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Teil
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Teil
10 , Teil 11 , Teil 12 , Teil 13 , Teil 14 , Teil
15 , Teil 16 , Teil 17 ,
Teil
18 , Teil 19 , Teil 20 , Teil 21 , Teil 22 , Teil
23 , Teil 24 , Teil 25 ,
Teil
26 , Teil 27 , Teil 28 , Teil 29 , Teil 30 , Teil
31
Teil
1
Er
wachte auf.
Es
war ein Gefühl, als entließe ihn der Tod äußerst ungern aus seinen friedlichen
und angenehmen Fängen, die sich schon tief in seinen Körper geschlagen hatten
und nun mit aller Macht aus seinem Fleisch gezerrt wurden.
Er
nahm Geräusche am Rande seines Bewusstseins wahr, aber nur undeutlich, denn der
Scherz blockierte alle seine Sinne. Gott, war das furchtbar!
Er
wollte wieder zurück. Zurück in die Ruhe, zurück in die sanfte Endlosigkeit.
Süßes Nichts fühlen war so angenehm wie nichts anderes, was er kannte.
„Er
wacht auf.“
„Endlich.“
Die
Stimmen klangen eher gereizt als erfreut. Als wäre sein Aufwachen die
schlechteste aller möglichen Optionen. Darin stimmte er überein. Sein Gehirn
sprang langsam an. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen. Seine Haare hingen ihm
nass in die Stirn. Der Schweiß war wohl verklebt mit Schmutz. Seine Züge ließen
sich nicht bewegen. Seine Augen ließen sich noch nicht öffnen.
Seine
Handgelenke schmerzten, waren wie gelähmt. Er versuchte sich zu bewegen, aber
anscheinend war er gefesselt, denn er spürte den Widerstand an seinen Armen und
Beinen. Seine Kehle war rau und die erste Spucke, die er anscheinend nach
gefühlten Ewigkeiten schluckte, kam nicht einmal an seinem Gaumen vorbei.
Seine
Frist endete. Er spürte, wie ihn jemand grob am Kragen packte, und er wurde
höchst unsanft aus seiner Lethargie gerissen.
„Sieh
mich an.“ Er kannte die Stimme, wusste aber nichts mit ihr anzufangen. „Augen
auf!“ Er konnte nicht Folge leisten. Er konnte nicht.
Eine
Hand knallte ihm flach ins Gesicht. Sein Kopf flog auf die Seite. Spucke, gemischt
mit seinem eigenen Blut, flog ihm aus dem Mund. Schmerz, weißer, greller
Schmerz, erwachte in seinem Gesicht.
Ein
Schrei, völlig unmenschlich, entrang sich seiner Kehle. So tierhaft und verzerrt,
als hätte er seine Stimme verloren, als hätte er seit Jahren nicht mehr
gesprochen. Seine Kehle war rau. Selbst seine Lider schmerzten als sich seine
Augen auf Grund des Schocks geöffnet hatten.
Er
blinzelte hart. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln, ob des grellen Lichts,
was ihn traf. Jetzt erst, ganz langsam, behielt sein Kurzzeitgedächtnis, was er
sah. Wo war er? Und wer hatte ihm das angetan? Er senkte den Blick. Er saß auf
einem Stuhl und anscheinend unsichtbare Fesseln hielten ihn dort gefangen. Er
zog erneut an seinen Handgelenken. Nichts bewegte sich, aber jede Bewegung
schmerzte höllisch. Magisch. Magische Fesseln.
Sein
Puls beschleunigte sich. Er hob den Kopf und vergaß für einen Moment seine
Qualen. Nur für einen Moment.
Grüne
Augen musterten ihn voller Abscheu. Dunkle Ringe lagen unter diesen Augen. Die
Haut war dreckig und fahl. Tiefe Falten lagen um seinen Mund und Wut verzerrte
die harten Züge. „Wo ist sie?“
Sprach
er mit ihm? Wann er hatte er ihn das letzte Mal gesehen? Er wusste es nicht.
Hatte er ihn so in Erinnerung gehabt? Nein, definitiv nicht. Jetzt konnte er
sogar Angst vor ihm haben. „Wo?“, schrie Potter jetzt und seine Ohren dröhnten.
Er musste die Augen schließen, sonst würde ihn die Übelkeit überkommen.
„Mach
die Augen auf und antworte auf meine verdammte Frage, zum Teufel noch mal!“ Er
wurde wieder geschüttelt, aber er begriff noch nicht. Was zur Hölle tat er
hier? Wie war er hier hin gekommen und wo war sein Vater?
„Lass
mich“, knurrte eine tiefere Stimme. Eine kalte Hand schloss sich um seine
Kehle. Seine Augen öffneten sich und er keuchte, um Luft zu bekommen. Weasley.
Seine Hand war groß und griff erbarmungslos zu. Er konnte auch aus dieser Nähe
sehen, dass diese Erscheinung beunruhigend war. Weasley bestand anscheinend nur
noch aus Muskeln. Die roten Haare waren länger, wellig und nach hinten mit
einem Band zurückgebunden. Sein Kiefermuskel zuckte unkontrolliert, als wüsste
er nicht, ob er nicht einfach zudrücken sollte.
„Wo
ist sie, Todesserschwein?“ Selbst wenn er gewusst hätte, worum es ging, hätte
er nicht antworten können, denn Weasleys Griff raubte ihm den Atem. Er spürte
die sanfte Bewusstlosigkeit zurückkehren und wünschte sich nichts sehnlicher
als einzuschlafen, wieder aufzuwachen und diesen Traum abschütteln zu können.
„Hör
auf. Ich habe keine Lust wieder drei Tage zu warten, bis er wieder aufwacht.“
Drei Tage… Er war drei Tage schon bewusstlos? Und wahrscheinlich bewusstlos
hier in diesem… Raum?
Widerwillig
zwang ihn sein Überlebensinstinkt die Augen offen zu behalten.
Weasleys
Griff lockerte sich, löste sich aber nicht von seinem Hals. Er war ein Tier.
Ein rothaariges, muskulöses Tier. Draco wagte nicht einmal mehr an die Zeit
zurückzudenken, wo er über Weasley nur hatte lachen können. Nach Lachen war ihm
nicht mehr zu Mute. Gar nicht mehr.
Die
blauen Augen ähnelten seinen nur zu deutlich. Wütend und hell leuchteten sie.
„Komm schon, du elender Wichser! Ich weiß, du hörst mich. Soll ich mich klarer
ausdrücken, Arschloch?“ Seine Stimme war rau und kaum noch zu erkennen. Wie
konnte das bisschen Zeit Potter und Weasley so verändert haben?
Plötzlich
sammelte sich sein Verstand. Er war ein Gefangener. Er war nicht in seinem
Haus, bei seinem Vater. Er war anscheinend gefangen worden. Wieso? Einfach. Er
war also eine Geisel. Wie hatten sie ihn finden können? Wo war seine
Erinnerung? Und war sein Vater schon auf dem Weg, ihn zu finden? Wussten sie,
wo Potter sich mit seinen Leuten versteckt hielt? War er etwa gerade in dem
Versteck, was sie seit zwei Jahren vergebens suchten?
Er
versuchte sich aufzurichten, versuchte sich umzusehen. Keine Fenster. Er sah
nicht mal eine Tür.
„Hey!“
Weasley packte kräftiger zu. Am Rande seines Bewusstseins verschwamm der Raum gefährlich.
„Wo ist sie?“ Potter zerrte Weasley zur Seite, nur um ihm dann den Zauberstab
direkt gegen die Wange zu drücken. Der Zauberstab begann zu glühen. Was für ein
kranker Spruch war das bitte?
Gedanken
zerfielen in Schmerzen und Schreie. Er wusste nicht, was er schrie. Wusste
nicht, ob er tatsächliche Worte verwendete, oder ob sein Gehirn nicht mehr in
der Lage war, Worte auszuspucken.
„Wo,
Malfoy?“, knurrte Potter ungehalten. Die Haut zerschnitt unter dem glühend
heißen Zauberstab. Draco spürte, wie sie riss, wie warmes Blut seine
schmutzige, klebrige Wange hinabsickerte. Es lief in seinen Mundwinkel. Er
musste würgen, schrie, während er würgte, versuchte zu fluchen, versuchte, sich
loszureißen, spürte, wie auch die magischen Fesseln seine Haut zerschnitten.
Heiße
Tränen mischten sich mit seinem eigenen Blut. Er versuchte den Kopf nach hinten
zu reißen und Potters Qual zu entkommen, aber diese durchschaute diesen
Versuch, packte sein Gesicht mit der freien Hand und hielt ihn still.
„Sag
es, Malfoy. Du denkst doch wohl nicht, dass ich dich verschone, oder?“ Und
nein. Das dachte Draco nicht. Mit keinem Gedanken. Dieser Potter war nicht mehr
der Potter über den er sich lustig gemacht hatte. Dieser Potter war sein
schlimmster Albtraum. Seine Schläfen pochten. Er hörte das Blut in seinen Ohren
rauschen. Lauter als alles andere. Lauter als Potters Worte, lauter als die
Schmerzen. Lauter als der Raum, lauter als sein Herzschlag.
Plötzlich
waren alle Geräusche verschwunden und er sank zurück in die erlösende
Bewusstlosigkeit.
~*~
Mit
einem Knall erwachten er und all seine Schmerzen. Er schrie. Laut. Lauter als
jemals zuvor.
„Halt
deine Klappe“, hörte er eine neue Stimme. „Mach endlich deinen Mund auf, oder
ich muss dich zwingen.“ Ein Mädchen. „Gott, wie sehen deine Augen nur aus“,
murmelte die Stimme. Er zuckte zusammen als er etwas in seinem Gesicht spürte.
Es war warm. Weich und feucht. Wahrscheinlich ein Lappen.
„Blut
in den Augen ist gefährlich. Außerdem brennt es sehr“, informierte sie ihn.
Oder sich selbst. Er wusste es nicht. „So“, sagte sie abschließend. „Und jetzt
mach den Mund auf.“
Er
gehorchte, ehe er die Augen geöffnet hatte. Heiße Flüssigkeit rann seine
Mundwinkel hinab. Er spuckte überrascht. Seine Augen flogen auf. Sie war
angewidert zurückgewichen.
„Was
ist? Nicht fein genug, für deinen Geschmack, Malfoy? Ich habe besseres zu tun,
als dich am Leben zu halten, aber sonst bist du uns nicht mehr nützlich.“ Ihre
Haare waren lang und dunkel. Unordentlich waren sie zusammen gebunden. Die dunklen
Augen blickten kühl auf ihn herab.
Granger.
Widerwillig setzte sie sich wieder. Feine Kratzer und Narben zeichneten ihr
Gesicht. Manche waren noch so frisch, dass sie noch nicht verheilt waren.
„Hast
du keinen Hunger? Dann machst du es mir sehr einfach.“ Schon allein bei dem
Wort rebellierte sein Magen. Er konnte seine Knochen gegen seine Haut spüren.
Sein Mund öffnete sich in ehrlos unterwürfiger Ergebung. Aber zum ersten Mal
war es egal.
Misstrauisch
führte sie den Löffel erneut an seinen Mund. Gierig schluckte er. Diesen
Löffeln, den nächsten und den nächsten der widerlichen Brühe, die sie ihm
vorsetzte.
„Harry
will nicht, dass wir deine Verletzungen versorgen“, sagte sie schließlich mit
grimmigem Blick. Immer noch schluckte er die Brühe. Schließlich war die Schale
leer und sie erhob sich wieder. Sein Hunger hatte sich ins Unermessliche
gesteigert.
Sein
Körper war schwach. Und der Zauber, der ihn an diesen Stuhl band war stark.
Stärker als er. Wo war wohl sein Zauberstab? Ob sie ihn zerstört hatten?
Wahrscheinlich. Aus welchem Grund sollten sie ihn aufbewahren.
Wollten
sie ihn töten, wenn ihr Plan nicht aufging?
„Na,
Malfoy?“ Sie sah ihn abwartend an. „Ich kenne dein Gesicht sehr gut. Was denkst
du? Überlegst du, hier rauszukommen? Versuchst du einen Weg zu finden, die
Fesseln und diesen Raum hinter dir zu lassen und mit deinem Vater Kontakt
aufzunehmen?“ Sie wartete, aber er gab ihr nicht Genugtuung zu antworten.
„Da
wirst du wohl länger warten. Harry unterschätzt dich nicht. Es wäre am besten
für uns alle, wenn du kooperierst und uns sagst, wo Lucius sie versteckt.“
Träge nahm sein Verstand ihre Worte auf. Wer versteckte was? Was versteckte
sein Vater? Und woher wusste Potter davon?
Er
schüttelte widerwillig den Kopf, als würde er eine Fliege verscheuchen. Er
konnte sich nicht überwinden, etwas zu sagen. Er war zu erschöpft. Zu verletzt.
Potter war klug, ihn unbehandelt zu lassen. Die Wunden zerrten an seinen
Kräften, seinem Bewusstsein, seinem Verstand.
Er
wollte Granger am liebsten töten, zerreißen, in tausend Schlammblutstücke
fluchen, aber allein die Gedanken zu denken brachten ihn nahe an den Rand der
seligen Bewusstlosigkeit zurück. Das Schlimme war, dass die Wunden schmerzten.
So sehr. Sie würde ihn letztendlich wahrscheinlich sogar umbringen.
Und
er konnte sich bei diesem Potter wirklich vorstellen, dass sein Tod Potter
keine schlaflosen Nächte bereiten würde. Hoffentlich würde sein Vater dies
anders sehen. Denn wenn es etwas gab, dass Potter und seine Bande wusste und er
– Draco – nicht,… dann sah es auf beiden Seiten nicht besonders gut für ihn
aus.
Aber
ihm war klar, er war nur solange nützlich solange er auch brauchbare
Informationen ausspucken konnte.
„Ich
denke, du hast noch eine Schonfrist. Vielleicht sollte ich sie anders nennen.
Mit schonen hat sie wenig zu tun. Aber du wirst immerhin noch leben.“ Granger
erschrak ihn. Anscheinend hatten alle ihre Seele, ihre Menschlichkeit
eingebüßt.
Witzig.
Er besaß sie auch nicht mehr, aber das fiel ihm erst auf, wenn er sie dringend
brauchen würde. Jetzt zum Beispiel.
Sein
Gehirn arbeitete so gut es ging. Wenn es ihm gelang, das Sprechen zu vermeiden,
ohne weitere Qualen zu leiden, würde er leben. Aber wenn Lucius schon die
Vorkehrung getroffen hatte, ihm keine wichtigen Informationen zukommen zu
lassen, dann, nahm Draco an, war er auch… verzichtbar.
Fuck.
„Ich
gebe dir einen Rat, Malfoy…“ Den konnte sie sich in ihren verfluchten Hintern schieben.
Er atmete langsam aus. „Du befindest dich hier nicht in guter Gesellschaft.“
Sie klang bitter und zornig. „Harry und Ron werden dich foltern und sie werden
auf die magischen Gesetze keine Rücksicht nehmen. Wenn du denkst, nur weil…
weil es Harry ist… Du irrst dich. Verstehst du? Mach es kurz, dann… wirst du
weniger leiden.“
Miststück.
Offizier Granger Grausam gab ihm also den gutgemeinten Rat, schnell
auszupacken, dann würde er auch schnell sterben. Er bewegte sich auf seinem
Stuhl. Nein, sein Zauberstab war definitiv weg.
Aber
da war noch eine Kleinigkeit. Vielleicht hatte Potter diese übersehen. Aber er
hatte keine Ahnung, wie er das herausfinden konnte. Er war gefesselt. Und das
ziemlich gut. Noch eine weitere Sache machte ihm Sorgen.
Er
musste ziemlich dringend Pinkeln. Er war sich allerdings nicht sicher, ob
Granger ihn dafür zusammen schlagen würde. Zuzutrauen war es der neuen
Brutalo-Granger.
Neben
all dem Blut, dem Schweiß und seiner Spucke, wollte er nicht auch noch seinen
Urin auf seiner Kleidung haben. Wahrscheinlich war es lächerlich.
Wahrscheinlich war es egal. Aber er öffnete den Mund.
„Granger,
ich muss pinkeln.“ Er hatte keine Ahnung, wieso er diese Worte immer noch
würdevoll über die Lippen bringen konnte, aber er schaffte es tatsächlich. Aber
anscheinend ließ es sie völlig unbeeindruckt.
„Das
ist gut. Deine Nieren haben dann noch nicht versagt. In vier Stunden bekommst
du noch mal Essen. Viel Vergnügen, Malfoy.“ Er glaubte, sie lächeln zu sehen,
als sie das Zimmer verließ.
Fuck.
Fuck. Der Plan war also ihm seine Würde zu nehmen? Und dann was? Würde Potter
ihn dann zwingen mit einem seiner Sklaven Sex zu haben? Draco schloss die Augen
und beschloss an nichts zu denken. Nicht an den Hunger, nicht an seine Blase,
nicht an die Schmerzen.
Vielleicht
hatte sein Vater einen Plan. Aber darauf konnte er sich nicht verlassen. Wie
hatten sie ihn nur finden können? Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Vier Stunden
kamen ihm unendlich vor. Aber wahrscheinlich würden danach nur noch mehr
Schmerzen folgen, also vergingen sie besser langsam. Es war ein verfluchter
Albtraum.
Vielleicht
hätte er geweint, aber er konnte es sich nicht vorstellen. Er konnte sich beim
besten Willen nicht vorstellen, dass Potter ihn umbringen würde. Einfach so.
Egal, was Granger behauptete. Es ging um Potter. Außerdem verlor man schnell
die Angst vor dem Tod, wenn man sich selber so tief hinab begeben musste, und
Menschen umbringen musste.
Draco
schloss die Augen fest. Er wollte nicht daran denken. Wollte die Schreie nicht
mehr hören. Vielleicht war das die Strafe. Vielleicht bekam er, was sie alle
verdienten. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl. Sein Handgelenk kratze
unangenehm an der Lehne.
Seine
Gedanken unterbrachen sich. Potter hatte es nicht gefunden.
Oder
wahrscheinlich hatte er es gesehen, aber seine Bedeutung nicht erkannt. Jetzt
musste er nur noch einen Weg finden!
Er
musste seine Hände nur für einen Augenblick frei bekommen.
Die
Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Seinen Augen entspannten sich. Etwas
Kräfte sammeln würde nicht schaden. Bis dahin würde er warten können.
Vielleicht. Schon wieder befiel ihn die Erschöpfung. Machtlos sank er zusammen
und verlor das Bewusstsein.
„Wie
lange?“ Sie kannte die ungeduldige Falte zwischen seinen Augenbrauen mittlerweile
schon fast zu gut.
„Wie
lange, was?“ Auch Harry war gereizt und übermüdet. Die Aktion Malfoy hatte an
ihren gesamten Kräften gezerrt. Es war ein guter Plan gewesen, aber er war sehr
anstrengend in der Durchführung. Neville trug immer noch die Schmerzen eines
Fluchs mit sich davon. Hermine hatte noch keinen Zauber finden können, der
Nevilles Rücken heilen konnte.
„Wie
lange wollen wir warten?“
„Die
Taktik ist, dass wir seinen Willen brechen; seinen Stolz. Einfach alles, Ron.“
Harry fuhr sich durch die dunklen Haare.
„Aber
wir können nicht ewig warten. Warum foltern wir ihn nicht so lange, bis er
nicht mehr schweigen will?“ Hermine konnte nicht genau sagen, ob ihr diese
Methode besser gefiel.
„Er
ist jetzt schon schwer verletzt. Wie lange denkst du hält er die Folter aus?
Eine Stunde, ehe er uns auf dem Stuhl verstirbt? Dann wäre alles umsonst
gewesen.“ Rons Hand schlug auf den Tisch.
„Aber
Harry! Du willst seine Wunden sowieso nicht versorgen. Wir haben nicht vor, ihn
wieder gehen zu lassen. Der Plan war, dass Malfoy auspackt, wir bringen ihn um
und schlagen zu.“ Ungeduld flackerte in Rons Blick.
„Das
ist Mord, Ron.“ Sie wusste nicht, seit wann sie wieder ein Gewissen hatte. Sie
hatte Malfoy schließlich außer Gefecht gesetzt, hatte Todesser schwer verletzt
und bis zur Unkenntlichkeit entstellt, aber sie war sich trotzdem sicher, bis
jetzt noch keinen Menschen umgebracht zu haben.
Sie
erntete entgeisterte Blicke von Harry und Ron.
„Und?“,
fragte Ron verständnislos. Hermine verzog den Mund.
„Du
möchtest wirklich eine Leiche in unserem Quartier haben?“, fragte sie
angriffslustig.
„Wir
wechseln doch unser Versteck nächste Woche sowieso“, gab er grimmig zurück.
„Und
Malfoy lassen wir dann hier liegen?“ Auch sie spürte die Müdigkeit.
„Hermine,
dir fällt bestimmt ein netter, kleiner Zauber ein, der Malfoy zum Verschwinden
bringen kann. Oder du verwandelst ihn in eine tote Küchenschabe. Völlig egal.“
„Ron,
ist dir klar, worüber du sprichst?“
„Hermine,
wir haben ihn bereits gefangen genommen. Du kanntest den Plan.“
„Nein. Ich wusste nicht, dass wir jetzt dazu übergehen, gemeingefährliche
Killer zu werden. Harry, hast du auch vor, ihn zu töten?“ Harry verzog den
Mund.
„Wieso
sollten wir ihn leben lassen?“ Hermine seufzte schwer.
„Ich
werde ihn bestimmt nicht töten oder danach verwandeln. Ich werde diesen Plan
bestimmt nicht unterstützen.“
„Soweit
sind wir auch noch gar nicht. Erst mal muss er reden. Ich habe es satt, immer
warten zu müssen.“
„Harry…“
Sie rieb sich die Schläfe. „Was ist, wenn… was ist, wenn Lucius ihm gar nichts
davon erzählt hat?“
„Du
denkst, der Sohn von Voldemorts rechter Hand weiß nicht Bescheid? Ich glaube,
Malfoy gibt sich viel zu große Mühe, ein braver Todesser zu sein, als dass er
auf so eine Information verzichten würde. Ich bitte dich, Hermine.“ Sie
verdrehte die Augen.
„Schön,
dann eben rein hypothetisch.“
„Rein
hypothetisch?“ Ron sah sie jetzt an. „Nun, wenn er – rein hypothetisch – nichts
weiß, dann stört es auch keinen großen Geist, wenn wir ihn einfach umbringen,
denn dann ist er vollkommen wertlos und der Plan bedeutet einen scheiß Dreck.“
Er atmete langsam aus.
Sie
sagte daraufhin nichts. Eigentlich war es ihr egal. Eigentlich verdiente es
Malfoy, endlich zu sterben. Aber sie wollte nicht diejenige sein, die daran
beteiligt waren. Geiselnahme war schon schlimm genug.
Ron
betrachtete sie mit einem lauernden Blick. Sie wusste, er legte es auf Streit
an. Er ließ gerne Aggression im Streit ab, aber diesen Gefallen würde sie ihm
nicht tun.
Sie
dachte ab und zu an die Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten. Ron war
wirklich… beeindruckend gut gewesen. Aber es war nur ein schwacher Moment. Es
würde wohl nicht noch einmal passieren, denn Ron war so anders geworden.
Viel
zu bereitwillig, Gewalt anzuwenden und Menschen zu verletzen. Er war viel zu
zornig, sehr unausgeglichen. Und dass er gut aussah, dass mochte vielleicht
anderen Mädchen gefallen, aber das reichte ihr wirklich nicht aus als Grund,
über seine emotionalen Störungen hinweg zu sehen.
Sie
hatte versucht, mit Harry darüber zu reden, aber Harry kam es gerade recht,
dass Ron zu einem Kampfbiest geworden war. Niemand kämpfte so gnadenlos und
wandte die Unverzeihlichen so erfolgreich an wie Ron.
Harry
hielt sich zurück. Hermine schaffte es manchmal ebenso wenig. Sie hatte auch
Wut im Bauch. So viel Wut. So viele Tode, die sie rächen sollte. So viele
Menschen, die durch die Hände der verfluchten Todesser gestorben waren.
Ginny war tot. Fred und George. Mr Weasley. Luna war
tot. Ernie
war tot.
Sie
konnte hundert Namen aufzählen. Es wäre kein Verlust, Malfoy loszuwerden. Aber
sie wusste, sie würde ihn nicht töten können. Seit Ginnys Tod war Harry anders.
Er strahlte eine brutale Furchtlosigkeit aus, die von Ron ebenfalls Besitz
ergriffen hatte. Bei Harry gab es nur einen Unterschied: Es war ihm völlig
gleichgültig. Wenn er loszog, weil sie wieder eine Vermutung hatten, wo die
Todesser waren, dann zog er los, ohne die Absicht wieder zu kommen.
Es
ging ihm nicht mehr um den Sieg, oder die Führung der anderen, nein. Es ging
ihm nur noch um den Kampf und den darin resultierenden Tod.
Ron
wollte nicht sterben. Nein, er wollte blutige Rache. Hermine verstand es.
Hermine wollte Vergeltung, genauso dringend wie Ron. Allerdings sah sie diese
eher in Form von lebenslanger Strafe in Askaban. Nicht im Massaker.
„Willst
du ihm Essen bringen oder soll Ron das übernehmen?“, unterbrach Harry ihre
trüben Gedanken.
„Warum
sollen wir ihm überhaupt was geben? Wieso nicht nur einmal am Tag? Wir bekommen
auch nicht mehr.“ Das war korrekt. Hermine gab Ron recht, aber Malfoy brauchte
es dringender, denn immerhin saß er auf einem magischen Stuhl, der ihm seine
Energie raubte und er war immer noch verwundet. Wahrscheinlich entzündeten sich
einige der Wunden bereits.
Nicht
zu vergessen, dass er wahrscheinlich in seinen eigenen Körperflüssigkeiten
ersticken würde.
„Harry,
Malfoy sollte sich wenigstens waschen dürfen.“ Ron war aufgesprungen. Hermine
hob die Hände. „Hey, ich will auch nicht, dass er flieht, oder sonst was, aber
wenn er an einer Infektion stirbt, dann hilft er uns nicht. Außerdem leidet er
auf dem Stuhl schon genug.“ Ron fixierte sie böse.
„Er
wird schon nicht sterben“, knurrte Ron ihr zu.
„Wenn
du ihn aufs Klo begleiten willst, bitte.“ Harry lächelte freudlos.
„Sie
nicht albern. Harry, komm schon. Es ist unmenschlich.“ Er hob den Blick. Die
grünen Augen stumpf und müde.
„Unmenschlich?“
Er schien über das Wort nachzudenken. „Ja, vielleicht. Aber was schert mich das?“,
fragte er sachlich. Sie schloss die Augen. „Gut“, fügte Harry hinzu. „Ich werde
sicher gehen, dass er sich… säubern kann.“
„Wir
könnten ihn mit kochendem Wasser abspritzen“, schlug Ron vor.
„Ron!“
„Was?
Was ist Hermine? Hast du Mitleid? Sag mir bitte nicht, dass du Mitleid hast!“
„Nein,
habe ich nicht! Aber ich habe immer noch menschliche Züge in mir, Ron!“, schrie
sie jetzt.
„Ist das so? Und ich etwa nicht? Wirfst du mir das vor? Dass ich nicht ruhig und
rational an die Sache rangehe? Soll ich ihm verfluchten Tee kochen, Hermine?
Soll ich seine Wunden versorgen, ihm meine Klamotten schenken? Soll ich ihm
eine Geschichte vorlesen, damit er auf seinem Stuhl besser einschlafen kann?“
Er stand nun direkt vor ihr. Ihre Fäuste zitterten.
„Das
ist hier kein Märchen, verdammt noch mal. Vielleicht fehlt dir das Verständnis,
weil du niemanden verloren hast, der für dich wichtig ist!“ Sie schlug ihm so
hart ins Gesicht, dass er nach hinten taumelte. Die Tränen standen bereits in
ihren Augen.
„Halt deine Klappe, Ron!“, schrie sie jetzt. „Du bist ein verdammter Mistkerl!“
Ron atmete aus. Harry hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
„Seid
ihr jetzt fertig? Hört auf mit dem Beschuldigen. So können wir hier nicht weiter
machen. Ron, dein Schmerz ist nicht größer als Hermines“, sagte Harry knapp.
Ron hob die Hand zu seinem Gesicht und strich über die roten Striemen, die
Hermine ihm verpasst hatte.
Sein
Blick war kühl als er sie traf. Sie schüttelte nur wütend den Kopf. „Ich hab
keine Lust mehr, mit dir zu sprechen. Kümmer du dich um unseren Gast. Mach was
du willst, Arschloch.“ Er schluckte jeden bissigen Kommentar hinunter. Sie sah
es ihm an. Ron rastete für gewöhnlich sehr schnell aus, wenn man ihn
beleidigte. Aber bisher hatte er sie auch nie fertig gemacht.
Sie
würde sich nicht um Malfoy kümmern. Bestimmt nicht.
„Ron,
ich werde mich kümmern. Morgen können wir wohl mit dem Verhör anfangen. Ich
möchte, dass du dich jetzt darum kümmerst, dass wir Essen zwischen die Zähne
bekommen. Nimm Cormac ruhig mit.“ Hermine hatte ihnen bereits den Rücken
zugewandt, aber Ron widersprach Harry nicht.
Bisher
hatte noch niemand gewagt, Harry anzuzweifeln oder sich gegen ihn zu stellen.
Aber Hermine war sich sicher, es war nur eine Frage der Zeit, bis Ron auch vor
Harry explodierte. Jetzt gerade mochte sie ihn kein bisschen mehr.
~*~
Seine
Träume waren sehr unruhig gewesen. Er konnte sie nicht mehr greifen. Schon war
er wieder aufgewacht. Sein Kopf ruckte nach oben und er hob rasch den Blick.
Er
spürte seine Spucke in seinem Mundwinkel. Sein Mund hatte beim Schlafen wohl
offen gestanden. Er konnte nichts dagegen tun. Also setzte er ein grimmiges
Gesicht auf. Die Wunden erlaubten ihm nicht wirklich grimmig zu sein, aber er konnte
nichts weiter tun.
Potter
betrachtete ihn mit einer Mischung aus Ekel und Gleichgültigkeit, die ihn
zornig die Hände zucken ließen.
„Bevor
es für dich noch einmal Brühe gibt, wirst du dich sauber machen.“ Fast hätte
Draco die Augen aufgerissen. Das würde bedeuten, seine Hände wären frei.
Ausgezeichnet. Potter schien eine Regung in seinem Gesicht bemerkt zu haben.
„Freu
dich nicht zu früh, Malfoy. Es wird nicht angenehm werden.“ Zwar war an dieser
Aussage noch nichts allzu viel Beunruhigendes dran, aber der neue Potter hatte
eine neue Art, die Draco noch nicht einzuordnen wagte. „Und ich werde mir nicht
jedes Mal die Mühe machen, dir zu helfen.“ Kurz unterbrach er sich. Seine Stirn
legte sich in nachdenkliche Falten.
„Nein,
eigentlich… wird es wohl auch nicht so häufig nötig sein.“
Potter
würde ihn umbringen.
Dieser
Gedanke durchfuhr ihn so schnell, dass er für einen Moment keine Luft mehr in
den Lungen hatte. Er hustete so heftig, dass ihm Tränen in die Augen schossen.
Nein, Potter würde es nicht tun. Niemals. Es war einfach unmöglich. Völlig
unmöglich.
Der
Husten machte es ihm fast unmöglich, seine Blase unter Kontrolle zu halten.
Nein. Es war unmöglich. Er spürte die nasse Hitze in seiner Hose. Er wand sich
auf dem Stuhl.
„Scheiße,
Potter. Ich piss mir in die Hose. Tu endlich was.“ Seine Stimme war heiser und
gebrochen. Potter zückte immer noch angewidert den Zauberstab. Die unsichtbaren
Fesseln an seinen Beinen lösten sich. Draco spürte es sofort. Nur noch die
Hände!
Und
er war frei!
Er
sprang auf.
„Langsam“,
sagte Potter nur. Aber Draco lag schon keuchend auf dem Boden. Seine Beine
gehorchten ihm nicht. Gar nichts gehorchte. „Steh auf. Und keine Scheiße,
Malfoy. Denk nicht, du wärst unersetzbar für mich“, fügte er gelangweilt hinzu.
Aber so sehr Draco es versuchte, er konnte nicht aufstehen.
„Potter“,
sagte er nur. Er gab auf. Er konnte kaum die Augen offen halten. Er kam sich
wie ein verdammter Schwächling vor. Und er hätte heulen können. Grob spürte er
eine Hand, die seinen Oberarm umfasste. Potter fluchte unterdrückt und zerrte
ihn nach oben. Draco konnte nichts anderes tun, als seinen Arm um Potters
Schultern zu legen und sich von ihm halten zu lassen. Den Zauberstab drückte
ihm Potter direkt an die Schläfe, dass es schmerzte.
„Wir
gehen nicht weit.“ Anscheinend war es doch schon ein ordentliches Gewicht für
Potter. „Ruhig stehen bleiben“, knurrte er und löste den Zauberstab von seiner
Stirn. „Implumis“, sagte er und Draco
spürte wie seine Kleider sich in Luft aufzulösen schienen. Er keuchte wieder
auf. Jetzt lehnte er nackt an Potter.
Er
konnte nicht denken. Kein Gedanke drang durch. Er fühlte weder Scham, noch
Zorn. Er fühlte sich nicht gut, nicht schlecht. Er dachte nichts. Nichts
homosexuelles, nichts – einfach nichts.
„Aguamento calida.“ Das Wasser traf ihn
hart. Er klammerte sich fast an Potter, aber er war sich nicht einmal mehr
bewusst, dass es Potter war, den er neben sich spürte. Das Wasser war warm. So
wunderbar warm. Es wusch den Schmutz aus seinen Wunden, die Spucke und das Blut
aus seinem Gesicht. Er konnte nicht mal verhindern, den Urin laufen zu lassen.
Seine
Augen schlossen sich und das Wasser rann ihm wohlig über die Haut.
Er
konnte nicht sagen, wie lange er nun tatsächlich unter dem heißen Wasserregen
gestanden hatte, in Potters Armen. Irgendwann, nach einer endlosen Ewigkeit,
verebbte das Wasser. Zurück blieb Kälte auf seiner Haut. Er fing an zu zittern
und krallte sich in Potters Umhang. Potter war selber völlig durchweicht, aber
es schien ihm nichts aus zu machen.
„Seresco“, murmelte Potter jetzt und
Draco spürte, wie er trocknete. Die Kälte blieb allerdings. Draco öffnete
langsam die Augen. Potter hatte den Zauberstab wieder an seine Stirn gehoben.
„Verlieb dich nicht, Malfoy.“ Potters Mundwinkel zuckten freudlos. Draco
begriff zuerst nicht. Dann zog er den Arm zurück, aber er konnte tatsächlich
nicht alleine stehen.
Er
gab sich geschlagen. Ehe er fallen konnte griff er wieder nach Potters
Schulter. Mit einem Schlenker von Potters Zauberstab erschien saubere Kleidung
auf dem verhassten Stuhl. „Anhexen muss ich sie dir hoffentlich nicht, Malfoy“,
sagte er jetzt. Potter ging mit ihm die paar Schritte zum Stuhl und stützte
ihn, während Malfoy die Hose anzog. Sie war zu lang und er hatte keine Shorts dazu
bekommen.
Für
gewöhnlich war das für ihn nicht zulässig, aber er hatte nicht mal die Kraft,
sich zu beschweren. Er zog den grauen Sweater über und Potter schob ihn zurück
auf den Stuhl.
Ehe
Draco noch einmal über den Plan nachdenken konnte, mit dem er eigentlich seine
Flucht schon sicher gesehen hatte, schlossen sich die magischen Fesseln um
seine Handgelenke und Füße.
Er
war wieder gefangen.
Die
Tür öffnete sich fast augenblicklich. Diesmal bekam er von einem anderen
Mädchen Essen gebracht. Er konnte ihr Gesicht nicht zuordnen. Potter machte
auch keine Anstalten das Mädchen vorzustellen. Sie hielt den Blick gesenkt, als
wäre es pure Sünde, ihn anzusehen. Draco war es gleich. Sein Magen rebellierte.
Er gierte schon beinahe nach dem widerlichen Zeug.
Kurz
fragte er sich, ob Weasley und Granger noch kommen würden, aber diese Gedanken
wurden vom Hunger verdrängt. Potter verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.
Das Mädchen fütterte ihn stumm und er schlürfte gierig die Brühe.
Kaum
war sein karges, demütigendes Mahl beendet, hatte sich das Mädchen wieder
aufgerichtet und verschwand. Auch sie ließ ihn zurück in der tristen,
unerträglichen Einsamkeit.
Das
nächste Mal würde er nicht schwach werden. Wenn er das nächste Mal die Hände
frei hatte – dann würde er nicht noch mal auf diesem verdammten Stuhl sitzen
müssen. Unter diesen Gedanken legte er den Kopf in den Nacken und versuchte
seinen Geist zu klären und sich nicht von der Einsamkeit und seiner unbequemen
Situation den Verstand rauben zu lassen.
Es
verging nicht viel Zeit, dann war er wieder eingeschlafen.
„Bist
du sicher, dass du mitkommen willst?“ Cormac warf ihr einen prüfenden Blick zu.
Harry hatte sich bereits ausgerüstet. Sie zog die gestohlene Schutzschildjacke über.
Das Ministerium würde sich bestimmt nicht beschweren.
„Cormac,
wie oft willst du mich eigentlich noch fragen?“ Sie hatte es langsam satt, dass
er sie bevormunden wollte.
„Fein.“
Er hob die Hände in die Luft. Sie waren vernarbt. Ein schiefes Lächeln zierte
seine hübschen Züge. Er sah nicht schlecht aus. Sie erinnerte sich manchmal,
dass sie mit ihm gegangen war. Wenn auch nur für zwei Wochen in ihrem Leben.
„Ich wollte dir nur die Chance lassen.“
Hermine
wusste, sie war das einzige Mädchen, das mit den Jungen ging. Aber bestimmt
nicht, weil sie etwas beweisen wollte. Es kam für sie nicht in Frage, mit
Lavender und Lisa hier zu bleiben. Sie hatte kein Interesse daran, das Essen
vorzubereiten. Das reichte ihr nicht.
„Ok.
Dann sage ich dir wie jedes Mal, ich komme mit. Bemüh dich nicht.“ Er lächelte
immer noch.
„Gut.
Nach dir, Granger.“ Mit einer knappen Geste, bedeutete er ihr, vor zu gehen.
Sie nahm diese Geste stumm entgegen und schritt an ihm vorbei. Er war
angenehmer als Ron. Jedenfalls im Moment.
Draußen
sah sie, wie Harry gerade mit einem Teil der Gruppe apparierte. So lief es
immer. Sie teilten sich in zwei Gruppen und tauchten an verschiedenen Orten an
der abgesprochenen Stelle auf.
Den
Tipp hatten sie von einer sicheren Quelle bekommen. Kingsley hielt sie auf dem
Laufenden und war der letzte Spion der Außenwelt, dem sie vertrauen konnten.
Anscheinend gab es ein Treffen der Todesser in einem Außenlager. Das
Ministerium behielt nicht alle ihre Informationen und Waffen im Ministerium
selbst, nach der letzten Todesserattacke dort.
Natürlich
war nicht mehr viel übrig, aber die Todesser hatten es mittlerweile auf weitaus
weniger abgesehen. Sie machten es sich zu einem großen Spaß, herauszufinden,
welche Zauberer und Hexen noch am Leben waren, mit denen sie noch eine Rechnung
zu begleichen hatten.
Diese
Akten befanden sich versteckt und gesichert an verschiedenen Orten, denn diese
Zauberer und Hexen waren evakuiert worden. Dazu gehörten auch Molly Weasley und
Kingsley Shacklebolt.
Haben
die Todesser herausgefunden, wen sie noch umbringen könnten, der ihnen mal
irgendwann im Weg gewesen ist, den brachten sie dann schließlich auch um. Kalte
Wut erfasste sie.
Voldemort
führte ein sicheres Leben. Seine kleinen Sklaven führten seine verrückten
Wünsche mit größtem Vergnügen aus, denn es gab kaum jemanden, der etwas dagegen
aussetzen konnte.
Die
Menschen hielten sich versteckt, widersprachen nicht, taten nichts, um das
Todesserregime zu stoppen. Wer sich nicht abhebt, wird auch nicht gejagt.
Und
ihre kleine Gruppe an Zauberern hatte sich darauf festgelegt, die Todesser
umzubringen. Harry zählte darauf, dass Voldemort persönlich auftauchen würde,
wenn sie erst genug Todesser umgebracht hätten.
Hermine
tötete nicht. Sie löschte Gedächtnis, sie entwaffnete, setzte Todesser außer
Gefecht und überließ den Männern die restliche Arbeit. Sie hatte kein
schlechtes Gewissen, dass sie zur Ermordung von Todessern Hilfe leistete. Nein.
Sie genoss es beinahe. Aber selber einen Unverzeihlichen anzuwenden, das lehnte
sie entschieden ab. Jedenfalls die meiste Zeit über.
„Los“,
rief Cormac und sie apparierten gleichzeitig in die frühe Morgensonne.
Sie
bewegte ihre Beine langsam durch die Luft, konzentrierte sich auf die Umgebung
und materialisierte schließlich auf der nassen Wiese. Die Beine hielt sie
Bewegung, damit sie nicht fallen würde. Apparieren war eine Kunst, mit der Ron
immer noch zu kämpfen hatte. Rennend war er zum Stehen gekommen.
Er
bedeutete aus der Ferne, dass sich ihre Gruppe von hinten nähern sollte. Cormac
reckte den Daumen in die Höhe. Harry verschwand unter dem Tarnumhang. Das war
wichtig, denn Voldemort hatte seine Fixierung auf Harry nicht abgelegt. Der Tod
von Harry Potter hatte erste Priorität. Immer noch.
Sie
gingen in Deckung und schon erschienen die ersten vermummten Gestalten aus dem
Nichts. Die Zauberstäbe hatten sie erhoben. Voldemort wurde vorsichtiger. Er
schickte nicht mehr die ganze Truppe los. Sie mussten sich also mit weniger
Todessern zufrieden geben. Aber dafür wurden immer weniger von ihnen verletzt.
Harry
gab das Zeichen. Helle Funken tanzten in der Luft. Sie griffen an.
Die
Todesser waren vorbereitet. Mittlerweile wussten sie, dass es immer noch Spione
gab, die ihrer Gruppe Informationen zukommen ließen. Sie schleuderten Flüche in
alle Richtungen, formierten sich neu und einige drangen bereits in das Versteck
ein, um noch ein paar Namen finden zu können.
Sie
sah wie Ron eine vermummte Gestalt zu Boden brachte, sah wie er den Zauberstab
hob und den Unverzeihlichen ohne Worte und ohne zögern durchführte. Die
Lichtung flammte grün auf.
Einige
Todesser wichen schreiend zurück, versuchten, eine klare Schussbahn auf Ron zu
bekommen, aber sie hatten keine guten Chancen. Einige Flüche trafen. Sie hörte
Harry in ihrer Nähe fluchen, als ein Stupor ihn von den Füßen riss. Aber er
blieb unsichtbar. Cormac konnte den linken Arm nicht mehr heben, schickte aber
dennoch zwei Todesser zu Boden.
Hermine
sah ihn aus den Augenwinkeln. Er war groß und schlank. Der weiße Todesserumhang
wehte ihm um die Beine. Schnell näherte er sich, reckte den Zauberstab von sich
und schickte einen stummen Fluch in ihre Richtung.
Sie
blockte ihn ebenso stumm ab, wandte sich um und ging in die Knie, bereit sich
zur Seite zu rollen, sollte es nötig werden.
Mit
einem Schrei knallte der nächste Fluch durch die Luft. Unverzeihliche Flüche
hinterließen einen Schleier. Sie erkannte den Cruciatus. Den konnte sie nicht
abwehren, bei einer solchen Kraft. Sie warf sich zur Seite, sprang wieder auf
die Füße und entwaffnete den Todesser vor sich.
Allerdings
durchschaute er den Plan, sprang nach oben und fing seinen Zauberstab im Flug.
Kurz war sie verblüfft. Er hob den Zauberstab erneut, während er auf sie zu
kam. Kurz konnte sie die Augen hinter der Maske sehen.
Grau.
Eiskalt und böse. Sie wusste nicht, ob sie sich irrte, aber sie war sich
absolut zu hundert Prozent sicher, Lucius Malfoy vor sich zu haben. Ehe er
angreifen konnte mit dem letzten Fluch, riss sie ihren Zauberstab in die Höhe,
beschrieb in der Luft einen perfekten Halbkreis und brüllte „Aestus“, so laut sie konnte.
Eine
unvorstellbare Wasserflut brach aus der Spitze ihres Zauberstabs hervor und sie
musste ihn mit beiden Händen halten, um die Flut zu kontrollieren. Lucius
Malfoy wurde verdrängt.
Ron
kam auf sie zu gerannt, bereit den nächsten Todesser zu töten. Aber Lucius
Malfoy schien clever genug zu sein. Sie sah wie ein weiterer Todesser aus dem
Versteck des Ministeriums rannte. Nein!
„Er
hat sie!“, schrie sie keuchend. Das Wasser aus ihrem Zauberstab flaute langsam
ab. Lucius Malfoy rannte los. Sie konnte bereits ahnen, weshalb. Noch während
er rannte begann er sich aufzulösen.
Sie
apparierten. Ron brachte noch einen weiteren zur Strecke. Diesmal tötete
Neville. Präzise und ohne Worte. Die anderen aus der Gruppe duellierten sich
mit dem verbliebenen Rest, doch die Todesser beschworen Schutzschilde und
folgten Lucius.
Noch
einen weiteren erledigte Peter Phearson, ein ehemaliger Schüler aus Hufflepuff,
dann waren die letzten verschwunden. Es wurde wieder still. Cormac, der den
Bunker hatte bewachen sollen, war überwältigt worden. Er kniete am Boden und
hielt sich den Arm.
Es
war ein giftiger Fluch. Tödlich, wenn er nicht sofort behandelt wurde. Hermine
würde sich sofort darum kümmern. Harry riss sich den Tarnumhang vom Kopf.
„So
ein verfluchter Mist! Sie haben nicht nur den Schutz umgangen, sie haben auch
Akten mitgenommen. Scheiße.“ Keiner erwiderte etwas. Das war keine gelungene
Aktion gewesen. Ron schien allerdings der Kampf etwas Befriedigung verschafft
zu haben.
„Lasst
uns gehen“, sagte er schließlich und Harry nickte nur.
„Wir
müssen uns mit dem Spion in Verbindung setzen, er muss die anderen warnen.“
Hermine behielt für sich, dass sie hinter einem Todesser Lucius Malfoy
vermutete. Denn wenn er genug Zeit hatte zu kämpfen und Aufgaben für Voldemort
erledigte, dann verbrachte er wohl kaum Zeit damit, nach seinem Sohn zu suchen.
„Ziemlich
coole Welle.“ Cormac war zu ihr gekommen, während einer nach dem anderen zurück
apparierte. „Können wir Seit-an-Seit machen? Ich glaub, ich schaff’s nicht
allein.“ Cormac war nicht stolz genug, um seine Schmerzen zu verheimlichen.
Hermine schätzte das.
„Sicher“,
sagte sie nur, hakte sich unter seinen gesunden Arm und sie verschwanden
schließlich auch.
~*~
Nachdem
sie zurückgekehrt waren, hatte sie sich sofort um die nötigen Verletzungen
gekümmert. Noch ein paar andere aus ihrer Gruppe waren so gut, dass sie
Verletzungen heilen konnten. Allerdings hatten sie auch nur beschränkte Mittel
zur Verfügung.
„Besser?“,
erkundigte sie sich bei Cormac, der die Tortur völlig still über sich hatte
ergehen lassen. Hermine hatte seinen Arm öffnen müssen, hatte den Blutfluss
angehalten und dann das Gift direkt entfernt. Jetzt hatte sie gerade den Arm
magisch verschlossen. Sie wusste nicht, ob eine Narbe bleiben würde. Sie konnte
noch nicht Millimeter genau verschließen.
„Alles
bestens“, erwiderte Cormac schließlich. Er verzog den Mund und strich über
seinen verheilten Arm. Benommen schüttelte er den Kopf. Der Trübungszauber, den
Hermine ihm vorher verpasst hatte, klang nun ab. Der war dafür gut, dass er
nichts von den Schmerzen mitbekam, während sie seinen Arm öffnete.
Im
letzten Jahr hatte sie allerhand Wunden behandeln müssen. Sie hatte nur das
große Buch der Heilung von Barnaby Delafort. Das war ihre einzige Quelle.
Bisher hatte sie damit hervorragend arbeiten können. Zwar hielt sie es für
zweifelhaft, nicht in einem Hospital ausgebildet zu werden, aber sie
verrichtete solche Sachen auch ohne Gewähr.
Cormac
hatte seine Zustimmung gegeben. Aber es war ja alles gut verlaufen.
„Harry
ist ziemlich sauer. Aber ich meine, je mehr wir umbringen, umso weniger Leute
hat Voldemort, richtig?“ Er zog sich eine Jacke über das helle Shirt.
„Ich
denke, Voldemort hat genug Bewerber. Ob wir nun zwei, drei mehr umbringen oder
nicht.“ Das war ein bitterer Gedanke, den sie äußerte und den normalerweise
niemand in der Gruppe äußern durfte. Denn wenn sie schon von vornherein
wussten, dass es chancenlos war zu kämpfen, dann mussten sie es auch eigentlich
gar nicht erst versuchen.
„Ja,
vielleicht.“ Cormac lächelte jetzt. „Aber die sind jung und unerfahren. Wir
sind besser. Also bringen wir die alten Todesser um und haben mit dem
Frischfleisch leichtes Spiel.“ Sie mochte seine Art. Er war unerschütterlich
optimistisch geblieben. Aber das mochte auch daran liegen, dass sich seine Familie
in Sicherheit gebracht hatte, ehe Voldemort alle hatte umbringen können.
Und
er war nur geblieben, weil er Harry gerne unterstützen wollte. Das war nobel.
Wahrscheinlich konnte man Cormac mit keinem anderen Wort besser beschreiben.
„Jaah,
vielleicht“, gab sich Hermine geschlagen.
„Musst
du… musst du dich jetzt um unseren Gast kümmern?“, fragte er und betrachtete
ihr Gesicht eingehend.
„Sprichst
du von Malfoy?“
„Ja.
Lässt Harry dich nicht diese ganze Gefangenen-Sache regeln?“ Er klang fast
amüsiert über diesen Zustand. Aber er hatte von Anfang an gesagt, dass es
völliger Zeitverschwendung sei, Malfoy zu entführen und als Geisel zu halten.
Mittlerweile gab Hermine ihm recht. Aber immerhin war er dennoch mit dabei
gewesen und war sogar derjenige gewesen, der ihn letztendlich außer Gefecht
gesetzt hatte.
„Nein,
ich muss nicht zu Malfoy. Wieso fragst du?“ Sie runzelte kurz die Stirn.
„Kein
Grund. Dann… hast du also noch etwas Zeit.“ Es war keine Frage. Cormac lehnte
sich langsam vor und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Mund wurde
trocken. Harry hatte endlose Ansprachen über die Dynamik der Gruppe gehalten
und dass Streit nicht helfen würde. Romantische Beziehungen sollten wenn
möglich vermieden werden, weil alle zusammen halten müssten. Er hatte gesagt,
wenn sie nicht hundertprozentig wüssten, dass sie denjenigen heiraten werden,
dann sollten man die spontanen Gefühle kontrollieren, die Zuneigung einfach
einstellen und die Gruppe nicht gefährden.
Harry
hielt sich an die Regeln. Ron tat dies nicht. Er hatte zwei Mädchen, die
hoffnungslos in ihn verliebt waren, weil er es immer wieder darauf anlegte.
Hermine hatte nur die eine Nacht mit Ron als ihren Fehler zu verbuchen und ihre
Gedanken rasten jetzt.
Ehe
sie sich Harrys Worte noch einmal in den Geist rufen und vergessen konnte, dass
sie zwar jung war und Bedürfnisse hatte, diese aber einfach mit Reife
kontrollieren musste, berührten Cormacs Lippen ihre.
Und
das war’s dann. Harry hin, Harry her. Gruppendynamik... Jetzt gerade war ihr
die Dynamik egal.
Seine
Lippen waren weich und wanderten ihren Kiefer hinab. Sie hielt die Luft an,
schloss ergeben die Augen. Seine Hand schlang sich um ihren Nacken, er küsste
wieder ihre Lippen und seine Zunge glitt mühelos in ihren Mund.
Sie
erwiderte den Kuss. Sie umfasste sein Gesicht zögerlich mit den Händen. Es war
nur eine Flucht. Eine Flucht aus einem grauen Alltag. Einem Alltag voller Kampf
und Hoffnungslosigkeit.
Cormac
stöhnte leise, vertiefte den Kuss und konnte nicht mehr an sich halten. Sein
Arm schlang sich um ihre Hüfte. Er riss sie mit sich nach oben, zog sie an sich
und nun fühlte sie sich gegen seine starke Brust gepresst.
Sie
genoss seine Wärme, dass er größer war als sie, dass er sie küsste, als hätten sie
überhaupt nichts zu verlieren. Als die Tür sich öffnete, raste ihr Puls. Sie
wichen beide zurück.
Lavender
bedachte sie mit einem sauren Blick. „Harry will dich sehen, Hermine.“ Zu
Lavenders Qualitäten gehörte, eine Sache völlig unbeteiligt zu bewerten, aber
auch, diese Sache allen anderen unbeteiligt weiter zu erzählen.
„OK.
Bis… später“, sagte sie atemlos zu Cormac, der sich verlegen durch die
dunkelblonden Haare fuhr. Sie folgte Lavender wortlos. Lavender sagte nichts.
Das war auch gut so, denn Hermine hatte das Gefühl, ihre Wangen ständen in
Flammen. Lavender bog in Richtung Küche ab und Hermine ging die letzten
Schritte zu Harrys Unterkunft. Er war der einzige, der ein eigenes Zimmer
hatte. Und Malfoy. Obwohl Malfoy eigentlich nur im Keller der alten Fabrik
untergebracht war, die sie im Moment ihr Versteck nannten.
Sie
klopfte und trat ein.
„Hermine,
bist du fertig mit verarzten?“ Sie zupfte sich die Haare zurecht.
„Ja.“
„Gut.
Könntest du dich heute um Malfoy kümmern? Ich weiß, es ist eine große Bitte,
aber ich erwarte gleich Besuch.“ Hermine wusste, wer dieser Besuch war, und sie
billigte es ganz und gar nicht.
„Du
hast ihm gesagt, wo unser Versteck ist? Wieso könnt ihr nicht einfach einen
anderen Ort auswählen? Es ist zu gefährlich. Was, wenn ihm jemand folgt? Was,
wenn er versucht Malfoy zu befreien?“ Sie hatte den Kuss nun schon fast wieder
vergessen.
„Hermine,
ich vertraue ihm.“
„Das
ist schön für dich, aber du musst auch an uns denken. Du kannst nicht immer nur
deine Ziele im Kopf haben. Du kannst nicht um jeden Preis unser aller Wohl aufs
Spiel setzen!“ Harry wandte sich um. Er sah müde aus.
„Hermine,
hör auf damit. Bisher hat er uns jedes Mal gut beraten, hat uns geholfen,
Lebensmittel gebracht und Informationen, die auch dein Leben gerettet haben.“
Ihr Ausdruck wurde finster.
„Ja.
Das ist völlig richtig. Aber bisher hatten wir auch nie seinen Patensohn in
unserer Gewalt. Ich bin mir nicht sicher, ob ihn das so glücklich stimmen
wird.“ Etwas flackerte in Harrys Blick.
„Er
würde uns niemals verraten“, beharrte er jetzt, etwas zu laut. „Malfoy ist am
Leben. Es geht ihm den Umständen entsprechend. Er muss sich keine Sorgen
machen.“
„Ach
ja? Dann sag ihm doch bitte, dass ihr nicht vorhabt, ihn am Leben zu lassen.
Tut mir leid, Harry, aber diese Entscheidung kann ich nicht unterstützen. Ich
werde veranlassen, dass wir zusammenpacken und dann werden wir verschwinden.“
„Hermine,
das liegt nicht in deiner Macht.“
„Nein,
ich habe nicht die Macht uns alle auszuliefern. Die hast nur du, richtig,
Harry?“ Sie starrten sich an. Sie sah, wie sich der Zorn hinter Harrys Augen
breit machte. Wie eine dunkle Wolke legte er sich über sein Gesicht. Gleich
würde er schreien. Aber er beherrschte sich.
„Er
wird uns nicht verraten“, knurrte er schließlich.
„Du
bist zu weit gegangen. Du hättest nicht mit ihm Kontakt aufnehmen dürfen“,
erwiderte sie kopfschüttelnd.
„Geh
und kümmere dich um Malfoy. Bitte, Hermine.“ Das Bitte klang genauso kalt und
fordernd wie ein Befehl. Harry zog die Schublade eines alten Spinds auf, griff
hinein und warf Hermine den flachen Gegenstand zu.
Sie
fing die Münze mit beiden Händen. „Ich vereinbare einen neutralen Treffpunkt.
Wenn etwas schief geht, lass ich es dich wissen. Kümmere dich um Malfoy und sag
allen schon mal Bescheid.“ Damit wandte er sich um. Sie wusste, er hasste es,
wenn seine Autorität untergraben wurde.
Aber
er wusste auch, dass sie keine bösen Zwischenfälle vertragen konnten.
„In
Ordnung, Harry“, sagte sie deshalb und ihre Laune sank noch ein weiteres Stück,
wo sie Malfoy nun aller Wahrscheinlichkeit nach sauber machen musste. Das war
eine ihrer Sorgen und natürlich die, ob sie Cormac noch einmal küssen würde.
Teil 4
Sie betrat den Raum. Und sie war
nicht unbedingt freundlich. Aber niemand war hier wirklich freundlich. Aber es
war ihm auch nicht weiter wichtig.
Er witterte seine Chance. Sie würde
ihm Essen bringen und ihn waschen. Kurz flackerte der Ekel und Widerwillen in
seinen Gedanken auf, da sie immerhin ein Schlammblut war. Aber seine physische
Gebundenheit ließ es nicht zu, dass er sich wirklich darüber Gedanken machte.
Es galt, hier endlich raus zu
kommen. Es galt, dass er den Plan verwirklichen konnte, den er sich seit Tagen
zurecht gelegt hatte.
Sie wirkte nervös. Er hatte seine
Kräfte gespart, versucht, wirklich zu schlafen, auf diesem Folterstuhl. Es war
schwer – und es sollte wohl auch so für ihn sein – seinen Geist zu sammeln und
nicht durchzudrehen.
Und er versagte kläglich. Der Zorn
auf seinen Vater hielt ihn noch davon ab, verrückt zu werden, denn er konnte
sich Lucius’ Gesicht vorstellen.
Er konnte sich gut vorstellen, wie
sein Vater verächtlich auf ihn herunter blicken würde, und einfach mehr
erwartet hätte, als dass sich ein Malfoy dem Wahnsinn so schnell hingab. Draco
wusste, es ging um Leben und Tod.
Sie betrachtete ihn, als erwarte
sie, dass er gleich einen Ausbruch haben würde.
Er stand auch kurz davor.
„Hast du Hunger?“ Es war kaum eine
Frage. Sie schnippte mit dem Zauberstab, und der Teller mit Brühe erschien. Sie
war abgelenkt. Das war gut.
Nach einem weiteren Schlenker
erschien ein Hocker und sie setzte sich.
Sie führte den Löffel an seinen Mund
und widerwillig schlürfte er die ekelhafte Soße. Er nahm an, dass sie
angereichert war, und dass sich das Essen von Potters Gruppe nicht besonders
von seinem unterschied.
Außerdem nahm er an, dass sich
Granger auch um die Zubereitung in erster Form gekümmert hatte, denn sie war
ziemlich klug.
Die Suppe war recht geschmacksneutral.
Wohl, damit man so viele Mineralien und überlebenswichtige Dinge rein packen
konnte, ohne dass man sich danach übergeben musste.
Draco hatte sich heute besonders
Mühe gegeben, besonders schmutzig zu sein. Auch wenn er sich alle Mühe gab,
nicht darüber nachzudenken.
Er hatte eigentlich geplant, Potter
zu bewältigen, aber mit Granger wäre es wohl einfacher. Sie war schließlich ein
Mädchen.
Sie wusste wohl auch, dass er
dringend eine Dusche brauchte.
„Aufstehen“, orderte sie, nachdem er
fertig war, schob ihren Hocker zurück und löste mit dem Zauber seine Fesseln.
Ehe er irgendetwas anderes tun
konnte, als aufzustehen, hob sie den Zauberstab erneut. „Imperio“, sagte sie mehr als widerwillig. Er spürte die Macht ihres
Geistes auf seinen eigenen einschlagen. Seine Hand griff zu seinem Handgelenk,
aber die plötzliche Kontrolle verbot es seiner Hand.
Schnell hatte sie ihn gepackt, den
Ärmel nach oben geschoben und betrachtete das Lederband. Es geschah wie durch
einen Schleier.
Er spürte ihren Willen, spürte ihre
Macht, aber sie befahl ihm nichts. Sie hielt ihn einfach zurück. Potter hatte
dies nicht getan. Scheiße. Er hatte nicht überlegte.
„Was ist das?“ Ihre Stimme klang
ruhig. Er hatte genug Willen, nicht zu antworten. Im Moment jedenfalls. „Malfoy,
antworte mir.“ Der Druck wurde stärker. Er hätte nicht gedacht, dass Granger –
„Malfoy!“ Jetzt dröhnte die Stimme
durch all seine Gedanken.
„Amotio Directo“, sagte seine Stimme
rau. Der Druck ihres Willens ließ nach. Sie löste das Band von seinem Arm und
er konnte nichts dagegen tun. Die Wut in seinem Körper wurde groß. Sie raubte
ihm seine Flucht! Sie raubte ihm seine Möglichkeit. Anscheinend wusste sie mit
seiner Auskunft etwas anzufangen. Sie schob sich das Armband in die Tasche. Er
fühlte sich leer.
Hätte er die Kugel am Lederband nur
schon eher zerstören können! Wäre er doch einfach stärker als das! Das Signal
hätte seinen Vater erreicht. Jeden Todesser im Land hätte es erreichen können!
„Zieh dich aus.“ Er hob den Blick.
Ihr Zauber ging nur so weit, dass er nicht in der Lage war, sich auf sie zu
stürzen. „Sieh mich nicht so an, Malfoy. Zieh dich einfach aus“, befahl sie
jetzt. Der Druck ihres Willens war nicht groß. Dennoch folgte er ihren Worten.
Langsam zog er sich aus. Stehen war anstrengend geworden. Er hatte bestimmt die
Hälfte seiner Muskelstruktur eingebüßt.
Und der Zauber war schwach genug,
dass er sich ihrer ganzen Präsenz bewusst war. Er hatte keine Probleme, sich
vor Mädchen auszuziehen, aber Granger war ein Schlammblut und ein Miststück.
Ihr schien es völlig gleichgültig zu
sein. Sie sah ihn nicht einmal an. Kaum war er nackt, brach ein Wasserstrahl
aus der Spitze ihres Zauberstabs und der Imperiuszauber verflog.
Fast wäre er gefallen. Er hielt sich
schlecht alleine. Auch jetzt konnte er sie nicht angreifen. Er war einfach
nicht in der Lage. Wasser traf ihn überall. Es war nicht mal warm. Als er das
Gefühl hatte, erfrieren oder aufweichen zu müssen, stoppte die Flut. Er
zitterte. Seine Zähne klapperten heftig. Auch sie trocknete ihn mit einem
Zauber. Sie trocknete auch seine Sachen.
„Jetzt komm her.“ Sie betrachtete
ihn eingehend, hielt ihn am Arm und ihre Augen wanderten über Dinge, die er
nicht sehen konnte. Sie hob den Zauberstab erneut. Stumm formte ihr Mund
Formeln. Einige Stellen in seinem Gesicht brannten. Er spürte, wie sich Haut
neu bildete, wie Wunden sich schlossen, wie Schmerzen versiegten. Sie heilte
ihn gerade. Auch die Wunden auf seiner Brust, an seinem Oberschenkel. Er
zitterte nicht mehr. Er fühlte sich warm und müde. Erst jetzt wurde ihm
bewusst, wie groß seine Schmerzen eigentlich gewesen waren. Er wollte sprechen,
wollte kämpfen, konnte aber nicht.
Sie sprach einen weiteren Spruch. Er
glaubte, bereits zu träumen, denn es erschien ein Bett mitten in dem
gekachelten, schwach beleuchteten Raum. Ein richtiges Bett! Mit Kissen, Decke,
Kopf- und Fußende. Aus Holz. Es war ein Traum.
„Hör zu, das ist eigentlich nicht
das, was Harry im Sinn hatte, Malfoy. Aber du wirst jetzt schlafen. Es ist kein
normales Bett. Und ich werde Harry das Armband nicht geben. Sie töten dich
wahrscheinlich so oder so“, fügte sie kalt hinzu. „Aber so hast du nicht direkt
einen Grund, weshalb sie dich morgen töten werden.“
Er verstand ihre Worte, aber sie
ergaben keinen direkten Sinn.
Da stand ein Bett.
Sie folgte seinem Blick. „Zieh dich
wieder an.“ Er schüttelte unwirsch den Kopf.
„Du willst nicht, dass ich dich
anziehen, Malfoy“, drohte sie. Er sah sie knapp an. Ihr Bild verschwamm vor
seinen Augen. Punkte tanzten bunt vor seinem Blick.
Sie fing ihn, ehe er fiel. Er war zu
schwer. Er spürte sie schwanken. Es war ihm egal, dass er nackt war. Er wollte
nur in dieses Bett, wollte liegen, wollte seine Muskeln entspannen, wollte
schlafen und wollte nicht mehr aufwachen. Nie, nie wieder.
„Malfoy!“ Sie schubste ihn auf das
Bett. Er spürte, wie er von ihr lediglich ein langes Hemd angehext bekam. Dann
stopfte sie die Decke um seinen Körper.
Sie sprach einen Zauber. Kurz befiel
ihn eine kalte Starre, dann löste sich dieses Gefühl auf. „Das Bett wird dich
festhalten, wenn du aufstehen willst. Also versuche es gar nicht. Ich werde
später noch einmal wieder kommen.“ Es klang eher wie eine Drohung. Er öffnete
den Mund, wollte irgendwas sagen, aber er war eingeschlafen, noch ehe er einen
weiteren Gedanken denken konnte.
~*~
„Und
wieso, Hermine? Was sollte das? Willst du ihm Hoffnungen machen?“
„Hoffnungen?
Er kann nicht mal alleine stehen, Harry! Er macht sich in seine verfluchte
Hose! Was willst du eigentlich noch? Denkst du, sein Vater kommt ihn holen?
Denkst du das wirklich?“
Er
öffnete die Augen. Wach war er nicht. Nein, er fühlte sich wie gerädert. Vor
der Tür schrieen sie. Er verstand. Es ging um ihn.
„Wir
werden ihn einfach töten.“ Das war Weasley. Ihn befiel ein kalter Schauer als
er an das rothaarige Tier dachte.
„Oh
Ron, wirklich? Dann tu das doch! Du bist derjenige, der das Gesetz damit völlig
zurücklässt.“
„Hast
du Mitleid? Ist es das wirklich? Du hattest kein Recht, ihn von dem Stuhl zu
holen.“
„Und
ihr habt kein Recht, ihn so zu quälen!“
„Was
zum Teufel ist los mit dir?“ Die Tür wurde geöffnet. Das Trio starrte ihn
zornig an. Als wäre er auch noch Schuld.
„Du
hast ihn geheilt.“ Potter stellte dies lediglich fest. Er versuchte
aufzustehen, aber das Bett hielt ihn zurück. „Wieso hast du das getan? Es
reicht schon, dass er eines der Betten bekommen hat.“
„Ron
schläft doch sowieso bei einem der Mädchen“, gab sie kühl zurück. Potter und
Weasley tauschten einen Blick. Dann wandte sich Potter wieder an ihn.
„Malfoy,
wo ist sie?“
Er
erinnerte sich dumpf, dass diese Frage bereits an seinem ersten Tag gestellt
worden war.
„Wo
ist was?“, fragte er jetzt. Er hatte Hunger, hatte Durst, hatte Schmerzen und
große Mangelerscheinungen. Er würde auch ohne Potters und Weasleys Hilfe
sterben. Welcher Tag war heute? Und wie viel Uhr war es wohl? Wie lange lag er
hier und suchte sein Vater wirklich nicht nach ihm?
„Verkauf
uns nicht für dämlich, du gottverdammtes Arschloch!“ Weasley hatte ihn gepackt,
aus dem Bett gezerrt und brach somit den Zauber. Er lag recht hilflos auf den
schmutzigen Fliesen.
„Wo
ist die Waffe?“
Waffe.
Hatte Potter Waffe gesagt? Von welcher Waffe sprach er? Er musste schnell
nachdenken, denn das entschied über sein Leben. Oder seinen Tod. Je nach dem.
Ihm
wurde schlecht. Sein Kopf sank auf den Boden zurück.
„Harry,
siehst du denn nicht? Er wird hier sterben.“ Er hörte Potter zornig schnauben.
Dann wurde er nach oben gerissen. Unsanft und heftig.
„Wir
müssen sowieso bald verschwinden. Dann lassen wir ihn hier“, beschloss er. „Es
sei denn, er…“ Seine Stimme verklang. Draco blickte in die grünen Augen. Waffe…
Er hatte keine Ahnung. Welche Waffe meinte Potter? Was sollte er sagen? Sollte
er lügen? Sollte er weinen? Sollte er irgendetwas tun? Was konnte er tun? Er
musste sich gegen Potter stützen. Dieser verzog den Mund.
„Malfoy,
komm schon.“ Er wurde wieder geschüttelt. „Sag uns, wo sie ist.“
„Ach,
das Arschloch weiß es sowieso nicht! Es war alles reine Zeitverschwendung!“
Weasley würde ihn gleich wahrscheinlich zu Brei schlagen. So sah er zumindest
aus.
Die
Tür ging auf. Den kannte er auch! Quidditch, überlegte er dumpf.
„Potter,
hier ist Besuch für dich.“ Anscheinend war das keine gute Neuigkeit.
„Ich
dachte, du hast das Treffen verschoben!“, rief Granger jetzt voller Wut.
„Nein,
habe ich nicht.“
„Er
ist also hier?“, schrie sie jetzt und Draco konnte nicht folgen.
„Hier.“
Er schob ihn an Weasley weiter, welcher ihn einfach fallen ließ. Draco schlug
wieder auf die Fliesen auf. Dann verließ Potter den Raum.
„Was
ist los?“
„Er
triff sich mit der Quelle.“ Draco spürte, wie ihn jemand umdrehte.
„Hermine,
lass das sein. Hör auf, ihn ständig zu bemuttern.“
„Ron,
halt deine Klappe und bereite den Aufbruch vor.“
„Harry
hat gesagt…“, begann Weasley, aber Granger war lauter.
„Harry
weiß nicht mehr, was er tut. Er trifft sich hier mit ihm, Ron. Hier! Denkst du wirklich, er kommt hierher, wenn er nicht
weiß, dass wir Malfoy haben? Was denkst du, wird gleich passieren? Wir müssen
hier weg! Jetzt! Hol die anderen und appariert schon mal in das Versteck.“
Anscheinend lief irgendein Plan nicht gut.
„Granger,
können wir reden?“ Das war der Junge. Draco war immer noch schlecht. Er blickte
sich um. Weasley war gegangen. Der Junge und Granger waren allein.
„Jetzt
ist es schlecht, Cormac.“ McLaggen! Richtig, so hieß dieser Typ. Kurz spürte
Draco den Triumph, dass er der den Namen nicht vergessen hatte, aber dann wurde
ihm wieder übel.
„Wann
passt es dir denn?“ Anscheinend gab es hier auch Streit.
„Siehst
du vielleicht, dass ich hier zu tun habe?“
„Warum
kümmerst du dich um ihn?“ Es klang so, als beurteile McLaggen ein ekliges
Experiment. Draco hätte gerne etwas Entsprechendes gesagt, aber er war nicht in
der Lage.
„Soll
ich ihn hier etwa liegen lassen, Cormac?“, gab sie gereizt zurück.
„Wieso
müssen wir verschwinden? Wieso passiert jetzt alles so schnell? Was ist das für
eine Panik?“ Er kniete sich neben sie. Draco hätte kotzen können. Keiner half
ihm auf. Wut keimte in ihm auf. Wie lange musste er noch so leben wie ein
geschundenes Tier?
„Hör
zu, das ist jetzt alles etwas zu viel. Geh zu den andern und apparier endlich.“
„Wann
kommst du?“ Sie stöhnte auf.
„Ich
weiß es noch nicht.“
„Du
willst ihn mitnehmen, oder?“ Sie sprachen über ihn, als wäre er gar nicht hier.
Er wollte schreien, wollte sich bemerkbar machen, aber seine Situation war
denkbar unwürdig. „Nur wegen Snape?“ Ein Ruck durchfuhr seinen Körper.
„Bist
du verrückt?“, knurrte Granger wütend und stand auf. „Halt deine Klappe und
verschwinde!“
„Snape?
Ist hier?“ Dracos Zunge klebte beinahe an seinem Gaumen so dehydriert war er.
„Snape?“ Er versuchte zu schreien, versuchte den Namen seines Paten so laut zu rufen,
wie er nur konnte. Aber er konnte nicht. Snape war hier! Warum? Was hatte
Snape… Seine Gedanken rasten. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Muss
er jetzt sterben?“ McLaggens Stimme klang kalt. Dracos Blick hob sich verwirrt.
„Du
bist ein Arschloch“, stellte Granger nur fest. Snape war hier!
„Ich
mache es nur leichter. Er ist ein Stein am Bein. Wir haben kaum genug Leute, um
uns zu verteidigen und jetzt kümmerst du dich noch um den Feind. Denkst du…“
Sie unterbrach ihn.
„Halt
deine Klappe. Ich hab dir gesagt, du sollst verschwinden. Also verschwinde
endlich, verflucht noch mal!“ Dann war es still. Dracos Blick senkte sich. Er
konnte den Hals nicht mehr gerade halten. McLaggen war fort.
„Malfoy,
weißt du, wo sie ist?“, hörte er ihre Stimme wieder nahe an seinem Ohr.
„Wieso…
wieso ist er hier?“, flüsterte er, denn er war zu heiser um zu schreien.
„Du
musst mir sagen, ob du weißt, wo sie ist. Jetzt sofort.“ Er hob wieder den
Blick. Schweiß rann ihm über die Stirn. Das Schlammblut sah ihn an. Mit einer
Eile, mit einer Dringlichkeit, die ihm klar machte, dass seine Antwort in der
nächsten Sekunde über alles entscheiden konnte. Ihre Augen waren dunkel. Braun
und stumpf. Er schluckte und musste husten. Sie saß neben ihm auf den
schmutzigen Fliesen, als mache es ihr überhaupt nichts aus.
„Ja“,
sagte er nur. „Ja, weiß ich.“ Das war zwar glatt gelogen, aber sie hatte wohl
nicht die Zeit und nicht die Mittel das zu durchschauen. Er würde sich später
ausdenken, was für eine Waffe wo versteckt war. Voldemort hatte viele Dinge.
Viele böse Dinge. Eins davon würde als Waffe herhalten können. Und sei es nur
die Armee der Inferi – von der er zufällig erfahren hatte, als sein Vater es
erwähnte.
Sie
zog ihn am Arm in eine sitzende Position. „Dann werden wir jetzt fliehen.“ Sie
klang so, als wüsste sie genau, dass sie dafür mächtig Ärger bekommen würde.
Und er wollte wirklich nicht gehen. Er wollte nicht noch länger bleiben. Er
schüttelte benommen den Kopf. Was dachte sie eigentlich, das er aushalten
würde? Und dann hörte er es.
Schreie.
Keine Schreie aus Wut oder Streit. Nein, er kannte die Art von Schreien. Es
waren Schreie der Angst. Granger blieb noch relativ ruhig.
„Wieso
ist er hier?“, murmelte er leise. Es dämmerte ihm, dass Snape wohl nicht wegen
ihm hergekommen war. Er war also doch ein Spion. Sein Vater hatte recht gehabt,
verflucht noch mal.
„Du
bleibst jetzt still sitzen.“ Als ob er etwas anderes hätte tun können. Die
Übelkeit raubte ihm den Atem. „Der Zauber hält nur ein paar Stunden. Er wird
dir nichts nützen. Solltest du versuchen zu fliehen, dann wirst du in ein paar
Stunden sterben, hast du verstanden?“ Nein, hatte er nicht. Welcher Zauber?
Wovon sprach… Sie hob den Zauberstab. Und sie schloss die Augen.
Stärkere
Fesseln schlossen sich wie beiläufig um seine Handgelenke und seine Knöchel,
während sie stumm eine Formel murmelte. Diese Formel schien ihr Kraft aus dem
Körper zu saugen. Sehr viel Kraft. Er sah, wie sie bleicher wurde, wie ihre
Hände anfingen zu zittern. Er spürte seinen Puls, spürte, wie er anfing zu
rasen, spürte, wie die Fesseln nicht mehr schmerzten, spürte, wie sein Blick
sich klärte, spürte, wie seine Lippen sich nicht mehr trocken und spröde
anfühlten.
Pure
Kraft rauschte durch seinen Körper. Sie fiel auf die Knie.
Er
versuchte die Fesseln zu zerreißen. Sie lächelte schwach.
„Snape!“,
schrie er mit voller Kraft in den Lungen. Er erschrak fast vor seiner eigenen
Stimme, die ihm in dieser Lautstärke nicht mehr vertraut gewesen war. „Snape,
hier!“ Er war aufgestanden und hüpfte eilig zur Tür, die er nicht öffnen
konnte. Sie folgte ihm langsam.
„Vergeude
meine Energie nicht zu schnell, Malfoy.“ Sie blieb ziemlich ruhig.
„Snape!“,
schrie er wieder. Vor der Tür ging einiges vor. Aufbruch, dachte er. Das klang
nach Panik. Sein Vater war da draußen, er wusste es! „Lucius!“, schrie er
jetzt. Er spürte Grangers Hand auf seiner Schulter. Er wandte sich hastig um.
„Wir
gehen“, erklärte sie ruhig.
„Nein, ich gehe nirgendwo hin, verfluchtes Miststück! Du glaubst doch wohl
nicht ernsthaft, dass ich…“ Kurz wunderte er sich über die vielen Worte, die
ihm wie von selbst über die Lippen kamen, ohne dass er nachdenken musste. Ohne
dass er sich anstrengte.
„Malfoy,
wenn du nicht mitkommst, werde ich dich umbringen. Jetzt und hier.“ Und
tatsächlich machte sie keinen Scherz. Er konnte keine Lüge in ihrem Blick
erkennen. Er hasste sie.
„Du
bist ein Miststück. Du bist ein verfluchtes Schlammblut. Und du bist sehr, sehr
dumm.“ Kurz zuckte ein Lächeln über seine Züge. Er hatte keine Ahnung, dass
sich Kraft so angefühlt hatte. Dann verschwand sein Lächeln und er spannte
sämtliche Muskeln an. Sie sah ihn an und öffnete den Mund.
Alle
ihre Worte erstarben, als die Stricke um seine Handgelenke rissen.
Er
vergeudete keine Sekunde und freute sich ungemein über ihre unsagbare Dummheit.
Sie hob den Zauberstab hastig, doch er schlug hart gegen ihre Hand, so dass sie
das Stück Holz keuchend fallen ließ. Er sah die Tränen, die ihr in die Augen
schossen und die Erkenntnis, die beinahe panisch in ihrem Blick lag.
Am
liebsten würde er sie schlagen, sie solange quälen, bis sie nur noch Blut
spucken konnte – aber leider, leider, war dafür keine Zeit.
Schnell
hatte er sich nach ihrem Zauberstab gebückt. Der Plan in seinem Kopf stand.
„Imperio!“, rief er mit einem teuflischen
Grinsen. Er liebte die gewonnene Kraft, die durch seinen Körper rauschte. Und
er genoss die grausame Überlegenheit.
„Du
wirst die Worte wiederholen, die ich dir sage, Schlammblut. Am besten machst du
keinen einzigen Fehler!“ Damit öffnete er die Tür und schubste sie grob nach
draußen.
Sie
folgte ihm, ohne Widerstand leisten zu können.
Das
Blatt hatte sich gewendet.
Ihre
Augen öffneten sich in schummeriger Dunkelheit. Ihr Nacken schmerzte als sie
den Kopf hob. Kalte Angst befiel sie nur Momente später. Sie hatte so großen
Mist gebaut! Sie war verwundert, überhaupt noch am Leben zu sein.
Aber
sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Zustand noch lange anhalten
würde. Ihr Herz schlug so laut, dass sie glaubte, jeder müsse es hören können.
Wo war sie? Sie versuchte sich zu konzentrieren, sich vorzustellen, dass sie
hier wieder raus kommen würde, wo immer sie auch war, aber die Angst war
beinahe übermächtig.
Sie
hatte viel zu viel zu den Morden an Todessern beigetragen, als dass sie jemand
entkommen lassen würde. Sie biss sich auf die Lippe, damit sie nicht anfing zu
schreien und zu weinen.
Aber…
vielleicht sollte sie schreien und weinen. Vielleicht würden die Todesser sie
dann schneller umbringen! Was hatte sie getan? Was war nur passiert. Sie
erinnerte sich daran, dass sich Malfoy befreit hatte, dass er ihren Zauberstab
entwendet hatte und dann…? Dann kam der Imperius.
Sie
glaubte, sich zu erinnern, dass sie noch mit Harry gesprochen hatte, ihm gesagt
hatte, sie käme nach, dass sie Malfoy versteckt gehalten hatte und… Und dann
wusste sie nicht weiter.
Das
hier war kein Keller. Es wirkte eher wie… wie ein Wartezimmer. Einige Stühle
standen neben dem auf dem sie gefesselt saß. Ein kleines Sofa, ein Tisch, ein
Kamin, der nicht brannte. Die Fenster waren mit dunklen, schweren Vorhängen
verhangen. Licht brach durch den winzigen Spalt, den die Vorhänge nicht
verschließen konnten.
Es
war also Tag. Wie lange war sie hier? Wieso war sie noch am Leben? Zogen es
Todesser vor, ihre Opfer lebend zu foltern? Ein Schauer erfasste sie. Sie hatte
keine Angst vor Schmerzen, aber… jetzt in diesem Moment wollte sie lieber
schnell sterben. Ganz furchtbar schnell.
Ihre
Hand schmerzte. Malfoy hatte sie dort getroffen. Allerdings konnte sie die Hand
nicht sehen. Hinter ihrem Rücken wurden die Hände zusammen gehalten. Sie spürte
keine Fesseln aus festem Material. Nur magische.
Ob
Ron und Harry sich schon Sorgen machten? Ob sie begriffen hatten, was passiert
war? Ob sie nach ihr suchten oder ob Harry seinem Prinzip folgte, dass jeder,
der sich in Gefahr brachte, zum Wohl der anderen zurückgelassen werden musste?
Dann
hatte sie eigentlich keinen Grund zu warten, sich Hoffnungen zu machen, denn es
war wirklich sicherer, wenn sie nicht von ihnen gefunden wurde. Sie kamen hier
bestimmt nicht lebend aus der Sache raus.
Sie
war so wütend auf sich selbst. Wie hatte ihr das nur passieren können? Wieso
war sie nicht klüger gewesen?
Die
Tür öffnete sich und hinter Ihrem Rücken ballten sich ihre Finger zu Fäusten.
Es schmerzte zwar, aber es war reiner Instinkt, dass sie sich wappnete.
„Ms
Granger…“ Lucius Malfoy sprach ihren Namen mit Bedacht und schenkte ihr ein
Lächeln. Die Haare trug er in einem langen Zopf. Über seine Schultern hing ein
dunkelgrüner Gehrock aus Samt und sein Zauberstab ruhte in seinem Gehstock mit
der Diamantenen Spitze.
Sie
wusste, hinter seinem teuren Aussehen und seiner Eleganz verbarg sich der
Teufel in geschickter Weise. „Wie schön, Sie in meinem Hause begrüßen zu
dürfen. Was für eine Überraschung, dass mein Sohn noch am Leben ist. Ich denke,
diesen Zustand verdanke ich Ihrer Dummheit?“ Es war keine echte Frage. Immer
noch lächelte er.
Sie
sagte kein Wort. Sie war starr vor Angst.
„Diesen
kleinen Tausch finde ich äußerst nett.“ Er zog sich einen Stuhl direkt vor sie
und ließ sich darauf nieder. Sie hatte eigentlich erwartet, ihn in seiner
Todesserrobe zu sehen, aber dann wiederum nahm sie nicht an, dass er sie in
seinem eigenen Haus auch tragen würde.
Gott,
sie hasste diesen Mann.
„Zu
dumm, dass wir uns immer nur zu Gelegenheiten treffen, in denen Ihr Leben auf
dem Spiel steht, nicht wahr?“ Seine Hand hob sich ohne Vorwarnung zu ihrem
Gesicht und strich eine der Strähnen zurück. Sie wich erschrocken vor ihm
zurück und starrte ihn voller Abscheu an. „Ja… ekeln Sie sich ruhig vor mir, Ms
Granger.“
Es
schien ihm irgendeine Art perverses Vergnügen zu bereiten, sie anzufassen,
obwohl er wohl nichts mehr in der Welt verabscheute. „Ein Schlammblut in meinem
Salon zu haben, entspricht auch nicht unbedingt meinen kühnsten Träumen“, fuhr
er fort und wischte sich seine Hand in einer übertrieben Geste an seiner Hose
ab. „Wie ich erfahren habe, halten sich ihre Freunde zurzeit in der Parkerlane
auf?“, fragte er beiläufig.
Ihre
Augen weiteten sich vor Schock, aber sie versuchte es nicht zu zeigen.
Allerdings war es ihm nicht entgangen. Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Dann
haben Sie Draco also tatsächlich die Wahrheit gesagt? Ich hätte ja vermutet,
Sie wären in der Lage gewesen, seinem Imperius zu widerstehen.“ Kurz wirkte er
einen momentlang enttäuscht.
„Schade
eigentlich, dass ich Sie wohl heute nicht zu foltern brauche. Aber…“ Sein Blick
lag triumphierend auf ihrer Gestalt. „Dann habe ich mehr Zeit, mir etwas… Geeignetes auszudenken.“ Irgendetwas
änderte sich in seinem Blick. „Ich bin oft alleine hier, seit Narzissa mich
verlassen hat, Ms Granger.“ Sie konnte nicht mehr atmen. Kälte befiel sie und
sie konnte ihre Unterlippe nur vom Zittern abhalten, in dem sie fest die Zähne
zusammen biss.
„Vielleicht
mache ich mir Ihre Gesellschaft zu nutzen?“ Er erhob sich wieder. Lucius Malfoy
drohte damit, sie zu vergewaltigen! Lucius Malfoy drohte ihr das tatsächlich
an! Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Angst erreichte ein ungeahntes
Ausmaß und plötzlich wünschte sie sich, dass Harry dem Prinzip nicht folgen,
und nach ihr suchen würde!
Die
Todesser wussten also, wo sie versteckt waren. Das war noch viel, viel
schlimmer. Malfoy musste es sie gestern gefragt haben! Sie war so dämlich.
Lucius Malfoy verließ sie wieder, ohne ein weiteres Wort.
Wenn
sie nur irgendwie fliehen konnte!
Ob…
Voldemort hierher kam? Ein Schauer befiel sie.
Vielleicht
war das ein Grund, weswegen Harry diesen Ort hier aufsuchen würde.
Sie
hatte keine Idee, keinen Plan parat.
Sie
wusste nur, sobald sie die Gelegenheit bekommen würde, würde sie Draco Malfoy
umbringen! Ohne Gnade!
~*~
Sie
wusste nicht, worauf es bei dieser Methode ankam, aber sie war sich sicher, sie
hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts zu essen mehr bekommen.
Vielleicht hatte sie Glück, und sie würde einfach verhungern. Sie hatte keine
weiteren Besuche mehr bekommen, was wohl eigentlich ganz gut war.
„Ich
will sie sehen!“
Fingernägel
auf einer Tafel! Damit war diese Stimme zu vergleichen. Ihr Körper spannte sich
an vor Angst. Sie konnte es nicht verhindern. Schweiß brach auf ihren
Handflächen aus. Wieder versuchte sie, sich zu befreien, sich zu bewegen,
irgendwas zu tun, aber schon öffnete sich die Tür. „Sieh einer an… Die
Einzelhaft bekommt ihr gar nicht gut, Lucius!“ Bellatrix Lestrange stieß ein
unangenehmes Lachen aus.
Lucius
Malfoy folgte ihr. „Du bist kein Gast in meinem Haus, Bellatrix.“ Anscheinend
wiederholte er diese Aussage. Hermine verzog den Mund, als Bellatrix ihr grob
in die Wange kniff.
„Sie
ist ja ganz anbetungswürdig, Lucius. Kein Wunder, dass du sie noch nicht
getötet hast. Ein rebellisches Schlammblut… Das muss ja ein wahres Fest für
dich und deinen missratenen Sohn sein, der dumm genug war, sich von Potters
kleinen Häschern fangen zu lassen.“ Lucius‘ Mund ähnelte nur noch einem
schmalen Strich. Hermine versuchte den Kopf wegzudrehen, aber Bellatrix lachte
nur.
„Draco
hat es immerhin geschafft zu entkommen. Ohne Hilfe“, fügte er hinzu, als wolle
er Bellatrix mit diesen Worten etwas vorwerfen. Diese ließ augenblicklich von
Hermine ab.
„Willst du damit sagen, dein Sohn ist etwas besseres als ich?“, erwiderte sie
angriffslustig und in blinder Panik hoffte Hermine, die beiden würden sich noch
umbringen. „Oh, armer Lucius“, fuhr sie fort und tat so, als müsse sie Dreck
von seiner Schulter klopfen. Grob fing er ihre Hand ab. „Kein Wunder, weshalb
Narzissa dich verlassen hat“, lachte sie, aber sofort drehte Lucius ihr
Handgelenk schmerzhaft nach hinten.
Fluchend
riss sich Bellatrix los. „Verfluchter Mistkerl“, knurrte sie, ehe sie den
Zauberstab zog. „Eine kleine Ablenkung würde mir jetzt gut tun.“ Ehe Hermine
die Worte begreifen konnte, traf sie der Cruciatus mit voller Wucht.
Sie
hörte, wie der Schrei, den sie ausstieß, an ihren Stimmbändern zerrte. Selbst
der Schrei bereitete ihr Schmerzen. Jede Faser in ihrem Körper schmerzte. Sie
war schon zu lange hier, um auszuhalten. Dehydriert und ausgehungert. Die
Ohnmacht holte sie eilig ein. Noch bevor Bellatrix den Zauberstab gesenkt
hatte.
…
Ihr
Kopf flog plötzlich auf die andere Seite. Ihre Wange schmerzte stark. War sie
gerade geschlagen worden? Sie blinzelte in das unangenehme Dämmerlicht.
Sie
schnappte erschrocken nach Luft. Sie hatte nicht das Gefühl gehabt, lange
ohnmächtig gewesen zu sein, aber anscheinend lange genug, dass sich das
Szenario hatte ändern können.
Als
hätte er sie nicht angerührt saß er vor ihr und rührte angewidert in einem
Brei, der ihr nur allzu bekannt vorkam.
„Du
mieses Arschloch!“ Sie wollte es schreien, wollte es voller Hass und Verachtung
in sein Gesicht spucken, aber ihre Stimme war nur ein raues Zischen.
„Nicht
sprechen“, bemerkte er jetzt. Er sah nicht völlig gesund aus, und sie hoffte,
dass er noch an den schweren gesundheitlichen Schäden sterben würde, die er als
Geisel erlitten hatte. Er hob den Löffel zu ihrem Mund. „Iss“, sagte er jetzt
gereizter. Sie sah ihn an.
Sie
könnte sich zu Tode hungern. Sie hatte gehört, dass man irgendwann in Ohnmacht
fiel und nicht mehr aufwachte, weil die Organe eben nicht versorgt werden
können. Das war wesentlich besser als das Schicksal, was sie zu erwarten drohte,
wenn sie noch länger überlebte. Sie schüttelte also den Kopf.
Anscheinend
hatte er nur auf ihren Ungehorsam gewartet und zückte seinen Zauberstab. Bevor
sie wirklich realisiert hatte, dass er ihren Zauberstab benutzte, hatte er
schon die Formel gesprochen. Durch den Imperius hörte sie seine Stimme nur
verschwommen. Immerhin schien es ihm Qualen zu bereiten, den Zauber überhaupt
auszuführen.
Ihr
Mund öffnete sich gegen ihren Willen. Er schob den Löffel grob in ihren Mund
und senkte den Zauberstab wieder. Sie war wieder frei. Es schmeckte absolut
widerlich. Sie tat das nächstbeste und spuckte ihm die eklige Pampe in sein
Gesicht.
Angewidert
schrie er auf, ließ den Teller fallen und schlug sie derart heftig ins Gesicht,
dass der Stuhl beinahe kippte. Sie hielt die Augen geschlossen, denn bunte
Sterne tanzten vor ihrem Sichtfeld auf und ab.
Ihre
Wange brannte höllisch, Tränen traten in ihre Augen. Sie öffnete die Augen
unter Schmerzen wieder und starrte angestrengt auf den Fußboden und versuchte,
nicht zu weinen.
Sie
kannte sich mit Schmerzen aus. Sie konnte es unterdrücken.
Er
hatte mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn umfasst und zwang sie jetzt, ihn
anzusehen. Sie versuchte den Kopf zurückzuziehen, aber erfolglos.
„Wenn
du nicht essen willst, dann ist das deine Schuld.“ Ihr Atem ging schnell. Sie
wusste nicht, vor wem die Angst größer war. Wahrscheinlich gewann tatsächlich
Lucius dieses Kopf an Kopf Rennen, aber sein Sohn stand ihm an Grausamkeit in
nichts nach.
„Ich
werde dir die kurze Zeit, die dir hier noch bleibt, zur Hölle machen, Granger.
Verlass dich drauf.“ Seine Stimme klang kalt und er sah nicht so aus, als ob er
Scherze machen würde.
Er
ließ sie allein. Der Teller mit Brühe lag auf dem Boden. Ihr Magen knurrte
laut, aber sie würde bestimmt nicht so eine Widerlichkeit runter würgen.
Vielleicht
hatte sie Glück und war morgen bereits gestorben.
Sie
hoffte nur, Harry würde nicht nach ihr suchen.
Sie
hoffte, in der Parkerlane wussten sie Bescheid, dass sie verschwinden mussten.
Ihr
blieb also nur noch eine kurze Zeit.
Wieder
wanderte ihr Blick durch den Raum. Sie war sich sicher, sie hatte hier schon
alles entdeckt, was es zu entdecken gab. Sie hatte schon überlegt, irgendwie
zum Fenster zu gelangen und sich nach draußen zu stürzen, aber ab und an sah
sie einen Schatten vor Fenster entlang gehen, als ob jemand davor
patrouillierte.
Aber
vielleicht wäre sie dann noch schneller tot, weil sie versuchte zu fliehen.
Aber selbst wenn es nur ein Tier oder etwas Ähnliches war, wenn sie wirklich
mit dem Stuhl durch die Scheibe fallen würde – was dann?
Dann
lag sie im Garten der Malfoys und konnte gar nichts tun.
Es
waren alles schlechte Pläne. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die magischen
Fesseln ohne Zauberstab lösen sollte.
Hier
in diesem Zimmer gab es nichts außer der Stühle, ein paar Regale mit Büchern,
deren Titel sie nicht lesen konnte, die Tür, die verschlossen war und das
Fenster aus dem sie nicht nach draußen schauen konnte.
Sie
presste die Beine fest zusammen, denn sie wollte nicht in der denkbar
unwürdigen Position stecken, wie Malfoy.
Gott,
für einen Moment bereute sie, was sie getan hatte.
Aber
immerhin hatte Malfoy eine Art Dusche bekommen.
Sie
wollte nicht unter sich machen.
Sie
wollte nicht.
Aber
sie wollte auch nicht, dass Lucius Malfoy kam und sie zwang, sich auszuziehen.
Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht einmal mehr das.
„Hat
sie was zu trinken bekommen?“, fragte er seinen Vater eher beiläufig.
„Seit
wann?“
„Seit
sie hier ist“, erwiderte er gereizt. Sein Vater war ein Idiot. Er hatte kurze
Momente gehabt, in denen er bereute, wieder gekommen zu sein.
Nicht,
dass er woanders sein wollte, aber hier war es definitiv genauso schlecht wie
überall sonst.
„Ich
denke nicht, nein.“
„Du
willst sie also auf dem Stuhl sterben lassen, Lucius?“, fragte er gedehnt nach,
denn sein Vater wirkte bereits wieder genervt. Immerhin war sie seine Geisel.
Er hatte sich darum zu kümmern, wenn er wollte, dass Potter bald vor seiner Tür
stand.
„Nein,
Draco. Was zum Teufel willst du von mir?“
„Sie
wird sterben. Wenn nicht heute, dann morgen.“ Lucius fixierte ihn zornig.
„Seit wann schert dich das?“ Draco fluchte unterdrückt.
„Es
ist mir scheiß egal, aber es geht um deinen Hals, oder nicht? Voldemort will
Potter doch immer noch töten, oder geht es darum schon nicht mehr. Ich habe
etwas den Überblick verloren, als du mich in der Hölle beinahe hast verrecken
lassen“, fügte er eisig hinzu. Lucius verdrehte nun die grauen Augen.
„Dann
kümmer dich darum, dass sie nicht stirbt. Wenigstens heute nicht. Und gib ihr
andere Kleidung“, fügte er hinzu. Draco hielt inne.
„Kleidung? Weshalb?“, fragte er argwöhnisch. Sein Vater hob kurz den Blick.
„Weil ich mich heute Abend mit ihr unterhalten werde.“ Das war alles, was er
dazu sagte.
„Ein Schlammblut, Vater? Wirklich?“ Äußerst selten nannte er Lucius Vater. Und
auch nur dann, wenn er die Lächerlichkeit dieses Wortes betonen wollte. Zuerst
dachte er, Lucius würde ihn schlagen, aber er schien es sich anders zu
überlegen.
„Kümmer
dich um unseren Gast, Draco, und geh mir aus Augen.“ Draco war klar, dass sein
Vater keinen Finger gerührt hätte, um ihn zu retten. Genugtuung bereitete es
ihm jetzt nur, dass er Granger demütigen konnte. Oh ja. Sie würde sich vor ihm
ausziehen. Ihren schmutzigen Schlammblutkörper würde er nur zu gerne verfluchen
und entstellen.
Aber
anscheinen hatte sein Vater in dieser Hinsicht schon Pläne gemacht. Es
schauderte ihn kurz. Niemals würde er auf die Idee kommen, ein Schlammblut zu
vögeln. Nicht einmal in der Theorie.
Als
er die Tür zum Salon aufschloss, saß sie übergebeugt auf dem Stuhl und murmelte
irgendwelche Worte. Zuerst dachte er, sie würde zaubern, aber dann fiel ihm
ein, dass er ja ihren Zauberstab hatte. Er hatte keine Ahnung, was mit seinem
eigenen passiert war, aber ihrer funktionierte für ihn genauso gut.
Immerhin
hatte er ihn in einem ziemlich unfairen Kampf gewonnen.
„Granger?
Was wird das?“ Sie sah zu ihm auf. Sie sah schlecht aus. Ihr Gesicht hatte eine
gräuliche Farbe. Sie wirkte bereits ausgezerrt. Er nahm an, sie musste aufs
Klo. Lächelnd legte er den Kopf schief. „Oh, ich würde zu gerne sehen, wie du
dich nass machst. Aber da ich dich sauber machen muss, finde ich es mehr als
eklig.“
Er
zauberte die Badezimmertür wieder ins sichtbare Spektrum. Dann belegte er sie
mit dem Imperio. Zaubern schwächte ihn tatsächlich immer noch. Er befahl ihr,
auf Toilette zu gehen und kam sich selten dämlich dabei vor.
Sie
folgte ihm auf der Stelle, wahrscheinlich weil es etwas war, dass sie unbedingt
tun wollte. Ihre Beine hatten Probleme damit, ihren stark geschwächten Körper
zu tragen, aber der Imperius siegte über ihre physische Kondition.
Würde
sie ihm heute die Suppe ins Gesicht spucken, würde er sie wahrscheinlich
foltern. Ins Gesicht schlagen hatte nicht wirklich die Freude ausgelöst, auf
die er gewartet hatte.
Als
sie wieder kam, sah er, dass sein Zauber nicht mehr vollständig wirkte. Zwar
sah sie ihn benommen an, aber er konnte den Hass deutlich erkennen.
„Ich
will das zwar wirklich nicht sehen, aber… leider habe ich keine Wahl“, begann
er. Sie durfte zwar in einer Dusche duschen, aber dafür musste er anwesend
sein. Ansonsten konnte es sein, dass der Zauber irgendwann unterbrach. Je
länger sie fort war, umso schwächer wurde der Zauber nämlich.
„Zieh
dich aus, Granger.“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel sich zu
einem bösen Lächeln hoben. Sie schwankte auf den Beinen. Er wusste, sie würde
ohnmächtig werden. Er dachte schnell nach.
Wahrscheinlich
musste sie erst was essen. Wahrscheinlich waren Frauen – auch wenn es
Schlammblüter waren – nicht so widerstandsfähig wie Männer.
„OK,
warte. Du wirst erst essen. Und du wirst
essen, Granger! Wage es ja nicht, mich noch einmal anzuspucken! Du wirst es nur
bereuen, hast du gehört?“, drohte er laut und verstärkte den Zauber. Sie nickte
knapp.
Er
befahl ihr, sich wieder zu setzen, beschwörte die Brühe herauf, die er etwas
verfeinert hatte, und setzte sich vor sie.
Er
hatte sich viel Mühe gegeben, die Pampe genauso eklig zu gestalten wie sie es
getan hatte. Dieses Mal schluckte sie aber einen Löffel nach dem anderen. Dank
dem Imperius, musste er sie nicht einmal füttern.
Das
konnte er nämlich noch weniger leiden, als überhaupt hier mit ihr in einem
Zimmer zu sein.
Wie
sich doch das Glück wenden konnte.
Noch
vor ein paar Tagen war er der Gefangene gewesen.
Schnell
hatte sie alles gegessen. Sie wirkte noch nicht kräftig.
Er
atmete gereizt aus, beschwörte noch mehr Brühe und einen Krug Wasser aus dem
Nichts. Na ja, nicht völlig aus dem Nichts, aber so gut wie. Die Küche lag
schließlich ein ganzes Stockwerk tiefer.
Seine
Mutter hatte die Hauselfenschar mitgenommen. Zuerst hatte er geglaubt, Lucius
würde sie noch umbringen, aber vielleicht hatte er diese Pläne auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben.
Er
war sich auch nicht völlig sicher, ob Potter zu Grangers Rettung kommen würde.
Er hatte eigentlich keinerlei Zweifel daran gehabt, aber… noch war niemand
aufgetaucht.
Vielleicht
planten sie auch etwas Dramatisches, und setzten alles auf die eine Karte, dass
Granger hier nicht zu Schaden kommen würde. Nun, jedenfalls nicht so, dass sie
direkt starb.
Potter
hatte sich verändert, fiel ihm wieder auf. Er war ein kalter Mistkerl geworden.
Nur noch verschwommen erinnerte er sich an die Zeit auf dem Stuhl in Einsamkeit
und er wusste aber noch, dass es das schlimmste war, was er jemals erfahren
hatte.
Fast
so schlimm, dass man es einem Schlammblut nicht zumuten wollte. Aber eben nur
fast. Er war nämlich genauso ein schlechter Mensch wie Potter.
Ihm
fiel ihre Hand auf. Sie war leicht blau und geschwollen. Gebrochen, nahm er an.
Wahrscheinlich war er daran schuld. Sie beschwerte sich aber nicht, oder klagte
über Schmerzen.
Gierig
schlang sie die Brühe hinunter. Ob nun, weil er es ihr befohlen hatte, oder
weil ihr Hunger siegte, wusste er nicht mit völliger Sicherheit.
Sie
leerte danach den Krug und wirkte immer noch erschöpft.
Es
verging eine weiterte Minute, in der sie einfach nur stumm und ungefesselt auf
dem Stuhl saß. Zum Teil wirkte der Imperius noch, zum anderen Teil konnte sie
wohl einfach nicht mehr.
Er
hob den Zauberstab schließlich wieder. „Zieh dich aus“, sagte er nur. „Und
wasch dich gründlich. Lucius kommt dich heute Abend besuchen“, fügte er hinzu
und endlich hob sie langsam den Blick. Er wusste nicht genau, was er darin
sehen konnte. Er glaubte, nackte Angst zu sehen. Aber sie sagte kein Wort.
Er
lenkte seine Gedanken wieder auf den Imperius und widerwillig erhob sie sich
schließlich. Sie zog die schmutzige Jacke aus. Dann zog sie das Shirt über den
Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie sie ihn nicht hatte ansehen können. Er konnte
den Blick überhaupt nirgendwo anders hinwenden.
Sie
öffnete den BH, der vom Stoff auch nicht mehr viel hergab und dann öffnete sie
ihre Jeans.
Er
zwang seinen Blick auf ihre Füße. Sie war schlank. Sehr schlank. Es lag wohl an
der schlechten Ernährung, die sie in Potters Versteck und hier bei ihnen
genoss. Ihre Brüste allerdings waren tatsächlich ansehnlich.
Er
schämte sich nicht einmal für diesen Gedanken.
Ihre
Jeans fiel zu Boden, dann folgte ihre schlichte, weiße Unterhose.
Jetzt
zwang er den Blick wieder in ihr Gesicht.
Sie
war nicht rot geworden, aber sie stand auch unter dem Imperius. „Geh ins Bad.“
Er ärgerte sich, dass seine Stimme nicht ganz so fest klang, wie er erwartet
hatte. Als wäre sie die erste nackte Frau, die er sah. Aber gut, es war eine
Weile her gewesen.
Und
ja, er konnte sich tatsächlich für einen Moment vorstellen, dass Lucius mit
ihr… Er lenkte seine Gedanken wieder ab und folgte ihr ins Bad.
Sie
stand ziellos vor der Dusche. Er drehte das Wasser an, ohne sie aus den Augen
zu lassen. Es gab keinen Vorhang. Es war eher eine gekachelte Nasszelle. Nur
wesentlich luxuriöser. Lucius hatte hier etwas umgebaut, damit Granger keine
Chance hatte, auch nur ansatzweise zu entkommen. Es gab keine Fenster. Keine
spitzen Gegenstände, mit denen sie sich umbringen konnte.
Sie
konnte sich auch nicht ertränken, sollte sie das wollen.
Es
war nur ein quadratischer Raum mit einer Toilette und einer Dusche. Mehr
brauchte eine Geisel wohl nicht. Es war schon wesentlich mehr als er bekommen
hatte, dachte er grimmig. „Beweg dich.“ Sie wandte sich wieder um. Hastig
blickte er an ihr vorbei. Gott, das war doch unerträglich! Er hatte keine Lust
mehr, sie nackt zu sehen.
Er
widerte sich schon selber an.
Er
hob drohend den Zauberstab, ohne sie anzusehen, dann ging sie unter den Strahl.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie das Wasser ihren Körper traf.
Es
lief über ihre Haare, über ihre Brüste, hinab zwischen ihre Beine. Er biss die
Zähne fest zusammen.
„Beeil
dich etwas.“ Sie griff die Seife aus der Schale an der Wand und begann sich
stoisch einzuseifen. Wahrscheinlich tat sie alles unter dem Zauber heraus.
Er
bemerkte, dass das Wasser wohl nicht besonders warm war.
Gott,
verflucht.
Er
starrte hinab auf seine Füße. Immer noch konnte er ihre harten Nippel aus den
Augenwinkeln erkennen.
Das
Wasser tränkte ihre Haare und sie schienen länger zu werden. Die Locken wurden
glatt und jetzt lag der dunkle Vorhang an Haaren weit über ihrem Rücken. Sie
musste sich plötzlich abstützen. Anscheinend war es die Schwäche. Er erinnerte
sich noch daran.
Er
griff nach ihrem Arm, ehe er nachgedacht hatte.
Nicht
anfassen!, schalt ihn sein Unterbewusstsein. Träge und benebelt hob sich ihr
Blick. Gott, sie war wirklich völlig weg. Es ärgerte ihn, dass er noch so viel
mehr ausgehalten hatte, als sie. Er war sich nicht mal sicher, ob sie ihn
überhaupt sah. Sein Arm wurde nass. So auch sein helles Hemd.
Sie
hielt sich an seiner Schulter fest und er hasste jede Sekunde hier mit diesem
nackten Schlammblut. Er drehte das Wasser ab und spürte sie zittern.
Nicht
hinsehen. Nicht anfassen. Er ließ von ihr ab, aber sie hielt sich immer noch
fest. Er hob zornig den Zauberstab. „Fass mich nicht an, Granger!“, rief er
gereizt. Sie ließ augenblicklich von ihm ab. Dann sank sie vor ihm auf die
Fliesen.
„Scheiße“,
knurrte er. Kurz überlegte er. Ein Schwebezauber war zu anstrengend. Er
verfluchte Lucius in Gedanken und bückte sich schließlich. Sie würde noch krank
werden. Er hasste Mädchen. Hatte er schon immer getan. Sie waren nichts als
Weicheier.
„Granger?“
Er steckte den Zauberstab in seine Tasche. Sie schien kaum bei Bewusstsein zu
sein. „Wir müssen dir was anziehen.“ Er redete, um sich selbst zu beruhigen. Es
war unerträglich, ihre Haut anzufassen. Er drehte sie um. Sie hing schlaff in
seinen Armen, ihre verfluchten Brüste boten sich ihm förmlich an.
Gott.
Er schloss kurz die Augen.
Ihre
nassen Haare hingen über seinem Arm. Wieso war es für sie so viel einfacher
gewesen? Weil sie wahrscheinlich nicht noch vor einer Woche fast bis zum Tod
gequält worden war! Er fluchte angewidert und hob sie schließlich auf seine
Arme, ohne sie anzusehen.
Jetzt
war sein Hemd völlig nass. Er pustete sich angestrengt eine Strähne aus dem
Gesicht. Sie war wirklich nicht schwer. Aber von was sollte sie auch schwer
sein? Kurz sah er Wassertropfen in ihren Schamhaaren glitzern und hätte sich am
liebsten übergeben.
Zum
einen, weil er überhaupt hingesehen hatte, zum andern, weil er sich gerade eben
fragte, ob sie eigentlich rasiert war, wenn sie nicht gerade in Gefangenschaft
gehalten wurde.
„Verfluchter
Mist, du elendes Schlammblut, das machst du doch mit Absicht“, knurrte er, als
er sie im Salon auf den Boden legte und ein Handtuch neben sich hexte.
Sie
abzutrocknen war genauso schlimm, wie sie anzufassen.
Er
trocknete nicht allzu gründlich über ihre Brüste, ihre Scham oder ihre Beine.
Ihre Haare tropften auf den Boden. Großartig.
Sie
öffnete langsam die Augen und er hasste sich selbst dafür, dass er sie ansah.
Seine Erektion erwachte schlagartig und er versuchte sich zu konzentrieren.
Sie
schüttelte etwas benommen den Kopf. Anscheinend verlor der Zauber an Wirkung.
Er
ließ von ihr ab und griff hastig nach dem Zauberstab, ehe sie irgendetwas
versuchen würde. Ihm fiel kein Spruch ein. Er war gerade zu verwirrt und zu
wütend, um zu denken.
„Du
Miststück“, murmelte er. Sie wurde endlich rot. Anscheinend hatte sie eine
Kreislaufschwäche gehabt. Mit dem Handtuch versuchte sie sich halbwegs zu
bedecken. Er erhob sich hastig und drehte sich von ihr weg, damit sie ja nicht
denken würde, er würde wegen ihr tatsächlich eine Erektion bekommen.
Er
hatte keine Lust auch nur einen scheiß Gedanken daran zu verschwenden, warum
zum Teufel das jetzt gerade so war. Er wollte nicht. Er wusste auch nicht, wie,
wenn er ehrlich war. Er konnte sich nicht einmal erklären, wieso sein kranker
Verstand ihm diesen Streich spielen musste!
„Kleidung?“,
krächzte sie jetzt und endlich sprach sein Mund einen Zauber. Er war so
verwirrt, dass tatsächlich übrig gebliebene Kleidung aus dem Schrank seiner
Mutter erschien. Es war eine weiße Hose aus Leinen, die sie so gut wie nie
getragen hatte und ein weißes Oberteil aus fließendem Stoff.
An
Unterwäsche hatte er jetzt nicht gedacht. Er hatte auch keine Lust daran zu
denken.
Das
nächste Mal konnte jemand anders das Schlammblut waschen.
„Beeil
dich, zum Teufel noch mal!“, schrie er jetzt zornig. Und er war dieses Mal nur
zornig mit sich selbst. Sie zog sich an, so schnell sie konnte. Ihm würde noch
Schweiß auf die Stirn treten, so angestrengt versuchte er zu verdrängen, dass
er ihre Nippel durch das Oberteil sehen konnte.
Ihre
Haare… sollte er sie trocknen? Würde sie krank werden? Sie war ein schwaches
Mädchen. Wahrscheinlich würde sie krank werden, verflucht.
„Setz
dich, verflucht noch mal“, fuhr er sie an und sie gehorchte widerwillig. Sie
sank auf den Stuhl zurück und er beschwor die magischen Fesseln. Es war so ein
verfluchtes Déjà-Vu. Mit dem nächsten Zauber ließ er ihre Haare trocknen. Es
war eigentlich der Zauber für das Trocknen von Wäsche, aber anscheinend nahm es
sich nichts.
Er
sah sie nicht noch einmal an, ließ ihre alte Kleidung in magischen Flammen
aufgehen und nur ein Häufchen Asche blieb auf dem Teppich zurück. Neben dem
eingetrockneten Brühefleck, für den ihn Lucius schon angeschrieen hatte.
Er
war aus dem Salon gestürmt, schloss die Tür hinter sich ab und lehnte sich
schwer atmend dagegen.
Seine
Erektion klang wieder ab. Er schloss die Augen. Das konnte ihm sein Körper
wirklich nicht antun. Sobald er wieder fit war, würde er sich irgendeine
Schlampe holen. So machte es Lucius schließlich auch. Oder so hatte er es
zumindest gemacht, bevor er… sich ein neues Opfer gesucht hatte.
Vielleicht
würde Draco heute Abend schon das Haus verlassen, damit er auf keinen Fall
seinen Vater hörte. Er stieß sich von der Tür ab und mit zornigen Schritten
verließ er die Halle.
Sie
war sich nicht sicher, wie viel Zeit ihr tatsächlich blieb, aber sie hatte kaum
Zeit zu verlieren. Sie wusste auch nicht, weshalb Malfoy beinahe geflohen war,
aber sie konnte nur annehmen, dass es irgendwas mit der Tatsache zu tun hatte,
dass sie ein Schlammblut war und seine Haut wohl schwerste Verbrennungen
erlitt, wenn er sie nur ansehen musste.
Sie
war auch froh, dass sie von der Dusche nichts mehr in Erinnerung behalten
hatte. Erst als sie auf dem Boden gelegen hatte. Er hatte sie angesehen wie
einen widerlich stinkenden Troll. Sie hasste Todesser so sehr!
Sie
erinnerte sich dumpf, dass Malfoy angedroht hatte, sein Vater würde heute zu
ihr kommen, also blieb ihr noch weniger Zeit.
Die
Kleidung, die sie trug, kam ihr teuer vor, aber das war egal. Und es war auch egal,
dass Malfoy so ein Bastard war und nicht für Unterwäsche gesorgt hatte. Und die
Kühnheit ihres Plans war unbegründet. Sie wusste, wahrscheinlich kam der Mut
nur daher, dass ihr bisher die Folter erspart geblieben war. Zumindest wenn man
von der Brühe und der Dusche absah.
Jetzt
stand die Badezimmertür noch auf! Sie wusste nicht, wie er das hatte vergessen
können. Ihr Plan war auch kein guter, aber... sie hatte keinen andern. Sie würde
mit dem Stuhl irgendwie ins Badezimmer kommen müssen. Sie konnte zwar den
Zauber nicht lösen, aber sie konnte sich vielleicht von diesem Stuhl befreien.
Es war feines, filigranes Holz. Sie nahm an, Wasser sollte es eigentlich gut
zerstören können. Und wenn nicht das, dann würde es den Stuhl wenigstens
aufweichen!
Das
waren ihre verrückten Gedanken, aber an diesen unmöglichen Plan klammerte sich
ihr ganzes Bewusstsein. Die Brühe war eklig gewesen, aber sie fühlte wieder
Kraft in ihrem Körper.
Sie
warf sich gegen die magischen Fesseln Der Stuhl wackelte besorgniserregend. Es
war ein ziemlich starker Zauber, der sie hielt. Aber sie kannte ihn ja. Sie
hatte ihn ja auch verwendet. Hoffentlich kam jemand und rettete sie, bevor
Lucius Malfoy… Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken und warf sich
erneut gegen die Fesseln. Jetzt bewegte sich der Stuhl tatsächlich!
Mit
einem Knatschen rutschte er über den Teppich. Sie hielt den Atem an. Nichts
passierte. Niemand kam, um sie zu verfluchen. Sie wusste nicht, wie lange sie
brauchen würde. Sie wusste nicht mal, wie sie das Wasser anbekommen sollte.
Aber Kleinigkeiten waren unwichtig. Sie musste nur ein Ziel im Auge haben.
Nach
zehn Minuten, so schätzte sie die Zeit zumindest ein, war sie nassgeschwitzt
und hatte die Türschwelle erreicht. Zu ihrem Glück schien sie keiner zu hören.
Das Haus musste groß sein. Über die Fliesen rutschte sie schon fast. Ja, sie
hatte die Dusche fast erreicht! Sie war fast soweit, einen Teil ihres Plans
umsetzen zu können. Auch wenn sie nicht wusste, wie.
Sie
warf sich noch einmal gegen den Fluch, der sie gefangen hielt und – krachte mit
einem lauten Knall zu Boden. Ein Stuhlbein war abgebrochen und jetzt lag sie
ausgerechnet auf der Hand, die ihr sowieso schon weh tat. Sie schrie zornig
auf.
Der
Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen und sie versuchte ruhig zu atmen. Gut.
Jetzt lag sie hier. Daran konnte sie nichts ändern. Sie versuchte sich mit
aller Kraft zu drehen, bewegte ihre Beine, die aber auch magisch zusammen gehalten wurden und war nun der
sprichwörtliche Fisch auf dem Trocknen.
Sie
konnte sich nicht wirklich vorstellen, was ihre Strafe sein würde, wenn sie
irgendein Malfoy hier finden würde, aber sie nahm an, dass es nicht angenehm
sein würde.
Und
wahrscheinlich würde sie in den Kerker gebracht werden. Sie nahm an, dass die Malfoys garantiert über so
etwas verfügten. Blinder Schmerz zuckte durch ihre Hand. Sie hörte ein
Knirschen. War ihr Knochen angebrochen gewesen, so war er jetzt ganz gewiss
durch.
Sie
keuchte auf vor Schmerz und wog, nahe der Bewusstlosigkeit, ab, wie groß ihre
Chancen waren, zu überleben, würde sie jetzt anfangen zu schreien.
Die
Schmerzen lenkten sie immerhin ganz ausgezeichnet von der Angst ab.
Gott,
sie konnte nicht mehr.
Vielleicht
hatte sie sich geirrt und die Schmerzen waren doch mehr, als sie aushalten
konnte. Sie wusste nicht, wann sie sich jemals versucht hatte einzureden, sie
sei gegen Schmerzen immun.
Das
war nämlich absolut gelogen. Sie schloss die Augen unter Tränen und versuchte
sich aus der denkbar unwürdigen Position zu befreien, ehe sie komplett aufgeben
musste.
~*~
Sie
hatte keine Ahnung, wie lange sie es geschafft hatte, einfach liegen zu
bleiben, ohne zu schreien. Die Lichter in den Haltern begannen bereits zu
flackern. Sie nahm an, das Feuer hinter dem Glas würde bald ausgehen. Das ließ
sie schätzen, dass sie bestimmt drei bis vier Stunden einfach gelegen hatte.
Auf ihrer Hand, die sich unter ihr wahrscheinlich schon verabschiedet hatte und
abgestorben war.
Es
kam ihr in den Sinn, dass sie es auch auf die Lampen hätte absehen können, die
mit Hilfe von Feuer leuchteten. Damit hätte sie den Stuhl abbrennen können.
Aber wahrscheinlich wäre sie dabei jämmerlich verbrannt. Aber das war auch
keine schlechte Lösung.
Gott…
sie konnte nicht mehr.
Sie
hörte Stimmen und hielt die Luft an, als würde das etwas ändern.
„Wo gehst du hin?“ War das Malfoys Stimme? Sie nahm es an.
„Es gab ein Problem“, hörte sie Lucius sagen. Er sagte noch etwas, aber es war
zu leise.
„Nein!“,
schrie sein Sohn jetzt lauter. „Ich werde bestimmt nicht bleiben. Das ist hier
dein kleines Projekt.“
„Du
wirst im Haus bleiben, Draco, hast du mich verstanden! Und bring sie nicht um.
Das werde ich tun. Wenn die Zeit richtig ist.“
„Wann
ist die verfluchte Zeit richtig, Lucius? Wann, zum Teufel? Nachdem du sie
vergewaltigt hast?“ Es herrschte einen momentlang kurzes Schweigen. Sie
schluckte schwer. Sie wollten sie umbringen! Sie wollten sie wirklich
umbringen. Als würde es ihr erst jetzt klar werden, wand sie sich wieder unter
ihrem Gewicht und dem des Stuhls.
Sie
musste etwas tun! Sie wusste nur nicht, was.
„Die
Zeit ist richtig, wenn wir Potter haben. Und der wird kommen“, fügte Lucius
jetzt grimmig hinzu. Hermine hoffte, Harry kam bald. Und er würde sie befreien
können. Hoffentlich kam er.
Also
war sie doch ein Lockvogel für Harry.
Und
anscheinend würde Lucius heute nicht… Sie wollte den Gedanken nicht denken. Sie
wollte gar nicht darüber nachdenken. Über gar nichts in diesem Haus. Gott, die
Schmerzen ließen ihr kalten Schweiß auf die Stirn treten.
„Schön,
dann geh doch!“, hörte sie Malfoy schreien, als die Tür schon längst ins
Schloss gefallen war. Sie entschied sich genau jetzt, dass sie für heute erst
mal aufgeben musste.
„Malfoy!“,
rief sie, so laut sie eben konnte.
Nichts
passierte.
„Malfoy!“
Wahrscheinlich
war er doch gegangen. Oder… er wollte nicht kommen. Oder… Sie wusste es nicht.
Sie ließ den Kopf sinken und schloss wieder die Augen.
Sie
wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr.
„Was
zum Teufel tust du da?“ Hastig hob sie den Kopf wieder und begegnete seinem
zornigen Blick. Anscheinend erfasste er eben die Situation. Er hatte sie also
doch gehört. Er sah das abgebrochene Stuhlbein. „Ich hab die Tür nicht
verschwinden lassen“, sagte er schließlich mehr zu sich selbst.
„Was
war bitteschön dein Plan, Granger?“ Er sah sie abfällig an. Sie öffnete den
Mund, aber vor Schmerzen konnte sie nicht sprechen. „Was?“, wiederholte er und
zog derweil schon seinen Zauberstab.
„Meine…
Hand…“ Sie überwand sich schließlich doch und riskierte damit, dass er auch
dazu in der Verfassung sein könnte, ihre Hand einfach abzufluchen. Er runzelte
die Stirn. Er überlegte eine schiere Endlosigkeit. Dann löste er mit einem
Schlenker die Fesseln. Sie brach über dem Stuhl zusammen und sog scharf die
Luft ein.
„Steh
auf“, sagte er jetzt. Sie hielt die Augen geschlossen und musste erst mal Kraft
sammeln. „Granger, zwing mich nicht, dich zu…“
„Halt
deine Klappe!“, knurrte sie schließlich und richtete sich langsam auf. Sie
fluchte heftig und stand schließlich aufrecht. Ihre Hand war dunkelblau. Er
schien seine Worte zu vergessen. Sie nahm an, er hatte sie verfluchen wollen,
dafür dass sie ihn angeschrieen hatte.
„Verfluchter Mist. Was hast du gemacht, Schlammblut?“ Er kam näher, den
Zauberstab immer noch auf ihr Herz gerichtet.
„Ich?“, fuhr sie ihn an, vergessend, dass sie völlig unbewaffnet war. „Du hast
mir doch…“
„Halt
deinen Mund, verflucht noch mal“, unterbrach er sie gereizt. Er fuhr sich durch
die Haare. „Ich kann das heilen.“ Sie wusste nicht, ob er es sagte, nur um es
zu sagen, oder ob er wirklich etwas tun wollte.
„Ich
kann es selber heilen“, gab sie zurück und er hob spöttisch eine Augenbraue.
„Mit
was? Gedankenkraft, Granger?“
Der
Zauberstab war in seiner Hand gesunken. Ihr Mund schloss sich wieder. Jetzt
hatte sie fast vergessen, dass sie hier gefangen gehalten wurde. Ihm schien
auch aufzugehen, dass er eigentlich überhaupt nicht mit ihr hatte sprechen
wollen. Sein Blick wurde finster. „Schön. Halt still. Und versuch keinen Scheiß
mit mir“, drohte er ungerührt. „Streck deine Hand aus.“
Sie
folgte seinen Worten nach einem kurzen Zögern. Schlimmer konnte es unmöglich
werden. Er sprach die Formel laut. Sie sprach die Formel auch laut, denn sie
war schwer zu merken. So hatte sie Ron oft geheilt, wenn er sich Knochenbrüche
zugezogen hatte. Sie fragte sich, woher Malfoy sie überhaupt kannte.
Er
versprach sich nicht. Das war gut.
Ihre
Hand dampfte heftig. So sah es aus. Sie hatte es noch nie selber erlebt. Es war,
als würde sie eiskalt werden. Dann wurde sie heiß, ihre Finger spreizten sich
wie von selber und plötzlich verschwand die Schwellung.
Es
war ein Gefühl, als ob ihr die Hand zerquetscht wurde. Die Farbe wurde immer
heller. Sie keuchte auf. Sie dachte tatsächlich, verbrennen zu müssen. Sie sank
unbewusst auf die Knie, denn sie konnte sich nicht mehr halten. Malfoy hielt
den Zauberstab jetzt mit beiden Händen fest und richtete ihn immer noch auf die
Hand.
Dann
war es vorbei.
Tränen
standen wieder in ihrem Augen. Die Hand schmerzte noch, aber das war der
Heilungsschmerz. Nicht der Schmerz der Verletzung. Malfoy atmete heftig.
„Steh
auf“, sagte er jetzt erschöpft. Sie atmete langsam aus. „Granger!“, fügte er
warnend hinzu, aber sie konnte sich noch nicht bewegen. „Ich habe gesagt…“
„Ja,
ich versuche es!“, rief sie aus, denn die Schwäche war einfach zu viel. Sie
kannte ihren Körper gut genug, um zu wissen, dass sie gleich wahrscheinlich
ohnmächtig werden würde, denn das bisschen Brühe war nicht nahrhaft genug
gewesen, um sie diese Verletzung überstehen zu lassen, ohne schwach zu werden.
„Bei
Merlin, ich habe keine Lust mehr auf diese Scheiße!“, schrie er und packte sie
grob an ihrem gesunden Arm, um sie in die Höhe zu ziehen. Ihr fiel auf, dass er
sie nicht mehr ansah. Er zog sie heftig aus dem Badezimmer zurück in den Salon.
„Das ist hier kein verfluchter Urlaub, hast du verstanden?“, knurrte er und
Panik stieg wieder in ihr auf.
„Denkst
du wirklich, das denke ich?“ Sie weinte wieder. „Wieso bringst du mich nicht
einfach um, Malfoy? Wieso…“ Sie sog die Luft ein, als er sie näher an sich
brachte und ihren Blick erwidert.
„Du
hast mich doch auch nicht einfach umgebracht“, entgegnete er mit gefährlicher
Ruhe. „Denkst du, ich mache es dir so leicht?“, fügte er leise hinzu.
„Nein,
du verfluchtes Arschloch“, erwiderte sie erstickt. „Du lässt erst noch zu, dass
dein Vater mich vögelt und foltert!“ Zwar hatte sie den restlichen Tag über
nicht die Zeit gehabt, Angst zu haben, aber dafür schien sie jetzt ihren
Zusammenbruch zu bekommen. Sie sah, wie sich sein Kiefermuskel hart in seinem
Gesicht abzeichnete.
„Das
ist mir verflucht noch mal scheiß egal, Granger!“
Es
verging eine Sekunde, ehe sie sich in seinem Griff zu wehren begann. Sie wollte
so nicht sterben! Nicht hier zumindest. „Zwing mich nicht, dich wieder zu
schlagen“, drohte er jetzt und setzte ihr den Zauberstab direkt ans Herz. Ihren
Zauberstab.
Noch
immer wehrte sie sich. Es war ihr egal. Sollte er sie schlagen, am besten so stark,
dass sie sofort bewusstlos werden würde!
„Imperio!“, rief er jetzt mit donnernder
Stimme.
Ihr
Wille schwand. Er war einfach weg. Fast hatte sie schon vergessen, dass sie
sich vor einer Sekunde noch gewehrt hatte. Er ließ sie abrupt los. Sein Atem ging
schnell. Er fixierte sie mit einem zornigen Blick. Sie war zu müde, um sich zu
wehren, um ihm den Zauberstab wegzunehmen, um irgendwas zu tun. Der Imperius
hüllte sie in den warmen Wunsch, ihm Folge zu leisten.
Dabei
kämpfte sie hart. Aber sie hatte nicht ausreichend Kraft, um ihn zu brechen.
Sie wusste, der Junge konnte es… wie hieß noch mal der Junge? Ihr Verstand
wurde immer träger, während er den Zauberstab immer noch auf sie gerichtet
hielt. Der Junge… mit der Narbe… wie war sein Name?
„Du
wirst dich nicht mehr wehren, hast du verstanden?“ Seine Stimme klang verzehrt
in ihren Ohren.
„Ja,
Malfoy“, erwiderte sie ruhig. Weshalb sollte sie sich wehren wollen?
„Ich…
werde dich wieder fesseln, Granger“, informierte er sie jetzt. Seine Stimme wurde
wieder ruhiger. Nein…, schlug ihr
Verstand jetzt vor. Nicht mehr fesseln. Sie schloss die Augen und schüttelte
langsam den Kopf. Nein, die Fesseln wollte sie wirklich nicht mehr.
Kämpf
doch gegen den Zauber! Sie machte einen ziellosen Schritt. Sie spürte, wie er
sie an die nächste Wand drückte. Hart krachte ihr Rücken dagegen. Sie keuchte
auf und öffnete wieder die Augen.
Der
Zauberstab saß ihr direkt an der Kehle. „Hör auf, dich zu widersetzen, Granger.
Hör einfach auf! Du bist…“ Er schüttelte jetzt den Kopf. Wieder musste er den
Blick abwenden. Die Rebellion in ihrem Innern flaute langsam ab. Wieso regte
sie sich gleich noch mal so sehr auf?
Es
ärgerte sie noch ein wenig, dass ihr der Name des Jungen nicht einfiel… Howard?
Seine
Hand hielt sie an der Schulter fest. Es schmerzte etwas. Aber sie sagte nichts.
Henry? War das sein Name? Benommen schüttelte sie den Kopf.
„Hast
du mich verstanden?“ Seine Stimme zitterte irgendwie beim Sprechen, stellte sie
dumpf fest. Sie nickte langsam.
„Ja,
Malfoy.“
„Gut“,
gab er zornig zurück. Wieder traf sie sein Blick. Seine Augen schienen dunkler
zu werden. Draco Malfoy… Ja, Draco Malfoy hielt sie fest.
„Harry!“,
sagte sie plötzlich. Ja, sein Name war Harry! Wie konnte sie das nur vergessen!
Sein Atem ging wieder schneller. Sie spürte wieder, wie sich ihr Verstand gegen
den Zauber zu wehren versuchte. Nein, sie wollte hier nicht stehen. Und sie
wollte die Fesseln nicht!
„Was
hast du gesagt?“, knurrte er jetzt wieder und der Zauber wurde stärker. Sie
wand sich wieder unter seinem Griff. Gleich konnte sie nicht mehr. Das wusste
sie. Ihr wurde heiß. Ihre Hand schmerzte. Ihre Gefühle waren gemischt. Ein Meer
aus Schmerz und Willenlosigkeit. „Was du gesagt hast, verfluchtes
Schlammblut!“, schrie er jetzt aufgebracht.
„Nichts,
Malfoy!“, wimmerte sie. Sie sah ihn wieder schärfer vor sich. Sie sah sogar den
feinen Schweiß auf seiner Stirn.
„Potter
kommt nicht, Granger! Keiner wird dich hier retten, hast du gehört, zum Teufel
noch mal?“ Er schüttelte sie grob. Tränen rollten aus ihren Augenwinkeln. Er
hörte plötzlich auf sie zu schütteln. Für einen trägen momentlang stand die
Zeit einfach still. Sie hob träge den Blick zu seinem Gesicht. Seine blauen
Augen waren unnatürlich hell, fiel ihr durch den Nebel auf, der in ihrem Kopf
herrschte.
„Küss
mich, Granger“, befahl er tonlos, keinen Augenblick später. Sein Wille brannte
in ihrem Innern, kochte an die Oberfläche, riss sie vollkommen mit. Was sagte
er da? Nein, nein, nein… Sie schüttelte
benommen den Kopf. Plötzlich spürte sie seinen Körper direkt an ihrem, spürte
seine Stirn an ihrer Stirn, seine Hand um ihren Nacken. „Küss mich“,
wiederholte er leiser.
Ihr
Wille brach.
Der
Zauber übernahm ihren Verstand. Ihre Hände griffen ohne Zögern nach seinem
Gesicht, nicht mal der Schmerz in ihrer Hand war noch vorhanden. Sie folgte
seinem Befehl und ihr Mund fand seine Lippen.
Sie
hörte ihn aufkeuchen und dann schlang sich sein Arm um ihre Taille und presste
sie zurück an die Wand. Nichts hatte mehr Form und Gestalt. Sie spürte nur ihn,
spürte nur seine perfekten Lippen, die verlangend ihre eigenen küssten.
Sie
küsste ihn, als hätte sie nie etwas anderes getan.
Nie
etwas anderes gewollt.
Er
schüttelte benommen den Kopf. Jetzt hatte er sich tatsächlich zum zweiten Mal
verknöpft. Dieses gottverfluchte scheiß Hemd! Er war fast soweit es in Flammen
aufgehen zu lassen. Er atmete gestresst aus, versuchte, seinen Atem überhaupt
unter Kontrolle zu kriegen. Seine Finger gehorchten ihm nicht. Er ließ sie
sinken.
Den
Zauberstab hatte er heute noch nicht angerührt. Zum ersten Mal hatte er Angst
vor der Kraft, die dahinter steckte.
Zum
aller ersten Mal in seinem Leben hatte er nicht das unstillbare Bedürfnis den
Zauberstab zu nehmen und irgendeinen belanglosen Zauber auszuführen. Es kam ihm
so vor, als wäre er verraten worden. Von der Magie. Von der einzigen Sache, die
ihn von gewöhnlichen, schmutzigen Muggeln unterschied. Und jetzt benahm er
sich, als wäre er einer von ihnen. Einer von den schmutzigen Muggeln, die ihr
Hemd ohne die Hilfe von Zauberei zuknöpfen mussten. Natürlich knöpfte er für
gewöhnlich sein Hemd auch ohne Zauberei zu, aber heute störte es ihn wesentlich
mehr.
Seine
Arme hingen leblos an seiner Seite. Sein Spiegelbild schien ihn nervös zu
betrachten. Die eisblonden Haare wurden viel zu lang. Viel zu viel zu lang. Er
musste sich darum kümmern. Sie fielen ihm nun schon fast in die Augen, wenn er
sie nicht ständig zurückstreichen würde. Er sah schon aus wie… Ein Knurren verließ
seine Kehle.
Nein.
Er sah nicht aus wie Lucius. Er wollte sein Zimmer nicht verlassen. Am liebsten
wollte er nichts mehr tun. Er musste denken. Musste weiter denken. Er zwang
sich, alle belanglosen Kleinigkeiten wach zu rufen.
Er
musste mit Lucius reden. Er musste ihn überzeugen, dass Snape ihr Feind war.
Lucius hatte ihm überhaupt nicht richtig zu gehört.
Er
hatte ihn versucht zu überzeugen, dass die Todesser nur wegen Snape wussten, wo
Potter zu finden gewesen war.
Aber
das war Bullshit. Draco hatte schon in der Schule gewusst, dass sein Patenonkel
auf Potters Seite gestanden hatte.
Ja,
das war gut. Snape. Snape bot das geeignete Ventil für seine endlose Wut, weil
er tatsächlich das Schlammblut geküsst hatte.
Seine
Faust schlug mit unberechenbarer Kraft in die Scheibe des Spiegels. Fast
lautlos splitterte das generationenalte Glas. Jetzt betrachtete sein
verstörteres Spiegelbild ihn ungefähr einhundert Mal. Er wandte sich zornig ab.
Winzige Bluttropfen erschienen auf seiner Haut.
Ohne
zu zögern, griff er nach seinem Zauberstab und heilte die winzigen Wunden auf
seiner Hand. Den Spiegel allerdings reparierte er nicht.
Langsam
atmete er aus.
Er
wusste, er konnte nicht ewig hier oben bleiben. Er wusste nicht einmal, ob
Lucius wieder im Haus war. Er wollte nicht mehr wissen, ob irgendwer im Haus
war. Und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.
Seine
größte Angst war, sie zu sehen. Was hatte er getan?
Für
gewöhnlich betrachtete er es nie als Verbrechen, was die Todesser taten. Zwar
wusste er, weit hinten in seinem Kopf, dass Geiselnahme mit Gefängnis bestraft
wurde, aber das blendete er eigentlich aus. Aber alles andere… er musste die
Augen schließen. Übelkeit stieg in ihm auf. Übelkeit, gemischt mit kaltem Hass.
Es
war schon spät.
Er
konnte sich nicht länger hier oben verstecken. Konnte nicht länger seinem
Spiegelbild anklagende Blicke zuwerfen, als wäre es sein Spiegelbild, was alle
Fehler dieser Welt machen würde.
Er
verließ sein Zimmer und lauschte auf den Treppen in die Stille des Hauses
hinein. Ihm kam niemals der Gedanke, dass Lucius etwas zustoßen könnte. Er
hielt seinen Vater für intelligent genug, sich nicht von Potters Leuten töten
zu lassen. Denn darum ging es schließlich. Diese kleinen Kämpfer zu vernichten.
Schuld, Übelkeit und das schlechte Gewissen ergriffen Besitz von ihm.
Für
einen wilden Moment wünschte er sich tatsächlich, dass sie die Todesser
besiegen würden, dass sie alle Todesser vernichteten, Voldemort dazu.
Dann
fiel ihm wieder ein, dass er selber dazugehörte. Er selber trug das verfluchte
Mal. Seine Hand lag auf dem Türgriff. Er brauchte noch einen Moment, ehe er ein
letztes Mal tief ausatmete, aufschloss und die Tür öffnete.
Sie
lag auf der Couch.
Ja.
Dort hatte er sie gelassen, fiel ihm wieder ein. Sie lag auf dem Rücken, die
Augen an die Decke gerichtet. Für einen kurzen Moment glaubte er, sie sei
gestorben, aber dann wandte sich ihr Kopf in seine Richtung.
Er
wusste nicht zu atmen, wusste nicht zu gehen, wusste nicht, was er sagen sollte.
Er wusste nicht mal, was er genau wollte.
Er
hasste das.
Er
hob unschlüssig den Zauberstab. Er sah es in ihrem Blick. Er sah es genau.
Fluchend
steckte er ihn zurück in seine Tasche. Was dachte sie von ihm? Dass er… dass
er… dass er… ?
Er
konnte nicht. Er wusste nicht einmal, was er denken sollte. Er fühlte nichts
mehr in seinem Innern. Was hatte er getan? Was hatte er nur getan? Er konnte an
nichts denken. Er sah sie. Er fühlte sie automatisch. Er hätte kotzen können.
Er hätte schreien können. Er hätte weinen können. Alles.
Alles.
Auf einmal. Und es würde niemals ausreichen, um das auszudrücken, was er
fühlte. Sie sagte nichts. Wieso sagte sie nichts? Langsam atmete er wieder aus.
Er wollte, dass sie ins Bad ging, damit… damit er nicht die verdammte Couch
reinigen müsste, wenn sie unter sich machte. Aber er wollte ihr nicht… er
wollte den Imperius nicht anwenden.
Er
wusste nicht, was er wollte.
Er
ertrug ihren Blick kaum.
Er
konnte nichts ändern. Es wurde ihm augenblicklich klar. Und entweder kam er
damit jetzt zurecht, oder er war ein verdammtes Weichei und kam nicht damit
zurecht. Er unterdrückte die Übelkeit und zog seinen Zauberstab.
Er
löste die magischen Fesseln stumm. „Steh auf“, befahl er. Seine Stimme klang
gewöhnlich. Gleichgültig. Befehlsgewohnt. Zuerst dachte er, sie würde sich
weigern.
Er
hoffte schon fast, sie würde sich weigern. Aber das tat sie nicht.
Sie
erhob sich, aber sie ließ ihn nicht aus den Augen.
Er
wusste, es gab nichts im Badezimmer, was sie als Waffe nutzen konnte. Sie
konnte nicht einmal abschließen. Wieso traute er ihr dann tatsächlich zu, dass
sie es schaffte, in einem Badezimmer ohne Fenster, ohne irgendwas, doch etwas
zu finden, womit ihr eine Flucht und sein Mord gelingen könnte?
Die
Frage hatte er recht schnell in seinem Kopf beantwortet: Weil es Hermine
Granger war. Ganz einfach.
Er
hatte bedauerlicherweise nicht dieselbe unmenschliche Erfahrung wie Potter und
Weasley im Geißeln und Quälen. Er richtete den Zauberstab auf den Tisch. Es
erschienen ein Handtuch und darauf eine Zahnbürste. Stirnrunzelnd betrachtete
sie die Gegenstände.
„Consigno!“, sagte er damit sie es hören
konnte und richtete den Zauberstab auf die Tür, dann auf das Fenster. „Fünf
Minuten“, fügte er schließlich hinzu und setzte sich auf einen der unbequemen
Stühle. Zuerst dachte er, sie würde sich nicht bewegen, aber, ohne ihn
anzusehen, verschwand sie im Bad.
Die
Tür und das Fenster hatte er versiegelt, weil… Tja. Wahrscheinlich, um ihr zu
zeigen, dass sie nicht rauskommen würde. Er hätte es Lucius in die Hand nehmen
lassen sollen. Granger wäre dann bestimmt schon tot oder wenigstens in so
schlechter Verfassung, dass sie ihm keine tödlichen Blicke mehr zuwerfen
konnte.
Tatsächlich
kam sie nach fünf Minuten wieder aus dem Badezimmer. Kurz sah er an ihr hinab.
Ihre Hände waren leer. Ihre Füße waren barfuß. Ihre Kleidung bot keine Tasche
oder Aufbewahrungsmöglichkeiten. Vielleicht war er paranoid, aber er spürte
wirklich nicht das Verlangen, sie selber zu durchsuchen. Er war kurz davor den Offenbarungszauber
durchzuführen, aber er fing sich.
Nein.
Es bestand keine Möglichkeit, dass sie ihn umbringen konnte. Er war gar nicht
so abgeneigt von dieser Vorstellung. Im Moment mochte er sich selber nicht
besonders. „Hunger?“, fragte er, um irgendwas zu sagen, aber sie schwieg
verbissen. „Ientaculum!“ Er hatte
diesen Zauber nach Jahren verfeinert. Zwar bekam sie jetzt sein Frühstück, aber
er war kein schlechter Esser. Sein Geschmack war verträglich. Verträglicher als
der von Lucius.
Auf
dem kleinen Tisch erschien jetzt sein Frühstück. Eine Tasse schwarzer Tee,
meist indischer, zwei Croissants, verschiedene Konfitüre-Sorten, denn er konnte
sich morgens nie entscheiden, italienische Butterkekse und der Tagesprophet.
Der
gehörte eigentlich nicht dazu, aber er hatte ihn in diesen Zauber eingebunden.
Granger
hatte für einen Moment vergessen, ihn mit Blicken zu durchbohren.
Kurz
fragte er sich, wann sie wohl das letzte Mal richtig gegessen hatte. Er sah
ihren Blick. Er griff sich den Tagespropheten, ehe sie es tun konnte.
„Setz
dich und iss“, befahl er jetzt und wartete, bis sie sich gesetzt hatte.
Sie
befolgte seine Worte widerwillig. „Einen Moment“, fügte er noch hinzu, griff
über den Tisch und nahm ihr das Brotmesser weg. Sie folgte seiner Bewegung mit
einem eindeutigen Blick.
Er
reagierte darauf jedoch nicht. Sicherheit ging vor.
Er
überflog die erste Seite, während sie nicht widerstehen konnte, und beinahe
gierig an dem heißen Tee nippte. Nichts Besonderes. Der Tagesprophet wurde vom
Ministerium kontrolliert. Das Ministerium wurde von den Todessern kontrolliert.
Er blätterte um. Es war nur eine kleine Anzeige.
H. Granger,
Freiheitskämpferin, verschwunden. H. Potter das erste Mal nach fünfzehn Monaten
wieder in der Öffentlichkeit gesehen.
Es
war nur ein kleiner Abschnitt. Darin stand auch nicht, dass Hermine Granger
entführt und als Geisel gehalten wurde, darin stand nur, dass Harry Potter an
die Öffentlichkeit gegangen war, um das Fehlen seiner Bekannten Hermine Granger
zu melden.
Draco
konnte sich ziemlich gut vorstellen, dass Potter etwas völlig anderes gesagt
hatte.
Aber
das bedeutete auch, dass er wahrscheinlich nicht zum Propheten gegangen war. Er
hatte bestimmt einen guten Grund, sich zu zeigen. Und er hatte bestimmt einen
Plan. Wenn auch vielleicht keinen guten, aber beim letzten Plan, hatte Potter
es immerhin geschafft, ihn als Geisel zu bekommen.
Und
tatsächlich war Potter also auf dem Weg.
„Und,
suchen sie mich schon?“
Sie
sprach tatsächlich. Er senkte die Zeitung. In ihrer Hand hielt sie bereits das
zweite Croissant. Das erste war schon weg. Er nahm zumindest an, dass sie es
gegessen hatte. Was sollte sie sonst mit einem französischen Buttercroissant
anstellen?
„Nein“,
gab er zurück, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Er konnte ihr
ansehen, dass sie wusste, dass er log. Er rollte den Propheten wieder zusammen
und richtete sein Augenmerk jetzt auf sie.
Tatsächlich
konnte er sie nicht hungern lassen. Er konnte sie nicht quälen, konnte sie
nicht so behandeln, wie er behandelt worden war.
Warum
das so war, wusste er noch nicht.
Er
nahm an, dass er einfach eine bessere Erziehung genossen hatte, was schon
einiges heißen sollte, denn er war bei weitem nicht zufrieden gewesen, mit
seiner Erziehung.
Es
war ein absurder Moment. Er saß hier in einem kleinen Salon mit Hermine Granger
und frühstückte, während draußen Krieg herrschte.
Was
war nur los mit ihm? Hatte er sich etwa an die Gesellschaft eines Schlammblutes
gewöhnt? Das konnte unmöglich der Fall sein.
Sie
aß tatsächlich alles auf, was er ihr gegeben hatte. Ob aus Lust oder Hunger
wusste er nicht. Es interessierte ihn auch nicht.
„Wo
ist dein Vater?“, fragte sie jetzt. Er spürte die Bitterkeit in sich aufsteigen.
Sie sah ihn nicht an.
„Lucius?
Vermisst du ihn?“, erkundigte er sich kalt, aber sie gab ihm darauf keine
Antwort. Er hatte keine Ahnung, weshalb sie ihn das fragte. Er hätte es lieber,
wenn sie ihn anschreien würde. Gott, ständig sah er sie an.
Sie
war die einzige Person, die er anscheinend in seinem Leben hatte.
Er
musste plötzlich lächeln. Ja. Das konnte eine mögliche Erklärung sein.
Jetzt
sah sie ihn fast panisch an. Er erhob sich plötzlich und sie wich bis zur Lehne
der Couch zurück. Wohl mehr aus Reflex als aus wirklich bewusstem Willen.
Er
wollte etwas Entsprechendes sagen, wollte Luft holen und ihr klar machen, dass
es nichts gab, worüber sie sich in dieser Hinsicht Gedanken machen musste.
Absolut nichts. Aber es war, als könne er nicht mehr sprechen.
Er
fühlte den Trotz. Er wollte ihr nicht auch noch erklären müssen, dass es
vollkommen bedeutungslos gewesen war, was er getan hatte.
Er
wollte, dass das dämliche Miststück sofort begriff. Er wollte nicht, dass sie
vor ihm zurückwich, als könne er sich jede Sekunde auf sie stürzen, weil… er
nicht anders konnte, oder so etwas in der Art! Das war nicht so.
Er
hätte das gerne gesagt, aber er konnte nicht! Er wollte nicht, verflucht!
Er
konnte es nicht ertragen, dass sie annahm, jeder Malfoy wolle ihren verfluchten
Körper vergewaltigen oder für einen momentlang besitzen! Er wollte ihr sagen,
dass sie nichts Besonderes war, dass er nicht war wie Lucius und dass sie für
ihn kaum mehr als Dreck unter seinen Füßen war.
Wieso
konnte er nicht? Wieso sagte er es nicht? Dachte er, es machte es ungeschehen,
nur weil sie beide die Klappe hielten?
„Hör
zu…“ Oh Gott! Er fing doch an zu sprechen. „Gestern Abend…“, fuhr er fort, biss
aber wieder fest die Zähne zusammen. Großartig. Gestern Abend, was, Draco? Das
war kein Mädchen, bei dem er sich entschuldigen musste. Er schloss kurz die
Augen. Dann öffnete er sie wieder und schüttelte zornig den Kopf.
Es
war nicht wie in der Schule. Er konnte sich nicht… entschuldigen? War das
wirklich das Wort, wonach er suchte? Suchte er überhaupt? Denn, es war egal.
Sie hatte nicht wirklich eine Wahl. Sie würde höchstwahrscheinlich… Ja, Granger
würde höchstwahrscheinlich hier in diesem Haus sterben.
Sie
war nicht die erste Muggel, die hier…
Für
einen Moment zerrte etwas an ihm. Irgendwo in seinem Innern. Irgendetwas,
mächtig und wild. Er unterdrückte es mit aller Kraft.
„Ich
habe kein Interesse daran, dich zu vergewaltigen“, erklärte er schließlich und
jedes Wort schmeckte falsch und unglaublich bitter. Wieder war da die Übelkeit.
Sie starrte ihn an. Ob sie wusste, dass sie sterben würde? Verflucht, woher
kamen diese vielen Gedanken? Er hätte einfach seine verdammte Klappe halten
sollen.
„Natürlich
nicht, Malfoy.“ Ihre Stimme zitterte regelrecht vor unterdrücktem Zorn. „Gewalt
anzuwenden, um mich dazu zu bringen, dich…“
„Nein!“,
schrie er, ehe sie zu Ende sprechen konnte. Schön, da war seine Wut wieder. Er
hatte sie schon fast vermisst. „Das war etwas völlig anderes“, endete er lahm
und fühlte sich schlecht, beinahe elend.
„Oh,
ach so, na dann.“ Ihre Stimme troff vor Wut. „Du hast mir meine Hand gebrochen,
Malfoy. Du hast mich ins Gesicht geschlagen!“, schrie sie jetzt. Das wusste er
selber. Dachte sie, das wüsste er nicht, zum Teufel noch mal?
„Ich…“
„Du hast mich geküsst, Malfoy!“ Sie war aufgestanden und zum ersten Mal dachte
er nicht sofort daran, sie mit dem Zauberstab zu Boden zu zwingen.
Wahrscheinlich weil das, was sie jetzt sagte, im absolut krassen Gegensatz zu
den anderen Anschuldigungen stand. Ja, er hatte sie geschlagen. Und dann hatte
er sie geküsst. Er war völlig verrückt.
Er
musste den Blick abwenden und ballte die Hände zu Fäusten. „Gegen meinen
verdammten Willen“, fügte sie mit einem Knurren hinzu. „Du… du hältst mich hier
gefangen und… tust solche Sachen, die…“ Sie schloss die Augen. Anscheinend
musste sie sich erst sammeln. „Und wieso tötest du mich nicht einfach direkt,
Malfoy?“
„Ich
halte dich gefangen? Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, ich würde dir
irgendwas antun? Du und deine verfluchten Potter Arschlöcher haben mich…!“ Er
fing sich. Er fing sich noch eben so. Nein. Er würde das hier nicht
diskutieren. So lief es eben. Er hatte Pech gehabt und hatte in Potters Falle
gesessen und jetzt hatte sie eben Pech gehabt und… bekam französische
Croissants und seine verfluchte ungeteilte Aufmerksamkeit in Verbindung mit
unerklärlichen Erektionen.
„Dein
Vater wird mich umbringen, wenn du es nicht tust.“
„Mein
Vater wird dich nicht umbringen“, widersprach er automatisch.
„Was?
Natürlich wird er mich umbringen. Es läuft alles darauf hinaus, dass er mich
umbringen wird, genauso wie Harry dich umgebracht hätte.“ Sie fuhr sich durch
die Haare, über ihr Gesicht.
„Ja,
er wird dich umbringen“, berichtigte er sich schließlich. Wieso zum Teufel
sollte er sich Gedanken machen? Es war völlig egal, wie viele Schlammblüter
sterben würden. Hauptsache, sie starben endlich, damit die richtigen Zauberer
wieder an die Macht kamen. Plötzlich schien ihr das Atmen schwer zu fallen. Er
fühlte sich verdammt schlecht. „So ist es eben, Granger“, fügte er hinzu, um
sich selbst zu beruhigen.
„Was?
Wie kannst du nur so reden?“ Ihre Stimme war leise.
„Was
verlangst du? Dass ich…“ Er machte eine weite Handbewegung. „Dass ich mein
Leben riskiere, um dich hier rauszubekommen? Dass ich Lucius verrate,
Voldemort, die Todesser? Nur um ein Schlammblut zu retten? Wozu?“
Sie
schnappte nach Luft. Er nahm an, dass sie jetzt einen Anfall bekommen würde.
„Wieso nicht?“, schrie sie jetzt. Sein Mund öffnete sich in absolutem
Unglauben. „Gott, Malfoy, wieso tust du all das? Wieso… begreifst du nicht…?
Wieso tust du nicht einfach das Richtige? Wie kann man denn so bescheuert sein
und das Falsche tun?“ Sie kam auf ihn zu. In ihrem Gesicht eine Mischung aus
Zorn und Verzweiflung.
„Granger,
krieg dich wieder ein oder ich…“
„Nein!“,
erwiderte sie, ohne seine Worte abzuwarten. „Wir müssen das Richtige tun! Wir
müssen diese verdammte Welt retten! Malfoy, du musst das richtige tun! Du musst
einfach!“ Sie starrte ihn an, mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn
wahnsinnig machte. Was zum Teufel wollte sie? Wollte sie ihn verrückt machen
mit ihrem kryptischen Scheiß?
„Bist
du verrückt geworden?“, erkundigte er sich fassungslos und schüttelte den Kopf.
„Ich werde dich wieder fesseln und…“ Plötzlich griff sie in seinen Kragen und
schüttelte ihn tatsächlich.
„Gott,
wieso bist du so? Du hast doch die Chance!“ Ihre großen Augen waren furchtbar.
Er ließ ihr zu viel durchgehen. Er dachte eigentlich, er hatte kein Herz für
Frauen. Er hatte kein Problem gehabt, sie zu schlagen – log er dreist in seinen
Gedanken.
Natürlich
schlug er nicht gerne Frauen, aber manchmal verdienten sie es eben nicht
anders. Ihre großen Augen. Ihre ganze Dummheit war auf ihrem Körper
ausgebreitet. All ihre Poren stanken förmlich nach Dummheit. Sie machte ihn nur
wütend. Was dachte sie? Nur weil ihr Leben plötzlich in Gefahr war, änderte
sich die Welt?
Er
fing ihre Hände ab. Schlammblut. Schlamm. Schmutzig. Gift.
Es
machte ihm nur leider nichts aus. Gerne hätte er, dass er plötzlich Ausschlag
bekommen würde. Aber leider bekam er keinen.
„Hör
auf damit.“ Er sagte es ruhig. Er versuchte es zumindest. Sie starrte ihn an.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ein simpler Kuss so etwas bei dir
auslösen kann. Vielleicht ist was hormonellbedingtes, Granger, aber die Welt
lässt sich nicht ändern. Du stehst eben auf der falschen Seite und dank deines
schmutzigen Bluts ist das auch nicht zu ändern.“ Er fand, dass hatte er sehr
überzeugend erklärt.
„Hörst
du, was du sagst?“, fragte sie ihn voller Verzweiflung. „Wie kannst du in
Grausamkeit leben wollen, wo doch…“
„Wo
doch Potter und Weasley meinen Tod planen? Oh, Granger, glaub mir, mein Leben
ist gut.“
„Du
weißt es doch!“, begann sie wieder von Neuem. Er hielt ihre Handgelenke immer
noch in seinen Händen. Sie machte keine Anstalten, sich zu wehren. Er hatte
keine Ahnung, ob sie nicht genug Schlaf bekommen hatte. Er sollte sie
verhungern lassen. Bewusstlos prügeln. Er sollte irgendwas tun! Aber auf gar
keinen Fall sollte er hier stehen und sie reden lassen.
Man
konnte nichts ändern. Erst recht nicht mit Worten. „Du sagst, du weißt, wo die
Waffe ist! Das heißt, du kannst alles ändern!“
Oh
Gott. Die verfluchte Waffe. Granger war unglaublich.
„Ich
habe gelogen.“ Er betonte jedes Wort. „Ich bin niemand, dem Voldemort das
anvertrauen würde, Granger.“ Jetzt starrte sie ihn wieder an. „Das ist hier
keine Frage der Religion, Granger. Es ist nicht so, als ob du mich von
irgendeinem Gott überzeugen müsstest. Es geht hier um simple Politik. Ich habe
mich für meine Seite entschieden. Du stehst auf deiner Seite.“
Ihr
Mund öffnete sich empört. „Bedauerlicherweise bedeutet das, dass du die falsche
Entscheidung getroffen hast“, fügte er hinzu und wollte sich am liebsten die
Zunge abbeißen, denn es bereitete ihm physische Qualen mit ihr zu reden, ihr
ihre Dummheit auch noch erklären zu müssen.
„Nein.
Ich habe überhaupt keine Entscheidung getroffen, Malfoy. Ich bin, wie ich bin.
Anscheinend liegt es an meinem Blut. Und nicht an Entscheidungen. Das bedeutet,
es handelt sich hier um reine Willkür, nicht um eine intelligente
Entscheidung.“
„Natürlich
geht es um Willkür“, begann er und hielt plötzlich inne. „Was?“ Er starrte sie
an. „Ich kann nicht denken, wenn du da bist“, fügte er verstört hinzu und
bereute diese Satz sofort wieder. „Ich bin Todesser, Granger“, begann er von
Neuem. Gott! Willkür hin oder her. Scheiß egal, verflucht!
„Bist
du nicht“, widersprach sie jetzt plötzlich. Er vergaß schon wieder ihre Hände
loszulassen.
„Ach
nein?“ Belustigung machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Wärst
du ein Todesser, hättest du mich schon längst gefoltert und würdest mir nicht
Croissants bringen!“ Sie sagte das wütend und er brachte sie näher an sich.
„Das heißt, Potter ist also ein Todesser, ja?“ Ihr Mund klappte auf und wieder
zu.
„Harry
ist kein Todesser!“, sagte sie nur.
„Oh,
ich bin sicher, Voldemort würde ihn mit offenen Armen empfangen.“ Wieder und
wieder stiegen ihm die Bilder in den Kopf. Sie öffnete den Mund, um zu
widersprechen, denn etwas anderes tat sie nicht. „Verflucht, du würdest längst
tot sein, wärst du Potters Gefangene gewesen. Ist dir klar, dass ich jedes
Recht habe, dich umzubringen? Ist dir überhaupt klar, unter welchen
Voraussetzungen ich in Potters kleinem Keller gefangen war?“
Er
hatte gar nicht vorgehabt, darüber zu sprechen. Denn darüber zu sprechen machte
ihm nur bewusst, dass sich sein Vater einen verfluchten Scheißdreck darum
geschert hatte, wie es ihm ergangen war. Und auch, wenn er ein Einzelgänger
geworden war – auch wenn es egal war, ob sich sein Vater sorgte oder nicht,
spürte er in seinem Innern, dass es nicht möglich war, alles allein zu
überstehen.
Er
hatte sie geküsst, weil er sie unter gar keinen Umständen hatte umbringen
könne. Er hatte keine Ahnung, ob das eben die logische Konsequenz war, aber das
war es eben für ihn gewesen.
Eine
Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und die Vorstellung war fast schon
lächerlich, dass sie für ihn weinte. Er nahm an, sie weinte, weil sie eben ein
Mädchen war.
Er
wusste, er konnte nichts weiter zu diesem Thema sagen. Er befürchtete, daran zu
zerbrechen, wenn er es doch tat.
„Hör
zu, für den Moment mag es dir nicht so erscheinen, Granger, aber glaub mir, es
kommt der Moment, wo du merken wirst, wer ich bin.“ Er presste die Worte
hervor. Und er wusste, sie stimmten. In der gesamten Schulzeit hatte er nicht
so viel mit ihr gesprochen. Er wusste nicht, was plötzlich in ihn gefahren war,
wusste nicht, weshalb es wichtig war, ihr klarzumachen, wer er war, er wusste
nicht -
„Wann?
Wenn du mich vergewaltigen willst, wie dein Vater, Draco?“
Es
war wahrscheinlich das erste Mal, dass sie seinen Vornamen benutzte. Und er
wusste nicht, warum sie es tat. Und er hasste es, dass es ihm auffiel. Stille
hing ihren Worten nach. Es machte ihn wütend. Es machte ihn wütend, dass sie im
Unrecht war. Seine Hände umfingen plötzlich ihre Schultern.
„Ja,
genau dann, Granger“, knurrte er haltlos und sie zuckte vor Schmerz zusammen.
Er stieß sie von sich und sie fiel unsanft auf den Boden. Er griff nach ihrem
Zauberstab, ehe sie sich erheben konnte und legte ihr wieder die magischen
Fesseln an. Er sorgte auch für einen unsichtbaren Knebel, damit sie endlich
ihren verdammten Mund halten würde.
Ihr
Mund. Schlammblut. Er hatte sie geküsst.
Zorn
schüttelte ihn. Er ließ das Tablett verschwinden. Er verschwand, ohne sie noch
einmal anzusehen und ließ sie achtlos auf dem Teppichboden liegen.
Ein
Schlammblut brauchte ihm nicht zu erzählen, dass er sich ändern musste.
Verflucht noch mal, nein.
Sein
Vater sollte sie endlich vernichten.
Teil 9
Ihre
Tränen fielen auf den Teppich. Sie lag unbequem auf der Hand, die er geheilt
hatte. Sie glaubte allerdings nicht, dass sie nach dem Sturz wieder gebrochen
war. Der Schmerz war erträglich.
Der
magische Knebel schnitt beinahe in ihre Mundwinkel. Er hatte sie einfach auf
dem Boden zurückgelassen. Hatte sie liegen lassen und sie konnte sich nicht
rühren.
Sie
hatte keine Ahnung, was sie gedacht hatte.
Vielleicht
hatte sie für einen wilden Moment geglaubt, dass er doch jemand anders war.
Dass er sie hatte küssen wollen, weil… weil er tatsächlich irgendwelche Gefühle
hatten, die sich von der reißerischen Mordlust unterschieden, die die anderen
Todesser an den Tag legten.
Aber
sie irrte sich. Sie hatte sich voller Verzweiflung auf sein Gewissen stürzen
wollen. Aber sie glaubte nicht, dass er tatsächlich über so etwas verfügte.
Sie
wusste nicht, was sie tun sollte, wie lange sie warten musste und wie lange sie
noch leben würde.
Es
kam ihr jetzt so vor wie Einzelhaft. Und ja, er hatte recht. Hier war es für
sie angenehmer als für ihn in Harrys Gewahrsam. Aber sie wusste nicht, warum es
so war. Sie wusste nicht, was er dachte, ob es überhaupt irgendeinen Weg gab,
etwas zu ändern, nur weil-
Sie
wusste überhaupt nicht, weshalb sie so dachte.
Sie
war so zornig mit sich selbst. So zornig, dass er ihr seinen Willen
aufgezwungen hatte. Sie war zornig auf ihren Geist und auf die Tatsache, dass
sie Draco Malfoy geküsst hatte. Dass ihr Willen sich so einfach hatte
manipulieren lassen. Und vor allem, dass es ihr nichts ausgemachte hatte.
Nicht
in dieser Sekunde.
Als
hätte sie wegen eines blöden Zaubers vergessen, wer sie war und wofür sie
stand. Es regte sie auf, dass Männer sie einfach ausnutzen konnten, dass Malfoy
sich aufführte, als hätte er das Recht dazu.
Am
meisten störte sie, dass sie das erste Mal nichts ändern konnte. Die Schulsprecherin
konnte nichts ändern. Die klügste Hexe der Generation konnte nichts tun, als
hilflos in Malfoy Manor auf einem Teppich zu liegen zu warten bis sie
vergewaltigt oder umgebracht wurde.
Oder
beides.
Sie
wollte nicht hilflos sein. Es war noch nicht zu ihr durchgedrungen, dass sie
einen chancenlosen Kampf focht.
Sie
hatte einen Fehler gemacht. Sie hätte Malfoy niemals… niemals die Chance lassen
dürfen. Sie hätte ihm niemals ihre Kraft geben sollen. Sie hätte auf Ron hören
müssen! Sie hatte Mitleid, es stimmte. Sie hatte immer Mitleid gehabt, und
glaubte ernsthaft, dass auch jedes Geschöpf ihr Mitleid verdiente.
Und
sie hasste sich für den Gedanken, dass sie glaubte, Malfoy müsste Mitleid mit
ihr haben. Dass sich ihre Gedanken beinahe verzweifelt an den Wunsch
klammerten, dieser widerliche Idiot würde wirklich etwas für sie empfinden und
das würde ihre Freikarte sein.
Sie
war bereit sich an diesen Wunsch zu klammern, obwohl sie noch nie einen
größeren Feigling erlebt hatte, als diesen verdammten Todesser.
Er
hatte es ihr klar gemacht. Todesser sein, war die bequemste Lösung. Warum
sollte er es aufgeben? Sie kam sich schäbig vor, dass sie so tief gesunken war.
Dass sie sein verdammtes Frühstück gegessen hatte, als könne sie so die
Tatsache überspielen, dass sie hier eine Gefangene war!
Sie
wollte schon förmlich zu Tode geprügelt werden, damit sie nicht die Zeit hatte,
zu glauben, dass es eine Chance für sie gab.
Es
gab keine Chance. Es gab einfach keine verfluchte Chance! Sie weinte wieder.
Langsam, ganz langsam verfiel sie in die stumme Verzweiflung, die sie
gefürchtet hatte. Langsam… langsam verlor sie die Hoffnung, die sie
weitergeschleppt hatte. Durch die nächste Stunde, durch den nächsten Tag.
Harry
würde nicht kommen.
Harry
würde nicht kommen, um sie zu retten. Harry war nicht mehr Harry.
Harry
war genauso brutal und schlecht wie die Todesser.
Keine
Liebe würde sie retten können.
Es
war keine mehr übrig in der Welt. Nur noch Gewalt.
Sinnlose,
mörderische Gewalt.
Die
Tür öffnete sich.
„Ms
Granger.“ Sie konnte den Kopf nicht heben. Die Position, in der sie lag, ließ
es nicht zu. Sie erkannte die gedehnte, grausame Stimme, ohne darüber
nachdenken zu müssen. „Was für eine denkbar unwürdige Haltung“, sagte Lucius
jetzt. Sie spürte seinen groben Griff in ihren Haaren. Ihr Herz schlug laut vor
Angst. Sie konnte nicht sprechen, konnte nicht schreien, konnte sich nicht
einmal wehren.
Er
zog sie unsanft nach oben. Sie sah ihn an. Eine hässliche Wunde zog sich über
sein Gesicht. Eine Wunde eines Fluchs, nahm sie geistesabwesend an.
Er
war wohl in einem Kampf verwickelt gewesen! Harry! Seine Augen studierten ihr
Gesicht, ihren Körper. Seine Hand fuhr langsam durch ihre Haare. Seine
Berührung war grob und unglaublich kalt.
„Wissen
Sie, wen ich gestern Abend getötet habe?“, fragte er und seine Freude bereitete
ihr eine Übelkeit, die sie kaum ertragen konnte. Tränen rannen ihr ungehindert
aus den Augenwinkeln, tropften auf ihre Wangen, ihre Lippen und Lucius Malfoy lächelte
immer noch. Nicht Harry! Nicht Harry!,
dachte sie voller Verzweiflung und war bereit sofort selber zu sterben, wenn
dies der Fall sein sollte!
Sie
wollte ihn mit ihren eigenen Händen umbringen, ihm Gewalt zufügen, dass er nur
noch bluten würde. Bluten und unter Qualen sterben! Blanker Hass schürte in
ihrem Innern ein qualvolles Feuer. „Es war ein Genuss, einen von Ihren Kämpfern
qualvoll sterben zu sehen, Ms Granger…“ Lächelnd fuhr seine Hand nun über ihren
Unterleib. Schlagartig setzte ihre Atmung aus.
Sie
schüttelte sich vor Ekel und Verzweiflung.
„Ich
bin in der Stimmung für etwas…“ Kurz schien er über seine Worte nachzudenken.
„Ablenkung“, fügte er nach einer Weile hinzu.
In
einer einzigen Bewegung hatte er sie gegen die Wand geschleudert, dass sie
bunte Punkte tanzen sah. Mit seinem Zauberstab löste er ihre Fesseln und ehe
sie begriff, dass sie frei war und sich auf ihn stürzen konnte, traf sie sein
Wille, sein Imperius.
Sie
spürte sofort, dass er stärker war, als sein Sohn, dass Lucius ein wahrer
Todesser war mit wesentlich mehr Erfahrung und einem eiskalten Herzen.
Ihr
Wille war fort.
Fort.
Fort…
Fort……
„Ms Granger…“ Wunderschön ertönte seine
Stimme in ihren Ohren. Verschwommen war ihr Blickfeld und ihre Gedanken
schwammen träge in einem Becken aus kompletter Willenlosigkeit.
„…ich will, dass Sie auf die Knie gehen…“
~*~
Es
war ein befreiendes Gefühl. Auf der Straße zu stehen. Weg, von Malfoy Manor.
Weg von seinem Vater, seiner Geisel und einmal nicht denken zu müssen. Nicht zu
denken, dass alles unerträglich war.
Die
Winkelgasse war nahezu leer. Die Häuser lagen grau und verlassen vor ihm. Er
sah Todesser oder Sympathisanten des Ministeriums. Den Kragen seines
Reisumhangs hatte er hoch geschlagen, damit er nicht den Anschein vermittelte,
eine Unterhaltung führen zu wollen.
Aber
niemand sprach ihn an.
Lucius
war noch nicht zurückgekehrt, als er gegangen war. Aber es war ihm gleichgültig
gewesen, dass Granger alleine gefesselt auf dem Boden lag. Er hoffte wirklich, sie
dort weinen, sterben, in ihrem Urin liegen und sich endlich genauso schmutzig
und schlecht fühlen, wie sie es verdient hatte.
Die
kalte Faust schloss sich um sein Herz.
Ja.
Bosheit war der Schlüssel. Er musste sie nur ausüben können. Nur das fehlte noch.
Seine
Hand lag auf der Türklinke zum Tropfenden Kessel. Kaum Leute waren im Innern.
Tom wischte schwerfällig die Theke. Sein Spiegelbild warf ihm wieder einen
nervösen Blick zu. Er ignorierte sein Gesicht in der schmutzigen Scheibe und
zog grob die Türe auf.
Widerlich
warme, verbrauchte Luft schlug ihm entgegen. Einige Blicke trafen ihn. Er
wusste, dass sie ihn erkannten. Konnte förmlich die Angst ums ich herum spüren
und wusste, dass es immer noch Leute ihr geben musste, die seinen Tod dringend
wollten. Seinen Tod, den Tod seines Vaters und dessen Verbündeten.
Er
sah sich um. Erwiderte die Blicke, die er fangen konnte, und konnte nicht
deuten, ob sie ihm feindlich gesinnt oder gleichgültig waren.
„Draco,
setz dich zu mir.“ Zorn erfüllte ihn augenblicklich.
„Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht töten sollte!“, knurrte er jetzt
und spürte, wie die Leute in der Kneipe unruhig auf ihren Sitzen rutschten, als
könnten sie so weiter fort von ihm, als könnten sie so, seine Worte und alles,
was falsch war ungeschehen machen. Snape blickte ihn müde an, und Draco Hand
lag bereits auf dem Zauberstab, bereit seinen Patenonkel qualvoll zu Boden zu
schicken.
„Du
willst mich nicht töten.“ Er blieb gelassen und klopfte auf den Hocker neben
sich.
„Du
bist ein verdammter Verräter“, knirschte Draco jetzt. Snape hatte ihn ebenfalls
in Potters Gewalt verrecken lassen wollen! „Du bist auf Potters Seite und sie
sind alle zu dumm, um es zu sehen!“
„Wie
geht es eurer Geisel, Draco?“, fragte Snape, anstatt zu antworten und heiße
Schuldgefühle bereiteten ihm Übelkeit. Er sah sich hastig um. Die Leute taten
so als wären sie beschäftigt. Vielleicht hörte auch keiner zu. Snape sah ihm
genau an, das ihm das Wort Schauer über den Rücken jagte.
Draco
setzte sich widerwillig und blanker Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Was willst du, Severus?“, erkundigte er sich abweisend.
„Wir
haben gestern gegen sie gekämpft.“ Das war ihm schon klar gewesen. Dennoch
konnte er nicht verheimlichen, dass er auf Informationen brannte.
„Potter
formiert sich neu.“
„Du
musst es ja wissen“, spuckte er ihm entgegen.
„Draco“,
mahnte ihn Snape jetzt ungehalten.
„Was?
Du stehst auf seiner Seite! Du willst uns alle vernichten!“ Er kostete ihn Anstrengung
seine Angst unterdrückt und seine Stimme im Zaum zu halten.
„Ich
will dir helfen“, erwiderte Snape ungerührt.
„Mir helfen? Ist das so? War das deine Motivation als ich in Potters Zelle
gelegen habe, schwach und schwer verletzt, Severus?“ Die Züge seines Gegenübers
füllten sich mit Zorn.
„Ich
war auf dem Weg! Ich wollte dir helfen! Ich wollte dich befreien! Es ist nicht
so leicht, Draco!“ Er erhob sich zornig. Er wollte ihn nicht reden hören,
wollte ihn nicht sagen hören, dass sein Leben unwichtig war und dass es mehr
Zeit kostete, unwichtige Charaktere zu retten. Er wollte es nicht!
„Draco,
bleib hier!“, hörte er ihn knirschen und er schüttelte den Kopf.
„Ich
habe es nicht nötig, in deiner Anwesenheit zu sein.“
„Nein?
Willst du lieber zurück in dein Haus? Von deinem Vater allein gelassen? Allein
mit Hermine Granger?“ Draco konnte sich nicht zurück halten. Er schloss den
Abstand und jagte seinem Patenonkel die blanke Faust so hart ins Gesicht, dass
er glaubte, seine Knöchel wären gebrochen. Snape sackte vom Stuhl, konnte sich
nicht halten und riss einige leere Gläser mit sich.
Er
erwartete, dass irgendjemand etwas tun würde, dass ihn jemand rauswerfen würde,
aber die Leute starrten ihn nur an. Abwartend, ängstlich. Selbst Tom wirkte
unschlüssig. Snape erhob sich wankend. „Ich will dir helfen, du gottverdammter
Bastard!“, knurrte Snape jetzt und richtete mit seinem Zauberstab seine Nase.
Blut klebte in seinem Gesicht. Seine dunklen Augen fixierten ihn drohend.
„Draco,
das ist nichts für dich!“ Draco hätte am liebsten gelacht.
„Was
soll das heißen, Severus?“ Er war näher gekommen, wünschte sich fast, dass
Snape ihn schlagen oder verfluchen würde und seine Atmung ging schneller.
„Willst du mich bei Potter verstecken? Danke, das hat mir schon gereicht!“ Er
hasste es! Er hasste seine Bedeutungslosigkeit.
„Es
tut mir leid“, sagte er tonlos. Aber Draco schüttelte den Kopf. Er wollte das
nicht hören! Er wollte das nicht hören. „Potter sucht nach der Waffe“, fuhr
Snape leiser fort, als die wenigen Gespräche wieder begonnen hatten. Diese
verfluchte Waffe! Draco wollte am liebsten um sich fluchen.
„Das ist mir scheiß egal!“
„Er
kennt sie nicht! Er weiß nicht, worum es geht! Er hält sie für etwas, das man
anwendet. Einen Zauber, einen Fluch, einen Gegenstand, Draco! Hör mir zu!“
Snape hatte ihn am Kragen gepackt, als er sich abwenden wollte.
„Lass
mich los! Mich interessiert dieser Unsinn nicht“, knurrte er zornig. Snape
hielt ihn fest.
„Hör
mir zu! Du musst mir zuhören! Ich versuche es dir schon seit Ewigkeiten klar zu
machen!“ Draco wollte es nicht hören. Er war nicht in die Stadt gegangen, um
sich anschreien zu lassen, um wieder erinnert zu werden. Er wollte gar nichts.
Er wollte kein bedeutungsloser Bauer sein, im Schachspiel der Grausamkeit. Er wollte
nichts! Er wollte nicht zurück, er wollte nicht nach vorne!
„Wieso
bist du nicht ins Haus gekommen? Wo warst du die verdammten letzten Tage?“,
schrie er jetzt und scherte sich einen Dreck darum, dass die verkommenen Leute
ihn wieder anstarrten.
„Es
gab keine Gelegenheit und dank deiner Ansprache, wird mir Misstrauen entgegen
gebracht, sehr zu Bellatrix‘ Begeisterung. Sie ist mir ständig auf den Fersen.
Ich habe Glück, überhaupt eine Sekunde allein zu sein!“
„Das
tut mir wirklich leid, aber du verdienst nichts anderes! Doch“, berichtigte er
sich zornig. „Du verdienst Voldemorts Zorn und…“
„Halt
deinen Mund!“, schrie Snape jetzt und zog ihn mit sich. „Draco! Mit der Waffe
lässt sich alles vernichten!“ Er wehrte sich in seinem Griff. „Voldemort kennt
sie nicht.“ Kurz hielt er inne. Was? Was redete Snape da? Dieser nutzte seine
Chance und umfasste nun Dracos Schultern mit verzweifelter Kraft. Das Blut war
auf seiner Wange getrocknet. „Die Waffe ist kein Gegenstand!“
Draco
entzog sich seinem Griff. „Ich will es nicht hören.“
„Doch!
Du kannst etwas verändern, Draco“, zischte Snape. Und er wollte nicht schon
wieder diese Ansprache hören. Was dachten die Leute? Dass er sich einfach ihrem
Willen fügen würde, nur weil sein Vater ihm einredete, dass er nutzlos war?
„Ich
will es nicht hören!“
„Weil
du Angst hast?“, vermutete Snape und die Enttäuschung war greifbar in seinen
Worten. Draco schüttelte wütend den Kopf.
„Es
ist unsinnig! Wir Todesser haben die Macht, Snape! Was willst du tun? Dich als
einziger auflehnen? Gegen was? Gegen die Macht, die Welt zu regieren?“ Snape
sah ihn fassungslos an.
„Es
muss beendet werden“, entgegnete er ruhig. „Verwunderte es dich nicht, dass ihr
trotzdem immer wieder um euren Platz in der Welt kämpfen müsst, um an der
Spitze zu sein? Wenn ihr sowieso die besseren seid, wieso ist es dann so
schwer? Das sollte dir eigentlich zeigen, dass ihr die falsche Seite besetzt.“
Er
wollte es nicht hören. Er wollte nicht den Kern an Wahrheit in Snapes Worten
erkennen. Er musste es auch nicht. Snape wollte es beenden? Da kannte er doch
schon den geeigneten Kandidaten.
„Darum
soll Potter sich kümmern“, informierte Draco ihn belustigt.
„Nein.
Das kann er nicht. Du hast die Waffe, Draco.“
Für
einen Moment warf ihn das aus der Bahn. Er hatte was? Was wollte dieser
Verrückte von ihm? Er musste hier weg. So schnell er konnte. Am besten floh er
so weit, dass ihn niemand mehr finden würde! Er schüttelte langsam den Kopf.
Snape irrte sich! Er besaß keine Waffe!
„Ich
kann es nicht allein! Du musst mir helfen, Draco“, flüsterte er eindringlich.
Wieder schüttelte er stumm den Kopf. „Du musst mir helfen, du musst es tun! Du
musst mir vertrauen. Du musst es tun!“ Snape kam ihm schon vor wie Granger. Was
war nur in die Leute gefahren? Sie konnten ihn nicht zwingen, irgendetwas zu
tun. Sie konnten nicht! Er wollte nicht. Und er würde nicht!
„Ich
kann nichts tun, Snape. Ich will es nicht“, knurrte er leise, denn Gott sei
Dank hatte niemand etwas von ihrem Gespräch mitbekommen.
„Draco,
du hast nur Angst! Das ist alles, was dich hält.“ Er schüttelte wieder den
Kopf.
„Nein.
Das ist es nicht, Severus. Ich bin zufrieden mit meiner Stellung. Du bist
völlig verrückt geworden!“, fügte er hastig hinzu. Snapes Hände griffen nach
seinem Gesicht. Er zwang ihn, in seine dunklen Augen zu blicken.
„Granger
ist die Waffe, Draco! Es dauert zu lange, es hier zu erklären. Wir haben nicht
viel Zeit. Die Spione folgen mir unablässig.“ Dracos Mund öffnete sich in
verblüfftem Erstaunen. Was?
„Granger?
Sie ist ein verdammtes Schlammblut, Snape!“ Sein Gegenüber verlor seine Geduld.
„Du
wirst unter Voldemorts Führung zu Grunde gehen, Draco.“
„Nein,
ich werde unter seiner Führung überleben.“
„Zu
welchem Preis?“, fragte er wütend. „Und du irrst dich. Du musst mit Granger
fliehen! Ich habe alles vorbereitet. Ich habe einen Plan! Du musst mir glauben.
Hast du mich verstanden?“ Draco schüttelte wieder den Kopf. Die Tür der Kneipe
öffnete sich wieder. Snape zog ihn tiefer in den Schatten. „Ihr darf nichts
geschehen, hörst du?“ Sein Mund öffnete sich.
„Das
ist verrückt! Das ist… nicht wahr…“
„Ich
muss gehen. Ich komme zu dir, sobald ich kann. Ihr darf nichts zustoßen, hast
du verstanden, Draco?“ Er schüttelte ihn heftig. „Hast du verstanden? Sorg
dafür!“ Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er konnte nicht mehr reagieren.
Snape ließ von ihm ab, übte einen Zauber aus und verschwand plötzlich vor
seinen Augen. Keine Sekunde später bog ein fremder Zauberer um die Ecke.
Anscheinend auf der Suche nach etwas.
Er
warf Draco einen ärgerlichen Blick zu und verschwand. Draco kannte ihn nicht.
Suchte der Mann nach Snape? Und was zum Teufel war gerade passiert? Was wollte
Snape von ihm? Er konnte ihm nicht vertrauen. Er konnte ihm nicht helfen! Er
würde bestimmt nicht sein Leben für ein Schlammblut riskieren. Niemals!
Etwas
in seinem Innern zerrte wieder an ihm. So gut er es unterdrückte, es war immer
da. Es war eine Art Kraft, die er nicht kannte Eine Kraft, die es ihm unmöglich
machte, seine Gedanken abzulenken.
Niemals
hatte er geglaubt, es hätte etwas mit Granger zu tun, aber der Gedanke an das
Miststück bereitete ihm unglaubliche Qualen.
Sie
war die Geisel verflucht noch mal. Es war nicht seine Aufgabe, dass ihr nichts
passierte.
Er
würde den Teufel tun! Es war ihm egal, was Snape sagte. Snape hatte keine Macht
über ihn. Er diente Voldemort. Und er wusste, Voldemort würde ihn belohnen,
würde er ihm von Snapes Theorie erzählen. Und er wusste, er würde Voldemort nie
zu Gesicht bekommen.
Er
musste irgendwas tun. Er musste in seiner Gunst steigen. Er wusste nur nicht,
wie.
Sein
Kopf schmerzte.
Er
hatte keine Ahnung, was richtig und falsch war.
Er
wollte nicht auf Snape hören. Er wollte niemandem gehorchen.
Die
Stadt schlug ihm auf den Magen. Er würde wieder nach Hause gehen. Es war kein
Zuhause mehr, fiel ihm bitter auf. Hier hatte er nur Panik, dass ihn irgendwer
verhaften würde…. Granger, eine Waffe. Als ob.
Er
hoffte inständig, Snape würde ihn nicht aufsuchen.
Wenn
Granger die Waffe war, wieso wusste es Potter nicht?
Und
wieso wusste es Snape?
Er
apparierte eilig zurück. Ein schlechtes Gefühl überkam ihn plötzlich und er
konnte nicht sagen, wieso.
Dunkle
Wolken hingen schwer über dem Herrenhaus. Eine Kutsche stand in der Auffahrt.
Lucius war zurück. Sein Herz schlug schwer in seiner Brust.
Das
Gefühl überkam ihn plötzlich, ohne Vorwarnung. Er wollte nicht mehr zurück.
Es
war still im Haus, als er eintrat. Ab und an brannten ein paar Lichter. Sein Vater
machte sich nicht mehr große Mühe. Draco nahm an, Lucius lebte in genauso
großer Angst vor Askaban, wie er selber.
Er
schlug nicht den Weg zum Salon ein. Wenn er sie nicht sah, dann musste er nicht
an sie denken. Waffe… Waffe…
Das
Wort wiederholte sich dumpf in seinem Kopf. Er fühlte sich wie ein Verbrecher
in seinem eigenen Haus.
Im
Studierzimmer brannte ebenfalls Licht.
„Draco?“
Sein Vater war betrunken. Er hörte es an der Stimme. „Wo warst du?“ Er ballte
die Hände zu Fäusten.
„Aus“, informierte er Lucius knapp, als er die Tür zu seinem Büro öffnete.
„Es
ist gefährlich draußen für dich allein. Ist dir irgendwer begegnet?“, fragte er
jetzt schlecht gelaunt. Er trug seinen Hausmantel und wirkte nicht so, als
würde er heute noch weggehen. Er traf sich also nicht mit seinem Klub der
Zerstörung, mutmaßte Draco bitter.
„Nein,
niemand“, log er jetzt. Zu gerne hätte er jetzt in dieser Sekunde gefragt, ob
sein Vater jemals vorgehabt hatte, ihn zu retten. Aber er fragte nicht. Lucius nickte
grimmig. Dann griff er nach einem Glas, gefüllt mit dunkler Flüssigkeit.
„Auch
ein Glas?“ Draco hob misstrauisch eine Augenbraue.
„Weshalb?“
Immer wieder nahm er an, dass sein Vater ihn vergiften wollte. Er wusste nicht,
woran es lag. Alkohol war nicht mehr etwas, dass er zwingend brauchte, wie noch
vor ein paar Jahren.
„Zur
Feier des Tages“, eröffnete ihm sein Vater. „Wir haben einen großartigen Mord
begangen. Es war ein Fest. Du hättest dabei sein sollen. Aber…“ Kurz schürzte
er seine Mundwinkel. Draco ballte die Fäuste. „Aber… das ist zu gefährlich.
Nachher wirst du wieder festgehalten.“ Wut kochte in ihm hoch. Sein Vater hielt
ihn für einen Schwächling. Am liebsten hätte er… Seine Gedanken verfingen sich kurz.
„Mord?
Wen habt ihr getötet?“, fragte er und seine Stimme klang blechern. Sein Vater
lachte. Er trank genüsslich einen Schluck, ehe er antwortete.
„Sein
Name entfällt mir ständig“, erwiderte er. Seine Stimme begann zu lallen. Draco
hasste ihn. „Maggen, nein…“, unterbrach er sich. „Corvan…, nein, ach
unwichtig“, beschloss er mit einer lästigen Handbewegung. „Es war ein Fest,
sage ich dir! Bellatrix hat sich fast im Blutrausch vergessen…“
„McLaggen“,
sagte Draco jetzt, ohne auf seinen Vater zu achten. Sein Herz schlug laut.
„Oh
ja! Corvan McLaggen!“ Er hob sein Glas und prostete ihm lächelnd zu.
„Cormac“,
verbesserte Draco tonlos. Sein Atem ging schwer in seiner Brust. Unbeeindruckt
füllte sein Vater sein Glas erneut.
„Kümmer
dich um unseren Gast. Ich werde sie morgen wieder brauchen. Sie ist… begabt.
Ich hasse es, wenn sie schmutzig sind.“ Draco hörte das Blut in seinen Ohren
rauschen.
„Du…
was?“
„Wasch
sie, Draco.“ Es war ein klarer Befehl. Sein Vater gähnte ungeniert.
„Wieder
brauchen?“, wiederholte Draco jetzt und konnte seine Gefühle nicht zuordnen.
„Oh
ja…“ Sein Vater lächelte wieder. „Du solltest es auch tun.“ Draco begriff. Sein
Mund wurde übergangslos trocken. „Geh, ich erwarte gleich noch ein wichtiges
Gespräch. Wir wollen doch nicht, dass du wieder alles versaust, nicht wahr?“
Er
wandte sich ab, ehe der Zorn die Überhand gewann.
Seine
Schritte wurden schneller. Er hatte keine Ahnung, was passiert war, aber
plötzlich schlug sein Herz wild in seiner Brust. Seine Gefühle vermischten
sich. Er entwickelte einen so großen Hass auf sein Leben, seinen Vater, seine
gesamte Welt.
Granger…
Granger… Waffe…
Er
rannte förmlich die letzten Meter, schloss die Tür auf und stürzte in das
Zimmer. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, wusste nicht, was er sehen wollte.
Alles in ihm zog sich zusammen.
Sie
war wieder gefesselt, saß auf dem Stuhl. Die Haare hingen ihr ins Gesicht. Sie
hob träge den Blick. Tränenschwer.
Ihre
linke Gesichtshälfte war blau, geschwollen. Blutergüsse zeichneten ihre Beine.
Sie trug keine Hose, nur das Oberteil. Klebriger Samen war auf ihren Beinen
getrocknet. Sein Mund öffnete sich, wurde trocken.
Er
wusste nicht, was mit ihm passierte, aber irgendwas in ihm zerriss.
Er
schloss die Tür, versiegelte sie hinter sich und löste stumm ihre Fesseln. Sie
rutschte vom Stuhl. Er fing sie auf. Sie hing bewegungslos in seinen Armen. Ihr
Atem ging langsam. Er roch Urin. Das Zimmer stank danach. Und nach etwas
anderem. Wut verschleierte seinen Blick.
Er
trug sie ins Bad, ließ das Wasser laufen, zog ihr Oberteil aus und stellte sich
mit ihr unter die Dusche.
Er
hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, wie viele Minuten er unter dem
heißen Wasser stand. Er spürte nur ihren Atem und seinen. Er dachte nur an
Snape und an seine Worte. Er hatte das Bedürfnis seinen Vater umzubringen und
dann selber zu sterben.
Das
Mädchen in seinen Armen regte sich nicht. Nur ihre Brust hob und senkte sich.
Ihr Oberkörper schien unversehrt zu sein. Über ihren Rücken zog sich eine
schmale rote Strieme. Er wusste nicht, wieso. Er wollte es nicht mal wissen.
Ihr darf nichts
geschehen…
Er
biss die Zähne fest zusammen. Plötzlich wurde ihm der feine Unterschied klar.
Der Unterschied zwischen sich und Granger.
Potter
hatte ihn gefangen gehalten, weil er Informationen wollte. Granger war nur
hier… Sie war nur hier, um gequält zu werden.
Er
legte sie auf den Fliesen ab und stellte das Wasser aus.
„Granger?“
Wasser tropfte von seinen Haaren auf ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen. „Hörst
du mich?“, fragte er jetzt und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt bei
Bewusstsein war, so wie sie ihn anstarrte. Er wusste nicht einmal, einen
geeigneten Zauber anzuwenden. Seine Sachen klebten an seiner Haut. Granger
klebte an seiner Haut. Sie fing an zu zittern.
Er
trocknete sie hastig mit seinem Zauberstab. „Kannst du stehen?“, fragte er
jetzt und kam sich hilflos vor. Hilfloser als sie. Sie sah ihn an. Er hob den
Zauberstab und tat, was sie getan hatte. Er heilte stumm ihre Wunden. Ihr
Gesicht bekam langsam wieder eine gesunde Farbe.
Er
erhob sich und zog sie mit sich auf die Beine. Sie stand vor ihm. Sie konnte
stehen. Das war gut. Sie sagte kein Wort.
Er
wollte etwas sagen. Wollte sagen, dass er wusste, was Lucius getan hatte, aber
seine Kehle war wie zugeschnürt.
Er
hatte keine Ahnung mehr, auf welcher Seite er stand. Ob auf Voldemorts, auf
Snapes, auf Potters, auf der seines Vaters – aber er wusste…
Er
würde es nicht zulassen können. Er würde es nicht ertragen können, dass sein
Vater Granger noch einmal etwas antat.
Er
wusste nur nicht, warum er es nicht konnte.
Aber
das war unwichtig.
Er
schüttelte benommen den Kopf. Dann hexte er erneut Sachen für sie aus dem
Schrank seiner Mutter ins Bad. Wahrscheinlich war das irgendwas
Psychologisches, nahm er an. Er wollte nicht nachdenken.
„Zieh
dich an“, befahl er leise und ließ sie los. Sie stand ohne seine Hilfe.
Er
ging aus dem Zimmer. Ihr Körper hatte heute keinen Einfluss auf ihn gehabt.
Doch. Einen grausamen Einfluss. Er säuberte das Zimmer und sorgte für essen.
Viel Essen. Ihm fiel auf, dass er noch nichts gegessen hatte.
Sie
kam nicht wieder. Er wollte am liebsten weglaufen, aber er besann sich.
Er
ging zurück ins Bad. Sie war angezogen. Ihre Hände stützten sich am Waschbecken
ab. Den Kopf hatte sie gesenkt.
„Granger“, sagte er, ohne etwas sagen zu wollen. Schließlich folgte sie seinen
Worten. Er versiegelte die Tür hinter ihr und bedeutete ihr dann Platz zu
nehmen und zu essen. Er wusste kein Gespräch anzufangen, nachdem sie sich stumm
gesetzt hatte. Es machte ihn wahnsinnig, daran zu denken, dass Lucius sie
gezwungen hatte… Nein! Er wollte es nicht denken! Er wollte nicht!
„Du
musst essen“, sagte er jetzt, denn er wusste nichts anders zu sagen. Sie sagte
nichts. Dann hob sie den Blick.
„Wen
haben sie umgebracht?“ Ihre Stimme schnitt tief in sein Bewusstsein. Er war
froh, dass sie aber überhaupt noch sprach. Er war froh? Wirklich? Er
durchsuchte seine Gefühle nach einer Lüge, aber er konnte keine Unwahrheit
entdecken.
„Was?“,
fragte er, nur um abzulenken.
„Wen?“
Bestimmt hatte Lucius den Imperius angewandt. Draco kam sich genauso schäbig
vor wie Lucius. Seine Hände begannen zu zittern. Ihr Blick senkte sich auf sie
hinab. „Malfoy“, ungeduldig sprach sie seinen Namen. Sein Blick traf ihr
Gesicht. Ein kaltes Gefühl übernahm.
Er
wollte ihr sagen, dass sie ihn gefälligst nicht so zu nennen hatte, aber etwas
hielt ihn zurück. Vielleicht die Absurdität, dass sie ihn niemals anders
genannt hatte? Von gestern abgesehen. Er seufzte schließlich. Er wusste nicht,
woher sie es wusste, aber er nahm an, Lucius hatte dafür gesorgt.
„McLaggen“,
gab er knapp zurück. Bitter schmeckte es auf seiner Zunge. Bitter, den Namen
von jemandem zu verwenden, den er kannte und der jetzt tot war. Ihr Blick wurde
starr. Sie rührte die Früchte und das Brot nicht an. Es regte ihn auf, dass sie
es nicht tat.
„Du
musst essen.“
„Ich
habe keinen Hunger.“ Zornig starrte sie ihn jetzt an. Er konnte ihr ansehen,
dass sie ihm die Schuld gab. Es klang absurd, aber er sah den Vorwurf in ihrem Blick.
Aber er war nicht bereit für diese Schuld. Er war auch nicht bereit, klein
beizugeben.
„Du
wirst essen“, informierte er sie deshalb.
„Ich will es aber nicht.“ Er mied jetzt ihren Blick. „Was ist? Zwingst du mich,
wenn…“ Sie unterbrach sich selbst. Er sah ihre Tränen kommen, ehe er den Blick
hatte abwenden können. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte verflucht
noch mal keine Ahnung! Er hatte noch nie so gefühlt. Er konnte nicht einmal
sagen, wie er fühlte. Er war so unsagbar sauer auf sie. Auf sich. Auf Lucius.
Und er wollte, dass sie aß, denn sonst konnte er Snapes Forderung nicht
nachkommen.
Er
wusste nicht einmal, weshalb es plötzlich wichtig war, dass sie nicht zu
Schaden käme. Er wusste nicht mal, was für eine Art Waffe in ihr steckte. Es
machte keinen Sinn. Welche Waffe konnte ein Schlammblut besitzen? Vielleicht
die grausame Waffe, dass sie es tatsächlich fertig brachte, dass er sich
schuldig fühlte, für… für verflucht noch mal eigentlich alles?!
„Nein,
werde ich nicht“, beantwortete er ihre Frage bitter. „Ich habe meine Meinung
geändert“, fügte er schließlich hinzu. Sie sah ihn verständnislos an. Er erhob
sich, denn er konnte nicht länger bei ihr bleiben.
„Was
soll das heißen?“, fragte sie schließlich, ohne den Blick zu heben. Kurz
überlegte er. Dann verzog er den Mund. Es kostete ihn Überwindung.
„Dir
wird nichts geschehen“, versprach er und seine Stimme zitterte. Ein wenig.
„Was?
Dafür ist es zu spät!“ Tränen fielen wieder auf ihre Wangen. „Ich kann auf
deine Lügen verzichten, Malfoy“, fügte sie gepresst hinzu.
„Niemand
wird dir etwas antun, hast du gehört?“, wiederholte er ernst und wartete, bis
sie ihn wieder ansah. Er wusste, sie glaubte ihm nicht. „Ich möchte, dass du
etwas isst, denn ich muss dich wieder fesseln, sonst… sonst schöpft Lucius
Verdacht“, murmelte er. Es erschienen Falten auf ihrer Stirn.
„Was
redest du da?“
„Ich
kann es dir nicht erklären.“ Weil ich selber keine Ahnung habe, was ich hier
tue. „Ich kann dir nur sagen, dass…“ Die Worte wollten nicht über seine Lippen,
so verrückt waren sie. Er wusste, würde er es sagen – würde er ein Versprechen
dieser Art ablegen, dann… wären die Worte viel zu real. Er seufzte. „Ich gebe
dir mein Wort, dass dir nichts geschehen wird, Granger.“ Seine Stimme zitterte.
Nur ein wenig. „Was auch immer das bedeutet“, fügte er hinzu.
Zu
seiner großen Überraschung nahm sie sich einen Apfel. Sie aß ihn widerwillig.
Anscheinend wollte sie mehr nicht zu sich nehmen. Er gebot ihr, sich auf die
Couch zu legen und zu schlafen. Sie legte sich wortlos hin und er hexte ihr die
Fesseln an Füße und Hände. Ihre Augen verließen seine nicht, und er sah, dass
sie ihm nicht glaubte. Aber er konnte ihr keinen Beweis erbringen, dass er
meinte, was er sagte. Er wusste ja selber nicht, ob er meinte, was er sagte.
Er
löschte das Licht und verschloss die Tür hinter sich.
Sein
Herz schlug laut. Verräterisch laut.
Was
hatte er getan?
Noch
hatte er gar nichts getan. Er spürte etwas Bodenloses in seinem Innern. Er kannte
es. Es war Aufregung. Er war tatsächlich aufgeregt.
Aufregung
unterschied sich nur so weit von Angst, in dem man bei Aufregung keine Furcht
vor den Konsequenzen verspürte. Bei Angst schon.
Er
hörte Lucius in seinem Studierzimmer schnarchen und wünschte ihm die Pest an
den Hals.
In
seinem Zimmer sank er auf sein Bett und überlegte, ob das, was er heute getan
hatte, sein Leben grundlegend verändern würde.
Er
nahm es mit großer Sicherheit an.
Und
er hatte keine Angst.
Als
sie aufwachte hatte sie immer noch Schmerzen.
Und
sie hatte geträumt. Wirre Dinge. Gott sei Dank war nichts klar gewesen. Der
Imperius war so stark gewesen, dass sie nur bruchstückhaft wusste, was Lucius
getan hatte.
Aber
sie erinnerte sich an seine Hände, an seinen Körper. Und ein Schauer befiel
sie. Ihr war kalt, sie wollte sterben. Sie wollte nicht mehr. Gar nichts mehr.
Und
sie glaubte Malfoy kein Wort. Kein einziges.
Sie
hatte keine Ahnung, was passieren würde, würde Lucius Malfoy heute wieder
kommen. Er sollte sie einfach vernichten. Das, was er tat, war schlimmer als
alles andere. Und Harry war nicht da! Sie hatte nicht das Gefühl, dass Harry
kommen würde, um sie retten. Was hielt ihn auf? Er wusste doch, wo die Malfoys
wohnten! Es war doch kein Geheimnis!
Wieso
konnte er ständig in Gefahr kämpfen, gegen hundert Todesser am besten. Aber bei
den zweien, die hier im Haus wohnten, da machte er eine Ausnahme?
Sie
wollte weinen. Sie wollte nicht mehr atmen.
Sie
hörte, wie die Tür geöffnet wurde, wie Männer sprachen. Kamen jetzt noch
weitere? Wurde sie weiter gereicht? Ihr Puls raste und sie versuchte gegen die
Fesseln zu kämpfen, aber sie war hilflos.
Sie
wollte nicht lauschen, sie wollte die Geräusche gar nicht hören.
Aber
sie konnte es nicht verhindern. Die Stimme sprach eindringlich und klang
gehetzt. Aber anscheinend war es ein Gast, sonst wäre er nicht in der Lage
gewesen, hier her zu kommen.
Dann
hörte sie einen Knall. Sie zuckte zusammen. Was passierte jetzt? War es doch
Harry? Nein, sie hätte seine Stimme erkannt. Und er käme ja wohl nicht zu
Malfoys Haus und klingelte?
Dann
öffnete sich ihre Tür.
Snape.
Es
war Snape. Und mit eiligen Schritten kam er auf sie zu, hob sie vom Boden hoch
und löste die magischen Fesseln mit einem Schlenker seines Zauberstabs. Ihm folgte
Draco Malfoy. Er trug eine Tasche über seiner Schulter und wirkte genauso
gehetzt wie Snape.
„Der
Umhang“, rief Snape jetzt, nachdem er sie begutachtet hatte, als würde er
kontrollieren, ob sie noch lebte. Malfoy griff in die Tasche und zerrte einen
dunkelgrauen, feinen Umhang hervor. Kurz begutachtete er ihn mit einem Blick,
den sie nicht deuten konnte.
„Wie
stark war der Fluch?“, erkundigte sich Malfoy jetzt und warf ihm den Umhang zu.
„Nicht
stark. Ich will nicht, dass er seinen Termin verpasst. Sie würden sonst noch
schneller aufmerksam werden.“ Sie verstand nicht, wovon sie sprachen. Sie
verstand gar nichts.
„Das
ist Harrys Umhang“, sagte sie nur. Sie wollte eigentlich etwas anderes sagen.
„Ja,
ich habe ihn mir geliehen. Harry braucht ihn heute nicht“, erklärte Snape
eilig. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er schließlich und sie nickte und
schüttelte gleichzeitig den Kopf, weil sie nicht verstand.
„Was
passiert jetzt?“ Und Snape ließ ihre Frage unbeantwortet. Er hatte sich
plötzlich abgewandt und verließ unvermittelt das Zimmer.
„Jetzt
gehen wir“, antwortete Malfoy anstatt seiner. Sie starrte ihn an.
„Wohin?“,
flüsterte sie.
„Was
ist? Willst du etwa hier bleiben?“, entgegnete er und sie konnte nicht sagen,
ob er anders war, als sonst. Alles, was anders war, war, dass er nervöser
schien. Regelrecht angespannt.
Ehe
sie antworten konnte, war Snape wieder da. „Hier.“ Er hielt ihm einen Stock
entgegen. Sie erkannte, es war Lucius‘ Stock. Sein Zauberstab. Mit einem
freudlosen Lächeln zog Malfoy ihn aus dem Holz, warf es achtlos zu Boden und
löste auch den Diamant vom anderen Ende. Jetzt sah er wieder aus, wie ein
Zauberstab.
Malfoy
griff in seinen Umhang und hielt ihr ihren eigenen Zauberstab entgegen. Sie
starrte verblüfft auf seine Hand. Er gab ihr ihren Zauberstab zurück.
Ihr
Mund hatte sich geöffnet, aber sie blieb stumm. Sie hörte ihn ausatmen und er
hob ungeduldig seine Augenbrauen.
„Nimm
ihn einfach“, sagte er jetzt. Sie wollte etwas erwidern, aber Snape zog Malfoy
nach draußen.
„Hermine,
halten Sie sich bereit. Wir verlassen das Haus in wenigen Minuten. Sie werden
den Umhang tragen.“
Kurz
hielt Malfoy noch inne, bis sie den Zauberstab genommen hatte. Kurz standen sie
sich als ebenbürtig gegenüber und kurz überkam sie das Verlangen, ihn zu
verfluchen. Aber sie unterdrückte diesen Impuls.
Keine
Sekunde dauerte dieser Moment an, ehe Snape Malfoy nach draußen gezogen hatte.
Sie sah sich im Raum um und ein kalter Schauer befiel sie. Und noch hatte sie
nicht völlig begriffen.
Aber
– anscheinend kam sie frei! Es sei denn, es war ein Trick.
Aber
es machte nicht den Anschein. Die beiden Männer kamen zurück, beide in dicken
Reiseumhängen, die das meiste ihrer Gestalt verbargen.
Snape beeilte sich, ihr Harrys Umhang anzulegen und
sie spürte das vertraute Gefühl der Unsichtbarkeit. Malfoy schien auf den Fleck
zu starren, wo sie gerade verschwunden war.
„Folgen
Sie uns. Wir werden das Grundstück verlassen. So schnell es geht. Und dann
werden wir apparieren. Ich sage es Ihnen bereits jetzt, denn sollte im Plan
etwas schief laufen, dann wünsche ich, dass Sie – egal, was passiert – zu
Spinner’s End apparieren. Sei es auch ohne mich.“ Den Satz schien er eher an
Malfoy gewandt zu haben. Sie nickte dennoch.
„Halten
Sie sich an Draco, denn er weiß, wo es ist“, fügte er jetzt an sie gewandt
hinzu.
„Wie
sollte etwas schief laufen?“, fragte sie mit ängstlicher Stimme, die kaum zu
ihr passte.
„Hermine,
es kann immer etwas passieren.“ Seine Stimme klang ernst und müde und er
vergewisserte sich, dass sie die Tür fest verschlossen hatten.
Ihr
kam der Weg unbekannt vor, dabei wusste sie, dass sie Malfoy Manor auf
demselben Weg hatte betreten haben müssen.
Hohe
Hecken säumten das Grundstück, schotteten es ab vor der Öffentlichkeit. Es war
sehr still und sie nahm an, dass es verhext worden war.
Sie
wollte gar nicht wissen, was sich noch in dem ausladenden Garten befand, den
sie noch nicht sehen konnte. Und sie war plötzlich stehen geblieben. Genauso
wie vor ihr Snape und Malfoy.
Den
Grund hatte sie noch nicht erkannt.
„Sie
folgen Draco, sollte er gehen“, sagte Snape schnell, und ehe sie etwas erwidern
konnte, bog Bellatrix Lestrange um die Ecke, den Zauberstab gezogen. Sie spürte
ihre Knie zittern und hielt die Luft an.
„Snape.
Draco.“ Es war kaum eine Begrüßung. „So früh unterwegs?“
„Das
gleiche gilt wohl für dich“, erwiderte Snape ruhig.
„Ich
dachte mir, ich hole Lucius persönlich ab. Im Moment ist er eher unzuverlässig.
Wohin soll es gehen?“ Sie hatte den Zauberstab noch nicht sinken lassen.
„Zum
Tor“, sagte Snape knapp. Sie verengte die Augen.
„Draco
bringt dich zum Tor?“, fragte sie argwöhnisch. Und Snape warf Draco nun einen
säuerlichen Blick zu.
„Dein
Neffe hält es für sicherer, mich zu begleiten, ja.“ Daraufhin lächelte sie.
„Oh,
Draco… Wäre Snape ein Verräter, dann würden wir ihn bestimmt nicht frei herum
laufen lassen, aber du kannst ja nicht vorsichtig genug sein.“ Sie klang so,
als würde sie ein Kleinkind tadeln. Sie konnte Malfoys Gesicht nicht erkennen,
aber er sagte nichts dazu.
„Hast
du mit Lucius gesprochen?“, fragte sie ihn und Snape zögerte eine kurze
Sekunde.
„Sicher,
was sollte ich sonst in diesem Haus?“, gab er zurück.
„Ich
habe dich eine Weile nicht mehr gesehen“, gab sie zu bedenken und Hermine hätte
schwören können, ihr Blick traf sie ganz kurz. Aber sie wusste, es war völlig
unmöglich. Sie stand völlig reglos unter dem Umhang und versuchte, nicht zu
atmen. „Hast du Lucius‘ neustes Spielzeug begutachtet? Oder lebt sie schon
nicht mehr?“, wandte sie sich jetzt an Malfoy.
„Nein,
sie lebt noch“, erwiderte er genauso knapp wie Snape.
„Wirklich?
Vielleicht gönne ich ihr einen kleinen Besuch“, überlegte Bellatrix mit einem
bösen Lächeln.
„Du
sprichst von Hermine Granger? Nein, ich habe sie noch nicht gesehen“, sagte
Snape gedehnt.
„Draco,
komm mit mir zurück. Ich denke, dein Verräter schafft es von hier aus allein“,
sagte Bellatrix jetzt. Hermines Herz schlug schneller.
„Nein,
ich werde das Tor hinter ihm versiegeln“, widersprach Malfoy mit ungewohnter
Ruhe in der Stimme. „Du kannst vorgehen. Lucius ist in seinem Studierzimmer.“
„Wahrscheinlich
trinkt er wieder“, mutmaßte sie grimmig. „Ich warte auf dich“, fügte sie jetzt
hinzu und Hermine sah, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ.
„Wie
du willst.“ Damit gingen er und Snape weiter. Noch mehrere Male wandte sich
Hermine um, um zu sehen, dass Bellatrix ihnen nachsah.
„Was
jetzt?“, flüsterte Draco heftig, als sie um die nächste Ecke gebogen waren.
Hermine hätte sich in diesem Labyrinth wahrscheinlich verlaufen.
„Wir apparieren. Du kannst nicht zurück gehen. Ich habe keinen Plan dafür.“
„Dein
gesamter Plan ist etwas dürftig, nicht wahr?“, gab Malfoy gereizt zurück.
„Willst
du etwa mit Bellatrix ins Haus gehen, damit sie sehen kann, dass Lucius
bewusstlos und Hermine nicht mehr da ist?“ Malfoy schwieg daraufhin.
„Wie
viel Zeit haben wir?“, fragte er stattdessen und Hermine erkannte das eiserne
Tor.
„Bis
sie es merkt?“, erwiderte Snape und schien kurz zu überlegen. „Eine Minute,
vielleicht weniger. Und das heißt, wir müssen in sehr kurzer Zeit mein Haus
verbarrikadieren. Hermine, ich hoffe, Sie wissen noch, wie das geht“, fügte er
an sie gewandt hinzu, leiser als zuvor. Sie nickte, aber das konnte er ja nicht
sehen.
„Ich
schlage vor, ich appariere zuerst. Dann folgen Sie beide. Und zwar schnell“,
fügte er hinzu, trat aus dem Tor und verschwand. Sie folgte Malfoy und fühlte
sich plötzlich freier als sie das Grundstück verließ. Malfoy verschloss das
Tor, legte noch einen stummen Spruch auf das Schloss, ehe er ihr seinen Arm
bot. Sie schob den Umhang zur Seite, so dass nur ihr Arm sichtbar war und ließ
es zu, dass er ihn fest unter seinen Arm hakte.
„Bereit?“,
fragte er, ohne sie wirklich anzusehen.
„Wenn
du es bist“, erwiderte sie und es war eher eine Floskel, als wirklich
ernstgemeinte Worte. Er zögerte eine winzige Sekunde. Dann spürte sie, wie er
sich drehte. Und sie mit ihm.
Malfoy
Manor blieb hinter ihnen zurück. London verschwamm vor ihren Augen, Haustür um
Haustür, Ort um Ort, bis sie ruckartig zum Stehen kamen und sie ohne ihn
wahrscheinlich gefallen wäre.
Sie
waren wohl da. Snape hatte bereits begonnen, Zauber zu beschwören.
„Ist
sie euch gefolgt?“, fragte er jetzt und Malfoy schüttelte den Kopf. Er gab
ihren Arm wieder frei und sie steckte ihn unter den Umhang. Nur zu Sicherheit.
„Hermine,
bitte legen Sie den Muggelschutz und den Muffliato auf das Haus“, bat er sie
und eilig folgte sie seinen Worten.
Dann
betraten sie das Haus. Es war klein, stellte sie fest, und sie glaubte, dass
Harry ganz in der Nähe gewohnt haben musste.
Sie
würde ihn später fragen, denn jetzt betraten sie eilig das Haus. Noch konnte
Hermine keinen feindlichen Zauberer entdecken, aber das würde nicht immer so
bleiben, das wusste sie.
Snape
legte noch einige Bannsprüche auf die Tür von innen und geleitete sie dann in
die Küche. Hermine zog den Umhang vom Kopf und ihr Magen knurrte heftig. Der
Tisch war gedeckt und sie merkte erst jetzt, wie hungrig sie wirklich war.
„Ich
dachte mir, ich bereite eine Kleinigkeit vor“, erklärte Snape und setzte sich
vor die Tasse, in der schon Tee kalt geworden war. Mit seinem Zauberstab heizte
er ihn kurz auf.
„Waren
Sie bei Harry?“, fragte sie jetzt und sah, dass Malfoy seinen Tee nicht anrührte.
Er war sowieso recht still.
„Ja,
gestern. Ich habe ihn nur kurz gesehen und beschlossen, ihm keine näheren
Informationen zu geben, falls wir belauscht werden“, erwiderte er und schob ihr
einen Korb Brot zu. Sie griff dankbar hinein.
„Wie…
geht es ihm?“, fragte sie jetzt und Snape schenkte ihr ein eigenartiges
Lächeln.
„Sie
fragen, wie es Harry geht, obwohl Sie es waren, die in Gefangenschaft gelebt
hat?“, erwiderte er sanft und sie ruckte mit dem Kopf.
„Es
geht ihm entsprechend. Es ist niemand mehr zu Schaden gekommen“, fügte er
hinzu. Das beruhigte sie und automatisch musste sie an Cormac denken. Das Brot
lag ihr auf einmal schwer im Mund.
Er
hatte sie geküsst.
Und
Malfoy hatte das auch getan.
Sie
hob den Blick zu ihm, aber sah nur nachdenklich auf seinen Teller.
„Draco?
Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Snape leise und Malfoy nickte einmal. „Ich
werde gleich mit Ihnen reden“, fügte Snape hinzu. „Hermine, wenn Sie sich
ausruhen möchten, dann habe ich das Gästezimmer vorbereitet. Es hat ein Bett“,
fügte er beiläufig hinzu und der Gedanke an ein Bett verlieh ihr ein wohliges
Gefühl. Ein Bett… das hatte sie schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
„Ich
würde mich gerne hinlegen“, gestand sie. Denn was nützte es, wach zu bleiben,
wenn es wohl besser wäre, so viel Kraft wie nötig zu sammeln?
„Essen
Sie auf. Dann können Sie gerne gehen.“
Stumm
aßen sie weiter. Auch wenn sie gerne nachgehakt hätte, über was Snape mit
Malfoy reden wollte. Ihre Erschöpfung war mäßig groß.
Auch
wenn sie vor Aufregung und Angst eigentlich nicht hätte müde sein dürfen, aber
sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal in einem Haus
gewesen war, wo sie sich frei bewegen durfte.
Und
so sehr sie sich auch gegen Snape ausgesprochen hatte – so sehr bereute sie es
jetzt. Denn er hatte sie gerettet. Und Malfoy. Aber diese Tatsache ignorierte
sie noch so gut es ging.
Als
sie vor Müdigkeit fast vom Stuhl kippte und Snape Malfoy auftrug, sie ins Bett
zu bringen, hatte sie noch genug Kraft, um zu protestieren. Sie würde es allein
ins Bett schaffen. Das tat sie auch.
Nur
wusste sie nicht mehr, wie sie dort hingekommen war, und war eingeschlafen, ehe
sie darüber nachdenken konnte.
„Wie geht es dir?“ Es kam ihm so
vor, als stelle Snape diese Frage zum tausendsten Mal.
„Gut“, erwiderte er und konnte seine
Gedanken nicht recht ordnen.
Er wünschte sich, es würde klarer
werden. Er vermisste sein Zuhause nicht. Auch Lucius vermisste er nicht, aber
er wartete förmlich auf die Zauberer, die sich vor dem Haus in einer Reihe
aufstellen würden, um sie zu stellen.
Zwar würden sie das Haus erst mal
nicht sehen, aber es gab bestimmt einen, der genau wusste, wo es verborgen war.
Und dann? Vielleicht würde es
niemanden stören, weil niemand von der Waffe wusste? Oder schöpfte Voldemort
Verdacht? Was war mit Potter? Draco spürte die pochenden Kopfschmerzen und
wollte sich verkriechen. Tief, in irgendeinem Loch, aus dem er nicht mehr
herauskommen musste.
„Du bereust es, oder?“ Draco fragte
sich, ob Snape ihn gleich angreifen würde, so nervös wirkte sein Pate.
„Nein, tue ich nicht“, gab er zurück
und sagte tatsächlich die Wahrheit. Er bereute es nicht. „Wann werden sie
kommen?“, fragte er jetzt, ohne die Antwort wissen zu wollen.
„Sobald sie verstehen, dass Hermine
mehr ist, als sie zu glauben denken“, mutmaßte Snape düster. Er wollte ihren
Vornamen nicht gerne in seinem Kopf spuken haben, wurde ihm plötzlich bewusst.
Es kam ihm falsch vor. So seltsam, Granger Hermine zu nennen. Wenn auch nur in
Gedanken.
„Zu dieser Sache… woher willst du es
überhaupt wissen?“ Draco wusste, dass sie darüber sprechen mussten. Vor allem
wollte Snape ja anscheinend, dass Granger nichts davon erfuhr. Die dachte auch,
die Waffe sie etwas völlig anderes. Und Draco war sich nicht sicher, ob er
wirklich wissen wollte, was die Waffe war.
Snape hatte sich abgewandt und war
zu seinem Bücherregal gegangen. Er kehrte zurück mit einem alten Band an
Geschichten und Gedichten, wie Draco erkennen konnte. Wollte er ihm eine Lesung
verpassen?
„Kennst du das?“ Er kannte es von
seiner Mutter damals, ja.
„Ich kenne es von Narzissa, aber ich
glaube nicht, dass ich diesen Sachen mehr Beachtung als nötig gezollt hätte“,
gab er diplomatisch zurück, weil er das Gefühl hatte, Snape wich seiner Frage
aus. Was sollte ihm ein Gedichtband helfen?
„Kennt du das Gedicht mit dem Titel
die Reinblüter-Prinzessin?“, fragte er jetzt leiser als zuvor. Draco
durchstöberte seinen Geist nach dieser unwichtigen Information. Seiner Mutter
gefiel dieses Gedicht immer besonders, glaubte er sich zu erinnern.
„Hm… irgendwas mit „verschwunden vom
Antlitz der Welt“ oder etwas Ähnliches“, erwiderte er. Ihm hatte dieses
Mädchenzeug nie gefallen. Snape nickte nur langsam und schlug das Buch dort
auf, wo das Lesezeichen steckte. Er reichte es ihm und Draco überflog die
wenigen Zeilen.
„Eigentlich war es kein Gedicht, im
ursprünglichen Sinne“, sagte Snape unvermittelt. „Und einen Titel hatte es
damals auch nicht. Es hat sich auch nicht gereimt.“ Draco konnte sich nicht
denken, was ihn weniger interessierte als das. Und wie Snape sich wirklich auf
ein dämliches Gedicht – was keins war – stützen konnte, ohne wahnsinnig zu
werden.
„Woher willst du das wissen?“,
fragte Draco und las die Zeilen erneut.
Die
Reinblüter-Prinzessin
Verschwunden,
gestohlen, vom Antlitz der Welt
Der Schlüssel, der
die Lösung enthält.
Ein Mädchen von
Blut so rein und klar
Mit magischer
Macht, die Stärkste im Jahr.
Die Liebe entfacht
die verschwundene Kraft,
bis zum ersten Mond
in finsterer Nacht.
Das Blut rot wie
Feuer, die Haut weiß wie Eis
Sie stürzt das
Dunkel, die Waffe im Geist.
Merlin, I.
Zeitalter - C.
„Weil
ich weiß, von wem diese Zeilen sind.“ Die meisten Geschichten und Gedichte in
dem Buch waren mit dem ersten Buchstaben abgekürzt. Hier war es nur ein
schlichtes C.
„Und
woher?“, fragte er jetzt und überlegte, ob Snape verrückt war oder ob irgendein
Korn Wahrheit in seinen Worten lag.
„Ich
habe Nachforschungen angestellt.“
Draco
wurde es langsam zu albern. „Severus, was soll mir so ein Gedicht sagen?“
„Es
soll dir sagen, dass es hier überhaupt nicht um ein Reinblut geht, Draco“,
erwiderte Snape etwas gereizter.
„Was?
Und wenn schon. Es ist nur…“
„Ein
Gedicht?“, unterbrach ihn Snape mit einem Hauch Überlegenheit in der Stimme.
„Nein, es war kein Gedicht, als es entstand. Es war eine Prophezeiung, Draco.“
Er
hob den Blick verstört. „Eine Prophezeiung? Von wem?“
„Von
Cassandra“, schloss Snape und Draco musste die Jahrhunderte in seinem Kopf
überschlagen, um zu erkennen, wie alt diese Prophezeiung dann wohl sein musste.
Merlins erstes Zeitalter war – in Zahlen gar nicht messbar, nahm er an. Es war
wie eine Redewendung. Als wenn man sagte, vor Eonen von Jahren… oder etwas
Ähnliches. Es war nie als wirkliche Orientierung an einer Zeit gemeint.
„Was?
Das ist nicht möglich. Was macht diese Prophezeiung dann in diesem Buch?“
„Sie
ist über die Jahre vergessen worden. Jemand hat sie entdeckt, umgeschrieben und
ihren Sinn so gut es ging entstellt. Es war nie von einem Reinblut die Rede. Es
war von einer jungen Frau die Rede, die stärker war, als jede andere, und das,
ohne das Privileg von magischer Abstammung zu sein.“ Draco starrte ihn an.
„Woher
weißt du das?“
„Ich
hatte ein bisschen an Zeit, um es heraus zu finden“, gab er bitter zurück. Ja,
Draco erinnerte sich an die Monate, in denen Voldemort ihn zurück gehalten
hatte, gefangen, damit er nicht die Seiten wechseln konnte. – Vergebens, wohl
gemerkt.
„Und
du bist dir sicher? Was soll das dann überhaupt bedeuten? Dass Granger die
Reinblüter-Prinzessin ist? Oder eben nicht, oder…?“
„Es
bedeutet, dass sich die Prophezeiung mit ihr erfüllen könnte, denn auf sie
treffen die Merkmale zu. Aber das können wir erst testen, wenn…“ Er unterbrach
sich. „Ich glaube, wir bekommen Besuch“, fügte er grimmig hinzu. Dracos
Nackenhaare stellten sich auf. Er hatte fast vergessen, dass er nicht zum
Plaudern hier her gekommen war.
„Was
ist das für ein Gerede von dem Mond und der Liebe? Das klingt doch wie eine
Begrenzung?“, fragte er argwöhnisch, denn dieses Gedicht war ihm immer noch zu
kitschig.
„Das
habe ich noch nicht völlig herausgefunden“, wiegelte Snape jetzt ab. „Werde ich
aber noch. Ich habe noch nicht alle Zeilen wieder herstellen können.“
„Snape,
wenn sie die Waffe sein soll, dann musst du es ihr sagen! Dann…“
„Es
ist erst mal wichtig, dass ihr nichts zustößt“, gab Snape hektisch zurück und
stellte sich dicht neben das Fenster. Draco folgte ihm.
„Wieso?
Wieso ist gerade das wichtig? Wenn sie es weiß, dann kann sie…“
„Du
denkst, sie wird es glauben?“, erwiderte Snape und sah ihn direkt an. „Glaubst
du es denn?“, fügte er kurz angebunden hinzu und Draco öffnete den Mund. Tat er
das? Es war zu leicht. Aber selbst wenn es wahr wäre, dann war ihm noch nicht
klar, was ausgerechnet Granger tun sollte.
„Wer
ist das?“, fragte er plötzlich. Snape folgte seinem Blick. Jemand hatte Snapes
Zauber durchbrochen. Dieser runzelte kurz die Stirn.
„Der Zauber richtet sich mit Absicht gegen Feinde. Kein Feind könnte ohne
Weiteres hier durchkommen“, gab er zurück.
„Also?“,
fragte Draco ungeduldig, den Zauberstab seines Vaters bereits zwischen den
Fingern. Er fühlte sich glatter und kälter an, als seiner es getan hatte. Oder
Grangers.
„Also
ist es kein Feind“, entgegnete Snape nur.
„Ich
kenne ihn nicht.“ Das stimmte. Es war ein hagerer Zauberer, mit langen,
braunen, schmutzigen Haaren.
„Vielsafttrank.“
„Meinst
du?“ Draco hätte gerne einen Fluch nach draußen geschickt.
„Ich
bin mir ziemlich sicher.“ Damit stieß er sich von der Wand ab und schritt zum
Flur. Draco folgte ihm augenblicklich.
„Du willst die Tür einfach öffnen?“, fragte er fast hysterisch. Das war einfach
zu viel.
„Nicht
ohne Zauberstab“, sagte Snape und zückte gerade diesen.
„Aber… das ist zu-“
Snape
zog die Tür auf, ehe Draco überlegen konnte, welches der tausend Argumente noch
dagegen sprach.
„Gib dich zu erkennen!“, forderte Snape kalt und den Zauberstab von sich
gestreckt.
„Mein
Leben auf den letzten Horkrux. Die Schlange, die unter deiner Führung und
meinem Zauberstab aus Drachenherz starb“, erwiderte der Gegenüber mit finsterer
Stimme. Draco verstand nicht. Was??
Snape
ließ den Zauberstab sinken. „Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst,
Harry.“ Dracos Mund öffnete sich, er wusste nicht genau, was er denken sollte.
So ging es ihm eigentlich die gesamte Zeit über.
Das
war der verfluchte Wichser Potter? Dann verdiente er eigentlich einen saftigen
Fluch. Und es war sein Zauberstab aus
Drachenherz! Potter hatte ihm seinen Zauberstab abgenommen! Vor einer
verdammten Ewigkeit!
„Was tut er hier?“, fragte Potters seltsam raue Stimme. Snape ließ den Fremden
eintreten.
„Dasselbe
wie du“, erwiderte Draco, ohne nachzudenken. Er hatte seinen Zauberstab noch
nicht sinken lassen. Der Fremde warf Snape einen eindeutigen Blick zu.
„Draco,
du kannst den Zauberstab-“ Doch Draco wollte nicht hören, was er konnte und was
nicht.
„Ich
warte schon eine ganze Weile darauf, dich wiederzusehen, Potter“, sagte er nur.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich noch von deiner Gastfreundschaft
gezehrt habe“, fügte er mit einem Knurren hinzu. Der Blick des Fremden
veränderte sich merklich. Draco konnte ihn nicht deuten.
„Am
liebsten würde ich dir genau dasselbe Schicksal zu Teil werden lassen.
Verkommen und allein in einem verfluchten Keller. Verletzt, verhungert und dem
Tod so verflucht nahe, dass es eine verdammte Einladung gewesen wäre, hättest
du den Mut gehabt, den letzten Schritt zu machen und nicht drauf zu hoffen,
dass noch irgendein nettes Wunder geschieht, dass dich nicht als skrupellosen
Mörder dastehen lässt!“ Er musste seine Stimme so sehr davon abhalten lauter zu
werden, dass sie begann zu zittern.
„Malfoy-“,
begann Potter, aber Draco war noch nicht fertig.
„Es
gibt absolut nichts, was du sagen könntest, dass mich über dich anders denken
lässt, als über jeden anderen Todesser. Und dass ich dir hier nichts antue,
obwohl sich keine bessere Gelegenheit bieten wird, dass liegt bestimmt nicht an
deiner privilegierten Existenz, Potter.“ Er warf einen Blick auf Snape, der
ähnlich fassungslos wirkte. „Du unterscheidest dich nicht von uns. Nicht von
mir, nicht von irgendwem sonst. Du bist kein Held. Vielleicht warst du einer,
aber diesen Ruf hast du meilenweit hinter dir gelassen.“
Potter
öffnete den Mund. Draco konnte Potter fast unter der Maskerade erkennen. „Glaub
ja nicht, dass das hier alles ist, Potter. Jetzt gerade mag ich die Kontrolle
über einen Waffenstillstand haben, aber ich will nicht, dass du womöglich
vergisst, was du getan hast.“ Er zog den Zauberstab zurück und nahm es Snape
ab, die Tür zu schließen.
Für
einen kurzen Moment standen alle drei noch im Flur.
„Wo
ist Hermine?“, fragte Potter. Und er fragte es interessanterweise ihn, nicht
Snape.
„Sie
ist oben und ruht sich aus.“
„Ruht
sich aus nach deiner
Gefangenschaft?“, fragte er lauernd und Draco konnte ansatzweise Potters Falle
riechen.
„Ihr
ist nichts geschehen.“ Das war eine Lüge und selbst Potter konnte es sehen.
„Du
bist nicht besser als ich, Malfoy“, sagte Potter nur. „Hermine ist besser als
wir alle. Wenn du sie-“
„Ich
habe ihr nichts getan!“, gab er zurück. Auch das stimmte nicht völlig.
„Jedenfalls wirst du sie jetzt nicht wecken“, fügte er abschließend hinzu. Er
würde sich nicht weiter über Geiselnahmen streiten. Es war nicht der Zeitpunkt
und nicht der Ort dafür.
„Was
sind das für Informationen, die du mir mitteilen wolltest?“ Draco hörte Potters
Ärger in der Stimme, als dieser sich an Snape wandte. Ärger und… etwas anderes.
Schuld?
„Ich
habe es Draco bereits gesagt. Es geht um die Waffe.“
„Du
hast sie?“ Potters Blick – oder der des Fremden – war nun voller Aufregung.
„Ja.
So gesehen haben wir die Waffe“, gab Snape gedehnt zurück und führte sie aus
dem Flur zurück in die Küche.
Sie
konnte sich nicht bewegen, war gegen die Wand gepresst, spürte eine Macht auf
sich wirken, die ihr völlig unbekannt war. Und sie jagte ihr große Angst ein.
Ihre
Hände krallten sich in rauen Stoff, waren vergraben in sengender Hitze und ihre
Lippen waren verschlossen mit derselben Hitze.
Muskeln
bewegten sich an ihrem Körper, Haut rieb sich an all den Stellen, die ihre
Kleidung nicht berühren konnte.
Atmen
brauchte sie nicht. Neues Leben wurde auf eine andere Art und Weise in sie
gebracht. Mit grober Gewalt. Mit unausweichlicher Gewalt. Mit absolut nötiger
Gewalt. In ihrem Innern brannte die gleiche Hitze wie außen.
Sie
brauchte mehr davon. Brauchte es dringender als ihre Gedanken.
Konnte
ihren Mund nicht weit genug öffnen, konnte nicht genug von der Hitze, den
Sensationen bekommen. Konnte nicht enger an ihn gedrückt sein, wollte keine
Luft mehr spüren, keinen Platz zum Atmen, wollte nur seinen verzehrenden, mächtigen,
unbegreiflich verzweifelten Kuss…-
Sie
saß kerzengerade in den weißen Laken.
Ihr
Atem ging keuchend, ihr Puls raste, als wäre sie gerannt. Als ihr Blick sich
verschlafen klärte, zuckte sie erneut zusammen.
„Na
endlich“, sagte er relativ tonlos. Sie sagte nichts. Malfoy stand reglos an der
Wand neben der Tür gelehnt und schien sie mit einem Blick aus Erwartung und
Neugierde zu betrachten. Vielleicht lag auch noch etwas anderes darin.
„Wie
lange habe ich geschlafen?“, fragte sie rau und fuhr sich verlegen durch die
Haare. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, wusste nicht mal, welchen Tag
oder welches Datum sie hatten.
Sie
nahm an, dass sie schrecklich aussehen musste.
„Ungefähr
dreizehn Stunden“, gab er zurück und ruckte mit dem Kopf. „Schätze ich. Ich
wusste nicht, dass ich die Zeit hätte stoppen sollen.“ Das klang wieder
schlecht gelaunt, wie immer. Er schien sich nicht wohl zu fühlen. Hier. In
diesem Zimmer. Mit ihr. Und das ging ihr ähnlich.
„Allerdings
meinte Snape, es wäre jetzt Zeit, dass du aufstehst“, fügte er hinzu.
Ihr
Blick fiel auf eine Tasche neben ihrem Bett. Sie kannte die Tasche.
„Was ist das?“, fragte sie trotzdem.
„Da sind einige Sachen von dir drin, nehme ich an.“
„Wo
kommen die her?“ Sie hatte bereits eine ungefähre Ahnung, woher sie kommen
könnten und ihr Herz raste noch schneller.
„Potter
hat sie gebracht“, erwiderte er höchst widerwillig.
„Harry?
Harry ist hier? Wo ist er?“ Sie schlug die warme Decke sofort zurück.
„Er
ist schon lange weg.“
„Wieso
hat er mich nicht geweckt?“ Sie wollte schreien, wollte weinen. Harry war hier
gewesen und hatte sie nicht einmal sprechen wollen?
„Weil
du schlafen musstest“, erwiderte er schlicht und wollte wieder hinaus. Vorher
glitt sein Blick sehr kurz über ihre Gestalt. Kurz musste sie sich
vergewissern, was sie überhaupt trug, aber sie erinnerte sich, dass sie ein
altes Shirt von Snape bekommen hatte. Es war schlicht, grau und abscheulich.
Aber
das konnte ihr kaum unwichtiger sein, jetzt wo die Wut ihre Verzweiflung und
Verwirrung ob des Traumes ablöste.
„Was?“
Sie war aus dem Bett gesprungen und musste sich zur Orientierung kurz besinnen.
So lange schlafen konnte niemand einfach so wegstecken. Sie strich sich kurz mit
der Handfläche über die Stirn. „Ich hätte mit ihm sprechen wollen – nein,
sprechen müssen!“, fuhr sie ihn jetzt an und er hielt an der Tür gereizt inne.
„Es war nicht dein Recht, ihn wegzuschicken!“, rief sie zornig und den Tränen
nahe.
„Das
hattest du nicht zu entscheiden“, sagte er nur.
„Du
bist ein Arschloch!“, schrie sie jetzt und es war ihr egal, dass Snape wohl
nicht plötzlich taub geworden war. Er sah aus, als wolle er etwas erwidern, sah
aus, als wolle er sonst was tun und kurz zuckte Wut über seine feinen Züge.
Dann schien er es sich anders zu überlegen.
Sein
Blick wurde kurz prüfend, fast, als wolle er etwas in ihrem Gesicht finden, was
vorher noch nicht dagewesen war, aber dann wurde sein Ausdruck wieder
gewöhnlich.
„Mach
dich einfach fertig.“ Und seine Stimme klang resignierend. Sie war auf den
Streit gefasst gewesen. Auf eine Beleidigung, die mindestens dreimal das Wort
Schlammblut in sich gehabt hätte. Auf alles – aber nicht auf Resignation.
Sie
hatte den Traum noch nicht völlig abgeschüttelt und in ihrem Kopf richtete ihr
Bewusstsein jetzt einige Fehler an ihrem Unterbewusstsein gerade. Er war
größer, als sie es geträumt hatte. Er roch anders, als sie es geträumt hatte
und sie hasste sich dafür, dass sie ausgerechnet von diesem Moment geträumt
hatte.
Sie
hatte große Angst davor, von den Dingen zu träumen, die Lucius Malfoy mit ihr
getan hatte. Aber, dass ausgerechnet dieser Moment sich wiedeholen würde, damit
hatte sie so gut wie gar nicht gerechnet.
„Was
passiert jetzt?“, fragte sie recht atemlos und wusste nicht, was für eine
Antwort sie erwarten sollte. Sie wollte nicht mal unbedingt gerne mit ihm
sprechen, denn… er war immerhin noch Draco Malfoy.
„Jetzt?
In diesem Moment? Nicht besonders viel, schätze ich mal.“ Er wirkte unnahbar
kalt. „Du stehst hier vor mir, zerzaust und nicht gerade angenehm riechend und
gleich… wirst du duschen.“ Und sie wusste, dass er wusste, dass sie das nicht
gemeint hatte. Trotzdem zog ihre Nase kurz die Luft um sich ein. Tatsächlich
roch sie nicht mehr taufrisch. Gar nicht mehr. Sie wich unbewusst zurück.
„Granger,
es könnte mich kaum weniger interessieren, wie du aussiehst oder riechst“,
fügte er hinzu.
„Ja,
sicher“, sagte sie und ärgerte sich über ihre Wortlosigkeit. „Dass du mein
Leben retten willst, zeigt noch viel deutlicher, wie wenig dich das alles
interessiert.“
Sein
Mund öffnete sich plötzlich. „Was genau willst du damit andeuten?“, fragte er,
wahrscheinlich zorniger, als er es beabsichtigt hatte, denn kurz wandte er den
Blick in eine andere Richtung.
Was
sie damit andeuten wollte? Sie seufzte langsam. Jetzt, in diesem Moment, wollte
sie sie eigentlich gar nichts andeuten. Sie war zu müde, zu verwirrt. Und sie
wollte nicht darüber streiten, ob er sie nun retten wollte, oder küssen wollte,
oder überhaupt irgendwas tun wollte, was sein Leben so sehr hatte gefährden
können – und dass nur wegen ihr. Und dass er es nicht einmal mehr zugeben
konnte, obwohl er doch völlig anders war. Wenn auch nicht äußerlich. Oder auf
die Art, wie er immer noch mit ihr sprach. Es regte sie auf.
„Du
hättest mir sagen müssen, dass Harry da ist!“, wiederholte sie stattdessen
erneut und schlang die Arme um ihren Oberkörper.
„Du
brauchtest deinen Schlaf, außerdem…“ Er biss sich auf die Zunge, nahm sie an. Zumindest
schluckte er die Worte, die ihm im Mund lagen, grimmig wieder herunter.
„Sag
mir, was passiert, Malfoy!“, forderte sie jetzt und war schon wieder müde. Müde
und hungrig, stellte sie fest. „Sag mir, was Harry gesagt hat! Sag mir, was…
sag mir irgendwas!“, endete sie und wollte tatsächlich weinen.
„Irgendwas?“,
erwiderte er ruhig und sie fühlte sich an die Schulzeit erinnert. Für einen
kurzen Moment. „Du siehst beschissen aus“, sagte er schließlich. Und er meinte
jedes Wort, denn seine Augen logen nicht. „Du wirst dich bestimmt solange
gedulden können, bis du unten bist, oder nicht?“, fügte er schließlich hinzu
und wollte gehen.
„Wieso
machst du das? Ich dachte, es geht um irgendwas Wichtiges? Irgendwas, bei dem
mir nichts passieren darf? Wieso sagst du es nicht? Muss ich wirklich erst zu
Snape gehen? Sitzt du jetzt nicht irgendwie mit in diesem Boot, wo du von den
Todessern umgebracht wirst, wenn sie dich wiedersehen?“ Sie hatte das alles
schnell gesagt, und wollte, dass er ihr antwortete. Auf die Fragen, die sie ihm
stellte!
„Was,
verflucht noch mal, willst du von mir, Granger?“, fragte er jetzt und musterte
sie zornig.
„Ich
will nicht duschen gehen und nichts wissen!“, erwiderte sie lauter als er.
„Ich
weiß nicht, was passiert!“, gab er zurück und sie sah, dass er log.
„Du
lügst!“
„Halt
deine Klappe, Granger und geh mir nicht auf die Nerven“, knurrte er.
„Dann
geh doch zurück zu deinem Vater, Malfoy!“, schrie sie und wusste immer noch
nicht genau, warum sie es darauf anlegte, sich ausgerechnet mit ihm zu
streiten. Oh, sie war so sauer, dass er Harry nicht zu ihr gelassen hatte!
Schnell
hatte er sich zu ihr umgewandt. Und wieder hatte sie damit gerechnet, dass…
dass irgendwas passieren würde. Sie war schon zusammen gezuckt. Aber lediglich
sein Kiefer spannte sich an. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und ihr war
nicht klar, weshalb er sich so zusammen nahm. So sehr schien ihn ihr Schicksal
ja nicht wirklich zu interessieren.
„Geh
duschen und zieh dich an.“
„Auf
einmal kein Imperius mehr auf Lager, mit dem du mich zwingen könntest?“ Sie
hatte das Gefühl, weinen zu wollen, weil sie zwar in unmittelbarer Freiheit
war, aber immer noch bei den Menschen, die sie nicht zu ihren Freunden zählte.
„Witzig,
Granger“, erwiderte er nur. Und es war ihr unbegreiflich, weshalb sie ihn
reizen wollte. Eigentlich wollte sie nämlich wirklich, dass er verschwand.
Vielleicht hatte sie schon viel zu viel Zeit mit ihm verbracht. Sie wusste, es
war gefährlich, mit Malfoy zu streiten. War es immer schon gewesen. Sie kannte
ihn schließlich nicht erst seit gestern. Nein. Sie kannte ihn seit zehn Jahren.
Diese Information erschlug sie fast.
Er
fuhr sich durch die Haare, die unverständlicherweise nicht so aussahen, als
wäre er auf der Flucht. Wieso lagen seine Haare gut und sahen gewaschen aus? Er
konnte unmöglich Zeit für Körperpflege gehabt haben!
„Snape
wird dir alles erklären“, sagte er kühl, und mit absolut keiner weiteren
Information ließ er sie eiskalt zurück.
~*~
Und entgegen ihrer Erwartung, war die Dusche
doch absolut wundervoll gewesen. Sie hatte sich die Haare mit dem Zauberstab
getrocknet und sie fielen wieder weich und sauber über ihre Schultern. Sie war
noch etwas bleich um die Nase, aber sie sah gesund aus. Dürre, aber gesund. Sie
trug das erste Mal seit einer Ewigkeit ihre eigenen Sachen. Ihre eigene Jeans.
Ihr eigenes blaues Oberteil, und sie wollte fast lächeln. Nur fast, denn sie
war sauer, dass sie nicht hatte mit Harry sprechen können und nicht wusste, wann
er noch mal kommen würde. Oder überhaupt, wann sie gehen konnte.
Sie
verließ das Badezimmer und eilte die Treppen hinunter, denn jetzt hatte sie
wirklich Hunger. Und zu ihrer Freude, hatte sich Snape darum gekümmert.
Oder
nein.
Nicht
Snape.
Sie
sah Snape nämlich nirgends. Nur Malfoy, der stumm die Teller auf den Tisch
fliegen ließ. Vom Herd flog ein Topf auf den Küchentisch und stellte sich auf
den Topflappen. Es roch verführerisch gut. Zwar war es nur eine Suppe, oder ein
Stew, oder was es eben war, aber es roch ausgezeichnet.
„Wo ist Snape?“, fragte sie also ohne Umstände der Höflichkeit. Er wandte sich
um und zögerte eine Sekunde, ehe er antwortete. Am Rande wurde ihr klar, dass
er sie höchstwahrschienlich mehrere Male nackt gesehen hatte und jetzt fiel es
ihr ein, sich deswegen zu schämen.
Unwillentlich
hatte sie mit diesem Kerl so viel geteilt, dass ihr ganz schlecht wurde. Zu
viel Malfoy.
„Er
kommt bald wieder. Hättest du nicht Ewigkeiten im Bad mit deiner
Schönheitspflege gebraucht, dann hättest du ihn noch gesehen.“ Sie öffnete
empört den Mund. „Und jetzt iss endlich.“
„Du…“
„Granger,
kannst du auch nur den geringsten Hauch an Geduld in meinem Gesicht erkennen?“,
fragte er zornig. Sie verschluckte ihre Worte, denn er sah sie mehr als wütend
an. „Denkst du, ich hatte mir vorgestellt, dich auch hier bedienen zu müssen?“
„Bedienen?
Du nennst das, was du in deinem Haus mit mir gemacht hast, bedienen?“ Ihre Stimme war heiser vor Entrüstung.
„Egal.
Setz dich und iss.“ Er verließ das Zimmer und sie blieb allein.
Sie
kam sich vor wie ein kleines Kind. Und außerdem führte er sich auf, als wäre er
das Opfer. Das war er nicht. Sie hatte es nicht weniger schwer als er. Absolut
nicht. Und so sehr sie es hasste, zu gehen, so dringend hatte sie das Bedürfnis,
ihn in Stücke zu fluchen.
„Hey!“,
schrie sie im Flur, als sie sah, wie er in einem Zimmer verschwinden wollte. Er
hielt an der Tür inne, starr vor Zorn. Er sagte nichts, was sie erkennen ließ,
dass er mit ihr sprechen wollte. Aber natürlich wollte er das nicht.
„Wie
lange bleiben wir hier? Wann kann ich zu Harry? Wie geht es Harry? Und was,
verflucht noch mal, geht hier eigentlich vor?“ Sie hatte ihn an der Schulter
gegriffen und zog diese nun nach hinten, damit er sie ansah.
Kurz
nahm sie an, er würde sie schlagen.
„Kannst
du mich nicht endlich in Ruhe lassen?“ Seine Worte waren still, fast flehend,
als bereite es ihm Qualen, mit ihr zu reden.
„Dann
hättest du mich besser bei deinem Vater lasen sollen, oder nicht?“ Sie sah ihn
an, wollte nicht blinzeln, damit sie keine Reaktion von ihm verpasste, die ihr
vielleicht einen Hinweis geben konnte.
„Warte
einfach auf Snape.“ Er betonte jedes Wort.
„Was
weiß Snape, dass du nicht auch weißt? Sag es mir einfach. Was hat das alles mit
mir zu tun? Warum ist es so wichtig, dass mir nichts passiert? Und was hast du damit überhaupt zu tun?“ Er schloss
die Augen.
„Geh
in die Küche“, sagte er und ignorierte ihre Worte völlig.
„Kommst
du mit?“ Er atmete gereizt aus.
„Nein.“
„Dann
gehe ich da auch nicht hin.“
„Hast
du keine anderen Sorgen, als hinter mir herzulaufen?“
„Malfoy,
komm schon!“ Ihr fiel auf, dass er andere Sachen trug. Sein Pullover war grün
und er trug tatsächlich eine Jeans. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass
Reinblüter so etwas tragen durften. Er vergrub jetzt die Hände in seinen
Taschen und schickte so etwas wie ein Stoßgebet Richtung Himmel. Verbunden mit
einem Fluch, wenn sie richtig hörte.
„Ich
kann dir nichts sagen, weil ich nichts weiß.“ Sie öffnete den Mund, aber er hatte
sich bereits unterbrochen. „Nein – das stimmt nicht. Ich weiß es schon, aber
ich begreife es nicht. Also nützt dir mein Wissen überhaupt nichts, ok?“
Sie
schwieg. Er würde ihr niemals irgendetwas sagen. Und es war ein erschütternder
Gedanke, dass ihr Leben vielleicht von Malfoy und Snape abhing.
„Und…“, fügte er hinzu, ohne dass sie damit gerechnet hatte, „was ist das bitte
für eine Frage? Potter sah ganz entzückend aus, mit seinem Vielsafttrankkörper.
Es geht ihm besser als mir, also sollte dir das an Informationen reichen.“
„Er
kam mit Vielsafttrank?“, fragte sie und bereute es, denn natürlich konnte er
nicht einfach herkommen.
„Nein,
Potter rennt nackt durch London und wartet nur darauf, dass die Todesser kommen
und seinen Hintern vom Körper fluchen, Granger.“
Er
fuhr sich durch die Haare. Sie kamen ihr länger vor. „Das Essen wird kalt“,
fügte er schließlich hinzu.
„Auf
welcher Seite stehst du jetzt eigentlich?“, fragte sie also und hatte keine
Lust mehr, dass er sie ständig mit irgendwelchen Dingen bevormunden wollte.
„Was?“
Ob er die Frage ernst meinte oder nur Zeit schinden wollte, wusste sie nicht
mit Sicherheit.
„Gut?
Böse? Wo bist du gerade, Malfoy?“
Er
lächelte plötzlich. Sie hatte es ewig nicht mehr gesehen. „Nicht auf Potters.“
„Und
nicht auf Voldemorts?“
Er
seufzte wieder.
„Was
wird das hier? Willst du irgendein Geständnis von mir hören?“
„Wie
soll ich dir vertrauen, wenn ich nicht weiß-“ Sie biss sich auf die Zunge. Sie
wollte ihm gar nicht vertrauen.
„Besser
so“, erwiderte er, als er verstand, weshalb sie sich selber unterbrochen hatte.
„Vertrau mir lieber nicht, Granger. Vielleicht liefer ich dich morgen auch
einfach wieder aus.“ Er lächelte wieder.
„Ist
das für dich witzig, Malfoy?“
Jetzt
lachte er hart auf. „Glaubst du das?“ Er lehnte sich gegen den Türrahmen. „Ich…
weiß, du willst Trost oder Hilfe oder Informationen, oder was auch immer es
ist, was du willst. Aber ich kann dir das nicht geben. Weil ich genug andere
Sorgen habe. Du bist nah dran, wieder in deiner gewohnten Umgebung zu sein,
Granger. Ich habe aber gerade mal meine gewohnte Umgebung wieder, nach Potters
Folter, und jetzt habe ich all das wieder aufgeben, um…“
Anscheinend
wusste er nicht, weshalb. Oder er hatte sich gefangen. „Tu einfach so, als wäre
ich nicht hier. Ich werde sowieso nicht mehr lange hier sein“, fügte er mehr
für sich selbst hinzu.
„Wo
gehst du hin?“ Er grinste wieder.
„Irgendwohin.
Weg. Denkst du, mein Vater lässt mich am Leben? Denkst du, die Todesser sind
bekannt für ihren Großmut? Ihre Gnade?“
„Ich
dachte, ich würde auf der falschen Seite stehen, weil mein Blut schmutzig ist?
Ich dachte, er wäre alles rein politisch? Hast du mir das nicht erklärt?“, fiel
ihr plötzlich ein. Und wahrscheinlich musste sie einfach mit jemandem reden. Es
war eine physische Notwendigkeit. Und wenn Malfoy eben der einzige hier war –
dann war das eben so.
„Das
denke ich immer noch.“ Sie legte den Kopf schräg und musterte ihn ungläubig.
„Wirklich?“
„Geh
doch endlich zurück in die Küche!“ Er wirkte jetzt schon fast verzweifelt.
„Malfoy…“
„Nein,
natürlich denke ich das nicht, ok? Hör auf, mit mir zu streiten, Granger. Ich
rette dich bestimmt nicht, weil ich unsterblich in dich verliebt bin, ok?“
Seine Worte trieben ihr wieder eine lästige Röte in die Wangen. „Ich habe meine
Meinung eben geändert. Politische Vorteile hin oder her. Dein Blut ist…“ Kurz
unterbrach er sich.
„Mein
Blut ist was?“, fragte sie, damit sie
etwas sagen konnte.
„Sag
mal, bist du mir eigentlich überhaupt auf irgendeine Art und Weise dankbar,
Granger?“, fragte er ungeduldig.
„Was?“
Sie blickte kurz zur Seite. „Du hast mich zwar… da rausgeholt, aber…“, begann
sie kleinlaut.
„Dann zeig mir deine Dankbarkeit und iss, bevor Snape mir vorwirft, dass ich
dich verhungern lassen will.“ Sie wollte sich endgültig abwenden, aber dann
fiel ihr noch etwas ein.
„Hast du Harry verflucht?“ Jetzt musste er tatsächlich lachen. „Hast du?“,
fragte sie unsicher.
„Das
wäre wirklich das Beste gewesen. Aber wahrscheinlich hätte ich dann Ärger mit
dir bekommen, richtig?“ Sein Grinsen war schief und sie musste annehmen, dass
sein Zorn auf Harry irgendwie verraucht war. Oder er tat nur so.
Auf
einmal kam er ihr hübsch vor. Unglaublich gut aussehend. Ohne, dass sie
zuordnen konnte, woher diese Gedanken kamen. Und sie schrieb es einfach der
Situation zu. Ihrer Verzweiflung. Und der Absurdheit.
Und
es bedeutete gar nichts.
Ihre
Hände legten sich einfach auf seine Schultern und er runzelte die Stirn
überrascht, ehe er begriff, was sie tun wollte. Sie stellte sich auf die
Zehenspitzen und küsste ihn einfach so. Mitten auf den Mund. Völlig
bedeutungslos.
Sie
hörte, wie er hart die Luft einsog, sich versteifte und nach kaum einer Sekunde
den Kopf von ihr zurück zog. Seine blauen Augen waren voller Verwirrung und die
Falten auf seiner Stirn vertieften sich noch um einiges mehr.
Sie
fühlte nichts. Ihr Herz raste und ihr Verstand fragte sie gerade, was
eigentlich in sie gefahren war, aber ihre Hände lagen immer noch auf seinen
Schultern.
„Jetzt sind wir quitt“, sagte ihre Stimme plötzlich. Kurz schien er
nachzudenken.
Es
verging eine Ewigkeit. Was hatte sie getan?!
Hunderttausend
Fragen standen in seinen hellen Augen. Dann seufzte er ganz langsam. Die Luft
entwich seinen Lungen und er schüttelte verwirrt den Kopf.
„Ok“,
erwiderte er gedehnt und sah sie an, als wäre es wahrscheinlich, dass sie sich
gleich auf ihn stürzen würde. Seine Stimme klang ruhig, aber kurz davor, zornig
zu werden. Vielleicht lag auch Abscheu in seinem Blick. Sie war sich da nicht
sicher. Aber eigentlich war sie sich mit nichts mehr sicher. Jetzt hatte sie
irrwitzigerweise Hunger.
Sie
nahm ihre Hände zurück und ging schließlich in die Küche.
Sie
wandte sich nicht zu ihm um.
Und
sie fragte sich gerade, was sie eigentlich erwartet hatte? Wieso hatte sie ihn
küssen müssen? Und sie hatte es wirklich tun müssen! Völlig egal, wie zuwider
er ihr eigentlich war. Der Traum hatte sie einfach nicht loslassen können.
Und
es lag wohl nur am Zauber, dass sie dieses Gefühl gehabt hatte.
Sie
hörte, wie die Tür im Flur ins Schloss fiel und Malfoy in dem Zimmer
verschwunden war. Alleine begann sie die Suppe zu essen.
Die
Wärme tat ihrem leeren Magen gut.
Snape
kam - Merlin sei Dank - früh wieder. Er musste also die kleine Bibliothek nicht
verlassen. Nicht, dass er auch nur ein Wort in dem Buch auf seinem Schoss
gelesen hatte.
Er
musste hier dringend weg. Dass sie ihn geküsst hatte war nicht mal das
Schockierendste, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war.
Nein.
Es war verrückt und nichts, womit er gerechnet hatte, aber es gab wichtigere
Sachen, über die er nachdenken musste, als Grangers schräge Gefühlswelt.
Sie
waren quitt? Er wusste nicht einmal, was sie damit gemeint hatte. Außerdem –
was hieß das jetzt? Dass sie sich in ihn verliebt hatte? Oder so etwas?
Musste
er darüber mit ihr sprechen und ihr klar machen, dass sie ein Schlammblut war?
Er schloss kurz die Augen. Er konnte nicht einmal bestimmen, ob es ihm gefallen
hatte. Es ging viel zu schnell.
Und
er war sich ziemlich sicher, dass Snape diese Verbindung für nicht besonders
gut heißen würde. Wie hatte sie das einfach tun können?! Gut, es machte ihm
doch zu schaffen. Aber das war normal.
In
der Schule hätte sie das nie gewagt. In der Schule hätte er nie mit ihr
gesprochen. Das hier war nicht mehr die Schule. Das hier war eine Flucht. Das
hier war gefährlicher als alles andere. War es nichts weiter?
Durfte
sie das? Hatte er das Recht, es ihr zu verbieten?
Er
wusste es nicht. Würde sie das jetzt jedes Mal tun, wenn sie ihn sah?
Würde
ihm das gefallen?
Sex?
Generell? Generell hatte er damit kein Problem, nein. Schlammblut hin oder her.
Er atmete kurz aus. Er konnte sich den Luxus der Vorurteile wohl kaum noch leisten,
jetzt, nachdem er sich von Todessern losgemacht hatte.
Er
fragte sich sowieso, wie lange er noch leben würde.
Was
konnte so etwas schon großartig anrichten? Granger war… hübsch. Sie war schön.
Er hatte sie nackt gesehen. Er hatte eigentlich alles an ihr gesehen. Und er
hatte sie in jedem Zustand gesehen.
Ein
Schauer erfasste ihn.
Er
kannte sie, wurde ihm bewusst. Er kannte sie wirklich. Und er verbachte viel
Zeit mit ihr.
Natürlich
wollte er fort von hier. Aber würde er an sie denken müssen? Bestimmt. Eine
Weile noch. Aber dann?
Würde
er überhaupt überleben? Und würde sie überhaupt überleben? Nachdem, was Snape
ihm erzählt hatte, sah alles noch kritisch aus.
Eine
Sache war ihm aber völlig klar: Er wollte, dass sie ihn küssen wollte. Dann kam
er sich nicht nämlich nicht mehr wie ein verfluchter Bastard vor.
Und
das bestätigte, dass es ganz normal war, unter solchen Umständen verrückt zu
werden.
Sex
mit Granger… Sein Vater wusste darüber ja schon Bescheid. Seine Fäuste
zitterten plötzlich. Richtig. Nein. Er würde ihr das nicht antun.
Wollte
er ja nicht mal. Er wollte sie ja gar nicht.
Vielleicht
nur, weil sie gerade da war. Aber das war ja nicht von Dauer.
Es
gab wichtigere Sachen.
Die
Todesser, die ihnen auf der Spur sein würden. Sie konnten sich nicht ewig
verstecken. Er würde doch wie Potter werden und ständig auf der Flucht sein.
Aber er wollte nicht so sein wie dieser Mistkerl.
Und
war er ja auch nicht. Er hatte es nicht mal fertig gebracht, ein Schlammblut
umzubringen. Nicht mal vergewaltigen hatte er sie gekonnt, obwohl es doch nur
allzu einfach ausgesehen hatte!
Er
hatte das Buch zornig durch den Raum geworfen, ohne dass er es bemerkt hatte.
Er war aufgestanden und sein Atem ging schneller.
Zorn
kochte hoch. Zum einen wollte er ein böser Mensch sein. Ohne Gewissen, ohne
Gefühle, denn dann wäre es einfacher. Er wollte kein Schwächling sein.
Und
zum anderen befriedigte ihn das Wissen. Das Wissen, dass es eine Möglichkeit
gab, alles zu stürzen, was die Welt bedrohte.
Die
Möglichkeit, der Gute zu sein. Besser als Potter. Besser als jeder.
Er
würde sich in den nächsten Tagen überlegen, wer er sein wollte.
Irgendwie.
Seine
Hände waren kalt und das Gefühl von ihnen auf seiner Stirn, tat mehr als gut. Er
konnte unmöglich bleiben. Die Tür öffnete sich nach kurzem Klopfen. Snape
steckte den Kopf herein.
„Alles
in Ordnung bei dir? Hermine erscheint mir… etwas durch den Wind zu sein. Ich
benehmt euch doch hoffentlich?“ Wie meinte er das konkret, überlegte er kurz.
„Ihr streitet euch doch nicht, oder verflucht euch?“, fügte Snape besorgt
hinzu. Nein, das konnte er verneinen. Sie küsste ihn lediglich hier im Flur.
Zählte er das auch zu „nicht benehmen“? Oder gab es dafür eine extra Kategorie?
„Nein.
Wir verfluchen uns nicht“, sagte er also eher vage. – Und sie war durch den
Wind? Wieso sie?!
„Ich
habe mit ihr gesprochen“, sagte Snape schließlich und Draco wurde zum ersten
Mal klar, dass sein Pate deutlich älter war als er selber. Oft hatte er Snape
als einsamen Kämpfer gesehen. Als jemand, der unerschütterlich seine Meinung
vertrat. Wenn auch oft versteckt und allein für sich.
Aber
jetzt sah er die Falten unter den dunklen Augen. Die wenigen grauen Strähnen,
die sich durch seine dunklen Haare zogen, als hätten sie sich dorthin verirrt.
„Hast
du?“ Es war kaum eine Frage.
„Aber
sie glaubt mir natürlich nicht. Ich denke, sie hat Angst. Möchtest du mit ihr
darüber noch mal sprechen?“ Draco legte die Stirn in tiefe Falten.
„Wieso
sollte ich? Ich denke, sie vertraut dir mehr als mir.“ Er besann sich. „Nein.
Sie vertraut dir zumindest überhaupt ein Stück weit.“
„Ich
dachte, weil… nun, ihr hattet doch nun schon Gelegenheiten, euch kennen zu
lernen. Von all euren Seiten“, fügte er bedächtig hinzu. „Ich nehme lediglich
an, dass sie es von noch einer weiteren Person hören sollte. Und… du bist die
einzige weitere Person hier“, fuhr er fort. Draco schüttelte langsam den Kopf.
„Severus,
ich glaube es ja selber nicht.“ Und das stimmte zum Teil auch.
„Draco,
du musst hinter dem Plan stehen. Und du musst sie überzeugen.“ Ja, klar. Als
wäre es das einfachste auf der Welt Hermine „Gryffindor“ Granger von irgendwas
einfach zu überzeugen. Was dachte sich Snape eigentlich?
„Oh
sicher. Ich bin sicher, sie wartet nur darauf, dass ich zu ihr gehe und ihr
sage, dass ihr Blut das Mächtigste auf Erden ist und alles Böse vernichten
kann, sobald wir es ihr abgezapft haben!“ Er klang schon fast wie Potter, als
dieser sich gestern Abend über das gleiche Problem aufgeregt hatte.
„Das
habe ich ihr noch nicht gesagt“, räumte Snape leise ein.
„Hast
du nicht? Großartig. Dann kann ich ihr das also auch noch sagen?“
„Ich
glaube, es ist besser, wenn sie erst mal nichts davon erfährt.“
„Wieso?
Weil sie vielleicht dagegen ist, dass wir das Leben aus ihrem Körper nehmen?“
„Draco…
Blut regeneriert sich. Wir… ich bin mir nur nicht sicher, wie viel wir
brauchen.“
„Was,
wenn sie alles geben muss? Was, wenn man für den Zauber all ihr Blut braucht,
Severus?“ Er wurde ungehalten. Es war ein so unsicherer, gefährlicher Plan,
dass er ihr unmöglich davon erzählen konnte.
„Nein!“
Auch Snape wirkte gereizt und müde. „Ich bin dabei das heraus zu finden. Du
musst heute mit ihr reden, damit wir mit der Blutabnahme und Bewahrung beginnen
können. Wir haben besser zu viel als zu wenig.“ Draco Augen weiteten sich
ungläubig.
„Ich
soll ihr-?“
„Oder
kannst du das nicht?“ Snape klang argwöhnisch. Als wären sie hier in der Schule
und er würde erwägen, einen bestimmten Trank nicht brauen zu können. Schon dort
hatte Snape nie Verständnis gezeigt.
„Darum geht es nicht!“, widersprach Draco jetzt.
„Und
du wirst mit Harry sprechen müssen. Ich muss noch einmal weg. Es gibt einige
alte Aufzeichnung über die Prophezeiung, die wesentlich detaillierter sind als
dieses Gedicht. Die muss ich finden. Am besten schnell.“
„Ich
rede nicht mit diesem- und welche Details hast du bis jetzt?“
„Die
letzten beiden Zeile.“ Draco wusste nicht, ob er das gut finden sollte oder
nicht. Das war nicht gerade viel. „Und mit Harry musst du sprechen. Da wirst du
keine Wahl haben. Du wusstest doch, worauf du dich einlassen würdest, Draco!
Ich habe dir keinen angenehmen Urlaub versprochen!“ Das war so ungerecht. Er
hatte sich bereits die Haare gerauft.
„Du willst, dass ich ihr sage, dass wir nicht wissen, wie viel Blut wir
brauchen? Oder dass es überhaupt klappt? Du willst, dass ich ihr auch noch Blut
abzapfe und du willst, dass ich es Potter, dem Bündel voller neurotrischer
Komplexe, auch noch beibringe? Ich glaube, zum ersten Mal unterstütze ich
Potters Ansicht!“ Er hatte angefangen zu schreien und Snape hob die Hand.
„Mäßige
deinen Ton, Draco. Das ist es, was wir tun. Wir garantieren, dass wir die Waffe
richtig nutzen. Hermine wird es begreifen. Sie wird sich fügen. Es gibt keinen
Ausschluss. Sie ist das richtige Mädchen. Mach ihr das klar.“
„Ich
glaube es selber nicht mal und-“
„Ist
sie eine starke Hexe?“, fragte Snape gereizt. Dracos Mund öffnete sich.
Natürlich war sie stark.
„War
sie die beste im Jahr?“ Auch das stimmte wohl. Aber das bedeutete doch nicht,
dass sie die Waffe war.
„Ihr
Blut ist rein, denn nur Muggel sind ihre Vorfahren.“ Das konnte man auch anders
sehen.
„Sie
steht für das Gute, ist gegen das Böse und sie ist kampferprobt. Sie fürchtet
nichts.“ Auch das stimmte nicht.
„Es
kann irgendein Mädchen sein!“, brauste Draco auf.
„Ich
habe Nachforschungen angestellt. Sie ist die einzige magisch so begabte, rein
muggelstämmige Hexe, die in diesem Jahr geboren wurde. Es gab keine weitere mit
ihrem Stammbaum, ihren Fähigkeiten und Voraussetzungen.“ Snape war ein Streber.
„Fein. Dann ist sie eben die einzige Muggel. Aber, was wenn sie sterben muss?
Wann erfahren wir das? Wann erfährt sie das? Willst du sie opfern?“ Draco wollte
so gar nicht argumentieren, fiel ihm auf. Sein Mund tat es einfach.
„Von
ihrem Tod steht nichts in den Aufzeichnungen, die ich bis jetzt habe“,
erwiderte Snape und wich somit der Frage aus. Schön, dann sollte er sich eben
keine Gedanken machen.
„Du weißt, dass Voldemort vor nichts zurückschreckt!“
„Er
wird nicht mal so lange überleben, um an den Avada Kedavra zu denken, Draco.
Vertrau mir. Ich verspreche dir, es wird funktionieren. Überzeuge sie und alles
wird gut ausgehen.“ Es klang wie ein seltsames Mantra.
„Du
willst doch wohl nicht jetzt schon wieder gehen!“, fuhr er den Mann an, als er
sich wieder zur Tür wandte.
„Ich muss. Die Zeit wird nicht still stehen. Und wenn etwas passiert…“ Seine
Stimme wurde zögernd. „Dann müsst ihr fliehen. Die Aufzeichnungen liegen
bereit. Und die Daten für die Kamine, von denen Potter dich empfangen kann,
habe ich dir aufgeschrieben.“
„Fliehen?“,
fragte er nur.
„Wenn
sie mich kriegen... Wenn sie mich finden und umbringen wollen... Dann
verschwindet ihr. Ihr geht zu Potter und seinen Leuten. Alle Aufzeichnungen
habe ich in meinem Schreibtisch. Der ist magisch versiegelt. Hermine kann ihn
nicht öffnen. Ich habe ihn vorhin auf dich geeicht.“
Draco
hatte keine Zeit, all diese Dinge zu begreifen. Nur eine Sache war wichtig!
„Severus,
du wirst dich vorsehen. Dann wird nichts passieren.“ Es kam ihm vor, als würde
Snape schon wissen, dass sie es nicht alle überleben würden. Es bereitete Draco
Übelkeit, seinen Paten so reden zu hören.
„Wir
müssen damit rechnen, dass wir Opfer bringen müssen.“ Er sagte dies mit solcher
Ernsthaftigkeit und Überzeugung, dass Draco es mit der Angst zu tun bekam.
„Was planst du?“, fragte er tonlos. „Was wird das? Wieso ist dir der Plan so
wichtig? Du hast doch irgendwas vor!“
„Nur
falls es scheitert, will ich, dass du mit dem Plan fortfährst. Auch ohne mich.“
„Severus!“
Draco starrte ihn an. „Das kannst du nicht.“
„Muss
ich dich erst zum Unbrechbaren Schwur überreden, Draco?“
„Was?“ Also plante Snape doch etwas!
„Versprich mir, dass du dich um Hermine kümmern wirst. Und dass du den Plan
fortsetzt, sollte ich scheitern.“
„Du-“
„Sollte ich scheitern. Ich sage nicht,
dass ich es tue, Draco.“
„Du
rechnest mit deinem Tod?“, flüsterte er fast.
„Ich
rechne mit unser aller Tod“, sagte er ruhig. Draco nickte langsam. Was hatte er
gedacht? Dass sie alle lebend aus der Sache rauskamen? Bestimmt nicht.
„Schön.
Wie du willst“, sagte er nur.
„Gut.
Ich vertraue dir“, fügte Snape eindringlich hinzu. „Und ich muss wieder los.
Ich bin heute Nacht wieder da. Kümmer dich um die Blutabnahme und um Harry.“
Damit war er aus dem Zimmer verschwunden.
Draco
sank in den Sessel zurück.
Das
änderte nun einiges. Über den Rest von Snapes Plan hatte er gar nicht
nachdenken wollen.
Er
fragte sich, wie lange er sich hier verstecken konnte. Er wollte nicht mit ihr
reden. Er hatte sich nie in der Rolle befunden, in der seine Ansichten und
Meinungen – ja, seine Worte überhaupt – etwas bewirken konnten. Etwas verändert
haben.
Und
jetzt? Jetzt war er auf einmal Teil eines waghalsigen Plans. Ein Plan, der zu
gleichen Teilen funktionieren oder eben schief gehen konnte. Mit einem Zusatz,
der sich noch nicht wirklich in seinem Gehirn verankern konnte.
Und
er wollte ihr Gesicht nicht sehen, wenn er mit ihr sprach. Er wollte nämlich
sein Gesicht nicht verlieren. Er wollte nicht zugeben, welche Seite er
bevorzugte. Und er wollte nicht gestehen, wie weit er bereit war, zu gehen.
Er
wollte nicht, dass sie dachte, dass er bereit war, sein Leben zu geben, wie
Snape. Nur für sie. Dafür, dass sie die Welt vielleicht oder vielleicht nicht
retten konnten. Er war doch feige. Er war doch nur… wer war er schon?
Und
woher nahm Snape überhaupt die Gewissheit, dass er, Draco Malfoy, in der Lage
war, die Welt retten zu können?
Oder
wenigstens erst mal Granger?
Er
schloss die Augen erneut. Er hasste die Angst. Sie fand jede Nische. Nutze jede
kleine Schwäche rücksichtslos aus. Ohne Gnade. Und er bezweifelte, dass er sie
überwinden konnte. Woher nahm man noch mal Mut?
Er
hatte es vergessen.
Ihr
Blick hatte sich irgendwo in der Ferne von Snapes Garten verloren, als sie noch
einmal rekapitulierte. All die Sachen, die Snape ihr erzählt hatte, konnten
doch unmöglich wahr sein! Und Malfoy wusste das alles auch? Und Harry auch?
Sie
kaute gedankenverloren auf ihrer Unterlippe herum.
Und
Snape hatte ihr nicht mal alles erklärt. Jetzt war er wieder weg und sie war
wieder allein mit ihm. Mit Malfoy. Sie wusste, ihr fehlten Informationen. Sie
wusste, es war nicht alles. Was sollte das heißen, ihr Blut war mächtig? Musste
sie es dann… opfern?
Sie
hörte Schritte hinter sich. Sie wollte sich nicht umwenden.
Sie
hatte keine Lust, Malfoy schon wieder zu sehen. Die Dämmerung hatte eingesetzt
und sie konnte schon ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe ausmachen. Sie hatte
geglaubt, vor etwa einer halben Stunde, den Schatten eines Zauberers hinter den
magischen Bännen entdeckt zu haben.
Aber
der Schatten hatte es nicht geschafft, die Barrieren zu durchdringen.
Sie
fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde.
„Setz
dich.“ Sie erschrak fast über seine Stimme, die ihr doch so vertraut geworden
war. Als hätte sie nicht mit Harry und Ron ihre Zeit verbracht, sondern nur
noch mit Malfoy.
Sie
wandte sich müde um. Es war ihm nicht mehr anzusehen, dass sie ihn geküsst
hatte. Es fiel ihr siedend heiß wieder ein. Und sie bedauerte es etwas. Nein,
sogar sehr. Sie beschloss, es ihm gleich zu tun. Wenn er es nicht mehr wusste,
dann wusste sie auch nichts mehr.
„Du
wusstest all das?“, fragte sie ihn schließlich leise. Aber er war anders, fiel
ihr auf. Geschäftiger. Er hatte ein Buch unter den Arm geklemmt. Die Ärmel
hatte er hochgeschlagen. Das Dunkle Mal stach schwarz hervor. Es schien ihn
nicht zu kümmern, sie allerdings ließ es kurz schaudern.
„Ich
weiß noch eine ganze Menge mehr. Also setz dich, Granger.“ Sie folgte seinen
Worten, ohne dass sie es wirklich wollte. Sie setzte sich auf einen der
gepolsterten Stühle und er setzte sich auf den anderen.
Er
blätterte weiter in dem Buch, das sie als Heilmagie für Anfänger ausmachen
konnte. Sie runzelte die Stirn.
„Snape
hat dir alles gesagt?“, erkundigte er sich, ohne aufzusehen.
„Nein.
Ich denke nicht, dass er-“
„Nein,
das ist auch richtig. Hör zu, ich werde dir jetzt etwas Blut abnehmen.“ Kurz
sah sie etwas in seinem Blick flackern, als er ihn zu ihren Augen hob. Die
ganze Zeit hatte er sie nicht angesehen. Erst jetzt. Was war es? Unsicherheit?
Angst? Sie wagte nicht, es zu deuten, denn der kurze Ausdruck war schon wieder
verschwunden.
„Du
wirst mir Blut abnehmen?“, hauchte sie ängstlich und schüttelte den Kopf.
„Ja.
Snape hat dir ja gesagt, du hast die Macht. Du bist die Waffe. Und wir werden
dein Blut sammeln und dann daraus den Trank brauen, der Voldemort zu Fall
bringen wird.“ Ihr Mund öffnete sich. Das mit dem Trank und dem Fall hatte
Snape ihr nicht erzählt.
„Was?
Ist das sicher? Wie viel Blut?“ Sie sagte es sehr schnell. „Vielleicht bin ich
es nicht, Malfoy!“, widersprach sie heftig. „Ich… bin eine Muggel!“
„Es
gibt keinen Zweifel“, sagte er mit einer solchen Sicherheit, dass sie sogar
geneigt war, ihm zu glauben.
„Ich
bin keine Waffe. Mein Blut ist… nichts Besonderes. Du solltest es doch am
besten wissen“, fügte sie spöttisch hinzu.
„Unsinn,
Granger. Natürlich ist dein Blut einfach so nicht anders als anderes Blut. Aber
mit dem richtigen Zauber wird es zur mächtigsten Substanz, die die Erde jemals
gesehen hat.“ Ihr Mund öffnete sich, aber er hatte bereits den Zauberstab
gezogen und begann eine Formel zu flüstern.
Ein
gläserner Behälter erschien aus dem Nichts.
„Was
tust du?“, fragte sie fast panisch. Sie benutzte zwar selber auch Magie zum
Heilen, aber das hier hatte sie noch nicht getan.
„Ich werde diesen Zauber jetzt anwenden. Der wird dir über meinen Zauberstab so
viel Blut abnehmen, bis der Behälter voll ist.“ Er sagte es mit einer
Selbstverständlichkeit, die ihr den Atem raubte.
„Weißt
du, was du tust?“, hauchte sie und war sich noch nie unsicherer als jetzt
gewesen.
„Granger,
ich war Schulsprecher“, erwiderte er etwas gereizter. Dann setzte er den
Zauberstab in ihrer Armbeuge an.
„Ich
werde jetzt, in deine Vene stechen“, informierte er sie konzentriert, während
seine Augen über den Text flogen. Leise sprach er die Worte.
Ihre
Lippen öffneten sich zum Protest, aber ein sanfter Nebel setzte in ihrem Kopf
ein. Ob es von seiner Berührung her kam, oder von der Formel, die er sprach,
konnte sie nicht bestimmen, aber – egal, was es war – es bereitete ihr Angst.
Seine
Finger waren warm an ihrem Arm. Alles geschah furchtbar schnell.
Sie
spürte einen Stich und dann war der Schmerz vorbei. Rot floss ihr Blut in den
kleinen Behälter, der sich zügig füllte. Er zögerte keine Sekunde. Er war nicht
einmal zurückgezuckt, beim Anblick ihres Blutes. Gewissenhaft erledigte er
diesen Zauber, als wäre es eine Schulprüfung. Genau am obersten Rand stoppte
der Blutfluss nach kaum dreißig Sekunden, in denen sie den Atem angehalten
hatte.
Mit
einem letzten Blick auf den Text, beendete er den Spruch, zog den Zauberstab
zurück und versiegelte den kleinen Behälter. Dann wischte er sich mit dem
Handrücken über die Stirn. Der winzige Stich in ihrer Armbeuge schloss sich
augenblicklich.
Seine
Mundwinkel zuckten kurz. Ob nur so, oder vor Erleichterung, blieb ihr
verborgen.
„Gut“,
sagte er jetzt nur. In seinen Händen hielt er immer noch das Glas. Er wirkte
etwas überfordert.
„Und
das ist jetzt also unsere Super-Waffe, ja?“, fragte sie argwöhnisch, um ihr
klopfendes Herz zu übertönen, das, beim Anblick ihres eigenen Blutes, begonnen
hatte, schneller zu schlagen. Und auch er betrachtete die rote Flüssigkeit eher
skeptisch.
„Scheint
so.“
„Hast
du… sowas schon mal vorher gemacht?“, fragte sie jetzt und er hob eine
Augenbraue.
„Denkst
du, sowas mache ich ständig in meiner Freizeit? Muggeln Blut abnehmen?“ Sie
wollte das nicht beantworten.
„Du
hättest es mich vorher lesen lassen sollen“, erwiderte sie jetzt plötzlich, als
sie wieder klarer denken konnte.
„Was?
Denkst du, ich kann so einen Zauber nicht ausführen?“ Er verschränkte plötzlich
die Arme und sein arroganter Ausdruck kam ihr plötzlich wieder bekannt vor.
„Es
geht hier um meinen Körper. Du hättest mir den Spruch zeigen sollen.“
„Es
war der richtige Spruch“, rechtfertigte er sich gereizt und war wieder Malfoy.
Unverbesserlich und selbstgerecht.
„Vielleicht.
Trotzdem hätte ich das Recht gehabt, ihn zu lesen oder nicht, Malfoy?“
„Du
lebst noch, oder nicht?“, gab er bissig zurück.
„Ach
so, wenn das die einzige Voraussetzung war, dann waren Sie wirklich
erfolgreich, Mr Malfoy!“ Sie hatte sich erhoben, aber kurz wurde ihr doch etwas
schwindelig und sie sank wieder zurück.
„Alles
ok?“, fragte er jetzt widerwillig und sie verzog den Mund.
„Deine
gespielte Sorge kannst du dir auch sparen. Ich denke, du hast jetzt Snapes
Wunsch erfüllt und kannst wieder gehen.“ Sie wandte den Blick ab.
„Was?
Einfach so?“, erkundigte er sich und seine Stimme hatte sich wieder beruhigt.
„Ohne Abschiedskuss, Granger?“ Sie wusste nicht, ob er bei diesen Worten
grinsen musste. Aber es klang fast danach. Sie wurde rot. Wirklich rot. Aber
immerhin war ihr jetzt nicht mehr schwindelig. Sie mied jeden Blick auf ihn.
„Halt
die Klappe, Malfoy.“
„Nein,
ganz im Ernst. Ich dachte, ich müsste mich jetzt auf deine Verliebtheit
einrichten?“
„Verliebtheit?“
Jetzt sah sie ihn zornig an. „Als ob, Malfoy. Davon kannst du meinetwegen
träumen, aber ansonsten kannst du das gleich vergessen! Als ob ich wirklich
auch nur eine Sekunde lang-“ Sein Lächeln brachte sie kurz aus der Fassung.
„Noch
schwindelig?“, fragte er jetzt und erhob sich übergangslos. Sie schüttelte
unwillig den Kopf. „Weißt du, wenn man sich zu viel rechtfertigt…“ Er ließ die
Worte einfach nur im Raum verklingen, ohne den Satz zu beenden.
„Bild
dir bloß nichts ein“, war alles, was sie dazu sagte. Als er ging, riss sie sich
zusammen. „Das ist noch nicht alles, oder?“ Sie sprach nicht laut.
„Was?“,
erwiderte er und wandte sich noch einmal um.
„All
das… Es gibt noch mehr Informationen, oder? Snape ist sich damit nicht völlig
sicher, richtig? Und wie sollen wir in Voldemorts Nähe kommen?“ Jetzt sah sie
wieder das Flackern in seinem Blick. „Und die Zeilen… wie soll man denn die
Mitte interpretieren? Und die Sache mit dem Mond… und dem Antlitz der Welt…“
Und
plötzlich fiel seine Fassade.
„Ich weiß es nicht.“
Und
sie wusste nicht, ob er log oder nicht. Es gefiel ihr überhaupt nicht, nichts
zu wissen.
„Hat
Snape einen Plan?“
„Ja.“
„Kennst
du den Plan?“, fragte sie vorsichtig.
„Ja.“
Sie
atmete aus. „Ist der Plan sicher?“
„Nein.“
„Willst
du ihn mir erklären?“, fuhr sie fort, da er noch nicht geschrieen hatte. Er
atmete langsam ein.
„Noch
nicht.“ Das war kein wirkliches Nein. Also würde er mit ihr darüber sprechen?
„Wann?“,
fragte sie atemlos.
„Sobald
es kein Zurück mehr gibt“, war alles, was er dazu noch sagte. Und sie fragte
nicht weiter, obwohl sie sich kaum beherrschen konnte.
„Ich
kann nicht zu Harry zurück, oder?“, fragte sie, ohne, dass es wirklich eine
Frage war. Er schüttelte knapp den Kopf.
„Es
sei denn…“ Aber er sprach nicht weiter. Er zögerte.
„Es
sei denn, was?“
„Es
sei denn… Snape geschieht etwas.“ Ihr Atem stockte.
„Snape
geht davon aus, dass ihm etwas passieren könnte?“ Sie wusste nicht, ob er es
bereute, diese Information geteilt zu haben.
„Es
ist möglich“, sagte er nur.
„Können
wir nicht… mit ihm gehen, wenn er… Wo auch immer er hingeht? Können wir nicht
mit? Wir können auch kämpfen!“
„Du
darfst das Haus nicht verlassen. Wenn du getötet wirst… dann haben wir keine
Chance.“ Sie wurde etwas wütend.
„Malfoy,
ich bin schon eine ganze Weile am Kämpfen. Bisher habe ich auch überlebt, oder
nicht?“
„Ja,
bis zu dem Tag, an dem du dich von mir hast überwältigen lassen, richtig?“ Er
hatte die Augenbrauen beinahe spöttisch gehoben.
„Das war…“
„Was?“
Aber er ließ sie nicht weiter sprechen. „Du hattest Mitleid. Und das ist dein
Fehler, Granger.“
„Mein
Fehler? Was ist denn dann dein Fehler? Ich hatte überhaupt kein Mitleid. Ich
hatte keine Wahl. Ich hatte lediglich Pech. Du
hattest doch Mitleid!“
„Mit
dir?“, fragte er tatsächlich und sie schnaubte auf.
„Nein,
mit Harry und Ron. Natürlich mit mir!“
„Du
misst dir zu viel Bedeutung bei.“
„Ich
dachte, ich bin die Waffe?“, gab sie zurück und konnte sich endlich erheben.
Darauf schwieg er. Anscheinend wusste er dagegen nichts zu sagen. Dann
erhellten sich seine Züge.
„Eben.
Und deswegen wirst du dieses Haus nicht verlassen, um dich in Gefahr zu
bringen.“ Kurz musste sie begreifen, dass er den Spieß umgedreht hatte.
Mistkerl. Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte wütend mit den
Augen. Sie kannte diesen Blick von sich, denn Ron hatte sich oft darüber
beschwert. Meist, bevor er den Streit dann verlor.
„Weil
ich ein Mädchen bin, denkst du, ich kann mich nicht wehren?“
„Oh,
Granger. Ich habe dich gesehen. Du kannst dich gut wehren. Aber, ob du ein
Mädchen bist oder nicht, dass ist hierbei unwichtig. Du bist die einzige Chance.
Deswegen…“ Er machte eine unverbindliche Handbewegung.
„Was?“,
fragte sie herausfordernd und er atmete aus. Sie sah, wie er sich besinnen
musste. Etwas ratlos stand er vor ihr und schob die Hände in seine Taschen.
„Es ist anstrengend.“ Kurz warfen sie diese Worte etwas aus ihrer Bahn.
„Was? Was ist anstrengend?“
„Dieses
Gespräch.“ Er war sich mir der Hand kurz über die Augen gefahren. „Wenn das
immer so ist, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Potter dich besonders
vermisst. Du bist so… so…“ Ihm schienen die Worte zu fehlen.
„Harry vermisst mich sehr wohl! Alle werden mich schon vermissen, denn… Was
soll das heißen? Wie bin ich?“ Sie
hatte sich selber unterbrochen. Er hob unmissverständlich die Hände und
schnaubte auf.
„Du
willst alles wissen. Alles auf einmal. Alle Optionen.“ Er machte eine gereizte
Geste. „Du willst alles analysieren, obwohl… nichts fest steht. Jedes andere
Mädchen wäre…“
„In
Ohnmacht gefallen?“, nahm sie ihm die Worte ab. „Wäre gestorben, nachdem dein
Vater fertig war mit seiner Folter und seiner Gewalt?“ Er sollte bloß nicht
denken, sie hätte Angst. Sein Blick bekam etwas Gehetztes. „Tut mir leid. Ich
bin keines von den Mädchen, die du in deinem Bekanntenkreis bevorzugst. Mir
geht es nicht um Geld, Ansehen, Blut…“
„Er
hätte das nicht tun dürfen“, sagte er jetzt, beinahe entschuldigend.
„Du
hast meinen Willen genauso untergraben!“, brauste sie auf.
„Nein
– nicht… so“, gab er zerknirscht zurück. „Geht das schon wieder los? Ich habe
mich doch entschuldigt!“
„Hast
du nicht!“, schrie sie jetzt. Sein Mund klappte auf. „Natürlich hast du das
nicht! Du hast dich noch für irgendwas entschuldigt, was du mir angetan hast,
Malfoy! Oder erinnerst du dich, dass du in den Krankenflügel gekommen bist, um
dich für die Hasenzähne zu entschuldigen, die du mir verpasst hast?“ Sie wusste
nicht, weshalb sie ausgerechnet jetzt an dieses Erlebnis denken musste.
„Was?“,
fragte er ungläubig. „Wovon sprichst du?“
„Von
unserem vierten Jahr“, gab sie zornig zurück. Sein Blick klärte sich.
„Was
willst du jetzt? Dass ich mich für jede Kleinigkeit entschuldige?“
„Ja“,
sagte sie, ehe sie sich besonnen hatte. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Dann lächelte er freudlos.
„Ich
denke, so viel Zeit haben wir nicht.“
„Da
hast du verdammt recht!“
„Wieso
hast du mich noch gleich geküsst, wenn du… mich doch so sehr hasst?“, fragte er
plötzlich und schien echtes Interesse an der Antwort zu haben.
„Das…
ich… das war ein Reflex.“ Das war die dümmste Antwort, die ein Mensch hatte
geben können.
„Oh.
Ein Reflex?“, erkundigte er sich spöttisch. „Muss ich jetzt aufpassen? Schießt
du gleich nach vorne und wirfst dich in meine Arme, Granger?“ Er grinste
plötzlich. „Vielleicht sollte ich meine Tür auch noch abschließen“, fügte er
amüsiert hinzu.
„Das
hättest du gerne…“ Sie schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen.
„Ok,
hör zu…“ Er war mit einem Mal wieder ernst geworden. „Du bist zwar ein Mädchen.
Und eine Gryffindor. Eine Muggel und eine Nervensäge“, begann er und ihre Miene
verfinsterte sich. „Aber… im Sinne der Umstände schlage ich vor, dass wir…
einen Waffenstillstand einlegen.“
„Streiten
mir dir ist die einzige Freude die mir bleibt, du dämliches Arschloch“, gab sie
zurück. Er hatte ihr grinsend die Hand entgegen gestreckt. Sie musterte sie
skeptisch, mit ein wenig Abscheu.
„Du
musst sie nur schütteln, nicht küssen, Granger. Allerdings weiß ich ja nicht,
wie es gerade um deine Reflexe steht…“ Er schien sich wirklich zu amüsieren.
„Du
willst einen Waffenstillstand? Dann verzichtest du auch auf deine scheiß
Sprüche, Malfoy!“
„Ich
rette dir schon dein scheiß Leben, Granger“, gab er zurück und wartete immer
noch.
„Tust
du das?“, fragte sie plötzlich.
„Das
habe ich zumindest versprochen. Keine Ahnung, ob ich es halten kann, aber… wenn
du die Eine bist, dann…“ Er ruckte mit dem Kopf. Es war faszinierend, ihn
anzusehen. Schon wieder bekam sie dieses seltsame Gefühl. Dieses seltsame
Verlangen, ihn zu küssen, wenn er etwas Nettes sagte. „Jetzt gerade, im Moment,
würde ich es wohl tun“, sagte er langsam, als würde er seine Worte beim
Sprechen auf ihre Wahrheit prüfen. „Keine Ahnung, ob das morgen auch noch-“
Er
konnte den Satz nicht beenden, denn sie hatte sich schon wieder vorgelehnt und ihre
Lippen lagen schon wieder auf seinen. Dieses Mal zuckte er nicht zurück. Dieses
Mal hatte er nicht schockiert die Luft eingesogen.
Sie
hatte gar nicht anders gekonnt! Das wurde ihr erschreckenderweise bewusst.
Sie
löste sich langsam von ihm und ihre Augen flogen auf. Sein Mund hatte sich ein
Stück geöffnet. Seine Lippen waren weich gewesen. Die Berührung nur ein Hauch.
Sie sah die kleine, steile Falte zwischen seinen Augenbrauen.
„Handschütteln
wäre völlig ausreichend gewesen.“ Seine Stimme klang nicht so selbstsicher, wie
noch vor einer Minute. Eher rau.
„Tut…
tut mir so leid!“, flüsterte sie ehrlich. Sie konnte sich nicht erklären, wie
das schon wieder hatte passieren können!
„Vielleicht
solltest du deine Reflexe langsam unter Kontrolle kriegen, Granger.“ Er stand
immer noch vor ihr. Aber seine Hand war wieder gesunken. Die Hitze in ihren
Wangen war so unerträglich.
„Ich…
ich wollte es gar nicht!“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.
„Wieso
tust du es dann?“ Jetzt klang er ärgerlich. „Ist das irgendeine Neurose, die du
nicht mehr unter Kontrolle kriegst?“, fuhr er zornig fort und schien nach den
richtigen Worten zu suchen. „Würde ich das ständig tun, hätte ich deine Faust
in meinem Gesicht!“
„Ich
hab gesagt, es tut mir leid!“, schrie sie jetzt und musste ihre Unterlippe vom
Beben abhalten. Sie würde bestimmt nicht deswegen weinen! Dann bekam sie eben
das Verlangen, Draco Malfoy zu… Oh Gott! Das konnte nicht schon wieder
passieren!
Er
funkelte sie voller Zorn an und sie hätte nur zu gerne ihren Hass aufrecht
erhalten. Aber irgendwas in ihrem Innern stand lichterloh in Flammen. Ihre
Finger kribbelten vor Aufregung. Sie wollte noch etwas zu ihrer Verteidigung
sagen, wollte ihn warnen, aber er schien es zu sehen. Sein Mund öffnete sich
erneut, als wolle er protestieren, aber sie hatte bereits die Arme um seinen
Nacken geschlungen und zog ihn an sich. Sie konnte ihre Lippen gar nicht
schnell genug auf seine pressen.
Er
hatte überhaupt keine Zeit, noch etwas zu sagen.
Zum
dritten Mal küsste sie ihn. Und diesmal hatte sie sich mit ihrem gesamten
Körper an ihn gepresst. Er hatte kaum Gelegenheit, den Gedanken, der sich in
seinem Kopf geformt hatte, zu analysieren. Denn kurz war ihm die Erleuchtung
gekommen. Kurz war ihm klar gewesen, weshalb…-
Sie
stöhnte gegen seinen Mund, den er sicherheitshalber verschlossen hielt. Ihre
Finger fuhren in seine Haare und er versuchte den Gedanken zu greifen, den er
eben gehabt hatte. Aber nichts war schwerer als das, wenn sie… - die Hand von
seinem Nacken löste, um sie gegen seinen Schritt zu pressen!
Hastig
umfing er ihr Handgelenk und hielt es fest. Sie hatte sich noch enger an ihn
gepresst. Scheiße! Was sollte er jetzt tun??
Was
sollte er tun? Was hatte er sich noch gleich überlegt, für den Fall, dass es noch
mal passieren würde?
Aber
da hatte er noch angenommen, dass sie es wollen würde. Aber vielleicht tat sie
das? Aber nein, sie hatte sich entschuldigt. Sie wollte es gar nicht bewusst?
Oder doch? Seine wachsende Erektion half ihm überhaupt nicht. Immer wieder
küsste sie seine verschlossenen Lippen und er hatte Mühe, die Augen aufzuhalten
und nicht nachzugeben.
Er
zog den Kopf rigoros zurück und sie wäre fast nach vorne gestolpert.
„Granger?“,
fragte er heiser und trübe blickten ihn ihre Augen an.
„Oh
Gott! Oh Gott!“, wiederholte sie lautlos. Ihr Mund hatte sich geöffnet.
„Was
zur Hölle tust du?“, fragte er jetzt zornig und sie schüttelte heftig den Kopf.
„Ich
weiß es nicht! Aber… du darfst auf keinen Fall nachgeben, hast du verstanden,
Malfoy?“ Sie klang fast hysterisch. Und dennoch analysierte sie bereits alles.
Er hielt immer noch ihre Hand umfangen. Sie war herrlich rot, stellte er fest.
„Hatte
ich bestimmt nicht vor, verflucht!“, gab er zurück und wich nach hinten in den
Raum. Sie hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen. Panisch traf ihn ihr
Blick. In ihren Augen sah er nichts weiter als Bestürzung. Und er wusste nicht,
wie er das werten sollte. Bestürzung hatte er bisher bei keinem Mädchen
entdecken können. Und bestimmt nicht hervorgerufen!
Sie
schien sich zu beruhigen.
„Ich
weiß nicht, warum, aber es wird irgendwie… stärker…“
Das schien sie selber zu schockieren. Dann fiel die Tür ins Schloss. Snape war
wieder da, schoss es Draco durch den Kopf. Das war… gut, nahm er an.
„Hier
seid ihr. Alles geklappt? Hast du mit Harry gesprochen?“ Er riss den Blick von
Granger los und wich vorsichtshalber noch einen Schritt zurück.
„Nein…
ich kam nicht dazu. Wir haben gerade… Blut abgenommen“, schloss er. Snape
nickte.
„Gut. Ausgezeichnet. Dann hast du es ihr erklärt?“ Jetzt sah er sie an.
„Hermine?
Alles in Ordnung? Du atmest so heftig? War die Abnahme nicht gut für deinen
Kreislauf?“
„Nein“,
flüsterte sie. „Nein“, wiederholte sie lauter. „Alles in Ordnung. Ich bin… nur
etwas müde.“ Sie log. Aber vielleicht war es besser, wenn sie nicht in einem
Raum waren.
„Wenn
du keinen Hunger mehr hast?“
„Ich…
nein… Ich denke, ich gehe ins Bett.“ Beinahe hastig stürmte sie aus dem Zimmer.
Snape
fixierte ihn kurz. „Hast du dich mit ihr gestritten, Draco?“ Dieser Vorwurf!
Das war ja wohl die Höhe!
„Wir
sollten reden, Severus“, sagte er also und riss sich zusammen, um nicht zornig
zu werden.
~*~
Er
war sich seiner Hände noch nie so sehr bewusst wie gerade jetzt, in diesem
Augenblick, wo er sie ständig in seinem Schoß neu faltete und sich immer wieder
durch die Haare fuhr, bis ihm die Strähnen andauernd in die Stirn fielen.
„Was bedeutet das?“, fragte er so konsterniert, dass Snape kurz den Mund verzog.
„Ich
bin mir nicht ganz sicher.“
„Du
wusstest das, oder?“ Es war beinahe ein Knurren und wieder einmal fühlte sich
Draco viel eher ausgenutzt, als alles andere. Selbst von Snape. Und von ihm
hatte er es nicht erwartet.
„Natürlich habe ich damit nicht gerechnet, Draco! Ich bitte dich. Wer hätte
damit schon gerechnet. Aber… du siehst, die Prophezeiung erfüllt sich
zumindest“, fügte er beschwichtigend hinzu und Draco hätte am liebsten
hysterisch geschrieen. Aber das verbot ihm der Anstand, oder zumindest das, was
er dafür hielt.
„Großartig.
Was soll das jetzt heißen? Dass ich…“ Er hob verzweifelt die Hände. „Wieso denn
ich, verflucht?“, brauste er jetzt auf und lehnte sich angespannt in den Sessel
zurück.
„Vielleicht
ist das eine gute Sache“, mutmaßte Snape.
„Das
ist nicht dein Ernst, oder? Vielleicht sollten wir diesbezüglich Potter und
seine Gang konsultieren und sie fragen. Sie werden dir ziemlich eindeutig klar
machen, dass das hier nicht sein kann!“ Sein Blick verfing sich an den alten
Aufzeichnungen auf dem Tisch.
„Wo hast du die her?“, fuhr er fort und schloss kurz die Augen, um den
Kopfschmerz abzuwenden, der ihn so oder so erreichen würde.
„Unwichtig“,
erwiderte Snape und sah ihn nicht an.
„Wo
bist du dafür eingebrochen?“, entgegnete Draco mit erhobener Augenbraue. Snape
lächelte freudlos.
„Du
bist nicht dumm, Draco.“
Draco
erhob sich plötzlich. „Wenn das alles stimmt, dann… dann haben wir eine Chance.
Vielleicht“, fügte er nicht ganz so sicher hinzu.
„Wenn
wir an ihn ran kommen, ja.“
„Weißt
du, wo er sich aufhält?“, fragte Draco und ärgerte sich maßlos, dass er diese
Frage nicht selber beantworten konnte.
„Voldemorts
Quartier wechselt“, war alles, was Snape sagte.
„Er
ist wie Potter“, murmelte Draco nur. Snape lächelte wieder.
„Tja,
Strukturen wiederholen sich. Aber wenn wir den ursprünglichen Plan verfolgen,
dann sollte er auftauchen. Ganz von selbst.“ Snape musste kurz stutzen. „Na ja,
es sei denn, Hermine lässt dich jetzt nicht mehr gehen“, fügte er hinzu. Draco
wusste nicht, ob er die Worte ernst meinte, oder…
„Ha
ha“, sagte Draco schlicht. „Was?“ Snapes Blick war fast stechend.
„Ich
kann mir nur nicht erklären, weshalb…“ Er unterbrach sich. „Ist vorher schon
etwas passiert?“ Heiße Schuldgefühle schnürten seine Kehle zu. Er machte eine
unwirsche Kopfbewegung.
Er
wollte nicht an seine kleine private Geiselnahme denken. Wenn er an den Tag
dachte, als er sie in Potters Quartier mit ihren eigenen Waffen überwältigt und
mitgeschleppt hatte, wurde ihm übel.
Für
einen Moment fragte er sich, welcher Mensch so etwas mit reinem Gewissen tun
konnte, aber dann wanderten seine Gedanken weiter. Zu dem Tag, an dem er sie
gegen die Wand gepresst hatte. Weil… War er selber schuld an der Situation?
Hatte er es forciert?
„Abgesehen
von den offensichtlichen Dingen, die Lucius ihr angetan hat?“, fügte Snape
leiser hinzu. Dracos Fäuste ballten sich, wann auch immer diese Erinnerung an
die Oberfläche kochte.
„Ich…
nein“, erwiderte Draco jetzt gepresst. „Ich wüsste nicht, was passiert sein
sollte“, antwortete er jetzt und blickte angestrengt auf die Bücherregale an
der Wand.
„Du
musst mit ihr sprechen.“ Bald würde ihm noch der Kragen platzen.
„Wieso muss ich mit ihr sprechen? Wieso muss immer ich alles tun? Wieso gehst
du nicht zu ihr? Wieso erklärst du es ihr nicht? Es war deine Idee, Severus! Es
ist alles dein Plan, dein Wagnis. Ich bin nicht hier, weil…“
„Warum
bist du dann hier, Draco?“, fuhr Snape ihn an. Die Stimmung war immer zum Zerreißen
gespannt, fiel ihm auf. Manchmal vermutete er, dass Snape lediglich blind
vertraute, anstatt wirklich alle Informationen zu besitzen, und dass er
unsicher wurde, jedes Mal, wenn Draco seine Zweifel äußerte.
„Erzähl
mir nicht, dass du plötzlich eingesehen hast, dass das Todesser Dasein endlich
ist! Das glaubst du dir doch selber nicht!“
„Was
willst du eigentlich von mir?“, schrie er jetzt zornig. „Ich bin hier oder
nicht? Ich erfülle deine scheiße Aufgaben, die du mir auferlegst, Severus!“
Das
Haus war zwar groß genug für drei, aber bei weitem nicht groß genug, um sich
aus dem Weg gehen zu können, wurde ihm klar. Snape schien sich zu besinnen.
„Schön.
Aber willst du wirklich, dass ich ihr das sage? Willst du das wirklich?“ Kurz
musste er überlegen. Es hatte natürlich seinen Reiz, würde er Granger diese
Nachricht überbringen. Allein schon, weil es sie fertig machen würde.
Es
war etwas, was eigentlich viel zu gefährlich war. Eigentlich war er sauer auf
sie, dass sie ihm das angetan hatte! Als hätte sie nicht wen anders auswählen
können. Aber nein.
Den
Gefallen tat sie ihm nicht. Und sich selber scheinbar auch nicht.
„Gut.
Aber die nächsten Zeilen, die du detailliert findest, kannst du ihr selber
erklären. Hast du überhaupt schon rausgefunden, wie der Zauber ausgeführt
werden muss?“, fragte er jetzt, ungehalten darüber, dass Snape ihn schon wieder
überredet hatte.
„Nein,
habe ich nicht. Aber ich habe eine Ahnung, wo sich diese Zeilen befinden.“
„Woher
weißt du diese Dinge?“
„Weil
dein Vater eine Vorliebe dafür hat, Schriften aus Merlins ersten drei
Zeitaltern zu sammeln“, erwiderte er bitter. Dracos Augen weiteten sich.
„Du brichst bei uns ein?“, flüsterte er schockiert.
„Leider
ist es mir erst später klar geworden, dass Lucius vielleicht der Schlüssel zu
unseren Problemen sein könnte und zweimal hatte ich bereits Glück.“
„Und
Glück ist hier das richtige Wort! Wenn er dich findet, denkst du nicht, dass du
dann ziemlich in der Scheiße sitzt, Severus?“ Snape verzog den Mund erneut.
„Das
weiß ich selber, Draco. Aber Lucius ist Gott sei Dank die meiste Zeit betrunken
und zornig. Jetzt laufen zwar die Todesser Sturm. Sie wissen, dass etwas faul
ist. Bellatrix hat das Gerücht verbreitet, dass du Hermine geschwängert hast,
und deshalb mit ihr geflohen bist. Sie suchen Potter noch stärker als vorher,
weil sie denken, du bist bei ihm. Mit ihr.“ Draco musste diese Information
verarbeiten.
„So
etwas erzählt dieses verrückte Miststück?“
„Es
ist Bellatrix“, erwiderte Snape schlicht.
„Gehst
du wieder zurück?“
„Ich
habe morgen wenigstens eine gute Ausrede. Ich bin nämlich eingeladen, um über
deinen Aufenthalt zu mutmaßen. Zuerst wurde ich verdächtigt, dich und Hermine
versteckt zu haben, aber mittlerweile hat sich diese These zerschlagen.“ Er
klang ein wenig amüsiert.
Bei
Draco schrillten allerdings alle Alarmglocken.
„Du
wurdest eingeladen? Dir ist klar,
dass das eine Falle ist, oder?“
Und
dass Snape nichts dazu sagte, ließ sein Herz gefrieren. „Du wirst doch nicht
wirklich Folge leisten? Das ist nicht dein Ernst!“ Snape fuhr sich müde über
die Stirn.
„Draco, wie denkst du, sieht es aus, wenn ich plötzlich absage und nicht mehr
komme? Ich muss das Bild aufrecht erhalten. Würde ich jetzt Schwäche zeigen,
dann wüssten sie, wo sie suchen müssen. Ich bin schon froh, dass sie bis hier
hin noch keine Ahnung haben.“
„Was,
wenn sie morgen etwas Übles vorhaben? Was, wenn sie dich nicht einfach gehen
lassen? Was, wenn sie Fragen stellen, dich foltern, dich-“ Er beendete diesen
Satz nicht.
„Draco,
bitte, du musst ruhig bleiben. Du musst tun, was du versprochen hast. Ich werde
morgen gehen müssen, damit mir die Chance bleibt, die Unterlagen deines Vaters
zu durchsuchen.“ Draco schüttelte den Kopf.
„Lass mich das machen“, bot er hastig an.
„Nein.
Ich kann nicht auf dich verzichten. Du musst bleiben, außerdem bist du jetzt
auf der schwarzen Liste“, fügte er hinzu. „Mit Potter.“ Dracos Mund schloss
sich. Er hatte sich im Bezug auf seinen Vater also nicht geirrt.
Er
würde ihn bedenkenlos ausliefern. Arschloch.
„Und
du bist nicht auf dieser Liste?“
Wieder schwieg Snape.
„Du musst mir versprechen, das Haus nicht zu verlassen.“
„Dann
versprich du mir, dass du morgen auch wieder kommst“, forderte Draco kalt.
„Sicher
komme ich wieder.“ Snape sah ihn dabei nicht an. Draco konnte nur wieder und
wieder den Kopf schütteln. Dann hob sein Pate den Blick.
„Willst
du darauf den Unbrechbaren Schwur ablegen?“, fragte er und Draco wusste
augenblicklich, weshalb er das wollte. Er war zurückgewichen.
„Du hast nicht die Absicht wieder zu kommen!“, flüsterte er voller Hass.
„Doch,
ich habe die Absicht, wieder zu kommen, ich habe nur…“
„Ich
weiß, was du hast!“, rief er lauter. „Aber das werde ich nicht tun. Ich besiegel
nicht deinen verdammten Tod, Severus!“ Er war zur Tür zurück gewichen.
„Draco,
wir wissen, dass es unausweichlich sein wird. Bald“, fügte er hinzu. „Und wenn
wir den Schwur leisten, dann ist es nur eine Vorsichtsmaßnahme.“
„Nette
Umschreibung für das, was es wirklich ist“, knurrte Draco verächtlich.
„Bitte,
hör mich an“, fuhr Snape ungerührt fort. „Natürlich plane ich morgen wieder zu
kommen. Und am Tag darauf und darauf… Ich plane das alles schon wesentlich
länger, als du es dir vorstellen kannst“, erklärte er ungeduldig. „Aber… man
muss manchmal Opfer bringen, Draco, ist dir das immer noch nicht bewusst?“
Ob
ihm das nicht bewusst war? Was dachte Snape eigentlich, was er hier tat?
„Aber,
wenn du mir den Gefallen tun würdest… und die unwahrscheinlich Situation
eintritt, dass es mir irgendwann nicht möglich sein sollte, wieder zu kommen,
weil… nun ja, weil man mich nicht lässt, dann…“
„Das
ist nicht legal“, widersprach er und wusste, wie lächerlich es war, dass gerade
er vom Gesetz sprechen musste.
„Es
ist das Vernünftigste, was wir tun können!“ Draco atmete aus. Er brauchte mehr
Zeit. Er brauchte für alles einfach mehr Zeit. Er konnte doch so etwas nicht
einfach entscheiden!
„Wir
brauchen eine dritte Person dafür“, sah Draco die Rettung jetzt. Snape
lächelte.
„Nicht, wenn die Konsequenzen nur für eine Person gelten.“
„Doch
auch dann.“
„Mr
Malfoy, ich glaube, Sie haben in Verwandlung nicht richtig aufgepasst“,
erwiderte Snape ruhig. Draco schüttelte gereizt den Kopf.
„Hör
auf damit!“
Snape
streckte die Hand aus. „Bitte, Draco.“
Draco
schüttelte langsam den Kopf. „Ich bitte dich inständig. Als dein Pate. Damit
wir lebend aus dieser Sache rauskommen.“ Draco würde doch noch hysterisch werden.
„Ich verlange viel von dir, ich weiß. Aber… jetzt ist deine Rolle genauso
wichtig wie Hermines. Wenn sie irgendwas von mir erfahren würden…! Es wäre
einfach verehrend. Es wäre tödlich. Für alle!“
Draco
schloss die Augen.
„Ich
kann dich nicht verlieren!“, sagte Draco plötzlich und seine Stimme klang nicht
mehr so, wie er sie gewöhnt war. Sie war plötzlich erstickt. „Ich habe
niemanden mehr!“, fügte er beinahe zornig hinzu. „Und jetzt verlangst du von
mir, dass ich auch noch deinen Tod billigend unterstütze?“ Er schüttelte wieder
den Kopf.
Snape
blieb still. „Schön, wenn du ein verdammter Held sein willst, Severus. Aber wie
viele andere Seelen müssen dabei auf der Strecke bleiben?“
„Draco….“,
sagte Snape langsam. „Ich habe nicht vor, mich umbringen zu lassen. Ich habe
nicht vor, dich allein zu lassen, hast du das verstanden?“ Wenn er weinen
würde, würde er sich wahrscheinlich selber verfluchen müssen, überlegte Draco
müde und streckte den Rücken durch.
„Dann
gib mir Aufgaben ab. Richtige Aufgaben. Nicht diese Babysitter-Aufgaben. Wenn
ich dir diesen Gefallen tue und den Schwur leiste, dann verlange ich, etwas tun
zu dürfen! Gib mir eine verfluchte Aufgabe!“
Snape
überlegte kurz. Dann gab er nach.
„Abgemacht“,
war alles, was er sagte, ohne Draco aus dem Blick zu lassen.
„Ich
hasse dich“, sagte Draco nur und fühlte plötzlich die Welle der Macht durch
sich strömen. Er tat etwas ziemlich Erhebliches. Er hob die Hand und fühlte
sich zu ersten Mal stark und überlegen und gebraucht. Absolut wichtig.
Beide
Männer umschlossen ihre Handgelenke im festen Griff.
„Severus
Snape, du schwörst, die Vorsicht zu beachten und dich in keine offene Gefahr zu
bringen“, sagte er und die Worte fielen ihm leicht. Snape berührte mit dem
Zauberstab ihre Hände und das erste Band – es war grün – umschlang ihre Hände.
Bei dem üblichen Schwur war es silbern, wusste Draco. Denn er hatte sehr wohl
in Verwandlung aufgepasst.
„Das
schwöre ich“, sagte Snape und Draco konnte den Blick in seinem Gesicht nicht
wirklich deuten. War es Stolz? Angst? Oder beides?
„Severus
Snape, du schwörst, zu kämpfen, mit all deiner Kraft, um den Schwur zu halten
und jede Möglichkeit zu nutzen, die du hast.“
„Das
schwöre ich.“ Jetzt legte Draco seinen Zauberstab auf ihre Hände. Das nächste
Band war golden.
„Severus
Snape, du schwörst, zu diesem Haus zurück zu kommen, wann immer du es verlässt,
unter allen möglichen, lebendigen Umständen.“ Draco ließ nicht zu, dass seine
Stimme auch nur ein einziges Mal zitterte.
„Das
schwöre ich“, sagte Snape zum letzten Mal und das letzte Band hatte eine
giftige rote Farbe. Draco spürte die Kraft des Schwurs, spürte, wie sie auf
Snape überging und er ungebunden zurück blieb und wusste, weshalb dieser Schwur
so verboten war. Der übliche Schwur verpflichtete beide Parteien zum Tod.
Und
hier kam er selber immerhin lebend aus der Sache raus, wenn der Schwur
gebrochen wurde. Snape allerdings nicht. Und er wusste nicht, für wen dieser
Schwur härter zu tragen war.
Sie
hatte alle Sachen, die sie lose verteil hatte, in ihre Tasche geworfen.
Unter
keinen Umständen würde sie noch einen Tag länger bleiben. Es war zu gefährlich.
Sie war regelrecht eine Gefahr für sich – für die anderen.
Sie
strich sich hektisch eine Strähne zurück.
Snape
war bereits früh verschwunden und wenn sie nicht durch das Haus lief, dann
würde man ihr Verschwinden vielleicht gar nicht bemerken.
Es
tat ihr leid um Snape und um den Aufwand, aber… was blieb ihr denn für eine
Wahl? Sie musste zurück. Sie musste zu Harry, denn hier konnte sie einfach
nicht länger bleiben.
Nicht
mit ihm.
Sie
hatte wieder von ihm geträumt. Sie meinte, sich auch zu erinnern, dass er
gestern Abend noch nach ihr gerufen hatte, aber sie hatte ihre Zimmertür schon
abgeschlossen gehabt. Er hatte also nicht mehr mit ihr streiten können, oder
was auch immer er vorgehabt hatte.
Den
Zauberstab steckte sie in ihre Tasche und er guckte ein Stück weit raus. Aber
das war unwichtig, sie würde ihn ja gleich sowieso brauchen.
Harry
hatte seinen Umhang wieder mitgenommen. Das war natürlich ärgerlich, aber
darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.
Sie
konnte sowieso keine Rücksicht mehr nehmen.
Sie
musste jetzt auch an sich denken.
Sie
wollte auch nicht mit Snape sprechen, weil er sie noch ganz wahnsinnig machte,
mit dem Gerede über die Waffe und ihrer Macht.
Sie
war fertig. Die Tür war immer noch abgeschlossen. Sie öffnete das Fenster und
lugte vorsichtig nach draußen. Sie konnte niemanden entdecken. Der Garten
hinter dem Haus war nur ein schmaler Streifen Rasen. Ansonsten begann direkt
eine kleine Seitenstraße. Draußen war es schmutzig und kalt. Niemand war
unterwegs. Todesser konnte sie nicht entdecken.
Aber
die Barriere stand auch noch. Sie musste sie nur kurz verlassen.
Dann
würde sie apparieren. Sie hatte den Zettel gesehen, der in der Küche lag. Mit
den Kaminen, an denen Harry sein würde.
Sie
würde gleich in die Bleaker Street apparieren und von da aus mit Harry ins
Quartier zurück gehen.
Das
war genauso gut. Snape konnte sie auch da finden. Und Blut konnte sie sich
selber abnehmen. Dafür brauchte sie Malfoy auch nicht.
Sie
schulterte die Tasche, warf einen knappen Blick zurück und kletterte aus dem
Fenster, das alte Spalier hinunter. Dort wuchsen keine Pflanzen. Toter Efeu hing
schlaff in den Sprossen und brach unter ihren Füßen.
Nach
wenigen Metern konnte sie auf den Boden springen.
Sie
richtete sich auf. Die Tasche hing immer noch über ihrer Schulter. Sie konnte
in Snapes Wohnzimmer blicken.
Und
ihr Plan hatte einen Haken.
Malfoy
konnte sie sehen.
Nein,
eigentlich sah Harry sie, denn Malfoy unterhielt sich mit ihm im Kamin. Und
jetzt hatte er es Malfoy wohl gesagt, denn dieser hatte sich hektisch
umgewandt. Er sagte etwas, aber sie verstand es natürlich nicht.
Also
war Harry gerade in der Bleaker Street. Sie konnte es also schaffen.
Es
sei denn, sie würde noch länger zögern. Sie wandte sich um. Ihr Herz schlug
verräterisch laut. Mist, sie war dämlich. Aber sie hatte keine Zeit gehabt, für
einen bombensicheren Plan.
„Granger!“,
schrie er außer sich und hatte die Terrassentür aufgerissen. Eine Terrasse
hatte Snape zwar nicht, aber ein paar Steine waren um die Tür angeordnet.
Malfoy stürmte hinter ihr her. „Was denkst du, tust du?“ Er versuchte seine
Stimme wieder zu beruhigen. Sie hielt nicht an und hatte den Bordstein
erreicht.
„Ich
gehe zu Harry“, erklärte sie würdevoll, ohne sich umzusehen.
„Das
denke ich nicht. Du kommst sofort wieder rein. Weißt du, wie gefährlich das
ist? Du kannst nicht nach draußen! Sie könnten dich sehen und töten!“, fuhr er
fort.
„Ich
bleibe nicht hier.“ Er hatte sie doch erreicht und riss sie am Arm herum.
„Hör zu, du undankbares Schlammblut, du wirst deinen verfluchten Hintern sofort
nach drinnen bewegen, bevor ich mich vergesse und dich außer Gefecht setze!“,
knurrte er und kurz hatte sie Angst vor ihm. „Du bist hier in Sicherheit. Nicht
bei Potter, nicht bei irgendwem!“
„Lass
mich los!“ Sie riss ihren Arm zurück, aber er zog sie einfach mit sich.
„Malfoy!“
„Und
sag meinen Namen hier nicht so laut, verflucht!“ Grob zog er sie weiter.
„Nein!“ Sie griff nach ihrem Zauberstab. „Stupor!“
Mit Wucht flog er nach vorne und fiel fast in die Terrassentür. Er blieb für
einen Moment reglos liegen und etwas in ihrem Innern zerrte an ihrem
Bewusstsein. Nein! Was hatte sie getan?
Doch
er richtete sich langsam wieder auf. Zumindest hockte er jetzt. Benommen
schüttelte er den Kopf. Sie erhob den Zauberstab und richtete ihn auf seine
Brust. Ihre Hand zitterte lächerlicherweise.
„Wehe
du kommst näher! Ich werde jetzt apparieren.“ Sie sah, wie er den Mund öffnete,
wie der Zorn über sein Gesicht zuckte. Seine Hand blutete, stellte sie fest.
„Granger, du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich deine scheiß Visage los
wäre!“ Seine Stimme war nur ein raues Knurren. „Aber du könntest es überhaupt
nicht aushalten! Du würdest schneller zurück wollen, als es dir bewusst wäre.“
Sie
schüttelte verständnislos den Kopf. „Nein, Malfoy. Ganz bestimmt nicht!“,
widersprach sie und wich zurück. Sie hörte Stimmen. Leise. Es war nur ein
Murmeln. Hinter der Barriere von Snapes Haus. Dort waren Menschen. Muggel?
Wahrscheinlich nicht, denn die wären keine Gefahr, wurde ihr klar.
Malfoy
war aufgesprungen und hatte den Abstand zu ihr überwunden. Sie wollte etwas
tun, aber er schlug ihr den Zauberstab aus der Hand.
„Halt
den Mund“, flüsterte er angespannt, legte ihr den Finger kurz auf die Lippen
und stellte sich vor sie. Er breitete die Arme vom Körper aus, als könne sich
jede Sekunde jemand auf sie stürzen. Sie hielt den Atem an.
„War
es nicht hier? Ich war mir sicher, etwas gehört zu haben!“ Sie kannte die
Stimme nicht. Malfoy vor ihr fluchte leise.
„Vielleicht
ist es in der nächsten Straße?“
„Unsinn.“
„Und
wo ist es?“
„Vielleicht
hat der Mistkerl sein Haus versteckt?“
„Weshalb
sollte er das?“
„Vielleicht,
damit keiner es ausspionieren kann, Dolohow?“ Die Stimme klang gereizt und
unfreundlich. Todesser, wurde ihr klar, denn den Namen kannte sie! Unbewusst
wich sie näher an Malfoys Rücken, bis sie seine Wärme und den Stoff seines
Pullovers spüren konnte. Er streckte den Rücken durch und seine Atmung wurde
flacher.
„Einen
Illusionierungszauber?“, fragte Dolohow jetzt unsicher und kurz war es still.
„Revelare“, gellte eine Stimme von der
anderen Straßenseite zu ihnen, aber der Körper dazu blieb unsichtbar.
„Mistkerl“, sagte die Stimme jetzt. „Sein Haus ist hier. Aber für uns nicht
zugänglich. Möchte wissen, was er versteckt.“
„Ja,
oder wen“, erwiderte Dolohow.
„Wen?“
„Ist
er nicht der Pate von Malfoys Jungen?“ Sie spürte, wie Malfoy vor ihr kurz und
scharf die Luft einsog.
„Du
denkst, er versteckt Malfoys Sohn?“
„Warum
nicht? Ihn und die Schlammblut Schlampe“, fuhr Dolohow geschäftig fort.
„So dumm ist nicht mal Snape“, widersprach die heisere Stimme jetzt ungeduldig.
„Wir sollten Bellatrix holen. Sie kennt bessere Sprüche.“
„Sie
ist doch in Malfoy Manor. Snape ist dort auch. Wir könnten ihn einfach fragen.“
„Ihn
fragen, ob er Malfoys Jungen hier versteckt? Wenn er das tut, dann denkst du
doch wohl nicht, dass er es zugeben würde, du Idiot!“ Die heisere Stimme wurde
noch wütender.
„Na
ja… wir könnten ihn… zwingen?“
Kurz
herrschte Stille.
„Zwingen…?
Zwingen ist gut.“
Sie
hörte ein Zischen in der Luft. Die beiden waren verschwunden. Malfoy blieb noch
für einige Momente bewegungslos vor ihr stehen.
„Ich
muss zu ihm“, sagte er plötzlich und wandte sich zu ihr um. Sie musste den Kopf
ein Stück in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können, so nah war sie ihm.
„Zu Snape? Nach Malfoy Manor?“
„Ja,
Granger. Wegen dir…“ Doch er sprach nicht weiter.
„Wegen
mir, was?“ fragte sie und wagte nicht, lauter zu werden.
„Nichts. Ich muss zu ihm. Du kannst bleiben, wenn du willst. Aber du verlässt nicht
das Haus.“ Als sie widersprechen wollte, umfing er plötzlich ihre Schultern.
„Ich
will nicht, dass du gehst, hörst du?“ Plötzlich entstand wieder ein seltsames
Gefühl in ihrem Bauch.
„Was
tust du?“, flüsterte sie verwirrt, denn wieder fühlte sie sich benebelt.
„Das
wollte… ich dir gestern noch sagen“, begann er und warf kurz einen Blick über
die Schulter. „Blöderweise hast du…“ Er unterbrach sich selbst. „Aus
irgendwelchen Gründen, hast du mich ausgesucht.“
„Ausgesucht?“, wiederholte sie und ihr Herz
schlug schneller.
„Ja, Granger, ausgesucht“, bestätigte
er gereizt. „Natürlich hättest du dir jeden nehmen können. Potter wäre
wahrscheinlich allemal besser dafür geeignet gewesen, aber Snape sagt, dass du
dich in mich verliebt hast. Und damit die Prophezeiung erfüllst“, fügte er
knapp hinzu.
„Was?“ Sie starrte ihn an. Er musste
lügen. „Das ist doch nicht dein ernst, Malfoy!“ Er atmete ungeduldig aus.
„Ach
nein?“, fragte plötzlich, senkte die Stimme und lehnte sich näher zu ihr, so
dass ihr Herz gleich noch ein paar Sätze machte, als sie direkt in seine blauen
Augen sehen konnte. „Dann sag mir, dass du jetzt gerade kein Verlangen hast,
mich zu küssen.“ Neben seiner selbstsicheren Arroganz lag noch etwas anderes in
seinem Blick. Ihr Mund öffnete sich. Und schloss sich.
Und
alle Worte wurden von dem Wunsch verdrängt, seine Lippen zu spüren.
„Oh
Gott…“ flüsterte sie jetzt. „Das kann nicht sein!“ In ihrer Stimme schwang der
reine Horror mit.
„Es
ist ganz praktisch, weil ich jetzt über dich verfügen kann, Granger. Denn, wenn
ich sage, du sollst bleiben, weil ich es will – dann wirst du es auch tun.“
Kurz lächelte er. Oder er deutete zumindest ein Lächeln an. Ihr wurde ganz
schlecht.
„Nein!“,
erwiderte sie, aber ihre Stimme war mit Unsicherheit getränkt.
„Ich
könnte genauso gut von dir verlangen, dass du mich auf der Stelle willst.
Völlig egal.“ Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht und sie hasste ihren Körper
dafür, dass er auf seine Worte ansprang. Sie schloss die Augen ganz kurz.
„Nett,
nicht wahr?“ Sie hörte das Grinsen in seiner kalten Stimme. Sie schüttelte nur
den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute. „Und jetzt gehen wir rein, ehe
Bellatrix wirklich kommt. Denn sie wird mehr Glück haben, als die beiden
Armleuchter vor ihr.“
Er
zog sie übergangslos mit sich und dieses Mal protestierte sie nicht.
Er
schloss die Terrassentür hinter ihr und sie war wieder im Haus gefangen. Der
Kamin war wieder leer. Harry war verschwunden und wahrscheinlich war er auch
nicht mehr in der Bleaker Street, aber das war jetzt sowieso egal, denn
anscheinend, hatte ihr Körper sie auf das gemeinste hintergangen.
Draco
Malfoy… und es war faszinierend, wie sich Lust und Ekel in ihrem Innern
gleichzeitig abzuwechseln schienen.
„Du
bleibst hier“, wiederholte er nur, als er durch das Wohnzimmer schritt. Sie
riss sich zusammen.
„Ich
werde bestimmt nicht hier bleiben!“ Sie folgte ihm zornig. Die Tasche hatte sie
in den Sessel geworfen. Kurz war er in Snapes Studierzimmer gegangen, holte
eine Flasche aus einem Schrank und kam wieder auf den Flur. Sie wollte gerade
eine entsprechende Frage stellen, als seine Stimme sie unterbrach.
„Du
wirst dich nicht widersetzen.“ Er sprach im Gehen. Im Flur zog er den
Reiseumhang von der Garderobe und warf ihn über. „Ich wusste, dass es schief
gehen wird!“, sagte er mehr zu sich selbst, stellte sich vor den Spiegel und
hob seinen eigenen Zauberstab zu seiner Hand. Die Wunde schloss sich, das
trockene Blut verschwand. Er bewegte kurz die Finger.
Schuld
überkam sie. Aber nur kurz. Dann setzte er den Zauberstab auf seinen Haaransatz
und blickte sich ins eigene Gesicht. Ihr Mund öffnete sich, aber die Worte
erstarben auf ihrer Zunge.
„Porlongo“, sagte er fest und plötzlich
wuchsen seine Harre über seine Ohren, über seine Stirn, sein Kinn, seine
Schultern. Dann zog er den Zauberstab ruckartig zurück. Sie starrte ihn
entgeistert an. Er hexte ein Band aus dem Nichts und band die langen blonden
Haare zum Zopf.
Beinahe
erschrak sie, als er sich jetzt zu ihr umwandte, denn… auf den allerersten
Blick war er von seinem Vater nicht zu unterscheiden gewesen. Nur die Augen…
waren anders. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie.
„Du wirst hier bleiben“, wiederholte er ruhiger. Sie sah ihn immer noch an.
„Was…
was hast du vor?“, fragte sie und vergaß, dass sie eigentlich sauer auf ihn
war.
„Ich werde nach Malfoy Manor apparieren und sehen, ob ich Snape da raus holen
kann. Ohne ihn sind wir… auf uns selbst gestellt“, endete er, obwohl sie ahnte,
dass das nicht die Worte waren, die er hatte wählen wollen.
„Pecuniosus soleo“, sagte er jetzt und
richtete den Zauberstab auf seine Kleidung.
Samtspitze
brach aus seinem Umhang hervor. Seide und schwarzer glatter Stoff ersetzen
seinen Pullover. Glänzende Schuhe erscheinen an seinen Füßen und der Umhang kam
ihr plötzlich dicker vor.
Und
jetzt trug er sogar die Kleidung, die nötig war, um ihn mit Lucius Malfoy zu
verwechseln.
„Ich
komme mit!“, sagte sie plötzlich, voller Tatendrang.
Er
schüttelte bloß den Kopf. „Du wirst hier bleiben. Potter wird gleich
auftauchen“, fügte er unwillig hinzu.
„Harry kommt hier hin?“, fragte sie jetzt und er nickte nur.
„Und
vergiss nicht, dass du ihn auffordern musst, sich zu erkennen zu geben,
verstanden?“ Er schlug den Kragen des feinen Umhangs nach oben. Kurz sah er sehr
streng aus.
„Wann
kommst du wieder?“ Sie hatte es gar nicht fragen wollen. Es war die andere
Hermine. Die dämliche Hermine. Die mit den Gefühlen. Er lächelte kurz und glich
seinem Vater in keinster Weise mehr.
„Vermisst du mich jetzt schon?“ Der Scherz sollte wohl seine Anspannung
überspielen. Sie schüttelte angestrengt den Kopf.
„Ich bin außerdem nicht verliebt in dich“, sagte sie jetzt. Er nickte langsam.
„Natürlich
nicht.“ Seine Hand hob sich zu ihrem Gesicht und seine Augen musterten sie.
Seine Finger schoben eine Strähne hinter ihr Ohr.
„Wenn
wir nicht wieder kommen, dann geh mit Potter“, sagte er bloß. Ihr Herz zerriss
ganz kurz. Es war ein unglaublicher Schmerz. Die normale Hermine in ihr, wollte
sich zusammen reißen.
Die
andere aber nicht. Und die gewann auch noch die Oberhand. Wieder fanden ihre
Arme den Weg zu seinem Hals und sie warf sich gegen seine Brust. Es war schon
fast lächerlich. Sie spürte sein Lachen deutlich.
„Gut,
dass du mich nicht leiden kannst.“
„Arschloch“,
flüsterte sie und konnte es dennoch nicht über sich bringen, ihn loszulassen.
Immerhin hatte sie es vermeiden können, ihn schon wieder zu küssen. Ihr Puls
jagte mittlerweile.
Er
löste ihre Arme von seinem Hals und schob sie von sich.
„Bis
später. Mach keinen Blödsinn und bring dich nicht in Gefahr.“ Seine Stimme
klang sicherer als er sich fühlen musste, denn es kam ihr so vor, als wäre er
bleicher geworden. Sie schämte sich immer noch furchtbar.
Aber
sie biss sich fest auf die Zunge, damit sie ja nichts Dummes sagen würde, was
sie noch bereuen konnte. Damit verschwand er. Die Tür fiel hinter ihm ins
Schloss und sie hörte, wie er sie noch von außen versiegelte.
Dann
war er verschwunden.
Und
eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Sie kam allerdings nicht weit,
denn rigoros wischte sie das lästige Beweisstück fort.
Immerhin
war es wohl… nicht ganz ihre Schuld. Bewusst hatte sie das nicht gewollt. Sie
wollte ihn nicht. Wirklich nicht. Und während sie das dachte, fiel ihr auf, wie
schrecklich sie ihn schon vermisste.
Sie
schloss die Augen und wurde wütend auf sich selbst.
Das
Gefühl war kaum zu beschreiben. Angst war wohl unvermeidlich, aber dieses
andere Gefühl war größer. Neben der Wut kam nämlich die Überlegenheit hinzu. Die
Überlegenheit, vielleicht das richtige zu tun, und damit nicht falsch liegen zu
können.
Seine
Schritte beschleunigten sich. Er wusste nicht genau, weshalb es existenziell
wichtig war, dass er Snape hier her gefolgt war, aber er wusste, dass er es
musste, denn… nein, er wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Wie in Trance
löste er den Bann auf den Toren vor Malfoy Manor und durchschritt den langen
Heckengang, darauf bedacht, dass er sofort angegriffen werden konnte.
Niemand
kam.
Das
war seltsam genug.
Er
sah das Haus schließlich. Ruhig lag es in dem riesigen Garten, den er früher
als Kind stundenlang erkunden konnte. Jetzt kam er ihm gruselig und höchst
bedenklich vor. Die Pfauen waren schon seit Jahren verschwunden. Und er wollte
nicht wissen, was der Grund dafür war, denn Pfauen konnten nun mal nicht
fliegen. Jedenfalls nicht besonders weit oder besonders hoch. Um die Mauern zu
überwinden… Nein – es war für die Tiere einfach nicht möglich. Er hielt sich
nicht gerne länger hier auf.
Er
ging nicht durch die Tür. Es gab natürlich hundert andere Wege, die er kannte.
Aber er wusste auch, dass ihn hier niemand mit offenen Armen empfangen würde.
Sie würden Snape bestimmt dort gefangen halten, wo kein Fenster nach draußen
führte. Er war sich sicher, Snape war im kleinen Salon im Erdgeschoss. Das
Zimmer neben dem Zimmer, in dem sie Granger gefangen gehalten hatten.
Granger… Kurz dachte er an
sie. Ein seltsames Gefühl entstand in seiner Magengegend. Er hatte noch keine Zeit
gehabt, näher über diese Situation nachzudenken, sich Gedanken darüber zu
machen, wie es weiter gehen sollte. Ob es weiter gehen sollte! Denn… klar war,
dass sie keine Gefühle für ihn haben wollte, jetzt aber wohl doch hatte. Und er
wusste nicht, ob das besonders gut oder wirklich, wirklich schlecht war.
Er
schlich um das Haus. Schwere Vorhänge verbargen den Blick durch die hohen
Fenster. Um der nächsten Ecke hielt er inne. Dolohow war an der Wand
eingeschlafen. Natürlich war dieser Mistkerl hier und hielt Wache. Draco hob
den Zauberstab und verfluchte ihn stumm. Der Schockzauber traf den Mann
unerwartet, und ehe er aufwachen konnte, war er an der Wand zusammen gesunken.
Draco
verspürte kein Mitleid.
Er
näherte sich dem Hintereingang. Natürlich war auch dieser mit Sprüchen
gesichert. Und Draco war sich sicher, dass sein Vater sie nicht ändern würde,
nur weil sein Sohn abhanden gekommen war. So arrogant war sein Vater nämlich.
Sein
Vater…! Lucius, der Granger vergewaltigt hatte! Wut kochte an die Oberfläche,
als er zornig auch hier die Bannsprüche löste und die Tür lautlos aufzog.
Sie
führte in den Keller. Er war gewölbt, grau und feucht. Die einzigen Geräusche
hier kamen von den Wassertropfen, die in Pfützen auf den Boden tropften. Er
nahm an, dass Wasser drang von außen durch die Wände. Sein Vater hatte sich nie
die Mühe gemacht, diesen Schaden zu beheben.
Langsam
durschritt er die Gänge und erreichte die Treppe, die nach oben führte. Soweit
stellte sich niemand in seinen Weg, und er war sich nicht sicher, ob er nicht
schon selber in eine Falle gelaufen war.
Aber
eines konnte er mit Sicherheit sagen: Sein Vater traute ihm nicht zu, irgendwas
alleine zu bewältigen. Also hatte er eine gute Chance, dass er hier rauskommen
würde, ohne dass es jemand bemerkte.
Er
öffnete sehr leise die Tür und linste nach rechts und links. Die Gänge lagen
verlassen vor ihm. Jetzt brauchte er nur die richtige Gelegenheit. Und er
entdeckte sie sogar! Das war der äußerste Knackpunkt seines Plans gewesen. Aber
den schien er vielleicht überwinden zu können. Die Sucht seines Vaters kam ihm
sehr gelegen.
Lucius
war gerade in sein Studierzimmer gegangen. Denn dort bewahrte er den teuren
Alkohol auf. So viel wusste selbst er. Er folgte ihm leise und hoffte, dass ihm
jetzt niemand in den Weg kam.
Kaum
war sein Vater im Zimmer verschwunden, zog er den Zauberstab.
Er
wartete keine zehn Sekunden und öffnete die Tür mit einem Ruck. Schnell suchten
seine Augen den vertrauten Raum ab. Lucius saß müde in seinem Sessel und sein
Mund öffnete sich überrascht, als er ihn erkannte.
Draco
ließ ihm nicht die Zeit, zu sprechen.
Er
schrie den Fluch förmlich. Obwohl er das nicht hatte tun wollen. Sein Vater
sank augenblicklich auf dem Schreibtisch zusammen. Jetzt hatte er nicht viel Zeit
übrig. Hastig ging er um den Tisch, schaltete alle Gefühle ab, die ihn
überkamen, rupfte ein paar Haare vom Kopf seines Vaters, ohne große Vorsicht,
und gab sie in die Flasche, die er zuvor von Snape entwendet hatte.
Sie
lösten sich unter Zischen in dem widerlichen Gebräu auf und es nahm eine tief
violette Farbe an. Er trank hastig große Schlucke und schraubte die Flasche zu,
ehe sie ihm aus der Hand fallen konnte.
Die
Veränderung schmerzte nicht besonders. Der Vielsafttrank übernahm die Attribute
des anderen und projizierte sie auf den eigenen Körper. Allerdings gab es hier
nicht viel mehr.
Die
Züge in seinem Gesicht änderten sich. Sie wurden ein wenig straffer und seine
Schultern spannten sich ein wenig fester an. Die Größe blieb dieselbe. Und
seine Haare wurden noch etwas länger, spürte er. Da hatte er sich also
verschätzt gehabt. Der Umhang saß immer noch gleich. Er war also genauso groß
wie Lucius.
Er
zögerte nicht länger und schob seinen Vater aus dem Stuhl und bugsierte ihn
mehr oder weniger sanft unter den mächtigen Schreibtisch. Keine Sekunde zu
früh.
„Ich
kann nicht begreifen, dass du ständig trinken musst! Du widerst mich an, mit
deiner Abhängigkeit. Wir haben hier wichtige Dinge zu erledigen und du – was?“
Bellatrix sah ihn zornig an. „Was starrst du so? Bist du schon so betrunken,
dass-“ Er beschloss sie abzuwürgen, umschritt den Tisch, damit sie ja nicht
näher kam und räusperte sich. Er wusste, seine Stimme ähnelte der seines Vaters
sowieso.
„Halt
den Mund und lass uns gehen.“
„Oh, du lallst ja gar nicht, Lucius“, bemerkte sie spöttisch und hob die
Mundwinkel zu einem bösen Lächeln. Nichts erinnerte ihn an seine Mutter.
Absolut gar nichts an dieser Person, die dieselben Gene in sich trug.
Die
langen schwarzen Haare fielen über ihre Schultern und wirkten nicht gerade
gepflegt. Ihre dunklen Augen musterten sein Gesicht kritisch.
„Was
ist noch?“, gab er harsch zurück.
„Anscheinend
hasst du mich heute mehr als sonst…“, sagte sie plötzlich ruhiger. Draco kam
ein sehr gefährlicher Gedanke, als seine Tante plötzlich näher kam. Und er
versuchte sehr angestrengt, sich zu beruhigen. „Wenn du willst, können wir
Snape noch etwas warten lassen…“ Jetzt klang ihre Stimme nicht mehr feindlich.
Nein, bei Merlin! Ihre Hand fuhr über seine Brust. Er fing sie ab und zwang
sich, sie unbeteiligt anzusehen.
„Später.
Wir haben jetzt keine Zeit dafür“, erwiderte er und hoffte, dass seine Stimme
ihn nicht verraten würde. Sein Vater war ein widerlicher Mann! Kaum war seine
Frau fort, nahm er sich die Schwester. Oh Merlin! Draco zwang die Übelkeit weit
in eine andere Ecke.
„Keine
Zeit?“, entgegnete sie beleidigt. „Sonst kann es dir nicht schnell genug
gehen.“ Er wollte den Kopf schütteln, wollte sie von sich stoßen, aber er
widerstand dieser großen Versuchung. Sie lehnte sich vor und streifte seine
Lippen mit ihren eigenen. Rau und kalt. Sie wollte die Arme um seinen Nacken
legen, doch er umfing ihre Schultern. Er war nur ein wenig größer als sie.
„Später“,
sagte er mit Nachdruck und zwang sich, den Kopf noch einmal zu senken und
presste seine Lippen hart auf ihren Mund. In seinem Kopf musste er gegen den
Ekel kämpfen. Ihre Gegenwehr verschwand und er löste sich von ihr. Und er
versuchte unbeteiligt auszusehen.
„Gut,
später…“ Und er musste daran denken, was sie sagen würde, wenn der echte Lucius
aufwachen würde und ihr erklären müsste, dass sein Sohn seine Rolle übernommen
hatte. Er hoffte inständig, Bellatrix würde dann vor Scham sterben müssen. Der
Gedanke, dass er bei Granger überhaupt keinen Ekel empfand, nagte irgendwo an
seinem Bewusstsein, aber er hatte jetzt bei Merlin keine Zeit auch noch darüber
nachzudenken!
Er
verließ vor ihr das Zimmer. Sie folgte ihm, und ab und an berührte ihre Hand
die seine. Wie beiläufig… Und er erinnerte sich gut an die unzähligen
Streitereien, die sein Vater mit Bellatrix hatte. War das alles nur Schau
gewesen? Seit wann lief diese widerliche Sache? Und hatte seine Mutter andere
Gründe gehabt, zu gehen, als die völlig offensichtlichen?
Er
wollte jetzt nicht darüber nachdenken - und konnte es jetzt auch nicht.
Er
wurde etwas langsamer, damit sie aufschließen konnte, denn er war sich
schließlich nicht sicher, wo genau sie Snape versteckt hielten.
„Na
dann beeil dich. Solange sollte diese Sache nicht dauern. Willst du ihn
foltern, oder soll ich es tun?“ Gott, sie sah ihn an, wie…. Nein. So wollte er
nicht, dass sie ihn ansah.
„Ich werde es tun“, gab er nur zurück. Sie lächelte jetzt und streifte noch
einmal seine Hand. Er ließ es zu und tatsächlich erreichten sie den kleinen
Salon. Er hoffte, sein Vater blieb noch eine Weile bewusstlos.
Gott
sei Dank war Voldemort nicht hier. Aber dafür machte er sich natürlich keine
Umstände. Nur wegen Snape. Das war ihm klar gewesen. Neben ihm und Bellatrix
warteten noch zwei andere Zauberer neben Snape, der magisch auf dem Stuhl
gehalten wurde.
Der
Blick, den Snape ihm zuwarf, war voller Hass und Abscheu.
Es
war etwas seltsam, aber er war ja nicht mehr Draco. Er war Lucius. Wenn auch
nur für eine Stunde.
Er
beschloss, diese Rolle jetzt zu spielen. Er räusperte sich.
„Wo
waren wir stehen geblieben?“, sagte er gedehnt und zwang seine Stimme, rauer zu
klingen als gewöhnlich. Seine Stimme begab sich in Tiefen hinab, die der
Alkohol und die Pilzkrautzigarren seines Vaters hervorrufen würden.
„Unser
Gast wollte uns gerade erklären, wo er deinen verfluchten Sohn versteckt
hält!“, lachte der rechte Zauberer, den Draco als Gordon Snypes zuordnen
konnte. Er war neu in den Reihen der Todesser und diente eigentlich nur als
recht nutzloses Werkzeug.
„Wirklich?“,
fragte Draco jetzt ruhig. „Ist er in deinem Haus, Severus?“, fragte er also und
Snape starrte ihn zornig an. Draco freute sich beinahe, dass er seinem
Patenonkel so ein gutes Spiel liefern konnte. Natürlich war diese diebische
Freude etwas absurd, aber eigentlich war sein ganzes Leben etwas absurd
geworden.
„Geht
es wirklich darum? Draco ist doch völlig unwichtig für deine Pläne!“ Er zwang
sich, nicht nachzudenken, während er sprach.
„Wer
sich mit einem Schlammblut verbündet, verdient es nicht, den Namen Malfoy
weiter zu tragen! Und Verräter werden hart bestraft!“, fügte er hinzu und hob
seinen Zauberstab.
„Was
ist? Jetzt willst du mich töten? Du lädst mich hierher ein? Willst du mich
nicht mehr gehen lassen?“ Draco musste kurz nachdenken. Und er biss kurz die
Zähne zusammen. Snape wollte den Schwur brechen, ging ihm auf. Sobald er
bestätigen würde, dass Snape hier nicht mehr raus kommen würde, dann wäre er
tot.
„Nein,
Severus…“, sagte er also. „Du wirst dieses Haus verlassen“, fügte er hinzu und
erlaubte Snape kurz, den Zauberstab näher begutachten zu können. Er hatte keine
Ahnung, wie weit Snape nachdachte, aber vielleicht wurde ihm klar, dass der
Lucius vor ihm, seinen eigenen Zauberstab benutzte. Vielleicht wurde ihm
bewusst, dass er selber Lucius‘ Zauberstab entwendet hatte, als sie geflohen
waren. Vielleicht…. Und hoffentlich wurde es ihm vor den anderen bewusst. Snape
runzelte plötzlich die Stirn. Bellatrix lachte neben ihm. Draco war nicht ganz
klar, welche verrückten Gedanken durch ihren Kopf rasten.
„Wo
ist sein Zauberstab?“, fragte er jetzt und Snypes zog ihn aus der Tasche.
„Hier. Du hast mir doch gesagt, ich soll ihn nehmen“, fuhr er verwirrt vor.
„Ich weiß selber, was ich gesagt habe, verflucht!“, schrie er jetzt, so wie
sein verwirrter Vater es auch getan hätte, wenn eine Kleinigkeit seinem
betrunkenen Kopf entfallen war. Snypes zuckte kurz zusammen.
„Was
willst du damit?“, fragte Bellatrix neugierig. Er nahm ihn Snypes ab. Denn dann
konnte er den eigenen verräterischen Zauberstab zurück stecken.
„Was
wohl? Ich werde ihn mit seinem eigenen Zauberstab verfluchen. Das hat doch
wesentlich mehr Stil.“ Widerwillig schenkte er Bellatrix ein Lächeln, das sie
erwiderte.
„Du bist böse“, flüsterte sie anerkennend. „So böse, Lucius!“ Er wandte den
Blick nach vorne, suchte nach Erkenntnis in Snapes Augen. Er war sich nicht
sicher. Er war sich nie sicher, was Snape dachte, wenn er ihn ansah. Er zögerte
noch eine Sekunde.
„Bereit?“,
fragte er leise. So leise, dass er hoffte, dass Snape seine Stimme erkennen
würde. Er wusste nicht, weshalb er wissen musste, dass Snape es sah, aber er
wollte seinen Paten nicht verfluchen, ohne dass dieser wusste, dass er es
ungern tat. Snape reagierte nicht.
„Crucio“, sprach er widerwillig und legte
den Zauber mit Absicht nicht hart an. Wenig Hass ging durch seine Hand, durch
den Zauberstab und nur wenig Qual traf auf Snape. Aber dieser schien verstanden
zu haben.
Er
schrie. Er schrie unter Schmerzen, unter Todesqualen und Bellatrix neben ihm,
begann einen kleinen Freudentanz aufzuführen. Draco hielt den Zauberstab auf
ihn gerichtet und ließ die Kraft völlig verebben. Snape schrie immer noch. So
laut, dass Draco beinahe geschmunzelt hätte. Gott sei Dank hatte er verstanden.
„Er
wird noch ohnmächtig werden!“, flüsterte Bellatrix. „Dann ist der Spaß schon
vorbei“, fügte sie besorgt hinzu. Snape schrie noch einmal auf. Dann zog Draco
den Zauberstab zurück. Snap sah ihn an. Vom Schauspiel stand ihm Schweiß auf
der Stirn. Beinahe gespannt blickte er jetzt in sein Gesicht.
„Losmachen“,
befahl er streng.
„Was?“
Bellatrix starrte ihn an.
„Losmachen
habe ich gesagt!“, wiederholte er und die beiden Zauberer lösten die Fesseln.
Mit einem entschuldigenden Blick auf Snape kam er näher, riss ihn aus dem Stuhl
und warf ihn grob auf die Erde. Nach dem Fluch musste Snape so tun, als wäre er
kaum bei Kräften.
„Und
jetzt spielen wir ein Spiel“, sagte er mit grausamer Langsamkeit und warf Snape
den Zauberstab vor die Füße. Dieser bleib reglos und keuchend liegen.
„Ein Spiel?“ Bellatrix schien immer aufgeregter zu werden. „Gut, ich liebe
Spiele!“, fügte sie hinzu. „Du bist wirklich böse!“ Kurz glitt ihre Hand in
seine. Er reagierte darauf nicht.
Er
zog vorsichtig seinen eigenen Zauberstab, darauf bedacht, dass ihn niemand so
genau sehen konnte.
„Ich
würde sagen, wer den ersten Fluch loslässt, gewinnt. Was meint ihr?“, fügte er
an die anderen drei gewandt hinzu. Bellatrix klatschte aufgeregt in die Hände. Die
beiden Männer lachten dümmlich. Snape lag reglos vor ihm. Immer noch.
„Armer
Severus“, lachte Bellatrix. „Es war wirklich schön-“
„Jetzt!“,
schrie Draco mit seiner gewöhnlichen Stimme und ehe irgendjemand sonst
begriffen hatte, was passiert war, war Snape auf die Füße gesprungen und Draco
hatte sich umgewandt. Beide verfluchten zuerst die beiden überraschten Männer
und richteten die Zauberstäbe dann auf Bellatrix. Deren Mund öffnete sich in
Panik.
„Was…“,
flüsterte sie jetzt. „Lucius, was tust du?“ Ihre Stimme wurde hysterisch.
„Aber
Bellatrix…“, sagte Snape jetzt ruhig und kam näher. „Erkennst du deinen eigenen
Neffen nicht?“, fragte er lauernd. Ihre Augen wurden größer.
„Nein!“, flüsterte sie. „Unmöglich!“
Ihr Blick richtete sich auf Draco. Dann auf seinen Zauberstab. „Beim Dunklen
Lord, das kann nicht…!“
„Grüß
meinen Vater“, sagte er kalt und der Schockzauber traf sie direkt in die Brust.
Mit einem überraschten Laut kippte sie zur Seite und blieb dort liegen.
„Komm,
wir gehen“, sagte Draco hastig und Snape und er verließen den Raum. Sie
versiegelten die Türen hinter sich.
„Beeindruckend“,
sagte Snape leise und folgte Draco durch den Flur. „Und gefährlich“, fügte er
hinzu. Draco schenkte ihm einen eisigen Blick. Snape war der richtige, der von
Gefahr sprechen musste. „Du siehst wirklich scheußlich aus“, versuchte es sein
Pate jetzt mit einem Lächeln. Draco rang sich ebenfalls ein schmales Lächeln
ab.
„Vielen
Dank, Severus“, erwiderte er also.
„Warte“,
hielt ihn sein Pate jetzt auf. „Wo wir gerade hier sind…“ Sie bogen ab, in die
Bibliothek. „Wir müssen uns beeilen, aber ich denke, ich habe eine ungefähre
Ahnung. Jetzt, wo man hier ungestört suchen kann…“, fügte er hinzu und Draco
beobachtete ihn, während sein Finger über die Buchrücken fuhr. Snape hielt inne
bei den Rücken ohne Titel und zog hastig eine ganze Reihe an Bänden hervor.
„Diese
hier sollten uns um einiges weiterhelfen.“ Draco hätte sie niemals gewählt. Sie
sahen viel zu alt und nutzlos aus.
„Wenn
du meinst“, sagte er also nur. Snape zog noch weitere Bände hervor.
„Das
wird einiges an Arbeit kosten“, murmelte er, hexte die Bücher klein und
verstaute sie in seinem Umhang.
„Wieso bist du hier her gekommen?“, fragte Draco böse.
„Ich
musste, das weißt du“, erwiderte sein Pate und sie verließen eilig das Gebäude,
ohne zurück zu blicken, nachdem sie die Tür zugezogen hatten. „Und ich… hatte
akkurat darauf gehofft, dass du mir folgen würdest“, fügte er leiser hinzu.
„Was?“,
fragte Draco jetzt und Snape blickte stur nach vorne. „Wieso hast du mir das
nicht gesagt? Wieso hast du das nicht besprochen? Dann hätten wir einen
besseren Plan gehabt als diesen!“ Einige der langen Strähnen lösten sich aus
dem Zopf und er konnte es kaum erwarten, wieder seine eigene Gestalt
anzunehmen. Er fühlte sich etwas unwohl. Und unzufrieden. Er nahm an, dass er
auch die schlechten Eigenschaften seines Vaters übernahm. Dessen Süchte und
Krankheiten und er musste feststellen, dass Lucius‘ Körper nicht so gesund war,
wie von außen anzunehmen.
„Weil…
das konnte ich doch wohl schlecht, Draco!“, fuhr er ihn an und blieb am Tor
stehen. „Was denkst du? Dass ich meinem Patensohn sage, er soll sich in
derartige Gefahr begeben?“
„Ich
bin ohnehin in Gefahr. Egal, wo!“, gab er zurück. „Und außerdem… wir hatten
abgemacht – erinnerst du dich – abgemacht,
dass ich Aufgaben von dir bekomme!“ Snape musterte ihn kurz.
„Dann
hast du jetzt die Feuerprobe bestanden, Draco. Verzeih meine Zweifel. Ab jetzt
zähle ich voll auf dich. Und ich weiß jetzt auch, dass du ohne mich völlig
ausgezeichnet zurechtkommen wirst.“ Diese Worte klangen bitter in seinen Ohren.
Jetzt
dachte Snape also, er konnte sein Leben leicht riskieren, weil er, Draco,
zurecht kommen würde?
Er
seufzte, als sie den Bann lösten und wieder auf die Tore legten.
„Wir
müssen jetzt verschwinden“, fuhr Snape fort. „Mein Haus wird jetzt nicht mehr
sicher sein. Voldemort wird sich jetzt persönlich kümmern. Denn jetzt kann er
nicht mehr leugnen, dass wichtige Dinge vor sich gehen“, fügte er hinzu. Draco
nickte nur.
Sie
apparierten stumm und kamen endlich wieder in der vertrauten Straße an.
Die
Tür öffnete sich. Harry und sie waren aufgesprungen und Harry hatte vor ihr den
Flur betreten und den Zauberstab gehoben. Augenblicklich wurde ihr schlecht.
Snape
hatte Lucius Malfoy mitgebracht! Er wollte sie doch verraten. Snape war nicht
ihr Freund! Und wo war Draco?
„Gebt
euch zu erkennen!“, rief Harry, der selber noch in der Vielsafttrankgestalt
neben ihr stand.
„Ich
bin Severus Snape, ich schwöre auf den letzten Horkrux, die Schlange Nagini,
die wir töteten!“, erklärte Severus laut. Harry richtete den Zauberstab auf
Lucius Malfoy.
„Gib dich zu erkennen“, knurrte er jetzt. Und Lucius Malfoy schien zu überlegen.
Ihre Hände zitterten. Dunkel kamen Erinnerungen an die Oberfläche. Dunkel
wusste sie, wo er sie berührt hatte, wo er sie gezwungen hatte, ihn zu
berühren, wie er in ihr war und wie sie es gehasst hatte und nichts tun konnte!
Sie wollte ihn umbringen!
„Ich
bin Draco Malfoy. Im zweiten Jahr habe ich dich zum Duell im Astronomie Turm
aufgefordert und bin nie gekommen. Stattdessen habe ich-“
„Filch
auf mich gehetzt, ja“, beendete Harry neben ihr den Satz und er ließ den Zauberstab
langsam sinken. Hermine konnte Lucius Malfoy nur anstarren. Draco hatte also
Vielsafttrank mitgenommen.
Und
beinahe gleichzeitig verwandelten sich die Jungen wieder. Anscheinend haben
beide den Trank vor ähnlich langer Zeit eingenommen. Harry erreichte zuerst
wieder seine Gestalt und die Sachen des Zauberers schlabberten ihm um den
Körper.
Dann
wuchsen Dracos Haare wieder in seinen Kopf. Es war ein regelrecht absurder
Anblick. Die Züge in seinem Gesicht, entspannten sich, wurden etwas weicher und
die Farbe seiner Augen wurde Blau. Kein hartes Blau. Nein, ein wunderschönes
Blau.
Ihre
Angst vor Lucius Malfoy fiel von ihr ab, löste sich auf und wurde ersetzt von
schierer Erleichterung. Er schenkte ihr ein feines Lächeln.
„Draco!“,
rief die Hermine, die sie innerlich so verabscheute. Aber sie konnte die
Gefühle in keinster Weise kontrollieren. Ihre Beine bewegten sich von selbst,
teilweise zumindest. Ihre Arme hoben sich und er ließ es zu, zog sie ebenfalls
in seine Arme und sie küsste ihn so stürmisch als wäre er ein Leben lang fort
gewesen.
Und
er wich nicht vor ihr zurück.
Und
der Hermine, die verrückt geworden war, war es egal, dass Snape und Harry
direkt neben ihr standen. Ihre Hände hatten sich um seine Nacken verkrampft.
Ihre Lippen küssten die seinen immer wieder. Liebe verbrannte ihr Herz und sie
wusste, sie würde sterben, wenn er sie von sich schieben würde.
Und
dann öffneten sich seine Lippen kurz. Nur kurz.
Und
nur kurz war die normale Hermine nicht mehr vorhanden. Nur kurz war da nur noch
eine Hermine, die sich wünschte, er würde ihr erlauben, ihre Zunge in seinen
Mund zu schieben. Eine Hermine, die sich wünschte, dieser Moment würde ewig
dauern und einfrieren in der Zeit.
Dann
löste er sich von ihr und seine Augen schienen dunkler.
„Entschuldigung“,
hauchte sie beschämt und wich zurück. „Dieser verfluchte Zauber…“, murmelte
sie. Denn etwas anderes war es schließlich nicht.
„Das meintest du also“, sagte Harry bitter an Snape gewandt. Der wirkte auch
etwas perplex.
„Ja. So ziemlich genau das.“
Malfoy
fuhr sich durch die Haare und streckte sich kurz. Sie sah, wie Harry ihn mit
bloßen Blicken erdolchte.
„Es
gefällt mir nicht.“ Und er gab anscheinend nur Malfoy die Schuld an diesem
Zustand.
„Tut
mir wirklich leid für dich“, entgegnete Malfoy ziemlich angriffslustig. „Du
warst ja zu beschäftigt, damit sie sich in dich verlieben konnte. Oder was
möchtest du damit sagen?“ Hermine schloss die Augen und Hitze schoss in ihre
Wangen. Sie kam sich vor wie ein dummes Mädchen.
„Was?
Das war überhaupt nicht mein Ziel, Malfoy. Und seit wann war es deins? Und
überhaupt – was soll das bedeuten? Weil du einmal was richtig gemacht hast,
bedeutet das nicht, dass du plötzlich ein guter Mensch bist, du verdammter
Mistkerl!“ Kurz sah es so aus, als wollten sie sich aufeinander stürzen. Sie
war dankbar, dass Snape eingriff. Ihre Finger kribbelten, denn Malfoy kam ihr
plötzlich noch attraktiver vor, jetzt wo die unverhohlene Spannung im Raum
hing. Die innere Hermine verdrehte genervt ihre Augen.
Er
schien ihren Blick zu spüren.
„Granger, bitte…“, sagte er gepresst.
Sie riss den Blick von ihm los und starrte auf den Boden.
„Glaub
mir, ich will das nicht, Malfoy! Wie kannst du denken, dass ich es will! Und
sei du gefälligst stärker! Ich meine, du wolltest mich doch eigentlich-“ Sie
unterbrach sich.
Malfoy
hatte sie nicht angesehen. Und jetzt sagte er leise etwas zu Snape und verließ
den Flur, ohne ein weiteres Wort.
„Wo
geht er jetzt hin? Ist er beleidigt?“, knurrte Harry ungehalten und Snape legte
ihm die Hand auf die Schulter.
„Draco war heute sehr mutig, Harry. Er hat voll und ganz bewiesen, dass er
genauso ist wie wir. Dass er auf derselben Seite kämpft. Er ist mein Patensohn
und ich will nicht, dass du es ihm schwer machst.“ Harry sah angewidert aus,
aber er sagte nichts. „Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden. Aber das ist jetzt
unwichtig.“
„Was
passiert jetzt?“, fragte sie ungeduldig, denn sie hatte keine Lust sich weiter
darüber zu unterhaltend, weshalb man Draco Malfoy mögen sollte.
„Jetzt
werden wir abreisen“, sagte Snape nur.
~*~
Sie
hatte Malfoy nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er war zusammen mit Snape
appariert. Sie mit Harry. Die Sachen waren gepackt. Das Haus hatten sie
zurückgelassen und einen Fidelius Zauber auf Harry gelegt. Denn er war
derjenige, den Voldemort – zumindest in der Theorie – als letztes in die Finger
bekommen sollte.
Er
hatte sich nicht verweigert.
Jetzt
war das Haus in Spinner’s End nicht mehr aufzufinden. Egal, wie hart man danach
suchte. Snape hatte alle seine Sachen in einem Koffer verstaut. Außer die
Möbel, von denen er sich fürs erste getrennt hatte.
Er
wusste noch nicht, wann – oder ob – er wieder kommen würde.
Sie
konnten es alle noch nicht sagen. Obwohl es Hermine für einen grauenhaft schrecklichen
Moment so vorgekommen war, als hätte sich Snape für immer verabschiedet.
Hermine
war aufgeregt. Endlich kehrte sie wieder zurück. Dorthin, wo man auf sie
wartete. Wo man sie vermisst hatte. Und es stimmte tatsächlich.
Denn
kaum waren sie angekommen, hatten das versteckte Lager betreten, wo sich die
Gruppe gerade aufhielt, wurde sie mit Fragen bombardiert. Und natürlich mit
Umarmungen. Lavender weinte sogar, dabei hatte es Hermine bei ihr noch nie
gesehen.
Und
die größte Überraschung erlebte sie allerdings mit einer anderen Person.
Ron
kam auf sie zu. Zuerst langsam, beinahe ungläubig, ehe er die letzten Schritte
dann rennend überwand. Er zog sie einfach an sich, in seine feste Umarmung, an
seinen warmen, festen Körper. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und sie
spürte seinen unregelmäßigen Atem.
Kein
Ton verließ seine Lippen. Er hielt sie fest. So fest, dass sie kaum noch Luft
bekam. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn anzusehen. Dann löste er sich
von ihr. Nur ein winziges Stück, so dass er sie ansehen konnte. Sie musste den
Kopf in den Nacken legen.
„Hey,
Ron“, sagte sie leise und versuchte ein Lächeln. Eine Träne fiel auf seine
Wange. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Er sagte gar nichts. Seine Augen
wirkten hell und eingefallen. Die Farbe seines Gesichts war kränklich und er
sah nicht so aus, als hätte er viel geschlafen.
Er
zog sie wortlos wieder an sich und sie legte die Arme um sein breites Kreuz.
Jetzt hob er sie vom Boden hoch und sie keuchte überrascht auf.
„Ron!“, krächzte sie, denn sie bekam kaum noch Luft.
„Du
lebst!“, stellte er leise fest, als er sie wieder runter ließ. „Du lebst“,
wiederholte er noch leiser.
„Jaah…“, sagte sie langsam. „Alles ok“, fügte sie hinzu, als er sie musterte.
„Gott, Hermine…“, begann er und sie sah, wie er um Worte kämpfen musste.
„Es
tut mir alles so leid! Ich… hatte dich retten wollen! Ich hatte sofort hinter
dir her gehen wollen! Ich… Harry hat gesagt, es ist zu gefährlich, und jetzt…
Jetzt hat er gesagt, er bringt dich mit! Und… hier bist du!“, endete er und
schüttelte wieder den Kopf.
„Ich hab dich vermisst. So sehr vermisst. Du kannst dir nicht vorstellen, wie
furchtbar es war“, flüsterte er in ihre Haare, während er sie fest an sich
drückte.
„Und
du lebst! Und du bist wieder hier! Bei mir“, fügte er hinzu und lächelte jetzt.
Er weinte. Und zum ersten Mal kam er ihr vor, wie Ron. Nicht wie der böse,
starke, grauenhafte Mann, der Menschen quälte.
Nein.
Er war Ron. Ihr Ron. Rothaarig, tollpatschig und von Gefühlen überwältigt.
„Ich
hab dich auch vermisst“, sagte sie leise. Dann wurde er ernster.
„Wo ist er?“, fragte er jetzt und seine Stimme zitterte. Und sie wusste sofort,
wen er meinte.
„Ron“, begann sie, aber er schüttelte den Kopf.
„Er
hat dich entführt und gefoltert! Er hat dich wochenlang versteckt gehalten! Und
jetzt ist er auch noch hier! Wo ist
er?“, wiederholte er immer noch tonlos.
„Ron,
bitte. Es ist nicht so! Nichts mehr. Malfoy ist einer von uns. Er kämpft für uns!“ Für mich, hatte sie sagen
wollen. Es verwirrte sie für einen Moment, aber sie schüttelte diesen Moment
ab. Ron schüttelte den Kopf.
„Er hat dir weh getan! Er verdient es nicht-“
„Hör auf damit!“, sagte sie ruhig und fuhr ihm über die Wange. „Es geht mir gut
und… es gibt vieles, was ich dir erzählen muss. Und – Malfoy hat mich gerettet,
Ron. Er hat mich aus dem Haus rausgeholt. Und…“ Sie schwieg. Alleine, dass Ron
den Namen erwähnt hatte, weckte die andere Hermine auf. Die dumme Hermine,
deren Herz nun klopfte, als wollte es zerspringen. Die Hermine, die sich nicht
mehr beherrschen konnte, wenn sie Malfoy länger als eine Stunde nicht zu
Gesicht bekommen hatte.
Und
sie hasste sich dafür, dass sie so empfand.
Aber
sie wusste, sie musste ihn sehen, sonst würde sie noch ein Wrack sein.
„Versprich
mir, dass du ihn freundlich behandelst. Mir zuliebe“, fügte sie zaghaft hinzu,
denn das waren eigentlich keine Worte, die den Ron beeindrucken konnten, den
sie kannte.
„Dir
zuliebe?“, fragte er jetzt langsam und es verging eine Ewigkeit. „Schön. Ich
werde ihn - dir zuliebe - nicht
umbringen, Hermine“, sagte er jetzt und drückte sie noch einmal an sich. Und
sie ließ es über sich ergehen, denn selten war sie so vermisst worden. – Wenn
überhaupt jemals, überlegte sie verwirrt.
Sie
klammerte sich an Ron, denn für einen Moment konnte sie sich lossagen von all
den anderen Dingen, die sich in ihrem Leben jetzt ereignet hatten.
Von
all den Dingen, die ihr eigentlich nicht erlaubten, erleichtert und losgelöst
zu sein.
~*~
Sie
hatte es nicht länger aufschieben können. Aus zwei Gründen nicht. Der erste
war, dass die emotionale Hermine nicht mehr konnte. Physisch hielt sie es
einfach nicht mehr aus, ihn nicht zu sehen.
Und
zweitens sollte sie sich von ihm Blut abnehmen lassen. Er war erstaunlicherweise
mit Harry in dessen Unterkunft.
Beide
Jungen hoben den Blick, als sie herein kam. Sie schluckte, ehe sie sprach. Ihr
Blick war wieder einmal vernebelt von den rosaroten Liebeswolken in ihrem Kopf,
die sie mit aller Kraft verscheuchen musste. Es war wie eine ziemlich gemeine
Droge, die sie überhaupt nicht gewollt hatte, und jetzt nicht mehr loswurde.
„Ich…
komme zum Blut abnehmen“, erklärte sie leise und kam sich albern vor. Denn
eigentlich konnte sie das auch selber, aber das war Snape nicht sicher genug,
hatte er kryptisch erklärt. Wahrscheinlich traute er ihr nicht, dass sie es
wirklich tun würde.
„Wir reden später noch über die Prophezeiung, Hermine.“ Aus Harrys Mund klang
es fast wie eine Drohung. Er verließ sein Zimmer, ehe Hermine weiter fragen
konnte.
„Was
hattet ihr zu reden?“ Sie hatte die Arme verschränkt und Malfoy erhob sich. Er
hatte sich umgezogen, ging ihr auf. Sein Pullover war dunkel und seine Jeans
war sehr eng. Sie musste schlucken. Gott, sie würde noch sterben! Er sollte sie
bewusstlos fluchen und ihr dann Blut abnehmen…
„Wir
mussten ein paar Dinge klären“, erklärte er, hob den Zauberstab und beschwor
wieder das Gefäß aus dem Nichts. Er zog zwei Stühle in die Mitte des kleinen
Raumes und gebot ihr, Platz zu nehmen. Sie sah, wie er ihren Blick mied.
Großartig. Er hielt sie also auch noch für gefährlich.
„Dinge?“, fragte sie schlecht gelaunt und
krempelte den Ärmel ihres Oberteils hoch.
„Ja,
Dinge“, erwiderte er abwesend und führte den Zauber durch. Sie wandte den Blick
in eine andere Richtung und wollte seinen Duft gar nicht wahrnehmen. Sie wusste
nicht, wie sie jemals aus dieser Sache rauskommen sollte.
Was,
wenn alles vorbei war? Was, wenn sie wirklich etwas ausrichten konnte, und das
Böse dann gebannt war? Was war dann mit den Gefühlen? Malfoy würde verschwinden
und sie?
Würde
sich etwas ändern? Wären die Gefühle dann vorbei?
Und
was, wenn nicht?
„Granger?“
Sie zuckte erschrocken zusammen.
„Was?“, fragte sie fast panisch.
„Du
kannst den Ärmel runter krempeln. Wir sind hier fertig“, fügte er hinzu und
erhob sich. Ja, sie waren fertig.
„Malfoy…“
Das war wieder die dumme Hermine. Sie seufzte innerlich auf. Jetzt sah er sie
skeptisch an.
„Was?“ Er wirkte gereizt. Ja, regelrecht belästigt. Von ihr. Sie presste die
Lippen zusammen.
„Tut
mir leid wegen…“, begann sie und machte eine unverbindliche Bewegung in der
Luft.
„Wegen was? Wegen der ständigen Überfälle? Dir tut es leid, dass du dich an
mich wirfst und dich in der nächsten Sekunde entschuldigst? Wirklich, kein
Problem, Granger. Ich kann überhaupt nicht genug davon bekommen“, gab er zornig
zurück, die Stimme tief vor Ironie.
„Du
machst mir Vorwürfe?“ Sie funkelte
ihn wütend an. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn und wollte ihn. Sie wollte
weinen. Kurz schloss sie die Augen.
„Erst
werde ich überzeugt, dass ich dich retten muss. Dann tue ich das und erwarte,
meine Schuldigkeit getan zu haben und dann werde ich gezwungen, einer Muggel
Blut abzunehmen. Nicht nur das. Jetzt bin ich heimatlos und anstatt gehen zu
können, muss ich jetzt wieder zurück zu den Leuten, die mich nur zu gerne
umbringen möchten.“ Ihr Mund öffnete sich etwas ratlos. „Ich höre, Weasley
sucht schon nach mir?“, fügte er recht zufrieden und angriffslustig hinzu.
Ihre
Augen weiteten sich. Also hatte Ron ihn noch nicht gesehen. „Und nur nebenbei,
ich werde ihn bestimmt nicht verschonen, sollte er es darauf anlegen, sein
Leben zu riskieren“, fuhr er grimmig fort.
„Bitte,
tu ihm nichts an!“, flüsterte sie. Sie musste anscheinend beiden Jungen
dasselbe sagen.
„Das ist nicht deine Entscheidung!“
„Es
ist jetzt alles anders. Bitte, mach das einfach nicht. Führ dich einfach nicht
auf, wie ein verfluchter Todesser und sei-“ Er hatte sich von ihr abgewandt und
ihr Herz zerriss, weil er im Begriff war zu gehen. Die dumme Hermine schluchzte
auf. Und auch die andere fand es unhöflich, dass er ging, während sie sprach.
„Malfoy!“, rief sie kläglich. Gereizt wandte er sich um.
„Granger,
hör auf damit!“, rief er ungeduldig und sie war schon zu ihm gegangen. Gegen
ihren Willen, musste sie dazu erwähnen. Wenigstens in ihrem Kopf musste sie
diese Tatsache feststellen. Sollte er doch gehen! Sollte er doch völlig
verschwinden! Ihr war es doch egal!
„Malfoy,
du kannst nicht-“
„Ich
kann, Granger!“, knurrte er. „Ich bin
ein Todesser? Wie wäre es, wenn du mich dann in Ruhe lassen würdest? Wenn es
dir so zuwider ist, dann lass mich einfach in Ruhe!“, schrie er jetzt und sein
Atem ging schnell. Sie konnte kaum die Worte verstehen, die er sagte. Es war
absolut lächerlich. Je näher sie ihm war, umso unwichtiger waren seine Worte.
Dann wollte sie ihn nur berühren, wollte ihn nur spüren, wollte, dass er sie an
sich presste und-
„Nicht“,
sagte er nur und hatte die Hand gehoben. Sie wurde rot. Also, die normale
Hermine in ihr wurde rot. Dass er sehen konnte, wenn sie ihn am liebsten an
sich reißen würde, machte sie fertig. Es war so schwach von ihr, sich nicht
beherrschen zu können. Und sie hasste sich dafür. „Ich kann das nicht, ok?“
„Weil ich ein Schlammblut bin?“, fragte die dumme Hermine. Die andere war vor
Scham ganz starr. „Das habe ich nicht so gemeint“, fügte sie verärgert hinzu
und schloss kurz die Augen. „Es ist mir egal. Geh einfach“, sagte sie
resignierend, immer noch mit geschlossenen Augen.
„Wenn
du… diese Dinge tust, dann… hab ich keine Ahnung, wie viel Widerwillen es dich
eigentlich kostet“, erklärte er. Er stand immer noch vor ihr. Sie atmete ruhig.
Mit geschlossenen Augen war es leichter, stellte sie fest. Und sie musste
zugeben, so viel Widerwillen schien nicht unbedingt vorhanden zu sein, auch
wenn sie es wirklich hasste, diese Sache zugeben zu müssen.
„Dann
habe ich das Gefühl… eine Macht zwingt dich und ich… muss es eben verhindern,
weil du es nicht kannst und… mich wahrscheinlich lieber töten würdest“, endete
er. Sie konnte die Augen nicht mehr geschlossen halten.
„Malfoy…“,
begann sie, aber er war einfach zu schön. Sie hob die Hand zu seinem Gesicht.
Er fing sie schließlich noch ab und wirkte so, als müsse er sich sehr zusammen
nehmen. „Natürlich will ich dich lieber töten.“ Nicht, dass ihre butterweiche
Stimme wirklich viel Aussagekraft hatte. Sie schlug sich ein mentales Brett vor
den Kopf.
„Das hier!“, bedeutete er jetzt und schien sich über sie zu ärgern. „Wieso
kannst du nicht… dagegen kämpfen, Granger? Ich meine… du hasst mich, richtig?
So schwer sollte es doch nicht sein, dieses Gefühl aufrecht zu halten?“ Sie
schüttelte den Kopf, weil sie nicht wirklich verstand. Sein Körper… Seine
Lippen… Er war perfekt. Absolut unglaublich schön. So schön, dass sie nicht
begreifen konnte, wie sie sich überhaupt wehren konnte. Die andere, normale
Hermine blieb unglaublich still in diesem Moment. „Ich bin nicht Lucius!“,
sagte er mit Nachdruck.
„Draco…“,
sagte sie jetzt leise und wollte ihn wieder berühren. Doch er hielt sie auf.
„Hör
zu, ich zwinge dich zu gar nichts, Granger!“ Seine Stimme war so rau, so leise,
so völlig überfordert. „Ich kann das nicht!“, erklärte er noch einmal und schien
ihr Gesicht nach irgendetwas zu durchsuchen.
„Ich
weiß“, sagte sie knapp. „Küss mich, Draco“, flüsterte sie und schloss den
Abstand, wollte an seine Lippen kommen, aber er war zu groß, als dass sie sie
auf Zehenspitzen hätte erreichen können.
„Bei Gott…“, erwiderte er und schloss verzweifelt die Augen. „Ich kann nicht“, presste er hervor. „Wir
wollen das nicht, ok? Du willst das nicht! Ich will das nicht.“ Sie verstand.
Aber es war ihr egal.
„Bitte!“,
sagte sie nur und konnte es kaum aushalten. Sie spürte die Tränen der
Verzweiflung, weil ihr Körper sich nach ihm verzehrte. So sehr! Und es war
schon egal. Ob sie es wollte, oder eben nicht! Egal welche Hermine – beide
wollten ihn in diesem Moment, verflucht!
Er
schüttelte den Kopf und sein Blick bohrte sich in ihren.
Sie
war so nah, dass sie seine Erektion spüren konnte. Und so sehr sie das auch
anwidern sollte, umso egaler war es ihr jetzt! Nein, nicht egal – es war
absolut berauschend!
„Bitte“,
flüsterte sie.
Und
er gab nach.
Es
ging nicht.
Gar
nichts ging mehr. Dieses Mädchen, das ihn anflehte, es zu küssen, war einfach
zu viel. Die ganzen letzten Tage waren einfach zu viel gewesen.
Mit
einem rauen Knurren zog er sie einfach an sich.
Viel
zu willig bog sie sich ihm entgegen. Viel zu leicht war es, sie zu küssen.
Seine
Lippen verschlossen ihren heißen Mund. Ihre Arme schlangen sich wie von selbst
um seinen Nacken und zogen ihn enger zu ihr hinab. Seine Arme legten sich um
sie und es war scheiß egal, dass sie das vielleicht gleich nicht mehr wollte.
Jetzt
war es verflucht unwichtig! Denn sie stöhnte in seinen Mund. Seine Zunge stieß
unweigerlich nach vorne und ihre begegnete ihr nur zu gerne, so schien es ihm.
Sie presste sich gegen seinen Körper, anscheinend mit Absicht gegen seine
Erektion und er konnte nicht mehr klar denken.
Alles
was zählte, war sie. Sie in seinen Armen. Sie unter seinen Lippen.
Ihre
Hände zerrten seine Pullover nach oben. Erschrocken wich er zurück, sah in ihr
Gesicht. Die Wangen waren gerötet, die Augen vor Lust verhangen und er
schüttelte unfähig den Kopf. Ihre Lippen waren wunderschön geschwollen und
dunkle Locken umrahmten ihr Gesicht. Seine Hand fuhr über ihre Wange, in ihre
Haare und er küsste sie erneut.
„Ich…
werde nicht mit dir schlafen“, flüsterte gegen ihre Lippen und sie küsste ihn
nur noch hungriger. Er wusste nicht, ob die andere Hermine – die, die ihn nicht
wollte – noch irgendwo in diesem perfekten Körper vorhanden war. Er hätte es
nicht mit Sicherheit ausschließen können. Vielleicht… wollte sie das. Aber
vielleicht auch nicht.
Vielleicht
mussten sie mit dieser Prophezeiung leben, aber er musste ja nicht völlig die
Kontrolle verlieren, oder?
Sie
sog langsam seine Unterlippe in ihren Mund und er konnte ein Stöhnen nicht
verhindern. Gott, ja! Er wollte sie!
Sie
nahm plötzlich seine Hände und schob sie unter ihr Oberteil. Er zuckte kurz
zurück. Ihre Haut war warm und glatt unter seinen Fingern. Sie presste sich
enger an ihn, zog ihn zu einem weiteren Kuss an sich und er wusste nicht, was
er tun sollte.
„Sprich mit mir“, befahl er, als er seinen Mund von ihr lösen konnte. Sie
brummte unverständlich. „Granger!“, fügte er unwirsch hinzu.
„Was?“,
fragte sie atemlos.
„Du
willst, dass ich dich anfasse?“ Sein Kopf begriff nicht, dass er wirklich diese
Worte sprach. Es machte ihn unglaublich an.
„Wieso… soll ich das sagen?“, fragte sie ungehalten, während ihre Finger durch
seine Haare fuhren. Ob bewusst oder unbewusst, vermochte er nicht zu sagen.
„Wenn
du…“ Er musste sich konzentrieren, um überhaupt sprechen zu können, während
seine Hände immer noch auf ihren bloßen Hüften lagen. „Wenn du mit mir sprichst
dann habe ich wenigstens dann das Gefühl, wirklich mit dir zu sprechen und
nicht…“ Er schluckte, „und nicht mit dieser anderen Hermine, die mich immer
will“, fügte er ruhig hinzu. Kurz öffnete sich ihr Mund.
„Malfoy,
ich bin immer ich“, presste sie hervor. „Ich weiß, was ich hier tue!“ Er wusste
nicht, ob sie sauer oder fasziniert klang. Oder verzweifelt. Alles klang
einfach gleich in diesem Moment. Vielleicht war sie auch alles zusammen,
überlegte er.
„Also
willst du das?“, fragte er rau und
konnte sich kaum noch beherrschen als er den Kopf senkte. Er ließ sie nicht aus
den Augen und Sensationen rauschten durch seinen Geist, als er registrierte,
dass sie seine Lippen anstarrte. Er biss sich kurz auf die Unterlippe und hörte
sie verhalten stöhnen.
Sie
schüttelte zaghaft den Kopf und sagte: „Ja!“
Er
musste lächeln. Seine Lippen strichen leicht über ihre, ehe sie ihn verlangend
an sich zog. Sie taumelten nach hinten gegen die Wand. Seine Hände wanderten
höher, über ihren Rücken, über ihren Bauch, aber er wagte nicht, sie woanders
zu berühren.
Dabei
wusste er doch genau, wie sie aussah. Er hatte sie doch schon so gesehen!
Die
Hände fielen unter größter Anstrengung von ihr ab und er lehnte den Kopf zurück
an die Wand. „Du bringst mich um“, flüsterte er jetzt. Sie schien reichlich
unzufrieden zu sein.
„Du willst mich nicht?“ Er wusste nicht, welche Hermine dies mit welchem
Bewusstsein sagte. Er musste lachen. Recht freudlos.
„Granger,
ich habe dich mit dem Imperius belegt, weil ich dich wollte. Du bist jetzt
einfach nur…“ Er hob ratlos die Hände. „Verwirrt“, fügte er schließlich hinzu.
Ihre
Hände glitten unter seinen Pullover und fuhren über seine Haut. Fasziniert
betrachtete sie seinen Bauch. Ihm ging auf, dass er lange nicht mehr trainiert
hatte. Er sah überhaupt nicht mehr gut aus. Absolut nicht. Aber anscheinend sah
sie etwas völlig anderes.
„Granger“,
sagte er leise. Sie hob träge den Blick. „Wir müssen mehr über diese
Prophezeiung rausfinden. Wir können nicht einfach – fuck!“ Ihre Hand war über seine Erektion gefahren. Selbst durch den
rauen Stoff der Hose fühlte er die Sensation. „Hör mir zu, verflucht“, knurrte
er und zwang sie, ihn anzusehen. Das schien es nicht besser zu machen. Es
schien nur ihre Lust zu steigern.
Das
war doch absolut unfair!
„Du
wirst mich umbringen, richtig?“, fragte er völlig ernst, während er sie hungrig
an sich zog. Er spürte sie aufkeuchen, spürte, wie sie sich kaum noch
beherrschen konnte. Das Richtige wäre, sie nicht mehr anzufassen und mehr über
diesen Zauber herauszufinden, wenn es denn einer war.
Das
Falsche war, sie zu wollen, ihr zu geben, was sie wollte und… sie hier und
jetzt zu vögeln, nur weil sie es anscheinend dringend brauchte.
Der
Gedanke ließ ihn fast in seiner Hose kommen.
„Ich
bringe dich um, wenn du jetzt noch weiter redest!“, flüsterte sie ungehalten
und zog sich ihr Oberteil über den Kopf. Er konnte sie nur anstarren. Worte
waren überflüssig. Jeder Versuch, zu gehen oder sie nicht mehr anzufassen,
verrauchte in der Entstehung.
Und
zum ersten Mal beherrschte er sich nicht. Konnte er auch nicht, davon
abgesehen. Scheiß egal.
Seine
Finger gruben sich so hart in ihr bloßes Fleisch, dass sie fast aufschrie. Er
drehte sie herum, presste sie gegen die Wand, so hart, dass das Holz hinter ihr
knirschte. Sie verzog das Gesicht vor Schmerz, aber er wartete nicht. Er küsste
sie. Seine Lippen krachten auf ihre eigenen, seine Zunge drang unbeherrscht in
ihren Mund, während seine Hände ihren BH einfach von den Schultern zerrten.
Sie
schlang die Arme um seinen Nacken, brachte ihren nackten Oberkörper näher an
seine Brust, während er ihre Hose von den Beinen schälte. Sie öffnete seine
Hose schließlich und ungeduldig riss er sich den Pullover über den Kopf, um sie
wieder küssen zu können.
Ihre
Lippen waren heiß wie Feuer und kaum hatte sie seine Hose seine Beine hinab
geschoben, fiel er vor ihr auf die Knie, küsste ihre Brüste auf dem Weg nach
unten und fühlte sich verflucht großartig. Er zog ihr Höschen ihre Beine hinab
und blickte von unten zu ihr rauf.
Zum
ersten Mal sah er die andere Hermine. Sie hatte sich auf die Lippe gebissen und
sah so aus, als wolle sie etwas sagen. Etwas anderes als das Stöhnen und das
Flehen, dass er sonst von ihr hörte. Aber Faszination lag immer noch in ihrem
Blick. Seine Mundwinkel zuckten kurz und für einen Moment zählte nicht, dass
sie im Krieg waren, dass sie jede Sekunde erwischt werden konnte, dass sie
vielleicht fliehen mussten.
Es
war verflucht egal.
Er
legte ihr Bein über seine Schulter und sie hielt sich plötzlich an seiner
rechten Schulter fest. Sie wollte etwas sagen, er hörte wie sie Luft holte,
aber er hatte den Kopf nach vorne geneigt, küsste die Innenseite ihres
Schenkels, ehe er mit der Zunge über ihre feuchte Spalte fuhr. Ihr Kopf flog
keuchend zurück an die Wand und ihre Finger krallten sich plötzlich in seine
Haare.
Sie
stöhnte ungehalten und seine Zunge drang in sie ein. So feucht, verflucht heiß
und unglaublich eng. Selbst jetzt! Ihr Geschmack betörte seine Sinne. Mit dem
Daumen kreiste er über die harten Nerven, die sich in ihrer Klitoris angespannt
hatten.
Wieder
und wieder leckte er über ihr Fleisch, spürte ihr Bein neben sich zittern, vor
Schwäche, denn er wusste, sie würde jede Sekunde kommen.
Seine
Augen waren fest geschlossen, als sie seinen Namen schrie.
Und
bei Merlin, sie schrie seinen Nachnamen. Ihre Hand fiel erschöpft zurück auf
seine Schulter und seine Erektion brachte ihn um.
„Ich
hasse dich“, flüsterte sie mit flammend roten Wangen, stellte ihr Bein wieder
auf den Boden und stieß ihn vor die Schultern, so dass er nach hinten fiel.
Sie
war über ihm, ehe er etwas Schlagfertiges sagen konnte.
Sie
hatte seine Shorts von seinen Beinen gezogen und setzte sich rittlings auf ihn.
Ihr Mund war geöffnet und sie stöhnte unterdrückt, während sie seinen Penis unter
sich platzierte. Er konnte nichts anders tun, als wieder ihre Hüfte zu
umfassen, sobald er langsam in sie glitt.
Es
war berauschend, es war verflucht unglaublich!
Seine
Augen schlossen sich und sie biss in seinen Hals, als sie begann, sich zu bewegen.
Sie entfernte sich, ihr Becken richtete sich auf und dann ließ sie sich wieder
sinken. Mit jeder Bewegung tiefer und härter. Er wollte sie gerne aufhalten,
wollte ihr sagen, dass es nur zu schnell vorbei sein würde, würde sie noch
schneller machen. Aber er konnte nicht!
Sie
stöhne hart auf und beschleunigte den Rhythmus. Ihre Fingernägel kratzten über
seine nackte Brust, ihre Augen waren geschlossen, den Kopf hatte sie zurück
geworfen und beinahe hilflos bockte seine Hüfte nach oben, er vergrub sich noch
tiefer, spürte, wie die Wellen ihn erfassten und presste sie auf seinen
steinharten Schwanz.
Er
ergoss sich grollend keine Sekunde später. Bunte Punkte tanzten vor seinen
geschlossenen Augen und sie brach über ihm zusammen. Ihr Kopf lag auf seiner
Brust und er spürte ihren heißen Atem gegen seine Haut.
Nach
einer Ewigkeit spürte er, wie sie die Hände auf seine Brust stützte und den
Kopf hob. Und er hatte keine Ahnung, welche Hermine ihn ansah. Sie waren beide
verflucht schön. Seine Atmung hatte sich noch nicht beruhigt.
Sie
lehnte den Kopf zu ihm und küsste ihn sanft. Sanfter als zuvor.
Seine
Hand griff automatisch in ihre Haare und seine Augen schlossen sich von selbst.
Dann
wich sie zurück. Nur ein Stück weit, um ihn anzusehen.
Ihre
dunklen Augen sahen ihn fast aufmerksam an.
„Das
hätten wir nicht tun sollen“, flüsterte sie tonlos. Er nickte schwach. Dann
zerrte ein Grinsen an seinen Mundwinkeln.
„Sag
mir, dass du das nicht wolltest“, erwiderte er mit so rauer Stimme, dass er
sich räuspern musste. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe. „Sag es einfach“,
fügte er hinzu.
„Ich
wollte es“, sagte sie leise und schloss die Augen, als hätte sie sich soeben
selbst verraten.
„Ich
weiß“, erwiderte er nur. Ihre Augen flogen wieder auf.
„Aber…
das reicht jetzt, ok? Ich meine…“ Sie wurde herrlich rot. „Noch mal… tun wir
das hier nicht, ok?“
„Kannst
du dich beherrschen, Granger?“, fragte er amüsiert. Sie sah ihn fast
verzweifelt an.
„Wieso
bist du so?“, flüsterte sie wieder.
„Wie?“,
fragte er jetzt und sah sie aufmerksam an.
„Für
dich ist das… ein Witz, richtig?“, fragte sie und kletterte von ihm herunter.
Kurz musste er die Augen wieder schließen. Dann setzte er sich langsam auf.
„Denkst
du das?“, fragte er ruhig und fuhr sich über die Stirn. Sie war noch nass vor
Schweiß. Sein Gehirn war noch nicht völlig funktionsfähig.
„Ich
denke, dass…“ Er hörte ihre verzweifelte Wut durchaus… Deswegen umfing er ihr
Kinn mit seinen Fingern.
„Hey…“, sagte er leise. Sie sah ihn an, die Augen gefährlich glasig. „Du bist
verflucht schön, verflucht scharf und dass du mich so dringend willst, dass du
vergisst, mich zu hassen, ist so unglaublich, dass ich nicht mal Lust habe,
Potter und Weasley umzubringen“, fuhr er leise fort. Er sah sofort, welchen Effekt
seine Worte auf sie hatten. Sie lehnte sich plötzlich vor, nur um den Kopf zu
schütteln.
„Siehst du? Wenn du sowas sagst, dann will ich dich sofort-“
Er
unterbrach sie und legte den Arm um ihre bloß Taille, um sie an sich zu ziehen.
„Dann
tu’s doch einfach, Granger“, knurrte er gereizt und hatte keine Lust mehr, zu
spielen. Mit einem kleinen Seufzen küsste sie ihn hart auf den Mund und er
erwiderte den Kuss hungrig und schloss die Augen.
Draco,
Draco, Draco, Draco….
Es
war völlig egal, was Harry gerade sagte, denn ihre Gedanken waren zu ihm
geglitten. Schon vor Minuten! Es gab in ihrem Kopf nichts anderes mehr. Alles
war unwichtig. Draco, Draco, Draco….
Sie
wollte seine Lippen, seinen Körper, seinen Penis… egal – einfach alles. Und alles
am besten vierundzwanzig Stunden am Tag. Sie schloss verzweifelt die Augen. Sie
hatte mit sich beschlossen, dass sie nicht mehr zu ihm gehen würde. Sie konnte
sich selbst überhaupt nicht mehr trauen, wenn er in der Nähe war, aber wenn sie
nicht bei ihm war, dann war sie völlig nutzlos, weil sie dann nicht mehr denken
konnte.
„Hermine?“
Harry wirkte schon gereizt.
„Entschuldige“, flüsterte sie und errötete.
„Soll
ich ihn holen? Bist du nur überlebensfähig, wenn er dich mit seinen Augen auffrisst?“,
knurrte er und sie wandte den Blick ab. Alleine, dass Harry schon sowas sagte,
machte sie ganz nervös. Draco, Draco, Draco… Sie nervte sich schon selber.
„Nein.
Ok, dann lass uns einfach noch mal anfangen.“ Jetzt wo sie selber auch in den
Büchern suchen konnte, war es einfacher. Sie wusste, sie konnte die Dinge
finden, die sie suchte und wusste sie auch umzusetzen.
„Ok“,
gab Harry argwöhnisch zurück und betrachtete sie, während sie mit hochroten
Wangen durch das Buch blätterte.
„Verschwunden, gestohlen, vom Antlitz der
Welt“, zitierte sie jetzt langsam. „Damit ist also nicht gemeint, dass das
Mädchen verschwunden ist, sondern eben nur die Kraft. Oder vielleicht eben doch
das Mädchen, weil die Prophezeiung auf die ursprüngliche Person nicht anwendbar
war, weil sie umgebracht worden ist.“ Sie überflog noch einmal die Notizen.
„Also, egal, welchen Weg wir hier einschlagen, das Mädchen und die Kraft waren
eben weg“, schloss sie und fühlte sich besser das Mädchen zu sagen, als ihren eigenen Namen.
„Der Schlüssel, der die Lösung enthält“,
fuhr sie fort, als Harry nicht widersprach. Beinahe hatte sie wieder das
Gefühl, die Horkruxe zerstören zu müssen und wieder Rätsel zu erraten. „Na ja
gut, das ist jetzt leicht, denn der Schlüssel ist das Mädchen. Oder eben wieder
die Kraft, die aber in dem Mädchen vereint ist.“
Die
nächste Zeile gefiel ihr nicht besonders gut. „Ein Mädchen von Blut so rein und klar“, fuhr sie langsam fort.
Harry griff nach dem nächsten Zettel.
„Hier
hat Snape den Stammbaum der Grangers aufgeschrieben. Muggel, ohne magische
Einflüsse“, endete er und auch er klang etwas befremdet. „Mit magischer Macht, die Stärkste im Jahr“, übernahm er die nächste
Zeile und kramte noch weitere Unterlagen hervor.
„Hier
sind die Aufzeichnungen der Geburten in unserem Jahr. Davon gibt es nur drei
Muggel, die ebenfalls mit den Stammbaum- Voraussetzungen geboren wurden,
allerdings waren von denen nur zwei bis zum Ende auf magischen Schulen, die
erste ist abgegangen, weil sie nicht zurechtkam. Die andere war zwar gut, aber
nicht erwähnenswert und die dritte wollte sich den Todessern anschließen und
wurde letztes Jahr umgebracht“, endete er bitter und Hermine seufzte.
Harry
verzog den Mund, den jetzt kam die Stelle, die sie alle nicht besonders gut
leiden konnten.
„Die Liebe entfacht die verschwundene Kraft“,
fuhr er spöttisch fort. „Also heißt das, dass durch die Liebe deine Macht erst
wirksam wird, richtig? Und Liebe heißt in diesem Fall Drac-“
Sie
hatte ihn energisch unterbrochen.
„Ja, was auch immer“, sagte sie hastig. „Ich denke auch, dass die… äh… Liebe
die Macht entfacht.“
„Das
heißt, sie sollte jetzt in voller Blüte
sein?“, stellte Harry die Fangfrage und ihr Ausdruck wurde finster, sie spürte
es.
„Was
willst du? Dass ich es sage?“, sagte sie böse und kurz wirkte er
herausfordernd.
„Ja, Hermine. Ich will, dass du es sagst. Das ist es doch, was wir hier tun,
richtig? Wir sagen, was die Zeilen
bedeuten, oder?“ Er wartete ruhig. Sie atmete aus.
„Schön“, erwiderte sie gereizt. „Ich…“ Sie konnte nicht. Sie konnte einfach
nicht. Vor allem war da noch so eine Sache. „Es war nichts freiwilliges“,
entschied sie sich zu sagen und Harry runzelte die Stirn.
„Was
war nichts freiwilliges?“, fragte er argwöhnisch. Sie verdrehte kurz die Augen.
„Es war… nicht so, dass ich zu Malfoy gegangen bin und gesagt habe… na ja, dass
ich das wollen würde. Ich… konnte gar nichts machen“, endete sie leise.
„Ja,
weißt du… wenn man verliebt ist, dann…“, erklärte er bitter, als müsse er sich
erst neu daran erinnern, wie es war, verliebt zu sein. Sie schüttelte gereizt
den Kopf.
„Nein,
Harry. So ist es aber nicht. Ich weiß, was passiert, wenn man verliebt ist. Man
findet irgendwas an einer anderen Person, das einem gefällt. Oder nicht
gefällt. Und dann entwickeln sich eben Gefühle. Vielleicht, dass man Zeit mit
dieser Person verbringen möchte, dass man sie kennen lernen will. Irgendwas.
Und das war bei mir nicht so.“
„Ok…“,
sagte Harry langsam und schien nachzudenken. „Vielleicht… ist es dann
unwichtig. Vielleicht ist es einfach ebenso und damit wissen wir sicher, dass
die Prophezeiung erfüllt ist, weil du es dir eben nicht aussuchen konntest“,
endete er, weniger zufrieden.
„Ist
es dann vorbei? Wenn wir… nehmen wir an, wir schaffen es. Ihn zu besiegen,
meine ich. Ist es dann mit den Gefühlen vorbei?“, fragte sie vorsichtig und
Harry sah sie gequält an.
„Das
fragst du mich? Du fragst mich, ob du
Malfoy danach dann noch so lächerlich dringend willst, wie jetzt? Ich hoffe
doch wirklich nicht, Hermine. Aber das wirst du dann selber beurteilen können,
oder nicht?“ Sie war rot geworden und senkte den Blick.
„Jaah,
vielleicht“, sagte sie langsam.
„Also weiter“, beschloss Harry rigoros. „Bis
zum ersten Mond in finsterer Nacht“, las er jetzt. „Was soll das heißen?“
Sie
überlegte wieder.
„Der
erste Mond sollte ein Vollmond sein. Und die finstere Nacht… Sie kann ja
schlecht finster sein, wenn Vollmond ist, richtig?“, fügte sie ratlos hinzu.
„Aber…
es ist ja eine Einschränkung, oder?“, fragte Harry jetzt und kratzte sich den
Kopf. „Also, heißt das, du musst bis dahin verliebt sein, oder… bis dahin
müssen wir ihn umgebracht haben?“
„Ich
glaube, es ist die Begrenzung der Macht“, sagte sie leise.
„Wann ist es also?“ Sie sahen sich kurz an.
„Wie
wäre es mit einer Mondfinsternis?“, schlug sie jetzt vor. Harry ruckte mit dem
Kopf.
„Das kann sein. Wissen wir, wann eine stattfinden soll?“ Sie schüttelte den
Kopf. „Aber das können wir rausfinden, richtig?“, fuhr er fort und sie nickte
unsicher. Sicher gab es irgendwo einen Weg. Und sie mussten sich dann also
beeilen.
Heute
hatte ihr Snape schon Blut abgenommen und das war gut. Bisher hatten sie knapp
drei Liter zusammen und sie wusste immer noch nicht, wie viel sie eigentlich
brauchten.
„Das
hier sind die Zeilen, die Snape schon rausgefunden hat“, fuhr sie fort. „Das Blut rot wie Feuer, die Haut weiß wie
Eis. Sie stürzt das Dunkel, die Waffe im Geist.“ Beide sahen sich an.
„Irgendwie
sind die Zeilen seltsam, nicht wahr?“, sagte Harry schließlich.
„Ich
weiß nicht. Klingt wieder wie eine Einschränkung. Sie muss also weiß sein. Und
klug.“
„Ha
ha. Na dann. Du bist weiß und klug. Fertig“, schloss er lakonisch. „Und Snape
ist sich sicher, dass diese Blutsache so gemeint ist? Also, dass dein Blut wirklich
wie Feuer wirken soll? Aber die Waffe ist doch eigentlich der Geist, oder?“ Sie
überlegte kurz.
„Nein,
sie ist im Geist. Das heißt ja…“ Sie
schwieg für einen Moment. „Das heißt doch, dass… ich eigentlich mit meinem Geist arbeiten müsste, um ihn
zu besiegen, nicht mit meinem Blut.“ Sie sah Harry abwartend an. Dieser zuckte
langsam die Achseln.
„Lass uns das durchgehen, diesen verrückten Plan. Nehmen wir an, du bist es
wirklich. Und du liebst Malfoy und damit ist dein Blut mächtiger als alles
andere. Was sollen wir tun? Voldemort damit eine Dusche verpassen? Oder müssen
wir es nur in einen Zauber einbinden, oder…?“ Er sah sie an.
„Nein,
nein. Ich glaube das nicht. Aber ich… weiß nicht, wo der Knackpunkt liegt. Ich
glaube, Snape hat unrecht“, fügte sie sehr leise hinzu. Harrys Stirn begann
sich zu runzeln. Die Falten hatten bereits tiefe Furchen in seine junge Haut
gegraben, so oft hatte er die Stirn schon in sorgenvolle Falten gelegt, ging
ihr auf.
„Du
glaubst, dir Blut abzunehmen gehört nicht zum Plan?“, fragte er jetzt langsam.
Sie ruckte mit dem Kopf.
„Ich
denke, Blut ist nicht primär das Wichtigste. Das Wichtigste ist…“ Aber sie
wusste es nicht! Ihr fehlte ein Schritt in ihren Gedanken. „Da ist eine Sache,
die wir übersehen. Sie sollte doch offensichtlich sein!“
„Die
Waffe im Geist“, wiederholte Harry ratlos. „Wir sollten noch mal mit Snape
reden“, beschloss er. Sie nickte. „Aber… machtlos kannst du nicht werden,
richtig? Nur wenn wir den Tag überschreiten?“ Das war noch so eine Sache, bei
der sie nicht sicher war. Sie zuckte die Achseln.
„Keine
Ahnung“, gestand sie leise. Das Gedicht erschien ihr suspekt. Snape hatte sich
selber mit einem bestimmten Band zurück gezogen und sie konnte nicht abwarten,
zu erfahren, was es war. Sie glaubte, er wusste mehr. Noch etwas mehr, als sie
selber. Und das war es, was sie eigentlich beunruhigte. Zwar sollten sie der
Krieg und der Kampf und ihre neuen Gefühlen beunruhigen, aber eigentlich tat es
das nicht.
Nur
die Sache, dass sie eine Sache nicht wissen könnte. Dass sie eine Sache
vielleicht nicht einplanen konnte, weil Snape sie unter Verschluss hielt. Und
das musste sie herausfinden. Und das Gefühl, dass es etwas Schlechtes war,
konnte sie nicht verhindern.
Was
konnte das schlechteste sein? Das war eine ganz einfache Antwort. Die
schlechteste Lösung für sie wäre, dass das Blut nicht reichen würde. Und das
sie sterben müsste, um die Prophezeiung zu erfüllen.
Das
war das eine.
Das
andere, viel schlechtere, wäre, dass sie es gar nicht war. Dass Snape etwas
gefunden hat, was bewies, dass es doch nicht um sie ging.
Sie
seufzte langsam. Sie wollte darüber nicht mit Harry sprechen.
„Wir
müssen bald los, Vorräte besorgen.“ Sie wusste, mit wir meinte er schon lange nicht mehr sie. Sie wurde unter Verschluss
gehalten wie ein heiliger Gral. Und sie hatte es langsam satt. Aber auch das
sagte sie nicht. „Geh und verabschiede dich lieber von Malfoy“, bemerkte er
spöttisch. „Lavender meinte, gestern hättest du sie tierisch genervt, weil du
immer wieder von ihm gesprochen hast“, fügte er hinzu und zum hundertsten Mal
wurde sie rot.
„Witzig,
Harry.“ Aber trotzdem erhob sie sich, denn jetzt hatte er es wieder geschafft,
dass sie an den blonden Teufel denken musste.
Der
unglaublich sexy und perfekt war. Ihr Herz machte einen blöden Satz und sie
wehrte sich nicht mal gegen ihre blöden Gedanken.
Ok.
Erst zu Malfoy. Dann zu Snape.
~*~
Lächerlicherweise
klopfte ihr Herz schneller. Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass
diese seltsam mächtigen Gefühle plötzlich verschwinden würden.
Aber
die andere Sache war, dass sie wusste, dass Malfoy niemals etwas wagen würde,
denn er konnte sich völlig unter Kontrolle halten. Sie wusste, er würde niemals
zu ihr kommen. Einfach so. Ohne Grund.
Ihr
Herz schien schwerer zu schlagen, so kam es ihr vor.
In
ihrem Raum war er nicht. Sie und Harry hatten beide private Unterkünfte. Die
anderen waren in drei Räume verteilt worden. Sehr zu Malfoys Missbehagen. Snape
hatte sich nicht einmal beschwert.
Sie
durchschritt den schmutzigen Flur. Langsam und aufmerksam. Es war auch seltsam,
dass Cormac nicht mehr da war. Sie dachte ab und zu an ihn. Selten, aber
dennoch war er einer derjenigen, die wirklich gekämpft haben.
„Na,
auf der Suche?“ Er war plötzlich in den Flur getreten. Ihr Herz schlug mehrere
Saltos und sie zwang sich, sich zu konzentrieren. Seine langen Hände waren in
seine perfekten Hüften gestemmt. Seine Haare ragten ihm in die Stirn. Sein
Äußeres kümmerte ihn immer weniger, stellte sie fest, und dennoch sah er von
Tag zu Tag besser aus. Wahrscheinlich – so hoffte sie – spielte ihr Herz ihr
nur einen Streich.
Sie
ruckte auf seine Worte nur mit dem Kopf. Natürlich würde sie nicht zugeben,
dass sie ausgerechnet ihn gesucht hatte.
„Ja,
nach Snape“, sagte sie also und ihre Stimme war die reinste Blamage. Als wäre
er ein Superstar und sie nur ein kleines, dummes Mädchen.
„Der
ist in der Küche. Bespricht die Planung für ein Essen, dass länger als drei
Tage reicht und sogar der Kost in Askaban Konkurrenz machen könnte.“ Sie nahm
an, das bedeutete, dass sich Snape gerade mit Lavender stritt, denn die
bevorzugte, schwere Sachen, die nicht lange vorhielten und auch noch
schmeckten. Snape war da praktischer.
„Dann…
sollte ich ihn lieber finden. Und ihm sagen, dass sich Lavender nicht
überzeugen lassen wird“, fügte sie hinzu und versuchte ein Lächeln. Sie
scheiterte.
„Und? Wie war deine kleine… Arbeitsstunde mit Potter?“, fragte er und sie
wusste nicht, ob er wirklich interessiert war, oder ob er auch nur daran denken
konnte, wie sie nackt aussah. Sie wusste nicht, ob sie mittlerweile dunkelrote
Wangen hatte.
„Es
war… aufschlussreich.“ Toll. Sie hätte auch noch weniger sagen können.
„Ist das jetzt ein Geheimnis?“, fragte er mit einem feinen Grinsen. Sie
schüttelte den Kopf.
„Nein,
natürlich nicht, ich-“ Dann seufzte sie. „Was willst du denn wissen?“,
erwiderte sie und zwang den Blick fort von seinem Gesicht und runter auf den
Boden.
„Vielleicht…“,
begann er, während er näher kam. Sie wurde noch nervöser. „Vielleicht einen
Tag. Einen Termin bis zu dem alles gelaufen sein müsste“, schlug er vor.
„Wir…
haben die Theorie, dass wir bis zur nächsten Mondfinsternis Zeit haben.
Natürlich kann das auch falsch sein, aber…“ Sie wollte weinen, denn ihre
Gedanken lagen blank. Er stand direkt vor ihr.
„Ok.
Dann brauchen wir einen Mondkalender. Snape und ich könnten den leicht
besorgen“, fuhr er fort. Sie hob den Blick.
„In der Stadt? Ihr wollt doch wohl nicht alleine so etwas machen! Ich sollte
wirklich mal raus und Sachen erledigen“, protestierte sie ungehalten.
„Ich denke nicht“, sagte er nur und betrachtete ihr Gesicht. „Wir wollen doch
nicht, dass unserer Waffe etwas zustößt.“
„Nenn
mich nicht so“, gab sie zurück. Er lächelte plötzlich.
„Wie
dann?“, fragte er. Sie verdrehte tatsächlich die Augen.
„Oh,
ich weiß nicht. Du hast recht, ich erwarte langsam von dir, dass du mir
klebrige Spitznamen gibst, Malfoy. Ich kann nämlich ohne Spitznamen nicht
leben“, fuhr sie böse fort.
„Wie wäre es mit Hermine?“ Ihr Name klang wie flüssiges Gold aus seinem Mund.
Sie hätte sich erschlagen können.
„N…nein,
schon gut.“
„Du
hast Snape gar nicht gesucht, oder?“ Ein Grinsen zog an seinen Mundwinkeln.
„Am
besten gehst du mir aus dem Weg“, flüsterte sie.
„Weil…
du dich sonst nicht beherrschen kannst?“, mutmaßte er amüsiert und sie blickte
an die Wand. Wenn er doch nur nicht so… selbstgerecht und arrogant wäre. Sie wusste,
sie hatte den größten Fehler gemacht als sie ihrer Lust nachgegeben hatte! Sie
hatte es gewusst.
„Du
schmeichelst dir, Malfoy. Ich kann ohne dich überleben.“
„Du
solltest dich vielleicht nicht so anstellen, Granger.“
„Ich
dachte, du…“ Sie biss sich auf die Zunge. Oh ja, sie sollte Malfoy wirklich
vorschlagen, ihren Vornamen zu benutzen. Sie musste verrückt sein. Völlig
verrückt. Und er bemerkte es selber.
„Du dachtest, ich würde deinen Vornamen benutzen? Richtig, entschuldige bitte.
Hermine…“, sagte er jetzt langsam. Sie sah ihn an. „Hermine“, wiederholte er
und senkte den Kopf. Sie erstarrte und ihre Finger kribbelten. Dann hielt er
inne, keine Handbreit von ihrem Mund entfernt und grinste teuflisch.
„Du
bist ein Arschloch!“, sagte sie nur und versuchte ihre verdammte Vorfreude zu
verbannen.
„Wir
werden gleich Vorräte besorgen. Vielleicht werde ich getötet und komme nie mehr
wieder…“, sagte er mit sorgloser Stimme. Ihr Herz pochte vor Sorge, obwohl es
wahrscheinlich nicht passieren würde, dass alle bei der Besorgung von Vorräten
umkommen würden. Sie wusste, er wollte, dass sie ihre Kontrolle verlor – und
das würde sie auch.
„Schön,
weißt du was, dann stirb doch einfach, Malfoy!“ Und gleich würde sie weinen.
Sie war ein absolutes Mädchen, wenn sie ihn sah. Sie brachte all ihre Kraft
auf, um sich an ihm vorbei zu drücken, aber er umschlang hart ihre Taille und
küsste sie übergangslos.
Schauer
befielen ihren Körper und obwohl sie nicht wollte, dass er sich solche
Dreistigkeiten herausnahm konnte sie nicht anders. Sie küsste seine Lippen,
fuhr durch seine Haare, presste sich an ihn und hätte ihm am liebsten die
Kleidung vom Körper gezogen. Hier, mitten auf dem Flur.
Anscheinend
hatte er wieder zurückweichen wollen, schaffte es aber nicht mehr. Sie spürte,
wie er hart die Luft einsog und sie enger an sich presste. Ihre Knie wurden
weich und ihre Zunge drängte sich zwischen seine Lippen. Hungrig erwiderte er
den Kuss, stöhnte in ihren Mund und schien selber keine Kontrolle mehr zu
haben. Er riss den Kopf fluchend zurück.
„Verdammt, Granger!“, keuchte er, die Augen dunkel vor Lust. „Du würdest mich
alles tun lassen, oder?“ Und sie konnte nichts darauf sagen. Ja, würde sie.
Wahrscheinlich. Sie wurde rot. „Fuck, verflucht“, knurrte er, als er erkannte,
dass sie sich nicht weigern würde. Er küsste sie erneut. Hungriger,
unbeherrschter. Er drückte sie gegen die Wand, hob ihre Hände neben ihren Kopf
und sie spürte seine Erektion.
Sie
wollte sterben. Einfach mit ihm verschmelzen, eins werden und nie wieder etwas
anderes tun, als ihn küssen.
„Hm…
Draco?“ Widerwillig wich er zurück. „Seid ihr…?“ Snape sagte nichts weiter. Sie
senkte hastig den Blick. Peinlich. Furchtbar peinlich… „Seid ihr fertig? Wir…
wollen los.“
Malfoys
Augen verschlangen ihre Lippen, ihren Körper und fast hätte sie einfach wieder
die Augen geschlossen und gewartet, bis er sie wieder küssen würde.
Aber
er wich zurück. Und es sah so aus, als ob er sich wirklich schämen würde.
„Ja,
wir sind fertig.“ Seine Stimme klang wieder gewöhnlich, während sie
wahrscheinlich aussah als hätte sie den Marathon mitgemacht und wäre
gescheitert. Sie senkte den Blick. Es kostete sie viel Kraft sich ins
Gedächtnis zu rufen, dass sie nichts dafür konnte, dass sie sie irgendwo, ganz
tief drinnen, immer noch Hermine Granger war.
Dass
sie eigentlich brillant war und jemandem wie Draco Malfoy nur aus der
Entfernung einen verhassten Blick geschenkt hätte.
Für
einen Moment waren da keine Gefühle mehr.
Für
einen Moment erkannte sie ein Problem im Plan. Es war so greifbar, dass ihr
ganz übel wurde. Vielleicht konnte sie wieder normal werden. Vielleicht konnten
diese Gefühle von ihr ganz schnell wieder vergehen. Nämlich dann, wenn keiner
sie erwidern würde.
Ihr
Herz schlug schneller. Aber was konnte sie jetzt tun? Die Ungerechtigkeit war
unglaublich. Und das, was sie von Malfoy verlangen würde müssen, war noch viel
unglaublicher. Was, wenn sie es sich nicht aussuchen konnte, und er eben der
Eine sein müsste? Aber was, wenn er es auch wollen musste?
Was
wenn… wenn sie ihm das auch noch sagen müsste?
Liebte
sie Draco Malfoy? Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen, nachdem er mit Snape
gegangen war. Ja, wahrscheinlich tat sie das. Aber er tat es nicht.
Er
tat es einfach nicht. Und egal, wie gerne er sie, oder eben ihren Körper,
wollte – die Tatsache lag ganz einfach auf der Hand: Er liebte sie eben nicht.
Er
liebte sie nicht.
In
ihrem Kopf ärgerte sie sich maßlos. Sie war immer einer der Menschen gewesen,
die wussten, der Geist konnte über jede körperliche Unzulänglichkeit hinweg
siegen. Über alles, was einem am Körper nicht gefiel, war der eigene Geist
erhaben. Über Müdigkeit war der Geist erhaben. Über eingeschränkte
Möglichkeiten flog der Geist hinweg.
Über
die Nervosität, dass etwas schief gehen konnte, dass sie es nicht mehr
aushalten würde, darüber sollte der menschliche Geist mit noch größerer
Leichtigkeit hinweg kommen, wenn man sich nur anstrengte und den Geist von den
kleinen, dummen Problemen des Alltags löste.
Aber
dem war nicht so.
Heute
nicht.
Wie
eine Verrückte rissen ihre Finger förmlich die Seiten aus den Büchern. Ihre
Haare hingen wie Stroh in ihrem Gesicht, so hastig hatte sie sie immer wieder
hinter die Ohren gestrichen, bis sie es leid war, dass sie aus dem Haargummi
fielen. Jetzt fielen sie ihr über die Schultern und manisch suchten ihre Augen
durch die Bücher, die Snape hinter Verschluss hielt.
Ihre
Finger waren ganz rau, ihr rechter Zeigefinger blutete bereits, sooft war er über
die Zeilen gefahren. Bei jeder erfolglosen Zeile hatte sie aus Verzweiflung
fester aufgedrückt. Wie viele Tränen schon in die Bücher geflossen waren,
konnte sie beim besten Willen nicht mehr sagen.
Wie
viele Stunden sie hier war? Vielleicht drei oder vier.
Und
das war auch alles, was sie an Zeit hatte! Denn die Herren würden nicht ewig
Vorräte besorgen, aber er war ihr schon egal. Viel schlimmer als einen Beweis
für Snapes Heimlichtuerei zu finden, war, keinen Beweis zu finden!
Und
das machte den Anschein!
Sie
fand keinen Beweis dafür, dass Snape gelogen hatte. Dafür, dass sie eben keine
Waffe war. Sie fand nichts in den Büchern, dass ihr sagte, dass Malfoy sich
unsterblich in sie verlieben musste. Anscheinend war jede andere Person in
dieser Prophezeiung völlig überflüssig. Hauptsache sie erledigte all die Dinge
gewissenhaft, die von ihr verlangt wurden!
Sie
hatte sogar eine ungefähre Angabe der Menge des Bluts gefunden. Kryptisch in
einem weiteren blöden Gedicht, was ursprünglich bestimmt keines gewesen war! Es
hieß darin auf die ekligste Weise, dass einem Eintunken genügen würde.
Aber
was man wo zur Hölle eintunken müsste, das stand da nicht! Das wollte sie, wenn
sie ehrlich war auch nicht genau wissen.
Sie
konnte nur annehmen, dass man hier auf die geringste Menge beschränkte. Und das
war immerhin gut. Denn… sterben wollte sie deswegen nicht wirklich. Sie wollte
sterben, weil Malfoy sie nicht liebte, das schon. Aber nicht wegen Voldemort.
Sie kam sich lächerlich vor. Schon wieder.
Sie
riss eine weitere Schublade des ramponierten Schreibtischs auf, den Snape
zurzeit sein eigen nannte. Sie zog ein altes Manuskript aus den Tiefen der
Schublade. Mit einem Fluchen zog sie die Finger zurück und es fiel auf den
schmutzigen Fußboden.
Ihre
Fingerspitzen stachen unangenehm und ein schwacher Glanz ging von dem
Manuskript aus, dass mit schwachen Bändern zusammen gehalten wurde. Dann
erlosch der Glanz. Den Titel konnte sie nicht entziffern, aber sie musste kein
Genie sein, um zu erkennen, wie alt diese Seiten waren.
Und
sie musste kein Genie sein, um zu merken, dass Snape einen Bann auf diese
Seiten gelegt hatte. Weshalb? Sie zog ihren Zauberstab. Leise und bedächtig.
Sie wusste, wie verrückt sie im Moment war.
Sie
beugte sich über die Seiten. „Evanescere“,
flüsterte sie mit zitternder Stimme und erschrak. Nie zitterte ihre Stimme beim
Ausführen eines Zaubers.
Kurz
glommen die Seiten, dann lagen sie so schlicht da wie zuvor.
Sie
hob es auf und fluchte erneut. Es glitt wieder aus ihren Fingern. Snape war
nicht dumm. Anscheinend wollte er wirklich nicht, dass jemand durch seine
Sachen stöberte. Pech gehabt. Sie schüttelte ihre taube Hand.
Snape
wollte ein Geheimnis haben? Bitte. Das konnte er vor anderen gerne haben, aber
nicht vor ihr! Sie krempelte zornig ihre Ärmel hoch und schwang den Zauberstab
ausladender. „Resacro“, rief sie laut
und mit einem peitschenden Knall ließ sie ihren Zauberstab auf die Seiten
knallen.
Das
Manuskript zitterte unter dem Spruch und dann brachen die Seiten. Ihre Augen
weiteten sich vor Schreck. Oh nein! Jetzt lag das Buch in zehn Teilen vor ihr.
Die Seiten waren einfach durchgebrochen.
Hastig
schlug sie die erste Seite auf. Nein, eigentlich musste sie viele kleine
Einzelteile umdrehen, damit sie die erste Seite umblättern konnte. Aber
immerhin war der Bann aufgehoben. Sie hob ihren Zauberstab mit wenig
Überzeugung. „Reparo“, sagte sie
jetzt, aber natürlich geschah überhaupt nichts. Der Spruch war dazu da gewesen,
denn Fluch von dem Buch zu nehmen. Würde sie es jetzt reparieren wollen, dann
machte es überhaupt keinen Sinn.
Mit
spitzen Fingern drehte sie alle Schnipsel einzeln herum.
Und
ihr Herz begann schneller zu schlagen als sie die Fetzen enger zusammen schob,
um die erste Zeile lesen zu können.
„Der Tod der Auserwählten
–
Bericht: Bartleby
Brisham
– 1456 nach
christlichem Alter, 5020 nach Merlins Alter
Die Dunkelheit
draußen ist unerträglich. Die Männer werden unser Versteck bald erreicht haben.
Wir sind chancenlos. Unsere letzte Möglichkeit, den Sieg zu erringen, wurde vor
zwei Tagen umgebracht. Von ihnen.
Das Mädchen hat uns
gesagt, dass wir gejagt werden.
Erst vor wenigen
Wochen konnten wir fliehen, aus der Gewalt derer, die uns unsere Magie rauben
wollten. Ich schreibe dies nieder, für zukünftige Generationen der
Unterdrückten. Wir werden unsere Magie nicht entfalten können. Sie werden uns
rechtzeitig finden.
Wir sind der
Überzeugung, wir könnten sie durch unsere Magie vernichten.
Der Stab liegt vor
mir. Er sei aus Holz und Einhornhaar, sagte das Mädchen.
Es war ihr
Zauberstab.
Die Männer haben
sie getötet, weil sie uns zur Flucht verhalf. Einen Sieg werden wir nicht mehr
herbeiführen können. Wüsste ich um die Magie, dann könnte ich sie die anderen
lehren. Hätten wir das Blut des Mädchens, dann wären wir unbesiegbar.
Sie erzählte uns
von einer Prophezeiung, alt wie die Nacht, niedergeschrieben vom ersten Magier
der Zeit. Sie erzählte uns von anderen. Anderen wie wir, die nicht gefangen
wurden.
Die Prophezeiung
beschreibt das Mädchen, ein Mädchen jung und rein. Ein Mädchen voller Liebe und
mit so großer Macht, dass sie den Rechten zu Recht verhelfen mag, und die
Unrechten in tiefste Dunkelheit stürzt.
Und sie liebte
mich. Sie hat mich gefunden. In finsterer Stunde. Sie hat mich befreit, mich
und all die anderen. Sie brauchte nicht nur mich, sondern auch die Armee an
mutigen Kämpfern. Der Vollmond wird überschattet durch die Finsternis der
Nacht. Durch die Finsternis und durch meine unendliche Trauer.
Ich liebte sie so
wie sie mich. Ich schreibe dies nieder, wohl wissend, um meinen baldigen Tod.
Sie werden mich nicht leben lassen. Ach, wären wir nicht geflohen.
Hätten wir sie nur
retten können. Wir sind die Armee, die sie brauchte, aber ohne sie, verfügen
wir nur über die Magie in unserem Herzen. Und diese reicht nicht aus. Ach
wüsste ich nur, wie. Wüsste ich nur, wie es zu schaffen ist.
Aber sollen sie nur
kommen. Sollen sie uns nur holen. Lieber wollen wir sterben, unter der Hand der
Muggel, als auch nur einen Tag länger in ihrer bitteren Gewalt zu leben. Sollen
sie mich nehmen. Fort von dieser Welt, dann kann ich zu ihr gehen.
Sie wird mich
empfangen und mir vergeben, dass ich uns nicht besser beschützen konnte.“
Hier
endete der Bericht von Bartleby.
Hermines
Herz schlug laut gegen ihre Brust. Dann begannen die Notizen von Snape. In Eile
niedergeschrieben. In vielen unterschiedlich langen Zeilen, unterbrochen durch
Gedankengänge, durch Ideen, Probleme.
„… keine Armee –
mit Armee Zauberer gemeint? Gefolge? Willensträger?“
„… Hermine – Draco?
Gleichzeitige Liebe notwendig? Willkürliche Erscheinung? Wichtigkeit des
magischen Unterschieds?“
„… Das Blut nicht
primäre Bedeutung? Wozu dient der Zauberstab? Ist Hermine allein unbrauchbar?“
Die
letzte Frage stach ihr ins Auge. Snape hatte sie mehrere Male mit der Feder
unterstrichen.
„… Tod der
Auserwählten als Mittel zum Erfolg oder Fehler im Plan? Welche Magie wird
angewendet? Welcher Zauberstab?“
Hermine
überflog noch einmal den Bericht. Ihr Zauberstab trug kein Einhornhaar in sich.
Und Snape hatte wichtige Dinge untermalt. Musste sie sterben? Und wieso
brauchte man eine Armee, um das Böse zu bannen? Reichte sie nicht aus? Was war
außerdem dann so wichtig an ihrem Blut?
Seitenweise
zogen sich die Notizen hin. Hermine hockte auf dem Boden und versuchte
angestrengt die Tränen zurück zu halten und die Fetzen wieder zusammen zu
fügen, damit sie weiter lesen konnte.
„Wieso
hat er es mir nicht gesagt?“, flüsterte sie bitter den Fetzen zu, die vor ihr
auf dem Boden lagen. Sie blätterte die Fetzen nacheinander um und kam zu einer
Seite, auf der ein Bild gezeichnet war. Es trug ein anderes Datum. 6023 nach
Merlins Alter. Also irgendwann Mitte des 16. Jahrhunderts in
Muggelzeitrechnung, nahm sie an.
Es
zeigte eine Gruppe an Zauberern, zwölf, wenn sie richtig zählte. Sie standen
alle hinter einem Mädchen und die dreizehn erhobenen Zauberstäbe schienen
Funken auszustrahlen. Sie kämpften gegen nichts Greifbares. Es sah aus wie eine
dunkle Wolke.
„Was
soll das sein? Das generelle Böse?“, murmelte sie ärgerlich und strich die
Fetzen glatt. Das Mädchen war rau gezeichnet. Sie hatte es nur an der
schlankeren Figur und den langen Haaren erkannt.
„Das
Böse wird in dieser Zeit meist nur als das Dunkle dargestellt“, entgegnete
Snape sehr leise. Sie zuckte zusammen und ihr Kopf flog nach oben. Er lehnte
neben der Tür. Sie hatte ihn nicht kommen gehört.
Kurz
schwieg sie. Kurz wusste sie nicht, ob sie sich zu entschuldigen hatte, oder…
oder eben nicht.
„Wieso…
hast du mir davon nichts gezeigt?“ Sie entschied sich, vorwurfsvoll zu klingen.
„Das hier sind wichtige Sachen! Das sind Dinge, die wir… möglichst schnell
klären müssen. Wir müssen Lösungen finden. Und vielleicht ein Indiz, das
beweist, dass es auch wirklich zu schaffen ist!“, fuhr sie wütend fort.
„Möglichst
schnell, bedeutet, in zwei Wochen“, erwiderte Snape und hielt einen Kalender in
die Luft. „Die nächste Mondfinsternis ist Ende des Monats, am Samstag“, fügte
er hinzu. Sie erhob sich. Snape bedachte die Fetzen auf dem Boden lediglich mit
einem kurzen Blick. Kurz tat es ihr leid, seine Aufzeichnungen zerstört zu
haben.
„Ich
habe immer noch die gleichen Fragen“, sagte sie laut.
„Welche?“
Er schien ruhig zu sein. Sie gar nicht mehr.
„Wie
viel Blut, Snape? Und welche Armee? Und… muss er mich lieben?“
„Ich
weiß es nicht.“ Diese Worte trafen sie entwaffnend.
„Du
weißt es nicht?“, wiederholte sie
tonlos.
„Ich
weiß es nicht“, bestätigte er. „Es gibt vier Zeugenberichte in den
Aufzeichnungen. Alle eher vage. Keine konkreten Dinge“, fuhr er fort.
„Ja…
aber…, dann wissen wir doch gar nichts!“, schrie sie plötzlich, ohne dass sie
es verhindern konnte.
„Nein,
das stimmt nicht. Wir wissen, dass sich die plötzliche Verliebtheit wiederholt
und wichtig zu sein scheint. Wir brauchen eine Armee von zwölf Zauberern plus
das Mädchen. Wir brauchen ihr Blut-“
„-aber
wir wissen nicht, was wir damit tun sollen!“, fuhr sie böse dazwischen.
„Das
ist aber auch alles! Wir haben den Termin und-“
„Und
nichts!“, schrie sie. „Wir müssen
Voldemort noch dazu zwingen, aufzutauchen. Und wir müssen ihn vernichten! Und
wir wissen nicht einmal, mit welchem Zauber!
„Es
ist egal, mit welchem Zauber!“, entgegnete Snape jetzt auch gereizt. „Hermine,
versteh doch, sobald… wir das Ritual vollziehen, kannst du auch den Reparo
Zauber benutzen und er wird eine so durchschlagende Kraft haben, dass du jeden
vernichten kannst!“
„Mit
welchem Ritual?“, wiederholte sie
hysterisch.
„Ja,
das ist alles, was wir herausfinden müssen.“ Sie keuchte auf vor Entrüstung.
„Und
wie, Merlin noch mal? Wir haben keine Ahnung!“
„Noch
nicht.“
„Wann
hast du vor, die Erleuchtung zu finden?“, erwiderte sie aggressiv.
„Morgen.“
Sie
starrte ihn an. Was? Machte er Witze?
„Wie?“,
fragte sie verzweifelt.
„Ich
habe eine Idee.“
„Eine
Idee, Severus? Wirklich? Eine Idee wird uns nicht helfen.“ Ihr Atem ging
schnell. Was dachte er? Dass sie jetzt Zeit hatten, eine verrückte Idee zu
prüfen?
„Wir
haben einen Gast mitgebracht.“ Er betonte das Wort Gast, wie etwas, dass man mit einem Stock vertreiben müsste. Sie
schluckte schwer.
„Einen
Gast?“, wiederholte sie leise. „Ihr habt… jemanden gefangen genommen?“, fügte
sie ungläubig hinzu.
Snapes
Ausdruck wurde bitter. „Wir hatten keine Wahl. Entweder das, oder Draco wäre
heute Nachmittag gestorben.“ Diese Worte wischten alle anderen Gedanken fort.
„Was?“,
flüsterte sie so zornig, dass sie selber erschrak und sich die Hand über die
Lippen legte. Es war Irrsinn. Anscheinend lebte er noch. Alles war in Ordnung!
„Ich
werde dir jetzt Blut abnehmen, und morgen werde ich meine Idee prüfen, wenn du
nichts dagegen hast.“
„Deine
Idee wäre, das Ritual durchzuführen an unserem… Gast?“, vermutete sie
ängstlich. Snape nickte nur.
„Exakt.
Ich nehme an, die Kraft wird bis zur Mondfinsternis stärker werden. Also dürfte
das Ritual unseren Gast zwar nicht töten, aber ihr erheblichen Schaden
zufügen.“
„Ihr?“, flüsterte Hermine jetzt und
vergaß, einzuwerfen, dass sie noch gar keine Ahnung hatten, wie das Ritual von
Statten ging.
„Sie
ist in Harrys Zimmer“, sagte Snape jetzt und legte müde den Umhang ab. „Draco
ist bei ihr.“ Wieder schrillten ihre Gefühlsglocken. Draco wäre fast umgebracht
worden! Sie musste ihn sehen. Lächerlicherweise…. Sie musste!
Snape
zwang sie vorher allerdings Platz zu nehmen, und ließ den Becher aus dem Nichts
erscheinen, den sie jeden Tag immer weniger leiden konnte.
In
seinem Schrank musste er eine ganze Sammlung dieser Becher haben. Es ekelte sie
an, daran zu denken, dass Snape ihr Blut bei sich trug.
Ungeduldig
ließ sie ihn gewähren, denn ihr Verstand hatte sich verabschiedet und das Wort Draco hatte seinen Platz eingenommen.
„Und
da ist noch eine Kleinigkeit, Hermine. Ich habe mir da etwas überlegt...“,
begann Snape und sie sah ihm an, dass es keine positive Unterhaltung werden
würde. Aber… das wurde es nie.
„Du
bist ein Verräter, Draco! Ein elender scheiß Verräter! Weißt du eigentlich, was
dein Vater durchgemacht hat? Weißt du eigentlich, wie sehr du uns allen
geschadet hast?“ Ihre Stimme war den Tränen nahe, aber der Hass in ihren Augen,
hielt die Tränen wohl erfolgreich fern, nahm er an.
„Den
Tod sollst du erleiden! Der dunkle Lord wird dich finden. Und er wird dich
bestrafen! Du denkst doch wohl nicht, dass du damit durch kommst! Stimmt es,
dass du sie geschwängert hast? Das Schlammblut, Draco?“, schrie sie jetzt und
er sah sehr genau, dass sie sich persönlich verletzt fühlte.
„Du bist ein Stück Dreck! Du bist Abschaum! Du bist es nicht wert, dass dein
Arm das Dunkle Mal tragen darf! Du bist eine Schande für uns alle!“ Sie stemmte
sich gegen die Fesseln, warf sich gegen den Zauber und Schweiß trat auf ihre
Stirn und lief in ihre ungekämmten schwarzen Haare. Sie lagen glatt an ihrem
Kopf. Sie sah blass und ungesund aus. Sie hatte ihre Kurven verloren und wirkte
abgemagert und krank.
„Wie
hält sie sich?“ Potter hatte den Kopf durch die Tür gesteckt. Draco nickte
knapp.
„Ich
denke, es geht ihr gut“, erwiderte er jetzt.
„Potter!“
Ihre Augen glühten plötzlich vor Wut. „Komm her, du Mistkerl! Bind mich los!
Dann können wir unsere Kräfte messen! Und dann wirst du verlieren! Wenn ich
dich dem Dunklen Lord vor die Füße werfe, dann werde ich in seiner Gunst so hoch
stehen, dass Bellatrix noch so sehr-“
Potters
Zauberstab hatte die Luft zerschnitten und mitten im Satz sackte Pansys Kopf
auf ihre Schulter und ihre Stimme war abrupt verstummt. Bewusstlos hing sie
jetzt auf dem Stuhl, aber die magischen Fesseln hielten sie stramm in
aufrechter Position.
Draco
fühlte sich nur allzu stark an sich selbst erinnert. Unter Schmerzen erhob er
sich.
„Hast
du mit Hermine gesprochen?“, fragte Potter jetzt, ohne ihren neuen Gast aus den
Augen zu lassen. Draco hielt seinen Arm, der durch den Fluch noch leblos in der
Schlinge hing. Immerhin war er nicht mehr schwarz. Das war ein Vorteil, aber
eine andere Besserung merkte er noch nicht.
„Nein,
habe ich nicht“, gab er zurück. Jetzt sah Potter ihn direkt an.
„Das
solltest du.“
„Ich
will aber nicht.“
„Du
willst sie nicht?“, stellte Potter
seine Worte einfach um und Draco atmete gereizt aus.
„Halt
dich einfach aus meinen scheiß Angelegenheiten raus, ja?“ Er wusste nicht
exakt, was Potter ihm gerade vorwerfen wollte, aber er wusste, er wollte es
nicht hören. Alles in ihm sträubte sich, dieses Zimmer zu verlassen, und eine
von seinen ehemaligen Freunden hier ihrem Schicksal zu überlassen.
„Malfoy,
am besten lässt du dir jetzt keine riskanten Aktionen einfallen“, sagte Potter
sehr ruhig, der Zauberstab lag immer noch locker in seiner Hand. Was dachte er?
Dass er sich Pansy über die Schulter werfen würde, um mit der Person zu
fliehen, die ihn vor ein paar Stunden noch umbringen wollte?
Bestimmt
nicht.
Er
warf Pansy einen letzten Blick zu. Er erkannte sie nicht einmal mehr. Hogwarts
schien ihm plötzlich meilenweit entfernt zu sein.
Was
war es noch mal, das zählte? Voldemort umzubringen? Potter zu gehorchen? Es war
ihm entfallen. Irgendwie….
„Würde
mir nicht einfallen, Potter“, erwiderte er gezwungen ruhig. „Dann übernimmst du
hier?“, fügte er hinzu, bemüht kalt und desinteressiert zu klingen. Aber es war
immer noch Pansy.
„Sicher“,
gab Potter zurück und sah ihn nicht mehr an.
Draco
verließ das Zimmer, ohne ein weiteres Wort. Er konnte jetzt nicht mehr. Jetzt
war wieder ein Punkt gekommen, an dem er mehr Zweifel als Gewissheit hatte. Der
Flur lag leer vor ihm.
Er
durchschritt ihn langsam und wusste, sie mussten bald sowieso wieder weiter
ziehen. Die Todesser würden jetzt nach Pansy suchen. Und Snape und Potter
würden ihnen nicht die Chance lassen, sie zu finden. Er kam an der Küche
vorbei. Kurz hielt er inne.
„Wieso
gehst du nicht einfach, Hermine? Du hast mir hier noch nie geholfen!“,
beschwerte sich Lavender Brown bei ihr. Brown war sehr schlecht gelaunt, als
Snape ihr die spärlichen Vorräte gebracht hatte. Das Essen dürfte nicht
besonders gehaltvoll ausfallen, nahm er an.
Denn
aus Suppengrün und Brot konnte man nicht viel machen. Nicht einmal eine
talentierte Kochhexe wie Lavender konnte das.
„Oh,
sieh mal an. Hermine, ich denke, das sollte dich davon abhalten, mir deine
Hilfe aufzuzwingen. Malfoy ist da.“ Mit ausgestreckter Hand deutete Brown auf
ihn, aber Granger würdigte ihn keines Blickes. Ihre Stimme wurde lediglich
lauter.
„Ich
habe hier genauso ein Recht zu sein wie du. Vielleicht ist es dir irgendwann
entfallen, weil du sooft mit Ron geschlafen hast, aber ich war eher hier! Ich
habe dich aufgenommen, nachdem ich dich befreit habe, Lavender! Willst du mich
wirklich aus der Küche werfen? Wirklich?“, schrie sie fast und hatte ihn immer
noch nicht angesehen.
„Du
hast auch mit ihm geschlafen“, war alles, was Brown etwas kleinlaut erwiderte.
Granger hatte mit Weasley geschlafen? Er horchte in sich – aber eigentlich war
es ihm gleichgültig.
„Ich
schlage vor, wir zerkochen das Suppengrün und verbrauchen die letzten Pilze,
die wir noch haben, ehe sie schlecht werden“, erklärte Granger jetzt ungerührt
und strich sich die Haare zurück. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt und er
erkannte an der hellen Stelle in ihrer Armbeuge, dass Snape ihr wohl gerade
wieder Blut abgenommen hatte.
„Malfoy,
du musst nicht so dumm da rumstehen, da kannst das Suppengrün schneiden“,
durchschnitt Browns Stimme seine Gedanken.
„Was
ist, Lavender? Können wir das auf einmal nicht mehr allein? Brauchen wir
wirklich seine Hilfe dafür? Seit wann bist du überhaupt auf Hilfe angewiesen?“,
herrschte Granger sie an. Brown hatte überrascht den Blick gehoben.
Und
dann sah sie ihn an. Und fast wäre sein Mund aufgeklappt.
„Hau
ab“, sagte sie kalt, während er in ihren Augen nichts weiter als Abscheu
erkennen konnte. Das und vielleicht Triumpf. „Na los. Oder juckt es dich so
sehr in den Fingern, Lavender zu helfen, Malfoy?“ Es hätte ihn überhaupt nicht
gewundert, hätte sie ihn augenblicklich mit dem Zauberstab verflucht.
Und
es juckte ihn in den Fingern, etwas ganz anderes zu tun! Was war in sie
gefahren? Sonst himmelte sie ihn doch an wie einen verfluchten Gott!
„Alles
in Ordnung?“, fragte er also widerwillig. Jetzt zog sie tatsächlich den
Zauberstab, und die Tür zu der provisorischen Küche knallte ins Schloss. Er war
ausgesperrt und stand mit gerunzelter Stirn im Flur.
Was
zum…?
Er
schüttelte verwirrt den Kopf. Er hatte damit gerechnet, dass sie vor Sorge um
ihn fast umgekommen war und ihm in den Armen lag. Dann hätte er ihr
vorgeschlagen, dass Sex ihn ablenken würde. Und vielleicht hätte sie auch
Oralsex begeistert zugestimmt. Das hatte er erwartet! Aber nicht… Hass.
~*~
Sein
Löffel lag vergessen in seiner Hand.
„Und
weißt du noch, als wir damals geflohen sind? Auf dem Drachen?“, lachte sie
ausgelassen und dennoch wirkten ihre Worte eher hohl. Sie stieß Weasley in die
Seite. Der musste grinsen – und das tat er nicht besonders häufig – und nickte
schließlich.
„Jaah!
Ich weiß. Merlin, das war ein Flug. Und der Drache war blind. Und wir saßen zu
dritt auf dem Vieh! Ich hab gedacht, wir würden nicht lebend runter kommen…“ Er
schüttelte den Kopf, als wäre er überrascht, dass sie doch solange überlebt
hatten.
Es
ärgerte ihn zwar, aber er wartete die ganze Zeit darauf, dass sie ihn ansah,
aber das tat sie nicht. Nicht ein einziges Mal. Sie saß nicht einmal mehr neben
ihm. Sie saß neben Weasley. Auf der ganz anderen Seite.
„Harry,
und wir sind auch noch so dreist gewesen und sind in Gringotts eingebrochen?
Und dieser Zauberer, der mit mir gesprochen hatte, als ich in Bellatrix‘
Gestalt aufgetaucht bin? Und du musstest ihn mit dem Imperius belegen? Gott,
ich meine, wir haben schon so viele Dinge getan. Da wird das kein Problem
werden, oder?“ Sie lächelte jetzt überlegen.
„Ich
weiß. Das war mehr als nur gefährlich“, gab Harry zurück.
Granger
war als Bellatrix nach Gringotts gegangen? Diese Geschichte war ihm völlig
unbekannt. Aber sein Stolz verbot es ihm, näher nachzuhaken.
„Und
wie geht es Pansy?“, fragte sie jetzt recht emotionslos und er versuchte
angestrengt, die Granger zu erkennen, die er in den letzten Wochen gewohnt
gewesen war. Aber diese Granger war nicht mehr aufzufinden. Keine Spur mehr war
von ihr übrig.
„Ich
denke, ihr geht es den Umständen entsprechen gut“, sagte ein Junge, dessen
Namen er immer noch nicht kannte.
„Muss
ja hart für dich sein, Malfoy“, sagte sie jetzt sorglos und sein Löffel glitt
tatsächlich aus seiner Hand. Sein Mund öffnete sich. Er sah, dass Potter ihr
auch einen höchst verwirrten Blick zuwarf.
„Du
sprichst mit mir, wirklich?“, erkundigte er sich jetzt leise. Sie lächelte kühl
und aß einen weiteren Löffel der Suppe, die absolut widerlich schmeckte.
„Ja,
sicher. Ich hab dir doch gerade deinen Namen gesagt, oder nicht?“ Er wartete.
Aber nein. Da war nichts mehr in ihrem Blick oder ihren Worten, das ihn sicher
erkennen ließ, dass sie ihn liebte.
„Hermine.“
Das war Snapes Stimme. Gepresst, mit dem Hauch einer Warnung, hatte er Grangers
Namen gesagt. Diese verdrehte jetzt die Augen.
„Ja,
ja“, sagte sie nur und tauchte ihren Löffel wieder in die Suppe. Ihm war der
Appetit ohnehin vergangen. Er erhob sich schließlich und ignorierte Potters
Blick.
„Pansy
sollte etwas essen“, schlug Lavender jetzt vor. „Wenn du sowieso fertig bist,
könntest du ihr etwas bringen“, schloss sie knapp. Kurz hob er den Blick. An
dem langen Holztisch saßen nur Gryffindors, fiel ihm auf. Es waren alles
geflohene Gryffindors. Nur er und Snape – und jetzt auch Pansy – waren aus
Slytherin.
Sein
Blick glitt über Potter und Weasley, über die jüngeren Kinder, über Lavender
und Granger, die ihn nicht ansah. Dann über Snape, dessen Blick er wieder
einmal nicht zu deuten wusste.
„Sicher“, sagte er also nur, nahm seinen unberührten Teller und verließ den
Raum, der als Esszimmer herhalten musste. Kaum war er draußen, hörte er, wie
Granger mit einem unechten Lachen in der Stimme eine weitere Geschichte
erzählte.
Er
stieß die Tür zu Potters Zimmer auf. Pansy war mit dem Stuhl umgefallen und
schoss einen giftigen Blick zu ihm empor.
„Hey
Schlammblutliebhaber, warum bringst du mich nicht einfach sofort um?“, knurrte
sie. Draco stellte seine Schüssel ab und zog den Stuhl wieder in die Höhe.
„So
wie du mich sofort umbringen wolltest, Pansy?“ Sie schien kurz verwirrt zu
sein, dass er überhaupt mit ihr sprach, aber sie überwand diese Verwunderung
schnell.
„Das
ist es jetzt, Draco? Erinnerst du dich nicht mehr an unsere Zeit? Wir waren
Freunde, weißt du!“ Wahrscheinlich würde sie gleich doch anfangen zu weinen und
ihn anflehen, sie zu befreien.
„Erinnerst
du dich, dass ich von Potter gefangen genommen wurde, und mir niemand von euch
geholfen hat?“, hielt er zornig dagegen.
„Wir
wussten nicht, wo du warst!“, widersprach sie.
„Bullshit!
Du hast dich Monate nicht blicken lassen, Pansy!“ Er hatte gar nicht vorgehabt,
sich mit ihr zu streiten. „Und du wolltest mich heute umbringen! Potter hat den
Fluch abgelenkt, verdammt noch mal! Ich sollte dich hier und jetzt einfach
vernichten!“, schrie er und besann sich in derselben Sekunde.
„Du
wirst jetzt essen“, erklärte er konsterniert und zwang sich zur Raison.
„Damit
was? Damit ich für die Vergewaltigung von Potter und Weasley auch genug Kraft
habe?“, wollte sie schwer atmend wissen und kurz hob er die Augenbraue.
„Sowas
tun nur wir, Pansy“, sagte er schließlich nach einer Weile. „So etwas tun nur
Todesser. Potter und seine Leute würden so etwas niemals mit dir tun.“ Sie
schien darauf nichts zu sagen zu haben. Aber für einen Moment schien ihr das
die Worte zu rauben.
„Ist
sie schwanger, Draco?“, fragte Pansy jetzt und anscheinend wollte sie es gar
nicht wirklich fragen. Er lächelte plötzlich.
„Glaubst
du wirklich, ich hätte Hermine Granger geschwängert, Pansy?“, fragte er mit
einem Grinsen, als er den Löffel an ihren Mund führte. Widerwillig aß sie
schließlich.
„Keine
Ahnung. Ich hätte auch nicht angenommen, dass du auf Potters Seite stehen
würdest, aber das stimmt ja anscheinend auch.“ Er zog es vor, darauf nichts zu
sagen. Es bereitete ihm Magenschmerzen, wieder eine Geisel zu füttern. Vor
allem, wenn es jemand war, den er so gut kannte, wie sich selbst.
Er
stellte die Schüssel für einen Moment zur Seite.
„Das
muss ich dir abnehmen“, sagte er ruhig und löste das Band um ihr Handgelenk.
Sie wollte protestieren, aber sie war ja immer noch gefesselt. Er betrachtete
den dunklen Stein am Lederband. Er müsste ihn nur zerdrücken, schon würde die
Todesser kommen und Potter vernichten. Potter und Weasley und Granger… und
höchstwahrscheinlich ihn.
„Du
weißt, es ist noch nicht zu spät…“, flüsterte Pansy und suchte angestrengt
seinen Blick. Er hob ihn zu ihren kalten blauen Augen. Sie ähnelten seinen
eigenen so sehr, stellte er fest. „Du kannst immer noch das richtige tun,
Draco“ fuhr sie verschwörerisch fort.
Das
Richtige? Was war noch mal das Richtige?
Die
Tür öffnete sich. „Sieh mal an, wir hatten heute noch nicht das Vergnügen“,
begann Granger, und er fragte sich unwillkürlich, mit wem sie sprach. Er hob
den Blick. Granger bemerkte das Band in seiner Hand. Kurz änderte sich etwas in
ihrem Gesicht.
„Willst
du das behalten oder willst du es mir geben?“, fragte sie lauernd. Sie streckte
ihm die Hand entgegen. Keine Lust in ihrem Blick, kein Verlangen, was nur er
stillen konnte. Es lag ihm schwer im Magen. Er wusste nicht recht, warum. Aber
er fühlte sich betrogen. Irgendwie…
„Ich
werde das behalten“, erwiderte er ruhig. Sie wartete. Es verging ein Moment.
„Schön“,
sagte sie dann und zog die Hand wieder zurück. „Du kannst gehen, Malfoy. Ich
habe Pansy hier ein paar Dinge zu sagen.“
„Was
für Dinge?“, fragte er, ehe er sich aufhalten konnte.
„Dinge,
die dich nichts angehen.“
„Aha.
Was geht mich denn etwas an? Wie du
Sex mit Weasley hattest? Oder wie du-“
„Geh
einfach, Malfoy“, unterbrach sie ihn scharf. Sie senkte den Blick auf den
Boden. Er ballte die Hände zu Fäusten und zerquetschte fast den dunklen Stein,
der die Todesser rufen würde. Er lockerte die Faust wieder.
„Fein,
wie du willst“, gab er zornig zurück und verließ das Zimmer.
Er
hatte die Nacht nicht in Grangers Zimmer verbracht. Es kam ihm vor wie ein
Entzug. Ein Entzug von etwas, von dem er nicht einmal wusste, dass sein Körper
sich daran gewöhnt hatte. Er war wie gerädert. Weasley hatte geschnarcht. Die
anderen Jungen auch.
Auf
dem Flur fuhr er sich durch die Haare. Er hatte sich die Zähne sauber gehext
und zu mehr war er auch schon nicht in der Lage gewesen. Die Müdigkeit saß ihm
schwer in den Knochen. Er öffnete Snapes Tür. Eigentlich schlief sein Pate
ebenfalls im selben Zimmer, aber heute Nacht war er dort nicht gewesen.
Anscheinend hatte er auch nicht wirklich geschlafen.
„-
weil es das einzige ist, was wirkt!“, hörte er Grangers verzweifelte Stimme.
„Weißt du eigentlich, wie großartig es ist? Wieso können wir diesen Zauber
heute nicht wiederholen? Es tut der Magie doch keinen Abbruch!“
Beide
bemerkten ihn. Granger blickte wieder gereizt zur Seite und Snape nickte ihm
zu.
„Guten
Morgen, Draco. Komm rein“, bat sein Pate. Granger ignorierte ihn.
„Bitte,
Severus. Ich bitte dich. Tu mir den Gefallen. Ich kann endlich wieder denken!“
„Du
weißt, dass wir dafür heute keine Zeit haben. Der Plan steht. Und wenn du nicht
völlig im Zeichen der Prophezeiung stehst, dann ist deine Macht begrenzt“,
erklärte er.
„Wir
haben noch gar nicht besprochen, was wir tun werden!“, rechtfertigte sie sich
und er kam sich vor, als wäre er unsichtbar.
„Es
ist unwichtig. Ich werde diesen Zauber heute nicht ausführen“, erklärte Snape
ruhig.
„Wir
haben doch nicht vor, Pansy zu töten, also kannst du-“ Er schaltete sich bei
diesen Worten ein.
„Was
ist der Plan?“, fragte er ungehalten.
„Der
Plan geht dich nichts an!“, gab sie zurück und es regte ihn auf, dass sie ihn
anscheinend wieder hassen konnte.
„Severus,
was soll das alles? Und was zur Hölle ist los mit dir?“, wandte er sich an sie. „Kein Verlangen mich im Flur
auszuziehen?“, knurrte er haltlos und Granger verzog den Mund. Plötzliche kam
selbst ihm diese Unterstellung lächerlich vor. Plötzlich kam es ihm so vor, als
wäre all das nur ein weit entfernter Traum gewesen. Schon lächerlich in der
Enstehung.
„Bitte,
kein Streit. Draco, Pansy ist unsere Gefangene. Und wahrscheinlich ist es
schwer für dich, aber wir werden heute probieren, ob die Prophezeiung gegen sie
anwendbar ist. Sie ist der Feind.“
„Ich
weiß, dass sie der Feind ist. Ich will sie trotzdem nicht umbringen!“,
erwiderte er aufgebracht.
„Du musst das ja auch nicht tun!“, gab
Granger zurück und am liebsten hätte er sie verflucht dafür, dass sie
anscheinend wieder normal war.
„Sie
wird nicht umgebracht!“, ging Snape gereizt dazwischen.
„Es
wird funktionieren, auch wenn ich nicht…“, begann Granger und wich plötzlich
vor ihm zurück, näher zu Snape. „Ich bitte dich, es lässt bereits nach,
verflucht. Wir können immer noch damit zurechtkommen, wenn es soweit ist, aber
jetzt bitte ich dich, diese Bürde von mir zu nehmen. Ich kann besser denken,
wenn…“
„Hermine,
ich denke wirklich nicht, dass…“
„Bitte!“,
flehte sie förmlich und ihre Tränen jagten ihm kurz eine unangenehme Welle des
Beschützerinstinkts über die Haut. Er fühlte sich tatsächlich sehr
verantwortlich für sie. Was zum Teufel sollte das denn jetzt?
„Nur
noch heute“, sagte Snape drohend. „Wenn wir heute feststellen, dass es die
Macht beeinträchtigt, wird dieser Zauber nie wieder angewandt. Es war lediglich
eine Theorie von mir.“
„Ja,
wenn es nicht geht, dann lassen wir es!“, sagte sie hastig und stellte sich
gerade vor Snape. Sie schloss die Augen. Er kam näher.
„Was
veranstaltet ihr hier eigentlich?“ Er hatte keine Lust, dass ihm keiner sagte,
was hier vor sich ging. Trotzdem war seine Stimme erstaunlich kleinlaut als er
sprach.
„Geh
einfach weg hier, Draco“, hörte er sie flüstern. Sie benutzte seinen Vornamen
wieder, fiel ihm auf.
„Hat
sie Schmerzen?“, fragte er Snape jetzt und ärgerte sich über seine Sorge, die
völlig unangebracht war.
„Nein,
ich habe keine Schmerzen, du Arschloch.“ Ihre Augen waren wieder aufgeflogen.
Tränen füllten sie jetzt und das Braun war glasig. Und die Granger, die ihm
keine Angst einjagte, war wieder da. „Snape bitte!“, sagte sie gepresst und
musste den Blick von ihm zwingen.
„Was
tust du?“, fragte er jetzt und fixierte Snape zornig. Er hatte es gesehen! Sie
hatte ihn an sich ziehen wollen und widerstand anscheinend gerade dieser
Versuchung. Weshalb es ihn aufregte, dass sie es nicht tat, verdrängte er in
eine unscheinbare Ecke, die er nicht näher in Betracht ziehen wollte. Snape
atmete langsam aus, und ehe er Draco antwortete, hob er den Zauberstab richtete
ihn auf Granger und sprach sehr langsam die Formel.
„Impavida“, sagte er beinahe mit
Bedauern. Kurz ging eine Kälte von Granger aus und Draco wich erschrocken
zurück.
„Was
war das? Wofür musst du sie-“ Er unterbrach sich selbst. Er hatte verstanden.
Er kannte diesen Spruch. An dem Tag, als er von Cormac und Potter aufgegriffen
und verschleppt worden war, hatte ihn sein Vater vorsintflutlich mit dieser
Formel belegt. Sie veränderte das Wesen, benutzte man sie zu häufig.
Es
war die Formel der Kaltblütigkeit. Eine Formel, die den Geist und den Körper
abstumpfen ließ. Die Todesser benutzen sie im Kampf, da sie nur mit
Unverzeihlichen Flüchen kämpften. Gefühle kamen in den Weg. Gefühle wie,
Mitleid, Furcht und Liebe.
„Du
weißt, dass diese Formel gefährlich ist?“, knurrte er jetzt. Snape verzog den
Mund.
„Ich
weiß es, Draco. Es ist nur für den Moment.“
„Für
den Moment? Was soll das? Wofür hat
sie es nötig?“, fragte er und ignorierte die Tatsache, dass Granger wieder
ruhig vor ihm stand. Keine Tränen mehr. Kein Verlangen in den dunklen Augen.
„Dafür,
dass ich denken kann, Malfoy. Dafür, dass ich wieder ich bin!“, antwortete sie,
statt Snape. Er wandte sich an sie.
„Oh
ja? Du bist du, wenn du kalt bist? Wenn du kein Mitleid empfinden kannst? Keine
echte Freude? Keine Liebe, gar nichts mehr?“
„Es
ist genauso künstlich wie diese dämliche Besessenheit, die ich spüre, wenn ich
dich sehe. Und ich verzichte lieber auf alle meine Gefühle, als auch nur ein
bisschen mehr Liebe als nötig an dich zu verschwenden!“, entgegnete sie völlig
ernst. Draco musste sich zwingen, ihren Worten nicht zu viel Bedeutung
beizumessen. Denn was sie sagte war nicht echt. Jetzt gerade nicht mehr.
„Wenn
du die Prophezeiung dadurch zerstörst, dass du ihr ihrer Gefühle beraubst, dann
ist es deine Schuld“, sagte er jetzt an Snape gewandt. Granger lachte kalt.
„Nein,
Malfoy.“ Es wurde ihm plötzlich klar, weshalb sie ihm so anders vorgekommen
war. Sie war eiskalt. Der Zauber bekam ihr nicht gut. Er stand ihr nicht gut.
Er veränderte sie komplett. Jetzt hatte selbst er ein wenig Angst vor ihr. „Die
Prophezeiung wird nur dadurch zerstört, dass du mich nicht liebst.“ Sein Mund öffnete sich.
„Hermine,
hör auf“, sagte Snape plötzlich. „Ich habe dir gesagt, du musst vorsichtig mit
deinen Worten sein. Sie sind nicht wahr, nur weil du im Moment keinen Zweifel
verspürst, wenn du sie laut sprichst.“ Granger verzog genervt den Mund und
verdrehte die Augen.
„Lass
uns lieber testen, ob wir gegen Pansy etwas ausrichten können.“ Sie war bereits
gegangen.
„Sie
hat Unrecht oder?“, fragte er sicherheitshalber. „Das mit der Liebe? Ich meine…
ich muss sie nicht lieben, damit sich die Prophezeiung erfüllt, richtig?“
„Du
liebst sie also nicht“, stellte Snape nüchtern fest.
„Ich…“,
begann Draco rechtfertigend, aber er wusste darauf nichts zu sagen. Er sorgte
sich um sie. Es interessierte ihn, was sie dachte und… er wollte nichts lieber
in der Welt, als Voldemort endlich zu vernichten und wieder in Freiheit leben,
aber… liebte er sie? Er hatte keine Ahnung. Diese Frage hatte er sich noch nie
gestellt. Der Sex fehlte ihm definitiv, ja. Aber das würde Snape wohl nicht
gelten lassen. „Woher weiß ich es?“, fragte er also leise.
Snapes
Blick glitt kurz zu einem unbestimmten Punkt im Zimmer.
„Wenn
du die Schuld bei dir suchst. Und nicht bei ihr“, sagte er schließlich, nach
einer kleinen Weile. Draco dachte darüber nach.
„Welche
Schuld?“, fragte er dann.
„Egal, welche“, erwiderte Snape. Draco legte die Stirn in ratlose Falten.
„Du
fragst dich, weshalb sie den Zauber der Kaltblütigkeit so bereitwillig entgegen
nimmt“, fuhr Snape fort. „Sobald du dir mit schlechtem Gewissen die Frage
stellst, ob es dein Verschulden ist, ob sie kaltblütig sein will, dann ist es
Liebe.“ Dracos Mund öffnete sich, aber Snape hob die Hand. „Wenn du ihr die
Schuld gibst, dass sie zu schwach ist, alle Konsequenzen der Prophezeiung zu
tragen, dann ist es keine Liebe“, erklärte sein Pate knapp.
Suchte
er die Schuld bei sich?
Er
glaubte nicht, dass er begriffen hatte. Er hatte keine Ahnung, von welcher
Schuld Snape sprach. Für einen winzigen Moment dachte er an ihre Tränen. Er
hatte keine Sekunde gezweifelt, dass sie wegen ihm aus ihren Augenwinkeln
fielen. Wenn sie weinte, ging er immer davon aus, dass es seine Schuld war.
Aber…
bereitete ihm das schlaflose Nächte? Bisher? Nein, wahrscheinlich nicht.
„Woher
weißt du das?“, fragte er plötzlich, als Snape Anstalten machte, hinter Granger
herzugehen. Kurz hielt er inne und sah ihn an. Dann erschien ein Lächeln auf
den schmalen Lippen seines Paten.
„Weil
mir niemals, auch im schlimmsten Traum nicht, die Idee kommen würde, die Schuld
bei Lily zu suchen“, sagte er mit einem freudlosen Lächeln und Dracos Mund
öffnete sich.
Lily?
Wer war… Aber er glaubte zu wissen, von welcher Lily Snape sprach. Und er
wollte nicht darüber nachdenken. Er zwang seine Gedanken in eine andere
Richtung. Und zwar in die Richtung, dass er nicht wollte, dass Pansy heute
umgebracht wurde. Und wenn er an die kaltblütige Granger dachte, dann sahen
Pansys Karten schlecht aus. Ziemlich schlecht….
~*~
„Wieso
funktioniert es nicht?“, schrie Granger zornig. So zornig hatte er sie noch nie
erlebt. „Wir sind zwölf! Mein Blut steht in Töpfen auf dem Tisch! Ich bin
bestens vorbereitet! Der Zauber sollte mittlerweile doch die Stärke entfalten
können, oder nicht?“
Snape
kratzte sich am Kinn. Er schien schnell nachzudenken, während Pansy nicht wagte
zu sprechen.
„Vielleicht
kann die Prophezeiung nur an diesem einen Tag in Erfüllung gehen!“, sagte
Potter und ließ den Zauberstab sinken.
„Vielleicht
ist es nicht der richtige Zauber“, sagte Granger gereizt. „Vielleicht ist er
nicht gut genug“, fuhr sie fort. „Vielleicht-“
„Es
ist unnötig, Pansy umzubringen“, unterbrach er sie gereizt.
„Wenn
es dich so sehr stört, wieso setzt du dich nicht einfach auf den verdammten
Stuhl und ich bringe dich einfach um?“, schlug sie jetzt kalt vor und er
wusste, sie meinte diese Worte nicht wirklich ernst. Er sah, wie Potter
verwundert die Stirn runzelte.
„Vielleicht
liegt es einfach nur daran, dass du ein herzloses Miststück bist und die
Prophezeiung einfach nicht auf herzloses Miststücke anwendbar ist!“, knurrte er
und war näher gekommen. Sie hatte den Zauberstab auf ihn gerichtet.
„Ach
ja? Möchtest du das irgendwie unter Beweis stellen? Was hält dich davon ab,
Parkinsons Platz einzunehmen?“ Er wollte ihr gerade antworten, da war Snape
zwischen sie getreten.
„Hermine,
ich habe dir gesagt, wenn der Zauber für dich nicht wirkt, dann werden wir ihn
lösen. Kurz sah Draco Panik in ihrem Blick.
„Als
verliebtes Weichei werde ich hier auch nichts ausrichten können!“, entgegnete
sie ziemlich respektlos. Snape atmete langsam aus.
„Draco
hat recht. Ein Mord rechtfertigt die Mittel nicht, Hermine, du-“
„Seit
wann interessiert es uns, was Malfoy sagt?“, verlangte sie zu wissen und
langsam hatte er es satt, dass sie sich so sehr verändert hatte.
„Du
wirst deine scheiß Laune unter Kontrolle halten oder ich löse deinen Zauber!“,
drohte er ihr und hatte den Zauberstab auf sie gerichtet. Ihm war eine wichtige
Einzelheit entgangen.
Sie
richtete jetzt nämlich den Zauberstab direkt auf seine Brust. Er musste
zugeben, das war eine Variable, die er nicht bedacht hatte. Es war wie ein
unvorsichtiger Angriff auf die Dame beim Zauberschach, wo er alles aus dem
Blick verloren hatte und nur auf den Sieg aus war. Der Punkt, wo er schlicht
und einfach vergessen hatte, dass sich die Dame schließlich auch verteidigen
konnte. Am liebsten hätte er geflucht, aber er unterdrückte diesen Impuls und
entschloss sich, eben Feuer mit Feuer zu bekämpfen, wenn es nicht anders ging.
„Wirklich? Willst du mich zwingen, Malfoy? Denkst du wirklich, es interessiert
mich ernsthaft, was du denkst?“, fragte sie und ihr Blick war eisig. Ihr Blick
war der eines Todessers.
„Hermine,
was soll der Unsinn? Und unter welchem Zauber stehst du?“, mischte sich Potter
jetzt ein. Draco reichte es. Es ging alles zu weit.
„Flagra-“ Aber Granger war schneller als
er.
„Stupor!“, rief sie gellend und er
krachte mit beachtlicher Stärke gnadenlos gegen die Wand. Ehe er den Schmerz
hatte spüren können, war er bereits gegen einen der Beistelltische gefallen und
Grangers Blut tränkte seine Kleidung. Sein Bewusstsein verließ ihn, bevor er
irgendetwas anderes denken konnte und an der Wand zusammen sank.
Die
Geräusche drangen verschwommen an sein Ohr. Er konnte nicht lange das
Bewusstsein verloren haben, denn die anderen standen um ihn herum. Granger
kniete neben ihm und er verspürte eine blendend weiße Wut auf sie.
Sie
hatte ihn tatsächlich – schon wieder – verflucht!
Er
öffnete den Mund, aber sie war schneller.
„Es
tut mir leid“, flüsterte sie völlig neben sich. Ihre Hand strich über seine
Haare. „Es tut mir wirklich leid, Malfoy“, sagte sie noch einmal leiser. Er
hatte keine Ahnung, ob ihre Kaltblütigkeit von ihrer Sorge einfach überschattet
wurde.
Erst
jetzt spürte er die unangenehm kühle Nässe an seinem Körper.
„Das
Blut!“ Er sprang förmlich auf, denn ihm wurde klar, dass nun der all der
Aufwand völlig umsonst gewesen war.
„Draco, du solltest-“, begann Snape, aber er hatte keine Lust zu diskutieren,
was er sollte und was nicht.
„All
die Arbeit! Das Blutabnehmen und das Sammeln! Jetzt ist das alles völlig
umsonst gewesen!“, schrie er. Eigentlich wollte er sich jetzt direkt an Granger
wenden, aber irgendwie schenkte ihm kaum jemand Beachtung. Verwirrt folgte er
Potters Blick. Denn sein Blick hatte sich am Boden verfangen. So wie der Blick
der zwölf anderen Personen im Zimmer.
Selbst
Pansy starrte gebannt auf den Boden zu seinen Füßen.
Sein
Mund öffnete sich, als er erkannte, was er sah. Sein Zauberstab lag in Grangers
Blutlache. Aber etwas hatte sich entscheidend verändert.
„Oh
mein Gott, Severus!“, rief Granger plötzlich aus. „Mein Blut ist nur wichtig,
weil…“ Ihre Stimme verklang wieder, denn sie hatte sich kopfschüttelnd die Hand
vor den Mund geschlagen.
„Ja,
ich sehe es. Und ich schäme mich, dass ich darauf nicht gekommen bin“, fügte er
ärgerlich hinzu. Die Zauberstäbe brauchen dein Blut. Nicht der Zauber selbst.
Natürlich. Jetzt macht es Sinn!“
„Jetzt
macht es auch Sinn, dass Bartleby und die anderen nichts ausrichten konnten,
weil sie das Blut nicht hatten!“ Er hatte keine Ahnung, von was Granger gerade
sprach, aber entscheidend war die Tatsache, dass sie ein ganz wichtiges Rätsel
gelöst hatten.
Und
schließlich griff er nach seinem Zauberstab und er zögerte keine Sekunde.
„Bemerkenswert,
Granger“, sagte er schließlich mit einem schiefen Grinsen. „Dein Blut ist
mächtiger als ich gedacht hatte“, fügte er hinzu. Dann wandte er sich um.
„Tut
mir leid, Pansy.“ Diese öffnete erschrocken den Mund, aber er war schneller.
Ganz sanft vollführte er die Zauberstabbewegung. „Oblivate“, sagte er ruhig, aber die Durchschlagkraft des Zaubers
war mächtig.
Mit
voller Wucht traf Pansy der Erinnerungszauber. Ihre Augen rollten in die Höhlen
und er bezweifelte stark, dass sich Pansy noch an ihren Namen erinnern konnte.
„War das nötig?“, fragte Snape jetzt und er ruckte mit dem Kopf.
„Sie
wollte mich umbringen. Ich würde sagen, das war nötig. Jetzt können wir sie
gehen lassen und sie würde Harry Potter nicht einmal wiedererkennen, wenn er
vor ihr Tango tanzen würde“, bemerkte er knapp.
„Möglich.
Wahrscheinlich war das die beste Lösung“, gab auch Potter zu bedenken. Ein
Blick auf Granger zeigte ihm, dass sie immer noch völlig geschockt war.
„Das
heißt, wir brauchen nicht viel Blut“, schloss Snape. „Und wenn der Zauber jetzt
schon so wirkungsvoll ist, dann wird in zwölf Tagen wesentlich wirkungsvoller
sein“, fügte er hinzu. „Draco, dann können wir Teil zwei tatsächlich in die Tat
umsetzen.“
Ach
ja. Teil zwei gab es ja auch noch. Das hatte er fast verdrängt. Da war ja noch
der Teil, der ihm sein Genick brechen konnte. Seine Laune verschlechterte sich
automatisch.
„Hermine?“
Potter war zu ihr getreten, während die anderen die bewusstlose Pansy losbanden
und über die Vorbereitungen zum Aufbruch sprachen. Das Zimmer leerte sich unter
aufgeregtem Gemurmel. Bisher schienen tatsächlich alle an dem Plan gezweifelt
zu haben. Jetzt wirkten sie bestätigt und selbst Weasley war zu aufgeregt, um
ihn noch zu beleidigen, wie er es sonst eigentlich tat.
„Mir
geht’s gut, Harry“, sagte sie beschämt.
„Ist
der Zauber abgeklungen?“, erkundigte Draco sich und rieb sich provozierend den
Hinterkopf. Sie sah ihn mitleidig an.
„Ich
hab mich entschuldigt. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte dich niemals… ich
wollte dich nicht verfluchen“, bestätigte sie dringend.
„Also
ist der Zauber noch nicht verflogen?“, wiederholte er seine Frage und sie
wandte den Blick in eine andere Richtung.
„Was
für ein Zauber?“, fragte Potter aufgebracht. Snape jedoch nahm ihm die Antwort
ab.
„Ich
würde sagen, das hier war jetzt aufregend genug für heute, Harry. Und das
andere… ist wohl nicht unbedingt deine Angelegenheit. Aber Hermine, um deine
Frage hiermit zu beantworten: Es scheint nicht notwendig zu sein“, fügte Snape
bedächtig hinzu, während er Harry mit sich führte.
Jetzt
waren sie alleine zurück geblieben und Draco kannte die Frage zu Snapes
Antwort. Wahrscheinlich war es in den bisherigen Prophezeiungen nicht
vorgekommen, dass irgendeine der Parteien nicht verliebt war, aber anscheinend
war es unwichtig, ob dies so war.
Granger
fuhr sich über die Stirn.
„Es
war dumm von mir, auf den Zauber zu bestehen. Es war gefährlich und blöd“, fuhr
sie fort und sie betrachtete die Blutlache auf dem Berg. „Emundo“, sprach sie jetzt und der Boden war wieder blitzblank.
„Anscheinend
gibt es nichts Schlimmeres, als in mich verliebt zu sein. Ich verstehe schon“,
sagte er leichthin. Sie lächelte schwach.
„Nein,
das ist nicht wirklich schlimm“, erwiderte sie müde. Sie sah wirklich müde aus.
Aber Kaltherzigkeit strengte an. Er wusste das. „Es ist nur ärgerlich, wenn man
alleine verliebt ist.“ Wahrscheinlich wäre sie nicht so mutig dies
auszusprechen, wenn der Zauber die Wirkung verloren hätte. Dann wäre nämlich
die Angst über solche Worte wieder allgegenwärtig.
Er
wollte irgendwas sagen. Irgendwas Nettes. Irgendwas, was sie ablenken würde.
Aber er wusste nicht, was. Sie war ihm so vertraut.
„Schon
ok“, unterbrach sie seine Gedanken mit einem Lächeln. Er fühlte sich wieder
unwohl, weil er nur zu gerne aus den Sachen raus wollte. Es war eklig voller
Blut zu sein, ging ihm auf. Aber nicht, weil es Muggelblut war. Nein. Einfach
nur so. Fast hätte er darüber gelächelt.
„Hey…“,
sagte er jetzt und streckte ihr die Hand entgegen. „Sobald du mich wieder
berühren möchtest oder küssen willst oder einfach nur auf Sex aus bist, dann
bin ich gerne dabei.“ Er hoffte das klang nicht so plump, wie es in seinen
Ohren den Anschein machte. Sie musste grinsen.
„Aha“, sagte sie jetzt und wurde tatsächlich rot.
„Ich
meine… Verflucht, ich mag das, Granger“, sagte er und wartete immer noch
darauf, dass sie seine Hand nahm.
„Du
magst, dass ich dich will?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, und er
lächelte.
„Ich
weiß, keiner von den anderen hier mag diesen Zustand besonders. Aber… mir
gefällt es“, bestätigte er jetzt und sie schüttelte endlich seine Hand.
„Ok.“
„Ok.“
~*~
„Wie
viel hast du ihr bezahlt, dass du das machen darfst?“ Sie konnte nicht anders,
als argwöhnisch zu klingen, während er die Kartoffeln in feine Scheiben
schnitt. Sie wusste, jedes Verhalten war mittlerweile eine Ruhe vor dem Sturm.
Sie
war eigentlich so aufgeregt, dass sie endlich des Rätsels Lösung gefunden
hatten. Und sie war ein wenig sauer, weil Snape ihr noch nichts von dem
ominösen zweiten Teil des Plans erzählt hatte.
Aber
von jedem Gefühl nur ein wenig, weil der Zauber erst jetzt abklang. Die Gefühlskälte
hatte ihr wirklich nicht gefallen. Und jetzt verließ sie langsam den Zustand,
an dem sie wirklich panisch war, wegen irgendwelchen Herzensangelegenheiten.
Sie wusste, das würde nur solange anhalten, bis sie sich wieder nach Malfoy
verzehrte.
Deswegen
hoffte sie jetzt gerade, dass der Zauber der Kaltblütigkeit sie noch etwas
verschonen würde. Aber sie hatte schon wieder ein paar nette Gefühle. Vor allem
nachdem, was heute passiert war. Sie hatte ihn mit solcher Wucht verflucht,
dass sie selbst durch die Kaltblütigkeit das schlechte Gewissen gespürt hatte.
Und
das Gespräch danach war auch nicht gerade… erheiternd gewesen. Aber jetzt
kochten sie zusammen. Es war so eine Art Waffenstillstand. Er trug Lavenders
provisorische Schürze und Hermine nahm an, dass ihm Lavender dies sehr übel
nehmen würde.
„Ich
habe ihr gar nichts bezahlt, Granger. Ich bin verflucht charmant“, erklärte er
konzentriert, während er weiter schnitt und sich eine blonde Strähne aus der
Stirn pustete. Ihre Fingerspitzen kribbelten ein wenig, während sie ihm zusah.
Aha…
der Zauber verließ also ihren Geist. Wie… nett, dachte sie genervt.
„Auch
mal?“ Fragend hielt er ihr das Messer hin.
„Nein,
danke. Und wenn, dann benutze ich Magie dafür, Malfoy“, begründete sie
verwirrt.
„Aber
wenn man kocht, sollte man wirklich auf das Gefühl seiner Hände achten. Denn
Kochen ist schließlich etwas ziemlich gefühlsbetontes. Das ist ja nicht nur
irgendeine Arbeit. Menschen müssen das auch essen, was du da tust. Du hast eine
ganz andere Beziehung zum Essen, wenn du es selber zubereitest“, schloss er
seinen Monolog.
„Malfoy,
ihr hattet Hauselfen und Diener. Du musstest keinen Fingerschlag tun.“ Sie
hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Er grinste jetzt.
„Ja,
aber nachdem meine Mutter die Elfen und die Dienerschaft mitgenommen hatte,
habe ich angefangen Kochen zu lernen. Allein“, fügte er hinzu.
„Du
kannst trotzdem alleine kochen. Ich habe kein Interesse.“
„Du
wolltest doch helfen“, sagte er grinsend.
„Ja, als ich dachte, wir würden das mit Magie eben schnell erledigen. Und weil
die Zutaten mal etwas spezieller und… besser sind.“ Er lächelte jetzt still.
„Warum
bist du dann hier geblieben?“ Seine Augenbraue hob sich für den Bruchteil einer
Sekunde und sein Ausdruck erreichte eine höchst spöttische Note. Sie spürte,
wie ihr Blick finster wurde.
„Weil…“
Oh Gott, jetzt durfte sie aber nicht versagen! „Weil… das nicht deine Küche
ist, Malfoy“, brachte sie schließlich hervor und kam sich lächerlich vor.
„Wie
du willst. Du bist die Waffe, Granger.“ Sie widersprach nicht. Sie war müde,
ihm zu widersprechen und seinen Spott zu kommentieren. Sie sah sich um. Diese
Küche in dem neuen Lager war größer. Zwar war es immer noch ein
heruntergekommener Platz, aber auf der Flucht hatte man eben nur die
Möglichkeit eine verlassene Fabrik zu nehmen oder Zelte aufzuschlagen. Da sie
keine Zelte mehr hatten, blieb ihnen wenig zur Auswahl.
Und
diese Fabrik hatte wenigstens für die Arbeiter insoweit vorgesorgt, dass die
Küche über zwei Herde verfügte. Und sie konnten jetzt zu zweit die Zimmer
teilen. Nicht, dass sie daran dachte, sich mit Malfoy ein Zimmer zu teilen…
Gut, jetzt dachte sie schon daran, aber nur, weil…- Nein, sie wusste nicht
mehr, weshalb.
Er
hatte schöne Hände. Sehr schöne Hände….
„Was?“,
fragte er beinahe lauernd. „Kritik?“
Sie
schüttelte nur den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute. „Komm schon. Nur
in Scheiben schneiden. Ist ganz leicht. Es sei denn, du willst dich schneiden.
Das wäre dämlich, weil wir dein Blut noch brauchen“, begann er zu erzählen. Sie
nahm gereizt das Messer und griff nach einer Kartoffel. Er stellte sich
fachmännisch hinter sie und lugte über ihre Schulter.
Sie
spürte seinen Atem und musste kurz die Augen schließen.
„Wie
süß. Mach ich dich nervös?“, fragte er jetzt mit einem Lachen in der Stimme und
sie zwang ihren Geist wieder zur Arbeit.
„Nein,
Malfoy. Ich finde es nur albern, den Zauberstab nicht zu benutzen, wenn man-“
Sie brach abrupt ab, denn sie war sich sicher, seine Lippen kurz auf ihrer Haut
gespürt zu haben. Ganz kurz an ihrem Hals. Für eine winzige Sekunde.
„Ja?“,
fragte er an ihrem Ohr und sie räusperte sich.
„Äh…“,
begann sie und musste tiefer einatmen, denn sie hatte das Gefühl, dass nicht
mehr genügend Sauerstoff in ihr Gehirn kam.
Und
diesmal spürte sie es deutlich. Seine Lippen pressten sich kurz gegen die
Stelle unter ihrem Ohr. Und sie wanderten weiter.
„Du
willst mich vom Kochen abhalten, richtig?“, flüsterte sie jetzt erstickt und
wäre gerne stärker. Nur ein wenig stärker. Nur um einfach mehr, viel mehr, Zeit
zu schinden.
„Unsinn“,
erklärte er ruhig. Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, ehe sie sich zu
ihm umdrehte und ihre Arme heftig um seinen Nacken schlang. Er reagierte sofort
und senkte den Kopf.
Ihre
Lippen krachten aufeinander. Das Geräusch, das er von sich gab, war nur als
genießerisch zu bezeichnen. Ein Schnurren, ein raues Stöhnen, es war
unglaublich betörend. Sie konnte nicht anders, als sich enger an ihn zu
drücken.
Und
es gelang ihr nicht einmal, wenigstens in ihrem Kopf, zu behaupten, dass sie
das hier nicht vermisst hätte. Sie hatte es unglaublich vermisst! Er hatte ihr
unglaublich gefehlt. Ihre Hände gruben sich in seine Haare, zogen in noch näher
an sich und seine Zunge glitt mühelos zwischen ihre Lippen.
Sie
glaubte fast ohnmächtig zu werden, als der Zauber gänzlich verschwunden schien.
Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn jemals wieder loszulassen. Sie presste
sich enger an ihn, wollte in ihn gleiten, mit ihm verschmelzen, damit man nicht
mehr sagen konnte, welcher Körper zu wem gehörte.
Natürlich
war der Gedanke absurd, aber es war ihr egal.
Sie
spürte wie seine Arme hinter ihr mit einer unwirschen Bewegung die Brettchen
und Kartoffelscheiben zur Seite stießen, ehe seine Hände sich fest um ihre
Hüfte legten und sie auf den Tisch setzten.
Er
drängte sich zwischen ihre Beine und selbst durch den Stoff ihrer beider Hosen
spürte sie seine Erektion.
Die
Gedanken, dass es sich nicht gehörte in einer Gemeinschaftsküche Sex zu haben
und dass sie noch mal von vorne anfangen konnten, die Zutaten zu schneiden
waren so unwichtig, dass sie sich fast geschämt hätte. Nur fast natürlich.
Für
einen Moment kam es ihr anders vor. Für einen Moment kam sie sich gar nicht
mehr nur allein so vor, als würde sie alles initiieren, als würde sie allein
ein brennendes Verlangen spüren. Für einen Moment erschien ihr Malfoy genauso
wie sie selbst. Er riss ihr die Bluse vom Körper, schob ihr die schmalen Träger
des weißen Shirts über die Schultern, küsste ihre Haut und konnte nicht von ihr
ablassen.
Mit
größter Anstrengung riss er sich von ihr los. „Komm mit“, knurrte er und das
allein reichte, dass ihr Knie zu Pudding wurden.
„Das
Essen…“, flüsterte sie und es war ihr eigentlich egal. Er schnappte sich
beinahe aggressiv seinen Zauberstab und führte stumm einige Zauber aus. Messer
flogen durch die Küche, hackten sämtliche Zutaten klein, säuberten die fertigen
Sachen auf dem Boden, und aus den Augen sah sie, wie die Töpfe auf den Herd
flogen, das Wasser anfing zu kochen und die Küche nun völlig selbstständig
kochte.
„Ich
dachte, dass müsste man mit den Händen tun“, versuchte sie ihn zu ärgern, aber
einen solchen Ton kann man gar nicht anschlagen, wenn man jemanden mit den
Augen geradezu anhimmelt. Er zog sie einfach mit sich.
„Ich
habe vor, meine Hände für etwas anderes zu benutzen“, erklärte er schnell und
ohne diese Worte weiter auszuführen. Aber sie konnte sich lebhaft vorstellen,
was er dachte und schon hatten ihre Füße ihn überholten und zogen ihn jetzt mit
sich, anstatt umgekehrt.
Es
war kühl draußen. Zwar wusste er, dass dieser Moment hatte kommen müssen, aber
damit gerechnet, hatte er doch nicht wirklich so früh.
Er
wusste, Granger besprach mit Snape die möglichen Zauber. Er trug bereits seinen
Reiseumhang und wusste, es handelte sich jetzt nur noch um Minuten.
Nur
noch ein paar Minuten, bis zum zweiten Teil des Plans.
In
den Tagespropheten, die sie in den letzten Tagen gelesen hatten, standen die
Auswirkungen und die Verwüstungen durch die Todesser. Jetzt waren sie rund um
die Uhr auf der Suche nach Granger. Sie zerstörten jede Fabrik auf ihrem Weg,
ob benutzt oder unbenutzt war unwichtig.
Der
Plan war nur wirksam, wenn er überleben würde. Und daran hatte er Zweifel.
Begründete zudem. Seine Finger kribbelten unangenehm. In den letzten Tagen
hatte er Granger keine Minute allein gelassen. Jetzt stand er hier schon seit
einer ganzen Weile und er mochte es nicht. Er wollte nicht ohne sie sein.
Darüber würde er noch nachdenken, wenn die geeignete Zeit gekommen war.
Jetzt
machte er sich erst mal Sorgen über die zukünftigen Schmerzen. Granger hatte
geweint. Sie hatte geschrieen und ihm sämtliche Vorhaltungen gemacht. Es war unerheblich.
Es gab keine bessere Möglichkeit. In seiner Faust hielt er Pansys Lederband
umschlossen. Die kleine Kugel war selbst in seiner Handfläche eiskalt.
Ein
Blick gen Himmel sagte ihm, dass es wohl weit nach neun Uhr sein musste, denn
die Sterne blinkten dumpf in der Dunkelheit und kein bisschen Tageslicht war
mehr zu entdecken. Nirgendwo.
„Das
ist Irrsinn“, sagte sie und stellte sich neben ihn.
„Du
sollst drinnen bleiben“, erwiderte er, wie aus einem Reflex heraus. Er wandte
sich zu ihr um, nur um wieder weich zu werden. Ihre dunklen Augen blickten
voller Sorge zu ihm auf. Sorge und Wut. Beides vermischt. Das war nett zu
sehen. Sie konnte sich immerhin nicht entscheiden.
„Es
gibt hundert andere Möglichkeiten als diese“, behauptete sie zornig. Er zog sie
einfach an sich.
„Diese
ist simpel und wirksam“, erwiderte er nur.
„Ist
sie vielleicht nicht, Draco. Das weißt du. Wie kann ich das denn zulassen? Ich sollte das tun. Nicht du!“ Er atmete
langsam aus und nahm ihr Gesicht in seine Hände.
„Es
ist noch nicht an der Zeit. Heute Nacht kannst du dich dann in alle Gefahren
stürzen.“ Als ob er das wollen würde!
„Aber…
wenn sie dich nicht leben lassen!“ Tränen füllten ihre Augen sofort. Er musste
kurz nach oben blinzeln, damit seine Gefühle nicht zu mächtig wurden.
„Hey!
Mach dir keine Gedanken. Ich komm zurück, ich versprech es dir, Hermine“, sagte
er ruhig und sie schluchzte auf, ehe sie die Arme um seinen Nacken warf. Er
küsste ihre warmen Lippen verlangend und wollte selber nicht gehen. Der Plan war
absurd, gefährlich und er rechnete mit einer achtzig prozentiger
Wahrscheinlichkeit damit, dass er es nicht schaffen würde.
„Hier
seid ihr. Draco, bereit?“, fragte sein Pate jetzt und anscheinend ging jetzt
alles sehr schnell.
„Nein!“,
rief Hermine, die sich von ihm gelöst und sich schützend vor ihn gestellt
hatte.
„Hermine, bitte. Wir haben darüber gesprochen. Ihr seid einverstanden mit dem
Zauber? Ich denke, es ist einfacher für uns alle.“ Draco antwortete Snape,
anstatt Hermine.
„Ja,
es ist besser.“
„Impavida!“ Ehe Granger mit einem Schrei
widersprechen konnte, hatte Snape sie beide schon mit der Kaltblütigkeit
belegt. Ihre Arme sanken neben ihren Körper. Sie stand immer noch vor ihm, aber
ihr Ausdruck war leer.
Er
betrachtete das Mädchen vor sich und fast schmerzte es ihn, dass er sie nicht
küssen wollte. Aber dann wurde auch dieses Gefühl gelöscht und er wich von ihr
zurück. Sie sah ihn fast kritisch an.
„Der
Zauber ist stark, Snape.“ Ihre Stimme klang gewöhnlich und keine Träne
schimmerte mehr in ihren Augen. Snape selber schien nicht glücklich zu sein.
„Wir
haben alles gepackt. In zwei Minuten apparieren wir von hier. Willst du die
Adresse wissen?“ Er reagierte sofort und schüttelte den Kopf.
„Nein,
absolut nicht. Sie werden mich foltern, um sie zu bekommen. Je länger sie
nichts wissen, umso besser ist es.“ Snape nickte nur und reichte ihm ein helles
Band. Er hatte es also geschafft.
Er
band es um Dracos Handgelenk und sah ihn an. „Das war ein ganzes Stück Arbeit.
Verlier es bitte nicht.“ Plötzlich verlor es die Farbe. Es wurde komplett
unsichtbar, aber Draco spürte es noch auf seiner Haut. „Harry war nicht
glücklich, dass er mir ein winziges Stück von seinem Umhang hatte geben
müssen.“ Er sah wie sich Granger auf die Lippe biss. Wahrscheinlich hielt sie
gerade böse Worte zurück, nahm er an. Die kamen nämlich schnell, wenn man
kaltblütig war.
„Du
gibst uns Bescheid. Fünf Minuten vorher. Und du bist dir sicher, dass du mich
nicht brauchst?“ Zu lügen fiel auch um vieles leichter, wenn man kalt im Innern
war.
„Nein,
ich brauche dich nicht, Severus“, log er gekonnt und war dankbar für die Leere
in seiner Brust, wo vorher noch die Angst gesessen hatte.
„Gut.
Ich habe nichts anderes erwartet.“
„Seid
ihr soweit? Wir haben gepackt.“ Weasley war in der Tür erschienen. „Hermine,
komm rein, es ist zu gefährlich draußen!“, fuhr er sie an. Granger zögerte noch
einen Moment. Sie sah ihn an und suchte anscheinend etwas in seinem Gesicht.
Draco
wusste, er hätte bessere Worte des Abschieds gewusst, wäre sein Herz nicht
eiskalt.
„Bis
später“, sagte er also nur. Sie zuckte mit den Schultern.
„Wenn
du überlebst, ja.“ Damit ging sie rein. Weasley sah einen Moment lang
schockiert aus.
„Severus, du hast den Zauber angewandt?“, fragte er angewidert und bedachte
Draco mit einem kurzen Blick. „Muss hart sein, wenn sie dich hasst, richtig?“
Draco konnte keine Gefühlsregung in seinem Gesicht zustande bringen. Nicht mal
die Wut auf Weasley war noch gegenwärtig, die er stets so stark empfand.
„Oh,
du bist genauso“, stellte Weasley entnervt fest. „Severus, der Zauber ist
wirklich übel“, fügte er hinzu, ehe er wieder im Innern verschwand.
„Wer
übernimmt es?“, fragte er jetzt. Snape zögerte kurz.
„Ich
werde das tun“, erklärte Potter, der beinahe gierig seinen Kopf in die Nacht
steckte. Er kam fast so selten raus wie Granger.
„Ist
das sicher?“, fragte Draco und wusste aber, dass sich Potter wohl nicht von
seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Und er glaubte für eine winzige
Sekunde, Grangers Schatten hinter der offenen Tür erkennen zu können. Er wandte
seinen Blick ab.
„Natürlich
nicht. Hast du ein Problem damit, wenn ich dich verletzte?“ Fast grinste Potter
bei diesen Worten. Severus nickte ihm zum Abschied zu und mit einem letzten
langen Blick verschwand er ebenfalls im Innern der Fabrik.
„Nein,
habe ich nicht“, antwortete Draco auf die Frage.
„Dann
ruf sie. Jetzt!“, befahl Potter mit erhobenem Zauberstab.
Er
spürte die Macht der Apparierenden im Innern der Fabrik. Gleichzeitig
zerdrückte seine Hand die dunkle Kugel in seiner Umhangtasche. Kurz geschah gar
nichts. Potters Blick drohte kurz zu entgleisen. Dann zerriss ein gellender
Schrei die Luft. Draco sah sie kommen. Sie apparierten aus der Dunkelheit dem
Licht entgegen, dass die Kugel verströmte, sobald man sie zerstört hatte.
„Mach
es schon!“, knurrte er Potter zu. Dieser riss den Blick vom Himmel.
„Consectio!“ Er machte eine
Abwärtsbewegung mit seinem Zauberstab und Draco spürte die Oberflächlichkeit, die
Potter anwandte. Heißes Blut lief über seine Wange. Er spürte, wie der Umhang
riss und Blut aus seiner Brust zu fließen begann. Dann zog Potter den
Zauberstab zurück.
„Es
ist Potter!“ Die Stimmen überschlugen sich fast vor Gier. Jetzt packte ihn
Potter am Kragen.
„Hoffentlich
schneiden die deine Kehle durch, du elender scheiß Verräter!“, schrie Potter
und stieß Draco grob nach hinten, ehe er sich zu drehen begann.
Kurz
sah er Potter schemenhaft vor sich, dann war er verschwunden. Genau in der
Sekunde, in der er selber im Nacken gepackt und nach oben gerissen wurde.
Bellatrix
funkelte ihn an. Ihre Augen wirkten stumpf und wahnsinnig im dämmrigen Licht
der Sterne.
„So…
so, so… der kleine Draco ist verstoßen worden? Durchsucht die Fabrik!“, ordnete
sie herrisch an. „Dein Vater wird begeistert sein, dich selber umbringen zu
dürfen. Viele Dinge lagen ihm auf der Zunge. Er spürte seinen Zauberstab in
seinem Umhang und war kurz versucht, ihn hervorzuholen.
„Ich
muss zum Dunklen Lord!“, verlangte er und legte Dringlichkeit in seine Stimme.
„Oh,
zum Dunklen Lord?“, lachte Bellatrix. „Du kannst froh sein, wenn ich deine
Eingeweide nicht direkt hier verteile, Draco, Schatz.“ Für einen irren Moment
dachte er, sie würde ihn küssen. Aber sie brachte ihn nur näher an ihr Gesicht.
„Ich
bin noch gar nicht dazu gekommen, mich für den kleinen Streich zu rächen, nicht
wahr? Ich hatte auch nicht erwartet, dich wieder zu sehen.“ Sie lächelte. Und
trotz der Kaltblütigkeit spürte er, wie sich die Haare in seinem Nacken zu Berge
stellten.
„Crucio!“ Mit voller Wucht trafen ihn ihr
Hass und ihr Zorn. Er sank zu Boden und versuchte bei Bewusstsein zu bleiben.
Der Zauber der Kaltherzigkeit nahm ihm ein Teil der Schmerzen, dafür nahm der
Schmerz in seinem Kopf zu. Sein Gehirn konnte die vielen Eindrücke nur schlecht
verarbeiten.
Und
dann weiteten sich seine Augen. Hinter dem Schleier, den der Unverzeihliche
hinterließ, sah er wie die Todesser aus der leeren Fabrik kamen.
Und
tatsächlich hatten sie noch jemanden gefunden, der nicht rechtzeitig appariert
war. Augenblicklich schnürte sich seine Kehle zu. Und er konnte überhaupt
nichts tun!
~*~
Das
Problem war nicht, dass sie nicht gehen konnte. Das war es überhaupt nicht. Sie
fühlte im Moment nichts. Aber das war auch gelogen, denn… sie wusste ja, was
sie sonst fühlte. Und sie hatte Ron gesagt, sie würde direkt hinter ihm sein.
Das hatte sie auch wirklich vorgehabt. Dann hatte Harry Malfoy verletzt und ihr
Vorsatz war verschwunden. Sie hatte wirklich apparieren wollen. Aber… sie hatte
es schlicht und einfach nicht mehr gekonnt.
Dicht
hatte sie sich an die Wand gepresst. Ihr Kopf konnte nicht mehr wirklich
denken. Vielleicht hatte Snape recht gehabt, und der Zauber der Kaltblütigkeit
verursachte wirklich Schäden, aber dann konnte sie jetzt auch nichts daran
ändern. Oh, und wie sauer sie sein würden! Snape und Harry und Malfoy. Neben
ihr waren alle anderen nach und nach verschwunden, bis sie nur noch allein
zurück geblieben war, in der leeren Fabrik. Sie hatte s nicht über sich bringen
können. Kein Gefühl hätte sie dazu bringen können, zu verschwinden.
Mehr
konnte sie nicht denken. Bellatrix hatte die Todesser bereits rein geschickt.
Und es dauerte keine Minute, ehe sie triumphierend gepackt und nach draußen
geschleift wurde. Sie hatte nicht mal mehr Angst.
Sie
sah Malfoy auf dem Boden knien. Und sie erkannte seinen Blick. Und sie sah den
grenzenlosen Schock in seinen Augen. Die bodenlose Hilflosigkeit und die
Tatsache, dass der Plan wohl soeben schief gelaufen war.
Nicht
nur das.
Gleich
würden sie sterben, nahm sie an. Beide.
Bellatrix
starrte sie an, wie eine Erscheinung.
„Unmöglich!
Draco, deine Schlammblutschlampe konnte dich wohl nicht zurücklassen.“ Gierig
kam sie auf sie zu und Hermine spürte den Zauberstab eines Todesser an ihrer
Schläfe zittern.
„Sollen
wir sie sofort umbringen?“, flüsterte der Mann neben ihr heiser und sie
betrachtete Bellatrix’ Gesicht.
„Bist
du verrückt? Hermine Granger ist der Mensch, der höchste Priorität besitzt,
verflucht! Was denkst du, warum sie alle versteckt halten? Sie ist… die Waffe.
Und wir werden jetzt herausfinden, warum.“ Es klang wie eine unverhohlene
Drohung. Und nur am Rande bebte die grenzenlose Angst in ihr. Wenn Bellatrix
wusste, dass sie die Waffe war, wie viel wussten sie dann noch?
Schon
hatte Bellatrix den Zauber von Malfoy gelöst. Dieser stöhnte auf und hielt sich
den Kopf.
„Granger,
bist du völlig verrückt?“, keuchte er und machte Anstalten aufzustehen.
„Haltet ihn fest“, befahl Bellatrix kalt und hob ihren Zauberstab, ehe Hermine
reagieren konnte. Ihr Gehirn arbeitete zwar, aber es konnte nicht fassen, dass
sie den Plan gebrochen hatte und bei Malfoy geblieben war. Sie wollte weinen
und schreien, aber sie konnte gar nichts tun. Stumm sprach Bellatrix die Formel
und genauso schnell hatte Hermine das Bewusstsein verloren.
Als
sie träge die Augen aufschlug war ihr erster Gedanke, dass der Zauber verflogen
war. Denn ihr erster Gedanke galt Draco. Und Erleichterung durchflutete
lächerlicherweise ihren Körper als sie ihn direkt neben sich sitzen sah.
Gefesselt, so wie sie. Auf dem Stuhl neben ihr. Auch sie war gefesselt und sie
hatte keine Ahnung, wo genau sie sich befanden. Ihr Herz schlug schnell.
„Draco?“,
flüsterte sie jetzt und er hob langsam den Kopf. Er wurde wohl auch gerade
wach. „Wo sind wir?“, fragte sie eindringlich. Er blinzelte in die dämmrige
Dunkelheit. Dann schien er zu lächeln.
„Zu
Hause“, erwiderte er trocken. „Was sollte das?“, fragte er jetzt zornig und sah
sie direkt an. Die getrockneten Wunden in seinem Gesicht zerrissen ihr Herz.
„Denkst du, es wäre eine großartige Idee, wenn du direkt umgebracht wirst? Was,
wenn sie uns bis morgen früh hier sitzen lassen, Granger? Dann ist die
Prophezeiung vorbei!“ Er strengte sich an, nicht zu schreien, aber sie konnte
daran gar nicht denken.
„Ich
konnte nicht gehen“, sagte sie deshalb nur und kam sich dumm vor. Sie hatte
wirklich Mist gebaut. Es gab keine andere Erklärung.
„Potter
wird mich umbringen. Und dich dazu. Und Snape… oh Merlin, das ist alles meine
Schuld“, murmelte er zornig. Die Tür öffnete sich, ehe er weiter sprechen
konnte.
„Draco,
wie schön…“ Sie versteifte sich augenblicklich auf dem Stuhl unter den Fesseln.
Lucius sah müde aus. Aber er wirkte immer noch bereit dazu, jemanden
umzubringen.
„Lucius…
deine Affäre hat gute Arbeit geleistet!“ Hermine begriff nicht, wovon Draco
sprach, aber es war unwichtig. Sie war wieder eine Gefangene von Lucius Malfoy.
Dieser lächelte jetzt dünn.
„Nicht
deine Angelegenheit, Draco. Potter hat dich also verstoßen? Dich und dein
Schlammblut?“, sagte er jetzt ohne Zusammenhang und schien auf eine Antwort zu
warten. „Oder ist das ein Plan?“, fügte er amüsiert hinzu. „Euch gefangen
nehmen zu lassen und dann von uns umgebracht zu werden? Ist das euer Plan?“ Und
er schien tatsächlich etwas verunsichert.
„Ist
das der Grund, weshalb Voldemort nicht selber auftaucht? Hat er solche Angst
vor zwei Jugendlichen?“, schrie Draco förmlich und Hermine zuckte unter dem
Namen zusammen. Und dann hörte sie ein Lachen. Ein Lachen welches sie noch nie
zuvor gehört hatte. Eine Stimme, die ihr gänzlich fremd und unbekannt war. Aber
eine Stimme, die ihr so viel Angst einjagte wie noch niemals etwas in ihrem
Leben zuvor. Ihre Hände wurden kalt und Schweiß brach auf ihrer Stirn aus. Ihr
wurde schlecht und sie glaubte nicht, noch länger hier sitzen zu können.
„Denkst
du, ich hätte Angst?“ Draco neben ihr rührte sich nicht mehr. Aber er zeigte
keine Zeichen von Angst. „Denkst du, ihr schüchtert mich ein? Du, ein
gefallener Todesser, und ein Schlammblut?“ Er trat aus dem Schatten. Er war
groß, größer als ein normaler Mensch, so kam es ihr vor. Und er war dünn. Der
dunkle Umhang wehte unheilvoll um seinen Körper. Sein haarloser Kopf schimmerte
in der Dunkelheit und die roten Augen leuchteten förmlich. Lucius neigte den
Kopf in Unterwerfung.
Der
Zauberstab Voldemorts sah genauso aus wie Harrys alter Zauberstab, ging ihr
auf. Er kam ihr so vertraut vor. Langsam schlug Voldemort ihn gegen seine
Finger, als überlege er, wie er ihn am besten anwenden könnte. Ihr Atem ging
schnell. So schnell, dass sie ihren Mund kaum geschlossen halten konnte. Sie
Stimme war hoch und kalt. Nicht wirklich hoch. Eher heiser und so leise, dass
man annehmen musste, sie sei hoch. Er kam näher und jetzt betrachtete er sie.
„Sie
sind die Waffe? Wirklich?“ Hermine konnte nicht sagen, ob er alles wusste oder
überhaupt nichts. Sie konnte den Blick nicht von seinen glühenden Augen
abwenden. Es war unglaublich, aber sie erkannte den Menschen darunter. Die
hohen Wangenknochen, ehemals volle Lippen, die nun eingefallen waren. Die Haut
war weiß und winzige Narben zierten seine Wangen und seine Stirn. Die Nase war
das Schlimmste. Eine normale Nase konnte sie sich kaum noch vorstellen, aber
sie würde auch nicht mehr in dieses Gesicht passen.
Zwei
dünne Schlitze bebten unter der Luft, die er einzog. Sie musste förmlich
hinstarren. Und sie wusste nicht, wie oft Harry ihn schon zu Gesicht bekommen
hatte. Oder Draco.
Und
jetzt wurde ihr klar, würde sie ihr Blut jetzt verwenden können, dann wäre sie
in der Lage diesen Mann zu töten. Aber… wäre sie in der Lage jemanden zu töten?
Sie schluckte schwer und unterdrückte ein Schluchzen. Denn sie würde niemals so
weit kommen. Sie würde hier sterben. Auf diesem Stuhl. Höchstwahrscheinlich in
den nächsten Minuten.
Wenn
Voldemort wusste, wer sie war – oder was sie war – dann würde er nicht lange
zögern. Und Harry und die anderen würden jetzt einen anderen Plan haben müssen.
Alles hatte sich geändert, weil sie einen Fehler gemacht hatte. Einen tödlichen
Fehler.
„Wollen
Sie mir nicht eine Kleinigkeit erzählen, Hermine?“ Oh Gott, seine Stimme! Er
war der Teufel in kaum menschlicher Gestalt. Sie schüttelte stumm den Kopf.
„Lass
sie in Ruhe“, knurrte Draco und Hermine wusste nicht, woher er die Kraft fand,
zu sprechen. Es war für sie undenkbar.
Voldemort
wandte den Kopf in seine Richtung. „Mut steht dir nicht, Draco. Und er wird dir
den Nacken so oder so brechen. Wenn ich es nicht gleich tun werde.“
„Dann
solltest du dich wirklich beeilen“, fügte er grimmig hinzu. „Warum tust du es
nicht jetzt?“, verlangte er fordernd. „Bind mich los! Lass uns kämpfen oder
willst du so unsportlich sein?“ Hermine war es schleierhaft. Draco musste den
Verstand verloren haben, Voldemort derart herauszufordern. „Hast du Angst? Bist
du feige, Tom?“, redete er weiter und seine Stimme klang irre. Beim Klang
seines alten Namens spannte sich Voldemorts dünne ungesunde Haut über sein
Gesicht.
Dann
schwang er seinen Zauberstab. Stumm lösten sich die Fesseln und Draco sprang
aus dem Stuhl. Er würde jetzt sterben!
„Draco,
nein!“, schrie sie und warf sich gegen die Fesseln. Doch Draco schob seinen
Ärmel hoch und schlug mit der Faust auf sein Handgelenk, ohne dass sie begriff,
was er tat.
„Granger,
Augen zu!“, schrie er jetzt. Plötzlich füllte sich der Raum mit gleißendem
Licht. Sie schloss die Augen aus Reflex, ohne nachzudenken. Sie spürte, wie
etwas gegen ihren Stuhl stieß und sie zu Fall brachte. Etwas Schweres lag über
ihr. Sie erkannte den Geruch. Draco war auf sie gestürzt.
„Was
ist das? Hast du ihn durchsucht?“, hörte sie Voldemorts schrille Stimme über
sich.
„Sicher
habe ich ihn durchsucht, Herr!“, ertönte nun die Stimme von Lucius. Und es
verging keine Minute, da hörten sie Schreie. Glas splitterte im gesamten Haus
und nur zu schnell bereitete sich der Geruch von Feuer aus. Immer noch war es
so hell, dass sie nichts sehen konnte.
„Das
Haus!“, flüsterte Lucius ängstlich.
„Potter ist hier!“ Und sie konnte nicht sagen, ob Voldemort gereizt oder
aufgeregt klang. „Am besten töte ich euch beide auf der Stelle!“, verkündete er
jetzt. Sie spürte wie Draco an ihren Fesseln zerrte und sie mit sich zog. Der
Avada Kedavra erfolgte stumm und das grüne tödliche Licht schoss an ihnen
vorbei. Ganz knapp. Sie wollte aufschreien, aber Draco presste ihr instinktiv
die Hand über den Mund. Voldemort schrie zornig auf.
Dann
verschwand das grelle Licht. Die Tür öffnete sich erneut und erlaubte den
Geräuschen des Kampfes draußen in das Zimmer zu dringen.
„Crucio!“, gellte Snapes Stimme durch den
Raum. An Voldemort prallte der Fluch ab, doch er traf Lucius, welcher sofort zu
Boden stürzte und schrie, bis seine Stimme brach. Hermine konnte nicht
begreifen, weshalb der Zauber Voldemort verschont hatte, aber sie hatte keine
Zeit, nachzudenken.
Schon
hatte Draco den Zauberstab seines Vaters genommen und löste eilig ihre Fesseln.
Kurz hatte Voldemort Snape einen hasserfüllten Blick zu teil werden lassen,
dann schoss er den Nächsten Unverzeihlichen auf sie ab. Ihr Mund öffnete sich,
aber Draco war schnell.
„Expelliarmus!“, rief er entgegen und die
grünen Funken wurden von den roten gebannt. Sie sprang eilig auf die Füße.
„Mein
Herr!“, kreischte Bellatrix. „Sie sind übermächtig!“ Hermine verstand nicht.
Wer war übermächtig? Ihre Gruppe? Voldemort wirkte unentschlossen. Aber er
unternahm nichts, um den Zauber der auf Lucius lag zu brechen.
„Junge,
du kannst mir nichts anhaben“, sagte er lediglich. Dann betrachtete er kurz Snapes
Zauberstab. Ein helles Leuchten umgab das Holz und Hermine wurde die Übermacht
klar. Sie hatten die Zauberstäbe in ihr Blut getaucht. Wo auch immer Snape
dieses Blut noch herhatte.
Er
hob den Zauberstab erneut. Der tödliche Fluch war jetzt für Snape bestimmt, da
war sie sicher. Aber plötzlich erschien ein vertrauter Schatten in der Tür.
„Harry
Potter“, sagte Voldemort tonlos und seine Haltung spannte sich an.
„Harry,
brich den Bann!“, befahl Snape angestrengt, während er den Zauber auf Lucius
aufrecht hielt. Hermine sah, wie dieser das Bewusstsein verlor. Draußen tobte
der Kampf. Sie hörte Schreie und immer mehr Todesser riefen um Hilfe.
Sie
fühlte sich völlig nutzlos. Sie tat nichts, außer da zu stehen, während alle
anderen kämpften. Es war so unreal.
Harry
schwang den Zauberstab, wehrte Voldemorts Fluch ab und sprach eine Formel, die
Hermine nicht kannte. „Exsolvo!“,
rief er und Voldemort schrie verärgert auf, als sein Körper kurz aufleuchtete.
„Lass
deine Sprüche von mir, Potter!“, knurrte Voldemort und mit einer knappen
Bewegung fegte er Harry zur Seite. Anscheinend war der Spruch aber nicht
tödlich gewesen. Wahrscheinlich sparte er sich Harry für den Schluss auf.
Hermine wollte sich auf ihn stürzen, aber sie hatte keinen Zauberstab. Sie
hatte gar nichts! Und Voldemort war nicht blind. „Hermine, wenn sie mich
begleiten würden?“ Es war keine Frage. Und so, wie er sie ansah, hatte sie
überhaupt keine Wahl. Sie hatte nicht einmal die Zeit, ihn von sich zu stoßen.
Aber Draco sprang an ihre Seite, und als sie den Schmerz spürte, den Voldemorts
Berührung verursachte, spürte sie, wie Draco ihr Handgelenk umfasste.
Ein
Portschlüssel! Voldemort verschwand gerade. Mit ihr und Draco! Sie hörte, wie
Harry ärgerlich aufschrie, aber es war zu spät. Auch Snapes Fluch glitt durch
sie alle hindurch. Das Zimmer war bereits verschwunden und sie waren irgendwo
aufgetaucht. Anscheinend draußen. Sie hörte nichts mehr in der Nacht. Keine
Kampfschreie, also war sie sich nicht sicher, wo sie war.
„Malfoy,
du gehst mir langsam auf den Geist“, knurrte er kurz und mit einer so sanften
Bewegung, dass Hermine sie kaum wahrnehmen konnte, hatte er Draco von den Füßen
gefegt. Ehe dieser reagieren konnte, lag er schon auf dem Boden. Und er rührte
sich nicht. Die Hermine, die sie verabscheute, verzehrte sich vor Sorge, wagte
aber nicht, sich zu bewegen. „Sagen Sie mir…“, begann er jetzt und sie ließ
seinen Zauberstab nicht aus den Augen. „Was genau macht Sie so mächtig? Ihre
Mittelmäßigkeit? Die Bürde, ein Schlammblut zu sein? Sagen Sie es mir.“ Dann
hob er den Zauberstab. „Ich würde sie ungerne umbringen, ohne vorher hinter das
Geheimnis gestiegen zu sein.“ Hermine wurde klar, dass er sie aber dennoch
umbringen würde.
Sie
schüttelte nur stumm den Kopf. Wie viel Schaden er anrichten konnte, ohne den
Zauberstab zu bewegen! Wie leicht es ihm fiel, selber ein Portschlüssel zu
sein. Wie viel Magie notwendig war, um so eine Art von Macht auch nur annähernd
zu vollbringen, überstieg ihre Grenzen. Sie kam sich unbedeutend vor. Und
anscheinend konnte ihn nichts verletzen. Sie hatte geglaubt, sie sei eine sehr
talentierte Hexe, aber wenn sie Voldemort betrachtete, dann war sie absolut gar
nichts. Wie hatte sie annehmen können, gegen ihn eine Chance zu haben? Wie
hatte ihr Snape so etwas vorgaukeln können? Ihr Blick glitt zu Draco, der immer
noch reglos auf dem Boden lag.
„Und
Sie lieben Draco Malfoy? Wirklich, Hermine? Was für eine bemerkenswerte Wahl
für ein Schlammblut, finden Sie nicht auch?“ Es war unglaublich, wie er diese
Beleidigung aussprach. Aus seinem Mund klang das abscheuliche Wort nämlich
nicht wie eine Beleidigung. Es klang nur wie eine reine Feststellung. Nichts
weiter. Völlig wertfrei. Sie fragte sich, wie arrogant und überzeugt man sein
musste, um so etwas fertig zu bringen.
„Ist
das der Grund, weshalb Sie eine Waffe sind? Müsste eine Waffe nicht, oh ich
weiß nicht…“ Er machte eine knappe Bewegung mit der Hand, „mehr Macht
besitzen?“ Und mit einem Schrei verlor sie den Boden unter den Füßen und stieg
in die Luft. Mit seiner kurzen Handbewegung, hatte er sie über Kopf in der Luft
hängen lassen. Ihre Haare hingen ihr wirr im Gesicht.
Er
ließ sie kopfüber so hoch schweben, dass sie jetzt auf gleicher Höhe waren. Sie
sah sein Gesicht allerdings von der umgekehrten Seite und versuchte ruhig zu
atmen. „Sagen Sie es mir. Dann kann ich wenigstens besser schlafen.“ Und er
lächelte jetzt. Schmal. Fast kaum merklich hoben sich seine Mundwinkel und
gruben scharfe, tiefe Kanten in seine Haut. Ein solcher Mann lächelte wohl
nicht.
„Wissen
Sie, ich habe es immer für wichtig gehalten, die besten Zauberer und Hexen zu
rekrutieren. Und vielleicht ist es dumm, eine Ausnahme zu machen, wenn bewiesen
ist, dass manche Schlammblüter ebenfalls fähig sind, Magie zu vollbringen.“ Sie
wusste nicht, ob er ihr wirklich Fragen stellte, oder ob er sie an sich selber
richtete. „Ich frage mich außerdem, ob Potter wusste, was er tat als er meine
Schlange getötet hat.“ Seine Augen verengten sich und er zog heftig die Luft
durch seine Nüstern. Es sah seltsam aus und Hermine wurde schlecht.
Sie
versuchte wieder Schwerkraft zu finden und auf den Boden zu kommen, aber es
gelang ihr nicht. Sie zappelte hilflos in der Luft. „Schade, dass Sie nicht mit
mir sprechen.“ Er sah nicht danach aus, als ob es ihm wirklich etwas ausmachte.
Aber jetzt hörte sie endlich Stimmen. Sie kamen näher und auch Voldemort hob
den Kopf und blickte über sie hinweg.
„Ich
werde Sie nun töten, Hermine. Und dann werde ich mich zurückziehen. Sie mögen
es als feige ansehen, aber wissen Sie, ich habe nicht vor heute gegen eine
Horde Kinder zu kämpfen.“ Er lächelte. Dann zuckte seine Hand und sie fiel
unsanft auf den Boden. Sie keuchte auf, denn sie war auf ihre Hand gefallen.
Sie schmerzte wieder. Schon seit dem letzten Aufenthalt in Malfoy Manor, hatte
sie nicht mehr an die Hand gedacht. Jetzt kam es ihr lebhaft wieder in
Erinnerung.
Sie
sah, wie Draco sich erhob. Voldemort schien kurz inne zu halten.
„Keine
Sorge, ich komme gleich zu dir“, versprach Voldemort mit einer Ruhe in der
Stimme, die ihr Angst einjagte. Denn sie wollte alles, nur nicht, dass er Draco
etwas antat. Sie richtete sich plötzlich auf.
„Nein!“,
hörte sie ihre Stimme. Klein, leise und schwer vor Tränen.
„Nein?“,
fragte Voldemort belustig. „Wie nett.“ Er wirkte jetzt genervt. Sie stolperte
zu Draco und sein Blick war nicht zu deuten. Sie sah, wie er die Hände hob und
für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ein unbekanntes Drängen in seinem
Blick. Dann verlor sein Gesicht jeglichen Ausdruck und hart stieß er sie von
sich. Sie keuchte auf und fiel rücklings auf den Boden. Ihr Rücken schmerzte
durch den Fall.
Und
dann verging keine Sekunde mehr. Draco hatte den Zauberstab gehoben. Voldemort
reagierte sofort, aber er hatte ihn nicht auf Voldemort gerichtet. Nein. Die
Spitze zeigte auf sie. Nur auf sie. Und Draco sprach die Worte mit völliger
Sicherheit und die Schmerzen, die folgten, ließen Tränen in ihre Augen
schießen.
„Sectumsempra!“
Ihr
Körper zerriss. Und das tat er wörtlich. Blut schoss aus ihrer Haut. Sie
spürte, wie die Schnitte sich tief in ihr Fleisch gruben. Aus jeder Pore schoss
das Blut. Ihr wurde schlecht. Ihre Wahrnehmung verschwamm. Sie hörte Voldemort
lachen. Und dann spürte sie wie sie von Draco hochgerissen wurde. Alles geschah
nur noch am Rande ihres Bewusstseins. Voldemort sagte etwas, aber sie verstand
es nicht. Unwichtig. Draco Malfoy hatte sie gerade umgebracht.
Dann
stieß er sie von sich. Grob und mit voller Kraft. Sie konnte nicht einmal
Schreien. Sie fiel gegen Voldemort. Nicht einmal das erschütterte ihren Geist.
Jetzt schrie Voldemort. Aber sie sah etwas anderes. Ihr Blut begann zu
leuchten. Es bildete große Pfützen im Gras und die Dunkelheit legte sich wie
ein breites Tuch über die Umgebung.
Es
war lauter geworden. Stimmen füllten die Luft, die Umgebung und sie bekam kaum
noch Luft genug, um ihr Gehirn mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, um wach
zu bleiben. Flüche erschütterten die Erde. Sie hatte das Gefühl, die Welt um
sie herum versank.
Und
anscheinend passierte genau das. Der Boden unter ihr brach. Die Erde verschwand
unter ihr und sie spürte, wie sich tiefe Risse durch das Gras zogen. Sie verlor
den Halt und rutschte in die Erdspalte. Fest schloss sich eine Hand um ihr
Handgelenk.
„Granger,
komm schon!“, schrie Draco. Sie war sich fast sicher, dass er es war. „Halt
dich fest, hörst du?“, schrie er und übertönte kaum das Geschrei der anderen.
Sie spürte, wie die Erde um sie herum versank. „Potter!“, schrie Draco
ungehalten und dann wurde sie aus der Tiefe gezogen. „Schnell, beeil dich. Wir
müssen die Wunden schließen.“ Sie schloss jetzt die Augen. Sie war müde und
wollte nicht mehr hören. Ihr Körper schmerzte, aber sie war selbst zu müde für
die Schmerzen. Sie spürte den Tod. Er kroch langsam durch ihre Glieder, raubte
das Leben und hinterließ nichts als schwere Kälte, und den Wunsch, das Leben
hinter sich zu lassen, denn es war viel zu schwer geworden.
…
…….
……….
~*~
Es
war hell.
Sie
ging davon aus, dass es also sehr hell im Himmel war, oder eben durch die
Flammen sehr hell in der Hölle. Was für eine andere Möglichkeit gab es da schon
groß. Sie öffnete die Augen. Sonne schien durch ein Fenster und die Strahlen
fielen auf die Bettdecke, unter der sie lag.
Und
sie waren warm.
Frühling,
nahm sie also an. Es wurde Frühling. Ihr wurde klar, dass sie wahrscheinlich
nicht gestorben war. Ihr müder Blick wanderte von der Bettdecke aus weiter.
Viel weiter kam er allerdings nicht, weil dort sein Kopf lag. Auf seinen Armen.
Die blonden Haare standen wirr in alle Richtungen ab und er schien zu schlafen.
Ziemlich fest.
Er
saß auf einem Stuhl und lag mit dem Oberkörper auf dem Bett und schlief. Sie
konnte nicht sagen, seit wann er hier sitzen musste, oder seit wann sie
überhaupt in diesem Bett lag.
Und
plötzlich erkannte sie die Umgebung. Sie war in Spinner’s End. Langsam atmete
sie aus. Alles sah noch genauso aus wie an dem Tag, als sie das letzte Mal hier
gewesen war. Hatte sie all das geträumt? Was hatte sie überhaupt geträumt?
Grauenhafte Sachen. Von Voldemort und Malfoy Manor. Davon, dass Malfoy sie
verflucht hatte. Und überall war Blut gewesen. Sie hatte geglaubt, sie sei
gestorben.
Sie
atmete langsam aus. Sie hatte keine Schmerzen, aber sie sah sehr wohl die
vielen Bandagen, mit denen ihr Körper umwickelt war. Sie erinnerte sich auch an
den Zauber, den er gesprochen hatte. Sie hatte also überlebt. Voldemort auch?
Was
war überhaupt passiert? Hatte ihr Blut also etwas bewirkt? Wie war es
ausgegangen? Sie lebte, Malfoy lebte… Lebten die anderen auch?
Sie
versuchte ihn nicht zu wecken, aber dieser Versuch scheiterte, als sie
vorsichtig ihr Bein bewegte. Sie sog scharf die Luft ein, denn das schmerzte
tatsächlich. Sein Kopf ruckte im Schlaf und dann öffneten sich seine Augen. Er
fuhr zusammen, als er sie ansah und saß wieder gerade auf dem Stuhl. Kurz fuhr
er sich über die Stirn.
„Du
bist wach“, flüsterte er dann. Und als sie ihn sah wusste sie, dass es vorbei
war. Es war einfach vorbei. Er erschien ihr nicht mehr in einem goldenen Licht.
Liebe umgab sie nicht mehr bei seinem Anblick. Er sah so aus, wie sie ihn in
Erinnerung hatte. „Alles ok?“, fragte er schließlich und betrachtete sie mit
Sorge und Schuld im Blick.
„Du hast mich verflucht“, stellte sie heiser fest und er wirkte erschüttert.
„Ja,
ich… Tut mir leid“, sagte er schließlich und senkte den Blick. „Ich hätte
niemals… mir ist nichts eingefallen. Und… es war eine Ablenkung. Und… es hat
gewirkt! Ich hatte niemals, niemals auch
nur eine Sekunde daran gedacht, dich umzubringen! Dich überhaupt zu verletzen!
Mit keinem Gedanken! Ich brauchte einen Zauber, der dein Blut mächtig werden
lässt! Der es überhaupt…“ Er unterbrach sich.
„Ist
er fort?“, fragte sie leise und Malfoy sah sie an. Dann lächelte er.
„Er
ist fort.“
„Wirklich?“,
fragte sie und glaubte seine Worte nicht.
„Voldemort
ist besiegt.“ Selbst ihm schienen diese Worte nicht real vorzukommen, denn er
hob die Hand zu seinem Mund. „Er ist besiegt“, wiederholte er leiser.
„Was
ist mit den anderen?“, fragte sie fast panisch und versuchte sich aufzusetzen.
Malfoy schob sie zurück in die Kissen.
„Es
ist niemand zu Schaden gekommen. Weasley hat einen Arm verloren, aber Snape hat
sich schon darum gekümmert, dass er ihn nicht dauerhaft verliert. Und Potter
hat jetzt noch eine Narbe. Ein paar Verletzungen, aber…“ Er hielt inne. Dann
gewann sein Ausdruck an Härte. „Lucius hat es nicht geschafft.“ Hermine öffnete
den Mund.
„Was?
Was heißt das?“ Bedeutete das, Lucius war tot? Lucius Malfoy war tot?
„Viele
haben es nicht überlebt. Die anderen sind bereits in Askaban. Das Ministerium
wurde von den Kämpfern gestürzt. Ich weiß allerdings nicht, wie lange es
dauert, bis Normalität einkehrt auf den Straßen“, fügte er langsam hinzu.
„Dein
Vater ist tot?“, fragte sie tonlos und ignorierte den Rest seiner Worte.
„Das
Haus ist abgebrannt. Er war noch drinnen“, erklärte er knapp. Ihr Mund öffnete
sich.
„Das…
tut mir leid, Malfoy.“
Er
runzelte die Stirn. „Es tut dir leid?“,
fragte er ungläubig. „Wirklich? Mir nicht“, erklärte er kühl. „Es ist kein
Verlust“, fügte er bitter hinzu. „Das war nicht… das war nicht mehr mein Vater.
Schon lange nicht mehr. Er war herzlos.“ Dann sagte er für einen Moment nichts
mehr. „Herzlos wie ich“, fuhr er schließlich grimmig fort.
„Du
bist nicht wirklich herzlos“, versuchte sie zu sagen. „Du sitzt schließlich
hier bei mir.“ Er lachte rau.
„Ja,
ich bin ja verantwortlich dafür, dass-“
„Dass
wir gesiegt haben. Ja, das bist du, Draco Malfoy.“ Er sah sie an.
„Du
solltest mir wirklich ernsthaft böse sein, Granger. Deine Verliebtheit ist…“
„Sie
ist nicht da“, sagte sie jetzt leise.
„Was?“
Er starrte sie an. „Was heißt das? Es ist vorbei?“ Sie wusste nicht, ob er
erleichtert und schockiert klang.
„Ich…
denke schon“, sagte sie also darauf.
„Oh.
Gut. Das ist wirklich gut.“ Sie nickte.
Die
Tür öffnete sich langsam.
„Sie
ist wach!“ Ron hatte den Kopf herein geschoben. Harry folgte ihm.
„Du
bist wirklich wach! Weißt du, dass wir schon drei Tage warten, dass du
aufwachst?“ Nein, das wusste sie nicht. Beide setzten sich neben sie. Jetzt
wurde sie von drei Männern angestarrt.
„Alles
klar?“, fragte Ron, der den Arm in einer Schlinge trug. „Ich meine…“
„Ja,
ja. Mir geht es… Ich hab Hunger“, stellte sie überrascht fest. „Aber mir geht
es gut. Ron, tut das weh?“ Aber dieser winkte ab.
„Nö,
nicht der Rede wert. Warum bist du nicht mit uns appariert? War es nötig, den
Plan so zu gefährden?“, fragte er etwas gereizt, aber sie sah, dass er nur
Scherze machte.
„Ich…“
Das war ihr glatt entfallen. „Das war dumm“, endete sie und mied den Blick auf
Malfoy.
„Ich
werde meine Sachen packen“, verkündete dieser und erhob sich recht steif. Er
streckte die Arme über den Kopf und streckte sich kurz.
„Vielleicht
solltest du besser schlafen. Immerhin sitzt du hier seit…“ Harry warf einen
Blick auf seine Uhr, „seit über sechsunddreißig Stunden, Draco.“ Dieser zuckte
mit den Achseln.
„Ich
habe gesagt, ich bleibe, bis sie aufwacht.“ Hermine wusste darauf nichts zu
sagen. Aber ihr fiel die Unterhaltung wieder ein, die sie mit ihm geführt
hatte. Er wollte gehen, sobald er konnte. Und anscheinend tat er das jetzt
auch. Aber sie brauchte seine Anwesenheit nicht. Sie hatte keine Gefühle mehr.
„Meine
Mutter und ich werden zu der Beisetzung gehen und dann…“ Er schien nicht
wirklich weiter sprechen zu wollen.
„Du
kannst mit ins Ministerium kommen, Draco. Dort bekommen wir einiges an Urkunden
und natürlich Kopfgeld ausgezahlt. Davon können wir wahrscheinlich so viele
Häuser bauen, dass wir ein ganzes Dorf zusammen bekommen“, vermutete Ron.
„Schon
gut, ich…“
„Du
hast genauso geholfen wie jeder andere!“, regte sich Harry auf.
„Ja,
sicher. Ich bringe Hermine fast um und kassier dann auch noch eine Belohnung
dafür?“ Ihr wurde klar, dass er sich nicht vergeben konnte. Dass er nicht mal
ansatzweise vorhatte, sich zu vergeben, für das, was er getan hatte. Dass es
ihn kaum interessierte, dass sie gewonnen hatten, sondern wie grauenhaft der
Weg dorthin gewesen war.
Sie
wollte gerne etwas sagen, aber sie befürchtete, dass sie möglicherweise weinen
würde.
„Draco,
komm schon!“ Harry hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Wir haben
gesiegt. Alles ist gut.“ Malfoy schien davon nicht überzeugt zu sein.
„Ich
verabschiede mich von Snape“, erklärte er nur. Er nickte Harry und Ron zu.
„Malfoy…“
Sie hatte eigentlich keine Ahnung, was sie sagen wollte. Sie wusste nicht
einmal, ob sie wirklich seinen Nachnamen benutzen wollte. Eigentlich nicht,
aber… sie kam sich betrogen vor. Hintergangen, obwohl er jedes Recht hatte zu
gehen. Er sah sie an. Und sie wollte nicht, dass er ging. Jedenfalls nicht so.
Wie
konnte er gehen wollen, ohne vorher mit ihr zu sprechen? Nicht gerade über den
Tod seines Vaters oder über den Sieg oder irgendwas in dieser Hinsicht! Aber
wie konnte er gehen, ohne… ihr auf Wiedersehen zu sagen? Ohne zu überlegen,
dass… ja, was?
Dass
es schwer war? Dass sie sich an seine Gesellschaft gewöhnt hatte? Wieso fiel es
ihm leicht? Wieso zum Teufel fiel es ihm so verflucht leicht, jetzt einfach zu
gehen? Er verbrachte Tag und Nacht an ihrem Bett, und sobald sie die Augen
aufschlug, war es nicht mehr interessant hier zu sein? Jetzt wollte er gehen?
Was
sollte das denn? Sie hatte doch überlebt, das war doch klar gewesen. Dann hätte
er auch nicht an ihrem Bett sitzen müssen, wenn es nur seine Sorge war, ob sie
aufwachte. Natürlich würde sie wieder aufwachen! Das musste ihm doch dann klar
gewesen sein. Wollte er nur, dass sie ihn sah und hinnahm, dass er dann
abreiste? War es das gewesen?
Wollte
er ihr noch einmal schön ins Gesicht sagen, dass er kein Problem damit hatte zu
gehen? Was wollte er?
Ihr
wurde mit Schrecken klar, dass sie vielleicht doch nicht so einfach über ihn
hinweggekommen war. Zwar war der lästige Schleier weg, bei dem ihre Finger
kribbelten und sie seine Klamotten los werden wollte – aber etwas viel
Schlimmeres war jetzt da.
Und
sie begriff die Ironie noch nicht völlig. Und sie war so wütend, dass sie die
Lippen fest verschloss und die Zähne zusammen biss. Jetzt war der Zauber
nämlich fort.
Und
sie war verliebt in Draco Malfoy.
Sie
überwand diesen Gedanken und schüttelte sachte den Kopf.
„Machs
gut, Malfoy.“ Ihre Stimme klang kalt. Fast abweisend und so sollte sie auch
klingen. Sie würde ihm bestimmt nicht die Genugtuung geben, sich vor seine Füße
zu werfen und ihm vorzuwerfen, dass er sich wie ein Arschloch verhielt, weil er
jetzt unbedingt gehen wollte. Sollte er doch gehen. Sollte er doch endlich
gehen und sie endlich in Ruhe lassen!
Er
sagte gar nichts und war gegangen. Harry und Ron sahen sie abwartend an. Die
erwarteten wahrscheinlich auch, dass sie gleich anfangen würde in Tränen
auszubrechen. Energisch schlug sie die Decke zur Seite, ignorierte die
höllischen Schmerzen, die Malfoy ihr zugefügt hatte, und konzentrierte sich auf
den Hunger.
Ja,
sie musste einfach versuchen, Malfoy auch nicht zu vergeben. Immerhin hatte er
sie wirklich fast umgebracht. Es war lästig, dass sie ihm nicht die Schuld
zuschob. Würde sie wohl auch nicht. Sie hatte dem Mistkerl schon vergeben.
Zumindest dafür, dass er sie fast umgebracht hatte. Dafür, dass er jetzt ging,
dafür konnte sie ihm nicht vergeben und fast musste sie über diese Absurdität
lachen. Nur fast. Dafür wollte sie nämlich viel zu gerne weinen.
Es
war doch unglaublich! Jetzt war alles so wie es sein sollte, und sie kam sich
vor, als stände sie wieder genau an dem Anfang, an dem sie schon vor Wochen
gestanden hatte!
„Hermine,
vielleicht solltest du noch liegen bleiben“, schlug Ron kleinlaut vor.
„Ich
werde ganz bestimmt nicht liegen bleiben!“ Sie hatte gar nicht vorgehabt zu
schreien, aber jetzt fühlte sie sich tatsächlich besser. Harry und Ron
tauschten einen eindeutigen Blick. Sie verdrehte die Augen. „Und es ist mir
völlig egal, dass er geht!“ Sie wusste, sie hätte die Worte nicht hinzufügen
müssen, hätte sie auch nicht sollen, wenn sie nicht wollte, dass Harry und Ron
genau das dachten, was sie eben gerade dachten, aber es war egal!
Sie
sollten nämlich gerade das nicht denken…. Denn sonst würde sie auch nur noch
daran denken. Und das hatte sie schon geglaubt hinter sich gelassen zu haben.
Sie hatte das dumpfe Gefühl, das Leben spielte ihr einen grausamen Streich.
Es
lag ihm schwer im Magen. Die ganze letzte Woche lag ihm schwer im Magen. Und
die zwei Wochen davor auch. Die Beerdigung, die verletzenden Worte seiner
Mutter und natürlich die Tatsache, dass er Granger so willentlich verletzt
hatte. Er hatte jede Nacht wach gelegen und überlegt. Er hatte nach
Alternativen gesucht. Sein Gehirn hatte ihm noch keine gute ausgespuckt.
Wahrscheinlich war es nicht die schlechteste Möglichkeit gewesen.
Er
wachte schweißgebadet auf. Entweder aus Angst, dass er sie doch umgebracht
hatte, oder weil die Angst vor Voldemort ihn heimsuchte, obwohl sie seine
Überreste verbrannt hatten.
Er
war auch im Ministerium gewesen. Die Belohnung die dort auf ihn wartete und vom
neuen Zaubereiminister bereit gestellt worden war, war zwar immens hoch, aber
er würde sie nicht in Anspruch nehmen müssen. In Gringotts hatte er weiß Merlin
genug Gold auf der Kante liegen. Shacklebolt war wieder im Ministerium als
neuer Minister aufgenommen worden. Auch andere übrig gebliebene
Familienmitglieder aus anderen Familien lebten jetzt wieder in London. Er
glaubte sogar, Weasleys Mutter auf der Straße getroffen zu haben. Und er
glaubte, sie hatte sogar gelächelt. Natürlich hatte er nichts gesagt. Was auch?
Er
wohnte im Tropfenden Kessel. Zumindest für jetzt. Er hatte einen ziemlich
offiziellen Brief bekommen, der ihn von aller Strafe befreite, für die er
eigentlich vorgesehen war. Aus besonderen Umständen, hieß es in dem Brief. Er
war aus besonderen Umständen von seiner Strafe befreit.
Schade,
dass ihn besondere Umstände nicht auch von seiner Schuld befreiten.
Und
jetzt, wo Granger nicht mehr in ihn verliebt war konnte er sich nicht einmal mehr
besonders gut fühlen. Er wusste, würde sie ihn immer noch durch diesen
Liebesschleier sehen, dann würde sie ihm ohne weiteres vergeben können. Aber
so? So sah sie nur ihn. Nur… Draco Malfoy. Und das war hart. Das war härter als
er erwartet hatte. Noch nie war so unzufrieden wie jetzt mit sich selber.
Er
starrte trübsinnig aus dem Fenster. Die Läden hatten alle in magischer
Geschwindigkeit wieder geöffnet. Die Zeitungen druckten wieder frei und
unbefangen. Sogar Eis wurde schon wieder verkauft, dabei hatte sich der
Frühling noch gar nicht herausgewagt.
Auf
der Straße liefen hunderte von Zauberern, einer ausgelassener als der andere.
Sie blieben sogar stehen, um sich zu unterhalten. Die ganze magische Welt
sprach nur von dem Sieg. Für einen Moment glaubte Draco, Potter verstehen zu
können. Wenn so etwas Großes passierte und man war selber ein Teil davon, dann
kam es einem gar nicht so heldenhaft vor.
Absolut
überhaupt nicht. Er fühlte sich elend und kalt.
Und
nichts konnte daran etwas ändern. Seine Mutter hatte ihm angeboten bei ihr zu
wohnen, aber er hatte abgelehnt. Seine Mutter war keine Person mehr, der er
noch allzu nahe stand. Sie besuchte Bellatrix in Askaban und eigentlich wollte
Draco mit niemandem zu tun haben, der jemanden wie Bellatrix Lestrange
freiwillig besuchte. Seine Mutter tat so, als wären andere Menschen an all dem
Übel beteiligt gewesen. Nur nicht er oder sein Vater oder ihre Schwester.
Und
er konnte es nicht mehr ertragen. Er konnte diese Gesellschaft nicht mehr
ertragen. Heute war der Tag gekommen, an dem er ins Sankt Mungo gehen würde.
Dort wurde nämlich sein Besuch erwartet.
Und
er glaubte nicht, dass dies etwas war, was er so einfach erledigen konnte.
Gar
nicht einfach. Er wusste auch, dass Granger im Mungo gewesen war. Aber nur einen
Tag, nachdem die Ärzte entschieden hatten, dass Granger wieder gehen konnte.
Es
hatte in allen Zeitungen gestanden. Jetzt wurde die gesamte Prophezeiung
nämlich niedergeschrieben und ausgewertet. Es wurden schon Prognosen für die
nächste Prophezeiung gestellt. Erst jetzt kam diese ganze große Sache ins
Rollen. Natürlich fiel sein Name. Immer mal wieder, in verschiedenen Zeitungen.
Alle berichteten über den Todesser, der seine Meinung geändert hatte, seine
Gesinnung in den Wind geschossen und mit Potter gekämpft hatte. Und das war
natürlich nicht schlecht. Aber sein Name stand auch in anderer Verbindung.
Leute beschwerten sich darüber, wie einfach er davon gekommen wäre.
Andere
sprachen darüber, dass er nur so getan hätte, als wäre er auf der guten Seite
gewesen. Dass er gar keine Liebe zu Hermine Granger empfinden würde, und somit
die Prophezeiung missbraucht hätte, um den Strafvollzug zu unterbinden, der ihm
zustand.
Und
er war zufrieden damit. Er würde seine Strafe antreten, aber das Ministerium
sah sich über der Menge und glaubte, einschätzen zu können, dass er, Draco
Malfoy, keine Strafe verdient hatte.
Dabei
hatte er sie doch so sehr verdient! Auch wenn es das Ministerium nicht sah.
Oder Potter oder Weasley oder Snape. Er wusste doch, dass er eine Strafe
verdient hatte! Dafür, dass er Granger entführt hatte und Lucius sie hatte
vergewaltigen können! Dafür, dass er sie geschlagen hatte, ihr die Hand
gebrochen hatte, dafür verantwortlich war, dass sie sich so schlecht gefühlt
hatte! Dafür, dass sie sich schließlich in ihn verliebt hatte, weil er es nicht
hatte auf sich beruhen lassen können, sondern Vergeltung mit Rache hatte
heimzahlen müssen, in dem er sie entführt hatte.
Alles
türmte sich auf. Alles lief am Ende darauf hinaus, dass er den ersten Fehler
gemacht hatte. In seinem Kopf ergab das Sinn. Und er war sich sicher, dass es
auch Leute außerhalb seines Kopfes so sehen würden. Wäre er nicht gewesen,
dann… wäre das alles nicht passiert! Dann wäre es besser gewesen und niemand
hätte an Grangers Bett sitzen müssen, um zu hoffen, dass wieder Farbe in ihr
leichenblasses Gesicht zurückkommen würde, dass sie – bei Merlin – wieder
aufwachen würde und wieder lachen könnte!
Dann
hätte niemand Angst haben müssen und eine solche Zeit durchstehen müssen. Und
mit niemand meinte er sich selbst.
Er
konnte damit nicht umgehen. Er konnte mit der Schuld nicht umgehen. Er schaffte
es nicht und er wusste nicht, wie er es jemals schaffen sollte. Und er konnte
sich nicht damit abfinden, dass man ihm vergab. Dass sie ihm vergab.
Er
wollte, dass sie ihn hasste, dass sie versuchte ihn umzubringen oder zumindest
versuchte, ihn nach Askaban zu schaffen, wo er neben Bellatrix wahnsinnig
werden würde. Dann würde er den Verstand verlieren und hoffentlich sterben vor
Scham und Schuld und Schmerz.
Seine
Augen wurden trocken. Er spürte es. Tränen kämpften sich nach oben. Tränen
wollten sich aus seinen Augen ergießen, wollten ihn ertränken, wollten all das
Böse raus waschen, aber er ließ es nicht zu. Es klang verrückt, aber er wollte
sich nicht befreien, er wollte nicht riskieren, dass die Schuld verschwand und
er plötzlich hier sitzen konnte und kein Problem mehr hatte, sich zu vergeben.
Das durfte nicht geschehen. Er wollte nicht vergessen! Er wollte gar nichts
vergessen.
Und
er wollte sie nicht vergessen. Niemals wollte er das.
Er
glaubte allerdings, dass die Dementoren keine Freude mit ihm haben würden. Denn
würden sie versuchen, seine Seele zu bekommen, dann würden sie feststellen,
dass die Schuld seine Seele schon vernichtet hatte.
~*~
Er
zögerte, ehe er die Klinke herunter drückte. Er musste sich zwingen, ruhig zu
atmen. Greg war da. Er saß neben ihr. Pansy hatte wohl gerade etwas erzählt,
denn jetzt hatte sie sich unterbrochen und sah ihn an.
„Draco.“
Er konnte keinen Hass in ihrer Stimme hören. Nein, sie lächelte sogar. Er
überwand sich und schloss den Abstand von der Tür zu ihrem Bett.
„Hey,
Pans“, begrüßte er sie und setzte sich auf den zweiten freien Stuhl. Greg sah
ihn lange an, ehe er sprach.
„Du
bist berühmt, Draco“, sagte er lediglich.
„Unsinn“,
gab Draco zurück und betrachtete Pansy. „Wie geht es dir?“, fragte er jetzt, da
er ernsthaft gestehen musste, sich weiter keine Gedanken über Pansy gemacht zu
haben. Ihm kam in den Sinn, dass er es gewesen war, der sie mit dem Spruch
belegt hatte. Die Schuld kochte wieder einmal an die Oberfläche.
„Mir
geht es gut. Kannst du dir vorstellen, dass ich nichts mehr weiß? Gar nichts
mehr?“ Er wusste darauf nichts zu sagen, konnte sich diesen Zustand allerdings
nur als etwas Himmlisches vorstellen.
„Ich
meine, ich weiß, dass… dass wir Hogwarts verlassen haben und… dass meine Eltern
die Stadt verlassen haben. Wir hatten geplant uns Voldemort anzuschließen,
aber… haben wir das?“ Er war sich sogar sicher, dass Pansy eine Affäre mit
einem der Todesser angefangen hatte – die Affäre mit ihm selbst übersah er
geflissentlich – aber er würde das einfach für sich behalten.
„Hast
du gewusst, dass Gregory den Eisladen übernommen hat?“, fragte sie mit einem
Lächeln. Draco wusste eigentlich gar nichts über Greg. Dieser hatte sich
nämlich von ihnen allen abgewandt, weil er mit Todessern nichts mehr zu tun
haben wollte, obwohl sein Herz Pansy gehörte.
„Hat
er das?“, erkundigte sich Draco jetzt langsam.
„Ja.
Es läuft ziemlich gut, jetzt wo… niemand mehr Angst hat.“ Er konnte Gregs Blick
bei diesen Worten schlecht deuten.
„Und
du hast also den Dunklen Lord gestürzt?“ Pansy grinste ihn an. „Bist also doch
noch ein Potter geworden.“ Er fasste dies als ziemlich große Beleidigung auf.
„Niemals. Nein, definitiv nicht.“ Pansy lachte jetzt.
„Sag mal… dieses ganze Gerede über die Prophezeiung… stimmt das? Ich meine, du
und Hermine Granger? In der Schule haben wir mit denen doch absolut gar nichts
zu tun gehabt, oder? Ich meine… wir… haben uns alle überhaupt nicht verstanden.
Stimmt das alles, Draco?“, fragte sie ungläubig.
„Pansy,
bist du nicht schrecklich müde?“, fragte er stattdessen und zwang ein Lächeln
auf seine Züge.
„Dann
stimmt das also alles, ja?“, entgegnete Pansy, ohne auf seine Worte einzugehen.
„Pansy,
ist es ok, wenn ich mit Draco runter gehe, um Kaffee zu holen?“ Greg hatte sich
schon erhoben und küsste Pansy mitten auf den Mund. Dracos Mund öffnete sich
für einen kurzen Moment. Er schloss ihn aber und hielt es für weise, dazu
überhaupt gar nichts zu sagen.
„Sicher. Kommt aber gleich wieder, ja? Draco, ich habe noch hundert Fragen!“,
fügte sie hinzu und drohte ihm mit dem Finger. Er konnte sich kaum noch daran
erinnern, dass er sie mit Fesseln gefangen gehalten hatte. Und er konnte sich
auch nicht vorstellen, dass Greg irgendetwas Nettes zu ihm sagen wollte….
Auf
dem Flur blieb er stehen. Er hatte abgenommen, stellte Draco fest.
„Sie
wurde verwirrt gefunden. Das sagen jedenfalls die Berichte, Draco.“ Es klang
wie ein bitterer Vorwurf. „Todesser haben sie hergebracht. Sie wäre eine
Gefangene gewesen und der Vergessenszauber wäre stärker gewesen als alle
anderen Vergessenszauber. Hast du irgendwas damit zu tun?“ Er wusste nicht, was
er sagen sollte. Er wusste nicht, wie viel Wut sich Greg aufgespart hatte.
„Hör
zu…“, begann er und er hasste es, auch daran schuld zu sein.
„Weißt
du“, unterbrach ihn Greg sofort und hob die Hände, „ich bin dankbar, dass ihr
Leute ihr Gedächtnis zerstört habt. Ich meine, sonst hätte sie mich wohl kaum
jemals beachtet, aber… wie kam es dazu, dass so etwas nötig war?“ Jetzt wurde
er wieder zornig. Anscheinend schien Greg hin und hergerissen zu sein.
„Du
willst diese Geschichte nicht hören, Greg“, erwiderte er schlicht.
„Will
ich nicht?“, fragte Greg verstört und Draco schüttelte langsam den Kopf.
„Was
denkst du? Dass sie ein gutes Ende nimmt? Nein, tut sie nicht. Es ist meine
Schuld, dass Pansy hier ist, aber… ich glaube nicht, dass sie das weiß. Und es
ist auch besser so“, fügte er hinzu. Denn würde sie das wissen, dann würde sie
sich auch an all die anderen Sachen erinnern. Sachen, die sie selber getan
hatte. Menschen, die sie gequält hatte. Pansy war gut davon gekommen, fand er.
„Ok.
Dann… sollte ich dir dankbar sein, richtig?“ Draco seufzte schwer.
„Bitte
nicht. In Ordnung? Es wäre wirklich besser, wenn du mir das zum Vorwurf machst
und mir am besten niemals vergeben könntest“, schlug er vor, aber Greg
lächelte.
„Ich
glaube nicht, Draco. Du hast uns von Voldemort befreit.“ Das hatte er nicht.
Nicht wirklich. Damit kam so eine große Last und die erdrückte ihn wirklich.
„Was ist mit Hermine Granger?“ Der Name… Ihr Name…
„Was
soll mit ihr sein?“ Es drängte ihn förmlich, dass er auch ihren Namen sagte,
aber er ließ davon ab. Er wollte sich selber nicht die Genugtuung verpassen,
ihren Namen über seine Zunge gleiten zu lassen.
„Wie geht es ihr? Ihr seid doch… laut der Prophezeiung seid ihr doch… na ja… so
was wie ein Paar, richtig?“ Draco musterte ihn. Das dachte? Das schrieb die
Zeitung also auch?
„Nein,
sind wir nicht, Greg. Waren wir auch nie. Das ist alles nur…“ Er musste
überlegen, was das richtige Wort dafür war. „Das ist nur Gerede.“ Oh ja, das
beschrie es wirklich ziemlich gut. Er war erbärmlich.
„Oh.
Also stimmt das alles nicht? Mit der Waffe und der Macht?“
„Greg,
es ist wirklich… kompliziert.“
„Und
ich bin wirklich… dumm oder was willst du damit sagen?“ Greg sah ihn beleidigt
an. Draco konnte nicht begreifen, dass es jemanden gab, der wirklich mit ihm
darüber sprechen wollte, abgesehen von Snape, den er immer wieder abwimmelte.
„Nein.
Es ist… - fein. Sie war unter einem Zauber. Und… deswegen hat sie sich in mich
verliebt. Und jetzt ist der Zauber vorbei und… alles ist wieder in Ordnung“,
erklärte er hastig. In der Schule hatte ihn Greg immer bewundert. Er hatte
niemals gewagt, eine eigene Meinung zu haben. Das kam erst später. Erst, als er
keine Angst mehr vor ihm hatte. Draco sehnte sich nach der Zeit zurück, in der
er noch so viel Respekt verströmt hatte, dass es fast pervers lächerlich war.
„In
Ordnung? Also… hast du sie nicht geliebt, sondern nur… mit ihr geschlafen?“,
vermutete Greg und Draco fand, dafür, dass sie sich Jahre nicht gesehen hatte,
kam Greg viel zu schnell auf den Punkt.
„Ich
glaube, ich habe keine Lust darüber zu reden. Du bist also mit Pansy zusammen?
Das ging schnell, richtig?“
„Ja,
die zwölf Jahre. Sind wie im Flug vergangen“, bemerkte Greg und schien
wenigstens zu akzeptieren, dass Draco nicht mehr über Sex mit Granger sprechen
wollte.
„Gut
für dich“, sagte Draco nur. „Was Langweiligeres als Eisverkäufer hättest du dir
auch nicht aussuchen können, oder?“ Auf einmal fiel es ihm gar nicht so schwer,
einen Witz zu machen. Jedenfalls war es einfacher gegenüber jemandem wie Greg,
der so völlig unbeteiligt war.
„Na
ja, nicht jeder rettet gerne die Welt, lässt seine Familie im Stich und kämpft
mit Harry Potter für Gerechtigkeit. Ich bewundere dich wirklich, weißt du?“ Bei
den letzten Worten hatte Greg den Blick gesenkt. Und Draco wünschte sich, er
hätte sie gar nicht gesagt.
„Das war wirklich nicht so, wie es den Anschein macht“, erklärte er hastig.
„Das
glaube ich dir. Du warst wirklich ein schlechter Mensch, Draco.“ Gregs Stimme
war abgekühlt. „Ich hatte geglaubt, dich nie mehr wieder zu sehen und nie mehr
deinen Namen auszusprechen oder zu lesen, vielleicht in der Zeitung, wenn
wieder einmal ein Todesser verhaftet worden wäre. Niemals hätte ich geglaubt,
dass du freiwillig unschuldigen Menschen geholfen hättest.“ Greg blickte zornig
den Flur entlang. „Es war mir klar, dass du… da völlig unbeteiligt rein geraten
bist. Aber… anscheinend kannst du deine Meinung ändern. Anscheinend können sich
schlechte Menschen ändern, Draco. Ich habe dich so sehr verabscheut. Dich und
deine Familie und die Tatsache, dass du Pansy von der schlechten Seite so
erfolgreich überzeugt hattest.“
Draco
wollte dazu etwas sagen, aber Greg ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ich habe mir
überlegt, was ich dir alles sagen wollte, sollte ich dich doch einmal auf einer
dunklen Gasse wieder treffen.“ Jetzt sah er ihn an. „Ich hätte dich nicht
lebend da raus gelassen“, fuhr er fort und Draco glaubte ihm tatsächlich.
„Aber…
ich sehe dich jetzt… und du bist… anders. Du hast deinen Vater verraten. Du
hast Voldemort vernichtet. Für ein Mädchen. Für eine Muggel, Draco. Ist dir das
überhaupt klar? Ist dir klar, wer du jetzt bist?“ Und er wusste es nicht.
„Wer
bin ich?“, fragte er, ehe er es auch nur verhindern konnte, die Worte zu
denken. Er wollte das nicht fragen. Er wollte auch nicht wissen, was Greg
glaubte zu denken, was er sei.
„Du
bist ein Held, Draco. Ein richtiger Held. Voller Schmerz und Leid. Du hast
alles geopfert und dafür den Ruhm bekommen, der einem Held zusteht. Du bist all
das, was ich sein wollte.“
Für
einen irren Moment, wollte er seinen ehemaligen Freund umarmen. Kurz wollten
die Tränen aus seinen Augen fließen. Alles nur sehr kurz. Dann riss er sich
zusammen.
„Kaffee?“,
fragte er und versuchte ein schiefes Grinsen. Er hoffte nur, er würde diese
Heldensache nicht irgendwann auch noch selber glauben, so verlockend sie auch
war….
„Oh, Harry, warum hast du das
gemacht?“ Sie kaute auf ihren Fingernägeln. Mehr unbewusst.
„Weil wir alle beteiligt waren. Außerdem will ich mir nicht nachsagen lassen,
ich würde ihn nicht berücksichtigen, nur weil ich persönliche Streitigkeiten
mit ihm hatte“, fügte Harry hinzu, während er kurz in eine der vielen Kameras
lächelte. Hermine hatte noch nie so viele Presseleute und erst recht nicht so
viele Kuchen gesehen. Harry schien sich sogar recht wohl zu fühlen.
Ron war schon seit einer Weile
verschwunden. Zwei Reporterinnen hatten sich ihm förmlich an den Hals geworfen
und seitdem war er nicht mehr wiederzufinden. Sie wusste, Lavender hielt
fleißig nach ihm Ausschau.
„Persönliche Streitigkeiten? Das ist
ja wirklich blumig ausgedrückt“, bemerkte sie gereizt.
„Hermine, willst du wirklich, dass
Malfoy jetzt nirgendwo mehr erwähnt wird? Darf ich dich erinnern, dass du
diejenige warst, wegen der wir überhaupt etwas mit ihm zu tun hatten?“
„Was? Hättest du ihn nicht gefangen
genommen, dann-“ Sie biss sich auf die Lippe. Sie würde nicht mit Harry das
Spiel der ewigen Schuldzuweisungen spielen. In den letzten drei Wochen hatten
sie das nämlich schon zu oft gespielt.
„Du hättest ihn einfach nur nicht
hierher einladen sollen“, schloss sie bitter.
„Snape hat gesagt, es würde ihm gut
tun. Und deswegen tun wir das auch.“
„Ja, weil wir ihm ja nur Gutes wollen“, fügte sie hinzu.
„Weißt du, es hatte seine Vorteile,
als du ein verliebtes Mädchen warst.“ Wieder hatte Harry die Hand in die Höhe
gereckt und winkte der nächsten blitzenden Kamera. Sie nahm an, sie würde auf
allen Bildern gehetzt aussehen. Es war auch so absurd. Vor einem Monat lebte
die magische Welt in Angst und Schrecken und jetzt gab es Kuchen im
Ministerium.
Sie atmete langsam aus. Mit Harry
streiten würde auch nichts an ihrem Problem ändern. Man sollte immer vorbereitet
sein. Und sie war absolut überhaupt nicht vorbereitet. Sie hatte sich nicht
einmal die Haare gewaschen. Hätte sie sich heute die Haare waschen sollen?
Machte man das für so große Ehrenauftritte? Sie hatte keine Ahnung! Woher
sollte sie es wissen?
Sie sah ihn, bevor er sie sehen
konnte. Hastig schnappte sie nach Luft und stellte sich dicht neben Harry,
damit sie nicht so auffallen würde. Er trug dunkle Brillengläser, die seine
Augen verborgen hielten. Sie hätte sich auch eine Sonnenbrille aufsetzen
können. Es war sogar recht praktisch. Niemand wusste, wo sie hin blickte.
Niemand konnte ihren Blick deuten.
Aber nein. Sie hatte keine Brille
aufgesetzt.
Wieder kaute sie auf ihrem
Fingernagel, um sich abzulenken.
„Ms Granger, war es eine schwere Zeit?
Hat Lucius Malfoy Sie wirklich in seinem Haus gefangen gehalten?“ Solche Fragen
beantwortete sie rund um die Uhr, seit Voldemorts Fall. Sie lächelte charmant
und leer.
„Äh… wissen Sie…“ Sie hatte keine Lust mehr diese Frage zu beantworten. Die
Leute taten, als wäre dies das reinste Zuckerschlecken gewesen. Als wäre es
eine Art Abenteuerurlaub, von dem sie nun berichten sollte.
„Da ist Draco Malfoy! Wussten Sie,
das Draco Malfoy erscheinen würde?“
„Nein, wusste ich nicht“, presste
sie hervor.
„Mr Malfoy!“, rief der Reporter
jetzt und ehe Hermine ihm an die Gurgel gehen konnte, hatte Malfoy ihn entdeckt
und kam jetzt zu ihnen. Sie würde sich übergeben. Sie würde zittern, stottern,
ohnmächtig werden und sich anschließend übergeben. Ja, so sah ihr perfekter
Plan aus. Ihr wurde heiß und übel, je näher er kam.
Jetzt hatte er sie gesehen, aber
hinter seinen dunklen Gläsern konnte sie natürlich nicht sehen, was hinter
seinem Blick vor sich ging.
„Mr Malfoy, wie geht es Ihnen. Mein
Beileid zu Ihrem Verlust. Stimmt es, dass Ihr Vater, Ms Granger gefangen
gehalten hat?“ Sie hielt die Luft an und wagte nicht zu atmen. Die flotte
Schreibefeder des Reporters wartete gespannt in der Luft. Wieder blitzte eine
Kamera.
„Nein, das ist nicht korrekt. Ich
habe Ms Granger gefangen genommen und bereue dies nun zutiefst“, erklärte er.
„Wie dramatisch!“, entfuhr es dem
Reporter. „Sie haben sie also gefangen genommen und anschließend wieder
befreit. Was für ein Gefühl hatten Sie dabei?“ Sie konnte ihn nur anstarren. Er
lächelte tatsächlich und es gelang ihr nicht einmal mehr zu unterscheiden, ob
es ein ehrliches oder ein falsches Lächeln war.
„Kein Gutes“, sagte er also knapp.
„Sie haben Ms Parkinson im Mungo besucht,
heißt es in unseren Quellen? Sie hegen also noch alte Freundschaften, Mr
Malfoy?“ Die Feder sauste über das Papier und Hermine fragte sich, ob diese
Feder genauso furchtbar war, wie die Feder von Rita Kimmkorn damals. Aber sie
bezweifelte, dass solche Lügenfedern noch erlaubt waren.
„Ja, ich habe sie besucht“,
erwiderte er nur vage und sie glaubte, dass sie sein Blick hinter den Gläsern
kurz traf.
„Zu Ihnen und Ms Granger… durch
diese Prophezeiung, haben Sie da eine Beziehung angefangen?“ Noch indiskreter
konnte es heute wohl nicht zu gehen! Sie musste nur noch ihre Klamotten
ausziehen und nackt durch das Ministerium spazieren, dann hätte sie ihren
Albtraum eins zu eins in die Realität umgesetzt.
Aber sie war gespannt auf seine
Antwort.
„Was meinen Sie?“, fragte er. Ob er
das tat, um mehr Zeit zu schinden, oder weil er wirklich nicht verstand machte
sie wahnsinnig.
„Ich meine, ob Sie und Ms Granger…“
Sie spürte, dass sie seine Worte mehr als nur verletzten könnten, also
beschloss sie kurzerhand selber zu antworten.
„Ich weiß nicht, was sie gelesen oder gehört haben, aber Mr Malfoy und ich
hatten keine Beziehung, während der Erfüllung der Prophezeiung.“ Sie klang wie
in der Schule viel ihr auf. Ihre Antwort kam schnell und scharf. Jetzt sah er
sie an, da war sie sicher.
„Nicht?“ Kurz hielt die Feder in der
Luft inne, dann strich sie eine ganze Zeile durch und schrieb weiter. „Aber…
zum großen Kampf, Ms Granger… Wie hat Ihr Blut gewirkt?“ Ihr Mund öffnete sich.
Sie war so gut wie bewusstlos gewesen. Eigentlich hatte sie keine Ahnung, wie
genau ihr Blut gewirkt hatte. Harry hatte alles so schnell erzählt, dass sie
kaum richtig verstanden hatte was passiert war. Die Erde war aufgerissen und
hatte alles verschlungen, so durchschlagend war die Kraft gewesen.
„Ich glaube, es waren genug Fragen,
finden Sie nicht?“ Seine Stimme klang nun merklich kühler.
„Vielen Dank. Ich danke Ihnen
beiden, vielleicht wären Sie einem privaten Gespräch nicht abgeneigt?“ Er
lächelte. Der Reporter sah sie an, wie eine Giftspinne, die darauf wartete
zuzuschlagen.
„Wir werden darüber nachdenken“,
erklärte Malfoy jetzt streng. Und wie von selbst hatte sich sein Arm auf ihre
Taille gelegt und er führte sie von dem Reporter und den Kameras weg.
„Wo gehen wir hin?“, flüsterte sie
und klang beinahe aufgeregt.
„Nirgendwohin. Nur weg von der
Menge. Du stellst dich auch mit voller Absicht ins Feuer der Kameras, oder?“,
bemerkte er und sie hatte sich noch nicht einmal an seine Anwesenheit gewöhnt,
da musste er schon dämliche Bemerkungen machen, fiel ihr auf. Die Sonnenbrille
störte sie nun noch mehr.
„Ray, wozu brauchst du die Brille?“, fragte sie und verschränkte fast zornig
die Arme.
„Was?“ Ihr ging auf, dass er Ray
Charles wahrscheinlich nicht kennen würde. Sie schüttelte verärgert den Kopf.
„Wozu hast du die Sonnenbrille auf,
Malfoy?“ Kurz war ihr kalt. Sie wusste nicht wirklich, woher die Kälte kam,
aber sie war ihr unangenehm.
„Neidisch?“, fragte er nur und sie
wandte den Blick von seinem Gesicht. Harry hatte wirklich Mist gebaut. Sie
hätte Malfoy nicht hierher eingeladen. Niemals. Nach drei Wochen hatte er sich
nicht bei ihnen gemeldet gehabt. Und sein Geld hatte er auch nicht abgeholt.
Sie hatte sich erkundigt. Und danach hatte sie es bereut, sich erkundigt zu
haben. Es war auch so schon schwer genug.
„Dir geht es gut?“ Sie wusste nicht,
weshalb er fragte.
„Ja, es geht mir gut.“
„Ja, so klingt es auch“, gab er mit
gerunzelter Stirn zu bedenken. „Hast du Schmerzen?“, fragte er jetzt und sie
stöhnte gereizt auf.
„Wieso sollte ich, Malfoy?“
„Weil du deine Arme vor deinem Bauch
verschränkst“, erklärte er geduldig. Entweder tut dir dein Bauch weh oder das
ist deine natürliche Abwehrhaltung gegenüber unerwünschten Menschen.“
„Dann ist es wohl das zweite“, gab
sie zurück.
„Dann misch ich mich mal wieder
unter die Leute.“ Er hatte sich zum Gehen umgewandt.
„Wieso hast du das Geld nicht
abgeholt?“, rief sie ihm jetzt nach und innerlich schrie sie sich dafür an. Was
interessierte es sie denn, ob er sich das Geld holte oder nicht? Merlin, noch
mal!
„Was?“ Er wandte sich zu ihr um.
„Und wieso hast du die dämliche
Brille auf? Was soll das?“
„Bist du irgendwie unzufrieden mit
mir? Willst du gerne das Geld haben, Granger? Ich brauche es nämlich nicht.
Vielleicht hast du das vergessen, aber ich bin bereits reich.“ Sie verdrehte
die Augen. Natürlich. Der Herr war ja ein magischer Fürst. Er brauchte gar
nichts. „Allerdings ziehe ich es vor, die Brille aufzulassen, wenn du nichts dagegen
hast“, fügte er ruhig hinzu. Anscheinend wollte er keine Aufmerksamkeit hierher
lenken.
„Gut, wenn du nicht schnell genug
hier wegkommen kannst, dann bitte, geh einfach“, gab sie sich geschlagen. „Ich
habe Harry gesagt, dass du freiwillig niemals gekommen wärst“, fuhr sie fort.
„Das war mir klar. Eine Einladung von dir hätte ich auch nicht erwartet.“
„Die hättest du auch nicht bekommen,
Malfoy.“
„Schön.“
„Ja, schön!“
Am liebsten hätte sie ihm die Brille
von der Nase geflucht. Arschloch. Sie könnte weinen vor Wut. Jetzt hatte sie
sich nicht mit ihm unterhalten wollen und stand jetzt doch vor ihm!
Es war faszinierend zu sehen, wie
sie immer wieder die gleichen Fehler machte. Sie wusste nicht, warum sie in dieser
Beziehung immer so dumm war. Was wollte sie von Draco Malfoy? Was wollte sie
noch von ihm? Jetzt war alles doch so, wie es hatte sein sollen. Er machte
keine Anstalten zu gehen. Musste sie wirklich als erste gehen? Wieso ging sie
denn nicht einfach?
War es wirklich so schön ihn zu
sehen? Nein, das war es nicht. Ihr Herz litt große Schmerzen. Es machte ihr
keinen Spaß. Ihre Laune hob sich nicht, wenn sie ihn vor sich sah. Wieso hatte
er sich in erster Linie überhaupt auf sie eingelassen? Weil sie sich an seinen
Hals geworfen hatte? Weil sie ihn praktisch gezwungen hatte? Weil sonst niemand
dagewesen war?
Nein, eigentlich war sie es doch gar
nicht gewesen! Er war es doch gewesen. Hatte sie wirklich Sex mit diesem Mann
gehabt? Wirklich? Mit Draco Malfoy? Es kam ihr gar nicht mehr echt vor. Dabei
war es kaum einen Monat her.
Unglaublich. Und jetzt trug er die
verdammte Sonnenbrille und war so abwesend als wäre dies eine ehemalige
Schulveranstaltung. Sie sollte ihm ebenfalls Beileid wünschen. Aber das würde
er nicht akzeptieren. Sie sollte ihn auch fragen, wie es ihm ging, aber sie
wollte nicht. Ihr Stolz wollte nicht. Sie sollte ihm vorwerfen, dass er sie
verflucht hatte, aber sie konnte nicht, denn es interessierte sie schon gar
nicht mehr.
Seit Harry ihm die Einladung
geschickt hatte, interessierte sie nur noch, ob er kommen würde. Jetzt war sie
hier. Der Tag war gekommen. Und er war auch hier. Das war es doch! Und es war
lächerlich, dass sie diesem Tag tatsächlich entgegen gefiebert hatte. Denn er
wäre nur zu schnell vorbei. Und dann? Würde sie dann der nächsten
unwahrscheinlichen Gelegenheit entgegenfiebern, ihn wiederzusehen?
Wahrscheinlich schon.
Und was brachte ihr das? Gar nichts.
Wenn sie den Zeitungen Glauben schenken konnte, würde sich Malfoy demnächst für
eine Karriere entscheiden, die ihn aus London fortbrachte.
Wenn es stimmte, dann hatte er
zugestimmt für das Ministerium zu arbeiten und zwar im Außendienst für andere
Länder. Dann wäre er weg. Aus England. Vielleicht sogar aus Europa. Was, wenn
er nach Amerika ging? Viertausend Meilen weit weg von hier? Das waren
sechstausend Kilometer, wenn nicht mehr!
„Ja?“, fragte er geduldig und
wechselte das Standbein.
Hatte sie laut gesprochen? Oh
Merlin, bitte nicht!
„Was?“, fragte sie also.
„Ich bitte dich. Denkst du ich kann
nicht erkennen, dass du mich hier am liebsten zusammen schreien würdest?“ Ihr
Mund klappte kurz auf.
„Nein, will ich nicht“, log sie
ernsthaft.
„Nicht?“ Er verzog den Mund. Er war
sehr schnell wieder sehr ernst geworden. Es war für den Reporter also nur Schau
gewesen, dieses Grinsen und seine erhabene Art.
„Du nimmst diesen Außendienstjob?“,
fragte sie knapp, um irgendwas zu sagen. Etwas Unverfängliches, was nicht zu
sehr den Anschein erweckte, dass sie nicht wollte, dass er ging.
„Schätze schon. Ich habe das
überlegt, ja.“ Sie wusste nicht, ob er verwirrt darüber war, dass sie das
fragte, oder dass sie das überhaupt wusste. Sie kam sich wie ein Stalker vor.
„Dann… viel Glück dabei. Machs gut“,
verabschiedete sie sich und drehte sich ein Stück von ihm weg, um wieder dem
bunten Treiben der Feier zuzusehen.
„Das wäre alles, was du mir sagen
würdest, wenn du wüsstest, dass ich das Land verlasse?“, fragte er knapp und
sie wollte nicht mehr, dass er mit ihr sprach, denn sie hatte sich schon
verabschiedet. Er untergrub somit die Macht, die sie hatte. Sie hatte das
Gespräch beendet. Sie wollte nicht, dass er es tat. Sie wusste nicht genau,
warum.
„Was
genau erwartest du, das ich sage, Malfoy?“, sagte sie also und versuchte nicht
müde dabei zu klingen. Dabei war es genau das: Es war ermüdend.
„Wieso
sagst du es nicht?“, forderte er jetzt. „Wieso schreist du nicht? Wieso
erzählst du ihnen nicht, dass ich dich fast umgebracht hätte?“, fügte er aufgebracht
hinzu.
„Was?“
Sie runzelte die Stirn. „Wieso sollte ich?“ Sein Gesicht wirkte angespannt.
Nein, sein ganzer Körper wirkte angespannt.
„Weil
sie sich dann noch mal überlegen würden, die Strafe zu vollziehen! Weil es
strafbar ist, was ich getan habe! Alles, was ich getan habe, Granger!“ Seine
Brust hob und senkte sich stärker.
„Ich
hab dir schon gesagt, es war nötig. Du musstest das tun.“
„Ich
musste dich gefangen nehmen? Dich schlagen? Dich mit dem Imperius belegen? Dich
mit einem Fluch fast töten?“ Er war näher gekommen und kurz wollte sie doch
nicht mehr, dass er die Brille abnahm. Ihr Herz schlug schnell.
„Nein,
wahrscheinlich nicht. Aber… die Prophezeiung hätte sich sonst wohl nicht
erfüllt und-“
„Ich
hab es so satt, dieses Wort zu hören. Als wäre es eine Rechtfertigung für all
das Schlechte.“ Sein Blick wanderte durch den Saal. Wahrscheinlich damit er sie
nicht ansehen musste, vermutete sie.
„Draco,
du musst darüber wegkommen“, sagte sie leise. Es half nichts, darüber immer und
immer wieder nachzudenken. Würde sie das tun… dann würde sie wohl nichts
anderes mehr tun können.
„Darüber wegkommen? Wie könnte ich das denn?“, fragte er und sah sie
kopfschüttelnd an.
„Niemand
macht dir hier einen Vorwurf“, erklärte sie ungeduldig.
„Ich mach mir aber Vorwürfe, Granger! Ich tue das!“ Kurz erregten sie
Aufmerksamkeit, und das wollte sie nun wirklich nicht. Sie griff einfach nach
seinem Arm und zog ihn mit sich. Raus aus der Halle, weg von den Menschen, in
den Flur Richtung Fahrstuhl. Fluchend ließ er das zu. „Von mir aus können sie
das ruhig hören.“
„Von
mir aus aber nicht“, widersprach sie. „Malfoy, das ist alles vorbei. Es ist
vorbei. Alles ist gut, hörst du? Vielleicht nicht alles. Aber wir haben
überlebt. Wir haben es geschafft. Voldemort ist weg. Du musst das akzeptieren
und aufhören, dir Vorwürfe wegen dieser Kleinigkeiten zu machen.“ Was erzählte
sie da?
„Kleinigkeiten?“,
wiederholte er ungläubig und schüttelte den Kopf. „Ich habe dir wehgetan. Ich
habe dir Schmerzen zugefügt. Ich allein!“ Ihre Augen verengten sich.
„Und…
das tut dir… irgendwie leid?“, vergewisserte sie sich und er lachte laut auf.
„Leid?“ Er riss sich die Brille vom
Gesicht. „Granger, es bringt mich um!“, verbesserte er sie. Und sie wusste,
weshalb er die Brille trug. Er sah aus, als hätte er Wochen nicht geschlafen.
Die Augen waren dunkle umrandet und so viele Adern waren geplatzt, dass sie
völlig rot erschienen.
Sie
waren geschwollen und noch nie hatte sie ihn so gesehen.
„Ich…
ich hab dir gesagt, dass ich dir das nicht vorwerfe! Es war ein guter Zauber.
Es war ein wirksamer Zauber. Es gab keinen besseren Weg. Jeder andere Weg hätte
in unseren Tod geführt! Das weißt du!“
„Lieber
wäre ich gestorben als…“ Kurz schloss er die Augen. „Weißt du, ich hatte nicht
kommen wollen. Wirklich nicht“, erklärt er erschöpft.
„Ich
hatte gehofft, du würdest kommen“, erwiderte sie nur. Er sah sie an.
„Wenn du mich nicht anschreien wolltest, warum wolltest du dann, dass ich
hierher komme?“ Er sah recht fassungslos aus. Und sie begriff, dass das, was
sie gedacht hatte wirklich wahr war. Er konnte sich nicht vergeben.
Und
es brach ihr Herz. Denn er musste. Sie würde sich sonst nämlich selber auch
niemals vergeben können. Sie hasste ihn. So sehr.
„Weil
du ein blöder Idiot bist, Malfoy!“ Sie weinte und ärgerte sich sehr darüber.
Sein Mund hatte sich überrascht geöffnet und es war, als wäre kein Tag
vergangen. Es war, als wäre er gar nicht fort gewesen. Als wäre sie nicht einen
Monat lang allein gewesen und hätte getrauert.
Und
sie musste ihn berühren. Es war wohl einfach ihr persönlicher Fluch.
Sie
schloss den Abstand wie von selbst. Zwar schien er noch etwas sagen zu wollen,
aber sie konnte nicht länger warten. Sie schlang die Arme um ihn und sein Kopf
senkte sich automatisch.
Und
er küsste sie.
Er
zog sie an sich, griff in ihre Haare, presste sie näher an seinen Körper,
stöhnte unter ihren Bewegungen, nahm ihr Gesicht in beide Hände und sie würde
ihn nie wieder loslassen.
Er
wusste nicht mal mehr wirklich, ob er irgendwas zu Tom gesagt hatte, als
Granger und er durch die Tür getaumelt waren, die Blicke gefesselt.
Wahrscheinlich
hatte er irgendwas Eloquentes wie, „Hey“ oder so zu ihm gesagt. Aber wohl kaum
mehr.
Jetzt
hatte er die Tür geöffnet, Granger an sich gezogen und die Tür wieder unsanft
ins Schloss geworfen.
Sie
hatten gar nicht schnell genug apparieren können. Er konnte sie gar nicht oft
genug küssen und an sich ziehen. Er hatte keine Ahnung, was genau passierte,
aber es war auch unwichtig. Sie küsste ihn erneut und zog sich die Jacke aus.
Wie
hatte er annehmen können, ohne sie auszukommen? Er wusste es nicht.
Sie
waren hier her gekommen, weil ihr Apartment erst gerade renoviert und
eingerichtet wurde. Hier hatten sie immerhin ein Bett. Nicht, dass sie es
unbedingt brauchen würden. Aber jetzt lief es darauf hinaus. Er zog sich seine
Jacke aus und sie ließ von ihm ab.
Die
Wangen waren rot, die Augen dunkel vor Lust und seine Erektion erwachte
plötzlich. Er schluckte schwer. Wahrscheinlich konnte er mit allem leben. Mit
der Vergangenheit, den Schmerzen – aber er würde es wohl ohne sie nicht
schaffen. Das wurde ihm klar. Wenn sie bei ihm war, dann war es leichter, dann
hatte er das Gefühl, alles überwinden zu können. Alles machte Sinn, wenn sie
ihn ansah. Genauso wie sie ihn jetzt ansah.
Denn
dann war er kein Monster, kein grausamer Mensch.
Ob
er die Schuld bei suchte? Ja, verflucht. Niemals würde er ihr die Schuld an
irgendwas geben.
„Was
ist?“, fragte sie plötzlich besorgt und ihre Finger strichen sanft über seine
Haut. Er schüttelte unwirsch den Kopf.
„Willst
du, dass ich es sage?“ Sie sah ihn verwirrt an.
„Dass
du was sagst?“ Er atmete kurz ein und
blickte ihr dann in die Augen.
„Willst
du, dass ich sage, dass ich dich liebe?“, fragte er also und ihr Mund öffnete
sich langsam. Sie starrte ihn völlig entgeistert an.
„Du…
was?“
„Soll
ich es dir sagen?“, wiederholte er jetzt ruhig. Sie schüttelte stumm den Kopf.
„Nein?“, versicherte er sich.
„Du… liebst mich nicht, Draco“, erklärte sie überzeugt und schüttelte erneut
den Kopf. Er lächelte jetzt.
„Weißt
du das genau?“, erkundigte er sich und sie zog ihn stürmisch an sich. Ihre
Küsse bedeckten seine Lippen, sein Wange, seine Augenlider. Ihre Finger glitten
durch seine Haare, über seinen Nacken, seine Brust, schlüpften unter sein Hemd
und er schloss die Augen.
Er
selber befreite sie aus der Bluse und schob ihren Rock ihre Beine hinab. Er
hatte sie schon so oft nackt gesehen, und dennoch war es jedes Mal großartig.
Er musste nicht lange überlegen, wenn er sich in seinem Kopf fragte, was er
wirklich wollte. Er wollte nur sie. Immer wieder.
Sie
sprach nicht mehr.
Sie
zog ihn mit sich rüber zum Bett und ließ sich darauf nieder. Sie wartete, dass
er sich über sie legte und er öffnete langsam die Knöpfe seines Hemdes. Sie war
perfekt, so wie sie vor ihm lag. Ein so schönes Bild, das er nur ungern
zerstörte, aber sie wartete auf ihn.
Endlich
war er das Hemd losgeworden, zog sich seine Hose aus, danach seine Shorts. Kurz
zögerte er noch und genoss die Gewissheit, dass er sie hatte. Sie war seins.
Nicht weil sie es musste, nein. Weil sie es wollte. Hundertprozentig wollte. Er
musste sich dennoch vergewissern.
„Du
willst mich wirklich?“, fragte er und ärgerte sich fast darüber, dass er ein
wenig unsicher klang. Sie stützte sich auf die nackten Ellenbogen und sah ihn
mit schräg gelegtem Kopf an.
„Ich
liebe dich“, sagte sie leise. Schon kniete er sich auf die Matratze und lag
über ihr. Ehe er sie küsste, strich er die Locken hinter ihr Ohr.
„Ich
liebe dich.“ Das war alles. Das war alles, was er brauchte. Er küsste sie
übergangslos, stöhnte gegen ihre Lippen, als sie ihre Beine spreizte und in
heller Vorfreude wuchs seine Erektion. Ohne länger zu zögern stieß er nach
vorne in die willkommene Hitze. Sie schnappte nach Luft und kurz hielt er inne,
um ihr in die Augen zu sehen. Er wollte ihre Faszination sehen, wollte sehen,
dass sie genauso fühlte wie er.
Er
war berauscht von ihr und ihrer Nähe.
Sie
erwiderte den Blick und atmete schwer. Dann stieß er langsam wieder nach vorne
und sie legte den Kopf in den Nacken. Er küsste ihren Hals, biss in ihre zarte
Haut und rammte sich tiefer in sie. Härter stieß er nach vorne, wollte in ihr
versinken. Das Gefühl wie sich ihr Körper ihm anpasste war unbeschreiblich.
Sie
bog sich ihm entgegen, erwiderte seinen Rhythmus und schrie auf, als sie kurz
davor war. Er liebte es, wenn sie schrie. Denn dann schrie sie seinen Namen.
Seinen Vornamen.
Es
machte ihn so unglaublich an, dass er sich nicht beherrschen konnte. Wilder
stieß er vorwärts, pinnte sie gegen die Matratze unter sich und er hatte keine
Sorge. Er hatte immer Sorge, dass es zu schnell vorbei war. Aber dieses Mal
nicht. Denn dieses Mal wusste er, dass es nicht eine einmalige Sache war. Er
wusste, dieses Gefühl würde er immer wieder haben können. Er würde sie immer
wieder haben können.
Sie
würde einfach seins sein. Nur seins. Mit diesen Gedanken stieß er ein letztes
Mal nach vorne, keuchte auf und ergoss sich in ihr. Sein Kopf sank auf ihre
Brust und er küsste ihre Haut erneut.
Ihre
Finger verirrten sich in seinen Haare und strichen ihm die Strähnen aus der
Stirn. Er hob träge den Kopf. Die Müdigkeit, die ihm seit Wochen in den Knochen
saß, drohte ihn zu überwältigen, aber er wollte garantiert nicht schlafen. Er
hatte doch gerade erst angefangen.
Sie
zog ihn zu sich. Er rollte von ihr runter und sie drehte sich in seine
Armbeuge. Dann griff sie nach der Decke und zog sie bis unter ihr Kinn.
„Wir
schlafen jetzt nicht“, murmelte er gegen ihr Haar, aber seine Augen fielen
immer wieder zu.
„Ok“,
nuschelte sie müde. „Ich habe so schlecht geschlafen in den letzten Wochen ohne
dich“, flüsterte sie jetzt. Er musste lächeln.
„Ich
habe ohne dich gar nicht geschlafen“, erwiderte er.
„Gut,
dass wir dann jetzt nicht schlafen wollen“, gab sie langsam zurück.
„Jaah…“
Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, war er bereits eingeschlafen. Sie lag
ruhig an seiner Brust, atmete langsam aus und wieder ein und so schliefen sie,
bis die Sonnenstrahlen durch das Zimmer krochen.
~*~
. . .
Sie
sah, wie er die alten Fotos durchsah. Immer wieder. Er hatte keine mehr. Seine
Erinnerungen waren alle verbrannt. Sie stellte sich dicht hinter ihn und legte
die Arme um seine Hüften.
„Na?“,
fragte sie leise und küsste die Stelle zwischen seinen Schulterblättern. Höher
kam sie nicht.
„Ich
glaube, ich vermisse Hogwarts“, sagte er nach einer Weile.
„Heißt
das, du denkst darüber nach?“, lockte sie ihn und küsste ihn erneut.
„Nein“, gab er zurück. „Ich vermisse es nur, das heißt nicht, dass ich
unbedingt dort arbeiten will“, erklärte er geduldig.
„Dann
würden wir uns jeden Tag sehen.“
„Ich
habe gehört, Männer können sich nichts Schöneres vorstellen, als ihre Frauen
jeden Tag zu sehen.“ Sie schlug ihm kurz auf den Rücken. Lachend drehte er sich
zu ihr um.
„Erstens
bin ich nicht deine Frau, sondern deine Freundin und zweitens ist das nur eine
schlechte Idee, wenn sich beide nicht ertragen können. Und stell dir vor… wir
würden dort zusammen arbeiten… In den Pausen könnten wir uns auf dem
Quidditchfeld treffen, wenn keiner da ist…“ Sie griff in seinen Kragen und zog
ihn zu einem Kuss an sich.
Er
legte den Arm um ihre Taille.
„Das
heißt…“, murmelte er gegen ihre Lippen, „du willst mich mit Sex ködern,
richtig?“ Sie stieß ihm vor die Brust.
„Du
bist furchtbar!“
„Ich?“
Er lachte wieder und küsste sie erneut.
„Sie
werden dich gerne aufnehmen. Seitdem Snape frühpensioniert ist, ist der Platz
für Zaubertränke nur temporär besetzt“, fuhr sie fort.
„Zaubertränke?“
Er verzog den Mund. „Niemals… Ich würde sowas wie Verwandlung unterrichten
wollen. Hypothetisch gesehen, natürlich“, fügte er schnell hinzu.
„Ja…
hypothetisch.“ Er grinste jetzt.
„Ich überleg es mir, ok? Wir haben noch nicht mal alle Sachen ausgepackt.“ Sie
nickte schließlich. Auf dem kleinen Tisch am Fenster stand das Gedicht der
Reinblüter Prinzessin. Sie hatten es gerahmt. Sie hatte sich nicht davon trennen
können.
„Sag
mal, hat Pansy nicht noch alte Fotos von euch?“ Er runzelte die Stirn.
„Wieso
fragst du?“
„Weil
du dir ständig die Fotos ansiehst.“ Er lächelte.
„Ja,
aber ich bin nicht an Fotos von mir interessiert, Hermine. Ich sehe mir deine Fotos
an, damit ich herausfinden kann, weshalb ich nicht schon viel eher mit dir
zusammen gekommen bin.“ Sie verdrehte die Augen.
„Ja, sicher… Du konntest es kaum erwarten, mit einer Muggel zu gehen, ich
erinnere mich…“ Er zog ein Foto aus dem Stapel. Hagrid hatte es gemacht. Sie
saßen auf der riesigen Bank. Ein Arm hatte Ron um sie gelegt, ein Arm Harry.
Alle drei grinsten sie in die Kamera.
„Sag
mal, wie oft, war Weasley mit Lavender zusammen?“, erkundigte er sich jetzt.
Sie zuckte die Achseln.
„Hundert
Mal?“, schätzte sie lapidar. Im Moment funktionierte es, aber das konnte auch
wieder umschlagen, da war sie sicher.
„Wann
sind wir heute bei Molly Weasley?“ Sie warf einen Blick auf die Uhr.
„Um
sechs sind wir eingeladen. Und wenn wir Harry noch abholen, dann wird es
wahrscheinlich halb sieben.“
„Ich
kann seine neue Freundin nicht leiden“, sagte er jetzt offen.
„Weil
sie besser Quidditch spielt?“, fragte sie scheinheilig. Er funkelte sie an.
„Nein, nicht weil sie besser Quidditch spielt. Ich glaube, ich sollte dir eine
kleine Abreibung verpassen. Du wirst zu frech. Wahrscheinlich erlaube ich dir
zu viel.“ Er grinste und sein Blick wurde teuflisch. Sie wich vor ihm zurück.
„Draco,
nein!“ Sie hatte den Finger warnend gehoben. „Wehe!“
Doch
er folgte ihr. „Halt mich doch einfach auf…“ Und schon setzte er ihr nach. Es
war natürlich zwecklos zu versuchen, zwischen den vielen Umzugskisten zu
entkommen. Sie hatten so viele neue Sachen gekauft, dass sie kaum Platz hatten,
alles unterzubringen.
Zu
schnell hatte er sie gefangen, die Arme um ihre Taille gelegt und sie an sich
gezogen. Sie liebte es, wenn er sie so küsste. So, als wäre alles anderen von
geringer Bedeutung.
„Das
war nicht fair…“, schmollte sie und er hob sie auf seine Arme.
„Ich
würde dir ja eine Revanche anbieten, aber…“ Mit gespieltem Bedauern warf er
einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Wir haben nur noch eine halbe Stunde
Zeit. Und… das reicht vielleicht gerade ebenso, um die Badewanne einzuweihen.“
Er küsste sie übergangslos. Sie kickte die Hausschuhe von ihren Füßen.
„Abgemacht.
Weißt du…“, begann sie jetzt und strich durch seine hellen Haare. „In Hogwarts
ist die Wanne der Vertrauensschüler dreimal so groß wie diese hier…“ Kurz
schien er sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen.
„Du
bist voller Überraschungen…“, murmelte er gegen ihre Lippen. „Und das scheint
mir ein Angebot zu sein, was ich unmöglich ablehnen könnte…“ Sie musste grinsen
und er küsste ihre Lippen erneut.
Sie
ahnte, dass sie auch diese Woche zu spät zum Abendessen bei Molly kommen
würden. Aber Molly war diskret genug, nicht nachzufragen.
Sie
schlang den Arm um seinen Nacken und wollte nirgendwo anders sein als auf
seinen Armen, hier in ihrer eigenen Wohnung, an diesem Freitagabend.
Niemals
hätte sie erwartet, so glücklich zu sein wie genau jetzt.
Sie
hatte keine Ahnung, ob die Prophezeiung noch irgendwas damit zu tun hatte.
Aber… eigentlich war es unwichtig. Denn eigentlich verschwendete sie an die
Prophezeiung keinen Gedanken mehr.
Vor
allem in diesen Momenten nicht, wenn er sie küsste, als wäre sie die einzige
auf der Welt. Als wäre sie immer noch völlig unwiderstehlich für ihn. Als wäre
sie immer noch voller Geheimnisse, obwohl er wahrscheinlich alles über sie
wusste und jedes noch so kleine Geheimnis kannte. Als wäre sie das einzige, was
ihn glücklich machen könnte.
Und
wahrscheinlich gefiel ihr nichts besser als das. Wahrscheinlich gab es kein
schöneres Gefühl. Sie schloss glücklich die Augen, als der Kuss intensiver
wurde. Vorsichtig beugte er sich mit ihr auf seinen Armen nach unten und drehte
die Hähne der Wanne auf.
Grinsend
stieß sie die Badezimmertür mit dem Fuß ins Schloss.
Ja,
sie würden vielleicht ein klein wenig zu spät zum Abendessen kommen. Nur ein
bisschen zu spät….
- The End -