Kapitel
1. Christmas Eve
Das
trockene Holz der alten Kirsche knackte verheißungsvoll unter den lodernden
Flammen. Es war ein alter Kamin, schwarz vor Ruß, und kalte Asche häufte sich
bereits unter dem grob geschlagenen Rost. Der Wind heulte um das Haus, zerrte
an den morschen Fensterläden, pfiff in hohen Dreiklängen durch die undichten
Stellen des Dachstuhls, fand selbst die kleinste Nische, um sich Gehör zu
verschaffen. Regen schlug in einem schiefen Winkel gegen die Bleiglasfenster,
die Sicht in die Dunkelheit verschwommen und verzerrt. Überdies erschütterte
der zeitweilige Donner die warme Stube, und immer wenn das Grollen, gepaart mit
dem scharfen Sausen des eifersüchtigen Windes, für einige Sekunden verklang,
wirkte das Geräusch des Feuers umso lauter, erfüllte den Geist nahezu
vollständig mit monotoner Behaglichkeit.
Es war eine
Nacht, in der man finstere Märchen erzählte, während man das unbestimmte Gefühl
verspürte, anklagende Augen pressten sich gegen die Fensterscheiben und
versuchten, zu sehen; versuchten, zu finden….
Der
Feuerschein warf tanzende Schatten auf die verblichenen Holzdielen, ließ sie
lebendiger wirken, und Wärme machte sich breit, trotzte dem ungnädigen Wetter,
was Gewalt über die Welt draußen zu gewinnen versuchte, und jedes Geschöpf, ob
Mensch oder Tier, dazu trieb, Unterschlupf zu suchen und chancenlos den Platz
für die unbesiegbaren Naturgewalten zu räumen.
Es ging
gegen jede menschliche Natur, in einer solchen Nacht die sicheren vier Wände zu
verlassen. Ein jeder, der ein Zuhause oder einen trockenen Ort sein Eigen
nennen konnte, würde keinen Schritt nach draußen wagen, wenn er nicht unbedingt
musste.
Und doch bestätigt
stets die Ausnahme eine jede Regel.
Fast war es
zwischen all den natürlichen Geräuschen ein Fremdkörper, aber laut klopfte es
an die schwere Tür, des alten Pfarrhauses, das mittlerweile gottverlassen und
abgeschieden auf der Anhöhe des verschlafenen Dorfes lag.
Der
zottelige Hund hob abwesend den Kopf, war er doch längst vor den warmen Flammen
eingedöst. Er ließ seine einzelnen Muskeln zittern, spannte sie an, ehe sein
Blick fokussierte, und er mit tierischer Abwägung die Tür fixierte. Er stieß in
angespannter Konzentration die Luft aus seiner dunklen Nase, meldete
überflüssigerweise den Eindringling, und der Mann, der mit tiefgezogener Kapuze
grübelnd vor dem Kamin in einem lederbespannten Stuhl gewartet hatte, erhob
sich, ein Glas mit schwerer, goldener Flüssigkeit in seiner Hand, was längst
seine Körpertemperatur erreicht hatte.
Ein leises
Knurren drang aus der Kehle des alten Hundes, aber er schob den Riegel zurück,
löste die rostige Kette und drehte den Knauf der Tür. Sie klickte nach innen
auf, ließ den kalten Wind mit tosendem Geheul Einzug finden, als hätte er nur
auf eine solche Gelegenheit gewartet, und die Gestalt, die schwarz vermummt vor
der Tür verharrt hatte, schob sich geschmeidig ins Innere des Hauses.
Die Tür
fiel zurück ins Schloss, schnitt die Kälte ab, und hoch züngelte das Feuer,
laut knackte das Holz, nach dem frischen Schub an Sauerstoff, der die Stube
kalt erfüllt hatte. Der Hund war mühsam auf die Beine gekommen, näherte sich
der fremden Gestalt, und diese bot ihm eine freie Hand, um sie zu beschnuppern.
„Schon
gut“, murmelte sie, ein wenig abwesend, beruhigte den Hund, und Wasser tropfte
auf den hellen Dielenboden, färbte das Holz tropfenweise dunkel. „Hier können
wir nicht lange bleiben“, informierte sie ihn über Tatsachen, die ihm bereits
bekannt waren. Er würdigte ihre Worte mit keiner Antwort, sondern verschloss
die Tür wieder sorgsam und fest, prüfte die alte Kette und legte endlich den
Schutzzauber, auf den er bis zu ihrer Ankunft hatte verzichten müssen.
Sie zog
sich die Kapuze letztendlich aus dem Gesicht und befreite sich aus dem
durchnässten Umhang. Achtlos warf sie ihn über die alte Holzbank in der Ecke,
schüttelte die zerzausten Haare auf und gedämpft heulte der Wind um das einsame
Haus, während das Feuer die frische Kälte langsam wieder vertrieb. Ihre Wangen
waren vor Kälte gerötet, ansonsten wirkte sie merklich blass.
Sie
sprachen nicht. Mürrisch schritt er zurück, setzte sich auf den einzigen Stuhl,
ohne ihn ihr anzubieten, und sie setzte sich auf den Boden, vor dem Kamin, rieb
sich die klammen Hände, während der Hund neben sie auf den gewohnten Platz
zurückfiel.
Er trank
einen tiefen Schluck der warmen Flüssigkeit und starrte in die Flammen zurück.
Es war keine ideale Situation, in der sie sich befanden. Es war nicht einmal
Situation, die er unter gewöhnlichen Umständen tolerieren könnte. Aber dies
waren keine gewöhnlichen Umstände, dies lag außerhalb seines Machtbereichs.
Sie waren
keine Freunde. Sie waren keine Feinde. Sie waren gar nichts. Sie waren zwei Menschen
auf der Flucht vor derselben Sache und hatten sich unterwegs dafür entschieden,
dass vier Augen mehr sahen als zwei; dass die Überlebenschance für beide größer
wäre, würden sie zusammen weitergehen und nicht getrennt.
Und das war
alles gewesen. Ein stilles Übereinkommen, kaum ein bindender Vertrag. Es war
die Not, die ihn zwang, zu tun, was er niemals hatte tun wollen.
Sie
zitterte am Boden, während sein Blick sie traf. Heute war sie an der Reihe
gewesen, die große Desillusionierung zu legen, die Umgebung eine Meile im
Umkreis zu sichern. Das Pfarrhaus sollte nun für niemanden mehr zugänglich
sein, der mit bösen Absichten hierher kam. Allerdings war es möglich, dass die
schlechte Witterung den Zauber zu stören vermochte. Er hoffte einfach, dass sie
die Nacht über sicher wären.
„Heute ist
Heiligabend“, flüsterte sie unvermittelt, als fiele es ihr gerade erst ein, schien
mit den Flammen zu sprechen oder dem Hund, und er konnte ihren Worten nichts
abgewinnen. Keine Regung erschien auf seinem Gesicht. Ja, heute war Heiligabend.
Er hatte nicht mehr daran gedacht. Es spielte auch keine Rolle mehr. Dies war
mittlerweile ein Abend wie jeder andere. Allerdings sprach sie mehr mit ihm als
in den letzten Wochen zuvor, auch wenn sie ihn nicht ansah.
Ihre Hand
fuhr über das strohige, schwarze Fell des Hundes. Sie streichelte seinen Kopf,
als brächte es Trost. Er war nicht leichtsinnig, hatte längst sämtliche Zauber
gesprochen, als sie abwesend gewesen war, aber es handelte sich um einen
gewöhnlichen Hund. Keinen Animagus. Sie hatte ihn in
einem der ausgebrannten Muggel-Dörfer gefunden, in
denen die Todesser gewütet hatten. Sie hatte ihn aus Mitleid mitgenommen.
Nicht, dass sie es zu zweit nicht schon schwer genug hatten, unentdeckt zu
bleiben.
Sie hatte
ihm erstaunlich wenig Handlungsfreiheit gelassen, in Bezug auf den Hund. Er
hatte sich letztendlich fügen müssen, das stinkende Fellbündel mitzunehmen,
denn er nahm an, sie brauchte irgendetwas, was auch nur den Ansatz von Wärme
vermitteln konnte, hatte sie alles andere bereits verloren. Er hatte nie
gefragt. Wollte es auch nicht wissen.
Aber er
glaubte, wäre Potter tot, hätte sie längst aufgegeben. Dann würde sie nicht
zögern. Dann würden er und sie sich gegenüber stehen, ihre Zauberstäbe
aufeinander gerichtet, und wer Glück hatte, wer den ersten Spruch schneller
sprach, hatte gewonnen.
Aber da sie
ihre Hoffnung noch an jeden so dünnen Faden hing, immer weiter ging, nicht
aufgab, musste er annehmen, dass es noch nicht vorüber war. Und die Worte, die
er sprach, waren getaucht in Spott und Hohn.
„Willst du
einen Baum?“, fragte er sie kalt, ohne sie anzusehen. Leer starrte sie in die
Flammen, während die Hitze des Feuers ihre Haare trocknete und er praktisch
zusehen konnte, wie sie sich in großen Korkenzieherlocken nach oben wanden. Sie
antwortete ihm nicht, aber letztendlich war er sich nicht einmal sicher, ob sie
tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. Die Wärme hatte den Raum wieder
eingehüllt. Er erhob sich, zog den Umhang aus, den er aus Gewohnheit solange
anbehielt, bis er sicher war, dass niemand sie verfolgte.
Er fuhr
sich durch seine Haare, kämmte sie mit den Fingern über seinen Kopf zurück,
aber einige Strähnen fielen zurück in seine Stirn. Es wurde Zeit für einen
Haarschnitt, aber solchen Luxus konnte er sich nicht mehr leisten. Sie würden
noch weiter wachsen, nahm er bitter an. Bis er es leid wäre und selber zur
Schere griff. Er öffnete den Wandschrank, wo er zuvor das Fleisch abgehangen
hatte. Brot hatte er im Dorf gestohlen sowie auch den billigen Scotch. Es war
sicherer zu stehlen, als in ein Geschäft zu gehen, um es zu bezahlen, selbst
wenn es ein Muggelgeschäft war.
Mit
gewohnten Bewegungen stellte er zwei Teller auf den Tisch, wie auch das Brot,
und schnitt das Fleisch. Acht Wochen hatte es gereift und war getrocknet. Auch
wenn es schwierig war, denn sie blieben nie lange am selben Ort, und die
Bedingungen zum Fleischabhängen waren denkbar schlecht. Aber sie waren Zauberer
und es gab Mittel und Wege. Auch wenn sie sich beschwerte über Dry Aged Beef. Auch wenn sie sagte, sie möge kein Rind. Es war
besser als nichts. Es war besser als das meiste. Die gusseiserne Pfanne stellte
er über die einzige Flamme des altersschwachen Herds und briet zwei Steaks. So
wie jeden Abend, wie in jedem verlassenen Haus, das sie nach zwanzig bis
dreißig Kilometermärschen alle zwei bis drei Tage fanden.
Er kochte.
Er wusste nicht, weshalb ihm diese Aufgabe letztendlich stillschweigend
zugefallen war. Wahrscheinlich, weil er sich beschwert hatte
über ihre Pilzpfannen und die ungenießbaren Wurzelsuppen. Er war wahrscheinlich
selber schuld gewesen, aber sie brauchten Nährwerte bei diesem Wetter, bei
dieser Kälte, bei diesem Vagabundenleben, das sie führten. Und er hatte den
Elfen zugehört, hatte ihnen zugesehen, damals, hatte sich in die Reifekammern
des Herrenhauses geschlichen, um die abgehangenen Köstlichkeiten zu bewundern.
Seine Mutter hatte stets gesagt, Essen sei kein Zeitvertreib, Essen sei
kostbar. Oder so ähnlich, er wusste es nicht mehr.
Sie setzte
sich ungefragt an den Tisch, band sich die langen Haare zum Zopf nach oben und
der Hund trottet ihr hinter her, um sich neben sie zu legen. Sie fütterte das
Vieh vom Tisch, was er nicht ausstehen konnte. Das intensive Aroma des
gebratenen Fleisches füllte das Zimmer, und er stellte den Herd aus. Er kam mit
der Pfanne zurück zum Tisch, setzte sich ihr gegenüber, und leicht angewidert
nahm sie sich eines der Steaks. Er verdrehte die Augen über sie.
Sie schnitt
die schwarz verschimmelte Kruste mit einer entsprechenden Grimasse ab, aber er
aß sie natürlich mit. Ihr Gaumen war nicht so fein wie seiner. Sie sprachen
nicht. Nur das Geräusch des Feuers und das Heulen des Windes erfüllte die
Stille. Das Donnergrollen wurde leiser, aber in der Ferne hörte er es noch
immer. Und demonstrativ unauffällig warf sie dem Hund ein Stück Fleisch auf den
Boden. Er sagte nichts mehr dazu, aber sie wusste, er hasste es. Jeder ein
Stück Steak und eine Scheibe Brot, mehr aßen sie nicht. Sie hatte das Wasser
heute Morgen abgekocht, ehe sie weitergewandert waren und sie tranken aus
Feldstechern. Sie behauptete, sie müssten stets wachsam sein und darauf achten,
woraus sie etwas tranken, und was es war.
Sie
erinnerte ihn an den angeblichen Alastor Moody aus
dem vierten Jahr. Aber wahrscheinlich war es klug, aus keinen fremden Bechern
zu trinken.
„Es wird
einschneien“, informierte sie ihn, ohne aufzusehen.
„Morgen?“,
vergewisserte er sich knapp, und sie nickte.
„Ein
Abstieg wird schwierig werden, und apparieren von
hier oben ist gefährlich.“ Er nahm an, sie wollte darauf hinaus, dass sie hier
bleiben würden. Zumindest bis der Schnee nicht mehr fiel. Er hatte aufgehört,
zu hinterfragen, woher sie die Wetterumschwünge mit lächerlich akkurater
Präzision vorhersagen mochte, er nahm es nur noch hin.
„Die
Todesser sind im Norden unterwegs. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis
sie durch das Dorf kommen“, erwiderte er. Abwesend kaute sie auf ihrer
Unterlippe.
„Denkst du,
sie…“, begann sie, aber ihre Stimme hatte sich mitten im Satz verloren. Sie
warf ihren letzten Rest Fleisch dem Hund vor die Schnauze und gierig verschlang
er jeden Fetzen. Sie sprachen mehr, als die letzten Wochen zuvor. Sie sprachen
nur, wenn es nötig war. Anscheinend war es heute nötig. Er wartete. Schließlich
fuhr sie fort. „Denkst du, sie wissen, dass wir zusammen sind?“ Jetzt hob sie
den Blick.
Er hatte in
abgegriffenen Tagespropheten nach
Hinweisen gesucht, wann immer sie die Gelegenheit bekamen, durch abgelegene
Städte zu streifen. Viele Kopfgeldanzeigen standen darin, aber noch immer
wurden sie einzeln gesucht, nicht zusammen. Aber er wusste nicht, wie gut die
Ränge intern organisiert waren. Zu seiner Zeit vor einigen Monaten, denkbar
schlecht.
„Nein“,
entschied er also zu sagen. „Das denke ich nicht.“ Es war abwegig genug, dass
sie tatsächlich zusammen flohen. „Aber es wird nicht mehr lange dauern“,
ergänzte er dann nachdenklich. Sie hatten die letzten neun Wochen Glück gehabt.
Niemand hatte sie entdeckt, sie waren gut vorangekommen, aber bald gab es
keinen anderen Weg mehr, als wieder Richtung Süden zu fliehen. Sie konnten den
Kontinent nicht verlassen, alle Wege übers Meer wurden überwacht und waren für
die Ausreise gesperrt. Wahrscheinlich insbesondere, wenn man Malfoy und Granger
mit Nachnamen hieß.
Das war es
erst mal an gesprochenen Worten. Sie sah sich schließlich in der Stube um. Ihm
kam es so vor, als suche sie etwas. Und er ließ sich hinreißen zu fragen,
nachdem er sich erhob, um das Brot einzupacken. „Was?“
Fast
erschrak sie über seine Stimme, aber sie schüttelte unwirsch den Kopf, wickelte
sich enger in ihre Strickjacke, obwohl es hier drinnen nicht kalt war. Draco
sah, dass sich der prasselnde Regen mittlerweile in den ersten Schnee gewandelt
hatte. Ob Granger Schnee riechen konnte? Manche konnten es. Er blieb einen
Moment vor dem kleinen quadratischen Fenster stehen und starrte in die Nacht.
Der Schnee beleuchtete die Umgebung. Sie waren allein.
Er wandte
sich wieder um. Sie saß noch immer an dem schmalen Tisch. „Was?“, wiederholte
er, obwohl ihre Körpersprache ihm klar ihre Ablehnung zeigte. Sie atmete
schließlich aus und erhob sich ebenfalls. Sie streckte sich müde. Sie waren
heute lange gewandert. Und das auch schnell, denn wenn sie tagsüber unterwegs
waren, dann hatte es schnell zu gehen. Nie zu lange am selben Ort, nie auf
offiziellen Wegen, nie wo andere waren. Sie gingen zu Fuß, denn sie konnten
nicht apparieren. Apparieren
konnten sie nur an Orte, die sie kannten. Und das half ihnen nicht in ihrem
Weiterkommen. Vor allem, da viele magische Dörfer mit dem Apparier-Schutz
belegt waren, und jeder Zauberer Alarm auslöste, der magisch erschien.
„Nichts“,
sagte sie eindeutig und schritt wieder zum Kamin, um sich davor zu setzen. Der
Hund folgte ihr, was Draco mit grimmig verengten Augen bemerkte. Der Hund
mochte sie lieber als ihn. Wahrscheinlich weil sie ihn vom Tisch fütterte. So
simpel war ein Tier gestrickt.
Er atmete
lange aus und erhob sich. Mit steifen
Schritten verließ er die warme Stube und öffnete die Tür zum angrenzenden
Schlafzimmer, nur um diese wieder zu schließen und sich mit langen Atemzügen dagegenzulehnen.
Hier drin war es kälter. Zwar kroch die Wärme des Feuers durch die vielen
Ritzen des Hauses, aber es waren bestimmte zehn Grad kälter hier drin. Nur das
weiße Licht der Nacht fiel durch das Fenster, beleuchtete das schmale Bett, auf
dem eine weniger vielversprechende, durchgelegene Matratze lag. Immerhin war es
ein Bett.
Sie kamen nie in die Verlegenheit, sich ein Bett teilen zu müssen. Es sei
denn…- er biss die Zähne zusammen. Es sei denn, sie entschieden sich, es zu
tun. Er hatte gemerkt, dass sich ihre Beziehung verändert hatte. Vielleicht nur
unterschwellig, subtil. Weniger in Worten, sondern eher in der ironischen
Distanz, die sie in rationalen Stunden pflegten. Er hatte nicht ständig und
immerzu nur den Krieg im Auge. In stillen Momenten vor unzähligen Kaminen,
erlaubte er sich, nachzudenken. Sie anzusehen. Zu hinterfragen, was ihn, in
Merlins Namen, dazu getrieben hatte, überhaupt in Erwägung zu ziehen, solange
in ihrer Nähe auszuhalten.
War es der Sex? Das wäre dumm von ihm. Die Aussicht auf Sex, sei er auch
kalt, gefühllos und den aussichtslosen Umständen entsprungen, in denen sie sich
befanden, war auch der Grund, weshalb er den verfluchten Hund nicht noch an dem
Tag, als sie ihn gefunden hatten, mit dem Avada erledigt hatte. Er war ein
Mann. Und wahrscheinlich hatte sein Unterbewusstsein angenommen, wenn er ihr
diesen Gefallen tat, dann würden sie weiterhin Sex haben. Manchmal entglitt es
seiner Selbstbeherrschung. Er wollte gar nicht hinsehen, wenn sie sich morgens
wusch und er so tat, als schliefe er noch. Er wollte es gar nicht wissen.
Sex mit ihr simulierte den Hauch an menschlicher Wärme, nach dem sich
beide zu sehnen schienen. Sie waren beide die falsche Person für den jeweilig
anderen, aber es war besser als nichts. Sex mit Granger war besser als nichts. Gefühle
spielten keine Rolle in ihrer Welt. Es gab keinen Fehler zu machen. Sie war es
auch gewesen, die den ersten Schritt gemacht hatte. Irgendwann, vor einigen
Wochen, als sie seinen Whiskey getrunken hatte. Und er war nicht so wahnsinnig,
diese Einladung abzuschlagen. Allein der Gedanke an ihre Nähe war unerträglich.
Aber nicht so unerträglich, als dass sein Schwanz Nein sagen würde.
Er war fertig damit, das Zimmer zu inspizieren. Und er wusste, er konnte
nicht viel länger in dem leeren Schlafzimmer stehen und eine Erkältung
riskieren, nur weil die Stimmung zwischen ihnen immer unangenehm war. Er
erspähte einen Ofen in der Ecke. Er würde das Zimmer aufheizen. Er würde gleich
schlafen. Mehr gab es heute nicht zu tun. Sie teilten sich die Nachtwache. Sie übernahm
heute die erste Schicht, er die zweite. Sein Schlafrhythmus war seit langer
Zeit nicht mehr vorhanden.
Er fügte sich dem Schicksal, was er selbst gewählt hatte, denn an dem
Tag, als sie als Feinde aufeinander getroffen waren, hatte er die Entscheidung
getroffen, sie nicht umzubringen. Und es war keine Frage gewesen, die sich ihm
gestellt hatte. Denn er hatte noch genug gesunden Menschenverstand besessen, um
zu begreifen, dass er nichts mehr ausrichten konnte, in der Position eines
Todessers des zweiten Rangs. Eines Todessers, der keine Befehle erteilen,
sondern nur Befehlen folgen durfte. Nachdem sein Vater sich gegen das Regime
gestellt hatte, hatten sie alles verloren. Hatten die Malfoys
bereits jedes Ansehen auf der Gegenseite verspielt, so war das ebenfalls das
Aus auf der Seite ihrer Allianz gewesen.
In gestohlenen, stillen Sekunden hatte Lucius ihm deutlich gemacht, welch
einen immensen Fehler sie gemacht hatten. Wie wichtig es jetzt war, dass Draco
einen Ausweg fand, dass er nicht bis zum unweigerlich bitteren Ende auf der
falschen Seite kämpfte. Und wie ein magischer Ausweg, hatten sich sein und Grangers Weg gekreuzt. Und er hatte nicht lange überlegen
müssen, hatte nicht gezögert. Sein Vater war lange fort, und wenn Granger kein
Zeichen gewesen war, dann hatte er eben keine Ahnung von Zeichen oder dem Wink
des Schicksals.
Es hatte ihm nichts mehr ausgemacht, seinen Stolz zu untergraben, über
seinen Schatten zu springen, und einer Freiheitskämpferin zu helfen. Er lernte.
Es brauchte seine Zeit, es brauchte bittere Niederlagen, aber auch er lernte
irgendwann dazu.
Mit einem Ruck öffnete er die Schlafzimmertür wieder. Unbeirrt schritt er
zu der überschaubaren Menge an gestapelten Holzscheiten, klemmte sich fünf
Stück unter den Arm, griff sich seinen Rucksack und ging zurück ins
Schlafzimmer, um den Ofen zu befüllen. Er hatte sie nicht mehr beachtet. Aber
er wusste, sie nahm Dinge nicht übel, verschwendete keine Zeit damit,
nachtragend zu sein. Sie befanden sich im Krieg und unterm Strich hatten sie
keine Zeit für Albernheiten wie verletzten Stolz oder etwas Ähnliches.
Mit dem Zauberstab brachte er das trockene Holz sofort zum Lodern. Licht
erfüllte das schmale Schlafzimmer, und er verharrte vor dem kleinen Ofen, der
weniger Wärme verströmte als der Kamin in der Stube.
Er hörte, wie sich ihre Schritte näherten. Sie war im Türrahmen stehen
geblieben. Langsam erhob er sich und wandte sich ihr zu. Sie brachte Haltung in
ihre emotionale Körpersprache, die ihm verriet, wann immer sie schlechte Laune
hatte. Wann immer sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hatte.
Es waren anstrengende Tage geworden. Die Kälte machte es nicht einfacher.
Immer kürzer wurden die Tage, immer weniger Tageslicht brach durch die dunklen
Wolken, die den Himmel verhingen. Die Grundstimmung war nicht mehr gut. Und er
nahm an, dass seine schlechte Laune, die er nicht immer verbergen konnte,
abfärbte. Ihre Haut war dünn wie Seide, dachte er manchmal. Und jedes Gefühl
drang hindurch. Ob gut oder schlecht.
Dann schloss sie die Tür und kam mit festen Schritten auf ihn zu. Es war
immer neu für ihn. Sie machte den ersten Schritt, immer sie, denn er wusste
nie, wann es ok war, das zu tun. Und er nahm an, sie wusste das. Deshalb tat
sie es. Und obwohl sie es tat, wirkten ihre Augen aufrichtig, fast unschuldig.
Und immer erkannte den Funken Gryffindor dahinter.
Denn sie schämte sich. Sie schämte sich, dass sie nicht anders konnte, dass sie
tatsächlich immer wieder zu ihm kam, sich holte, was sie scheinbar brauchte.
Ihre Augen flogen über sein Gesicht. Vielleicht bildete er es sich nur ein,
aber ihr Brustkorb hob und senkte sich schneller. Sie war heute nicht so
gleichmütig wie sonst. Sie war wütender.
Deshalb wunderte er sich fast, dass sie tatsächlich seine Nähe suchte.
Vor allem heute. Gerade heute. Freudlos dachte er schon, es handele sich um ein
Weihnachtsgeschenk. Zwar keines nach dem er fragte oder was er letztendlich
wollte, aber ablehnen würde er es nicht.
Fast vorsichtig hob sich ihre Hand, als wäre es eine stumme Frage, als
könne sie ihn durch ihre Berührung verletzen. Er war so nahe, dass er spürte,
wie sie lautlos nötige Luft in ihre Lungen brachte. Knapp lehnte er sich in
ihre Berührung, ließ zu dass ihre warmen Fingerspitzen seine unrasierte Wange
berührten. Ohne ein bestimmtes Gefühl, senkte er beherrscht den Kopf. Seine
Augen schlossen sich, als er ihre geöffneten Lippen verschloss. Sie waren
vorsichtig miteinander. Sie gaben nichts preis, nur ihre Körper. Ihr Duft
erfüllte ihn, wie viele Male zuvor. Er beendete den emotionslosen Kuss und zog
den Kopf eine Handbreit zurück.
Er hörte sie einatmen, als müsse sie sich erst vorbereiten, sich wappnen.
Sie sprachen nicht. Kein Wort. Taten sie nie.
Und er bewegte sich keinen Millimeter, als ihre zaghafte Hand weiter
wanderte, federleicht über die Narbe unterhalb seines rechten Auges fuhr. Ohne
ein Wort zog sie anschließend ihre Strickjacke aus, ließ sie achtlos hinter
sich fallen, nur um den Bund ihres Pullovers zu finden, um diesen auch über
ihren Kopf zu ziehen. Sie stand vor ihm in Hose und BH, und neutral betrachtete
er sie, wie so viele Male zuvor.
Sie hatte ihm grünes Licht gegeben. Er schloss den Abstand und küsste sie
erneut, als wäre es ein Punkt auf einer Liste, den er abzuarbeiten hatte. Die
Bewegungen saßen mittlerweile. Es war nicht mehr holprig, als wären sie zwei
Fremde, die sich für eine Nacht der Ablenkung trafen. Sein Arm schlang sich um
ihre Taille, ihr Körper bog sich seinem entgegen, und ihre Hände fanden den Weg
um seinen Nacken, ihre Finger fuhren durch seine Haare, ihre Nägel kratzten
über seine Kopfhaut.
Seine Finger glitten über ihre straffe Haut, den flachen Bauch, wanderten
tiefer, öffneten die Knöpfe ihrer Hose, und sie atmete abgehackt in seinen Mund.
Es ging immer schnell. Sie hatten keine Zeit für irgendetwas anderes, als
stumpfen Sex. Er war kein Romantiker, und sie schien darauf keinen Wert zu
legen, schien es nicht zu suchen.
Er unterbrach den Kuss, um sich den eigenen Pullover über den Kopf zu
ziehen, dann öffnete er seine Hose, streifte sie seine Beine ab und hatte schon
wieder den Abstand geschlossen, küsste sie hungriger und bewegte sich mit ihr
Richtung Bett. Sie fielen auf die durchgelegene, unbequeme Matratze, aber es
war ihm völlig egal. Blind öffnete er ihre Hose zur Gänze, zerrte sie ihre
Beine hinab, und sie lag unter ihm, warm und weich. Seine Lippen pressten sich
übergangslos gegen den dunklen Stoff ihres BHs, und er spürte, wie sich ihre
Brustwarzen aufrichteten, unter dieser Berührung. Sie zog ihr Höschen aus, und
er wurde seine Shorts los. Er angelte sich den Zauberstab vom Boden, sprach die
Formel zur Verhütung, ehe er den Zauberstab wieder blind auf den Boden fallen
ließ.
Sein Blick verließ keine Sekunde ihr Gesicht, als er ihren BH endlich
auszog. Er legte sich zwischen ihre gespreizten Beine, und ohne weiteres
Vorspiel drang sein steinharter Schwanz in ihre Enge. Ihre Augen hatten sich
geschlossen. Er war nicht wie sie, empfand es nicht als Strafe oder als Verrat
seiner eigenen Sinne, dass er das hier tat. Er tat es einfach. Sein Kopf hatte
in diesen Momenten nicht die Macht.
Er bewegte sich schneller, und ihre Beine umschlossen verlangend seine
Hüften. Ihr Kopf fiel weiter zurück in ihren Nacken und sofort sanken seine
Lippen auf ihren heißen Hals, küssten eine Spur hinauf zu ihrem Kiefer, ehe sie
ihm zu einem erlösenden Kuss entgegen kam. Hart griffen ihre Hände in seinen
Nacken, und sie begegnete ihm wild und genauso erregt wie er es war. So war es
immer. Ihre Zweifel waren zu Beginn so deutlich, und verblassten, sobald er in
sie eindrang. Ihre Körper waren sich so nahe, als wollten sie verschmelzen zu
einem, und keuchend ging sein Atem, als er sich von ihren Lippen löste. Schweiß
stand auf seiner Stirn, und er stieß voller Lust und Erregung härter in sie,
verschaffte sich endlich Erleichterung, und sie zitterte unter ihm, denn sie
war wohl ebenfalls gekommen.
Langsam kehrte Ruhe in seinen Körper, seine Muskeln entspannten sich
wieder und er zog sich aus ihr zurück, fiel neben sie auf die Matratze. Sein
Blick ging starr an die Decke, und nur ihr beider Atem erfüllte den Raum.
Und das war es. Wie jedes Mal. Die Stellungen variierten von Zeit zu
Zeit, aber er zog die Missionarsstellung vor, und sie schien ihm die Dominanz
zu lassen. Sie erholte sich immer schneller als er. Bei den Frauen war es immer
so.
Sie setzte sich schon wieder auf, zog sich bereits wieder an, aber
anstatt das Zimmer zu verlassen, wandte sie sich zu ihm um, stand vor dem Bett
und sah ihn an. Ihre Haare lagen wild um ihren Kopf, ihre Wangen waren sanft
gerötet, und fast interessiert fixierte sein Blick ihre geschwollenen
Lippen.
Das war neu. Alles war eigentlich immer neu, aber das war tatsächlich das
erste Mal, dass sie nicht sofort ging, als wäre es Sünde, was sie taten, als
wolle sie sofort vergessen, dass er zwischen ihren Beinen gelegen hatte.
Er nahm an, seine Stimme würde nicht unbedingt dazu taugen, tiefschürfende
Gespräche zu führen, vor allem nicht, so kurz nach dem er gekommen war. Für
gewöhnliche wusste er, warum sie nicht sprachen. Denn es gab ihm die Illusion,
über das, was sie taten, nachzudenken.
Denn es war das Äußerste. Dies war der einzige Ort, das einzige
Zeitfenster, das ihnen genau dieses Verhalten erlaubte. Vergab einem nicht nur
diese Zeit des Kriegs, die ein jeder später verdrängen und vergessen wollte,
jeden Fehler? Wie viel weiter würden sie noch gehen können, als bis in diese
verlassene Einöde, bis an das Ende ihrer Kräfte, damit es der richtige Ort und
der richtige Zeitpunkt waren? Für sie beide? Den Todesser und das Schlammblut.
Sie sah ihn an, als wolle sie sprechen. Er genierte sich nicht,
vollkommen nackt vor ihr auf dem Bett zu liegen. Fairerweise waren sie über
solche Kleinigkeiten längst hinaus gewachsen. Dennoch strengte sie sich sehr
an, seinen schlaffen Penis zu ignorieren. Und dann sprach sie.
„Das hier“, sagte sie beinahe gefasst, und ihr Blick wirkte schmerzlich
angewidert „das ist nichts“, schloss sie mit weiten Augen. Er spürte die Falten
auf seiner Stirn deutlich. „Was wir hier tun hat keine Bedeutung.“ Sagte sie
ihm das? Erklärte sie ihm das? Seit wann tat sie so etwas? Seit wann war es
nötig, dass sie darüber sprachen? Natürlich bedeutete es nichts. Nichts
bedeutete noch irgendetwas. Allerdings… ging es wohl nicht um ihn. Dinge mit
Vehemenz auszusprechen, zeugten von ihrer Unsicherheit, nicht von seiner.
Seine Augenbraue hob sich entsprechend. „Mhm“,
war alles, was er dazu sagen konnte. Fast ein wenig ungläubig.
„Nicht, dass du denkst, dass…“ Aber sie unterbrach sich. Ob es an seinem
völlig teilnahmslosen Ausdruck lag oder an ihrer schlichten Erkenntnis, wusste
er nicht sicher. Aber mit wachsendem Interesse setzte er sich auf. Für
gewöhnlich unterstellte er ihr, dass sie die Situation zwischen ihnen richtig
einzuschätzen vermochte. Nur heute schien sie… Angst zu haben? Aber er hatte
kein Problem damit, Dinge klarzustellen, die offensichtlich waren.
Sie wirkte fast, als fürchte sie sich vor seinen Worten. Und deshalb
sprachen sie danach nicht. Nach dem Sex gab es immer den Hauch von
Verletzlichkeit. Einfach weil man das Intimste geteilt hatte. Er wusste, sie
schämte sich stets, ihren Instinkten nachzugeben, aber ihm war das mäßig egal.
Aber das interessierte ihn jetzt.
„Was soll ich nicht denken?“, erkundigte er sich rau, und ihre Züge
spannten sich an.
„Nichts“, erwiderte sie kopfschüttelnd, ein wenig zorniger, aber mühsam
erhob er sich und stieg in seine Kleidung. Unbewegt wartete sie. Sie schämte
sich wieder.
„Du kommst zu mir“, erinnerte er sie, immer noch ungläubig, „nicht
umgekehrt“, schloss er knapp. Auch wenn es kaum einen Unterschied machte, denn
er verweigerte sich ihr nicht.
„Ich… weiß das“, räumte sie gepresst ein, mied aber den direkten Blick in
sein Gesicht.
„Wir vögeln, Granger“, sprach er die Worte kalt, wenn er sie auch völlig
neutral meinte. „Du benutzt mich, ich benutze dich.“ Ihr Blick hatte sich
automatisch wieder gehoben. Und die bleibende Schuld auf ihren Zügen war… ein
wenig verwirrend.
„Das ist jetzt vorbei“, klärte sie ihn schließlich auf. Seine Augenbraue
hob sich wieder. Fast musste er lächeln.
„Du bist heute zu mir gekommen, nicht-“, begann er zu wiederholen, aber
sie unterbrach ihn barsch.
„-ich weiß das, Malfoy! Aber jetzt ist es vorbei“, entgegnete sie mit
mehr Nachdruck, und seine Augen verengten sich verständnislos. Nein, er begriff
sie nicht wirklich.
„Warum ist es wichtig, mir das zu sagen?“, wollte er schließlich wissen.
Nicht, dass es ihn wirklich interessierte, aber sie machte aus dem gefühllosen
Sex mehr, als es überhaupt war. Er glaubte nicht, dass es ihm fehlen würde. Es
war eine Möglichkeit Stress abzubauen, ja. Aber es war es garantiert nicht
wert, danach nervtötende Gespräche darüber zu führen.
Frauen waren vielleicht so, nahm er an. Irgendwann mussten sie über so etwas
Simples wie Sex sprechen.
Und da war sie wieder. Leuchtend sichtbar in ihrem schmalen Gesicht. Der
Anflug von Schuld. Ein schlechtes Gewissen so deutlich, dass er sich fragte, ob
es die ganze Zeit über da gewesen war, und er es nur nicht bemerkt hatte.
„Wenn… wenn ich die Zeichen hier im Wald richtig gedeutet habe, dann…
werden im nächsten Dorf Verbündete sein. Vielleicht“, rang sie sich die
nächsten Worte unter solchen Qualen ab, wohl bemüht um einen neutralen Ton.
„Welche Zeichen?“, wollte er schlicht wissen. Sie atmete angestrengt aus.
„Vereinbarte Zeichen. Freiheitskämpfer haben so etwas“, erläuterte sie
fast gereizt, beinahe arrogant, als könne er niemals begreifen, was es
bedeutete, Freiheitskämpfer zu sein. Als könne er simple Kratzer an einer
Baumrinde niemals entziffern. Als wäre er selber nicht gerade auf der
verdammten Flucht! Und wieso enthielt sie ihm so etwas vor? Aber er war noch zu
befriedigt, um ernsthaft wütend zu werden.
„Aha“, erwiderte er kühler, nicht sicher, worauf sie eigentlich
hinauswollte. Aber er konnte es erahnen.
„Ich… werde mich ihnen anschließen, sollte ich mich nicht irren“,
ergänzte sie eindeutiger. Noch immer wartete er auf den Grund dieses Gesprächs.
„Und du… kannst das auch tun“, sagte sie, aber er sah, sie meinte es ganz und
gar nicht. Sie sprach fast widerwillig. Und sein Mund öffnete sich.
Er konnte nur annehmen, dass sie ihm erklärte, der Sex, den sie seit
Wochen zu einem seltsamen Ritual kultiviert hatten, wäre vorbei, damit ihre
Verbündeten nicht schlechter von ihr dachten. „Zu mehreren hat man eine bessere
Chance zu überleben“, ergänzte sie hastiger. Anscheinend reichten zwei nicht
aus, entzifferte er ihre Worte. Oder er reichte nicht aus. Aber es wäre sowieso
nie ein Dauerzustand gewesen, dieser… Unfall, der sie beide eben waren. Etwas
anderes war es nicht.
„Ok“, antwortete er lediglich, aber sie schien seine weiteren Worte zu
erahnen. „Und wenn du dich irrst?“ Er ging die Möglichkeiten durch, die sich
ihm bieten würden. Jetzt blinzelte sie verblüfft.
„Was meinst du damit?“ Ihre Stimme klang etwas schroffer, noch etwas
abweisender. Als ob sie sich nie irren könnte. Die Zeiten mochten sie
vielleicht gezeichnet haben, aber ihr Verstand war immer noch der unfehlbar
überhebliche Verstand einer Gryffindor.
„Wenn du die Zeichen falsch gedeutet hast oder deine Verbündeten
verschwunden sind“, erläuterte er direkt. Jetzt schien sie verwirrt zu sein.
„Dann-“, begann sie wortkarg, scheinbar nicht willig, anzunehmen, dass
sie sich irrte.
„Dann vögeln wir weiter?“
Und das war es tatsächlich nicht gewesen, was er hatte sagen wollen.
Eigentlich hatte er sie fragen wollen, ob die königliche Hoheit Schlammblut
dann seine Anwesenheit weiter verzog, aber scheinbar verfolgte sein Kopf andere
Pläne.
Aber… es war der simple Umkehrschluss dieses Gesprächs. Und ihr Gesicht
verlor tatsächlich jeden Ausdruck. Sie starrte ihn schockiert an, aber er
lächelte freudlos, denn er hatte begriffen. „Du weißt, du triffst Verbündete,
schämst dich, dass wir vögeln, aber… für heute, für noch ein letztes Mal, bist
du dir nicht zu schade?“, wollte er mit schräg gelegtem Kopf von ihr wissen,
und er wusste, er hatte ansatzweise den wunden Punkt erraten. Sie war nicht
kompliziert gestrickt.
„Du bist ein Arschloch“, flüsterte sie hasserfüllt, während Röte
ungehindert in ihre Wangen kroch. Und tatsächlich musste er lachen.
„Nein, Granger. Du bist das Arschloch heute“, entgegnete er belustigt.
„Und wenn schon!“, rief sie plötzlich zornig. „Jedenfalls ist es jetzt
vorbei, und wenn du es irgendwem erzählst, dann-“
„-dann?“, unterbrach er sie lauernd, den Blick kalt auf sie gerichtet,
und tatsächlich wirkte sie ziemlich überrumpelt. „Dann verstoßen sie dich?“,
wollte er mit gespielter Dramatik von ihr wissen, und sie blinzelte hastig, als
wäre das tatsächlich eine Möglichkeit. Er verdrehte die Augen. „Es herrscht
Krieg“, informierte er sie gedehnt. „Weißt du, wie egal es ist, für wen du
deine Kleider ausziehst, Granger? Weißt du, dass es niemanden interessieren
wird, was du in dieser Zeit tust oder sagst?“ Es machte ihn wütend. Zwischen
ihnen war gar nichts! Nichts von Wichtigkeit. Er wollte nur, dass der Krieg
vorbei war und er nachts nicht einschlafen musste, mit der Sorge, den nächsten
Tag nicht zu überleben.
„Es ist nicht allen egal!“, widersprach sie beinahe kleinlaut, und er
stöhnte auf.
„Wem ist es nicht egal?“, entfuhr es ihm zornig, aber plötzlich hatte er
das Gefühl, ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Dieser verdammte Schatten
der Schuld, dieses beschissene schlechte Gewissen, mit dem sie ihn immer
betrachtete. „Weasley?“, erriet er ihre größte Sorge, beinahe ungläubig. Er
atmete lange aus. Sie war so…- sie war eine Frau. Unfassbar. Er hatte es fast
verdrängt. So etwas wie unkomplizierten Sex gab es nur in der Theorie, nahm er
erschöpft an. Er wusste nicht mal, dass Weasley noch leben könnte. Scheinbar
nahm sie es an. Sie antwortete ihm nicht mehr, hatte den Blick glasig
abgewandt. Merlin…. Wäre er nur nicht mit ihr gegangen.
„Wenn du mit den Konsequenzen nicht klar kommst“, begann er entnervt,
„vielleicht hättest du mich dann nie-“ Aber er schwieg, als ihr zorniger Blick
ihn traf. Die erste Träne fiel auf ihre Wange, und er biss die Zähne zusammen.
Sie war heute zu ihm gekommen! Sie war jedes Mal zu ihm gekommen! Hätte
er fragen müssen? Hätte er sich Gedanken darüber machen müssen, wem ihr
verdammtes Herz gehörte? Es interessierte ihn einen verdammten Scheißdreck, und
so sollte sie es auch sehen! Er wollte nichts von ihr! Gar nichts! Aber er
schluckte alle Worte runter.
„Keine Sorge“, knurrte er schließlich. „Ich habe nicht das Bedürfnis,
irgendwem irgendetwas von dieser Zeit zu erzählen, Granger“, ergänzte er
bitter. Sie schluckte schwer. „Dann…“, bemerkte er kühl, „danke für den
Abschiedsfick“, schloss er rau, und auch, wenn er ihre Hand kommen sah,
reagierte er nicht. Ihre Hand traf ihn scharf auf der linken Wange, und bevor
er sich von diesem Schmerz erholte, die Augen wieder öffnen konnte, war sie aus
dem Zimmer gestürmt und knallte die Tür hinter ihm zu.
Zeit zu schlafen, dachte er dumpf. Er hatte nicht die Zeit, sich Gedanken
zu machen, nicht die Zeit, ernsthaft betroffen zu sein. Der Krieg würde keine
Pause machen, nur weil Granger mit ihrem Leben nicht zurechtkam.
Und das war der Grund, warum sie nicht sprachen. Nicht vorher, nicht
nachher. Um genau solche Gespräche nicht führen zu müssen. Es herrschte Krieg.
Sex war reine Ablenkung.
Aber er merkte es, als er sich zornig in das unbequeme Bett zurücklegte.
Gewohnheit war eine hinterhältige Sache. Weasley interessierte ihn nicht.
Und nur für heute würde er sich erlauben, wütend zu sein. Er würde eine andere
finden, die er vögeln konnte, wenn der Druck zu groß wurde. Und trotzdem war er
jetzt wütend.
Und wieso dachte sie, er würde mit ihr gehen? Glaubte er, eine Horde an
ehemaligen Gryffindors wäre begeistert über die
Tatsache, einen Todesser aufzunehmen? Er atmete schwer aus.
Fast hoffte er, dass sie sich irrte. Und dann würde er sie nicht mehr
anrühren, selbst wenn sie darum bettelte!
2. Departure
Der fahle Morgen war hereingebrochen. Und sie waren eingeschneit. Es
würde ein mühsamer Abstieg werden. Und fast – er wollte es gar nicht wagen zu
denken – sah er es noch nicht in den Sternen stehen, dass sie heute das
Pfarrhaus verlassen würden.
Er stocherte in den Flammen, während der Hund ihn aus mandelförmigen
Augen beobachtete. Draco erwiderte den Blick. Es war ein mageres Vieh. Bevor es
tatsächlich unheimlich wurde und Draco ernsthafte Zweifel bekam, ob es sich
tatsächlich um einen Hund handelte, brach der Hund den Blickkontakt und legte
den schmalen Kopf auf die Pfoten zurück, um weiter zu dösen.
Er atmete aus. Es war nichts. Er war paranoid, und das Gefühl des Eingesperrtseins nahm im Schnee, in dieser winzigen Hütte,
lediglich Überhand. Die Todesser waren nicht mehr weit. Es war nur noch eine
Frage von Tagen, bis es ungemütlich werden würde.
Er hörte sie nebenan. Sie war früher wach als sonst. Der Streit von
gestern, wenn man ihn denn als solchen bezeichnen konnte, lag ihm nicht schwer
im Magen, aber seine Gedanken wanderten träge zu diesem Gespräch zurück. Er
hörte, wie sie sich anzog. Stoisch starrte er zurück ins Feuer, als sich die
Tür öffnete. Aus den Augenwinkeln, sah er, dass sie die Karaffe trug. Dann
öffnete sie das kleine Fenster, um Schnee vom Sims in die Karaffe zu häufen, um
sich zu waschen. Sie verharrte einige Augenblicke länger am Fenster.
Wahrscheinlich kalkulierte sie ebenfalls den Abstieg, oder auch die
Möglichkeit, dass ein Abstieg und ein Weiterkommen heute nicht möglich wären.
Aber sie sagte nichts, wünschte ihm keinen Guten Morgen. Nicht, dass sie
das jemals getan hätten. Er war nicht höflich, sie war nicht höflich. Sie
existierten lediglich. Alles, was sie tat, nachdem sie das Fenster wieder
verschlossen hatte, war, näherzukommen, um den Kopf des Hundes zu tätscheln,
ehe sie im Schlafzimmer verschwand.
Draco hörte, wie sie ihr Shirt auszog. Der Schnee schien schnell zu
schmelzen über dem Ofen drüben.
Weasley. Er dachte das Wort so unwillkürlich, dass es ihn überraschte. Es
störte ihn nicht, dass sie sich für ihn schämte. Merlin, er schämte sich um ein
tausendfaches mehr! Aber… er hatte nicht gedacht, dass er jemals in irgendeiner
Konkurrenz zu Weasley stehen würde – und auch noch verlor. Es waren kindische
Gedanken. Er erinnerte sich kaum an Weasley. Groß, schlaksig, nervtötend. Etwas in der Richtung existierte in seinem
Kopf. Sachte schüttelte er den Kopf. Und er hatte kaum geglaubt, dass so etwas
wie Stolz noch in den Winkeln seines Kopfes vorhanden war, aber deshalb war er
wütend gewesen gestern.
Nicht wegen ihr. Nicht wegen Granger! Sie war eine Frau wie jede
x-beliebige. Sie sah nicht besonders aus, unterschied sich nicht von den
anderen Frauen. Sie war lediglich im Moment die einzige Frau in seiner
Reichweite, die fickbar war. Wenn man schon sonst
nichts im Krieg hatte, dann wenigstens die kurzweilige Erlösung, die Sex mit
einer weichen Frau brachte.
Aber er nahm an, man kam letztendlich doch nicht aus seiner Haut. Er
wusste, sein Name bedeutete nichts. Nichts in dieser Wildnis hier, in dieser
rauen Endlosigkeit, nahe am Ende der Welt. Aber für eine Sekunde hatte er
gestern gedacht, dass er ein Malfoy war. Ein Malfoy stand niemals mit einem
Weasley in Konkurrenz. Er war so weit entfernt davon, wie Nord- und Südpol entfernt
voneinander waren. Es war die größtmögliche Distanz auf diesem Planeten. Wie
lächerlicher es war, so zu denken.
Sanfte Verzweiflung ruhte in seinen Gedanken, während er nicht begreifen
wollte, dass es keinen Unterschied mehr machte, wie rein sein Blut war, seit
wie vielen Generationen der Name Malfoy existierte und wie weit er über
Blutsverrätern gestanden hatte. Es war mittlerweile alles egal. Denn sein Name
war keine Freifahrtkarte für gar nichts mehr. Sein Name war keine Garantie
dafür, dass er einen lächerlichen Konkurrenzkampf mit Weasley gewann! Den er
nicht einmal gewinnen wollte!
Zornig pfefferte er einen Holzscheit in den Kamin, gerade als sie die
Stube wieder betrat. Hastig verbarg er den plötzlichen Ärger, den er fühlte.
Denn es hatte nichts mit ihr zu tun. Merlin, nicht alles hatte mit ihr zu tun!
Sie hatte kurz innegehalten, beobachtete ihn knapp, und auch der Hund hatte
träge den Kopf gehoben, um ihn anzusehen.
Er zwang sich zur Ruhe, erhob sich vom Kamin, marschierte zur Tür und – konnte
sie nicht öffnen. Sein Ärger war verflogen. Seine Stirn legte sich in Falten
und er stemmte sich gegen das alte Holz. Und noch einmal. Der Schnee musste zu
hoch liegen, ging ihm plötzlich auf. Noch einmal warf er sein Gewicht gegen die
Tür.
„Lass mich“, unterbrach sie seine Bemühungen streng, und sein Blick
schoss herum. Er wollte sie fragen, was in Salazars Namen sie dachte, was sie
tun könnte, aber sie hatte bereits den Zauberstab gezogen. Zauberstab. Richtig.
Zornig mahlten seine Zähne aufeinander, während sie die Tür erhitzte. Es
bildete sich eine Pfütze unter der Türritze, und ohne
zu warten, warf er sich ein weiteres Mal gegen das Holz, und endlich gab die
Tür nach. Sie öffnete sich kaum einen mannsbreiten Spalt, aber es reichte, um
rauszukommen.
Die frische Kälte traf die warme Haut seines Gesichts, und es tat gut.
Die Desillusionierung lag immer noch ungebrochen um das Haus. Und sie war ihm
gefolgt, stellte er fest. Er zwang seinen Atem ruhig aus seinen Lungen. Sie
hatte den Hund an der Leine, und er war gar nicht darauf gekommen, dass der
Hund Wasserlassen musste. Scheißvieh. Sie hatte ihren Umhang übergeworfen und
marschierte an ihm vorbei, stapfte durch den tiefen Schnee in Richtung der
Bäume, während er vor dem Haus verharrte.
Die Landschaft war weiß, malerisch fast. Mit dem Schnee kam eine Ruhe und
Schönheit, die ihn fast vergessen ließ, dass Krieg herrschte. Die Anhöhe, auf
der sie sich befanden, war nun vollkommen vom Dorf abgeschnitten. Selbst für
die Todesser würde es einen mühsamen Aufstieg bedeuten. Er zog den Stiefel aus
dem tiefen Schnee, um das Haus zu umrunden, denn er musste ebenfalls
Wasserlassen.
Die Kälte schmerzte die warme Haut seines Penis‘, und er beeilte sich,
aber die Kälte wirkte fast magisch auf sein erhitztes Gemüt. Noch einen Tag
würde er vielleicht in ihrer Gesellschaft verbringen, dann wäre er wieder
allein. Lieber würde er sich freiwillig stellen, als sich unter
Freiheitskämpfern zu verstecken, die ihn selber jede Nacht mit dem Zauberstab
aufschlitzen könnten.
Er drehte sich um, überblickte die Nordseite der Landschaft hinter dem
Haus, und nahm an, er würde seinen Weg bis zur Küste fortsetzen. Sie waren in
den Highlands, nicht weit von Easter
Ross. Die Orkney Inseln boten ihm zwar keinen Ausweg
an, aber von dort aus könnte er nach Shetland, ohne
zu apparieren. Unter Umständen. Es wären bestimmt
vierhundert Kilometer Weg. Aber das verängstigte ihn nicht, es bestärkte ihn
nur. Solange es noch Weg zu bestreiten gab, bestand die Hoffnung, dass er den
Todessern entgehen konnte. Gegen sie kämpfen wollte er nicht.
Und wenn er heute ging, brachte er noch mehr Distanz zwischen sich und
die Verfolger. Er kannte das faule Pack. Sie würden Angst haben, sich die
Uniform zu beschmutzen. Und für einen Abtrünnigen alleine würde kein Todesser
den beschwerlichen Weg zu den Shetlands auf sich
nehmen. Am besten brach er auf.
Sie war noch nicht zurück, als er das Haus wieder betrat, um seine Sachen
zu packen. Es machte keinen Sinn, länger zu warten. Er wollte außerdem genügend
Distanz zwischen sich und ihre Verbündete bringen. Nur für den Fall. In der
Speisekammer, in der sein Fleisch hing, machte er sich widerwillig die Mühe,
ihr ein Stück abzuschneiden, bevor er den Rest magisch konservierte und
ebenfalls verstaute. Er hatte sich lange genug an ihre Anwesenheit gewöhnt.
Dann kam sie zurück. Der Hund schüttelte sich das nasse Fell, und sie zog
den Umhang aus. Er sah sie nicht an, während er weiterpackte. Aber er spürte
sie hinter sich.
„Der Schnee liegt hoch“, war alles, was sie sagte. „Keine gute Zeit für
einen Abstieg“, ergänzte sie nachdenklich.
„Muss nicht deine Sorge sein“, entgegnete er, ohne sich umzudrehen. Sie
schwieg daraufhin. Dann verließ sie die Stube und ging ins Schlafzimmer. Er
vergewisserte sich, dass er alles gepackt hatte, dann verschloss er den
Rucksack. Der Hund saß aufrecht vor der Hüttentür, hechelte leise, wohl noch
außer Atem von dem kleinen Spaziergang, und Draco schulterte den Rucksack.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie wiederkam. „Hier“, sagte sie, und er
konnte ihre Stimme nicht deuten. Er wandte den Blick. Sie hielt ihm seinen
Pullover entgegen, den er gestern getragen hatte. Er hatte ihn nach dem Sex
nicht mehr angezogen, ging ihm auf. Er setzte den Rucksack mit einem langen
Atemzug wieder ab, um ihn erneut zu öffnen.
Sie kam einen Schritt näher und er griff nach dem Pullover.
„Ich habe dir Fleisch da gelassen“, informierte er sie, ohne jeden
Kontext, aber sie antwortete darauf nicht. Erneut schulterte er den Rucksack
und wandte sich zur Tür, die der dämliche Hund noch immer versperrte.
„Du hättest dich nicht verabschiedet.“ Er wusste nicht, ob sie das fragte
oder ob sie es feststellte. Er mied den Blick auf sie und fixierte den Hund, der
nicht gelangweilter vor der Tür sitzen könnte. Er wusste nicht mal, ob er
darauf antworten musste. Und nein. Wahrscheinlich hätte er sich nicht
verabschiedet, wäre sie nicht wiedergekommen. Aber er wollte nicht trotzig
sein. Er war zu alt dafür, deshalb sah er sie schließlich an. Ihre Wangen waren
noch gerötet vor Kälte. Ihre Augen anklagend und weit. Sie wirkte blass heute
Morgen.
„Du solltest etwas essen und einen neuen Schutzzauber legen, wenn ich weg
bin“, sagte er schließlich. Sie ging darauf nicht ein. Ihre Arme verschränkten
sich vor der Brust.
„Es ist dumm, am helllichten Tag alleine unter diesen Bedingungen
loszuziehen“, informierte sie ihn ungefragt. Er biss sich kurz auf die
Unterlippe und atmete ruhig ein.
„Es geht dich wenig an, oder? Heute Abend kannst du deinen Abstieg
machen, das nächste Dorf ist nicht weit, und mit Glück haben deine Verbündeten
gewartet. Dann ist dieser Albtraum hier für uns beide vorbei“, schloss er
freudlos. Sie ignorierte diese Worte.
„Wo willst du hin?“, fragte sie stattdessen.
„Besser, wir behalten unsere Pläne für uns, oder?“, entgegnete er
ausweichend. Jetzt verdrehte sie tatsächlich die Augen über ihn.
„Wenn du das machst wegen gestern-“, begann sie, aber er machte ein
spöttisches Geräusch.
„-das hat nichts mit gestern zu tun. Du gehst zu deinen Verbündeten, und
für mich wird es höchste Zeit, zu verschwinden“, unterbrach er sie gereizt.
„Du willst also nicht mitkommen?“, vergewisserte sie sich, und er wusste
nicht, worauf sie hinauswollte.
„Willst du das?“, stellte er keine ernstgemeinte Frage. Denn natürlich
wollte sie das nicht. Und er wollte es ebenso wenig. Es brachte mehr Probleme,
als dass es sie löste. Und sie sah ihn unwillig an, gab ihm keine Antwort auf
diese sinnlose Frage.
„Dann geh“, sagte sie schlicht, aber der sanfte Zorn zeichnete ihre
Worte.
„Bin dabei“, entgegnete er gereizt. „Ab!“, wandte er sich streng an den
Hund, der sich nicht rührte. Noch immer saß er aufrecht, beobachtete ihn, und
als Draco näher kam, knurrte der Hund tief, so dass Draco innehielt. „Könntest
du dein Mistvieh wegschaffen, Granger?“, verlangte er
zornig von ihr, und eilig ergriff sie das Halsband des Tieres.
„Er ist kein Mistvieh!“, korrigierte sie ihn
auch noch, zog aber recht erfolglos am Band. „Komm!“, sagte sie dann gepresst,
aber der Hund rührte sich nicht. „Was soll das?“, rief sie beinahe wütend,
zerrte heftiger am Halsband, aber der Hund knurrte erneut. Draco zog den
Zauberstab.
„Darf ich ihn jetzt töten?“, fragte er bitter und sie schoss ihm einen
zornigen Blick zu.
„Witzig“, spuckte sie zurück. Dann ging sie ans Fenster. „Er war im Wald
schon komisch. Vielleicht wittert er etwas“, mutmaßte sie, während ihr Ärger
der Sorge wich.
„Und was soll das sein? Eine Horde Kaninchen? Ich habe keine Zeit dafür“,
blaffte er unwillig. Sie kam zurück.
„Er will scheinbar nicht, dass du gehst!“, informierte sie ihn.
„Tierische Instinkte sind-“
„-ich scheiße auf tierische Instinkte, Granger!“, unterbrach er sie. „Wie
du gestern so treffend formuliert hast, ist das hier vorbei. Und ich möchte
gehen“, ergänzte er scharf.
„Du bist ein Arschloch!“, sagte sie jetzt wütend, und sein Zorn war
wieder da. Höchste Zeit, dass er ging.
„Perfekte letzte Worte, du dummes Miststück!“, entgegnete er hasserfüllt,
und bevor sie etwas erwidern könnte, bellte der Hund kurz auf. Er tänzelte vor
der Tür, und Granger ging zurück ans Fenster. Ihr Blick verlor jeden Ausdruck.
„Scheiße“, entkam es ihr. Sofort stand er neben ihr, blickte in die weiße
Landschaft, und direkt hinter ihrer Desillusionierung standen zwei schwarze
Gestalten gestochen scharf im Schnee.
„Fuck“, entfuhr es ihm ebenfalls. Der Hund lief an ihnen vorbei ins
Schlafzimmer.
„Sie werden hier herkommen“, flüsterte Granger und wich vom Fenster
zurück, auch wenn sie sie nicht sehen konnten. Draco nahm das auch an.
„Wie kommen sie überhaupt durch die Desillusionierung?“, wollte Draco
aufgelöst wissen, aber Granger erinnerte ihn an die Schwachstelle.
„Das Wetter muss den Zauber blockiert haben“, vermutete sie hastig,
während sie die Sachen in der Stube zusammensuchte, um sie ebenfalls in das
schmale Schlafzimmer zu bringen. Es gab keinen Hinterausgang. Die einzige
Chance war, dass sie sie überraschten. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs
löschte Draco das Feuer im Kamin, aber er nahm an, die beiden Todesser draußen
hatten die Rauchschwaden aus dem Kamin bereits bemerkt. Der Streit war
vergessen. Jetzt kam es darauf an, keinen Fehler zu machen.
„Sie sind eine Vorhut?“, wollte sie von ihm wissen, während sie hastig in
das Schlafzimmer gingen, und er die Tür verriegelte. Auch hier löschte er den
Ofen und warf seinen Rucksack achtlos auf das ungemachte Bett. Ihr Geruch stieg
in seine Nase. Er hatte sich daran gewöhnt, in einem Bett zu schlafen, das nach
ihr roch.
„Ich nehme es an. Aber ich weiß es nicht“, antwortete er automatisch.
„Wir werden sie ausschalten. Und dann hauen wir ab“, fuhr er dumpf fort. Es war
dunkel hier drin, denn das Schlafzimmer besaß kein Fenster. Nur durch die
Ritzen der Tür fiel das Tageslicht der Stube. Er konnte ihre Umrisse erkennen.
„Komm hinter mich“, befahl er tonlos. „Ich kümmere mich um den ersten, dann
können wir beide den zweiten schocken.“
„Ich sollte vorne stehen“, beschwerte sie sich tatsächlich, und er schoss
ihr einen ungläubigen Blick zu, den sie natürlich nicht erkennen konnte, in der
Dunkelheit. Dann griff er blind nach ihrem Arm, zog sie näher und presste sie gegen
das Holz der Zwischenwand.
„Wir diskutieren darüber nicht“, knurrte er, nahe vor ihrem Gesicht. „Wer
weiß, was sie tun werden, und du wirst nicht für mich sterben, Granger“,
schloss er zornig.
„Aber du für mich?“, blaffte sie ungläubig zurück, und er verdrehte die
Augen, was sie auch nicht sehen konnte.
„Keiner wird sterben“, informierte er sie gepresst.
„Malfoy-!“
„-du kannst mich später anschreien, ok?“, unterbrach er sie, und dann
öffnete sich die Tür der Hütte. Und Merlin sei Dank, wich sie endlich hinter
ihn zurück. Seine Augen fokussierten in der Dunkelheit, blickten konzentriert
nach vorne, und dumpf vernahm er Stimmen.
„Sieh im Zimmer nach, Zabini“, hörte er eine unbekannte Frauenstimme
durch die Wand, und er hielt die Luft an. Blaise. Blaise war hier. Er hatte ihn
Monate nicht gesehen, aber er hatte auch nicht angenommen, dass er Voldemorts Ränge verlassen hatte. Sein Herzschlag ging
schneller. Und dann spürte er Grangers schmale Hand
auf seinem Rücken. War es Bestärkung? Nicht, dass er sie brauchte. Draco wäre
bereit, seine eigene Mutter zu verfluchen. Er würde keinen Halt vor seinen
ehemaligen Freunden machen.
Blaise rüttelte an der Tür. „Sie ist verschlossen“, sagte Blaise, und
Draco erkannte seine Stimme deutlich. Er klang, wie Draco ihn in Erinnerung
hatte. Er schien keine Antwort abzuwarten, entriegelte die Tür mit dem
Zauberstab, und sie sprang nach innen auf. Mit dem Zauberstab zuerst machte
Blaise einen Schritt ins Zimmer, und kaum erkannte Draco seinen Kopf, zielte er
und schoss den Stupor stumm.
Mit einem überraschten Geräusch sackte Blaise zusammen.
„Blaise!“, hörte er das Mädchen rufen. „Scheiße“, sagte sie dann und
macht wohl Anstalten, die Hütte zu verlassen, aber Granger sprang hinter ihm
hervor, und er wischte das Mädchen mit dem Petrificus an der Hüttentür.
Draco hörte, wie auch sie auf den Boden schlug.
Granger stand in der offenen Tür, vom Tageslicht angestrahlt, und sie bot
einen eindrucksvollen Anblick. Furchtlos und gebieterisch. Sie trat über
Blaises Körper hinweg. Draco folgte ihr.
„Ratten“, murmelte Granger und trat dem steifen Mädchen auf dem Boden
hart in die Rippen. Draco wusste nicht, wer sich unter der Maske verbarg, aber
Granger bückte sich und zog sie grob vom Kopf der Frau. Draco kannte sie nicht.
Panisch blickten die steifen Augen an die Decke. Die Haare der Frau waren kurz
und dunkel, die Augen ebenfalls braun. Es war egal, dass die Frau sie nun
erkennen konnte. Wahrscheinlich wussten die Todesser nun ohnehin Bescheid, dass
sie zu zweit unterwegs waren. Draco bückte sich nach Blaise. Sein Körper war
schwer, aber er zog ihn ebenfalls ins Licht, um die Maske abzunehmen. Fast
zuckte er zurück. Blaises Augen waren geschlossen, aber sein rechtes Auge
fehlte, das Lid war mit feinen Stichen zugenäht.
Über seine Nase zog sich eine hässliche Narbe, und das Gesicht des einst
so schönen Jungen war nicht mehr zu erkennen.
Der Hund kam aus dem Schlafzimmer zurück, beschnüffelte erst Blaise, dann
das Mädchen, um sich schließlich vor den erloschenen Kamin zu setzen.
„Alles ok?“, vergewisserte sich Granger etwas atemlos bei ihm.
„Bestens“, erwiderte er tonlos. Noch immer betrachtete er seinen
ehemaligen besten Freund. Die dunklen Haare hingen ihm wild in die Stirn, und
er wirkte zwanzig Jahre älter. Dann fiel er aus der Trance. „Die Uniformen
sollten passen“, sagte er schließlich. Er hob den Blick, um ihren ungläubigen
Ausdruck zu erkennen.
„Was?“
„Wenn wir hier umzingelt sind, dann fallen wir weniger auf, wenn wir die
Uniformen tragen“, erläuterte er, und sein klopfender
Herzschlag beruhigte sich langsam. Ihr angewiderter Blick sagte ihm deutlich,
was sie von diesen Plänen hielt. Aber sie sagte es nicht, sondern bückte sich,
um den dunklen Overall des Mädchens an der Seite zu öffnen und ihre Stiefel
auszuziehen.
Draco bückte sich zu Blaise hinab. Er öffnete ebenfalls den
Reißverschluss, schälte Blaises schlaffe Arme aus den engen Ärmeln, und nahm
an, er müsste Ärmel und Hosenbeine umkrempeln. Blaise war größer als er es war.
Unnatürlich groß. Und das für einen Südländer. Dracos Gedankengänge waren
zusammenhanglos.
Dann stöhnte Blaise auf, und Draco reagierte instinktiv. Seine Faust
holte aus und mental entschuldigte er sich bei dem Mann unter ihm, als er sie
präzise zwischen seine Augen niederkrachen ließ. Seufzend verlor Blaise das
Bewusstsein wieder, und mechanisch zerrte Draco seine Beine aus dem Overall.
Granger vergewisserte sich, dass die beiden alleine gekommen waren, aber
es war niemand anderes in den weißen Weiten auszumachen. In der Stube zog
Granger ihre Sachen aus. Draco tat es ihr gleich. Sie fing seinen Blick auf,
den er zu spät abwandte. Vielleicht hatten seine Augen ein letztes Mal ihren
Körper sehen wollen? Er wusste es nicht. Grangers
Overall war etwas zu groß, denn das Mädchen war breiter als Granger es war.
Dracos war tatsächlich zu lang, aber er glaubte kaum, dass es irgendwem
auffallen würde. Sie würden sich auch davor hüten, zu nahe an andere Todesser
zu geraten. Sie konnten die Uniformen magisch nicht kürzen, denn die
Wärmezauber würden sonst zerstört.
Angewidert hob sie die Maske vom Boden. „Ekelhaft“, murmelte sie.
„Das ist die einzige Chance für den Moment.“ Er hatte sich schnell wieder
an den magisch beheizten, anschmiegsamen Stoff der Uniform gewöhnt, während er
seinen Rucksack holte, und seine übrigen Sachen verstaute. Sie war, wie er sie
in Erinnerung hatte. Er griff Blaise an Arm und Bein, zog ins Schlafzimmer, um
ihn hochzuwuchten und auf die alte Matratze zu werfen, die quietschend nachgab.
Dann packte er das Mädchen, die wesentlich leichter war, um sie dazuzulegen.
Er verriegelte die Tür mit einem stärkeren Spruch, um dann die
vergessenen Zauberstäbe der Todesser einzupacken. Auch Granger hatte in
Rekordgeschwindigkeit ihre Sachen gepackt. „Sie hat dich gesehen, nicht wahr?“,
wollte Draco dann wissen.
„Wahrscheinlich“, war alles, was Granger erwiderte. „Aber was soll’s?“,
ergänzte sie nach einer kleinen Weile. Er nickte nur, wusste nicht, warum er es
überhaupt angesprochen hatte. Es war dumm, dass sie die Todesser nicht töten
konnten, ganz abgesehen davon, dass es sich um Blaise handelte, und er nicht
einmal wusste, ob er Blaise tatsächlich würde töten können. Aber auf dem Mal
lag ein Fluch, der losging und Alarm schlug, sobald ein Todesser gefallen war.
So hatte Draco auch vom Tod seines Vaters erfahren. Grimmig schulterte er den
Rucksack neu.
„Und?“, wandte er sich an den Hund, der ebenfalls in Aufbruchsstimmung
verfallen war. „Können wir jetzt gehen?“ Der Hund beschnupperte noch einmal den
Dielenboden, auf dem die Todesser gelegen hatten, ehe er den Blick zur Tür
richtete. Er schien nichts zu wittern, und wieder befiel Draco das eigenartige
Gefühl, dass es kein gewöhnlicher Hund war. Nur hatte er jetzt keine Zeit,
darüber nachzudenken.
Granger band dem Hund die Leine um, und sie schlüpften ins helle Weiß.
Sie waren knapp entkommen, und jetzt gerade stellte sich nicht die Frage, ob
sich ihre Wege trennen würden. Jetzt gerade schienen sie beide froh zu sein,
den anderen zu haben.
tbc…