haben keinen guten Namen.
Aber das ist nicht schlimm. Mit einem schlechten Ruf kommen bemerkenswert
lustige Gemeinschaftsraumpartys auf dich zu. Aber sag es deiner Mutter nicht.
Das wichtige ist, dass du am Ende
nichts bereust. Und ich bin sehr ehrlich. Ich hätte es einrichten können, hier zu
sein, wenn du kommst. Aber ich habe diese Option eingetauscht gegen ein
perfektes halbes Jahr mit Hermine Granger. Deine Mutter hieß Granger, bevor sie
das schwierige Unterfangen angetreten hat, eine Malfoy zu werden. Deine
Großmutter Narzissa wird es dir anders erzählen. Hör aber nicht zu genau hin.
Und vielleicht klingt es
selbstsüchtig, aber ich hoffe, du findest irgendwann eine Hexe, eine Muggel,
einen Zauberer, ein anderes magisches Äquivalent – was auch immer du finden
wirst – für das du bereit bist, zu sterben. Wer keine Angst hat, stirbt nur
einmal.
Nimm es mir nicht übel. Jetzt zu
anderen Dingen. Deine Mutter wird dich einweisen in alle Finanzen, in alle
deine Verliese in Gringotts. Gewöhn dich an jede Menge Gold, Scorpius. Dein
Onkel Blaise wird sich deiner schon annehmen, wenn es um deine berufliche
Zukunft geht. Aber du kannst die Firma nicht verfehlen. Unser Name steht an der
Tür. Ohne dich jetzt zu sehr beeinflussen zu wollen. Hör nicht auf deine
Mutter, wenn sie sagt, Auroren haben einen spannenderen Beruf. Onkel Blaise
zeigt dir, wie man mit weniger Aufwand wesentlich mehr Gold machen kann. Er ist
dein Pate. Die Wahl deiner Mutter, muss ich erwähnen. Dein Onkel Harry ist ein
anderes Thema. Und nimm dir einfach das Buch aus dem Regal, wenn du mehr über
ihn wissen willst. Aber wahrscheinlich hat er dich sowieso nicht lange von
seinen Abenteuern verschont. Du weißt bestimmt schon alles. Aber hör ihm gut
zu. Er ist der Pate, den ich für dich ausgewählt habe.
Ich weiß, für dich wird es sein, als
wäre ich schon immer fort gewesen. Und vielleicht hast du schon einen
Stiefvater. Ich sehe jetzt, der Tod kommt mit einem hohen Preis. Aber behalte
mich im Hinterkopf.
Dein Großvater Lucius ist ein
seltsamer Mann. Mach dir am besten dein eigenes Bild, denn alles, was ich sagen
könnte, wäre beeinflussend. Deinen Großvater George hingegen kannst du
unbedenklich als verlässlichsten Mann der Welt betrachten.
Deine Mutter ist anstrengend. Sie ist
wunderschön. Sie ist meine Frau. Vielleicht wirst du es ähnlich empfinden, dass
ihre Stimme den wunderbarsten Klang hat, wenn sie deinen Namen sagt.
Und hier endet meine Reise. Man soll
sterben wie ein Held, der nach Hause kommt.
Zwar habe ich nicht über die
Krankheit gesiegt, aber sie macht mir keine Angst mehr.
Und ich will kein Wort über die
Krankheit verlieren. Das ist sie gar nicht wert.
Natürlich wirst du dich nicht
erinnern. Aber ich bin hier, Scorpius. Ich bin immer hier. Du musst nur deine
Augen schließen und dir vorstellen, ich wäre da, wann immer du es wünschst.
Deine Mutter liebt dich. Und ich liebe dich. Über alles. Über den Tod hinaus.
Sagen wir nicht Lebewohl. Sagen wir
nur auf Wiedersehen…
Dein Vater,
Draco Malfoy
Scorpius
ließ den Brief sinken. Seine Stirn runzelte sich.
Was?!
Und zwar
war er gerade noch stinkwütend gewesen, aber jetzt machte er kehrt, mit dem
Brief in der Hand, öffnete seine Zimmertür und ließ sie sogar offen stehen, als
er den Flur entlang lief. Für gewöhnlich belegte er sie mit tausend Flüchen,
damit sie niemand öffnen konnte. Er flog praktisch die Stufen hinab, ins
Wohnzimmer, aber niemand war hier.
„Mum?“, rief er und erkannte, dass die Türen zur Veranda offen standen. Er trat
nach draußen in den heißen Sommer. „Mum“, sagte er, als er sie erkannte, wie
sie gerade die verblühten Blumen aus dem Beet zupfte.
„Na, haben wir uns wieder abgeregt?“, wollte seine Mutter mit spöttisch
erhobener Augenbraue wissen. Ihre lockigen langen Haare hatte sie mit einem Tuch
zusammengebunden. Die Jeans hatte sie hochgekrempelt und hockte vor den Beeten.
„Mum, wo…
wo ist Dad?“, fragte er jetzt. Sie runzelte die Stirn.
„Er ist
mit dem Hund losgegangen, weil er seinen Zorn genauso wenig wie du unter
Kontrolle halten kann“, erklärte sie knapp.
„Ok“,
sagte er nur und sprang die Verandastufen hinab, denn er kannte den Weg, den
sein Vater mit dem Hund ging. Er hastete den Hügel hinter dem Garten empor, den
Brief immer noch in seinen Händen. Vor ihm lag der Friedhof in der ruhigen
Sonne.
Da war
er! Er erkannte Dean auch von hier aus.
„Dad!“,
rief er laut und schloss den Abstand rennend. Sein Vater wandte sich mit einem
eisigen Blick zu ihm um. „Hey, Dean“, begrüßte Scorpius den Kollegen seiner
Mutter neben seinem Vater atemlos.
„Seltsam,
für gewöhnlich entschuldigst du dich doch erst fünf Stunden, nachdem du dich
wie ein ungezogenes Kind verhalten hast, Scorpius“, bemerkte sein Vater bitter.
„Na los,
ich nehme Teddy“, bot Dean vorsintflutlich an und nahm seinem Vater die Leine
aus der Hand. „Ich komme dann zum Haus. Ich wollte ohnehin noch mit Hermine
sprechen. Mach’s gut, Scor“, fügte Dean noch nickend hinzu, ehe er weiter
spazierte, den müden Labrador hechelnd an der Leine, und Scorpius mit seinem
Vater zurückblieb.
Scorpius‘
Atem ging noch immer schnell.
„Was ist
das?“, wollte er schließlich wissen und hielt seinem Vater den Brief entgegen.
Kurz musterte ihn sein Vater, ehe sein Blick auf den Umschlag fiel.
„Ein
Brief?“, vermutete er schließlich, und Scorpius verdrehte die Augen.
„Ja, das
weiß ich“, erwiderte er gereizt. „Hier!“ Er bedeutete ihm, den Brief aus dem
Umschlag zu nehmen. Sein Vater verdrehte die Augen und nahm den Umschlag
entgegen. Er zog den Brief, entfaltete ihn und begann zu lesen. Seine Stirn
runzelte sich und der Brief sank in seiner Hand.
„Ich…
hatte wohl vergessen, ihn zu entsorgen“, schien sein Vater zu mutmaßen.
„Also…dann…?“
Scorpius war verwirrt. Sein Vater atmete aus. „Was… was ist passiert? Bist du…
krank?“ Und Scorpius hasste es zu klingen, wie ein kleines Kind, aber die
Aussicht, dass sich sein Vater vor so vielen Jahren von ihm verabschieden
wollte hinterließ ein bodenlos tiefes Loch in seinem Innern.
„Ich…“,
begann sein Vater etwas ratlos, und Scorpius kannte ihn nicht anders als
gesund. So wie er jetzt eben war. Er war nie anders gewesen! Er hatte nicht mal
eine Erkältung gehabt, seitdem Scorpius denken konnte. Sein Vater war der
gesündeste Mensch – neben seiner Mum. Selbst die wurde ab und an krank. „Ich
war krank, ja. Wo war der Brief?“, wollte er plötzlich wissen.
„Da… ist ein Fach im Schreibtisch gewesen“, erklärte Scorpius eilig. „Also
warst du krank? Und jetzt… bist du gesund, richtig?“, vergewisserte er sich
ängstlich. Sein Vater fuhr sich durch die blonden Haare.
„Ja, ich bin
gesund“, sagte er endlich.
„Wieso
hast du dich verabschiedet? Wieso hast du gedacht, du würdest mich nicht sehen?
Wieso-“
„-das ist
ziemlich lange her, ich-“
„-und du hast geplant, mir irgendwann einen Brief zukommen zu lassen, indem du
mir erklärst, warum du gestorben bist?“, wollte Scorpius fast beleidigt wissen.
„Es ist
ja so nicht gekommen“, beschwichtigte sein Vater ihn.
„Mum war
deine Heilerin?“, wollte Scorpius widerwillig wissen. Er sah seinen Vater
ausatmen. Er deutete auf eine Bank, einige Meter entfernt.
„Komm,
wir setzen uns“, sagte er, beinahe ruhig. Scorpius folgte ihm und verscheuchte
eine Fliege vor seinem Gesicht als er sich auf das heiße Holz der Bank neben
seinen Vater setzte. Dieser blickte starr über den Friedhof. „Weißt du, ich…
war tot. Für eine Minute“, sagte sein Vater schließlich. Und Scorpius sah ihn
von der Seite an.
„Wirklich?“,
wollte er ungläubig wissen, aber sein Vater wandte den Blick.
„Wirklich“,
bestätigte er lächelnd.
Und sein
Vater erzählte ihm vom Dämonsfeuer, das ihn verbrannt und nahezu gelähmt hatte.
Von seiner Mum, die zu der Zeit Patienten, die Opfer von Dämonsfeuer geworden
waren, behandelt hatte und von seiner Heilung. Er erzählte, wie sie es
geschafft hatten, das Gift ihn zu neutralisieren und wie nur noch eine Blüte
auf seiner Brust übrig geblieben war.
Wie alle
paar Monate ein Blütenblatt mehr verschwunden war, bis die Blume schließlich
ganz verschwand. Sein Vater erzählte ihm, er sei innerhalb einer halben Stunde
um siebzig Jahre gealtert, hatte weiße Haare bekommen, Falten um die Augen,
hatte nicht mehr atmen können und war eingeschlafen.
„Und
dann?“, wollte Scorpius mit großen Augen, beinahe atemlos von seinem Vater
wissen. Und Draco Malfoy lächelte.
„Dann bin
ich aufgewacht. Dean und deine Mum haben einen… einen Schockzauber ausgeführt,
der mein Herz wieder animiert hat. Es ging… wahrscheinlich sehr schnell, auch
wenn es mir wie eine Ewigkeit vorgekommen ist“, schloss er nachdenklich. „Das
Gift war verschwunden und… ich habe die Krankheit besiegt.“
Scorpius
blickte auf den Boden. „Hattest du Angst, Draco?“, fragte er, und nur selten
benutzte er den Vornamen seines Vaters.
„Nein“,
sagte er kopfschüttelnd. „Ich hatte alles bei mir gehabt, was wichtig war. Ich
war vollkommen bereit.“
„Ich… ich
bin froh, dass du nicht gestorben bist, Dad“, entfuhr es Scorpius plötzlich,
und er schlang seinem Vater die Arme um den Hals. Kurz drückte ihn sein Vater
an sich. „Und ich wollte dich vorhin nicht anschreien“, ergänzte er gedämpft,
als er seinen Kopf in der Schulter seines Vaters vergraben hatte.
„Ich
weiß“, sagte er nur, ließ von ihm ab und setzte sich aufrechter hin, als er
sich räusperte. „Hast du dich bei deiner Mum entschuldigt?“, wollte er jetzt
streng von ihm wissen, aber Scorpius musste lächeln.
„Mach ich
gleich, Dad.“
„Ach und
Scor?“, hielt ihn sein Vater auf, und Scorpius drehte sich um.
„Ja?“
„Verbrenn
den Brief“, erwiderte er mit einem Ausdruck, den Scorpius nicht deuten konnte.
Scorpius hielt den Brief jedoch fest in den Fingern. Das würde er nicht tun,
obwohl er seinem Vater zunickte.
„Kommst
du mit?“, wollte Scorpius jetzt wissen, und sein Dad erhob sich schließlich
ebenfalls.
„Sicher,
warum nicht“, räumte er ein und legte ihm anschließend den Arm um die Schulter.
~*~
„Ihr habt
euch also vertragen?“ Fast klang sie scheinheilig fiel ihm auf, während sie das
Geschirr in die Spüle ins Wasser stellte. Er hob den Blick vom
Sonntagspropheten und spähte sie über die Brillengläser hinweg an, während er
auf einem der Barhocker vor der Kücheninsel saß.
„Er hat
dir den Brief gezeigt, oder?“, fragte er und verdrehte die Augen.
„Ich bin
seine Mutter, natürlich hat er das. Dann durfte ich ihn ja doch noch lesen“,
bemerkte sie höchst spöttisch. „Du hast ihm alles erzählt?“, hakte sie weiter
nach und er schloss den Propheten.
„Nein,
nicht alles natürlich“, gab er zurück. Sie sah ihn überrascht an.
„Nicht,
dass das Gift einen eigentlich impotent macht, und du-“
„-ok,
schon gut!“ Sie hob abwehrend die Hände, als wäre es ihr peinlich diese Geschichte
zu hören. Er musste schmunzeln. Sie beendete das Geschirr spülen hastig mit dem
Zauberstab, obwohl sie sonst vorzog, es von Hand zu machen.
„Was ist
los? Bekommt das Geschirr heute keine Muggel-Behandlung?“, wollte er amüsiert
von ihr wissen, aber sie band sich die Schürze ab, die sie für gewöhnlich trug,
damit das Wasser ihre Kleidung nicht durchnässte, und wandte sich zu ihm um.
„Ich
dachte, ich spare mir die Zeit ein“, sagte sie und klang wieder scheinheilig,
fiel ihm auf.
„Ach
wirklich?“, erwiderte er, tatsächlich gespannt, setzte die randlose Brille ab
und legte sie auf den Tresen der Kücheninsel. Er beobachtete seine Frau, die
auf ihn zu schlenderte.
„Du
dachtest also, Scorpius hätte mittlerweile schon einen Stiefvater?“, wollte sie
lächelnd wissen, und er ergriff eine Spur ärgerlich ihr Handgelenk und zog sie
näher zu sich.
„Willst
du mich herausfordern?“, fragte er lauernd, aber sie lächelte immer noch.
„Würde
ich nie wagen, Mr Malfoy“, gab sie keck zurück und fuhr mit den Fingern durch
seine Haare. „Draco, ich glaube, die wirst langsam grau“, fuhr sie lachend
fort, und er spannte den Kiefer an, während er den Kopf schüttelte.
„Ok, das
war’s. Du kannst anfangen zu laufen, Hermine!“, warnte er sie und ließ ihr
Handgelenk los. Ihre Augen wurden groß und sie schenkt einen ungläubigen
Ausdruck, aber er machte einen Schritt auf sie zu. Anscheinend sah er
gefährlich genug aus, dass sie sich doch in Bewegung setzt und lachend aus der
Küche rannte.
Er folgte
ihr sofort, während die Hündin träge den Kopf hob. Draco sah sie entschuldigend
an.
„Ruh dich
aus, Teddy. Wir stören dich nicht weiter“, versprach er, als er seiner Frau
nachsetzte. Teddy legte den schwarzen Kopf, der mittlerweile mit Grau
durchzogen war wieder auf der Hundedecke neben dem Küchenkamin ab und leckte
sich über die Nase. Mit ihren dreizehn Jahren war sie froh, nicht mehr durch
das Haus jagen zu müssen, wie ein junger Welpe.
Gähnend
schloss sie die Augen und war schon wieder eingenickt, ehe sie den Gedanken
abschließen konnte.
„Hermine!“,
rief er hinter ihr her, als er durch den Flur rannte, aber sie stürmte bereits
lachend die Treppe nach oben. Er passierte die unzähligen Bilder im Flur, die
auf Kommoden standen oder an der Wand hingen. Fotos von Hermine, als sie noch
klein war, Fotos von Harry und Ron. Fotos von Narzissa und Lucius, die mit
ihrem Enkel am Strand in Urlaub aus dem Rahmen winkten, Scorpius‘ erster
Besenflug, Scorpius‘ erste Zahnlücke, als er beim Fußballspielen mit Harry im
Tor gestanden hatte.
Fotos von
Blaise und Cormac McLaggen, die nun schon seit fünf Jahren zusammen in ihrem
Haus in London wohnten, und natürlich Fotos von Draco und Hermine. Unzählige
davon.
An der
Wand hing ein Portrait, auf dem Narzissa so lange bestanden hatte, bis Hermine
eingewilligt hatte. Hermine lächelte verschmitzt, hatte die Arme um Draco
gelegt, während er den zwei Jahre alten Scorpius auf dem Arm hatte. Zwar hatte
Narzissa etwas Traditionelleres im Sinne gestanden, aber immerhin war es
Portrait der Familie.
Er hatte
die Stufen überwunden und stellte den Fuß gerade noch rechtzeitig in die Tür,
ehe sie diese schließen konnte.
„Ok! Ok,
du gewinnst, ja? Benimm dich nicht so kindisch!“, rief sie heiser, während er
mühelos die Tür aufschob.
„Kindisch?“,
wiederholte hier. „Das ist nicht kindisch. Das ist absoluter Ernst, Hermine“,
erklärte er kopfschüttelnd, während sie sich auf die Lippe gebissen hatte. Er
knöpfte bereits unbeeindruckt sein Hemd auf.
„Du bist
unmöglich. Scorpius‘ Zimmer ist auf diesem Flur!“, informierte sie ihn, während
er sah, wie die Röte in ihre Wangen stieg. Seine Frau war fanatisch. Und sie
wurde nach vierzehn Jahren immer noch so herrlich rot, wann immer er sie
verführte. Und sein Herz schlug schnell.
Er hatte
lange nicht mehr an die Krankheit gedacht, aber heute… da schmerzte es ihn
unheimlich, daran zu denken, Hermine und Scorpius verloren haben zu können,
damals.
Und
vollkommen ernst hatte er den Abstand zu ihr geschlossen.
„Ich
liebe dich, weißt du das, Hermine?“, flüsterte er praktisch, und mit großen
Augen sah sie ihn an. Sie war noch genauso schön. Ihre braunen Augen noch
genauso leuchtend.
Er hatte
schon fast vergessen, dass er Superman hatte sein wollen. Dass er Superman
gewesen war. Und mit keinem Tag hatte er daran gezweifelt. Hermine war sein
Kryptonit. Und ganz bestimmt keine Krankheit, mochte sie noch so tödlich sein.
„Ich
liebe dich auch“, erwiderte sie jetzt, und auch in ihrem Blick erkannte er,
dass wohl die Angst von damals heute wieder in ihr Bewusstsein gekrochen war.
„Ich hätte nie jemanden anders geheiratet, Draco. Niemals“, flüsterte sie
plötzlich.
„Gut“,
sagte er, und seine Mundwinkel zuckten. „Das will ich hoffen“, ergänzte er,
schlang den Arm um ihre Taille und zog sie für einen Kuss zu sich. Und so sehr
sich seit einigen Jahren bereits schämte und sagte, ihre Figur würde schon
lange nicht mehr jung und schön sein, umso weniger konnte er es verstehen.
Sie war
jetzt am schönsten. Für ihn war sie jetzt unheimlich perfekt. Und er hoffte,
sie glaubte ihm, wenn er ihr dies versicherte. Seine Hände umfassten ihren
schlanken Hals, seine Daumen strichen sanft über ihren glatten Kiefer, und er
küsste sie zärtlicher, als er eigentlich vorgehabt hatte. Sie seufzte sehr
leise gegen seine Lippen.
Und er
war plötzlich unheimlich froh, so erleichtert, dass er nicht gegangen war.
Nirgendwohin. Dass er hier mit ihr unter derselben Sonne lebte, keinen Tag
jemals von ihr getrennt. Und sie erwiderte seinen Kuss plötzlich mit aller
Macht, lehnte sich gegen ihn, küsste ihn stürmisch und er nahm sich vor, sie so
zu lieben, wie er es tun sollte.
Aus
Dankbarkeit, weil er es eben noch konnte! Langsam teilte er ihre Lippen mit
seiner Zunge, ließ seine Hände verlangend ihren Rücken hinab gleiten, bis sie
auf ihren Hüften zum Ruhen kamen. Ihre Arme lagen um seinen Nacken und er
genoss ihren Duft, ihr Parfüm, gemischt mit ihrem eigenen Duft, ohne den er
nicht leben wollte.
Es
klopfte.
Was?!
Sie zog
sich von ihm zurück. Seine Augen öffneten sich. Verdammt!
„Dein Sohn
braucht uns…“, bemerkte sie lächelnd, die Wangen immer noch gerötet. Richtig,
er hatte einen Sohn, fiel ihm portionsweise wieder ein.
„Mum,
Dad?“, hörte er die fragende Stimme seines Sohnes durch die geschlossene Tür.
Hermine fuhr sich kurz durch die Haare, ehe sie ihm noch einmal zulächelte.
„Komm
rein, Scorpius“, sagte sie mit ihrer sanften Stimme, ohne die er am Abend nicht
mal einschlafen konnte. Die Tür öffnete sich. Scorpius bedachte sie beide kurz
mit einem fragenden Blick.
„Ihr seid
über vierzig“, schien er mahnend sagen zu müssen. Draco sah, wie Hermines
Wangen ein tieferes Rot annahmen. „Wartet wenigstens bis morgen, dann bin ich
weg und nicht völlig gestört“, fuhr er kopfschüttelnd fort.
„Was
willst du?“, unterbrach ihn Draco knapp, denn er ließ sich von seinem Sohn
bestimmt nicht vorschreiben, wann er in seinem Hause was zu unterlassen hatte.
„Draco!“,
widersprach Hermine mahnend. „Was ist los, mein Junge?“, wollte sie liebevoll
wissen. Kurz schien Scorpius zu zögern, ehe er schließlich seufzte.
„Mum?“,
fragte er langsam, und Hermine sah ihn erwartungsvoll an. Draco war und ab
fasziniert, wie ähnlich dieser Junge ihm sah. „Wie sehe ich aus?“, fragte sein
Sohn unsicher, und Hermine schien kurz verwirrt zu sein.
„Was
meinst du, Schatz?“, erkundigte sich Hermine verblüfft.
„Wird
mich irgendein Mädchen jemals bemerken?“, entfuhr es Scorpius entnervt, und
Hermines Mund öffnete sich verstört. Dann atmete sie aus, als sie den Abstand
zu ihrem Sohn schloss. Draco hatte gar nicht gewusst, dass sein
vierzehnjähriger Sohn so von sich dachte. Damit hatte er nicht mal gerechnet!
Nicht in hundert Jahren!
„Leider
viel zu schnell“, murmelte Hermine, als sie Scorpius in die Arme gezogen hatte.
Ach wirklich? Das dachte sie, überlegte Draco lächelnd.
„Mum!
Nicht!“, beschwerte er sich sofort. Hermine strich zärtlich durch die
weizenblonden Haare seines Sohnes und küsste ihn auf die Stirn.
„Mir
graut vor dem Tag, wenn du anfängst Herzen zu brechen“, sagte Hermine und
ignorierte Scorpius‘ Versuche, freizukommen.
„Ernsthaft?“,
wollte er dumpf aus der Umarmung heraus wissen. Sie nahm sein Gesicht in ihre
Hände.
„Mir wäre
lieber, wenn du ein paar Ohnegleichen hättest, Schatz“, sagte sie jetzt.
Scorpius blickte schuldbewusst drein. „Viel lieber, als die armen hundert
Mädchen zu trösten“, ergänzte sie fast bitter. Sie drückte ihn noch mal fester,
bis Scorpius lachen musste. Draco schloss den Abstand zu seiner Familie und
zerstrubbelt Scorpius die Haare.
„Du brauchst keine Ohnegleichen“, erklärte er achselzuckend. „Du musst nicht
mal den verdammten Schnatz fangen“, fügte er grinsend hinzu.
„Draco!“,
maßregelte ihn seine Frau ob des Schimpfwortes sofort, aber Scorpius grinste.
„Es wird ein
gutes Jahr werden“, munterte ihn Draco auf. Und Scorpius seufzte tief auf.
„Gute
Nacht, Dad. Gute Nacht, Mum“, verabschiedete sich Scorpius, und fast wollte
Draco den Kopf schütteln. Ein Malfoy, der nicht wusste, dass er gut aussah.
Sachen gab‘s….
„Nacht,
Schatz“, rief ihm Hermine nach, als die Tür sich wieder schloss.
„Ach,
wenn er doch so bleiben würde“, murmelte sie.
„Nein“,
sagte Draco zufrieden. „Ich kann’s kaum erwarten, wenn er erwachsen ist.“ Denn
er liebte seinen Sohn. Zu jeder Zeit.
„Du bist
sentimental heute“, bemerkte Hermine. Kurz dachte Draco nach, ehe er lächelte.
„Ja“,
bestätigte er. Dann ergriff Hermine seine Hand.
„Wo… waren wir stehen geblieben?“, flüsterte sie mit einem Zwinkern. Draco zog
den Zauberstab aus seinem Hosenbund und verschloss mit einem Schlenker die Tür.
„Ich
glaube, ich war gerade dabei Sie zu verführen, Mrs Malfoy“, erwiderte er mit
einem teuflischen Grinsen auf den Zügen. Und seine entzückende Frau wurde
wieder rot.
Nein, er
wollte nicht mehr daran denken, was wäre, wenn er sie doch verloren hätte, weil
er gestorben wäre. Er wollte diese Angst niemals spüren.
Denn er
hatte das Dunkel überstanden. Und er war niemals mehr allein.
~ The End ~
Für E., den Zinnsoldaten
„Der eine Soldat glich dem andern leibhaft, nur
ein einziger war etwas anders; er hatte nur ein Bein, doch stand er ebenso fest
auf seinem einen Bein wie die andern auf ihren zweien, und gerade er war es,
der sich bemerkbar machte.“
Hans Christian Andersen
Und für meinen Hund Teddy, die so tapfer war
„Dass mir der Hund das Liebste sei, sagst
Du, o Mensch sei Sünde.
Der Hund bleibt Dir im Sturme treu, ein Mensch nicht mal im Winde.“
Franz von Assisi