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Teile

Teil 1 , Teil 2 , Teil 3 , Teil 4 , Teil 5 , Teil 6 , Teil 7 , Teil 8 , Teil 9 ,

Teil 10 , Teil 11 , Teil 12 , Teil 13 , Teil 14 , Teil 15 , Teil 16 , Teil 17 ,

Teil 18 , Teil 19 , Teil 20 , Teil 21 , Teil 22 , Teil 23 , Teil 24 , Teil 25 ,

Teil 26 , Teil 27 , Teil 28 , Teil 29 , Teil 30 , Teil 31

 

Teil 1

 

Er wachte auf.

 

Es war ein Gefühl, als entließe ihn der Tod äußerst ungern aus seinen friedlichen und angenehmen Fängen, die sich schon tief in seinen Körper geschlagen hatten und nun mit aller Macht aus seinem Fleisch gezerrt wurden.

Er nahm Geräusche am Rande seines Bewusstseins wahr, aber nur undeutlich, denn der Scherz blockierte alle seine Sinne. Gott, war das furchtbar!

Er wollte wieder zurück. Zurück in die Ruhe, zurück in die sanfte Endlosigkeit. Süßes Nichts fühlen war so angenehm wie nichts anderes, was er kannte.

 

„Er wacht auf.“

 

„Endlich.“

 

Die Stimmen klangen eher gereizt als erfreut. Als wäre sein Aufwachen die schlechteste aller möglichen Optionen. Darin stimmte er überein. Sein Gehirn sprang langsam an. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen. Seine Haare hingen ihm nass in die Stirn. Der Schweiß war wohl verklebt mit Schmutz. Seine Züge ließen sich nicht bewegen. Seine Augen ließen sich noch nicht öffnen.

 

Seine Handgelenke schmerzten, waren wie gelähmt. Er versuchte sich zu bewegen, aber anscheinend war er gefesselt, denn er spürte den Widerstand an seinen Armen und Beinen. Seine Kehle war rau und die erste Spucke, die er anscheinend nach gefühlten Ewigkeiten schluckte, kam nicht einmal an seinem Gaumen vorbei.

 

Seine Frist endete. Er spürte, wie ihn jemand grob am Kragen packte, und er wurde höchst unsanft aus seiner Lethargie gerissen.

 

„Sieh mich an.“ Er kannte die Stimme, wusste aber nichts mit ihr anzufangen. „Augen auf!“ Er konnte nicht Folge leisten. Er konnte nicht.

 

Eine Hand knallte ihm flach ins Gesicht. Sein Kopf flog auf die Seite. Spucke, gemischt mit seinem eigenen Blut, flog ihm aus dem Mund. Schmerz, weißer, greller Schmerz, erwachte in seinem Gesicht.

 

Ein Schrei, völlig unmenschlich, entrang sich seiner Kehle. So tierhaft und verzerrt, als hätte er seine Stimme verloren, als hätte er seit Jahren nicht mehr gesprochen. Seine Kehle war rau. Selbst seine Lider schmerzten als sich seine Augen auf Grund des Schocks geöffnet hatten.

 

Er blinzelte hart. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln, ob des grellen Lichts, was ihn traf. Jetzt erst, ganz langsam, behielt sein Kurzzeitgedächtnis, was er sah. Wo war er? Und wer hatte ihm das angetan? Er senkte den Blick. Er saß auf einem Stuhl und anscheinend unsichtbare Fesseln hielten ihn dort gefangen. Er zog erneut an seinen Handgelenken. Nichts bewegte sich, aber jede Bewegung schmerzte höllisch. Magisch. Magische Fesseln.

 

Sein Puls beschleunigte sich. Er hob den Kopf und vergaß für einen Moment seine Qualen. Nur für einen Moment.

 

Grüne Augen musterten ihn voller Abscheu. Dunkle Ringe lagen unter diesen Augen. Die Haut war dreckig und fahl. Tiefe Falten lagen um seinen Mund und Wut verzerrte die harten Züge. „Wo ist sie?“

 

Sprach er mit ihm? Wann er hatte er ihn das letzte Mal gesehen? Er wusste es nicht. Hatte er ihn so in Erinnerung gehabt? Nein, definitiv nicht. Jetzt konnte er sogar Angst vor ihm haben. „Wo?“, schrie Potter jetzt und seine Ohren dröhnten. Er musste die Augen schließen, sonst würde ihn die Übelkeit überkommen.

 

„Mach die Augen auf und antworte auf meine verdammte Frage, zum Teufel noch mal!“ Er wurde wieder geschüttelt, aber er begriff noch nicht. Was zur Hölle tat er hier? Wie war er hier hin gekommen und wo war sein Vater?

 

„Lass mich“, knurrte eine tiefere Stimme. Eine kalte Hand schloss sich um seine Kehle. Seine Augen öffneten sich und er keuchte, um Luft zu bekommen. Weasley. Seine Hand war groß und griff erbarmungslos zu. Er konnte auch aus dieser Nähe sehen, dass diese Erscheinung beunruhigend war. Weasley bestand anscheinend nur noch aus Muskeln. Die roten Haare waren länger, wellig und nach hinten mit einem Band zurückgebunden. Sein Kiefermuskel zuckte unkontrolliert, als wüsste er nicht, ob er nicht einfach zudrücken sollte.

 

„Wo ist sie, Todesserschwein?“ Selbst wenn er gewusst hätte, worum es ging, hätte er nicht antworten können, denn Weasleys Griff raubte ihm den Atem. Er spürte die sanfte Bewusstlosigkeit zurückkehren und wünschte sich nichts sehnlicher als einzuschlafen, wieder aufzuwachen und diesen Traum abschütteln zu können.

 

„Hör auf. Ich habe keine Lust wieder drei Tage zu warten, bis er wieder aufwacht.“ Drei Tage… Er war drei Tage schon bewusstlos? Und wahrscheinlich bewusstlos hier in diesem… Raum?

 

Widerwillig zwang ihn sein Überlebensinstinkt die Augen offen zu behalten.

 

Weasleys Griff lockerte sich, löste sich aber nicht von seinem Hals. Er war ein Tier. Ein rothaariges, muskulöses Tier. Draco wagte nicht einmal mehr an die Zeit zurückzudenken, wo er über Weasley nur hatte lachen können. Nach Lachen war ihm nicht mehr zu Mute. Gar nicht mehr.

 

Die blauen Augen ähnelten seinen nur zu deutlich. Wütend und hell leuchteten sie. „Komm schon, du elender Wichser! Ich weiß, du hörst mich. Soll ich mich klarer ausdrücken, Arschloch?“ Seine Stimme war rau und kaum noch zu erkennen. Wie konnte das bisschen Zeit Potter und Weasley so verändert haben?

 

Plötzlich sammelte sich sein Verstand. Er war ein Gefangener. Er war nicht in seinem Haus, bei seinem Vater. Er war anscheinend gefangen worden. Wieso? Einfach. Er war also eine Geisel. Wie hatten sie ihn finden können? Wo war seine Erinnerung? Und war sein Vater schon auf dem Weg, ihn zu finden? Wussten sie, wo Potter sich mit seinen Leuten versteckt hielt? War er etwa gerade in dem Versteck, was sie seit zwei Jahren vergebens suchten?

 

Er versuchte sich aufzurichten, versuchte sich umzusehen. Keine Fenster. Er sah nicht mal eine Tür.

 

„Hey!“ Weasley packte kräftiger zu. Am Rande seines Bewusstseins verschwamm der Raum gefährlich. „Wo ist sie?“ Potter zerrte Weasley zur Seite, nur um ihm dann den Zauberstab direkt gegen die Wange zu drücken. Der Zauberstab begann zu glühen. Was für ein kranker Spruch war das bitte?

 

Gedanken zerfielen in Schmerzen und Schreie. Er wusste nicht, was er schrie. Wusste nicht, ob er tatsächliche Worte verwendete, oder ob sein Gehirn nicht mehr in der Lage war, Worte auszuspucken.

 

„Wo, Malfoy?“, knurrte Potter ungehalten. Die Haut zerschnitt unter dem glühend heißen Zauberstab. Draco spürte, wie sie riss, wie warmes Blut seine schmutzige, klebrige Wange hinabsickerte. Es lief in seinen Mundwinkel. Er musste würgen, schrie, während er würgte, versuchte zu fluchen, versuchte, sich loszureißen, spürte, wie auch die magischen Fesseln seine Haut zerschnitten.

 

Heiße Tränen mischten sich mit seinem eigenen Blut. Er versuchte den Kopf nach hinten zu reißen und Potters Qual zu entkommen, aber diese durchschaute diesen Versuch, packte sein Gesicht mit der freien Hand und hielt ihn still.

 

„Sag es, Malfoy. Du denkst doch wohl nicht, dass ich dich verschone, oder?“ Und nein. Das dachte Draco nicht. Mit keinem Gedanken. Dieser Potter war nicht mehr der Potter über den er sich lustig gemacht hatte. Dieser Potter war sein schlimmster Albtraum. Seine Schläfen pochten. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Lauter als alles andere. Lauter als Potters Worte, lauter als die Schmerzen. Lauter als der Raum, lauter als sein Herzschlag.

 

Plötzlich waren alle Geräusche verschwunden und er sank zurück in die erlösende Bewusstlosigkeit.

 

~*~

 

 

Mit einem Knall erwachten er und all seine Schmerzen. Er schrie. Laut. Lauter als jemals zuvor.

 

„Halt deine Klappe“, hörte er eine neue Stimme. „Mach endlich deinen Mund auf, oder ich muss dich zwingen.“ Ein Mädchen. „Gott, wie sehen deine Augen nur aus“, murmelte die Stimme. Er zuckte zusammen als er etwas in seinem Gesicht spürte. Es war warm. Weich und feucht. Wahrscheinlich ein Lappen.

 

„Blut in den Augen ist gefährlich. Außerdem brennt es sehr“, informierte sie ihn. Oder sich selbst. Er wusste es nicht. „So“, sagte sie abschließend. „Und jetzt mach den Mund auf.“

 

Er gehorchte, ehe er die Augen geöffnet hatte. Heiße Flüssigkeit rann seine Mundwinkel hinab. Er spuckte überrascht. Seine Augen flogen auf. Sie war angewidert zurückgewichen.

 

„Was ist? Nicht fein genug, für deinen Geschmack, Malfoy? Ich habe besseres zu tun, als dich am Leben zu halten, aber sonst bist du uns nicht mehr nützlich.“ Ihre Haare waren lang und dunkel. Unordentlich waren sie zusammen gebunden. Die dunklen Augen blickten kühl auf ihn herab.

 

Granger. Widerwillig setzte sie sich wieder. Feine Kratzer und Narben zeichneten ihr Gesicht. Manche waren noch so frisch, dass sie noch nicht verheilt waren.

 

„Hast du keinen Hunger? Dann machst du es mir sehr einfach.“ Schon allein bei dem Wort rebellierte sein Magen. Er konnte seine Knochen gegen seine Haut spüren. Sein Mund öffnete sich in ehrlos unterwürfiger Ergebung. Aber zum ersten Mal war es egal.

 

Misstrauisch führte sie den Löffel erneut an seinen Mund. Gierig schluckte er. Diesen Löffeln, den nächsten und den nächsten der widerlichen Brühe, die sie ihm vorsetzte.

 

„Harry will nicht, dass wir deine Verletzungen versorgen“, sagte sie schließlich mit grimmigem Blick. Immer noch schluckte er die Brühe. Schließlich war die Schale leer und sie erhob sich wieder. Sein Hunger hatte sich ins Unermessliche gesteigert.

 

Sein Körper war schwach. Und der Zauber, der ihn an diesen Stuhl band war stark. Stärker als er. Wo war wohl sein Zauberstab? Ob sie ihn zerstört hatten? Wahrscheinlich. Aus welchem Grund sollten sie ihn aufbewahren.

 

Wollten sie ihn töten, wenn ihr Plan nicht aufging?

 

„Na, Malfoy?“ Sie sah ihn abwartend an. „Ich kenne dein Gesicht sehr gut. Was denkst du? Überlegst du, hier rauszukommen? Versuchst du einen Weg zu finden, die Fesseln und diesen Raum hinter dir zu lassen und mit deinem Vater Kontakt aufzunehmen?“ Sie wartete, aber er gab ihr nicht Genugtuung zu antworten.

 

„Da wirst du wohl länger warten. Harry unterschätzt dich nicht. Es wäre am besten für uns alle, wenn du kooperierst und uns sagst, wo Lucius sie versteckt.“ Träge nahm sein Verstand ihre Worte auf. Wer versteckte was? Was versteckte sein Vater? Und woher wusste Potter davon?

 

Er schüttelte widerwillig den Kopf, als würde er eine Fliege verscheuchen. Er konnte sich nicht überwinden, etwas zu sagen. Er war zu erschöpft. Zu verletzt. Potter war klug, ihn unbehandelt zu lassen. Die Wunden zerrten an seinen Kräften, seinem Bewusstsein, seinem Verstand.

 

Er wollte Granger am liebsten töten, zerreißen, in tausend Schlammblutstücke fluchen, aber allein die Gedanken zu denken brachten ihn nahe an den Rand der seligen Bewusstlosigkeit zurück. Das Schlimme war, dass die Wunden schmerzten. So sehr. Sie würde ihn letztendlich wahrscheinlich sogar umbringen.

 

Und er konnte sich bei diesem Potter wirklich vorstellen, dass sein Tod Potter keine schlaflosen Nächte bereiten würde. Hoffentlich würde sein Vater dies anders sehen. Denn wenn es etwas gab, dass Potter und seine Bande wusste und er – Draco – nicht,… dann sah es auf beiden Seiten nicht besonders gut für ihn aus.

 

Aber ihm war klar, er war nur solange nützlich solange er auch brauchbare Informationen ausspucken konnte.

 

„Ich denke, du hast noch eine Schonfrist. Vielleicht sollte ich sie anders nennen. Mit schonen hat sie wenig zu tun. Aber du wirst immerhin noch leben.“ Granger erschrak ihn. Anscheinend hatten alle ihre Seele, ihre Menschlichkeit eingebüßt.

 

Witzig. Er besaß sie auch nicht mehr, aber das fiel ihm erst auf, wenn er sie dringend brauchen würde. Jetzt zum Beispiel.

 

Sein Gehirn arbeitete so gut es ging. Wenn es ihm gelang, das Sprechen zu vermeiden, ohne weitere Qualen zu leiden, würde er leben. Aber wenn Lucius schon die Vorkehrung getroffen hatte, ihm keine wichtigen Informationen zukommen zu lassen, dann, nahm Draco an, war er auch… verzichtbar.

 

Fuck.

 

„Ich gebe dir einen Rat, Malfoy…“ Den konnte sie sich in ihren verfluchten Hintern schieben. Er atmete langsam aus. „Du befindest dich hier nicht in guter Gesellschaft.“ Sie klang bitter und zornig. „Harry und Ron werden dich foltern und sie werden auf die magischen Gesetze keine Rücksicht nehmen. Wenn du denkst, nur weil… weil es Harry ist… Du irrst dich. Verstehst du? Mach es kurz, dann… wirst du weniger leiden.“

 

Miststück. Offizier Granger Grausam gab ihm also den gutgemeinten Rat, schnell auszupacken, dann würde er auch schnell sterben. Er bewegte sich auf seinem Stuhl. Nein, sein Zauberstab war definitiv weg.

 

Aber da war noch eine Kleinigkeit. Vielleicht hatte Potter diese übersehen. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das herausfinden konnte. Er war gefesselt. Und das ziemlich gut. Noch eine weitere Sache machte ihm Sorgen.

 

Er musste ziemlich dringend Pinkeln. Er war sich allerdings nicht sicher, ob Granger ihn dafür zusammen schlagen würde. Zuzutrauen war es der neuen Brutalo-Granger.

 

Neben all dem Blut, dem Schweiß und seiner Spucke, wollte er nicht auch noch seinen Urin auf seiner Kleidung haben. Wahrscheinlich war es lächerlich. Wahrscheinlich war es egal. Aber er öffnete den Mund.

 

„Granger, ich muss pinkeln.“ Er hatte keine Ahnung, wieso er diese Worte immer noch würdevoll über die Lippen bringen konnte, aber er schaffte es tatsächlich. Aber anscheinend ließ es sie völlig unbeeindruckt.

 

„Das ist gut. Deine Nieren haben dann noch nicht versagt. In vier Stunden bekommst du noch mal Essen. Viel Vergnügen, Malfoy.“ Er glaubte, sie lächeln zu sehen, als sie das Zimmer verließ.

 

Fuck. Fuck. Der Plan war also ihm seine Würde zu nehmen? Und dann was? Würde Potter ihn dann zwingen mit einem seiner Sklaven Sex zu haben? Draco schloss die Augen und beschloss an nichts zu denken. Nicht an den Hunger, nicht an seine Blase, nicht an die Schmerzen.

 

Vielleicht hatte sein Vater einen Plan. Aber darauf konnte er sich nicht verlassen. Wie hatten sie ihn nur finden können? Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Vier Stunden kamen ihm unendlich vor. Aber wahrscheinlich würden danach nur noch mehr Schmerzen folgen, also vergingen sie besser langsam. Es war ein verfluchter Albtraum.

 

Vielleicht hätte er geweint, aber er konnte es sich nicht vorstellen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Potter ihn umbringen würde. Einfach so. Egal, was Granger behauptete. Es ging um Potter. Außerdem verlor man schnell die Angst vor dem Tod, wenn man sich selber so tief hinab begeben musste, und Menschen umbringen musste.

 

Draco schloss die Augen fest. Er wollte nicht daran denken. Wollte die Schreie nicht mehr hören. Vielleicht war das die Strafe. Vielleicht bekam er, was sie alle verdienten. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl. Sein Handgelenk kratze unangenehm an der Lehne.

 

Seine Gedanken unterbrachen sich. Potter hatte es nicht gefunden.

Oder wahrscheinlich hatte er es gesehen, aber seine Bedeutung nicht erkannt. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden!

 

Er musste seine Hände nur für einen Augenblick frei bekommen.

 

Die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Seinen Augen entspannten sich. Etwas Kräfte sammeln würde nicht schaden. Bis dahin würde er warten können. Vielleicht. Schon wieder befiel ihn die Erschöpfung. Machtlos sank er zusammen und verlor das Bewusstsein.

 

Teil 2

 

„Wie lange?“ Sie kannte die ungeduldige Falte zwischen seinen Augenbrauen mittlerweile schon fast zu gut.

 

„Wie lange, was?“ Auch Harry war gereizt und übermüdet. Die Aktion Malfoy hatte an ihren gesamten Kräften gezerrt. Es war ein guter Plan gewesen, aber er war sehr anstrengend in der Durchführung. Neville trug immer noch die Schmerzen eines Fluchs mit sich davon. Hermine hatte noch keinen Zauber finden können, der Nevilles Rücken heilen konnte.

 

„Wie lange wollen wir warten?“

 

„Die Taktik ist, dass wir seinen Willen brechen; seinen Stolz. Einfach alles, Ron.“ Harry fuhr sich durch die dunklen Haare.

 

„Aber wir können nicht ewig warten. Warum foltern wir ihn nicht so lange, bis er nicht mehr schweigen will?“ Hermine konnte nicht genau sagen, ob ihr diese Methode besser gefiel.

 

„Er ist jetzt schon schwer verletzt. Wie lange denkst du hält er die Folter aus? Eine Stunde, ehe er uns auf dem Stuhl verstirbt? Dann wäre alles umsonst gewesen.“ Rons Hand schlug auf den Tisch.

 

„Aber Harry! Du willst seine Wunden sowieso nicht versorgen. Wir haben nicht vor, ihn wieder gehen zu lassen. Der Plan war, dass Malfoy auspackt, wir bringen ihn um und schlagen zu.“ Ungeduld flackerte in Rons Blick.

 

„Das ist Mord, Ron.“ Sie wusste nicht, seit wann sie wieder ein Gewissen hatte. Sie hatte Malfoy schließlich außer Gefecht gesetzt, hatte Todesser schwer verletzt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt, aber sie war sich trotzdem sicher, bis jetzt noch keinen Menschen umgebracht zu haben.

 

Sie erntete entgeisterte Blicke von Harry und Ron.

 

„Und?“, fragte Ron verständnislos. Hermine verzog den Mund.

 

„Du möchtest wirklich eine Leiche in unserem Quartier haben?“, fragte sie angriffslustig.

 

„Wir wechseln doch unser Versteck nächste Woche sowieso“, gab er grimmig zurück.

 

„Und Malfoy lassen wir dann hier liegen?“ Auch sie spürte die Müdigkeit.

 

„Hermine, dir fällt bestimmt ein netter, kleiner Zauber ein, der Malfoy zum Verschwinden bringen kann. Oder du verwandelst ihn in eine tote Küchenschabe. Völlig egal.“

 

„Ron, ist dir klar, worüber du sprichst?“

 

„Hermine, wir haben ihn bereits gefangen genommen. Du kanntest den Plan.“


„Nein. Ich wusste nicht, dass wir jetzt dazu übergehen, gemeingefährliche Killer zu werden. Harry, hast du auch vor, ihn zu töten?“ Harry verzog den Mund.

 

„Wieso sollten wir ihn leben lassen?“ Hermine seufzte schwer.

 

„Ich werde ihn bestimmt nicht töten oder danach verwandeln. Ich werde diesen Plan bestimmt nicht unterstützen.“

 

„Soweit sind wir auch noch gar nicht. Erst mal muss er reden. Ich habe es satt, immer warten zu müssen.“

 

„Harry…“ Sie rieb sich die Schläfe. „Was ist, wenn… was ist, wenn Lucius ihm gar nichts davon erzählt hat?“

 

„Du denkst, der Sohn von Voldemorts rechter Hand weiß nicht Bescheid? Ich glaube, Malfoy gibt sich viel zu große Mühe, ein braver Todesser zu sein, als dass er auf so eine Information verzichten würde. Ich bitte dich, Hermine.“ Sie verdrehte die Augen.

 

„Schön, dann eben rein hypothetisch.“

 

„Rein hypothetisch?“ Ron sah sie jetzt an. „Nun, wenn er – rein hypothetisch – nichts weiß, dann stört es auch keinen großen Geist, wenn wir ihn einfach umbringen, denn dann ist er vollkommen wertlos und der Plan bedeutet einen scheiß Dreck.“ Er atmete langsam aus.

 

Sie sagte daraufhin nichts. Eigentlich war es ihr egal. Eigentlich verdiente es Malfoy, endlich zu sterben. Aber sie wollte nicht diejenige sein, die daran beteiligt waren. Geiselnahme war schon schlimm genug.

 

Ron betrachtete sie mit einem lauernden Blick. Sie wusste, er legte es auf Streit an. Er ließ gerne Aggression im Streit ab, aber diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun.

 

Sie dachte ab und zu an die Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten. Ron war wirklich… beeindruckend gut gewesen. Aber es war nur ein schwacher Moment. Es würde wohl nicht noch einmal passieren, denn Ron war so anders geworden.

 

Viel zu bereitwillig, Gewalt anzuwenden und Menschen zu verletzen. Er war viel zu zornig, sehr unausgeglichen. Und dass er gut aussah, dass mochte vielleicht anderen Mädchen gefallen, aber das reichte ihr wirklich nicht aus als Grund, über seine emotionalen Störungen hinweg zu sehen.

 

Sie hatte versucht, mit Harry darüber zu reden, aber Harry kam es gerade recht, dass Ron zu einem Kampfbiest geworden war. Niemand kämpfte so gnadenlos und wandte die Unverzeihlichen so erfolgreich an wie Ron.

 

Harry hielt sich zurück. Hermine schaffte es manchmal ebenso wenig. Sie hatte auch Wut im Bauch. So viel Wut. So viele Tode, die sie rächen sollte. So viele Menschen, die durch die Hände der verfluchten Todesser gestorben waren.

 

Ginny war tot. Fred und George. Mr Weasley. Luna war tot. Ernie war tot.

 

Sie konnte hundert Namen aufzählen. Es wäre kein Verlust, Malfoy loszuwerden. Aber sie wusste, sie würde ihn nicht töten können. Seit Ginnys Tod war Harry anders. Er strahlte eine brutale Furchtlosigkeit aus, die von Ron ebenfalls Besitz ergriffen hatte. Bei Harry gab es nur einen Unterschied: Es war ihm völlig gleichgültig. Wenn er loszog, weil sie wieder eine Vermutung hatten, wo die Todesser waren, dann zog er los, ohne die Absicht wieder zu kommen.

 

Es ging ihm nicht mehr um den Sieg, oder die Führung der anderen, nein. Es ging ihm nur noch um den Kampf und den darin resultierenden Tod.

 

Ron wollte nicht sterben. Nein, er wollte blutige Rache. Hermine verstand es. Hermine wollte Vergeltung, genauso dringend wie Ron. Allerdings sah sie diese eher in Form von lebenslanger Strafe in Askaban. Nicht im Massaker.

 

„Willst du ihm Essen bringen oder soll Ron das übernehmen?“, unterbrach Harry ihre trüben Gedanken.

 

„Warum sollen wir ihm überhaupt was geben? Wieso nicht nur einmal am Tag? Wir bekommen auch nicht mehr.“ Das war korrekt. Hermine gab Ron recht, aber Malfoy brauchte es dringender, denn immerhin saß er auf einem magischen Stuhl, der ihm seine Energie raubte und er war immer noch verwundet. Wahrscheinlich entzündeten sich einige der Wunden bereits.

 

Nicht zu vergessen, dass er wahrscheinlich in seinen eigenen Körperflüssigkeiten ersticken würde.

 

„Harry, Malfoy sollte sich wenigstens waschen dürfen.“ Ron war aufgesprungen. Hermine hob die Hände. „Hey, ich will auch nicht, dass er flieht, oder sonst was, aber wenn er an einer Infektion stirbt, dann hilft er uns nicht. Außerdem leidet er auf dem Stuhl schon genug.“ Ron fixierte sie böse.

 

„Er wird schon nicht sterben“, knurrte Ron ihr zu.

 

„Wenn du ihn aufs Klo begleiten willst, bitte.“ Harry lächelte freudlos.

 

„Sie nicht albern. Harry, komm schon. Es ist unmenschlich.“ Er hob den Blick. Die grünen Augen stumpf und müde.

 

„Unmenschlich?“ Er schien über das Wort nachzudenken. „Ja, vielleicht. Aber was schert mich das?“, fragte er sachlich. Sie schloss die Augen. „Gut“, fügte Harry hinzu. „Ich werde sicher gehen, dass er sich… säubern kann.“

 

„Wir könnten ihn mit kochendem Wasser abspritzen“, schlug Ron vor.

 

„Ron!“

 

„Was? Was ist Hermine? Hast du Mitleid? Sag mir bitte nicht, dass du Mitleid hast!“

 

„Nein, habe ich nicht! Aber ich habe immer noch menschliche Züge in mir, Ron!“, schrie sie jetzt.


„Ist das so? Und ich etwa nicht? Wirfst du mir das vor? Dass ich nicht ruhig und rational an die Sache rangehe? Soll ich ihm verfluchten Tee kochen, Hermine? Soll ich seine Wunden versorgen, ihm meine Klamotten schenken? Soll ich ihm eine Geschichte vorlesen, damit er auf seinem Stuhl besser einschlafen kann?“ Er stand nun direkt vor ihr. Ihre Fäuste zitterten.

 

„Das ist hier kein Märchen, verdammt noch mal. Vielleicht fehlt dir das Verständnis, weil du niemanden verloren hast, der für dich wichtig ist!“ Sie schlug ihm so hart ins Gesicht, dass er nach hinten taumelte. Die Tränen standen bereits in ihren Augen.


„Halt deine Klappe, Ron!“, schrie sie jetzt. „Du bist ein verdammter Mistkerl!“ Ron atmete aus. Harry hatte die Arme vor der Brust verschränkt.

 

„Seid ihr jetzt fertig? Hört auf mit dem Beschuldigen. So können wir hier nicht weiter machen. Ron, dein Schmerz ist nicht größer als Hermines“, sagte Harry knapp. Ron hob die Hand zu seinem Gesicht und strich über die roten Striemen, die Hermine ihm verpasst hatte.

 

Sein Blick war kühl als er sie traf. Sie schüttelte nur wütend den Kopf. „Ich hab keine Lust mehr, mit dir zu sprechen. Kümmer du dich um unseren Gast. Mach was du willst, Arschloch.“ Er schluckte jeden bissigen Kommentar hinunter. Sie sah es ihm an. Ron rastete für gewöhnlich sehr schnell aus, wenn man ihn beleidigte. Aber bisher hatte er sie auch nie fertig gemacht.

 

Sie würde sich nicht um Malfoy kümmern. Bestimmt nicht.

 

„Ron, ich werde mich kümmern. Morgen können wir wohl mit dem Verhör anfangen. Ich möchte, dass du dich jetzt darum kümmerst, dass wir Essen zwischen die Zähne bekommen. Nimm Cormac ruhig mit.“ Hermine hatte ihnen bereits den Rücken zugewandt, aber Ron widersprach Harry nicht.

 

Bisher hatte noch niemand gewagt, Harry anzuzweifeln oder sich gegen ihn zu stellen. Aber Hermine war sich sicher, es war nur eine Frage der Zeit, bis Ron auch vor Harry explodierte. Jetzt gerade mochte sie ihn kein bisschen mehr.

 

 

 

 

~*~

 

 

Seine Träume waren sehr unruhig gewesen. Er konnte sie nicht mehr greifen. Schon war er wieder aufgewacht. Sein Kopf ruckte nach oben und er hob rasch den Blick.

 

Er spürte seine Spucke in seinem Mundwinkel. Sein Mund hatte beim Schlafen wohl offen gestanden. Er konnte nichts dagegen tun. Also setzte er ein grimmiges Gesicht auf. Die Wunden erlaubten ihm nicht wirklich grimmig zu sein, aber er konnte nichts weiter tun.

 

Potter betrachtete ihn mit einer Mischung aus Ekel und Gleichgültigkeit, die ihn zornig die Hände zucken ließen.

 

„Bevor es für dich noch einmal Brühe gibt, wirst du dich sauber machen.“ Fast hätte Draco die Augen aufgerissen. Das würde bedeuten, seine Hände wären frei. Ausgezeichnet. Potter schien eine Regung in seinem Gesicht bemerkt zu haben.

 

„Freu dich nicht zu früh, Malfoy. Es wird nicht angenehm werden.“ Zwar war an dieser Aussage noch nichts allzu viel Beunruhigendes dran, aber der neue Potter hatte eine neue Art, die Draco noch nicht einzuordnen wagte. „Und ich werde mir nicht jedes Mal die Mühe machen, dir zu helfen.“ Kurz unterbrach er sich. Seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten.

 

„Nein, eigentlich… wird es wohl auch nicht so häufig nötig sein.“

 

Potter würde ihn umbringen.

 

Dieser Gedanke durchfuhr ihn so schnell, dass er für einen Moment keine Luft mehr in den Lungen hatte. Er hustete so heftig, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Nein, Potter würde es nicht tun. Niemals. Es war einfach unmöglich. Völlig unmöglich.

 

Der Husten machte es ihm fast unmöglich, seine Blase unter Kontrolle zu halten. Nein. Es war unmöglich. Er spürte die nasse Hitze in seiner Hose. Er wand sich auf dem Stuhl.

 

„Scheiße, Potter. Ich piss mir in die Hose. Tu endlich was.“ Seine Stimme war heiser und gebrochen. Potter zückte immer noch angewidert den Zauberstab. Die unsichtbaren Fesseln an seinen Beinen lösten sich. Draco spürte es sofort. Nur noch die Hände!

 

Und er war frei!

 

Er sprang auf.

 

„Langsam“, sagte Potter nur. Aber Draco lag schon keuchend auf dem Boden. Seine Beine gehorchten ihm nicht. Gar nichts gehorchte. „Steh auf. Und keine Scheiße, Malfoy. Denk nicht, du wärst unersetzbar für mich“, fügte er gelangweilt hinzu. Aber so sehr Draco es versuchte, er konnte nicht aufstehen.

 

„Potter“, sagte er nur. Er gab auf. Er konnte kaum die Augen offen halten. Er kam sich wie ein verdammter Schwächling vor. Und er hätte heulen können. Grob spürte er eine Hand, die seinen Oberarm umfasste. Potter fluchte unterdrückt und zerrte ihn nach oben. Draco konnte nichts anderes tun, als seinen Arm um Potters Schultern zu legen und sich von ihm halten zu lassen. Den Zauberstab drückte ihm Potter direkt an die Schläfe, dass es schmerzte.

 

„Wir gehen nicht weit.“ Anscheinend war es doch schon ein ordentliches Gewicht für Potter. „Ruhig stehen bleiben“, knurrte er und löste den Zauberstab von seiner Stirn. „Implumis“, sagte er und Draco spürte wie seine Kleider sich in Luft aufzulösen schienen. Er keuchte wieder auf. Jetzt lehnte er nackt an Potter.

 

Er konnte nicht denken. Kein Gedanke drang durch. Er fühlte weder Scham, noch Zorn. Er fühlte sich nicht gut, nicht schlecht. Er dachte nichts. Nichts homosexuelles, nichts – einfach nichts.

 

Aguamento calida.“ Das Wasser traf ihn hart. Er klammerte sich fast an Potter, aber er war sich nicht einmal mehr bewusst, dass es Potter war, den er neben sich spürte. Das Wasser war warm. So wunderbar warm. Es wusch den Schmutz aus seinen Wunden, die Spucke und das Blut aus seinem Gesicht. Er konnte nicht mal verhindern, den Urin laufen zu lassen.

 

Seine Augen schlossen sich und das Wasser rann ihm wohlig über die Haut.

 

Er konnte nicht sagen, wie lange er nun tatsächlich unter dem heißen Wasserregen gestanden hatte, in Potters Armen. Irgendwann, nach einer endlosen Ewigkeit, verebbte das Wasser. Zurück blieb Kälte auf seiner Haut. Er fing an zu zittern und krallte sich in Potters Umhang. Potter war selber völlig durchweicht, aber es schien ihm nichts aus zu machen.

 

Seresco“, murmelte Potter jetzt und Draco spürte, wie er trocknete. Die Kälte blieb allerdings. Draco öffnete langsam die Augen. Potter hatte den Zauberstab wieder an seine Stirn gehoben. „Verlieb dich nicht, Malfoy.“ Potters Mundwinkel zuckten freudlos. Draco begriff zuerst nicht. Dann zog er den Arm zurück, aber er konnte tatsächlich nicht alleine stehen.

 

Er gab sich geschlagen. Ehe er fallen konnte griff er wieder nach Potters Schulter. Mit einem Schlenker von Potters Zauberstab erschien saubere Kleidung auf dem verhassten Stuhl. „Anhexen muss ich sie dir hoffentlich nicht, Malfoy“, sagte er jetzt. Potter ging mit ihm die paar Schritte zum Stuhl und stützte ihn, während Malfoy die Hose anzog. Sie war zu lang und er hatte keine Shorts dazu bekommen.

 

Für gewöhnlich war das für ihn nicht zulässig, aber er hatte nicht mal die Kraft, sich zu beschweren. Er zog den grauen Sweater über und Potter schob ihn zurück auf den Stuhl.

 

Ehe Draco noch einmal über den Plan nachdenken konnte, mit dem er eigentlich seine Flucht schon sicher gesehen hatte, schlossen sich die magischen Fesseln um seine Handgelenke und Füße.

 

Er war wieder gefangen.

 

Die Tür öffnete sich fast augenblicklich. Diesmal bekam er von einem anderen Mädchen Essen gebracht. Er konnte ihr Gesicht nicht zuordnen. Potter machte auch keine Anstalten das Mädchen vorzustellen. Sie hielt den Blick gesenkt, als wäre es pure Sünde, ihn anzusehen. Draco war es gleich. Sein Magen rebellierte. Er gierte schon beinahe nach dem widerlichen Zeug.

 

Kurz fragte er sich, ob Weasley und Granger noch kommen würden, aber diese Gedanken wurden vom Hunger verdrängt. Potter verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Das Mädchen fütterte ihn stumm und er schlürfte gierig die Brühe.

 

Kaum war sein karges, demütigendes Mahl beendet, hatte sich das Mädchen wieder aufgerichtet und verschwand. Auch sie ließ ihn zurück in der tristen, unerträglichen Einsamkeit.

 

Das nächste Mal würde er nicht schwach werden. Wenn er das nächste Mal die Hände frei hatte – dann würde er nicht noch mal auf diesem verdammten Stuhl sitzen müssen. Unter diesen Gedanken legte er den Kopf in den Nacken und versuchte seinen Geist zu klären und sich nicht von der Einsamkeit und seiner unbequemen Situation den Verstand rauben zu lassen.

 

Es verging nicht viel Zeit, dann war er wieder eingeschlafen.

 

 

 

Teil 3

 

„Bist du sicher, dass du mitkommen willst?“ Cormac warf ihr einen prüfenden Blick zu. Harry hatte sich bereits ausgerüstet. Sie zog die gestohlene Schutzschildjacke über. Das Ministerium würde sich bestimmt nicht beschweren.

 

„Cormac, wie oft willst du mich eigentlich noch fragen?“ Sie hatte es langsam satt, dass er sie bevormunden wollte.

 

„Fein.“ Er hob die Hände in die Luft. Sie waren vernarbt. Ein schiefes Lächeln zierte seine hübschen Züge. Er sah nicht schlecht aus. Sie erinnerte sich manchmal, dass sie mit ihm gegangen war. Wenn auch nur für zwei Wochen in ihrem Leben. „Ich wollte dir nur die Chance lassen.“

 

Hermine wusste, sie war das einzige Mädchen, das mit den Jungen ging. Aber bestimmt nicht, weil sie etwas beweisen wollte. Es kam für sie nicht in Frage, mit Lavender und Lisa hier zu bleiben. Sie hatte kein Interesse daran, das Essen vorzubereiten. Das reichte ihr nicht.

 

„Ok. Dann sage ich dir wie jedes Mal, ich komme mit. Bemüh dich nicht.“ Er lächelte immer noch.

 

„Gut. Nach dir, Granger.“ Mit einer knappen Geste, bedeutete er ihr, vor zu gehen. Sie nahm diese Geste stumm entgegen und schritt an ihm vorbei. Er war angenehmer als Ron. Jedenfalls im Moment.

 

Draußen sah sie, wie Harry gerade mit einem Teil der Gruppe apparierte. So lief es immer. Sie teilten sich in zwei Gruppen und tauchten an verschiedenen Orten an der abgesprochenen Stelle auf.

 

Den Tipp hatten sie von einer sicheren Quelle bekommen. Kingsley hielt sie auf dem Laufenden und war der letzte Spion der Außenwelt, dem sie vertrauen konnten. Anscheinend gab es ein Treffen der Todesser in einem Außenlager. Das Ministerium behielt nicht alle ihre Informationen und Waffen im Ministerium selbst, nach der letzten Todesserattacke dort.

 

Natürlich war nicht mehr viel übrig, aber die Todesser hatten es mittlerweile auf weitaus weniger abgesehen. Sie machten es sich zu einem großen Spaß, herauszufinden, welche Zauberer und Hexen noch am Leben waren, mit denen sie noch eine Rechnung zu begleichen hatten.

 

Diese Akten befanden sich versteckt und gesichert an verschiedenen Orten, denn diese Zauberer und Hexen waren evakuiert worden. Dazu gehörten auch Molly Weasley und Kingsley Shacklebolt.

 

Haben die Todesser herausgefunden, wen sie noch umbringen könnten, der ihnen mal irgendwann im Weg gewesen ist, den brachten sie dann schließlich auch um. Kalte Wut erfasste sie.

 

Voldemort führte ein sicheres Leben. Seine kleinen Sklaven führten seine verrückten Wünsche mit größtem Vergnügen aus, denn es gab kaum jemanden, der etwas dagegen aussetzen konnte.

 

Die Menschen hielten sich versteckt, widersprachen nicht, taten nichts, um das Todesserregime zu stoppen. Wer sich nicht abhebt, wird auch nicht gejagt.

 

Und ihre kleine Gruppe an Zauberern hatte sich darauf festgelegt, die Todesser umzubringen. Harry zählte darauf, dass Voldemort persönlich auftauchen würde, wenn sie erst genug Todesser umgebracht hätten.

 

Hermine tötete nicht. Sie löschte Gedächtnis, sie entwaffnete, setzte Todesser außer Gefecht und überließ den Männern die restliche Arbeit. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, dass sie zur Ermordung von Todessern Hilfe leistete. Nein. Sie genoss es beinahe. Aber selber einen Unverzeihlichen anzuwenden, das lehnte sie entschieden ab. Jedenfalls die meiste Zeit über.

 

„Los“, rief Cormac und sie apparierten gleichzeitig in die frühe Morgensonne.

 

Sie bewegte ihre Beine langsam durch die Luft, konzentrierte sich auf die Umgebung und materialisierte schließlich auf der nassen Wiese. Die Beine hielt sie Bewegung, damit sie nicht fallen würde. Apparieren war eine Kunst, mit der Ron immer noch zu kämpfen hatte. Rennend war er zum Stehen gekommen.

 

Er bedeutete aus der Ferne, dass sich ihre Gruppe von hinten nähern sollte. Cormac reckte den Daumen in die Höhe. Harry verschwand unter dem Tarnumhang. Das war wichtig, denn Voldemort hatte seine Fixierung auf Harry nicht abgelegt. Der Tod von Harry Potter hatte erste Priorität. Immer noch.

 

Sie gingen in Deckung und schon erschienen die ersten vermummten Gestalten aus dem Nichts. Die Zauberstäbe hatten sie erhoben. Voldemort wurde vorsichtiger. Er schickte nicht mehr die ganze Truppe los. Sie mussten sich also mit weniger Todessern zufrieden geben. Aber dafür wurden immer weniger von ihnen verletzt.

 

Harry gab das Zeichen. Helle Funken tanzten in der Luft. Sie griffen an.

 

Die Todesser waren vorbereitet. Mittlerweile wussten sie, dass es immer noch Spione gab, die ihrer Gruppe Informationen zukommen ließen. Sie schleuderten Flüche in alle Richtungen, formierten sich neu und einige drangen bereits in das Versteck ein, um noch ein paar Namen finden zu können.

 

Sie sah wie Ron eine vermummte Gestalt zu Boden brachte, sah wie er den Zauberstab hob und den Unverzeihlichen ohne Worte und ohne zögern durchführte. Die Lichtung flammte grün auf.

 

Einige Todesser wichen schreiend zurück, versuchten, eine klare Schussbahn auf Ron zu bekommen, aber sie hatten keine guten Chancen. Einige Flüche trafen. Sie hörte Harry in ihrer Nähe fluchen, als ein Stupor ihn von den Füßen riss. Aber er blieb unsichtbar. Cormac konnte den linken Arm nicht mehr heben, schickte aber dennoch zwei Todesser zu Boden.

 

Hermine sah ihn aus den Augenwinkeln. Er war groß und schlank. Der weiße Todesserumhang wehte ihm um die Beine. Schnell näherte er sich, reckte den Zauberstab von sich und schickte einen stummen Fluch in ihre Richtung.

 

Sie blockte ihn ebenso stumm ab, wandte sich um und ging in die Knie, bereit sich zur Seite zu rollen, sollte es nötig werden.

 

Mit einem Schrei knallte der nächste Fluch durch die Luft. Unverzeihliche Flüche hinterließen einen Schleier. Sie erkannte den Cruciatus. Den konnte sie nicht abwehren, bei einer solchen Kraft. Sie warf sich zur Seite, sprang wieder auf die Füße und entwaffnete den Todesser vor sich.

 

Allerdings durchschaute er den Plan, sprang nach oben und fing seinen Zauberstab im Flug. Kurz war sie verblüfft. Er hob den Zauberstab erneut, während er auf sie zu kam. Kurz konnte sie die Augen hinter der Maske sehen.

 

Grau. Eiskalt und böse. Sie wusste nicht, ob sie sich irrte, aber sie war sich absolut zu hundert Prozent sicher, Lucius Malfoy vor sich zu haben. Ehe er angreifen konnte mit dem letzten Fluch, riss sie ihren Zauberstab in die Höhe, beschrieb in der Luft einen perfekten Halbkreis und brüllte „Aestus“, so laut sie konnte.

 

Eine unvorstellbare Wasserflut brach aus der Spitze ihres Zauberstabs hervor und sie musste ihn mit beiden Händen halten, um die Flut zu kontrollieren. Lucius Malfoy wurde verdrängt.

 

Ron kam auf sie zu gerannt, bereit den nächsten Todesser zu töten. Aber Lucius Malfoy schien clever genug zu sein. Sie sah wie ein weiterer Todesser aus dem Versteck des Ministeriums rannte. Nein!

 

„Er hat sie!“, schrie sie keuchend. Das Wasser aus ihrem Zauberstab flaute langsam ab. Lucius Malfoy rannte los. Sie konnte bereits ahnen, weshalb. Noch während er rannte begann er sich aufzulösen.

 

Sie apparierten. Ron brachte noch einen weiteren zur Strecke. Diesmal tötete Neville. Präzise und ohne Worte. Die anderen aus der Gruppe duellierten sich mit dem verbliebenen Rest, doch die Todesser beschworen Schutzschilde und folgten Lucius.

 

Noch einen weiteren erledigte Peter Phearson, ein ehemaliger Schüler aus Hufflepuff, dann waren die letzten verschwunden. Es wurde wieder still. Cormac, der den Bunker hatte bewachen sollen, war überwältigt worden. Er kniete am Boden und hielt sich den Arm.

 

Es war ein giftiger Fluch. Tödlich, wenn er nicht sofort behandelt wurde. Hermine würde sich sofort darum kümmern. Harry riss sich den Tarnumhang vom Kopf.

 

„So ein verfluchter Mist! Sie haben nicht nur den Schutz umgangen, sie haben auch Akten mitgenommen. Scheiße.“ Keiner erwiderte etwas. Das war keine gelungene Aktion gewesen. Ron schien allerdings der Kampf etwas Befriedigung verschafft zu haben.

„Lasst uns gehen“, sagte er schließlich und Harry nickte nur.

 

„Wir müssen uns mit dem Spion in Verbindung setzen, er muss die anderen warnen.“ Hermine behielt für sich, dass sie hinter einem Todesser Lucius Malfoy vermutete. Denn wenn er genug Zeit hatte zu kämpfen und Aufgaben für Voldemort erledigte, dann verbrachte er wohl kaum Zeit damit, nach seinem Sohn zu suchen.

 

„Ziemlich coole Welle.“ Cormac war zu ihr gekommen, während einer nach dem anderen zurück apparierte. „Können wir Seit-an-Seit machen? Ich glaub, ich schaff’s nicht allein.“ Cormac war nicht stolz genug, um seine Schmerzen zu verheimlichen. Hermine schätzte das.

 

„Sicher“, sagte sie nur, hakte sich unter seinen gesunden Arm und sie verschwanden schließlich auch.

 

 

 

~*~

 

 

Nachdem sie zurückgekehrt waren, hatte sie sich sofort um die nötigen Verletzungen gekümmert. Noch ein paar andere aus ihrer Gruppe waren so gut, dass sie Verletzungen heilen konnten. Allerdings hatten sie auch nur beschränkte Mittel zur Verfügung.

 

„Besser?“, erkundigte sie sich bei Cormac, der die Tortur völlig still über sich hatte ergehen lassen. Hermine hatte seinen Arm öffnen müssen, hatte den Blutfluss angehalten und dann das Gift direkt entfernt. Jetzt hatte sie gerade den Arm magisch verschlossen. Sie wusste nicht, ob eine Narbe bleiben würde. Sie konnte noch nicht Millimeter genau verschließen.

 

„Alles bestens“, erwiderte Cormac schließlich. Er verzog den Mund und strich über seinen verheilten Arm. Benommen schüttelte er den Kopf. Der Trübungszauber, den Hermine ihm vorher verpasst hatte, klang nun ab. Der war dafür gut, dass er nichts von den Schmerzen mitbekam, während sie seinen Arm öffnete.

 

Im letzten Jahr hatte sie allerhand Wunden behandeln müssen. Sie hatte nur das große Buch der Heilung von Barnaby Delafort. Das war ihre einzige Quelle. Bisher hatte sie damit hervorragend arbeiten können. Zwar hielt sie es für zweifelhaft, nicht in einem Hospital ausgebildet zu werden, aber sie verrichtete solche Sachen auch ohne Gewähr.

 

Cormac hatte seine Zustimmung gegeben. Aber es war ja alles gut verlaufen.

 

„Harry ist ziemlich sauer. Aber ich meine, je mehr wir umbringen, umso weniger Leute hat Voldemort, richtig?“ Er zog sich eine Jacke über das helle Shirt.

 

„Ich denke, Voldemort hat genug Bewerber. Ob wir nun zwei, drei mehr umbringen oder nicht.“ Das war ein bitterer Gedanke, den sie äußerte und den normalerweise niemand in der Gruppe äußern durfte. Denn wenn sie schon von vornherein wussten, dass es chancenlos war zu kämpfen, dann mussten sie es auch eigentlich gar nicht erst versuchen.

 

„Ja, vielleicht.“ Cormac lächelte jetzt. „Aber die sind jung und unerfahren. Wir sind besser. Also bringen wir die alten Todesser um und haben mit dem Frischfleisch leichtes Spiel.“ Sie mochte seine Art. Er war unerschütterlich optimistisch geblieben. Aber das mochte auch daran liegen, dass sich seine Familie in Sicherheit gebracht hatte, ehe Voldemort alle hatte umbringen können.

 

Und er war nur geblieben, weil er Harry gerne unterstützen wollte. Das war nobel. Wahrscheinlich konnte man Cormac mit keinem anderen Wort besser beschreiben.

 

„Jaah, vielleicht“, gab sich Hermine geschlagen.

 

„Musst du… musst du dich jetzt um unseren Gast kümmern?“, fragte er und betrachtete ihr Gesicht eingehend.

 

„Sprichst du von Malfoy?“

 

„Ja. Lässt Harry dich nicht diese ganze Gefangenen-Sache regeln?“ Er klang fast amüsiert über diesen Zustand. Aber er hatte von Anfang an gesagt, dass es völliger Zeitverschwendung sei, Malfoy zu entführen und als Geisel zu halten. Mittlerweile gab Hermine ihm recht. Aber immerhin war er dennoch mit dabei gewesen und war sogar derjenige gewesen, der ihn letztendlich außer Gefecht gesetzt hatte.

 

„Nein, ich muss nicht zu Malfoy. Wieso fragst du?“ Sie runzelte kurz die Stirn.

 

„Kein Grund. Dann… hast du also noch etwas Zeit.“ Es war keine Frage. Cormac lehnte sich langsam vor und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Mund wurde trocken. Harry hatte endlose Ansprachen über die Dynamik der Gruppe gehalten und dass Streit nicht helfen würde. Romantische Beziehungen sollten wenn möglich vermieden werden, weil alle zusammen halten müssten. Er hatte gesagt, wenn sie nicht hundertprozentig wüssten, dass sie denjenigen heiraten werden, dann sollten man die spontanen Gefühle kontrollieren, die Zuneigung einfach einstellen und die Gruppe nicht gefährden.

 

Harry hielt sich an die Regeln. Ron tat dies nicht. Er hatte zwei Mädchen, die hoffnungslos in ihn verliebt waren, weil er es immer wieder darauf anlegte. Hermine hatte nur die eine Nacht mit Ron als ihren Fehler zu verbuchen und ihre Gedanken rasten jetzt.

 

Ehe sie sich Harrys Worte noch einmal in den Geist rufen und vergessen konnte, dass sie zwar jung war und Bedürfnisse hatte, diese aber einfach mit Reife kontrollieren musste, berührten Cormacs Lippen ihre.

 

Und das war’s dann. Harry hin, Harry her. Gruppendynamik... Jetzt gerade war ihr die Dynamik egal.

 

Seine Lippen waren weich und wanderten ihren Kiefer hinab. Sie hielt die Luft an, schloss ergeben die Augen. Seine Hand schlang sich um ihren Nacken, er küsste wieder ihre Lippen und seine Zunge glitt mühelos in ihren Mund.

 

Sie erwiderte den Kuss. Sie umfasste sein Gesicht zögerlich mit den Händen. Es war nur eine Flucht. Eine Flucht aus einem grauen Alltag. Einem Alltag voller Kampf und Hoffnungslosigkeit.

 

Cormac stöhnte leise, vertiefte den Kuss und konnte nicht mehr an sich halten. Sein Arm schlang sich um ihre Hüfte. Er riss sie mit sich nach oben, zog sie an sich und nun fühlte sie sich gegen seine starke Brust gepresst.

 

Sie genoss seine Wärme, dass er größer war als sie, dass er sie küsste, als hätten sie überhaupt nichts zu verlieren. Als die Tür sich öffnete, raste ihr Puls. Sie wichen beide zurück.

 

Lavender bedachte sie mit einem sauren Blick. „Harry will dich sehen, Hermine.“ Zu Lavenders Qualitäten gehörte, eine Sache völlig unbeteiligt zu bewerten, aber auch, diese Sache allen anderen unbeteiligt weiter zu erzählen.

 

„OK. Bis… später“, sagte sie atemlos zu Cormac, der sich verlegen durch die dunkelblonden Haare fuhr. Sie folgte Lavender wortlos. Lavender sagte nichts. Das war auch gut so, denn Hermine hatte das Gefühl, ihre Wangen ständen in Flammen. Lavender bog in Richtung Küche ab und Hermine ging die letzten Schritte zu Harrys Unterkunft. Er war der einzige, der ein eigenes Zimmer hatte. Und Malfoy. Obwohl Malfoy eigentlich nur im Keller der alten Fabrik untergebracht war, die sie im Moment ihr Versteck nannten.

 

Sie klopfte und trat ein.

 

„Hermine, bist du fertig mit verarzten?“ Sie zupfte sich die Haare zurecht.


„Ja.“

 

„Gut. Könntest du dich heute um Malfoy kümmern? Ich weiß, es ist eine große Bitte, aber ich erwarte gleich Besuch.“ Hermine wusste, wer dieser Besuch war, und sie billigte es ganz und gar nicht.

 

„Du hast ihm gesagt, wo unser Versteck ist? Wieso könnt ihr nicht einfach einen anderen Ort auswählen? Es ist zu gefährlich. Was, wenn ihm jemand folgt? Was, wenn er versucht Malfoy zu befreien?“ Sie hatte den Kuss nun schon fast wieder vergessen.

 

„Hermine, ich vertraue ihm.“

 

„Das ist schön für dich, aber du musst auch an uns denken. Du kannst nicht immer nur deine Ziele im Kopf haben. Du kannst nicht um jeden Preis unser aller Wohl aufs Spiel setzen!“ Harry wandte sich um. Er sah müde aus.

 

„Hermine, hör auf damit. Bisher hat er uns jedes Mal gut beraten, hat uns geholfen, Lebensmittel gebracht und Informationen, die auch dein Leben gerettet haben.“ Ihr Ausdruck wurde finster.

 

„Ja. Das ist völlig richtig. Aber bisher hatten wir auch nie seinen Patensohn in unserer Gewalt. Ich bin mir nicht sicher, ob ihn das so glücklich stimmen wird.“ Etwas flackerte in Harrys Blick.

 

„Er würde uns niemals verraten“, beharrte er jetzt, etwas zu laut. „Malfoy ist am Leben. Es geht ihm den Umständen entsprechend. Er muss sich keine Sorgen machen.“

 

„Ach ja? Dann sag ihm doch bitte, dass ihr nicht vorhabt, ihn am Leben zu lassen. Tut mir leid, Harry, aber diese Entscheidung kann ich nicht unterstützen. Ich werde veranlassen, dass wir zusammenpacken und dann werden wir verschwinden.“

 

„Hermine, das liegt nicht in deiner Macht.“

 

„Nein, ich habe nicht die Macht uns alle auszuliefern. Die hast nur du, richtig, Harry?“ Sie starrten sich an. Sie sah, wie sich der Zorn hinter Harrys Augen breit machte. Wie eine dunkle Wolke legte er sich über sein Gesicht. Gleich würde er schreien. Aber er beherrschte sich.

 

„Er wird uns nicht verraten“, knurrte er schließlich.

 

„Du bist zu weit gegangen. Du hättest nicht mit ihm Kontakt aufnehmen dürfen“, erwiderte sie kopfschüttelnd.

 

„Geh und kümmere dich um Malfoy. Bitte, Hermine.“ Das Bitte klang genauso kalt und fordernd wie ein Befehl. Harry zog die Schublade eines alten Spinds auf, griff hinein und warf Hermine den flachen Gegenstand zu.

 

Sie fing die Münze mit beiden Händen. „Ich vereinbare einen neutralen Treffpunkt. Wenn etwas schief geht, lass ich es dich wissen. Kümmere dich um Malfoy und sag allen schon mal Bescheid.“ Damit wandte er sich um. Sie wusste, er hasste es, wenn seine Autorität untergraben wurde.

 

Aber er wusste auch, dass sie keine bösen Zwischenfälle vertragen konnten.

 

„In Ordnung, Harry“, sagte sie deshalb und ihre Laune sank noch ein weiteres Stück, wo sie Malfoy nun aller Wahrscheinlichkeit nach sauber machen musste. Das war eine ihrer Sorgen und natürlich die, ob sie Cormac noch einmal küssen würde.

 

 

Teil 4

 

Sie betrat den Raum. Und sie war nicht unbedingt freundlich. Aber niemand war hier wirklich freundlich. Aber es war ihm auch nicht weiter wichtig.

Er witterte seine Chance. Sie würde ihm Essen bringen und ihn waschen. Kurz flackerte der Ekel und Widerwillen in seinen Gedanken auf, da sie immerhin ein Schlammblut war. Aber seine physische Gebundenheit ließ es nicht zu, dass er sich wirklich darüber Gedanken machte.

 

Es galt, hier endlich raus zu kommen. Es galt, dass er den Plan verwirklichen konnte, den er sich seit Tagen zurecht gelegt hatte.

Sie wirkte nervös. Er hatte seine Kräfte gespart, versucht, wirklich zu schlafen, auf diesem Folterstuhl. Es war schwer – und es sollte wohl auch so für ihn sein – seinen Geist zu sammeln und nicht durchzudrehen.

Und er versagte kläglich. Der Zorn auf seinen Vater hielt ihn noch davon ab, verrückt zu werden, denn er konnte sich Lucius’ Gesicht vorstellen.

 

Er konnte sich gut vorstellen, wie sein Vater verächtlich auf ihn herunter blicken würde, und einfach mehr erwartet hätte, als dass sich ein Malfoy dem Wahnsinn so schnell hingab. Draco wusste, es ging um Leben und Tod.

 

Sie betrachtete ihn, als erwarte sie, dass er gleich einen Ausbruch haben würde.

Er stand auch kurz davor.

 

„Hast du Hunger?“ Es war kaum eine Frage. Sie schnippte mit dem Zauberstab, und der Teller mit Brühe erschien. Sie war abgelenkt. Das war gut.

Nach einem weiteren Schlenker erschien ein Hocker und sie setzte sich.

Sie führte den Löffel an seinen Mund und widerwillig schlürfte er die ekelhafte Soße. Er nahm an, dass sie angereichert war, und dass sich das Essen von Potters Gruppe nicht besonders von seinem unterschied.

Außerdem nahm er an, dass sich Granger auch um die Zubereitung in erster Form gekümmert hatte, denn sie war ziemlich klug.

 

Die Suppe war recht geschmacksneutral. Wohl, damit man so viele Mineralien und überlebenswichtige Dinge rein packen konnte, ohne dass man sich danach übergeben musste.

 

Draco hatte sich heute besonders Mühe gegeben, besonders schmutzig zu sein. Auch wenn er sich alle Mühe gab, nicht darüber nachzudenken.

Er hatte eigentlich geplant, Potter zu bewältigen, aber mit Granger wäre es wohl einfacher. Sie war schließlich ein Mädchen.

Sie wusste wohl auch, dass er dringend eine Dusche brauchte.

„Aufstehen“, orderte sie, nachdem er fertig war, schob ihren Hocker zurück und löste mit dem Zauber seine Fesseln.

 

Ehe er irgendetwas anderes tun konnte, als aufzustehen, hob sie den Zauberstab erneut. „Imperio“, sagte sie mehr als widerwillig. Er spürte die Macht ihres Geistes auf seinen eigenen einschlagen. Seine Hand griff zu seinem Handgelenk, aber die plötzliche Kontrolle verbot es seiner Hand.

Schnell hatte sie ihn gepackt, den Ärmel nach oben geschoben und betrachtete das Lederband. Es geschah wie durch einen Schleier.

 

Er spürte ihren Willen, spürte ihre Macht, aber sie befahl ihm nichts. Sie hielt ihn einfach zurück. Potter hatte dies nicht getan. Scheiße. Er hatte nicht überlegte.

„Was ist das?“ Ihre Stimme klang ruhig. Er hatte genug Willen, nicht zu antworten. Im Moment jedenfalls. „Malfoy, antworte mir.“ Der Druck wurde stärker. Er hätte nicht gedacht, dass Granger – „Malfoy!“ Jetzt dröhnte die Stimme durch all seine Gedanken.

 

„Amotio Directo“, sagte seine Stimme rau. Der Druck ihres Willens ließ nach. Sie löste das Band von seinem Arm und er konnte nichts dagegen tun. Die Wut in seinem Körper wurde groß. Sie raubte ihm seine Flucht! Sie raubte ihm seine Möglichkeit. Anscheinend wusste sie mit seiner Auskunft etwas anzufangen. Sie schob sich das Armband in die Tasche. Er fühlte sich leer.

Hätte er die Kugel am Lederband nur schon eher zerstören können! Wäre er doch einfach stärker als das! Das Signal hätte seinen Vater erreicht. Jeden Todesser im Land hätte es erreichen können!

 

„Zieh dich aus.“ Er hob den Blick. Ihr Zauber ging nur so weit, dass er nicht in der Lage war, sich auf sie zu stürzen. „Sieh mich nicht so an, Malfoy. Zieh dich einfach aus“, befahl sie jetzt. Der Druck ihres Willens war nicht groß. Dennoch folgte er ihren Worten. Langsam zog er sich aus. Stehen war anstrengend geworden. Er hatte bestimmt die Hälfte seiner Muskelstruktur eingebüßt.

Und der Zauber war schwach genug, dass er sich ihrer ganzen Präsenz bewusst war. Er hatte keine Probleme, sich vor Mädchen auszuziehen, aber Granger war ein Schlammblut und ein Miststück.

 

Ihr schien es völlig gleichgültig zu sein. Sie sah ihn nicht einmal an. Kaum war er nackt, brach ein Wasserstrahl aus der Spitze ihres Zauberstabs und der Imperiuszauber verflog.

Fast wäre er gefallen. Er hielt sich schlecht alleine. Auch jetzt konnte er sie nicht angreifen. Er war einfach nicht in der Lage. Wasser traf ihn überall. Es war nicht mal warm. Als er das Gefühl hatte, erfrieren oder aufweichen zu müssen, stoppte die Flut. Er zitterte. Seine Zähne klapperten heftig. Auch sie trocknete ihn mit einem Zauber. Sie trocknete auch seine Sachen.

 

„Jetzt komm her.“ Sie betrachtete ihn eingehend, hielt ihn am Arm und ihre Augen wanderten über Dinge, die er nicht sehen konnte. Sie hob den Zauberstab erneut. Stumm formte ihr Mund Formeln. Einige Stellen in seinem Gesicht brannten. Er spürte, wie sich Haut neu bildete, wie Wunden sich schlossen, wie Schmerzen versiegten. Sie heilte ihn gerade. Auch die Wunden auf seiner Brust, an seinem Oberschenkel. Er zitterte nicht mehr. Er fühlte sich warm und müde. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie groß seine Schmerzen eigentlich gewesen waren. Er wollte sprechen, wollte kämpfen, konnte aber nicht.

 

Sie sprach einen weiteren Spruch. Er glaubte, bereits zu träumen, denn es erschien ein Bett mitten in dem gekachelten, schwach beleuchteten Raum. Ein richtiges Bett! Mit Kissen, Decke, Kopf- und Fußende. Aus Holz. Es war ein Traum.

 

„Hör zu, das ist eigentlich nicht das, was Harry im Sinn hatte, Malfoy. Aber du wirst jetzt schlafen. Es ist kein normales Bett. Und ich werde Harry das Armband nicht geben. Sie töten dich wahrscheinlich so oder so“, fügte sie kalt hinzu. „Aber so hast du nicht direkt einen Grund, weshalb sie dich morgen töten werden.“

Er verstand ihre Worte, aber sie ergaben keinen direkten Sinn.

 

Da stand ein Bett.

 

Sie folgte seinem Blick. „Zieh dich wieder an.“ Er schüttelte unwirsch den Kopf.

„Du willst nicht, dass ich dich anziehen, Malfoy“, drohte sie. Er sah sie knapp an. Ihr Bild verschwamm vor seinen Augen. Punkte tanzten bunt vor seinem Blick.

Sie fing ihn, ehe er fiel. Er war zu schwer. Er spürte sie schwanken. Es war ihm egal, dass er nackt war. Er wollte nur in dieses Bett, wollte liegen, wollte seine Muskeln entspannen, wollte schlafen und wollte nicht mehr aufwachen. Nie, nie wieder.

 

„Malfoy!“ Sie schubste ihn auf das Bett. Er spürte, wie er von ihr lediglich ein langes Hemd angehext bekam. Dann stopfte sie die Decke um seinen Körper.

Sie sprach einen Zauber. Kurz befiel ihn eine kalte Starre, dann löste sich dieses Gefühl auf. „Das Bett wird dich festhalten, wenn du aufstehen willst. Also versuche es gar nicht. Ich werde später noch einmal wieder kommen.“ Es klang eher wie eine Drohung. Er öffnete den Mund, wollte irgendwas sagen, aber er war eingeschlafen, noch ehe er einen weiteren Gedanken denken konnte.

 

 

~*~

 

 

„Und wieso, Hermine? Was sollte das? Willst du ihm Hoffnungen machen?“

 

„Hoffnungen? Er kann nicht mal alleine stehen, Harry! Er macht sich in seine verfluchte Hose! Was willst du eigentlich noch? Denkst du, sein Vater kommt ihn holen? Denkst du das wirklich?“

 

Er öffnete die Augen. Wach war er nicht. Nein, er fühlte sich wie gerädert. Vor der Tür schrieen sie. Er verstand. Es ging um ihn.

 

„Wir werden ihn einfach töten.“ Das war Weasley. Ihn befiel ein kalter Schauer als er an das rothaarige Tier dachte.

 

„Oh Ron, wirklich? Dann tu das doch! Du bist derjenige, der das Gesetz damit völlig zurücklässt.“

 

„Hast du Mitleid? Ist es das wirklich? Du hattest kein Recht, ihn von dem Stuhl zu holen.“

 

„Und ihr habt kein Recht, ihn so zu quälen!“

 

„Was zum Teufel ist los mit dir?“ Die Tür wurde geöffnet. Das Trio starrte ihn zornig an. Als wäre er auch noch Schuld.

 

„Du hast ihn geheilt.“ Potter stellte dies lediglich fest. Er versuchte aufzustehen, aber das Bett hielt ihn zurück. „Wieso hast du das getan? Es reicht schon, dass er eines der Betten bekommen hat.“

 

„Ron schläft doch sowieso bei einem der Mädchen“, gab sie kühl zurück. Potter und Weasley tauschten einen Blick. Dann wandte sich Potter wieder an ihn.

 

„Malfoy, wo ist sie?“

 

Er erinnerte sich dumpf, dass diese Frage bereits an seinem ersten Tag gestellt worden war.

 

„Wo ist was?“, fragte er jetzt. Er hatte Hunger, hatte Durst, hatte Schmerzen und große Mangelerscheinungen. Er würde auch ohne Potters und Weasleys Hilfe sterben. Welcher Tag war heute? Und wie viel Uhr war es wohl? Wie lange lag er hier und suchte sein Vater wirklich nicht nach ihm?

 

„Verkauf uns nicht für dämlich, du gottverdammtes Arschloch!“ Weasley hatte ihn gepackt, aus dem Bett gezerrt und brach somit den Zauber. Er lag recht hilflos auf den schmutzigen Fliesen.

 

„Wo ist die Waffe?“

 

Waffe. Hatte Potter Waffe gesagt? Von welcher Waffe sprach er? Er musste schnell nachdenken, denn das entschied über sein Leben. Oder seinen Tod. Je nach dem.

 

Ihm wurde schlecht. Sein Kopf sank auf den Boden zurück.

 

„Harry, siehst du denn nicht? Er wird hier sterben.“ Er hörte Potter zornig schnauben. Dann wurde er nach oben gerissen. Unsanft und heftig.

 

„Wir müssen sowieso bald verschwinden. Dann lassen wir ihn hier“, beschloss er. „Es sei denn, er…“ Seine Stimme verklang. Draco blickte in die grünen Augen. Waffe… Er hatte keine Ahnung. Welche Waffe meinte Potter? Was sollte er sagen? Sollte er lügen? Sollte er weinen? Sollte er irgendetwas tun? Was konnte er tun? Er musste sich gegen Potter stützen. Dieser verzog den Mund.

 

„Malfoy, komm schon.“ Er wurde wieder geschüttelt. „Sag uns, wo sie ist.“

 

„Ach, das Arschloch weiß es sowieso nicht! Es war alles reine Zeitverschwendung!“ Weasley würde ihn gleich wahrscheinlich zu Brei schlagen. So sah er zumindest aus.

 

Die Tür ging auf. Den kannte er auch! Quidditch, überlegte er dumpf.

 

„Potter, hier ist Besuch für dich.“ Anscheinend war das keine gute Neuigkeit.

 

„Ich dachte, du hast das Treffen verschoben!“, rief Granger jetzt voller Wut.

 

„Nein, habe ich nicht.“

 

„Er ist also hier?“, schrie sie jetzt und Draco konnte nicht folgen.

 

„Hier.“ Er schob ihn an Weasley weiter, welcher ihn einfach fallen ließ. Draco schlug wieder auf die Fliesen auf. Dann verließ Potter den Raum.

 

„Was ist los?“

 

„Er triff sich mit der Quelle.“ Draco spürte, wie ihn jemand umdrehte.

 

„Hermine, lass das sein. Hör auf, ihn ständig zu bemuttern.“

 

„Ron, halt deine Klappe und bereite den Aufbruch vor.“

 

„Harry hat gesagt…“, begann Weasley, aber Granger war lauter.

 

„Harry weiß nicht mehr, was er tut. Er trifft sich hier mit ihm, Ron. Hier! Denkst du wirklich, er kommt hierher, wenn er nicht weiß, dass wir Malfoy haben? Was denkst du, wird gleich passieren? Wir müssen hier weg! Jetzt! Hol die anderen und appariert schon mal in das Versteck.“ Anscheinend lief irgendein Plan nicht gut.

 

„Granger, können wir reden?“ Das war der Junge. Draco war immer noch schlecht. Er blickte sich um. Weasley war gegangen. Der Junge und Granger waren allein.

 

„Jetzt ist es schlecht, Cormac.“ McLaggen! Richtig, so hieß dieser Typ. Kurz spürte Draco den Triumph, dass er der den Namen nicht vergessen hatte, aber dann wurde ihm wieder übel.

 

„Wann passt es dir denn?“ Anscheinend gab es hier auch Streit.

 

„Siehst du vielleicht, dass ich hier zu tun habe?“

 

„Warum kümmerst du dich um ihn?“ Es klang so, als beurteile McLaggen ein ekliges Experiment. Draco hätte gerne etwas Entsprechendes gesagt, aber er war nicht in der Lage.

 

„Soll ich ihn hier etwa liegen lassen, Cormac?“, gab sie gereizt zurück.

 

„Wieso müssen wir verschwinden? Wieso passiert jetzt alles so schnell? Was ist das für eine Panik?“ Er kniete sich neben sie. Draco hätte kotzen können. Keiner half ihm auf. Wut keimte in ihm auf. Wie lange musste er noch so leben wie ein geschundenes Tier?

 

„Hör zu, das ist jetzt alles etwas zu viel. Geh zu den andern und apparier endlich.“

 

„Wann kommst du?“ Sie stöhnte auf.

 

„Ich weiß es noch nicht.“

 

„Du willst ihn mitnehmen, oder?“ Sie sprachen über ihn, als wäre er gar nicht hier. Er wollte schreien, wollte sich bemerkbar machen, aber seine Situation war denkbar unwürdig. „Nur wegen Snape?“ Ein Ruck durchfuhr seinen Körper.

 

„Bist du verrückt?“, knurrte Granger wütend und stand auf. „Halt deine Klappe und verschwinde!“

 

„Snape? Ist hier?“ Dracos Zunge klebte beinahe an seinem Gaumen so dehydriert war er. „Snape?“ Er versuchte zu schreien, versuchte den Namen seines Paten so laut zu rufen, wie er nur konnte. Aber er konnte nicht. Snape war hier! Warum? Was hatte Snape… Seine Gedanken rasten. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

 

„Muss er jetzt sterben?“ McLaggens Stimme klang kalt. Dracos Blick hob sich verwirrt.

 

„Du bist ein Arschloch“, stellte Granger nur fest. Snape war hier!

 

„Ich mache es nur leichter. Er ist ein Stein am Bein. Wir haben kaum genug Leute, um uns zu verteidigen und jetzt kümmerst du dich noch um den Feind. Denkst du…“ Sie unterbrach ihn.

 

„Halt deine Klappe. Ich hab dir gesagt, du sollst verschwinden. Also verschwinde endlich, verflucht noch mal!“ Dann war es still. Dracos Blick senkte sich. Er konnte den Hals nicht mehr gerade halten. McLaggen war fort.

 

„Malfoy, weißt du, wo sie ist?“, hörte er ihre Stimme wieder nahe an seinem Ohr.

 

„Wieso… wieso ist er hier?“, flüsterte er, denn er war zu heiser um zu schreien.

 

„Du musst mir sagen, ob du weißt, wo sie ist. Jetzt sofort.“ Er hob wieder den Blick. Schweiß rann ihm über die Stirn. Das Schlammblut sah ihn an. Mit einer Eile, mit einer Dringlichkeit, die ihm klar machte, dass seine Antwort in der nächsten Sekunde über alles entscheiden konnte. Ihre Augen waren dunkel. Braun und stumpf. Er schluckte und musste husten. Sie saß neben ihm auf den schmutzigen Fliesen, als mache es ihr überhaupt nichts aus.

 

„Ja“, sagte er nur. „Ja, weiß ich.“ Das war zwar glatt gelogen, aber sie hatte wohl nicht die Zeit und nicht die Mittel das zu durchschauen. Er würde sich später ausdenken, was für eine Waffe wo versteckt war. Voldemort hatte viele Dinge. Viele böse Dinge. Eins davon würde als Waffe herhalten können. Und sei es nur die Armee der Inferi – von der er zufällig erfahren hatte, als sein Vater es erwähnte.

 

Sie zog ihn am Arm in eine sitzende Position. „Dann werden wir jetzt fliehen.“ Sie klang so, als wüsste sie genau, dass sie dafür mächtig Ärger bekommen würde. Und er wollte wirklich nicht gehen. Er wollte nicht noch länger bleiben. Er schüttelte benommen den Kopf. Was dachte sie eigentlich, das er aushalten würde? Und dann hörte er es.

 

Schreie. Keine Schreie aus Wut oder Streit. Nein, er kannte die Art von Schreien. Es waren Schreie der Angst. Granger blieb noch relativ ruhig.

„Wieso ist er hier?“, murmelte er leise. Es dämmerte ihm, dass Snape wohl nicht wegen ihm hergekommen war. Er war also doch ein Spion. Sein Vater hatte recht gehabt, verflucht noch mal.

 

„Du bleibst jetzt still sitzen.“ Als ob er etwas anderes hätte tun können. Die Übelkeit raubte ihm den Atem. „Der Zauber hält nur ein paar Stunden. Er wird dir nichts nützen. Solltest du versuchen zu fliehen, dann wirst du in ein paar Stunden sterben, hast du verstanden?“ Nein, hatte er nicht. Welcher Zauber? Wovon sprach… Sie hob den Zauberstab. Und sie schloss die Augen.

 

Stärkere Fesseln schlossen sich wie beiläufig um seine Handgelenke und seine Knöchel, während sie stumm eine Formel murmelte. Diese Formel schien ihr Kraft aus dem Körper zu saugen. Sehr viel Kraft. Er sah, wie sie bleicher wurde, wie ihre Hände anfingen zu zittern. Er spürte seinen Puls, spürte, wie er anfing zu rasen, spürte, wie die Fesseln nicht mehr schmerzten, spürte, wie sein Blick sich klärte, spürte, wie seine Lippen sich nicht mehr trocken und spröde anfühlten.

 

Pure Kraft rauschte durch seinen Körper. Sie fiel auf die Knie.

 

Er versuchte die Fesseln zu zerreißen. Sie lächelte schwach.

 

„Snape!“, schrie er mit voller Kraft in den Lungen. Er erschrak fast vor seiner eigenen Stimme, die ihm in dieser Lautstärke nicht mehr vertraut gewesen war. „Snape, hier!“ Er war aufgestanden und hüpfte eilig zur Tür, die er nicht öffnen konnte. Sie folgte ihm langsam.

 

„Vergeude meine Energie nicht zu schnell, Malfoy.“ Sie blieb ziemlich ruhig.

 

„Snape!“, schrie er wieder. Vor der Tür ging einiges vor. Aufbruch, dachte er. Das klang nach Panik. Sein Vater war da draußen, er wusste es! „Lucius!“, schrie er jetzt. Er spürte Grangers Hand auf seiner Schulter. Er wandte sich hastig um.

 

„Wir gehen“, erklärte sie ruhig.


„Nein, ich gehe nirgendwo hin, verfluchtes Miststück! Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich…“ Kurz wunderte er sich über die vielen Worte, die ihm wie von selbst über die Lippen kamen, ohne dass er nachdenken musste. Ohne dass er sich anstrengte.

 

„Malfoy, wenn du nicht mitkommst, werde ich dich umbringen. Jetzt und hier.“ Und tatsächlich machte sie keinen Scherz. Er konnte keine Lüge in ihrem Blick erkennen. Er hasste sie.

 

„Du bist ein Miststück. Du bist ein verfluchtes Schlammblut. Und du bist sehr, sehr dumm.“ Kurz zuckte ein Lächeln über seine Züge. Er hatte keine Ahnung, dass sich Kraft so angefühlt hatte. Dann verschwand sein Lächeln und er spannte sämtliche Muskeln an. Sie sah ihn an und öffnete den Mund.

Alle ihre Worte erstarben, als die Stricke um seine Handgelenke rissen.

 

Er vergeudete keine Sekunde und freute sich ungemein über ihre unsagbare Dummheit. Sie hob den Zauberstab hastig, doch er schlug hart gegen ihre Hand, so dass sie das Stück Holz keuchend fallen ließ. Er sah die Tränen, die ihr in die Augen schossen und die Erkenntnis, die beinahe panisch in ihrem Blick lag.

 

Am liebsten würde er sie schlagen, sie solange quälen, bis sie nur noch Blut spucken konnte – aber leider, leider, war dafür keine Zeit.

Schnell hatte er sich nach ihrem Zauberstab gebückt. Der Plan in seinem Kopf stand.

 

Imperio!“, rief er mit einem teuflischen Grinsen. Er liebte die gewonnene Kraft, die durch seinen Körper rauschte. Und er genoss die grausame Überlegenheit.

„Du wirst die Worte wiederholen, die ich dir sage, Schlammblut. Am besten machst du keinen einzigen Fehler!“ Damit öffnete er die Tür und schubste sie grob nach draußen.

 

Sie folgte ihm, ohne Widerstand leisten zu können.

Das Blatt hatte sich gewendet.

 

Teil 5

 

Ihre Augen öffneten sich in schummeriger Dunkelheit. Ihr Nacken schmerzte als sie den Kopf hob. Kalte Angst befiel sie nur Momente später. Sie hatte so großen Mist gebaut! Sie war verwundert, überhaupt noch am Leben zu sein.

 

Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Zustand noch lange anhalten würde. Ihr Herz schlug so laut, dass sie glaubte, jeder müsse es hören können. Wo war sie? Sie versuchte sich zu konzentrieren, sich vorzustellen, dass sie hier wieder raus kommen würde, wo immer sie auch war, aber die Angst war beinahe übermächtig.

 

Sie hatte viel zu viel zu den Morden an Todessern beigetragen, als dass sie jemand entkommen lassen würde. Sie biss sich auf die Lippe, damit sie nicht anfing zu schreien und zu weinen.

 

Aber… vielleicht sollte sie schreien und weinen. Vielleicht würden die Todesser sie dann schneller umbringen! Was hatte sie getan? Was war nur passiert. Sie erinnerte sich daran, dass sich Malfoy befreit hatte, dass er ihren Zauberstab entwendet hatte und dann…? Dann kam der Imperius.

 

Sie glaubte, sich zu erinnern, dass sie noch mit Harry gesprochen hatte, ihm gesagt hatte, sie käme nach, dass sie Malfoy versteckt gehalten hatte und… Und dann wusste sie nicht weiter.

 

Das hier war kein Keller. Es wirkte eher wie… wie ein Wartezimmer. Einige Stühle standen neben dem auf dem sie gefesselt saß. Ein kleines Sofa, ein Tisch, ein Kamin, der nicht brannte. Die Fenster waren mit dunklen, schweren Vorhängen verhangen. Licht brach durch den winzigen Spalt, den die Vorhänge nicht verschließen konnten.

 

Es war also Tag. Wie lange war sie hier? Wieso war sie noch am Leben? Zogen es Todesser vor, ihre Opfer lebend zu foltern? Ein Schauer erfasste sie. Sie hatte keine Angst vor Schmerzen, aber… jetzt in diesem Moment wollte sie lieber schnell sterben. Ganz furchtbar schnell.

 

Ihre Hand schmerzte. Malfoy hatte sie dort getroffen. Allerdings konnte sie die Hand nicht sehen. Hinter ihrem Rücken wurden die Hände zusammen gehalten. Sie spürte keine Fesseln aus festem Material. Nur magische.

Ob Ron und Harry sich schon Sorgen machten? Ob sie begriffen hatten, was passiert war? Ob sie nach ihr suchten oder ob Harry seinem Prinzip folgte, dass jeder, der sich in Gefahr brachte, zum Wohl der anderen zurückgelassen werden musste?

 

Dann hatte sie eigentlich keinen Grund zu warten, sich Hoffnungen zu machen, denn es war wirklich sicherer, wenn sie nicht von ihnen gefunden wurde. Sie kamen hier bestimmt nicht lebend aus der Sache raus.

Sie war so wütend auf sich selbst. Wie hatte ihr das nur passieren können? Wieso war sie nicht klüger gewesen?

 

Die Tür öffnete sich und hinter Ihrem Rücken ballten sich ihre Finger zu Fäusten. Es schmerzte zwar, aber es war reiner Instinkt, dass sie sich wappnete.

 

„Ms Granger…“ Lucius Malfoy sprach ihren Namen mit Bedacht und schenkte ihr ein Lächeln. Die Haare trug er in einem langen Zopf. Über seine Schultern hing ein dunkelgrüner Gehrock aus Samt und sein Zauberstab ruhte in seinem Gehstock mit der Diamantenen Spitze.

 

Sie wusste, hinter seinem teuren Aussehen und seiner Eleganz verbarg sich der Teufel in geschickter Weise. „Wie schön, Sie in meinem Hause begrüßen zu dürfen. Was für eine Überraschung, dass mein Sohn noch am Leben ist. Ich denke, diesen Zustand verdanke ich Ihrer Dummheit?“ Es war keine echte Frage. Immer noch lächelte er.

 

Sie sagte kein Wort. Sie war starr vor Angst.

 

„Diesen kleinen Tausch finde ich äußerst nett.“ Er zog sich einen Stuhl direkt vor sie und ließ sich darauf nieder. Sie hatte eigentlich erwartet, ihn in seiner Todesserrobe zu sehen, aber dann wiederum nahm sie nicht an, dass er sie in seinem eigenen Haus auch tragen würde.

Gott, sie hasste diesen Mann.

 

„Zu dumm, dass wir uns immer nur zu Gelegenheiten treffen, in denen Ihr Leben auf dem Spiel steht, nicht wahr?“ Seine Hand hob sich ohne Vorwarnung zu ihrem Gesicht und strich eine der Strähnen zurück. Sie wich erschrocken vor ihm zurück und starrte ihn voller Abscheu an. „Ja… ekeln Sie sich ruhig vor mir, Ms Granger.“

 

Es schien ihm irgendeine Art perverses Vergnügen zu bereiten, sie anzufassen, obwohl er wohl nichts mehr in der Welt verabscheute. „Ein Schlammblut in meinem Salon zu haben, entspricht auch nicht unbedingt meinen kühnsten Träumen“, fuhr er fort und wischte sich seine Hand in einer übertrieben Geste an seiner Hose ab. „Wie ich erfahren habe, halten sich ihre Freunde zurzeit in der Parkerlane auf?“, fragte er beiläufig.

 

Ihre Augen weiteten sich vor Schock, aber sie versuchte es nicht zu zeigen. Allerdings war es ihm nicht entgangen. Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Dann haben Sie Draco also tatsächlich die Wahrheit gesagt? Ich hätte ja vermutet, Sie wären in der Lage gewesen, seinem Imperius zu widerstehen.“ Kurz wirkte er einen momentlang enttäuscht.

 

„Schade eigentlich, dass ich Sie wohl heute nicht zu foltern brauche. Aber…“ Sein Blick lag triumphierend auf ihrer Gestalt. „Dann habe ich mehr Zeit, mir etwas… Geeignetes auszudenken.“ Irgendetwas änderte sich in seinem Blick. „Ich bin oft alleine hier, seit Narzissa mich verlassen hat, Ms Granger.“ Sie konnte nicht mehr atmen. Kälte befiel sie und sie konnte ihre Unterlippe nur vom Zittern abhalten, in dem sie fest die Zähne zusammen biss.

 

„Vielleicht mache ich mir Ihre Gesellschaft zu nutzen?“ Er erhob sich wieder. Lucius Malfoy drohte damit, sie zu vergewaltigen! Lucius Malfoy drohte ihr das tatsächlich an! Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Angst erreichte ein ungeahntes Ausmaß und plötzlich wünschte sie sich, dass Harry dem Prinzip nicht folgen, und nach ihr suchen würde!

 

Die Todesser wussten also, wo sie versteckt waren. Das war noch viel, viel schlimmer. Malfoy musste es sie gestern gefragt haben! Sie war so dämlich. Lucius Malfoy verließ sie wieder, ohne ein weiteres Wort.

Wenn sie nur irgendwie fliehen konnte!

Ob… Voldemort hierher kam? Ein Schauer befiel sie.

 

Vielleicht war das ein Grund, weswegen Harry diesen Ort hier aufsuchen würde.

Sie hatte keine Idee, keinen Plan parat.

Sie wusste nur, sobald sie die Gelegenheit bekommen würde, würde sie Draco Malfoy umbringen! Ohne Gnade!

 

 

~*~

 

 

Sie wusste nicht, worauf es bei dieser Methode ankam, aber sie war sich sicher, sie hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts zu essen mehr bekommen. Vielleicht hatte sie Glück, und sie würde einfach verhungern. Sie hatte keine weiteren Besuche mehr bekommen, was wohl eigentlich ganz gut war.

 

„Ich will sie sehen!“

 

Fingernägel auf einer Tafel! Damit war diese Stimme zu vergleichen. Ihr Körper spannte sich an vor Angst. Sie konnte es nicht verhindern. Schweiß brach auf ihren Handflächen aus. Wieder versuchte sie, sich zu befreien, sich zu bewegen, irgendwas zu tun, aber schon öffnete sich die Tür. „Sieh einer an… Die Einzelhaft bekommt ihr gar nicht gut, Lucius!“ Bellatrix Lestrange stieß ein unangenehmes Lachen aus.

 

Lucius Malfoy folgte ihr. „Du bist kein Gast in meinem Haus, Bellatrix.“ Anscheinend wiederholte er diese Aussage. Hermine verzog den Mund, als Bellatrix ihr grob in die Wange kniff.

 

„Sie ist ja ganz anbetungswürdig, Lucius. Kein Wunder, dass du sie noch nicht getötet hast. Ein rebellisches Schlammblut… Das muss ja ein wahres Fest für dich und deinen missratenen Sohn sein, der dumm genug war, sich von Potters kleinen Häschern fangen zu lassen.“ Lucius‘ Mund ähnelte nur noch einem schmalen Strich. Hermine versuchte den Kopf wegzudrehen, aber Bellatrix lachte nur.

 

„Draco hat es immerhin geschafft zu entkommen. Ohne Hilfe“, fügte er hinzu, als wolle er Bellatrix mit diesen Worten etwas vorwerfen. Diese ließ augenblicklich von Hermine ab.


„Willst du damit sagen, dein Sohn ist etwas besseres als ich?“, erwiderte sie angriffslustig und in blinder Panik hoffte Hermine, die beiden würden sich noch umbringen. „Oh, armer Lucius“, fuhr sie fort und tat so, als müsse sie Dreck von seiner Schulter klopfen. Grob fing er ihre Hand ab. „Kein Wunder, weshalb Narzissa dich verlassen hat“, lachte sie, aber sofort drehte Lucius ihr Handgelenk schmerzhaft nach hinten.

 

Fluchend riss sich Bellatrix los. „Verfluchter Mistkerl“, knurrte sie, ehe sie den Zauberstab zog. „Eine kleine Ablenkung würde mir jetzt gut tun.“ Ehe Hermine die Worte begreifen konnte, traf sie der Cruciatus mit voller Wucht.

 

Sie hörte, wie der Schrei, den sie ausstieß, an ihren Stimmbändern zerrte. Selbst der Schrei bereitete ihr Schmerzen. Jede Faser in ihrem Körper schmerzte. Sie war schon zu lange hier, um auszuhalten. Dehydriert und ausgehungert. Die Ohnmacht holte sie eilig ein. Noch bevor Bellatrix den Zauberstab gesenkt hatte.

 

 

Ihr Kopf flog plötzlich auf die andere Seite. Ihre Wange schmerzte stark. War sie gerade geschlagen worden? Sie blinzelte in das unangenehme Dämmerlicht.

Sie schnappte erschrocken nach Luft. Sie hatte nicht das Gefühl gehabt, lange ohnmächtig gewesen zu sein, aber anscheinend lange genug, dass sich das Szenario hatte ändern können.

 

Als hätte er sie nicht angerührt saß er vor ihr und rührte angewidert in einem Brei, der ihr nur allzu bekannt vorkam.

„Du mieses Arschloch!“ Sie wollte es schreien, wollte es voller Hass und Verachtung in sein Gesicht spucken, aber ihre Stimme war nur ein raues Zischen.

 

„Nicht sprechen“, bemerkte er jetzt. Er sah nicht völlig gesund aus, und sie hoffte, dass er noch an den schweren gesundheitlichen Schäden sterben würde, die er als Geisel erlitten hatte. Er hob den Löffel zu ihrem Mund. „Iss“, sagte er jetzt gereizter. Sie sah ihn an.

 

Sie könnte sich zu Tode hungern. Sie hatte gehört, dass man irgendwann in Ohnmacht fiel und nicht mehr aufwachte, weil die Organe eben nicht versorgt werden können. Das war wesentlich besser als das Schicksal, was sie zu erwarten drohte, wenn sie noch länger überlebte. Sie schüttelte also den Kopf.

 

Anscheinend hatte er nur auf ihren Ungehorsam gewartet und zückte seinen Zauberstab. Bevor sie wirklich realisiert hatte, dass er ihren Zauberstab benutzte, hatte er schon die Formel gesprochen. Durch den Imperius hörte sie seine Stimme nur verschwommen. Immerhin schien es ihm Qualen zu bereiten, den Zauber überhaupt auszuführen.

 

Ihr Mund öffnete sich gegen ihren Willen. Er schob den Löffel grob in ihren Mund und senkte den Zauberstab wieder. Sie war wieder frei. Es schmeckte absolut widerlich. Sie tat das nächstbeste und spuckte ihm die eklige Pampe in sein Gesicht.

 

Angewidert schrie er auf, ließ den Teller fallen und schlug sie derart heftig ins Gesicht, dass der Stuhl beinahe kippte. Sie hielt die Augen geschlossen, denn bunte Sterne tanzten vor ihrem Sichtfeld auf und ab.

Ihre Wange brannte höllisch, Tränen traten in ihre Augen. Sie öffnete die Augen unter Schmerzen wieder und starrte angestrengt auf den Fußboden und versuchte, nicht zu weinen.

 

Sie kannte sich mit Schmerzen aus. Sie konnte es unterdrücken.

 

Er hatte mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn umfasst und zwang sie jetzt, ihn anzusehen. Sie versuchte den Kopf zurückzuziehen, aber erfolglos.

 

„Wenn du nicht essen willst, dann ist das deine Schuld.“ Ihr Atem ging schnell. Sie wusste nicht, vor wem die Angst größer war. Wahrscheinlich gewann tatsächlich Lucius dieses Kopf an Kopf Rennen, aber sein Sohn stand ihm an Grausamkeit in nichts nach.

 

„Ich werde dir die kurze Zeit, die dir hier noch bleibt, zur Hölle machen, Granger. Verlass dich drauf.“ Seine Stimme klang kalt und er sah nicht so aus, als ob er Scherze machen würde.

 

Er ließ sie allein. Der Teller mit Brühe lag auf dem Boden. Ihr Magen knurrte laut, aber sie würde bestimmt nicht so eine Widerlichkeit runter würgen.

Vielleicht hatte sie Glück und war morgen bereits gestorben.

Sie hoffte nur, Harry würde nicht nach ihr suchen.

Sie hoffte, in der Parkerlane wussten sie Bescheid, dass sie verschwinden mussten.

 

Ihr blieb also nur noch eine kurze Zeit.

Wieder wanderte ihr Blick durch den Raum. Sie war sich sicher, sie hatte hier schon alles entdeckt, was es zu entdecken gab. Sie hatte schon überlegt, irgendwie zum Fenster zu gelangen und sich nach draußen zu stürzen, aber ab und an sah sie einen Schatten vor Fenster entlang gehen, als ob jemand davor patrouillierte.

 

Aber vielleicht wäre sie dann noch schneller tot, weil sie versuchte zu fliehen. Aber selbst wenn es nur ein Tier oder etwas Ähnliches war, wenn sie wirklich mit dem Stuhl durch die Scheibe fallen würde – was dann?

Dann lag sie im Garten der Malfoys und konnte gar nichts tun.

Es waren alles schlechte Pläne. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die magischen Fesseln ohne Zauberstab lösen sollte.

 

Hier in diesem Zimmer gab es nichts außer der Stühle, ein paar Regale mit Büchern, deren Titel sie nicht lesen konnte, die Tür, die verschlossen war und das Fenster aus dem sie nicht nach draußen schauen konnte.

Sie presste die Beine fest zusammen, denn sie wollte nicht in der denkbar unwürdigen Position stecken, wie Malfoy.

Gott, für einen Moment bereute sie, was sie getan hatte.

Aber immerhin hatte Malfoy eine Art Dusche bekommen.

Sie wollte nicht unter sich machen.

 

Sie wollte nicht.

 

Aber sie wollte auch nicht, dass Lucius Malfoy kam und sie zwang, sich auszuziehen. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht einmal mehr das.

 

 

Teil 6

 

„Hat sie was zu trinken bekommen?“, fragte er seinen Vater eher beiläufig.

 

„Seit wann?“

 

„Seit sie hier ist“, erwiderte er gereizt. Sein Vater war ein Idiot. Er hatte kurze Momente gehabt, in denen er bereute, wieder gekommen zu sein.

Nicht, dass er woanders sein wollte, aber hier war es definitiv genauso schlecht wie überall sonst.

 

„Ich denke nicht, nein.“

 

„Du willst sie also auf dem Stuhl sterben lassen, Lucius?“, fragte er gedehnt nach, denn sein Vater wirkte bereits wieder genervt. Immerhin war sie seine Geisel. Er hatte sich darum zu kümmern, wenn er wollte, dass Potter bald vor seiner Tür stand.

 

„Nein, Draco. Was zum Teufel willst du von mir?“

 

„Sie wird sterben. Wenn nicht heute, dann morgen.“ Lucius fixierte ihn zornig.


„Seit wann schert dich das?“ Draco fluchte unterdrückt.

 

„Es ist mir scheiß egal, aber es geht um deinen Hals, oder nicht? Voldemort will Potter doch immer noch töten, oder geht es darum schon nicht mehr. Ich habe etwas den Überblick verloren, als du mich in der Hölle beinahe hast verrecken lassen“, fügte er eisig hinzu. Lucius verdrehte nun die grauen Augen.

 

„Dann kümmer dich darum, dass sie nicht stirbt. Wenigstens heute nicht. Und gib ihr andere Kleidung“, fügte er hinzu. Draco hielt inne.


„Kleidung? Weshalb?“, fragte er argwöhnisch. Sein Vater hob kurz den Blick.


„Weil ich mich heute Abend mit ihr unterhalten werde.“ Das war alles, was er dazu sagte.


„Ein Schlammblut, Vater? Wirklich?“ Äußerst selten nannte er Lucius Vater. Und auch nur dann, wenn er die Lächerlichkeit dieses Wortes betonen wollte. Zuerst dachte er, Lucius würde ihn schlagen, aber er schien es sich anders zu überlegen.

 

„Kümmer dich um unseren Gast, Draco, und geh mir aus Augen.“ Draco war klar, dass sein Vater keinen Finger gerührt hätte, um ihn zu retten. Genugtuung bereitete es ihm jetzt nur, dass er Granger demütigen konnte. Oh ja. Sie würde sich vor ihm ausziehen. Ihren schmutzigen Schlammblutkörper würde er nur zu gerne verfluchen und entstellen.

 

Aber anscheinen hatte sein Vater in dieser Hinsicht schon Pläne gemacht. Es schauderte ihn kurz. Niemals würde er auf die Idee kommen, ein Schlammblut zu vögeln. Nicht einmal in der Theorie.

 

Als er die Tür zum Salon aufschloss, saß sie übergebeugt auf dem Stuhl und murmelte irgendwelche Worte. Zuerst dachte er, sie würde zaubern, aber dann fiel ihm ein, dass er ja ihren Zauberstab hatte. Er hatte keine Ahnung, was mit seinem eigenen passiert war, aber ihrer funktionierte für ihn genauso gut.

 

Immerhin hatte er ihn in einem ziemlich unfairen Kampf gewonnen.

 

„Granger? Was wird das?“ Sie sah zu ihm auf. Sie sah schlecht aus. Ihr Gesicht hatte eine gräuliche Farbe. Sie wirkte bereits ausgezerrt. Er nahm an, sie musste aufs Klo. Lächelnd legte er den Kopf schief. „Oh, ich würde zu gerne sehen, wie du dich nass machst. Aber da ich dich sauber machen muss, finde ich es mehr als eklig.“

 

Er zauberte die Badezimmertür wieder ins sichtbare Spektrum. Dann belegte er sie mit dem Imperio. Zaubern schwächte ihn tatsächlich immer noch. Er befahl ihr, auf Toilette zu gehen und kam sich selten dämlich dabei vor.

 

Sie folgte ihm auf der Stelle, wahrscheinlich weil es etwas war, dass sie unbedingt tun wollte. Ihre Beine hatten Probleme damit, ihren stark geschwächten Körper zu tragen, aber der Imperius siegte über ihre physische Kondition.

 

Würde sie ihm heute die Suppe ins Gesicht spucken, würde er sie wahrscheinlich foltern. Ins Gesicht schlagen hatte nicht wirklich die Freude ausgelöst, auf die er gewartet hatte.

Als sie wieder kam, sah er, dass sein Zauber nicht mehr vollständig wirkte. Zwar sah sie ihn benommen an, aber er konnte den Hass deutlich erkennen.

 

„Ich will das zwar wirklich nicht sehen, aber… leider habe ich keine Wahl“, begann er. Sie durfte zwar in einer Dusche duschen, aber dafür musste er anwesend sein. Ansonsten konnte es sein, dass der Zauber irgendwann unterbrach. Je länger sie fort war, umso schwächer wurde der Zauber nämlich.

 

„Zieh dich aus, Granger.“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel sich zu einem bösen Lächeln hoben. Sie schwankte auf den Beinen. Er wusste, sie würde ohnmächtig werden. Er dachte schnell nach.

Wahrscheinlich musste sie erst was essen. Wahrscheinlich waren Frauen – auch wenn es Schlammblüter waren – nicht so widerstandsfähig wie Männer.

 

„OK, warte. Du wirst erst essen. Und du wirst essen, Granger! Wage es ja nicht, mich noch einmal anzuspucken! Du wirst es nur bereuen, hast du gehört?“, drohte er laut und verstärkte den Zauber. Sie nickte knapp.

Er befahl ihr, sich wieder zu setzen, beschwörte die Brühe herauf, die er etwas verfeinert hatte, und setzte sich vor sie.

 

Er hatte sich viel Mühe gegeben, die Pampe genauso eklig zu gestalten wie sie es getan hatte. Dieses Mal schluckte sie aber einen Löffel nach dem anderen. Dank dem Imperius, musste er sie nicht einmal füttern.

Das konnte er nämlich noch weniger leiden, als überhaupt hier mit ihr in einem Zimmer zu sein.

 

Wie sich doch das Glück wenden konnte.

Noch vor ein paar Tagen war er der Gefangene gewesen.

Schnell hatte sie alles gegessen. Sie wirkte noch nicht kräftig.

Er atmete gereizt aus, beschwörte noch mehr Brühe und einen Krug Wasser aus dem Nichts. Na ja, nicht völlig aus dem Nichts, aber so gut wie. Die Küche lag schließlich ein ganzes Stockwerk tiefer.

 

Seine Mutter hatte die Hauselfenschar mitgenommen. Zuerst hatte er geglaubt, Lucius würde sie noch umbringen, aber vielleicht hatte er diese Pläne auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Er war sich auch nicht völlig sicher, ob Potter zu Grangers Rettung kommen würde. Er hatte eigentlich keinerlei Zweifel daran gehabt, aber… noch war niemand aufgetaucht.

 

Vielleicht planten sie auch etwas Dramatisches, und setzten alles auf die eine Karte, dass Granger hier nicht zu Schaden kommen würde. Nun, jedenfalls nicht so, dass sie direkt starb.

Potter hatte sich verändert, fiel ihm wieder auf. Er war ein kalter Mistkerl geworden. Nur noch verschwommen erinnerte er sich an die Zeit auf dem Stuhl in Einsamkeit und er wusste aber noch, dass es das schlimmste war, was er jemals erfahren hatte.

 

Fast so schlimm, dass man es einem Schlammblut nicht zumuten wollte. Aber eben nur fast. Er war nämlich genauso ein schlechter Mensch wie Potter.

Ihm fiel ihre Hand auf. Sie war leicht blau und geschwollen. Gebrochen, nahm er an. Wahrscheinlich war er daran schuld. Sie beschwerte sich aber nicht, oder klagte über Schmerzen.

 

Gierig schlang sie die Brühe hinunter. Ob nun, weil er es ihr befohlen hatte, oder weil ihr Hunger siegte, wusste er nicht mit völliger Sicherheit.

Sie leerte danach den Krug und wirkte immer noch erschöpft.

 

Es verging eine weiterte Minute, in der sie einfach nur stumm und ungefesselt auf dem Stuhl saß. Zum Teil wirkte der Imperius noch, zum anderen Teil konnte sie wohl einfach nicht mehr.

 

Er hob den Zauberstab schließlich wieder. „Zieh dich aus“, sagte er nur. „Und wasch dich gründlich. Lucius kommt dich heute Abend besuchen“, fügte er hinzu und endlich hob sie langsam den Blick. Er wusste nicht genau, was er darin sehen konnte. Er glaubte, nackte Angst zu sehen. Aber sie sagte kein Wort.

 

Er lenkte seine Gedanken wieder auf den Imperius und widerwillig erhob sie sich schließlich. Sie zog die schmutzige Jacke aus. Dann zog sie das Shirt über den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie sie ihn nicht hatte ansehen können. Er konnte den Blick überhaupt nirgendwo anders hinwenden.

Sie öffnete den BH, der vom Stoff auch nicht mehr viel hergab und dann öffnete sie ihre Jeans.

 

Er zwang seinen Blick auf ihre Füße. Sie war schlank. Sehr schlank. Es lag wohl an der schlechten Ernährung, die sie in Potters Versteck und hier bei ihnen genoss. Ihre Brüste allerdings waren tatsächlich ansehnlich.

Er schämte sich nicht einmal für diesen Gedanken.

Ihre Jeans fiel zu Boden, dann folgte ihre schlichte, weiße Unterhose.

 

Jetzt zwang er den Blick wieder in ihr Gesicht.

Sie war nicht rot geworden, aber sie stand auch unter dem Imperius. „Geh ins Bad.“ Er ärgerte sich, dass seine Stimme nicht ganz so fest klang, wie er erwartet hatte. Als wäre sie die erste nackte Frau, die er sah. Aber gut, es war eine Weile her gewesen.

Und ja, er konnte sich tatsächlich für einen Moment vorstellen, dass Lucius mit ihr… Er lenkte seine Gedanken wieder ab und folgte ihr ins Bad.

 

Sie stand ziellos vor der Dusche. Er drehte das Wasser an, ohne sie aus den Augen zu lassen. Es gab keinen Vorhang. Es war eher eine gekachelte Nasszelle. Nur wesentlich luxuriöser. Lucius hatte hier etwas umgebaut, damit Granger keine Chance hatte, auch nur ansatzweise zu entkommen. Es gab keine Fenster. Keine spitzen Gegenstände, mit denen sie sich umbringen konnte.

 

Sie konnte sich auch nicht ertränken, sollte sie das wollen.

 

Es war nur ein quadratischer Raum mit einer Toilette und einer Dusche. Mehr brauchte eine Geisel wohl nicht. Es war schon wesentlich mehr als er bekommen hatte, dachte er grimmig. „Beweg dich.“ Sie wandte sich wieder um. Hastig blickte er an ihr vorbei. Gott, das war doch unerträglich! Er hatte keine Lust mehr, sie nackt zu sehen.

Er widerte sich schon selber an.

 

Er hob drohend den Zauberstab, ohne sie anzusehen, dann ging sie unter den Strahl. Aus den Augenwinkeln sah er, wie das Wasser ihren Körper traf.

Es lief über ihre Haare, über ihre Brüste, hinab zwischen ihre Beine. Er biss die Zähne fest zusammen.

 

„Beeil dich etwas.“ Sie griff die Seife aus der Schale an der Wand und begann sich stoisch einzuseifen. Wahrscheinlich tat sie alles unter dem Zauber heraus.

Er bemerkte, dass das Wasser wohl nicht besonders warm war.

Gott, verflucht.

Er starrte hinab auf seine Füße. Immer noch konnte er ihre harten Nippel aus den Augenwinkeln erkennen.

 

Das Wasser tränkte ihre Haare und sie schienen länger zu werden. Die Locken wurden glatt und jetzt lag der dunkle Vorhang an Haaren weit über ihrem Rücken. Sie musste sich plötzlich abstützen. Anscheinend war es die Schwäche. Er erinnerte sich noch daran.

 

Er griff nach ihrem Arm, ehe er nachgedacht hatte.

 

Nicht anfassen!, schalt ihn sein Unterbewusstsein. Träge und benebelt hob sich ihr Blick. Gott, sie war wirklich völlig weg. Es ärgerte ihn, dass er noch so viel mehr ausgehalten hatte, als sie. Er war sich nicht mal sicher, ob sie ihn überhaupt sah. Sein Arm wurde nass. So auch sein helles Hemd.

Sie hielt sich an seiner Schulter fest und er hasste jede Sekunde hier mit diesem nackten Schlammblut. Er drehte das Wasser ab und spürte sie zittern.

 

Nicht hinsehen. Nicht anfassen. Er ließ von ihr ab, aber sie hielt sich immer noch fest. Er hob zornig den Zauberstab. „Fass mich nicht an, Granger!“, rief er gereizt. Sie ließ augenblicklich von ihm ab. Dann sank sie vor ihm auf die Fliesen.

 

„Scheiße“, knurrte er. Kurz überlegte er. Ein Schwebezauber war zu anstrengend. Er verfluchte Lucius in Gedanken und bückte sich schließlich. Sie würde noch krank werden. Er hasste Mädchen. Hatte er schon immer getan. Sie waren nichts als Weicheier.

 

„Granger?“ Er steckte den Zauberstab in seine Tasche. Sie schien kaum bei Bewusstsein zu sein. „Wir müssen dir was anziehen.“ Er redete, um sich selbst zu beruhigen. Es war unerträglich, ihre Haut anzufassen. Er drehte sie um. Sie hing schlaff in seinen Armen, ihre verfluchten Brüste boten sich ihm förmlich an.

 

Gott. Er schloss kurz die Augen.

 

Ihre nassen Haare hingen über seinem Arm. Wieso war es für sie so viel einfacher gewesen? Weil sie wahrscheinlich nicht noch vor einer Woche fast bis zum Tod gequält worden war! Er fluchte angewidert und hob sie schließlich auf seine Arme, ohne sie anzusehen.

 

Jetzt war sein Hemd völlig nass. Er pustete sich angestrengt eine Strähne aus dem Gesicht. Sie war wirklich nicht schwer. Aber von was sollte sie auch schwer sein? Kurz sah er Wassertropfen in ihren Schamhaaren glitzern und hätte sich am liebsten übergeben.

Zum einen, weil er überhaupt hingesehen hatte, zum andern, weil er sich gerade eben fragte, ob sie eigentlich rasiert war, wenn sie nicht gerade in Gefangenschaft gehalten wurde.

 

„Verfluchter Mist, du elendes Schlammblut, das machst du doch mit Absicht“, knurrte er, als er sie im Salon auf den Boden legte und ein Handtuch neben sich hexte.

 

Sie abzutrocknen war genauso schlimm, wie sie anzufassen.

 

Er trocknete nicht allzu gründlich über ihre Brüste, ihre Scham oder ihre Beine. Ihre Haare tropften auf den Boden. Großartig.

Sie öffnete langsam die Augen und er hasste sich selbst dafür, dass er sie ansah. Seine Erektion erwachte schlagartig und er versuchte sich zu konzentrieren.

Sie schüttelte etwas benommen den Kopf. Anscheinend verlor der Zauber an Wirkung.

 

Er ließ von ihr ab und griff hastig nach dem Zauberstab, ehe sie irgendetwas versuchen würde. Ihm fiel kein Spruch ein. Er war gerade zu verwirrt und zu wütend, um zu denken.

 

„Du Miststück“, murmelte er. Sie wurde endlich rot. Anscheinend hatte sie eine Kreislaufschwäche gehabt. Mit dem Handtuch versuchte sie sich halbwegs zu bedecken. Er erhob sich hastig und drehte sich von ihr weg, damit sie ja nicht denken würde, er würde wegen ihr tatsächlich eine Erektion bekommen.

 

Er hatte keine Lust auch nur einen scheiß Gedanken daran zu verschwenden, warum zum Teufel das jetzt gerade so war. Er wollte nicht. Er wusste auch nicht, wie, wenn er ehrlich war. Er konnte sich nicht einmal erklären, wieso sein kranker Verstand ihm diesen Streich spielen musste!

 

„Kleidung?“, krächzte sie jetzt und endlich sprach sein Mund einen Zauber. Er war so verwirrt, dass tatsächlich übrig gebliebene Kleidung aus dem Schrank seiner Mutter erschien. Es war eine weiße Hose aus Leinen, die sie so gut wie nie getragen hatte und ein weißes Oberteil aus fließendem Stoff.

An Unterwäsche hatte er jetzt nicht gedacht. Er hatte auch keine Lust daran zu denken.

 

Das nächste Mal konnte jemand anders das Schlammblut waschen.

 

„Beeil dich, zum Teufel noch mal!“, schrie er jetzt zornig. Und er war dieses Mal nur zornig mit sich selbst. Sie zog sich an, so schnell sie konnte. Ihm würde noch Schweiß auf die Stirn treten, so angestrengt versuchte er zu verdrängen, dass er ihre Nippel durch das Oberteil sehen konnte.

 

Ihre Haare… sollte er sie trocknen? Würde sie krank werden? Sie war ein schwaches Mädchen. Wahrscheinlich würde sie krank werden, verflucht.

 

„Setz dich, verflucht noch mal“, fuhr er sie an und sie gehorchte widerwillig. Sie sank auf den Stuhl zurück und er beschwor die magischen Fesseln. Es war so ein verfluchtes Déjà-Vu. Mit dem nächsten Zauber ließ er ihre Haare trocknen. Es war eigentlich der Zauber für das Trocknen von Wäsche, aber anscheinend nahm es sich nichts.

 

Er sah sie nicht noch einmal an, ließ ihre alte Kleidung in magischen Flammen aufgehen und nur ein Häufchen Asche blieb auf dem Teppich zurück. Neben dem eingetrockneten Brühefleck, für den ihn Lucius schon angeschrieen hatte.

 

Er war aus dem Salon gestürmt, schloss die Tür hinter sich ab und lehnte sich schwer atmend dagegen.

Seine Erektion klang wieder ab. Er schloss die Augen. Das konnte ihm sein Körper wirklich nicht antun. Sobald er wieder fit war, würde er sich irgendeine Schlampe holen. So machte es Lucius schließlich auch. Oder so hatte er es zumindest gemacht, bevor er… sich ein neues Opfer gesucht hatte.

 

Vielleicht würde Draco heute Abend schon das Haus verlassen, damit er auf keinen Fall seinen Vater hörte. Er stieß sich von der Tür ab und mit zornigen Schritten verließ er die Halle.

 

 

Teil 7

 

 

Sie war sich nicht sicher, wie viel Zeit ihr tatsächlich blieb, aber sie hatte kaum Zeit zu verlieren. Sie wusste auch nicht, weshalb Malfoy beinahe geflohen war, aber sie konnte nur annehmen, dass es irgendwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass sie ein Schlammblut war und seine Haut wohl schwerste Verbrennungen erlitt, wenn er sie nur ansehen musste.

 

Sie war auch froh, dass sie von der Dusche nichts mehr in Erinnerung behalten hatte. Erst als sie auf dem Boden gelegen hatte. Er hatte sie angesehen wie einen widerlich stinkenden Troll. Sie hasste Todesser so sehr!

Sie erinnerte sich dumpf, dass Malfoy angedroht hatte, sein Vater würde heute zu ihr kommen, also blieb ihr noch weniger Zeit.

 

Die Kleidung, die sie trug, kam ihr teuer vor, aber das war egal. Und es war auch egal, dass Malfoy so ein Bastard war und nicht für Unterwäsche gesorgt hatte. Und die Kühnheit ihres Plans war unbegründet. Sie wusste, wahrscheinlich kam der Mut nur daher, dass ihr bisher die Folter erspart geblieben war. Zumindest wenn man von der Brühe und der Dusche absah.

 

Jetzt stand die Badezimmertür noch auf! Sie wusste nicht, wie er das hatte vergessen können. Ihr Plan war auch kein guter, aber... sie hatte keinen andern. Sie würde mit dem Stuhl irgendwie ins Badezimmer kommen müssen. Sie konnte zwar den Zauber nicht lösen, aber sie konnte sich vielleicht von diesem Stuhl befreien. Es war feines, filigranes Holz. Sie nahm an, Wasser sollte es eigentlich gut zerstören können. Und wenn nicht das, dann würde es den Stuhl wenigstens aufweichen!

 

Das waren ihre verrückten Gedanken, aber an diesen unmöglichen Plan klammerte sich ihr ganzes Bewusstsein. Die Brühe war eklig gewesen, aber sie fühlte wieder Kraft in ihrem Körper.

 

Sie warf sich gegen die magischen Fesseln Der Stuhl wackelte besorgniserregend. Es war ein ziemlich starker Zauber, der sie hielt. Aber sie kannte ihn ja. Sie hatte ihn ja auch verwendet. Hoffentlich kam jemand und rettete sie, bevor Lucius Malfoy… Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken und warf sich erneut gegen die Fesseln. Jetzt bewegte sich der Stuhl tatsächlich!

 

Mit einem Knatschen rutschte er über den Teppich. Sie hielt den Atem an. Nichts passierte. Niemand kam, um sie zu verfluchen. Sie wusste nicht, wie lange sie brauchen würde. Sie wusste nicht mal, wie sie das Wasser anbekommen sollte. Aber Kleinigkeiten waren unwichtig. Sie musste nur ein Ziel im Auge haben.

 

Nach zehn Minuten, so schätzte sie die Zeit zumindest ein, war sie nassgeschwitzt und hatte die Türschwelle erreicht. Zu ihrem Glück schien sie keiner zu hören. Das Haus musste groß sein. Über die Fliesen rutschte sie schon fast. Ja, sie hatte die Dusche fast erreicht! Sie war fast soweit, einen Teil ihres Plans umsetzen zu können. Auch wenn sie nicht wusste, wie.

 

Sie warf sich noch einmal gegen den Fluch, der sie gefangen hielt und – krachte mit einem lauten Knall zu Boden. Ein Stuhlbein war abgebrochen und jetzt lag sie ausgerechnet auf der Hand, die ihr sowieso schon weh tat. Sie schrie zornig auf.

 

Der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen und sie versuchte ruhig zu atmen. Gut. Jetzt lag sie hier. Daran konnte sie nichts ändern. Sie versuchte sich mit aller Kraft zu drehen, bewegte ihre Beine, die aber auch magisch zusammen  gehalten wurden und war nun der sprichwörtliche Fisch auf dem Trocknen.

Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, was ihre Strafe sein würde, wenn sie irgendein Malfoy hier finden würde, aber sie nahm an, dass es nicht angenehm sein würde.

 

Und wahrscheinlich würde sie in den Kerker gebracht werden. Sie  nahm an, dass die Malfoys garantiert über so etwas verfügten. Blinder Schmerz zuckte durch ihre Hand. Sie hörte ein Knirschen. War ihr Knochen angebrochen gewesen, so war er jetzt ganz gewiss durch.

 

Sie keuchte auf vor Schmerz und wog, nahe der Bewusstlosigkeit, ab, wie groß ihre Chancen waren, zu überleben, würde sie jetzt anfangen zu schreien.

Die Schmerzen lenkten sie immerhin ganz ausgezeichnet von der Angst ab.

Gott, sie konnte nicht mehr.

 

Vielleicht hatte sie sich geirrt und die Schmerzen waren doch mehr, als sie aushalten konnte. Sie wusste nicht, wann sie sich jemals versucht hatte einzureden, sie sei gegen Schmerzen immun.

Das war nämlich absolut gelogen. Sie schloss die Augen unter Tränen und versuchte sich aus der denkbar unwürdigen Position zu befreien, ehe sie komplett aufgeben musste.

 

~*~

 

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie es geschafft hatte, einfach liegen zu bleiben, ohne zu schreien. Die Lichter in den Haltern begannen bereits zu flackern. Sie nahm an, das Feuer hinter dem Glas würde bald ausgehen. Das ließ sie schätzen, dass sie bestimmt drei bis vier Stunden einfach gelegen hatte. Auf ihrer Hand, die sich unter ihr wahrscheinlich schon verabschiedet hatte und abgestorben war.

 

Es kam ihr in den Sinn, dass sie es auch auf die Lampen hätte absehen können, die mit Hilfe von Feuer leuchteten. Damit hätte sie den Stuhl abbrennen können. Aber wahrscheinlich wäre sie dabei jämmerlich verbrannt. Aber das war auch keine schlechte Lösung.

 

Gott… sie konnte nicht mehr.

 

Sie hörte Stimmen und hielt die Luft an, als würde das etwas ändern.


„Wo gehst du hin?“ War das Malfoys Stimme? Sie nahm es an.


„Es gab ein Problem“, hörte sie Lucius sagen. Er sagte noch etwas, aber es war zu leise.

 

„Nein!“, schrie sein Sohn jetzt lauter. „Ich werde bestimmt nicht bleiben. Das ist hier dein kleines Projekt.“

 

„Du wirst im Haus bleiben, Draco, hast du mich verstanden! Und bring sie nicht um. Das werde ich tun. Wenn die Zeit richtig ist.“

 

„Wann ist die verfluchte Zeit richtig, Lucius? Wann, zum Teufel? Nachdem du sie vergewaltigt hast?“ Es herrschte einen momentlang kurzes Schweigen. Sie schluckte schwer. Sie wollten sie umbringen! Sie wollten sie wirklich umbringen. Als würde es ihr erst jetzt klar werden, wand sie sich wieder unter ihrem Gewicht und dem des Stuhls.

 

Sie musste etwas tun! Sie wusste nur nicht, was.

 

„Die Zeit ist richtig, wenn wir Potter haben. Und der wird kommen“, fügte Lucius jetzt grimmig hinzu. Hermine hoffte, Harry kam bald. Und er würde sie befreien können. Hoffentlich kam er.

 

Also war sie doch ein Lockvogel für Harry.

 

Und anscheinend würde Lucius heute nicht… Sie wollte den Gedanken nicht denken. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken. Über gar nichts in diesem Haus. Gott, die Schmerzen ließen ihr kalten Schweiß auf die Stirn treten.

 

„Schön, dann geh doch!“, hörte sie Malfoy schreien, als die Tür schon längst ins Schloss gefallen war. Sie entschied sich genau jetzt, dass sie für heute erst mal aufgeben musste.

 

„Malfoy!“, rief sie, so laut sie eben konnte.

 

Nichts passierte.

 

„Malfoy!“

 

Wahrscheinlich war er doch gegangen. Oder… er wollte nicht kommen. Oder… Sie wusste es nicht. Sie ließ den Kopf sinken und schloss wieder die Augen.

Sie wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr.

 

„Was zum Teufel tust du da?“ Hastig hob sie den Kopf wieder und begegnete seinem zornigen Blick. Anscheinend erfasste er eben die Situation. Er hatte sie also doch gehört. Er sah das abgebrochene Stuhlbein. „Ich hab die Tür nicht verschwinden lassen“, sagte er schließlich mehr zu sich selbst.

 

„Was war bitteschön dein Plan, Granger?“ Er sah sie abfällig an. Sie öffnete den Mund, aber vor Schmerzen konnte sie nicht sprechen. „Was?“, wiederholte er und zog derweil schon seinen Zauberstab.

 

„Meine… Hand…“ Sie überwand sich schließlich doch und riskierte damit, dass er auch dazu in der Verfassung sein könnte, ihre Hand einfach abzufluchen. Er runzelte die Stirn. Er überlegte eine schiere Endlosigkeit. Dann löste er mit einem Schlenker die Fesseln. Sie brach über dem Stuhl zusammen und sog scharf die Luft ein.

 

„Steh auf“, sagte er jetzt. Sie hielt die Augen geschlossen und musste erst mal Kraft sammeln. „Granger, zwing mich nicht, dich zu…“

 

„Halt deine Klappe!“, knurrte sie schließlich und richtete sich langsam auf. Sie fluchte heftig und stand schließlich aufrecht. Ihre Hand war dunkelblau. Er schien seine Worte zu vergessen. Sie nahm an, er hatte sie verfluchen wollen, dafür dass sie ihn angeschrieen hatte.


„Verfluchter Mist. Was hast du gemacht, Schlammblut?“ Er kam näher, den Zauberstab immer noch auf ihr Herz gerichtet.


„Ich?“, fuhr sie ihn an, vergessend, dass sie völlig unbewaffnet war. „Du hast mir doch…“

 

„Halt deinen Mund, verflucht noch mal“, unterbrach er sie gereizt. Er fuhr sich durch die Haare. „Ich kann das heilen.“ Sie wusste nicht, ob er es sagte, nur um es zu sagen, oder ob er wirklich etwas tun wollte.

 

„Ich kann es selber heilen“, gab sie zurück und er hob spöttisch eine Augenbraue.

 

„Mit was? Gedankenkraft, Granger?“

 

Der Zauberstab war in seiner Hand gesunken. Ihr Mund schloss sich wieder. Jetzt hatte sie fast vergessen, dass sie hier gefangen gehalten wurde. Ihm schien auch aufzugehen, dass er eigentlich überhaupt nicht mit ihr hatte sprechen wollen. Sein Blick wurde finster. „Schön. Halt still. Und versuch keinen Scheiß mit mir“, drohte er ungerührt. „Streck deine Hand aus.“

 

Sie folgte seinen Worten nach einem kurzen Zögern. Schlimmer konnte es unmöglich werden. Er sprach die Formel laut. Sie sprach die Formel auch laut, denn sie war schwer zu merken. So hatte sie Ron oft geheilt, wenn er sich Knochenbrüche zugezogen hatte. Sie fragte sich, woher Malfoy sie überhaupt kannte.

 

Er versprach sich nicht. Das war gut.

 

Ihre Hand dampfte heftig. So sah es aus. Sie hatte es noch nie selber erlebt. Es war, als würde sie eiskalt werden. Dann wurde sie heiß, ihre Finger spreizten sich wie von selber und plötzlich verschwand die Schwellung.

 

Es war ein Gefühl, als ob ihr die Hand zerquetscht wurde. Die Farbe wurde immer heller. Sie keuchte auf. Sie dachte tatsächlich, verbrennen zu müssen. Sie sank unbewusst auf die Knie, denn sie konnte sich nicht mehr halten. Malfoy hielt den Zauberstab jetzt mit beiden Händen fest und richtete ihn immer noch auf die Hand.

 

Dann war es vorbei.

 

Tränen standen wieder in ihrem Augen. Die Hand schmerzte noch, aber das war der Heilungsschmerz. Nicht der Schmerz der Verletzung. Malfoy atmete heftig.

 

„Steh auf“, sagte er jetzt erschöpft. Sie atmete langsam aus. „Granger!“, fügte er warnend hinzu, aber sie konnte sich noch nicht bewegen. „Ich habe gesagt…“

 

„Ja, ich versuche es!“, rief sie aus, denn die Schwäche war einfach zu viel. Sie kannte ihren Körper gut genug, um zu wissen, dass sie gleich wahrscheinlich ohnmächtig werden würde, denn das bisschen Brühe war nicht nahrhaft genug gewesen, um sie diese Verletzung überstehen zu lassen, ohne schwach zu werden.

 

„Bei Merlin, ich habe keine Lust mehr auf diese Scheiße!“, schrie er und packte sie grob an ihrem gesunden Arm, um sie in die Höhe zu ziehen. Ihr fiel auf, dass er sie nicht mehr ansah. Er zog sie heftig aus dem Badezimmer zurück in den Salon. „Das ist hier kein verfluchter Urlaub, hast du verstanden?“, knurrte er und Panik stieg wieder in ihr auf.

 

„Denkst du wirklich, das denke ich?“ Sie weinte wieder. „Wieso bringst du mich nicht einfach um, Malfoy? Wieso…“ Sie sog die Luft ein, als er sie näher an sich brachte und ihren Blick erwidert.

 

„Du hast mich doch auch nicht einfach umgebracht“, entgegnete er mit gefährlicher Ruhe. „Denkst du, ich mache es dir so leicht?“, fügte er leise hinzu.

 

„Nein, du verfluchtes Arschloch“, erwiderte sie erstickt. „Du lässt erst noch zu, dass dein Vater mich vögelt und foltert!“ Zwar hatte sie den restlichen Tag über nicht die Zeit gehabt, Angst zu haben, aber dafür schien sie jetzt ihren Zusammenbruch zu bekommen. Sie sah, wie sich sein Kiefermuskel hart in seinem Gesicht abzeichnete.

 

„Das ist mir verflucht noch mal scheiß egal, Granger!“

 

Es verging eine Sekunde, ehe sie sich in seinem Griff zu wehren begann. Sie wollte so nicht sterben! Nicht hier zumindest. „Zwing mich nicht, dich wieder zu schlagen“, drohte er jetzt und setzte ihr den Zauberstab direkt ans Herz. Ihren Zauberstab.

Noch immer wehrte sie sich. Es war ihr egal. Sollte er sie schlagen, am besten so stark, dass sie sofort bewusstlos werden würde!

 

Imperio!“, rief er jetzt mit donnernder Stimme.

 

Ihr Wille schwand. Er war einfach weg. Fast hatte sie schon vergessen, dass sie sich vor einer Sekunde noch gewehrt hatte. Er ließ sie abrupt los. Sein Atem ging schnell. Er fixierte sie mit einem zornigen Blick. Sie war zu müde, um sich zu wehren, um ihm den Zauberstab wegzunehmen, um irgendwas zu tun. Der Imperius hüllte sie in den warmen Wunsch, ihm Folge zu leisten.

 

Dabei kämpfte sie hart. Aber sie hatte nicht ausreichend Kraft, um ihn zu brechen. Sie wusste, der Junge konnte es… wie hieß noch mal der Junge? Ihr Verstand wurde immer träger, während er den Zauberstab immer noch auf sie gerichtet hielt. Der Junge… mit der Narbe… wie war sein Name?

 

„Du wirst dich nicht mehr wehren, hast du verstanden?“ Seine Stimme klang verzehrt in ihren Ohren.

 

„Ja, Malfoy“, erwiderte sie ruhig. Weshalb sollte sie sich wehren wollen?

 

„Ich… werde dich wieder fesseln, Granger“, informierte er sie jetzt. Seine Stimme wurde wieder ruhiger. Nein…, schlug ihr Verstand jetzt vor. Nicht mehr fesseln. Sie schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf. Nein, die Fesseln wollte sie wirklich nicht mehr.

Kämpf doch gegen den Zauber! Sie machte einen ziellosen Schritt. Sie spürte, wie er sie an die nächste Wand drückte. Hart krachte ihr Rücken dagegen. Sie keuchte auf und öffnete wieder die Augen.

 

Der Zauberstab saß ihr direkt an der Kehle. „Hör auf, dich zu widersetzen, Granger. Hör einfach auf! Du bist…“ Er schüttelte jetzt den Kopf. Wieder musste er den Blick abwenden. Die Rebellion in ihrem Innern flaute langsam ab. Wieso regte sie sich gleich noch mal so sehr auf?

 

Es ärgerte sie noch ein wenig, dass ihr der Name des Jungen nicht einfiel… Howard?

 

Seine Hand hielt sie an der Schulter fest. Es schmerzte etwas. Aber sie sagte nichts. Henry? War das sein Name? Benommen schüttelte sie den Kopf.

 

„Hast du mich verstanden?“ Seine Stimme zitterte irgendwie beim Sprechen, stellte sie dumpf fest. Sie nickte langsam.

 

„Ja, Malfoy.“

 

„Gut“, gab er zornig zurück. Wieder traf sie sein Blick. Seine Augen schienen dunkler zu werden. Draco Malfoy… Ja, Draco Malfoy hielt sie fest.

 

„Harry!“, sagte sie plötzlich. Ja, sein Name war Harry! Wie konnte sie das nur vergessen! Sein Atem ging wieder schneller. Sie spürte wieder, wie sich ihr Verstand gegen den Zauber zu wehren versuchte. Nein, sie wollte hier nicht stehen. Und sie wollte die Fesseln nicht!

 

„Was hast du gesagt?“, knurrte er jetzt wieder und der Zauber wurde stärker. Sie wand sich wieder unter seinem Griff. Gleich konnte sie nicht mehr. Das wusste sie. Ihr wurde heiß. Ihre Hand schmerzte. Ihre Gefühle waren gemischt. Ein Meer aus Schmerz und Willenlosigkeit. „Was du gesagt hast, verfluchtes Schlammblut!“, schrie er jetzt aufgebracht.

 

„Nichts, Malfoy!“, wimmerte sie. Sie sah ihn wieder schärfer vor sich. Sie sah sogar den feinen Schweiß auf seiner Stirn.

 

„Potter kommt nicht, Granger! Keiner wird dich hier retten, hast du gehört, zum Teufel noch mal?“ Er schüttelte sie grob. Tränen rollten aus ihren Augenwinkeln. Er hörte plötzlich auf sie zu schütteln. Für einen trägen momentlang stand die Zeit einfach still. Sie hob träge den Blick zu seinem Gesicht. Seine blauen Augen waren unnatürlich hell, fiel ihr durch den Nebel auf, der in ihrem Kopf herrschte.

 

„Küss mich, Granger“, befahl er tonlos, keinen Augenblick später. Sein Wille brannte in ihrem Innern, kochte an die Oberfläche, riss sie vollkommen mit. Was sagte er da? Nein, nein, nein… Sie schüttelte benommen den Kopf. Plötzlich spürte sie seinen Körper direkt an ihrem, spürte seine Stirn an ihrer Stirn, seine Hand um ihren Nacken. „Küss mich“, wiederholte er leiser.

 

Ihr Wille brach.

 

Der Zauber übernahm ihren Verstand. Ihre Hände griffen ohne Zögern nach seinem Gesicht, nicht mal der Schmerz in ihrer Hand war noch vorhanden. Sie folgte seinem Befehl und ihr Mund fand seine Lippen.

 

Sie hörte ihn aufkeuchen und dann schlang sich sein Arm um ihre Taille und presste sie zurück an die Wand. Nichts hatte mehr Form und Gestalt. Sie spürte nur ihn, spürte nur seine perfekten Lippen, die verlangend ihre eigenen küssten.

Sie küsste ihn, als hätte sie nie etwas anderes getan.

Nie etwas anderes gewollt.

 

 

Teil 8

 

 

Er schüttelte benommen den Kopf. Jetzt hatte er sich tatsächlich zum zweiten Mal verknöpft. Dieses gottverfluchte scheiß Hemd! Er war fast soweit es in Flammen aufgehen zu lassen. Er atmete gestresst aus, versuchte, seinen Atem überhaupt unter Kontrolle zu kriegen. Seine Finger gehorchten ihm nicht. Er ließ sie sinken.

Den Zauberstab hatte er heute noch nicht angerührt. Zum ersten Mal hatte er Angst vor der Kraft, die dahinter steckte.

 

Zum aller ersten Mal in seinem Leben hatte er nicht das unstillbare Bedürfnis den Zauberstab zu nehmen und irgendeinen belanglosen Zauber auszuführen. Es kam ihm so vor, als wäre er verraten worden. Von der Magie. Von der einzigen Sache, die ihn von gewöhnlichen, schmutzigen Muggeln unterschied. Und jetzt benahm er sich, als wäre er einer von ihnen. Einer von den schmutzigen Muggeln, die ihr Hemd ohne die Hilfe von Zauberei zuknöpfen mussten. Natürlich knöpfte er für gewöhnlich sein Hemd auch ohne Zauberei zu, aber heute störte es ihn wesentlich mehr.

 

Seine Arme hingen leblos an seiner Seite. Sein Spiegelbild schien ihn nervös zu betrachten. Die eisblonden Haare wurden viel zu lang. Viel zu viel zu lang. Er musste sich darum kümmern. Sie fielen ihm nun schon fast in die Augen, wenn er sie nicht ständig zurückstreichen würde. Er sah schon aus wie… Ein Knurren verließ seine Kehle.

 

Nein. Er sah nicht aus wie Lucius. Er wollte sein Zimmer nicht verlassen. Am liebsten wollte er nichts mehr tun. Er musste denken. Musste weiter denken. Er zwang sich, alle belanglosen Kleinigkeiten wach zu rufen.

Er musste mit Lucius reden. Er musste ihn überzeugen, dass Snape ihr Feind war. Lucius hatte ihm überhaupt nicht richtig zu gehört.

Er hatte ihn versucht zu überzeugen, dass die Todesser nur wegen Snape wussten, wo Potter zu finden gewesen war.

 

Aber das war Bullshit. Draco hatte schon in der Schule gewusst, dass sein Patenonkel auf Potters Seite gestanden hatte.

 

Ja, das war gut. Snape. Snape bot das geeignete Ventil für seine endlose Wut, weil er tatsächlich das Schlammblut geküsst hatte.

 

Seine Faust schlug mit unberechenbarer Kraft in die Scheibe des Spiegels. Fast lautlos splitterte das generationenalte Glas. Jetzt betrachtete sein verstörteres Spiegelbild ihn ungefähr einhundert Mal. Er wandte sich zornig ab. Winzige Bluttropfen erschienen auf seiner Haut.

Ohne zu zögern, griff er nach seinem Zauberstab und heilte die winzigen Wunden auf seiner Hand. Den Spiegel allerdings reparierte er nicht.

 

Langsam atmete er aus.

 

Er wusste, er konnte nicht ewig hier oben bleiben. Er wusste nicht einmal, ob Lucius wieder im Haus war. Er wollte nicht mehr wissen, ob irgendwer im Haus war. Und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

 

Seine größte Angst war, sie zu sehen. Was hatte er getan?

Für gewöhnlich betrachtete er es nie als Verbrechen, was die Todesser taten. Zwar wusste er, weit hinten in seinem Kopf, dass Geiselnahme mit Gefängnis bestraft wurde, aber das blendete er eigentlich aus. Aber alles andere… er musste die Augen schließen. Übelkeit stieg in ihm auf. Übelkeit, gemischt mit kaltem Hass.

 

Es war schon spät.

 

Er konnte sich nicht länger hier oben verstecken. Konnte nicht länger seinem Spiegelbild anklagende Blicke zuwerfen, als wäre es sein Spiegelbild, was alle Fehler dieser Welt machen würde.

 

Er verließ sein Zimmer und lauschte auf den Treppen in die Stille des Hauses hinein. Ihm kam niemals der Gedanke, dass Lucius etwas zustoßen könnte. Er hielt seinen Vater für intelligent genug, sich nicht von Potters Leuten töten zu lassen. Denn darum ging es schließlich. Diese kleinen Kämpfer zu vernichten. Schuld, Übelkeit und das schlechte Gewissen ergriffen Besitz von ihm.

Für einen wilden Moment wünschte er sich tatsächlich, dass sie die Todesser besiegen würden, dass sie alle Todesser vernichteten, Voldemort dazu.

 

Dann fiel ihm wieder ein, dass er selber dazugehörte. Er selber trug das verfluchte Mal. Seine Hand lag auf dem Türgriff. Er brauchte noch einen Moment, ehe er ein letztes Mal tief ausatmete, aufschloss und die Tür öffnete.

 

Sie lag auf der Couch.

 

Ja. Dort hatte er sie gelassen, fiel ihm wieder ein. Sie lag auf dem Rücken, die Augen an die Decke gerichtet. Für einen kurzen Moment glaubte er, sie sei gestorben, aber dann wandte sich ihr Kopf in seine Richtung.

Er wusste nicht zu atmen, wusste nicht zu gehen, wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste nicht mal, was er genau wollte.

Er hasste das.

 

Er hob unschlüssig den Zauberstab. Er sah es in ihrem Blick. Er sah es genau.

 

Fluchend steckte er ihn zurück in seine Tasche. Was dachte sie von ihm? Dass er… dass er… dass er… ?

Er konnte nicht. Er wusste nicht einmal, was er denken sollte. Er fühlte nichts mehr in seinem Innern. Was hatte er getan? Was hatte er nur getan? Er konnte an nichts denken. Er sah sie. Er fühlte sie automatisch. Er hätte kotzen können. Er hätte schreien können. Er hätte weinen können. Alles.

 

Alles. Auf einmal. Und es würde niemals ausreichen, um das auszudrücken, was er fühlte. Sie sagte nichts. Wieso sagte sie nichts? Langsam atmete er wieder aus. Er wollte, dass sie ins Bad ging, damit… damit er nicht die verdammte Couch reinigen müsste, wenn sie unter sich machte. Aber er wollte ihr nicht… er wollte den Imperius nicht anwenden.

 

Er wusste nicht, was er wollte.

 

Er ertrug ihren Blick kaum.

 

Er konnte nichts ändern. Es wurde ihm augenblicklich klar. Und entweder kam er damit jetzt zurecht, oder er war ein verdammtes Weichei und kam nicht damit zurecht. Er unterdrückte die Übelkeit und zog seinen Zauberstab.

Er löste die magischen Fesseln stumm. „Steh auf“, befahl er. Seine Stimme klang gewöhnlich. Gleichgültig. Befehlsgewohnt. Zuerst dachte er, sie würde sich weigern.

 

Er hoffte schon fast, sie würde sich weigern. Aber das tat sie nicht.

Sie erhob sich, aber sie ließ ihn nicht aus den Augen.

Er wusste, es gab nichts im Badezimmer, was sie als Waffe nutzen konnte. Sie konnte nicht einmal abschließen. Wieso traute er ihr dann tatsächlich zu, dass sie es schaffte, in einem Badezimmer ohne Fenster, ohne irgendwas, doch etwas zu finden, womit ihr eine Flucht und sein Mord gelingen könnte?

 

Die Frage hatte er recht schnell in seinem Kopf beantwortet: Weil es Hermine Granger war. Ganz einfach.

 

Er hatte bedauerlicherweise nicht dieselbe unmenschliche Erfahrung wie Potter und Weasley im Geißeln und Quälen. Er richtete den Zauberstab auf den Tisch. Es erschienen ein Handtuch und darauf eine Zahnbürste. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Gegenstände.

 

Consigno!“, sagte er damit sie es hören konnte und richtete den Zauberstab auf die Tür, dann auf das Fenster. „Fünf Minuten“, fügte er schließlich hinzu und setzte sich auf einen der unbequemen Stühle. Zuerst dachte er, sie würde sich nicht bewegen, aber, ohne ihn anzusehen, verschwand sie im Bad.

 

Die Tür und das Fenster hatte er versiegelt, weil… Tja. Wahrscheinlich, um ihr zu zeigen, dass sie nicht rauskommen würde. Er hätte es Lucius in die Hand nehmen lassen sollen. Granger wäre dann bestimmt schon tot oder wenigstens in so schlechter Verfassung, dass sie ihm keine tödlichen Blicke mehr zuwerfen konnte.

 

Tatsächlich kam sie nach fünf Minuten wieder aus dem Badezimmer. Kurz sah er an ihr hinab. Ihre Hände waren leer. Ihre Füße waren barfuß. Ihre Kleidung bot keine Tasche oder Aufbewahrungsmöglichkeiten. Vielleicht war er paranoid, aber er spürte wirklich nicht das Verlangen, sie selber zu durchsuchen. Er war kurz davor den Offenbarungszauber durchzuführen, aber er fing sich.

 

Nein. Es bestand keine Möglichkeit, dass sie ihn umbringen konnte. Er war gar nicht so abgeneigt von dieser Vorstellung. Im Moment mochte er sich selber nicht besonders. „Hunger?“, fragte er, um irgendwas zu sagen, aber sie schwieg verbissen. „Ientaculum!“ Er hatte diesen Zauber nach Jahren verfeinert. Zwar bekam sie jetzt sein Frühstück, aber er war kein schlechter Esser. Sein Geschmack war verträglich. Verträglicher als der von Lucius.

 

Auf dem kleinen Tisch erschien jetzt sein Frühstück. Eine Tasse schwarzer Tee, meist indischer, zwei Croissants, verschiedene Konfitüre-Sorten, denn er konnte sich morgens nie entscheiden, italienische Butterkekse und der Tagesprophet.

Der gehörte eigentlich nicht dazu, aber er hatte ihn in diesen Zauber eingebunden.

 

Granger hatte für einen Moment vergessen, ihn mit Blicken zu durchbohren.

Kurz fragte er sich, wann sie wohl das letzte Mal richtig gegessen hatte. Er sah ihren Blick. Er griff sich den Tagespropheten, ehe sie es tun konnte.

„Setz dich und iss“, befahl er jetzt und wartete, bis sie sich gesetzt hatte.

Sie befolgte seine Worte widerwillig. „Einen Moment“, fügte er noch hinzu, griff über den Tisch und nahm ihr das Brotmesser weg. Sie folgte seiner Bewegung mit einem eindeutigen Blick.

 

Er reagierte darauf jedoch nicht. Sicherheit ging vor.

 

Er überflog die erste Seite, während sie nicht widerstehen konnte, und beinahe gierig an dem heißen Tee nippte. Nichts Besonderes. Der Tagesprophet wurde vom Ministerium kontrolliert. Das Ministerium wurde von den Todessern kontrolliert. Er blätterte um. Es war nur eine kleine Anzeige.

 

H. Granger, Freiheitskämpferin, verschwunden. H. Potter das erste Mal nach fünfzehn Monaten wieder in der Öffentlichkeit gesehen.

Es war nur ein kleiner Abschnitt. Darin stand auch nicht, dass Hermine Granger entführt und als Geisel gehalten wurde, darin stand nur, dass Harry Potter an die Öffentlichkeit gegangen war, um das Fehlen seiner Bekannten Hermine Granger zu melden.

 

Draco konnte sich ziemlich gut vorstellen, dass Potter etwas völlig anderes gesagt hatte.

Aber das bedeutete auch, dass er wahrscheinlich nicht zum Propheten gegangen war. Er hatte bestimmt einen guten Grund, sich zu zeigen. Und er hatte bestimmt einen Plan. Wenn auch vielleicht keinen guten, aber beim letzten Plan, hatte Potter es immerhin geschafft, ihn als Geisel zu bekommen.

 

Und tatsächlich war Potter also auf dem Weg.

 

„Und, suchen sie mich schon?“

 

Sie sprach tatsächlich. Er senkte die Zeitung. In ihrer Hand hielt sie bereits das zweite Croissant. Das erste war schon weg. Er nahm zumindest an, dass sie es gegessen hatte. Was sollte sie sonst mit einem französischen Buttercroissant anstellen?

 

„Nein“, gab er zurück, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Er konnte ihr ansehen, dass sie wusste, dass er log. Er rollte den Propheten wieder zusammen und richtete sein Augenmerk jetzt auf sie.

Tatsächlich konnte er sie nicht hungern lassen. Er konnte sie nicht quälen, konnte sie nicht so behandeln, wie er behandelt worden war.

Warum das so war, wusste er noch nicht.

 

Er nahm an, dass er einfach eine bessere Erziehung genossen hatte, was schon einiges heißen sollte, denn er war bei weitem nicht zufrieden gewesen, mit seiner Erziehung.

 

Es war ein absurder Moment. Er saß hier in einem kleinen Salon mit Hermine Granger und frühstückte, während draußen Krieg herrschte.

Was war nur los mit ihm? Hatte er sich etwa an die Gesellschaft eines Schlammblutes gewöhnt? Das konnte unmöglich der Fall sein.

 

Sie aß tatsächlich alles auf, was er ihr gegeben hatte. Ob aus Lust oder Hunger wusste er nicht. Es interessierte ihn auch nicht.

 

„Wo ist dein Vater?“, fragte sie jetzt. Er spürte die Bitterkeit in sich aufsteigen. Sie sah ihn nicht an.

 

„Lucius? Vermisst du ihn?“, erkundigte er sich kalt, aber sie gab ihm darauf keine Antwort. Er hatte keine Ahnung, weshalb sie ihn das fragte. Er hätte es lieber, wenn sie ihn anschreien würde. Gott, ständig sah er sie an.

Sie war die einzige Person, die er anscheinend in seinem Leben hatte.

 

Er musste plötzlich lächeln. Ja. Das konnte eine mögliche Erklärung sein.

Jetzt sah sie ihn fast panisch an. Er erhob sich plötzlich und sie wich bis zur Lehne der Couch zurück. Wohl mehr aus Reflex als aus wirklich bewusstem Willen.

 

Er wollte etwas Entsprechendes sagen, wollte Luft holen und ihr klar machen, dass es nichts gab, worüber sie sich in dieser Hinsicht Gedanken machen musste. Absolut nichts. Aber es war, als könne er nicht mehr sprechen.

Er fühlte den Trotz. Er wollte ihr nicht auch noch erklären müssen, dass es vollkommen bedeutungslos gewesen war, was er getan hatte.

 

Er wollte, dass das dämliche Miststück sofort begriff. Er wollte nicht, dass sie vor ihm zurückwich, als könne er sich jede Sekunde auf sie stürzen, weil… er nicht anders konnte, oder so etwas in der Art! Das war nicht so.

 

Er hätte das gerne gesagt, aber er konnte nicht! Er wollte nicht, verflucht!

Er konnte es nicht ertragen, dass sie annahm, jeder Malfoy wolle ihren verfluchten Körper vergewaltigen oder für einen momentlang besitzen! Er wollte ihr sagen, dass sie nichts Besonderes war, dass er nicht war wie Lucius und dass sie für ihn kaum mehr als Dreck unter seinen Füßen war.

 

Wieso konnte er nicht? Wieso sagte er es nicht? Dachte er, es machte es ungeschehen, nur weil sie beide die Klappe hielten?

 

„Hör zu…“ Oh Gott! Er fing doch an zu sprechen. „Gestern Abend…“, fuhr er fort, biss aber wieder fest die Zähne zusammen. Großartig. Gestern Abend, was, Draco? Das war kein Mädchen, bei dem er sich entschuldigen musste. Er schloss kurz die Augen. Dann öffnete er sie wieder und schüttelte zornig den Kopf.

 

Es war nicht wie in der Schule. Er konnte sich nicht… entschuldigen? War das wirklich das Wort, wonach er suchte? Suchte er überhaupt? Denn, es war egal. Sie hatte nicht wirklich eine Wahl. Sie würde höchstwahrscheinlich… Ja, Granger würde höchstwahrscheinlich hier in diesem Haus sterben.

 

Sie war nicht die erste Muggel, die hier…

 

Für einen Moment zerrte etwas an ihm. Irgendwo in seinem Innern. Irgendetwas, mächtig und wild. Er unterdrückte es mit aller Kraft.

 

„Ich habe kein Interesse daran, dich zu vergewaltigen“, erklärte er schließlich und jedes Wort schmeckte falsch und unglaublich bitter. Wieder war da die Übelkeit. Sie starrte ihn an. Ob sie wusste, dass sie sterben würde? Verflucht, woher kamen diese vielen Gedanken? Er hätte einfach seine verdammte Klappe halten sollen.

 

„Natürlich nicht, Malfoy.“ Ihre Stimme zitterte regelrecht vor unterdrücktem Zorn. „Gewalt anzuwenden, um mich dazu zu bringen, dich…“

 

„Nein!“, schrie er, ehe sie zu Ende sprechen konnte. Schön, da war seine Wut wieder. Er hatte sie schon fast vermisst. „Das war etwas völlig anderes“, endete er lahm und fühlte sich schlecht, beinahe elend.

 

„Oh, ach so, na dann.“ Ihre Stimme troff vor Wut. „Du hast mir meine Hand gebrochen, Malfoy. Du hast mich ins Gesicht geschlagen!“, schrie sie jetzt. Das wusste er selber. Dachte sie, das wüsste er nicht, zum Teufel noch mal?

 

„Ich…“


„Du hast mich geküsst, Malfoy!“ Sie war aufgestanden und zum ersten Mal dachte er nicht sofort daran, sie mit dem Zauberstab zu Boden zu zwingen. Wahrscheinlich weil das, was sie jetzt sagte, im absolut krassen Gegensatz zu den anderen Anschuldigungen stand. Ja, er hatte sie geschlagen. Und dann hatte er sie geküsst. Er war völlig verrückt.

 

Er musste den Blick abwenden und ballte die Hände zu Fäusten. „Gegen meinen verdammten Willen“, fügte sie mit einem Knurren hinzu. „Du… du hältst mich hier gefangen und… tust solche Sachen, die…“ Sie schloss die Augen. Anscheinend musste sie sich erst sammeln. „Und wieso tötest du mich nicht einfach direkt, Malfoy?“

 

„Ich halte dich gefangen? Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, ich würde dir irgendwas antun? Du und deine verfluchten Potter Arschlöcher haben mich…!“ Er fing sich. Er fing sich noch eben so. Nein. Er würde das hier nicht diskutieren. So lief es eben. Er hatte Pech gehabt und hatte in Potters Falle gesessen und jetzt hatte sie eben Pech gehabt und… bekam französische Croissants und seine verfluchte ungeteilte Aufmerksamkeit in Verbindung mit unerklärlichen Erektionen.

 

„Dein Vater wird mich umbringen, wenn du es nicht tust.“

 

„Mein Vater wird dich nicht umbringen“, widersprach er automatisch.

 

„Was? Natürlich wird er mich umbringen. Es läuft alles darauf hinaus, dass er mich umbringen wird, genauso wie Harry dich umgebracht hätte.“ Sie fuhr sich durch die Haare, über ihr Gesicht.

 

„Ja, er wird dich umbringen“, berichtigte er sich schließlich. Wieso zum Teufel sollte er sich Gedanken machen? Es war völlig egal, wie viele Schlammblüter sterben würden. Hauptsache, sie starben endlich, damit die richtigen Zauberer wieder an die Macht kamen. Plötzlich schien ihr das Atmen schwer zu fallen. Er fühlte sich verdammt schlecht. „So ist es eben, Granger“, fügte er hinzu, um sich selbst zu beruhigen.

 

„Was? Wie kannst du nur so reden?“ Ihre Stimme war leise.

 

„Was verlangst du? Dass ich…“ Er machte eine weite Handbewegung. „Dass ich mein Leben riskiere, um dich hier rauszubekommen? Dass ich Lucius verrate, Voldemort, die Todesser? Nur um ein Schlammblut zu retten? Wozu?“

 

Sie schnappte nach Luft. Er nahm an, dass sie jetzt einen Anfall bekommen würde. „Wieso nicht?“, schrie sie jetzt. Sein Mund öffnete sich in absolutem Unglauben. „Gott, Malfoy, wieso tust du all das? Wieso… begreifst du nicht…? Wieso tust du nicht einfach das Richtige? Wie kann man denn so bescheuert sein und das Falsche tun?“ Sie kam auf ihn zu. In ihrem Gesicht eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung.

 

„Granger, krieg dich wieder ein oder ich…“

 

„Nein!“, erwiderte sie, ohne seine Worte abzuwarten. „Wir müssen das Richtige tun! Wir müssen diese verdammte Welt retten! Malfoy, du musst das richtige tun! Du musst einfach!“ Sie starrte ihn an, mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn wahnsinnig machte. Was zum Teufel wollte sie? Wollte sie ihn verrückt machen mit ihrem kryptischen Scheiß?

 

„Bist du verrückt geworden?“, erkundigte er sich fassungslos und schüttelte den Kopf. „Ich werde dich wieder fesseln und…“ Plötzlich griff sie in seinen Kragen und schüttelte ihn tatsächlich.

 

„Gott, wieso bist du so? Du hast doch die Chance!“ Ihre großen Augen waren furchtbar. Er ließ ihr zu viel durchgehen. Er dachte eigentlich, er hatte kein Herz für Frauen. Er hatte kein Problem gehabt, sie zu schlagen – log er dreist in seinen Gedanken.

 

Natürlich schlug er nicht gerne Frauen, aber manchmal verdienten sie es eben nicht anders. Ihre großen Augen. Ihre ganze Dummheit war auf ihrem Körper ausgebreitet. All ihre Poren stanken förmlich nach Dummheit. Sie machte ihn nur wütend. Was dachte sie? Nur weil ihr Leben plötzlich in Gefahr war, änderte sich die Welt?

 

Er fing ihre Hände ab. Schlammblut. Schlamm. Schmutzig. Gift.

Es machte ihm nur leider nichts aus. Gerne hätte er, dass er plötzlich Ausschlag bekommen würde. Aber leider bekam er keinen.

 

„Hör auf damit.“ Er sagte es ruhig. Er versuchte es zumindest. Sie starrte ihn an. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ein simpler Kuss so etwas bei dir auslösen kann. Vielleicht ist was hormonellbedingtes, Granger, aber die Welt lässt sich nicht ändern. Du stehst eben auf der falschen Seite und dank deines schmutzigen Bluts ist das auch nicht zu ändern.“ Er fand, dass hatte er sehr überzeugend erklärt.

 

„Hörst du, was du sagst?“, fragte sie ihn voller Verzweiflung. „Wie kannst du in Grausamkeit leben wollen, wo doch…“

 

„Wo doch Potter und Weasley meinen Tod planen? Oh, Granger, glaub mir, mein Leben ist gut.“

 

„Du weißt es doch!“, begann sie wieder von Neuem. Er hielt ihre Handgelenke immer noch in seinen Händen. Sie machte keine Anstalten, sich zu wehren. Er hatte keine Ahnung, ob sie nicht genug Schlaf bekommen hatte. Er sollte sie verhungern lassen. Bewusstlos prügeln. Er sollte irgendwas tun! Aber auf gar keinen Fall sollte er hier stehen und sie reden lassen.

 

Man konnte nichts ändern. Erst recht nicht mit Worten. „Du sagst, du weißt, wo die Waffe ist! Das heißt, du kannst alles ändern!“

 

Oh Gott. Die verfluchte Waffe. Granger war unglaublich.

 

„Ich habe gelogen.“ Er betonte jedes Wort. „Ich bin niemand, dem Voldemort das anvertrauen würde, Granger.“ Jetzt starrte sie ihn wieder an. „Das ist hier keine Frage der Religion, Granger. Es ist nicht so, als ob du mich von irgendeinem Gott überzeugen müsstest. Es geht hier um simple Politik. Ich habe mich für meine Seite entschieden. Du stehst auf deiner Seite.“

 

Ihr Mund öffnete sich empört. „Bedauerlicherweise bedeutet das, dass du die falsche Entscheidung getroffen hast“, fügte er hinzu und wollte sich am liebsten die Zunge abbeißen, denn es bereitete ihm physische Qualen mit ihr zu reden, ihr ihre Dummheit auch noch erklären zu müssen.

 

„Nein. Ich habe überhaupt keine Entscheidung getroffen, Malfoy. Ich bin, wie ich bin. Anscheinend liegt es an meinem Blut. Und nicht an Entscheidungen. Das bedeutet, es handelt sich hier um reine Willkür, nicht um eine intelligente Entscheidung.“

 

„Natürlich geht es um Willkür“, begann er und hielt plötzlich inne. „Was?“ Er starrte sie an. „Ich kann nicht denken, wenn du da bist“, fügte er verstört hinzu und bereute diese Satz sofort wieder. „Ich bin Todesser, Granger“, begann er von Neuem. Gott! Willkür hin oder her. Scheiß egal, verflucht!

 

„Bist du nicht“, widersprach sie jetzt plötzlich. Er vergaß schon wieder ihre Hände loszulassen.

 

„Ach nein?“ Belustigung machte sich auf seinem Gesicht breit.

 

„Wärst du ein Todesser, hättest du mich schon längst gefoltert und würdest mir nicht Croissants bringen!“ Sie sagte das wütend und er brachte sie näher an sich.


„Das heißt, Potter ist also ein Todesser, ja?“ Ihr Mund klappte auf und wieder zu.

 

„Harry ist kein Todesser!“, sagte sie nur.

 

„Oh, ich bin sicher, Voldemort würde ihn mit offenen Armen empfangen.“ Wieder und wieder stiegen ihm die Bilder in den Kopf. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, denn etwas anderes tat sie nicht. „Verflucht, du würdest längst tot sein, wärst du Potters Gefangene gewesen. Ist dir klar, dass ich jedes Recht habe, dich umzubringen? Ist dir überhaupt klar, unter welchen Voraussetzungen ich in Potters kleinem Keller gefangen war?“

 

Er hatte gar nicht vorgehabt, darüber zu sprechen. Denn darüber zu sprechen machte ihm nur bewusst, dass sich sein Vater einen verfluchten Scheißdreck darum geschert hatte, wie es ihm ergangen war. Und auch, wenn er ein Einzelgänger geworden war – auch wenn es egal war, ob sich sein Vater sorgte oder nicht, spürte er in seinem Innern, dass es nicht möglich war, alles allein zu überstehen.

 

Er hatte sie geküsst, weil er sie unter gar keinen Umständen hatte umbringen könne. Er hatte keine Ahnung, ob das eben die logische Konsequenz war, aber das war es eben für ihn gewesen.

Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und die Vorstellung war fast schon lächerlich, dass sie für ihn weinte. Er nahm an, sie weinte, weil sie eben ein Mädchen war.

 

Er wusste, er konnte nichts weiter zu diesem Thema sagen. Er befürchtete, daran zu zerbrechen, wenn er es doch tat.

 

„Hör zu, für den Moment mag es dir nicht so erscheinen, Granger, aber glaub mir, es kommt der Moment, wo du merken wirst, wer ich bin.“ Er presste die Worte hervor. Und er wusste, sie stimmten. In der gesamten Schulzeit hatte er nicht so viel mit ihr gesprochen. Er wusste nicht, was plötzlich in ihn gefahren war, wusste nicht, weshalb es wichtig war, ihr klarzumachen, wer er war, er wusste nicht -

 

„Wann? Wenn du mich vergewaltigen willst, wie dein Vater, Draco?“

 

Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass sie seinen Vornamen benutzte. Und er wusste nicht, warum sie es tat. Und er hasste es, dass es ihm auffiel. Stille hing ihren Worten nach. Es machte ihn wütend. Es machte ihn wütend, dass sie im Unrecht war. Seine Hände umfingen plötzlich ihre Schultern.

 

„Ja, genau dann, Granger“, knurrte er haltlos und sie zuckte vor Schmerz zusammen. Er stieß sie von sich und sie fiel unsanft auf den Boden. Er griff nach ihrem Zauberstab, ehe sie sich erheben konnte und legte ihr wieder die magischen Fesseln an. Er sorgte auch für einen unsichtbaren Knebel, damit sie endlich ihren verdammten Mund halten würde.

 

Ihr Mund. Schlammblut. Er hatte sie geküsst.

 

Zorn schüttelte ihn. Er ließ das Tablett verschwinden. Er verschwand, ohne sie noch einmal anzusehen und ließ sie achtlos auf dem Teppichboden liegen.

Ein Schlammblut brauchte ihm nicht zu erzählen, dass er sich ändern musste. Verflucht noch mal, nein.

 

Sein Vater sollte sie endlich vernichten.

 

 

Teil 9

 

Ihre Tränen fielen auf den Teppich. Sie lag unbequem auf der Hand, die er geheilt hatte. Sie glaubte allerdings nicht, dass sie nach dem Sturz wieder gebrochen war. Der Schmerz war erträglich.

Der magische Knebel schnitt beinahe in ihre Mundwinkel. Er hatte sie einfach auf dem Boden zurückgelassen. Hatte sie liegen lassen und sie konnte sich nicht rühren.

 

Sie hatte keine Ahnung, was sie gedacht hatte.

Vielleicht hatte sie für einen wilden Moment geglaubt, dass er doch jemand anders war. Dass er sie hatte küssen wollen, weil… weil er tatsächlich irgendwelche Gefühle hatten, die sich von der reißerischen Mordlust unterschieden, die die anderen Todesser an den Tag legten.

 

Aber sie irrte sich. Sie hatte sich voller Verzweiflung auf sein Gewissen stürzen wollen. Aber sie glaubte nicht, dass er tatsächlich über so etwas verfügte.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wie lange sie warten musste und wie lange sie noch leben würde.

Es kam ihr jetzt so vor wie Einzelhaft. Und ja, er hatte recht. Hier war es für sie angenehmer als für ihn in Harrys Gewahrsam. Aber sie wusste nicht, warum es so war. Sie wusste nicht, was er dachte, ob es überhaupt irgendeinen Weg gab, etwas zu ändern, nur weil-

 

Sie wusste überhaupt nicht, weshalb sie so dachte.

Sie war so zornig mit sich selbst. So zornig, dass er ihr seinen Willen aufgezwungen hatte. Sie war zornig auf ihren Geist und auf die Tatsache, dass sie Draco Malfoy geküsst hatte. Dass ihr Willen sich so einfach hatte manipulieren lassen. Und vor allem, dass es ihr nichts ausgemachte hatte.

Nicht in dieser Sekunde.

 

Als hätte sie wegen eines blöden Zaubers vergessen, wer sie war und wofür sie stand. Es regte sie auf, dass Männer sie einfach ausnutzen konnten, dass Malfoy sich aufführte, als hätte er das Recht dazu.

 

Am meisten störte sie, dass sie das erste Mal nichts ändern konnte. Die Schulsprecherin konnte nichts ändern. Die klügste Hexe der Generation konnte nichts tun, als hilflos in Malfoy Manor auf einem Teppich zu liegen zu warten bis sie vergewaltigt oder umgebracht wurde.

Oder beides.

 

Sie wollte nicht hilflos sein. Es war noch nicht zu ihr durchgedrungen, dass sie einen chancenlosen Kampf focht.

Sie hatte einen Fehler gemacht. Sie hätte Malfoy niemals… niemals die Chance lassen dürfen. Sie hätte ihm niemals ihre Kraft geben sollen. Sie hätte auf Ron hören müssen! Sie hatte Mitleid, es stimmte. Sie hatte immer Mitleid gehabt, und glaubte ernsthaft, dass auch jedes Geschöpf ihr Mitleid verdiente.

 

Und sie hasste sich für den Gedanken, dass sie glaubte, Malfoy müsste Mitleid mit ihr haben. Dass sich ihre Gedanken beinahe verzweifelt an den Wunsch klammerten, dieser widerliche Idiot würde wirklich etwas für sie empfinden und das würde ihre Freikarte sein.

 

Sie war bereit sich an diesen Wunsch zu klammern, obwohl sie noch nie einen größeren Feigling erlebt hatte, als diesen verdammten Todesser.

Er hatte es ihr klar gemacht. Todesser sein, war die bequemste Lösung. Warum sollte er es aufgeben? Sie kam sich schäbig vor, dass sie so tief gesunken war. Dass sie sein verdammtes Frühstück gegessen hatte, als könne sie so die Tatsache überspielen, dass sie hier eine Gefangene war!

 

Sie wollte schon förmlich zu Tode geprügelt werden, damit sie nicht die Zeit hatte, zu glauben, dass es eine Chance für sie gab.

Es gab keine Chance. Es gab einfach keine verfluchte Chance! Sie weinte wieder. Langsam, ganz langsam verfiel sie in die stumme Verzweiflung, die sie gefürchtet hatte. Langsam… langsam verlor sie die Hoffnung, die sie weitergeschleppt hatte. Durch die nächste Stunde, durch den nächsten Tag.

 

Harry würde nicht kommen.

 

Harry würde nicht kommen, um sie zu retten. Harry war nicht mehr Harry.

Harry war genauso brutal und schlecht wie die Todesser.

Keine Liebe würde sie retten können.

Es war keine mehr übrig in der Welt. Nur noch Gewalt.

Sinnlose, mörderische Gewalt.

 

Die Tür öffnete sich.

 

„Ms Granger.“ Sie konnte den Kopf nicht heben. Die Position, in der sie lag, ließ es nicht zu. Sie erkannte die gedehnte, grausame Stimme, ohne darüber nachdenken zu müssen. „Was für eine denkbar unwürdige Haltung“, sagte Lucius jetzt. Sie spürte seinen groben Griff in ihren Haaren. Ihr Herz schlug laut vor Angst. Sie konnte nicht sprechen, konnte nicht schreien, konnte sich nicht einmal wehren.

 

Er zog sie unsanft nach oben. Sie sah ihn an. Eine hässliche Wunde zog sich über sein Gesicht. Eine Wunde eines Fluchs, nahm sie geistesabwesend an.

Er war wohl in einem Kampf verwickelt gewesen! Harry! Seine Augen studierten ihr Gesicht, ihren Körper. Seine Hand fuhr langsam durch ihre Haare. Seine Berührung war grob und unglaublich kalt.

 

„Wissen Sie, wen ich gestern Abend getötet habe?“, fragte er und seine Freude bereitete ihr eine Übelkeit, die sie kaum ertragen konnte. Tränen rannen ihr ungehindert aus den Augenwinkeln, tropften auf ihre Wangen, ihre Lippen und Lucius Malfoy lächelte immer noch. Nicht Harry! Nicht Harry!, dachte sie voller Verzweiflung und war bereit sofort selber zu sterben, wenn dies der Fall sein sollte!

 

Sie wollte ihn mit ihren eigenen Händen umbringen, ihm Gewalt zufügen, dass er nur noch bluten würde. Bluten und unter Qualen sterben! Blanker Hass schürte in ihrem Innern ein qualvolles Feuer. „Es war ein Genuss, einen von Ihren Kämpfern qualvoll sterben zu sehen, Ms Granger…“ Lächelnd fuhr seine Hand nun über ihren Unterleib. Schlagartig setzte ihre Atmung aus.

 

Sie schüttelte sich vor Ekel und Verzweiflung.

 

„Ich bin in der Stimmung für etwas…“ Kurz schien er über seine Worte nachzudenken. „Ablenkung“, fügte er nach einer Weile hinzu.

In einer einzigen Bewegung hatte er sie gegen die Wand geschleudert, dass sie bunte Punkte tanzen sah. Mit seinem Zauberstab löste er ihre Fesseln und ehe sie begriff, dass sie frei war und sich auf ihn stürzen konnte, traf sie sein Wille, sein Imperius.

 

Sie spürte sofort, dass er stärker war, als sein Sohn, dass Lucius ein wahrer Todesser war mit wesentlich mehr Erfahrung und einem eiskalten Herzen.

Ihr Wille war fort.

 

Fort.

Fort

Fort……

 

Ms Granger…“ Wunderschön ertönte seine Stimme in ihren Ohren. Verschwommen war ihr Blickfeld und ihre Gedanken schwammen träge in einem Becken aus kompletter Willenlosigkeit.

 

„…ich will, dass Sie auf die Knie gehen…“

 

 

~*~

 

 

Es war ein befreiendes Gefühl. Auf der Straße zu stehen. Weg, von Malfoy Manor. Weg von seinem Vater, seiner Geisel und einmal nicht denken zu müssen. Nicht zu denken, dass alles unerträglich war.

 

Die Winkelgasse war nahezu leer. Die Häuser lagen grau und verlassen vor ihm. Er sah Todesser oder Sympathisanten des Ministeriums. Den Kragen seines Reisumhangs hatte er hoch geschlagen, damit er nicht den Anschein vermittelte, eine Unterhaltung führen zu wollen.

Aber niemand sprach ihn an.

 

Lucius war noch nicht zurückgekehrt, als er gegangen war. Aber es war ihm gleichgültig gewesen, dass Granger alleine gefesselt auf dem Boden lag. Er hoffte wirklich, sie dort weinen, sterben, in ihrem Urin liegen und sich endlich genauso schmutzig und schlecht fühlen, wie sie es verdient hatte.

 

Die kalte Faust schloss sich um sein Herz.

 

Ja. Bosheit war der Schlüssel. Er musste sie nur ausüben können. Nur das fehlte noch.

 

Seine Hand lag auf der Türklinke zum Tropfenden Kessel. Kaum Leute waren im Innern. Tom wischte schwerfällig die Theke. Sein Spiegelbild warf ihm wieder einen nervösen Blick zu. Er ignorierte sein Gesicht in der schmutzigen Scheibe und zog grob die Türe auf.

Widerlich warme, verbrauchte Luft schlug ihm entgegen. Einige Blicke trafen ihn. Er wusste, dass sie ihn erkannten. Konnte förmlich die Angst ums ich herum spüren und wusste, dass es immer noch Leute ihr geben musste, die seinen Tod dringend wollten. Seinen Tod, den Tod seines Vaters und dessen Verbündeten.

 

Er sah sich um. Erwiderte die Blicke, die er fangen konnte, und konnte nicht deuten, ob sie ihm feindlich gesinnt oder gleichgültig waren.

 

„Draco, setz dich zu mir.“ Zorn erfüllte ihn augenblicklich.


„Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht töten sollte!“, knurrte er jetzt und spürte, wie die Leute in der Kneipe unruhig auf ihren Sitzen rutschten, als könnten sie so weiter fort von ihm, als könnten sie so, seine Worte und alles, was falsch war ungeschehen machen. Snape blickte ihn müde an, und Draco Hand lag bereits auf dem Zauberstab, bereit seinen Patenonkel qualvoll zu Boden zu schicken.

 

„Du willst mich nicht töten.“ Er blieb gelassen und klopfte auf den Hocker neben sich.

 

„Du bist ein verdammter Verräter“, knirschte Draco jetzt. Snape hatte ihn ebenfalls in Potters Gewalt verrecken lassen wollen! „Du bist auf Potters Seite und sie sind alle zu dumm, um es zu sehen!“

 

„Wie geht es eurer Geisel, Draco?“, fragte Snape, anstatt zu antworten und heiße Schuldgefühle bereiteten ihm Übelkeit. Er sah sich hastig um. Die Leute taten so als wären sie beschäftigt. Vielleicht hörte auch keiner zu. Snape sah ihm genau an, das ihm das Wort Schauer über den Rücken jagte.

 

Draco setzte sich widerwillig und blanker Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Was willst du, Severus?“, erkundigte er sich abweisend.

 

„Wir haben gestern gegen sie gekämpft.“ Das war ihm schon klar gewesen. Dennoch konnte er nicht verheimlichen, dass er auf Informationen brannte.

 

„Potter formiert sich neu.“

 

„Du musst es ja wissen“, spuckte er ihm entgegen.

 

„Draco“, mahnte ihn Snape jetzt ungehalten.

 

„Was? Du stehst auf seiner Seite! Du willst uns alle vernichten!“ Er kostete ihn Anstrengung seine Angst unterdrückt und seine Stimme im Zaum zu halten.

 

„Ich will dir helfen“, erwiderte Snape ungerührt.


„Mir helfen? Ist das so? War das deine Motivation als ich in Potters Zelle gelegen habe, schwach und schwer verletzt, Severus?“ Die Züge seines Gegenübers füllten sich mit Zorn.

 

„Ich war auf dem Weg! Ich wollte dir helfen! Ich wollte dich befreien! Es ist nicht so leicht, Draco!“ Er erhob sich zornig. Er wollte ihn nicht reden hören, wollte ihn nicht sagen hören, dass sein Leben unwichtig war und dass es mehr Zeit kostete, unwichtige Charaktere zu retten. Er wollte es nicht!

 

„Draco, bleib hier!“, hörte er ihn knirschen und er schüttelte den Kopf.

 

„Ich habe es nicht nötig, in deiner Anwesenheit zu sein.“

 

„Nein? Willst du lieber zurück in dein Haus? Von deinem Vater allein gelassen? Allein mit Hermine Granger?“ Draco konnte sich nicht zurück halten. Er schloss den Abstand und jagte seinem Patenonkel die blanke Faust so hart ins Gesicht, dass er glaubte, seine Knöchel wären gebrochen. Snape sackte vom Stuhl, konnte sich nicht halten und riss einige leere Gläser mit sich.

 

Er erwartete, dass irgendjemand etwas tun würde, dass ihn jemand rauswerfen würde, aber die Leute starrten ihn nur an. Abwartend, ängstlich. Selbst Tom wirkte unschlüssig. Snape erhob sich wankend. „Ich will dir helfen, du gottverdammter Bastard!“, knurrte Snape jetzt und richtete mit seinem Zauberstab seine Nase. Blut klebte in seinem Gesicht. Seine dunklen Augen fixierten ihn drohend.

 

„Draco, das ist nichts für dich!“ Draco hätte am liebsten gelacht.

 

„Was soll das heißen, Severus?“ Er war näher gekommen, wünschte sich fast, dass Snape ihn schlagen oder verfluchen würde und seine Atmung ging schneller. „Willst du mich bei Potter verstecken? Danke, das hat mir schon gereicht!“ Er hasste es! Er hasste seine Bedeutungslosigkeit.

 

„Es tut mir leid“, sagte er tonlos. Aber Draco schüttelte den Kopf. Er wollte das nicht hören! Er wollte das nicht hören. „Potter sucht nach der Waffe“, fuhr Snape leiser fort, als die wenigen Gespräche wieder begonnen hatten. Diese verfluchte Waffe! Draco wollte am liebsten um sich fluchen.


„Das ist mir scheiß egal!“

 

„Er kennt sie nicht! Er weiß nicht, worum es geht! Er hält sie für etwas, das man anwendet. Einen Zauber, einen Fluch, einen Gegenstand, Draco! Hör mir zu!“ Snape hatte ihn am Kragen gepackt, als er sich abwenden wollte.

 

„Lass mich los! Mich interessiert dieser Unsinn nicht“, knurrte er zornig. Snape hielt ihn fest.

 

„Hör mir zu! Du musst mir zuhören! Ich versuche es dir schon seit Ewigkeiten klar zu machen!“ Draco wollte es nicht hören. Er war nicht in die Stadt gegangen, um sich anschreien zu lassen, um wieder erinnert zu werden. Er wollte gar nichts. Er wollte kein bedeutungsloser Bauer sein, im Schachspiel der Grausamkeit. Er wollte nichts! Er wollte nicht zurück, er wollte nicht nach vorne!

 

„Wieso bist du nicht ins Haus gekommen? Wo warst du die verdammten letzten Tage?“, schrie er jetzt und scherte sich einen Dreck darum, dass die verkommenen Leute ihn wieder anstarrten.

 

„Es gab keine Gelegenheit und dank deiner Ansprache, wird mir Misstrauen entgegen gebracht, sehr zu Bellatrix‘ Begeisterung. Sie ist mir ständig auf den Fersen. Ich habe Glück, überhaupt eine Sekunde allein zu sein!“

 

„Das tut mir wirklich leid, aber du verdienst nichts anderes! Doch“, berichtigte er sich zornig. „Du verdienst Voldemorts Zorn und…“

„Halt deinen Mund!“, schrie Snape jetzt und zog ihn mit sich. „Draco! Mit der Waffe lässt sich alles vernichten!“ Er wehrte sich in seinem Griff. „Voldemort kennt sie nicht.“ Kurz hielt er inne. Was? Was redete Snape da? Dieser nutzte seine Chance und umfasste nun Dracos Schultern mit verzweifelter Kraft. Das Blut war auf seiner Wange getrocknet. „Die Waffe ist kein Gegenstand!“

 

Draco entzog sich seinem Griff. „Ich will es nicht hören.“

 

„Doch! Du kannst etwas verändern, Draco“, zischte Snape. Und er wollte nicht schon wieder diese Ansprache hören. Was dachten die Leute? Dass er sich einfach ihrem Willen fügen würde, nur weil sein Vater ihm einredete, dass er nutzlos war?

 

„Ich will es nicht hören!“

 

„Weil du Angst hast?“, vermutete Snape und die Enttäuschung war greifbar in seinen Worten. Draco schüttelte wütend den Kopf.

 

„Es ist unsinnig! Wir Todesser haben die Macht, Snape! Was willst du tun? Dich als einziger auflehnen? Gegen was? Gegen die Macht, die Welt zu regieren?“ Snape sah ihn fassungslos an.

 

„Es muss beendet werden“, entgegnete er ruhig. „Verwunderte es dich nicht, dass ihr trotzdem immer wieder um euren Platz in der Welt kämpfen müsst, um an der Spitze zu sein? Wenn ihr sowieso die besseren seid, wieso ist es dann so schwer? Das sollte dir eigentlich zeigen, dass ihr die falsche Seite besetzt.“

 

Er wollte es nicht hören. Er wollte nicht den Kern an Wahrheit in Snapes Worten erkennen. Er musste es auch nicht. Snape wollte es beenden? Da kannte er doch schon den geeigneten Kandidaten.

 

„Darum soll Potter sich kümmern“, informierte Draco ihn belustigt.

 

„Nein. Das kann er nicht. Du hast die Waffe, Draco.“

 

Für einen Moment warf ihn das aus der Bahn. Er hatte was? Was wollte dieser Verrückte von ihm? Er musste hier weg. So schnell er konnte. Am besten floh er so weit, dass ihn niemand mehr finden würde! Er schüttelte langsam den Kopf. Snape irrte sich! Er besaß keine Waffe!

 

„Ich kann es nicht allein! Du musst mir helfen, Draco“, flüsterte er eindringlich. Wieder schüttelte er stumm den Kopf. „Du musst mir helfen, du musst es tun! Du musst mir vertrauen. Du musst es tun!“ Snape kam ihm schon vor wie Granger. Was war nur in die Leute gefahren? Sie konnten ihn nicht zwingen, irgendetwas zu tun. Sie konnten nicht! Er wollte nicht. Und er würde nicht!

 

„Ich kann nichts tun, Snape. Ich will es nicht“, knurrte er leise, denn Gott sei Dank hatte niemand etwas von ihrem Gespräch mitbekommen.

 

„Draco, du hast nur Angst! Das ist alles, was dich hält.“ Er schüttelte wieder den Kopf.

 

„Nein. Das ist es nicht, Severus. Ich bin zufrieden mit meiner Stellung. Du bist völlig verrückt geworden!“, fügte er hastig hinzu. Snapes Hände griffen nach seinem Gesicht. Er zwang ihn, in seine dunklen Augen zu blicken.

 

„Granger ist die Waffe, Draco! Es dauert zu lange, es hier zu erklären. Wir haben nicht viel Zeit. Die Spione folgen mir unablässig.“ Dracos Mund öffnete sich in verblüfftem Erstaunen. Was?

 

„Granger? Sie ist ein verdammtes Schlammblut, Snape!“ Sein Gegenüber verlor seine Geduld.

 

„Du wirst unter Voldemorts Führung zu Grunde gehen, Draco.“

 

„Nein, ich werde unter seiner Führung überleben.“

 

„Zu welchem Preis?“, fragte er wütend. „Und du irrst dich. Du musst mit Granger fliehen! Ich habe alles vorbereitet. Ich habe einen Plan! Du musst mir glauben. Hast du mich verstanden?“ Draco schüttelte wieder den Kopf. Die Tür der Kneipe öffnete sich wieder. Snape zog ihn tiefer in den Schatten. „Ihr darf nichts geschehen, hörst du?“ Sein Mund öffnete sich.

 

„Das ist verrückt! Das ist… nicht wahr…“

 

„Ich muss gehen. Ich komme zu dir, sobald ich kann. Ihr darf nichts zustoßen, hast du verstanden, Draco?“ Er schüttelte ihn heftig. „Hast du verstanden? Sorg dafür!“ Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er konnte nicht mehr reagieren. Snape ließ von ihm ab, übte einen Zauber aus und verschwand plötzlich vor seinen Augen. Keine Sekunde später bog ein fremder Zauberer um die Ecke. Anscheinend auf der Suche nach etwas.

 

Er warf Draco einen ärgerlichen Blick zu und verschwand. Draco kannte ihn nicht. Suchte der Mann nach Snape? Und was zum Teufel war gerade passiert? Was wollte Snape von ihm? Er konnte ihm nicht vertrauen. Er konnte ihm nicht helfen! Er würde bestimmt nicht sein Leben für ein Schlammblut riskieren. Niemals!

 

Etwas in seinem Innern zerrte wieder an ihm. So gut er es unterdrückte, es war immer da. Es war eine Art Kraft, die er nicht kannte Eine Kraft, die es ihm unmöglich machte, seine Gedanken abzulenken.

Niemals hatte er geglaubt, es hätte etwas mit Granger zu tun, aber der Gedanke an das Miststück bereitete ihm unglaubliche Qualen.

Sie war die Geisel verflucht noch mal. Es war nicht seine Aufgabe, dass ihr nichts passierte.

 

Er würde den Teufel tun! Es war ihm egal, was Snape sagte. Snape hatte keine Macht über ihn. Er diente Voldemort. Und er wusste, Voldemort würde ihn belohnen, würde er ihm von Snapes Theorie erzählen. Und er wusste, er würde Voldemort nie zu Gesicht bekommen.

Er musste irgendwas tun. Er musste in seiner Gunst steigen. Er wusste nur nicht, wie.

 

Sein Kopf schmerzte.

Er hatte keine Ahnung, was richtig und falsch war.

Er wollte nicht auf Snape hören. Er wollte niemandem gehorchen.

 

Die Stadt schlug ihm auf den Magen. Er würde wieder nach Hause gehen. Es war kein Zuhause mehr, fiel ihm bitter auf. Hier hatte er nur Panik, dass ihn irgendwer verhaften würde…. Granger, eine Waffe. Als ob.

Er hoffte inständig, Snape würde ihn nicht aufsuchen.

 

Wenn Granger die Waffe war, wieso wusste es Potter nicht?

Und wieso wusste es Snape?

Er apparierte eilig zurück. Ein schlechtes Gefühl überkam ihn plötzlich und er konnte nicht sagen, wieso.

 

Dunkle Wolken hingen schwer über dem Herrenhaus. Eine Kutsche stand in der Auffahrt. Lucius war zurück. Sein Herz schlug schwer in seiner Brust.

Das Gefühl überkam ihn plötzlich, ohne Vorwarnung. Er wollte nicht mehr zurück.

 

 

Teil 10

 

Es war still im Haus, als er eintrat. Ab und an brannten ein paar Lichter. Sein Vater machte sich nicht mehr große Mühe. Draco nahm an, Lucius lebte in genauso großer Angst vor Askaban, wie er selber.

 

Er schlug nicht den Weg zum Salon ein. Wenn er sie nicht sah, dann musste er nicht an sie denken. Waffe… Waffe…

Das Wort wiederholte sich dumpf in seinem Kopf. Er fühlte sich wie ein Verbrecher in seinem eigenen Haus.

Im Studierzimmer brannte ebenfalls Licht.

 

„Draco?“ Sein Vater war betrunken. Er hörte es an der Stimme. „Wo warst du?“ Er ballte die Hände zu Fäusten.


„Aus“, informierte er Lucius knapp, als er die Tür zu seinem Büro öffnete.

 

„Es ist gefährlich draußen für dich allein. Ist dir irgendwer begegnet?“, fragte er jetzt schlecht gelaunt. Er trug seinen Hausmantel und wirkte nicht so, als würde er heute noch weggehen. Er traf sich also nicht mit seinem Klub der Zerstörung, mutmaßte Draco bitter.

 

„Nein, niemand“, log er jetzt. Zu gerne hätte er jetzt in dieser Sekunde gefragt, ob sein Vater jemals vorgehabt hatte, ihn zu retten. Aber er fragte nicht. Lucius nickte grimmig. Dann griff er nach einem Glas, gefüllt mit dunkler Flüssigkeit.

„Auch ein Glas?“ Draco hob misstrauisch eine Augenbraue.

 

„Weshalb?“ Immer wieder nahm er an, dass sein Vater ihn vergiften wollte. Er wusste nicht, woran es lag. Alkohol war nicht mehr etwas, dass er zwingend brauchte, wie noch vor ein paar Jahren.

 

„Zur Feier des Tages“, eröffnete ihm sein Vater. „Wir haben einen großartigen Mord begangen. Es war ein Fest. Du hättest dabei sein sollen. Aber…“ Kurz schürzte er seine Mundwinkel. Draco ballte die Fäuste. „Aber… das ist zu gefährlich. Nachher wirst du wieder festgehalten.“ Wut kochte in ihm hoch. Sein Vater hielt ihn für einen Schwächling. Am liebsten hätte er… Seine Gedanken  verfingen sich kurz.

 

„Mord? Wen habt ihr getötet?“, fragte er und seine Stimme klang blechern. Sein Vater lachte. Er trank genüsslich einen Schluck, ehe er antwortete.

 

„Sein Name entfällt mir ständig“, erwiderte er. Seine Stimme begann zu lallen. Draco hasste ihn. „Maggen, nein…“, unterbrach er sich. „Corvan…, nein, ach unwichtig“, beschloss er mit einer lästigen Handbewegung. „Es war ein Fest, sage ich dir! Bellatrix hat sich fast im Blutrausch vergessen…“

 

„McLaggen“, sagte Draco jetzt, ohne auf seinen Vater zu achten. Sein Herz schlug laut.

 

„Oh ja! Corvan McLaggen!“ Er hob sein Glas und prostete ihm lächelnd zu.

 

„Cormac“, verbesserte Draco tonlos. Sein Atem ging schwer in seiner Brust. Unbeeindruckt füllte sein Vater sein Glas erneut.

 

„Kümmer dich um unseren Gast. Ich werde sie morgen wieder brauchen. Sie ist… begabt. Ich hasse es, wenn sie schmutzig sind.“ Draco hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.

 

„Du… was?“

 

„Wasch sie, Draco.“ Es war ein klarer Befehl. Sein Vater gähnte ungeniert.

 

„Wieder brauchen?“, wiederholte Draco jetzt und konnte seine Gefühle nicht zuordnen.

 

„Oh ja…“ Sein Vater lächelte wieder. „Du solltest es auch tun.“ Draco begriff. Sein Mund wurde übergangslos trocken. „Geh, ich erwarte gleich noch ein wichtiges Gespräch. Wir wollen doch nicht, dass du wieder alles versaust, nicht wahr?“

 

Er wandte sich ab, ehe der Zorn die Überhand gewann.

Seine Schritte wurden schneller. Er hatte keine Ahnung, was passiert war, aber plötzlich schlug sein Herz wild in seiner Brust. Seine Gefühle vermischten sich. Er entwickelte einen so großen Hass auf sein Leben, seinen Vater, seine gesamte Welt.

 

Granger… Granger… Waffe…

 

Er rannte förmlich die letzten Meter, schloss die Tür auf und stürzte in das Zimmer. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, wusste nicht, was er sehen wollte. Alles in ihm zog sich zusammen.

Sie war wieder gefesselt, saß auf dem Stuhl. Die Haare hingen ihr ins Gesicht. Sie hob träge den Blick. Tränenschwer.

 

Ihre linke Gesichtshälfte war blau, geschwollen. Blutergüsse zeichneten ihre Beine. Sie trug keine Hose, nur das Oberteil. Klebriger Samen war auf ihren Beinen getrocknet. Sein Mund öffnete sich, wurde trocken.

Er wusste nicht, was mit ihm passierte, aber irgendwas in ihm zerriss.

 

Er schloss die Tür, versiegelte sie hinter sich und löste stumm ihre Fesseln. Sie rutschte vom Stuhl. Er fing sie auf. Sie hing bewegungslos in seinen Armen. Ihr Atem ging langsam. Er roch Urin. Das Zimmer stank danach. Und nach etwas anderem. Wut verschleierte seinen Blick.

 

Er trug sie ins Bad, ließ das Wasser laufen, zog ihr Oberteil aus und stellte sich mit ihr unter die Dusche.

 

Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, wie viele Minuten er unter dem heißen Wasser stand. Er spürte nur ihren Atem und seinen. Er dachte nur an Snape und an seine Worte. Er hatte das Bedürfnis seinen Vater umzubringen und dann selber zu sterben.

Das Mädchen in seinen Armen regte sich nicht. Nur ihre Brust hob und senkte sich. Ihr Oberkörper schien unversehrt zu sein. Über ihren Rücken zog sich eine schmale rote Strieme. Er wusste nicht, wieso. Er wollte es nicht mal wissen.

 

Ihr darf nichts geschehen…

 

Er biss die Zähne fest zusammen. Plötzlich wurde ihm der feine Unterschied klar. Der Unterschied zwischen sich und Granger.

Potter hatte ihn gefangen gehalten, weil er Informationen wollte. Granger war nur hier… Sie war nur hier, um gequält zu werden.

 

Er legte sie auf den Fliesen ab und stellte das Wasser aus.

 

„Granger?“ Wasser tropfte von seinen Haaren auf ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen. „Hörst du mich?“, fragte er jetzt und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt bei Bewusstsein war, so wie sie ihn anstarrte. Er wusste nicht einmal, einen geeigneten Zauber anzuwenden. Seine Sachen klebten an seiner Haut. Granger klebte an seiner Haut. Sie fing an zu zittern.

 

Er trocknete sie hastig mit seinem Zauberstab. „Kannst du stehen?“, fragte er jetzt und kam sich hilflos vor. Hilfloser als sie. Sie sah ihn an. Er hob den Zauberstab und tat, was sie getan hatte. Er heilte stumm ihre Wunden. Ihr Gesicht bekam langsam wieder eine gesunde Farbe.

Er erhob sich und zog sie mit sich auf die Beine. Sie stand vor ihm. Sie konnte stehen. Das war gut. Sie sagte kein Wort.

 

Er wollte etwas sagen. Wollte sagen, dass er wusste, was Lucius getan hatte, aber seine Kehle war wie zugeschnürt.

Er hatte keine Ahnung mehr, auf welcher Seite er stand. Ob auf Voldemorts, auf Snapes, auf Potters, auf der seines Vaters – aber er wusste…

Er würde es nicht zulassen können. Er würde es nicht ertragen können, dass sein Vater Granger noch einmal etwas antat.

 

Er wusste nur nicht, warum er es nicht konnte.

Aber das war unwichtig.

Er schüttelte benommen den Kopf. Dann hexte er erneut Sachen für sie aus dem Schrank seiner Mutter ins Bad. Wahrscheinlich war das irgendwas Psychologisches, nahm er an. Er wollte nicht nachdenken.

 

„Zieh dich an“, befahl er leise und ließ sie los. Sie stand ohne seine Hilfe.

Er ging aus dem Zimmer. Ihr Körper hatte heute keinen Einfluss auf ihn gehabt. Doch. Einen grausamen Einfluss. Er säuberte das Zimmer und sorgte für essen. Viel Essen. Ihm fiel auf, dass er noch nichts gegessen hatte.

 

Sie kam nicht wieder. Er wollte am liebsten weglaufen, aber er besann sich.

 

Er ging zurück ins Bad. Sie war angezogen. Ihre Hände stützten sich am Waschbecken ab. Den Kopf hatte sie gesenkt.


„Granger“, sagte er, ohne etwas sagen zu wollen. Schließlich folgte sie seinen Worten. Er versiegelte die Tür hinter ihr und bedeutete ihr dann Platz zu nehmen und zu essen. Er wusste kein Gespräch anzufangen, nachdem sie sich stumm gesetzt hatte. Es machte ihn wahnsinnig, daran zu denken, dass Lucius sie gezwungen hatte… Nein! Er wollte es nicht denken! Er wollte nicht!

 

„Du musst essen“, sagte er jetzt, denn er wusste nichts anders zu sagen. Sie sagte nichts. Dann hob sie den Blick.

 

„Wen haben sie umgebracht?“ Ihre Stimme schnitt tief in sein Bewusstsein. Er war froh, dass sie aber überhaupt noch sprach. Er war froh? Wirklich? Er durchsuchte seine Gefühle nach einer Lüge, aber er konnte keine Unwahrheit entdecken.

 

„Was?“, fragte er, nur um abzulenken.

 

„Wen?“ Bestimmt hatte Lucius den Imperius angewandt. Draco kam sich genauso schäbig vor wie Lucius. Seine Hände begannen zu zittern. Ihr Blick senkte sich auf sie hinab. „Malfoy“, ungeduldig sprach sie seinen Namen. Sein Blick traf ihr Gesicht. Ein kaltes Gefühl übernahm.

 

Er wollte ihr sagen, dass sie ihn gefälligst nicht so zu nennen hatte, aber etwas hielt ihn zurück. Vielleicht die Absurdität, dass sie ihn niemals anders genannt hatte? Von gestern abgesehen. Er seufzte schließlich. Er wusste nicht, woher sie es wusste, aber er nahm an, Lucius hatte dafür gesorgt.

 

„McLaggen“, gab er knapp zurück. Bitter schmeckte es auf seiner Zunge. Bitter, den Namen von jemandem zu verwenden, den er kannte und der jetzt tot war. Ihr Blick wurde starr. Sie rührte die Früchte und das Brot nicht an. Es regte ihn auf, dass sie es nicht tat.

 

„Du musst essen.“

 

„Ich habe keinen Hunger.“ Zornig starrte sie ihn jetzt an. Er konnte ihr ansehen, dass sie ihm die Schuld gab. Es klang absurd, aber er sah den Vorwurf in ihrem Blick. Aber er war nicht bereit für diese Schuld. Er war auch nicht bereit, klein beizugeben.

 

„Du wirst essen“, informierte er sie deshalb.


„Ich will es aber nicht.“ Er mied jetzt ihren Blick. „Was ist? Zwingst du mich, wenn…“ Sie unterbrach sich selbst. Er sah ihre Tränen kommen, ehe er den Blick hatte abwenden können. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte verflucht noch mal keine Ahnung! Er hatte noch nie so gefühlt. Er konnte nicht einmal sagen, wie er fühlte. Er war so unsagbar sauer auf sie. Auf sich. Auf Lucius. Und er wollte, dass sie aß, denn sonst konnte er Snapes Forderung nicht nachkommen.

 

Er wusste nicht einmal, weshalb es plötzlich wichtig war, dass sie nicht zu Schaden käme. Er wusste nicht mal, was für eine Art Waffe in ihr steckte. Es machte keinen Sinn. Welche Waffe konnte ein Schlammblut besitzen? Vielleicht die grausame Waffe, dass sie es tatsächlich fertig brachte, dass er sich schuldig fühlte, für… für verflucht noch mal eigentlich alles?!

 

„Nein, werde ich nicht“, beantwortete er ihre Frage bitter. „Ich habe meine Meinung geändert“, fügte er schließlich hinzu. Sie sah ihn verständnislos an. Er erhob sich, denn er konnte nicht länger bei ihr bleiben.

 

„Was soll das heißen?“, fragte sie schließlich, ohne den Blick zu heben. Kurz überlegte er. Dann verzog er den Mund. Es kostete ihn Überwindung.

 

„Dir wird nichts geschehen“, versprach er und seine Stimme zitterte. Ein wenig.

 

„Was? Dafür ist es zu spät!“ Tränen fielen wieder auf ihre Wangen. „Ich kann auf deine Lügen verzichten, Malfoy“, fügte sie gepresst hinzu.

 

„Niemand wird dir etwas antun, hast du gehört?“, wiederholte er ernst und wartete, bis sie ihn wieder ansah. Er wusste, sie glaubte ihm nicht. „Ich möchte, dass du etwas isst, denn ich muss dich wieder fesseln, sonst… sonst schöpft Lucius Verdacht“, murmelte er. Es erschienen Falten auf ihrer Stirn.

 

„Was redest du da?“

 

„Ich kann es dir nicht erklären.“ Weil ich selber keine Ahnung habe, was ich hier tue. „Ich kann dir nur sagen, dass…“ Die Worte wollten nicht über seine Lippen, so verrückt waren sie. Er wusste, würde er es sagen – würde er ein Versprechen dieser Art ablegen, dann… wären die Worte viel zu real. Er seufzte. „Ich gebe dir mein Wort, dass dir nichts geschehen wird, Granger.“ Seine Stimme zitterte. Nur ein wenig. „Was auch immer das bedeutet“, fügte er hinzu.

 

Zu seiner großen Überraschung nahm sie sich einen Apfel. Sie aß ihn widerwillig. Anscheinend wollte sie mehr nicht zu sich nehmen. Er gebot ihr, sich auf die Couch zu legen und zu schlafen. Sie legte sich wortlos hin und er hexte ihr die Fesseln an Füße und Hände. Ihre Augen verließen seine nicht, und er sah, dass sie ihm nicht glaubte. Aber er konnte ihr keinen Beweis erbringen, dass er meinte, was er sagte. Er wusste ja selber nicht, ob er meinte, was er sagte.

 

Er löschte das Licht und verschloss die Tür hinter sich.

 

Sein Herz schlug laut. Verräterisch laut.

 

Was hatte er getan?

 

Noch hatte er gar nichts getan. Er spürte etwas Bodenloses in seinem Innern. Er kannte es. Es war Aufregung. Er war tatsächlich aufgeregt.

Aufregung unterschied sich nur so weit von Angst, in dem man bei Aufregung keine Furcht vor den Konsequenzen verspürte. Bei Angst schon.

Er hörte Lucius in seinem Studierzimmer schnarchen und wünschte ihm die Pest an den Hals.

 

In seinem Zimmer sank er auf sein Bett und überlegte, ob das, was er heute getan hatte, sein Leben grundlegend verändern würde.

Er nahm es mit großer Sicherheit an.

 

Und er hatte keine Angst.

 

 

Teil 11

 

Als sie aufwachte hatte sie immer noch Schmerzen.

Und sie hatte geträumt. Wirre Dinge. Gott sei Dank war nichts klar gewesen. Der Imperius war so stark gewesen, dass sie nur bruchstückhaft wusste, was Lucius getan hatte.

Aber sie erinnerte sich an seine Hände, an seinen Körper. Und ein Schauer befiel sie. Ihr war kalt, sie wollte sterben. Sie wollte nicht mehr. Gar nichts mehr.

Und sie glaubte Malfoy kein Wort. Kein einziges.

 

Sie hatte keine Ahnung, was passieren würde, würde Lucius Malfoy heute wieder kommen. Er sollte sie einfach vernichten. Das, was er tat, war schlimmer als alles andere. Und Harry war nicht da! Sie hatte nicht das Gefühl, dass Harry kommen würde, um sie retten. Was hielt ihn auf? Er wusste doch, wo die Malfoys wohnten! Es war doch kein Geheimnis!

 

Wieso konnte er ständig in Gefahr kämpfen, gegen hundert Todesser am besten. Aber bei den zweien, die hier im Haus wohnten, da machte er eine Ausnahme?

Sie wollte weinen. Sie wollte nicht mehr atmen.

 

Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, wie Männer sprachen. Kamen jetzt noch weitere? Wurde sie weiter gereicht? Ihr Puls raste und sie versuchte gegen die Fesseln zu kämpfen, aber sie war hilflos.

 

Sie wollte nicht lauschen, sie wollte die Geräusche gar nicht hören.

Aber sie konnte es nicht verhindern. Die Stimme sprach eindringlich und klang gehetzt. Aber anscheinend war es ein Gast, sonst wäre er nicht in der Lage gewesen, hier her zu kommen.

 

Dann hörte sie einen Knall. Sie zuckte zusammen. Was passierte jetzt? War es doch Harry? Nein, sie hätte seine Stimme erkannt. Und er käme ja wohl nicht zu Malfoys Haus und klingelte?

 

Dann öffnete sich ihre Tür.

 

Snape.

 

Es war Snape. Und mit eiligen Schritten kam er auf sie zu, hob sie vom Boden hoch und löste die magischen Fesseln mit einem Schlenker seines Zauberstabs. Ihm folgte Draco Malfoy. Er trug eine Tasche über seiner Schulter und wirkte genauso gehetzt wie Snape.

 

„Der Umhang“, rief Snape jetzt, nachdem er sie begutachtet hatte, als würde er kontrollieren, ob sie noch lebte. Malfoy griff in die Tasche und zerrte einen dunkelgrauen, feinen Umhang hervor. Kurz begutachtete er ihn mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte.

 

„Wie stark war der Fluch?“, erkundigte sich Malfoy jetzt und warf ihm den Umhang zu.

 

„Nicht stark. Ich will nicht, dass er seinen Termin verpasst. Sie würden sonst noch schneller aufmerksam werden.“ Sie verstand nicht, wovon sie sprachen. Sie verstand gar nichts.

 

„Das ist Harrys Umhang“, sagte sie nur. Sie wollte eigentlich etwas anderes sagen.

 

„Ja, ich habe ihn mir geliehen. Harry braucht ihn heute nicht“, erklärte Snape eilig. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er schließlich und sie nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, weil sie nicht verstand.

 

„Was passiert jetzt?“ Und Snape ließ ihre Frage unbeantwortet. Er hatte sich plötzlich abgewandt und verließ unvermittelt das Zimmer.

 

„Jetzt gehen wir“, antwortete Malfoy anstatt seiner. Sie starrte ihn an.

 

„Wohin?“, flüsterte sie.

 

„Was ist? Willst du etwa hier bleiben?“, entgegnete er und sie konnte nicht sagen, ob er anders war, als sonst. Alles, was anders war, war, dass er nervöser schien. Regelrecht angespannt.

 

Ehe sie antworten konnte, war Snape wieder da. „Hier.“ Er hielt ihm einen Stock entgegen. Sie erkannte, es war Lucius‘ Stock. Sein Zauberstab. Mit einem freudlosen Lächeln zog Malfoy ihn aus dem Holz, warf es achtlos zu Boden und löste auch den Diamant vom anderen Ende. Jetzt sah er wieder aus, wie ein Zauberstab.

 

Malfoy griff in seinen Umhang und hielt ihr ihren eigenen Zauberstab entgegen. Sie starrte verblüfft auf seine Hand. Er gab ihr ihren Zauberstab zurück.

Ihr Mund hatte sich geöffnet, aber sie blieb stumm. Sie hörte ihn ausatmen und er hob ungeduldig seine Augenbrauen.

 

„Nimm ihn einfach“, sagte er jetzt. Sie wollte etwas erwidern, aber Snape zog Malfoy nach draußen.

 

„Hermine, halten Sie sich bereit. Wir verlassen das Haus in wenigen Minuten. Sie werden den Umhang tragen.“

 

Kurz hielt Malfoy noch inne, bis sie den Zauberstab genommen hatte. Kurz standen sie sich als ebenbürtig gegenüber und kurz überkam sie das Verlangen, ihn zu verfluchen. Aber sie unterdrückte diesen Impuls.

Keine Sekunde dauerte dieser Moment an, ehe Snape Malfoy nach draußen gezogen hatte. Sie sah sich im Raum um und ein kalter Schauer befiel sie. Und noch hatte sie nicht völlig begriffen.

Aber – anscheinend kam sie frei! Es sei denn, es war ein Trick.

 

Aber es machte nicht den Anschein. Die beiden Männer kamen zurück, beide in dicken Reiseumhängen, die das meiste ihrer Gestalt verbargen.

Snape  beeilte sich, ihr Harrys Umhang anzulegen und sie spürte das vertraute Gefühl der Unsichtbarkeit. Malfoy schien auf den Fleck zu starren, wo sie gerade verschwunden war.

 

„Folgen Sie uns. Wir werden das Grundstück verlassen. So schnell es geht. Und dann werden wir apparieren. Ich sage es Ihnen bereits jetzt, denn sollte im Plan etwas schief laufen, dann wünsche ich, dass Sie – egal, was passiert – zu Spinner’s End apparieren. Sei es auch ohne mich.“ Den Satz schien er eher an Malfoy gewandt zu haben. Sie nickte dennoch.

 

„Halten Sie sich an Draco, denn er weiß, wo es ist“, fügte er jetzt an sie gewandt hinzu.

 

„Wie sollte etwas schief laufen?“, fragte sie mit ängstlicher Stimme, die kaum zu ihr passte.

 

„Hermine, es kann immer etwas passieren.“ Seine Stimme klang ernst und müde und er vergewisserte sich, dass sie die Tür fest verschlossen hatten.

Ihr kam der Weg unbekannt vor, dabei wusste sie, dass sie Malfoy Manor auf demselben Weg hatte betreten haben müssen.

Hohe Hecken säumten das Grundstück, schotteten es ab vor der Öffentlichkeit. Es war sehr still und sie nahm an, dass es verhext worden war.

 

Sie wollte gar nicht wissen, was sich noch in dem ausladenden Garten befand, den sie noch nicht sehen konnte. Und sie war plötzlich stehen geblieben. Genauso wie vor ihr Snape und Malfoy.

Den Grund hatte sie noch nicht erkannt.

 

„Sie folgen Draco, sollte er gehen“, sagte Snape schnell, und ehe sie etwas erwidern konnte, bog Bellatrix Lestrange um die Ecke, den Zauberstab gezogen. Sie spürte ihre Knie zittern und hielt die Luft an.

 

„Snape. Draco.“ Es war kaum eine Begrüßung. „So früh unterwegs?“

 

„Das gleiche gilt wohl für dich“, erwiderte Snape ruhig.

 

„Ich dachte mir, ich hole Lucius persönlich ab. Im Moment ist er eher unzuverlässig. Wohin soll es gehen?“ Sie hatte den Zauberstab noch nicht sinken lassen.

 

„Zum Tor“, sagte Snape knapp. Sie verengte die Augen.

 

„Draco bringt dich zum Tor?“, fragte sie argwöhnisch. Und Snape warf Draco nun einen säuerlichen Blick zu.

 

„Dein Neffe hält es für sicherer, mich zu begleiten, ja.“ Daraufhin lächelte sie.

 

„Oh, Draco… Wäre Snape ein Verräter, dann würden wir ihn bestimmt nicht frei herum laufen lassen, aber du kannst ja nicht vorsichtig genug sein.“ Sie klang so, als würde sie ein Kleinkind tadeln. Sie konnte Malfoys Gesicht nicht erkennen, aber er sagte nichts dazu.

„Hast du mit Lucius gesprochen?“, fragte sie ihn und Snape zögerte eine kurze Sekunde.

 

„Sicher, was sollte ich sonst in diesem Haus?“, gab er zurück.

 

„Ich habe dich eine Weile nicht mehr gesehen“, gab sie zu bedenken und Hermine hätte schwören können, ihr Blick traf sie ganz kurz. Aber sie wusste, es war völlig unmöglich. Sie stand völlig reglos unter dem Umhang und versuchte, nicht zu atmen. „Hast du Lucius‘ neustes Spielzeug begutachtet? Oder lebt sie schon nicht mehr?“, wandte sie sich jetzt an Malfoy.

 

„Nein, sie lebt noch“, erwiderte er genauso knapp wie Snape.

 

„Wirklich? Vielleicht gönne ich ihr einen kleinen Besuch“, überlegte Bellatrix mit einem bösen Lächeln.

 

„Du sprichst von Hermine Granger? Nein, ich habe sie noch nicht gesehen“, sagte Snape gedehnt.

 

„Draco, komm mit mir zurück. Ich denke, dein Verräter schafft es von hier aus allein“, sagte Bellatrix jetzt. Hermines Herz schlug schneller.

 

„Nein, ich werde das Tor hinter ihm versiegeln“, widersprach Malfoy mit ungewohnter Ruhe in der Stimme. „Du kannst vorgehen. Lucius ist in seinem Studierzimmer.“

 

„Wahrscheinlich trinkt er wieder“, mutmaßte sie grimmig. „Ich warte auf dich“, fügte sie jetzt hinzu und Hermine sah, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ.

 

„Wie du willst.“ Damit gingen er und Snape weiter. Noch mehrere Male wandte sich Hermine um, um zu sehen, dass Bellatrix ihnen nachsah.

 

„Was jetzt?“, flüsterte Draco heftig, als sie um die nächste Ecke gebogen waren. Hermine hätte sich in diesem Labyrinth wahrscheinlich verlaufen.


„Wir apparieren. Du kannst nicht zurück gehen. Ich habe keinen Plan dafür.“

 

„Dein gesamter Plan ist etwas dürftig, nicht wahr?“, gab Malfoy gereizt zurück.

 

„Willst du etwa mit Bellatrix ins Haus gehen, damit sie sehen kann, dass Lucius bewusstlos und Hermine nicht mehr da ist?“ Malfoy schwieg daraufhin.

 

„Wie viel Zeit haben wir?“, fragte er stattdessen und Hermine erkannte das eiserne Tor.

 

„Bis sie es merkt?“, erwiderte Snape und schien kurz zu überlegen. „Eine Minute, vielleicht weniger. Und das heißt, wir müssen in sehr kurzer Zeit mein Haus verbarrikadieren. Hermine, ich hoffe, Sie wissen noch, wie das geht“, fügte er an sie gewandt hinzu, leiser als zuvor. Sie nickte, aber das konnte er ja nicht sehen.

 

„Ich schlage vor, ich appariere zuerst. Dann folgen Sie beide. Und zwar schnell“, fügte er hinzu, trat aus dem Tor und verschwand. Sie folgte Malfoy und fühlte sich plötzlich freier als sie das Grundstück verließ. Malfoy verschloss das Tor, legte noch einen stummen Spruch auf das Schloss, ehe er ihr seinen Arm bot. Sie schob den Umhang zur Seite, so dass nur ihr Arm sichtbar war und ließ es zu, dass er ihn fest unter seinen Arm hakte.

 

„Bereit?“, fragte er, ohne sie wirklich anzusehen.

 

„Wenn du es bist“, erwiderte sie und es war eher eine Floskel, als wirklich ernstgemeinte Worte. Er zögerte eine winzige Sekunde. Dann spürte sie, wie er sich drehte. Und sie mit ihm.

Malfoy Manor blieb hinter ihnen zurück. London verschwamm vor ihren Augen, Haustür um Haustür, Ort um Ort, bis sie ruckartig zum Stehen kamen und sie ohne ihn wahrscheinlich gefallen wäre.

 

Sie waren wohl da. Snape hatte bereits begonnen, Zauber zu beschwören.

 

„Ist sie euch gefolgt?“, fragte er jetzt und Malfoy schüttelte den Kopf. Er gab ihren Arm wieder frei und sie steckte ihn unter den Umhang. Nur zu Sicherheit.

„Hermine, bitte legen Sie den Muggelschutz und den Muffliato auf das Haus“, bat er sie und eilig folgte sie seinen Worten.

 

Dann betraten sie das Haus. Es war klein, stellte sie fest, und sie glaubte, dass Harry ganz in der Nähe gewohnt haben musste.

Sie würde ihn später fragen, denn jetzt betraten sie eilig das Haus. Noch konnte Hermine keinen feindlichen Zauberer entdecken, aber das würde nicht immer so bleiben, das wusste sie.

 

Snape legte noch einige Bannsprüche auf die Tür von innen und geleitete sie dann in die Küche. Hermine zog den Umhang vom Kopf und ihr Magen knurrte heftig. Der Tisch war gedeckt und sie merkte erst jetzt, wie hungrig sie wirklich war.

 

„Ich dachte mir, ich bereite eine Kleinigkeit vor“, erklärte Snape und setzte sich vor die Tasse, in der schon Tee kalt geworden war. Mit seinem Zauberstab heizte er ihn kurz auf.

 

„Waren Sie bei Harry?“, fragte sie jetzt und sah, dass Malfoy seinen Tee nicht anrührte. Er war sowieso recht still.

 

„Ja, gestern. Ich habe ihn nur kurz gesehen und beschlossen, ihm keine näheren Informationen zu geben, falls wir belauscht werden“, erwiderte er und schob ihr einen Korb Brot zu. Sie griff dankbar hinein.

 

„Wie… geht es ihm?“, fragte sie jetzt und Snape schenkte ihr ein eigenartiges Lächeln.

 

„Sie fragen, wie es Harry geht, obwohl Sie es waren, die in Gefangenschaft gelebt hat?“, erwiderte er sanft und sie ruckte mit dem Kopf.

„Es geht ihm entsprechend. Es ist niemand mehr zu Schaden gekommen“, fügte er hinzu. Das beruhigte sie und automatisch musste sie an Cormac denken. Das Brot lag ihr auf einmal schwer im Mund.

Er hatte sie geküsst.

Und Malfoy hatte das auch getan.

 

Sie hob den Blick zu ihm, aber sah nur nachdenklich auf seinen Teller.

 

„Draco? Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Snape leise und Malfoy nickte einmal. „Ich werde gleich mit Ihnen reden“, fügte Snape hinzu. „Hermine, wenn Sie sich ausruhen möchten, dann habe ich das Gästezimmer vorbereitet. Es hat ein Bett“, fügte er beiläufig hinzu und der Gedanke an ein Bett verlieh ihr ein wohliges Gefühl. Ein Bett… das hatte sie schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

 

„Ich würde mich gerne hinlegen“, gestand sie. Denn was nützte es, wach zu bleiben, wenn es wohl besser wäre, so viel Kraft wie nötig zu sammeln?

 

„Essen Sie auf. Dann können Sie gerne gehen.“

 

Stumm aßen sie weiter. Auch wenn sie gerne nachgehakt hätte, über was Snape mit Malfoy reden wollte. Ihre Erschöpfung war mäßig groß.

Auch wenn sie vor Aufregung und Angst eigentlich nicht hätte müde sein dürfen, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal in einem Haus gewesen war, wo sie sich frei bewegen durfte.

 

Und so sehr sie sich auch gegen Snape ausgesprochen hatte – so sehr bereute sie es jetzt. Denn er hatte sie gerettet. Und Malfoy. Aber diese Tatsache ignorierte sie noch so gut es ging.

 

Als sie vor Müdigkeit fast vom Stuhl kippte und Snape Malfoy auftrug, sie ins Bett zu bringen, hatte sie noch genug Kraft, um zu protestieren. Sie würde es allein ins Bett schaffen. Das tat sie auch.

Nur wusste sie nicht mehr, wie sie dort hingekommen war, und war eingeschlafen, ehe sie darüber nachdenken konnte.

 

 

Teil 12

 

 

„Wie geht es dir?“ Es kam ihm so vor, als stelle Snape diese Frage zum tausendsten Mal.

 

„Gut“, erwiderte er und konnte seine Gedanken nicht recht ordnen.

Er wünschte sich, es würde klarer werden. Er vermisste sein Zuhause nicht. Auch Lucius vermisste er nicht, aber er wartete förmlich auf die Zauberer, die sich vor dem Haus in einer Reihe aufstellen würden, um sie zu stellen.

Zwar würden sie das Haus erst mal nicht sehen, aber es gab bestimmt einen, der genau wusste, wo es verborgen war.

 

Und dann? Vielleicht würde es niemanden stören, weil niemand von der Waffe wusste? Oder schöpfte Voldemort Verdacht? Was war mit Potter? Draco spürte die pochenden Kopfschmerzen und wollte sich verkriechen. Tief, in irgendeinem Loch, aus dem er nicht mehr herauskommen musste.

 

„Du bereust es, oder?“ Draco fragte sich, ob Snape ihn gleich angreifen würde, so nervös wirkte sein Pate.

 

„Nein, tue ich nicht“, gab er zurück und sagte tatsächlich die Wahrheit. Er bereute es nicht. „Wann werden sie kommen?“, fragte er jetzt, ohne die Antwort wissen zu wollen.

„Sobald sie verstehen, dass Hermine mehr ist, als sie zu glauben denken“, mutmaßte Snape düster. Er wollte ihren Vornamen nicht gerne in seinem Kopf spuken haben, wurde ihm plötzlich bewusst. Es kam ihm falsch vor. So seltsam, Granger Hermine zu nennen. Wenn auch nur in Gedanken.

 

„Zu dieser Sache… woher willst du es überhaupt wissen?“ Draco wusste, dass sie darüber sprechen mussten. Vor allem wollte Snape ja anscheinend, dass Granger nichts davon erfuhr. Die dachte auch, die Waffe sie etwas völlig anderes. Und Draco war sich nicht sicher, ob er wirklich wissen wollte, was die Waffe war.

 

Snape hatte sich abgewandt und war zu seinem Bücherregal gegangen. Er kehrte zurück mit einem alten Band an Geschichten und Gedichten, wie Draco erkennen konnte. Wollte er ihm eine Lesung verpassen?

 

„Kennst du das?“ Er kannte es von seiner Mutter damals, ja.

 

„Ich kenne es von Narzissa, aber ich glaube nicht, dass ich diesen Sachen mehr Beachtung als nötig gezollt hätte“, gab er diplomatisch zurück, weil er das Gefühl hatte, Snape wich seiner Frage aus. Was sollte ihm ein Gedichtband helfen?

 

„Kennt du das Gedicht mit dem Titel die Reinblüter-Prinzessin?“, fragte er jetzt leiser als zuvor. Draco durchstöberte seinen Geist nach dieser unwichtigen Information. Seiner Mutter gefiel dieses Gedicht immer besonders, glaubte er sich zu erinnern.

 

„Hm… irgendwas mit „verschwunden vom Antlitz der Welt“ oder etwas Ähnliches“, erwiderte er. Ihm hatte dieses Mädchenzeug nie gefallen. Snape nickte nur langsam und schlug das Buch dort auf, wo das Lesezeichen steckte. Er reichte es ihm und Draco überflog die wenigen Zeilen.

 

„Eigentlich war es kein Gedicht, im ursprünglichen Sinne“, sagte Snape unvermittelt. „Und einen Titel hatte es damals auch nicht. Es hat sich auch nicht gereimt.“ Draco konnte sich nicht denken, was ihn weniger interessierte als das. Und wie Snape sich wirklich auf ein dämliches Gedicht – was keins war – stützen konnte, ohne wahnsinnig zu werden.

 

„Woher willst du das wissen?“, fragte Draco und las die Zeilen erneut.

 

 

Die Reinblüter-Prinzessin

 

Verschwunden, gestohlen, vom Antlitz der Welt

Der Schlüssel, der die Lösung enthält.

Ein Mädchen von Blut so rein und klar

Mit magischer Macht, die Stärkste im Jahr.

Die Liebe entfacht die verschwundene Kraft,

bis zum ersten Mond in finsterer Nacht.

Das Blut rot wie Feuer, die Haut weiß wie Eis

Sie stürzt das Dunkel, die Waffe im Geist.

 

Merlin, I. Zeitalter - C.

 

„Weil ich weiß, von wem diese Zeilen sind.“ Die meisten Geschichten und Gedichte in dem Buch waren mit dem ersten Buchstaben abgekürzt. Hier war es nur ein schlichtes C.

 

„Und woher?“, fragte er jetzt und überlegte, ob Snape verrückt war oder ob irgendein Korn Wahrheit in seinen Worten lag.

 

„Ich habe Nachforschungen angestellt.“

 

Draco wurde es langsam zu albern. „Severus, was soll mir so ein Gedicht sagen?“

 

„Es soll dir sagen, dass es hier überhaupt nicht um ein Reinblut geht, Draco“, erwiderte Snape etwas gereizter.

 

„Was? Und wenn schon. Es ist nur…“

 

„Ein Gedicht?“, unterbrach ihn Snape mit einem Hauch Überlegenheit in der Stimme. „Nein, es war kein Gedicht, als es entstand. Es war eine Prophezeiung, Draco.“

 

Er hob den Blick verstört. „Eine Prophezeiung? Von wem?“

 

„Von Cassandra“, schloss Snape und Draco musste die Jahrhunderte in seinem Kopf überschlagen, um zu erkennen, wie alt diese Prophezeiung dann wohl sein musste. Merlins erstes Zeitalter war – in Zahlen gar nicht messbar, nahm er an. Es war wie eine Redewendung. Als wenn man sagte, vor Eonen von Jahren… oder etwas Ähnliches. Es war nie als wirkliche Orientierung an einer Zeit gemeint.

 

„Was? Das ist nicht möglich. Was macht diese Prophezeiung dann in diesem Buch?“

 

„Sie ist über die Jahre vergessen worden. Jemand hat sie entdeckt, umgeschrieben und ihren Sinn so gut es ging entstellt. Es war nie von einem Reinblut die Rede. Es war von einer jungen Frau die Rede, die stärker war, als jede andere, und das, ohne das Privileg von magischer Abstammung zu sein.“ Draco starrte ihn an.

 

„Woher weißt du das?“

 

„Ich hatte ein bisschen an Zeit, um es heraus zu finden“, gab er bitter zurück. Ja, Draco erinnerte sich an die Monate, in denen Voldemort ihn zurück gehalten hatte, gefangen, damit er nicht die Seiten wechseln konnte. – Vergebens, wohl gemerkt.

 

„Und du bist dir sicher? Was soll das dann überhaupt bedeuten? Dass Granger die Reinblüter-Prinzessin ist? Oder eben nicht, oder…?“

 

„Es bedeutet, dass sich die Prophezeiung mit ihr erfüllen könnte, denn auf sie treffen die Merkmale zu. Aber das können wir erst testen, wenn…“ Er unterbrach sich. „Ich glaube, wir bekommen Besuch“, fügte er grimmig hinzu. Dracos Nackenhaare stellten sich auf. Er hatte fast vergessen, dass er nicht zum Plaudern hier her gekommen war.

 

„Was ist das für ein Gerede von dem Mond und der Liebe? Das klingt doch wie eine Begrenzung?“, fragte er argwöhnisch, denn dieses Gedicht war ihm immer noch zu kitschig.

 

„Das habe ich noch nicht völlig herausgefunden“, wiegelte Snape jetzt ab. „Werde ich aber noch. Ich habe noch nicht alle Zeilen wieder herstellen können.“

 

„Snape, wenn sie die Waffe sein soll, dann musst du es ihr sagen! Dann…“

 

„Es ist erst mal wichtig, dass ihr nichts zustößt“, gab Snape hektisch zurück und stellte sich dicht neben das Fenster. Draco folgte ihm.

 

„Wieso? Wieso ist gerade das wichtig? Wenn sie es weiß, dann kann sie…“

 

„Du denkst, sie wird es glauben?“, erwiderte Snape und sah ihn direkt an. „Glaubst du es denn?“, fügte er kurz angebunden hinzu und Draco öffnete den Mund. Tat er das? Es war zu leicht. Aber selbst wenn es wahr wäre, dann war ihm noch nicht klar, was ausgerechnet Granger tun sollte.

 

„Wer ist das?“, fragte er plötzlich. Snape folgte seinem Blick. Jemand hatte Snapes Zauber durchbrochen. Dieser runzelte kurz die Stirn.


„Der Zauber richtet sich mit Absicht gegen Feinde. Kein Feind könnte ohne Weiteres hier durchkommen“, gab er zurück.

 

„Also?“, fragte Draco ungeduldig, den Zauberstab seines Vaters bereits zwischen den Fingern. Er fühlte sich glatter und kälter an, als seiner es getan hatte. Oder Grangers.

 

„Also ist es kein Feind“, entgegnete Snape nur.

 

„Ich kenne ihn nicht.“ Das stimmte. Es war ein hagerer Zauberer, mit langen, braunen, schmutzigen Haaren.

 

„Vielsafttrank.“

 

„Meinst du?“ Draco hätte gerne einen Fluch nach draußen geschickt.

 

„Ich bin mir ziemlich sicher.“ Damit stieß er sich von der Wand ab und schritt zum Flur. Draco folgte ihm augenblicklich.


„Du willst die Tür einfach öffnen?“, fragte er fast hysterisch. Das war einfach zu viel.

 

„Nicht ohne Zauberstab“, sagte Snape und zückte gerade diesen.


„Aber… das ist zu-“

 

Snape zog die Tür auf, ehe Draco überlegen konnte, welches der tausend Argumente noch dagegen sprach.


„Gib dich zu erkennen!“, forderte Snape kalt und den Zauberstab von sich gestreckt.

 

„Mein Leben auf den letzten Horkrux. Die Schlange, die unter deiner Führung und meinem Zauberstab aus Drachenherz starb“, erwiderte der Gegenüber mit finsterer Stimme. Draco verstand nicht. Was??

 

Snape ließ den Zauberstab sinken. „Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst, Harry.“ Dracos Mund öffnete sich, er wusste nicht genau, was er denken sollte. So ging es ihm eigentlich die gesamte Zeit über.

Das war der verfluchte Wichser Potter? Dann verdiente er eigentlich einen saftigen Fluch. Und es war sein Zauberstab aus Drachenherz! Potter hatte ihm seinen Zauberstab abgenommen! Vor einer verdammten Ewigkeit!


„Was tut er hier?“, fragte Potters seltsam raue Stimme. Snape ließ den Fremden eintreten.

 

„Dasselbe wie du“, erwiderte Draco, ohne nachzudenken. Er hatte seinen Zauberstab noch nicht sinken lassen. Der Fremde warf Snape einen eindeutigen Blick zu.

 

„Draco, du kannst den Zauberstab-“ Doch Draco wollte nicht hören, was er konnte und was nicht.

 

„Ich warte schon eine ganze Weile darauf, dich wiederzusehen, Potter“, sagte er nur. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich noch von deiner Gastfreundschaft gezehrt habe“, fügte er mit einem Knurren hinzu. Der Blick des Fremden veränderte sich merklich. Draco konnte ihn nicht deuten.

 

„Am liebsten würde ich dir genau dasselbe Schicksal zu Teil werden lassen. Verkommen und allein in einem verfluchten Keller. Verletzt, verhungert und dem Tod so verflucht nahe, dass es eine verdammte Einladung gewesen wäre, hättest du den Mut gehabt, den letzten Schritt zu machen und nicht drauf zu hoffen, dass noch irgendein nettes Wunder geschieht, dass dich nicht als skrupellosen Mörder dastehen lässt!“ Er musste seine Stimme so sehr davon abhalten lauter zu werden, dass sie begann zu zittern.

 

„Malfoy-“, begann Potter, aber Draco war noch nicht fertig.

 

„Es gibt absolut nichts, was du sagen könntest, dass mich über dich anders denken lässt, als über jeden anderen Todesser. Und dass ich dir hier nichts antue, obwohl sich keine bessere Gelegenheit bieten wird, dass liegt bestimmt nicht an deiner privilegierten Existenz, Potter.“ Er warf einen Blick auf Snape, der ähnlich fassungslos wirkte. „Du unterscheidest dich nicht von uns. Nicht von mir, nicht von irgendwem sonst. Du bist kein Held. Vielleicht warst du einer, aber diesen Ruf hast du meilenweit hinter dir gelassen.“

 

Potter öffnete den Mund. Draco konnte Potter fast unter der Maskerade erkennen. „Glaub ja nicht, dass das hier alles ist, Potter. Jetzt gerade mag ich die Kontrolle über einen Waffenstillstand haben, aber ich will nicht, dass du womöglich vergisst, was du getan hast.“ Er zog den Zauberstab zurück und nahm es Snape ab, die Tür zu schließen.

 

Für einen kurzen Moment standen alle drei noch im Flur.

 

„Wo ist Hermine?“, fragte Potter. Und er fragte es interessanterweise ihn, nicht Snape.

 

„Sie ist oben und ruht sich aus.“

 

„Ruht sich aus nach deiner Gefangenschaft?“, fragte er lauernd und Draco konnte ansatzweise Potters Falle riechen.

 

„Ihr ist nichts geschehen.“ Das war eine Lüge und selbst Potter konnte es sehen.

 

„Du bist nicht besser als ich, Malfoy“, sagte Potter nur. „Hermine ist besser als wir alle. Wenn du sie-“

 

„Ich habe ihr nichts getan!“, gab er zurück. Auch das stimmte nicht völlig. „Jedenfalls wirst du sie jetzt nicht wecken“, fügte er abschließend hinzu. Er würde sich nicht weiter über Geiselnahmen streiten. Es war nicht der Zeitpunkt und nicht der Ort dafür.

 

„Was sind das für Informationen, die du mir mitteilen wolltest?“ Draco hörte Potters Ärger in der Stimme, als dieser sich an Snape wandte. Ärger und… etwas anderes. Schuld?

 

„Ich habe es Draco bereits gesagt. Es geht um die Waffe.“

 

„Du hast sie?“ Potters Blick – oder der des Fremden – war nun voller Aufregung.

 

„Ja. So gesehen haben wir die Waffe“, gab Snape gedehnt zurück und führte sie aus dem Flur zurück in die Küche.

 

 

Teil 13

 

Sie konnte sich nicht bewegen, war gegen die Wand gepresst, spürte eine Macht auf sich wirken, die ihr völlig unbekannt war. Und sie jagte ihr große Angst ein.

Ihre Hände krallten sich in rauen Stoff, waren vergraben in sengender Hitze und ihre Lippen waren verschlossen mit derselben Hitze.

 

Muskeln bewegten sich an ihrem Körper, Haut rieb sich an all den Stellen, die ihre Kleidung nicht berühren konnte.

Atmen brauchte sie nicht. Neues Leben wurde auf eine andere Art und Weise in sie gebracht. Mit grober Gewalt. Mit unausweichlicher Gewalt. Mit absolut nötiger Gewalt. In ihrem Innern brannte die gleiche Hitze wie außen.

Sie brauchte mehr davon. Brauchte es dringender als ihre Gedanken.

 

Konnte ihren Mund nicht weit genug öffnen, konnte nicht genug von der Hitze, den Sensationen bekommen. Konnte nicht enger an ihn gedrückt sein, wollte keine Luft mehr spüren, keinen Platz zum Atmen, wollte nur seinen verzehrenden, mächtigen, unbegreiflich verzweifelten Kuss…-

 

Sie saß kerzengerade in den weißen Laken.

 

Ihr Atem ging keuchend, ihr Puls raste, als wäre sie gerannt. Als ihr Blick sich verschlafen klärte, zuckte sie erneut zusammen.

 

„Na endlich“, sagte er relativ tonlos. Sie sagte nichts. Malfoy stand reglos an der Wand neben der Tür gelehnt und schien sie mit einem Blick aus Erwartung und Neugierde zu betrachten. Vielleicht lag auch noch etwas anderes darin.

 

„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie rau und fuhr sich verlegen durch die Haare. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, wusste nicht mal, welchen Tag oder welches Datum sie hatten.

 

Sie nahm an, dass sie schrecklich aussehen musste.

 

„Ungefähr dreizehn Stunden“, gab er zurück und ruckte mit dem Kopf. „Schätze ich. Ich wusste nicht, dass ich die Zeit hätte stoppen sollen.“ Das klang wieder schlecht gelaunt, wie immer. Er schien sich nicht wohl zu fühlen. Hier. In diesem Zimmer. Mit ihr. Und das ging ihr ähnlich.

„Allerdings meinte Snape, es wäre jetzt Zeit, dass du aufstehst“, fügte er hinzu.

 

Ihr Blick fiel auf eine Tasche neben ihrem Bett. Sie kannte die Tasche.


„Was ist das?“, fragte sie trotzdem.


„Da sind einige Sachen von dir drin, nehme ich an.“

 

„Wo kommen die her?“ Sie hatte bereits eine ungefähre Ahnung, woher sie kommen könnten und ihr Herz raste noch schneller.

 

„Potter hat sie gebracht“, erwiderte er höchst widerwillig.

 

„Harry? Harry ist hier? Wo ist er?“ Sie schlug die warme Decke sofort zurück.

 

„Er ist schon lange weg.“

 

„Wieso hat er mich nicht geweckt?“ Sie wollte schreien, wollte weinen. Harry war hier gewesen und hatte sie nicht einmal sprechen wollen?

 

„Weil du schlafen musstest“, erwiderte er schlicht und wollte wieder hinaus. Vorher glitt sein Blick sehr kurz über ihre Gestalt. Kurz musste sie sich vergewissern, was sie überhaupt trug, aber sie erinnerte sich, dass sie ein altes Shirt von Snape bekommen hatte. Es war schlicht, grau und abscheulich.

Aber das konnte ihr kaum unwichtiger sein, jetzt wo die Wut ihre Verzweiflung und Verwirrung ob des Traumes ablöste.

 

„Was?“ Sie war aus dem Bett gesprungen und musste sich zur Orientierung kurz besinnen. So lange schlafen konnte niemand einfach so wegstecken. Sie strich sich kurz mit der Handfläche über die Stirn. „Ich hätte mit ihm sprechen wollen – nein, sprechen müssen!“, fuhr sie ihn jetzt an und er hielt an der Tür gereizt inne.


„Es war nicht dein Recht, ihn wegzuschicken!“, rief sie zornig und den Tränen nahe.

 

„Das hattest du nicht zu entscheiden“, sagte er nur.

 

„Du bist ein Arschloch!“, schrie sie jetzt und es war ihr egal, dass Snape wohl nicht plötzlich taub geworden war. Er sah aus, als wolle er etwas erwidern, sah aus, als wolle er sonst was tun und kurz zuckte Wut über seine feinen Züge. Dann schien er es sich anders zu überlegen.

 

Sein Blick wurde kurz prüfend, fast, als wolle er etwas in ihrem Gesicht finden, was vorher noch nicht dagewesen war, aber dann wurde sein Ausdruck wieder gewöhnlich.

 

„Mach dich einfach fertig.“ Und seine Stimme klang resignierend. Sie war auf den Streit gefasst gewesen. Auf eine Beleidigung, die mindestens dreimal das Wort Schlammblut in sich gehabt hätte. Auf alles – aber nicht auf Resignation.

 

Sie hatte den Traum noch nicht völlig abgeschüttelt und in ihrem Kopf richtete ihr Bewusstsein jetzt einige Fehler an ihrem Unterbewusstsein gerade. Er war größer, als sie es geträumt hatte. Er roch anders, als sie es geträumt hatte und sie hasste sich dafür, dass sie ausgerechnet von diesem Moment geträumt hatte.

Sie hatte große Angst davor, von den Dingen zu träumen, die Lucius Malfoy mit ihr getan hatte. Aber, dass ausgerechnet dieser Moment sich wiedeholen würde, damit hatte sie so gut wie gar nicht gerechnet.

 

„Was passiert jetzt?“, fragte sie recht atemlos und wusste nicht, was für eine Antwort sie erwarten sollte. Sie wollte nicht mal unbedingt gerne mit ihm sprechen, denn… er war immerhin noch Draco Malfoy.

 

„Jetzt? In diesem Moment? Nicht besonders viel, schätze ich mal.“ Er wirkte unnahbar kalt. „Du stehst hier vor mir, zerzaust und nicht gerade angenehm riechend und gleich… wirst du duschen.“ Und sie wusste, dass er wusste, dass sie das nicht gemeint hatte. Trotzdem zog ihre Nase kurz die Luft um sich ein. Tatsächlich roch sie nicht mehr taufrisch. Gar nicht mehr. Sie wich unbewusst zurück.

 

„Granger, es könnte mich kaum weniger interessieren, wie du aussiehst oder riechst“, fügte er hinzu.

 

„Ja, sicher“, sagte sie und ärgerte sich über ihre Wortlosigkeit. „Dass du mein Leben retten willst, zeigt noch viel deutlicher, wie wenig dich das alles interessiert.“

 

Sein Mund öffnete sich plötzlich. „Was genau willst du damit andeuten?“, fragte er, wahrscheinlich zorniger, als er es beabsichtigt hatte, denn kurz wandte er den Blick in eine andere Richtung.

 

Was sie damit andeuten wollte? Sie seufzte langsam. Jetzt, in diesem Moment, wollte sie sie eigentlich gar nichts andeuten. Sie war zu müde, zu verwirrt. Und sie wollte nicht darüber streiten, ob er sie nun retten wollte, oder küssen wollte, oder überhaupt irgendwas tun wollte, was sein Leben so sehr hatte gefährden können – und dass nur wegen ihr. Und dass er es nicht einmal mehr zugeben konnte, obwohl er doch völlig anders war. Wenn auch nicht äußerlich. Oder auf die Art, wie er immer noch mit ihr sprach. Es regte sie auf.

 

„Du hättest mir sagen müssen, dass Harry da ist!“, wiederholte sie stattdessen erneut und schlang die Arme um ihren Oberkörper.

 

„Du brauchtest deinen Schlaf, außerdem…“ Er biss sich auf die Zunge, nahm sie an. Zumindest schluckte er die Worte, die ihm im Mund lagen, grimmig wieder herunter.

 

„Sag mir, was passiert, Malfoy!“, forderte sie jetzt und war schon wieder müde. Müde und hungrig, stellte sie fest. „Sag mir, was Harry gesagt hat! Sag mir, was… sag mir irgendwas!“, endete sie und wollte tatsächlich weinen.

 

„Irgendwas?“, erwiderte er ruhig und sie fühlte sich an die Schulzeit erinnert. Für einen kurzen Moment. „Du siehst beschissen aus“, sagte er schließlich. Und er meinte jedes Wort, denn seine Augen logen nicht. „Du wirst dich bestimmt solange gedulden können, bis du unten bist, oder nicht?“, fügte er schließlich hinzu und wollte gehen.

 

„Wieso machst du das? Ich dachte, es geht um irgendwas Wichtiges? Irgendwas, bei dem mir nichts passieren darf? Wieso sagst du es nicht? Muss ich wirklich erst zu Snape gehen? Sitzt du jetzt nicht irgendwie mit in diesem Boot, wo du von den Todessern umgebracht wirst, wenn sie dich wiedersehen?“ Sie hatte das alles schnell gesagt, und wollte, dass er ihr antwortete. Auf die Fragen, die sie ihm stellte!

 

„Was, verflucht noch mal, willst du von mir, Granger?“, fragte er jetzt und musterte sie zornig.

 

„Ich will nicht duschen gehen und nichts wissen!“, erwiderte sie lauter als er.

 

„Ich weiß nicht, was passiert!“, gab er zurück und sie sah, dass er log.

 

„Du lügst!“

 

„Halt deine Klappe, Granger und geh mir nicht auf die Nerven“, knurrte er.

 

„Dann geh doch zurück zu deinem Vater, Malfoy!“, schrie sie und wusste immer noch nicht genau, warum sie es darauf anlegte, sich ausgerechnet mit ihm zu streiten. Oh, sie war so sauer, dass er Harry nicht zu ihr gelassen hatte!

 

Schnell hatte er sich zu ihr umgewandt. Und wieder hatte sie damit gerechnet, dass… dass irgendwas passieren würde. Sie war schon zusammen gezuckt. Aber lediglich sein Kiefer spannte sich an. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und ihr war nicht klar, weshalb er sich so zusammen nahm. So sehr schien ihn ihr Schicksal ja nicht wirklich zu interessieren.

 

„Geh duschen und zieh dich an.“

 

„Auf einmal kein Imperius mehr auf Lager, mit dem du mich zwingen könntest?“ Sie hatte das Gefühl, weinen zu wollen, weil sie zwar in unmittelbarer Freiheit war, aber immer noch bei den Menschen, die sie nicht zu ihren Freunden zählte.

 

„Witzig, Granger“, erwiderte er nur. Und es war ihr unbegreiflich, weshalb sie ihn reizen wollte. Eigentlich wollte sie nämlich wirklich, dass er verschwand. Vielleicht hatte sie schon viel zu viel Zeit mit ihm verbracht. Sie wusste, es war gefährlich, mit Malfoy zu streiten. War es immer schon gewesen. Sie kannte ihn schließlich nicht erst seit gestern. Nein. Sie kannte ihn seit zehn Jahren. Diese Information erschlug sie fast.

 

Er fuhr sich durch die Haare, die unverständlicherweise nicht so aussahen, als wäre er auf der Flucht. Wieso lagen seine Haare gut und sahen gewaschen aus? Er konnte unmöglich Zeit für Körperpflege gehabt haben!

 

„Snape wird dir alles erklären“, sagte er kühl, und mit absolut keiner weiteren Information ließ er sie eiskalt zurück.

 

~*~

 

 Und entgegen ihrer Erwartung, war die Dusche doch absolut wundervoll gewesen. Sie hatte sich die Haare mit dem Zauberstab getrocknet und sie fielen wieder weich und sauber über ihre Schultern. Sie war noch etwas bleich um die Nase, aber sie sah gesund aus. Dürre, aber gesund. Sie trug das erste Mal seit einer Ewigkeit ihre eigenen Sachen. Ihre eigene Jeans. Ihr eigenes blaues Oberteil, und sie wollte fast lächeln. Nur fast, denn sie war sauer, dass sie nicht hatte mit Harry sprechen können und nicht wusste, wann er noch mal kommen würde. Oder überhaupt, wann sie gehen konnte.

 

Sie verließ das Badezimmer und eilte die Treppen hinunter, denn jetzt hatte sie wirklich Hunger. Und zu ihrer Freude, hatte sich Snape darum gekümmert.

Oder nein.

 

Nicht Snape.

 

Sie sah Snape nämlich nirgends. Nur Malfoy, der stumm die Teller auf den Tisch fliegen ließ. Vom Herd flog ein Topf auf den Küchentisch und stellte sich auf den Topflappen. Es roch verführerisch gut. Zwar war es nur eine Suppe, oder ein Stew, oder was es eben war, aber es roch ausgezeichnet.


„Wo ist Snape?“, fragte sie also ohne Umstände der Höflichkeit. Er wandte sich um und zögerte eine Sekunde, ehe er antwortete. Am Rande wurde ihr klar, dass er sie höchstwahrschienlich mehrere Male nackt gesehen hatte und jetzt fiel es ihr ein, sich deswegen zu schämen.

 

Unwillentlich hatte sie mit diesem Kerl so viel geteilt, dass ihr ganz schlecht wurde. Zu viel Malfoy.

 

„Er kommt bald wieder. Hättest du nicht Ewigkeiten im Bad mit deiner Schönheitspflege gebraucht, dann hättest du ihn noch gesehen.“ Sie öffnete empört den Mund. „Und jetzt iss endlich.“

 

„Du…“

 

„Granger, kannst du auch nur den geringsten Hauch an Geduld in meinem Gesicht erkennen?“, fragte er zornig. Sie verschluckte ihre Worte, denn er sah sie mehr als wütend an. „Denkst du, ich hatte mir vorgestellt, dich auch hier bedienen zu müssen?“

 

„Bedienen? Du nennst das, was du in deinem Haus mit mir gemacht hast, bedienen?“ Ihre Stimme war heiser vor Entrüstung.

 

„Egal. Setz dich und iss.“ Er verließ das Zimmer und sie blieb allein.

 

Sie kam sich vor wie ein kleines Kind. Und außerdem führte er sich auf, als wäre er das Opfer. Das war er nicht. Sie hatte es nicht weniger schwer als er. Absolut nicht. Und so sehr sie es hasste, zu gehen, so dringend hatte sie das Bedürfnis, ihn in Stücke zu fluchen.

 

„Hey!“, schrie sie im Flur, als sie sah, wie er in einem Zimmer verschwinden wollte. Er hielt an der Tür inne, starr vor Zorn. Er sagte nichts, was sie erkennen ließ, dass er mit ihr sprechen wollte. Aber natürlich wollte er das nicht.

 

„Wie lange bleiben wir hier? Wann kann ich zu Harry? Wie geht es Harry? Und was, verflucht noch mal, geht hier eigentlich vor?“ Sie hatte ihn an der Schulter gegriffen und zog diese nun nach hinten, damit er sie ansah.

Kurz nahm sie an, er würde sie schlagen.

 

„Kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen?“ Seine Worte waren still, fast flehend, als bereite es ihm Qualen, mit ihr zu reden.

 

„Dann hättest du mich besser bei deinem Vater lasen sollen, oder nicht?“ Sie sah ihn an, wollte nicht blinzeln, damit sie keine Reaktion von ihm verpasste, die ihr vielleicht einen Hinweis geben konnte.

 

„Warte einfach auf Snape.“ Er betonte jedes Wort.

 

„Was weiß Snape, dass du nicht auch weißt? Sag es mir einfach. Was hat das alles mit mir zu tun? Warum ist es so wichtig, dass mir nichts passiert? Und was hast du damit überhaupt zu tun?“ Er schloss die Augen.

 

„Geh in die Küche“, sagte er und ignorierte ihre Worte völlig.

 

„Kommst du mit?“ Er atmete gereizt aus.

 

„Nein.“

 

„Dann gehe ich da auch nicht hin.“

 

„Hast du keine anderen Sorgen, als hinter mir herzulaufen?“

 

„Malfoy, komm schon!“ Ihr fiel auf, dass er andere Sachen trug. Sein Pullover war grün und er trug tatsächlich eine Jeans. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass Reinblüter so etwas tragen durften. Er vergrub jetzt die Hände in seinen Taschen und schickte so etwas wie ein Stoßgebet Richtung Himmel. Verbunden mit einem Fluch, wenn sie richtig hörte.

 

„Ich kann dir nichts sagen, weil ich nichts weiß.“ Sie öffnete den Mund, aber er hatte sich bereits unterbrochen. „Nein – das stimmt nicht. Ich weiß es schon, aber ich begreife es nicht. Also nützt dir mein Wissen überhaupt nichts, ok?“

 

Sie schwieg. Er würde ihr niemals irgendetwas sagen. Und es war ein erschütternder Gedanke, dass ihr Leben vielleicht von Malfoy und Snape abhing.


„Und…“, fügte er hinzu, ohne dass sie damit gerechnet hatte, „was ist das bitte für eine Frage? Potter sah ganz entzückend aus, mit seinem Vielsafttrankkörper. Es geht ihm besser als mir, also sollte dir das an Informationen reichen.“

 

„Er kam mit Vielsafttrank?“, fragte sie und bereute es, denn natürlich konnte er nicht einfach herkommen.

 

„Nein, Potter rennt nackt durch London und wartet nur darauf, dass die Todesser kommen und seinen Hintern vom Körper fluchen, Granger.“

Er fuhr sich durch die Haare. Sie kamen ihr länger vor. „Das Essen wird kalt“, fügte er schließlich hinzu.

 

„Auf welcher Seite stehst du jetzt eigentlich?“, fragte sie also und hatte keine Lust mehr, dass er sie ständig mit irgendwelchen Dingen bevormunden wollte.

 

„Was?“ Ob er die Frage ernst meinte oder nur Zeit schinden wollte, wusste sie nicht mit Sicherheit.

 

„Gut? Böse? Wo bist du gerade, Malfoy?“

 

Er lächelte plötzlich. Sie hatte es ewig nicht mehr gesehen. „Nicht auf Potters.“

 

„Und nicht auf Voldemorts?“

 

Er seufzte wieder.

 

„Was wird das hier? Willst du irgendein Geständnis von mir hören?“

 

„Wie soll ich dir vertrauen, wenn ich nicht weiß-“ Sie biss sich auf die Zunge. Sie wollte ihm gar nicht vertrauen.

 

„Besser so“, erwiderte er, als er verstand, weshalb sie sich selber unterbrochen hatte. „Vertrau mir lieber nicht, Granger. Vielleicht liefer ich dich morgen auch einfach wieder aus.“ Er lächelte wieder.

 

„Ist das für dich witzig, Malfoy?“

 

Jetzt lachte er hart auf. „Glaubst du das?“ Er lehnte sich gegen den Türrahmen. „Ich… weiß, du willst Trost oder Hilfe oder Informationen, oder was auch immer es ist, was du willst. Aber ich kann dir das nicht geben. Weil ich genug andere Sorgen habe. Du bist nah dran, wieder in deiner gewohnten Umgebung zu sein, Granger. Ich habe aber gerade mal meine gewohnte Umgebung wieder, nach Potters Folter, und jetzt habe ich all das wieder aufgeben, um…“

 

Anscheinend wusste er nicht, weshalb. Oder er hatte sich gefangen. „Tu einfach so, als wäre ich nicht hier. Ich werde sowieso nicht mehr lange hier sein“, fügte er mehr für sich selbst hinzu.

 

„Wo gehst du hin?“ Er grinste wieder.

 

„Irgendwohin. Weg. Denkst du, mein Vater lässt mich am Leben? Denkst du, die Todesser sind bekannt für ihren Großmut? Ihre Gnade?“

 

„Ich dachte, ich würde auf der falschen Seite stehen, weil mein Blut schmutzig ist? Ich dachte, er wäre alles rein politisch? Hast du mir das nicht erklärt?“, fiel ihr plötzlich ein. Und wahrscheinlich musste sie einfach mit jemandem reden. Es war eine physische Notwendigkeit. Und wenn Malfoy eben der einzige hier war – dann war das eben so.

 

„Das denke ich immer noch.“ Sie legte den Kopf schräg und musterte ihn ungläubig.

 

„Wirklich?“

 

„Geh doch endlich zurück in die Küche!“ Er wirkte jetzt schon fast verzweifelt.

 

„Malfoy…“

 

„Nein, natürlich denke ich das nicht, ok? Hör auf, mit mir zu streiten, Granger. Ich rette dich bestimmt nicht, weil ich unsterblich in dich verliebt bin, ok?“ Seine Worte trieben ihr wieder eine lästige Röte in die Wangen. „Ich habe meine Meinung eben geändert. Politische Vorteile hin oder her. Dein Blut ist…“ Kurz unterbrach er sich.

 

„Mein Blut ist was?“, fragte sie, damit sie etwas sagen konnte.

 

„Sag mal, bist du mir eigentlich überhaupt auf irgendeine Art und Weise dankbar, Granger?“, fragte er ungeduldig.

 

„Was?“ Sie blickte kurz zur Seite. „Du hast mich zwar… da rausgeholt, aber…“, begann sie kleinlaut.


„Dann zeig mir deine Dankbarkeit und iss, bevor Snape mir vorwirft, dass ich dich verhungern lassen will.“ Sie wollte sich endgültig abwenden, aber dann fiel ihr noch etwas ein.


„Hast du Harry verflucht?“ Jetzt musste er tatsächlich lachen. „Hast du?“, fragte sie unsicher.

 

„Das wäre wirklich das Beste gewesen. Aber wahrscheinlich hätte ich dann Ärger mit dir bekommen, richtig?“ Sein Grinsen war schief und sie musste annehmen, dass sein Zorn auf Harry irgendwie verraucht war. Oder er tat nur so.

 

Auf einmal kam er ihr hübsch vor. Unglaublich gut aussehend. Ohne, dass sie zuordnen konnte, woher diese Gedanken kamen. Und sie schrieb es einfach der Situation zu. Ihrer Verzweiflung. Und der Absurdheit.

 

Und es bedeutete gar nichts.

 

Ihre Hände legten sich einfach auf seine Schultern und er runzelte die Stirn überrascht, ehe er begriff, was sie tun wollte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn einfach so. Mitten auf den Mund. Völlig bedeutungslos.

 

Sie hörte, wie er hart die Luft einsog, sich versteifte und nach kaum einer Sekunde den Kopf von ihr zurück zog. Seine blauen Augen waren voller Verwirrung und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich noch um einiges mehr.

 

Sie fühlte nichts. Ihr Herz raste und ihr Verstand fragte sie gerade, was eigentlich in sie gefahren war, aber ihre Hände lagen immer noch auf seinen Schultern.


„Jetzt sind wir quitt“, sagte ihre Stimme plötzlich. Kurz schien er nachzudenken.

 

Es verging eine Ewigkeit. Was hatte sie getan?!

Hunderttausend Fragen standen in seinen hellen Augen. Dann seufzte er ganz langsam. Die Luft entwich seinen Lungen und er schüttelte verwirrt den Kopf.

 

„Ok“, erwiderte er gedehnt und sah sie an, als wäre es wahrscheinlich, dass sie sich gleich auf ihn stürzen würde. Seine Stimme klang ruhig, aber kurz davor, zornig zu werden. Vielleicht lag auch Abscheu in seinem Blick. Sie war sich da nicht sicher. Aber eigentlich war sie sich mit nichts mehr sicher. Jetzt hatte sie irrwitzigerweise Hunger.

Sie nahm ihre Hände zurück und ging schließlich in die Küche.

 

Sie wandte sich nicht zu ihm um.

 

Und sie fragte sich gerade, was sie eigentlich erwartet hatte? Wieso hatte sie ihn küssen müssen? Und sie hatte es wirklich tun müssen! Völlig egal, wie zuwider er ihr eigentlich war. Der Traum hatte sie einfach nicht loslassen können.

Und es lag wohl nur am Zauber, dass sie dieses Gefühl gehabt hatte.

 

Sie hörte, wie die Tür im Flur ins Schloss fiel und Malfoy in dem Zimmer verschwunden war. Alleine begann sie die Suppe zu essen.

Die Wärme tat ihrem leeren Magen gut.

 

 

Teil 14

 

 

Snape kam - Merlin sei Dank - früh wieder. Er musste also die kleine Bibliothek nicht verlassen. Nicht, dass er auch nur ein Wort in dem Buch auf seinem Schoss gelesen hatte.

Er musste hier dringend weg. Dass sie ihn geküsst hatte war nicht mal das Schockierendste, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war.

Nein. Es war verrückt und nichts, womit er gerechnet hatte, aber es gab wichtigere Sachen, über die er nachdenken musste, als Grangers schräge Gefühlswelt.

 

Sie waren quitt? Er wusste nicht einmal, was sie damit gemeint hatte. Außerdem – was hieß das jetzt? Dass sie sich in ihn verliebt hatte? Oder so etwas?

Musste er darüber mit ihr sprechen und ihr klar machen, dass sie ein Schlammblut war? Er schloss kurz die Augen. Er konnte nicht einmal bestimmen, ob es ihm gefallen hatte. Es ging viel zu schnell.

 

Und er war sich ziemlich sicher, dass Snape diese Verbindung für nicht besonders gut heißen würde. Wie hatte sie das einfach tun können?! Gut, es machte ihm doch zu schaffen. Aber das war normal.

In der Schule hätte sie das nie gewagt. In der Schule hätte er nie mit ihr gesprochen. Das hier war nicht mehr die Schule. Das hier war eine Flucht. Das hier war gefährlicher als alles andere. War es nichts weiter?

 

Durfte sie das? Hatte er das Recht, es ihr zu verbieten?

 

Er wusste es nicht. Würde sie das jetzt jedes Mal tun, wenn sie ihn sah?

 

Würde ihm das gefallen?

 

Sex? Generell? Generell hatte er damit kein Problem, nein. Schlammblut hin oder her. Er atmete kurz aus. Er konnte sich den Luxus der Vorurteile wohl kaum noch leisten, jetzt, nachdem er sich von Todessern losgemacht hatte.

Er fragte sich sowieso, wie lange er noch leben würde.

Was konnte so etwas schon großartig anrichten? Granger war… hübsch. Sie war schön. Er hatte sie nackt gesehen. Er hatte eigentlich alles an ihr gesehen. Und er hatte sie in jedem Zustand gesehen.

Ein Schauer erfasste ihn.

 

Er kannte sie, wurde ihm bewusst. Er kannte sie wirklich. Und er verbachte viel Zeit mit ihr.

 

Natürlich wollte er fort von hier. Aber würde er an sie denken müssen? Bestimmt. Eine Weile noch. Aber dann?

Würde er überhaupt überleben? Und würde sie überhaupt überleben? Nachdem, was Snape ihm erzählt hatte, sah alles noch kritisch aus.

 

Eine Sache war ihm aber völlig klar: Er wollte, dass sie ihn küssen wollte. Dann kam er sich nicht nämlich nicht mehr wie ein verfluchter Bastard vor.

Und das bestätigte, dass es ganz normal war, unter solchen Umständen verrückt zu werden.

 

Sex mit Granger… Sein Vater wusste darüber ja schon Bescheid. Seine Fäuste zitterten plötzlich. Richtig. Nein. Er würde ihr das nicht antun.

Wollte er ja nicht mal. Er wollte sie ja gar nicht.

Vielleicht nur, weil sie gerade da war. Aber das war ja nicht von Dauer.

 

Es gab wichtigere Sachen.

 

Die Todesser, die ihnen auf der Spur sein würden. Sie konnten sich nicht ewig verstecken. Er würde doch wie Potter werden und ständig auf der Flucht sein. Aber er wollte nicht so sein wie dieser Mistkerl.

Und war er ja auch nicht. Er hatte es nicht mal fertig gebracht, ein Schlammblut umzubringen. Nicht mal vergewaltigen hatte er sie gekonnt, obwohl es doch nur allzu einfach ausgesehen hatte!

 

Er hatte das Buch zornig durch den Raum geworfen, ohne dass er es bemerkt hatte. Er war aufgestanden und sein Atem ging schneller.

Zorn kochte hoch. Zum einen wollte er ein böser Mensch sein. Ohne Gewissen, ohne Gefühle, denn dann wäre es einfacher. Er wollte kein Schwächling sein.

Und zum anderen befriedigte ihn das Wissen. Das Wissen, dass es eine Möglichkeit gab, alles zu stürzen, was die Welt bedrohte.

 

Die Möglichkeit, der Gute zu sein. Besser als Potter. Besser als jeder.

 

Er würde sich in den nächsten Tagen überlegen, wer er sein wollte.

Irgendwie.

 

Seine Hände waren kalt und das Gefühl von ihnen auf seiner Stirn, tat mehr als gut. Er konnte unmöglich bleiben. Die Tür öffnete sich nach kurzem Klopfen. Snape steckte den Kopf herein.

 

„Alles in Ordnung bei dir? Hermine erscheint mir… etwas durch den Wind zu sein. Ich benehmt euch doch hoffentlich?“ Wie meinte er das konkret, überlegte er kurz. „Ihr streitet euch doch nicht, oder verflucht euch?“, fügte Snape besorgt hinzu. Nein, das konnte er verneinen. Sie küsste ihn lediglich hier im Flur. Zählte er das auch zu „nicht benehmen“? Oder gab es dafür eine extra Kategorie?

 

„Nein. Wir verfluchen uns nicht“, sagte er also eher vage. – Und sie war durch den Wind? Wieso sie?!

 

„Ich habe mit ihr gesprochen“, sagte Snape schließlich und Draco wurde zum ersten Mal klar, dass sein Pate deutlich älter war als er selber. Oft hatte er Snape als einsamen Kämpfer gesehen. Als jemand, der unerschütterlich seine Meinung vertrat. Wenn auch oft versteckt und allein für sich.

Aber jetzt sah er die Falten unter den dunklen Augen. Die wenigen grauen Strähnen, die sich durch seine dunklen Haare zogen, als hätten sie sich dorthin verirrt.

 

„Hast du?“ Es war kaum eine Frage.

 

„Aber sie glaubt mir natürlich nicht. Ich denke, sie hat Angst. Möchtest du mit ihr darüber noch mal sprechen?“ Draco legte die Stirn in tiefe Falten.

 

„Wieso sollte ich? Ich denke, sie vertraut dir mehr als mir.“ Er besann sich. „Nein. Sie vertraut dir zumindest überhaupt ein Stück weit.“

 

„Ich dachte, weil… nun, ihr hattet doch nun schon Gelegenheiten, euch kennen zu lernen. Von all euren Seiten“, fügte er bedächtig hinzu. „Ich nehme lediglich an, dass sie es von noch einer weiteren Person hören sollte. Und… du bist die einzige weitere Person hier“, fuhr er fort. Draco schüttelte langsam den Kopf.

 

„Severus, ich glaube es ja selber nicht.“ Und das stimmte zum Teil auch.

 

„Draco, du musst hinter dem Plan stehen. Und du musst sie überzeugen.“ Ja, klar. Als wäre es das einfachste auf der Welt Hermine „Gryffindor“ Granger von irgendwas einfach zu überzeugen. Was dachte sich Snape eigentlich?

 

„Oh sicher. Ich bin sicher, sie wartet nur darauf, dass ich zu ihr gehe und ihr sage, dass ihr Blut das Mächtigste auf Erden ist und alles Böse vernichten kann, sobald wir es ihr abgezapft haben!“ Er klang schon fast wie Potter, als dieser sich gestern Abend über das gleiche Problem aufgeregt hatte.

 

„Das habe ich ihr noch nicht gesagt“, räumte Snape leise ein.

 

„Hast du nicht? Großartig. Dann kann ich ihr das also auch noch sagen?“

 

„Ich glaube, es ist besser, wenn sie erst mal nichts davon erfährt.“

 

„Wieso? Weil sie vielleicht dagegen ist, dass wir das Leben aus ihrem Körper nehmen?“

 

„Draco… Blut regeneriert sich. Wir… ich bin mir nur nicht sicher, wie viel wir brauchen.“

 

„Was, wenn sie alles geben muss? Was, wenn man für den Zauber all ihr Blut braucht, Severus?“ Er wurde ungehalten. Es war ein so unsicherer, gefährlicher Plan, dass er ihr unmöglich davon erzählen konnte.

 

„Nein!“ Auch Snape wirkte gereizt und müde. „Ich bin dabei das heraus zu finden. Du musst heute mit ihr reden, damit wir mit der Blutabnahme und Bewahrung beginnen können. Wir haben besser zu viel als zu wenig.“ Draco Augen weiteten sich ungläubig.

 

„Ich soll ihr-?“

 

„Oder kannst du das nicht?“ Snape klang argwöhnisch. Als wären sie hier in der Schule und er würde erwägen, einen bestimmten Trank nicht brauen zu können. Schon dort hatte Snape nie Verständnis gezeigt.


„Darum geht es nicht!“, widersprach Draco jetzt.

 

„Und du wirst mit Harry sprechen müssen. Ich muss noch einmal weg. Es gibt einige alte Aufzeichnung über die Prophezeiung, die wesentlich detaillierter sind als dieses Gedicht. Die muss ich finden. Am besten schnell.“

 

„Ich rede nicht mit diesem- und welche Details hast du bis jetzt?“

 

„Die letzten beiden Zeile.“ Draco wusste nicht, ob er das gut finden sollte oder nicht. Das war nicht gerade viel. „Und mit Harry musst du sprechen. Da wirst du keine Wahl haben. Du wusstest doch, worauf du dich einlassen würdest, Draco! Ich habe dir keinen angenehmen Urlaub versprochen!“ Das war so ungerecht. Er hatte sich bereits die Haare gerauft.


„Du willst, dass ich ihr sage, dass wir nicht wissen, wie viel Blut wir brauchen? Oder dass es überhaupt klappt? Du willst, dass ich ihr auch noch Blut abzapfe und du willst, dass ich es Potter, dem Bündel voller neurotrischer Komplexe, auch noch beibringe? Ich glaube, zum ersten Mal unterstütze ich Potters Ansicht!“ Er hatte angefangen zu schreien und Snape hob die Hand.

 

„Mäßige deinen Ton, Draco. Das ist es, was wir tun. Wir garantieren, dass wir die Waffe richtig nutzen. Hermine wird es begreifen. Sie wird sich fügen. Es gibt keinen Ausschluss. Sie ist das richtige Mädchen. Mach ihr das klar.“

 

„Ich glaube es selber nicht mal und-“

 

„Ist sie eine starke Hexe?“, fragte Snape gereizt. Dracos Mund öffnete sich. Natürlich war sie stark.

„War sie die beste im Jahr?“ Auch das stimmte wohl. Aber das bedeutete doch nicht, dass sie die Waffe war.

„Ihr Blut ist rein, denn nur Muggel sind ihre Vorfahren.“ Das konnte man auch anders sehen.

„Sie steht für das Gute, ist gegen das Böse und sie ist kampferprobt. Sie fürchtet nichts.“ Auch das stimmte nicht.

 

„Es kann irgendein Mädchen sein!“, brauste Draco auf.

 

„Ich habe Nachforschungen angestellt. Sie ist die einzige magisch so begabte, rein muggelstämmige Hexe, die in diesem Jahr geboren wurde. Es gab keine weitere mit ihrem Stammbaum, ihren Fähigkeiten und Voraussetzungen.“ Snape war ein Streber.


„Fein. Dann ist sie eben die einzige Muggel. Aber, was wenn sie sterben muss? Wann erfahren wir das? Wann erfährt sie das? Willst du sie opfern?“ Draco wollte so gar nicht argumentieren, fiel ihm auf. Sein Mund tat es einfach.

 

„Von ihrem Tod steht nichts in den Aufzeichnungen, die ich bis jetzt habe“, erwiderte Snape und wich somit der Frage aus. Schön, dann sollte er sich eben keine Gedanken machen.


„Du weißt, dass Voldemort vor nichts zurückschreckt!“

 

„Er wird nicht mal so lange überleben, um an den Avada Kedavra zu denken, Draco. Vertrau mir. Ich verspreche dir, es wird funktionieren. Überzeuge sie und alles wird gut ausgehen.“ Es klang wie ein seltsames Mantra.

 

„Du willst doch wohl nicht jetzt schon wieder gehen!“, fuhr er den Mann an, als er sich wieder zur Tür wandte.


„Ich muss. Die Zeit wird nicht still stehen. Und wenn etwas passiert…“ Seine Stimme wurde zögernd. „Dann müsst ihr fliehen. Die Aufzeichnungen liegen bereit. Und die Daten für die Kamine, von denen Potter dich empfangen kann, habe ich dir aufgeschrieben.“

 

„Fliehen?“, fragte er nur.

 

„Wenn sie mich kriegen... Wenn sie mich finden und umbringen wollen... Dann verschwindet ihr. Ihr geht zu Potter und seinen Leuten. Alle Aufzeichnungen habe ich in meinem Schreibtisch. Der ist magisch versiegelt. Hermine kann ihn nicht öffnen. Ich habe ihn vorhin auf dich geeicht.“

 

Draco hatte keine Zeit, all diese Dinge zu begreifen. Nur eine Sache war wichtig!

 

„Severus, du wirst dich vorsehen. Dann wird nichts passieren.“ Es kam ihm vor, als würde Snape schon wissen, dass sie es nicht alle überleben würden. Es bereitete Draco Übelkeit, seinen Paten so reden zu hören.

 

„Wir müssen damit rechnen, dass wir Opfer bringen müssen.“ Er sagte dies mit solcher Ernsthaftigkeit und Überzeugung, dass Draco es mit der Angst zu tun bekam.


„Was planst du?“, fragte er tonlos. „Was wird das? Wieso ist dir der Plan so wichtig? Du hast doch irgendwas vor!“

 

„Nur falls es scheitert, will ich, dass du mit dem Plan fortfährst. Auch ohne mich.“

 

„Severus!“ Draco starrte ihn an. „Das kannst du nicht.“

 

„Muss ich dich erst zum Unbrechbaren Schwur überreden, Draco?“

 

Was?“ Also plante Snape doch etwas!


„Versprich mir, dass du dich um Hermine kümmern wirst. Und dass du den Plan fortsetzt, sollte ich scheitern.“

 

„Du-“

 

Sollte ich scheitern. Ich sage nicht, dass ich es tue, Draco.“

 

„Du rechnest mit deinem Tod?“, flüsterte er fast.

 

„Ich rechne mit unser aller Tod“, sagte er ruhig. Draco nickte langsam. Was hatte er gedacht? Dass sie alle lebend aus der Sache rauskamen? Bestimmt nicht.

 

„Schön. Wie du willst“, sagte er nur.

 

„Gut. Ich vertraue dir“, fügte Snape eindringlich hinzu. „Und ich muss wieder los. Ich bin heute Nacht wieder da. Kümmer dich um die Blutabnahme und um Harry.“ Damit war er aus dem Zimmer verschwunden.

 

Draco sank in den Sessel zurück.

 

Das änderte nun einiges. Über den Rest von Snapes Plan hatte er gar nicht nachdenken wollen.

 

Er fragte sich, wie lange er sich hier verstecken konnte. Er wollte nicht mit ihr reden. Er hatte sich nie in der Rolle befunden, in der seine Ansichten und Meinungen – ja, seine Worte überhaupt – etwas bewirken konnten. Etwas verändert haben.

 

Und jetzt? Jetzt war er auf einmal Teil eines waghalsigen Plans. Ein Plan, der zu gleichen Teilen funktionieren oder eben schief gehen konnte. Mit einem Zusatz, der sich noch nicht wirklich in seinem Gehirn verankern konnte.

Und er wollte ihr Gesicht nicht sehen, wenn er mit ihr sprach. Er wollte nämlich sein Gesicht nicht verlieren. Er wollte nicht zugeben, welche Seite er bevorzugte. Und er wollte nicht gestehen, wie weit er bereit war, zu gehen.

 

Er wollte nicht, dass sie dachte, dass er bereit war, sein Leben zu geben, wie Snape. Nur für sie. Dafür, dass sie die Welt vielleicht oder vielleicht nicht retten konnten. Er war doch feige. Er war doch nur… wer war er schon?

Und woher nahm Snape überhaupt die Gewissheit, dass er, Draco Malfoy, in der Lage war, die Welt retten zu können?

Oder wenigstens erst mal Granger?

 

Er schloss die Augen erneut. Er hasste die Angst. Sie fand jede Nische. Nutze jede kleine Schwäche rücksichtslos aus. Ohne Gnade. Und er bezweifelte, dass er sie überwinden konnte. Woher nahm man noch mal Mut?

 

Er hatte es vergessen.

 

 

Teil 15

 

Ihr Blick hatte sich irgendwo in der Ferne von Snapes Garten verloren, als sie noch einmal rekapitulierte. All die Sachen, die Snape ihr erzählt hatte, konnten doch unmöglich wahr sein! Und Malfoy wusste das alles auch? Und Harry auch?

Sie kaute gedankenverloren auf ihrer Unterlippe herum.

 

Und Snape hatte ihr nicht mal alles erklärt. Jetzt war er wieder weg und sie war wieder allein mit ihm. Mit Malfoy. Sie wusste, ihr fehlten Informationen. Sie wusste, es war nicht alles. Was sollte das heißen, ihr Blut war mächtig? Musste sie es dann… opfern?

 

Sie hörte Schritte hinter sich. Sie wollte sich nicht umwenden.

Sie hatte keine Lust, Malfoy schon wieder zu sehen. Die Dämmerung hatte eingesetzt und sie konnte schon ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe ausmachen. Sie hatte geglaubt, vor etwa einer halben Stunde, den Schatten eines Zauberers hinter den magischen Bännen entdeckt zu haben.

Aber der Schatten hatte es nicht geschafft, die Barrieren zu durchdringen.

 

Sie fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde.

 

„Setz dich.“ Sie erschrak fast über seine Stimme, die ihr doch so vertraut geworden war. Als hätte sie nicht mit Harry und Ron ihre Zeit verbracht, sondern nur noch mit Malfoy.

 

Sie wandte sich müde um. Es war ihm nicht mehr anzusehen, dass sie ihn geküsst hatte. Es fiel ihr siedend heiß wieder ein. Und sie bedauerte es etwas. Nein, sogar sehr. Sie beschloss, es ihm gleich zu tun. Wenn er es nicht mehr wusste, dann wusste sie auch nichts mehr.

 

„Du wusstest all das?“, fragte sie ihn schließlich leise. Aber er war anders, fiel ihr auf. Geschäftiger. Er hatte ein Buch unter den Arm geklemmt. Die Ärmel hatte er hochgeschlagen. Das Dunkle Mal stach schwarz hervor. Es schien ihn nicht zu kümmern, sie allerdings ließ es kurz schaudern.

 

„Ich weiß noch eine ganze Menge mehr. Also setz dich, Granger.“ Sie folgte seinen Worten, ohne dass sie es wirklich wollte. Sie setzte sich auf einen der gepolsterten Stühle und er setzte sich auf den anderen.

Er blätterte weiter in dem Buch, das sie als Heilmagie für Anfänger ausmachen konnte. Sie runzelte die Stirn.

 

„Snape hat dir alles gesagt?“, erkundigte er sich, ohne aufzusehen.

 

„Nein. Ich denke nicht, dass er-“

 

„Nein, das ist auch richtig. Hör zu, ich werde dir jetzt etwas Blut abnehmen.“ Kurz sah sie etwas in seinem Blick flackern, als er ihn zu ihren Augen hob. Die ganze Zeit hatte er sie nicht angesehen. Erst jetzt. Was war es? Unsicherheit? Angst? Sie wagte nicht, es zu deuten, denn der kurze Ausdruck war schon wieder verschwunden.

 

„Du wirst mir Blut abnehmen?“, hauchte sie ängstlich und schüttelte den Kopf.

 

„Ja. Snape hat dir ja gesagt, du hast die Macht. Du bist die Waffe. Und wir werden dein Blut sammeln und dann daraus den Trank brauen, der Voldemort zu Fall bringen wird.“ Ihr Mund öffnete sich. Das mit dem Trank und dem Fall hatte Snape ihr nicht erzählt.

 

„Was? Ist das sicher? Wie viel Blut?“ Sie sagte es sehr schnell. „Vielleicht bin ich es nicht, Malfoy!“, widersprach sie heftig. „Ich… bin eine Muggel!“

 

„Es gibt keinen Zweifel“, sagte er mit einer solchen Sicherheit, dass sie sogar geneigt war, ihm zu glauben.

 

„Ich bin keine Waffe. Mein Blut ist… nichts Besonderes. Du solltest es doch am besten wissen“, fügte sie spöttisch hinzu.

 

„Unsinn, Granger. Natürlich ist dein Blut einfach so nicht anders als anderes Blut. Aber mit dem richtigen Zauber wird es zur mächtigsten Substanz, die die Erde jemals gesehen hat.“ Ihr Mund öffnete sich, aber er hatte bereits den Zauberstab gezogen und begann eine Formel zu flüstern.

 

Ein gläserner Behälter erschien aus dem Nichts.

 

„Was tust du?“, fragte sie fast panisch. Sie benutzte zwar selber auch Magie zum Heilen, aber das hier hatte sie noch nicht getan.


„Ich werde diesen Zauber jetzt anwenden. Der wird dir über meinen Zauberstab so viel Blut abnehmen, bis der Behälter voll ist.“ Er sagte es mit einer Selbstverständlichkeit, die ihr den Atem raubte.

 

„Weißt du, was du tust?“, hauchte sie und war sich noch nie unsicherer als jetzt gewesen.

 

„Granger, ich war Schulsprecher“, erwiderte er etwas gereizter. Dann setzte er den Zauberstab in ihrer Armbeuge an.

 

„Ich werde jetzt, in deine Vene stechen“, informierte er sie konzentriert, während seine Augen über den Text flogen. Leise sprach er die Worte.

Ihre Lippen öffneten sich zum Protest, aber ein sanfter Nebel setzte in ihrem Kopf ein. Ob es von seiner Berührung her kam, oder von der Formel, die er sprach, konnte sie nicht bestimmen, aber – egal, was es war – es bereitete ihr Angst.

 

Seine Finger waren warm an ihrem Arm. Alles geschah furchtbar schnell.

Sie spürte einen Stich und dann war der Schmerz vorbei. Rot floss ihr Blut in den kleinen Behälter, der sich zügig füllte. Er zögerte keine Sekunde. Er war nicht einmal zurückgezuckt, beim Anblick ihres Blutes. Gewissenhaft erledigte er diesen Zauber, als wäre es eine Schulprüfung. Genau am obersten Rand stoppte der Blutfluss nach kaum dreißig Sekunden, in denen sie den Atem angehalten hatte.

 

Mit einem letzten Blick auf den Text, beendete er den Spruch, zog den Zauberstab zurück und versiegelte den kleinen Behälter. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der winzige Stich in ihrer Armbeuge schloss sich augenblicklich.

 

Seine Mundwinkel zuckten kurz. Ob nur so, oder vor Erleichterung, blieb ihr verborgen.

 

„Gut“, sagte er jetzt nur. In seinen Händen hielt er immer noch das Glas. Er wirkte etwas überfordert.

 

„Und das ist jetzt also unsere Super-Waffe, ja?“, fragte sie argwöhnisch, um ihr klopfendes Herz zu übertönen, das, beim Anblick ihres eigenen Blutes, begonnen hatte, schneller zu schlagen. Und auch er betrachtete die rote Flüssigkeit eher skeptisch.

 

„Scheint so.“

 

„Hast du… sowas schon mal vorher gemacht?“, fragte sie jetzt und er hob eine Augenbraue.

 

„Denkst du, sowas mache ich ständig in meiner Freizeit? Muggeln Blut abnehmen?“ Sie wollte das nicht beantworten.

 

„Du hättest es mich vorher lesen lassen sollen“, erwiderte sie jetzt plötzlich, als sie wieder klarer denken konnte.

 

„Was? Denkst du, ich kann so einen Zauber nicht ausführen?“ Er verschränkte plötzlich die Arme und sein arroganter Ausdruck kam ihr plötzlich wieder bekannt vor.

 

„Es geht hier um meinen Körper. Du hättest mir den Spruch zeigen sollen.“

 

„Es war der richtige Spruch“, rechtfertigte er sich gereizt und war wieder Malfoy. Unverbesserlich und selbstgerecht.

 

„Vielleicht. Trotzdem hätte ich das Recht gehabt, ihn zu lesen oder nicht, Malfoy?“

 

„Du lebst noch, oder nicht?“, gab er bissig zurück.

 

„Ach so, wenn das die einzige Voraussetzung war, dann waren Sie wirklich erfolgreich, Mr Malfoy!“ Sie hatte sich erhoben, aber kurz wurde ihr doch etwas schwindelig und sie sank wieder zurück.

 

„Alles ok?“, fragte er jetzt widerwillig und sie verzog den Mund.

 

„Deine gespielte Sorge kannst du dir auch sparen. Ich denke, du hast jetzt Snapes Wunsch erfüllt und kannst wieder gehen.“ Sie wandte den Blick ab.

 

„Was? Einfach so?“, erkundigte er sich und seine Stimme hatte sich wieder beruhigt. „Ohne Abschiedskuss, Granger?“ Sie wusste nicht, ob er bei diesen Worten grinsen musste. Aber es klang fast danach. Sie wurde rot. Wirklich rot. Aber immerhin war ihr jetzt nicht mehr schwindelig. Sie mied jeden Blick auf ihn.

 

„Halt die Klappe, Malfoy.“

 

„Nein, ganz im Ernst. Ich dachte, ich müsste mich jetzt auf deine Verliebtheit einrichten?“

 

„Verliebtheit?“ Jetzt sah sie ihn zornig an. „Als ob, Malfoy. Davon kannst du meinetwegen träumen, aber ansonsten kannst du das gleich vergessen! Als ob ich wirklich auch nur eine Sekunde lang-“ Sein Lächeln brachte sie kurz aus der Fassung.

 

„Noch schwindelig?“, fragte er jetzt und erhob sich übergangslos. Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Weißt du, wenn man sich zu viel rechtfertigt…“ Er ließ die Worte einfach nur im Raum verklingen, ohne den Satz zu beenden.

 

„Bild dir bloß nichts ein“, war alles, was sie dazu sagte. Als er ging, riss sie sich zusammen. „Das ist noch nicht alles, oder?“ Sie sprach nicht laut.

 

„Was?“, erwiderte er und wandte sich noch einmal um.

 

„All das… Es gibt noch mehr Informationen, oder? Snape ist sich damit nicht völlig sicher, richtig? Und wie sollen wir in Voldemorts Nähe kommen?“ Jetzt sah sie wieder das Flackern in seinem Blick. „Und die Zeilen… wie soll man denn die Mitte interpretieren? Und die Sache mit dem Mond… und dem Antlitz der Welt…“

Und plötzlich fiel seine Fassade.


„Ich weiß es nicht.“

 

Und sie wusste nicht, ob er log oder nicht. Es gefiel ihr überhaupt nicht, nichts zu wissen.

 

„Hat Snape einen Plan?“

 

„Ja.“

 

„Kennst du den Plan?“, fragte sie vorsichtig.

 

„Ja.“

 

Sie atmete aus. „Ist der Plan sicher?“

 

„Nein.“

 

„Willst du ihn mir erklären?“, fuhr sie fort, da er noch nicht geschrieen hatte. Er atmete langsam ein.

 

„Noch nicht.“ Das war kein wirkliches Nein. Also würde er mit ihr darüber sprechen?

 

„Wann?“, fragte sie atemlos.

 

„Sobald es kein Zurück mehr gibt“, war alles, was er dazu noch sagte. Und sie fragte nicht weiter, obwohl sie sich kaum beherrschen konnte.

 

„Ich kann nicht zu Harry zurück, oder?“, fragte sie, ohne, dass es wirklich eine Frage war. Er schüttelte knapp den Kopf.

 

„Es sei denn…“ Aber er sprach nicht weiter. Er zögerte.

 

„Es sei denn, was?“

 

„Es sei denn… Snape geschieht etwas.“ Ihr Atem stockte.

 

„Snape geht davon aus, dass ihm etwas passieren könnte?“ Sie wusste nicht, ob er es bereute, diese Information geteilt zu haben.

 

„Es ist möglich“, sagte er nur.

 

„Können wir nicht… mit ihm gehen, wenn er… Wo auch immer er hingeht? Können wir nicht mit? Wir können auch kämpfen!“

 

„Du darfst das Haus nicht verlassen. Wenn du getötet wirst… dann haben wir keine Chance.“ Sie wurde etwas wütend.

 

„Malfoy, ich bin schon eine ganze Weile am Kämpfen. Bisher habe ich auch überlebt, oder nicht?“

 

„Ja, bis zu dem Tag, an dem du dich von mir hast überwältigen lassen, richtig?“ Er hatte die Augenbrauen beinahe spöttisch gehoben.


„Das war…“

 

„Was?“ Aber er ließ sie nicht weiter sprechen. „Du hattest Mitleid. Und das ist dein Fehler, Granger.“

 

„Mein Fehler? Was ist denn dann dein Fehler? Ich hatte überhaupt kein Mitleid. Ich hatte keine Wahl. Ich hatte lediglich Pech. Du hattest doch Mitleid!“

 

„Mit dir?“, fragte er tatsächlich und sie schnaubte auf.

 

„Nein, mit Harry und Ron. Natürlich mit mir!“

 

„Du misst dir zu viel Bedeutung bei.“

 

„Ich dachte, ich bin die Waffe?“, gab sie zurück und konnte sich endlich erheben. Darauf schwieg er. Anscheinend wusste er dagegen nichts zu sagen. Dann erhellten sich seine Züge.

 

„Eben. Und deswegen wirst du dieses Haus nicht verlassen, um dich in Gefahr zu bringen.“ Kurz musste sie begreifen, dass er den Spieß umgedreht hatte. Mistkerl. Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte wütend mit den Augen. Sie kannte diesen Blick von sich, denn Ron hatte sich oft darüber beschwert. Meist, bevor er den Streit dann verlor.

 

„Weil ich ein Mädchen bin, denkst du, ich kann mich nicht wehren?“

 

„Oh, Granger. Ich habe dich gesehen. Du kannst dich gut wehren. Aber, ob du ein Mädchen bist oder nicht, dass ist hierbei unwichtig. Du bist die einzige Chance. Deswegen…“ Er machte eine unverbindliche Handbewegung.

 

„Was?“, fragte sie herausfordernd und er atmete aus. Sie sah, wie er sich besinnen musste. Etwas ratlos stand er vor ihr und schob die Hände in seine Taschen.


„Es ist anstrengend.“ Kurz warfen sie diese Worte etwas aus ihrer Bahn.


„Was? Was ist anstrengend?“

 

„Dieses Gespräch.“ Er war sich mir der Hand kurz über die Augen gefahren. „Wenn das immer so ist, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Potter dich besonders vermisst. Du bist so… so…“ Ihm schienen die Worte zu fehlen.


„Harry vermisst mich sehr wohl! Alle werden mich schon vermissen, denn… Was soll das heißen? Wie bin ich?“ Sie hatte sich selber unterbrochen. Er hob unmissverständlich die Hände und schnaubte auf.

 

„Du willst alles wissen. Alles auf einmal. Alle Optionen.“ Er machte eine gereizte Geste. „Du willst alles analysieren, obwohl… nichts fest steht. Jedes andere Mädchen wäre…“

 

„In Ohnmacht gefallen?“, nahm sie ihm die Worte ab. „Wäre gestorben, nachdem dein Vater fertig war mit seiner Folter und seiner Gewalt?“ Er sollte bloß nicht denken, sie hätte Angst. Sein Blick bekam etwas Gehetztes. „Tut mir leid. Ich bin keines von den Mädchen, die du in deinem Bekanntenkreis bevorzugst. Mir geht es nicht um Geld, Ansehen, Blut…“

 

„Er hätte das nicht tun dürfen“, sagte er jetzt, beinahe entschuldigend.

 

„Du hast meinen Willen genauso untergraben!“, brauste sie auf.

 

„Nein – nicht… so“, gab er zerknirscht zurück. „Geht das schon wieder los? Ich habe mich doch entschuldigt!“

 

„Hast du nicht!“, schrie sie jetzt. Sein Mund klappte auf. „Natürlich hast du das nicht! Du hast dich noch für irgendwas entschuldigt, was du mir angetan hast, Malfoy! Oder erinnerst du dich, dass du in den Krankenflügel gekommen bist, um dich für die Hasenzähne zu entschuldigen, die du mir verpasst hast?“ Sie wusste nicht, weshalb sie ausgerechnet jetzt an dieses Erlebnis denken musste.

 

„Was?“, fragte er ungläubig. „Wovon sprichst du?“

 

„Von unserem vierten Jahr“, gab sie zornig zurück. Sein Blick klärte sich.

 

„Was willst du jetzt? Dass ich mich für jede Kleinigkeit entschuldige?“

 

„Ja“, sagte sie, ehe sie sich besonnen hatte. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Dann lächelte er freudlos.

 

„Ich denke, so viel Zeit haben wir nicht.“

 

„Da hast du verdammt recht!“

 

„Wieso hast du mich noch gleich geküsst, wenn du… mich doch so sehr hasst?“, fragte er plötzlich und schien echtes Interesse an der Antwort zu haben.

 

„Das… ich… das war ein Reflex.“ Das war die dümmste Antwort, die ein Mensch hatte geben können.

 

„Oh. Ein Reflex?“, erkundigte er sich spöttisch. „Muss ich jetzt aufpassen? Schießt du gleich nach vorne und wirfst dich in meine Arme, Granger?“ Er grinste plötzlich. „Vielleicht sollte ich meine Tür auch noch abschließen“, fügte er amüsiert hinzu.

 

„Das hättest du gerne…“ Sie schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen.

 

„Ok, hör zu…“ Er war mit einem Mal wieder ernst geworden. „Du bist zwar ein Mädchen. Und eine Gryffindor. Eine Muggel und eine Nervensäge“, begann er und ihre Miene verfinsterte sich. „Aber… im Sinne der Umstände schlage ich vor, dass wir… einen Waffenstillstand einlegen.“

 

„Streiten mir dir ist die einzige Freude die mir bleibt, du dämliches Arschloch“, gab sie zurück. Er hatte ihr grinsend die Hand entgegen gestreckt. Sie musterte sie skeptisch, mit ein wenig Abscheu.

 

„Du musst sie nur schütteln, nicht küssen, Granger. Allerdings weiß ich ja nicht, wie es gerade um deine Reflexe steht…“ Er schien sich wirklich zu amüsieren.

 

„Du willst einen Waffenstillstand? Dann verzichtest du auch auf deine scheiß Sprüche, Malfoy!“

 

„Ich rette dir schon dein scheiß Leben, Granger“, gab er zurück und wartete immer noch.

 

„Tust du das?“, fragte sie plötzlich.

 

„Das habe ich zumindest versprochen. Keine Ahnung, ob ich es halten kann, aber… wenn du die Eine bist, dann…“ Er ruckte mit dem Kopf. Es war faszinierend, ihn anzusehen. Schon wieder bekam sie dieses seltsame Gefühl. Dieses seltsame Verlangen, ihn zu küssen, wenn er etwas Nettes sagte. „Jetzt gerade, im Moment, würde ich es wohl tun“, sagte er langsam, als würde er seine Worte beim Sprechen auf ihre Wahrheit prüfen. „Keine Ahnung, ob das morgen auch noch-“

 

Er konnte den Satz nicht beenden, denn sie hatte sich schon wieder vorgelehnt und ihre Lippen lagen schon wieder auf seinen. Dieses Mal zuckte er nicht zurück. Dieses Mal hatte er nicht schockiert die Luft eingesogen.

Sie hatte gar nicht anders gekonnt! Das wurde ihr erschreckenderweise bewusst.

 

Sie löste sich langsam von ihm und ihre Augen flogen auf. Sein Mund hatte sich ein Stück geöffnet. Seine Lippen waren weich gewesen. Die Berührung nur ein Hauch. Sie sah die kleine, steile Falte zwischen seinen Augenbrauen.

 

„Handschütteln wäre völlig ausreichend gewesen.“ Seine Stimme klang nicht so selbstsicher, wie noch vor einer Minute. Eher rau.

 

„Tut… tut mir so leid!“, flüsterte sie ehrlich. Sie konnte sich nicht erklären, wie das schon wieder hatte passieren können!

 

„Vielleicht solltest du deine Reflexe langsam unter Kontrolle kriegen, Granger.“ Er stand immer noch vor ihr. Aber seine Hand war wieder gesunken. Die Hitze in ihren Wangen war so unerträglich.

 

„Ich… ich wollte es gar nicht!“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

 

„Wieso tust du es dann?“ Jetzt klang er ärgerlich. „Ist das irgendeine Neurose, die du nicht mehr unter Kontrolle kriegst?“, fuhr er zornig fort und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Würde ich das ständig tun, hätte ich deine Faust in meinem Gesicht!“

 

„Ich hab gesagt, es tut mir leid!“, schrie sie jetzt und musste ihre Unterlippe vom Beben abhalten. Sie würde bestimmt nicht deswegen weinen! Dann bekam sie eben das Verlangen, Draco Malfoy zu… Oh Gott! Das konnte nicht schon wieder passieren!

 

Er funkelte sie voller Zorn an und sie hätte nur zu gerne ihren Hass aufrecht erhalten. Aber irgendwas in ihrem Innern stand lichterloh in Flammen. Ihre Finger kribbelten vor Aufregung. Sie wollte noch etwas zu ihrer Verteidigung sagen, wollte ihn warnen, aber er schien es zu sehen. Sein Mund öffnete sich erneut, als wolle er protestieren, aber sie hatte bereits die Arme um seinen Nacken geschlungen und zog ihn an sich. Sie konnte ihre Lippen gar nicht schnell genug auf seine pressen.

 

 

Teil 16

 

 

Er hatte überhaupt keine Zeit, noch etwas zu sagen.

 

Zum dritten Mal küsste sie ihn. Und diesmal hatte sie sich mit ihrem gesamten Körper an ihn gepresst. Er hatte kaum Gelegenheit, den Gedanken, der sich in seinem Kopf geformt hatte, zu analysieren. Denn kurz war ihm die Erleuchtung gekommen. Kurz war ihm klar gewesen, weshalb…-

 

Sie stöhnte gegen seinen Mund, den er sicherheitshalber verschlossen hielt. Ihre Finger fuhren in seine Haare und er versuchte den Gedanken zu greifen, den er eben gehabt hatte. Aber nichts war schwerer als das, wenn sie… - die Hand von seinem Nacken löste, um sie gegen seinen Schritt zu pressen!

 

Hastig umfing er ihr Handgelenk und hielt es fest. Sie hatte sich noch enger an ihn gepresst. Scheiße! Was sollte er jetzt tun??

Was sollte er tun? Was hatte er sich noch gleich überlegt, für den Fall, dass es noch mal passieren würde?

 

Aber da hatte er noch angenommen, dass sie es wollen würde. Aber vielleicht tat sie das? Aber nein, sie hatte sich entschuldigt. Sie wollte es gar nicht bewusst? Oder doch? Seine wachsende Erektion half ihm überhaupt nicht. Immer wieder küsste sie seine verschlossenen Lippen und er hatte Mühe, die Augen aufzuhalten und nicht nachzugeben.

 

Er zog den Kopf rigoros zurück und sie wäre fast nach vorne gestolpert.

 

„Granger?“, fragte er heiser und trübe blickten ihn ihre Augen an.

 

„Oh Gott! Oh Gott!“, wiederholte sie lautlos. Ihr Mund hatte sich geöffnet.

 

„Was zur Hölle tust du?“, fragte er jetzt zornig und sie schüttelte heftig den Kopf.

 

„Ich weiß es nicht! Aber… du darfst auf keinen Fall nachgeben, hast du verstanden, Malfoy?“ Sie klang fast hysterisch. Und dennoch analysierte sie bereits alles. Er hielt immer noch ihre Hand umfangen. Sie war herrlich rot, stellte er fest.

 

„Hatte ich bestimmt nicht vor, verflucht!“, gab er zurück und wich nach hinten in den Raum. Sie hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen. Panisch traf ihn ihr Blick. In ihren Augen sah er nichts weiter als Bestürzung. Und er wusste nicht, wie er das werten sollte. Bestürzung hatte er bisher bei keinem Mädchen entdecken können. Und bestimmt nicht hervorgerufen!

 

Sie schien sich zu beruhigen.

 

„Ich weiß nicht, warum, aber es wird irgendwie… stärker…“ Das schien sie selber zu schockieren. Dann fiel die Tür ins Schloss. Snape war wieder da, schoss es Draco durch den Kopf. Das war… gut, nahm er an.

 

„Hier seid ihr. Alles geklappt? Hast du mit Harry gesprochen?“ Er riss den Blick von Granger los und wich vorsichtshalber noch einen Schritt zurück.

 

„Nein… ich kam nicht dazu. Wir haben gerade… Blut abgenommen“, schloss er. Snape nickte.


„Gut. Ausgezeichnet. Dann hast du es ihr erklärt?“ Jetzt sah er sie an.

„Hermine? Alles in Ordnung? Du atmest so heftig? War die Abnahme nicht gut für deinen Kreislauf?“

 

„Nein“, flüsterte sie. „Nein“, wiederholte sie lauter. „Alles in Ordnung. Ich bin… nur etwas müde.“ Sie log. Aber vielleicht war es besser, wenn sie nicht in einem Raum waren.

 

„Wenn du keinen Hunger mehr hast?“

 

„Ich… nein… Ich denke, ich gehe ins Bett.“ Beinahe hastig stürmte sie aus dem Zimmer.

 

Snape fixierte ihn kurz. „Hast du dich mit ihr gestritten, Draco?“ Dieser Vorwurf! Das war ja wohl die Höhe!

 

„Wir sollten reden, Severus“, sagte er also und riss sich zusammen, um nicht zornig zu werden.

 

~*~

 

Er war sich seiner Hände noch nie so sehr bewusst wie gerade jetzt, in diesem Augenblick, wo er sie ständig in seinem Schoß neu faltete und sich immer wieder durch die Haare fuhr, bis ihm die Strähnen andauernd in die Stirn fielen.


„Was bedeutet das?“, fragte er so konsterniert, dass Snape kurz den Mund verzog.

 

„Ich bin mir nicht ganz sicher.“

 

„Du wusstest das, oder?“ Es war beinahe ein Knurren und wieder einmal fühlte sich Draco viel eher ausgenutzt, als alles andere. Selbst von Snape. Und von ihm hatte er es nicht erwartet.


„Natürlich habe ich damit nicht gerechnet, Draco! Ich bitte dich. Wer hätte damit schon gerechnet. Aber… du siehst, die Prophezeiung erfüllt sich zumindest“, fügte er beschwichtigend hinzu und Draco hätte am liebsten hysterisch geschrieen. Aber das verbot ihm der Anstand, oder zumindest das, was er dafür hielt.

 

„Großartig. Was soll das jetzt heißen? Dass ich…“ Er hob verzweifelt die Hände. „Wieso denn ich, verflucht?“, brauste er jetzt auf und lehnte sich angespannt in den Sessel zurück.

 

„Vielleicht ist das eine gute Sache“, mutmaßte Snape.

 

„Das ist nicht dein Ernst, oder? Vielleicht sollten wir diesbezüglich Potter und seine Gang konsultieren und sie fragen. Sie werden dir ziemlich eindeutig klar machen, dass das hier nicht sein kann!“ Sein Blick verfing sich an den alten Aufzeichnungen auf dem Tisch.


„Wo hast du die her?“, fuhr er fort und schloss kurz die Augen, um den Kopfschmerz abzuwenden, der ihn so oder so erreichen würde.

 

„Unwichtig“, erwiderte Snape und sah ihn nicht an.

 

„Wo bist du dafür eingebrochen?“, entgegnete Draco mit erhobener Augenbraue. Snape lächelte freudlos.

 

„Du bist nicht dumm, Draco.“

 

Draco erhob sich plötzlich. „Wenn das alles stimmt, dann… dann haben wir eine Chance. Vielleicht“, fügte er nicht ganz so sicher hinzu.

 

„Wenn wir an ihn ran kommen, ja.“

 

„Weißt du, wo er sich aufhält?“, fragte Draco und ärgerte sich maßlos, dass er diese Frage nicht selber beantworten konnte.

 

„Voldemorts Quartier wechselt“, war alles, was Snape sagte.

 

„Er ist wie Potter“, murmelte Draco nur. Snape lächelte wieder.

 

„Tja, Strukturen wiederholen sich. Aber wenn wir den ursprünglichen Plan verfolgen, dann sollte er auftauchen. Ganz von selbst.“ Snape musste kurz stutzen. „Na ja, es sei denn, Hermine lässt dich jetzt nicht mehr gehen“, fügte er hinzu. Draco wusste nicht, ob er die Worte ernst meinte, oder…

 

„Ha ha“, sagte Draco schlicht. „Was?“ Snapes Blick war fast stechend.

 

„Ich kann mir nur nicht erklären, weshalb…“ Er unterbrach sich. „Ist vorher schon etwas passiert?“ Heiße Schuldgefühle schnürten seine Kehle zu. Er machte eine unwirsche Kopfbewegung.

Er wollte nicht an seine kleine private Geiselnahme denken. Wenn er an den Tag dachte, als er sie in Potters Quartier mit ihren eigenen Waffen überwältigt und mitgeschleppt hatte, wurde ihm übel.

 

Für einen Moment fragte er sich, welcher Mensch so etwas mit reinem Gewissen tun konnte, aber dann wanderten seine Gedanken weiter. Zu dem Tag, an dem er sie gegen die Wand gepresst hatte. Weil… War er selber schuld an der Situation? Hatte er es forciert?

 

„Abgesehen von den offensichtlichen Dingen, die Lucius ihr angetan hat?“, fügte Snape leiser hinzu. Dracos Fäuste ballten sich, wann auch immer diese Erinnerung an die Oberfläche kochte.

 

„Ich… nein“, erwiderte Draco jetzt gepresst. „Ich wüsste nicht, was passiert sein sollte“, antwortete er jetzt und blickte angestrengt auf die Bücherregale an der Wand.

 

„Du musst mit ihr sprechen.“ Bald würde ihm noch der Kragen platzen.


„Wieso muss ich mit ihr sprechen? Wieso muss immer ich alles tun? Wieso gehst du nicht zu ihr? Wieso erklärst du es ihr nicht? Es war deine Idee, Severus! Es ist alles dein Plan, dein Wagnis. Ich bin nicht hier, weil…“

 

„Warum bist du dann hier, Draco?“, fuhr Snape ihn an. Die Stimmung war immer zum Zerreißen gespannt, fiel ihm auf. Manchmal vermutete er, dass Snape lediglich blind vertraute, anstatt wirklich alle Informationen zu besitzen, und dass er unsicher wurde, jedes Mal, wenn Draco seine Zweifel äußerte.

„Erzähl mir nicht, dass du plötzlich eingesehen hast, dass das Todesser Dasein endlich ist! Das glaubst du dir doch selber nicht!“

 

„Was willst du eigentlich von mir?“, schrie er jetzt zornig. „Ich bin hier oder nicht? Ich erfülle deine scheiße Aufgaben, die du mir auferlegst, Severus!“

 

Das Haus war zwar groß genug für drei, aber bei weitem nicht groß genug, um sich aus dem Weg gehen zu können, wurde ihm klar. Snape schien sich zu besinnen.

 

„Schön. Aber willst du wirklich, dass ich ihr das sage? Willst du das wirklich?“ Kurz musste er überlegen. Es hatte natürlich seinen Reiz, würde er Granger diese Nachricht überbringen. Allein schon, weil es sie fertig machen würde.

Es war etwas, was eigentlich viel zu gefährlich war. Eigentlich war er sauer auf sie, dass sie ihm das angetan hatte! Als hätte sie nicht wen anders auswählen können. Aber nein.

Den Gefallen tat sie ihm nicht. Und sich selber scheinbar auch nicht.

 

„Gut. Aber die nächsten Zeilen, die du detailliert findest, kannst du ihr selber erklären. Hast du überhaupt schon rausgefunden, wie der Zauber ausgeführt werden muss?“, fragte er jetzt, ungehalten darüber, dass Snape ihn schon wieder überredet hatte.

 

„Nein, habe ich nicht. Aber ich habe eine Ahnung, wo sich diese Zeilen befinden.“

 

„Woher weißt du diese Dinge?“

 

„Weil dein Vater eine Vorliebe dafür hat, Schriften aus Merlins ersten drei Zeitaltern zu sammeln“, erwiderte er bitter. Dracos Augen weiteten sich.


„Du brichst bei uns ein?“, flüsterte er schockiert.

 

„Leider ist es mir erst später klar geworden, dass Lucius vielleicht der Schlüssel zu unseren Problemen sein könnte und zweimal hatte ich bereits Glück.“

 

„Und Glück ist hier das richtige Wort! Wenn er dich findet, denkst du nicht, dass du dann ziemlich in der Scheiße sitzt, Severus?“ Snape verzog den Mund erneut.

 

„Das weiß ich selber, Draco. Aber Lucius ist Gott sei Dank die meiste Zeit betrunken und zornig. Jetzt laufen zwar die Todesser Sturm. Sie wissen, dass etwas faul ist. Bellatrix hat das Gerücht verbreitet, dass du Hermine geschwängert hast, und deshalb mit ihr geflohen bist. Sie suchen Potter noch stärker als vorher, weil sie denken, du bist bei ihm. Mit ihr.“ Draco musste diese Information verarbeiten.

 

„So etwas erzählt dieses verrückte Miststück?“

 

„Es ist Bellatrix“, erwiderte Snape schlicht.

 

„Gehst du wieder zurück?“

 

„Ich habe morgen wenigstens eine gute Ausrede. Ich bin nämlich eingeladen, um über deinen Aufenthalt zu mutmaßen. Zuerst wurde ich verdächtigt, dich und Hermine versteckt zu haben, aber mittlerweile hat sich diese These zerschlagen.“ Er klang ein wenig amüsiert.

 

Bei Draco schrillten allerdings alle Alarmglocken.

 

„Du wurdest eingeladen? Dir ist klar, dass das eine Falle ist, oder?“

 

Und dass Snape nichts dazu sagte, ließ sein Herz gefrieren. „Du wirst doch nicht wirklich Folge leisten? Das ist nicht dein Ernst!“ Snape fuhr sich müde über die Stirn.


„Draco, wie denkst du, sieht es aus, wenn ich plötzlich absage und nicht mehr komme? Ich muss das Bild aufrecht erhalten. Würde ich jetzt Schwäche zeigen, dann wüssten sie, wo sie suchen müssen. Ich bin schon froh, dass sie bis hier hin noch keine Ahnung haben.“

 

„Was, wenn sie morgen etwas Übles vorhaben? Was, wenn sie dich nicht einfach gehen lassen? Was, wenn sie Fragen stellen, dich foltern, dich-“ Er beendete diesen Satz nicht.

 

„Draco, bitte, du musst ruhig bleiben. Du musst tun, was du versprochen hast. Ich werde morgen gehen müssen, damit mir die Chance bleibt, die Unterlagen deines Vaters zu durchsuchen.“ Draco schüttelte den Kopf.


„Lass mich das machen“, bot er hastig an.

 

„Nein. Ich kann nicht auf dich verzichten. Du musst bleiben, außerdem bist du jetzt auf der schwarzen Liste“, fügte er hinzu. „Mit Potter.“ Dracos Mund schloss sich. Er hatte sich im Bezug auf seinen Vater also nicht geirrt.

Er würde ihn bedenkenlos ausliefern. Arschloch.

 

„Und du bist nicht auf dieser Liste?“ Wieder schwieg Snape.


„Du musst mir versprechen, das Haus nicht zu verlassen.“

 

„Dann versprich du mir, dass du morgen auch wieder kommst“, forderte Draco kalt.

 

„Sicher komme ich wieder.“ Snape sah ihn dabei nicht an. Draco konnte nur wieder und wieder den Kopf schütteln. Dann hob sein Pate den Blick.

 

„Willst du darauf den Unbrechbaren Schwur ablegen?“, fragte er und Draco wusste augenblicklich, weshalb er das wollte. Er war zurückgewichen.


„Du hast nicht die Absicht wieder zu kommen!“, flüsterte er voller Hass.

 

„Doch, ich habe die Absicht, wieder zu kommen, ich habe nur…“

 

„Ich weiß, was du hast!“, rief er lauter. „Aber das werde ich nicht tun. Ich besiegel nicht deinen verdammten Tod, Severus!“ Er war zur Tür zurück gewichen.

 

„Draco, wir wissen, dass es unausweichlich sein wird. Bald“, fügte er hinzu. „Und wenn wir den Schwur leisten, dann ist es nur eine Vorsichtsmaßnahme.“

 

„Nette Umschreibung für das, was es wirklich ist“, knurrte Draco verächtlich.

 

„Bitte, hör mich an“, fuhr Snape ungerührt fort. „Natürlich plane ich morgen wieder zu kommen. Und am Tag darauf und darauf… Ich plane das alles schon wesentlich länger, als du es dir vorstellen kannst“, erklärte er ungeduldig. „Aber… man muss manchmal Opfer bringen, Draco, ist dir das immer noch nicht bewusst?“

 

Ob ihm das nicht bewusst war? Was dachte Snape eigentlich, was er hier tat?

 

„Aber, wenn du mir den Gefallen tun würdest… und die unwahrscheinlich Situation eintritt, dass es mir irgendwann nicht möglich sein sollte, wieder zu kommen, weil… nun ja, weil man mich nicht lässt, dann…“

 

„Das ist nicht legal“, widersprach er und wusste, wie lächerlich es war, dass gerade er vom Gesetz sprechen musste.

 

„Es ist das Vernünftigste, was wir tun können!“ Draco atmete aus. Er brauchte mehr Zeit. Er brauchte für alles einfach mehr Zeit. Er konnte doch so etwas nicht einfach entscheiden!

 

„Wir brauchen eine dritte Person dafür“, sah Draco die Rettung jetzt. Snape lächelte.


„Nicht, wenn die Konsequenzen nur für eine Person gelten.“

 

„Doch auch dann.“

 

„Mr Malfoy, ich glaube, Sie haben in Verwandlung nicht richtig aufgepasst“, erwiderte Snape ruhig. Draco schüttelte gereizt den Kopf.

 

„Hör auf damit!“

 

Snape streckte die Hand aus. „Bitte, Draco.“

 

Draco schüttelte langsam den Kopf. „Ich bitte dich inständig. Als dein Pate. Damit wir lebend aus dieser Sache rauskommen.“ Draco würde doch noch hysterisch werden. „Ich verlange viel von dir, ich weiß. Aber… jetzt ist deine Rolle genauso wichtig wie Hermines. Wenn sie irgendwas von mir erfahren würden…! Es wäre einfach verehrend. Es wäre tödlich. Für alle!“

 

Draco schloss die Augen.

 

„Ich kann dich nicht verlieren!“, sagte Draco plötzlich und seine Stimme klang nicht mehr so, wie er sie gewöhnt war. Sie war plötzlich erstickt. „Ich habe niemanden mehr!“, fügte er beinahe zornig hinzu. „Und jetzt verlangst du von mir, dass ich auch noch deinen Tod billigend unterstütze?“ Er schüttelte wieder den Kopf.

 

Snape blieb still. „Schön, wenn du ein verdammter Held sein willst, Severus. Aber wie viele andere Seelen müssen dabei auf der Strecke bleiben?“

 

„Draco….“, sagte Snape langsam. „Ich habe nicht vor, mich umbringen zu lassen. Ich habe nicht vor, dich allein zu lassen, hast du das verstanden?“ Wenn er weinen würde, würde er sich wahrscheinlich selber verfluchen müssen, überlegte Draco müde und streckte den Rücken durch.

 

„Dann gib mir Aufgaben ab. Richtige Aufgaben. Nicht diese Babysitter-Aufgaben. Wenn ich dir diesen Gefallen tue und den Schwur leiste, dann verlange ich, etwas tun zu dürfen! Gib mir eine verfluchte Aufgabe!“

 

Snape überlegte kurz. Dann gab er nach.

 

„Abgemacht“, war alles, was er sagte, ohne Draco aus dem Blick zu lassen.

 

„Ich hasse dich“, sagte Draco nur und fühlte plötzlich die Welle der Macht durch sich strömen. Er tat etwas ziemlich Erhebliches. Er hob die Hand und fühlte sich zu ersten Mal stark und überlegen und gebraucht. Absolut wichtig.

 

Beide Männer umschlossen ihre Handgelenke im festen Griff.

 

„Severus Snape, du schwörst, die Vorsicht zu beachten und dich in keine offene Gefahr zu bringen“, sagte er und die Worte fielen ihm leicht. Snape berührte mit dem Zauberstab ihre Hände und das erste Band – es war grün – umschlang ihre Hände. Bei dem üblichen Schwur war es silbern, wusste Draco. Denn er hatte sehr wohl in Verwandlung aufgepasst.

 

„Das schwöre ich“, sagte Snape und Draco konnte den Blick in seinem Gesicht nicht wirklich deuten. War es Stolz? Angst? Oder beides?

 

„Severus Snape, du schwörst, zu kämpfen, mit all deiner Kraft, um den Schwur zu halten und jede Möglichkeit zu nutzen, die du hast.“

 

„Das schwöre ich.“ Jetzt legte Draco seinen Zauberstab auf ihre Hände. Das nächste Band war golden.

 

„Severus Snape, du schwörst, zu diesem Haus zurück zu kommen, wann immer du es verlässt, unter allen möglichen, lebendigen Umständen.“ Draco ließ nicht zu, dass seine Stimme auch nur ein einziges Mal zitterte.

 

„Das schwöre ich“, sagte Snape zum letzten Mal und das letzte Band hatte eine giftige rote Farbe. Draco spürte die Kraft des Schwurs, spürte, wie sie auf Snape überging und er ungebunden zurück blieb und wusste, weshalb dieser Schwur so verboten war. Der übliche Schwur verpflichtete beide Parteien zum Tod.

 

Und hier kam er selber immerhin lebend aus der Sache raus, wenn der Schwur gebrochen wurde. Snape allerdings nicht. Und er wusste nicht, für wen dieser Schwur härter zu tragen war.

 

 

Teil 17

 

Sie hatte alle Sachen, die sie lose verteil hatte, in ihre Tasche geworfen.

Unter keinen Umständen würde sie noch einen Tag länger bleiben. Es war zu gefährlich. Sie war regelrecht eine Gefahr für sich – für die anderen.

Sie strich sich hektisch eine Strähne zurück.

Snape war bereits früh verschwunden und wenn sie nicht durch das Haus lief, dann würde man ihr Verschwinden vielleicht gar nicht bemerken.

 

Es tat ihr leid um Snape und um den Aufwand, aber… was blieb ihr denn für eine Wahl? Sie musste zurück. Sie musste zu Harry, denn hier konnte sie einfach nicht länger bleiben.

 

Nicht mit ihm.

 

Sie hatte wieder von ihm geträumt. Sie meinte, sich auch zu erinnern, dass er gestern Abend noch nach ihr gerufen hatte, aber sie hatte ihre Zimmertür schon abgeschlossen gehabt. Er hatte also nicht mehr mit ihr streiten können, oder was auch immer er vorgehabt hatte.

 

Den Zauberstab steckte sie in ihre Tasche und er guckte ein Stück weit raus. Aber das war unwichtig, sie würde ihn ja gleich sowieso brauchen.

Harry hatte seinen Umhang wieder mitgenommen. Das war natürlich ärgerlich, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.

Sie konnte sowieso keine Rücksicht mehr nehmen.

 

Sie musste jetzt auch an sich denken.

Sie wollte auch nicht mit Snape sprechen, weil er sie noch ganz wahnsinnig machte, mit dem Gerede über die Waffe und ihrer Macht.

 

Sie war fertig. Die Tür war immer noch abgeschlossen. Sie öffnete das Fenster und lugte vorsichtig nach draußen. Sie konnte niemanden entdecken. Der Garten hinter dem Haus war nur ein schmaler Streifen Rasen. Ansonsten begann direkt eine kleine Seitenstraße. Draußen war es schmutzig und kalt. Niemand war unterwegs. Todesser konnte sie nicht entdecken.

Aber die Barriere stand auch noch. Sie musste sie nur kurz verlassen.

 

Dann würde sie apparieren. Sie hatte den Zettel gesehen, der in der Küche lag. Mit den Kaminen, an denen Harry sein würde.

Sie würde gleich in die Bleaker Street apparieren und von da aus mit Harry ins Quartier zurück gehen.

Das war genauso gut. Snape konnte sie auch da finden. Und Blut konnte sie sich selber abnehmen. Dafür brauchte sie Malfoy auch nicht.

 

Sie schulterte die Tasche, warf einen knappen Blick zurück und kletterte aus dem Fenster, das alte Spalier hinunter. Dort wuchsen keine Pflanzen. Toter Efeu hing schlaff in den Sprossen und brach unter ihren Füßen.

Nach wenigen Metern konnte sie auf den Boden springen.

 

Sie richtete sich auf. Die Tasche hing immer noch über ihrer Schulter. Sie konnte in Snapes Wohnzimmer blicken.

Und ihr Plan hatte einen Haken.

 

Malfoy konnte sie sehen.

 

Nein, eigentlich sah Harry sie, denn Malfoy unterhielt sich mit ihm im Kamin. Und jetzt hatte er es Malfoy wohl gesagt, denn dieser hatte sich hektisch umgewandt. Er sagte etwas, aber sie verstand es natürlich nicht.

 

Also war Harry gerade in der Bleaker Street. Sie konnte es also schaffen.

Es sei denn, sie würde noch länger zögern. Sie wandte sich um. Ihr Herz schlug verräterisch laut. Mist, sie war dämlich. Aber sie hatte keine Zeit gehabt, für einen bombensicheren Plan.

 

„Granger!“, schrie er außer sich und hatte die Terrassentür aufgerissen. Eine Terrasse hatte Snape zwar nicht, aber ein paar Steine waren um die Tür angeordnet. Malfoy stürmte hinter ihr her. „Was denkst du, tust du?“ Er versuchte seine Stimme wieder zu beruhigen. Sie hielt nicht an und hatte den Bordstein erreicht.

 

„Ich gehe zu Harry“, erklärte sie würdevoll, ohne sich umzusehen.

 

„Das denke ich nicht. Du kommst sofort wieder rein. Weißt du, wie gefährlich das ist? Du kannst nicht nach draußen! Sie könnten dich sehen und töten!“, fuhr er fort.

 

„Ich bleibe nicht hier.“ Er hatte sie doch erreicht und riss sie am Arm herum.


„Hör zu, du undankbares Schlammblut, du wirst deinen verfluchten Hintern sofort nach drinnen bewegen, bevor ich mich vergesse und dich außer Gefecht setze!“, knurrte er und kurz hatte sie Angst vor ihm. „Du bist hier in Sicherheit. Nicht bei Potter, nicht bei irgendwem!“

 

„Lass mich los!“ Sie riss ihren Arm zurück, aber er zog sie einfach mit sich.


„Malfoy!“

 

„Und sag meinen Namen hier nicht so laut, verflucht!“ Grob zog er sie weiter.


„Nein!“ Sie griff nach ihrem Zauberstab. „Stupor!“ Mit Wucht flog er nach vorne und fiel fast in die Terrassentür. Er blieb für einen Moment reglos liegen und etwas in ihrem Innern zerrte an ihrem Bewusstsein. Nein! Was hatte sie getan?

 

Doch er richtete sich langsam wieder auf. Zumindest hockte er jetzt. Benommen schüttelte er den Kopf. Sie erhob den Zauberstab und richtete ihn auf seine Brust. Ihre Hand zitterte lächerlicherweise.

 

„Wehe du kommst näher! Ich werde jetzt apparieren.“ Sie sah, wie er den Mund öffnete, wie der Zorn über sein Gesicht zuckte. Seine Hand blutete, stellte sie fest.


„Granger, du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich deine scheiß Visage los wäre!“ Seine Stimme war nur ein raues Knurren. „Aber du könntest es überhaupt nicht aushalten! Du würdest schneller zurück wollen, als es dir bewusst wäre.“

 

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Nein, Malfoy. Ganz bestimmt nicht!“, widersprach sie und wich zurück. Sie hörte Stimmen. Leise. Es war nur ein Murmeln. Hinter der Barriere von Snapes Haus. Dort waren Menschen. Muggel? Wahrscheinlich nicht, denn die wären keine Gefahr, wurde ihr klar.

 

Malfoy war aufgesprungen und hatte den Abstand zu ihr überwunden. Sie wollte etwas tun, aber er schlug ihr den Zauberstab aus der Hand.

 

„Halt den Mund“, flüsterte er angespannt, legte ihr den Finger kurz auf die Lippen und stellte sich vor sie. Er breitete die Arme vom Körper aus, als könne sich jede Sekunde jemand auf sie stürzen. Sie hielt den Atem an.

 

„War es nicht hier? Ich war mir sicher, etwas gehört zu haben!“ Sie kannte die Stimme nicht. Malfoy vor ihr fluchte leise.

 

„Vielleicht ist es in der nächsten Straße?“

 

„Unsinn.“

 

„Und wo ist es?“

 

„Vielleicht hat der Mistkerl sein Haus versteckt?“

 

„Weshalb sollte er das?“

 

„Vielleicht, damit keiner es ausspionieren kann, Dolohow?“ Die Stimme klang gereizt und unfreundlich. Todesser, wurde ihr klar, denn den Namen kannte sie! Unbewusst wich sie näher an Malfoys Rücken, bis sie seine Wärme und den Stoff seines Pullovers spüren konnte. Er streckte den Rücken durch und seine Atmung wurde flacher.

 

„Einen Illusionierungszauber?“, fragte Dolohow jetzt unsicher und kurz war es still.

 

Revelare“, gellte eine Stimme von der anderen Straßenseite zu ihnen, aber der Körper dazu blieb unsichtbar. „Mistkerl“, sagte die Stimme jetzt. „Sein Haus ist hier. Aber für uns nicht zugänglich. Möchte wissen, was er versteckt.“

„Ja, oder wen“, erwiderte Dolohow.

 

„Wen?“

 

„Ist er nicht der Pate von Malfoys Jungen?“ Sie spürte, wie Malfoy vor ihr kurz und scharf die Luft einsog.

 

„Du denkst, er versteckt Malfoys Sohn?“

 

„Warum nicht? Ihn und die Schlammblut Schlampe“, fuhr Dolohow geschäftig fort.


„So dumm ist nicht mal Snape“, widersprach die heisere Stimme jetzt ungeduldig. „Wir sollten Bellatrix holen. Sie kennt bessere Sprüche.“

 

„Sie ist doch in Malfoy Manor. Snape ist dort auch. Wir könnten ihn einfach fragen.“

 

„Ihn fragen, ob er Malfoys Jungen hier versteckt? Wenn er das tut, dann denkst du doch wohl nicht, dass er es zugeben würde, du Idiot!“ Die heisere Stimme wurde noch wütender.

 

„Na ja… wir könnten ihn… zwingen?“

 

Kurz herrschte Stille.

 

„Zwingen…? Zwingen ist gut.“

 

Sie hörte ein Zischen in der Luft. Die beiden waren verschwunden. Malfoy blieb noch für einige Momente bewegungslos vor ihr stehen.

 

„Ich muss zu ihm“, sagte er plötzlich und wandte sich zu ihr um. Sie musste den Kopf ein Stück in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können, so nah war sie ihm.


„Zu Snape? Nach Malfoy Manor?“

 

„Ja, Granger. Wegen dir…“ Doch er sprach nicht weiter.

 

„Wegen mir, was?“ fragte sie und wagte nicht, lauter zu werden.


„Nichts. Ich muss zu ihm. Du kannst bleiben, wenn du willst. Aber du verlässt nicht das Haus.“ Als sie widersprechen wollte, umfing er plötzlich ihre Schultern.

„Ich will nicht, dass du gehst, hörst du?“ Plötzlich entstand wieder ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch.

 

„Was tust du?“, flüsterte sie verwirrt, denn wieder fühlte sie sich benebelt.

 

„Das wollte… ich dir gestern noch sagen“, begann er und warf kurz einen Blick über die Schulter. „Blöderweise hast du…“ Er unterbrach sich selbst. „Aus irgendwelchen Gründen, hast du mich ausgesucht.“

 

Ausgesucht?“, wiederholte sie und ihr Herz schlug schneller.


„Ja, Granger, ausgesucht“, bestätigte er gereizt. „Natürlich hättest du dir jeden nehmen können. Potter wäre wahrscheinlich allemal besser dafür geeignet gewesen, aber Snape sagt, dass du dich in mich verliebt hast. Und damit die Prophezeiung erfüllst“, fügte er knapp hinzu.

 

Was?“ Sie starrte ihn an. Er musste lügen. „Das ist doch nicht dein ernst, Malfoy!“ Er atmete ungeduldig aus.

 

„Ach nein?“, fragte plötzlich, senkte die Stimme und lehnte sich näher zu ihr, so dass ihr Herz gleich noch ein paar Sätze machte, als sie direkt in seine blauen Augen sehen konnte. „Dann sag mir, dass du jetzt gerade kein Verlangen hast, mich zu küssen.“ Neben seiner selbstsicheren Arroganz lag noch etwas anderes in seinem Blick. Ihr Mund öffnete sich. Und schloss sich.

Und alle Worte wurden von dem Wunsch verdrängt, seine Lippen zu spüren.

 

„Oh Gott…“ flüsterte sie jetzt. „Das kann nicht sein!“ In ihrer Stimme schwang der reine Horror mit.

 

„Es ist ganz praktisch, weil ich jetzt über dich verfügen kann, Granger. Denn, wenn ich sage, du sollst bleiben, weil ich es will – dann wirst du es auch tun.“ Kurz lächelte er. Oder er deutete zumindest ein Lächeln an. Ihr wurde ganz schlecht.

 

„Nein!“, erwiderte sie, aber ihre Stimme war mit Unsicherheit getränkt.

 

„Ich könnte genauso gut von dir verlangen, dass du mich auf der Stelle willst. Völlig egal.“ Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht und sie hasste ihren Körper dafür, dass er auf seine Worte ansprang. Sie schloss die Augen ganz kurz.

 

„Nett, nicht wahr?“ Sie hörte das Grinsen in seiner kalten Stimme. Sie schüttelte nur den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute. „Und jetzt gehen wir rein, ehe Bellatrix wirklich kommt. Denn sie wird mehr Glück haben, als die beiden Armleuchter vor ihr.“

 

Er zog sie übergangslos mit sich und dieses Mal protestierte sie nicht.

 

Er schloss die Terrassentür hinter ihr und sie war wieder im Haus gefangen. Der Kamin war wieder leer. Harry war verschwunden und wahrscheinlich war er auch nicht mehr in der Bleaker Street, aber das war jetzt sowieso egal, denn anscheinend, hatte ihr Körper sie auf das gemeinste hintergangen.

 

Draco Malfoy… und es war faszinierend, wie sich Lust und Ekel in ihrem Innern gleichzeitig abzuwechseln schienen.

 

„Du bleibst hier“, wiederholte er nur, als er durch das Wohnzimmer schritt. Sie riss sich zusammen.

 

„Ich werde bestimmt nicht hier bleiben!“ Sie folgte ihm zornig. Die Tasche hatte sie in den Sessel geworfen. Kurz war er in Snapes Studierzimmer gegangen, holte eine Flasche aus einem Schrank und kam wieder auf den Flur. Sie wollte gerade eine entsprechende Frage stellen, als seine Stimme sie unterbrach.

 

„Du wirst dich nicht widersetzen.“ Er sprach im Gehen. Im Flur zog er den Reiseumhang von der Garderobe und warf ihn über. „Ich wusste, dass es schief gehen wird!“, sagte er mehr zu sich selbst, stellte sich vor den Spiegel und hob seinen eigenen Zauberstab zu seiner Hand. Die Wunde schloss sich, das trockene Blut verschwand. Er bewegte kurz die Finger.

 

Schuld überkam sie. Aber nur kurz. Dann setzte er den Zauberstab auf seinen Haaransatz und blickte sich ins eigene Gesicht. Ihr Mund öffnete sich, aber die Worte erstarben auf ihrer Zunge.

 

Porlongo“, sagte er fest und plötzlich wuchsen seine Harre über seine Ohren, über seine Stirn, sein Kinn, seine Schultern. Dann zog er den Zauberstab ruckartig zurück. Sie starrte ihn entgeistert an. Er hexte ein Band aus dem Nichts und band die langen blonden Haare zum Zopf.

 

Beinahe erschrak sie, als er sich jetzt zu ihr umwandte, denn… auf den allerersten Blick war er von seinem Vater nicht zu unterscheiden gewesen. Nur die Augen… waren anders. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie.


„Du wirst hier bleiben“, wiederholte er ruhiger. Sie sah ihn immer noch an.

 

„Was… was hast du vor?“, fragte sie und vergaß, dass sie eigentlich sauer auf ihn war.


„Ich werde nach Malfoy Manor apparieren und sehen, ob ich Snape da raus holen kann. Ohne ihn sind wir… auf uns selbst gestellt“, endete er, obwohl sie ahnte, dass das nicht die Worte waren, die er hatte wählen wollen.

Pecuniosus soleo“, sagte er jetzt und richtete den Zauberstab auf seine Kleidung.

 

Samtspitze brach aus seinem Umhang hervor. Seide und schwarzer glatter Stoff ersetzen seinen Pullover. Glänzende Schuhe erscheinen an seinen Füßen und der Umhang kam ihr plötzlich dicker vor.

Und jetzt trug er sogar die Kleidung, die nötig war, um ihn mit Lucius Malfoy zu verwechseln.

 

„Ich komme mit!“, sagte sie plötzlich, voller Tatendrang.

 

Er schüttelte bloß den Kopf. „Du wirst hier bleiben. Potter wird gleich auftauchen“, fügte er unwillig hinzu.


„Harry kommt hier hin?“, fragte sie jetzt und er nickte nur.

 

„Und vergiss nicht, dass du ihn auffordern musst, sich zu erkennen zu geben, verstanden?“ Er schlug den Kragen des feinen Umhangs nach oben. Kurz sah er sehr streng aus.

 

„Wann kommst du wieder?“ Sie hatte es gar nicht fragen wollen. Es war die andere Hermine. Die dämliche Hermine. Die mit den Gefühlen. Er lächelte kurz und glich seinem Vater in keinster Weise mehr.


„Vermisst du mich jetzt schon?“ Der Scherz sollte wohl seine Anspannung überspielen. Sie schüttelte angestrengt den Kopf.


„Ich bin außerdem nicht verliebt in dich“, sagte sie jetzt. Er nickte langsam.

 

„Natürlich nicht.“ Seine Hand hob sich zu ihrem Gesicht und seine Augen musterten sie. Seine Finger schoben eine Strähne hinter ihr Ohr.

 

„Wenn wir nicht wieder kommen, dann geh mit Potter“, sagte er bloß. Ihr Herz zerriss ganz kurz. Es war ein unglaublicher Schmerz. Die normale Hermine in ihr, wollte sich zusammen reißen.

Die andere aber nicht. Und die gewann auch noch die Oberhand. Wieder fanden ihre Arme den Weg zu seinem Hals und sie warf sich gegen seine Brust. Es war schon fast lächerlich. Sie spürte sein Lachen deutlich.

 

„Gut, dass du mich nicht leiden kannst.“

 

„Arschloch“, flüsterte sie und konnte es dennoch nicht über sich bringen, ihn loszulassen. Immerhin hatte sie es vermeiden können, ihn schon wieder zu küssen. Ihr Puls jagte mittlerweile.

 

Er löste ihre Arme von seinem Hals und schob sie von sich.

„Bis später. Mach keinen Blödsinn und bring dich nicht in Gefahr.“ Seine Stimme klang sicherer als er sich fühlen musste, denn es kam ihr so vor, als wäre er bleicher geworden. Sie schämte sich immer noch furchtbar.

 

Aber sie biss sich fest auf die Zunge, damit sie ja nichts Dummes sagen würde, was sie noch bereuen konnte. Damit verschwand er. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und sie hörte, wie er sie noch von außen versiegelte.

Dann war er verschwunden.

 

Und eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Sie kam allerdings nicht weit, denn rigoros wischte sie das lästige Beweisstück fort.

Immerhin war es wohl… nicht ganz ihre Schuld. Bewusst hatte sie das nicht gewollt. Sie wollte ihn nicht. Wirklich nicht. Und während sie das dachte, fiel ihr auf, wie schrecklich sie ihn schon vermisste.

 

Sie schloss die Augen und wurde wütend auf sich selbst.

 

 

Teil 18

 

Das Gefühl war kaum zu beschreiben. Angst war wohl unvermeidlich, aber dieses andere Gefühl war größer. Neben der Wut kam nämlich die Überlegenheit hinzu. Die Überlegenheit, vielleicht das richtige zu tun, und damit nicht falsch liegen zu können.

 

Seine Schritte beschleunigten sich. Er wusste nicht genau, weshalb es existenziell wichtig war, dass er Snape hier her gefolgt war, aber er wusste, dass er es musste, denn… nein, er wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Wie in Trance löste er den Bann auf den Toren vor Malfoy Manor und durchschritt den langen Heckengang, darauf bedacht, dass er sofort angegriffen werden konnte.

 

Niemand kam.

 

Das war seltsam genug.

 

Er sah das Haus schließlich. Ruhig lag es in dem riesigen Garten, den er früher als Kind stundenlang erkunden konnte. Jetzt kam er ihm gruselig und höchst bedenklich vor. Die Pfauen waren schon seit Jahren verschwunden. Und er wollte nicht wissen, was der Grund dafür war, denn Pfauen konnten nun mal nicht fliegen. Jedenfalls nicht besonders weit oder besonders hoch. Um die Mauern zu überwinden… Nein – es war für die Tiere einfach nicht möglich. Er hielt sich nicht gerne länger hier auf.

 

Er ging nicht durch die Tür. Es gab natürlich hundert andere Wege, die er kannte. Aber er wusste auch, dass ihn hier niemand mit offenen Armen empfangen würde. Sie würden Snape bestimmt dort gefangen halten, wo kein Fenster nach draußen führte. Er war sich sicher, Snape war im kleinen Salon im Erdgeschoss. Das Zimmer neben dem Zimmer, in dem sie Granger gefangen gehalten hatten.

 

Granger… Kurz dachte er an sie. Ein seltsames Gefühl entstand in seiner Magengegend. Er hatte noch keine Zeit gehabt, näher über diese Situation nachzudenken, sich Gedanken darüber zu machen, wie es weiter gehen sollte. Ob es weiter gehen sollte! Denn… klar war, dass sie keine Gefühle für ihn haben wollte, jetzt aber wohl doch hatte. Und er wusste nicht, ob das besonders gut oder wirklich, wirklich schlecht war.

 

Er schlich um das Haus. Schwere Vorhänge verbargen den Blick durch die hohen Fenster. Um der nächsten Ecke hielt er inne. Dolohow war an der Wand eingeschlafen. Natürlich war dieser Mistkerl hier und hielt Wache. Draco hob den Zauberstab und verfluchte ihn stumm. Der Schockzauber traf den Mann unerwartet, und ehe er aufwachen konnte, war er an der Wand zusammen gesunken.

 

Draco verspürte kein Mitleid.

 

Er näherte sich dem Hintereingang. Natürlich war auch dieser mit Sprüchen gesichert. Und Draco war sich sicher, dass sein Vater sie nicht ändern würde, nur weil sein Sohn abhanden gekommen war. So arrogant war sein Vater nämlich.

Sein Vater…! Lucius, der Granger vergewaltigt hatte! Wut kochte an die Oberfläche, als er zornig auch hier die Bannsprüche löste und die Tür lautlos aufzog.

 

Sie führte in den Keller. Er war gewölbt, grau und feucht. Die einzigen Geräusche hier kamen von den Wassertropfen, die in Pfützen auf den Boden tropften. Er nahm an, dass Wasser drang von außen durch die Wände. Sein Vater hatte sich nie die Mühe gemacht, diesen Schaden zu beheben.

 

Langsam durschritt er die Gänge und erreichte die Treppe, die nach oben führte. Soweit stellte sich niemand in seinen Weg, und er war sich nicht sicher, ob er nicht schon selber in eine Falle gelaufen war.

Aber eines konnte er mit Sicherheit sagen: Sein Vater traute ihm nicht zu, irgendwas alleine zu bewältigen. Also hatte er eine gute Chance, dass er hier rauskommen würde, ohne dass es jemand bemerkte.

 

Er öffnete sehr leise die Tür und linste nach rechts und links. Die Gänge lagen verlassen vor ihm. Jetzt brauchte er nur die richtige Gelegenheit. Und er entdeckte sie sogar! Das war der äußerste Knackpunkt seines Plans gewesen. Aber den schien er vielleicht überwinden zu können. Die Sucht seines Vaters kam ihm sehr gelegen.

 

Lucius war gerade in sein Studierzimmer gegangen. Denn dort bewahrte er den teuren Alkohol auf. So viel wusste selbst er. Er folgte ihm leise und hoffte, dass ihm jetzt niemand in den Weg kam.

Kaum war sein Vater im Zimmer verschwunden, zog er den Zauberstab.

Er wartete keine zehn Sekunden und öffnete die Tür mit einem Ruck. Schnell suchten seine Augen den vertrauten Raum ab. Lucius saß müde in seinem Sessel und sein Mund öffnete sich überrascht, als er ihn erkannte.

 

Draco ließ ihm nicht die Zeit, zu sprechen.

Er schrie den Fluch förmlich. Obwohl er das nicht hatte tun wollen. Sein Vater sank augenblicklich auf dem Schreibtisch zusammen. Jetzt hatte er nicht viel Zeit übrig. Hastig ging er um den Tisch, schaltete alle Gefühle ab, die ihn überkamen, rupfte ein paar Haare vom Kopf seines Vaters, ohne große Vorsicht, und gab sie in die Flasche, die er zuvor von Snape entwendet hatte.

 

Sie lösten sich unter Zischen in dem widerlichen Gebräu auf und es nahm eine tief violette Farbe an. Er trank hastig große Schlucke und schraubte die Flasche zu, ehe sie ihm aus der Hand fallen konnte.

Die Veränderung schmerzte nicht besonders. Der Vielsafttrank übernahm die Attribute des anderen und projizierte sie auf den eigenen Körper. Allerdings gab es hier nicht viel mehr.

 

Die Züge in seinem Gesicht änderten sich. Sie wurden ein wenig straffer und seine Schultern spannten sich ein wenig fester an. Die Größe blieb dieselbe. Und seine Haare wurden noch etwas länger, spürte er. Da hatte er sich also verschätzt gehabt. Der Umhang saß immer noch gleich. Er war also genauso groß wie Lucius.

 

Er zögerte nicht länger und schob seinen Vater aus dem Stuhl und bugsierte ihn mehr oder weniger sanft unter den mächtigen Schreibtisch. Keine Sekunde zu früh.

 

„Ich kann nicht begreifen, dass du ständig trinken musst! Du widerst mich an, mit deiner Abhängigkeit. Wir haben hier wichtige Dinge zu erledigen und du – was?“ Bellatrix sah ihn zornig an. „Was starrst du so? Bist du schon so betrunken, dass-“ Er beschloss sie abzuwürgen, umschritt den Tisch, damit sie ja nicht näher kam und räusperte sich. Er wusste, seine Stimme ähnelte der seines Vaters sowieso.

 

„Halt den Mund und lass uns gehen.“


„Oh, du lallst ja gar nicht, Lucius“, bemerkte sie spöttisch und hob die Mundwinkel zu einem bösen Lächeln. Nichts erinnerte ihn an seine Mutter. Absolut gar nichts an dieser Person, die dieselben Gene in sich trug.

Die langen schwarzen Haare fielen über ihre Schultern und wirkten nicht gerade gepflegt. Ihre dunklen Augen musterten sein Gesicht kritisch.

 

„Was ist noch?“, gab er harsch zurück.

 

„Anscheinend hasst du mich heute mehr als sonst…“, sagte sie plötzlich ruhiger. Draco kam ein sehr gefährlicher Gedanke, als seine Tante plötzlich näher kam. Und er versuchte sehr angestrengt, sich zu beruhigen. „Wenn du willst, können wir Snape noch etwas warten lassen…“ Jetzt klang ihre Stimme nicht mehr feindlich. Nein, bei Merlin! Ihre Hand fuhr über seine Brust. Er fing sie ab und zwang sich, sie unbeteiligt anzusehen.

 

„Später. Wir haben jetzt keine Zeit dafür“, erwiderte er und hoffte, dass seine Stimme ihn nicht verraten würde. Sein Vater war ein widerlicher Mann! Kaum war seine Frau fort, nahm er sich die Schwester. Oh Merlin! Draco zwang die Übelkeit weit in eine andere Ecke.

 

„Keine Zeit?“, entgegnete sie beleidigt. „Sonst kann es dir nicht schnell genug gehen.“ Er wollte den Kopf schütteln, wollte sie von sich stoßen, aber er widerstand dieser großen Versuchung. Sie lehnte sich vor und streifte seine Lippen mit ihren eigenen. Rau und kalt. Sie wollte die Arme um seinen Nacken legen, doch er umfing ihre Schultern. Er war nur ein wenig größer als sie.

 

„Später“, sagte er mit Nachdruck und zwang sich, den Kopf noch einmal zu senken und presste seine Lippen hart auf ihren Mund. In seinem Kopf musste er gegen den Ekel kämpfen. Ihre Gegenwehr verschwand und er löste sich von ihr. Und er versuchte unbeteiligt auszusehen.

 

„Gut, später…“ Und er musste daran denken, was sie sagen würde, wenn der echte Lucius aufwachen würde und ihr erklären müsste, dass sein Sohn seine Rolle übernommen hatte. Er hoffte inständig, Bellatrix würde dann vor Scham sterben müssen. Der Gedanke, dass er bei Granger überhaupt keinen Ekel empfand, nagte irgendwo an seinem Bewusstsein, aber er hatte jetzt bei Merlin keine Zeit auch noch darüber nachzudenken!

 

Er verließ vor ihr das Zimmer. Sie folgte ihm, und ab und an berührte ihre Hand die seine. Wie beiläufig… Und er erinnerte sich gut an die unzähligen Streitereien, die sein Vater mit Bellatrix hatte. War das alles nur Schau gewesen? Seit wann lief diese widerliche Sache? Und hatte seine Mutter andere Gründe gehabt, zu gehen, als die völlig offensichtlichen?

 

Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken - und konnte es jetzt auch nicht.

 

Er wurde etwas langsamer, damit sie aufschließen konnte, denn er war sich schließlich nicht sicher, wo genau sie Snape versteckt hielten.

 

„Na dann beeil dich. Solange sollte diese Sache nicht dauern. Willst du ihn foltern, oder soll ich es tun?“ Gott, sie sah ihn an, wie…. Nein. So wollte er nicht, dass sie ihn ansah.


„Ich werde es tun“, gab er nur zurück. Sie lächelte jetzt und streifte noch einmal seine Hand. Er ließ es zu und tatsächlich erreichten sie den kleinen Salon. Er hoffte, sein Vater blieb noch eine Weile bewusstlos.

 

Gott sei Dank war Voldemort nicht hier. Aber dafür machte er sich natürlich keine Umstände. Nur wegen Snape. Das war ihm klar gewesen. Neben ihm und Bellatrix warteten noch zwei andere Zauberer neben Snape, der magisch auf dem Stuhl gehalten wurde.

 

Der Blick, den Snape ihm zuwarf, war voller Hass und Abscheu.

Es war etwas seltsam, aber er war ja nicht mehr Draco. Er war Lucius. Wenn auch nur für eine Stunde.

Er beschloss, diese Rolle jetzt zu spielen. Er räusperte sich.

 

„Wo waren wir stehen geblieben?“, sagte er gedehnt und zwang seine Stimme, rauer zu klingen als gewöhnlich. Seine Stimme begab sich in Tiefen hinab, die der Alkohol und die Pilzkrautzigarren seines Vaters hervorrufen würden.

 

„Unser Gast wollte uns gerade erklären, wo er deinen verfluchten Sohn versteckt hält!“, lachte der rechte Zauberer, den Draco als Gordon Snypes zuordnen konnte. Er war neu in den Reihen der Todesser und diente eigentlich nur als recht nutzloses Werkzeug.

 

„Wirklich?“, fragte Draco jetzt ruhig. „Ist er in deinem Haus, Severus?“, fragte er also und Snape starrte ihn zornig an. Draco freute sich beinahe, dass er seinem Patenonkel so ein gutes Spiel liefern konnte. Natürlich war diese diebische Freude etwas absurd, aber eigentlich war sein ganzes Leben etwas absurd geworden.

 

„Geht es wirklich darum? Draco ist doch völlig unwichtig für deine Pläne!“ Er zwang sich, nicht nachzudenken, während er sprach.

 

„Wer sich mit einem Schlammblut verbündet, verdient es nicht, den Namen Malfoy weiter zu tragen! Und Verräter werden hart bestraft!“, fügte er hinzu und hob seinen Zauberstab.

 

„Was ist? Jetzt willst du mich töten? Du lädst mich hierher ein? Willst du mich nicht mehr gehen lassen?“ Draco musste kurz nachdenken. Und er biss kurz die Zähne zusammen. Snape wollte den Schwur brechen, ging ihm auf. Sobald er bestätigen würde, dass Snape hier nicht mehr raus kommen würde, dann wäre er tot.

 

„Nein, Severus…“, sagte er also. „Du wirst dieses Haus verlassen“, fügte er hinzu und erlaubte Snape kurz, den Zauberstab näher begutachten zu können. Er hatte keine Ahnung, wie weit Snape nachdachte, aber vielleicht wurde ihm klar, dass der Lucius vor ihm, seinen eigenen Zauberstab benutzte. Vielleicht wurde ihm bewusst, dass er selber Lucius‘ Zauberstab entwendet hatte, als sie geflohen waren. Vielleicht…. Und hoffentlich wurde es ihm vor den anderen bewusst. Snape runzelte plötzlich die Stirn. Bellatrix lachte neben ihm. Draco war nicht ganz klar, welche verrückten Gedanken durch ihren Kopf rasten.

 

„Wo ist sein Zauberstab?“, fragte er jetzt und Snypes zog ihn aus der Tasche.


„Hier. Du hast mir doch gesagt, ich soll ihn nehmen“, fuhr er verwirrt vor.


„Ich weiß selber, was ich gesagt habe, verflucht!“, schrie er jetzt, so wie sein verwirrter Vater es auch getan hätte, wenn eine Kleinigkeit seinem betrunkenen Kopf entfallen war. Snypes zuckte kurz zusammen.

 

„Was willst du damit?“, fragte Bellatrix neugierig. Er nahm ihn Snypes ab. Denn dann konnte er den eigenen verräterischen Zauberstab zurück stecken.

 

„Was wohl? Ich werde ihn mit seinem eigenen Zauberstab verfluchen. Das hat doch wesentlich mehr Stil.“ Widerwillig schenkte er Bellatrix ein Lächeln, das sie erwiderte.


„Du bist böse“, flüsterte sie anerkennend. „So böse, Lucius!“ Er wandte den Blick nach vorne, suchte nach Erkenntnis in Snapes Augen. Er war sich nicht sicher. Er war sich nie sicher, was Snape dachte, wenn er ihn ansah. Er zögerte noch eine Sekunde.

 

„Bereit?“, fragte er leise. So leise, dass er hoffte, dass Snape seine Stimme erkennen würde. Er wusste nicht, weshalb er wissen musste, dass Snape es sah, aber er wollte seinen Paten nicht verfluchen, ohne dass dieser wusste, dass er es ungern tat. Snape reagierte nicht.

 

Crucio“, sprach er widerwillig und legte den Zauber mit Absicht nicht hart an. Wenig Hass ging durch seine Hand, durch den Zauberstab und nur wenig Qual traf auf Snape. Aber dieser schien verstanden zu haben.

 

Er schrie. Er schrie unter Schmerzen, unter Todesqualen und Bellatrix neben ihm, begann einen kleinen Freudentanz aufzuführen. Draco hielt den Zauberstab auf ihn gerichtet und ließ die Kraft völlig verebben. Snape schrie immer noch. So laut, dass Draco beinahe geschmunzelt hätte. Gott sei Dank hatte er verstanden.

 

„Er wird noch ohnmächtig werden!“, flüsterte Bellatrix. „Dann ist der Spaß schon vorbei“, fügte sie besorgt hinzu. Snape schrie noch einmal auf. Dann zog Draco den Zauberstab zurück. Snap sah ihn an. Vom Schauspiel stand ihm Schweiß auf der Stirn. Beinahe gespannt blickte er jetzt in sein Gesicht.

 

„Losmachen“, befahl er streng.

 

„Was?“ Bellatrix starrte ihn an.

 

„Losmachen habe ich gesagt!“, wiederholte er und die beiden Zauberer lösten die Fesseln. Mit einem entschuldigenden Blick auf Snape kam er näher, riss ihn aus dem Stuhl und warf ihn grob auf die Erde. Nach dem Fluch musste Snape so tun, als wäre er kaum bei Kräften.

 

„Und jetzt spielen wir ein Spiel“, sagte er mit grausamer Langsamkeit und warf Snape den Zauberstab vor die Füße. Dieser bleib reglos und keuchend liegen.


„Ein Spiel?“ Bellatrix schien immer aufgeregter zu werden. „Gut, ich liebe Spiele!“, fügte sie hinzu. „Du bist wirklich böse!“ Kurz glitt ihre Hand in seine. Er reagierte darauf nicht.

Er zog vorsichtig seinen eigenen Zauberstab, darauf bedacht, dass ihn niemand so genau sehen konnte.

 

„Ich würde sagen, wer den ersten Fluch loslässt, gewinnt. Was meint ihr?“, fügte er an die anderen drei gewandt hinzu. Bellatrix klatschte aufgeregt in die Hände. Die beiden Männer lachten dümmlich. Snape lag reglos vor ihm. Immer noch.

 

„Armer Severus“, lachte Bellatrix. „Es war wirklich schön-“

 

„Jetzt!“, schrie Draco mit seiner gewöhnlichen Stimme und ehe irgendjemand sonst begriffen hatte, was passiert war, war Snape auf die Füße gesprungen und Draco hatte sich umgewandt. Beide verfluchten zuerst die beiden überraschten Männer und richteten die Zauberstäbe dann auf Bellatrix. Deren Mund öffnete sich in Panik.

 

„Was…“, flüsterte sie jetzt. „Lucius, was tust du?“ Ihre Stimme wurde hysterisch.

 

„Aber Bellatrix…“, sagte Snape jetzt ruhig und kam näher. „Erkennst du deinen eigenen Neffen nicht?“, fragte er lauernd. Ihre Augen wurden größer.


Nein!“, flüsterte sie. „Unmöglich!“ Ihr Blick richtete sich auf Draco. Dann auf seinen Zauberstab. „Beim Dunklen Lord, das kann nicht…!“

 

„Grüß meinen Vater“, sagte er kalt und der Schockzauber traf sie direkt in die Brust. Mit einem überraschten Laut kippte sie zur Seite und blieb dort liegen.

„Komm, wir gehen“, sagte Draco hastig und Snape und er verließen den Raum. Sie versiegelten die Türen hinter sich.

 

„Beeindruckend“, sagte Snape leise und folgte Draco durch den Flur. „Und gefährlich“, fügte er hinzu. Draco schenkte ihm einen eisigen Blick. Snape war der richtige, der von Gefahr sprechen musste. „Du siehst wirklich scheußlich aus“, versuchte es sein Pate jetzt mit einem Lächeln. Draco rang sich ebenfalls ein schmales Lächeln ab.

 

„Vielen Dank, Severus“, erwiderte er also.

 

„Warte“, hielt ihn sein Pate jetzt auf. „Wo wir gerade hier sind…“ Sie bogen ab, in die Bibliothek. „Wir müssen uns beeilen, aber ich denke, ich habe eine ungefähre Ahnung. Jetzt, wo man hier ungestört suchen kann…“, fügte er hinzu und Draco beobachtete ihn, während sein Finger über die Buchrücken fuhr. Snape hielt inne bei den Rücken ohne Titel und zog hastig eine ganze Reihe an Bänden hervor.

 

„Diese hier sollten uns um einiges weiterhelfen.“ Draco hätte sie niemals gewählt. Sie sahen viel zu alt und nutzlos aus.

 

„Wenn du meinst“, sagte er also nur. Snape zog noch weitere Bände hervor.

 

„Das wird einiges an Arbeit kosten“, murmelte er, hexte die Bücher klein und verstaute sie in seinem Umhang.


„Wieso bist du hier her gekommen?“, fragte Draco böse.

 

„Ich musste, das weißt du“, erwiderte sein Pate und sie verließen eilig das Gebäude, ohne zurück zu blicken, nachdem sie die Tür zugezogen hatten. „Und ich… hatte akkurat darauf gehofft, dass du mir folgen würdest“, fügte er leiser hinzu.

 

„Was?“, fragte Draco jetzt und Snape blickte stur nach vorne. „Wieso hast du mir das nicht gesagt? Wieso hast du das nicht besprochen? Dann hätten wir einen besseren Plan gehabt als diesen!“ Einige der langen Strähnen lösten sich aus dem Zopf und er konnte es kaum erwarten, wieder seine eigene Gestalt anzunehmen. Er fühlte sich etwas unwohl. Und unzufrieden. Er nahm an, dass er auch die schlechten Eigenschaften seines Vaters übernahm. Dessen Süchte und Krankheiten und er musste feststellen, dass Lucius‘ Körper nicht so gesund war, wie von außen anzunehmen.

 

„Weil… das konnte ich doch wohl schlecht, Draco!“, fuhr er ihn an und blieb am Tor stehen. „Was denkst du? Dass ich meinem Patensohn sage, er soll sich in derartige Gefahr begeben?“

 

„Ich bin ohnehin in Gefahr. Egal, wo!“, gab er zurück. „Und außerdem… wir hatten abgemacht – erinnerst du dich – abgemacht, dass ich Aufgaben von dir bekomme!“ Snape musterte ihn kurz.

 

„Dann hast du jetzt die Feuerprobe bestanden, Draco. Verzeih meine Zweifel. Ab jetzt zähle ich voll auf dich. Und ich weiß jetzt auch, dass du ohne mich völlig ausgezeichnet zurechtkommen wirst.“ Diese Worte klangen bitter in seinen Ohren.

 

Jetzt dachte Snape also, er konnte sein Leben leicht riskieren, weil er, Draco, zurecht kommen würde?

 

Er seufzte, als sie den Bann lösten und wieder auf die Tore legten.

 

„Wir müssen jetzt verschwinden“, fuhr Snape fort. „Mein Haus wird jetzt nicht mehr sicher sein. Voldemort wird sich jetzt persönlich kümmern. Denn jetzt kann er nicht mehr leugnen, dass wichtige Dinge vor sich gehen“, fügte er hinzu. Draco nickte nur.

 

Sie apparierten stumm und kamen endlich wieder in der vertrauten Straße an.

 

 

Teil 19

 

Die Tür öffnete sich. Harry und sie waren aufgesprungen und Harry hatte vor ihr den Flur betreten und den Zauberstab gehoben. Augenblicklich wurde ihr schlecht.

Snape hatte Lucius Malfoy mitgebracht! Er wollte sie doch verraten. Snape war nicht ihr Freund! Und wo war Draco?

 

„Gebt euch zu erkennen!“, rief Harry, der selber noch in der Vielsafttrankgestalt neben ihr stand.

 

„Ich bin Severus Snape, ich schwöre auf den letzten Horkrux, die Schlange Nagini, die wir töteten!“, erklärte Severus laut. Harry richtete den Zauberstab auf Lucius Malfoy.


„Gib dich zu erkennen“, knurrte er jetzt. Und Lucius Malfoy schien zu überlegen. Ihre Hände zitterten. Dunkel kamen Erinnerungen an die Oberfläche. Dunkel wusste sie, wo er sie berührt hatte, wo er sie gezwungen hatte, ihn zu berühren, wie er in ihr war und wie sie es gehasst hatte und nichts tun konnte! Sie wollte ihn umbringen!

 

„Ich bin Draco Malfoy. Im zweiten Jahr habe ich dich zum Duell im Astronomie Turm aufgefordert und bin nie gekommen. Stattdessen habe ich-“

 

„Filch auf mich gehetzt, ja“, beendete Harry neben ihr den Satz und er ließ den Zauberstab langsam sinken. Hermine konnte Lucius Malfoy nur anstarren. Draco hatte also Vielsafttrank mitgenommen.

 

Und beinahe gleichzeitig verwandelten sich die Jungen wieder. Anscheinend haben beide den Trank vor ähnlich langer Zeit eingenommen. Harry erreichte zuerst wieder seine Gestalt und die Sachen des Zauberers schlabberten ihm um den Körper.

 

Dann wuchsen Dracos Haare wieder in seinen Kopf. Es war ein regelrecht absurder Anblick. Die Züge in seinem Gesicht, entspannten sich, wurden etwas weicher und die Farbe seiner Augen wurde Blau. Kein hartes Blau. Nein, ein wunderschönes Blau.

 

Ihre Angst vor Lucius Malfoy fiel von ihr ab, löste sich auf und wurde ersetzt von schierer Erleichterung. Er schenkte ihr ein feines Lächeln.

 

„Draco!“, rief die Hermine, die sie innerlich so verabscheute. Aber sie konnte die Gefühle in keinster Weise kontrollieren. Ihre Beine bewegten sich von selbst, teilweise zumindest. Ihre Arme hoben sich und er ließ es zu, zog sie ebenfalls in seine Arme und sie küsste ihn so stürmisch als wäre er ein Leben lang fort gewesen.

Und er wich nicht vor ihr zurück.

 

Und der Hermine, die verrückt geworden war, war es egal, dass Snape und Harry direkt neben ihr standen. Ihre Hände hatten sich um seine Nacken verkrampft. Ihre Lippen küssten die seinen immer wieder. Liebe verbrannte ihr Herz und sie wusste, sie würde sterben, wenn er sie von sich schieben würde.

 

Und dann öffneten sich seine Lippen kurz. Nur kurz.

 

Und nur kurz war die normale Hermine nicht mehr vorhanden. Nur kurz war da nur noch eine Hermine, die sich wünschte, er würde ihr erlauben, ihre Zunge in seinen Mund zu schieben. Eine Hermine, die sich wünschte, dieser Moment würde ewig dauern und einfrieren in der Zeit.

 

Dann löste er sich von ihr und seine Augen schienen dunkler.

 

„Entschuldigung“, hauchte sie beschämt und wich zurück. „Dieser verfluchte Zauber…“, murmelte sie. Denn etwas anderes war es schließlich nicht.


„Das meintest du also“, sagte Harry bitter an Snape gewandt. Der wirkte auch etwas perplex.


„Ja. So ziemlich genau das.“

 

Malfoy fuhr sich durch die Haare und streckte sich kurz. Sie sah, wie Harry ihn mit bloßen Blicken erdolchte.

 

„Es gefällt mir nicht.“ Und er gab anscheinend nur Malfoy die Schuld an diesem Zustand.

 

„Tut mir wirklich leid für dich“, entgegnete Malfoy ziemlich angriffslustig. „Du warst ja zu beschäftigt, damit sie sich in dich verlieben konnte. Oder was möchtest du damit sagen?“ Hermine schloss die Augen und Hitze schoss in ihre Wangen. Sie kam sich vor wie ein dummes Mädchen.

 

„Was? Das war überhaupt nicht mein Ziel, Malfoy. Und seit wann war es deins? Und überhaupt – was soll das bedeuten? Weil du einmal was richtig gemacht hast, bedeutet das nicht, dass du plötzlich ein guter Mensch bist, du verdammter Mistkerl!“ Kurz sah es so aus, als wollten sie sich aufeinander stürzen. Sie war dankbar, dass Snape eingriff. Ihre Finger kribbelten, denn Malfoy kam ihr plötzlich noch attraktiver vor, jetzt wo die unverhohlene Spannung im Raum hing. Die innere Hermine verdrehte genervt ihre Augen.

 

Er schien ihren Blick zu spüren.


„Granger, bitte…“, sagte er gepresst. Sie riss den Blick von ihm los und starrte auf den Boden.

 

„Glaub mir, ich will das nicht, Malfoy! Wie kannst du denken, dass ich es will! Und sei du gefälligst stärker! Ich meine, du wolltest mich doch eigentlich-“ Sie unterbrach sich.

 

Malfoy hatte sie nicht angesehen. Und jetzt sagte er leise etwas zu Snape und verließ den Flur, ohne ein weiteres Wort.

 

„Wo geht er jetzt hin? Ist er beleidigt?“, knurrte Harry ungehalten und Snape legte ihm die Hand auf die Schulter.


„Draco war heute sehr mutig, Harry. Er hat voll und ganz bewiesen, dass er genauso ist wie wir. Dass er auf derselben Seite kämpft. Er ist mein Patensohn und ich will nicht, dass du es ihm schwer machst.“ Harry sah angewidert aus, aber er sagte nichts. „Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden. Aber das ist jetzt unwichtig.“

 

„Was passiert jetzt?“, fragte sie ungeduldig, denn sie hatte keine Lust sich weiter darüber zu unterhaltend, weshalb man Draco Malfoy mögen sollte.

 

„Jetzt werden wir abreisen“, sagte Snape nur.

 

 

~*~

 

 

Sie hatte Malfoy nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er war zusammen mit Snape appariert. Sie mit Harry. Die Sachen waren gepackt. Das Haus hatten sie zurückgelassen und einen Fidelius Zauber auf Harry gelegt. Denn er war derjenige, den Voldemort – zumindest in der Theorie – als letztes in die Finger bekommen sollte.

 

Er hatte sich nicht verweigert.

 

Jetzt war das Haus in Spinner’s End nicht mehr aufzufinden. Egal, wie hart man danach suchte. Snape hatte alle seine Sachen in einem Koffer verstaut. Außer die Möbel, von denen er sich fürs erste getrennt hatte.

Er wusste noch nicht, wann – oder ob – er wieder kommen würde.

 

Sie konnten es alle noch nicht sagen. Obwohl es Hermine für einen grauenhaft schrecklichen Moment so vorgekommen war, als hätte sich Snape für immer verabschiedet.

 

Hermine war aufgeregt. Endlich kehrte sie wieder zurück. Dorthin, wo man auf sie wartete. Wo man sie vermisst hatte. Und es stimmte tatsächlich.

Denn kaum waren sie angekommen, hatten das versteckte Lager betreten, wo sich die Gruppe gerade aufhielt, wurde sie mit Fragen bombardiert. Und natürlich mit Umarmungen. Lavender weinte sogar, dabei hatte es Hermine bei ihr noch nie gesehen.

 

Und die größte Überraschung erlebte sie allerdings mit einer anderen Person.

 

Ron kam auf sie zu. Zuerst langsam, beinahe ungläubig, ehe er die letzten Schritte dann rennend überwand. Er zog sie einfach an sich, in seine feste Umarmung, an seinen warmen, festen Körper. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und sie spürte seinen unregelmäßigen Atem.

 

Kein Ton verließ seine Lippen. Er hielt sie fest. So fest, dass sie kaum noch Luft bekam. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn anzusehen. Dann löste er sich von ihr. Nur ein winziges Stück, so dass er sie ansehen konnte. Sie musste den Kopf in den Nacken legen.

 

„Hey, Ron“, sagte sie leise und versuchte ein Lächeln. Eine Träne fiel auf seine Wange. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Er sagte gar nichts. Seine Augen wirkten hell und eingefallen. Die Farbe seines Gesichts war kränklich und er sah nicht so aus, als hätte er viel geschlafen.

 

Er zog sie wortlos wieder an sich und sie legte die Arme um sein breites Kreuz. Jetzt hob er sie vom Boden hoch und sie keuchte überrascht auf.


„Ron!“, krächzte sie, denn sie bekam kaum noch Luft.

 

„Du lebst!“, stellte er leise fest, als er sie wieder runter ließ. „Du lebst“, wiederholte er noch leiser.


„Jaah…“, sagte sie langsam. „Alles ok“, fügte sie hinzu, als er sie musterte.


„Gott, Hermine…“, begann er und sie sah, wie er um Worte kämpfen musste.

„Es tut mir alles so leid! Ich… hatte dich retten wollen! Ich hatte sofort hinter dir her gehen wollen! Ich… Harry hat gesagt, es ist zu gefährlich, und jetzt… Jetzt hat er gesagt, er bringt dich mit! Und… hier bist du!“, endete er und schüttelte wieder den Kopf.


„Ich hab dich vermisst. So sehr vermisst. Du kannst dir nicht vorstellen, wie furchtbar es war“, flüsterte er in ihre Haare, während er sie fest an sich drückte.

„Und du lebst! Und du bist wieder hier! Bei mir“, fügte er hinzu und lächelte jetzt. Er weinte. Und zum ersten Mal kam er ihr vor, wie Ron. Nicht wie der böse, starke, grauenhafte Mann, der Menschen quälte.

 

Nein. Er war Ron. Ihr Ron. Rothaarig, tollpatschig und von Gefühlen überwältigt.

 

„Ich hab dich auch vermisst“, sagte sie leise. Dann wurde er ernster.


„Wo ist er?“, fragte er jetzt und seine Stimme zitterte. Und sie wusste sofort, wen er meinte.


„Ron“, begann sie, aber er schüttelte den Kopf.

 

„Er hat dich entführt und gefoltert! Er hat dich wochenlang versteckt gehalten! Und jetzt ist er auch noch hier! Wo ist er?“, wiederholte er immer noch tonlos.

 

„Ron, bitte. Es ist nicht so! Nichts mehr. Malfoy ist einer von uns. Er kämpft für uns!“ Für mich, hatte sie sagen wollen. Es verwirrte sie für einen Moment, aber sie schüttelte diesen Moment ab. Ron schüttelte den Kopf.


„Er hat dir weh getan! Er verdient es nicht-“


„Hör auf damit!“, sagte sie ruhig und fuhr ihm über die Wange. „Es geht mir gut und… es gibt vieles, was ich dir erzählen muss. Und – Malfoy hat mich gerettet, Ron. Er hat mich aus dem Haus rausgeholt. Und…“ Sie schwieg. Alleine, dass Ron den Namen erwähnt hatte, weckte die andere Hermine auf. Die dumme Hermine, deren Herz nun klopfte, als wollte es zerspringen. Die Hermine, die sich nicht mehr beherrschen konnte, wenn sie Malfoy länger als eine Stunde nicht zu Gesicht bekommen hatte.

 

Und sie hasste sich dafür, dass sie so empfand.

Aber sie wusste, sie musste ihn sehen, sonst würde sie noch ein Wrack sein.

 

„Versprich mir, dass du ihn freundlich behandelst. Mir zuliebe“, fügte sie zaghaft hinzu, denn das waren eigentlich keine Worte, die den Ron beeindrucken konnten, den sie kannte.

 

„Dir zuliebe?“, fragte er jetzt langsam und es verging eine Ewigkeit. „Schön. Ich werde ihn - dir zuliebe - nicht umbringen, Hermine“, sagte er jetzt und drückte sie noch einmal an sich. Und sie ließ es über sich ergehen, denn selten war sie so vermisst worden. – Wenn überhaupt jemals, überlegte sie verwirrt.

 

Sie klammerte sich an Ron, denn für einen Moment konnte sie sich lossagen von all den anderen Dingen, die sich in ihrem Leben jetzt ereignet hatten.

Von all den Dingen, die ihr eigentlich nicht erlaubten, erleichtert und losgelöst zu sein.

 

 

~*~

 

 

Sie hatte es nicht länger aufschieben können. Aus zwei Gründen nicht. Der erste war, dass die emotionale Hermine nicht mehr konnte. Physisch hielt sie es einfach nicht mehr aus, ihn nicht zu sehen.

Und zweitens sollte sie sich von ihm Blut abnehmen lassen. Er war erstaunlicherweise mit Harry in dessen Unterkunft.

 

Beide Jungen hoben den Blick, als sie herein kam. Sie schluckte, ehe sie sprach. Ihr Blick war wieder einmal vernebelt von den rosaroten Liebeswolken in ihrem Kopf, die sie mit aller Kraft verscheuchen musste. Es war wie eine ziemlich gemeine Droge, die sie überhaupt nicht gewollt hatte, und jetzt nicht mehr loswurde.

 

„Ich… komme zum Blut abnehmen“, erklärte sie leise und kam sich albern vor. Denn eigentlich konnte sie das auch selber, aber das war Snape nicht sicher genug, hatte er kryptisch erklärt. Wahrscheinlich traute er ihr nicht, dass sie es wirklich tun würde.


„Wir reden später noch über die Prophezeiung, Hermine.“ Aus Harrys Mund klang es fast wie eine Drohung. Er verließ sein Zimmer, ehe Hermine weiter fragen konnte.

 

„Was hattet ihr zu reden?“ Sie hatte die Arme verschränkt und Malfoy erhob sich. Er hatte sich umgezogen, ging ihr auf. Sein Pullover war dunkel und seine Jeans war sehr eng. Sie musste schlucken. Gott, sie würde noch sterben! Er sollte sie bewusstlos fluchen und ihr dann Blut abnehmen…

 

„Wir mussten ein paar Dinge klären“, erklärte er, hob den Zauberstab und beschwor wieder das Gefäß aus dem Nichts. Er zog zwei Stühle in die Mitte des kleinen Raumes und gebot ihr, Platz zu nehmen. Sie sah, wie er ihren Blick mied. Großartig. Er hielt sie also auch noch für gefährlich.

 

Dinge?“, fragte sie schlecht gelaunt und krempelte den Ärmel ihres Oberteils hoch.

 

„Ja, Dinge“, erwiderte er abwesend und führte den Zauber durch. Sie wandte den Blick in eine andere Richtung und wollte seinen Duft gar nicht wahrnehmen. Sie wusste nicht, wie sie jemals aus dieser Sache rauskommen sollte.

Was, wenn alles vorbei war? Was, wenn sie wirklich etwas ausrichten konnte, und das Böse dann gebannt war? Was war dann mit den Gefühlen? Malfoy würde verschwinden und sie?

Würde sich etwas ändern? Wären die Gefühle dann vorbei?

 

Und was, wenn nicht?

 

„Granger?“ Sie zuckte erschrocken zusammen.


„Was?“, fragte sie fast panisch.

 

„Du kannst den Ärmel runter krempeln. Wir sind hier fertig“, fügte er hinzu und erhob sich. Ja, sie waren fertig.

 

„Malfoy…“ Das war wieder die dumme Hermine. Sie seufzte innerlich auf. Jetzt sah er sie skeptisch an.


„Was?“ Er wirkte gereizt. Ja, regelrecht belästigt. Von ihr. Sie presste die Lippen zusammen.

 

„Tut mir leid wegen…“, begann sie und machte eine unverbindliche Bewegung in der Luft.


„Wegen was? Wegen der ständigen Überfälle? Dir tut es leid, dass du dich an mich wirfst und dich in der nächsten Sekunde entschuldigst? Wirklich, kein Problem, Granger. Ich kann überhaupt nicht genug davon bekommen“, gab er zornig zurück, die Stimme tief vor Ironie.

 

„Du machst mir Vorwürfe?“ Sie funkelte ihn wütend an. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn und wollte ihn. Sie wollte weinen. Kurz schloss sie die Augen.

 

„Erst werde ich überzeugt, dass ich dich retten muss. Dann tue ich das und erwarte, meine Schuldigkeit getan zu haben und dann werde ich gezwungen, einer Muggel Blut abzunehmen. Nicht nur das. Jetzt bin ich heimatlos und anstatt gehen zu können, muss ich jetzt wieder zurück zu den Leuten, die mich nur zu gerne umbringen möchten.“ Ihr Mund öffnete sich etwas ratlos. „Ich höre, Weasley sucht schon nach mir?“, fügte er recht zufrieden und angriffslustig hinzu.

 

Ihre Augen weiteten sich. Also hatte Ron ihn noch nicht gesehen. „Und nur nebenbei, ich werde ihn bestimmt nicht verschonen, sollte er es darauf anlegen, sein Leben zu riskieren“, fuhr er grimmig fort.

 

„Bitte, tu ihm nichts an!“, flüsterte sie. Sie musste anscheinend beiden Jungen dasselbe sagen.


„Das ist nicht deine Entscheidung!“

 

„Es ist jetzt alles anders. Bitte, mach das einfach nicht. Führ dich einfach nicht auf, wie ein verfluchter Todesser und sei-“ Er hatte sich von ihr abgewandt und ihr Herz zerriss, weil er im Begriff war zu gehen. Die dumme Hermine schluchzte auf. Und auch die andere fand es unhöflich, dass er ging, während sie sprach. „Malfoy!“, rief sie kläglich. Gereizt wandte er sich um.

 

„Granger, hör auf damit!“, rief er ungeduldig und sie war schon zu ihm gegangen. Gegen ihren Willen, musste sie dazu erwähnen. Wenigstens in ihrem Kopf musste sie diese Tatsache feststellen. Sollte er doch gehen! Sollte er doch völlig verschwinden! Ihr war es doch egal!

 

„Malfoy, du kannst nicht-“

 

„Ich kann, Granger!“, knurrte er. „Ich bin ein Todesser? Wie wäre es, wenn du mich dann in Ruhe lassen würdest? Wenn es dir so zuwider ist, dann lass mich einfach in Ruhe!“, schrie er jetzt und sein Atem ging schnell. Sie konnte kaum die Worte verstehen, die er sagte. Es war absolut lächerlich. Je näher sie ihm war, umso unwichtiger waren seine Worte. Dann wollte sie ihn nur berühren, wollte ihn nur spüren, wollte, dass er sie an sich presste und-

 

„Nicht“, sagte er nur und hatte die Hand gehoben. Sie wurde rot. Also, die normale Hermine in ihr wurde rot. Dass er sehen konnte, wenn sie ihn am liebsten an sich reißen würde, machte sie fertig. Es war so schwach von ihr, sich nicht beherrschen zu können. Und sie hasste sich dafür. „Ich kann das nicht, ok?“


„Weil ich ein Schlammblut bin?“, fragte die dumme Hermine. Die andere war vor Scham ganz starr. „Das habe ich nicht so gemeint“, fügte sie verärgert hinzu und schloss kurz die Augen. „Es ist mir egal. Geh einfach“, sagte sie resignierend, immer noch mit geschlossenen Augen.

 

„Wenn du… diese Dinge tust, dann… hab ich keine Ahnung, wie viel Widerwillen es dich eigentlich kostet“, erklärte er. Er stand immer noch vor ihr. Sie atmete ruhig. Mit geschlossenen Augen war es leichter, stellte sie fest. Und sie musste zugeben, so viel Widerwillen schien nicht unbedingt vorhanden zu sein, auch wenn sie es wirklich hasste, diese Sache zugeben zu müssen.

 

„Dann habe ich das Gefühl… eine Macht zwingt dich und ich… muss es eben verhindern, weil du es nicht kannst und… mich wahrscheinlich lieber töten würdest“, endete er. Sie konnte die Augen nicht mehr geschlossen halten.

 

„Malfoy…“, begann sie, aber er war einfach zu schön. Sie hob die Hand zu seinem Gesicht. Er fing sie schließlich noch ab und wirkte so, als müsse er sich sehr zusammen nehmen. „Natürlich will ich dich lieber töten.“ Nicht, dass ihre butterweiche Stimme wirklich viel Aussagekraft hatte. Sie schlug sich ein mentales Brett vor den Kopf.


„Das hier!“, bedeutete er jetzt und schien sich über sie zu ärgern. „Wieso kannst du nicht… dagegen kämpfen, Granger? Ich meine… du hasst mich, richtig? So schwer sollte es doch nicht sein, dieses Gefühl aufrecht zu halten?“ Sie schüttelte den Kopf, weil sie nicht wirklich verstand. Sein Körper… Seine Lippen… Er war perfekt. Absolut unglaublich schön. So schön, dass sie nicht begreifen konnte, wie sie sich überhaupt wehren konnte. Die andere, normale Hermine blieb unglaublich still in diesem Moment. „Ich bin nicht Lucius!“, sagte er mit Nachdruck.

 

„Draco…“, sagte sie jetzt leise und wollte ihn wieder berühren. Doch er hielt sie auf.

 

„Hör zu, ich zwinge dich zu gar nichts, Granger!“ Seine Stimme war so rau, so leise, so völlig überfordert. „Ich kann das nicht!“, erklärte er noch einmal und schien ihr Gesicht nach irgendetwas zu durchsuchen.

 

„Ich weiß“, sagte sie knapp. „Küss mich, Draco“, flüsterte sie und schloss den Abstand, wollte an seine Lippen kommen, aber er war zu groß, als dass sie sie auf Zehenspitzen hätte erreichen können.


„Bei Gott…“, erwiderte er und schloss verzweifelt die Augen. „Ich kann nicht“, presste er hervor. „Wir wollen das nicht, ok? Du willst das nicht! Ich will das nicht.“ Sie verstand. Aber es war ihr egal.

 

„Bitte!“, sagte sie nur und konnte es kaum aushalten. Sie spürte die Tränen der Verzweiflung, weil ihr Körper sich nach ihm verzehrte. So sehr! Und es war schon egal. Ob sie es wollte, oder eben nicht! Egal welche Hermine – beide wollten ihn in diesem Moment, verflucht!

 

Er schüttelte den Kopf und sein Blick bohrte sich in ihren.

 

Sie war so nah, dass sie seine Erektion spüren konnte. Und so sehr sie das auch anwidern sollte, umso egaler war es ihr jetzt! Nein, nicht egal – es war absolut berauschend!

 

„Bitte“, flüsterte sie.

 

Und er gab nach.

 

 

Teil 20

 

Es ging nicht.

 

Gar nichts ging mehr. Dieses Mädchen, das ihn anflehte, es zu küssen, war einfach zu viel. Die ganzen letzten Tage waren einfach zu viel gewesen.

Mit einem rauen Knurren zog er sie einfach an sich.

Viel zu willig bog sie sich ihm entgegen. Viel zu leicht war es, sie zu küssen.

 

Seine Lippen verschlossen ihren heißen Mund. Ihre Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Nacken und zogen ihn enger zu ihr hinab. Seine Arme legten sich um sie und es war scheiß egal, dass sie das vielleicht gleich nicht mehr wollte.

 

Jetzt war es verflucht unwichtig! Denn sie stöhnte in seinen Mund. Seine Zunge stieß unweigerlich nach vorne und ihre begegnete ihr nur zu gerne, so schien es ihm. Sie presste sich gegen seinen Körper, anscheinend mit Absicht gegen seine Erektion und er konnte nicht mehr klar denken.

Alles was zählte, war sie. Sie in seinen Armen. Sie unter seinen Lippen.

 

Ihre Hände zerrten seine Pullover nach oben. Erschrocken wich er zurück, sah in ihr Gesicht. Die Wangen waren gerötet, die Augen vor Lust verhangen und er schüttelte unfähig den Kopf. Ihre Lippen waren wunderschön geschwollen und dunkle Locken umrahmten ihr Gesicht. Seine Hand fuhr über ihre Wange, in ihre Haare und er küsste sie erneut.

 

„Ich… werde nicht mit dir schlafen“, flüsterte gegen ihre Lippen und sie küsste ihn nur noch hungriger. Er wusste nicht, ob die andere Hermine – die, die ihn nicht wollte – noch irgendwo in diesem perfekten Körper vorhanden war. Er hätte es nicht mit Sicherheit ausschließen können. Vielleicht… wollte sie das. Aber vielleicht auch nicht.

Vielleicht mussten sie mit dieser Prophezeiung leben, aber er musste ja nicht völlig die Kontrolle verlieren, oder?

 

Sie sog langsam seine Unterlippe in ihren Mund und er konnte ein Stöhnen nicht verhindern. Gott, ja! Er wollte sie!

 

Sie nahm plötzlich seine Hände und schob sie unter ihr Oberteil. Er zuckte kurz zurück. Ihre Haut war warm und glatt unter seinen Fingern. Sie presste sich enger an ihn, zog ihn zu einem weiteren Kuss an sich und er wusste nicht, was er tun sollte.


„Sprich mit mir“, befahl er, als er seinen Mund von ihr lösen konnte. Sie brummte unverständlich. „Granger!“, fügte er unwirsch hinzu.

 

„Was?“, fragte sie atemlos.

 

„Du willst, dass ich dich anfasse?“ Sein Kopf begriff nicht, dass er wirklich diese Worte sprach. Es machte ihn unglaublich an.


„Wieso… soll ich das sagen?“, fragte sie ungehalten, während ihre Finger durch seine Haare fuhren. Ob bewusst oder unbewusst, vermochte er nicht zu sagen.

 

„Wenn du…“ Er musste sich konzentrieren, um überhaupt sprechen zu können, während seine Hände immer noch auf ihren bloßen Hüften lagen. „Wenn du mit mir sprichst dann habe ich wenigstens dann das Gefühl, wirklich mit dir zu sprechen und nicht…“ Er schluckte, „und nicht mit dieser anderen Hermine, die mich immer will“, fügte er ruhig hinzu. Kurz öffnete sich ihr Mund.

 

„Malfoy, ich bin immer ich“, presste sie hervor. „Ich weiß, was ich hier tue!“ Er wusste nicht, ob sie sauer oder fasziniert klang. Oder verzweifelt. Alles klang einfach gleich in diesem Moment. Vielleicht war sie auch alles zusammen, überlegte er.

 

„Also willst du das?“, fragte er rau und konnte sich kaum noch beherrschen als er den Kopf senkte. Er ließ sie nicht aus den Augen und Sensationen rauschten durch seinen Geist, als er registrierte, dass sie seine Lippen anstarrte. Er biss sich kurz auf die Unterlippe und hörte sie verhalten stöhnen.

 

Sie schüttelte zaghaft den Kopf und sagte: „Ja!“

 

Er musste lächeln. Seine Lippen strichen leicht über ihre, ehe sie ihn verlangend an sich zog. Sie taumelten nach hinten gegen die Wand. Seine Hände wanderten höher, über ihren Rücken, über ihren Bauch, aber er wagte nicht, sie woanders zu berühren.

Dabei wusste er doch genau, wie sie aussah. Er hatte sie doch schon so gesehen!

 

Die Hände fielen unter größter Anstrengung von ihr ab und er lehnte den Kopf zurück an die Wand. „Du bringst mich um“, flüsterte er jetzt. Sie schien reichlich unzufrieden zu sein.


„Du willst mich nicht?“ Er wusste nicht, welche Hermine dies mit welchem Bewusstsein sagte. Er musste lachen. Recht freudlos.

 

„Granger, ich habe dich mit dem Imperius belegt, weil ich dich wollte. Du bist jetzt einfach nur…“ Er hob ratlos die Hände. „Verwirrt“, fügte er schließlich hinzu.

Ihre Hände glitten unter seinen Pullover und fuhren über seine Haut. Fasziniert betrachtete sie seinen Bauch. Ihm ging auf, dass er lange nicht mehr trainiert hatte. Er sah überhaupt nicht mehr gut aus. Absolut nicht. Aber anscheinend sah sie etwas völlig anderes.

 

„Granger“, sagte er leise. Sie hob träge den Blick. „Wir müssen mehr über diese Prophezeiung rausfinden. Wir können nicht einfach – fuck!“ Ihre Hand war über seine Erektion gefahren. Selbst durch den rauen Stoff der Hose fühlte er die Sensation. „Hör mir zu, verflucht“, knurrte er und zwang sie, ihn anzusehen. Das schien es nicht besser zu machen. Es schien nur ihre Lust zu steigern.

 

Das war doch absolut unfair!

 

„Du wirst mich umbringen, richtig?“, fragte er völlig ernst, während er sie hungrig an sich zog. Er spürte sie aufkeuchen, spürte, wie sie sich kaum noch beherrschen konnte. Das Richtige wäre, sie nicht mehr anzufassen und mehr über diesen Zauber herauszufinden, wenn es denn einer war.

Das Falsche war, sie zu wollen, ihr zu geben, was sie wollte und… sie hier und jetzt zu vögeln, nur weil sie es anscheinend dringend brauchte.

 

Der Gedanke ließ ihn fast in seiner Hose kommen.

 

„Ich bringe dich um, wenn du jetzt noch weiter redest!“, flüsterte sie ungehalten und zog sich ihr Oberteil über den Kopf. Er konnte sie nur anstarren. Worte waren überflüssig. Jeder Versuch, zu gehen oder sie nicht mehr anzufassen, verrauchte in der Entstehung.

 

Und zum ersten Mal beherrschte er sich nicht. Konnte er auch nicht, davon abgesehen. Scheiß egal.

 

Seine Finger gruben sich so hart in ihr bloßes Fleisch, dass sie fast aufschrie. Er drehte sie herum, presste sie gegen die Wand, so hart, dass das Holz hinter ihr knirschte. Sie verzog das Gesicht vor Schmerz, aber er wartete nicht. Er küsste sie. Seine Lippen krachten auf ihre eigenen, seine Zunge drang unbeherrscht in ihren Mund, während seine Hände ihren BH einfach von den Schultern zerrten.

 

Sie schlang die Arme um seinen Nacken, brachte ihren nackten Oberkörper näher an seine Brust, während er ihre Hose von den Beinen schälte. Sie öffnete seine Hose schließlich und ungeduldig riss er sich den Pullover über den Kopf, um sie wieder küssen zu können.

 

Ihre Lippen waren heiß wie Feuer und kaum hatte sie seine Hose seine Beine hinab geschoben, fiel er vor ihr auf die Knie, küsste ihre Brüste auf dem Weg nach unten und fühlte sich verflucht großartig. Er zog ihr Höschen ihre Beine hinab und blickte von unten zu ihr rauf.

 

Zum ersten Mal sah er die andere Hermine. Sie hatte sich auf die Lippe gebissen und sah so aus, als wolle sie etwas sagen. Etwas anderes als das Stöhnen und das Flehen, dass er sonst von ihr hörte. Aber Faszination lag immer noch in ihrem Blick. Seine Mundwinkel zuckten kurz und für einen Moment zählte nicht, dass sie im Krieg waren, dass sie jede Sekunde erwischt werden konnte, dass sie vielleicht fliehen mussten.

 

Es war verflucht egal.

 

Er legte ihr Bein über seine Schulter und sie hielt sich plötzlich an seiner rechten Schulter fest. Sie wollte etwas sagen, er hörte wie sie Luft holte, aber er hatte den Kopf nach vorne geneigt, küsste die Innenseite ihres Schenkels, ehe er mit der Zunge über ihre feuchte Spalte fuhr. Ihr Kopf flog keuchend zurück an die Wand und ihre Finger krallten sich plötzlich in seine Haare.

 

Sie stöhnte ungehalten und seine Zunge drang in sie ein. So feucht, verflucht heiß und unglaublich eng. Selbst jetzt! Ihr Geschmack betörte seine Sinne. Mit dem Daumen kreiste er über die harten Nerven, die sich in ihrer Klitoris angespannt hatten.

 

Wieder und wieder leckte er über ihr Fleisch, spürte ihr Bein neben sich zittern, vor Schwäche, denn er wusste, sie würde jede Sekunde kommen.

Seine Augen waren fest geschlossen, als sie seinen Namen schrie.

Und bei Merlin, sie schrie seinen Nachnamen. Ihre Hand fiel erschöpft zurück auf seine Schulter und seine Erektion brachte ihn um.

 

„Ich hasse dich“, flüsterte sie mit flammend roten Wangen, stellte ihr Bein wieder auf den Boden und stieß ihn vor die Schultern, so dass er nach hinten fiel.

Sie war über ihm, ehe er etwas Schlagfertiges sagen konnte.

 

Sie hatte seine Shorts von seinen Beinen gezogen und setzte sich rittlings auf ihn. Ihr Mund war geöffnet und sie stöhnte unterdrückt, während sie seinen Penis unter sich platzierte. Er konnte nichts anders tun, als wieder ihre Hüfte zu umfassen, sobald er langsam in sie glitt.

Es war berauschend, es war verflucht unglaublich!

 

Seine Augen schlossen sich und sie biss in seinen Hals, als sie begann, sich zu bewegen. Sie entfernte sich, ihr Becken richtete sich auf und dann ließ sie sich wieder sinken. Mit jeder Bewegung tiefer und härter. Er wollte sie gerne aufhalten, wollte ihr sagen, dass es nur zu schnell vorbei sein würde, würde sie noch schneller machen. Aber er konnte nicht!

 

Sie stöhne hart auf und beschleunigte den Rhythmus. Ihre Fingernägel kratzten über seine nackte Brust, ihre Augen waren geschlossen, den Kopf hatte sie zurück geworfen und beinahe hilflos bockte seine Hüfte nach oben, er vergrub sich noch tiefer, spürte, wie die Wellen ihn erfassten und presste sie auf seinen steinharten Schwanz.

 

Er ergoss sich grollend keine Sekunde später. Bunte Punkte tanzten vor seinen geschlossenen Augen und sie brach über ihm zusammen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und er spürte ihren heißen Atem gegen seine Haut.

 

Nach einer Ewigkeit spürte er, wie sie die Hände auf seine Brust stützte und den Kopf hob. Und er hatte keine Ahnung, welche Hermine ihn ansah. Sie waren beide verflucht schön. Seine Atmung hatte sich noch nicht beruhigt.

Sie lehnte den Kopf zu ihm und küsste ihn sanft. Sanfter als zuvor.

 

Seine Hand griff automatisch in ihre Haare und seine Augen schlossen sich von selbst.

 

Dann wich sie zurück. Nur ein Stück weit, um ihn anzusehen.

Ihre dunklen Augen sahen ihn fast aufmerksam an.

 

„Das hätten wir nicht tun sollen“, flüsterte sie tonlos. Er nickte schwach. Dann zerrte ein Grinsen an seinen Mundwinkeln.

 

„Sag mir, dass du das nicht wolltest“, erwiderte er mit so rauer Stimme, dass er sich räuspern musste. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe. „Sag es einfach“, fügte er hinzu.

 

„Ich wollte es“, sagte sie leise und schloss die Augen, als hätte sie sich soeben selbst verraten.

 

„Ich weiß“, erwiderte er nur. Ihre Augen flogen wieder auf.

 

„Aber… das reicht jetzt, ok? Ich meine…“ Sie wurde herrlich rot. „Noch mal… tun wir das hier nicht, ok?“

 

„Kannst du dich beherrschen, Granger?“, fragte er amüsiert. Sie sah ihn fast verzweifelt an.

 

„Wieso bist du so?“, flüsterte sie wieder.

 

„Wie?“, fragte er jetzt und sah sie aufmerksam an.

 

„Für dich ist das… ein Witz, richtig?“, fragte sie und kletterte von ihm herunter. Kurz musste er die Augen wieder schließen. Dann setzte er sich langsam auf.

 

„Denkst du das?“, fragte er ruhig und fuhr sich über die Stirn. Sie war noch nass vor Schweiß. Sein Gehirn war noch nicht völlig funktionsfähig.

 

„Ich denke, dass…“ Er hörte ihre verzweifelte Wut durchaus… Deswegen umfing er ihr Kinn mit seinen Fingern.


„Hey…“, sagte er leise. Sie sah ihn an, die Augen gefährlich glasig. „Du bist verflucht schön, verflucht scharf und dass du mich so dringend willst, dass du vergisst, mich zu hassen, ist so unglaublich, dass ich nicht mal Lust habe, Potter und Weasley umzubringen“, fuhr er leise fort. Er sah sofort, welchen Effekt seine Worte auf sie hatten. Sie lehnte sich plötzlich vor, nur um den Kopf zu schütteln.


„Siehst du? Wenn du sowas sagst, dann will ich dich sofort-“

 

Er unterbrach sie und legte den Arm um ihre bloß Taille, um sie an sich zu ziehen.

 

„Dann tu’s doch einfach, Granger“, knurrte er gereizt und hatte keine Lust mehr, zu spielen. Mit einem kleinen Seufzen küsste sie ihn hart auf den Mund und er erwiderte den Kuss hungrig und schloss die Augen.

 

 

Teil 21

 

 

Draco, Draco, Draco, Draco….

 

Es war völlig egal, was Harry gerade sagte, denn ihre Gedanken waren zu ihm geglitten. Schon vor Minuten! Es gab in ihrem Kopf nichts anderes mehr. Alles war unwichtig. Draco, Draco, Draco….

 

Sie wollte seine Lippen, seinen Körper, seinen Penis… egal – einfach alles. Und alles am besten vierundzwanzig Stunden am Tag. Sie schloss verzweifelt die Augen. Sie hatte mit sich beschlossen, dass sie nicht mehr zu ihm gehen würde. Sie konnte sich selbst überhaupt nicht mehr trauen, wenn er in der Nähe war, aber wenn sie nicht bei ihm war, dann war sie völlig nutzlos, weil sie dann nicht mehr denken konnte.

 

„Hermine?“ Harry wirkte schon gereizt.


„Entschuldige“, flüsterte sie und errötete.

 

„Soll ich ihn holen? Bist du nur überlebensfähig, wenn er dich mit seinen Augen auffrisst?“, knurrte er und sie wandte den Blick ab. Alleine, dass Harry schon sowas sagte, machte sie ganz nervös. Draco, Draco, Draco… Sie nervte sich schon selber.

 

„Nein. Ok, dann lass uns einfach noch mal anfangen.“ Jetzt wo sie selber auch in den Büchern suchen konnte, war es einfacher. Sie wusste, sie konnte die Dinge finden, die sie suchte und wusste sie auch umzusetzen.

 

„Ok“, gab Harry argwöhnisch zurück und betrachtete sie, während sie mit hochroten Wangen durch das Buch blätterte.

 

Verschwunden, gestohlen, vom Antlitz der Welt“, zitierte sie jetzt langsam. „Damit ist also nicht gemeint, dass das Mädchen verschwunden ist, sondern eben nur die Kraft. Oder vielleicht eben doch das Mädchen, weil die Prophezeiung auf die ursprüngliche Person nicht anwendbar war, weil sie umgebracht worden ist.“ Sie überflog noch einmal die Notizen. „Also, egal, welchen Weg wir hier einschlagen, das Mädchen und die Kraft waren eben weg“, schloss sie und fühlte sich besser das Mädchen zu sagen, als ihren eigenen Namen.

 

Der Schlüssel, der die Lösung enthält“, fuhr sie fort, als Harry nicht widersprach. Beinahe hatte sie wieder das Gefühl, die Horkruxe zerstören zu müssen und wieder Rätsel zu erraten. „Na ja gut, das ist jetzt leicht, denn der Schlüssel ist das Mädchen. Oder eben wieder die Kraft, die aber in dem Mädchen vereint ist.“

 

Die nächste Zeile gefiel ihr nicht besonders gut. „Ein Mädchen von Blut so rein und klar“, fuhr sie langsam fort. Harry griff nach dem nächsten Zettel.

 

 

„Hier hat Snape den Stammbaum der Grangers aufgeschrieben. Muggel, ohne magische Einflüsse“, endete er und auch er klang etwas befremdet. „Mit magischer Macht, die Stärkste im Jahr“, übernahm er die nächste Zeile und kramte noch weitere Unterlagen hervor.

„Hier sind die Aufzeichnungen der Geburten in unserem Jahr. Davon gibt es nur drei Muggel, die ebenfalls mit den Stammbaum- Voraussetzungen geboren wurden, allerdings waren von denen nur zwei bis zum Ende auf magischen Schulen, die erste ist abgegangen, weil sie nicht zurechtkam. Die andere war zwar gut, aber nicht erwähnenswert und die dritte wollte sich den Todessern anschließen und wurde letztes Jahr umgebracht“, endete er bitter und Hermine seufzte.

 

Harry verzog den Mund, den jetzt kam die Stelle, die sie alle nicht besonders gut leiden konnten.

 

Die Liebe entfacht die verschwundene Kraft“, fuhr er spöttisch fort. „Also heißt das, dass durch die Liebe deine Macht erst wirksam wird, richtig? Und Liebe heißt in diesem Fall Drac-“

 

Sie hatte ihn energisch unterbrochen.


„Ja, was auch immer“, sagte sie hastig. „Ich denke auch, dass die… äh… Liebe die Macht entfacht.“

 

„Das heißt, sie sollte jetzt in voller Blüte sein?“, stellte Harry die Fangfrage und ihr Ausdruck wurde finster, sie spürte es.

„Was willst du? Dass ich es sage?“, sagte sie böse und kurz wirkte er herausfordernd.


„Ja, Hermine. Ich will, dass du es sagst. Das ist es doch, was wir hier tun, richtig? Wir sagen, was die Zeilen bedeuten, oder?“ Er wartete ruhig. Sie atmete aus.


„Schön“, erwiderte sie gereizt. „Ich…“ Sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht. Vor allem war da noch so eine Sache. „Es war nichts freiwilliges“, entschied sie sich zu sagen und Harry runzelte die Stirn.

 

„Was war nichts freiwilliges?“, fragte er argwöhnisch. Sie verdrehte kurz die Augen.


„Es war… nicht so, dass ich zu Malfoy gegangen bin und gesagt habe… na ja, dass ich das wollen würde. Ich… konnte gar nichts machen“, endete sie leise.

 

„Ja, weißt du… wenn man verliebt ist, dann…“, erklärte er bitter, als müsse er sich erst neu daran erinnern, wie es war, verliebt zu sein. Sie schüttelte gereizt den Kopf.

 

„Nein, Harry. So ist es aber nicht. Ich weiß, was passiert, wenn man verliebt ist. Man findet irgendwas an einer anderen Person, das einem gefällt. Oder nicht gefällt. Und dann entwickeln sich eben Gefühle. Vielleicht, dass man Zeit mit dieser Person verbringen möchte, dass man sie kennen lernen will. Irgendwas. Und das war bei mir nicht so.“

 

„Ok…“, sagte Harry langsam und schien nachzudenken. „Vielleicht… ist es dann unwichtig. Vielleicht ist es einfach ebenso und damit wissen wir sicher, dass die Prophezeiung erfüllt ist, weil du es dir eben nicht aussuchen konntest“, endete er, weniger zufrieden.

 

„Ist es dann vorbei? Wenn wir… nehmen wir an, wir schaffen es. Ihn zu besiegen, meine ich. Ist es dann mit den Gefühlen vorbei?“, fragte sie vorsichtig und Harry sah sie gequält an.

 

„Das fragst du mich? Du fragst mich, ob du Malfoy danach dann noch so lächerlich dringend willst, wie jetzt? Ich hoffe doch wirklich nicht, Hermine. Aber das wirst du dann selber beurteilen können, oder nicht?“ Sie war rot geworden und senkte den Blick.

 

„Jaah, vielleicht“, sagte sie langsam.


„Also weiter“, beschloss Harry rigoros. „Bis zum ersten Mond in finsterer Nacht“, las er jetzt. „Was soll das heißen?“

 

Sie überlegte wieder.

 

„Der erste Mond sollte ein Vollmond sein. Und die finstere Nacht… Sie kann ja schlecht finster sein, wenn Vollmond ist, richtig?“, fügte sie ratlos hinzu.

 

„Aber… es ist ja eine Einschränkung, oder?“, fragte Harry jetzt und kratzte sich den Kopf. „Also, heißt das, du musst bis dahin verliebt sein, oder… bis dahin müssen wir ihn umgebracht haben?“

 

„Ich glaube, es ist die Begrenzung der Macht“, sagte sie leise.


„Wann ist es also?“ Sie sahen sich kurz an.

„Wie wäre es mit einer Mondfinsternis?“, schlug sie jetzt vor. Harry ruckte mit dem Kopf.


„Das kann sein. Wissen wir, wann eine stattfinden soll?“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber das können wir rausfinden, richtig?“, fuhr er fort und sie nickte unsicher. Sicher gab es irgendwo einen Weg. Und sie mussten sich dann also beeilen.

 

Heute hatte ihr Snape schon Blut abgenommen und das war gut. Bisher hatten sie knapp drei Liter zusammen und sie wusste immer noch nicht, wie viel sie eigentlich brauchten.

 

„Das hier sind die Zeilen, die Snape schon rausgefunden hat“, fuhr sie fort. „Das Blut rot wie Feuer, die Haut weiß wie Eis. Sie stürzt das Dunkel, die Waffe im Geist.“ Beide sahen sich an.

 

„Irgendwie sind die Zeilen seltsam, nicht wahr?“, sagte Harry schließlich.

 

„Ich weiß nicht. Klingt wieder wie eine Einschränkung. Sie muss also weiß sein. Und klug.“

 

„Ha ha. Na dann. Du bist weiß und klug. Fertig“, schloss er lakonisch. „Und Snape ist sich sicher, dass diese Blutsache so gemeint ist? Also, dass dein Blut wirklich wie Feuer wirken soll? Aber die Waffe ist doch eigentlich der Geist, oder?“ Sie überlegte kurz.

 

„Nein, sie ist im Geist. Das heißt ja…“ Sie schwieg für einen Moment. „Das heißt doch, dass… ich eigentlich mit meinem Geist arbeiten müsste, um ihn zu besiegen, nicht mit meinem Blut.“ Sie sah Harry abwartend an. Dieser zuckte langsam die Achseln.


„Lass uns das durchgehen, diesen verrückten Plan. Nehmen wir an, du bist es wirklich. Und du liebst Malfoy und damit ist dein Blut mächtiger als alles andere. Was sollen wir tun? Voldemort damit eine Dusche verpassen? Oder müssen wir es nur in einen Zauber einbinden, oder…?“ Er sah sie an.

 

„Nein, nein. Ich glaube das nicht. Aber ich… weiß nicht, wo der Knackpunkt liegt. Ich glaube, Snape hat unrecht“, fügte sie sehr leise hinzu. Harrys Stirn begann sich zu runzeln. Die Falten hatten bereits tiefe Furchen in seine junge Haut gegraben, so oft hatte er die Stirn schon in sorgenvolle Falten gelegt, ging ihr auf.

 

„Du glaubst, dir Blut abzunehmen gehört nicht zum Plan?“, fragte er jetzt langsam. Sie ruckte mit dem Kopf.

 

„Ich denke, Blut ist nicht primär das Wichtigste. Das Wichtigste ist…“ Aber sie wusste es nicht! Ihr fehlte ein Schritt in ihren Gedanken. „Da ist eine Sache, die wir übersehen. Sie sollte doch offensichtlich sein!“

 

„Die Waffe im Geist“, wiederholte Harry ratlos. „Wir sollten noch mal mit Snape reden“, beschloss er. Sie nickte. „Aber… machtlos kannst du nicht werden, richtig? Nur wenn wir den Tag überschreiten?“ Das war noch so eine Sache, bei der sie nicht sicher war. Sie zuckte die Achseln.

 

„Keine Ahnung“, gestand sie leise. Das Gedicht erschien ihr suspekt. Snape hatte sich selber mit einem bestimmten Band zurück gezogen und sie konnte nicht abwarten, zu erfahren, was es war. Sie glaubte, er wusste mehr. Noch etwas mehr, als sie selber. Und das war es, was sie eigentlich beunruhigte. Zwar sollten sie der Krieg und der Kampf und ihre neuen Gefühlen beunruhigen, aber eigentlich tat es das nicht.

 

Nur die Sache, dass sie eine Sache nicht wissen könnte. Dass sie eine Sache vielleicht nicht einplanen konnte, weil Snape sie unter Verschluss hielt. Und das musste sie herausfinden. Und das Gefühl, dass es etwas Schlechtes war, konnte sie nicht verhindern.

 

Was konnte das schlechteste sein? Das war eine ganz einfache Antwort. Die schlechteste Lösung für sie wäre, dass das Blut nicht reichen würde. Und das sie sterben müsste, um die Prophezeiung zu erfüllen.

Das war das eine.

Das andere, viel schlechtere, wäre, dass sie es gar nicht war. Dass Snape etwas gefunden hat, was bewies, dass es doch nicht um sie ging.

 

Sie seufzte langsam. Sie wollte darüber nicht mit Harry sprechen.

 

„Wir müssen bald los, Vorräte besorgen.“ Sie wusste, mit wir meinte er schon lange nicht mehr sie. Sie wurde unter Verschluss gehalten wie ein heiliger Gral. Und sie hatte es langsam satt. Aber auch das sagte sie nicht. „Geh und verabschiede dich lieber von Malfoy“, bemerkte er spöttisch. „Lavender meinte, gestern hättest du sie tierisch genervt, weil du immer wieder von ihm gesprochen hast“, fügte er hinzu und zum hundertsten Mal wurde sie rot.

 

„Witzig, Harry.“ Aber trotzdem erhob sie sich, denn jetzt hatte er es wieder geschafft, dass sie an den blonden Teufel denken musste.

Der unglaublich sexy und perfekt war. Ihr Herz machte einen blöden Satz und sie wehrte sich nicht mal gegen ihre blöden Gedanken.

 

Ok. Erst zu Malfoy. Dann zu Snape.

 

 

~*~

 

 

Lächerlicherweise klopfte ihr Herz schneller. Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass diese seltsam mächtigen Gefühle plötzlich verschwinden würden.

Aber die andere Sache war, dass sie wusste, dass Malfoy niemals etwas wagen würde, denn er konnte sich völlig unter Kontrolle halten. Sie wusste, er würde niemals zu ihr kommen. Einfach so. Ohne Grund.

 

Ihr Herz schien schwerer zu schlagen, so kam es ihr vor.

 

In ihrem Raum war er nicht. Sie und Harry hatten beide private Unterkünfte. Die anderen waren in drei Räume verteilt worden. Sehr zu Malfoys Missbehagen. Snape hatte sich nicht einmal beschwert.

 

Sie durchschritt den schmutzigen Flur. Langsam und aufmerksam. Es war auch seltsam, dass Cormac nicht mehr da war. Sie dachte ab und zu an ihn. Selten, aber dennoch war er einer derjenigen, die wirklich gekämpft haben.

 

„Na, auf der Suche?“ Er war plötzlich in den Flur getreten. Ihr Herz schlug mehrere Saltos und sie zwang sich, sich zu konzentrieren. Seine langen Hände waren in seine perfekten Hüften gestemmt. Seine Haare ragten ihm in die Stirn. Sein Äußeres kümmerte ihn immer weniger, stellte sie fest, und dennoch sah er von Tag zu Tag besser aus. Wahrscheinlich – so hoffte sie – spielte ihr Herz ihr nur einen Streich.

 

Sie ruckte auf seine Worte nur mit dem Kopf. Natürlich würde sie nicht zugeben, dass sie ausgerechnet ihn gesucht hatte.

 

„Ja, nach Snape“, sagte sie also und ihre Stimme war die reinste Blamage. Als wäre er ein Superstar und sie nur ein kleines, dummes Mädchen.

 

„Der ist in der Küche. Bespricht die Planung für ein Essen, dass länger als drei Tage reicht und sogar der Kost in Askaban Konkurrenz machen könnte.“ Sie nahm an, das bedeutete, dass sich Snape gerade mit Lavender stritt, denn die bevorzugte, schwere Sachen, die nicht lange vorhielten und auch noch schmeckten. Snape war da praktischer.

 

„Dann… sollte ich ihn lieber finden. Und ihm sagen, dass sich Lavender nicht überzeugen lassen wird“, fügte sie hinzu und versuchte ein Lächeln. Sie scheiterte.


„Und? Wie war deine kleine… Arbeitsstunde mit Potter?“, fragte er und sie wusste nicht, ob er wirklich interessiert war, oder ob er auch nur daran denken konnte, wie sie nackt aussah. Sie wusste nicht, ob sie mittlerweile dunkelrote Wangen hatte.

 

„Es war… aufschlussreich.“ Toll. Sie hätte auch noch weniger sagen können.


„Ist das jetzt ein Geheimnis?“, fragte er mit einem feinen Grinsen. Sie schüttelte den Kopf.

 

„Nein, natürlich nicht, ich-“ Dann seufzte sie. „Was willst du denn wissen?“, erwiderte sie und zwang den Blick fort von seinem Gesicht und runter auf den Boden.

 

„Vielleicht…“, begann er, während er näher kam. Sie wurde noch nervöser. „Vielleicht einen Tag. Einen Termin bis zu dem alles gelaufen sein müsste“, schlug er vor.

„Wir… haben die Theorie, dass wir bis zur nächsten Mondfinsternis Zeit haben. Natürlich kann das auch falsch sein, aber…“ Sie wollte weinen, denn ihre Gedanken lagen blank. Er stand direkt vor ihr.

 

„Ok. Dann brauchen wir einen Mondkalender. Snape und ich könnten den leicht besorgen“, fuhr er fort. Sie hob den Blick.


„In der Stadt? Ihr wollt doch wohl nicht alleine so etwas machen! Ich sollte wirklich mal raus und Sachen erledigen“, protestierte sie ungehalten.


„Ich denke nicht“, sagte er nur und betrachtete ihr Gesicht. „Wir wollen doch nicht, dass unserer Waffe etwas zustößt.“

 

„Nenn mich nicht so“, gab sie zurück. Er lächelte plötzlich.

 

„Wie dann?“, fragte er. Sie verdrehte tatsächlich die Augen.

 

„Oh, ich weiß nicht. Du hast recht, ich erwarte langsam von dir, dass du mir klebrige Spitznamen gibst, Malfoy. Ich kann nämlich ohne Spitznamen nicht leben“, fuhr sie böse fort.


„Wie wäre es mit Hermine?“ Ihr Name klang wie flüssiges Gold aus seinem Mund. Sie hätte sich erschlagen können.

 

„N…nein, schon gut.“

 

„Du hast Snape gar nicht gesucht, oder?“ Ein Grinsen zog an seinen Mundwinkeln.

 

„Am besten gehst du mir aus dem Weg“, flüsterte sie.

 

„Weil… du dich sonst nicht beherrschen kannst?“, mutmaßte er amüsiert und sie blickte an die Wand. Wenn er doch nur nicht so… selbstgerecht und arrogant wäre. Sie wusste, sie hatte den größten Fehler gemacht als sie ihrer Lust nachgegeben hatte! Sie hatte es gewusst.

 

„Du schmeichelst dir, Malfoy. Ich kann ohne dich überleben.“

 

„Du solltest dich vielleicht nicht so anstellen, Granger.“

 

„Ich dachte, du…“ Sie biss sich auf die Zunge. Oh ja, sie sollte Malfoy wirklich vorschlagen, ihren Vornamen zu benutzen. Sie musste verrückt sein. Völlig verrückt. Und er bemerkte es selber.


„Du dachtest, ich würde deinen Vornamen benutzen? Richtig, entschuldige bitte. Hermine…“, sagte er jetzt langsam. Sie sah ihn an. „Hermine“, wiederholte er und senkte den Kopf. Sie erstarrte und ihre Finger kribbelten. Dann hielt er inne, keine Handbreit von ihrem Mund entfernt und grinste teuflisch.

 

„Du bist ein Arschloch!“, sagte sie nur und versuchte ihre verdammte Vorfreude zu verbannen.

 

„Wir werden gleich Vorräte besorgen. Vielleicht werde ich getötet und komme nie mehr wieder…“, sagte er mit sorgloser Stimme. Ihr Herz pochte vor Sorge, obwohl es wahrscheinlich nicht passieren würde, dass alle bei der Besorgung von Vorräten umkommen würden. Sie wusste, er wollte, dass sie ihre Kontrolle verlor – und das würde sie auch.

 

„Schön, weißt du was, dann stirb doch einfach, Malfoy!“ Und gleich würde sie weinen. Sie war ein absolutes Mädchen, wenn sie ihn sah. Sie brachte all ihre Kraft auf, um sich an ihm vorbei zu drücken, aber er umschlang hart ihre Taille und küsste sie übergangslos.

 

Schauer befielen ihren Körper und obwohl sie nicht wollte, dass er sich solche Dreistigkeiten herausnahm konnte sie nicht anders. Sie küsste seine Lippen, fuhr durch seine Haare, presste sich an ihn und hätte ihm am liebsten die Kleidung vom Körper gezogen. Hier, mitten auf dem Flur.

 

Anscheinend hatte er wieder zurückweichen wollen, schaffte es aber nicht mehr. Sie spürte, wie er hart die Luft einsog und sie enger an sich presste. Ihre Knie wurden weich und ihre Zunge drängte sich zwischen seine Lippen. Hungrig erwiderte er den Kuss, stöhnte in ihren Mund und schien selber keine Kontrolle mehr zu haben. Er riss den Kopf fluchend zurück.


„Verdammt, Granger!“, keuchte er, die Augen dunkel vor Lust. „Du würdest mich alles tun lassen, oder?“ Und sie konnte nichts darauf sagen. Ja, würde sie. Wahrscheinlich. Sie wurde rot. „Fuck, verflucht“, knurrte er, als er erkannte, dass sie sich nicht weigern würde. Er küsste sie erneut. Hungriger, unbeherrschter. Er drückte sie gegen die Wand, hob ihre Hände neben ihren Kopf und sie spürte seine Erektion.

 

Sie wollte sterben. Einfach mit ihm verschmelzen, eins werden und nie wieder etwas anderes tun, als ihn küssen.

 

„Hm… Draco?“ Widerwillig wich er zurück. „Seid ihr…?“ Snape sagte nichts weiter. Sie senkte hastig den Blick. Peinlich. Furchtbar peinlich… „Seid ihr fertig? Wir… wollen los.“

 

Malfoys Augen verschlangen ihre Lippen, ihren Körper und fast hätte sie einfach wieder die Augen geschlossen und gewartet, bis er sie wieder küssen würde.

Aber er wich zurück. Und es sah so aus, als ob er sich wirklich schämen würde.

 

„Ja, wir sind fertig.“ Seine Stimme klang wieder gewöhnlich, während sie wahrscheinlich aussah als hätte sie den Marathon mitgemacht und wäre gescheitert. Sie senkte den Blick. Es kostete sie viel Kraft sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie nichts dafür konnte, dass sie sie irgendwo, ganz tief drinnen, immer noch Hermine Granger war.

Dass sie eigentlich brillant war und jemandem wie Draco Malfoy nur aus der Entfernung einen verhassten Blick geschenkt hätte.

 

Für einen Moment waren da keine Gefühle mehr.

Für einen Moment erkannte sie ein Problem im Plan. Es war so greifbar, dass ihr ganz übel wurde. Vielleicht konnte sie wieder normal werden. Vielleicht konnten diese Gefühle von ihr ganz schnell wieder vergehen. Nämlich dann, wenn keiner sie erwidern würde.

 

Ihr Herz schlug schneller. Aber was konnte sie jetzt tun? Die Ungerechtigkeit war unglaublich. Und das, was sie von Malfoy verlangen würde müssen, war noch viel unglaublicher. Was, wenn sie es sich nicht aussuchen konnte, und er eben der Eine sein müsste? Aber was, wenn er es auch wollen musste?

Was wenn… wenn sie ihm das auch noch sagen müsste?

 

Liebte sie Draco Malfoy? Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen, nachdem er mit Snape gegangen war. Ja, wahrscheinlich tat sie das. Aber er tat es nicht.

Er tat es einfach nicht. Und egal, wie gerne er sie, oder eben ihren Körper, wollte – die Tatsache lag ganz einfach auf der Hand: Er liebte sie eben nicht.

 

Er liebte sie nicht.

 

 

Teil 22

 

In ihrem Kopf ärgerte sie sich maßlos. Sie war immer einer der Menschen gewesen, die wussten, der Geist konnte über jede körperliche Unzulänglichkeit hinweg siegen. Über alles, was einem am Körper nicht gefiel, war der eigene Geist erhaben. Über Müdigkeit war der Geist erhaben. Über eingeschränkte Möglichkeiten flog der Geist hinweg.

 

Über die Nervosität, dass etwas schief gehen konnte, dass sie es nicht mehr aushalten würde, darüber sollte der menschliche Geist mit noch größerer Leichtigkeit hinweg kommen, wenn man sich nur anstrengte und den Geist von den kleinen, dummen Problemen des Alltags löste.

 

Aber dem war nicht so.

 

Heute nicht.

 

Wie eine Verrückte rissen ihre Finger förmlich die Seiten aus den Büchern. Ihre Haare hingen wie Stroh in ihrem Gesicht, so hastig hatte sie sie immer wieder hinter die Ohren gestrichen, bis sie es leid war, dass sie aus dem Haargummi fielen. Jetzt fielen sie ihr über die Schultern und manisch suchten ihre Augen durch die Bücher, die Snape hinter Verschluss hielt.

 

Ihre Finger waren ganz rau, ihr rechter Zeigefinger blutete bereits, sooft war er über die Zeilen gefahren. Bei jeder erfolglosen Zeile hatte sie aus Verzweiflung fester aufgedrückt. Wie viele Tränen schon in die Bücher geflossen waren, konnte sie beim besten Willen nicht mehr sagen.

 

Wie viele Stunden sie hier war? Vielleicht drei oder vier.

 

Und das war auch alles, was sie an Zeit hatte! Denn die Herren würden nicht ewig Vorräte besorgen, aber er war ihr schon egal. Viel schlimmer als einen Beweis für Snapes Heimlichtuerei zu finden, war, keinen Beweis zu finden!

 

Und das machte den Anschein!

 

Sie fand keinen Beweis dafür, dass Snape gelogen hatte. Dafür, dass sie eben keine Waffe war. Sie fand nichts in den Büchern, dass ihr sagte, dass Malfoy sich unsterblich in sie verlieben musste. Anscheinend war jede andere Person in dieser Prophezeiung völlig überflüssig. Hauptsache sie erledigte all die Dinge gewissenhaft, die von ihr verlangt wurden!

 

Sie hatte sogar eine ungefähre Angabe der Menge des Bluts gefunden. Kryptisch in einem weiteren blöden Gedicht, was ursprünglich bestimmt keines gewesen war! Es hieß darin auf die ekligste Weise, dass einem Eintunken genügen würde.

Aber was man wo zur Hölle eintunken müsste, das stand da nicht! Das wollte sie, wenn sie ehrlich war auch nicht genau wissen.

 

Sie konnte nur annehmen, dass man hier auf die geringste Menge beschränkte. Und das war immerhin gut. Denn… sterben wollte sie deswegen nicht wirklich. Sie wollte sterben, weil Malfoy sie nicht liebte, das schon. Aber nicht wegen Voldemort. Sie kam sich lächerlich vor. Schon wieder.

 

Sie riss eine weitere Schublade des ramponierten Schreibtischs auf, den Snape zurzeit sein eigen nannte. Sie zog ein altes Manuskript aus den Tiefen der Schublade. Mit einem Fluchen zog sie die Finger zurück und es fiel auf den schmutzigen Fußboden.

 

Ihre Fingerspitzen stachen unangenehm und ein schwacher Glanz ging von dem Manuskript aus, dass mit schwachen Bändern zusammen gehalten wurde. Dann erlosch der Glanz. Den Titel konnte sie nicht entziffern, aber sie musste kein Genie sein, um zu erkennen, wie alt diese Seiten waren.

 

Und sie musste kein Genie sein, um zu merken, dass Snape einen Bann auf diese Seiten gelegt hatte. Weshalb? Sie zog ihren Zauberstab. Leise und bedächtig. Sie wusste, wie verrückt sie im Moment war.

Sie beugte sich über die Seiten. „Evanescere“, flüsterte sie mit zitternder Stimme und erschrak. Nie zitterte ihre Stimme beim Ausführen eines Zaubers.

 

Kurz glommen die Seiten, dann lagen sie so schlicht da wie zuvor.

 

Sie hob es auf und fluchte erneut. Es glitt wieder aus ihren Fingern. Snape war nicht dumm. Anscheinend wollte er wirklich nicht, dass jemand durch seine Sachen stöberte. Pech gehabt. Sie schüttelte ihre taube Hand.

 

Snape wollte ein Geheimnis haben? Bitte. Das konnte er vor anderen gerne haben, aber nicht vor ihr! Sie krempelte zornig ihre Ärmel hoch und schwang den Zauberstab ausladender. „Resacro“, rief sie laut und mit einem peitschenden Knall ließ sie ihren Zauberstab auf die Seiten knallen.

 

Das Manuskript zitterte unter dem Spruch und dann brachen die Seiten. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Oh nein! Jetzt lag das Buch in zehn Teilen vor ihr. Die Seiten waren einfach durchgebrochen.

 

Hastig schlug sie die erste Seite auf. Nein, eigentlich musste sie viele kleine Einzelteile umdrehen, damit sie die erste Seite umblättern konnte. Aber immerhin war der Bann aufgehoben. Sie hob ihren Zauberstab mit wenig Überzeugung. „Reparo“, sagte sie jetzt, aber natürlich geschah überhaupt nichts. Der Spruch war dazu da gewesen, denn Fluch von dem Buch zu nehmen. Würde sie es jetzt reparieren wollen, dann machte es überhaupt keinen Sinn.

 

Mit spitzen Fingern drehte sie alle Schnipsel einzeln herum.

 

Und ihr Herz begann schneller zu schlagen als sie die Fetzen enger zusammen schob, um die erste Zeile lesen zu können.

 

„Der Tod der Auserwählten –

 

Bericht: Bartleby Brisham

– 1456 nach christlichem Alter, 5020 nach Merlins Alter

 

Die Dunkelheit draußen ist unerträglich. Die Männer werden unser Versteck bald erreicht haben. Wir sind chancenlos. Unsere letzte Möglichkeit, den Sieg zu erringen, wurde vor zwei Tagen umgebracht. Von ihnen.

Das Mädchen hat uns gesagt, dass wir gejagt werden.

Erst vor wenigen Wochen konnten wir fliehen, aus der Gewalt derer, die uns unsere Magie rauben wollten. Ich schreibe dies nieder, für zukünftige Generationen der Unterdrückten. Wir werden unsere Magie nicht entfalten können. Sie werden uns rechtzeitig finden.

Wir sind der Überzeugung, wir könnten sie durch unsere Magie vernichten.

Der Stab liegt vor mir. Er sei aus Holz und Einhornhaar, sagte das Mädchen.

Es war ihr Zauberstab.

 

Die Männer haben sie getötet, weil sie uns zur Flucht verhalf. Einen Sieg werden wir nicht mehr herbeiführen können. Wüsste ich um die Magie, dann könnte ich sie die anderen lehren. Hätten wir das Blut des Mädchens, dann wären wir unbesiegbar.

Sie erzählte uns von einer Prophezeiung, alt wie die Nacht, niedergeschrieben vom ersten Magier der Zeit. Sie erzählte uns von anderen. Anderen wie wir, die nicht gefangen wurden.

 

Die Prophezeiung beschreibt das Mädchen, ein Mädchen jung und rein. Ein Mädchen voller Liebe und mit so großer Macht, dass sie den Rechten zu Recht verhelfen mag, und die Unrechten in tiefste Dunkelheit stürzt.

 

Und sie liebte mich. Sie hat mich gefunden. In finsterer Stunde. Sie hat mich befreit, mich und all die anderen. Sie brauchte nicht nur mich, sondern auch die Armee an mutigen Kämpfern. Der Vollmond wird überschattet durch die Finsternis der Nacht. Durch die Finsternis und durch meine unendliche Trauer.

Ich liebte sie so wie sie mich. Ich schreibe dies nieder, wohl wissend, um meinen baldigen Tod. Sie werden mich nicht leben lassen. Ach, wären wir nicht geflohen.

 

Hätten wir sie nur retten können. Wir sind die Armee, die sie brauchte, aber ohne sie, verfügen wir nur über die Magie in unserem Herzen. Und diese reicht nicht aus. Ach wüsste ich nur, wie. Wüsste ich nur, wie es zu schaffen ist.

Aber sollen sie nur kommen. Sollen sie uns nur holen. Lieber wollen wir sterben, unter der Hand der Muggel, als auch nur einen Tag länger in ihrer bitteren Gewalt zu leben. Sollen sie mich nehmen. Fort von dieser Welt, dann kann ich zu ihr gehen.

Sie wird mich empfangen und mir vergeben, dass ich uns nicht besser beschützen konnte.“

 

Hier endete der Bericht von Bartleby.

 

Hermines Herz schlug laut gegen ihre Brust. Dann begannen die Notizen von Snape. In Eile niedergeschrieben. In vielen unterschiedlich langen Zeilen, unterbrochen durch Gedankengänge, durch Ideen, Probleme.

 

„… keine Armee – mit Armee Zauberer gemeint? Gefolge? Willensträger?“

 

„… Hermine – Draco? Gleichzeitige Liebe notwendig? Willkürliche Erscheinung? Wichtigkeit des magischen Unterschieds?“

 

„… Das Blut nicht primäre Bedeutung? Wozu dient der Zauberstab? Ist Hermine allein unbrauchbar?“

 

Die letzte Frage stach ihr ins Auge. Snape hatte sie mehrere Male mit der Feder unterstrichen.

 

„… Tod der Auserwählten als Mittel zum Erfolg oder Fehler im Plan? Welche Magie wird angewendet? Welcher Zauberstab?“

 

Hermine überflog noch einmal den Bericht. Ihr Zauberstab trug kein Einhornhaar in sich. Und Snape hatte wichtige Dinge untermalt. Musste sie sterben? Und wieso brauchte man eine Armee, um das Böse zu bannen? Reichte sie nicht aus? Was war außerdem dann so wichtig an ihrem Blut?

 

Seitenweise zogen sich die Notizen hin. Hermine hockte auf dem Boden und versuchte angestrengt die Tränen zurück zu halten und die Fetzen wieder zusammen zu fügen, damit sie weiter lesen konnte.

 

„Wieso hat er es mir nicht gesagt?“, flüsterte sie bitter den Fetzen zu, die vor ihr auf dem Boden lagen. Sie blätterte die Fetzen nacheinander um und kam zu einer Seite, auf der ein Bild gezeichnet war. Es trug ein anderes Datum. 6023 nach Merlins Alter. Also irgendwann Mitte des 16. Jahrhunderts in Muggelzeitrechnung, nahm sie an.

 

Es zeigte eine Gruppe an Zauberern, zwölf, wenn sie richtig zählte. Sie standen alle hinter einem Mädchen und die dreizehn erhobenen Zauberstäbe schienen Funken auszustrahlen. Sie kämpften gegen nichts Greifbares. Es sah aus wie eine dunkle Wolke.

 

„Was soll das sein? Das generelle Böse?“, murmelte sie ärgerlich und strich die Fetzen glatt. Das Mädchen war rau gezeichnet. Sie hatte es nur an der schlankeren Figur und den langen Haaren erkannt.

 

„Das Böse wird in dieser Zeit meist nur als das Dunkle dargestellt“, entgegnete Snape sehr leise. Sie zuckte zusammen und ihr Kopf flog nach oben. Er lehnte neben der Tür. Sie hatte ihn nicht kommen gehört.

 

Kurz schwieg sie. Kurz wusste sie nicht, ob sie sich zu entschuldigen hatte, oder… oder eben nicht.

 

„Wieso… hast du mir davon nichts gezeigt?“ Sie entschied sich, vorwurfsvoll zu klingen. „Das hier sind wichtige Sachen! Das sind Dinge, die wir… möglichst schnell klären müssen. Wir müssen Lösungen finden. Und vielleicht ein Indiz, das beweist, dass es auch wirklich zu schaffen ist!“, fuhr sie wütend fort.

 

„Möglichst schnell, bedeutet, in zwei Wochen“, erwiderte Snape und hielt einen Kalender in die Luft. „Die nächste Mondfinsternis ist Ende des Monats, am Samstag“, fügte er hinzu. Sie erhob sich. Snape bedachte die Fetzen auf dem Boden lediglich mit einem kurzen Blick. Kurz tat es ihr leid, seine Aufzeichnungen zerstört zu haben.

 

„Ich habe immer noch die gleichen Fragen“, sagte sie laut.

 

„Welche?“ Er schien ruhig zu sein. Sie gar nicht mehr.

 

„Wie viel Blut, Snape? Und welche Armee? Und… muss er mich lieben?“

 

„Ich weiß es nicht.“ Diese Worte trafen sie entwaffnend.

 

„Du weißt es nicht?“, wiederholte sie tonlos.

 

„Ich weiß es nicht“, bestätigte er. „Es gibt vier Zeugenberichte in den Aufzeichnungen. Alle eher vage. Keine konkreten Dinge“, fuhr er fort.

 

„Ja… aber…, dann wissen wir doch gar nichts!“, schrie sie plötzlich, ohne dass sie es verhindern konnte.

 

„Nein, das stimmt nicht. Wir wissen, dass sich die plötzliche Verliebtheit wiederholt und wichtig zu sein scheint. Wir brauchen eine Armee von zwölf Zauberern plus das Mädchen. Wir brauchen ihr Blut-“

 

„-aber wir wissen nicht, was wir damit tun sollen!“, fuhr sie böse dazwischen.

 

„Das ist aber auch alles! Wir haben den Termin und-“

 

„Und nichts!“, schrie sie. „Wir müssen Voldemort noch dazu zwingen, aufzutauchen. Und wir müssen ihn vernichten! Und wir wissen nicht einmal, mit welchem Zauber!

 

„Es ist egal, mit welchem Zauber!“, entgegnete Snape jetzt auch gereizt. „Hermine, versteh doch, sobald… wir das Ritual vollziehen, kannst du auch den Reparo Zauber benutzen und er wird eine so durchschlagende Kraft haben, dass du jeden vernichten kannst!“

 

„Mit welchem Ritual?“, wiederholte sie hysterisch.

 

„Ja, das ist alles, was wir herausfinden müssen.“ Sie keuchte auf vor Entrüstung.

 

„Und wie, Merlin noch mal? Wir haben keine Ahnung!“

 

„Noch nicht.“

„Wann hast du vor, die Erleuchtung zu finden?“, erwiderte sie aggressiv.

 

„Morgen.“

 

Sie starrte ihn an. Was? Machte er Witze?

 

„Wie?“, fragte sie verzweifelt.

 

„Ich habe eine Idee.“

 

„Eine Idee, Severus? Wirklich? Eine Idee wird uns nicht helfen.“ Ihr Atem ging schnell. Was dachte er? Dass sie jetzt Zeit hatten, eine verrückte Idee zu prüfen?

 

„Wir haben einen Gast mitgebracht.“ Er betonte das Wort Gast, wie etwas, dass man mit einem Stock vertreiben müsste. Sie schluckte schwer.

 

„Einen Gast?“, wiederholte sie leise. „Ihr habt… jemanden gefangen genommen?“, fügte sie ungläubig hinzu.

 

Snapes Ausdruck wurde bitter. „Wir hatten keine Wahl. Entweder das, oder Draco wäre heute Nachmittag gestorben.“ Diese Worte wischten alle anderen Gedanken fort.

 

„Was?“, flüsterte sie so zornig, dass sie selber erschrak und sich die Hand über die Lippen legte. Es war Irrsinn. Anscheinend lebte er noch. Alles war in Ordnung!

 

„Ich werde dir jetzt Blut abnehmen, und morgen werde ich meine Idee prüfen, wenn du nichts dagegen hast.“

 

„Deine Idee wäre, das Ritual durchzuführen an unserem… Gast?“, vermutete sie ängstlich. Snape nickte nur.

 

„Exakt. Ich nehme an, die Kraft wird bis zur Mondfinsternis stärker werden. Also dürfte das Ritual unseren Gast zwar nicht töten, aber ihr erheblichen Schaden zufügen.“

 

Ihr?“, flüsterte Hermine jetzt und vergaß, einzuwerfen, dass sie noch gar keine Ahnung hatten, wie das Ritual von Statten ging.

 

„Sie ist in Harrys Zimmer“, sagte Snape jetzt und legte müde den Umhang ab. „Draco ist bei ihr.“ Wieder schrillten ihre Gefühlsglocken. Draco wäre fast umgebracht worden! Sie musste ihn sehen. Lächerlicherweise…. Sie musste!

 

Snape zwang sie vorher allerdings Platz zu nehmen, und ließ den Becher aus dem Nichts erscheinen, den sie jeden Tag immer weniger leiden konnte.

In seinem Schrank musste er eine ganze Sammlung dieser Becher haben. Es ekelte sie an, daran zu denken, dass Snape ihr Blut bei sich trug.

Ungeduldig ließ sie ihn gewähren, denn ihr Verstand hatte sich verabschiedet und das Wort Draco hatte seinen Platz eingenommen.

 

„Und da ist noch eine Kleinigkeit, Hermine. Ich habe mir da etwas überlegt...“, begann Snape und sie sah ihm an, dass es keine positive Unterhaltung werden würde. Aber… das wurde es nie.

 

 

Teil 23

 

 

„Du bist ein Verräter, Draco! Ein elender scheiß Verräter! Weißt du eigentlich, was dein Vater durchgemacht hat? Weißt du eigentlich, wie sehr du uns allen geschadet hast?“ Ihre Stimme war den Tränen nahe, aber der Hass in ihren Augen, hielt die Tränen wohl erfolgreich fern, nahm er an.

 

„Den Tod sollst du erleiden! Der dunkle Lord wird dich finden. Und er wird dich bestrafen! Du denkst doch wohl nicht, dass du damit durch kommst! Stimmt es, dass du sie geschwängert hast? Das Schlammblut, Draco?“, schrie sie jetzt und er sah sehr genau, dass sie sich persönlich verletzt fühlte.


„Du bist ein Stück Dreck! Du bist Abschaum! Du bist es nicht wert, dass dein Arm das Dunkle Mal tragen darf! Du bist eine Schande für uns alle!“ Sie stemmte sich gegen die Fesseln, warf sich gegen den Zauber und Schweiß trat auf ihre Stirn und lief in ihre ungekämmten schwarzen Haare. Sie lagen glatt an ihrem Kopf. Sie sah blass und ungesund aus. Sie hatte ihre Kurven verloren und wirkte abgemagert und krank.

 

„Wie hält sie sich?“ Potter hatte den Kopf durch die Tür gesteckt. Draco nickte knapp.

 

„Ich denke, es geht ihr gut“, erwiderte er jetzt.

 

„Potter!“ Ihre Augen glühten plötzlich vor Wut. „Komm her, du Mistkerl! Bind mich los! Dann können wir unsere Kräfte messen! Und dann wirst du verlieren! Wenn ich dich dem Dunklen Lord vor die Füße werfe, dann werde ich in seiner Gunst so hoch stehen, dass Bellatrix noch so sehr-“

 

Potters Zauberstab hatte die Luft zerschnitten und mitten im Satz sackte Pansys Kopf auf ihre Schulter und ihre Stimme war abrupt verstummt. Bewusstlos hing sie jetzt auf dem Stuhl, aber die magischen Fesseln hielten sie stramm in aufrechter Position.

 

Draco fühlte sich nur allzu stark an sich selbst erinnert. Unter Schmerzen erhob er sich.

 

„Hast du mit Hermine gesprochen?“, fragte Potter jetzt, ohne ihren neuen Gast aus den Augen zu lassen. Draco hielt seinen Arm, der durch den Fluch noch leblos in der Schlinge hing. Immerhin war er nicht mehr schwarz. Das war ein Vorteil, aber eine andere Besserung merkte er noch nicht.

 

„Nein, habe ich nicht“, gab er zurück. Jetzt sah Potter ihn direkt an.

 

„Das solltest du.“

 

„Ich will aber nicht.“

 

„Du willst sie nicht?“, stellte Potter seine Worte einfach um und Draco atmete gereizt aus.

 

„Halt dich einfach aus meinen scheiß Angelegenheiten raus, ja?“ Er wusste nicht exakt, was Potter ihm gerade vorwerfen wollte, aber er wusste, er wollte es nicht hören. Alles in ihm sträubte sich, dieses Zimmer zu verlassen, und eine von seinen ehemaligen Freunden hier ihrem Schicksal zu überlassen.

 

„Malfoy, am besten lässt du dir jetzt keine riskanten Aktionen einfallen“, sagte Potter sehr ruhig, der Zauberstab lag immer noch locker in seiner Hand. Was dachte er? Dass er sich Pansy über die Schulter werfen würde, um mit der Person zu fliehen, die ihn vor ein paar Stunden noch umbringen wollte?

 

Bestimmt nicht.

 

Er warf Pansy einen letzten Blick zu. Er erkannte sie nicht einmal mehr. Hogwarts schien ihm plötzlich meilenweit entfernt zu sein.

Was war es noch mal, das zählte? Voldemort umzubringen? Potter zu gehorchen? Es war ihm entfallen. Irgendwie….

 

„Würde mir nicht einfallen, Potter“, erwiderte er gezwungen ruhig. „Dann übernimmst du hier?“, fügte er hinzu, bemüht kalt und desinteressiert zu klingen. Aber es war immer noch Pansy.

 

„Sicher“, gab Potter zurück und sah ihn nicht mehr an.

 

Draco verließ das Zimmer, ohne ein weiteres Wort. Er konnte jetzt nicht mehr. Jetzt war wieder ein Punkt gekommen, an dem er mehr Zweifel als Gewissheit hatte. Der Flur lag leer vor ihm.

 

Er durchschritt ihn langsam und wusste, sie mussten bald sowieso wieder weiter ziehen. Die Todesser würden jetzt nach Pansy suchen. Und Snape und Potter würden ihnen nicht die Chance lassen, sie zu finden. Er kam an der Küche vorbei. Kurz hielt er inne.

 

„Wieso gehst du nicht einfach, Hermine? Du hast mir hier noch nie geholfen!“, beschwerte sich Lavender Brown bei ihr. Brown war sehr schlecht gelaunt, als Snape ihr die spärlichen Vorräte gebracht hatte. Das Essen dürfte nicht besonders gehaltvoll ausfallen, nahm er an.

 

Denn aus Suppengrün und Brot konnte man nicht viel machen. Nicht einmal eine talentierte Kochhexe wie Lavender konnte das.

 

„Oh, sieh mal an. Hermine, ich denke, das sollte dich davon abhalten, mir deine Hilfe aufzuzwingen. Malfoy ist da.“ Mit ausgestreckter Hand deutete Brown auf ihn, aber Granger würdigte ihn keines Blickes. Ihre Stimme wurde lediglich lauter.

 

„Ich habe hier genauso ein Recht zu sein wie du. Vielleicht ist es dir irgendwann entfallen, weil du sooft mit Ron geschlafen hast, aber ich war eher hier! Ich habe dich aufgenommen, nachdem ich dich befreit habe, Lavender! Willst du mich wirklich aus der Küche werfen? Wirklich?“, schrie sie fast und hatte ihn immer noch nicht angesehen.

 

„Du hast auch mit ihm geschlafen“, war alles, was Brown etwas kleinlaut erwiderte. Granger hatte mit Weasley geschlafen? Er horchte in sich – aber eigentlich war es ihm gleichgültig.

 

„Ich schlage vor, wir zerkochen das Suppengrün und verbrauchen die letzten Pilze, die wir noch haben, ehe sie schlecht werden“, erklärte Granger jetzt ungerührt und strich sich die Haare zurück. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt und er erkannte an der hellen Stelle in ihrer Armbeuge, dass Snape ihr wohl gerade wieder Blut abgenommen hatte.

 

„Malfoy, du musst nicht so dumm da rumstehen, da kannst das Suppengrün schneiden“, durchschnitt Browns Stimme seine Gedanken.

 

„Was ist, Lavender? Können wir das auf einmal nicht mehr allein? Brauchen wir wirklich seine Hilfe dafür? Seit wann bist du überhaupt auf Hilfe angewiesen?“, herrschte Granger sie an. Brown hatte überrascht den Blick gehoben.

 

Und dann sah sie ihn an. Und fast wäre sein Mund aufgeklappt.

 

„Hau ab“, sagte sie kalt, während er in ihren Augen nichts weiter als Abscheu erkennen konnte. Das und vielleicht Triumpf. „Na los. Oder juckt es dich so sehr in den Fingern, Lavender zu helfen, Malfoy?“ Es hätte ihn überhaupt nicht gewundert, hätte sie ihn augenblicklich mit dem Zauberstab verflucht.

 

Und es juckte ihn in den Fingern, etwas ganz anderes zu tun! Was war in sie gefahren? Sonst himmelte sie ihn doch an wie einen verfluchten Gott!

 

„Alles in Ordnung?“, fragte er also widerwillig. Jetzt zog sie tatsächlich den Zauberstab, und die Tür zu der provisorischen Küche knallte ins Schloss. Er war ausgesperrt und stand mit gerunzelter Stirn im Flur.

 

Was zum…?

 

Er schüttelte verwirrt den Kopf. Er hatte damit gerechnet, dass sie vor Sorge um ihn fast umgekommen war und ihm in den Armen lag. Dann hätte er ihr vorgeschlagen, dass Sex ihn ablenken würde. Und vielleicht hätte sie auch Oralsex begeistert zugestimmt. Das hatte er erwartet! Aber nicht… Hass.

 

~*~

 

 

Sein Löffel lag vergessen in seiner Hand.

 

„Und weißt du noch, als wir damals geflohen sind? Auf dem Drachen?“, lachte sie ausgelassen und dennoch wirkten ihre Worte eher hohl. Sie stieß Weasley in die Seite. Der musste grinsen – und das tat er nicht besonders häufig – und nickte schließlich.

 

„Jaah! Ich weiß. Merlin, das war ein Flug. Und der Drache war blind. Und wir saßen zu dritt auf dem Vieh! Ich hab gedacht, wir würden nicht lebend runter kommen…“ Er schüttelte den Kopf, als wäre er überrascht, dass sie doch solange überlebt hatten.

 

Es ärgerte ihn zwar, aber er wartete die ganze Zeit darauf, dass sie ihn ansah, aber das tat sie nicht. Nicht ein einziges Mal. Sie saß nicht einmal mehr neben ihm. Sie saß neben Weasley. Auf der ganz anderen Seite.

 

„Harry, und wir sind auch noch so dreist gewesen und sind in Gringotts eingebrochen? Und dieser Zauberer, der mit mir gesprochen hatte, als ich in Bellatrix‘ Gestalt aufgetaucht bin? Und du musstest ihn mit dem Imperius belegen? Gott, ich meine, wir haben schon so viele Dinge getan. Da wird das kein Problem werden, oder?“ Sie lächelte jetzt überlegen.

 

„Ich weiß. Das war mehr als nur gefährlich“, gab Harry zurück.

 

Granger war als Bellatrix nach Gringotts gegangen? Diese Geschichte war ihm völlig unbekannt. Aber sein Stolz verbot es ihm, näher nachzuhaken.

 

„Und wie geht es Pansy?“, fragte sie jetzt recht emotionslos und er versuchte angestrengt, die Granger zu erkennen, die er in den letzten Wochen gewohnt gewesen war. Aber diese Granger war nicht mehr aufzufinden. Keine Spur mehr war von ihr übrig.

 

„Ich denke, ihr geht es den Umständen entsprechen gut“, sagte ein Junge, dessen Namen er immer noch nicht kannte.

 

„Muss ja hart für dich sein, Malfoy“, sagte sie jetzt sorglos und sein Löffel glitt tatsächlich aus seiner Hand. Sein Mund öffnete sich. Er sah, dass Potter ihr auch einen höchst verwirrten Blick zuwarf.

 

„Du sprichst mit mir, wirklich?“, erkundigte er sich jetzt leise. Sie lächelte kühl und aß einen weiteren Löffel der Suppe, die absolut widerlich schmeckte.

 

„Ja, sicher. Ich hab dir doch gerade deinen Namen gesagt, oder nicht?“ Er wartete. Aber nein. Da war nichts mehr in ihrem Blick oder ihren Worten, das ihn sicher erkennen ließ, dass sie ihn liebte.

 

„Hermine.“ Das war Snapes Stimme. Gepresst, mit dem Hauch einer Warnung, hatte er Grangers Namen gesagt. Diese verdrehte jetzt die Augen.

 

„Ja, ja“, sagte sie nur und tauchte ihren Löffel wieder in die Suppe. Ihm war der Appetit ohnehin vergangen. Er erhob sich schließlich und ignorierte Potters Blick.

 

„Pansy sollte etwas essen“, schlug Lavender jetzt vor. „Wenn du sowieso fertig bist, könntest du ihr etwas bringen“, schloss sie knapp. Kurz hob er den Blick. An dem langen Holztisch saßen nur Gryffindors, fiel ihm auf. Es waren alles geflohene Gryffindors. Nur er und Snape – und jetzt auch Pansy – waren aus Slytherin.

 

Sein Blick glitt über Potter und Weasley, über die jüngeren Kinder, über Lavender und Granger, die ihn nicht ansah. Dann über Snape, dessen Blick er wieder einmal nicht zu deuten wusste.


„Sicher“, sagte er also nur, nahm seinen unberührten Teller und verließ den Raum, der als Esszimmer herhalten musste. Kaum war er draußen, hörte er, wie Granger mit einem unechten Lachen in der Stimme eine weitere Geschichte erzählte.

 

Er stieß die Tür zu Potters Zimmer auf. Pansy war mit dem Stuhl umgefallen und schoss einen giftigen Blick zu ihm empor.

 

„Hey Schlammblutliebhaber, warum bringst du mich nicht einfach sofort um?“, knurrte sie. Draco stellte seine Schüssel ab und zog den Stuhl wieder in die Höhe.

 

„So wie du mich sofort umbringen wolltest, Pansy?“ Sie schien kurz verwirrt zu sein, dass er überhaupt mit ihr sprach, aber sie überwand diese Verwunderung schnell.

 

„Das ist es jetzt, Draco? Erinnerst du dich nicht mehr an unsere Zeit? Wir waren Freunde, weißt du!“ Wahrscheinlich würde sie gleich doch anfangen zu weinen und ihn anflehen, sie zu befreien.

 

„Erinnerst du dich, dass ich von Potter gefangen genommen wurde, und mir niemand von euch geholfen hat?“, hielt er zornig dagegen.

 

„Wir wussten nicht, wo du warst!“, widersprach sie.

 

„Bullshit! Du hast dich Monate nicht blicken lassen, Pansy!“ Er hatte gar nicht vorgehabt, sich mit ihr zu streiten. „Und du wolltest mich heute umbringen! Potter hat den Fluch abgelenkt, verdammt noch mal! Ich sollte dich hier und jetzt einfach vernichten!“, schrie er und besann sich in derselben Sekunde.

 

„Du wirst jetzt essen“, erklärte er konsterniert und zwang sich zur Raison.

 

„Damit was? Damit ich für die Vergewaltigung von Potter und Weasley auch genug Kraft habe?“, wollte sie schwer atmend wissen und kurz hob er die Augenbraue.

 

„Sowas tun nur wir, Pansy“, sagte er schließlich nach einer Weile. „So etwas tun nur Todesser. Potter und seine Leute würden so etwas niemals mit dir tun.“ Sie schien darauf nichts zu sagen zu haben. Aber für einen Moment schien ihr das die Worte zu rauben.

 

„Ist sie schwanger, Draco?“, fragte Pansy jetzt und anscheinend wollte sie es gar nicht wirklich fragen. Er lächelte plötzlich.

 

„Glaubst du wirklich, ich hätte Hermine Granger geschwängert, Pansy?“, fragte er mit einem Grinsen, als er den Löffel an ihren Mund führte. Widerwillig aß sie schließlich.

 

„Keine Ahnung. Ich hätte auch nicht angenommen, dass du auf Potters Seite stehen würdest, aber das stimmt ja anscheinend auch.“ Er zog es vor, darauf nichts zu sagen. Es bereitete ihm Magenschmerzen, wieder eine Geisel zu füttern. Vor allem, wenn es jemand war, den er so gut kannte, wie sich selbst.

 

Er stellte die Schüssel für einen Moment zur Seite.

 

„Das muss ich dir abnehmen“, sagte er ruhig und löste das Band um ihr Handgelenk. Sie wollte protestieren, aber sie war ja immer noch gefesselt. Er betrachtete den dunklen Stein am Lederband. Er müsste ihn nur zerdrücken, schon würde die Todesser kommen und Potter vernichten. Potter und Weasley und Granger… und höchstwahrscheinlich ihn.

 

„Du weißt, es ist noch nicht zu spät…“, flüsterte Pansy und suchte angestrengt seinen Blick. Er hob ihn zu ihren kalten blauen Augen. Sie ähnelten seinen eigenen so sehr, stellte er fest. „Du kannst immer noch das richtige tun, Draco“ fuhr sie verschwörerisch fort.

 

Das Richtige? Was war noch mal das Richtige?

 

Die Tür öffnete sich. „Sieh mal an, wir hatten heute noch nicht das Vergnügen“, begann Granger, und er fragte sich unwillkürlich, mit wem sie sprach. Er hob den Blick. Granger bemerkte das Band in seiner Hand. Kurz änderte sich etwas in ihrem Gesicht.

 

„Willst du das behalten oder willst du es mir geben?“, fragte sie lauernd. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Keine Lust in ihrem Blick, kein Verlangen, was nur er stillen konnte. Es lag ihm schwer im Magen. Er wusste nicht recht, warum. Aber er fühlte sich betrogen. Irgendwie…

 

„Ich werde das behalten“, erwiderte er ruhig. Sie wartete. Es verging ein Moment.

 

„Schön“, sagte sie dann und zog die Hand wieder zurück. „Du kannst gehen, Malfoy. Ich habe Pansy hier ein paar Dinge zu sagen.“

 

„Was für Dinge?“, fragte er, ehe er sich aufhalten konnte.

 

„Dinge, die dich nichts angehen.“

 

„Aha. Was geht mich denn etwas an? Wie du Sex mit Weasley hattest? Oder wie du-“

 

„Geh einfach, Malfoy“, unterbrach sie ihn scharf. Sie senkte den Blick auf den Boden. Er ballte die Hände zu Fäusten und zerquetschte fast den dunklen Stein, der die Todesser rufen würde. Er lockerte die Faust wieder.

 

„Fein, wie du willst“, gab er zornig zurück und verließ das Zimmer.

 

 

Teil 24

 

 

Er hatte die Nacht nicht in Grangers Zimmer verbracht. Es kam ihm vor wie ein Entzug. Ein Entzug von etwas, von dem er nicht einmal wusste, dass sein Körper sich daran gewöhnt hatte. Er war wie gerädert. Weasley hatte geschnarcht. Die anderen Jungen auch.

 

Auf dem Flur fuhr er sich durch die Haare. Er hatte sich die Zähne sauber gehext und zu mehr war er auch schon nicht in der Lage gewesen. Die Müdigkeit saß ihm schwer in den Knochen. Er öffnete Snapes Tür. Eigentlich schlief sein Pate ebenfalls im selben Zimmer, aber heute Nacht war er dort nicht gewesen. Anscheinend hatte er auch nicht wirklich geschlafen.

 

„- weil es das einzige ist, was wirkt!“, hörte er Grangers verzweifelte Stimme. „Weißt du eigentlich, wie großartig es ist? Wieso können wir diesen Zauber heute nicht wiederholen? Es tut der Magie doch keinen Abbruch!“

 

Beide bemerkten ihn. Granger blickte wieder gereizt zur Seite und Snape nickte ihm zu.

 

„Guten Morgen, Draco. Komm rein“, bat sein Pate. Granger ignorierte ihn.

 

„Bitte, Severus. Ich bitte dich. Tu mir den Gefallen. Ich kann endlich wieder denken!“

 

„Du weißt, dass wir dafür heute keine Zeit haben. Der Plan steht. Und wenn du nicht völlig im Zeichen der Prophezeiung stehst, dann ist deine Macht begrenzt“, erklärte er.

 

„Wir haben noch gar nicht besprochen, was wir tun werden!“, rechtfertigte sie sich und er kam sich vor, als wäre er unsichtbar.

 

„Es ist unwichtig. Ich werde diesen Zauber heute nicht ausführen“, erklärte Snape ruhig.

 

„Wir haben doch nicht vor, Pansy zu töten, also kannst du-“ Er schaltete sich bei diesen Worten ein.

 

„Was ist der Plan?“, fragte er ungehalten.

 

„Der Plan geht dich nichts an!“, gab sie zurück und es regte ihn auf, dass sie ihn anscheinend wieder hassen konnte.

 

„Severus, was soll das alles? Und was zur Hölle ist los mit dir?“, wandte er sich an sie. „Kein Verlangen mich im Flur auszuziehen?“, knurrte er haltlos und Granger verzog den Mund. Plötzliche kam selbst ihm diese Unterstellung lächerlich vor. Plötzlich kam es ihm so vor, als wäre all das nur ein weit entfernter Traum gewesen. Schon lächerlich in der Enstehung.

 

„Bitte, kein Streit. Draco, Pansy ist unsere Gefangene. Und wahrscheinlich ist es schwer für dich, aber wir werden heute probieren, ob die Prophezeiung gegen sie anwendbar ist. Sie ist der Feind.“

 

„Ich weiß, dass sie der Feind ist. Ich will sie trotzdem nicht umbringen!“, erwiderte er aufgebracht.

 

Du musst das ja auch nicht tun!“, gab Granger zurück und am liebsten hätte er sie verflucht dafür, dass sie anscheinend wieder normal war.

 

„Sie wird nicht umgebracht!“, ging Snape gereizt dazwischen.

 

„Es wird funktionieren, auch wenn ich nicht…“, begann Granger und wich plötzlich vor ihm zurück, näher zu Snape. „Ich bitte dich, es lässt bereits nach, verflucht. Wir können immer noch damit zurechtkommen, wenn es soweit ist, aber jetzt bitte ich dich, diese Bürde von mir zu nehmen. Ich kann besser denken, wenn…“

 

„Hermine, ich denke wirklich nicht, dass…“

 

„Bitte!“, flehte sie förmlich und ihre Tränen jagten ihm kurz eine unangenehme Welle des Beschützerinstinkts über die Haut. Er fühlte sich tatsächlich sehr verantwortlich für sie. Was zum Teufel sollte das denn jetzt?

 

„Nur noch heute“, sagte Snape drohend. „Wenn wir heute feststellen, dass es die Macht beeinträchtigt, wird dieser Zauber nie wieder angewandt. Es war lediglich eine Theorie von mir.“

 

„Ja, wenn es nicht geht, dann lassen wir es!“, sagte sie hastig und stellte sich gerade vor Snape. Sie schloss die Augen. Er kam näher.

 

„Was veranstaltet ihr hier eigentlich?“ Er hatte keine Lust, dass ihm keiner sagte, was hier vor sich ging. Trotzdem war seine Stimme erstaunlich kleinlaut als er sprach.

 

„Geh einfach weg hier, Draco“, hörte er sie flüstern. Sie benutzte seinen Vornamen wieder, fiel ihm auf.

 

„Hat sie Schmerzen?“, fragte er Snape jetzt und ärgerte sich über seine Sorge, die völlig unangebracht war.

 

„Nein, ich habe keine Schmerzen, du Arschloch.“ Ihre Augen waren wieder aufgeflogen. Tränen füllten sie jetzt und das Braun war glasig. Und die Granger, die ihm keine Angst einjagte, war wieder da. „Snape bitte!“, sagte sie gepresst und musste den Blick von ihm zwingen.

 

„Was tust du?“, fragte er jetzt und fixierte Snape zornig. Er hatte es gesehen! Sie hatte ihn an sich ziehen wollen und widerstand anscheinend gerade dieser Versuchung. Weshalb es ihn aufregte, dass sie es nicht tat, verdrängte er in eine unscheinbare Ecke, die er nicht näher in Betracht ziehen wollte. Snape atmete langsam aus, und ehe er Draco antwortete, hob er den Zauberstab richtete ihn auf Granger und sprach sehr langsam die Formel.

 

Impavida“, sagte er beinahe mit Bedauern. Kurz ging eine Kälte von Granger aus und Draco wich erschrocken zurück.

 

„Was war das? Wofür musst du sie-“ Er unterbrach sich selbst. Er hatte verstanden. Er kannte diesen Spruch. An dem Tag, als er von Cormac und Potter aufgegriffen und verschleppt worden war, hatte ihn sein Vater vorsintflutlich mit dieser Formel belegt. Sie veränderte das Wesen, benutzte man sie zu häufig.

 

Es war die Formel der Kaltblütigkeit. Eine Formel, die den Geist und den Körper abstumpfen ließ. Die Todesser benutzen sie im Kampf, da sie nur mit Unverzeihlichen Flüchen kämpften. Gefühle kamen in den Weg. Gefühle wie, Mitleid, Furcht und Liebe.

 

„Du weißt, dass diese Formel gefährlich ist?“, knurrte er jetzt. Snape verzog den Mund.

 

„Ich weiß es, Draco. Es ist nur für den Moment.“

 

„Für den Moment? Was soll das? Wofür hat sie es nötig?“, fragte er und ignorierte die Tatsache, dass Granger wieder ruhig vor ihm stand. Keine Tränen mehr. Kein Verlangen in den dunklen Augen.

 

„Dafür, dass ich denken kann, Malfoy. Dafür, dass ich wieder ich bin!“, antwortete sie, statt Snape. Er wandte sich an sie.

 

„Oh ja? Du bist du, wenn du kalt bist? Wenn du kein Mitleid empfinden kannst? Keine echte Freude? Keine Liebe, gar nichts mehr?“

 

„Es ist genauso künstlich wie diese dämliche Besessenheit, die ich spüre, wenn ich dich sehe. Und ich verzichte lieber auf alle meine Gefühle, als auch nur ein bisschen mehr Liebe als nötig an dich zu verschwenden!“, entgegnete sie völlig ernst. Draco musste sich zwingen, ihren Worten nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Denn was sie sagte war nicht echt. Jetzt gerade nicht mehr.

 

„Wenn du die Prophezeiung dadurch zerstörst, dass du ihr ihrer Gefühle beraubst, dann ist es deine Schuld“, sagte er jetzt an Snape gewandt. Granger lachte kalt.

 

„Nein, Malfoy.“ Es wurde ihm plötzlich klar, weshalb sie ihm so anders vorgekommen war. Sie war eiskalt. Der Zauber bekam ihr nicht gut. Er stand ihr nicht gut. Er veränderte sie komplett. Jetzt hatte selbst er ein wenig Angst vor ihr. „Die Prophezeiung wird nur dadurch zerstört, dass du mich nicht liebst.“ Sein Mund öffnete sich.

 

„Hermine, hör auf“, sagte Snape plötzlich. „Ich habe dir gesagt, du musst vorsichtig mit deinen Worten sein. Sie sind nicht wahr, nur weil du im Moment keinen Zweifel verspürst, wenn du sie laut sprichst.“ Granger verzog genervt den Mund und verdrehte die Augen.

 

„Lass uns lieber testen, ob wir gegen Pansy etwas ausrichten können.“ Sie war bereits gegangen.

 

„Sie hat Unrecht oder?“, fragte er sicherheitshalber. „Das mit der Liebe? Ich meine… ich muss sie nicht lieben, damit sich die Prophezeiung erfüllt, richtig?“

 

„Du liebst sie also nicht“, stellte Snape nüchtern fest.

 

„Ich…“, begann Draco rechtfertigend, aber er wusste darauf nichts zu sagen. Er sorgte sich um sie. Es interessierte ihn, was sie dachte und… er wollte nichts lieber in der Welt, als Voldemort endlich zu vernichten und wieder in Freiheit leben, aber… liebte er sie? Er hatte keine Ahnung. Diese Frage hatte er sich noch nie gestellt. Der Sex fehlte ihm definitiv, ja. Aber das würde Snape wohl nicht gelten lassen. „Woher weiß ich es?“, fragte er also leise.

 

Snapes Blick glitt kurz zu einem unbestimmten Punkt im Zimmer.

 

„Wenn du die Schuld bei dir suchst. Und nicht bei ihr“, sagte er schließlich, nach einer kleinen Weile. Draco dachte darüber nach.

 

„Welche Schuld?“, fragte er dann.


„Egal, welche“, erwiderte Snape. Draco legte die Stirn in ratlose Falten.

 

„Du fragst dich, weshalb sie den Zauber der Kaltblütigkeit so bereitwillig entgegen nimmt“, fuhr Snape fort. „Sobald du dir mit schlechtem Gewissen die Frage stellst, ob es dein Verschulden ist, ob sie kaltblütig sein will, dann ist es Liebe.“ Dracos Mund öffnete sich, aber Snape hob die Hand. „Wenn du ihr die Schuld gibst, dass sie zu schwach ist, alle Konsequenzen der Prophezeiung zu tragen, dann ist es keine Liebe“, erklärte sein Pate knapp.

 

Suchte er die Schuld bei sich?

 

Er glaubte nicht, dass er begriffen hatte. Er hatte keine Ahnung, von welcher Schuld Snape sprach. Für einen winzigen Moment dachte er an ihre Tränen. Er hatte keine Sekunde gezweifelt, dass sie wegen ihm aus ihren Augenwinkeln fielen. Wenn sie weinte, ging er immer davon aus, dass es seine Schuld war.

 

Aber… bereitete ihm das schlaflose Nächte? Bisher? Nein, wahrscheinlich nicht.

 

„Woher weißt du das?“, fragte er plötzlich, als Snape Anstalten machte, hinter Granger herzugehen. Kurz hielt er inne und sah ihn an. Dann erschien ein Lächeln auf den schmalen Lippen seines Paten.

 

„Weil mir niemals, auch im schlimmsten Traum nicht, die Idee kommen würde, die Schuld bei Lily zu suchen“, sagte er mit einem freudlosen Lächeln und Dracos Mund öffnete sich.

 

Lily? Wer war… Aber er glaubte zu wissen, von welcher Lily Snape sprach. Und er wollte nicht darüber nachdenken. Er zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. Und zwar in die Richtung, dass er nicht wollte, dass Pansy heute umgebracht wurde. Und wenn er an die kaltblütige Granger dachte, dann sahen Pansys Karten schlecht aus. Ziemlich schlecht….

 

 

~*~

 

 

„Wieso funktioniert es nicht?“, schrie Granger zornig. So zornig hatte er sie noch nie erlebt. „Wir sind zwölf! Mein Blut steht in Töpfen auf dem Tisch! Ich bin bestens vorbereitet! Der Zauber sollte mittlerweile doch die Stärke entfalten können, oder nicht?“

 

Snape kratzte sich am Kinn. Er schien schnell nachzudenken, während Pansy nicht wagte zu sprechen.

 

„Vielleicht kann die Prophezeiung nur an diesem einen Tag in Erfüllung gehen!“, sagte Potter und ließ den Zauberstab sinken.

 

„Vielleicht ist es nicht der richtige Zauber“, sagte Granger gereizt. „Vielleicht ist er nicht gut genug“, fuhr sie fort. „Vielleicht-“

 

„Es ist unnötig, Pansy umzubringen“, unterbrach er sie gereizt.

 

„Wenn es dich so sehr stört, wieso setzt du dich nicht einfach auf den verdammten Stuhl und ich bringe dich einfach um?“, schlug sie jetzt kalt vor und er wusste, sie meinte diese Worte nicht wirklich ernst. Er sah, wie Potter verwundert die Stirn runzelte.

 

„Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass du ein herzloses Miststück bist und die Prophezeiung einfach nicht auf herzloses Miststücke anwendbar ist!“, knurrte er und war näher gekommen. Sie hatte den Zauberstab auf ihn gerichtet.

 

„Ach ja? Möchtest du das irgendwie unter Beweis stellen? Was hält dich davon ab, Parkinsons Platz einzunehmen?“ Er wollte ihr gerade antworten, da war Snape zwischen sie getreten.

 

„Hermine, ich habe dir gesagt, wenn der Zauber für dich nicht wirkt, dann werden wir ihn lösen. Kurz sah Draco Panik in ihrem Blick.

 

„Als verliebtes Weichei werde ich hier auch nichts ausrichten können!“, entgegnete sie ziemlich respektlos. Snape atmete langsam aus.

 

„Draco hat recht. Ein Mord rechtfertigt die Mittel nicht, Hermine, du-“

 

„Seit wann interessiert es uns, was Malfoy sagt?“, verlangte sie zu wissen und langsam hatte er es satt, dass sie sich so sehr verändert hatte.

 

„Du wirst deine scheiß Laune unter Kontrolle halten oder ich löse deinen Zauber!“, drohte er ihr und hatte den Zauberstab auf sie gerichtet. Ihm war eine wichtige Einzelheit entgangen.

 

Sie richtete jetzt nämlich den Zauberstab direkt auf seine Brust. Er musste zugeben, das war eine Variable, die er nicht bedacht hatte. Es war wie ein unvorsichtiger Angriff auf die Dame beim Zauberschach, wo er alles aus dem Blick verloren hatte und nur auf den Sieg aus war. Der Punkt, wo er schlicht und einfach vergessen hatte, dass sich die Dame schließlich auch verteidigen konnte. Am liebsten hätte er geflucht, aber er unterdrückte diesen Impuls und entschloss sich, eben Feuer mit Feuer zu bekämpfen, wenn es nicht anders ging.


„Wirklich? Willst du mich zwingen, Malfoy? Denkst du wirklich, es interessiert mich ernsthaft, was du denkst?“, fragte sie und ihr Blick war eisig. Ihr Blick war der eines Todessers.

 

„Hermine, was soll der Unsinn? Und unter welchem Zauber stehst du?“, mischte sich Potter jetzt ein. Draco reichte es. Es ging alles zu weit.

 

Flagra-“ Aber Granger war schneller als er.


Stupor!“, rief sie gellend und er krachte mit beachtlicher Stärke gnadenlos gegen die Wand. Ehe er den Schmerz hatte spüren können, war er bereits gegen einen der Beistelltische gefallen und Grangers Blut tränkte seine Kleidung. Sein Bewusstsein verließ ihn, bevor er irgendetwas anderes denken konnte und an der Wand zusammen sank.

 

 

Teil 25

 

Die Geräusche drangen verschwommen an sein Ohr. Er konnte nicht lange das Bewusstsein verloren haben, denn die anderen standen um ihn herum. Granger kniete neben ihm und er verspürte eine blendend weiße Wut auf sie.

Sie hatte ihn tatsächlich – schon wieder – verflucht!

 

Er öffnete den Mund, aber sie war schneller.

 

„Es tut mir leid“, flüsterte sie völlig neben sich. Ihre Hand strich über seine Haare. „Es tut mir wirklich leid, Malfoy“, sagte sie noch einmal leiser. Er hatte keine Ahnung, ob ihre Kaltblütigkeit von ihrer Sorge einfach überschattet wurde.

 

Erst jetzt spürte er die unangenehm kühle Nässe an seinem Körper.

 

„Das Blut!“ Er sprang förmlich auf, denn ihm wurde klar, dass nun der all der Aufwand völlig umsonst gewesen war.


„Draco, du solltest-“, begann Snape, aber er hatte keine Lust zu diskutieren, was er sollte und was nicht.

 

„All die Arbeit! Das Blutabnehmen und das Sammeln! Jetzt ist das alles völlig umsonst gewesen!“, schrie er. Eigentlich wollte er sich jetzt direkt an Granger wenden, aber irgendwie schenkte ihm kaum jemand Beachtung. Verwirrt folgte er Potters Blick. Denn sein Blick hatte sich am Boden verfangen. So wie der Blick der zwölf anderen Personen im Zimmer.

 

Selbst Pansy starrte gebannt auf den Boden zu seinen Füßen.

 

Sein Mund öffnete sich, als er erkannte, was er sah. Sein Zauberstab lag in Grangers Blutlache. Aber etwas hatte sich entscheidend verändert.

 

„Oh mein Gott, Severus!“, rief Granger plötzlich aus. „Mein Blut ist nur wichtig, weil…“ Ihre Stimme verklang wieder, denn sie hatte sich kopfschüttelnd die Hand vor den Mund geschlagen.

 

„Ja, ich sehe es. Und ich schäme mich, dass ich darauf nicht gekommen bin“, fügte er ärgerlich hinzu. Die Zauberstäbe brauchen dein Blut. Nicht der Zauber selbst. Natürlich. Jetzt macht es Sinn!“

 

„Jetzt macht es auch Sinn, dass Bartleby und die anderen nichts ausrichten konnten, weil sie das Blut nicht hatten!“ Er hatte keine Ahnung, von was Granger gerade sprach, aber entscheidend war die Tatsache, dass sie ein ganz wichtiges Rätsel gelöst hatten.

 

Und schließlich griff er nach seinem Zauberstab und er zögerte keine Sekunde.

„Bemerkenswert, Granger“, sagte er schließlich mit einem schiefen Grinsen. „Dein Blut ist mächtiger als ich gedacht hatte“, fügte er hinzu. Dann wandte er sich um.

 

„Tut mir leid, Pansy.“ Diese öffnete erschrocken den Mund, aber er war schneller. Ganz sanft vollführte er die Zauberstabbewegung. „Oblivate“, sagte er ruhig, aber die Durchschlagkraft des Zaubers war mächtig.

 

Mit voller Wucht traf Pansy der Erinnerungszauber. Ihre Augen rollten in die Höhlen und er bezweifelte stark, dass sich Pansy noch an ihren Namen erinnern konnte.


„War das nötig?“, fragte Snape jetzt und er ruckte mit dem Kopf.

 

„Sie wollte mich umbringen. Ich würde sagen, das war nötig. Jetzt können wir sie gehen lassen und sie würde Harry Potter nicht einmal wiedererkennen, wenn er vor ihr Tango tanzen würde“, bemerkte er knapp.

 

„Möglich. Wahrscheinlich war das die beste Lösung“, gab auch Potter zu bedenken. Ein Blick auf Granger zeigte ihm, dass sie immer noch völlig geschockt war.

 

„Das heißt, wir brauchen nicht viel Blut“, schloss Snape. „Und wenn der Zauber jetzt schon so wirkungsvoll ist, dann wird in zwölf Tagen wesentlich wirkungsvoller sein“, fügte er hinzu. „Draco, dann können wir Teil zwei tatsächlich in die Tat umsetzen.“

 

Ach ja. Teil zwei gab es ja auch noch. Das hatte er fast verdrängt. Da war ja noch der Teil, der ihm sein Genick brechen konnte. Seine Laune verschlechterte sich automatisch.

 

„Hermine?“ Potter war zu ihr getreten, während die anderen die bewusstlose Pansy losbanden und über die Vorbereitungen zum Aufbruch sprachen. Das Zimmer leerte sich unter aufgeregtem Gemurmel. Bisher schienen tatsächlich alle an dem Plan gezweifelt zu haben. Jetzt wirkten sie bestätigt und selbst Weasley war zu aufgeregt, um ihn noch zu beleidigen, wie er es sonst eigentlich tat.

 

„Mir geht’s gut, Harry“, sagte sie beschämt.

 

„Ist der Zauber abgeklungen?“, erkundigte Draco sich und rieb sich provozierend den Hinterkopf. Sie sah ihn mitleidig an.

 

„Ich hab mich entschuldigt. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte dich niemals… ich wollte dich nicht verfluchen“, bestätigte sie dringend.

 

„Also ist der Zauber noch nicht verflogen?“, wiederholte er seine Frage und sie wandte den Blick in eine andere Richtung.

 

„Was für ein Zauber?“, fragte Potter aufgebracht. Snape jedoch nahm ihm die Antwort ab.

 

„Ich würde sagen, das hier war jetzt aufregend genug für heute, Harry. Und das andere… ist wohl nicht unbedingt deine Angelegenheit. Aber Hermine, um deine Frage hiermit zu beantworten: Es scheint nicht notwendig zu sein“, fügte Snape bedächtig hinzu, während er Harry mit sich führte.

 

Jetzt waren sie alleine zurück geblieben und Draco kannte die Frage zu Snapes Antwort. Wahrscheinlich war es in den bisherigen Prophezeiungen nicht vorgekommen, dass irgendeine der Parteien nicht verliebt war, aber anscheinend war es unwichtig, ob dies so war.

 

Granger fuhr sich über die Stirn.

 

„Es war dumm von mir, auf den Zauber zu bestehen. Es war gefährlich und blöd“, fuhr sie fort und sie betrachtete die Blutlache auf dem Berg. „Emundo“, sprach sie jetzt und der Boden war wieder blitzblank.

 

„Anscheinend gibt es nichts Schlimmeres, als in mich verliebt zu sein. Ich verstehe schon“, sagte er leichthin. Sie lächelte schwach.

 

„Nein, das ist nicht wirklich schlimm“, erwiderte sie müde. Sie sah wirklich müde aus. Aber Kaltherzigkeit strengte an. Er wusste das. „Es ist nur ärgerlich, wenn man alleine verliebt ist.“ Wahrscheinlich wäre sie nicht so mutig dies auszusprechen, wenn der Zauber die Wirkung verloren hätte. Dann wäre nämlich die Angst über solche Worte wieder allgegenwärtig.

 

Er wollte irgendwas sagen. Irgendwas Nettes. Irgendwas, was sie ablenken würde. Aber er wusste nicht, was. Sie war ihm so vertraut.

 

„Schon ok“, unterbrach sie seine Gedanken mit einem Lächeln. Er fühlte sich wieder unwohl, weil er nur zu gerne aus den Sachen raus wollte. Es war eklig voller Blut zu sein, ging ihm auf. Aber nicht, weil es Muggelblut war. Nein. Einfach nur so. Fast hätte er darüber gelächelt.

 

„Hey…“, sagte er jetzt und streckte ihr die Hand entgegen. „Sobald du mich wieder berühren möchtest oder küssen willst oder einfach nur auf Sex aus bist, dann bin ich gerne dabei.“ Er hoffte das klang nicht so plump, wie es in seinen Ohren den Anschein machte. Sie musste grinsen.


„Aha“, sagte sie jetzt und wurde tatsächlich rot.

 

„Ich meine… Verflucht, ich mag das, Granger“, sagte er und wartete immer noch darauf, dass sie seine Hand nahm.

 

„Du magst, dass ich dich will?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, und er lächelte.

 

„Ich weiß, keiner von den anderen hier mag diesen Zustand besonders. Aber… mir gefällt es“, bestätigte er jetzt und sie schüttelte endlich seine Hand.

 

„Ok.“

 

„Ok.“

 

~*~

 

 

„Wie viel hast du ihr bezahlt, dass du das machen darfst?“ Sie konnte nicht anders, als argwöhnisch zu klingen, während er die Kartoffeln in feine Scheiben schnitt. Sie wusste, jedes Verhalten war mittlerweile eine Ruhe vor dem Sturm.

 

Sie war eigentlich so aufgeregt, dass sie endlich des Rätsels Lösung gefunden hatten. Und sie war ein wenig sauer, weil Snape ihr noch nichts von dem ominösen zweiten Teil des Plans erzählt hatte.

 

Aber von jedem Gefühl nur ein wenig, weil der Zauber erst jetzt abklang. Die Gefühlskälte hatte ihr wirklich nicht gefallen. Und jetzt verließ sie langsam den Zustand, an dem sie wirklich panisch war, wegen irgendwelchen Herzensangelegenheiten. Sie wusste, das würde nur solange anhalten, bis sie sich wieder nach Malfoy verzehrte.

 

Deswegen hoffte sie jetzt gerade, dass der Zauber der Kaltblütigkeit sie noch etwas verschonen würde. Aber sie hatte schon wieder ein paar nette Gefühle. Vor allem nachdem, was heute passiert war. Sie hatte ihn mit solcher Wucht verflucht, dass sie selbst durch die Kaltblütigkeit das schlechte Gewissen gespürt hatte.

 

Und das Gespräch danach war auch nicht gerade… erheiternd gewesen. Aber jetzt kochten sie zusammen. Es war so eine Art Waffenstillstand. Er trug Lavenders provisorische Schürze und Hermine nahm an, dass ihm Lavender dies sehr übel nehmen würde.

 

„Ich habe ihr gar nichts bezahlt, Granger. Ich bin verflucht charmant“, erklärte er konzentriert, während er weiter schnitt und sich eine blonde Strähne aus der Stirn pustete. Ihre Fingerspitzen kribbelten ein wenig, während sie ihm zusah.

 

Aha… der Zauber verließ also ihren Geist. Wie… nett, dachte sie genervt.

 

„Auch mal?“ Fragend hielt er ihr das Messer hin.

 

„Nein, danke. Und wenn, dann benutze ich Magie dafür, Malfoy“, begründete sie verwirrt.

 

„Aber wenn man kocht, sollte man wirklich auf das Gefühl seiner Hände achten. Denn Kochen ist schließlich etwas ziemlich gefühlsbetontes. Das ist ja nicht nur irgendeine Arbeit. Menschen müssen das auch essen, was du da tust. Du hast eine ganz andere Beziehung zum Essen, wenn du es selber zubereitest“, schloss er seinen Monolog.

 

„Malfoy, ihr hattet Hauselfen und Diener. Du musstest keinen Fingerschlag tun.“ Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Er grinste jetzt.

 

„Ja, aber nachdem meine Mutter die Elfen und die Dienerschaft mitgenommen hatte, habe ich angefangen Kochen zu lernen. Allein“, fügte er hinzu.

 

„Du kannst trotzdem alleine kochen. Ich habe kein Interesse.“

 

„Du wolltest doch helfen“, sagte er grinsend.


„Ja, als ich dachte, wir würden das mit Magie eben schnell erledigen. Und weil die Zutaten mal etwas spezieller und… besser sind.“ Er lächelte jetzt still.

 

„Warum bist du dann hier geblieben?“ Seine Augenbraue hob sich für den Bruchteil einer Sekunde und sein Ausdruck erreichte eine höchst spöttische Note. Sie spürte, wie ihr Blick finster wurde.

 

„Weil…“ Oh Gott, jetzt durfte sie aber nicht versagen! „Weil… das nicht deine Küche ist, Malfoy“, brachte sie schließlich hervor und kam sich lächerlich vor.

 

„Wie du willst. Du bist die Waffe, Granger.“ Sie widersprach nicht. Sie war müde, ihm zu widersprechen und seinen Spott zu kommentieren. Sie sah sich um. Diese Küche in dem neuen Lager war größer. Zwar war es immer noch ein heruntergekommener Platz, aber auf der Flucht hatte man eben nur die Möglichkeit eine verlassene Fabrik zu nehmen oder Zelte aufzuschlagen. Da sie keine Zelte mehr hatten, blieb ihnen wenig zur Auswahl.

 

Und diese Fabrik hatte wenigstens für die Arbeiter insoweit vorgesorgt, dass die Küche über zwei Herde verfügte. Und sie konnten jetzt zu zweit die Zimmer teilen. Nicht, dass sie daran dachte, sich mit Malfoy ein Zimmer zu teilen… Gut, jetzt dachte sie schon daran, aber nur, weil…- Nein, sie wusste nicht mehr, weshalb.

 

Er hatte schöne Hände. Sehr schöne Hände….

 

„Was?“, fragte er beinahe lauernd. „Kritik?“

 

Sie schüttelte nur den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute. „Komm schon. Nur in Scheiben schneiden. Ist ganz leicht. Es sei denn, du willst dich schneiden. Das wäre dämlich, weil wir dein Blut noch brauchen“, begann er zu erzählen. Sie nahm gereizt das Messer und griff nach einer Kartoffel. Er stellte sich fachmännisch hinter sie und lugte über ihre Schulter.

 

Sie spürte seinen Atem und musste kurz die Augen schließen.

 

„Wie süß. Mach ich dich nervös?“, fragte er jetzt mit einem Lachen in der Stimme und sie zwang ihren Geist wieder zur Arbeit.

 

„Nein, Malfoy. Ich finde es nur albern, den Zauberstab nicht zu benutzen, wenn man-“ Sie brach abrupt ab, denn sie war sich sicher, seine Lippen kurz auf ihrer Haut gespürt zu haben. Ganz kurz an ihrem Hals. Für eine winzige Sekunde.

 

„Ja?“, fragte er an ihrem Ohr und sie räusperte sich.

 

„Äh…“, begann sie und musste tiefer einatmen, denn sie hatte das Gefühl, dass nicht mehr genügend Sauerstoff in ihr Gehirn kam.

 

Und diesmal spürte sie es deutlich. Seine Lippen pressten sich kurz gegen die Stelle unter ihrem Ohr. Und sie wanderten weiter.

 

„Du willst mich vom Kochen abhalten, richtig?“, flüsterte sie jetzt erstickt und wäre gerne stärker. Nur ein wenig stärker. Nur um einfach mehr, viel mehr, Zeit zu schinden.

 

„Unsinn“, erklärte er ruhig. Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, ehe sie sich zu ihm umdrehte und ihre Arme heftig um seinen Nacken schlang. Er reagierte sofort und senkte den Kopf.

 

Ihre Lippen krachten aufeinander. Das Geräusch, das er von sich gab, war nur als genießerisch zu bezeichnen. Ein Schnurren, ein raues Stöhnen, es war unglaublich betörend. Sie konnte nicht anders, als sich enger an ihn zu drücken.

 

Und es gelang ihr nicht einmal, wenigstens in ihrem Kopf, zu behaupten, dass sie das hier nicht vermisst hätte. Sie hatte es unglaublich vermisst! Er hatte ihr unglaublich gefehlt. Ihre Hände gruben sich in seine Haare, zogen in noch näher an sich und seine Zunge glitt mühelos zwischen ihre Lippen.

 

Sie glaubte fast ohnmächtig zu werden, als der Zauber gänzlich verschwunden schien. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn jemals wieder loszulassen. Sie presste sich enger an ihn, wollte in ihn gleiten, mit ihm verschmelzen, damit man nicht mehr sagen konnte, welcher Körper zu wem gehörte.

 

Natürlich war der Gedanke absurd, aber es war ihr egal.

 

Sie spürte wie seine Arme hinter ihr mit einer unwirschen Bewegung die Brettchen und Kartoffelscheiben zur Seite stießen, ehe seine Hände sich fest um ihre Hüfte legten und sie auf den Tisch setzten.

Er drängte sich zwischen ihre Beine und selbst durch den Stoff ihrer beider Hosen spürte sie seine Erektion.

 

Die Gedanken, dass es sich nicht gehörte in einer Gemeinschaftsküche Sex zu haben und dass sie noch mal von vorne anfangen konnten, die Zutaten zu schneiden waren so unwichtig, dass sie sich fast geschämt hätte. Nur fast natürlich.

 

Für einen Moment kam es ihr anders vor. Für einen Moment kam sie sich gar nicht mehr nur allein so vor, als würde sie alles initiieren, als würde sie allein ein brennendes Verlangen spüren. Für einen Moment erschien ihr Malfoy genauso wie sie selbst. Er riss ihr die Bluse vom Körper, schob ihr die schmalen Träger des weißen Shirts über die Schultern, küsste ihre Haut und konnte nicht von ihr ablassen.

 

Mit größter Anstrengung riss er sich von ihr los. „Komm mit“, knurrte er und das allein reichte, dass ihr Knie zu Pudding wurden.

 

„Das Essen…“, flüsterte sie und es war ihr eigentlich egal. Er schnappte sich beinahe aggressiv seinen Zauberstab und führte stumm einige Zauber aus. Messer flogen durch die Küche, hackten sämtliche Zutaten klein, säuberten die fertigen Sachen auf dem Boden, und aus den Augen sah sie, wie die Töpfe auf den Herd flogen, das Wasser anfing zu kochen und die Küche nun völlig selbstständig kochte.

 

„Ich dachte, dass müsste man mit den Händen tun“, versuchte sie ihn zu ärgern, aber einen solchen Ton kann man gar nicht anschlagen, wenn man jemanden mit den Augen geradezu anhimmelt. Er zog sie einfach mit sich.

 

„Ich habe vor, meine Hände für etwas anderes zu benutzen“, erklärte er schnell und ohne diese Worte weiter auszuführen. Aber sie konnte sich lebhaft vorstellen, was er dachte und schon hatten ihre Füße ihn überholten und zogen ihn jetzt mit sich, anstatt umgekehrt.

 

 

Teil 26

 

 

Es war kühl draußen. Zwar wusste er, dass dieser Moment hatte kommen müssen, aber damit gerechnet, hatte er doch nicht wirklich so früh.

Er wusste, Granger besprach mit Snape die möglichen Zauber. Er trug bereits seinen Reiseumhang und wusste, es handelte sich jetzt nur noch um Minuten.

 

Nur noch ein paar Minuten, bis zum zweiten Teil des Plans.

 

In den Tagespropheten, die sie in den letzten Tagen gelesen hatten, standen die Auswirkungen und die Verwüstungen durch die Todesser. Jetzt waren sie rund um die Uhr auf der Suche nach Granger. Sie zerstörten jede Fabrik auf ihrem Weg, ob benutzt oder unbenutzt war unwichtig.

 

Der Plan war nur wirksam, wenn er überleben würde. Und daran hatte er Zweifel. Begründete zudem. Seine Finger kribbelten unangenehm. In den letzten Tagen hatte er Granger keine Minute allein gelassen. Jetzt stand er hier schon seit einer ganzen Weile und er mochte es nicht. Er wollte nicht ohne sie sein. Darüber würde er noch nachdenken, wenn die geeignete Zeit gekommen war.

 

Jetzt machte er sich erst mal Sorgen über die zukünftigen Schmerzen. Granger hatte geweint. Sie hatte geschrieen und ihm sämtliche Vorhaltungen gemacht. Es war unerheblich. Es gab keine bessere Möglichkeit. In seiner Faust hielt er Pansys Lederband umschlossen. Die kleine Kugel war selbst in seiner Handfläche eiskalt.

 

Ein Blick gen Himmel sagte ihm, dass es wohl weit nach neun Uhr sein musste, denn die Sterne blinkten dumpf in der Dunkelheit und kein bisschen Tageslicht war mehr zu entdecken. Nirgendwo.

 

„Das ist Irrsinn“, sagte sie und stellte sich neben ihn.

 

„Du sollst drinnen bleiben“, erwiderte er, wie aus einem Reflex heraus. Er wandte sich zu ihr um, nur um wieder weich zu werden. Ihre dunklen Augen blickten voller Sorge zu ihm auf. Sorge und Wut. Beides vermischt. Das war nett zu sehen. Sie konnte sich immerhin nicht entscheiden.

 

„Es gibt hundert andere Möglichkeiten als diese“, behauptete sie zornig. Er zog sie einfach an sich.

 

„Diese ist simpel und wirksam“, erwiderte er nur.

 

„Ist sie vielleicht nicht, Draco. Das weißt du. Wie kann ich das denn zulassen? Ich sollte das tun. Nicht du!“ Er atmete langsam aus und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

 

„Es ist noch nicht an der Zeit. Heute Nacht kannst du dich dann in alle Gefahren stürzen.“ Als ob er das wollen würde!

 

„Aber… wenn sie dich nicht leben lassen!“ Tränen füllten ihre Augen sofort. Er musste kurz nach oben blinzeln, damit seine Gefühle nicht zu mächtig wurden.

 

„Hey! Mach dir keine Gedanken. Ich komm zurück, ich versprech es dir, Hermine“, sagte er ruhig und sie schluchzte auf, ehe sie die Arme um seinen Nacken warf. Er küsste ihre warmen Lippen verlangend und wollte selber nicht gehen. Der Plan war absurd, gefährlich und er rechnete mit einer achtzig prozentiger Wahrscheinlichkeit damit, dass er es nicht schaffen würde.

 

„Hier seid ihr. Draco, bereit?“, fragte sein Pate jetzt und anscheinend ging jetzt alles sehr schnell.

 

„Nein!“, rief Hermine, die sich von ihm gelöst und sich schützend vor ihn gestellt hatte.


„Hermine, bitte. Wir haben darüber gesprochen. Ihr seid einverstanden mit dem Zauber? Ich denke, es ist einfacher für uns alle.“ Draco antwortete Snape, anstatt Hermine.

 

„Ja, es ist besser.“

 

Impavida!“ Ehe Granger mit einem Schrei widersprechen konnte, hatte Snape sie beide schon mit der Kaltblütigkeit belegt. Ihre Arme sanken neben ihren Körper. Sie stand immer noch vor ihm, aber ihr Ausdruck war leer.

 

Er betrachtete das Mädchen vor sich und fast schmerzte es ihn, dass er sie nicht küssen wollte. Aber dann wurde auch dieses Gefühl gelöscht und er wich von ihr zurück. Sie sah ihn fast kritisch an.

 

„Der Zauber ist stark, Snape.“ Ihre Stimme klang gewöhnlich und keine Träne schimmerte mehr in ihren Augen. Snape selber schien nicht glücklich zu sein.

 

„Wir haben alles gepackt. In zwei Minuten apparieren wir von hier. Willst du die Adresse wissen?“ Er reagierte sofort und schüttelte den Kopf.

 

„Nein, absolut nicht. Sie werden mich foltern, um sie zu bekommen. Je länger sie nichts wissen, umso besser ist es.“ Snape nickte nur und reichte ihm ein helles Band. Er hatte es also geschafft.

 

Er band es um Dracos Handgelenk und sah ihn an. „Das war ein ganzes Stück Arbeit. Verlier es bitte nicht.“ Plötzlich verlor es die Farbe. Es wurde komplett unsichtbar, aber Draco spürte es noch auf seiner Haut. „Harry war nicht glücklich, dass er mir ein winziges Stück von seinem Umhang hatte geben müssen.“ Er sah wie sich Granger auf die Lippe biss. Wahrscheinlich hielt sie gerade böse Worte zurück, nahm er an. Die kamen nämlich schnell, wenn man kaltblütig war.

 

„Du gibst uns Bescheid. Fünf Minuten vorher. Und du bist dir sicher, dass du mich nicht brauchst?“ Zu lügen fiel auch um vieles leichter, wenn man kalt im Innern war.

 

„Nein, ich brauche dich nicht, Severus“, log er gekonnt und war dankbar für die Leere in seiner Brust, wo vorher noch die Angst gesessen hatte.

 

„Gut. Ich habe nichts anderes erwartet.“

 

„Seid ihr soweit? Wir haben gepackt.“ Weasley war in der Tür erschienen. „Hermine, komm rein, es ist zu gefährlich draußen!“, fuhr er sie an. Granger zögerte noch einen Moment. Sie sah ihn an und suchte anscheinend etwas in seinem Gesicht.

 

Draco wusste, er hätte bessere Worte des Abschieds gewusst, wäre sein Herz nicht eiskalt.

 

„Bis später“, sagte er also nur. Sie zuckte mit den Schultern.

 

„Wenn du überlebst, ja.“ Damit ging sie rein. Weasley sah einen Moment lang schockiert aus.


„Severus, du hast den Zauber angewandt?“, fragte er angewidert und bedachte Draco mit einem kurzen Blick. „Muss hart sein, wenn sie dich hasst, richtig?“ Draco konnte keine Gefühlsregung in seinem Gesicht zustande bringen. Nicht mal die Wut auf Weasley war noch gegenwärtig, die er stets so stark empfand.

 

„Oh, du bist genauso“, stellte Weasley entnervt fest. „Severus, der Zauber ist wirklich übel“, fügte er hinzu, ehe er wieder im Innern verschwand.

 

„Wer übernimmt es?“, fragte er jetzt. Snape zögerte kurz.

 

„Ich werde das tun“, erklärte Potter, der beinahe gierig seinen Kopf in die Nacht steckte. Er kam fast so selten raus wie Granger.

 

„Ist das sicher?“, fragte Draco und wusste aber, dass sich Potter wohl nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Und er glaubte für eine winzige Sekunde, Grangers Schatten hinter der offenen Tür erkennen zu können. Er wandte seinen Blick ab.

 

„Natürlich nicht. Hast du ein Problem damit, wenn ich dich verletzte?“ Fast grinste Potter bei diesen Worten. Severus nickte ihm zum Abschied zu und mit einem letzten langen Blick verschwand er ebenfalls im Innern der Fabrik.

 

„Nein, habe ich nicht“, antwortete Draco auf die Frage.

 

„Dann ruf sie. Jetzt!“, befahl Potter mit erhobenem Zauberstab.

 

Er spürte die Macht der Apparierenden im Innern der Fabrik. Gleichzeitig zerdrückte seine Hand die dunkle Kugel in seiner Umhangtasche. Kurz geschah gar nichts. Potters Blick drohte kurz zu entgleisen. Dann zerriss ein gellender Schrei die Luft. Draco sah sie kommen. Sie apparierten aus der Dunkelheit dem Licht entgegen, dass die Kugel verströmte, sobald man sie zerstört hatte.

 

„Mach es schon!“, knurrte er Potter zu. Dieser riss den Blick vom Himmel.

 

Consectio!“ Er machte eine Abwärtsbewegung mit seinem Zauberstab und Draco spürte die Oberflächlichkeit, die Potter anwandte. Heißes Blut lief über seine Wange. Er spürte, wie der Umhang riss und Blut aus seiner Brust zu fließen begann. Dann zog Potter den Zauberstab zurück.

 

„Es ist Potter!“ Die Stimmen überschlugen sich fast vor Gier. Jetzt packte ihn Potter am Kragen.

 

„Hoffentlich schneiden die deine Kehle durch, du elender scheiß Verräter!“, schrie Potter und stieß Draco grob nach hinten, ehe er sich zu drehen begann.

Kurz sah er Potter schemenhaft vor sich, dann war er verschwunden. Genau in der Sekunde, in der er selber im Nacken gepackt und nach oben gerissen wurde.

 

Bellatrix funkelte ihn an. Ihre Augen wirkten stumpf und wahnsinnig im dämmrigen Licht der Sterne.

 

„So… so, so… der kleine Draco ist verstoßen worden? Durchsucht die Fabrik!“, ordnete sie herrisch an. „Dein Vater wird begeistert sein, dich selber umbringen zu dürfen. Viele Dinge lagen ihm auf der Zunge. Er spürte seinen Zauberstab in seinem Umhang und war kurz versucht, ihn hervorzuholen.

 

„Ich muss zum Dunklen Lord!“, verlangte er und legte Dringlichkeit in seine Stimme.

 

„Oh, zum Dunklen Lord?“, lachte Bellatrix. „Du kannst froh sein, wenn ich deine Eingeweide nicht direkt hier verteile, Draco, Schatz.“ Für einen irren Moment dachte er, sie würde ihn küssen. Aber sie brachte ihn nur näher an ihr Gesicht.

„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mich für den kleinen Streich zu rächen, nicht wahr? Ich hatte auch nicht erwartet, dich wieder zu sehen.“ Sie lächelte. Und trotz der Kaltblütigkeit spürte er, wie sich die Haare in seinem Nacken zu Berge stellten.

 

Crucio!“ Mit voller Wucht trafen ihn ihr Hass und ihr Zorn. Er sank zu Boden und versuchte bei Bewusstsein zu bleiben. Der Zauber der Kaltherzigkeit nahm ihm ein Teil der Schmerzen, dafür nahm der Schmerz in seinem Kopf zu. Sein Gehirn konnte die vielen Eindrücke nur schlecht verarbeiten.

 

Und dann weiteten sich seine Augen. Hinter dem Schleier, den der Unverzeihliche hinterließ, sah er wie die Todesser aus der leeren Fabrik kamen.

Und tatsächlich hatten sie noch jemanden gefunden, der nicht rechtzeitig appariert war. Augenblicklich schnürte sich seine Kehle zu. Und er konnte überhaupt nichts tun!

 

 

~*~

 

 

Das Problem war nicht, dass sie nicht gehen konnte. Das war es überhaupt nicht. Sie fühlte im Moment nichts. Aber das war auch gelogen, denn… sie wusste ja, was sie sonst fühlte. Und sie hatte Ron gesagt, sie würde direkt hinter ihm sein. Das hatte sie auch wirklich vorgehabt. Dann hatte Harry Malfoy verletzt und ihr Vorsatz war verschwunden. Sie hatte wirklich apparieren wollen. Aber… sie hatte es schlicht und einfach nicht mehr gekonnt.

 

Dicht hatte sie sich an die Wand gepresst. Ihr Kopf konnte nicht mehr wirklich denken. Vielleicht hatte Snape recht gehabt, und der Zauber der Kaltblütigkeit verursachte wirklich Schäden, aber dann konnte sie jetzt auch nichts daran ändern. Oh, und wie sauer sie sein würden! Snape und Harry und Malfoy. Neben ihr waren alle anderen nach und nach verschwunden, bis sie nur noch allein zurück geblieben war, in der leeren Fabrik. Sie hatte s nicht über sich bringen können. Kein Gefühl hätte sie dazu bringen können, zu verschwinden.

 

Mehr konnte sie nicht denken. Bellatrix hatte die Todesser bereits rein geschickt. Und es dauerte keine Minute, ehe sie triumphierend gepackt und nach draußen geschleift wurde. Sie hatte nicht mal mehr Angst.

 

Sie sah Malfoy auf dem Boden knien. Und sie erkannte seinen Blick. Und sie sah den grenzenlosen Schock in seinen Augen. Die bodenlose Hilflosigkeit und die Tatsache, dass der Plan wohl soeben schief gelaufen war.

 

Nicht nur das.

 

Gleich würden sie sterben, nahm sie an. Beide.

 

Bellatrix starrte sie an, wie eine Erscheinung.

 

„Unmöglich! Draco, deine Schlammblutschlampe konnte dich wohl nicht zurücklassen.“ Gierig kam sie auf sie zu und Hermine spürte den Zauberstab eines Todesser an ihrer Schläfe zittern.

 

„Sollen wir sie sofort umbringen?“, flüsterte der Mann neben ihr heiser und sie betrachtete Bellatrix’ Gesicht.

 

„Bist du verrückt? Hermine Granger ist der Mensch, der höchste Priorität besitzt, verflucht! Was denkst du, warum sie alle versteckt halten? Sie ist… die Waffe. Und wir werden jetzt herausfinden, warum.“ Es klang wie eine unverhohlene Drohung. Und nur am Rande bebte die grenzenlose Angst in ihr. Wenn Bellatrix wusste, dass sie die Waffe war, wie viel wussten sie dann noch?

 

Schon hatte Bellatrix den Zauber von Malfoy gelöst. Dieser stöhnte auf und hielt sich den Kopf.

 

„Granger, bist du völlig verrückt?“, keuchte er und machte Anstalten aufzustehen.


„Haltet ihn fest“, befahl Bellatrix kalt und hob ihren Zauberstab, ehe Hermine reagieren konnte. Ihr Gehirn arbeitete zwar, aber es konnte nicht fassen, dass sie den Plan gebrochen hatte und bei Malfoy geblieben war. Sie wollte weinen und schreien, aber sie konnte gar nichts tun. Stumm sprach Bellatrix die Formel und genauso schnell hatte Hermine das Bewusstsein verloren.

 

 

Teil 27

 

 

Als sie träge die Augen aufschlug war ihr erster Gedanke, dass der Zauber verflogen war. Denn ihr erster Gedanke galt Draco. Und Erleichterung durchflutete lächerlicherweise ihren Körper als sie ihn direkt neben sich sitzen sah. Gefesselt, so wie sie. Auf dem Stuhl neben ihr. Auch sie war gefesselt und sie hatte keine Ahnung, wo genau sie sich befanden. Ihr Herz schlug schnell.

 

„Draco?“, flüsterte sie jetzt und er hob langsam den Kopf. Er wurde wohl auch gerade wach. „Wo sind wir?“, fragte sie eindringlich. Er blinzelte in die dämmrige Dunkelheit. Dann schien er zu lächeln.

 

„Zu Hause“, erwiderte er trocken. „Was sollte das?“, fragte er jetzt zornig und sah sie direkt an. Die getrockneten Wunden in seinem Gesicht zerrissen ihr Herz. „Denkst du, es wäre eine großartige Idee, wenn du direkt umgebracht wirst? Was, wenn sie uns bis morgen früh hier sitzen lassen, Granger? Dann ist die Prophezeiung vorbei!“ Er strengte sich an, nicht zu schreien, aber sie konnte daran gar nicht denken.

 

„Ich konnte nicht gehen“, sagte sie deshalb nur und kam sich dumm vor. Sie hatte wirklich Mist gebaut. Es gab keine andere Erklärung.

 

„Potter wird mich umbringen. Und dich dazu. Und Snape… oh Merlin, das ist alles meine Schuld“, murmelte er zornig. Die Tür öffnete sich, ehe er weiter sprechen konnte.

 

„Draco, wie schön…“ Sie versteifte sich augenblicklich auf dem Stuhl unter den Fesseln. Lucius sah müde aus. Aber er wirkte immer noch bereit dazu, jemanden umzubringen.

 

„Lucius… deine Affäre hat gute Arbeit geleistet!“ Hermine begriff nicht, wovon Draco sprach, aber es war unwichtig. Sie war wieder eine Gefangene von Lucius Malfoy. Dieser lächelte jetzt dünn.

 

„Nicht deine Angelegenheit, Draco. Potter hat dich also verstoßen? Dich und dein Schlammblut?“, sagte er jetzt ohne Zusammenhang und schien auf eine Antwort zu warten. „Oder ist das ein Plan?“, fügte er amüsiert hinzu. „Euch gefangen nehmen zu lassen und dann von uns umgebracht zu werden? Ist das euer Plan?“ Und er schien tatsächlich etwas verunsichert.

 

„Ist das der Grund, weshalb Voldemort nicht selber auftaucht? Hat er solche Angst vor zwei Jugendlichen?“, schrie Draco förmlich und Hermine zuckte unter dem Namen zusammen. Und dann hörte sie ein Lachen. Ein Lachen welches sie noch nie zuvor gehört hatte. Eine Stimme, die ihr gänzlich fremd und unbekannt war. Aber eine Stimme, die ihr so viel Angst einjagte wie noch niemals etwas in ihrem Leben zuvor. Ihre Hände wurden kalt und Schweiß brach auf ihrer Stirn aus. Ihr wurde schlecht und sie glaubte nicht, noch länger hier sitzen zu können.

 

„Denkst du, ich hätte Angst?“ Draco neben ihr rührte sich nicht mehr. Aber er zeigte keine Zeichen von Angst. „Denkst du, ihr schüchtert mich ein? Du, ein gefallener Todesser, und ein Schlammblut?“ Er trat aus dem Schatten. Er war groß, größer als ein normaler Mensch, so kam es ihr vor. Und er war dünn. Der dunkle Umhang wehte unheilvoll um seinen Körper. Sein haarloser Kopf schimmerte in der Dunkelheit und die roten Augen leuchteten förmlich. Lucius neigte den Kopf in Unterwerfung.

 

Der Zauberstab Voldemorts sah genauso aus wie Harrys alter Zauberstab, ging ihr auf. Er kam ihr so vertraut vor. Langsam schlug Voldemort ihn gegen seine Finger, als überlege er, wie er ihn am besten anwenden könnte. Ihr Atem ging schnell. So schnell, dass sie ihren Mund kaum geschlossen halten konnte. Sie Stimme war hoch und kalt. Nicht wirklich hoch. Eher heiser und so leise, dass man annehmen musste, sie sei hoch. Er kam näher und jetzt betrachtete er sie.

 

„Sie sind die Waffe? Wirklich?“ Hermine konnte nicht sagen, ob er alles wusste oder überhaupt nichts. Sie konnte den Blick nicht von seinen glühenden Augen abwenden. Es war unglaublich, aber sie erkannte den Menschen darunter. Die hohen Wangenknochen, ehemals volle Lippen, die nun eingefallen waren. Die Haut war weiß und winzige Narben zierten seine Wangen und seine Stirn. Die Nase war das Schlimmste. Eine normale Nase konnte sie sich kaum noch vorstellen, aber sie würde auch nicht mehr in dieses Gesicht passen.

 

Zwei dünne Schlitze bebten unter der Luft, die er einzog. Sie musste förmlich hinstarren. Und sie wusste nicht, wie oft Harry ihn schon zu Gesicht bekommen hatte. Oder Draco.

 

Und jetzt wurde ihr klar, würde sie ihr Blut jetzt verwenden können, dann wäre sie in der Lage diesen Mann zu töten. Aber… wäre sie in der Lage jemanden zu töten? Sie schluckte schwer und unterdrückte ein Schluchzen. Denn sie würde niemals so weit kommen. Sie würde hier sterben. Auf diesem Stuhl. Höchstwahrscheinlich in den nächsten Minuten.

 

Wenn Voldemort wusste, wer sie war – oder was sie war – dann würde er nicht lange zögern. Und Harry und die anderen würden jetzt einen anderen Plan haben müssen. Alles hatte sich geändert, weil sie einen Fehler gemacht hatte. Einen tödlichen Fehler.

 

„Wollen Sie mir nicht eine Kleinigkeit erzählen, Hermine?“ Oh Gott, seine Stimme! Er war der Teufel in kaum menschlicher Gestalt. Sie schüttelte stumm den Kopf.

 

„Lass sie in Ruhe“, knurrte Draco und Hermine wusste nicht, woher er die Kraft fand, zu sprechen. Es war für sie undenkbar.

 

Voldemort wandte den Kopf in seine Richtung. „Mut steht dir nicht, Draco. Und er wird dir den Nacken so oder so brechen. Wenn ich es nicht gleich tun werde.“

 

„Dann solltest du dich wirklich beeilen“, fügte er grimmig hinzu. „Warum tust du es nicht jetzt?“, verlangte er fordernd. „Bind mich los! Lass uns kämpfen oder willst du so unsportlich sein?“ Hermine war es schleierhaft. Draco musste den Verstand verloren haben, Voldemort derart herauszufordern. „Hast du Angst? Bist du feige, Tom?“, redete er weiter und seine Stimme klang irre. Beim Klang seines alten Namens spannte sich Voldemorts dünne ungesunde Haut über sein Gesicht.

 

Dann schwang er seinen Zauberstab. Stumm lösten sich die Fesseln und Draco sprang aus dem Stuhl. Er würde jetzt sterben!

 

„Draco, nein!“, schrie sie und warf sich gegen die Fesseln. Doch Draco schob seinen Ärmel hoch und schlug mit der Faust auf sein Handgelenk, ohne dass sie begriff, was er tat.

 

„Granger, Augen zu!“, schrie er jetzt. Plötzlich füllte sich der Raum mit gleißendem Licht. Sie schloss die Augen aus Reflex, ohne nachzudenken. Sie spürte, wie etwas gegen ihren Stuhl stieß und sie zu Fall brachte. Etwas Schweres lag über ihr. Sie erkannte den Geruch. Draco war auf sie gestürzt.

 

„Was ist das? Hast du ihn durchsucht?“, hörte sie Voldemorts schrille Stimme über sich.

 

„Sicher habe ich ihn durchsucht, Herr!“, ertönte nun die Stimme von Lucius. Und es verging keine Minute, da hörten sie Schreie. Glas splitterte im gesamten Haus und nur zu schnell bereitete sich der Geruch von Feuer aus. Immer noch war es so hell, dass sie nichts sehen konnte.

 

„Das Haus!“, flüsterte Lucius ängstlich.


„Potter ist hier!“ Und sie konnte nicht sagen, ob Voldemort gereizt oder aufgeregt klang. „Am besten töte ich euch beide auf der Stelle!“, verkündete er jetzt. Sie spürte wie Draco an ihren Fesseln zerrte und sie mit sich zog. Der Avada Kedavra erfolgte stumm und das grüne tödliche Licht schoss an ihnen vorbei. Ganz knapp. Sie wollte aufschreien, aber Draco presste ihr instinktiv die Hand über den Mund. Voldemort schrie zornig auf.

 

Dann verschwand das grelle Licht. Die Tür öffnete sich erneut und erlaubte den Geräuschen des Kampfes draußen in das Zimmer zu dringen.

 

Crucio!“, gellte Snapes Stimme durch den Raum. An Voldemort prallte der Fluch ab, doch er traf Lucius, welcher sofort zu Boden stürzte und schrie, bis seine Stimme brach. Hermine konnte nicht begreifen, weshalb der Zauber Voldemort verschont hatte, aber sie hatte keine Zeit, nachzudenken.

 

Schon hatte Draco den Zauberstab seines Vaters genommen und löste eilig ihre Fesseln. Kurz hatte Voldemort Snape einen hasserfüllten Blick zu teil werden lassen, dann schoss er den Nächsten Unverzeihlichen auf sie ab. Ihr Mund öffnete sich, aber Draco war schnell.

 

Expelliarmus!“, rief er entgegen und die grünen Funken wurden von den roten gebannt. Sie sprang eilig auf die Füße.

 

„Mein Herr!“, kreischte Bellatrix. „Sie sind übermächtig!“ Hermine verstand nicht. Wer war übermächtig? Ihre Gruppe? Voldemort wirkte unentschlossen. Aber er unternahm nichts, um den Zauber der auf Lucius lag zu brechen.

 

„Junge, du kannst mir nichts anhaben“, sagte er lediglich. Dann betrachtete er kurz Snapes Zauberstab. Ein helles Leuchten umgab das Holz und Hermine wurde die Übermacht klar. Sie hatten die Zauberstäbe in ihr Blut getaucht. Wo auch immer Snape dieses Blut noch herhatte.

 

Er hob den Zauberstab erneut. Der tödliche Fluch war jetzt für Snape bestimmt, da war sie sicher. Aber plötzlich erschien ein vertrauter Schatten in der Tür.

„Harry Potter“, sagte Voldemort tonlos und seine Haltung spannte sich an.

 

„Harry, brich den Bann!“, befahl Snape angestrengt, während er den Zauber auf Lucius aufrecht hielt. Hermine sah, wie dieser das Bewusstsein verlor. Draußen tobte der Kampf. Sie hörte Schreie und immer mehr Todesser riefen um Hilfe.

Sie fühlte sich völlig nutzlos. Sie tat nichts, außer da zu stehen, während alle anderen kämpften. Es war so unreal.

 

Harry schwang den Zauberstab, wehrte Voldemorts Fluch ab und sprach eine Formel, die Hermine nicht kannte. „Exsolvo!“, rief er und Voldemort schrie verärgert auf, als sein Körper kurz aufleuchtete.

 

„Lass deine Sprüche von mir, Potter!“, knurrte Voldemort und mit einer knappen Bewegung fegte er Harry zur Seite. Anscheinend war der Spruch aber nicht tödlich gewesen. Wahrscheinlich sparte er sich Harry für den Schluss auf. Hermine wollte sich auf ihn stürzen, aber sie hatte keinen Zauberstab. Sie hatte gar nichts! Und Voldemort war nicht blind. „Hermine, wenn sie mich begleiten würden?“ Es war keine Frage. Und so, wie er sie ansah, hatte sie überhaupt keine Wahl. Sie hatte nicht einmal die Zeit, ihn von sich zu stoßen. Aber Draco sprang an ihre Seite, und als sie den Schmerz spürte, den Voldemorts Berührung verursachte, spürte sie, wie Draco ihr Handgelenk umfasste.

 

Ein Portschlüssel! Voldemort verschwand gerade. Mit ihr und Draco! Sie hörte, wie Harry ärgerlich aufschrie, aber es war zu spät. Auch Snapes Fluch glitt durch sie alle hindurch. Das Zimmer war bereits verschwunden und sie waren irgendwo aufgetaucht. Anscheinend draußen. Sie hörte nichts mehr in der Nacht. Keine Kampfschreie, also war sie sich nicht sicher, wo sie war.

 

„Malfoy, du gehst mir langsam auf den Geist“, knurrte er kurz und mit einer so sanften Bewegung, dass Hermine sie kaum wahrnehmen konnte, hatte er Draco von den Füßen gefegt. Ehe dieser reagieren konnte, lag er schon auf dem Boden. Und er rührte sich nicht. Die Hermine, die sie verabscheute, verzehrte sich vor Sorge, wagte aber nicht, sich zu bewegen. „Sagen Sie mir…“, begann er jetzt und sie ließ seinen Zauberstab nicht aus den Augen. „Was genau macht Sie so mächtig? Ihre Mittelmäßigkeit? Die Bürde, ein Schlammblut zu sein? Sagen Sie es mir.“ Dann hob er den Zauberstab. „Ich würde sie ungerne umbringen, ohne vorher hinter das Geheimnis gestiegen zu sein.“ Hermine wurde klar, dass er sie aber dennoch umbringen würde.

 

Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Wie viel Schaden er anrichten konnte, ohne den Zauberstab zu bewegen! Wie leicht es ihm fiel, selber ein Portschlüssel zu sein. Wie viel Magie notwendig war, um so eine Art von Macht auch nur annähernd zu vollbringen, überstieg ihre Grenzen. Sie kam sich unbedeutend vor. Und anscheinend konnte ihn nichts verletzen. Sie hatte geglaubt, sie sei eine sehr talentierte Hexe, aber wenn sie Voldemort betrachtete, dann war sie absolut gar nichts. Wie hatte sie annehmen können, gegen ihn eine Chance zu haben? Wie hatte ihr Snape so etwas vorgaukeln können? Ihr Blick glitt zu Draco, der immer noch reglos auf dem Boden lag.

 

„Und Sie lieben Draco Malfoy? Wirklich, Hermine? Was für eine bemerkenswerte Wahl für ein Schlammblut, finden Sie nicht auch?“ Es war unglaublich, wie er diese Beleidigung aussprach. Aus seinem Mund klang das abscheuliche Wort nämlich nicht wie eine Beleidigung. Es klang nur wie eine reine Feststellung. Nichts weiter. Völlig wertfrei. Sie fragte sich, wie arrogant und überzeugt man sein musste, um so etwas fertig zu bringen.

 

„Ist das der Grund, weshalb Sie eine Waffe sind? Müsste eine Waffe nicht, oh ich weiß nicht…“ Er machte eine knappe Bewegung mit der Hand, „mehr Macht besitzen?“ Und mit einem Schrei verlor sie den Boden unter den Füßen und stieg in die Luft. Mit seiner kurzen Handbewegung, hatte er sie über Kopf in der Luft hängen lassen. Ihre Haare hingen ihr wirr im Gesicht.

 

Er ließ sie kopfüber so hoch schweben, dass sie jetzt auf gleicher Höhe waren. Sie sah sein Gesicht allerdings von der umgekehrten Seite und versuchte ruhig zu atmen. „Sagen Sie es mir. Dann kann ich wenigstens besser schlafen.“ Und er lächelte jetzt. Schmal. Fast kaum merklich hoben sich seine Mundwinkel und gruben scharfe, tiefe Kanten in seine Haut. Ein solcher Mann lächelte wohl nicht.

 

„Wissen Sie, ich habe es immer für wichtig gehalten, die besten Zauberer und Hexen zu rekrutieren. Und vielleicht ist es dumm, eine Ausnahme zu machen, wenn bewiesen ist, dass manche Schlammblüter ebenfalls fähig sind, Magie zu vollbringen.“ Sie wusste nicht, ob er ihr wirklich Fragen stellte, oder ob er sie an sich selber richtete. „Ich frage mich außerdem, ob Potter wusste, was er tat als er meine Schlange getötet hat.“ Seine Augen verengten sich und er zog heftig die Luft durch seine Nüstern. Es sah seltsam aus und Hermine wurde schlecht.

 

Sie versuchte wieder Schwerkraft zu finden und auf den Boden zu kommen, aber es gelang ihr nicht. Sie zappelte hilflos in der Luft. „Schade, dass Sie nicht mit mir sprechen.“ Er sah nicht danach aus, als ob es ihm wirklich etwas ausmachte. Aber jetzt hörte sie endlich Stimmen. Sie kamen näher und auch Voldemort hob den Kopf und blickte über sie hinweg.

 

„Ich werde Sie nun töten, Hermine. Und dann werde ich mich zurückziehen. Sie mögen es als feige ansehen, aber wissen Sie, ich habe nicht vor heute gegen eine Horde Kinder zu kämpfen.“ Er lächelte. Dann zuckte seine Hand und sie fiel unsanft auf den Boden. Sie keuchte auf, denn sie war auf ihre Hand gefallen. Sie schmerzte wieder. Schon seit dem letzten Aufenthalt in Malfoy Manor, hatte sie nicht mehr an die Hand gedacht. Jetzt kam es ihr lebhaft wieder in Erinnerung.

 

Sie sah, wie Draco sich erhob. Voldemort schien kurz inne zu halten.

 

„Keine Sorge, ich komme gleich zu dir“, versprach Voldemort mit einer Ruhe in der Stimme, die ihr Angst einjagte. Denn sie wollte alles, nur nicht, dass er Draco etwas antat. Sie richtete sich plötzlich auf.

 

„Nein!“, hörte sie ihre Stimme. Klein, leise und schwer vor Tränen.

 

„Nein?“, fragte Voldemort belustig. „Wie nett.“ Er wirkte jetzt genervt. Sie stolperte zu Draco und sein Blick war nicht zu deuten. Sie sah, wie er die Hände hob und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ein unbekanntes Drängen in seinem Blick. Dann verlor sein Gesicht jeglichen Ausdruck und hart stieß er sie von sich. Sie keuchte auf und fiel rücklings auf den Boden. Ihr Rücken schmerzte durch den Fall.

 

Und dann verging keine Sekunde mehr. Draco hatte den Zauberstab gehoben. Voldemort reagierte sofort, aber er hatte ihn nicht auf Voldemort gerichtet. Nein. Die Spitze zeigte auf sie. Nur auf sie. Und Draco sprach die Worte mit völliger Sicherheit und die Schmerzen, die folgten, ließen Tränen in ihre Augen schießen.

 

 

Teil 28

 

Sectumsempra!“

 

Ihr Körper zerriss. Und das tat er wörtlich. Blut schoss aus ihrer Haut. Sie spürte, wie die Schnitte sich tief in ihr Fleisch gruben. Aus jeder Pore schoss das Blut. Ihr wurde schlecht. Ihre Wahrnehmung verschwamm. Sie hörte Voldemort lachen. Und dann spürte sie wie sie von Draco hochgerissen wurde. Alles geschah nur noch am Rande ihres Bewusstseins. Voldemort sagte etwas, aber sie verstand es nicht. Unwichtig. Draco Malfoy hatte sie gerade umgebracht.

 

Dann stieß er sie von sich. Grob und mit voller Kraft. Sie konnte nicht einmal Schreien. Sie fiel gegen Voldemort. Nicht einmal das erschütterte ihren Geist. Jetzt schrie Voldemort. Aber sie sah etwas anderes. Ihr Blut begann zu leuchten. Es bildete große Pfützen im Gras und die Dunkelheit legte sich wie ein breites Tuch über die Umgebung.

 

Es war lauter geworden. Stimmen füllten die Luft, die Umgebung und sie bekam kaum noch Luft genug, um ihr Gehirn mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, um wach zu bleiben. Flüche erschütterten die Erde. Sie hatte das Gefühl, die Welt um sie herum versank.

 

Und anscheinend passierte genau das. Der Boden unter ihr brach. Die Erde verschwand unter ihr und sie spürte, wie sich tiefe Risse durch das Gras zogen. Sie verlor den Halt und rutschte in die Erdspalte. Fest schloss sich eine Hand um ihr Handgelenk.

 

„Granger, komm schon!“, schrie Draco. Sie war sich fast sicher, dass er es war. „Halt dich fest, hörst du?“, schrie er und übertönte kaum das Geschrei der anderen. Sie spürte, wie die Erde um sie herum versank. „Potter!“, schrie Draco ungehalten und dann wurde sie aus der Tiefe gezogen. „Schnell, beeil dich. Wir müssen die Wunden schließen.“ Sie schloss jetzt die Augen. Sie war müde und wollte nicht mehr hören. Ihr Körper schmerzte, aber sie war selbst zu müde für die Schmerzen. Sie spürte den Tod. Er kroch langsam durch ihre Glieder, raubte das Leben und hinterließ nichts als schwere Kälte, und den Wunsch, das Leben hinter sich zu lassen, denn es war viel zu schwer geworden.

 

 

…….

 

……….

 

 

~*~

 

Es war hell.

 

Sie ging davon aus, dass es also sehr hell im Himmel war, oder eben durch die Flammen sehr hell in der Hölle. Was für eine andere Möglichkeit gab es da schon groß. Sie öffnete die Augen. Sonne schien durch ein Fenster und die Strahlen fielen auf die Bettdecke, unter der sie lag.

 

Und sie waren warm.

 

Frühling, nahm sie also an. Es wurde Frühling. Ihr wurde klar, dass sie wahrscheinlich nicht gestorben war. Ihr müder Blick wanderte von der Bettdecke aus weiter. Viel weiter kam er allerdings nicht, weil dort sein Kopf lag. Auf seinen Armen. Die blonden Haare standen wirr in alle Richtungen ab und er schien zu schlafen. Ziemlich fest.

 

Er saß auf einem Stuhl und lag mit dem Oberkörper auf dem Bett und schlief. Sie konnte nicht sagen, seit wann er hier sitzen musste, oder seit wann sie überhaupt in diesem Bett lag.

Und plötzlich erkannte sie die Umgebung. Sie war in Spinner’s End. Langsam atmete sie aus. Alles sah noch genauso aus wie an dem Tag, als sie das letzte Mal hier gewesen war. Hatte sie all das geträumt? Was hatte sie überhaupt geträumt? Grauenhafte Sachen. Von Voldemort und Malfoy Manor. Davon, dass Malfoy sie verflucht hatte. Und überall war Blut gewesen. Sie hatte geglaubt, sie sei gestorben.

 

Sie atmete langsam aus. Sie hatte keine Schmerzen, aber sie sah sehr wohl die vielen Bandagen, mit denen ihr Körper umwickelt war. Sie erinnerte sich auch an den Zauber, den er gesprochen hatte. Sie hatte also überlebt. Voldemort auch?

 

Was war überhaupt passiert? Hatte ihr Blut also etwas bewirkt? Wie war es ausgegangen? Sie lebte, Malfoy lebte… Lebten die anderen auch?

 

Sie versuchte ihn nicht zu wecken, aber dieser Versuch scheiterte, als sie vorsichtig ihr Bein bewegte. Sie sog scharf die Luft ein, denn das schmerzte tatsächlich. Sein Kopf ruckte im Schlaf und dann öffneten sich seine Augen. Er fuhr zusammen, als er sie ansah und saß wieder gerade auf dem Stuhl. Kurz fuhr er sich über die Stirn.

 

„Du bist wach“, flüsterte er dann. Und als sie ihn sah wusste sie, dass es vorbei war. Es war einfach vorbei. Er erschien ihr nicht mehr in einem goldenen Licht. Liebe umgab sie nicht mehr bei seinem Anblick. Er sah so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. „Alles ok?“, fragte er schließlich und betrachtete sie mit Sorge und Schuld im Blick.


„Du hast mich verflucht“, stellte sie heiser fest und er wirkte erschüttert.

 

„Ja, ich… Tut mir leid“, sagte er schließlich und senkte den Blick. „Ich hätte niemals… mir ist nichts eingefallen. Und… es war eine Ablenkung. Und… es hat gewirkt! Ich hatte niemals, niemals  auch nur eine Sekunde daran gedacht, dich umzubringen! Dich überhaupt zu verletzen! Mit keinem Gedanken! Ich brauchte einen Zauber, der dein Blut mächtig werden lässt! Der es überhaupt…“ Er unterbrach sich.

 

„Ist er fort?“, fragte sie leise und Malfoy sah sie an. Dann lächelte er.

 

„Er ist fort.“

 

„Wirklich?“, fragte sie und glaubte seine Worte nicht.

 

„Voldemort ist besiegt.“ Selbst ihm schienen diese Worte nicht real vorzukommen, denn er hob die Hand zu seinem Mund. „Er ist besiegt“, wiederholte er leiser.

 

„Was ist mit den anderen?“, fragte sie fast panisch und versuchte sich aufzusetzen. Malfoy schob sie zurück in die Kissen.

 

„Es ist niemand zu Schaden gekommen. Weasley hat einen Arm verloren, aber Snape hat sich schon darum gekümmert, dass er ihn nicht dauerhaft verliert. Und Potter hat jetzt noch eine Narbe. Ein paar Verletzungen, aber…“ Er hielt inne. Dann gewann sein Ausdruck an Härte. „Lucius hat es nicht geschafft.“ Hermine öffnete den Mund.

 

„Was? Was heißt das?“ Bedeutete das, Lucius war tot? Lucius Malfoy war tot?

 

„Viele haben es nicht überlebt. Die anderen sind bereits in Askaban. Das Ministerium wurde von den Kämpfern gestürzt. Ich weiß allerdings nicht, wie lange es dauert, bis Normalität einkehrt auf den Straßen“, fügte er langsam hinzu.

 

„Dein Vater ist tot?“, fragte sie tonlos und ignorierte den Rest seiner Worte.

 

„Das Haus ist abgebrannt. Er war noch drinnen“, erklärte er knapp. Ihr Mund öffnete sich.

 

„Das… tut mir leid, Malfoy.“

 

Er runzelte die Stirn. „Es tut dir leid?“, fragte er ungläubig. „Wirklich? Mir nicht“, erklärte er kühl. „Es ist kein Verlust“, fügte er bitter hinzu. „Das war nicht… das war nicht mehr mein Vater. Schon lange nicht mehr. Er war herzlos.“ Dann sagte er für einen Moment nichts mehr. „Herzlos wie ich“, fuhr er schließlich grimmig fort.

 

„Du bist nicht wirklich herzlos“, versuchte sie zu sagen. „Du sitzt schließlich hier bei mir.“ Er lachte rau.

 

„Ja, ich bin ja verantwortlich dafür, dass-“

 

„Dass wir gesiegt haben. Ja, das bist du, Draco Malfoy.“ Er sah sie an.

 

„Du solltest mir wirklich ernsthaft böse sein, Granger. Deine Verliebtheit ist…“

 

„Sie ist nicht da“, sagte sie jetzt leise.

 

„Was?“ Er starrte sie an. „Was heißt das? Es ist vorbei?“ Sie wusste nicht, ob er erleichtert und schockiert klang.

 

„Ich… denke schon“, sagte sie also darauf.

 

„Oh. Gut. Das ist wirklich gut.“ Sie nickte.

 

Die Tür öffnete sich langsam.

 

„Sie ist wach!“ Ron hatte den Kopf herein geschoben. Harry folgte ihm.

 

„Du bist wirklich wach! Weißt du, dass wir schon drei Tage warten, dass du aufwachst?“ Nein, das wusste sie nicht. Beide setzten sich neben sie. Jetzt wurde sie von drei Männern angestarrt.

 

„Alles klar?“, fragte Ron, der den Arm in einer Schlinge trug. „Ich meine…“

 

„Ja, ja. Mir geht es… Ich hab Hunger“, stellte sie überrascht fest. „Aber mir geht es gut. Ron, tut das weh?“ Aber dieser winkte ab.

 

„Nö, nicht der Rede wert. Warum bist du nicht mit uns appariert? War es nötig, den Plan so zu gefährden?“, fragte er etwas gereizt, aber sie sah, dass er nur Scherze machte.

 

„Ich…“ Das war ihr glatt entfallen. „Das war dumm“, endete sie und mied den Blick auf Malfoy.

 

„Ich werde meine Sachen packen“, verkündete dieser und erhob sich recht steif. Er streckte die Arme über den Kopf und streckte sich kurz.

 

„Vielleicht solltest du besser schlafen. Immerhin sitzt du hier seit…“ Harry warf einen Blick auf seine Uhr, „seit über sechsunddreißig Stunden, Draco.“ Dieser zuckte mit den Achseln.

 

„Ich habe gesagt, ich bleibe, bis sie aufwacht.“ Hermine wusste darauf nichts zu sagen. Aber ihr fiel die Unterhaltung wieder ein, die sie mit ihm geführt hatte. Er wollte gehen, sobald er konnte. Und anscheinend tat er das jetzt auch. Aber sie brauchte seine Anwesenheit nicht. Sie hatte keine Gefühle mehr.

 

„Meine Mutter und ich werden zu der Beisetzung gehen und dann…“ Er schien nicht wirklich weiter sprechen zu wollen.

 

„Du kannst mit ins Ministerium kommen, Draco. Dort bekommen wir einiges an Urkunden und natürlich Kopfgeld ausgezahlt. Davon können wir wahrscheinlich so viele Häuser bauen, dass wir ein ganzes Dorf zusammen bekommen“, vermutete Ron.

 

„Schon gut, ich…“

„Du hast genauso geholfen wie jeder andere!“, regte sich Harry auf.

 

„Ja, sicher. Ich bringe Hermine fast um und kassier dann auch noch eine Belohnung dafür?“ Ihr wurde klar, dass er sich nicht vergeben konnte. Dass er nicht mal ansatzweise vorhatte, sich zu vergeben, für das, was er getan hatte. Dass es ihn kaum interessierte, dass sie gewonnen hatten, sondern wie grauenhaft der Weg dorthin gewesen war.

 

Sie wollte gerne etwas sagen, aber sie befürchtete, dass sie möglicherweise weinen würde.

 

„Draco, komm schon!“ Harry hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Wir haben gesiegt. Alles ist gut.“ Malfoy schien davon nicht überzeugt zu sein.

 

„Ich verabschiede mich von Snape“, erklärte er nur. Er nickte Harry und Ron zu.

 

„Malfoy…“ Sie hatte eigentlich keine Ahnung, was sie sagen wollte. Sie wusste nicht einmal, ob sie wirklich seinen Nachnamen benutzen wollte. Eigentlich nicht, aber… sie kam sich betrogen vor. Hintergangen, obwohl er jedes Recht hatte zu gehen. Er sah sie an. Und sie wollte nicht, dass er ging. Jedenfalls nicht so.

Wie konnte er gehen wollen, ohne vorher mit ihr zu sprechen? Nicht gerade über den Tod seines Vaters oder über den Sieg oder irgendwas in dieser Hinsicht! Aber wie konnte er gehen, ohne… ihr auf Wiedersehen zu sagen? Ohne zu überlegen, dass… ja, was?

 

Dass es schwer war? Dass sie sich an seine Gesellschaft gewöhnt hatte? Wieso fiel es ihm leicht? Wieso zum Teufel fiel es ihm so verflucht leicht, jetzt einfach zu gehen? Er verbrachte Tag und Nacht an ihrem Bett, und sobald sie die Augen aufschlug, war es nicht mehr interessant hier zu sein? Jetzt wollte er gehen?

 

Was sollte das denn? Sie hatte doch überlebt, das war doch klar gewesen. Dann hätte er auch nicht an ihrem Bett sitzen müssen, wenn es nur seine Sorge war, ob sie aufwachte. Natürlich würde sie wieder aufwachen! Das musste ihm doch dann klar gewesen sein. Wollte er nur, dass sie ihn sah und hinnahm, dass er dann abreiste? War es das gewesen?

 

Wollte er ihr noch einmal schön ins Gesicht sagen, dass er kein Problem damit hatte zu gehen? Was wollte er?

 

Ihr wurde mit Schrecken klar, dass sie vielleicht doch nicht so einfach über ihn hinweggekommen war. Zwar war der lästige Schleier weg, bei dem ihre Finger kribbelten und sie seine Klamotten los werden wollte – aber etwas viel Schlimmeres war jetzt da.

 

Und sie begriff die Ironie noch nicht völlig. Und sie war so wütend, dass sie die Lippen fest verschloss und die Zähne zusammen biss. Jetzt war der Zauber nämlich fort.

Und sie war verliebt in Draco Malfoy.

 

Sie überwand diesen Gedanken und schüttelte sachte den Kopf.

 

„Machs gut, Malfoy.“ Ihre Stimme klang kalt. Fast abweisend und so sollte sie auch klingen. Sie würde ihm bestimmt nicht die Genugtuung geben, sich vor seine Füße zu werfen und ihm vorzuwerfen, dass er sich wie ein Arschloch verhielt, weil er jetzt unbedingt gehen wollte. Sollte er doch gehen. Sollte er doch endlich gehen und sie endlich in Ruhe lassen!

 

Er sagte gar nichts und war gegangen. Harry und Ron sahen sie abwartend an. Die erwarteten wahrscheinlich auch, dass sie gleich anfangen würde in Tränen auszubrechen. Energisch schlug sie die Decke zur Seite, ignorierte die höllischen Schmerzen, die Malfoy ihr zugefügt hatte, und konzentrierte sich auf den Hunger.

 

Ja, sie musste einfach versuchen, Malfoy auch nicht zu vergeben. Immerhin hatte er sie wirklich fast umgebracht. Es war lästig, dass sie ihm nicht die Schuld zuschob. Würde sie wohl auch nicht. Sie hatte dem Mistkerl schon vergeben. Zumindest dafür, dass er sie fast umgebracht hatte. Dafür, dass er jetzt ging, dafür konnte sie ihm nicht vergeben und fast musste sie über diese Absurdität lachen. Nur fast. Dafür wollte sie nämlich viel zu gerne weinen.

 

Es war doch unglaublich! Jetzt war alles so wie es sein sollte, und sie kam sich vor, als stände sie wieder genau an dem Anfang, an dem sie schon vor Wochen gestanden hatte!

 

„Hermine, vielleicht solltest du noch liegen bleiben“, schlug Ron kleinlaut vor.

 

„Ich werde ganz bestimmt nicht liegen bleiben!“ Sie hatte gar nicht vorgehabt zu schreien, aber jetzt fühlte sie sich tatsächlich besser. Harry und Ron tauschten einen eindeutigen Blick. Sie verdrehte die Augen. „Und es ist mir völlig egal, dass er geht!“ Sie wusste, sie hätte die Worte nicht hinzufügen müssen, hätte sie auch nicht sollen, wenn sie nicht wollte, dass Harry und Ron genau das dachten, was sie eben gerade dachten, aber es war egal!

 

Sie sollten nämlich gerade das nicht denken…. Denn sonst würde sie auch nur noch daran denken. Und das hatte sie schon geglaubt hinter sich gelassen zu haben. Sie hatte das dumpfe Gefühl, das Leben spielte ihr einen grausamen Streich.

 

 

Teil 29

 

Es lag ihm schwer im Magen. Die ganze letzte Woche lag ihm schwer im Magen. Und die zwei Wochen davor auch. Die Beerdigung, die verletzenden Worte seiner Mutter und natürlich die Tatsache, dass er Granger so willentlich verletzt hatte. Er hatte jede Nacht wach gelegen und überlegt. Er hatte nach Alternativen gesucht. Sein Gehirn hatte ihm noch keine gute ausgespuckt. Wahrscheinlich war es nicht die schlechteste Möglichkeit gewesen.

 

Er wachte schweißgebadet auf. Entweder aus Angst, dass er sie doch umgebracht hatte, oder weil die Angst vor Voldemort ihn heimsuchte, obwohl sie seine Überreste verbrannt hatten.

 

Er war auch im Ministerium gewesen. Die Belohnung die dort auf ihn wartete und vom neuen Zaubereiminister bereit gestellt worden war, war zwar immens hoch, aber er würde sie nicht in Anspruch nehmen müssen. In Gringotts hatte er weiß Merlin genug Gold auf der Kante liegen. Shacklebolt war wieder im Ministerium als neuer Minister aufgenommen worden. Auch andere übrig gebliebene Familienmitglieder aus anderen Familien lebten jetzt wieder in London. Er glaubte sogar, Weasleys Mutter auf der Straße getroffen zu haben. Und er glaubte, sie hatte sogar gelächelt. Natürlich hatte er nichts gesagt. Was auch?

 

Er wohnte im Tropfenden Kessel. Zumindest für jetzt. Er hatte einen ziemlich offiziellen Brief bekommen, der ihn von aller Strafe befreite, für die er eigentlich vorgesehen war. Aus besonderen Umständen, hieß es in dem Brief. Er war aus besonderen Umständen von seiner Strafe befreit.

Schade, dass ihn besondere Umstände nicht auch von seiner Schuld befreiten.

 

Und jetzt, wo Granger nicht mehr in ihn verliebt war konnte er sich nicht einmal mehr besonders gut fühlen. Er wusste, würde sie ihn immer noch durch diesen Liebesschleier sehen, dann würde sie ihm ohne weiteres vergeben können. Aber so? So sah sie nur ihn. Nur… Draco Malfoy. Und das war hart. Das war härter als er erwartet hatte. Noch nie war so unzufrieden wie jetzt mit sich selber.

 

Er starrte trübsinnig aus dem Fenster. Die Läden hatten alle in magischer Geschwindigkeit wieder geöffnet. Die Zeitungen druckten wieder frei und unbefangen. Sogar Eis wurde schon wieder verkauft, dabei hatte sich der Frühling noch gar nicht herausgewagt.

 

Auf der Straße liefen hunderte von Zauberern, einer ausgelassener als der andere. Sie blieben sogar stehen, um sich zu unterhalten. Die ganze magische Welt sprach nur von dem Sieg. Für einen Moment glaubte Draco, Potter verstehen zu können. Wenn so etwas Großes passierte und man war selber ein Teil davon, dann kam es einem gar nicht so heldenhaft vor.

Absolut überhaupt nicht. Er fühlte sich elend und kalt.

 

Und nichts konnte daran etwas ändern. Seine Mutter hatte ihm angeboten bei ihr zu wohnen, aber er hatte abgelehnt. Seine Mutter war keine Person mehr, der er noch allzu nahe stand. Sie besuchte Bellatrix in Askaban und eigentlich wollte Draco mit niemandem zu tun haben, der jemanden wie Bellatrix Lestrange freiwillig besuchte. Seine Mutter tat so, als wären andere Menschen an all dem Übel beteiligt gewesen. Nur nicht er oder sein Vater oder ihre Schwester.

 

Und er konnte es nicht mehr ertragen. Er konnte diese Gesellschaft nicht mehr ertragen. Heute war der Tag gekommen, an dem er ins Sankt Mungo gehen würde. Dort wurde nämlich sein Besuch erwartet.

Und er glaubte nicht, dass dies etwas war, was er so einfach erledigen konnte.

Gar nicht einfach. Er wusste auch, dass Granger im Mungo gewesen war. Aber nur einen Tag, nachdem die Ärzte entschieden hatten, dass Granger wieder gehen konnte.

 

Es hatte in allen Zeitungen gestanden. Jetzt wurde die gesamte Prophezeiung nämlich niedergeschrieben und ausgewertet. Es wurden schon Prognosen für die nächste Prophezeiung gestellt. Erst jetzt kam diese ganze große Sache ins Rollen. Natürlich fiel sein Name. Immer mal wieder, in verschiedenen Zeitungen. Alle berichteten über den Todesser, der seine Meinung geändert hatte, seine Gesinnung in den Wind geschossen und mit Potter gekämpft hatte. Und das war natürlich nicht schlecht. Aber sein Name stand auch in anderer Verbindung. Leute beschwerten sich darüber, wie einfach er davon gekommen wäre.

 

Andere sprachen darüber, dass er nur so getan hätte, als wäre er auf der guten Seite gewesen. Dass er gar keine Liebe zu Hermine Granger empfinden würde, und somit die Prophezeiung missbraucht hätte, um den Strafvollzug zu unterbinden, der ihm zustand.

Und er war zufrieden damit. Er würde seine Strafe antreten, aber das Ministerium sah sich über der Menge und glaubte, einschätzen zu können, dass er, Draco Malfoy, keine Strafe verdient hatte.

 

Dabei hatte er sie doch so sehr verdient! Auch wenn es das Ministerium nicht sah. Oder Potter oder Weasley oder Snape. Er wusste doch, dass er eine Strafe verdient hatte! Dafür, dass er Granger entführt hatte und Lucius sie hatte vergewaltigen können! Dafür, dass er sie geschlagen hatte, ihr die Hand gebrochen hatte, dafür verantwortlich war, dass sie sich so schlecht gefühlt hatte! Dafür, dass sie sich schließlich in ihn verliebt hatte, weil er es nicht hatte auf sich beruhen lassen können, sondern Vergeltung mit Rache hatte heimzahlen müssen, in dem er sie entführt hatte.

 

Alles türmte sich auf. Alles lief am Ende darauf hinaus, dass er den ersten Fehler gemacht hatte. In seinem Kopf ergab das Sinn. Und er war sich sicher, dass es auch Leute außerhalb seines Kopfes so sehen würden. Wäre er nicht gewesen, dann… wäre das alles nicht passiert! Dann wäre es besser gewesen und niemand hätte an Grangers Bett sitzen müssen, um zu hoffen, dass wieder Farbe in ihr leichenblasses Gesicht zurückkommen würde, dass sie – bei Merlin – wieder aufwachen würde und wieder lachen könnte!

 

Dann hätte niemand Angst haben müssen und eine solche Zeit durchstehen müssen. Und mit niemand meinte er sich selbst.

 

Er konnte damit nicht umgehen. Er konnte mit der Schuld nicht umgehen. Er schaffte es nicht und er wusste nicht, wie er es jemals schaffen sollte. Und er konnte sich nicht damit abfinden, dass man ihm vergab. Dass sie ihm vergab.

Er wollte, dass sie ihn hasste, dass sie versuchte ihn umzubringen oder zumindest versuchte, ihn nach Askaban zu schaffen, wo er neben Bellatrix wahnsinnig werden würde. Dann würde er den Verstand verlieren und hoffentlich sterben vor Scham und Schuld und Schmerz.

 

Seine Augen wurden trocken. Er spürte es. Tränen kämpften sich nach oben. Tränen wollten sich aus seinen Augen ergießen, wollten ihn ertränken, wollten all das Böse raus waschen, aber er ließ es nicht zu. Es klang verrückt, aber er wollte sich nicht befreien, er wollte nicht riskieren, dass die Schuld verschwand und er plötzlich hier sitzen konnte und kein Problem mehr hatte, sich zu vergeben. Das durfte nicht geschehen. Er wollte nicht vergessen! Er wollte gar nichts vergessen.

 

Und er wollte sie nicht vergessen. Niemals wollte er das.

 

Er glaubte allerdings, dass die Dementoren keine Freude mit ihm haben würden. Denn würden sie versuchen, seine Seele zu bekommen, dann würden sie feststellen, dass die Schuld seine Seele schon vernichtet hatte.

 

 

~*~

 

 

Er zögerte, ehe er die Klinke herunter drückte. Er musste sich zwingen, ruhig zu atmen. Greg war da. Er saß neben ihr. Pansy hatte wohl gerade etwas erzählt, denn jetzt hatte sie sich unterbrochen und sah ihn an.

 

„Draco.“ Er konnte keinen Hass in ihrer Stimme hören. Nein, sie lächelte sogar. Er überwand sich und schloss den Abstand von der Tür zu ihrem Bett.

 

„Hey, Pans“, begrüßte er sie und setzte sich auf den zweiten freien Stuhl. Greg sah ihn lange an, ehe er sprach.

 

„Du bist berühmt, Draco“, sagte er lediglich.

 

„Unsinn“, gab Draco zurück und betrachtete Pansy. „Wie geht es dir?“, fragte er jetzt, da er ernsthaft gestehen musste, sich weiter keine Gedanken über Pansy gemacht zu haben. Ihm kam in den Sinn, dass er es gewesen war, der sie mit dem Spruch belegt hatte. Die Schuld kochte wieder einmal an die Oberfläche.

 

„Mir geht es gut. Kannst du dir vorstellen, dass ich nichts mehr weiß? Gar nichts mehr?“ Er wusste darauf nichts zu sagen, konnte sich diesen Zustand allerdings nur als etwas Himmlisches vorstellen.

 

„Ich meine, ich weiß, dass… dass wir Hogwarts verlassen haben und… dass meine Eltern die Stadt verlassen haben. Wir hatten geplant uns Voldemort anzuschließen, aber… haben wir das?“ Er war sich sogar sicher, dass Pansy eine Affäre mit einem der Todesser angefangen hatte – die Affäre mit ihm selbst übersah er geflissentlich – aber er würde das einfach für sich behalten.

 

„Hast du gewusst, dass Gregory den Eisladen übernommen hat?“, fragte sie mit einem Lächeln. Draco wusste eigentlich gar nichts über Greg. Dieser hatte sich nämlich von ihnen allen abgewandt, weil er mit Todessern nichts mehr zu tun haben wollte, obwohl sein Herz Pansy gehörte.

 

„Hat er das?“, erkundigte sich Draco jetzt langsam.

 

„Ja. Es läuft ziemlich gut, jetzt wo… niemand mehr Angst hat.“ Er konnte Gregs Blick bei diesen Worten schlecht deuten.

 

„Und du hast also den Dunklen Lord gestürzt?“ Pansy grinste ihn an. „Bist also doch noch ein Potter geworden.“ Er fasste dies als ziemlich große Beleidigung auf.


„Niemals. Nein, definitiv nicht.“ Pansy lachte jetzt.


„Sag mal… dieses ganze Gerede über die Prophezeiung… stimmt das? Ich meine, du und Hermine Granger? In der Schule haben wir mit denen doch absolut gar nichts zu tun gehabt, oder? Ich meine… wir… haben uns alle überhaupt nicht verstanden. Stimmt das alles, Draco?“, fragte sie ungläubig.

 

„Pansy, bist du nicht schrecklich müde?“, fragte er stattdessen und zwang ein Lächeln auf seine Züge.

 

„Dann stimmt das also alles, ja?“, entgegnete Pansy, ohne auf seine Worte einzugehen.

 

„Pansy, ist es ok, wenn ich mit Draco runter gehe, um Kaffee zu holen?“ Greg hatte sich schon erhoben und küsste Pansy mitten auf den Mund. Dracos Mund öffnete sich für einen kurzen Moment. Er schloss ihn aber und hielt es für weise, dazu überhaupt gar nichts zu sagen.


„Sicher. Kommt aber gleich wieder, ja? Draco, ich habe noch hundert Fragen!“, fügte sie hinzu und drohte ihm mit dem Finger. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, dass er sie mit Fesseln gefangen gehalten hatte. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Greg irgendetwas Nettes zu ihm sagen wollte….

 

Auf dem Flur blieb er stehen. Er hatte abgenommen, stellte Draco fest.

 

„Sie wurde verwirrt gefunden. Das sagen jedenfalls die Berichte, Draco.“ Es klang wie ein bitterer Vorwurf. „Todesser haben sie hergebracht. Sie wäre eine Gefangene gewesen und der Vergessenszauber wäre stärker gewesen als alle anderen Vergessenszauber. Hast du irgendwas damit zu tun?“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste nicht, wie viel Wut sich Greg aufgespart hatte.

 

„Hör zu…“, begann er und er hasste es, auch daran schuld zu sein.

 

„Weißt du“, unterbrach ihn Greg sofort und hob die Hände, „ich bin dankbar, dass ihr Leute ihr Gedächtnis zerstört habt. Ich meine, sonst hätte sie mich wohl kaum jemals beachtet, aber… wie kam es dazu, dass so etwas nötig war?“ Jetzt wurde er wieder zornig. Anscheinend schien Greg hin und hergerissen zu sein.

 

„Du willst diese Geschichte nicht hören, Greg“, erwiderte er schlicht.

 

„Will ich nicht?“, fragte Greg verstört und Draco schüttelte langsam den Kopf.

 

„Was denkst du? Dass sie ein gutes Ende nimmt? Nein, tut sie nicht. Es ist meine Schuld, dass Pansy hier ist, aber… ich glaube nicht, dass sie das weiß. Und es ist auch besser so“, fügte er hinzu. Denn würde sie das wissen, dann würde sie sich auch an all die anderen Sachen erinnern. Sachen, die sie selber getan hatte. Menschen, die sie gequält hatte. Pansy war gut davon gekommen, fand er.

 

„Ok. Dann… sollte ich dir dankbar sein, richtig?“ Draco seufzte schwer.

 

„Bitte nicht. In Ordnung? Es wäre wirklich besser, wenn du mir das zum Vorwurf machst und mir am besten niemals vergeben könntest“, schlug er vor, aber Greg lächelte.

 

„Ich glaube nicht, Draco. Du hast uns von Voldemort befreit.“ Das hatte er nicht. Nicht wirklich. Damit kam so eine große Last und die erdrückte ihn wirklich. „Was ist mit Hermine Granger?“ Der Name… Ihr Name…

 

„Was soll mit ihr sein?“ Es drängte ihn förmlich, dass er auch ihren Namen sagte, aber er ließ davon ab. Er wollte sich selber nicht die Genugtuung verpassen, ihren Namen über seine Zunge gleiten zu lassen.


„Wie geht es ihr? Ihr seid doch… laut der Prophezeiung seid ihr doch… na ja… so was wie ein Paar, richtig?“ Draco musterte ihn. Das dachte? Das schrieb die Zeitung also auch?

 

„Nein, sind wir nicht, Greg. Waren wir auch nie. Das ist alles nur…“ Er musste überlegen, was das richtige Wort dafür war. „Das ist nur Gerede.“ Oh ja, das beschrie es wirklich ziemlich gut. Er war erbärmlich.

 

„Oh. Also stimmt das alles nicht? Mit der Waffe und der Macht?“

 

„Greg, es ist wirklich… kompliziert.“

 

„Und ich bin wirklich… dumm oder was willst du damit sagen?“ Greg sah ihn beleidigt an. Draco konnte nicht begreifen, dass es jemanden gab, der wirklich mit ihm darüber sprechen wollte, abgesehen von Snape, den er immer wieder abwimmelte.

 

„Nein. Es ist… - fein. Sie war unter einem Zauber. Und… deswegen hat sie sich in mich verliebt. Und jetzt ist der Zauber vorbei und… alles ist wieder in Ordnung“, erklärte er hastig. In der Schule hatte ihn Greg immer bewundert. Er hatte niemals gewagt, eine eigene Meinung zu haben. Das kam erst später. Erst, als er keine Angst mehr vor ihm hatte. Draco sehnte sich nach der Zeit zurück, in der er noch so viel Respekt verströmt hatte, dass es fast pervers lächerlich war.

 

„In Ordnung? Also… hast du sie nicht geliebt, sondern nur… mit ihr geschlafen?“, vermutete Greg und Draco fand, dafür, dass sie sich Jahre nicht gesehen hatte, kam Greg viel zu schnell auf den Punkt.

 

„Ich glaube, ich habe keine Lust darüber zu reden. Du bist also mit Pansy zusammen? Das ging schnell, richtig?“

 

„Ja, die zwölf Jahre. Sind wie im Flug vergangen“, bemerkte Greg und schien wenigstens zu akzeptieren, dass Draco nicht mehr über Sex mit Granger sprechen wollte.

 

„Gut für dich“, sagte Draco nur. „Was Langweiligeres als Eisverkäufer hättest du dir auch nicht aussuchen können, oder?“ Auf einmal fiel es ihm gar nicht so schwer, einen Witz zu machen. Jedenfalls war es einfacher gegenüber jemandem wie Greg, der so völlig unbeteiligt war.

 

„Na ja, nicht jeder rettet gerne die Welt, lässt seine Familie im Stich und kämpft mit Harry Potter für Gerechtigkeit. Ich bewundere dich wirklich, weißt du?“ Bei den letzten Worten hatte Greg den Blick gesenkt. Und Draco wünschte sich, er hätte sie gar nicht gesagt.


„Das war wirklich nicht so, wie es den Anschein macht“, erklärte er hastig.

 

„Das glaube ich dir. Du warst wirklich ein schlechter Mensch, Draco.“ Gregs Stimme war abgekühlt. „Ich hatte geglaubt, dich nie mehr wieder zu sehen und nie mehr deinen Namen auszusprechen oder zu lesen, vielleicht in der Zeitung, wenn wieder einmal ein Todesser verhaftet worden wäre. Niemals hätte ich geglaubt, dass du freiwillig unschuldigen Menschen geholfen hättest.“ Greg blickte zornig den Flur entlang. „Es war mir klar, dass du… da völlig unbeteiligt rein geraten bist. Aber… anscheinend kannst du deine Meinung ändern. Anscheinend können sich schlechte Menschen ändern, Draco. Ich habe dich so sehr verabscheut. Dich und deine Familie und die Tatsache, dass du Pansy von der schlechten Seite so erfolgreich überzeugt hattest.“

 

Draco wollte dazu etwas sagen, aber Greg ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ich habe mir überlegt, was ich dir alles sagen wollte, sollte ich dich doch einmal auf einer dunklen Gasse wieder treffen.“ Jetzt sah er ihn an. „Ich hätte dich nicht lebend da raus gelassen“, fuhr er fort und Draco glaubte ihm tatsächlich.

„Aber… ich sehe dich jetzt… und du bist… anders. Du hast deinen Vater verraten. Du hast Voldemort vernichtet. Für ein Mädchen. Für eine Muggel, Draco. Ist dir das überhaupt klar? Ist dir klar, wer du jetzt bist?“ Und er wusste es nicht.

 

„Wer bin ich?“, fragte er, ehe er es auch nur verhindern konnte, die Worte zu denken. Er wollte das nicht fragen. Er wollte auch nicht wissen, was Greg glaubte zu denken, was er sei.

 

„Du bist ein Held, Draco. Ein richtiger Held. Voller Schmerz und Leid. Du hast alles geopfert und dafür den Ruhm bekommen, der einem Held zusteht. Du bist all das, was ich sein wollte.“

 

Für einen irren Moment, wollte er seinen ehemaligen Freund umarmen. Kurz wollten die Tränen aus seinen Augen fließen. Alles nur sehr kurz. Dann riss er sich zusammen.

 

„Kaffee?“, fragte er und versuchte ein schiefes Grinsen. Er hoffte nur, er würde diese Heldensache nicht irgendwann auch noch selber glauben, so verlockend sie auch war….

 

 

Teil 30

 

 

„Oh, Harry, warum hast du das gemacht?“ Sie kaute auf ihren Fingernägeln. Mehr unbewusst.


„Weil wir alle beteiligt waren. Außerdem will ich mir nicht nachsagen lassen, ich würde ihn nicht berücksichtigen, nur weil ich persönliche Streitigkeiten mit ihm hatte“, fügte Harry hinzu, während er kurz in eine der vielen Kameras lächelte. Hermine hatte noch nie so viele Presseleute und erst recht nicht so viele Kuchen gesehen. Harry schien sich sogar recht wohl zu fühlen.

 

Ron war schon seit einer Weile verschwunden. Zwei Reporterinnen hatten sich ihm förmlich an den Hals geworfen und seitdem war er nicht mehr wiederzufinden. Sie wusste, Lavender hielt fleißig nach ihm Ausschau.

 

„Persönliche Streitigkeiten? Das ist ja wirklich blumig ausgedrückt“, bemerkte sie gereizt.

 

„Hermine, willst du wirklich, dass Malfoy jetzt nirgendwo mehr erwähnt wird? Darf ich dich erinnern, dass du diejenige warst, wegen der wir überhaupt etwas mit ihm zu tun hatten?“

 

„Was? Hättest du ihn nicht gefangen genommen, dann-“ Sie biss sich auf die Lippe. Sie würde nicht mit Harry das Spiel der ewigen Schuldzuweisungen spielen. In den letzten drei Wochen hatten sie das nämlich schon zu oft gespielt.

„Du hättest ihn einfach nur nicht hierher einladen sollen“, schloss sie bitter.

 

„Snape hat gesagt, es würde ihm gut tun. Und deswegen tun wir das auch.“


„Ja, weil wir ihm ja nur Gutes wollen“, fügte sie hinzu.

 

„Weißt du, es hatte seine Vorteile, als du ein verliebtes Mädchen warst.“ Wieder hatte Harry die Hand in die Höhe gereckt und winkte der nächsten blitzenden Kamera. Sie nahm an, sie würde auf allen Bildern gehetzt aussehen. Es war auch so absurd. Vor einem Monat lebte die magische Welt in Angst und Schrecken und jetzt gab es Kuchen im Ministerium.

 

Sie atmete langsam aus. Mit Harry streiten würde auch nichts an ihrem Problem ändern. Man sollte immer vorbereitet sein. Und sie war absolut überhaupt nicht vorbereitet. Sie hatte sich nicht einmal die Haare gewaschen. Hätte sie sich heute die Haare waschen sollen? Machte man das für so große Ehrenauftritte? Sie hatte keine Ahnung! Woher sollte sie es wissen?

 

Sie sah ihn, bevor er sie sehen konnte. Hastig schnappte sie nach Luft und stellte sich dicht neben Harry, damit sie nicht so auffallen würde. Er trug dunkle Brillengläser, die seine Augen verborgen hielten. Sie hätte sich auch eine Sonnenbrille aufsetzen können. Es war sogar recht praktisch. Niemand wusste, wo sie hin blickte. Niemand konnte ihren Blick deuten.

 

Aber nein. Sie hatte keine Brille aufgesetzt.

 

Wieder kaute sie auf ihrem Fingernagel, um sich abzulenken.

 

„Ms Granger, war es eine schwere Zeit? Hat Lucius Malfoy Sie wirklich in seinem Haus gefangen gehalten?“ Solche Fragen beantwortete sie rund um die Uhr, seit Voldemorts Fall. Sie lächelte charmant und leer.


„Äh… wissen Sie…“ Sie hatte keine Lust mehr diese Frage zu beantworten. Die Leute taten, als wäre dies das reinste Zuckerschlecken gewesen. Als wäre es eine Art Abenteuerurlaub, von dem sie nun berichten sollte.

 

„Da ist Draco Malfoy! Wussten Sie, das Draco Malfoy erscheinen würde?“

 

„Nein, wusste ich nicht“, presste sie hervor.

 

„Mr Malfoy!“, rief der Reporter jetzt und ehe Hermine ihm an die Gurgel gehen konnte, hatte Malfoy ihn entdeckt und kam jetzt zu ihnen. Sie würde sich übergeben. Sie würde zittern, stottern, ohnmächtig werden und sich anschließend übergeben. Ja, so sah ihr perfekter Plan aus. Ihr wurde heiß und übel, je näher er kam.

 

Jetzt hatte er sie gesehen, aber hinter seinen dunklen Gläsern konnte sie natürlich nicht sehen, was hinter seinem Blick vor sich ging.

 

„Mr Malfoy, wie geht es Ihnen. Mein Beileid zu Ihrem Verlust. Stimmt es, dass Ihr Vater, Ms Granger gefangen gehalten hat?“ Sie hielt die Luft an und wagte nicht zu atmen. Die flotte Schreibefeder des Reporters wartete gespannt in der Luft. Wieder blitzte eine Kamera.

 

„Nein, das ist nicht korrekt. Ich habe Ms Granger gefangen genommen und bereue dies nun zutiefst“, erklärte er.

 

„Wie dramatisch!“, entfuhr es dem Reporter. „Sie haben sie also gefangen genommen und anschließend wieder befreit. Was für ein Gefühl hatten Sie dabei?“ Sie konnte ihn nur anstarren. Er lächelte tatsächlich und es gelang ihr nicht einmal mehr zu unterscheiden, ob es ein ehrliches oder ein falsches Lächeln war.


„Kein Gutes“, sagte er also knapp.

 

„Sie haben Ms Parkinson im Mungo besucht, heißt es in unseren Quellen? Sie hegen also noch alte Freundschaften, Mr Malfoy?“ Die Feder sauste über das Papier und Hermine fragte sich, ob diese Feder genauso furchtbar war, wie die Feder von Rita Kimmkorn damals. Aber sie bezweifelte, dass solche Lügenfedern noch erlaubt waren.

 

„Ja, ich habe sie besucht“, erwiderte er nur vage und sie glaubte, dass sie sein Blick hinter den Gläsern kurz traf.

 

„Zu Ihnen und Ms Granger… durch diese Prophezeiung, haben Sie da eine Beziehung angefangen?“ Noch indiskreter konnte es heute wohl nicht zu gehen! Sie musste nur noch ihre Klamotten ausziehen und nackt durch das Ministerium spazieren, dann hätte sie ihren Albtraum eins zu eins in die Realität umgesetzt.

 

Aber sie war gespannt auf seine Antwort.

 

„Was meinen Sie?“, fragte er. Ob er das tat, um mehr Zeit zu schinden, oder weil er wirklich nicht verstand machte sie wahnsinnig.

 

„Ich meine, ob Sie und Ms Granger…“ Sie spürte, dass sie seine Worte mehr als nur verletzten könnten, also beschloss sie kurzerhand selber zu antworten.


„Ich weiß nicht, was sie gelesen oder gehört haben, aber Mr Malfoy und ich hatten keine Beziehung, während der Erfüllung der Prophezeiung.“ Sie klang wie in der Schule viel ihr auf. Ihre Antwort kam schnell und scharf. Jetzt sah er sie an, da war sie sicher.

 

„Nicht?“ Kurz hielt die Feder in der Luft inne, dann strich sie eine ganze Zeile durch und schrieb weiter. „Aber… zum großen Kampf, Ms Granger… Wie hat Ihr Blut gewirkt?“ Ihr Mund öffnete sich. Sie war so gut wie bewusstlos gewesen. Eigentlich hatte sie keine Ahnung, wie genau ihr Blut gewirkt hatte. Harry hatte alles so schnell erzählt, dass sie kaum richtig verstanden hatte was passiert war. Die Erde war aufgerissen und hatte alles verschlungen, so durchschlagend war die Kraft gewesen.

 

„Ich glaube, es waren genug Fragen, finden Sie nicht?“ Seine Stimme klang nun merklich kühler.

 

„Vielen Dank. Ich danke Ihnen beiden, vielleicht wären Sie einem privaten Gespräch nicht abgeneigt?“ Er lächelte. Der Reporter sah sie an, wie eine Giftspinne, die darauf wartete zuzuschlagen.

 

„Wir werden darüber nachdenken“, erklärte Malfoy jetzt streng. Und wie von selbst hatte sich sein Arm auf ihre Taille gelegt und er führte sie von dem Reporter und den Kameras weg.

 

„Wo gehen wir hin?“, flüsterte sie und klang beinahe aufgeregt.

 

„Nirgendwohin. Nur weg von der Menge. Du stellst dich auch mit voller Absicht ins Feuer der Kameras, oder?“, bemerkte er und sie hatte sich noch nicht einmal an seine Anwesenheit gewöhnt, da musste er schon dämliche Bemerkungen machen, fiel ihr auf. Die Sonnenbrille störte sie nun noch mehr.


„Ray, wozu brauchst du die Brille?“, fragte sie und verschränkte fast zornig die Arme.

 

„Was?“ Ihr ging auf, dass er Ray Charles wahrscheinlich nicht kennen würde. Sie schüttelte verärgert den Kopf.

 

„Wozu hast du die Sonnenbrille auf, Malfoy?“ Kurz war ihr kalt. Sie wusste nicht wirklich, woher die Kälte kam, aber sie war ihr unangenehm.

 

„Neidisch?“, fragte er nur und sie wandte den Blick von seinem Gesicht. Harry hatte wirklich Mist gebaut. Sie hätte Malfoy nicht hierher eingeladen. Niemals. Nach drei Wochen hatte er sich nicht bei ihnen gemeldet gehabt. Und sein Geld hatte er auch nicht abgeholt. Sie hatte sich erkundigt. Und danach hatte sie es bereut, sich erkundigt zu haben. Es war auch so schon schwer genug.

 

„Dir geht es gut?“ Sie wusste nicht, weshalb er fragte.

 

„Ja, es geht mir gut.“

 

„Ja, so klingt es auch“, gab er mit gerunzelter Stirn zu bedenken. „Hast du Schmerzen?“, fragte er jetzt und sie stöhnte gereizt auf.

 

„Wieso sollte ich, Malfoy?“

 

„Weil du deine Arme vor deinem Bauch verschränkst“, erklärte er geduldig. Entweder tut dir dein Bauch weh oder das ist deine natürliche Abwehrhaltung gegenüber unerwünschten Menschen.“

 

„Dann ist es wohl das zweite“, gab sie zurück.

 

„Dann misch ich mich mal wieder unter die Leute.“ Er hatte sich zum Gehen umgewandt.

 

„Wieso hast du das Geld nicht abgeholt?“, rief sie ihm jetzt nach und innerlich schrie sie sich dafür an. Was interessierte es sie denn, ob er sich das Geld holte oder nicht? Merlin, noch mal!

 

„Was?“ Er wandte sich zu ihr um.

 

„Und wieso hast du die dämliche Brille auf? Was soll das?“

 

„Bist du irgendwie unzufrieden mit mir? Willst du gerne das Geld haben, Granger? Ich brauche es nämlich nicht. Vielleicht hast du das vergessen, aber ich bin bereits reich.“ Sie verdrehte die Augen. Natürlich. Der Herr war ja ein magischer Fürst. Er brauchte gar nichts. „Allerdings ziehe ich es vor, die Brille aufzulassen, wenn du nichts dagegen hast“, fügte er ruhig hinzu. Anscheinend wollte er keine Aufmerksamkeit hierher lenken.

 

„Gut, wenn du nicht schnell genug hier wegkommen kannst, dann bitte, geh einfach“, gab sie sich geschlagen. „Ich habe Harry gesagt, dass du freiwillig niemals gekommen wärst“, fuhr sie fort.


„Das war mir klar. Eine Einladung von dir hätte ich auch nicht erwartet.“

 

„Die hättest du auch nicht bekommen, Malfoy.“

 

„Schön.“

 

„Ja, schön!“

 

Am liebsten hätte sie ihm die Brille von der Nase geflucht. Arschloch. Sie könnte weinen vor Wut. Jetzt hatte sie sich nicht mit ihm unterhalten wollen und stand jetzt doch vor ihm!

Es war faszinierend zu sehen, wie sie immer wieder die gleichen Fehler machte. Sie wusste nicht, warum sie in dieser Beziehung immer so dumm war. Was wollte sie von Draco Malfoy? Was wollte sie noch von ihm? Jetzt war alles doch so, wie es hatte sein sollen. Er machte keine Anstalten zu gehen. Musste sie wirklich als erste gehen? Wieso ging sie denn nicht einfach?

 

War es wirklich so schön ihn zu sehen? Nein, das war es nicht. Ihr Herz litt große Schmerzen. Es machte ihr keinen Spaß. Ihre Laune hob sich nicht, wenn sie ihn vor sich sah. Wieso hatte er sich in erster Linie überhaupt auf sie eingelassen? Weil sie sich an seinen Hals geworfen hatte? Weil sie ihn praktisch gezwungen hatte? Weil sonst niemand dagewesen war?

 

Nein, eigentlich war sie es doch gar nicht gewesen! Er war es doch gewesen. Hatte sie wirklich Sex mit diesem Mann gehabt? Wirklich? Mit Draco Malfoy? Es kam ihr gar nicht mehr echt vor. Dabei war es kaum einen Monat her.

 

Unglaublich. Und jetzt trug er die verdammte Sonnenbrille und war so abwesend als wäre dies eine ehemalige Schulveranstaltung. Sie sollte ihm ebenfalls Beileid wünschen. Aber das würde er nicht akzeptieren. Sie sollte ihn auch fragen, wie es ihm ging, aber sie wollte nicht. Ihr Stolz wollte nicht. Sie sollte ihm vorwerfen, dass er sie verflucht hatte, aber sie konnte nicht, denn es interessierte sie schon gar nicht mehr.

 

Seit Harry ihm die Einladung geschickt hatte, interessierte sie nur noch, ob er kommen würde. Jetzt war sie hier. Der Tag war gekommen. Und er war auch hier. Das war es doch! Und es war lächerlich, dass sie diesem Tag tatsächlich entgegen gefiebert hatte. Denn er wäre nur zu schnell vorbei. Und dann? Würde sie dann der nächsten unwahrscheinlichen Gelegenheit entgegenfiebern, ihn wiederzusehen? Wahrscheinlich schon.

 

Und was brachte ihr das? Gar nichts. Wenn sie den Zeitungen Glauben schenken konnte, würde sich Malfoy demnächst für eine Karriere entscheiden, die ihn aus London fortbrachte.

 

Wenn es stimmte, dann hatte er zugestimmt für das Ministerium zu arbeiten und zwar im Außendienst für andere Länder. Dann wäre er weg. Aus England. Vielleicht sogar aus Europa. Was, wenn er nach Amerika ging? Viertausend Meilen weit weg von hier? Das waren sechstausend Kilometer, wenn nicht mehr!

 

„Ja?“, fragte er geduldig und wechselte das Standbein.

 

Hatte sie laut gesprochen? Oh Merlin, bitte nicht!

 

„Was?“, fragte sie also.

 

„Ich bitte dich. Denkst du ich kann nicht erkennen, dass du mich hier am liebsten zusammen schreien würdest?“ Ihr Mund klappte kurz auf.

 

„Nein, will ich nicht“, log sie ernsthaft.

 

„Nicht?“ Er verzog den Mund. Er war sehr schnell wieder sehr ernst geworden. Es war für den Reporter also nur Schau gewesen, dieses Grinsen und seine erhabene Art.

 

„Du nimmst diesen Außendienstjob?“, fragte sie knapp, um irgendwas zu sagen. Etwas Unverfängliches, was nicht zu sehr den Anschein erweckte, dass sie nicht wollte, dass er ging.

 

„Schätze schon. Ich habe das überlegt, ja.“ Sie wusste nicht, ob er verwirrt darüber war, dass sie das fragte, oder dass sie das überhaupt wusste. Sie kam sich wie ein Stalker vor.

 

„Dann… viel Glück dabei. Machs gut“, verabschiedete sie sich und drehte sich ein Stück von ihm weg, um wieder dem bunten Treiben der Feier zuzusehen.

 

„Das wäre alles, was du mir sagen würdest, wenn du wüsstest, dass ich das Land verlasse?“, fragte er knapp und sie wollte nicht mehr, dass er mit ihr sprach, denn sie hatte sich schon verabschiedet. Er untergrub somit die Macht, die sie hatte. Sie hatte das Gespräch beendet. Sie wollte nicht, dass er es tat. Sie wusste nicht genau, warum.

 

„Was genau erwartest du, das ich sage, Malfoy?“, sagte sie also und versuchte nicht müde dabei zu klingen. Dabei war es genau das: Es war ermüdend.

 

„Wieso sagst du es nicht?“, forderte er jetzt. „Wieso schreist du nicht? Wieso erzählst du ihnen nicht, dass ich dich fast umgebracht hätte?“, fügte er aufgebracht hinzu.

 

„Was?“ Sie runzelte die Stirn. „Wieso sollte ich?“ Sein Gesicht wirkte angespannt. Nein, sein ganzer Körper wirkte angespannt.

 

„Weil sie sich dann noch mal überlegen würden, die Strafe zu vollziehen! Weil es strafbar ist, was ich getan habe! Alles, was ich getan habe, Granger!“ Seine Brust hob und senkte sich stärker.

 

„Ich hab dir schon gesagt, es war nötig. Du musstest das tun.“

 

„Ich musste dich gefangen nehmen? Dich schlagen? Dich mit dem Imperius belegen? Dich mit einem Fluch fast töten?“ Er war näher gekommen und kurz wollte sie doch nicht mehr, dass er die Brille abnahm. Ihr Herz schlug schnell.

 

„Nein, wahrscheinlich nicht. Aber… die Prophezeiung hätte sich sonst wohl nicht erfüllt und-“

 

„Ich hab es so satt, dieses Wort zu hören. Als wäre es eine Rechtfertigung für all das Schlechte.“ Sein Blick wanderte durch den Saal. Wahrscheinlich damit er sie nicht ansehen musste, vermutete sie.

 

„Draco, du musst darüber wegkommen“, sagte sie leise. Es half nichts, darüber immer und immer wieder nachzudenken. Würde sie das tun… dann würde sie wohl nichts anderes mehr tun können.


„Darüber wegkommen? Wie könnte ich das denn?“, fragte er und sah sie kopfschüttelnd an.

 

„Niemand macht dir hier einen Vorwurf“, erklärte sie ungeduldig.

 

Ich mach mir aber Vorwürfe, Granger! Ich tue das!“ Kurz erregten sie Aufmerksamkeit, und das wollte sie nun wirklich nicht. Sie griff einfach nach seinem Arm und zog ihn mit sich. Raus aus der Halle, weg von den Menschen, in den Flur Richtung Fahrstuhl. Fluchend ließ er das zu. „Von mir aus können sie das ruhig hören.“

 

„Von mir aus aber nicht“, widersprach sie. „Malfoy, das ist alles vorbei. Es ist vorbei. Alles ist gut, hörst du? Vielleicht nicht alles. Aber wir haben überlebt. Wir haben es geschafft. Voldemort ist weg. Du musst das akzeptieren und aufhören, dir Vorwürfe wegen dieser Kleinigkeiten zu machen.“ Was erzählte sie da?

 

„Kleinigkeiten?“, wiederholte er ungläubig und schüttelte den Kopf. „Ich habe dir wehgetan. Ich habe dir Schmerzen zugefügt. Ich allein!“ Ihre Augen verengten sich.

 

„Und… das tut dir… irgendwie leid?“, vergewisserte sie sich und er lachte laut auf.


Leid?“ Er riss sich die Brille vom Gesicht. „Granger, es bringt mich um!“, verbesserte er sie. Und sie wusste, weshalb er die Brille trug. Er sah aus, als hätte er Wochen nicht geschlafen. Die Augen waren dunkle umrandet und so viele Adern waren geplatzt, dass sie völlig rot erschienen.

 

Sie waren geschwollen und noch nie hatte sie ihn so gesehen.

 

„Ich… ich hab dir gesagt, dass ich dir das nicht vorwerfe! Es war ein guter Zauber. Es war ein wirksamer Zauber. Es gab keinen besseren Weg. Jeder andere Weg hätte in unseren Tod geführt! Das weißt du!“

 

„Lieber wäre ich gestorben als…“ Kurz schloss er die Augen. „Weißt du, ich hatte nicht kommen wollen. Wirklich nicht“, erklärt er erschöpft.

 

„Ich hatte gehofft, du würdest kommen“, erwiderte sie nur. Er sah sie an.


„Wenn du mich nicht anschreien wolltest, warum wolltest du dann, dass ich hierher komme?“ Er sah recht fassungslos aus. Und sie begriff, dass das, was sie gedacht hatte wirklich wahr war. Er konnte sich nicht vergeben.

Und es brach ihr Herz. Denn er musste. Sie würde sich sonst nämlich selber auch niemals vergeben können. Sie hasste ihn. So sehr.

 

„Weil du ein blöder Idiot bist, Malfoy!“ Sie weinte und ärgerte sich sehr darüber. Sein Mund hatte sich überrascht geöffnet und es war, als wäre kein Tag vergangen. Es war, als wäre er gar nicht fort gewesen. Als wäre sie nicht einen Monat lang allein gewesen und hätte getrauert.

 

Und sie musste ihn berühren. Es war wohl einfach ihr persönlicher Fluch.

 

Sie schloss den Abstand wie von selbst. Zwar schien er noch etwas sagen zu wollen, aber sie konnte nicht länger warten. Sie schlang die Arme um ihn und sein Kopf senkte sich automatisch.

 

Und er küsste sie.

 

Er zog sie an sich, griff in ihre Haare, presste sie näher an seinen Körper, stöhnte unter ihren Bewegungen, nahm ihr Gesicht in beide Hände und sie würde ihn nie wieder loslassen.

 

 

Teil 31

 

 

Er wusste nicht mal mehr wirklich, ob er irgendwas zu Tom gesagt hatte, als Granger und er durch die Tür getaumelt waren, die Blicke gefesselt.

Wahrscheinlich hatte er irgendwas Eloquentes wie, „Hey“ oder so zu ihm gesagt. Aber wohl kaum mehr.

 

Jetzt hatte er die Tür geöffnet, Granger an sich gezogen und die Tür wieder unsanft ins Schloss geworfen.

 

Sie hatten gar nicht schnell genug apparieren können. Er konnte sie gar nicht oft genug küssen und an sich ziehen. Er hatte keine Ahnung, was genau passierte, aber es war auch unwichtig. Sie küsste ihn erneut und zog sich die Jacke aus.

 

Wie hatte er annehmen können, ohne sie auszukommen? Er wusste es nicht.

 

Sie waren hier her gekommen, weil ihr Apartment erst gerade renoviert und eingerichtet wurde. Hier hatten sie immerhin ein Bett. Nicht, dass sie es unbedingt brauchen würden. Aber jetzt lief es darauf hinaus. Er zog sich seine Jacke aus und sie ließ von ihm ab.

 

Die Wangen waren rot, die Augen dunkel vor Lust und seine Erektion erwachte plötzlich. Er schluckte schwer. Wahrscheinlich konnte er mit allem leben. Mit der Vergangenheit, den Schmerzen – aber er würde es wohl ohne sie nicht schaffen. Das wurde ihm klar. Wenn sie bei ihm war, dann war es leichter, dann hatte er das Gefühl, alles überwinden zu können. Alles machte Sinn, wenn sie ihn ansah. Genauso wie sie ihn jetzt ansah.

 

Denn dann war er kein Monster, kein grausamer Mensch.

 

Ob er die Schuld bei suchte? Ja, verflucht. Niemals würde er ihr die Schuld an irgendwas geben.

 

„Was ist?“, fragte sie plötzlich besorgt und ihre Finger strichen sanft über seine Haut. Er schüttelte unwirsch den Kopf.

 

„Willst du, dass ich es sage?“ Sie sah ihn verwirrt an.

 

„Dass du was sagst?“ Er atmete kurz ein und blickte ihr dann in die Augen.

 

„Willst du, dass ich sage, dass ich dich liebe?“, fragte er also und ihr Mund öffnete sich langsam. Sie starrte ihn völlig entgeistert an.

 

„Du… was?“

 

„Soll ich es dir sagen?“, wiederholte er jetzt ruhig. Sie schüttelte stumm den Kopf. „Nein?“, versicherte er sich.


„Du… liebst mich nicht, Draco“, erklärte sie überzeugt und schüttelte erneut den Kopf. Er lächelte jetzt.

 

„Weißt du das genau?“, erkundigte er sich und sie zog ihn stürmisch an sich. Ihre Küsse bedeckten seine Lippen, sein Wange, seine Augenlider. Ihre Finger glitten durch seine Haare, über seinen Nacken, seine Brust, schlüpften unter sein Hemd und er schloss die Augen.

 

Er selber befreite sie aus der Bluse und schob ihren Rock ihre Beine hinab. Er hatte sie schon so oft nackt gesehen, und dennoch war es jedes Mal großartig. Er musste nicht lange überlegen, wenn er sich in seinem Kopf fragte, was er wirklich wollte. Er wollte nur sie. Immer wieder.

 

Sie sprach nicht mehr.

 

Sie zog ihn mit sich rüber zum Bett und ließ sich darauf nieder. Sie wartete, dass er sich über sie legte und er öffnete langsam die Knöpfe seines Hemdes. Sie war perfekt, so wie sie vor ihm lag. Ein so schönes Bild, das er nur ungern zerstörte, aber sie wartete auf ihn.

 

Endlich war er das Hemd losgeworden, zog sich seine Hose aus, danach seine Shorts. Kurz zögerte er noch und genoss die Gewissheit, dass er sie hatte. Sie war seins. Nicht weil sie es musste, nein. Weil sie es wollte. Hundertprozentig wollte. Er musste sich dennoch vergewissern.

 

„Du willst mich wirklich?“, fragte er und ärgerte sich fast darüber, dass er ein wenig unsicher klang. Sie stützte sich auf die nackten Ellenbogen und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an.

 

„Ich liebe dich“, sagte sie leise. Schon kniete er sich auf die Matratze und lag über ihr. Ehe er sie küsste, strich er die Locken hinter ihr Ohr.

 

„Ich liebe dich.“ Das war alles. Das war alles, was er brauchte. Er küsste sie übergangslos, stöhnte gegen ihre Lippen, als sie ihre Beine spreizte und in heller Vorfreude wuchs seine Erektion. Ohne länger zu zögern stieß er nach vorne in die willkommene Hitze. Sie schnappte nach Luft und kurz hielt er inne, um ihr in die Augen zu sehen. Er wollte ihre Faszination sehen, wollte sehen, dass sie genauso fühlte wie er.

 

Er war berauscht von ihr und ihrer Nähe.

 

Sie erwiderte den Blick und atmete schwer. Dann stieß er langsam wieder nach vorne und sie legte den Kopf in den Nacken. Er küsste ihren Hals, biss in ihre zarte Haut und rammte sich tiefer in sie. Härter stieß er nach vorne, wollte in ihr versinken. Das Gefühl wie sich ihr Körper ihm anpasste war unbeschreiblich.

 

Sie bog sich ihm entgegen, erwiderte seinen Rhythmus und schrie auf, als sie kurz davor war. Er liebte es, wenn sie schrie. Denn dann schrie sie seinen Namen. Seinen Vornamen.

 

Es machte ihn so unglaublich an, dass er sich nicht beherrschen konnte. Wilder stieß er vorwärts, pinnte sie gegen die Matratze unter sich und er hatte keine Sorge. Er hatte immer Sorge, dass es zu schnell vorbei war. Aber dieses Mal nicht. Denn dieses Mal wusste er, dass es nicht eine einmalige Sache war. Er wusste, dieses Gefühl würde er immer wieder haben können. Er würde sie immer wieder haben können.

 

Sie würde einfach seins sein. Nur seins. Mit diesen Gedanken stieß er ein letztes Mal nach vorne, keuchte auf und ergoss sich in ihr. Sein Kopf sank auf ihre Brust und er küsste ihre Haut erneut.

 

Ihre Finger verirrten sich in seinen Haare und strichen ihm die Strähnen aus der Stirn. Er hob träge den Kopf. Die Müdigkeit, die ihm seit Wochen in den Knochen saß, drohte ihn zu überwältigen, aber er wollte garantiert nicht schlafen. Er hatte doch gerade erst angefangen.

 

Sie zog ihn zu sich. Er rollte von ihr runter und sie drehte sich in seine Armbeuge. Dann griff sie nach der Decke und zog sie bis unter ihr Kinn.

 

„Wir schlafen jetzt nicht“, murmelte er gegen ihr Haar, aber seine Augen fielen immer wieder zu.

 

„Ok“, nuschelte sie müde. „Ich habe so schlecht geschlafen in den letzten Wochen ohne dich“, flüsterte sie jetzt. Er musste lächeln.

 

„Ich habe ohne dich gar nicht geschlafen“, erwiderte er.

 

„Gut, dass wir dann jetzt nicht schlafen wollen“, gab sie langsam zurück.

 

„Jaah…“ Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, war er bereits eingeschlafen. Sie lag ruhig an seiner Brust, atmete langsam aus und wieder ein und so schliefen sie, bis die Sonnenstrahlen durch das Zimmer krochen.

 

 

~*~

 

. . .

 

 

Sie sah, wie er die alten Fotos durchsah. Immer wieder. Er hatte keine mehr. Seine Erinnerungen waren alle verbrannt. Sie stellte sich dicht hinter ihn und legte die Arme um seine Hüften.

 

„Na?“, fragte sie leise und küsste die Stelle zwischen seinen Schulterblättern. Höher kam sie nicht.

 

„Ich glaube, ich vermisse Hogwarts“, sagte er nach einer Weile.

 

„Heißt das, du denkst darüber nach?“, lockte sie ihn und küsste ihn erneut.


„Nein“, gab er zurück. „Ich vermisse es nur, das heißt nicht, dass ich unbedingt dort arbeiten will“, erklärte er geduldig.

 

„Dann würden wir uns jeden Tag sehen.“

 

„Ich habe gehört, Männer können sich nichts Schöneres vorstellen, als ihre Frauen jeden Tag zu sehen.“ Sie schlug ihm kurz auf den Rücken. Lachend drehte er sich zu ihr um.

 

„Erstens bin ich nicht deine Frau, sondern deine Freundin und zweitens ist das nur eine schlechte Idee, wenn sich beide nicht ertragen können. Und stell dir vor… wir würden dort zusammen arbeiten… In den Pausen könnten wir uns auf dem Quidditchfeld treffen, wenn keiner da ist…“ Sie griff in seinen Kragen und zog ihn zu einem Kuss an sich.

 

Er legte den Arm um ihre Taille.

 

„Das heißt…“, murmelte er gegen ihre Lippen, „du willst mich mit Sex ködern, richtig?“ Sie stieß ihm vor die Brust.

 

„Du bist furchtbar!“

 

„Ich?“ Er lachte wieder und küsste sie erneut.

 

„Sie werden dich gerne aufnehmen. Seitdem Snape frühpensioniert ist, ist der Platz für Zaubertränke nur temporär besetzt“, fuhr sie fort.

 

„Zaubertränke?“ Er verzog den Mund. „Niemals… Ich würde sowas wie Verwandlung unterrichten wollen. Hypothetisch gesehen, natürlich“, fügte er schnell hinzu.

 

„Ja… hypothetisch.“ Er grinste jetzt.


„Ich überleg es mir, ok? Wir haben noch nicht mal alle Sachen ausgepackt.“ Sie nickte schließlich. Auf dem kleinen Tisch am Fenster stand das Gedicht der Reinblüter Prinzessin. Sie hatten es gerahmt. Sie hatte sich nicht davon trennen können.

 

„Sag mal, hat Pansy nicht noch alte Fotos von euch?“ Er runzelte die Stirn.

 

„Wieso fragst du?“

 

„Weil du dir ständig die Fotos ansiehst.“ Er lächelte.

 

„Ja, aber ich bin nicht an Fotos von mir interessiert, Hermine. Ich sehe mir deine Fotos an, damit ich herausfinden kann, weshalb ich nicht schon viel eher mit dir zusammen gekommen bin.“ Sie verdrehte die Augen.


„Ja, sicher… Du konntest es kaum erwarten, mit einer Muggel zu gehen, ich erinnere mich…“ Er zog ein Foto aus dem Stapel. Hagrid hatte es gemacht. Sie saßen auf der riesigen Bank. Ein Arm hatte Ron um sie gelegt, ein Arm Harry. Alle drei grinsten sie in die Kamera.

 

„Sag mal, wie oft, war Weasley mit Lavender zusammen?“, erkundigte er sich jetzt. Sie zuckte die Achseln.

 

„Hundert Mal?“, schätzte sie lapidar. Im Moment funktionierte es, aber das konnte auch wieder umschlagen, da war sie sicher.

 

„Wann sind wir heute bei Molly Weasley?“ Sie warf einen Blick auf die Uhr.

 

„Um sechs sind wir eingeladen. Und wenn wir Harry noch abholen, dann wird es wahrscheinlich halb sieben.“

 

„Ich kann seine neue Freundin nicht leiden“, sagte er jetzt offen.

 

„Weil sie besser Quidditch spielt?“, fragte sie scheinheilig. Er funkelte sie an.


„Nein, nicht weil sie besser Quidditch spielt. Ich glaube, ich sollte dir eine kleine Abreibung verpassen. Du wirst zu frech. Wahrscheinlich erlaube ich dir zu viel.“ Er grinste und sein Blick wurde teuflisch. Sie wich vor ihm zurück.

 

„Draco, nein!“ Sie hatte den Finger warnend gehoben. „Wehe!“

 

Doch er folgte ihr. „Halt mich doch einfach auf…“ Und schon setzte er ihr nach. Es war natürlich zwecklos zu versuchen, zwischen den vielen Umzugskisten zu entkommen. Sie hatten so viele neue Sachen gekauft, dass sie kaum Platz hatten, alles unterzubringen.

 

Zu schnell hatte er sie gefangen, die Arme um ihre Taille gelegt und sie an sich gezogen. Sie liebte es, wenn er sie so küsste. So, als wäre alles anderen von geringer Bedeutung.

 

„Das war nicht fair…“, schmollte sie und er hob sie auf seine Arme.

 

„Ich würde dir ja eine Revanche anbieten, aber…“ Mit gespieltem Bedauern warf er einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Wir haben nur noch eine halbe Stunde Zeit. Und… das reicht vielleicht gerade ebenso, um die Badewanne einzuweihen.“ Er küsste sie übergangslos. Sie kickte die Hausschuhe von ihren Füßen.

 

„Abgemacht. Weißt du…“, begann sie jetzt und strich durch seine hellen Haare. „In Hogwarts ist die Wanne der Vertrauensschüler dreimal so groß wie diese hier…“ Kurz schien er sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen.

 

„Du bist voller Überraschungen…“, murmelte er gegen ihre Lippen. „Und das scheint mir ein Angebot zu sein, was ich unmöglich ablehnen könnte…“ Sie musste grinsen und er küsste ihre Lippen erneut.

Sie ahnte, dass sie auch diese Woche zu spät zum Abendessen bei Molly kommen würden. Aber Molly war diskret genug, nicht nachzufragen.

 

Sie schlang den Arm um seinen Nacken und wollte nirgendwo anders sein als auf seinen Armen, hier in ihrer eigenen Wohnung, an diesem Freitagabend.

Niemals hätte sie erwartet, so glücklich zu sein wie genau jetzt.

Sie hatte keine Ahnung, ob die Prophezeiung noch irgendwas damit zu tun hatte. Aber… eigentlich war es unwichtig. Denn eigentlich verschwendete sie an die Prophezeiung keinen Gedanken mehr.

 

Vor allem in diesen Momenten nicht, wenn er sie küsste, als wäre sie die einzige auf der Welt. Als wäre sie immer noch völlig unwiderstehlich für ihn. Als wäre sie immer noch voller Geheimnisse, obwohl er wahrscheinlich alles über sie wusste und jedes noch so kleine Geheimnis kannte. Als wäre sie das einzige, was ihn glücklich machen könnte.

 

Und wahrscheinlich gefiel ihr nichts besser als das. Wahrscheinlich gab es kein schöneres Gefühl. Sie schloss glücklich die Augen, als der Kuss intensiver wurde. Vorsichtig beugte er sich mit ihr auf seinen Armen nach unten und drehte die Hähne der Wanne auf.

 

Grinsend stieß sie die Badezimmertür mit dem Fuß ins Schloss.

 

Ja, sie würden vielleicht ein klein wenig zu spät zum Abendessen kommen. Nur ein bisschen zu spät….

 

 

 

- The End -

 

 

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