Chapters

One , Two , Three , Four , Five , Six , Seven , Eight , Nine ,

Ten , Eleven , Twelve , Thirteen , Fourteen , Fifteen , Sixteen ,

Seventeen , Eighteen , Nineteen , Twenty , Twenty-One ,

Twenty-Two , Twenty-Three , Twenty-Four , Twenty-Five ,

Twenty-Six , Twenty-Seven , Twenty-Eight , Twenty-Nine ,

Thirty , Thirty-One , Thirty-Two , Thirty-Three , Thirty-Four ,

Thirty-Five , Thirty-Six , Thirty-Seven , Thirty-Eight ,

Thirty-Nine , Fourty , Fourty-One , Fourty-Two , Fourty-Three ,

Fourty-Four , Fourty-Five , Fourty-Six

 

~*~

“To be born in a duck's nest, in a farmyard,

is of no consequence to a bird,

if it is hatched from a swan's egg.”

The Ugly Duckling

~*~

 

One

 

Die Luft war warm, fast windstill, liebkoste seine Haut, und er fühlte sich so lebendig. Es war kurz davor, ein sehr heißer Tag zu werden. Der Himmel strahlte wolkenlos, während sich das Wasser in warmen Wellen an seinen Füßen brach. Es war ein vollkommenes Gefühl, was ihn erfüllte. Er wandte den Kopf zurück zum Strand, musste die goldenen Strähnen aus den Augen wischen, und zum ersten Mal seit einer Weile fühlte er sich frei. Unbeschwert; spürte das Leben in den Fingerspitzen. Der Strand erstreckte sich hinter ihm bis zu den dicht bewachsenen Dünen, und ein Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. Eine Klarheit erfüllte ihn, mit einer paranoiden Geschwindigkeit, so unverkennbar eindeutig, dass er glaubte, keinen Fehler begehen zu können. Nicht heute. Als hätte er einen Schluck Felix Felicis getrunken; das Glück ganz auf seiner Seite. 

Die Möwen riefen über ihm, schienen immer rastlos auf der Suche zu sein, süchtig nach den warmen Böen der scharfen Meeresbrise, und sie segelten scheinbar ohne Mühe, schwerelos dem Horizont entgegen. Heute fühlte er sich eins mit ihnen. Neben ihm rannten sie lachend in die Fluten. Seine Freunde. Die Menschen, mit denen er am liebsten seine Zeit verbachte. Al und James, Fred und Louis, die Mädchen… und Rose.

Es war der erste Tag, an dem sie ihm aufgefallen war. Wirklich aufgefallen, mit dem Verständnis, dass sein Blick mit einer unheimlichen Selbstverständlichkeit an ihrer Gestalt hängenblieb. Seine Augen fanden sie mühelos, seine Wahrnehmung gravitierte immer wieder zu ihr zurück, als wäre sie der Mittelpunkt aller Dinge.

Als wäre sie die Sonne, der er sich nicht verwehren konnte, denn auch wenn er nicht hinsah, traf ihn ihre strahlende Schönheit selbst aus den Augenwinkeln.

Der goldgelbe Bikini schimmerte praktisch auf ihrem Körper, betonte die Farbe ihrer sonnengeküssten Haut, und wie ein Schleier lagen die vielen Sommersprossen auf ihrem Körper, wie ihre eigene Zeichnung. Er könnte sie niemals zählen, und doch… verlor sich sein Blick ständig in diesem Anblick.

Die Linien ihres Gesichts, so vertraut und doch gänzlich unbekannt. Grübchen, die ihm nie aufgefallen waren, formten sich tief auf ihren Wangen, wann immer sie lachte, wurden umrahmt von welligen, unbändigen Locken, die aus ihrem hohen Zopf rutschten. Ihre Haare besaßen diese satte, rote Farbe, gingen fast ins helle Braun. Hatten nicht das orangene Blond, was so verbreitet war. Selbst unter der Sonne verlor es nicht an Tiefe, und ihr Anblick glich der einer sphärischen Schönheit, die er kaum fassen konnte, die er nie bemerkt hatte. In all den Jahren nicht. Ihre Augen, so blau wie der Ozean, strahlten, tanzten regelrecht vor Freude.

Nicht in seine Richtung. Nie in seine Richtung.

Al rief seinen Namen, animierte ihn, sich zu bewegen, und endlich erwachten seine Beine zum Leben. Das Wasser kroch höher, mit jedem weiteren Schritt. Und er wusste nicht, welcher Leichtsinn ihn trieb, aber er schloss zu ihr auf, kämpfte gegen das Gewicht des Wassers, als wäre es eine Hürde, die er überwinden musste, und erreichte sie, wie einen schwer zu gewinnenden Preis, als das Wasser ihm weit über die Hüften reichte.

Automatisch hoben sich seine Hände aus dem kühlen Nass, denn er konnte wirklich nicht anders, und ihr Blick traf ihn zum ersten Mal. Schwere Schläge tat sein Herz, und es war, als sähe die Welt ihnen zu, als hielte selbst das Meer den Atem an. Als vergäßen sie hier in den Fluten, wer sie waren. Hier, am Rand seiner Welt. Kaum berührten seine Finger ihre bloßen Hüften, schossen Impulse, wie Blitze, durch seine Nerven. Hart griff er in ihre Haut, denn das warme Gefühl unter seinen Fingern war belebend. Seine Muskeln reagierten, gehorchten seinem Wunsch, spannten sich an, und mit wenig Anstrengung hob er ihre schmale Figur aus dem Wasser. Vielleicht eine halbe Sekunde hielt er ihr Gewicht, spürte ihren entwaffnenden Blick auf sich, bevor seine Nerven reagierten und er sie in die Fluten warf.

Ihr Protestschrei ging im Wasser unter, und James brüllte vor Lachen. Ein harmloser Spaß, ein unschuldiges Spiel.

Als sie auftauchte, er hatte fast sehnsüchtig gewartet, war sie kurz desorientiert, atmete mit geöffnetem Mund, und ihre feuchten Lippen glänzten verführerisch, aber ihr verblüfft zorniger Blick fand ihn schnell, war noch betörender, und schickte eine direkte Erregung durch seinen Körper, denn selten registrierte er ihre Aufmerksamkeit überhaupt, selten bekam er überhaupt ihren ungeteilten Fokus, und noch nie hatte er sich so gefühlt! Sie richtete sich auf, und sein Blick hatte kaum Zeit, über ihren glänzenden Körper zu wandern, die Erhebung ihrer Brustwarzen unter dem gelben Stoff vielleicht überhaupt zu erahnen, denn mit wilder Entschlossenheit setzte sie zum Angriff an. Es war spontan, gänzlich instinktiv und unüberlegt. Mühelos hätte er standhalten können, aber ihm war nicht danach. Absolut nicht. Die Wucht wurde durch den Widerstand des Wasser gedämpft, aber er spürte jeden Millimeter ihrer nassen Haut, die sich gegen seine presste, und eine Gänsehaut auslöste, die nichts mit Kälte zu tun hatte, und er spürte den Stoff ihres Bikinis, die Weichheit ihrer vollen Brüste darunter, und ließ sich von ihr umwerfen, denn seine Knie gaben nach, unter all diesen Gefühlen.

Sie verloren den Halt, die Welt kippte, und das wilde Wasser schlug über ihnen ein, verschlang sie, und absolute Stille umhüllte sie. Die Zeit blieb stehen, so kam es ihm vor, und blind bewegten sich seine Hände, fanden ihre Haut, griffen hart in ihr Fleisch und pressten sie kurz an sich, denn er konnte nicht anders, und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, auch wenn es nur wenige Sekunden dauerte.

Sie schwebte über ihm, an seinen Körper gepresst, und sehr kurz waren sie eins. Er spürte ihre Haare, schwerelos und lang kitzelten sie sein Gesicht, und dann war es vorbei.

 

Sie tauchten wieder auf, und für eine panische Sekunde fürchtete er, all diese erdbebenartigen Gefühle müssten ihm zweifellos anzusehen sein. Dieses nackte Gefühl der Überraschung, der grenzenlosen Lust, aber niemand merkte etwas.

Sein bester Freund tauchte neben ihm auf, ein Grinsen im Gesicht, hob übermütig die Hände, döppte ihn, und er verschwand wieder im Wasser.

Scorpius revanchierte sich, nachdem er wieder auftauchte, und dieser eigenartige, verbotene, unfassbare Moment der absoluten Perfektion war an jedem von ihnen vorbeigegangen. Er schmeckte das Salz auf seinen Lippen und fühlte sich wie niemals zuvor.

 

 

Der Wind war so warm, so luftig und angenehm, zog an ihren halb getrockneten Haaren, bewegte ihr dünnes Kleid, als spiele er mit dem Stoff. Die anderen waren so weit vorne, umwanderten die Priele, sprangen barfuß ins Wasser, und sie konnte nicht mehr sagen, warum sie zurückgeblieben waren, warum sie länger brauchten als die anderen. War es mit Absicht? Gab es einen tieferen Grund, weshalb sie trödelten? Sie war sich nicht völlig sicher. Sie wusste nur, irgendetwas in ihrem Magen funktionierte nicht mehr richtig. Nicht, seitdem er sie aus dem Wasser gehoben hatte. Immer wieder wischte er sich die blonden Strähnen aus der Stirn. Seine Wimpern waren lang, berührten beinahe seine Wangen, wann immer er den Blick nach unten richtete, um nicht über einen der Steine zu stolpern. Ihre Füße hinterließen Spuren im feuchten Sand, und fast konnte sie seine Berührungen noch immer spüren. Es war, als hielten sie sie wie ein Magnet auch jetzt noch in seiner Nähe.

Sie wagte kaum, in sein Gesicht zu sehen, wenn er den Blick hob, als vergewissere er sich jede Minute, dass sie noch hinter ihm war. Sie sprachen nicht, und noch immer durchnässte ihr feuchter Bikini ihr dünnes Kleid, zeichnete sich schwach unter dem Stoff ab, und ihre Gedanken gingen unsortiert und eigenartig. Zwischen ihren Beinen hatte sich ein seltsames Gefühl angestaut, etwas, was ihr Angst machte. Etwas, was sie nicht einzuordnen wagte.

Sie erreichten eine Felsformation, die sich natürlich gebildet hatte, vom Wasser geformt und geglättet worden war, vielleicht mannshoch und wohl nur bei Ebbe zu durchwandern. Es waren fünf Felsen, und sie standen dicht beieinander, gerade so weit voneinander entfernt, dass man mühelos hindurchpasste.

Er wich von seinem Weg durch das seichte Wasserbett ab, bog zu den Felsen, und wieder streifte sie sein Blick. Sie wusste nicht, ob es eine Aufforderung war, aber ihre Beine hatten einen eigenen Willen, folgten ihm tatsächlich zu den Felsen, und sie wusste nicht, warum. Aber ihr Herz schlug unwillkürlich schneller in ihrer Brust, als sie die einsamen Felsen erreichte, ihm folgte, in den schmalen Zwischenraum, durch den der Wind sauste. Sie streckte die Hände aus, um die Wärme der Steine zu spüren, und es war ein schönes Gefühl, stimulierend. Sie war dich hinter ihm, und bevor sie auf der anderen Seite den schmalen Gang wieder verließen, hielt er plötzlich inne.

Ihr Herz jagte mittlerweile, ihr Körper summte vor Energie und Spannung, und dann drehte er sich um. So nah. So nah, dass sie nicht anders konnte, als den Blick seiner Augen zu erwidern. Atemlosigkeit erfasste sie, als alleine sein Blick irgendetwas Gefährliches in ihr auslöste, was ihren Bauch Saltos schlagen ließ. So nah, dass sie registrierte, wie sich seine dunklen Brustwarzen durch sein nasses Shirt abzeichneten. So nah, dass ihr schlecht wurde, als er einen Schritt auf sie zu machte, während sie stocksteif ihre Hände zu je beiden Seiten gegen die heißen Felsen presste, weil sie Angst hatte, sonst umzufallen.

Er war groß, und ihr Atem ging so schnell, als wäre sie gerannt. Langsam legte sich ihr Kopf in den Nacken, und Hitze stieg in ihre Wangen. Ihre Lippen teilten sich automatisch. Sie versuchte, ihr Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen, denn diese Nähe zu ihm stieg ihr zu Kopf.

Er kam näher, noch einige Zentimeter, und es war, als wären sie wieder im Wasser. Es war kaum zu ertragen, dieses Gefühl.

Seine Lippen, voll und geschwungen, waren ihr noch nie aufgefallen – nichts an ihm war ihr je wirklich aufgefallen, doch heute reagierte sie auf seine Nähe, als wären sie beide statisch aufgeladen. Seine grauen Augen besaßen einen silbernen Glanz, der absolut hypnotisch war, und als er die letzte Grenze überschritt, als er sie berührte, ohne zu begreifen, denn sie erkannte die Verwirrung in seinen Augen, glaubte sie, schon fast zu hyperventilieren.

Sie hörte seine scharfen Atemzüge ebenfalls, denn er atmete mit offenem Mund. Unregelmäßig hob sich seine Brust unter dem feuchten Shirt, und es war das erste Mal, dass sie einen Jungen berühren wollte. Dass sie ihn berühren wollte!

So dringend! So unvorstellbar dringend!

Beinahe federleicht lagen seine langen, schlanken Finger auf ihrer Taille, und selbst durch den Stoff ihres Kleides, glaubte sie, zu verbrennen, wo er sie berührte.

Ihre Hände glitten von den Felswänden, legten sich voller Faszination über seine Brust, und sie spürte, wie er schluckte, wie er versuchte, sich zu sammeln, denn seine Augen schlossen sich kurz. Sie spürte seinen Brustkorb, die Muskeln darunter, und langsam wanderten ihre Hände höher, trafen seine Haut, glitten über seine Schlüsselbeine, bis sie seinen Nacken erreicht hatten, und es war unvermeidlich. Absolut unvermeidlich.

Es war das erste Mal, dass sie so empfand. Es war ihr erster Kuss. Und fast überkam sie das erschreckende Gefühl, dass es richtig war.

Genau das hier. Dass absolut nichts an diesem Moment voller sinnlicher Perfektion falsch sein konnte. Es gab keinen moralischen Anker, der ihre blinde Arroganz aus diesen hohen Wolken der leichten Sorglosigkeit hätte ziehen können. Es gab gar nichts. Nur sie und ihn.

Er senkte den Kopf, verlor jeden Anstand, jede Beherrschung, und sie schloss die Augen. Seine Lippen pressten sich warm und samtig gegen ihre, und hart atmete sie durch die Nase ein, als es in ihrer Mitte zog, ein scharfes Gefühl zwischen ihre Beine schickte, und ihr Puls hämmerte in ihren Ohren.

Nur am Rande merkte sie, wie er sich mit ihr bewegte, sie rückwärts gegen die warme, harte Felswand schob, und verlangend griffen ihre Finger härter in seinen Nacken, als sein Gewicht gegen ihren Körper krachte und kurz die Luft aus ihren Lungen presste. Seine Nähe zu spüren, benebelte sie, und sie vergaß, sich zu schämen, weil sie keine Ahnung hatte, was sie tat.

Sie verlor jedes Zeitgefühl, und das Gefühl war so unecht und so unglaublich, dass ihr ganz leicht ums Herz wurde. Absolut perfekt.

Er schmeckte nach Salz und Seeluft, nach verbotenen Abenteuern und Lust, nach fernen Träumen, die sie nicht greifen konnte, und seine Finger krallten sich in den dünnen Stoff ihres Kleides, drückten ihren Körper enger an seinen, als sie ein Stöhnen nicht verhindern konnte. Ihre Lippen öffneten sich unbewusst, denn sie wollte mehr von ihm, wollten ihn einatmen, und seine warme Zunge drängte sich gegen ihre. Kurz erschrak sie, gefror, als sich ihre Zungen trafen, aber nur für eine Sekunde, denn es fühlte sich unglaublich richtig an. All ihre Nerven reagierten blind auf ihn, und es war kein langsamer Kuss, denn tief glitt seine Zunge in ihren Mund, gierig, bewegte sich gegen ihre, und sie ahmte seine Bewegung nach, verlor sich gänzlich in ihm. Er legte den Kopf schräger, öffnete seine Lippen weiter, und ihre Zunge fand einen quälend erregenden Rhythmus, und sie glaubte, sie würde sterben unter seinen Berührungen. Längst hatte er die Arme fest um sie geschlungen, hob sie praktisch vom Boden, und sie konnte sich nur an ihn klammern, ihn genau hier halten, denn sie wollte nicht, dass er sie jemals wieder losließ, egal, wie schamlos der Gedanke war. Etwas unfassbar Hartes presste sich gegen ihre Hüfte, und allein der Gedanke an seine Erektion, steigerte ihre Erregung ins Unermessliche, und instinktiv provozierend bewegte sie sich gegen seine Härte, und der Kuss wurde so verzehrend, dass ihre geschwollenen Lippen schmerzten. Sie war sich dem harten Stein in ihrem Rücken auch mehr als bewusst, aber es war eine zu süße Qual, als dass sie aufhören wollte. Oder konnte.

Noch niemals in ihrem Leben hatte sie so gefühlsgesteuert gehandelt, wie heute.

Noch nie hatte sie so eine Erregung verspürt, und noch nie war ihr der Rest der Welt so vollkommen egal gewesen.

 

***

 

Es war so unwirklich gewesen. Dieser Urlaub war wie eine befremdliche Szene aus einem Buch, was er nicht kannte, als hätte er wildfremde Menschen beobachtet. Menschen, die er niemals mit sich in Verbindungen bringen konnte. Es war eigenartig, wieder zurück zu sein. In Hogwarts, mit Aufgaben, Verpflichtungen, Stundenplänen. Er erlaubte sich, seinen Blick wandern zu lassen, durch die Halle, über die vielen Köpfe. Sie saß am Gryffindortisch, sprach und lachte, und er konnte nicht begreifen, was in ihn gefahren war.

Soweit hatte es keine Konsequenzen gegeben, und fast glaubte er mittlerweile, er hatte es bloß geträumt. Diesen seltsamen, surrealen Traum, Rose Weasley geküsst zu haben, so verzweifelt und willig, als hätte er sie gebraucht, wie die Luft zum Atmen.

Er wusste nicht, was in ihn gefahren war. War es ein Hitzestich gewesen? War ihm das Wetter zu Kopf gestiegen? Das Meer? Waren es Nebenwirkungen gewesen, die die Beerdigung seiner Mutter zwangsläufig mit sich gebracht hatte, wie eine eigenartige Verzweiflung? Aber es war nichts geschehen. Das war alles gewesen. Ein Kuss. Ein geheimer, unbeobachteter, unwichtiger Kuss. Er versuchte, zu ergründen, was er vor einigen Wochen gefühlt hatte, aber das Gefühl stellte sich nicht wieder ein. Es war unmöglich, es noch einmal zu empfinden. In der Sekunde, als er ihren Körper berührt hatte, hatte er geglaubt, verbrennen zu müssen. Er hatte geglaubt, so etwas noch niemals in seinem Leben gespürt zu haben. Absolute Perfektion. Es war so richtig gewesen, so wichtig, dass er das tat.

Aber es stimmte nicht. Er hatte dieses Gefühl nicht noch einmal bekommen. Und natürlich stimmte es nicht!

 

„Muss ja verdammt spannend sein, was du siehst“, raunte Al in sein Ohr, und Scorpius‘ unverhohlener Blick gefror. Es war sein Glück, dass Dominique und Rose nebeneinander saßen. Unmöglich für Al zu erkennen, wen er beobachtete. Denn eine Tatsache kam ganz erschwerend hinzu: Rose war nicht seine Freundin. Bei Merlin, nein! Er konnte sich an keinen einzigen Moment in seinen Jahren hier erinnern, wo er ihr jemals einen zweiten Blick geschenkt hatte. Oder einen ersten. Rote Haare waren nicht sein Fall. Er war mit Dominique zusammen. Seit vier Monaten. Und er war auch in diesem gemeinsamen Urlaub am Meer mit ihr zusammen gewesen. Er war nicht frei gewesen, zu tun, was auch immer er hatte tun wollen, an diesem verhängnisvollen Tag am Strand. Es war Wahnsinn gewesen! Es war eine ganze Reihe an furchtbaren Entscheidungen gewesen, denn an diesem Tag, hatte er Dominique sogar entjungfert. Er war panisch geworden, hatte die gute Zeit schwinden sehen, hatte befürchtet, dass Rose Weasley direkt zu seiner Freundin rannte – oder schlimmer noch, zu ihrem Vater!

Es war vielleicht schlechtes Timing gewesen, das gab er zu, und Dominique verdiente Besseres, aber er war beinahe nicht davon ausgegangen, dass er sich noch viel länger in der glücklichen Position befände, Dominique als seine Freundin zu bezeichnen. 

Er hatte geglaubt, es wäre vorbei, sobald Rose Weasley wieder zu Sinnen kam und Dominique haarklein erzählte, was geschehen war. Was er getan hatte.

Aber… das war nicht passiert. Gar nichts war passiert.

Nicht wirklich gar nichts, aber nichts weiter als dieser Kuss. Gut, es war ein Kuss, den er so noch nie erlebt hatte, aber weder er noch Rose hatten nach diesem Tag je wieder darüber gesprochen, und er und Dominique waren weiterhin ein glückliches Paar. Und er hatte nicht mehr an diesen Tag gedacht. Natürlich dachte er daran, aber er dachte nicht mit Erregung an dieses Ereignis zurück. Nur mit Übelkeit.

Ihn beschlich das schlechte Gewissen, wenn er darüber nachdachte, wie wunderbar Dominique war, dass sie für ihn da gewesen war, als seine Mutter gestorben war, dass sie den Urlaub die ganze Zeit an seiner Seite verbracht hatte, ihm ihre Liebe gestanden hatte, und ihr Vater ihn in der Familie willkommen geheißen hatte. Ihm wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn Rose Weasley auch nur eine Andeutung gemacht hätte.

Wenn es nur irgendjemand gesehen hätte….

Sein Atem beschleunigte sich. Sein Blick fiel auf seinen leeren Teller. Bill Weasley war ein fabelhafter Vater. Umgänglich, modern, absolut unvoreingenommen und er hatte sogar für ihn bezahlt, obwohl Gold kein Problem für Scorpius darstellte. Aber Bill Weasley hatte es seiner Tochter zuliebe getan. Und Mr. Weasley, Roses Vater, war das verdammte Gegenteil. Er hasste ihn. Wirklich. Offen, ohne Scheu. Scorpius glaubte, er war noch nie alleine mit Mr. Weasley gewesen – und das wollte er auch nicht. Alleine der Gedanke, dass Mr. Weasley ihn erwischt hätte, wie er und Rose…- Merlin, Scorpius wurde direkt schlecht.

 

„Alles ok?“ Al musterte ihn stirnrunzelnd von der Seite. Scorpius atmete tief ein, versuchte, Ruhe in seine Körpersprache zu bringen, und nickte schroff.

 

„Mhm“, machte er, nicht sonderlich überzeugend, und Al zog die Stirn in Falten.

 

„Ich mache Witze, Scor“, schien er sagen zu müssen. „Wir haben uns alle gewöhnt, dass du Dom heiraten wirst. Mach dir nicht ins Hemd“, schloss er achselzuckend, den Scherz auf den Lippen, und Scorpius hob den Blick zum Gesicht seines besten Freundes. Er hatte es Al schon im Urlaub sagen wollen. Er wusste nicht, warum. Als für ihn klar war, dass Rose es nicht tun würde, hatte er es selber fast gestanden. Fast war es unerträglich gewesen, es Al nicht zu erzählen. Es einfach… für sich zu behalten, dabei war er überhaupt nicht der Typ, der seine Geheimnisse alles und jedem erzählen wollte! Zwar verbarg er vor Al das Wenigste, aber er glaubte, diese eine Sache, wäre nicht so leicht über die Bühne gegangen. Er hätte keinen Schulterklopfer bekommen, Al hätte darüber nicht gelacht.

Denn Al mochte Rose. Scorpius wusste nicht, in welchem Ausmaß oder ob es wirklich irgendwie ernst war, aber Rose war schon immer etwas anderes für Al gewesen, als seine restlichen Cousinen. Er wusste auch nicht, ob Al diese Tatsache bewusst war, aber Scorpius merkte es alleine daran, wie Al Rose ansah. Alles Spöttische verschwand aus seinem Blick, wenn sie einen Raum betrat.

Und es war bedenklich und besorgniserregend – so viel konnte Scorpius sagen.

Aber er hatte Al nie darauf angesprochen, und er glaubte, das war eine dieser Sachen, die man lieber für sich behielt.

 

Und er dachte an den Tag am Strand, wie an eine Mahnung, weil er so haarscharf sämtlichen grauenhaften Konsequenzen entronnen war. Er hätte Al verloren – vielleicht. Und garantiert Dominique! Vielleicht hätte Bill Weasley ihn auch nach Hause geschickt. Wahrscheinlich hätte ihn Mr. Weasley vorher noch verprügelt, weil er seine Tochter angerührt hatte. Nein, er hatte es nicht wirklich verarbeitet, und es half nicht wirklich, nicht darüber zu sprechen.

Aber eigentlich war es unnötig. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Aber er wusste, das stimmte nicht. Dominique würde es anders sehen, davon ging er aus. Und er kannte es von sich auch nicht, alle Konsequenzen in den Wind zu schießen. Vor allem in Bezug auf Al. Er hatte in Hogwarts gelernt, dass sein Name einherging, mit Voldemorts Missetaten, mit dem Verständnis eines Todessers, denn das war es, was seine Familie gewesen war. Sie waren nahezu allesamt Todesser gewesen. Und so war er angesehen worden. Seit dem ersten Tag.

Und es war sein reines Glück gewesen, dass Albus Potter nach Slytherin gekommen war, dass er sich tatsächlich mit ihm angefreundet hatte, und dass es Scorpius im Alleingang gelungen war, den schlechten Ruf seiner Familie über die Jahre hinweg auszumerzen. Zumindest bei den Potters.

 

Aber der Heldenstatus von Harry Potter ließ alle bösen Zungen verstummen. Scorpius gehörte dazu. Zu den Weasley, zu den Potters. Er war immer mit dabei. Und er mochte es, dazuzugehören. Er mochte die Weasleys und die Potters, die riesige Familie. Und das absolut Dümmste, was er tun konnte, wäre, es zu vermasseln und all das zu verlieren. Obendrein seine wunderschöne Veela-Freundin! Sie war ein absoluter Traum, die hübscheste Gryffindor im gesamten Turm! 

Und immer wieder fragte er sich, was in ihn gefahren war! Wie er so dumm hatte sein können. Wieso er überhaupt auf Rose Weasley reagiert hatte. Was – in Merlins Namen – er an diesem verhängnisvollen Tag in ihr gesehen hatte, was er mit Händen und Lippen und seiner Zunge hatte ergründen müssen! Denn… er sah es nicht mehr. Der Zauber war vorbei. Sie erschien ihm so unscheinbar wie eh und je. Sein Blick hob sich wieder. Niemand hier in der Großen Halle würde jemals auf die Idee kommen, auch nur im Ansatz zu ahnen, dass irgendetwas zwischen ihnen war. Und das machte es für ihn so schwer, zu begreifen – denn… er wusste schon, dass es nichts gab. Es hatte nie etwas zwischen ihnen gegeben.

Absolut gar nichts. Sie hatten keine Gemeinsamkeiten. Den einzigen gemeinsamen Nenner, den sie hatten, war Al. Sie beide verbrachten viel Zeit in seiner Nähe, und Scorpius hatte sich längst daran gewöhnt, dass er sich nie mit Rose Weasley verstehen würde. Er hatte sich damit abgefunden, dass dieses seltsame Mädchen zum Gesamtpaket gehörte, dass sie den Nachnamen seiner Freundin trug. Und das war alles gewesen. Und niemals hatte sie ihm jemals zu verstehen gegeben, dass sie überhaupt irgendein Interesse in ihrem vorlauten, albernen Kopf hegte, von ihm geküsst zu werden.

Aber an diesem Tag – war gar nichts albern gewesen. Nichts! Es war ihm wie eine seltsame schicksalhafte Bestimmung vorgekommen. Wie die Aussicht auf etwas, das… irgendwo geschlummert hatte, tief und verborgen. Und es machte ihn verrückt. Es machte ihn wahnsinnig, dass er genau wusste, was er gefühlt hatte! Wann immer er sie ansah, bekam er es mit der Angst zu tun. Was er im Urlaub erlebt hatte, war eine andere Version von Rose Weasley gewesen.

Sie war nicht sein Typ. Ganz offenkundig war sie das nie gewesen! Also was genau war es an ihr, das seinen Leichtsinn und diese Rücksichtslosigkeit entfacht hatte?

Und sobald er das ergründet hatte, würde er wieder atmen können.

Denn soweit es ihn betraf, musste es ein Missverständnis gewesen sein. Ein hormonelles Missverständnis.

Sofern es so etwas gab.

 

 

Rumer schulterte ihren Besen neu, als sie runter zum Quidditchfeld gingen. Es war noch immer warm, aber nur, solange die Sonne schien. Dann sah ihre beste Freundin sie direkt an. Ihre Augen hellgrün, bestechend und wachsam. „Bist du sicher, dass er niemanden kennengelernt hat?“ Es war ein eigenartiges Verhör, eine unangenehme Frage, und es war ihr neu, dass Rumer so offen über ihre Verliebtheit sprach. Für gewöhnlich stritten sie sämtliche Verliebtheiten immer ab, aber scheinbar… nicht mehr? Sie taten viele Dinge nicht mehr.

 

„Hat er nicht“, wiederholte Rose angespannt, mit gesenkter Stimme, denn es wäre ihr lieb, wenn nicht jeder Schüler mitbekam, dass auch sie genauso dumm waren, wie all die anderen Mädchen und nur noch über Jungen sprechen konnten. Fast verrenkte sie sich den Nacken, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe war. Und wenn sie ehrlich war, gefiel ihr diese Verbindung nicht. „Wieso überhaupt James?“, versuchte sie munter einzuwerfen. Aber Rumer schien nicht in der Stimmung, Ausreden zu erfinden.

 

„Ich glaube, er ist der Richtige.“ Allein diese Aussage war so grundfalsch, dass Rose nur mit Mühe keine Grimasse zog.

 

„Für was?“, wollte sie lakonisch wissen, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass James für irgendetwas der Richtige war. Er war ein schlechter Sucher, ein mittelmäßiger Kapitän, ein trolliger Snape-Explodiert-Partner – und er war nicht lustig. Nicht, dass sie ihm das jemals sagen würde! Unter Folter würde sie es nicht sagen! Aber ihre Gedanken waren noch frei.

 

„Ich habe versucht, mir einzureden, dass ich ihn nicht mag, aber-“


„-dann versuch es weiter, ok? Wenn du willst, gebe ich dir fünf Galleonen, wenn du dir wen anderes suchst“, flehte sie jetzt praktisch und setzte ihre letzten Ersparnisse der Ferien aufs Spiel. Ihre Freundin wirkte ehrlich betroffen.

 

„Was meinst du damit?“, wollte sie stiller von ihr wissen. „Ich… dachte, du freust dich vielleicht?“ Rose konnte ihrer Logik nicht ganz folgen. „Ich meine, immerhin wäre ich seine Freundin, anstatt irgendeine dummen Kuh, die du den Rest deines Lebens ertragen müsstest. Bin ich… nicht gut genug für deinen Cousin?“

 

Oh Merlin. Was? Rose vermisste die Tage, als sie ihren Cousins aufgelauert hatten, um sie mit Doxymist abzuwerfen. Wo waren diese Tage bitteschön hin? Sie konnten noch nicht so weit entfernt sein, dass jetzt tatsächlich eine Grundsatzdiskussion über James Potter geführt wurde! Rose wollte das nicht. Sie wollte nicht so sein, wie Vic oder wie Dom. Sie wollte sein, wie sie selbst. Und Rumer sollte die Rumer sein, die vor den Ferien noch über eine ernsthafte Quidditchkarriere nachgedacht hatte. Rose wollte sich nicht mit dem Jetzt auseinandersetzen. Oder mit Rumers Gefühlen. Wirklich nicht.

 

„Erst mal: Den Rest meines Lebens?“, wiederholte sie mit milder Panik, aber Rumer begriff überhaupt nicht, worum es ging. Abgesehen davon, dass James es nie viel länger als vier Wochen mit einem Mädchen aushielt. „Ich will mich nicht den Rest meines Lebens darüber lustig machen müssen, dass du – ausgerechnet du, meine beste Freundin – dich für den größten Langeweiler aus Gryffindor entscheidest“, erklärte sie verzweifelt. „Wir waren eine Front, Rumer“, erinnerte sie sie bitter. „Und nein. Du bist nicht gut genug, du bist tausendmal besser als James!“, korrigierte sie das Missverständnis, dem Rumer wohl unterlag. James hatte nur Unsinn im Kopf, war ohne Tiefe, ohne Witz.

 

Und tatsächlich lächelte Rumer und sagte etwas Furchtbares. „Ich glaube, wir werden erwachsen, Rose.“ Was war das für eine Antwort? Nein?! Wurden sie nicht? Rumer wurde vielleicht wahnsinnig, so wie Rose es einschätzte. Nicht erwachsen, Merlin! „Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Rumer plötzlich bei ihr, und Rose verzog den Mund. Es ging einfach nur darum, dass sich Rumer jeden aussuchen durfte, nur vielleicht einfach gerade keinen Jungen aus ihrem engsten Familienkreis! Sie wollte einfach nicht, dass Rumer bald die Freundin von einem ihrer Cousins war. Sie wollte überhaupt nicht, dass Rumer die Freundin von irgendwem wurde! Wahrscheinlich hatte ihre Mum ihr einmal zu oft Ronja Räubertochter vorgelesen, denn Rose war weit entfernt von diesen Dingen!

Und keiner – absolut keiner – ihrer Cousins, behielt eine Freundin sonderlich lange, denn sie waren alle selber noch Kinder!

Und Rose sah die trauernden Gestalten der Mädchen nur zu oft in den Schatten lungern, während sie James hinterher schmachteten, obwohl er ihr Herz gebrochen hatte. Wie dumm sie waren! Rumer sollte so nicht enden!

Alles änderte sich so rasend schnell, dabei wollte sie einfach nur, dass alles blieb, wie es war! „Rose?“ Sie hatte zu lange geschwiegen, wurde ihr klar. Sie kaute auf ihrer Lippe, und scheinbar sah sich Rumer gehalten, weiterzusprechen. „Bist du…“ Sie dachte kurz über ihre Worte nach, und gespannt wartete Rose auf das Ende dieses Satzes. War sie sauer? Ja, war sie. War sie enttäuscht? Ja, das war sie auch! „Bist du… in keinen Jungen verliebt?“

 

Kurz atmete sie aus. „Nein, bin ich nicht“, entgegnete sie gereizt. Sie war noch normal im Kopf. Zumindest schwor sie sich, ab jetzt wieder vollkommen normal zu sein. Und sie wusste, ungefähr jetzt bot sich wohl die Gelegenheit an, Rumer von ihrem furchtbaren Stranderlebnis zu erzählen. Ungefähr jetzt war der geeignete Zeitpunkt für solche Geständnisse. Aber sie… - Rose Weasley - sollte einen Jungen am Strand geküsst haben, der nicht ihr Freund war, sondern der Freund ihrer Cousine? Ausgerechnet sie sollte den einen Jungen geküsst haben, den ihr Vater nicht ausstehen konnte? Nein. Wer sollte das glauben? Sie glaubte es ja selber kaum! Und sie war nicht mal verliebt in ihn. Bei Merlin nicht!

Und es half nicht, dass sie mittlerweile nicht mal mehr eine passende Beleidigung auf den Lippen hatte, wenn sie ihn sah. Es war nicht mehr wie früher. Ja, Scorpius verbrachte seine Zeit immer noch mit Alby, so wie sie auch. Aber jetzt konnte sie nicht mehr unbefangen dabei sein. Sie war nie unbefangen, hatte Scorpius noch nie viel abgewinnen können, aber jetzt… jetzt fehlten ihr sogar noch die schlagfertigen Worte.

Ihr wurde praktisch übel, so sehr bereute sie diesen Tag. Das war mit Abstand das Dümmste, was sie in den letzten Jahren getan hatte, und sie hatte lediglich Glück gehabt, dass es niemand mitbekommen hatte. Es war auch das allererste lebensverändernde Ereignis, das sie vor ihrer besten Freundin geheimhielt. Es gab eigentlich keine Geheimnisse zwischen ihnen, und vor allem hätte Rose nie für möglich gehalten, dass ausgerechnet ihr erster Kuss ein Geheimnis sein würde.

Rumers erster Kuss hatte eine ganze Nacht gefüllt, während sie kichernd Schokofrösche gegessen hatten, in Schlafsäcke eingemummelt gewesen waren, und bei Rumers Eltern im Garten gezeltet hatten. „Irgendwann bist du soweit“, sagte Rumer mit einem verständnisvollen Nicken, und Rose hätte jetzt gerade gerne eine Handvoll Doxymist griffbereit. Oh, sie war soweit! Nur scheinbar waren nicht die richtigen Jungen in der Nähe, wenn ihr Körper entschied, sich massive hormonelle Fehltritte zu leisten. Sie wusste, würde sie auch nur eine Sekunde über diesen Kuss nachdenken, würde sie genau jetzt so knallrot werden, dass sie ihren Haaren Konkurrenz machen könnte.

Und wäre es ein Wettbewerb – dann hätte Rose verdammt noch mal gewonnen. Denn Rumers Kuss hatte keine Minute gedauert, war in der Garderobe des Reinblüterclubs passiert, und dann auch noch mit Collin Barrie, dem unfähigen Treiber aus Slytherin. Gut, Scorpius war auch ein unfähiger Treiber aus Slytherin, aber Rose hatte das dumpfe Gefühl, ihr Kuss wäre interessanter als Rumers. Aber es war kein Wettbewerb. Ganz einfach.

Und jetzt durfte sie auf ihren zweiten Kuss warten und musste hoffen, dass dieser Junge kein seelenloser Mistkerl war, nicht mit ihrer Cousine ausging, und dass ihr Dad ihn nicht gerade auf den Tod verabscheute. Und davon konnte sie dann Rumer erzählen. Vielleicht. Denn jetzt gerade mochte sie ihre beste Freundin nicht.

 

Oh – und sie hatte überhaupt gar kein Interesse an einem zweiten Kuss! Denn es gab niemanden auf Hogwarts, der dieses Drama wert wäre! Sie war mit der Hälfte der Herzensbrecher verwandt, und die andere Hälfte interessierte sie nicht! Für gewöhnlich. Gut, es hatte sich auch noch keiner angeboten. Niemand schien es zu wagen, ihr zu nahe zu kommen. Selten war sie irgendwo allein, und ihre Cousins machten es anderen Jungen nicht gerade einfach. Sie seufzte lange.

 

„Rose?“ Erschrocken hob sich ihr Blick wieder. Sie war ganz in ihren Gedanken versunken gewesen. „Du verheimlichst mir was, oder?“ Ja, mehrere Dinge. Rumer fixierte sie sehr genau, und Rose öffnete unschlüssig den Mund. Es gab etwas, das sie Rumer erzählen wollte. Und es war mehr oder weniger unverfänglich, und es würde Rumer ablenken, von dem wahren Problem. Wieder sah sich Rose verschwörerisch um. Dann senkte sie die Stimme und lehnte sich näher zu ihrer besten Freundin.

 

„Dom hatte ihr erstes Mal“, flüsterte sie, als wäre es Salazars Fluch, den niemand hören durfte. Rumer blinzelte daraufhin, vollkommen aus der Bahn geworfen.

 

„Wann? Im Urlaub? Mit Scorpius?“, zischte sie praktisch, und Rose verdrehte die Augen.

 

„Nein, mit James“, spottete Rose mit halbem Lächeln, und Rumer verzog den Mund.

 

„Nicht witzig, Rose“, entgegnete sie, bevor sie wieder ernst wurde. Und sie kam direkt zu dem Punkt, der auch Rose stutzig gemacht hatte. „Und sie hat es dir erzählt?“ Fast klang es beleidigend, aber Rose hielt es für ebenso abwegig, wie Rumer. Denn sie verstand sich mit ihren Cousinen nicht sonderlich blendend. Sie konnte nicht viel mit ihnen anfangen, mit keiner von ihnen.

Aber sie wusste, das war keine Entschuldigung. Selbst wenn sie nichts mit Dom zu tun hatte, war es keine Entschuldigung.

 

„Ja, seltsam, nicht?“, bestätigte Rose nachdenklich, und Rumer schien sofort ihre Theorien zu haben.

 

„Weil sie dachte, Vic würde es nicht interessieren? Oder weil Lily es vielleicht ihren Eltern erzählt hätte?“, vermutete sie, und dann wäre dieses unvertraute Geheimnis kein Kompliment ihrer Cousine, sondern… reine Angabe? Aber egal, was es war – Rose hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte es Dom sogar erzählen wollen. Zweidutzendmal schon. Aber jetzt würde es mehr Schaden anrichten, als es nutzen würde. Und sie hatte Zeit gehabt, darüber nachzudenken.

Das erste Mal hatte sie es Dom direkt im Urlaub erzählen wollen, aber an dem Abend hatte ihre Cousine ihr mit rosaroten Scheuklappen von ihrer ersten gemeinsamen Nacht mit Scorpius Malfoy erzählt hatte, denn anscheinend ließ Scorpius gar nichts anbrennen, und hatte doch tatsächlich noch am selben Abend des schrecklichen Tages mit Dom geschlafen. Es war Doms erstes Mal gewesen, und Rose hatte wirklich etwas sagen wollen, hatte den Mund schon geöffnet, aber… sie hatte die richtigen Worte einfach nicht gefunden. Vor allem – was hätte es gebracht? Doms erstes Mal mit diesem Idioten wäre nicht rückgängig zu machen, und Rose hätte es nur schlimmer gemacht, indem Dom erfahren hätte, dass Rose diese Sache ohnehin zu lange vor ihr geheim gehalten hatte. Wieder mal gab es ein Zeitfenster für solche Geständnisse, und dieses hatte sie auch da einfach verpasst.

Und sie war albern gewesen, kindisch, fast. Denn fast hatte sie geglaubt, es hätte etwas bedeutet. Es hätte zumindest mehr bedeutet, als dass dieser Vollidiot noch am selben Abend zu Dom lief, um mit ihr zu schlafen. Rose wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber… er hatte ihr somit jede Handlungsmöglichkeit genommen. Sie hatte mit ihm reden wollen – bis Dom mit ihr gesprochen hatte.

Ab dann hatte sie nur noch blanke Wut empfunden. Denn ganz klar bedeutete es gar nichts! Ganz klar küsste Scorpius Malfoy Mädchen nur aus Sport. Und selbst wenn! Selbst wenn es ihm irgendwas bedeutet hätte, hätte sie sich natürlich niemals darauf eingelassen, aber… es würde sich anders anfühlen. Es würde sich nicht wie ein verdammtes Geheimnis anfühlen, das sie bis zu ihrem Tode hüten musste, nur weil sie sich falsch entschieden hatte!

 

Und… sie hätte einfach Nein sagen können. Einfach Nein….

Im Nachhinein kam es ihr viel simpler vor.

Und das war das Schlimme. Sie hatte nicht gekonnt. Sie hatte nicht Nein sagen können. So simpel diese Entscheidung im Nachhinein auch war. In diesem verhängnisvollen Moment hatte sie gar nichts tun können.

 

„Keine Ahnung“, antwortete sie Rumer achselzuckend. Und Rose wusste mit absoluter Sicherheit, dass Rumer sie verurteilen würde. Es war nichts Ehrenhaftes an dieser Geschichte. Es war einfach nur bitter und krank und unnötig. Scorpius war mit Dom zusammen. Nicht mit ihr. Es war nicht ok, dass er sie küsste, und es war nicht ok, dass Rose es zugelassen hatte.

Und das war es jetzt eben. Das war es, wo sie stand. Irgendwo alleine zwischen den Stühlen, und der einzige, mit dem sie darüber reden konnte, war ein dämliches Arschloch, das ihre Cousine schlecht behandelte. Und sie gleich mit.

Und würde Dom es rausfinden – sie würde einen Krieg anzetteln. Rose erinnerte sich noch gut an das zweite Jahr. Tara Goode hatte Doms Haarbürste verflucht, so dass sie ihre Haare ausriss, anstatt zu kämmen – und dieser kleine Scherz war bitter geendet. Dom war völlig ausgeflippt, hatte den gesamten Gemeinschaftsraum angestachelt, bis Tara Goode zum Halbjahr hin Hogwarts verlassen hatte. Und Scorpius war keine Haarbürste….

Zwar waren Doms Haare irgendwann nachgewachsen, aber… immer noch konnte Dom voller Hass diese Anekdote erzählen. Auch der erste Monat zwischen den beiden war sehr anstrengend gewesen, und niemand hatte angenommen, dass es zwischen Dom und Scorpius funktionieren würde, aber nachdem Dom Scorpius vier Wochen lang vorgeworfen hatte, sie zu betrügen, hatte sie sich beruhigt. Beunruhigend, dass ihre paranoide Cousine doch irgendwie richtig lag….

 

„Fehlen nur noch du und ich“, schloss Rumer ehrfürchtig, und Rose riss sich mit Gewalt aus ihren Gedanken. Ihre Stirn runzelte sich langsam, aber dann verstand sie. Rumer und sie waren noch Jungfrauen. Aber Rose hatte es wirklich nicht eilig. Wirklich nicht. Dieser Urlaub hatte ihr eine schreckliche Seite von sich gezeigt. Sie hatte sich praktisch vor sich selbst gefürchtet. Aber sie ging auf Rumers Worte ein, als sie das Zelt erreicht hatten.

 

„Lily gehört auch noch zum Club“, merkte sie an, aber Rumer machte tatsächlich eine wegwerfende Handbewegung und hatte die Augenbraue demonstrativ erhoben.

 

„Lily zählt nicht wirklich, oder?“, entgegnete sie achselzuckend. „Ihre Brüder würden doch jeden kastrieren, der ihr zu nahe kommt. James und Alby wissen eben, wie scheiße Jungen sind“, schloss sie, und Roses Mund öffnete sich überlegen, aber schnell hatte Rumer die Hand gehoben. „Bis jetzt!“, ergänzte sie hastig. „Bis jetzt, meine Liebe! Warte, bis ich mit James fertig bin. Ein neuer Mann wird er sein, glaub es mir!“, versprach sie zwinkernd, und James überhaupt als Mann zu bezeichnen, war fast schon zu viel.

Trotzdem musste Rose grinsen, obwohl ihr die Vorstellung missfiel, dass sich Rumer irgendwelche Mühe mit dem ältesten Potter gab. Er war es nicht wert. Auch Rumer grinste jetzt breit, und Rose fühlte sich wieder etwas leichter. Es war schön, mit Rumer Witze zu machen. Und dann leuchteten Rumers Augen. „Wir sollten Scorpius eine Karte zukommen lassen“, fuhr sie lächelnd fort. Rose runzelte die Stirn. „Er hat die Königin von Gryffindor gelandet. Die Schlange war lang gewesen…“

 

Der Vorhang des Zelts stob auf. „Welche Schlange war lang gewesen?“ Fred hatte interessiert den Kopf hinausgeschoben. Seine dunkle Haut schien im Urlaub noch ein wenig dunkler geworden zu sein. Der Schalk blitzte gefährlich in seinen frechen Augen, und Rumer war immerhin doch nicht völlig erwachsen, denn sie musste ihr Lachen verbergen, als sie antwortete.

 

„Scorpius‘ Schlange“, erwiderte sie, schenkte ihr einen mehrdeutigen Blick und wackelte mit den Augenbrauen. Und selbst Rose musste fast losprusten, auch wenn es absolut unpassend war. Fred schüttelte den Kopf über sie beide, denn Rumer weinte nun echte Tränen vor Lachen.

 

„Unmöglich“, murmelte er mit gespielter Enttäuschung, „absolut unmöglich“, wiederholte er, und James trat hinzu, gänzlich überfordert mit der Situation und tauschte einen ratlosen Blick mit Fred.

 

„Die Treiberinnen sind wahnsinnig geworden, Kapitän. Erbitte Exekutionsbefehl“, verlangte Fred mit monotoner Stimme, und James schien ernsthaft darüber nachzudenken.

 

„Lass uns noch ein Spiel abwarten, treuer Torhüter“, antwortete er über ihr Gekicher hinweg. „Wenn sie schlecht spielen, darfst du sie vernichten“, beschloss er gönnerhaft, und Rose hätte Rumer gerne aufgezeigt, wie verrückt sie tatsächlich war, wenn sie jemanden wie James mochte.

Und fast verging ihr das Lachen, als sie sehr kurz darüber nachdachte, dass sie Rumer ziemlich genau sagen konnte, wie lang Scorpius‘ Schlange tatsächlich war, denn… sie hatte es ziemlich deutlich gespürt.

 

Ja. Das Lachen verging ihr, so schnell wie es gekommen war.

 

 

 

Two

 

Sie sah ihren Bruder nicht allzu häufig, aber einmal die Woche konnte sie sich nicht vor ihm drücken. Er gab ihr nicht nur Nachhilfe in zahlreichen Fächern, sondern zwang sie auch, ein Lebenszeichen nach Hause zu schicken, was sie sonst regelmäßig vergessen würde. Sie trafen sich freitags in einem der offenen Arbeitsräume der Bibliothek, vor dem Abendessen. Zum einen weil es Rose zu peinlich war, im Gemeinschaftsraum der Gryffindors mit ihrem Bruder zu lernen, und zum anderen, weil Rose nie eine Antwort auf die Rätsel für den Ravenclawgemeinschaftsraum wusste. Und sie hatte keine Lust, wie ein Idiot vor verschlossenen Türen zu warten, bis sich ein Ravenclaw erbarmte und ihr öffnete, denn ihr Bruder tat es nicht.

 

„Möchtest du noch was ergänzen?“, fragte er knapp, die dunkle Augenbraue erhoben, und seufzend griff sie sich die schwarze Feder aus seiner Hand, die er ihr nur widerwillig überließ. Mum hatte sie ihm zum letzten Geburtstag geschenkt. Sie waren nach unfruchtbaren Lernversuchen zum leidigen Brief nach Hause angekommen. Sie schrieb lediglich ‚Liebe Grüße, Rose‘ unter die letzte Zeile des Briefes, den Hugo verfasst hatte, und sie wusste, ihre Mum würde sich wieder beschweren, dass sie nicht mehr zu sagen hatte. „Ist das dein Ernst?“, erkundigte er sich glatt, und sie verdrehte die Augen. Drei Stunden mit ihrem Bruder vergingen nur langsam, und sie war jedes Mal vollkommen entnervt danach.

 

„Jap“, bestätigte sie mit einem ausdruckslosen Lächeln, und seufzend faltete er den Brief zusammen. Sie konnte nicht begreifen, was Hugo ihrer Mum alles zu erzählen hatte. Dann wiederum sprach Mum ohnehin lieber mit ihm als mit ihr. Hugo hatte vor ihrem Sommerurlaub Zusatzkurse besucht, denn ihr fabelhafter Bruder hatte eine Klasse überspringen dürfen und war jetzt – man stelle es sich vor – gleichauf mit ihr im sechsten Jahrgang. Etwas Peinlicheres als das gab es kaum. Abgesehen davon, dass Rose das Annehmbar in Verwandlung nur mit Hängen und Würgen bekommen hatte, um ihr Mies in Zauberkunst auszugleichen. Hugo war außerdem Vertrauensschüler von Ravenclaw geworden. Mum hatte geweint vor Glück. Ihr Bruder hatte das Hirn bekommen.

Aber ehrlich gesagt war Rose recht dankbar dafür. Ihre Eltern erwarteten von ihr lediglich, dass sie Hogwarts in einem Stück überlebte, während Hugo Chefheiler im Mungo werden musste – oder direkt Zaubereiminister.

Hugo spielte kein Quidditch, natürlich nicht, und er verbrachte seine Zeit am liebsten außerhalb des Weasley-Clans.

 

„Wie immer ein Vergnügen“, bemerkte er spöttisch, und wenn man sie zusammen sah, konnte man nur schwer erraten, dass sie Geschwister waren. Hugo ähnelte eher ihrer Mum. Dunkle Haare, dunkle Augen, auch sein Hautton war eine Spur dunkler. Nur besaß er nicht Mums Locken. Die hatte Rose leider aufgebürgt bekommen, neben dem lästigen Temperament ihres Vaters. Von beiden das Schlechte, wie sie immer sagte.

Sie hatte ihn gar nicht gefragt, wie er zurechtkam, aber sie nahm an, es ging ihm gut. Sie hatten jetzt zusammen Verwandlung, was vor allem ihre Mutter ungemein freute. Sie gönnte ihm seine Leistungen allesamt, solange er sie verschonte. Sie wusste, Mum hatte ihn als Spürhund auf sie angesetzt, um mehr über ihr Privatleben rauszufinden, aber bisher ließ er sie in Ruhe. Sie konnte sich vorstellen, dass Hugo bessere Dinge zu tun hatte, als sie zu beschatten.

Sie hoffte es zumindest.

 

„Hugh“, hielt sie ihn auf, als er seine Sachen gepackt und seine Tasche geschultert hatte, und benutzte den Spitznamen, den auch Dad immer verwandte. Seine braunen Augen ruhten auf ihr. Er war nicht unkoordiniert wie sie. Bei ihm wirkte jede Bewegung absichtlich und gut überlegt. Eigentlich tat er nie irgendetwas Unüberlegtes, und wenn einer aus ihrer riesigen Familie Schulsprecher werden würde – dann war es ihr kleiner Bruder.

 

„Ja?“ Er sah sie abwartend an. Er war groß geworden, überragte sie mittlerweile, und er könnte nicht genervter aussehen. Der Ledergurt seiner Tasche spannte stark, denn sie war prall gefüllt mit Büchern, die nicht auf dem Lehrplan standen. Er war süchtig nach Büchern, nach Wissen, nach Dingen, die Rose eher kalt ließen.

 

„Ist… ah… ist alles ok soweit? Ich meine… kommst du mit den Leuten zurecht?“, fragte sie ihn, und er wirkte ehrlich entgeistert.

 

„Es sind dieselben Leute, die ich seit fünf Jahren kenne, Rose.“


„Also nein?“, witzelte sie schwach, und er verzog den Mund. Er erinnerte sie an Mum, wenn er das tat. Sie verdrehte die Augen. „Ich meine… sind alle nett zu dir?“

Tatsächlich wanderten seine Augenbrauen demonstrativ höher.

 

„Und wenn nicht? Dann kommt meine große Schwester vorbei, verprügelt die bösen Schüler und steckt sie kopfüber in das Jungenklo? Alles ok, Rose“, schloss er spöttisch, und sie konnte nie wirklich mit ihm reden. Denn er sprach nie wirklich mit ihr. Er nahm sie überhaupt nicht ernst, und dass sie sich mal auf derselben Ebene verstanden hatten, schien Jahre her zu sein. Sie kam sich fast lächerlich dabei vor, ihm anzubieten, ihn irgendwie zu beschützen, aber Fakt war, dass sie eben doch die große Schwester war. Ob nun auch geeignet, ihm irgendwelche Hilfe anzubieten, ließ sie außen vor. Seine Haare lagen so ordentlich, dass sie das unbestimmte Bedürfnis verspürte, aufzustehen und sie zu zerstrubbeln. So wie sie es früher getan hatte, als er noch nicht über sie hinausgewachsen war. Aber sie konnte nicht. Sie wusste nicht mehr, wie. Sie nahm an, er hielt sie für einen dummen Primaten, der es nicht einmal fertig brachte, einen simplen Brief nach Hause zu schreiben. Dabei ging es weniger um das Schreiben, als dass sie einfach keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte. Sie bezweifelte, dass es irgendetwas gab, was ihre Eltern tatsächlich interessierte. Und sie hatte keine Ahnung, wie Hugo die Muße fand, jede Woche Seite um Seite zu verfassen. Und wie er es fertig brachte, dass sie sich jedes Mal schlechter fühlte. Sie machte sich manchmal etwas vor, aber sie musste gestehen, sie und Hugo waren nicht wie die Potters. Oft wünschte sie sich, sie würde mehr mit ihrem Bruder unternehmen, denn sie glaubte, er war ein interessanter, witziger Mensch. Aber er zeigte es nicht, legte keinen Wert darauf, und wahrscheinlich hatte sie auch noch Glück, in erster Linie mit ihm verwandt zu sein, ansonsten würde er sie wohl komplett ignorieren, wie den Rest der Verwandtschaft.

 

„Ok. Dann… bis dann“, erwiderte sie resignierend, entließ ihn aus ihrem Blick, und er machte Kehrt. Sie blickte ihrem kleinen Bruder nach und wusste eigenartigerweise, dass sie ihm niemals ihr Geheimnis anvertrauen würde. Er wäre wohl der allerletzte auf der Welt. Und wahrscheinlich deshalb, weil er ihr knallhart die Wahrheit sagen würde, und was für ein widerlicher Mensch sie wäre. Manchmal hatte sie Angst vor Hugos Worten. Er würde sie in überheblicher Manie darauf hinweisen, dass ihm so ein Fehler niemals passieren würde. Es wäre einfacher, es Rumer zu sagen – und das wäre schon unmöglich. 

Rose war tatsächlich ganz froh, dass ihre beste Freundin zurzeit schwer damit beschäftigt war, bei James Eindruck zu schinden, auch wenn es fast selbstsüchtig von ihr war – nicht dass es viel bedurfte. James war beeindruckt, wenn ein Mädchen ihren Stundenplan auswendig kannte.

 

Seufzend packte sie ihre Sachen zusammen und befürchtete, sie hatte den schwierigen Zauber noch immer nicht verstanden. Hugo war kein guter Lehrer. Er hatte wenig Geduld und begriff nicht, warum andere länger brauchten, um die Zauber zu verstehen. Sie verließ den Arbeitsraum, und die Bibliothek lag still vor ihr. Wahrscheinlich waren alle unterwegs in die Halle. Aber ihr Blick blieb an einer Gestalt hängen. Selten sah sie ihn wirklich lernen. Sie sah ihn immer nur vor dem Spiegel, wie er neue Klamotten anprobierte, dachte sie mit einem schmalen Lächeln, als sie näher kam.

 

„Fleißig?“, riss sie ihn leise aus seinen Gedanken, und Louis hob überrascht den konzentrierten Blick. Er war Doms Zwillingsbruder, und fabelhafter Jäger ihres Teams. Ein ebenmäßiges Lächeln hob seine Mundwinkel, als er sie erkannte, und er war ein hübscher Junge. Seine blonden Haare fast schulterlang in einem unordentlichen Zopf, die dunkelblauen Augen wachsam und immer verschmitzt. Seine Finger standen meist vor Dreck, denn tatsächlich war Kräuterkunde sein Lieblingsfach, und oft half er Professor Longbottom im Verbotenen Wald, denn Professor Longbottom war nicht nur Lehrer, sondern auch Wildhüter von Hogwars, und ziemlich gutaussehend, wenn man dem Getratsche glauben schenkte. Wahrscheinlich eher verwegen, denn er hatte ebenfalls lange Haare und einen Zehntagebart, wenn Rose schätzen müsste. Auch war sein Gesicht vernarbt, aber das half seiner Beliebtheit unter den Schülerinnen nur. Nicht, dass es Rose interessierte.

 

„Wäre dein Bruder nicht so ein überheblicher Affe, würde ich auch Nachhilfe bei ihm nehmen“, erwiderte Louis und richtete den Blick auf den Gang, durch den Hugo wohl gerade verschwunden war. Rose lächelte leicht. Hugo war eigentlich nicht überheblich, aber wahrscheinlich erweckte seine unfassbare Intelligenz diesen Anschein. Ein hartes Los, aber im Moment konnte sie kein Mitleid für ihn aufbringen.

 

„Danach fühlst du dich nur noch schlechter“, erwiderte sie achselzuckend. Sie hatte nicht gewusst, dass Louis auch Probleme in Verwandlung hatte. Er behielt eigentlich viel für sich, erzählte nie viel von Problemen, aber das taten James und Fred auch nicht. Die beiden hatten nicht mal ein Lieblingsfach und schafften ihre Fächer geradeso, aber der Unterricht war auch eher nebensächlich in ihren Augen. Etwas Lästiges, was erledigt werden musste, bevor man Quidditch spielen konnte. Rose sah es ähnlich. Die meiste Zeit über zumindest. Sie betrachtete Louis, und musste sagen, er war mit Abstand der hübscheste Gryffindorjunge. Vielleicht war er Rumer zu jung? Er war schließlich erst im sechsten Jahr, nicht wie der fabelhafte James im siebten. Aber für ihre beste Freundin war Louis eine genauso gefährliche Wahl. Louis schien seine Freundin nämlich wöchentlich zu wechseln.

 

„Wollen wir runter?“, erkundigte sich Louis resignierend und klappte seine Bücher zu.

 

„Auf jeden Fall. Ich verhungere“, behauptete sie grimmig. Louis war größer als sie. Sie sah die Ähnlichkeit zu Onkel Bill in seiner Mimik, seinen Gesten. In der Art, wie er einen Witz erzählte, aber diese kühle äußere Schönheit war alles Tante Fleur. Manchmal starrte sie ihn regelrecht an, denn es war kaum anders möglich. Es gab Parallelen zu Scorpius Malfoy, nahm sie an. Die blonden Haare, die Statur, aber… Scorpius sah noch mal anders aus. Nicht, dass sie jemals sonderlich viel darüber nachgedacht hatte. Aber sie wusste, Louis verstand sich nicht so hervorragend mit Scorpius, wie Alby es vielleicht tat. Wahrscheinlich war es ein Beschützerinstinkt, in Bezug auf seine Zwillingsschwester. Und das hatte Louis in ihren Augen eigentlich immer besonders sympathisch gemacht. Sie fragte sich, was Louis von ihr denken würde, wüsste er, was passiert war. Wahrscheinlich würde er sie dann auch nicht mehr so gut leiden können.

 

„Schon aufgeregt?“, wollte Louis von ihr wissen, und sie hob verstört den Blick. „Wegen des Spiels“, ergänzte er nachsichtig, und Roses Mund öffnete sich.

 

„Nicht wirklich“, erwiderte sie, verbarg kaum die Enttäuschung, denn… sie spielten gegen Slytherin. Es wäre ein Wunder, würde James den Schnatz fangen, und es wäre ein Wunder, würden sie tatsächlich gegen Slytherin gewinnen. Manchmal schaffte Louis es im Alleingang hundertfünfzig Punkte zu sammeln, und dann hatten sie die reelle Chance auf ein Unentschieden, wenn Alby den Schnatz recht spät fand. „Es wird so sein wie immer sein“, prophezeite sie düster.

 

 

 

Das gute Wetter hatte nachgelassen. Donner grollte in der Ferne, aber seine Teamkollegen ignorierten diese Tatsache. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Spiel im Unwetter stattfand. Ihr Aushilfslehrer nahm es mit dem Wetter nicht allzu genau. Oliver Wood war vierzig Jahre alt und hatte die Sheffield Shooters letztes Jahr wegen der Altersregel verlassen müssen. Er unterrichtete seitdem gnadenlos Quidditch auf Hogwarts, und eigentlich gab es keinen guten Grund, weshalb überhaupt irgendein Spiel vorzeitig beendet wurde. Und wenn Al die ganze Nacht nach dem verdammten Schnatz suchen musste. Zwar war Mr. Wood nur die Aushilfe, aber ihre Lehrerin Madame Green kurierte seit acht Monaten eine Verletzung aus, die sie vom Fliegen abhielt. Es war alles geheimnisvoll, und die Schulleiterin machte sich auch keine Mühe, die Verletzung ihrer geliebten Lehrerin zu erläutern. Es gab Spekulationen, aber keine Details. Sie konnten nur hoffen, dass Mr. Wood irgendwann abgelöst wurde. Es wurden harte Spiele unter echten Bedingungen gespielt, und Scorpius glaubte, die Verletzungsgefahr hatte sich verdreifacht.

 

„-wahrscheinlich können wir ihre Brüste sehen, wenn es regnet“, schnappte er Collins Worte auf, und seine Aufmerksamkeit fokussierte sich auf die wirklich wichtigen Themen im Umkleidezelt.

 

„Wessen?“, fragte er sofort und erntete Als amüsierten Blick.

 

„Hat dich nicht zu interessieren, oder?“ Es waren nicht wirklich unfreundliche Worte, aber ihm entging die unterschwellige Feindseligkeit nicht, die Collin zur Schau stellte. Scorpius wackelte scherzhaft mit den Augenbrauen, um die Situation zu entschärfen, denn es interessierte ihn tatsächlich nicht. Dominiques Brüste interessieren ihn. Und eigentlich konnten alle übrigen Mädchen in Hogwarts sowieso einpacken, denn gegen Dominique konnte keine gewinnen. Aber er wusste, Collin hatte ebenfalls eine Schwäche für Dominique gehabt.

 

„Tut es auch nicht“, antwortete Scorpius mit einem glatten Lächeln, denn er würde keinen Streit so kurz vor dem Spiel beginnen.

 

„Wir werden alle Brüste sehen können“, beschwichtigte ihr Kapitän jetzt mit abwinkender Handbewegung. Presley Ford besaß das Alpha-Gen. Groß, breitschultrig, unglaublich arrogant – er war ein so natürlicher Leitwolf, dass ihm niemand widersprach. Abgesehen von Al, der sich vor gar nichts fürchtete, nicht einmal vor Presleys Fäusten des Zorns, wie er sie selber nannte. Scorpius nahm an, das lag an Als Potter-Gen, was ihn häufiger in Schwierigkeiten brachte, als dass es ihn rettete.

 

„Nichts, was sich lohnen würde, zu sehen, oder?“, widersprach Al grinsend, aber Presley lächelte lediglich. Es entging Scorpius nicht, und kurz fragte er sich, an wem Presley aus dem Gryffindorteam ernsthaft Interesse haben könnte. Rumer oder Rose? Denn die Jägerin Nora Welsh war erst im vierten Jahr. Zwar konnte sie Kurven in der Luft schlagen, wie niemand sonst, den Scorpius kannte, aber… sie war schlichtweg zu jung. Er tippte auf Rumer, denn sie war Reinblüterin. Er schätzte Presley so ein, denn auch Presley war einer der reinsten Reinblüter. Nicht, dass es viel zählte. Nicht, dass Scorpius sich um so etwas kümmerte. Vielleicht beschwichtigte Presley auch lediglich seinen hitzigen Treiber und scherte sich um überhaupt kein Mädchen aus einem anderen Team.

 

„Ich würde keine von ihnen von der Kante stoßen“, protestierte Collin, während er sich seine Schienbeinschoner umschnallte, und riss Scorpius aus seinen Gedanken.

 

„Du würdest einen Kröter im Rock nicht von der Kante stoßen“, bemerkte ihr Jäger Derek Flynn mit einem spöttischen Grinsen, und Collin schoss ihm einen wütenden Blick zu.

 

„Nicht mal, wenn er ein Gryffindortrikot trägt!“, mischte sich ihr zweiter Jäger ein, und er und Derek tauschen ein Highfive. Bevor sich Collin ernsthaft in Rage schnaubte, schlichtete Presley.

 

„Genug. Ich will unsere Glückssträhne nicht abreißen sehen. Potter, wie ist die Form?“, wollte Presley beiläufig von Al wissen, und dieser zuckte arrogant die Achseln.

 

„Unwichtig. James könnte ich im Schlaf, mit verdorbenem Magen und verbundenen Gliedmaßen besiegen.“ Presley lächelte daraufhin. Es schien ihm auszureichen. Auch Scorpius zweifelte nicht an Als Fähigkeiten.

 

„Das will ich hören. Ich warte draußen auf euch“, verabschiedete sich ihr Kapitän von ihnen, und tatsächlich war Presley der einzige von ihnen, der im siebten Jahr war. Kein anderer von seinen Klassenkameraden hatte dieses Jahr das Team geschafft. Scorpius war sich nur nicht sicher, ob sie alle tatsächlich nicht gut genug gewesen waren, oder ob Presley einfach keine Konkurrenz ertragen konnte.

Es war das erste Spiel gegen Gryffindor. Ravenclaw hatten sie bereits besiegt. Und am besten gewannen sie einfach jedes Spiel, um problemlos den Quidditchpokal zu gewinnen. Seitdem Al im Team war, hatten sie kein Jahr mehr verloren. Sie hatten den guten Potter. Bitter für Gryffindor. Collin trat neben ihn, wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Nase und fasste ihn näher ins Auge.

 

„Du Weasley, ich MacLeod“, beschloss er, und es war die Regel. So arbeiteten sie seit Jahren. Und erst heute fiel es ihm wirklich auf. Erst heute begriff er, dass er seine Aufmerksamkeit zumindest in der Zeitspanne eines Spiels auf Rose Weasley fixierte. Und er wollte ablehnen, wollte widersprechen, aber… er kannte ihre Schwächen und ihre Stärken mittlerweile sowie Collin Rumers Schwächen und Stärken kannte. Zumindest, was Quidditch betraf. Und deshalb schwieg er. Deshalb nickte er schroff. Aber er wandte sich an Al.

 

„Fang den Schnatz schnell, ok?“ Fast bat er ihn.

 

„Angst, nass zu werden?“, erkundigte sich Al kopfschüttelnd, und Scorpius beschloss, zu lügen.

 

„Ja. Keine Lust“, erwiderte er, und Al hob die Augenbrauen.

 

„Du bist ein verdammter Schönling, Malfoy“, bemerkte er seufzend. Scorpius schenkte ihm ein Grinsen.

 

„Fang einfach das verdammte Ding, und wir können uns schneller betrinken“, sagte er bloß, und das schien Al zum Nachdenken zu bringen.

 

„Guter Punkt“, schloss dieser, zog noch einmal die Klettverschlüsse seiner Handschuhe straff, und dann verließen sie ebenfalls das Zelt. Es wurde Zeit. Mr. Wood bellte bereits irgendwelche zornigen Worte. Abwesend drehte Scorpius seinen abgewetzten Schläger in den Händen. Es wurde bald Zeit für neues Equipment, aber man gewöhnte sich an die gebrauchten Sachen, an das abgegriffene Holz. Er tauschte seine Besitztümer ungern gegen neue Sachen aus.

Aus der Ferne sah er bereits, wie James mit Mr. Wood verhandelte. Wollte er aus dem Spiel rauskommen? War dem Gryffindorkapitän das Wetter zu riskant?

Eine scharfe Brise sauste ihm scharf und kalt durch das Trikot, und die Gryffindors standen in ständiger Bewegung auf dem Platz. Die Jäger dehnten ihre Beine, während die Treiberinnen die Köpfe zusammengesteckt hatten. Ein gutes hatte dieses verfluchte Stranderlebnis. Rose Weasley beleidigte ihn nicht mehr. Eigentlich beachtete sie ihn überhaupt nicht mehr. Es war pure Erholung, aber gleichzeitig war es auch das eindeutige Zeichen, dass sie es nicht verdrängt oder vergessen hatte. Er atmete resignierend aus.

 

Scorpius‘ Blick wanderte hoch zu den Tribünen. Das Wetter hielt die Schüler ab, stellte er fest, denn die Ränge waren nur halbbesetzt. Aber natürlich erkannte er seine schöne Freundin auch aus dieser Entfernung. Er hob die Hand, winkte ihr leicht, und tatsächlich schwenkte sie seinen Schal. In all dem Gold und Rot blitzte das Silbergrün aus der ersten Reihe. Sie war mutig, seine hübsche Freundin.

 

„Auf die Besen!“, bellte Oliver Woods Stimme gnadenlos, und er sah noch, wie James gereizt den Mund verzog.

 

„Nichts für ungut, Potter“, begrüßte Presley seinen Gegenüber und schnallte seinen Helm fest. „Selbst wenn strahlender Sonnenschein wäre, würden wir mit euch das Feld wischen“, schloss er grinsend.

 

„Oh, fick dich einfach, Presley!“, knurrte James wütend, und Mr. Wood störte sich nicht an rauen Umgangsformen. Er begrüßte sie vielmehr. Und Presley lachte lediglich. Alle Spieler bestiegen die Besen, und er fing ihren Blick. Die Treiberinnen von Gryffindor erledigten die Dinge anders. Sie griffen an, wer sich gerade anbot. Sie brauchten keine Strategie. Sie waren leichter auf ihren Besen, schneller als er und Collin, aber ihnen fehlte manchmal die rechte Wucht, hinter ihren Schlägen. Kurz versuchte er, zu zählen, wie oft er und Rose sich schon verletzt hatten, aber er konnte es nicht überschlagen. Vierdutzendmal? Mehr als das?

 

„Soll ich dir Vorsprung lassen?“, erkundigte sich Al bei seinem Bruder, und James‘ Blick war mörderisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass Al und James sich prügelten – wegen Quidditch. Und Scorpius glaubte auch, noch lange nicht die letzte Auseinandersetzung zwischen den Brüdern gesehen zu haben. Al hielt nie seine Klappe. Jedes Mal, wenn er den Schnatz fing, riskierte er eine dicke Lippe, und James war größer als Al. Er war muskulöser, und tatsächlich ging Al jedes Mal schlimmer aus einem Kampf raus als James, aber das hielt ihn selten davon ab, seine Meinung laut zu äußern.

 

„Wie wäre es, wenn ich dir den ersten Schlag ins Gesicht umsonst schenke, wenn das Spiel vorbei ist, du kleine Made?“, bot James ihm an, und Al grinste breit.

 

„Ich glaube, ich werde zu gute Laune haben, Jamie, aber morgen vielleicht?“, erwiderte er, und man musste James zugutehalten, dass er zumindest nur noch die Augen verdrehte. Der Gryffindorkapitän schien ziemlich genau zu wissen, dass sein Bruder wohl wieder gewinnen würde. Es musste eine unbequeme Erkenntnis sein, überlegte Scorpius.

 

„Das Angebot gilt nur für heute, Al“, widersprach James entschuldigend.

 

„Tjaah…“, sagte Al, gespielt ratlos.

 

„Tja“, wiederholte James, und beide Brüder grinsten plötzlich. Sie sahen sich schrecklich ähnlich, wenn sie das taten.

 

„Möge der bessere gewinnen!“, sagte Al, und James stöhnte auf.

 

Mr. Wood warf den Quaffel in die Höhe, und der Pfiff ertönte. Sie stießen sich alle gleichzeitig ab, stiegen höher, und der Wind pfiff in seinen Ohren. Der Herbst kam unaufhaltsam, aber es war seine liebste Jahreszeit. Er mochte die Farben, die Luft, die fallenden Blätter. Er lenkte seinen Gedanke ab, um nicht sich nicht ausschließlich mit ihr befassen zu müssen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Oliver Wood den Klatscher befreite, und der knochenharte Ball sauste in die Höhe. Collin schlug ihn mit einem gepressten Schrei in Noras Richtung, und Rumer sank in einen Sturzflug, während Collin ihr folgte. Rose fiel in eine Rechtskurve, und unauffällig spiegelte Scorpius ihre Bewegungen. Locker lag der Schläger in seiner Faust. Ihre roten Haare waren lang geworden, flogen über ihre Schulter, der Wind zerrte an ihnen, zerwirbelte die Locken, und blanke Konzentration beherrschte ihre Züge. Die Bräune des Urlaubs war fast verflogen, und beiläufig hob sich ihr Blick, vielleicht um sich Überblick zu verschaffen, wer ihr folgte, und ihre Blicke trafen sich unwillkürlich. Fast verschlug es ihm den Atem, denn kurz – sehr kurz – erinnerte sich an die Nähe, und das schlechte Gewissen breitete sich auch mit voller Macht auf ihrem Gesicht aus, so dass ihm fast schlecht wurde. Er konnte es sehen! Sein Herz stürzte praktisch in seinen Magen, so sehr überraschte ihn seine Reaktion. Scheiße. Hastig senkte er den Blick. Er musste sich-

 

„-hey, Malfoy!“, brüllte Collin zornig, als der Klatscher zwischen ihm und Rose gefährlich knapp durch die Luft sauste und sein Ohr nur um wenige Zentimeter verfehlte. „Zieh den Kopf aus deinem Arsch, verdammt!“ Und sein Herz ging schnell vor Schreck. Er drückte die Geschwindigkeit, ließ sich fallen, bis der Klatscher in Sicht kam, und routinemäßig schlug er ihn hart in Richtung der feindlichen Jäger. Er würde ihr was zu tun geben, denn er hatte keine Lust, sie länger anzustarren und sich beschissen zu fühlen. Er wusste, er würde so nicht leben können. Nicht auf Dauer. Nicht in ihrer konstanten Gegenwart, auch, wenn sie Häuser entfernt existierten. Auch, wenn sie nicht sprachen. Das war das Problem, wenn man sich die Gedanken zu spät machte.

Es wurde ein angespanntes Spiel, und Spaß hatte er keinen dabei…. Erst nach weiteren endlosen zwanzig Minuten hatte Al den Schnatz gefunden, und pünktlich zum Regenguss endete dieses Match. Glück gehabt. Zumindest dieses Mal.

 

 

 

Three

 

Wer etwas auf sich hielt, verkehrte mit ihnen. So war es, seitdem sie denken konnte. Seitdem sie hier war. Ihr Gemeinschaftsraum war die Hochburg von Hogwarts, und dort hatte man zu sein, wenn man gelten wollte. Ihre Brüder waren bereits betrunken. Zumindest betrunken genug, um albern zu sein.

Und James hatte erstaunlich gute Laune dafür, dass Gryffindor ohne ein Tor verloren hatte. Sie erkannte, dass Louis bei weitem keine so gute Laune hatte, dass er bereits mit spitzer Feder ausgerechnet hatte, wie viele Tore sie nun bei den nächsten Spielen rausholen mussten, um Slytherin zu schlagen, sollten diese weiterhin so gut abschneiden.

Sobald James und Albus zusammen waren, außerhalb des Quidditchfelds, verschwand jede Konkurrenz. Dass Albus in Slytherin war, mochte dann vielleicht eine Tatsache sein, aber es war kein Hindernis. Und das galt auch für seine Freunde. Dass Slytherins ihren Gemeinschaftsraum bevölkerten gehörte mittlerweile zum guten Ton. Wahrscheinlich, weil James es so befohlen hatte. Der älteste Sohn von Harry Potter zu sein, war ihrem Bruder milde zu Kopf gestiegen – und sie profitierten alle davon. Mehr oder weniger.

Rose lachte sehr laut über etwas, dass Fred gesagt hatte, und zog die Aufmerksamkeit auf sich, um lautstark Freds Worte zu wiederholen. Lily senkte den Blick. Sie saß nahe bei, aber doch etwas abseits. Sie war die jüngste von ihnen. Von denen, die zählten. Von den älteren. Jünger als Rose, auch wenn ihre Cousine einen jüngeren Anschein machte, durch ihre Unbeholfenheit, ihre schiere Lautstärke. Lily trank auch nicht das geschmuggelte Butterbier, so wie Rose es tat. Heute könnte sie vielleicht sogar unbemerkt Alkohol trinken, denn James und Albus waren mit sich selbst beschäftigt, aber sie wollte gar nicht mehr rebellieren. Ihre Brüder hatten sich angewöhnt, die Hand über sie zu halten, sie vor sämtlichen Dingen zu schützen, und tatsächlich wagte niemand, ihr zu nahe zu kommen, schlecht über sie zu reden – oder überhaupt mit ihr zu reden, wenn er nicht gerade verwandt mit ihr war. Sie war Lily Potter.

Es war ein eigenartiger Titel, der ihr nicht viel brachte. Teilweise neidische Blicke der Mädchen, wenn sie in den Ferien mit James und Albus nach Hause fahren durfte – aber es war kein echter Neid, denn schließlich hatte Lily kein Interesse an ihren älteren Brüdern. Es war anstrengend. Sie hatten viel Unsinn im Kopf, vor allem James. Und irgendetwas fanden die Mädchen besonders anziehend daran. Ihr blieb es verwehrt.

 

Lily hatte gelernt, sich auf ihre Cousinen zu verlassen, da die meisten Mädchen aus Gryffindor nur mit ihr befreundet waren, wegen James, oder wegen Louis. Mit Dom hatte sie nun viel weniger zu tun, als letztes Jahr. Dom hatte einen Freund. Und natürlich kannte Lily Doms Freund. Denn immerhin kannte sie Scorpius, seitdem Albus ihn zum Übernachten in ihr Haus einlud, und das tat er seit sechs Jahren. Sie kannte Scorpius, lange bevor Dom überhaupt ein Auge auf ihn geworfen hatte, und Lilys Bick hob sich verstohlen aus ihrem Schoß, um quer durch den Raum zu gleiten. Sie saßen tatsächlich abseits, in einem gemütlichen, breiten Sessel. Dom auf Scorpius‘ Schoß. Ihr Platz. Lilys Platz.

Aber natürlich hätte Albus es niemals zugelassen. Es wäre nicht in Frage gekommen, dass Lily auch nur zwei Minuten mit Scorpius alleine hätte reden dürfen. Und vielleicht nicht einmal, weil Albus sie schützen wollte, nein, vielleicht einfach nur, weil kein anderer Potter Scorpius‘ bester Freund sein durfte.

Natürlich hatte Lily gegen Dom keine Chance. Nicht mal ihr Name half, wenn man denn über gesundes Augenlicht verfügte. Dom war… eine Schönheit. Und eigentlich war sie Lilys beste Freundin gewesen. Bisher.

Aber seitdem Scorpius an Doms Seite existierte und nicht mehr nur exklusiv an Albus‘ Seite, suchte Lily Abstand. Es war schwer gewesen, zu Beginn. Es war noch schwerer gewesen, als Scorpius‘ Mum gestorben war.

Denn Lily hätte für ihn da sein können. Sie hatte ihn nachts durch die Wand weinen gehört, als er bei ihnen geschlafen hatte. Dom war nicht da gewesen. Lily hätte ihn trösten können. Vielleicht besser als Dom es konnte. Er war sogar zu ihrem Familienurlaub eingeladen gewesen. Für sie war es schwer gewesen, ihn zu sehen. Dom zuzusehen, während sie das bekam, wovon Lily nur träumen konnte.

Und wenn sie sehr ehrlich war, dann konnte sie nicht erwarten, dass James und Albus Hogwarts endlich verließen. Dass Fred und Louis verschwanden. Dass alle gingen. Und sie wäre die letzte Potter auf der Schule. Nicht einmal Hugo, der zuvor in ihrem Jahrgang gewesen war, wäre noch da, denn er hatte ja übersprungen. Nur Roxy und sie wären dann noch hier. Aber bis dahin dauerte es noch lange Jahre.

 

All das half ihr im Moment nicht. Sie unterdrückte ein Seufzen. Seitdem Scorpius vergeben war und sie sowieso niemals beachten würde, einfach weil ihr Name es verbat, hatte sie sich erlaubt, sich umzusehen. Denn Lily interessierte sich für Jungen. Sehr sogar. Sie schaffte es nur nicht, überhaupt irgendeine Beziehung zu jemandem aufzubauen, denn James und Albus sorgten schon dafür, dass jeder Reißaus nahm, dessen Absichten nicht ehrenwert waren. Und Lily war sich nicht so sicher, dass lediglich ein Schutzreflex James und Albus trieb. Es kam ihr eher so vor, als wäre es ihren Brüdern lästig, dass sie erwachsen wurde, und das ruhige Leben Zuhause oder in Hogwarts störte, und dass sie, ihre feinen Brüder, am Ende von ihrem Dad noch Ärger bekämen, weil sie eben nicht aufpassten. Also nahm sie an, es war teilweise blanker Eigennutz.

Und heute war einer der seltenen Tage, an dem das halbe Slytherinteam eingeladen war. Collin Barrie war hier, Derek Flynn, der sehr gut aussah, und natürlich der Kapitän Presley Ford. Sie spürte direkt, wie sich ihre Pupillen weiteten, als sie ihn ins Auge fasste.

In ihren Gedanken war es so, dass Scorpius eigentlich sie liebte, und nun sah, dass sie ihr Interesse Presley widmete. Sie lebte in ihrem eigenen Roman, in dem ihre Brüder sie auf den Weg der Tugend zwangen, und alle Männer sie nur aus der Ferne lieben konnten.

Natürlich war es nicht so. Natürlich nicht. Aber in ihren Träumen lagen die Dinge anders. Presley war zwei Jahre älter als sie, und es störte sie nicht, dass er in Slytherin war. Genausowenig wie es sie störte, dass Albus oder Scorpius in Slytherin waren. Es war ein anderes Haus, kein anderer Planet.

Aber natürlich hatte Presley keine Augen für sie. Sie nahm an, wäre Dom nicht bereits vergeben, dann würde er versuchen, Dom zu bekommen – wie es eigentlich jeder tat, seitdem Vic verlobt war. Die schöne Vic. Lily erinnerte sich noch, dass sich die Jungen vor zwei Jahren noch die Zähne ausgeschlagen hatten, um Vic Weasley zu bekommen. Und die Enttäuschung war groß gewesen, als es ausgerechnet Ted Lupin geschafft hatte. Ein Außenseiter, der Hogwarts längst verlassen hatte. Kaum war Vic siebzehn geworden, hatte er ihr einen Antrag gemacht. Zähneknirschend hatte Onkel Bill eingewilligt, aber er hatte nicht viel zu sagen, wusste Lily. Was Vic und Dom wollten, das passierte auch. Wen sie wollten, den bekamen sie. Es wunderte Lily also nicht wirklich.

Was sie wunderte, war, dass Vic ihre Meinung noch nicht geändert hatte. Aber immerhin waren so die Veela-Weasleys weg vom Fenster.

Nein, ihr Leben war nicht leicht. Nicht wirklich.

 

Roxy saß neben ihr und nickte immer wieder ein. Ihre Cousine war elf und in ihrem ersten Jahr. Sie war ziemlich missmutig, die meiste Zeit über. Denn sie hatte dieses Jahr nicht geschafft, ins Team gewählt zu werden. Sie war einfach noch zu jung. Sie flog nicht sicher genug. Soweit Lily wusste, war es bisher nur Harry und Albus Potter vergönnt gewesen, in ihrem ersten Jahr ins Team zu kommen. Ihr Dad erzählte es immer noch jedem, der es nicht hören wollte. Lily hatte kein Interesse am Fliegen. Auch wenn es nicht stimmte. Das sagte sie immer nur. Vielleicht, wenn nicht gerade vier ihrer Verwandten im Team flogen. Vielleicht, wenn sie die einzige Potter wäre, dann hätte sie keine Skrupel gehabt, zum Probefliegen zu erscheinen. Aber sie kannte ihren Bruder. James machte sich lustig über sie. Über ihre Größe, über ihre Verletzbarkeit. Sie hatte gewusst, seitdem James im Team war, würde sie keinen Fuß auf das Quidditchfeld setzen.

Mit ihrem Dad spielte sie ab und an. Alleine. Hinzu kam ihre Sehschwäche. Natürlich war es nicht unbedingt ein Problem. Aber sie behauptete, es wäre eine Leseschwäche, und sie würde ihre Brille lediglich zum Lesen benötigen. Das stimmte nicht, aber das wusste niemand. Außer ihre Eltern. Aber die waren nicht hier. Lily hatte häufig Kopfschmerzen, und im Unterricht hatte sie sich schon angewöhnt, vorne zu sitzen. Das wussten ihre Brüder nicht, immerhin. Denn sie wollte die dämliche Brille nicht die gesamte Zeit tragen. Vor allem waren ihre Brüder verschont geblieben, von dieser Schwäche.

Zwar hatte ihre Mum ihr eine schöne Brille besorgt, nicht dieses furchtbare Rundgestell, was ihr Vater bevorzugte, aber trotzdem. Sie wollte nicht die einzige Brillenschlange sein. Und zum Fliegen würde sie wohl oder übel eine Brille brauchen. Und ihre Brüder würden aus dem Lachen nicht mehr rauskommen, das stand fest. Kontaktlinsen waren nichts für sie. So sehr sie es wollte, aber sie vertrug sie nicht. Seit Jahren zog sie es vor, nur die Hälfte sehen zu können. Viele mochten sie deshalb für unaufmerksam oder selbstbezogen halten, aber… Lily sah die meisten Leute einfach wirklich nicht.

Allerdings passte sie damit sehr gut zu Dom und Vic. Die beiden sahen die meisten Leute mit Absicht nicht, sprachen nur mit ihrem ausgewählten Kreis an Freunden und spielten natürlich beide nicht Quidditch.

Aber sie glaubte, sie würde ihr Glück im letzten Jahr versuchen – wenn ihre Brüder verschwunden waren. Und sie würde sich dafür einsetzen, dass auch Roxy ins Team kam, sollte es vorher nichts werden.

Laut stießen die Jungen mit Rose an, lobten ihre Treiberfähigkeit, und Lily ging davon aus, dass Rose Kapitän werden würde, sobald James nicht mehr da war. Es war… ein Gefühl, das sie hatte. Rose verfügte über dieses Talent, Leute glauben zu lassen, sie wäre unbesiegbar. Alles Fassade, dachte Lily. Rose war so besiegbar wie sie es war, aber Rose war laut und frech und verschaffte sich, wenn nötig, auch mit Fäusten Gehör. Rose bekam, was sie wollte. Egal, wie. Sie durfte alles, was Lily nicht durfte. Sie spielte Quidditch, Albus akzeptierte sie als gleichberechtigt, und Hugo war weit weg – und interessierte sich nicht für seine Schwester. Und Rose schien nicht der Masse zu folgen, schenkte weder Presley noch Scorpius Beachtung – nein, sie mochte Scorpius nicht mal. Sie schien überhaupt kein Interesse an Jungen zu haben. Sie interessierte sich für niemanden.

 

Aber Lily erkannte, dass Roses beste Freundin Rumer auffallend nahe neben James saß. Es war eine Frage der Zeit gewesen, nahm sie an. Sie glaubte, jedes Mädchen aus Gryffindor war zumindest kurzfristig in ihren ältesten Bruder verliebt gewesen – und wahrscheinlich heimlich auch in Albus. Und Lily glaubte, Rose gut genug zu kennen, um sagen zu können, dass es sie mehr als aufregen musste. Denn Rose sah James so, wie Lily ihn wahrnahm. Er war überheblich und mehr oder weniger ein Vollidiot.

Aber so ganz stimmte es wohl nicht. Rose interessierte sich für Albus. Sie steckten häufig zusammen, und Lily wusste, Albus mochte Rose. Mochte sie mehr, als es den Anschein machte. Sie wusste, die geheime Valentinsrose, die Rose dieses Jahr geschickt bekommen – und ignoriert – hatte, war nicht von irgendeinem Gryffindor gewesen, wie Rumer vermutet hatte. Lily wusste, dass Albus sie ihr geschickt hatte. Tatsächlich nur aus Zufall, und wahrscheinlich würde Albus sie umbringen, wüsste er es, aber Lily wusste, wie man den Mund hielt. Und Albus interessierte sich kaum genug für ein Mädchen, um solch einen Aufwand zu begehen, geschweige denn, für eine seiner Cousinen. James hingegen stach hervor, mit seiner offensichtlichen Casanova-Fähigkeit. Über Albus wusste Lily nicht so viel. Zumindest nicht über seine Eskapaden. Er hielt sie geheimer. Und diese Sache mit Rose durfte erst recht niemand erfahren.

Lily glaubte auch, würde Rose es wissen, würde sie damit nicht umgehen können. Ihr kam es so vor, als käme Rose mit Auseinandersetzungen physischer Art sehr gut zurecht. Sie wusste, wie man seine Meinung vertrat, seinen Platz verteidigte, aber emotionale Dinge waren nicht ihre Stärke. Ihre Reize waren nicht ihre Stärke. Rose verließ sich nicht auf ihr Aussehen. Sie machte sich nichts aus Kleidern, aus Makeup, aus Haarglättungszaubern. Lily beneidete sie um ihr Selbstbewusstsein. Und vielleicht war es das, was Albus gefiel? Sie wusste es nicht, aber sie hoffte, es würde sich legen. Sie hoffte, Albus würde irgendwann klar sehen und begreifen, dass Rose nichts war, was er haben konnte – auch wenn es nicht viel gab, was er nicht besaß. Auch wenn James der Ältere war, der Größere, der Stärkere, so hatte sie das Gefühl, Albus hinterließ den größeren Eindruck. Sie sah, wie die Mädchen in ihrem Gemeinschaftsraum, ihren Bruder anstarrten. Den geheimnisvollen Potter aus Slytherin. Er war etwas kleiner als James, die Haare waren wilder, glichen mehr ihrem Dad, seine Augen waren stechend grün, und er wirkte… verwegener. Geheimnisvoller. Intelligenter als James. Natürlich wusste Lily, dass er ebenso ein Idiot war wie James. Und manchmal wünschte sie sich, andere Brüder zu haben – oder keine.

Ihre Mum hatte ihr mal erzählt, sie hatte es gehasst, als jüngstes Kind ihrer Familie nach Hogwarts zu kommen, wo ihre Brüder allesamt schon schlechte Eindrücke hinterlassen hatten. Sie hatte ihr gesagt, wie schwer es gewesen war, und wie unmöglich es ihr vorgekommen war, tatsächlich mit ihrem Dad zusammenzukommen. Und sie, Lily, solle sich nicht entmutigen lassen. Dass es einen Platz für sie gab, und dass sie irgendwann sehr dankbar für ihre Brüder sein würde. Lily sah diesen Tag noch nicht kommen.

Und es gab niemanden wie ihren Dad, der für seine Liebe jede Weasley-Hürde überwand. Es war keine episch romantische Geschichte, wie die ihrer Mum. Kein Junge interessierte sich für sie. Sie existierte auf Hogwarts, im Schatten ihrer Brüder. Im Schatten eines Namens, der schwer auf ihr lastete. Sie war die Tochter von Harry Potter, dem Kriegshelden. Welcher Junge würde schon wagen, jemals zu ihrem Vater zu gehen, und um ihre Hand zu bitten?

Welcher…?

 

Sie atmete lange aus, dann stupste sie Roxy in die Seite. Ihre Cousine erwachte gähnend. „Komm, ich bring dich hoch“, murmelte Lily, legte den Arm um ihre süße Cousine, die sich die krausen, dunklen Locken kratzte, und Lily wusste, Roxy würde eine wahre Schönheit werden. Widerwillig ließ sich Roxy in die Senkrechte ziehen.

 

„Ich will noch nicht schlafen“, beschwerte sich Roxy gähnend bei ihr, aber Lily schüttelte bloß den Kopf.

 

„Du verpasst gar nichts, ok? Sie sind alle albern und blöd“, beteuerte sie, und Roxy wirkte noch enttäuschter. Lily verdrehte die Augen. „Wenn du älter bist, kannst du auch albern und blöd sein, versprochen“, schloss sie, und Roxy pustete frustriert die Luft aus ihren Backen.

 

„Ok“, erwiderte ihre Cousine, und gähnte erneut. Lily brachte sie zum Schlafsaal, und Roxy war nicht die erste, die schlafen ging. Die meisten Mädchen schliefen bereits. Und ihre erste Vertrauensschülerin, Rumer MacLeod, war zu beschäftigt damit, James anzuschmachten, und kümmerte sich nicht um die Erstklässler. Die Schulsprecherin hatte genug damit zu tun, James böse Blicke zuzuwerfen, denn er hatte vor den Ferien mit ihr Schluss gemacht. Ziemlich öffentlich. Und Lily fragte sich, ob er auch Schluss gemacht hätte, hätte er gewusst, dass sie tatsächlich Schulsprecherin werden würde. Sie kannte ihren Bruder. Er hätte den großen Nutzen darin gesehen, die Schulsprecherin überzeugen zu können, keine Punkte abzuziehen. Und fast gönnte sie ihrem Bruder diese missliche Lage. Und Ginnifer würde garantiert nicht den ganzen Abend zulassen, dass Butterbier getrunken wurde. Irgendwann würde ihr James‘ flirtender Blick in alle Richtungen den Rest geben, und sie müssten alle auch noch aufräumen. Lily bedauerte, dass sie nicht ebenfalls Vertrauensschülerin geworden war. Aber dafür müsste sie wohl Vollzeit ihre Brille tragen, nahm sie dumpf an. Roxy verzichtete darauf, Zähne zu putzen, schälte sich lieblos aus ihrer Kleidung und stürzte praktisch in ihr Bett. Die anderen Mädchen schnarchten leise, und Lily deckte Roxy zu. Seufzend verließ sie den Schlafsaal der Erstklässlerinnen wieder und überlegte in Gedanken, wie sie Presley Ford jemals dazu bringen konnte, sie zu beachten.

 

 

Es war ein heißer Morgen, und fast war es angenehm, in den Kellern Unterricht zu haben. Nur war es eben Zaubertränke. Aber jedes Fach war schwierig, also war es egal. Und sie hatte Grundsatzdiskussionen mit ihrer Mutter geführt. Sie hatte jedes Fach abwählen dürfen, außer Verwandlung, Verteidigung, Zauberkunst und Zaubertränke. Und Rose hatte geweint und geschrien, hatte ihren Vater längst überzeugt gehabt, dass Zaubertränke ein unnötiger Zeitaufwand war, aber ihre Mutter hatte es nicht hören wollen. Jedes weiterführende Studium bedurfte Zaubertränke. Und Rose hatte ihr schon klar gemacht, dass sie lieber bei Onkel George im Laden arbeiten wollte, nicht studieren gehen würde – aber auch das hatte ihre Mutter zerschlagen. Es käme nicht in Frage.

Und deshalb verstand sich Rose besser mit ihrem Vater. Aber fein! Sie besuchte die dämlichen Fächer, die sie nicht brauchen würde, sie würde schlecht abschneiden, und dann würde sie ohnehin in Onkel Georges Laden anfangen. Denn er hatte ihr schon im Vertrauen erzählt, dass Fred kein guter Nachfolger wäre. Rose freute sich schon, den ganzen Tag Scherzartikel an fähige Hogwartsschüler zu verkaufen, die wussten, wie man sie einsetzte.

Aber bis dahin war sie verdammt dazu, Zaubertränke zu bestehen. Unmöglich, in ihren Augen. Nur gut, dass Alby auch dabei war.

Ihr Cousin war ein einnehmender Charakter. Er scheute keine Konfrontation, war sich für wenig zu schade, solange es Spaß machte, und die Mädchen folgten ihm. Scharenweise, so hatte sie manchmal das Gefühl. Und es gefiel ihr, dass er eine Ausnahme machte. Für sie. Dass er manchmal einfach ihr Cousin war, dass er… extra nett war. Auch wenn sie in verschiedenen Häusern waren. Auch wenn sie das Alter erreichten, wo es eben nur natürlich war, dass sie weniger Zeit miteinander verbrachten, aber Alby trotzdem genauso zuvorkommend war, wie immer.

Er war ihr bester Freund, neben Rumer. Sie vertraute ihm vollkommen, und es war… einfach nett. Er lachte ausgelassen über etwas, das Louis sagte, während sein Arm wie selbstverständlich um ihre Schultern lag.

Sie waren gute Freunde, sie zeigten, dass sie sich mochten. Und sie wusste, was die anderen dachten. All diejenigen, die nicht Weasley oder Potter mit Nachnamen hießen. All diese Leute. Sie dachten sich schmutzige Dinge aus, sahen etwas, was überhaupt nicht da war, und Rose achtete darauf. Wann immer es ihr in den Sinn kam, sah sie etwas deutlicher hin, achtete etwas genauer auf Albys Körpersprache, aber es ging nie über Freundschaft, über Verwandtschaft, hinaus.

Er war ihr Cousin, er war ihr bester Freund. Und die Grenze stand ganz klar zwischen ihnen. Rose war sich sicher.

Rumer hatte sie irgendwann darauf angesprochen, dass Alby sehr viel Zeit mit ihr verbrachte. Unnatürlich viel Zeit, hatte sie gesagt, und Rose hatte es fast die Sprache verschlagen, vor Schreck. Denn nichts in Albys Gesten zeigte ihr, dass er sie anders wahrnahm, als seinen Bruder oder Louis oder Fred. Absolut nichts.

Ja, sie hatten Körperkontakt. Er legte den Arm um ihre Schultern, er kniff sie in die Seite, er umarmte sie hin und wieder.

Na und? Nur weil sie mit ihrem Bruder keinen engen Kontakt pflegte, musste es nicht bedeuten, dass es direkt ungewöhnlich war, dass sie und Alby gut miteinander auskamen.

Sie wünschte sich, Rumer hätte sie nie darauf angesprochen, denn sie dachte häufiger an diesen Unsinn, als ihr lieb war.

Sie standen alle zusammen, und irgendwann löste Alby den Arm um ihre Schulter, begrüßte irgendeinen Slytherin, und Roses Blick fiel wie von selbst auf Dom, die neben ihr stand. Sie war in ein Gespräch mit Scorpius vertieft, der seine Finger mit ihren verschränkt hatte. Louis erzählte irgendeine Quidditchanekdote, die sie schon hundertmal gehört hatte. Rumer widersprach ihm lautstark, denn er übertrieb in seiner Geschichte, aber Rose hörte kaum zu.

Sie war nervös. Die direkte Nähe zu Dom und Scorpius war nicht auszuhalten, und dass Scorpius es überhaupt fertigbrachte, die Hand ihrer Cousine zu halten, ihr so nahe zu sein, ohne vor Scham zu vergehen, war fast zu viel. Gestern war anstrengend gewesen. Rose hatte mehr getrunken als sonst, war munterer gewesen, hatte sich in jedes Gespräch verwickeln lassen, hatte sich irgendwann sogar von Presley Ford zum Armdrücken hinreißen lassen – was sie gewonnen hatte, weil James mit ihr zusammen gedrückt hatte. Es war witzig gewesen, aber sie war hundemüde. So zu tun, als ob man sich um nichts scherte, war verdammt anstrengend. So zu tun, als könne man sein Gewissen abschalten, war hart. Vor allem an einem Donnerstagabend. Und jetzt hier zu stehen, beide sehen zu müssen und zu wissen, dass sie und Scorpius scheiße waren – es kostete sie alle Beherrschung. Heute war sie stiller als sonst, und sofort hatten ihre Gedanken Zeit, unangenehm zu werden.

Sie blickte den langen Flur hinab, beinahe sehnsüchtig, denn der Professor war zu spät.

Professor Ginty war ein kleiner Mann, trug einen dichten Schnauzbart, besaß nur noch wenige Haare, und er war jähzornig wie ein kleiner, kläffender Hund.

Und das machte ihn so unfassbar witzig. Allerdings hatte er es lange ausgehalten, als Zaubertranklehrer. Er war letztes Jahr zum zweiten Halbjahr gekommen und hatte Professor Weston abgelöst, der nach zwei Monaten gekündigt hatte. Professor Ginty unterrichtete den achten Monat an ihrer Schule, und damit hatte sie kaum gerechnet. Wohl niemand wirklich. Erst recht nicht McGonagall, die händeringend nach neuen Professoren suchte, seit… nun, seitdem die Stelle frei wahr, überlegte Rose knapp.

 

Und dann kam eine Gestalt mit schnellen Schritten den Flur entlang. Merlin, endlich. Rose konnte es kaum noch ertragen, neben Dom zu stehen. Schlimm genug, dass sie gleich am selben Tisch arbeiten mussten.

Die Mädchen streckten den Rücken durch, ging ihr auf. Erst jetzt erkannte sie die Gestalt. Es war der beliebte Professor Longbottom, der anscheinend Vertretung machte. Die langen Haare steckten unordentlich in einem Pferdeschwanz, und er stand vor Dreck. Wie immer eigentlich. Er war Lehrer für Kräuterkunde, seitdem Professor Sprout in den Ruhestand gegangen war. Und er war nicht Lehrer für Zaubertränke. Nur äußerst selten. Nur als Übergang, denn er war der einzige, der sich nicht ängstigen ließ.

Von ihm.

Rose musste lächeln, denn es war jedes Mal ein großes Schauspiel, wenn sie zusammentrafen. Der Grund, weshalb Zaubertränke keinen dauerhaften Lehrer fand, war sehr simpel, wirklich. Schon Ted Lupin, Vics Verlobter, kannte es seit seinem ersten Jahr nicht anders, dass die Stelle immer neu zu besetzen war. Denn es gab ein winziges Problem. Professor Longbottom, der mit ihren Eltern, als auch mit Albys Eltern gut befreundet war, verzog grimmig den Mund.

 

„Gewöhnt euch nicht“, warnte er sie lediglich mit rauer Stimme, als seine schmutzigen Finger den schmiedeeisernen Schlüssel zogen und das Klassenzimmer aufschlossen. „Ginty wird wiederkommen, und wenn McGonagall sein Gehalt verdreifachen muss“, fuhr er bitter fort, stieß die Tür auf und warf einen zornigen Blick in die Dämmerung, bevor er mit einem knappen Wink die Lichter entfachte.

Sie tauschte einen Blick mit Rumer, die Professor Longbottom einen kurzen schmachtenten Blick nachwarf – aber wirklich nur einen kurzen, denn sie war ja scheinbar jetzt hinter James her. Albys Grinsen war ansteckend. Auch Rose musste grinsen.

 

„Das wird super werden“, prophezeite Alby leise, und Gryffindor und Slytherin betraten das Klassenzimmer. Alles wirkte wie immer. Nur die Tür zu Gintys privaten Räumen war angelehnt, nicht verschlossen. Scheinbar war der Professor abgereist. Und sie war sich nicht sicher, ob er wiederkommen würde. Für gewöhnlich kamen die Professoren nicht wieder.

 

„Setzen“, blaffte Professor Longbottom gereizt. „Für die Zags alleine, mache ich die Ausnahme und lasse die Setzlinge unbeaufsichtigt. Das ist der Trank“, fuhr er fort, ließ die Rezeptur schmucklos an der Tafel erscheinen, und fasste sie nacheinander ins Auge. „Sie werden ihn ohne großes Murren und ohne dumme Fragen brauen, denn er ist höchst prüfungsrelevant und nennt sich ‚Trank der Schlaflosen‘.“ Rose überflog die komplizierte Zutatenliste und atmete lange aus. Sie würde ewig dafür brauchen. Noch länger als ewig. So wie immer. „Bei Fragen wenden Sie sich gefälligst an ihre Vertrauensschüler“, blaffte Professor Longbottom unfreundlich. Er mochte es nicht, hier zu sein. Sie wussten es alle. Und sein Blick verdunkelte sich.

Albys Hand war in die Höhe geschossen, nachdem sie sich an ihrem Gruppentisch eingefunden hatten. Slytherins und Gryffindors mischten sich. Alby und Scorpius teilten sich den Tisch mit ihr, Rumer, Louis und Dom.

 

„Mr. Potter“, nahm Profossor Longbottom mit warnendem Unterton zur Kenntnis, aber Alby sah ihm selbstbewusst entgegen.

 

„Professor, wo ist Professor Ginty?“, fragte er direkt, und Professor Longbottoms Unterlippe bewegte sich kurz, als er nachdachte.

 

„Das geht Sie überhaupt nichts an. Fangen Sie mit dem Brauen an, ich möchte ungerne die gesamten zweit Stunden mit Tränkebrauen zubringen müssen“, warnte Professor Longbottom ihn, verschränkte die Arme vor der Brust und schien zu lauern, während sie ihre Kessel aus den Schränken holten und begannen, die Zutaten zusammenzusuchen. „Und wehe, Sie stellen mir Fragen. Tränkebrauen ist nicht mein Metier und wird es niemals sein, wie ich es McGonagall schon hundertmal gesagt habe“, erinnerte er sie, wie jedes Mal, und Rose konnte gar nicht erwarten, dass es losging.

 

„Aber Sie sind der beste Zaubertranklehrer!“, rief ein Mädchen aus Slytherin jetzt mit einschmeichelndem Ton, und fast konnte Rose spüren, wie die Luft kälter wurde, wie das Petroleum in den Lampen flackerte, und das Mädchen verstummte augenblicklich, sah sich panisch um, und ein Murmeln ging durch die Schülerschaft. Zwar war es jede Zaubertrankstunde ähnlich, aber das bedeutete nicht, dass es nicht jedes Mal furchterregend war.

 

Und ohne ein Geräusch materialisierte der Geist von Severus Snape düster und ablehnend im Klassenraum, kroch praktisch durch die Wand zu den privaten Räumen, die zurzeit leer standen, und die Schüler schwiegen abrupt.

 

„Spät dran“, bemerkte Professor Longbottom jedoch unbeeindruckt in Richtung des Geistes. „Hatten Sie noch zu tun, den armen Professor Ginty aus dem Schloss zu jagen, Snape?“ Soweit Rose gehört hatte, war Severus Snape auch als Lebender nicht unbedingt farbenfroh gewesen, hatte immer schwarz getragen, war immer blass, aber sein Geist übertraf ihre Vorstellung um einiges. Sein scharfes Gesicht mit den spitzen Zügen leuchtete praktisch, so blass war er, während der Rest seiner Gestalt in einen nachtschwarzen Gehrock gehüllt war, der das Licht zu schlucken schien. Snape war mehr eine dunkle Erscheinung, etwas, das alle Wärme schluckte und einem die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, wenn er einen zulange betrachtete. Und Snape war immer schlecht gelaunt. Sie hatte ihn noch nie lachen gesehen. Nicht wie den fast kopflosen Nick, nein. Snape lachte nicht, er sprach nicht mit den anderen Geistern, selbst der blutige Baron fürchtete sich. Und dieser Geist war der Namensgeber für Albys zweiten Vornamen. Es war verdammt gruselig.

Aber Professor Longbottom war unbeeindruckt. Jedes Mal übernahm er die Vertretung, wenn Snape einen Kandidaten verscheucht hatte, und ihr Dad hatte ihr erzählt, dass Professor Longbottom damals riesige Angst vor Snape gehabt hatte – als er noch kein Geist gewesen war.

Denn Severus Snape war damals Zaubertränkelehrer gewesen, und Rose konnte sich nicht vorstellen, wie irgendjemand überhaupt jemals einen Trank zuende hatte brauen können, mit dieser Gruselgestalt im Rücken.

Der Geist schwebte lautlos zur Tafel, schien die Rezeptur zu studieren, ehe er sich mit einem kalten Blick aus den dunklen Augen wieder umwandte. Sein Blick überflog die Schülerschaft, ohne einen von ihnen wirklich wahrzunehmen, ehe er tatsächlich Professor Longbottom ins Auge fasste.

 

„Der ‚Trank der Schlaflosen‘ verdankt seinen Namen einer einzelnen Pflanze.“ Die Stimme des Geistes war tief, durchdringend, einfach schaurig und seelenlos. „Auch wenn Sie keinerlei Begabung zeigen, sollten Sie sie kennen, nicht wahr?“ Er fragte Professor Longbottom persönlich, und dieser schien sich nur ebenso zusammenzureißen.

 

„Sie denken doch wohl nicht, dass ich Ihnen irgendeine Antwort schulde, oder?“, erwiderte Professor Longbottom abschätzend, während er langsam wütend wurde. Dann richtete sich Snapes Blick auf die Klasse, und alle diejenigen, die keine Asse in Zaubettränke waren, schienen die Luft anzuhalten.

Und das war der simple Grund, warum der gute Professor Binns immer noch unterrichten durfte, wohingegen Snapes Geist einfach keine Erlaubnis bekam. Denn die Schüler machten sich in die Hose, wann immer er auftauchte. Manchmal blieb sein Blick an Alby hängen und etwas wie entfernte Erinnerung huschte über seine sonst so starren und kalten Züge, aber er nannte Alby nicht beim Namen. Das tat er bei keinem Schüler. Na ja… fast.

 

„Mr. Malfoy“, entfuhr es Snapes Geist wie ein kalter Windhauch, und etwas Altes und Wissendes lag in der Art und Weise, wie er diesen Namen sagte, und es war offensichtlich, dass er jemand anderen in Scorpius sah, denn Scorpius konnte er schließlich nicht kennen, aber sie sah, wie Scorpius schnell nachdachte, bevor er den Kopf schüttelte. Und er klang nicht selbstbewusst, als er antwortete, nein, auch Scorpius fürchtete sich vor Snape.

 

„Ich… ich weiß es nicht“, sagte er wahrheitsgemäß. Professor Longbottom stöhnte ungeduldig auf.

 

„Snape, hören Sie auf!“, befahl er wütend, aber Snapes Geist ignorierte ihn völlig. Er klang eher halbherzig, denn auch Professor Longbottom konnte Scorpius nicht sonderlich leiden. Und Rose konnte es ihm nicht verdenken. Sie nahm an, es war eine ähnliche Abneigung, die auch ihr Dad empfand. Zwar zeigte es Professor Longbottom nie deutlich genug, aber Rose konnte es spüren.

 

„Miss Parkinson“, wandte sich Snape jetzt ohne Zögern an Rumer, die mutig ausatmete. Parkinson war der Mädchenname von Rumers Mutter gewesen, wusste Rose, und scheinbar konnte Snape die Ähnlichkeit erkennen. Es war gruselig.

 

„Blaudisteln?“, schien Rumer blind zu raten, und Rose hielt gespannt den Atem an. Rumer und Scorpius waren Vertrauensschüler, also ging Rose davon aus, dass irgendwer von beiden die Antwort wissen müsste. Sie überflog die Tafel. Gestampfter Zitterrettich, Grünwurzeln, gehackt und zerkocht, Blaudistelsaft, Feuerstaub der Eisrebe, ein halber Schöpflöffel gemörserter Atlantisbaumblätter und noch acht weitere Zutaten, die Rose auf die Schnelle kaum lesen konnte.

Und es kam, was kommen musste.

 

„Ich bin sicher, Miss Granger weiß die Lösung?“ Und bedauerlicherweise traf sein schwarzer Blick sie. Nach seinem gespensterhaften Verständnis war sie nämlich ihre Mutter. Aber… das war sie bedauerlicherweise nicht. Ihre Mum wüsste die Antwort. Ihre Mum wusste die Antwort auf jede verdammte Frage in der Galaxie, dachte Rose manchmal.

 

„Äh…“, machte sie, versuchte noch mal alle Zutaten zu lesen, bevor sie ebenfalls raten musste. Halb war es geraten, und zur anderen Hälfte… war es so ein Gefühl. „Eisrebe?“, entschied sie sich für das Nächstbeste, und ein säuerlicher Ausdruck spielte um Snapes Mundwinkel, ehe der Geist wahllos zwischen ihnen schwebte, und einige Mädchen angstvoll den Atem anhielten.

 

„Eisrebe“, wiederholte Snapes Geist düster und ein wenig abwesend, während er sie musterte, und Rose verzog den Mund. Natürlich nicht. Dann flackerte das Licht wieder, und sie konnten allesamt spüren, dass Snapes Geist gleich ausflippen würde. „Diese Klasse ist gänzlich unbegabt!“ Seine Stimme war nur ein zischender Laut, und die gespannt Stimmung war greifbar. Rose mochte vieles sein, aber feige war sie nicht, und bockig hielt sie Snapes Blick stand. Es schien ihn nur wütender zu machen, aber es war ihr gleich. Zornig rauschte Snapes Geist schließlich durch die Tische, durch einige Schüler, die sich anschließend vor Kälte schüttelten, und Professor Longbottom zog den Zauberstab.

 

„Genug!“, blaffte er gereizt. „Verschwinden Sie, oder ich hole McGonagall!“, warnte Professor Longbottom ohne Zögern, und Snapes Mund verzog sich. „Denn irgendwann wird Minerva nicht mehr zusehen und Sie endgültig verweisen!“ Snapes Geist wirkte nicht sonderlich beeindruckt von Profoessor Longbottoms Worten, aber immerhin sah er ihn an. Und gerade als Professor Longbottom wohl seinen Patronus schicken wollte, schwebte Snapes Geist in imposanten Schwaden zur Tür und verschwand still und lautlos durch das Holz. Die Petroleumlampen erholten sich und glühten wieder in voller Stärke.

 

„Mistkerl“, murmelte Professor Longbottom wütend, und Alby senkte den Kopf und musste kurz grinsen. Rose reichte die wöchentliche Dosis von Snapes Geist vollkommen. „Na los, Sie haben eine Menge zu tun!“, fuhr er sie alle an, und endlich regten sich die ersten Schüler wieder und begannen zu schneiden und zu mörsern.

 

„Ich glaube, ich frage ihn, was die Antwort ist“, murmelte Alby neben ihr grinsend, und Rose verdrehte die Augen. Professor Longbottom war wütend genug, Alby Nachsitzen aufzudrücken, wenn er jetzt fragen würde, sie war sich sicher. Aber Professor Longbottom besaß ein Paar sehr guter Ohren.

 

„Wenn es Sie wirklich interessiert, Mr. Potter“, bemerkte Professor Longbottom laut, „bin ich so frei und schenke Miss Weasley die fünf Punkte für Gryffindor, die unser fabelhafter Zaubertränkemeister ihr verwehrt hat. Eisrebe ist korrekt“, ergänzte er nickend in ihre Richtung, und Albys Augenbraue hob sich. Und Rose Mundwinkel hob sich tatsächlich äußerst überrascht. Blinde Hühner fanden auch mal Körner, dachte sie zufrieden. Rumer schlug ihr zufrieden auf die Schulter.

 

„Weiter so, und wir verdienen uns den Hauspokal noch durch deine Intelligenz“, flüsterte sie grinsend, und Rose wollte fast lachen. Nur fast. Denn… manchmal wünschte sie es sich. Dass sie ein wenig so wäre, wie ihre Mum. Dass sie Vertrauensschülerin wäre, dass sie die Klasse überspringen durfte. Manchmal… lag sie nachts wach und dachte darüber nach, wie anders ihr Leben wäre, wäre sie nicht so faul und würde sich anstrengen. Wenn sie einfach mal lernen würde. Denn… sie war die Tochter ihrer Mum. Müsste das Gehirn nicht irgendwo verborgen vorhanden sein? Konnte es sein, dass Hugo alles an Intelligenz abkassiert hatte? Man stelle sich vor, sie wäre Kapitänin ihres Teams und dazu Schulsprecherin….

Aber es waren flüchtige Gedanken, bescheidene Wünsche. Sie war eben nicht klug. Auch wenn es ihrer Mutter das Herz brach. Leider war sie nur sie selbst.

 

„Jaah“, murmelte sie, und ihr Lächeln versagte. Nicht immer war ihre Mauer undurchdringlich. Nicht immer war sie laut und lustig. Und ausgerechnet jetzt spürte sie Scorpius‘ Blick zu deutlich, aber sie war zu müde, ihn anzusehen. Sie tat ihr bestes, aber… es war anstrengend.

 

 

 

Er hatte nicht gut geschlafen. Zu viele Gedanken hatten seine Träume geflutet. Es war ein anstrengender Abend gewesen, obwohl er sich bemüht hatte, sich allein mit Dom zu beschäftigen. Ihm war nicht entgangen, dass Presley gerne mit ihm und Al gekommen war. Und ihm war nicht entgangen, dass Pres sich gut mit Rose verstanden hatte. Er dachte an Presleys Worte im Quidditchzelt zurück. Konnte es sein? Hatte der Kapitän Interesse an Rose Weasley? Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Ob es ihn überhaupt interessierte. Wenn überhaupt, wäre es gut, nahm er an. Vielleicht gäbe es dann weniger schreckliche Momente, in denen er und Rose furchtbare Blicke tauschen würden.

Das Vertrauensschülertreffen zog sich in unnötige Längen, und die Schulsprecher waren sich uneins wie eh und je. Sein Blick hob sich, als sich der neue Vertrauensschüler meldete. Und er kannte ihn tatsächlich nur zufällig, hatte ihn im Urlaub immer nur hin und wieder gesehen – nie am Strand, immer nur vergraben in Büchern und Sachtexten, ansonsten hätte er niemals gewusst, dass er zur Familie gehörte. Rumer saß neben ihm, gespannt die Arme vor der Brust verschränkt, denn sie schien erahnen zu können, was jetzt folgte.

 

„Ja?“, schnappte Ginnifer Hawthorne, Gryffindors fabelhafte Schulsprecherin, mit verengten Augen, kompromisslos und gereizt. James‘ Exfreundin, wusste er. Ganz gefährliche Idee von James gewesen, sie abzuservieren. Denn Ginnifer war nachtragend. Und für gewöhnlich ließ sie James mittlerweile schnell auffliegen, verpetzte ihn bei den Hauslehrern, zog ihm besonders viele Punkte ab… - es war fast kindisch. Aber es war James‘ Problem.

 

„Diese Probleme ließen sich alle sehr einfach lösen, wenn man seinen Gehirn einschalten würde und zusammenarbeitet, wie es der Plan vorsieht“, entgegnete Hugo Weasley, und Scorpius musste sich praktisch auf die Lippe beißen, um nicht loszulachen. Rumer schenkte ihm einen eindeutigen Blick, als wolle sie sagen, dass Hugo immer so war.

 

„Und du bist wer?“, verließen giftige Worte Ginnifers Lippen, und Scorpius war wirklich dankbar, heute nicht geschwänzt zu haben. Herrlich.

 

„Hugo Weasley, Ravenclaw“, stellte er sich mit einem nachsichtigen Lächeln vor. „Das Regelbuch sieht bei Uneinigkeiten der Klasse 2 eine Abstimmung nach einfacher Mehrheit vor“, zitierte er scheinbar ein Regelwerk, das Scorpius nicht kannte. Und es beeindruckte ihn, wie diese unscheinbare Speiche – Hugo war ziemlich groß – da vorne, nicht einknickte unter Ginnifers Eisblick.

 

„Ein weiteres Heldenkind der Goldenen Ära“, entfuhr es Sutter Huxley, dem Schulsprecher aus Ravenclaw, der noch immer sauer war, dass er Ginnifer beim letzten Frühlingsball nicht abbekommen hatte. Sorpius reagierte sofort. Es war Gewohnheit.

 

„Halt’s Maul, Huxley“, mischte er sich kalt ein. Sofort hatte er Sutters Aufmerksamkeit. Und das war nichts Gutes. Sutter stand über ihm, was die Hierarchie betraf, und in Anbetracht der Vorurteile, die Ravenclaw ausmachten, gehörte Sutter eher… nach Slytherin. Seine Intelligenz verbarg er meist sehr gekonnt mit dummen Beleidigungen.

 

„Ah, Malfoy, ich denke, dein Pensum diesen Monat ist lange überschritten. Auch wenn du deinen Schwanz zu gerne im Heldenpfuhl vergräbst, berechtigt dich das nicht zu Störungen. Verstanden, Arschloch?“ Er und Sutter hatten mehrere Dispute. Einer war seine unfassbare Eifersucht, was ihn anging, seine Freundschaft zu Al und natürlich seine perfekte Freundin. Denn unter all den Liebesbriefen, die Dominique ihm zum Lustigmachen gezeigt hatte, befand sich auch einer von Sutter Huxley. Mit Herzen und Blumen – das ganze Paket.

 

„Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden, Hux. Könntest du mir das noch mal buchstabieren? Am besten direkt hier? In meine Faust?“ Er lauerte, wartete, denn er brauchte nicht mal einen guten Grund, um Sutter die Faust ins Gesicht zu schlagen. Sutter verzog zornig den Mund, aber tatsächlich bemühte sich Ginnifer um Gehör.

 

„Sutter, halt den Mund“, schoss sie in seine Richtung. „Malfoy – hör auf, zu provozieren.“ Es war halbherzig, aber immerhin. Ihre Laune war äußerst schlecht. „Und was sind bitteschön ‚Uneinigkeiten der Klasse 2‘?“, wandte sie sich schließlich unbeeindruckt an Hugo, welcher vielleicht milde verstört wirkte. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Scorpius war beeindruckt.

 

„Um es hier mit den angemessenen Worten auszudrücken – absoluter Bullshit“, erläuterte Hugo, und dieses Mal lachte Scorpius auf. Verdammt! Der Weasley-Junge war sein Gold wert. Ginnifer sah aus, als hätte sie nicht richtig verstanden. Selbst Sutter runzelte die Stirn.

 

„Bitte?“, zischte sie ungehalten.

 

„Niemand interessiert sich für das Farbthema des Winterballs. Um ehrlich zu sein, niemand mit größeren Ambitionen als den Hauspokal, interessiert sich für den Winterball“, ergänzte er, und Scorpius fühlte sich eigenartigerweise an seine Schwester erinnert. Zwar war Rose… anders, aber… diese Schlagfertigkeit, diese stille Intelligenz – Rose besaß sie, ebenso wie ihr Bruder. Heute erst in Zaubertränke, hatte Scorpius nicht anders gekonnt, als sie anzusehen. Immer dann, wenn sie sich nicht hinter dieser Fassade verbarg. Wenn sie nicht albern war. Und dann wandte Hugo sich der Gruppe zu, denn er saß natürlich in der ersten Reihe. „Alle für Blau heben die Hand“, kürzte er das leidige Thema, was seit zwei Wochen Probleme bereitete, ab, und tatsächlich erhoben sich alle Hände der Vertrauensschüler, Scorpius‘ Hand als erstes. „Das Problem scheint geklärt zu sein. Wesentlich dringender sind die Rotationspläne?“, fuhr Hugo unbeeindruckt fort, und Ginnifers Zähne mahlten aufeinander. „Also?“ Der junge Weasley wartete abschätzend, und selbst Ginnifer musste erkennen, dass vor ihr der nächste Schulsprecher saß. Scorpius war sich sicher. Es würde nicht anders kommen können. Dieser Junge verfügte über Kompetenzen in seinem kleinen Finger, über die sie alle nicht verfügten.

 

Und zum ersten Mal seit unzähligen Monaten brachten die dämlichen Vertrauensschülertreffen einen Fortschritt zustande. Scorpius hatte es noch nie so still und friedlich hier erlebt.

 

Aber vertrauensgemäß wartete er ab, bis alle das Klassenzimmer verlassen hatte, denn Sutter veranstaltete gerne eine große Willkommensshow, schüchterte die neuen ein, während Ginnifer sich aus dem Staub machte, aber Scorpius blieb einfach sitzen, bis Sutter keine Ausrede mehr hatte und mit einem zornigen Gesichtsausdruck die Tasche schulterte und aus dem Raum rauschte. Auch Rumer hatte sich schon verabschiedet, wartete nicht auf ihn, aber Scorpius brannte praktisch darauf, dieses Weasley-Exemplar kennenzulernen, was immer so unscheinbar neben seinen vielen Cousins existierte.

 

Hugo Weasley hatte seine Aufzeichnungen verstaut und sprach mit ihm, ohne sich umzudrehen. „Ich habe einen Zauberstab, Malfoy. Ich brauche keinen Bodyguard. Und ich kenne Sutter schon. Wir besuchen dasselbe Haus“, sagte er beflissen über die Schulter hinweg, und Scorpius schlenderte nach vorne.

 

„Mag sein“, räumte er ein. „Aber Sutter hat eine schnelle Faust. Schneller als der beste Spruch, Weasley.“ Dann wandte sich der Junge um. Er war recht jung. Was Alby erzählt hatte, war er so etwas wie ein Wunderkind, hatte das fünfte Jahr direkt übersprungen und meisterte nun das sechste, sollte er denn dauerhaft im sechsten bleiben. Scorpius streckte ihm die Hand entgegen, aber tatsächlich betrachtete der Junge sie lediglich.

 

„Danke“, sagte er schließlich, sah ihm direkt ins Gesicht, und hier versagte die Ähnlichkeit zu seiner Schwester. Die Augen waren so dunkel, dass man sich in der Tiefe verlor. „Aber ich verzichte“, schloss er ruhig. Kurz runzelte sich Scorpius‘ Stirn, aber er zog die Hand wieder zurück. Seine Mundwinkel zuckten versöhnlich.

 

„Kein Problem.“ Der Junge war ein Einzelgänger, und Scorpius nahm es ihm nicht übel.

 

„Ich bin kein Heldenkind, dem du den Hintern retten musst“, fuhr Hugo dann ernsthaft fort, als wäre es ein wichtiges Anliegen. „Ich kann meine Schlachten selber kämpfen.“

 

„Habe ich nicht dran gezweifelt“, erwiderte Scorpius mit gerunzelter Stirn. So wie Hugo sprach, schien er dieses Gespräch schon mal geführt zu haben. Als müsse er sich häufiger rechtfertigen.

 

„Jemand wie Sutter Huxley wäre nicht der erste Bully, der mich verprügelt, und er wird auch nicht der letzte sein. Das macht mir nichts aus“, erklärte der Junge beinahe sachlich. So sachlich, dass Scorpius schlucken musste. „Und ich halte nicht sonderlich viel von James oder Albus, auch meine Cousinen sind eher eine Platzverschwendung, als menschlich und sozial tatsächlich wertvoll“, kritisierte er seine Familie mühelos, ohne Reue, aber sein Blick wurde kühler, und Scorpius beschlich das Gefühl, dieser Weasley konnte ihn persönlich nicht leiden. Wie der Vater, so der Sohn, durchfuhr ihn plötzlich dieser Gedanke. Er hatte nicht einmal Zeit, Dominique zu verteidigen, da kam der Junge zum Punkt seiner kleinen Ansprache. „Ich achte auf meine Schwester, denn sie liegt mir am Herzen.“ Und alles Grauenhafte, vor dem sich Scorpius fürchtete, fand seine eisige Bestätigung. „Mir ist es allerdings kein Anliegen, meinem Vater unbedingt von eurer seltsamen Begegnung am Strand zu erzählen, Malfoy.“

 

Und Scorpius fand sich gänzlich wortlos vor dem jungen Weasley wieder. Er hatte nichts. Nichts vorzubringen. Rein gar nichts. Sein Kiefer lockerte sich, und tausend Steine sanken in seinen Magen. Verdammte Scheiße. „Ich nehme an, du bist gut bei meiner Cousine aufgehoben, also… bleibst du am besten dort und hältst dich von meiner Schwester fern?“ Und dann fand Scorpius hastige, leere Worte.

 

„Willst du mich erpressen? Soll das eine Drohung sein?“, entkam es ihm heiser, und Hugo Weasley betrachtete ihn fast ausdruckslos, keine Emotion zierte seine Züge. Heiße Verzweiflung rauschte durch Scorpius‘ Körper. Er hätte nie damit gerechnet, dass es tatsächlich jemand wusste! Jemand anderes, außer ihm selbst und Rose, arrogant wie er nun mal war.

 

„Nein“, erwiderte er, schien tatsächlich darüber nachzudenken. „Lediglich… eine faire Warnung. Sie ist fair, oder nicht, Malfoy?“ Und wieder schluckte Scorpius, ehe er registrierte, dass er nickte.

 

„Ja“, bestätigte er trocken. „Sie ist fair.“

 

Dann waren sie nicht unbemerkt geblieben. Der junge Weasley wusste es. Und das seit Wochen. Und er hatte nichts gesagt. Es brachte die furchtbaren Gefühle zurück, das schlechte Gewissen riss auf, fühlte sich so rau und frisch an, wie an diesem verhängnisvollen Tag. Mr. Weasley hatte also einen Sohn, der ihn ebenfalls verabscheute. Das war… gut zu wissen. 

Hugo Weasley wandte sich gleichmütig ab, als hätten sie nie ein Gespräch geführt und verließ das Klassenzimmer mit selbstbewussten Schritten.

Scorpius hatte das Gefühl, als könne er plötzlich schlechter atmen. Es änderte Dinge. Es machte Dinge… realer. Hugo Weasleys mehr oder weniger faire Warnung ließ ihn paranoide Ängste haben. Er hatte kein Interesse an Rose, aber natürlich sah das ganz anders aus, wenn man ihn und sie an diesem Tag beobachtet hatte! Natürlich sah es… furchtbar aus! Er hatte das wilde Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, Hugo Weasley nachzulaufen, aber er wusste, jedes verdammte Wort wäre falsch. Was tat er jetzt? Was sollte er tun? Sollte er zu Sutter gehen, ihm vorschlagen, Hugo doch zu verprügeln? Es waren absolut dämliche Gedanken. Vielleicht sollte er zu Rose gehen? Sie könnte Hugo verprügeln. Er schloss die Augen, denn ihm wurde schlecht. Und mit plötzlich sehr weichen Knien musste sich Scorpius setzen. Verdammt….

Er hatte das Gefühl, ihr Geheimnis war nicht mehr geheim, lag nicht mehr vergraben und vergessen am Strand – nein. Er hatte das Gefühl, jetzt war es hier. Offiziell. Zwischen den Wänden von Hogwarts. Und was genau hatte Hugo zu verlieren? Eigentlich gar nichts. Es durfte nicht rauskommen. Und das musste jemand Hugo klarmachen. Und das war leider nicht er.

 

Scheiße. Verdammte scheiße!

 

 

 

 

Four

 

Der Ausflug nach Hogsmeade war der Lichtblick der Woche. Hausaufgaben türmten sich mittlerweile, aber Rose hatte einfach nicht die Muße, alles gewissenhaft zu erledigen. Sie wollte Spaß haben, wollte trainieren, wollte Ravenclaw haushoch schlagen! Sie hatte ein Leben. Und Rumer hielt sie ebenfalls von diesem Leben ab…. Allerdings mit ganz anderen Problemen.

 

„Wie sehe ich aus?“ Ihre beste Freundin wandte nicht mal den Blick von ihrem Spiegelbild ab. Immer wieder zog sie das Top tiefer, betonte so ihren Ausschnitt, und Rose atmete entnervt aus. Sie trug eine zerfetzte Jeans und ihr altes Gryffindorshirt, darüber die Trainingsjacke. Absolut angemessen für einen Ausflug nach Hogsmeade. Rumer hatte sogar Haarzauber angewandt, und sie fielen in weichen Wellen ihren Rücken hinab. Sie sah hübsch aus, aber das würde Rose ihr nicht auch noch auf die Nase binden.

 

„Verzweifelt“, knirschte Rose spöttisch hervor, und Rumer wandte wütend den Blick zurück.

 

„Rose, komm schon!“, ermahnte sie sie, und Rose hasste, dass sich alles nur noch um Jungen und Dates drehte. „Heute ist der perfekte Tag, um alleine mit ihm zu sein.“ Rumer presste die Lippen aufeinander, um den Lippenstift zu verteilen, und Rose fand es lächerlich.

 

„Ach ja?“ Rose ließ sich nur widerwillig auf dieses Gespräch ein. „Wie soll das funktionieren, wenn alle aus dem Team da sind? Als ob James scharf darauf ist, mit dir Händchenhaltend übers Gras zu spazieren, um Gänseblümchen zu pflücken!“, entrüstete sie sich scharf.

 

„Du bist wirklich gemein“, warf Rumer ihr vor, schüttelte ihre Haare wieder auf, zog noch einmal das Top tiefer, und Rose wollte ihren Kopf demonstrativ gegen den Türrahmen schlagen. „Weißt du, ich verstehe, dass es dich nervt, weil du kein Interesse an irgendwem hast, aber es würde dir nicht schaden, dich nur einmal… schick zu machen, ok?“ Es war ein klarer Vorwurf, und Rose fand ihn unnötig. Und unangebracht. Denn Rumer hatte gezögert, hatte sich tatsächlich die Zeit genommen, Rose genau zu betrachten, und kurz nagte die Unsicherheit an ihrem Ego.

 

„Oh wirklich?“, brannte Rose wütend auf, wütender, als sie vielleicht wirklich war. „Tut mir leid, dass ich keine dumme Schlampe bin, Rumer“, entfuhr es ihr, ohne dass sie groß über ihre Worte nachdachte.

 

„So wie ich, meinst du?“ Rumer sah sie direkt an, und Rose wusste, sie musste zurückrudern. Denn so hatte sie es nicht gemeint. Aber Rumers Blick wurde kühler. „Es ist mir egal. Und es tut mir leid, dass ich ihn mag, ok? Aber ich mag ihn. Denkst du, ich habe es mir so ausgesucht, um dich zu ärgern? Ernsthaft? Immerhin nutze ich meine Chancen, Rose! Du siehst deine Chancen nicht mal!“ Wütend marschierte Rumer an ihr vorbei – und scheinbar hatten sie sich gerade tatsächlich… gestritten?! Und von welchen Chancen sprach Rumer bitteschön?

Unfassbar! Aber Rose war gerade zu wütend, um ihr nachzulaufen! Um sich auch noch zu entschuldigen! Sie hatte überhaupt nichts falsch gemacht!

 

„Alby oder James?“ Rose erschrak beinahe, denn sie hatte Vic nicht kommen hören. Sie wandte sich ertappt um. Ihre Cousine stand lässig im Bogen zum Schlafsaal, die Arme vor der Brust verschränkt, und der grüne Pullover, den sie trug, ließ ihre hellen Haare praktisch strahlen. Die hellblauen Augen funkelten mit gewissem Spott, und Rose atmete gereizt aus. Sie vermied genau diese Art von Gesprächen. Vor allem mit Vic! Vic war so…- nachsichtig. Als hätte sie die Weisheit des Erwachsenseins mit Löffeln gefressen. Als wäre alles so einfach und ließe sich auf Jungs und Beziehungen zurückführen. Und Rose hasste jetzt gerade, dass Rumer sie in eine solche Position brachte, wo es stimmte. Zumindest in ihrer kleinen Welt.

 

„Was?“, versuchte Rose schwach, unbeteiligt zu tun, aber Vic schürzte die geschminkten Lippen und hob die perfekt gezupften Augenbrauen.

 

„Ich nehme an, es geht um James“, vermutete sie mit dieser ätzenden Nachsicht, die jeden vernünftigen Charakterzug von ihr überschattete. Vielleicht erzählte Dom ihrer Schwester deshalb keines ihrer Geheimnisse, vermutete Rose bitter. Sie mochte Vic, aber… sie mochte nicht, dass Vic nicht wenigstens einmal bescheiden und überrascht tun konnte. Aber so war Vic nicht. Rose wäre jetzt sehr gerne alleine, denn sie brachte es nicht wirklich fertig, eine Fassade aufrecht zu halten. Sie kochte noch immer vor Wut und Scham.

 

„Weißt du, es ist völlig egal“, erwiderte Rose unwirsch, wandte sich ab, und hoffe, Vic verstand diesen Wink. Mit dem trollgroßen Zaunpfahl! Vic ignorierte allerdings jeden Hinweis und betrat den Schlafsaal mit gemäßigten Schritten, während Rose aus den Augenwinkeln erkannte, dass Vic ihre knallpinken Fingernägel betrachtete und unverbindlich mit der Zunge schnalzte.

 

„Wundert es dich?“, wollte Vic schließlich wissen, und Rose vergaß, nonchalant abweisend zu sein. Denn ja! Es wunderte Rose, denn für gewöhnlich hatte Rumer Geschmack besessen. Und Vic schien sie zu durchschauen. „Sei nicht so naiv. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass Rumer nur mit uns befreundet ist, wegen James?“ Und Roses Mund öffnete sich.

 

„Ist sie nicht“, sagte sie sofort. Denn es stimmte nicht. Wieder zuckte Vic teilnahmslos die Achseln.

 

„Schön. Dann wird sich das schnell wieder einrenken“, entgegnete ihre hübsche Cousine vielsagend. „Wenn ich dir einen Ratschlag geben darf?“ Und es klang nicht wirklich so, als ließe ihr Vic die Wahl. Als könne Rose ernsthaft entscheiden, ob sie Vics verdammte Worte hören wollte, oder nicht.

 

„Sicher“, knirschte sie hervor, und Vic atmete kurz aus. Merlin, wann hörte dieses Gespräch auf?

 

„Wir wissen beide, dass James kein Interesse an Rumer haben wird. Zumindest… nicht dauerhaft“, korrigierte Vic sich achselzuckend. „Und das Klügste, was du tun kannst, ist, ihr nicht in den Rücken zu fallen, Rosie.“ Oh, Rose hasste den Spitznamen. Aus Vics Mund noch mehr. Noch mehr, als wenn ihr Dad es sagte. „Denn wenn James sie fallen lässt, wird sie sich dumm genug vorkommen. Da braucht sie deine Überheblichkeit nicht.“ Und Rose brauchte Vics Überheblichkeit erst recht nicht. Aber… Vic würde recht haben. Das war das Ärgerliche. Und fast fand Rose es dreist, dass Vic ernsthaft davon ausging, dass Rumer keine Chance hätte. Zwar dachte Rose ebenfalls so, aber sagen würde sie es nicht. Nicht laut. Und Rumer hätte einfach nur keine Chance, weil James ein Vollidiot war, der etwas Gutes nicht mal erkennen würde, wenn es ihn mit dem Klatscher bewusstlos schlug! „Soll ich dich mitnehmen?“ Vics Blick war auffordernd und ein Lächeln hob ihre Mundwinkel, als wäre das Problem gelöst. Als wäre es so einfach. Vic war… eben anders. Sie war so… - ja, oberflächlich. Es war einfach das beste Wort, um sie zu beschreiben. Probleme waren oberflächlich, Freundschaften waren oberflächlich – einfach alles in Vics Leben ging nie tiefer als unter die schicke Oberfläche. Nicht mal ein Streit war ernsthaft genug, um länger als fünf Minuten darüber zu reden.

 

„Wohin?“, entfuhr es Rose, aber sie wusste, Vic ging jedes Wochenende nach Hogsmeade. Allerdings traf sie sich dort mit dem hübschen Ted Lupin. Wohlgemerkt, der einzige akzeptable Mann, mit dem sie alle nicht verwandt waren. Und natürlich hatte Vic ihn bekommen. Eine hübsche oberflächliche Geschichte. Rose atmete lange aus.

 

„Nach Hogsmeade. Wir können apparieren. Und wenn du magst, können wir dir ein paar neue Sachen kaufen?“ Sie hatte Tante Fleurs Lächeln auf den Lippen, wenn diese ihr jedes Jahr zu Weihnachten neue Couture aus Paris schenkte, die Rose weder mochte, noch jemals anziehen würde!

 

„Danke, aber-“

 

„-dann lass uns wenigstens apparieren, Rosie. Dom ist schon vorgegangen, und ich möchte nicht alleine durch das Schloss gehen, um von sämtlichen Versagern angesprochen zu werden, ok?“ Das Lächeln war Zucker, aber die Worte waren… Gift. Vic halt. Rose gab resignierend auf.

 

„Ok“, gab sie sich geschlagen. „Meinetwegen. Soll ich meinen Schläger mitnehmen?“, bot Rose ihr trocken an, aber Vic verstand den Witz nicht. Ihre schöne Stirn runzelte sich, und man bekam fast Mitleid mit dem Engelsgesicht.

 

„Warum?“ Das Wort verließ völlig verständnislos ihren Mund.

 

„Um die Versager zu verscheu…- ist auch egal“, entschied sich Rose kopfschüttelnd. „Lass uns gehen“, schloss sie mürrisch, denn sie hatte keine Ahnung, wie lange Rumer vorhatte, sauer zu sein. Und sie hatte auf keinen Fall vor, dass diese Verbindung zu Vic etwas Dauerhaftes sein würde. Ihre Cousine war… anstrengend.

 

 

Merlin sei Dank hatten sie und Vic sich nicht mehr viel zu sagen, als sie den Turm verließen, um den anderen zu folgen. Kleine Gruppen marschierten zielstrebig in dieselbe Richtung, und Roses Blick wanderte über die Mengen an Ravenclawuniformen, um vielleicht Hugo zu entdecken, aber sie hatte noch nicht erlebt, dass er nach Hogsmeade ging. Weder mit Freunden, noch alleine. Dann wiederum war sie sich nicht sicher, ob Hugo überhaupt Freunde hatte. Manchmal kam sie sich schlecht vor, weil sie ihn nicht sonderlich integrierte, aber… sie konnte nicht viel tun. Zwingen würde sie ihn nicht, und er würde das wohl auch nicht zulassen.

 

Der einzige Vorteil, mit einem Siebtklässler zu gehen, war, zu apparieren. Und das außerhalb von Hogwarts. Rose war selber schon einige Male appariert, aber nie wenn sie es beabsichtigt hatte. Sie besuchten in ihrem sechsten Jahr alle den zwölfwöchigen Kurs, aber nur Hugo schaffte es bereits, dort aufzutauchen, wo er hinwollte. Keine echte Überraschung.

Sie waren vor den offenen Toren angekommen und überblickten die Ländereien. Vic seufzte und reichte ihr auffordernd ihren Arm.

 

Fast ungeduldig hakte Rose sich ein und versuchte, darauf zu achten, was Vic anders machte als sie, aber schon spürte sie das Reißen hinter ihrem Nabel und konnte nicht sagen, warum Vic besser war. Es wirkte so einfach für sie.

Keine Sekunde später legte sich der Wirbel und die bunten Farben, und hart schlugen ihre Füße auf den steinigen Untergrund. Rose orientierte sich kurz und sah, dass sie nicht vor den Drei Besen gelandet waren. Schon hatte Vic sich von ihr gelöst und den Arm gehoben.

 

„Ted!“, rief sie munter, während Rose aufpassen musste, nicht direkt vornüber zu kippen. Sie hielt ihr Gewicht mühsam und versuchte vergeblich, ihre wilden Haare platt zu drücken, denn bei Ted Lupin hatte sie dieses eigenartige Bedürfnis. Nicht, dass plattdrücken half. Nicht, dass irgendtewas bei ihren Haaren half….

 

Ted war groß und schlank und trug die Haare wie immer, dunkel und strubbelig kurz. Nur an Feiertagen, oder wenn Fred und sie ihn lange genug nervten, wechselte er die Haarfarbe für sie. Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, weshalb Ted Vic heiraten würde. Sie bat ihn nie, wie ein Kind, die Haarfarbe zu wechseln. Rose senkte automatisch den Blick, als Ted Vic an sich zog und sie recht schamlos küsste. Merlin, Rose war es schon unangenehm, wenn ihre eigenen Eltern Händchenhielten. Sie war erbärmlich, das wusste sie.

 

„Rose, schön dich zu sehen!“, hörte sie seine Stimme und wagte, den Blick zu heben. Ihre Mundwinkel hoben sich, denn kurz vergaß sie ihren Streit mit Rumer. „Wie geht’s dir? Wie läuft die Schule?“ Es waren so erwachsene Fragen, und Rose hasste es, sie zu beantworten.

 

„Hey Ted! Geht so“, antwortete sie also wahrheitsgemäß.

 

„Und? Hugo schon im siebten Jahr?“, wollte er grinsend wissen, als er sie kurz an sich drückte. Ted kannte sie, seitdem sie ein Baby war. Eine zeitlang hatte er bei Tante Ginny und Onkel Harry praktisch gewohnt.

 

„Nee, noch nicht“, erwiderte Rose grinsend. „Aber vielleicht nächste Woche“, ergänzte sie, und Ted nickte vielsagend. „Und? Habt ihr Aussichten auf den Hauspokal?“ Ted interessierte sich wenigstens für Sport, während Vic gelangweilt die Augen verdrehte.

 

„Wenn Slytherin ausfällt, garantiert“, behauptete sie seufzend. Ted schüttelte völlig entgeistert den Kopf, wie er es immer tat, wenn das Thema Quidditch aufkam.

 

„Weißt du, damals wäre es absolut undenkbar gewesen, dass Slytherin irgendeinen Pokal bekommt.“ Rose musste lächeln.

 

„Das wäre schön“, entgegnete sie wehmütig.

 

„Kommst du mit uns?“ Und Ted wirkte tatsächlich aufrichtig begeistert bei dieser Idee. Vic schien erst jetzt in den Sinn zu kommen, Rose überhaupt zu fragen. „Wir wollten in der Kirschblüte essen gehen. Hast du Lust?“ Aber Rose wusste, es war ein asiatisches Restaurant, und sie mochte keine asiatische Küche – wofür sie immer einen eindeutig ablehnenden Blick ihrer Mum kassierte.

 

„Nein, schon gut, danke. Ich treffe die anderen“, wiegelte sie ab.

 

„Ja, ist wahrscheinlich zu langweilig mit uns?“, wollte Ted grinsend wissen, und Rose hätte ihm gerne gesagt, dass auch Vic höchtswahrscheinlich besser in den Drei Besen aufgehoben wäre, da auch Vic nur ein Jahr älter war als sie, aber sie hielt den Mund.

 

„Quatsch, aber-“

 

„-aber Rose ist noch jung und will noch etwas Spaß haben“, unterbrach Vic sie lachend.

 

„Im Gegensatz zu uns?“, wollte Ted stirnrunzelnd von ihr wissen, und beide tauschten einen ekligen Blick, und Rose hatte das dumpfe Verständnis, dass sich beide in Hogsmeade trafen, um Sex zu haben.

 

„Wir haben anderen Spaß“, bedeutete Vic augenzwinkernd, und wenn sie dachte, ihr Code wäre nicht zu knacken, so irrte sie sich massiv, und Rose wünschte, sie würde einfach den Mund halten.

 

„Jaah“, entgegnete Ted und schien sich kurz im Anblick seiner Verlobten zu verlieren. Rose kam sich absolut überflüssig vor.

 

„O-k“, sagte sie mit knallroten Wangen und hob die Hand zum Gruß. „Ich muss los“, verabschiedete sie sich, und Ted riss sich von Vic los.

 

„Alles klar. Ganz viel Spaß dir und wir sehen uns bestimmt in den Ferien“, versprach Ted, und Rose stellte sich kurz vor, wie es wäre, wenn Ted Lupin sie hier erwarten würde, wenn sie mit Ted essen gehen würde. Und wenn sie mit ihm… mitgehen würde, um…- aber sie konnte es sich nicht einmal vorstellen. Nicht wirklich.

 

„Bestimmt. Macht’s gut. Danke fürs Bringen“, wandte sie sich an Vic, die ihr ein oberflächliches Lächeln schenkte, auch wenn es nicht unfreundlich war. Und vielleicht – ganz vielleicht – war Vic tatsächlich zu alt für sie alle. Vielleicht passte sie ganz gut zu Ted. Aber nur vielleicht.

Rose wandte sich um. Sie vergrub die Hände in den Taschen ihrer Hose, was fast schon zu schwer war, denn die kaputte Hose saß mittlerweile recht eng. Sie war noch zwei Straßen von den Drei Besen entfernt. Und sie wusste schon jetzt, dass es unangenehm werden würde. Der Wind blies stärker und die Luft kühlte sich bereit ab. Die ersten welken Blätter fegten die Straße entlang, und der Herbst schien durch das Dorf zu schleichen, langsam, als wolle er den Sommer nicht zu schnell ablösen.

 

Ihr Blick fiel auf das strahlend helle Schaufenster. Es wunderte sie nicht, überall in Hogsmeade ihre Verwandtschaft zu entdecken. Lily stand gedankenverloren am Fenster, sah Rose gar nicht – aber Lily sah nie irgendwen. Sie wirkte manchmal auch viel zu oberflächlich. In ihren Fingern drehte sie eine kleine Dose, wahrscheinlich irgendein Makeup, denn sie befanden sich in Madame Casparis Laden der ‚Schönheitskünste‘, wie er vielversprechend hieß. Dom erkannte sie auch von weitem, denn ihre hellen Haare leuchteten wie Vics, unter dem grellen Licht der riesigen Petroleumlampen. War es nicht schrecklich langweilig, sein ganzes Gold für Makeup auszugeben? Sie wusste, sie gab ihr Erspartes für Quidditchutensilien aus, was wahrscheinlich genauso dämlich war, aber… sie hatte sich noch nie schlecht deswegen gefühlt.

Automatisch hob sich ihre Hand zu ihren Haaren, fuhr durch die dichten Locken, versuchte, sie zu ordnen, aber vergeblich. Sie überlegte, ob Vics grüner Pulli ihr auch stehen würde, während ihr Blick an ihrem Körper hinabfiel. Das weite Shirt verbarg jede Form, und für gewöhnlich war Rose das nur recht.

Sie konnte nicht leiden, wenn Mädchen ihre Figur betonten, alleine deshalb, damit ein Junge sie bemerkte.

Es war absolut dämlich und-

 

„-hey“, riss die Stimme sie aus ihren Gedanken, und erschrocken flog ihr Kopf zurück. Und nur weniges konnte diesen beschissenen Tag noch beschissener machen. Aber ausgerechnet Scorpius Malfoy am Rande der Nokturngasse war tatsächlich ein weiteres schlechtes Omen. Und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Mund öffnete sich ratlos und ihre Kehle war sehr trocken. Wieso – Merlin, wieso! – sprach er mit ihr? Wieso lauerte er in der düsteren Gasse? Wieso sah er sie so an?!

Und sie hasste sich dafür, dass sie sich hastig umsah, dass ihr Blick zurück zum Schaufenster glitt, ob Dom ihnen zusah.

Und dann sagte er etwas absolut furchtbares!

 

„Wir müssen reden.“

 

 

 

 

Merlin, sie hatte ihn angestarrt, als hätte er sie an einen vergessenen Termin zum Nachsitzen erinnert. Jeder Glanz war aus ihren Augen verschwunden, und nur widerwillig folgte sie ihm. Es war kühler geworden, und die hohen schmalen Gebäude der Nokturngasse schluckten jedes Licht. Und erst jetzt, wo sie bereits die Hälfte der Straße durchquert hatten, kam ihm in den Sinn, dass es vielleicht nicht die cleverste Idee war, ausgerechnet diese Abkürzung zu nehmen.

Aber nur diese Gasse gab ihm die Sicherheit, dass Dominique ihnen nicht folgen würde. Scheiße, er wäre gerne auch woanders. Al hatte er gesagt, er würde seine Freundin begleiten und Dominique hatte er erzählt, er würde mit Al zum Quidditchgeschäft gehen.

Er war froh, Rose überhaupt gefunden zu haben, denn in den Drei Besen war sie nicht gewesen. Und er hatte sich recht spontan entschieden, in die Nokturngasse zu flüchten, zu warten, bis sie näherkam, und sie anzusprechen.

Er glaubte, seine Stimme hatte nicht lässig und sicher geklungen. Aber nichts war mehr lässig und sicher. Gar nichts mehr. Und er wusste, irgendwann müsste er anhalten. Irgendwann… müsste er mit ihr reden.

 

Aber tatsächlich sprach sie mit ihm, auch wenn ihre Stimme eisig klang.


„Wo gehen wir hin?“ Sie klang so, als wäre sie kurz davor umzukehren. Und hastig sah er sich um. Er kannte keines dieser Geschäfte. Sein Vater nahm ihn nie mit, wenn er denn mal alle Jubeljahre hier auftauchte, weil er und Mr. Burke alte Bekannte waren. Scorpius entdeckte eine zwielichtig aussehende Schenke, deren Name nicht mehr zu entziffern war, und ruckte mit dem Kopf in die Richtung.

 

„Dorthin“, schloss er bestimmt, aber er sah aus den Augenwinkeln, wie sie innehielt. Ungeduldig wandte er sich um.

 

„Bist du verrückt?“, fragte sie ihn ernsthaft, und ihr Blick war abwehrend und kalt. Ohne Probleme würde sie einen Klatscher nach ihm schlagen, hätte sie ihren Schläger parat, nahm er dumpf an.

 

„Ich will das nicht hier draußen besprechen“, entkam es ihm gepresst. Und dann weitete sich ihr Blick für eine panische Sekunde, bevor sie sich unbewusst die Arme rieb, die in ihrer Gryffindorjacke steckten. Höchstwahrscheinlich der falsche Aufzug für einen Trip in die Nokturngasse, aber er wollte es hinter sich bringen.

Und er konnte es in ihrem Gesicht lesen. Was wollte er besprechen? Ihre Augen schrien es praktisch.

 

„Ich-“ Sie sah aus, als wolle sie gehen, als wolle sie sich abwenden. Und Scorpius verfiel in dumme Panik, und die Worte fielen praktisch aus seinem Mund.

 

„-Hugo weiß es“, sagte er, was ihm auf der Seele brannte, und zumindest hier, zwischen den düsteren, windschiefen Gebäuden der Nokturngasse, würde kein Weasley und kein Potter diese Worte aufschnappen. Zuerst wirkte sie überfordert und verständnislos, ehe langsam, sehr langsam eine Art Ahnung über ihr blasses Gesicht glitt. Ihr Kiefer gab nach, und ihre Lippen teilten sich ungläubig.

„Lass uns rein gehen“, sagte er, mehr oder weniger überzegt, denn er wollte selber ganz woanders sein. Sie hob den Blick zu der weniger vertrauenserweckenden Schenke, und es musste echte Verzweiflung sein, die sie trieb. Denn stumm setzte sie sich in Bewegung, wartete nicht auf ihn und schob schließlich die dunklen Türen auf.

 

Das Innere der Schenke war rußig und verraucht. Es war alter Pilzzigarrenduft, den Scorpius nur von seinem Großvater kannte. Schwer hing der Geruch von Scotch und Spirituosen süßlich und schwer in der Luft, so dass ihm die Augen kurz stachen. Er hörte, wie sie die Nase hochzog, sah ihre verschränkten Arme, aber sie fand einen verschwiegenen Platz nahe der Tür. Alte Zauberer starrten sie unfreundlich an, und der Wirt hinter der verwitterten Theke verengte die Augen. Die vertäfelten Wände wirkte nahezu schwarz. Er nahm an, es war sehr dunkles Mahagoniholz, denn eigentümlicherweise erinnerte ihn der Geruch an Zuhause.

Er folgte ihr, ignorierte die Blicke der Männer und setzte sich ihr gegenüber. Die Polsterung der Stühle schien nur noch Zier zu sein, denn die Sitzfläche war hart und unbequem. Sie legte ihre Arme nicht auf den Tisch, und er tat es ihr gleich. Die Oberfläche glänzte, aber ein bitterer Geruch stieg von ihr empor.

Er überlegte, ob die Leute hier nur hinkamen, um fragwürdige Geschäfte abzuwickeln. Sie mied seinen Blick entschieden, starrte auf die Tischplatte, und er wollte hier nicht länger als nötig sein, aber genauso wenig wollte er etwas sagen. 

 

Ihm wurde diese Entscheidung abgenommen, denn der Wirt erreichte sie, eine schmutzige Schürze um den Unterleib gebunden. Schlechtgelaunt blickte auf sie hinab, und Rose schien es gänzlich die Sprach verschlagen zu haben. So selten das auch vorkam.

 

„Etwas ohne Alkohol?“, wagte Scorpius zu fragen, und das grimmige Gesicht des Mannes wurde noch düsterer. „Oder… Butterbier?“, ergänzte Scorpius vorsichtig, aber der Wirt sah aus, als wolle er sie gleich auf die Straße werfen. Scorpius ließ sich nicht beirren, sah ihn weiter fest an und entschied sich recht spontan. „Scotch aus Amaronenfässern, doppelt gelagert“, befahl er einfallslos, denn das war, was sein Vater trank. Er spürte Roses schockierten Blick auf sich, aber der Wirt nickte schroff und wandte sich ab. Scorpius hatte nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte, aber sie entwich ihm jetzt sehr plötzlich.

 

„Hast du Geld dafür?“, fragte sie ihn scharf, und wie selbstverständlich nickte er, bevor er sich besann.

 

„Bestimmt“, korrigierte er sich, denn er wollte nicht so dastehen, wie ihn die meisten ohnehin betrachteten. Er wollte nicht hervorstechen. Nicht durch Gold, nicht durch andere Dinge. Kurz runzelte sie die Stirn, ging aber nicht weiter darauf ein. Er bezweifelte sehr stark, dass er auch nur einen Schluck Whiskey würde trinken können, aber er nahm an, auch Rose würde nicht mutiger sein. Die Gespräche der wenigen anderen Gäste waren still und Scorpius verstand keines der gemurmelten Worte. Es schien keine dieser lauten Schenken zu sein.

Er konnte gerade aber immer noch nicht ganz begreifen, dass er jetzt tatsächlich hier war. Mit ihr. Auch sein Blick fiel erneut in die schmale Runde, aber er kannte keines der Gesichter.

Sie sagte nichts mehr, starrte blank nach vorne und sie warteten, bis der Wirt wiederkam. Er wollte das Gespräch nicht beginnen, nur um Pausen zu machen. Eigentlich wollte er dieses Gespräch eigentlich gar nicht beginnen, aber er sah ein, dass er das wohl musste. Der Wirt stellte die beiden bauchigen Gläser, deren Wände bereits milchig waren, vor ihnen ab, und wartete unfreundlich. Wahrscheinlich darauf, dass Scorpius bezahlte.

Hastig reagierte er und griff in seine Hosentasche. Blind zog er mehrere Galleonen aus der Tasche und drückte sie dem Wirt in die ausgestreckte, kalte Hand – wohlwissend, dass er ein sehr großzügiges Trinkgeld hinterließ, aber der Wirt schien damit kein Problem zu haben.

Der Wirt verschwand, und jetzt konnte dieses Gespräch beginnen. Rose beäugte den rosefarbenen Whiskey misstrauisch, und der süßliche Duft verfing sich in Scorpius‘ Nase.

Verkrampft lagen seine Hände auf seinen Knien.

 

„Du musst mit ihm reden“, sagte er jetzt, denn er wollte es von der Seele haben. Und ihre defensive Haltung war greifbar. Röte stieg in ihre Wangen, ebenso wie der sanfte Ärger.

 

„Warum soll ich mit ihm reden?“ Ihre Worte waren angriffslustig, aber Scorpius erkannte, sie war genauso überfordert wie er es war.

 

„Weil-!“ Kurz dachte er nach. „Weil…-“, wiederholte er gepresster, aber er konnte nicht. „Weil er es weiß“, schloss er nach einer angespannten Stille.

 

„Sicher?“ Ihm gefielen ihre kurzen Antworten nicht, ihr Unglaube. Ihre Ablehnung. Es war nicht alleine sein Problem. Gut, es war überwiegend sein Problem.

 

„Ja“, knurrte er gepresst. „Er… hat mich gewarnt-“ Und jetzt unterbrach sie ihn tatsächlich. Unglaube stand auf ihren Zügen.

 

„-gewarnt?“, wiederholte sie. „Mein Bruder hat dich gewarnt?“ Und sie glaubte ihm nicht.

 

„Ja!“ Seine Stimme war sehr kurz laut geworden, und er zwang sich zur Beherrschung. Ihr Ausdruck wirkte noch verschlossener. „Ja“, bestätigte er gefasster. „Und-“

 

„-und was?“ Tatsächlich sagte sie das. Wieder fanden ihre Arme in die vertraute Position zurück, verschränkten sich erbarmungslos vor ihrer Brust, und sie sah ihn tatsächlich an. Selten sah er sie an. Selten sah sie ihn an. Merlin! Dass er dieses Mädchen voller Lust geküsst haben sollte, kam ihm Millionen Jahre entfernt vor und war so unwahrscheinlich, dass er es noch nie so sehr bereut hatte, wie in dieser Sekunde. Er hatte hundert Mal darüber nachgedacht, aber jetzt, wo es ernst wurde, wo es gefährlich wurde, sah er klar. Es war der dümmste Fehler seines Lebens. Rose Weasley war das Schlimmste, was ihm passiert war. Er hasste sich so sehr dafür.

 

„Und ich dachte, weder du noch ich… wollen, dass… dass diese Sache… rauskommt.“ Merlin, er nahm an, kryptischer konnte er nicht sein. Aber sie half ihm nicht. Sie kam ihm nicht entgegen, und zum ersten Mal ging ihm auf, dass sie vielleicht sauer auf ihn war. Zwar wusste er nicht weswegen, aber eigentlich war es ihm egal.

 

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hugo es weiß. Und wenn, dann dürfte es ihn nicht sonderlich interessieren, und er wird garantiert nicht zu deiner Freundin laufen und es ihr berichten, oder?“ Ihr wütender Blick fiel.

 

„Er weiß es! Und vielleicht redest du mit-“

 

„-das werde ich nicht tun!“, unterbrach sie ihn schärfer als zuvor, und ihre Augen hoben sich wieder. „Denkst du ernsthaft, so was tue ich? Mein Bruder und ich sind nicht-“ Aber sie unterbrach sich sofort, als hätte sie zu viel gesagt, als besann sie sich, als… gingen ihn ihre Gedanken nichts an. „Es ist egal. Wenn Hugo derjenige ist, der… der es weiß, dann… hast du nichts zu befürchten“, wiegelte sie freudlos ab.

 

„Ich?“, wiederholte er fast atemlos. „Ich allein?“ Ihm gefiel es nicht. Ihm gefiel nicht, wie sie es zu seinem Problem machte. Und dennoch hatte er nichts anderes von ihr erwartet! Er erwartete von dieser Seite der Weasley-Familie nie etwas anderes. Rose hatte ihn noch nie gemocht – und es würde sich nicht ändern. Und nicht nur ihren Vater hatte er gegen sich – sondern auch noch ihren verdammten Bruder! Gerne würde er ihr vorwerfen, dass es garantiert nicht alleine sein Problem war, aber sie sprach bereits.

 

„Ja, du allein!“, behauptete sie blind. Trotz beherrschte ihre Stimme, und er wusste nicht, was sie dazu veranlasste, aber sie griff aus einem plötzlichen Impuls heraus nach ihrem Glas, setzte es ohne Zögern an die Lippe, und ihr Gryffindormut war bewundernswert, nahm er an. Sie trank einen tiefen Schluck, nur um direkt den Mund zu verziehen. Aber sie machte keinen Laut, schüttelte sich nicht vor Ekel, sondern stellte das Glas zurück auf den Tisch. Hitze stieg in ihr Gesicht, aber sie ließ es sich nicht anmerken.

 

Blinder Zorn erfasste ihn ebenfalls und er griff sich sein Glas, nur um das teure Getränk in einem Zug zu leeren. Seine Kehle brannte sofort, schickte Tränen in seine Augen, und mit zu viel Kraft stellte er das Glas auf den Tisch zurück. „Dir wäre es wahrscheinlich auch noch recht, wenn er es erzählt, oder?“ Wut tränkte seine raue Stimme jetzt, und bevor er aufstehen konnte, musste er sich kurz besinnen. Es war ein starkes Getränk. Er blinzelte heftig.

 

„Mir wäre es recht, wenn es niemals passiert wäre!“, zischte sie wütend. „Und mir wäre es recht, wenn du niemals wieder mit mir sprechen würdest!“ Ihre Brust hob und senkte sich schneller, und sie stand als erstes auf. Es war so eigenartig, dass er neben ihrer Wut gleichzeitig etwas anderes erkennen konnte. „Arschloch“, entkam es ihr fast vorsichtig, und seine Lippen teilten sich. Sie wandte sich mit hochroten Wangen von ihm ab, stürzte fast über ihren Stuhl, und hastig erhob er sich ebenfalls. Die wenigen Gäste hatten ihre stillen Gespräche aufgegeben und betrachteten sie mittlerweile mit wachsendem Unmut und gleichmäßigem Interesse. Scorpius fluchte unterdrückt, als er Mühe hatte, gerade zu gehen, und stieß die Tür auf, die hinter ihr zugefallen war.

 

Was für eine dämliche scheiß Idee, ausgerechnet mit Rose Weasley-

 

„-und die Nummer zwei“, unterbrach eine bekannte Stimme seine zornigen Gedanken, und kurz setzte sein Herzschlag aus. Fuck. Rose stand zwei Schritte vor ihm, den Blick gesenkt, und Professor Longbottom wirkte nicht sonderlich begeistert. Sein Blick wanderte über ihn, dann über die Schenke, und Scorpius spürte, wie sich sein Mund öffnete, wie sein Gehirn angestrengt nach einer sehr guten Entschuldigung suchte, aber Professor Longbottom zerstörte all diese Hoffnung sehr schnell. Er setzte den schweren Beutel ab, den er trug, von dem Scorpius nicht zwingend wissen wollte, was sich im Innern befand, denn ein faulig moosig, erdiger Geruch drang vom Beutel nach außen.

 

„Haben Sie getrunken?“, fragte Professor Longbottom recht erbarmungslos, und Scorpius schüttelte sofort den Kopf, aber Professor Longbottom zog die Nase kraus, als er sich vorlehnte. „Sie stinken nach Alkohol, Mr. Malfoy. Miss Weasley?“, wandte er sich an sie, und zu Scorpius‘ massiver Wut, musste er feststellen, dass ihre Augen gerötet waren. Weinte sie? Ernsthaft? Sie weinte? Weshalb, bitteschön?! Ihr Problem war es ja anscheinend nicht, wie sie gerade festgestellt hatte! Sie hatte ihn beleidigt, dabei war er an diesem scheiß Tag nicht alleine am Strand gewesen! Sie hatte nicht Nein gesagt, Merlin noch mal! Oh Salazar, er verlor langsam die Kontenance. Er spürte, dass seine Handflächen feucht wurden.

 

„Möchte mir einer von Ihnen erklären, was hier gerade passiert? Ihnen ist bewusst, dass das hier eine sehr gefährliche Straße ist? Und das auch wenn man den Namen Malfoy trägt.“ Scorpius wusste, Professor Longbottom hatte die Weasley-Krankheit, die auch die meisten Weasley-Männer hatten – sie konnten ihn nicht leiden. Oder seinen Vater – oder sie allesamt nicht. Er wusste es nicht. Aber er wusste, er sagte besser gar nichts. „Haben Sie Miss Weasley gezwungen, Alkohol zu trinken?“, fragte der Professor jetzt ungnädig, und Scorpius nahm an, Professor Longbottom kannte Rose Weasley nicht sonderlich gut, denn dieses Mädchen ließ sich zu gar nichts zwingen. Alkohol benebelte kurz seine rationalen Gedankengänge.

 

„Oh, das hätte sie gerne“, entfuhr es ihm zornig, und zumindest aus den Augenwinkeln sah sie ihn an. Ja, am besten wäre es alles seine Schuld! Am besten kümmerte er sich alleine um dieses Schlamassel, aber es wäre sehr einfach, alles zu verdrehen, nahm er an. Als ob Rose besser dastehen würde als er! Wenn ihr Vater wüsste-

 

„-was haben Sie gesagt?“, unterbrach der Professor ihn scharf, aber Rose schien sich gezwungen zu sehen, zu sprechen.

 

„Nichts!“, sagte sie hastig. „Professor, es tut mir wirklich leid. Wir… sind hier aus Versehen gelandet, und wir… wurden dort drinnen genötigt zu trinken, und… das war eine falsche Entscheidung! Ich-“

 

„-ach Miss Weasley…. Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich einer Weasley dieser Ausreden abkaufe, oder?“ Rose schwieg abrupt. „Es ist ehrenhaft, was sie versuchen, und ich erwarte nichts anderes von einer Gryffindor, und dieses Mal kommen Sie davon.“ Scorpius glaubte, sich verhört zu haben. „Aber es gibt fünfzig Punkte Abzug, und Sie bekommen Nachsitzen. Beide. Ich erwarte Sie morgen Abend nach dem Essen an der alten Hütte. Ich hoffe, Sie fürchten sich nicht im Dunkeln? Aber wer alleine mutig genug ist, die Blutige Schenke zu betreten, von dem werde ich erwarten können, ein wenig Waldarbeit zu leisten, nicht wahr?“

 

Sie starrten ihn an. So ein Mist. Aber immerhin keine Briefe nach Hause. Sein Vater wäre ausgeflippt. „Da geht’s lang“, bedeutete Professor Longbottom streng, nachdem er seinen Beutel nachgeschultert hatte, und Scorpius beschlich die dunkle Ahnung, dass sie sich morgen Abend ausführlich mit dem ekelhaften Inhalt dieses Beutels beschäftigen durften.

Sie ging verdammt schnell, ließ ihn eilig zurück und verließ die Straße, noch vor ihm, und Professor Longbottom hielt ihn tatsächlich auf. „Ich beobachte Sie, Mr. Malfoy“, warnte er ihn, und langsam aber sicher reichte es Scorpius mit den verdammten Warnungen. Aber er war noch nüchtern genug, nicht zu widersprechen. Er nickte lediglich, bevor er hastig die Gasse ebenfalls verließ.

Und er hatte keine Lust mehr auf die Drei Besen.

Er hatte auf gar nichts mehr Lust.

 

 

 

 

 

Five

 

 

Sanfter Regen fiel. Es wurde noch kälter, und sie zog die selbstgestrickte Jacke von Grannie Weasley enger um ihre Schultern. Sie war sich nicht völlig sicher, warum sie abgebogen war, warum sie nicht in die Halle gegangen war. Obwohl… eigentlich war sie sich ziemlich sicher, warum sie durch die Tore nach draußen gegangen war. Sie wollte sie alle nicht sehen. Rumer nicht, Dom nicht, Hugo nicht, Scorpius nicht. Sie hatte gestern mit keinem mehr gesprochen, war nicht mehr in die Drei Besen gegangen und hatte auch keinem von ihrer Strafe erzählt.

Sie hatte schlecht geschlafen, und der Whiskey war besonders ekelhaft gewesen. Er war ihr auf den Magen geschlagen. Oder andere Dinge waren ihr auf den Magen geschlagen.

Sie war so wütend gewesen. Dass er die Dreistigkeit besessen hatte, sie abzufangen, dass sie auch noch mitgegangen war! Dass sie ihn in diese Spelunke begleitet hatte! Und dass sie sich auch noch anhören musste, was er für Probleme hatte! Er hatte sich diese Probleme selber gemacht! Er sprach nicht mit ihr und erwartete, dass sie höflich und hilfsbereit war, nur weil er ihr erzählte, dass Hugo es wusste?! War das sein Ernst?

Und ihr wurde eiskalt bei dem Gedanken, dass ihr kleiner Bruder sie gesehen hatte! Denn sie konnte damit nicht umgehen.

Sie hatte kein gutes Verhältnis mit Hugo. Er erinnerte sie zu sehr an ihre Mum. Und wenn sie sich auch nur ansatzweise vorstellte, Hugo auf dieses Erlebnis anzusprechen – dann… würde sie einfach sterben.

Merlin, sie hatte geweint! Obwohl sie schwor, dass es am Whiskey gelegen hatte. Aber seine bodenlose Dreistigkeit war unfassbar gewesen.

Er machte sich Sorgen? Er sah seine gute Zeit schwinden? Ja, vielleicht hätte er sich darüber Gedanken machen sollen, bevor er Dom entjungfert hatte! Bevor er ihr, Rose, ihren ersten Kuss gestohlen hatte!

 

Dumpf blickte sie in den Regenschleier hinaus. Die Pflanzen im Burghof waren noch grün, ließen aber langsam die Blätter hängen.

Es schlug ihr auf den Magen, dass sie ihn heute wiedersehen musste. Dass sie tatsächlich eine Strafe bekam, weil sie mit diesem Arschloch mitgegangen war. So hatte sie ihn genannt. Merlin, wieso hatte sie nicht einfach Nein gesagt? Diesmal, gestern, hätte sie Nein sagen können.

Wie konnte ein Fehler so große Folgen haben? Wieso war es nicht einfach vorbei?

 

Die Tore des Schlosses öffneten sich knarrend, und hastig stellte sie sich gerade hin. Sie mochte nicht, überrascht zu werden, egal von was. Und fast überraschte es sie nicht, Alby zu sehen. Neben Rumer war er der einzige, dem sie blind vertraute. Neben Rumer war er der einzige, der sie ernstnahm.

 

„Na, keinen Hunger?“ In einer sehr typischen Geste fuhr er sich durch die dunklen Haare. Er schlenderte neben sie, und sie blickte wieder starr nach vorne.

 

„Heute nicht so“, räumte sie achselzuckend ein.

 

„Ich hab dich gestern vermisst“, entgegnete er, und für eine Sekunde schwang etwas Unangenehmes in seinen Worten mit, aber natürlich war es albern. Er sagte es nicht auf eine komische Weise. Seine Stimme klang nicht anders, und sie wusste, wie er es meinte. Sie war im Moment einfach nur… sensibel. Das war alles. Und das war schon viel, wenn man bedachte, wer sie war.

 

„Ich… hatte keine Lust mehr“, räumte sie ein. „Ich musste noch einiges für Verwandlung nachholen.“ Merlin, jetzt log sie schon, dass sie lernte. Langsam ging es zu Ende mit ihr.

 

„Oho. Willst du Hugo Konkurrenz machen? Auch noch schnell eine Klasse überspringen?“ Sie verzog grimmig den Mund.

 

„Besser wäre es“, erwiderte sie gedankenlos.

 

„Ach ja? Und mich alleine lassen mit den Idioten, ja?“ Sie wandte den Blick, und sie wusste nicht, warum sie es sagte.

 

„Du hast doch noch Malfoy“, beschwichtigte sie ihn, aber Alby winkte ab.

 

„Ach, Malfoy ist schon ok, aber… reden tue ich lieber mit dir“, versprach er ihr gönnerhaft, auf diese Art und Weise, die sie gerne mochte, denn seine Worte könnten ein Scherz sein, sie könnten aber auch ernstgemeint sein. Es war eine Aussage, auf die sie nicht zwingend antworten musste. Sie konnte sie einfach stehen lassen. Langsam hoben sich ihre Mundwinkel wieder. „Eigentlich interessiert es mich nicht und ich rede nicht über solche Dinge, aber… wie es aussieht, hat Rumer uns verlassen“, erklärte er verschwörerisch. Und tatsächlich wandte Rose den Blick, um ihren Cousin anzusehen.


„Was meinst du damit?“ Fast klang sie atemlos.

 

„Also, wie sie und James gestern rumgeknutscht haben – ich dachte schon, sie untersucht, ob seine Mandeln noch drin sind“, schloss er eindeutig, und Rose verzog den Mund.

 

„Oh nein“, entfuhr es ihr resignierend.

 

„Jap“, bestätigte Alby mit tragischer Miene.

 

„Sie wird wiederkommen“, prophezeite Rose düster.


„Aber sie wird ein anderer Mensch sein. Ein ekligerer Mensch“, ergänzte er grinsend. „Ich hätte sie genommen, aber so…“, bemerkte er entschuldigend, und Rose nickte ernsthaft.

 

„Völlig verständlich, Alby. Völlig verständlich.“

 

Wieder öffneten sich die Tore. „Leute, was treibt ihr hier? Es ist nicht auszuhalten in der Halle. Und Fred weigert sich, sich lustig zu machen. Ich glaube, er hatte es auf Rumer abgesehen und jetzt ist er beleidigt.“ Louis stellte sich neben sie, und Rose vergaß langsam aber sicher ihre düstere Stimmung. „Kannst du deine Freundin nicht unter Kontrolle kriegen, Weasley?“, wollte Louis schlecht gelaunt von ihr wissen, aber Rose zuckte teilnahmslos die Achseln.

 

„Ich habe es versucht, Weasley“, imitierte sie Louis, und dieser musste lächeln. Dann seufzte er lange.

 

„Ich hätte sie einfach nehmen sollen, dann hätte sie so einen Unsinn gar nicht erst gemacht.“ Rose schüttelte bloß den Kopf.

 

„Ihr denkt, ihr würdet Rumer einfach so bekommen, ja?“ Sie sah beide verständnislos an. Aber Alby nickte selbstüberzeugt.


„Wie hoch kann ihr Selbstwertgefühl schon sein, wenn sie James uns vorzieht, hm?“ Und Rose musste fast lachen, beherrschte sich aber. Wieder schwang die Tür auf, und Fred wirkte ernsthaft sauer. Er war dunkel, aber seine krausen Haare zeigten die Idee von Rot, wenn das Licht auf sie schien. Und Rose hatte echtes Mitleid mit ihm.

 

„Was steht ihr hier so rum? Lasst uns Quidditch spielen!“, befahl er dumpf, und kurz warfen sie alle einen Blick in den erbarmungslosen Regen, aber es war Rose, die ihren Schweinehund überwand.

 

„Lasst uns spielen!“, rief sie motiviert, und ohne Ausrüstung, ohne irgendwas, liefen sie hinaus auf den Burghof, und der Regen durchnässte sie innerhalb von Sekunden. Fred schrie befreit, und Louis war der beste Zauberer von ihnen, und rief mit dem Accio nach ihren Besen. Rose freute sich fast. Es wäre genau das richtige, um sie abzulenken!

 

***

 

Pünktlich zum Mittagsessen stürmten sie siegessicher die Halle, tropfnass, aber absolut zufrieden. Mit dem klatschnassen Ärmel ihrer Strickjacke rieb sie sich über die Nase. Sie waren spät dran, und hätten sie sich umgezogen, hätten sie das Essen auch noch verpasst. Alby schlug vor, am Slytherintisch zu essen, und Rose willigte als erste ein, denn Scorpius saß neben Dom am Gryffindortisch, wie sie unschwer erkannte, denn seine Haare waren noch heller als Doms. Sie waren ein lächerliches Pärchen.

Und sehr kurz erlaubte sie es sich, nach Rumer Ausschau zu halten. Und tatsächlich erwiderte ihre Freundin ihren Blick. Sie saß neben James, dieser erzählte ihr gerade etwas, und eigentlich wusste sie, wäre es wohl ihre Pflicht als beste Freundin gewesen, in den Drei Besen gewesen zu sein, um die Anfänge mitzuerleben, von diesem verdammten Unglück, was James Potter hieß.

Und sehr kurz hasste sie sich dafür, nicht da gewesen zu sein.

Denn das war es jetzt gerade, was Rumer wollte. Und sie hatte ihn auch bekommen, wie es aussah. Und Rose war nicht da gewesen, hatte den verhängnisvollen ersten Kuss nicht miterlebt, und… es tat ihr tatsächlich leid. Wenn man bedachte, dass sie ihren Nachmittag damit verschwendet hatte, mit Scorpius Malfoy in der Blutigen Schenke erwischt zu werden – da hätte sie lieber hundertmal zugesehen, wie James und Rumer knutschten. Vielleicht nicht hundertmal….

 

„Kommst du?“ Albys Stimme holte sie in die Realität zurück und sie folgte ihm.

 

„Rose!“ Sie hielt inne, und tatsächlich befiel sie ein eiskaltes Gefühl. Sie wandte sich langsam um. Hugo kam mit langen Schritten vom Ravenclawtisch auf sie zu. Sie fasste ihn ins Auge und konnte sich nicht vorstellen, dass er es wusste. Aber… es musste so sein. Sonst hätte Scorpius niemals… solche Längen auf sich genommen. Und als er sie erreicht hatte, hatte Rose Angst, dass er es plötzlich durch die Halle schreien würde. Dass er sie gesehen hatte! Am Strand, wie sie Scorpius Malfoy geküsst hätte, als… hätte es keine Regeln gegeben. Als…-

 

„-hier“, sagte er knapp. Stumm führte er den Trockenzauber aus, und die klamme Kälte verschwand augenblicklich. Faltig und flusig hing ihre Jacke an ihr, und sie konnte nur hoffen, dass Grannie Weasley ihr dieses Weihnachten eine neue stricken würde. Aber sie wurde ohnehin um die Brust etwas eng, hatte Rose lästigerweise festgestellt. Merlin, wie konnte sie annehmen, dass ihr Bruder ihr Geheimnis durch die Große Halle posaunen würde? Sie wurde langsam paranoid. Dann schüttelte er den Kopf. „Und ich mache es nicht, weil du die Erkältung nicht verdienst“, maßregelte er sie. „Ich mache es, damit du keinen Unterricht versäumst.“ Aber sie konnte über seine Kälte nur lächeln. Denn wenn jemand etwas für sich behalten konnte, dann wohl Hugo nahm sie an. Eine lächerliche Erleichterung überkam sie.

 

„Danke, Hugh“, murmelte sie fast liebevoll. Er runzelte die Stirn über sie. Dann verdrehte er die Augen, um wieder zu seinem Tisch zurückzukehren. Sie machte Kehrt und setzte sich auf den freien Platz neben Alby.

 

„Wow“, bemerkte Presley Ford, der ihr gegenüber saß, anerkennend und nickte ihrer Erscheinung zu. Roses Blick fiel auf ihre Kleidung, und sie sah einfach richtig scheiße aus. Aber sie musste grinsen.

 

„Sexy, hm?“, entgegnete sie frech, und Presleys Mundwinkel hoben sich.

 

„Deine Haare sehen super aus“, bestätigte er dann, und fast wurde sie rot. Meinte er das ernst? Wenn sie ihre nassen Haare trocknete, ohne Bürste, ohne alles, dann drehten sie sich noch stärker zu noch wilderen Locken, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwem gefiel.

 

„Schleimer“, bemerkte Alby neben ihr, aber Presley ließ sich nicht beirren.

 

„Sie hat immerhin einen Bruder, der den Trockenzauber beherrscht, ohne sich in Brand zu setzen“, schloss er eindeutig. Alby schenkte ihm einen säuerlichen Blick.


„Schon mal dran gedacht, dass das Absicht war?“, erkundigte er sich, und Presley dachte darüber nach.

 

„Und… dass du geschrien hast, wie eine Erstklässlerin – das war auch Absicht, nehme ich an?“

 

„Absolut“, bestätigte Alby eiskalt. „Meine Taktik“, schloss Alby feierlich, und Rose musste lachen. Es war besser, über Albys dumme Witze zu lachen, als sich tatsächlich fragen zu müssen, ob Presley Ford ihr ein Kompliment gemacht hatte. Sie hatte genug damit zu tun, die Röte in ihrem Gesicht zu kontrollieren. Und höchstwahrscheinlich war er nur nett zu ihr, weil sie so haushoch im Armdrücken gegen ihn verloren hatte – ohne James‘ Hilfe. Sie fing ab und an seinen Blick auf, und jedes Mal lächelte er.

Er war ganz einfach zu gutaussehend. Das hatten sie und Rumer schon vor Ewigkeiten beschlossen. Rumer hatte sogar die Vermutung angestellt, dass Presley schwul sein könnte, weil er so gut aussah. Aber Rose glaubte es nicht.

Nicht wirklich zumindest.

 

„Hast du Lust, heute Abend vorbeizuschauen?“, fragte Alby sie, und für gewöhnlich trafen sie sich Sonntagabends sowieso. Aber… heute konnte sie nicht. Und scheinbar hatte es Scorpius Alby nicht erzählt. Sonst wüsste Alby ja Bescheid.

 

„Sorry, ich kann nicht. Ich… muss noch lernen.“

 

„Lernen?“, wiederholte Alby entgeistert. „Merlin, was ist los mit dir? Hast du das nicht gestern schon getan? Was willst du denn alles lernen? Du machst mir noch Angst, Weasley“, bemerkte er kopfschüttelnd. „Nachher besuchst du sonntags noch deinen Bruder im Ravenclawgemeinschaftsraum“, ergänzte er mit erhobener Braue.

 

„Ja, wenn ich das Passwort wüsste…“, erwiderte sie grinsend. Es war bedenklich, wie leicht es ihr fiel, zu lügen. Und es versetzte ihr einen kurzen Stich, dass sie ihre Zeit nicht mit den Schulbüchern verbrachte, sondern Strafarbeiten absaß. Gerne hätte sie heute tatsächlich gelernt, aber… das Schicksal ließ es einfach nicht zu. 

Sie könnte es heute Nachmittag versuchen? Die Jungen würden ohnehin nur im Gemeinschaftsraum sitzen und Karten spielen, alberne Zauber ausprobieren und Fred war gestern noch im Scherzartikelladen gewesen und hatte die neuen Knallbohnen gekauft. Die schwarze Edition sei noch explosiver, hatte Onkel George versichert.

Und Rose wäre für so einen Spaß natürlich zu haben gewesen, aber… Rumer und James wären da. Scorpius und Dom wären da. Es wäre… unangenehm.

Ganz einfach.

 

Nach dem Essen trennten sich ihre Wege. Die Jungen wollten sich duschen und umziehen und Rose würde… ihre Sachen holen. Sie würde… in die Bibliothek gehen. Es wäre ein Plan. Sie war sich nicht sicher, ob es funktionieren würde, aber… sie könnte den verdammten Büchern ja mal eine Chance geben. Die Zags bestanden sich nicht von selbst, wie Hugo ihr hundertmal versichert hatte.

 

 

 

Sie hatte sich in einen weiten, gemütlichen Pullover geflüchtet, trug ihre schwarze Lieblingshose, die zwar einen Riss überm Knie hatte, aber sie saß angenehm und war an den Beinen einigermaßen eng. Die Haare hatte sie nicht gekämmt, aber sie hatte sie in einen hohen Zopf gebunden, so dass einzelne Korkenzieherlocken immer wieder in ihre Stirn fielen. Sie war ihre Haare selten so wild gewöhnt. Sie kämmte alle massiven Locken für gewöhnlich aus, so dass es lediglich wilde Wellen waren, aber wenn sie heute schon so tat, als wäre sie ihre Mum, könnte sie zur Abwechslung auch mal so aussehen.

Sie schulterte die Tasche, die schwerer war, als sonst, und alleine auf dem Weg zur Bibliothek kam sie sich schlauer vor.

Dort angekommen zog sie sich allerdings in einen der schmalen Gänge zurück, lernte nicht an den Gruppentischen oder in einem privaten Raum. Sie saß mitten in den Büchern, an den kleinen Arbeitstischen. Petroleumlampen reihten sich in grün aneinander, und sie fühlte sich nicht unwohl.

Alle Utensilien stellte sie ordentlich vor sich und kaute auf ihrer Lippe, als sie das Tintenfass aufschraubte.

 

Aus ihren Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr, aber als sie den Kopf wandte, war der Schatten bereits verschwunden. Sie blinzelte, aber niemand war zusehen. Sie war nicht alleine in der Bibliothek, aber dass hier Schatten umher schlichen war doch nicht normal, oder?

Kopfschüttelnd schlug sie das leidige Verwandlungsbuch auf. Sie las die erste Seite des sechsten Kapitels, bevor sie die Bewegung erkannte. Diesmal hob sie den Blick schneller, und sah gerade noch, wie der Geist zur nächsten Regalreihe schlenderte.

Ein Gespenst. Ein Bibliotheksgespenst. Aber sie glaubte, ihn erkannt zu haben.

Erneut senkte sie den Blick, las aber keines der Worte, sondern verharrte starr. Und tatsächlich! Der Geist kam wieder in ihren Gang geschwebt.

Snapes Bewegungen waren fließend, er schien vor diesem Buch innzuhalten, dann vor dem nächsten, aber dieses Mal sah Rose nicht auf.

Dann kam er näher, bis sie die dunklen, milchigen Knöpfe seines Gehrocks erkennen konnte. Sie verharrte, obwohl es unangenehm war.

 

Er blieb in ihrem Gang, schwebte mal nach links, nach rechts, bis er schließlich zum Fenster flog, ganz durch den Gang, und hinaus blickte, als interessiere ihn die Landschaft.

Rose beruhigte sich wieder, arbeitete sich durch das Kapitel, während sie den Geist völlig ausblendete. Am Ende des Kapitels bekam sie schließlich drei Fragen vorgesetzt: Aus welcher Bewegung aktiviert sich der Drei-Basen-Zauber und warum? Welcher Status ist erforderlich? Welcher Status verursacht eine gegenteilige Reaktion?

Natürlich erschlossen sich diese Fragen leider nicht nur durch das Lesen des einen Kapitels. Dennoch tauchte sie ihre alte Feder in das Fass, ließ die Tinte vorsichtig zurücktropfen, verharrte unschlüssig, ehe sie die Feder über das Pergament wandern ließ.

 

Mit einem lauten Klonk fiel eines der Bücher aus dem Regal hinter ihr. Sie zuckte zusammen, und der erste Tropfen blauer Tinte fiel auf ihr leeres Blatt. Hastig legte sie die Feder ab, um sich umzusehen. Snapes Geist schwebte immer noch reglos vor dem Fenster, aber keine zwei Meter hinter ihm war ein Wälzer zu Boden gestürzt. Aber es war ziemlich unwahrscheinlich nahm sie an. Die großen Bücher fielen nicht mir nichts dir nichts aus den Regalen in Selbstmordversuchen. Sie erhob sich langsam, behielt den Geist im Auge, der nicht gleichgültiger vor dem Fenster schweben konnte, und griff sich das schwere Buch vom Boden. Der Einband war abgegriffen und gelblich, aber der Titel war ziemlich deutlich.

 

‚Der Basenzauber‘ von Emilia Grain. Rose hob die Augenbraue in sanfter Überraschung. Sie glaubte nicht, dass es Zufall war. Aber sie glaubte auch nicht, dass Snape sich tatsächlich die Mühe machte und Bücher aus den Regalen fallen ließ. Sie setzte sich wieder, schlug den Wälzer auf und fing an zu blättern.

Fünf-Basen, Sechs-Basen – ah! Hauptzauber – Drei-Basen!

Die drei Basen waren Blut, Magie und Bewegung, aber das wusste sie bereits aus dem Kapitel. Zur Anwendung kommt der Zauber bei jeder angehenden Wandlung oder Morphmose. Sie notierte sich unordentlich die Antwort.

Welche Bewegung aktiviert den Zauber…? Sie las weiter, blätterte sich durch die Kapitel, bis ihr Finger die Stelle fand. Erdbewegung! Sie überlegte kurz. Also nach unten, nahm sie an. Sie rief sich den Morphmosenzauber für simple Photosynthese ins Gedächtnis. Da war die Nachuntenbewegung – oder die Erdbewegung, wie sie jetzt gelernt hatte – wichtig, weil Blut nach unten floss! Und das brachte sie zur zweiten Frage.

Sie wusste, es gab einfachen Blutstatus, doppelten Blutstatus – und sie nahm an… dreifachen? Gab es dreifachen? Hier fand sie keine schlaue Antwort im Buch. Zwar wurde Blutstatus in mehrfacher Ausführung weiter hinten erklärt, aber nicht im Zusammenhang mit den Basenzaubern.

Viel zu kompliziertes Buch.

 

Klatsch!

 

Der Wälzer sank in ihrer Hand. Das nächste Buch war gefallen, aber es war eine sehr schmale Ausgabe. Und dieses Mal hatte der Geist sich tatsächlich umgewandt. Sie sah ihn an, aber sein Ausdruck war undeutbar. Sie erhob sich, und mit demonstrativer Ruhe schritt sie zum schmalen Hefter auf dem Boden. Er war wesentlich jünger, und es schien eine der Ausarbeitungen zu sein, die sich häufiger finden ließen, wenn Studenten langweilige Arbeiten über ein bestimmtes langweiliges Thema schrieben. Hugo schwor auf diese extraanstrengenden Aufzeichnungen, deswegen wusste Rose überhaupt, was sie da vor sich hatte.

 

Wahrscheinlich irgendeinen langweiligen-

 

Hermine Granger – Blutstatus im Wandel

(Korrektur: Astoria Greengrass)

 

Sie vergaß, Snape herausfordernd anzusehen und setzte sich perplex zurück auf ihren Stuhl. Sie schlug die erste Seite zurück und konnte sagen, dieses Buch war noch nicht sonderlich häufig aus dem Regal genommen worden.

Das Erscheinungsdatum lag sechzehn Jahre zurück. Und Roses Mund öffnete sich überrascht, als sie die Widmung las.

‚Meiner Tochter‘.

 

Es war… tatsächlich was sie suchte. Unfassbar! Sie hob den Blick, wollte irgendetwas sagen, aber der Gang war leer, das Fenster freigegeben. Snape war verschwunden. Ihre Schultern sanken. Was trieb der Geist? Wartete er nur darauf, dummen Schülern wie ihr zu helfen? Sie konnte es sich fast nicht vorstellen.

Und gegen ihre Erfahrung blätterte sie weiter, um zum Vorwort zu gelangen.

 

‚Das Thema meiner Abschlussthese befasst sich mit dem unterschiedlichen Blutstatus, welcher zur Basenbestimmung ausschlaggebend ist.

Gewundert hatte mich persönlich, dass der medizinische Blutstatus denselben Titel trägt wie auch der gesellschaftliche Blutstatus. In der Gesellschaft gibt es Reinblüter, Halbblüter sowie Muggel. Auch scheint sich aus medizinischer Sicht eine ähnliche Struktur finden zu lassen, wobei der Mehrfach-Blutstatus ähnliche Geltungsmotive besitzt, wie der reine Blutstatus in der magischen Gesellschaft. Der doppelte Blutstatus befähigt schwächere Basenzauber, wohingegen der simple oder der einfach Blutstatus grundlegende Energiezauber ermöglicht.

Eigenartig, nicht wahr? Zur Einfachheit und zur Demontierung dieser veralteten Begriffe, möchte ich das Wort Blutstatus ändern und durch die Terminologie ‚Ausführung ohne Zauberstab‘, Ausführung mit Zauberstab‘ und ‚Ausführung mit Zauberstab und weiteren Zutaten‘ ersetzen. Blutstatus scheint mir irreführend und unpassend zu sein.

Verabschieden Sie sich also von der alten Struktur. Und somit beginne ich mit Wandlungszaubern ohne Zauberstab!‘

 

Rose ließ den Hefter sinken. Das war… absolut großartig! Sie konnte nicht fassen, dass tatsächlich ihre Mutter ihr gerade half, das leidige Thema der Basenzauber und ihrem Blutstatus zu begreifen! Merlin, es waren einfach nur Wandlungszauber mit Zauberstab oder ohne Zauberstab!

 

Sie kannte sich nicht sonderlich gut mit Aha-Momenten aus – aber… das schien einer davon zu sein! Ihre Mum war… genial!

Fast hatte sie wohl ihrer leidigen Situation zu danken, dass sie gerade nicht schwarze Knallbohnen ausprobierte, dachte sie belustigt, als sie sich ein zweites Pergament zurechtlegte, um sich die vereinfachten Namen aufzuschreiben.

Und zum ersten Mal bemerkte sie nicht, wie die Zeit in der Bibliothek verging.

 

 

 

 

Er schloss die Augen, als sie ihn auf die Kissen zurückdrückte und ihn küsste. Seine Hände legten sich auf ihre Taille, und er mochte, wenn sie über ihm war. Zwar waren sie noch komplett angezogen, aber schon jetzt war es ein unglaubliches Gefühl. Ihr Körper rieb sich an seinem, und er atmete ihr Parfüm ein. Sie roch blumig und frisch, und ihre Lippen öffneten sich über seinen. Er vertiefte den Kuss, ließ sich gänzlich fallen und spürte, wie sie die Knöpfe seines Hemds öffnete. Seine Hände wanderten tiefer unter ihren Rock, und er spürte seine Erregung deutlicher. Er wurde härter und härter und überlegte sehr kurz, ob er die Tür zum Schlafsaal verschlossen hatte… - hatte er! Es fiel ihm wieder ein.

Ungefähr überschlug er in seinem Kopf, wie viel Uhr es war, denn wenn er das Abendessen verpasste, müsste er trotzdem im Kopf behalten, wann er an der Hütte zu sein hatte.

 

Sie hatte die Knopfleiste abgearbeitet und sanft strichen ihre Finger über seine Haut. Ihre manikürten Nägel kratzten spielerisch über seinen Körper, und er bäumte sich auf. Er zog den Saum ihres dünnen Pullovers über ihren Kopf, und ihr BH war pink. Sie sah fantastisch aus. Ihre Lippen waren durch die Küsse schon geschwollen und rot, und er liebte es einfach, sie zu küssen. Seine Finger schoben die Träger ihres BHs ihre Schultern hinab, und er verteilte sanfte Küsse auf ihrer Schulter, bis er ihren Busen hinab küsste.

Er hatte so ein verdammtes Glück! Er war der glücklichste Junge der Schule, so viel stand fest. Er zog den Stoff tiefer, bis er einer ihrer Brustwarzen verlangend in seinen Mund saugen konnte und warf sie um, so dass er über ihr lag.

 

Sie stöhnte unter ihm, und es machte ihn wild. Ungestüm schob er ihren kurzen Rock höher, öffnete seine Hose, und wusste, er musste den Verhütungszauber noch anwenden, bevor… bevor….

Er verharrte in der Bewegung. Scheiße.

 

Sie reagierte unter ihm. „Scorpius? Alles ok?“ Ihre Stimme war verschleiert vor Lust, und er hasste sich gerade selbst.

 

„Ich…“ Aber sie merkte es.


„Oh“, flüsterte sie knapp. „Soll ich…?“, bot sie direkt an, und ihre Hand griff in seine Hose, schloss sich um seinen plötzlich schlaffen Penis, aber er hielt sie auf. Betroffen zog sie die Hand zurück, und er setzte sich neben sie auf das Bett.


„Tut mir leid“, entfuhr es ihm rau. Sie setzte sich ebenfalls auf, kämmte sich mit den Fingern durch die seidigen Haare und wirkte ein wenig atemlos.

 

„Kein… Problem“, erwiderte sie, aber ganz klar war es ein Problem.

 

„Hey, ich… kann mich um dich kümmern, und-“

 

„-schon gut“, entfuhr es ihr. Und er hörte es. Sie war beleidigt. „Du musst mir sagen, wenn ich dich nicht mehr errege, Scorpius.“ Seine Augen weiteten sich.

 

„Dominique, was redest du für einen Unsinn?“, entfuhr es ihm verzweifelt. „Ich liebe dich, du bist das Wunderschönste in meinem Leben.“ Und kurz verlor sich der enttäuschte Zug auf ihrem Gesicht.

 

„Wirklich?“, flüsterte sie, und er verdrehte die Augen. Sie mochte, wenn er ihr erzählte, sie wäre wunderschön. Was sie auch war, keine Frage!


„Du bist alles, wovon ich träume, das weißt du“, versprach er blind, und wenn er sehr ehrlich war, dann hatte er tatsächlich schon lange nicht mehr von ihr geträumt – aber das hieß nicht, dass sie nicht trotzdem das Mädchen seiner Träume war.

 

„Danke. Ich… habe nur Angst, dass-“

 

„-keine Sorge. Ich…- das wird sich einrenken.“ Es war nämlich nicht das erste Mal, dass er schlapp machte. Es passierte ihm viel zu häufig in letzter Zeit. Er hasste es. Und er hasste vielmehr, dass er eine Ausrede erfunden hatte. Eine billige, schäbige und gelogene Ausrede.

 

„Kein Problem“, sagte sie sofort. „Wenn du noch mit deiner Trauer zu kämpfen hast, Scor, ich bin immer für dich da“, versprach sie ihm sanftmütig, legte die Hand über seine Wange, und er schämte sich noch mehr. Er hatte den Tod seiner Mutter vorgeschoben, denn ihm war nichts Besseres eingefallen.

Er nahm an, sein krankes Hirn drehte ihm einen Strick durch die Rechnung, weil er Dominique insgeheim ungerne wehtat und er wusste, wüsste sie Bescheid über Rose, dann würde sie ihn verteufeln und hassen und weinen und… Schluss machen. Und anstatt keinen Sex mehr mit ihr zu haben, weil er ihr die Wahrheit sagte, hatte er einfach keinen Sex mehr mit ihr, weil er sie anlog.

Er war sechzehn! Er sollte nicht das geringste Problem mit seiner Erektion haben. Schön, dass das wieder etwas war, worüber er nicht mit seinem Vater reden konnte. Mit niemanden, tatsächlich.

Denn Al ekelte sich vor Dominique, was Scorpius ebenso seltsam fand, bedachte man, dass er sich vor Rose nicht ekelte.

 

Zu viel! Selbst jetzt dachte er zu viel an Rose Weasley – dabei hatte sie nichts in seinem Kopf zu suchen.


„Woran denkst du?“, fragte sie ihn vorsichtig.

 

„An meine Mum“, log er sofort, und das schlechte Gewissen stach heftig zu, so dass ihm schlecht wurde. Er war ein Arschloch. Rose hatte vollkommen recht. Fuck. Hör auf, an sie zu denken! Er konnte sich nur mental maßregeln. Nicht, dass es half.

Nicht, dass es wirklich half, verdammt noch mal.

Sein Blick fiel auf seine Uhr. Scheiße. Es war nach sieben! „Hör zu, ich… werde noch eine Runde joggen gehen, ok?“ Er knöpfte sein Hemd wieder zu, und Dominique wirkte ein wenig vor den Kopf gestoßen. „Ich… will meinen Kopf wieder freikriegen. Wir sehen uns morgen, ja?“ Sie nickte bloß, und er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Ich ziehe mich um“, verabschiedete er sich und nahm die Trainingsklamotten mit ins Bad.

 

Er hoffte, Trainingsklamotten wären angemessen für die bevorstehende Aufgabe, denn jetzt hatte er ihr erzählt, er würde joggen. Und wenn sie gleich noch im Zimmer war, hatte er besser die passenden Klamotten für seine neueste Ausrede an. Es machte ihn fertig. Diese ganze Situation. Und er war sich nicht einmal sicher, warum. Er hatte nicht gewusst, dass er doch so ein aktives Gewissen besaß. Er musste Dominique wirklich lieben. Mehr, als er jemals gedacht hatte.

Als er umgezogen war, war sie nicht mehr im Schlafsaal. Und er nahm an, sie würde noch eine ganze Weile beleidigt sein. Zeit, wieder Schmuck zu kaufen.

Al machte sich offen und gerne über ihn lustig, aber Scorpius hatte festgestellt, dass sich Dominique erfolgreich mit Schmuck besänftigen ließ, und deshalb würde er an dieser Taktik festhalten.

 

Hastig stieg er in seine Schuhe. Er hatte niemandem von der Strafe erzählt, und so würde er es auch gerne beibehalten. Jetzt musste er seinen Hintern bewegen, um Al zu entgehen, bevor dieser vom Abendessen wiederkam.

Sein Leben war verdammt stressig geworden.

 

 

Six

 

Es war nicht so, dass sie zwingend Angst im Dunkeln hatte – es war lediglich so, dass sie nicht gerne nach Einbruch der Dämmerung draußen war. Ja. Technisch gesehen, fühlte sie sich nicht sonderlich wohl im Dunkeln. Sie hörte die Käuze und Eulen aus der Eulerei rufen, denn sie schliefen natürlich nicht. Mit dem Zauberstab leuchtete sie den Weg, und immerhin war sie in ihren Gedanken immer noch abgelenkt durch ihren Fund. Oder Snapes Fund.

Es war wirklich ungewöhnlich gewesen, und sie hatte nicht gewusst, dass ihre Mutter eine These veröffentlich hatte, und dass sie ausgerechnet ihr gewidmet worden war. Wahrscheinlich wäre eine Widmung an Hugo eine bessere Entscheidung gewesen, aber insgeheim war Rose recht stolz darauf.

Immerhin braucht sie nicht auch noch zu warten, denn sie erkannte Professor Longbottom schon von weitem. Er befüllte gerade einen Sack, und Rose verzog die Nase, als der scharfe Geruch sie traf.

 

„Was ist das?“, entfuhr es ihr angewidert, aber der strenge Blick des Lehrers, ließ sie schlucken. „Äh, guten Abend, Professor“, ergänzte sie eilig. Es war derselbe Geruch, den sie in Hogsmeade wahrgenommen hatte.

 

„Guten Abend, Rose“, begrüßte er sie, und er nannte sie Rose, was er sonst nur außerhalb der Schule tat. Für gewöhnlich würde sie es Rumer erzählen. Aber… eben nicht im Moment. „Das hier ist Drachendung. Charlie war so nett, mir was nach Hogsmeade zu liefern“, erklärte er offen, und Rose würde nicht begreifen, wie man sich ernsthaft für Kräuterkunde interessieren konnte. Niemals. Sie verzog den Mund. Ihr Onkel Charlie war der einzige Weasley aus ihrer Familie, der keine Kinder hatte. Er lebte in Rumänien und war ziemlich zufrieden damit, geschützte Drachenarten zu züchten. Manchmal beneidete sie ihn um seine Einsamkeit. Aber meistens eher nicht. Sie war zu sehr an ihre riesige Familie gewöhnt.

 

„Oh“, entkam es ihr.

 

„Drachendung ist äußerst hilfreich bei magischen Nachtschattengewächsen. Und diese magischen Nachtschattengewächsen sind Hauptnahrung der Einhörner im Wald – also… dient es einem guten Zweck.“ Er hob noch eine große Schaufel in den Sack, und dann hörte sie weitere Schritte. Malfoy erreichte sie im Laufschritt, und sie war froh, dass es dunkel war. Auch er verzog hörbar die Nase. Er trug Sportkleidung, stellte sie ein wenig entgeistert fest. Was dachte er, was sie hier veranstalteten? Aber sie war weit davon entfernt, überhaupt mit ihm zu reden. Mit Glück, durften sie getrennt arbeiten.

 

„Abend, Professor“, begrüßte er ihn außer Atem. „Drachendung?“, stellte er die entsprechende Frage, und natürlich wusste der Vertrauensschüler, was es war. Es nervte sie fast ein wenig. Aber Rose war dennoch sehr beruhigt, dass Scorpius trotz seines Wissens keine Chance auf den Posten als Schulsprecher haben würde. Merlin sei Dank ging diese Stelle bereits an ihren superschlauen Bruder. Der auf ewig etwas gegen sie in der Hand haben würde, dachte sie im selben Atemzug, und empfand wieder den bitteren Stich. Scorpius ignorierte sie ebenfalls, sah sie nicht an, und Rose fand das wirklich in Ordnung.

 

„Ja, das stimmt“, bestätigte Professor Longbottom knapp, ohne Scorpius‘ Wissen weiter zu würdigen. „Ich habe euch einen Sack fertig gemacht. Wir werden getrennt arbeiten, dann geht es schneller. Ihr zusammen, ich allein“, ergänzte er eindeutig, und Rose wollte protestieren, aber ihr ging auf, was sie tatsächlich zu tun hatten. Sie würden in den Wald müssen. Kurz wog sie ab, Longbottom zu bitten, dass er sie begleitete, aber dann rebellierte ihr Stolz. Sie war kein feiger Jammerlappen. Nur die Dunkelheit machte ihr zu schaffen. Und natürlich die Anwesenheit von Scorpius Malfoy. Professor Longbottom vollführte einen recht komplizierten Zauber, griff in eine Samentüte und warf sie in den Wald, nachdem er zum Waldrand gegangen war. Die Samen begannen zu leuchten, schimmerten auf dem Waldboden und schienen einen Weg anzuzeigen. Es lenkte Rose von ihren Gedanken ab.

 

„Eine halbe Stunde sollte ausreichen. Die Samen glühen noch etwas länger, dann allerdings ist der Leuchtstoff aufgebracht. Folgt also den Samen, dann findet ihr die Gewächse. Kräftig Düngen, keine Blätter abreißen und nicht die Ruhe des Waldes stören. Verstanden? Wenn ihr Probleme haben solltet, einfach Funken in die Luft hexen, dann komme ich. Apparieren dürft ihr nicht, also… viel Spaß.“ Er zog zwei Paar Handschuhe aus den Tiefen seiner Jacke, warf sie auf den Boden vor ihnen, schulterte er den einen Sack und ließ den anderen für sie zurück. Er wirkte schwer.

Es verging ein stiller Moment, nachdem Professor Longbottom verschwunden war, und Rose hatte kein gutes Gefühl, mit Scorpius in den Wald gehen zu müssen.

Sie hatte kein gutes Gefühl, überhaupt in den verdammten Wald zu müssen, aber sie wusste keine andere Lösung.

Wie würden sie den Sack transportieren? Würde der Wingardium-

 

Aber Scorpius hatte sich schließlich resignierend gebückt, und mit einiger Kraftanstrengung schulterte er den stinkenden Beutel. Er verzog den Mund, drehte den Kopf zur Seite und ging dann, ohne ein Wort voran. Rose folgte ihm unschlüssig, denn ihr Stolz erlaubte es nicht, einfach hier zu bleiben. Sie klaubte die Handschuhe vom Boden und fand, es war faire Arbeitsteilung. Sie folgte ihm auch in sicherem Abstand, so dass der Geruch nicht zu schlimm war, und gönnte ihm, von dem Gestank umnebelt zu sein.

Der Wald lag ruhig vor ihnen. Die nächtlichen Geräusche waren anders als die vom helllichten Tag. Kein Vogel sang sein Lied, und das Unterholz knackte und knisterte leise unter den Pfoten kleiner Tiere, die nur nachts ihrem Rhythmus nachgingen.

Ab und an schreckte ein kleines Tier im Dickicht zurück, wenn es ihre Schritte vernahm, und Rose hatte das Gefühl, die Leuchtsamen zogen sich in endlose Längen. Scorpius schien unter dem Gewicht nicht müde zu werden, oder er tat zumindest so. Sie schauderte kurz, als der Schatten einer Eule über ihnen hinweg sauste und schuhute. Es erinnerte sie an Hänsel und Gretel, mit den Samen am Boden. Eine Geschichte, die ihre Mutter ihr immer wieder hatte vorlesen müssen, und Rose waren immer neue Ideen gekommen, wie Hänsel und Gretel die böse Hexe im Lebkuchenhaus hätten überlisten können. Sie mochte, dass es in Muggelgeschichten keine Magie gab – und wenn, dann nur böse. Sie mochte, wenn die Leute auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen waren.

Sie hoffte nur, dass sie heute nicht in eine Lebkuchenhaus-Situation geraten würden. Mit Absicht beschäftigte sie sich mit diesen albernen Gedanken, weil sie wusste, dass die Dunkelheit ihre Atmung beschleunigte. Sie vermied es, sich alle paar Meter umzudrehen, nur um sich zu vergewissern, dass sie alleine waren. Scorpius brauchte nichts von ihrer kleinen Schwäche zu wissen.

 

Merlin, endlich sammelten sich die Leuchtsamen ein wenig abseits von ihrem Pfad, und sie betraten das weiche Moos. Nach wenigen Metern erreichten sie einen Baum, breit und wuchtig, mit bestimmt hundert Auswüchsen. Es mangelte ihm an den kleinen Blättern, die nicht überall wuchsen, und wahrscheinlich mussten sie ihn deshalb düngen. Ohne die Leuchtsamen, würden sie die Hand vor Augen nicht erkennen, nahm sie an. Hier im Verbotenen Wald herrschte eine absolute Finsternis. Wieder vernahm sie Geräusche, und sie schauderte ein wenig. Sie würde hiervon träumen, nahm sie an. Scorpius ließ den Sack auf die Erde plumpsen, und sie warf die Handschuhe daneben.

Beinahe stoisch griff er sich ein Paar, zog sie mit ernster Miene über und ignorierte sie immer noch. Still zog er den Sack auf, griff fast beherzt hinein, musste aber husten, als er die Hand voll Drachendung heraus zog. Rose verzog ebenfalls den Mund, hielt sich die Nase zu, und kraftvoll schleuderte er den Dung zum Fuße des Stamms, wo er feucht und glänzend liegen blieb.

Er schüttelte die Hand und betrachtete voller Verachtung den Sack.

 

Es half nichts. Absolut gar nichts. Also zog sie sich ebenfalls die Handschuhe über, hielt die Luft an und griff in den Sack. Sie zog zwei volle Hände zurück und warf den Dung hastig zu Boden. Der Sack schien endlos zu sein, wie der Weg hierhin. Es war müßige Arbeit, denn nach jeder Handvoll mussten sie ein paar Schritte zurücktreten, um wieder nach Luft zu schnappen.

Und gerade als sie sich bückte, sah sie einen großen Schatten durch die Bäume huschen. Hastig streckte sie den Rücken durch, und wirklich mehr unbewusst rückte sie näher an seine Seite.

Er hatte es auch gesehen, sah sich aufmerksam um, und sie war kurz davor, die Handschuhe abzuschütteln und ihren Zauberstab zu ziehen.

Longbottom hatte gesagt, sie durften die Ruhe hier nicht stören, aber was, wenn sie angegriffen wurden?

Sie überlegte, welche Riesentiere hier lebten? Riesenspinnen? Ihr Dad hatte ihr von den Spinnen erzählt, und Rose hasste Spinnen. Wirklich! Es war echter Hass, und sie würde schreien, wenn gleich eine Riesenspinne aus dem Gebüsch sprang.

Still standen sie nahe nebeneinander, beäugten die nahen, dunklen Bäume voller Spannung, aber nichts rührte sich.

Ihre Atmung war abgeflacht, und ihretwegen konnten sie gerne wieder gehen! Sie hatte genug. Gerade als sie sich zwingen wollte, sich von ihm zu entfernen, weil sie einfach nicht in seiner Nähe sein wollte, schlich der nächste große Schatten durch das Dickicht – und sie sprang praktisch in seine Arme!

Zumindest rempelte sie ihn jetzt an.

 

„Ha-hast du das gesehen?“, zischte sie, ohne sich halten zu können, und diesmal schüttelte er die Handschuhe ab und zog den Zauberstab. Stumm entfachte er den Lumos, und sie wünschte, sie hätte den Mund gehalten, und selber den Zauberstab gezogen. Aber tatsächlich sprach er. Ob mit ihr oder mit sich selbst, wusste sie nicht zu sagen.

 

„Wahrscheinlich nur Zentauren“, murmelte er wachsam. Wahrscheinlich nur…? Wie viele Zentauren hatte er schon gesehen? Und waren sie überhaupt friedlich? Sie kannte lediglich Firenze, der sehr nett war und noch immer Wahrsagen unterrichte – was sie auch nicht belegte. Er sah jung aus, obwohl er schon unterrichtet hatte, als ihre Eltern zur Schule gegangen waren. Und sie wusste, die anderen Zentauren verachteten Firenze, weil er mit Menschen sozialisierte.

Was sagte das bitteschön über Zentauren aus? Und sie und Scorpius waren vom Pfad abgewichen und bewarfen den Einhornbaum mit Dung! War das bereits ein Verbrechen in den Augen der Zentauren?

 

„Wir sollten Funken schicken“, flüsterte sie, als einer der Schatten innehielt. Aber es war zu dunkel, als dass sie etwas erkennen konnte. Sie sah nur, es war ein großer Schatten! Und dann erntete sie Scorpius‘ Blick. Kühl und ein wenig spöttisch.

 

„Angst?“, wollte er glatt von ihr wissen, und mit aller Macht, rückte sie wieder von ihm ab.

 

„Nein“, behauptete sie kleinlaut. „Aber-“

 

„-aber?“, erkundigte er sich nahtlos, und sie hasste, dass er scheinbar keine Spur Angst verspürte. Und dabei war sie die Gryffindor! Er war nur die elende Schlange aus Slytherin. Merlin, selten dachte sie so. Aber heute hatte sie Angst und verteufelte die Slytherins. Der Spott verließ sein Gesicht, als er sie betrachtete. Sie schienen sich beide wieder an ihre missliche Lage zu erinnern, die nichts mit dem Verbotenen Wald und möglichen Zentauren zu tun hatte. Die missliche Lage, die sie überhaupt hierher gebracht hatte.

Und sie überraschte sich selbst, als ihre Beine sich in Bewegung setzten, dem Schatten entgegen.

 

„Wir düngen den Baum. Für die Einhören. Nichts weiter, ok? Niemand muss uns angreifen, verstanden? Wir wollen nichts Böses!“ Sie wusste nicht, ob die Wesen ihre Sprache verstanden. Noch immer stand der riesige Schatten ruhig zwischen den Bäumen, verharrte reglos, und Rose ballte die Hände zu Fäusten. Ihr Herz schlug schnell, und sie hoffte, sie hatte niemanden beleidigt oder zum Angriff angeregt. Aber nach einem kleinen Moment löste sich der Schatten aus seiner Starre – und verschwand in der Nacht, zog sich tiefer in den Wald zurück.

Stoßweise verließ die Luft ihre angespannten Lungen. Merlin. Sie war erleichtert!

Stumm kehrte sie zurück, griff mechanisch in den Sack zurück und zwang sich, schneller zu arbeiten. Schließlich steckte auch er den Zauberstab wieder ein und half ihr wieder. Sie sprachen nicht mehr. Aus den Augenwinkeln achtete sie auf die Umgebung, konnte aber keine Schatten mehr entdecken.

Es vergingen weitere fünfzehn Minuten, so schätzte sie, und endlich hatten sie den ganzen Fuß des Stamms bedeckt, und nur noch letzte Krümel waren im Sack zurückgeblieben.

 

Zufrieden und ein wenig geschwitzt schüttelte sie die Handschuhe ab, warf sie in den leeren Sack, und Scorpius tat es ihr gleich. Er fuhr sich über die Stirn, und scheinbar… hatte sie sich verschätzt.

Die Samen zu ihren Füßen glühten flackernd, bevor der Leuchtstoff scheinbar verbraucht war. Klanglos, innerhalb einer Sekunde, war die Lichtung in absolute Schwärze getaucht, und Panik stieg ihre Kehle hinauf.

 

„Scheiße“, hörte sie ihn murmeln, und gleichzeitig zogen sie die Zauberstäbe. Das Licht des Lumos‘ war kalt und reichte nicht sonderlich weit, in der satten Dunkelheit des Waldes. Also hatten sie länger als eine halbe Stunde gebraucht. Sie beleuchtete die Umgebung, während Scorpius hastig den Sack vom Boden nahm. Ohne Worte ging er voran, verließ die Lichtung, aber Rose hielt inne.

 

„Das ist der falsche Weg“, rief sie ihm gepresst nach, und gereizt wandte er den Blick.

 

„Das ist genau der Weg, von dem wir gekommen sind!“, knurrte er praktisch, aber Rose war sich sicher, das stimmte nicht.

 

„Nein, die Samen liegen weiter östlich, siehst du?“, beharrte sie und zeigte knapp auf den moosigen Boden. Die Samen waren kaum noch auszumachen, schrumpften tatsächlich in sich zusammen.

 

„Da ist doch der Weg, Merlin noch mal! Komm endlich, oder ich gehe ohne dich zurück“, warnte er sie jetzt, und sie hasste, dass sie den Kürzeren zog – obwohl sie recht hatte! Sie folgte ihm, achtete auf den Weg, und war sich sicher, er machte einen Fehler.

 

„Wo ist hier der Weg?“, schnappte sie wütend, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte, und sein Kiefer spannte sich sichtbar an.

 

„Es dauert ein paar Schritte, ok?“, gab er gepresst zurück, aber… nach fünfzig Schritten hatten sie den Pfad noch immer nicht erreicht, und so lange hatte es vom Pfad aus nicht gedauert. Sie war sich absolut sicher.

 

„Siehst du jetzt ein, dass du dich irrst, oder müssen wir erst auf der anderen Seite rauskommen?“, wollte sie böse wissen, und tatsächlich atmete er aus.

 

„Der Weg muss hier sein. Ich bin mir absolut sicher“, behauptete er in die Dunkelheit hinein, und Rose leuchtete hinter sich. Sie konnte nicht mal mehr den wuchtigen Baum ausmachen, den sie gedüngt hatten.

 

„Wir haben uns verlaufen“, entkam es ihr dumpf. Er lachte neben ihr auf.

 

„Ernsthaft? Du denkst, nach ein paar Schritten haben…“ Aber er schwieg, als auch er sich umwandte, den Zauberstab höher hielt und wohl selber nicht mehr den Baum finden konnte. „Fuck“, entkam es ihm zornig. Etwas huschte durchs Dickicht, und Rose sprang wieder an seine Seite. „Du hast Angst im Dunkeln“, stellte er bitter fest, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„Habe ich nicht“, erwiderte sie böse.

 

„Warum rückst du mir dann auf die Pelle?“, wollte er kalt wissen, und sie machte einen Schritt weg von ihm. Aus den Augenwinkeln erkannte sie etwas und wandte den Blick.

 

„Da!“, rief sie heiser. In der Ferne sah sie noch dumpf glimmende Samenkörner, aber er folgte ihr nicht, als sie die Verfolgung aufnahm.

 

„Warte“, rief er ihr nach, und widerwillig drehte sie sich um.

 

„Was ist? Da hinten ist der Weg!“, sagte sie ungeduldig, aber sie sah, wie er den Kopf bewegte.

 

„Es könnten Irrteufel sein, die mit uns spielen“, warnte er sie jetzt. Sie hatte keine Ahnung, von was er sprach, aber es klang nicht gut. Wusste er, was für Wesen hier lebten? Sie zögerte. Seufzend kehrte sie zu ihm zurück.

 

„Was dann?“ Fragend blickte sie auf in sein Gesicht. Schließlich atmete er aus, richtete den Zauberstab nach oben und schoss stumm rote Funken in den Himmel. Sie stiegen höher, brachen stumm durch die Baumwipfel, und sie hoffte, Professor Longbottom konnte sie sehen. Und sie hoffte, er käme schnell. Obwohl sie sich schämte, dass sie beide so dumm waren.

 

„Und jetzt?“, wollte sie mit verschränkten Armen wissen, während ihre Schuhe im moosigen Boden einsackten.

 

„Jetzt warten wir“, entgegnete er ebenso mürrisch. Resignierend atmete sie aus und gab sich größte Mühe, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen, wann auch immer das leiseste Geräusch an ihre Ohren drang. Es verging eine stille Minute. Noch immer schwebten hoch über ihnen die glimmenden Funken, so dass Longbottom sich an ihnen orientieren konnte. Und dann hörte sie praktisch, wie er sich wappnete, wie er die nötige Luft einatmete, wie sie erheblich seine Lungen füllte, und dann sprach er. „Auf die Gefahr hin, von dir angeschrien zu werden“, begann er mit unheilschwangeren Worten, und sie hielt unbewusst den Atem an, „wieso willst du nicht mit Hugo reden?“

 

Schon wieder. Er fing schon wieder an. Und sie hatte eine ganze Reihe an Antworten, die sie ihm überhaupt nicht gönnte! Aber ihr Herz schlug schneller, und für eine Sekunde vergaß sie ihre elementare Furcht hier im Wald. Sie sagte zunächst gar nichts, denn sie wurde wieder wütend. Sie sah ihn nicht mal an, und der glühende Zauberstab zeigte in ihrer verschränkten Armhaltung stur nach unten auf den Waldboden. Aber er beleuchtete schließlich ihr Gesicht, und langsam hoben sich ihre Augen. „Ich verstehe es nicht“, fuhr er stiller fort, und das erste, was sie an ihm nicht leiden konnte, war, seine verständnislose Art. Mit Hugo zu sprechen, garantierte gar nichts! Es zeigte Hugo lediglich, dass sie unsicher war! Und es zeigte ihm, dass sie unterlegen war. Es waren Dinge, mit denen sie nicht gut umgehen konnte. Als wäre es ihre Aufgabe! Als wäre es ihr Fehler, den er ihr aufbürdete! „Rose“, sagte er schließlich, mit mehr Nachdruck, und er klang so enttäuscht wie ihre Mum, wenn sie ihr mal wieder ein knappes ‚Annehmbar‘ unter die Nase halten musste. Merlin, er war so – ahrg!

 

„Du machst das hier, weil wir nicht weg können“, beschwerte sie sich gepresst, aber er schüttelte den Kopf.

 

„Ich will nicht weg“, sagte er sofort. „Ich will es klären. Ich will sichergehen, dass diese-“, er zögerte die leiseste Sekunde, „-Sache“, fuhr er etwas distanzierter fort, als spräche er von magischen Portfolios, oder etwas, was emotional nicht weiter entfernt sein könnte, „aus der Welt ist.“

 

„Es ist niemals ‚aus der Welt‘, ok?“, entfuhr es ihr schneller, als sie nachgedacht hatte, und diesmal schwieg er knapp. Sie biss sich auf die Lippe. Solange er Sex mit ihrer Cousine hatte, war es nicht aus der verdammten Welt!

 

„Ok“, schloss er nach einer kleinen Weile. „Aber…“ Er zögerte wieder.

 

„Aber was?“ Sie konnte nicht anders. Sie wusste, sie verhielt sich defensiv, gab nichts preis, aber sie hasste – wirklich hasste – es, mit ihm darüber zu reden. Sie hasste es, sich Fehler eingestehen zu müssen, weil sie nicht zu ändern waren.

 

„Aber für uns bedeutet es nichts. Und ich will, dass Hugo das begreift.“ Und sie musterte ihn knapp. Es bedeutete eine Menge. Eine Menge mehr, als er sich wohl eingestehen wollte, dachte sie bitter. Es bedeutete immerhin, dass er sie aufsuchte und… reden wollte!

 

„Meinen Bruder zu suchen und… ihm zu drohen – oder was auch immer du von mir willst – klingt nicht direkt danach, als… bedeute es nichts“, sagte sie sehr vorsichtige Worte.

 

„Merlin, du sollst ihm nicht drohen“, knurrte er praktisch, fing sich aber wieder. „Ich… will einfach nur sichergehen, dass-“ Und diesmal konnte sie sich nicht halten.

 

„-dass Dom deinen Fehler nicht rausfindet?“, beendete sie kalt seinen Satz. Sein Blick war stechend und unangenehm.

 

„Und das ist mein Fehler alleine, richtig?“, entkam es ihm prüfend, und sein Blick war nichts, dem sie gewachsen war. „Ich war ganz alleine da, habe mich ganz alleine zwischen den Felsen-“

 

„hör auf!“, entkam es ihr atemloser, denn… es in Worte zu fassen, machte es nur eigenartig real. Sie hatte das Gefühl, als wurde ihr schwindeliger. Dann atmete er zornig aus.

 

„Meinetwegen, Weasley“, sagte er rau. „Meinetwegen nehme ich die Schuld auf mich. Meinetwegen war es mein Fehler allein.“ Aber es störte sie, dass er es auf seine Kappe nehmen wollte. Dass er… der gequälte Märtyrer war.

 

„Oh bitte“, entfuhr es ihr dann, „das war nicht nur dein Fehler. Aber mit ihr am selben Abend Sex zu haben, das war dein Fehler.“ Und kurz blinzelte er. Ja, sie wusste Sachen. Sein Blick war unbezahlbar. Sie sah, dass er hin und her gerissen war. Er war kurz davor, sie anzuschreien, es abzustreiten, bevor er nachgab.

 

„Ich hatte Angst“, sagte er dann. Ganz einfach, ganz offen. Aber sie verstand nicht.

 

„Vor was genau?“ Denn es interessierte sie mehr oder weniger, auch wenn sie es gar nicht hören wollte. Und diesmal lachte er trocken auf.

 

„Vor was? Dass du… es ihr sagst, dass du…- ich meine, du bist weggelaufen! Was sollte ich, Salazar noch mal, denken?“

 

„Du dachtest, ich renne zu Dom? Ernsthaft?“ Sie konnte nicht fassen, dass er das gedacht hätte. Aber es zeigte einfach, wie schlecht er sie kannte! Und das war nicht verwunderlich, denn sie kannten sich auch nicht. Sie hasste sich selber. Wieso ihn? Wieso ausgerechnet ihn?!

 

„Ja! Oder… zu deinem Vater, oder-“ Ihr wurde übergangslos schlecht.

 

„-bist du völlig wahnsinnig? Denkst du, das ist das erste, was ich ausgerechnet meinem Vater erzählen will? Der würde kein Wort mehr mit mir reden!“, entfuhr es ihr so schockiert, dass ihr sein verletzter Blick beinahe entging.

 

„Weil ich ein Malfoy bin“, schloss er fast lauernd, aber sie begriff nicht schnell genug.

 

„Ja!“, entkam es ihr fast als ungläubige Frage, und kaum hatte sie es gesagt, bereute sie es. Ihr Blick fiel. Es war so unnötig kompliziert. „Nein“, rang sie sich schließlich ab. „Ich…“

 

„Schon ok“, räumte er achselzuckend ein.

 

„Das… das ist überhaupt nicht der Punkt!“, entrüstete sie sich aufgebracht. „Tut mir leid, dass mein Dad dich nicht leiden kann. Aber weißt du was, das muss er ja auch gar nicht! Punkt ist, dass ich es garantiert niemandem erzählt hätte! Es ist nichts, worauf ich stolz bin. Ehrlich gesagt, habe ich Albträume, seitdem es passiert ist. Es belastet mich so sehr, dass ich am liebsten einen Vergessenszauber benutzen würde, aber ich bin leider zu dumm dafür. Das wäre das einzige, worum ich Hugo in Bezug auf diese Sache bitten würde.“ Sie hatte viele Worte gesagt. Unnötige Worte. Sie hatte nicht gewusst, dass sie ehrlich das Bedürfnis hatte, sich Luft zu machen. Schließlich nickte er.

 

„Hugo mag mich nicht. Und… diese Sache – dieser… Kuss – wäre ein Mittel, mich… loszuwerden“, schloss er stiller. Sie runzelte die Stirn. Es klang ein wenig zu dramatisch, oder nicht? Ihr Herz hatte einen bösen Satz gemacht, als er das Wort ‚Kuss‘ tatsächlich benutzt hatte. Vor allem glaubte sie kaum, dass Hugo ein Interesse daran hatte. Ihm musste ihre gerunzelte Stirn aufgefallen sein. „Ja, ich bin selber schuld, ich weiß!“, deutete er zornig ihren Blick. „Und ich weiß, du musst mir nicht helfen. Wahrscheinlich wäre es dir ohnehin recht, mich loszuwerden aus eurer… Gruppe“, schloss er bitter. Fast lachte sie auf.

 

„Dich loswerden? Und wie soll das passieren? Dom findet es raus, trennt sich von dir, und dann?“, zeigte sie ihm verständnislos auf. „Alby wäre es egal. Eigentlich allen wäre es egal, außer vielleicht Louis. Und Onkel Bill“, ergänzte sie mit Bedacht. Aber sein Blick war… sie konnte es nicht benennen.

 

„Albus wäre es nicht egal“, sagte er schließlich, und das schien ihn tatsächlich zu belasten.

 

„Ich glaube, du unterschätzt, wie egal Dom ihm wirklich ist“, widersprach sie ihm behutsam, und erkannte in derselben Sekunde, dass er das gar nicht gemeint hatte.

 

„Ich spreche nicht von Dominique“, machte er es deutlicher, und Röte stieg in ihre Wangen. Oh nein!

 

„Du nicht auch“, knurrte sie jetzt. „Es reicht damit!“, entfuhr es ihr peinlich berührt, und sie wollte es nicht mehr hören! Konnte damit nicht umgehen, und wollte es nicht wissen!

 

„Was ich meine, ist-“

 

„-ich weiß, was du meinst, Merlin noch mal!“, schnitt sie ihm mit zorniger Stimme die Worte ab. Ihre Worte schienen in der Stille nachzuhallen, oder es kam zumindest ihr so vor. Diese Andeutungen! Sie hasste es, wenn Rumer es ihr sagte – und sie musste es nicht auch noch von Scorpius hören!

 

„Mich loszuwerden ist einfacher als du denkst“, schloss er schließlich, grimmiger als zuvor.

 

„Wieso hast du es dann überhaupt gemacht?“, wollte sie gereizt wissen, und er hob eine Augenbraue. Und sie wollte es gar nicht wissen! Sie hatte wieder mal dumme Worte laut gesagt.

 

„Ich weiß es nicht, ok? Glaub bloß nicht, dass ich so was geplant hatte!“, entkam es ihm eilig. Wieder wurde sie rot. „Ich – keine Ahnung! Es war ein scheiß Fehler.“ Es belastete ihn. Sie fragte sich unwillkürlich, ob es ihn mehr belastete als sie. Sie wäre nicht loszuwerden, dachte sie mit seinen Worten. Sie wäre immer eine Weasley, egal, welche dumme Entscheidung sie traf. Und sie seufzte auf. Sie war eine Gryffindor. Und Menschen leiden zu sehen, ging ihr gegen den Strich. Selbst wenn es ein dummer, arroganter Slytherin war. Selbst wenn es eine Sache war, die über ihre Kompetenzen hinausging. Ganz einfach, weil sie überhaupt keine Erfahrung hatte!

 

„Du magst Dom“, fasste sie seine Misere zusammen. Sein Blick hob sich gequält.

 

„Ich liebe sie“, korrigierte er sie still. „Aber… hätte ich es ihr gesagt, dann… sie hätte es mich nicht erklären lassen.“ Und Rose verstand. Nein, Dom hielt nichts von Worten, von Erklärungen, von Entschuldigungen. Es wäre das Aus gewesen. Und nur, weil Rose beteiligt gewesen war, glaubte sie, dass Scorpius ein Fehler passiert war, wie ihr auch ein Fehler passiert war. Sie hatten niemandem wehtun wollen. Sie waren einfach… dumm gewesen. „Und… ich habe nicht mit ihr geschlafen, weil… ich so was tue. Weil ich… Mädchen küsse und mit anderen schlafe – so bin ich nicht!“, versicherte er ihr scheinbar aus einer Erklärungsnot heraus, die sie in keinster Weise beschwört hatte.

 

„Dann glaube mir, wenn ich dir sage, dass Hugo kein Interesse daran hat, mehr Kontakt mit der Familie als nötig zu haben. Wahrscheinlich will er verhindern, dass ich Kontakt mit dir habe, und glaub mir, daran habe ich auch kein Interesse! Also…“ Sie dachte kurz nach, während sie seinen Blick auf sich spürte. „Wenn Hugo tatsächlich… irgendwas sagen sollte, dann… dann streite ich es einfach ab“, schloss sie, ohne ihn anzusehen.

 

„Du streitest es ab?“, wiederholte er ungläubig. Sie zuckte die Achseln.

 

„Warum nicht? Es würde doch sowieso keiner glauben“, entfuhr es ihr etwas unbedacht, mit gewissem Trotz. Seine Stirn runzelte sich.

 

„Was hätte Hugo für eine Motivation, so eine Lüge zu erfinden?“, wollte er nicht überzeugt wissen, aber sie zuckte die Achseln.

 

„Was weiß ich? Und zu deinem Glück, können die übrigen Weasleys Hugo auch nicht sonderlich leiden. Ob sie ihm überhaupt zuhören würden, wäre also fraglich.“ Es war harsch, so über ihren Bruder zu reden, aber es tat gut, eine Art Schlachtplan zu haben. Irgendeine Lösung, auch wenn es, mit aller Wahrscheinlichkeit, die falsche Entscheidung war. Das nagende Gewissen sagte ihr, dass es vielleicht nicht ganz Gryffindor war, die Wahrheit zu verbergen. Aber vielleicht musste man in gewissen Fällen, die Wahrheit beugen? Zum größeren Wohl?

 

„Könntest du das?“, fragte er, ganz Slytherin. Natürlich zog er die Lüge vor. Es wunderte sie nicht. Überhaupt nicht. Aber er wirkte nicht sonderlich überzeugt.

 

„Was? Lügen? Ich denke schon“, entkam es ihr spöttisch.


„Wirklich? Wenn Dominique dich fragt, unter Tränen, mit… mit diesem Blick – ob du mich im Urlaub geküsst hättest, obwohl du wüsstest, wie weh du ihr mit einer Lüge tust – dann würdest du lügen?“ Er war dramatisch. Er unterschätzte ihren eigenen Überlebensinstinkt. Denn ja, Dom konnte überzeugend sein. Sie konnte die Jungfrau in Nöten hervorragend spielen, aber… das Nachspiel wäre grausam. Denn nur zu schnell würde ihre verwundbare Fassade fallen, und Rose wusste, dass ihre Cousine erbarmungslos sein konnte.

 

„Ja. Wenn wir vierzig wären, dann würde ich es ihr sagen“, erwiderte sie nickend. „Vielleicht.“

 

„Und damit könntest du leben?“ Er trieb es auf die Spitze fand sie, und tatsächlich spürte sie, wie sich ihre Mundwinkel hoben.

 

„Was? Zu verheimlichen, dass ich den großen Scorpius Malfoy geküsst habe? Ja, es ist ein großes Opfer, aber… ich werde es überleben“, schloss sie, und musste fast lachen. Und es war, als löse sich die angespannte Stimmung mit einem Mal. Sie konnte regelrecht sehen, wie sich seine Schultern entspannten.

 

„Es wäre unser Geheimnis. Für immer“, sagte er warnend. „Es würde uns für immer verbinden. Auch wenn wir vierzig sind, und ich Dominique geheiratet habe“, malte er ein hartes Bild für die Zukunft. Rose verzog den Mund.

 

„Es wäre mein Hochzeitsgeschenk für euch“, entgegnete sie kopfschüttelnd. „Du willst sie heiraten?“, wollte sie dann ein wenig angewidert wissen, und diesmal lachte er. Es klang… eigenartig. Sie hatte es noch nie gehört.

 

„Schön, wie du deine eigene Cousine leiden kannst“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und Rose hob die Hände.

 

„Ich… mag sie. Wirklich“, beteuerte sie halbherzig. „Aber… sie ist… anstrengend“, entkam es ihr vorsichtig, und er musste grinsen. Und es war ihr so fremd. Und zu denken, dass in ihrem Alter bereits jemand davon sprach, wen zu heiraten – es war etwas, was sie nur Dom und Vic zutrauen konnte, nahm sie an. Sie war so weit davon entfernt, überhaupt nur die Aussicht auf einen festen Freund zu haben, dass ihr seine Worte Angst einjagten. 

 

„Ja. Aber ich mag die Anstrengung. Es ist der Weasley-Charme“, ergänzte er mit einem schiefen Lächeln.

 

„Ah ja…“, entkam es ihr stirnrunzelnd. „Ich denke, wir werden nicht viel voneinander sehen, wenn Hogwarts vorbei ist“, vermutete sie dann. Sie hatte schon jetzt nicht viel mit Vic und Dom zu tun. Und sie glaubte nicht, dass es sich groß ändern würde, sollten sie Hogwarts verlassen haben. Sie waren auf verschiedenen Wellenlängen.

 

„Das stimmt nicht“, sagte er fast sanft. „Ihr seht euch immer. Zu den Feiertagen, zu den Ferien, jedes andere Wochenende. Ihr… seid eine richtige Familie.“ Sie sah ihn an. Erst jetzt schien er zu begreifen, was er gesagt hatte. „Ich meine… ihr seid eine Front. Ihr haltet zusammen, und… das ist… beeindruckend.“ Sie seufzte auf.

 

„Ich könnte ab und an mal auf die Familie verzichten. Ohne Probleme“, gestand sie stiller ein. Er runzelte die Stirn.

 

„Ich glaube dir nicht“, sagte er schlicht.

 

„Es… ist anstrengend“, entfuhr es ihr ohne Bedacht. „Seine… Rolle zu spielen“, ergänzte sie, ein wenig nachdenklich. Aber er ging auf ihre Worte ein.


„Ach ja? Und welche Rolle spielst du, Rose Weasley?“ Er klang belustigt. Kurz dachte sie nach und vergaß beinahe, dass er vor ihr stand.

 

„Eine… unwichtige Nebenrolle. Keine Potter, nicht wunderhübsch, nicht superschlau“, entkam es ihr fast tonlos. Und beschämt fiel ihr Blick, denn es waren Worte, die garantiert nicht für seine Ohren – oder irgendwelche Ohren – bestimmt waren. Sie sah seinen Blick nicht, aber sie spürte ihn deutlich. „Vergiss es“, wiegelte sie unwirsch ihre Worte ab. Sie konnte nicht fassen, dass sie ihm das gesagt hatte.

 

Das Unterholz brach, und schwere Schritte kamen näher.

 

„Das nächste Mal, lasse ich euch einfach den Sand auf dem Quidditchfeld harken“, beschwerte sich Professor Longbottom kopfschüttelnd. Sie sagte gar nichts mehr. „Ab ins Schloss mit euch. Es ist gleich zehn“, entfuhr es ihm mahnend, und er trieb sie voran, den Zauberstab hoch über ihre Köpfe gerichtet. „Irgendwas vorgefallen?“, erkundigte er sich knapp, und Scorpius schüttelte den Kopf.

 

„Gar nichts, Sir“, erwiderte er neutral. Es war eine Menge vorgefallen. Sie konnte nicht erwarten, von ihm wegzukommen. Es war unangenehm gewesen, wie einfach es war, mit ihm zu reden. Und sie glaubte ihm, dass er ihre Cousine liebte. Und noch viel mehr glaubte sie, dass ihnen einfach ein Fehler passiert war, über den man nie wieder reden müsste. Sie hatte ihm viel zu viel gesagt. Er wusste jetzt mehr, als Alby über sie wusste. Und das durfte eigentlich nicht sein.

Sie musste wieder ihre Rolle spielen. Musste sich mit Lautstärke und Kraft gegenüber ihren hübschen, zierlichen Cousinen beweisen, und mit Gleichgültigkeit wettmachen, was ihr an Hirnmasse fehlte.

Das war ihr Job. Und jetzt musste sie noch eine kleine Lüge für sich behalten. Wie schwer könnte das sein? Nicht wirklich schwer, nahm sie an, da sie sowieso nie über ihre Gefühle sprach.

 

Keine große Sache.

 

 

Seven

 

 

Er hatte sie aus den Augenwinkeln bemerkt, lange bevor sie den Weg zu ihm gemacht hatte. Aus Trotz und mäßiger Berechnung, schrieb er allerdings unbeirrt weiter, notierte sich alle Details aus der Unterrichtsstunde sauber und ordentlich auf seine Karteikarten.

 

„Hey“, machte sie leise auf sich aufmerksam und betont langsam hob sich sein Blick, glitt über ihre bloßen Oberschenkel, über den Rock in den rotgoldenen Farben, hoch über die Bluse, wo er die Wölbung ihrer Brüste ignorierte, bis er ihr Gesicht erreichte. Hübsch und hell, während ihn ihre grünen Augen versöhnlich betrachteten. „Ich könnte Hilfe brauchen“, flüsterte Rumer mit fragender Vorsicht, und Hugo hatte nie sonderlich viel Kontakt mit ihr gehabt. Außerhalb der Schule sah er sie nur, wenn sie alle paar Wochenenden zu ihnen nach Hause kam, und dann begnügte er sich damit, ihre Stimme dumpf durch die Zimmerwand zu vernehmen. Er hob die Augenbraue.

 

„Wobei?“, wollte er ohne jede Begrüßung wissen, obwohl er ihre Aufmerksamkeit wirklich nicht gewöhnt war.

 

„Arithmantik“, räumte sie ein. „Ich weiß, du belegst den Kurs ebenfalls?“, ergänzte sie. „Hättest du Zeit für Nachhilfe? Ich würde dich natürlich bezahlen“, fuhr sie eilig fort. Er betrachtete sie. Er sah sie häufig an, aber nicht aus dieser Nähe.

 

„Ich nehme an, James ist keine große Hilfe?“, vermutete er schlicht, denn er hatte die neueste Entwicklung schon bemerkt, und wenn er ehrlich war, hätte er geglaubt, Rumer benötigte seine Hilfe, damit Rose wieder mit ihr sprach. Denn auch diese Distanz war ihm aufgefallen. Rumer verdrehte die Augen.

 

„Ich habe ihn ehrlich gesagt nicht gefragt, Hugh“, benutzte sie den Spitznamen, den sie von Rose gehört haben musste. Er mochte ihn nicht sonderlich, aber aus Rumers Mund… war er zu ertragen. Und fast war es lustig, dass sie sich nicht mal die Mühe machte, ihren neuen Freund um Hilfe zu bitten, sondern direkt zu ihm kam.

 

„Gold brauche ich nicht. Samstags ok?“, vergewisserte er sich kurz angebunden, denn auf keinen Fall wollte er aufgeregt oder begeistert klingen. Er wusste, Rumer betrachtete ihn als eine Art Bruder, als… kleinen Jungen. Der er nicht war. Und der er in ihren Augen auch nicht sein wollte. Er wusste, dass er überhaupt in Konkurrenz zu James stehen konnte, war… mehr als gering. Schwindend gering, wenn überhaupt existent. Aber… hier war seine Chance. Bei dem einzigen Mädchen, dessen Aufmerksamkeit er nicht gleichmütig abtun wollte. Aber es war sei Geheimnis. Eines von vielen, aber eines, was er lieber für sich behalten würde.

 

„Perfekt“, erwiderte sie und schenkte ihm ein Lächeln. Sie war wirklich hübsch. „Zehn Uhr, nach dem Frühstück? Ravenclawgemeinschaftsraum?“, schlug sie lächelnd vor, und er schürzte die Lippen.

 

„Wenn du das Passwort erraten kannst“, bemerkte er spöttisch, aber sie winkte ab.

 

„Ich habe Probleme mit der komplexen magischen Zahlzuordnung, ansonsten bin ich Vertrauensschülerin, aber danke für deine Fürsorge“, entgegnete sie, und ihre Worte waren frech. Er nickte wohlwollend.

 

„Dann bis Samstag“, verabschiedete er sich von ihr, und ihr Zopf flog elegant über ihre Schulter, als sie sich zwinkernd von ihm abgewandt hatte. Er wusste, er wurde ausgenutzt für seinen Verstand, aber es machte ihm nicht viel aus. Nicht bei der Aussicht, Rumer MacLeod Nachhilfe zu geben.

Nur hatte er nicht wirklich Ahnung, wie er diese Nachhilfe zu seinem Vorteil nutzen konnte. Wie er sie dazu bringen konnte, zu sehen, dass er die bessere Wahl war, als… James Potter.

 

„Was wollte sie?“ Lorcan kam mit einem schweren Buch zurück und setzte sich an seinen Platz neben ihm zurück. Er schob die Brille seinen Nasenrücken empor, aber sie rutschte sowieso wieder runter. Seine feinen, hellblonden Haare hatten die Angewohnheit, sich vor allem in der Bibliothek statisch aufzuladen.

 

„Nachhilfe“, bemerkte Hugo, ohne den Blick zu heben.

 

„Muss ja wirklich nett sein, superschlau zu sein“, erwiderte Lorcan still, mit einem mehr als spöttischen Lächeln auf den Lippen. Lorcan Scamander war ein Jahr jünger als Hugo, hatte aber bereits in der ersten Klasse ein Jahr übersprungen und würde höchstwahrscheinlich sein fünftes Jahr ebenfalls noch überspringen. McGonagall hatte ihn noch zurückgehalten, einfach weil er so jung war, und Hogwarts nicht mit fünfzehn Jahren beenden sollte. Aber wenn jemand superschlau war, dann war es wohl Lorcan und nicht er selbst.

 

„Hat seine Vorteile“, murmelte Hugo, und seine Mundwinkel zuckten.

 

„Hat es nicht“, gab Lorcan ebenfalls lächelnd zurück, während er wesentlich eifriger und effektiver seine Karteikarten füllte, als Hugo. Und Hugo wusste, Lorcan interessierte sich nicht für Mädchen. Er interessierte sich für Jungen. Und für einen Jungen besonders, aber es war vergebene Mühe, da dieser Junge ziemlich offensichtlich mit seiner Cousine Dominique zusammen war. Lorcan war ziemlich aufgeklärt über seine Sexualität und machte keinen Hehl daraus – wenn man ihn denn fragte, was Hugo nie getan hatte. Allerdings hatte Lorcan es ihm früh in ihrer Freundschaft gestanden, um unangenehme Fragen direkt aus dem Weg zu räumen. Es war einigermaßen rücksichtsvoll, nahm Hugo an. Aber er war nicht engstirnig oder vorurteilsbelastet – wie auch? Das konnte er sich mit seinem Namen und seiner Geschichte wohl kaum leisten.

Allerdings wusste Sutter nichts von Lorcans Orientierung, was wohl auch besser war. Lorcans Zwilling Lysander war weder superschlau, noch homosexuell. Zwar ähnelten sich die Brüder wie ein Ei dem anderen, aber innerlich konnten sie nicht verschiedener sein. Seltsam, wie es manchmal war.

Lorcan war Hugos einziger Freund in Ravenclaw. Ob er sein bester war, wusste Hugo nicht. Sie lernten zusammen, aßen zusammen, sprachen in ihrer Freizeit, aber Hugo hatte ihn noch nicht zu sich nach Hause eingeladen, genauso wenig wie Lorcan jemals eine Einladung ausgesprochen hatte.
Sie verstanden sich in der Schule gut, und das reichte aus. Ihm zumindest. Er hatte ständig genug Leute um sich herum. Seine Familie war unerträglich groß und unerträglich laut.

 

„Sie ist Roses Freundin?“, erkundigte sich Lorcan bei ihm, ohne aufzusehen, und Hugo legte die Feder beiseite, um das Geschriebene zu überprüfen.

 

„Bisher, ja“, erwiderte Hugo bloß. „Sie ist mit James zusammen“, ergänzte er dann. Lorcan unterdrückte ein trockenes Lachen.

 

„Na dann“, bemerkte er bloß. Manchmal wollte Hugo ihn fragen, was Scorpius Malfoy an sich hatte, und warum Lorcan nicht eher jemanden wie James oder Albus bevorzugte, aber dann wiederum interessierte es ihn auch nicht allzu sehr. Vor allem hatte er kein Interesse, mehr als nötig über Scorpius zu erfahren. Es reichte ihm, was er im Sommer gesehen hatte, und er hatte die große Sorge, dass daraus mehr werden würde. Unnötig mehr. Seine Schwester war eher der mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Typ. Garantiert nicht die Sorte Mädchen, die man selbstvergessen, engumschlugen in promiskuitiven Situationen gegen Wände gepresst fand. Deshalb war es so verstörend gewesen, und deshalb war Hugo überstürzt geflohen, anstatt Scorpius Malfoy von seiner Schwester wegzuziehen und ihm ins Gesicht zu schlagen – was er hätte tun sollen! Aus mehreren Gründen!

 

Er kannte nicht, dass seine Schwester sich mit Jungen abgab – auf diese Weise. Er war davon ausgegangen, dass Rose kein Interesse an Jungen hatte, oder er hatte es gehofft. Und auch aus sehr selbstsüchtigen Gründen fand er eine Verbindung zu Scorpius Malfoy unpassend. Denn sein Vater war nicht gut auf die Malfoys zu sprechen, und auch die MacLeods waren keine wöchentlichen Gäste im Haus ihrer Eltern, denn zumindest mit Rumers Mutter verstanden sich weder seine Mum, noch sein Dad. Aber wenn Hugo eine Zukunft plante, die unter Umständen Rumer beinhielt, dann wäre es absolut ungünstig, wenn Rose zu allem Übel auch noch Scorpius Malfoy nach Hause brachte.

Es machte den Anschein, als wollten er und seine Schwester ihren Eltern sehr schnell viele graue Haare bereiten. Natürlich war nichts in Stein gemeißelt.

Rumer war mit James zusammen und Scorpius anscheinend mit Dominique. Vielleicht die bessere Wahl, die offensichtlichere Wahl. Und Hugo wäre bereit, den Zorn seiner Schwester auf sich zu ziehen, obwohl er annahm, dass sie ihn in einer Auseinandersetzung durchaus besiegen könnte. Er würde ganz einfach Albus von der Verbindung mit Scorpius erzählen, denn auch Albus schien es auf eine sehr ungesunde Art auf Rose abgesehen zu haben.

 

Es war Hugo schon vor fünf Jahren aufgefallen. Nicht, dass er sich damals einen großen Reim darauf gemacht hatte, aber mit den Jahren war es offensichtlicher geworden. Für ihn. Er wusste nicht, ob Rose es wusste. Aber er war sich sicher, würde er Albus von diesem Kuss erzählen – er würde ausrasten vor Eifersucht und Scorpius im Idealfall umbringen. Es waren düstere Gedanken. Und wahrscheinlich waren sie übertrieben. Und er sollte die angehende Inzest seines Cousins nicht zu seinem Vorteil ausnutzen, aber… Hugo war auch nur ein Mensch. Ein kluger Mensch, aber auch kluge Menschen hatten dumme Bedürfnisse.

 

„Das willst du doch wohl nicht so stehen lassen?“, unterbrach Lorcan scharf seine Gedanken, während er seine Karteikarte zur Kontrolle las. Hugos Blick fiel. Er fand sie ausreichend, aber Lorcans gehobene Augenbrauen, ließen ihn die Augen verdrehen und er zerriss das harte Pergament.

 

„Natürlich nicht“, gab er gereizt zurück und zermarterte sich das Hirn nach treffenderen Worten. Er ließ sich zu leicht ablenken. Deswegen würde Lorcan ihn noch überholen, nahm er an. Vielleicht bestand die Gefahr, dass Lorcan ihm doch noch das Schulsprecheramt streitig machte. Das durfte nicht passieren! Hugo zwang die trivialen Gedanken aus seinem Kopf. Zeit, den Verstand wieder einzuschalten.

 

 

 

Er lag auf dem kühlen Stein der Hofbank. Sie war noch eine Idee feucht, aber es störte ihn nicht wirklich. „Was wollen wir machen?“, fragte er gelangweilt.

 

„Wir könnten trainieren?“ Er hatte das Gefühl, er und Fred waren übrig geblieben. Albus verzog den Mund.

 

„Zu zweit?“, erkundigte er sich bitter, und Freds Schultern sanken.

 

„Wir... könnten Louis nerven?“, kam der nächste Vorschlag, und obwohl es nach Spaß klang, Chaos im Gewächshaus zu veranstalten, wo ihr Cousin gerade seine Freizeit verbrachte, um Extrapunkte in Kräuterkunde zu sammeln, fehlte Albus die rechte Lust. James war irgendwo mit Rumer, versuchte wahrscheinlich, ihr Höschen auszuziehen, und Scorpius tat dasselbe mit Dominique. Und er nahm an, Fred fühlte sich ähnlich vernachlässigt, wie Albus es tat. Er war von Scor nichts anderes gewöhnt, musste er doch schon seit Monaten mit dieser Beziehung leben. Aber bisher war zumindest auf James Verlass gewesen. Aber jetzt, wo Rumer ihn hatte, würde sie ihn garantiert erstmal unter Verschlag halten. Schlecht gelaunt setzte sich Albus auf.

 

„Wo bleibt Rose?“, entfuhr es ihm, während er missmutig die schweren Eingangstüren des Schlosses fixierte, als könne er Rose mit Geisteskraft bewegen, rauszukommen.

 

„Zu dritt könnten wir spielen?“, bemerkte Fred hoffnungsvoll, und tatsächlich war Quidditch wohl die einzige vernünftige Alternative.

 

„Hm“, machte Albus unverbindlich.

 

„Ich hasse das“, murrte Fred. „Wieso kann James nicht einen Monat ohne ein Mädchen auskommen, Merlin noch mal“, knurrte er schließlich und trat lustlos gegen die Bank.

 

„Du bist nur neidisch, weil du kein Mädchen hast“, entgegnete Albus spöttisch.


„Fick dich! Bin ich nicht!“, entfuhr es Fred zornig, aber sein Zorn war durchschaubar.

 

„Frag einfach eine, Salazar noch mal“, bemerkte Albus achselzuckend.

 

„Ich will keine fragen. Darum geht es nicht“, beharrte Fred wütend, und Albus nahm an, er würde jetzt rot werden, wäre seine Haut nicht so dunkel.

 

„Hast du Angst?“ Albus hatte keine Angst, diese Fragen zu stellen, und Freds Blick war mittlerweile so zornig, dass Albus ernsthaft glaubte, sich gleich in eine Prügelei mit seinem Cousin zu verwickeln.

 

„Wieso hältst du nicht einfach deinen Mund, Al?“, wollte Fred ernsthaft sauer wissen.

 

„Hey – ich rege mich nicht darüber auf, dass mein bester Freund sich um seine sexuellen Zwänge kümmert, Mann!“

 

„Du bist ekelhaft“, entfuhr es Fred zischend.

 

„Du bist so eine Jungfrau“, bemerkte Albus grinsend, und Fred schloss den Abstand. Bevor Albus vorsintflutlich aufstehen konnte, um den kommenden Schlag abzuwehren, schob sich das Schlosstor auf und sie trat nach draußen. Die Haare lockig und wild, ein Lächeln auf den Lippen, und er vergaß jeden Konflikt, alle bösen Worte und ignorierte Fred praktisch sofort. Freds Faust sank ebenfalls, und vor Rose wollte er sich scheinbar nicht die Blöße geben.

„Na?“, begrüßte Albus sie feixend. „Fertig gelernt, Streberin?“, erkundigte er sich, und er konnte nicht anders, als sie anzulächeln. Sie erwiderte das Lächeln scheu, mied seinen Blick wie so häufig, aber sie nickte schließlich.

 

„Was tut man nicht alles, um nicht durchzufallen. Vielleicht solltest du dieses neue Konzept auch mal ausprobieren, Alby?“ Er mochte es, wie sie seinen Namen sagte.

 

„Lernen?“, wiederholte er ein wenig angeekelt. „Niemals. Bevor der Tag kommt, müssen sie mir meinen freien Willen und jede Lebenslust nehmen“, behauptete er, dabei hatte sie nicht unrecht. Ein paar Stunden mit seinen Büchern, würden definitiv nicht schaden.

 

„Also?“, wollte sie wissen. „Trainieren wir, oder was?“ Es lockte die Herausforderung in ihrer melodischen Stimme, und er war dabei. Und wenn sie in Hagrids alte Hütte einbrechen wollte – er wäre dabei. Es wäre egal.

 

„Ja“, antwortete Fred dankbar.

 

„James wird wiederkommen“, versprach ihm Rose zwinkernd. „Spätestens in zwei Wochen“, schloss sie. Fred zuckte die Achseln.

 

„Mir egal“, log er bloß, und Rose legte grinsend den Arm um Freds Schulter. Albus beobachtete sie dabei, ohne dass es ihm selbst groß auffiel.

 

„Genug geschmollt“, kürzte er die Gefühlsduselei ab. „Lasst uns fliegen!“

 

„Könnt ihr noch einen vierten Mann gebrauchen?“ Er wandte den Blick, nur um Presley zu erkennen, der ebenfalls das Schloss verließ. Albus fühlte die knappe Enttäuschung, aber er verbarg sie gekonnt.

 

„Immer, Pres“, bestätigte er bloß.

 

„Super“, erwiderte ihr Kapitän lächelnd, und er kam näher. „Hey, ich hab dich oben gesehen. Hast du dich verlaufen oder warst du mit Absicht in der Bibliothek?“, fragte er Rose direkt, und Albus zog die Stirn in Falten. Er hatte sie zufällig dort gesehen? Er glaubte Presley nicht. Und ihm gefiel es nicht, wie er mit Rose sprach. Vielleicht war es nicht gut, wenn sich die Teams vermischten. Zumindest nicht, wenn die Kapitäne aus fremden Teams dabei waren. Seine Wut war unsachlich, er wusste das. Aber es gefiel ihm nicht.

Aus was für Gründen auch immer.

 

„Ha ha. Nein, das war Absicht, Presley“, entgegnete Rose schnippisch. Albus beobachtete sie wieder, und wie selbstverständlich hatte sich Presley vorgedrängt und lief neben Rose, er und Fred hinterher. Sofort schloss er auf an ihre andere Seite.

 

„Ich nehme an, sie will die Klügste werden, damit sie sich nicht mehr mit uns abgeben muss“, sagte er laut, und Rose musste lachen. Er mochte, wenn er sie zum Lachen brachte. Es beruhigte ihn innerlich.

 

„Du bist ein Idiot“, bemerkte sie kopfschüttelnd in seine Richtung, stieß ihn in die Seite, und er musste breiter grinsen und legte den Arm um ihre Schulter. Er sah ihr schmales Lächeln, und kurz presste er sie an sich, nur um die vertrauensvolle Geste wieder zu lösen und direkt ihre Seite zu kitzeln. Sie lief ein paar Schritte vor, um ihm zu entgehen und schenkte ihm ein Kopfschütteln.

Er spürte Freds Blick, selbst durch seinen Hinterkopf. Und mit dem Hochgefühl, was er bekam, immer wenn Rose in der Nähe war, überkam ihn Übelkeit. Wilde, mächtige Übelkeit, die nur die Blicke seiner Cousins auslösen konnten.

Er vergrub die Hände in den Taschen seiner Trainingshose und verdrängte alle Übelkeit. Er verdrängte alles. Das konnte er gut.

 

„Wo ist Rumer?“, wollte Presley wissen, der sich Freds Blick nicht so gewahr war, wie Albus. Aber Rose zuckte nur die Achseln, als wisse sie es nicht oder als interessiere sie es nicht.

 

„Irgendwo mit James“, bemerkte Fred missgelaunt hinter ihnen, und lächelnd wandte sich Presley an ihren hochgewachsenen, dunklen Cousin, mit sanfterem Verständnis im Blick.

 

„Gönn ihm den Spaß, Weasley“, sagte Presley achselzuckend. Fred ruckte mit dem Kopf. Presley ging Dinge anders an als er. Nicht direkt. Eher… subtil. „Wie wäre es, wenn wir Teams bilden? Gemischt? Potter, du kannst mit deinem Cousin spielen, und ich spiele mit dem begabten Schatten aus Gryffindor?“

 

Rose fühlte sich offensichtlich geschmeichelt, während Albus‘ Zähne kurz aufeinander mahlten. Sehr subtil. Wirklich.

 

„Ok“, sagte er schlicht. Presley war arrogant. Und Rose sah es nicht mal, unschuldig, wie sie war. Albus‘ Blick fiel auf den feuchten Boden, und still überwanden sie den Weg zum Quidditchfeld. Presley sprach unentwegt mit Rose über belanglose Kleinigkeiten, irgendwelche Ergebnisse von irgendwelchen langweiligen regionalen Teams, und er war zurückgefallen, ging gleichauf mit Fred, und lästigerweise spürte er immer noch Freds Blick.

 

„Siehst du irgendwas Spannendes?“, knurrte er tonlos in seine Richtung, hörte Fred ausatmen, bevor dieser den Blick wieder nach vorne wandte. Er war sich nicht sicher, aber dieser Tag war doch sehr schnell anstrengend geworden. Es störte ihn. Presley störte ihn.

 

Sie erreichten das Feld, holten sich die Besen aus dem Zelt, wo sie sie gelagert hatten, und immerhin regnete es heute nicht. Sie würden nicht bis auf die Knochen nass sein, heute Abend.

Fred war zunächst Torhüter, denn… das war es, was er am besten konnte. Auch Presley nahm diese Rolle ein, und wieder huschte ein Lächeln über Albus‘ Züge, als er auf gleicher Höhe mit Rose flog. Jetzt bekam er wieder ihre Aufmerksamkeit. Und ihm war bewusst, dass es krank war, was er tat. Es war ihm verdammt noch mal bewusst, aber er konnte es nicht ändern, auch wenn er es wollte. Er brauchte die verdammten Blicke der anderen nicht.

 

„Zieh dich warm an“, warnte er sie, aber sie hielt seinem Blick stand.

 

„Gleichfalls, Potter“, gab sie frech zurück, und wieder erfüllte ihn das angenehme Kribbeln. Sie warf den Übungsquaffel hoch in die Luft, und sie sausten in die Höhe.

 

Ab dann spielten sie. Er rammte sie öfters als nötig, spielte ein wenig unfair, nutzte seine körperlichen Stärken aus, aber sobald sie die Positionen wechselten, bekam er nur zu oft von Presley ebenfalls raue Anrempler zu spüren, und Rose haute bei nächster Gelegenheit Fred gänzlich vom Besen, was bei seiner Größe beachtlich war.

Sie lachten viel, hatten Spaß, vergaßen ihre Cousins und Freunde mit lästigen Beziehungen, und Albus fühlte sich wieder leichter. Erst als seine Arme lahm wurden und die Sonne hinter den dunklen Wolken verschwand, landeten sie. Sie hatten gut drei Stunden hier zugebracht, und es tat gut, sich sportlich zu betätigen. Es verscheuchte die tristen Gedanken.

 

Presley landete neben Rose, wischte sich über das erhitzte Gesicht, und dann hielt er sie tatsächlich zurück.

 

„Du fliegst wirklich gut“, rief er ihr zu, und Rose schien mit dem Kompliment nicht gut umgehen zu können.

 

„Äh… danke?“, gab sie unsicher zurück, und Albus wollte fast lächeln über Presleys schlechte Versuche.

 

„Hör mal, hast du… vielleicht Lust, nächstes Wochenende mit mir nach Hogsmeade zu kommen? Also… zu zweit?“ Und auch Fred hielt in nächster Nähe inne. Albus‘ Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Rose mied ihre Blicke, fuhr sich verlegen durch die unordentlichen Locken, und Albus war kurz davor für sie zu sprechen, diese Verbindung zu verbieten und Presley dahin zurückzuschicken, wo er verdammt noch mal hergekommen war. Aber etwas in ihm war sehr still geworden. Kurz flackerte Roses Blick, als wolle sie ihn ansehen, aber… sie tat es doch nicht.

 

„Ahem… ok?“, sagte sie schließlich, tiefe Röte in den Wangen. Ob vor Anstrengung oder Scham war nicht zu sagen.

 

„Ok“, erwiderte Presley zufrieden, und Albus glaubte, diese ganze Show, diese ganze Freundlichkeit war von Presley nur vorgetäuscht gewesen. Zorn verhärtete Albus‘ Züge, als Presley sich erleichtert an ihn und Fred wandte. „Ich hoffe, die Familie hat nichts dagegen?“

 

„Vielleicht hättest du uns zuerst fragen müssen“, überlegte Fred, aber Albs hörte, er meinte es nicht ernst.

 

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Presley auf widerlich unschuldige Art, aber Fred winkte ab.

 

„Hey, vielleicht könntest du unserem Team ein paar Steine aus dem Weg räumen und Al öfter die Bank drücken lassen?“, schlug Fred grinsend vor, und Presley schien darüber nachzudenken, bevor er mit Grabesmiene ablehnte.


„Sorry, auf den besten Mann kann ich nicht verzichten“, erklärte er gönnerhaft, mit fast väterlichem Blick in seine Richtung. Albus wollte ihn schlagen. Fick dich, Presley Ford, dachte er zornig, aber er sagte gar nichts.

Stumm brachte er seinen Besen zurück ins Zelt. Die anderen folgten ihm, aber er hatte keine Lust zu warten.

 

„Ich gehe schon mal vor. Muss noch was erledigen“, log er blind, tonlos, ohne Rose anzusehen.

 

„Bis später!“, verabschiedete sich der ahnungslose Presley von ihm, aber Albus ignorierte seine Worte. Er spürte Roses Blick, aber er hatte keine Lust, zu reagieren. Scheiße. Er hatte ein scheiß Problem.

Er musste sich ablenken. Er musste dieses Problem verdrängen.

Sehr schnell. Irgendwie.

 

 

 

Eight

 

 

Sie war nervös. Es war… eine absolute Kurzschlussreaktion gewesen! Hatte Presley sie wirklich um ein Date gebeten? Sie hatte kaum nachgedacht, hatte einfach eingewilligt! Einfach, um das furchtbare Gespräch mit Scorpius zu verdrängen, was sie gehabt hatte. Einfach, um dem schlechten Gefühl zu entgehen, was Alby mittlerweile in ihr auslöste, wenn er sie ansah, und sie bemerkte, dass der Blick viel zu intensiv war. Sie saß im Sessel abseits der anderen, und ihre Gedanken waren wirr.

Scorpius und Dom saßen zu zweit auf der Couch, genauso ekelhaft glücklich wie immer. Ab und an traf sie Scorpius‘ Blick, aber sie nahm ihn gar nicht richtig wahr. Sie dachte an Alby und wie er nach dem Spiel einfach abgehauen war, wie er sie nicht mehr angesehen hatte!

Als dürfe sie es nicht! Als dürfe sie nicht Ja zu Presley Ford sagen. Und… durfte sie es überhaupt? Er war ein Slytherin. Im siebten Jahr. Er war sogar Kapitän der Mannschaft, Torhüter, gutaussehend – Merlin, sie war überfordert.

 

Sie hatte nicht gewusst, dass irgendwer Interesse an ihr hatte, und plötzlich fragte sie ausgerechnet der schöne Presley Ford? War er nett? War er falsch? Sie wusste es nicht, dabei kannte sie ihn schon so lange!

Sie erhob sich unwillkürlich, um in den Schlafsaal zu gehen. James und Rumer machten sie aus den Augenwinkeln nervös, während sie Händchenhielten und ebenfalls glücklich waren. Sie sprach noch immer nicht mit ihr, und jetzt gerade bräuchte sie dringend den Rat ihrer besten Freundin. Nur blöderweise ging es um ein Thema, weswegen sie überhaupt erst Streit hatten! Rose wollte kein dummes Mädchen sein. Sie wollte Rumer nicht fragen müssen, was sie anziehen sollte, was sie für Makeup brauchte und wie man vielleicht doch seine Haare glättete. Sie wollte sich mit diesen Dingen nicht befassen, und war kurz davor, das Date wieder abzusagen.

Natürlich per Eule – denn sie wollte nicht persönlich vor Presleys einnehmender Gestalt stehen.

Sie stieg die Stufen empor, und sie hatte ein eigenartiges Gefühl in ihrem Magen. Kein sonderlich Gutes. Einfach nur ein wildes Gefühl. Sie war nervös.

Aber… alles war besser, als Scorpius Malfoy. Alles, was sie so weit wie möglich von der Tatsache entfernte, dass sie Scorpius geküsst hatte – war gut!

Unbewusst packte sie bereits ihre Tasche, stopfte Bücher und Pergament hinein, und hatte sich schon damit abgefunden, in die Bibliothek zu gehen.

Das tat sie jetzt scheinbar. Auch wenn Snape das letzte Mal nicht wieder aufgetaucht war.

Sie hatte sich wieder umgedreht, wollte den Schlafsaal verlassen, aber sie erkannte Rumer in der Tür. Kurz verharrte sie. Anscheinend wollte Rumer ihre Jacke holen.

 

Roses Blick fiel. Merlin, sie war so stur, dass ihr nicht mal ansatzweise einfiel, wie sie ein Gespräch beginnen sollte. Schon betrat Rumer mit zielstrebigen Schritten den Schlafsaal, um zu ihrem Bett zu gehen, und sich die Trainingsjacke zu schnappen. Schon hatte sie sich wieder abgewandt.

 

„Rumer“, hielt Rose sie tonlos auf, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. Ohne sich umzudrehen, hielt Rumer im Türrahmen inne.

 

„Was?“, wollte ihre beste Freundin ein wenig gereizt von ihr wissen, und Rose biss sich auf die Lippe. Und jetzt… jetzt würde Rose nachholen, was sie Rumer nicht hatte erzählen können. Und sie würde so tun, als wäre das ihr erster Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Sie würde Scorpius einfach verdrängen und aus ihren Gedanken löschen.

 

„Presley hat mich um ein Date gebeten“, fielen die Worte aus ihrem Mund, und Rumer drehte sich langsam um. Kurz wirkte sie unschlüssig, bevor sich ihre Stirn runzelte.

 

„Was?“, entkam es ihr, als hätte sie nicht richtig gehört.

 

„Es… es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Und… Presley hat mich zum Wochenende um ein Date gebeten!“, sagte sie sehr schnell. Rumers Augen wurden groß, und es war eine eigenartige Einstimmigkeit, aber kaum machte Rumer den Mund auf, um zu schreien, schrie Rose mit ihr. Die beiden stürmten aufeinander zu, schrien noch immer vor Aufregung, und Rumer zog Rose fest in ihre Arme. Die Tasche rutschte ihre Schulter hinab und Rose erwiderte die Umarmung. Sie hörten eilige Schritte auf der Treppe.

Ihr kollektiver Schrei der Freude verebbte, und Lily hielt außer Atem inne.

 

„Seid ihr verrückt? Alles ok mit euch?“ Sie wirkte verstört, aber Rumer wandte sich strahlend um.

 

„Presley Ford hat Rosie um ein Date gebeten? Ist das nicht absoluter Wahnsinn?“ Und Rose spürte die Röte in den Wangen und wollte Rumer schubsen, wegen dem furchtbaren Spitznamen, aber… sie fühlte ein wenig Stolz in ihrer Brust anschwellen, denn… es waren gute Neuigkeiten. Viele Mädchen warteten bestimmt nur auf eine solche Gelegenheit. Und Presley hatte sie gefragt! Rose wusste nicht, wie sich Verliebtheit anfühlte – aber sie nahm an… vielleicht ungefähr so? Und gleichzeitig wäre sie gerne cooler. Gleichzeitig wäre sie gerne die alte Version von sich selbst, die sich nicht den leisesten Dunst um ein Date scheren könnte. Aber irgendwann in den letzten Wochen war diese Version verpufft.

Tatsächlich war Lilys Blick eher sparsam.

 

„Oh… wirklich?“, wollte Lily ein wenig tonlos wissen, und Rose nickte stumm, mit heißen Wangen.

 

„Ja. Gestern beim… Quidditchspielen“, brachte sie kurzatmig hervor und wurde von Rumer wieder angequietscht.

 

„Oh Merlin! Stell dir vor, wir daten die beiden Kapitäne! Es wäre zu cool!“, wisperte Rumer mit belegter Stimme, und Rose wollte wirklich nicht so ein Mädchen sein, aber es war gerade viel zu verlockend, albern zu sein! Und beide merkten gar nicht, dass Lily wieder verschwunden war, als sie sich zurück in die Arme fielen, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.

Und den Rest des Tages verbrachten sie auf Roses Bett, während Rumer ihr im kleinsten Detail erzählte, wie gut James küssen konnte – und Rose versuchte, den Ekel zu unterdrücken und freute sich halbherzig für ihre beste Freundin.

Und Rose musste haarklein erzählen, was Presley wie gesagt hatte.

Rose konnte sich kaum noch erinnern, und dann plante Rumer ihr Outfit. Denn auf jeden Fall musste Rose einen Kuss bekommen! Ihren ersten, wie Rumer ergänzte! Und sie gab Rose jeden möglichen Ratschlag, den es gab, erklärte ihr, was Zungenküsse waren, und Rose hörte ihr zu und tat so, als hätte sie keine Ahnung. Und fast glaubte sie es selbst! Fast hatte sie sich überzeugt, dass ihr Stranderlebnis nur ein Traum war.

Ein schrecklicher Albtraum, der nun endlich sein Ende fand! Presley Ford wäre der erste wichtige Junge in ihrem Leben.

 

***

 

Verwandlung mit den Ravenclaws war anstrengend. Nicht nur, weil fast alle fünfzehn Hände des fremden Hauses eigentlich zu jeder Frage simultan in die Höhe schossen, während sich die Slytherins nur vereinzelt meldeten, sondern auch, weil es eben Ravenclaws waren, und seine Aufmerksamkeit auf Hugo Weasley ruhte. Hugos Hand fand immer den Weg nach oben. Und er war bestimmt schon zwanzig Mal drangenommen worden. Es war das einzige Fach, was McGonagall selber unterrichtete, und sie bestand darauf.

Es war das schwierigste Fach in seinem Stundenplan. Al neben ihm wirkte unausgeschlafen und abwesend. Auf seine Hände gestützt starrte sein Kopf blind nach vorne, ohne wirklich wahrzunehmen, was er sah, nahm Scorpius an.

Und er glaubte, es hatte mit Presley zu tun. Mit was sonst?

Ehrlich gesagt, wusste er nicht, was sich Al daraus machte. Ob er vorhatte… aktiv zu werden. Wie auch immer das aussehen sollte.

Scorpius wusste nicht, ob es klug war, dass Rose mit Presley ausging, allerding aus völlig anderen Gründen. Er war der Kapitän ihres Teams. Er war Torhüter. Was, wenn es das Spiel beeinflusste? Sollten Schüler aus Quidditchteams überhaupt daten? Und war Presley nicht zu alt? Für Rose?

Gleichzeitig fragte er sich, ob er glaubte, dass James zu alt für Rumer war und fand keine zufriedenstellende Antwort darauf. Aber das interessierte ihn nicht sonderlich, denn Rumer und James behielten ihre Übergriffigkeiten im eigenen Team. Scorpius wusste es auch nur von Dominique, die es ihm mit großen Augen und sanftem Unglauben erzählt hatte.

 

Und fand Hugo es gut? War Presley besser als er? Seine Gedanken waren noch einigermaßen müde, aber in der Hinsicht, dass seine Zukunft auf dem Spiel stand, war es wichtig, dass er sich diese Fragen stellte. Wenn Hugo es guthieß, dass Rose mit Presley ausging, dann… war Scorpius wohl dafür.

Wie albern es war, seine Zukunft von dieser Speiche abhängig zu machen. Wieder beantwortete Hugo tadellos eine Frage, und Scorpius spürte, wie er gereizt den Mund verzog. Was wusste der Junge eigentlich nicht?

Scorpius dachte manchmal an das Schulsprecheramt. Er glaubte nicht wirklich, dass er eine Chance hatte, nächstes Jahr. Dafür war er wohl zu schlecht, aber manchmal stellte er sich vor, wie es wäre. Die vorsitzende Schülervertretung. Es hatte einen netten Klang. Und vielleicht zum dritten Mal heute fing er Hugos Blick auf. Das war es auch, was ihn so nervös machte.

Schon wandte der Junge den Blick wieder nach vorne, aber Scorpius fixierte seinen dunkelhaarigen Hinterkopf.

Spielte er Spiele mit ihm? Was sollte das?

Nur schwer konnte er McGonagall überhaupt folgen, und seine Gedanken kreisten um verschiedene Dinge. Roses Worte gingen ihm auch nicht unbedingt aus dem Kopf – dass jeder der Weasleys eine Rolle spielte.

Und auch Dominiques Verhalten war ihm aufgefallen. Als hielte sie es für kaum möglich, dass Rose von Presley beachtet wurde.

Rose war nicht sein Typ, aber sie war nicht unattraktiv. So viel gestand er sich ein.

Und er persönlich war dankbar, dass sie dieses Gespräch geführt hatten, dass sie auf derselben Seite standen, ungefähr.

 

Zäh verging diese Stunde, und er kam sich nur dümmer vor als vorher. Al erhob sich mürrisch und packte stoisch seine Tasche.

 

„Wo willst du hin?“, beschwerte sich Scorpius, aber Al sah ihn nicht mal an.

 

„Hab was zu erledigen“, brummte er bloß, und Scorpius verzog den Mund. Super. Was sollte das jetzt? Musste er hinterher? Erwartete Al so etwas von ihm? Scorpius hoffte nicht.

 

„Malfoy“, hörte er die Stimme des hochgewachsenen Jungen, mit dem er nicht reden wollte. Die Nackenhaare standen ihm zu Berge, und mit höchster Skepsis im Blick wartete er. Hugo schien sich Zeit zu lassen, mit voller Absicht. Er kassierte noch ein Lob von der Schulleiterin und wartete tatsächlich bis die meisten den Klassenraum verlassen hatten.

 

„Ja?“ Scorpius‘ Ton war vorsichtig. Er erinnerte sich an das letzte Gespräch mit Hugo und konnte sich nicht vorstellen, dass dieses besser werden sollte. Sie hatten nichts zu besprechen. Es gab nichts zu sagen. Kurz zögerte der Junge vor ihm, bevor er ihn mit messerscharfem Blick ins Visier nahm.

 

„Ich bräuchte einen Gefallen“, sagte er dann schlicht.

 

„Von mir?“, entkam es Scorpius prüfend und mehr oder weniger ablehnend.

 

„Ja“, bestätigte Hugo, ohne Zögern, ohne Ausreden. Scorpius atmete knapp aus. Er nahm an, Hugo kam zu ihm, weil er davon ausging, dass er nicht ablehnen würde. Oder könnte.

 

„Wieso sollte ich dir einen Gefallen tun?“, fragte Scorpius ihn still, denn noch waren sie nicht allein. Das schien den jungen Weasley doch zu überraschen.

 

„Vielleicht ist es dir entgangen, aber ich habe etwas gegen dich in der Hand“, erinnerte ihn Hugo mit Nachdruck, aber Scorpius zuckte die Achseln.

 

„Und?“, provozierte er den Jungen, und Hugo legte den Kopf leicht zurück, betrachtete ihn aus verengten Augen.

 

„Und ich habe kein Problem damit, es Albus zu erzählen. Dem Armen geht es ohnehin nicht so gut, nicht wahr?“ Hugo machte ihm Angst. Wie egal ihm seine Familie und alle Konsequenzen waren. Und… auch Hugo war wohl aufgefallen, dass Al… eine Schwäche für Rose hatte. Aber das überraschte ihn nicht sonderlich. Hugo schien alles zu wissen. Und vielleicht könnte Scorpius es darauf ankommen lassen. Vielleicht könnte er Hugo herausfordern, und dann würde Hugo es Al sagen, und dann…- tja, dann würde Al wohl nicht mehr mit ihm reden. Im besten Fall. Scorpius atmete resignierend aus.

Zu kompliziert. Er entschied sich für das kleinere Übel.

 

„Was für einen Gefallen?“, knurrte er praktisch, und Hugos Mundwinkel hoben sich nur minimal, Siegessicherheit lag in seinem Blick.

 

„Nicht hier“, sagte Hugo dann kopfschüttelnd. „Triff mich in der Verbotenen Abteilung in der Bibliothek. Du bist doch Vertrauensschüler?“ Es war mehr eine Frage, als eine Feststellung. „Auch wenn ich diese Entscheidung nicht ganz nachvollziehen kann“, ergänzte der dunkelhaarige Weasley, der sich so massiv von seinen Verwandten unterschied, mit einem kühlen Unterton. Scorpius‘ Kiefer spannte sich an, aber er sagte gar nichts. „Heute nach dem Mittagessen. Vierzehn Uhr.“ Damit wandte sich der Junge von ihm ab, und Scorpius war nicht schlauer. Er war nur nervöser. Was wollte diese Ratte von ihm?

 

 

 

 

Er war eher in der Bibliothek, denn er hatte gerne die Kontrolle. Egal, um was es ging. Lorcan hatte er dieses Treffen verschwiegen, denn zu einem großen Teil schämte er sich. Ihm war auch das Risiko bewusst, was es bedeutete, gegen James vorzugehen. Und er war überzeugt, es könnte auch massiv nach hinten losgehen. Es gab eigentlich nur zwei Szenarien, aber die Konsequenzen des jeweiligen wären… interessant zu sehen.

Im ersten Szenario hätte er absolutes Pech. Rumer würde James nicht für ihn verlassen, und er stünde da wie ein Vollidiot, und wenn er ehrlich war – so stand er selten da. Er vermied solche Situationen. Dann aber würde James Langeweile bekommen, wie es eben mit ihm war, so viel wusste Hugo, und Rumer wäre verletzlich, schwach und auf der Suche nach einer Schulter zum Ausheulen – dem Trostpreis quasi. Das wäre er, Hugo Weasley, auch wenn der Gedanke bitter schmeckte.

Szenario Nummer zwei wäre überraschend und ein wenig mehr verlockend. Rumer würde James verlassen, würde seine Freundin werden – und James würde höchstwahrscheinlich einen Familienkrieg erklären, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde Rumer ihn dann ohnehin wieder verlassen.

Oder er gewann tatsächlich gegen James Potter. Aber immerhin käme er in den kurzen Genuss eines unwahrscheinlichen Sieges.

 

Es klang unwahrscheinlich. Beide Szenarien implizierten eine ohnehin geringe Erfolgsrate. Er vernahm die Schritte sofort, denn in die Verbotene Abteilung kam niemand ohne guten Grund. Die Bücher hier gehörten nicht zum Lernstoff, und die Chancen standen sehr hoch, dass es Malfoy war.

Hugo wartete, äußerlich gelassen, denn ausgerechnet Scorpius Malfoy um Hilfe zu bitten, war… erbärmlich genug. Ihn praktisch zu erpressen, damit Hugo die Chance hatte, möglicherweise Rumer zu beeindrucken, war… nichts, was er stolz seiner Mutter berichten würde. Oder Lorcan.

Und er behielt recht. Mit missmutigem Ausdruck bog Scorpius um die Ecke. Das Gesicht verschlossen, den Blick ablehnend auf ihn gerichtet, und wahrscheinlich war die einzige Tatsache, die Hugo von einer blutigen Nase verschonte, tatsächlich, dass er etwas gegen ihn in der Hand hatte. Beunruhigende Gedanken, aber er hatte gelernt, wie die Welt funktionierte, wenn man etwas haben wollte. Auf die saubere Art klappte es meist nicht.

 

„Also?“ Scorpius blieb vor ihm stehen, abwartend, lauernd, und Hugo sammelte sich, atmete lange aus, und beschloss, nicht zu zögern, keine Ausreden zu erfinden. Wenn man etwas wollte, sollte man direkt sein. Es war ganz einfach. Und ja, er wollte etwas Lächerliches, aber er wollte es. Also würde er diese Sache mit der gleichen Ernsthaftigkeit behandeln, wie die Zags.

 

„Du bist erfolgreich bei den Mädchen“, stellte Hugo fest, denn er brauchte Scorpius nicht fragen. Es war offensichtlich. Und Scorpius bösartige Fassade geriet etwas schief. „Und meine Cousins will ich in dieser Hinsicht nicht um Hilfe bitten, also… wie bekomme ich ein Mädchen?“, schloss er, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Scorpius‘ graue Augen weiteten sich, und bevor er noch in unpassendes Gelächter ausbrechen würde, sprach Hugo schnell weiter. „Erklär es mir erfolgreich, und ich vergesse, was ich über dich und Rose weiß.“ Es war schlichte Erpressung. Simpel, aber zielführend. Scorpius‘ Kiefer arbeitete angespannt. Und er lachte nicht. Tatsächlich sagte er eine ganze Weile gar nichts, bevor er resignierend ausatmete.

 

„Ist das dein Ernst? Du willst, dass ich dir erkläre, wie man Mädchen bekommt?“ Es klang tatsächlich so erbärmlich, wie Hugo es sich ausgemalt hatte. Aber er verzog lediglich den Mund und zuckte die Achseln.

 

„Ich mache mich auch nicht lustig, wenn ihr tatsächlich Mühe habt, den Apparierzauber auszuführen, oder?“, konterte er kühl, und Scorpius runzelte die Stirn. Vielleicht hinkte der Vergleich für Scorpius, aber nicht für ihn.

 

„Es… es ist keine… Fähigkeit“, sagte Scorpius schließlich, tatsächlich etwas ratlos.

 

„Ich denke, niemand wird mit der Gabe geboren, Mädchen zu beeindrucken, also… ist es demnach eine Fähigkeit, die man erlernen kann.“ Hugo war überzeugt, dass es erlernbar war, denn selbst James würde nicht auf Anhieb immer nur erfolgreich gewesen sein. Hoffte Hugo zumindest. Scorpius schüttelte daraufhin den Kopf.

 

„Man hat es im Gefühl, oder man hat es nicht“, widersprach er abwehrend, mit unzulänglicher Begründung. „Um wen geht es überhaupt?“, wollte er dann ungläubig wissen, aber Hugo würgte ihn direkt ab.


„Unwichtig. Mir geht es um die Theorie.“ Scorpius stöhnte verhalten, und es reizte Hugo ungemein. Der Junge vor ihm war doch angeblich Vertrauensschüler, stand mit ihm augenscheinlich auf gleicher Ebene, und Hugo hasste, wenn er die Leute zwingen musste, ihr Gehirn einzuschalten. Dass er ihn überhaupt dazu bewegen musste, zu reden. Scorpius sollte es einfach ausspucken, dann könnte er seinem langweiligen Tagesrhythmus nachgehen.

 

„Es gibt kein Lehrbuch darüber, ok?“

 

„Bedauerlicherweise nicht“, murmelte Hugo beinahe, denn er hatte darüber nachgedacht. Ein Buch wäre tausendmal hilfreicher als Scorpius Malfoy in seinem lichtesten Moment.

 

„Ich weiß nicht genau, was du von mir hören willst“, entgegnete Scorpius verschlossen, und Hugo ermahnte sich mental zur Ruhe. Malfoy war ein Idiot, und man musste Idioten da abholen, wo sie einen verstanden.

 

„Nehmen wir meine Schwester als Beispiel“, begann er mit Nachsicht, und Scorpius reagierte sofort.

 

„Warum sollten wir?“, spuckte er ihm fast entgegen, und Hugo konnte es nicht leiden, wenn Leute überemotional an Sachen rangingen. Es war ein handfestes Beispiel. Das einzige, was Hugo einfiel.

 

„Merlin, Malfoy, krieg dich ein!“, fuhr er ihn an. „Es ist mir egal, ob Doxychöre im Hintergund gesungen haben oder du die Erektion deines Lebens hattest“, informierte er ihn gepresst. „Ich interessiere mich lediglich für die harten Fakten. Für die Theorie und nicht für deinen emotionalen Zusammenbruch, ok?“

 

„Du bist absolut krank, und-“

 

„-ich bin so viel intelligenter als du, dass du bei klarem Verstand nicht eines meiner Worte anzweifeln bräuchtest. Ich weiß, es ist dir unangenehm. Ich verstehe, dass es in deinen Augen ein Unglück, ein Zufall – ein unfassbarer Fehler war! Das will ich nicht bestreiten – das interessiert mich aber verflucht noch mal nicht! Könntest du einfach mal deine scheiß Emotionen unter Kontrolle kriegen, und bitte zu meinem Niveau hinaufstiegen? Bitte?“, wiederholte er gepresster, und Scorpius atmete mit geöffnetem Mund, starrte ihn an, und Hugo war fast überzeugt, er würde ihm den Gefallen nicht tun, sein Gehirn anzuschalten, aber… - mit mehr als Widerwillen im Blick – schien Scorpius Malfoy sich zu bemühen.

 

„Wärst du nicht so ein absoluter Freak, dann wüsstest du, dass man solche Dinge niemals objektiv betrachten kann“, knurrte er scharf. „Dass du absolut instinktive Gefühle und Rationalität so klar trennen kannst, bedeutet alleine, dass du nicht normal bist, ok? Ich bin normal. Und deshalb fällt es mir schwer, darüber zu reden, verstehst du das? Geht das in deinen hyper-intelligenten Schädel, Weasley? Oder brauchst du Karteikarten? Eine Präsentation?“ Hugo atmete aus. Ok. Vielleicht war es üblicher, seine Emotionen nicht unterdrücken zu können, aber das half ihm jetzt gerade nicht.

 

„Dann tu so, als wärst du ein Freak, Malfoy“, entgegnete Hugo mehr als herablassend, denn er beleidigte sich nicht gerne. Vor allem, wenn es nicht stimmte. Scorpius‘ Oberlippe kräuselte sich, aber Hugo fuhr fort. „Woher wusstest du, dass… sie dich nicht verfluchen würde, als du sie geküsst hast?“ Und kurz glaubte er, Scorpius würde nicht antworten. Kurz schien es so, als wäre Scorpius meilenweit davon entfernt, das Ereignis überhaupt reflektieren zu können. Und Hugo hatte recht.

 

„Es war nicht geplant, ok?“, blaffte Scorpius.

 

„Malfoy“, sagte Hugo gereizt, und Scorpius schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und schien darüber nachzudenken, zu gehen. Seine ganze Körpersprache schien sich nach der Flucht aus der Bibliothek zu sehnen.

 

„Was, verflucht noch mal?“ Es war ein Rückzug. Sehr eindeutig, denn Malfoys Haltung war ablehnend, die Arme waren verschränkt, und defensiver könnte er sich nicht verhalten.

 

„Ich meine das Ernst“, warnte ihn Hugo jetzt ruhig, und Scorpius verdrehte die Augen, stand sich selber zu sehr im Weg. Es war immer dasselbe Problem mit den Slytherins. „Hör auf, dich zu rechtfertigen. Diese Show brauche ich nicht“, erinnerte Hugo ihn stiller, und irgendwann… nach endlosen Sekunden, klärte sich Scorpius‘ Blick und er sah ihn nicht mehr an. Sanft schüttelte er den Kopf, als könne er nicht fassen, dass sie darüber sprachen. Oder dass er es tat.

 

„Ich weiß es nicht mehr. Du… siehst das Mädchen an, und… weißt, dass sie es auch will“, erwiderte er unwirsch, und Hugo verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust.

 

„Du siehst sie an und weißt, dass sie es auch will?“, wiederholte er ungläubig. „Das ist deine forensische Hilfe?“ Scorpius fuhr sich durch die hellen Haare.

 

„Weasley, ich kann es nicht anders erklären. Die Chemie stimmt, oder sie stimmt nicht.“ Phrasen, leere Worte. Es war so absolut nutzlos, was Scorpius von sich gab.

 

„Bei meiner Schwester hat… die Chemie also gestimmt?“, wollte er ungläubig wissen. Er konnte nicht anders, als spöttisch zu klingen.

 

„Nein!“, war seine erste Reaktion. Es war die reflexartige Abwehr, die Hugo von ihm schon kannte, und Hugo begriff, dass die Rechtfertigung nötig war. Für Scorpius schien sie zumindest nötig zu sein. Alles abzustreiten, machte es aber nicht unwahr, machte es nicht immer noch ekelhaft. Und vor allem änderte es scheinbar nichts an der Tatsache, dass zwischen beiden etwas gewesen war.

 

„Nein?“, wiederholte Hugo spöttisch. Und tatsächlich verdrehte Scorpius die Augen. „Sag mir einfach, wie es sein kann, dass zwei Menschen, die nicht zusammen passen, zusammenkommen“, verlangte er fast erschöpft.

 

„Das weiß ich nicht“, fuhr Scorpius ihn an. Sie kamen nicht weiter, erkannte Hugo schließlich. Es funktionierte nicht. Und er begriff, die spielten beide ein Spiel, bei dem keiner irgendetwas preisgab. Wahrscheinlich müsste er mal wieder der Erwachsene sein. Wie eigentlich immer. Gut, er würde dem Arschloch entgegen kommen.

 

„Ich interessiere mich für ein Mädchen, aber sie ist… wohl außerhalb meiner Liga, wenn man es so sagen will“, begann er behutsam. Scorpius verengte die Augen. Hugo hasste, dass er es buchstabieren musste.


„Warum?“, fragte Scorpius tatsächlich. Als könne er sich nicht vorstellen, dass es irgendetwas gab, was man nicht bekommen konnte. Als wäre das Leben eines von diesen Märchen, in denen der Held loszog, und alles erreichen konnte, wenn er sich nur die richtige Mühe gab. Hugo hasste arrogante Sportler.

 

„Sie ist älter als ich. Sie… interessiert sich für… Quidditchspieler“, fasste er sein Leid zusammen und hasste, dass Scorpius tatsächlich grinsen musste. Er hasste, dass er sich mit Kleinigkeiten wie Quidditchspielern überhaupt beschäftigen musste. Dass es überhaupt ein Problem darstellte.


„Dann spiel Quidditch“, schlug sein Gegenüber spöttisch vor, und Hugo hasste, dass er diese Information preisgegeben hatte. Als würde es Scorpius plötzlich ein Druckmittel geben. Als läge die Lösung nun greifbarer. Hugo wurde wieder sehr ernst.

 

„Wie wichtig ist dir Albus‘ Freundschaft wirklich, Malfoy?“, fragte er ihn direkt, und Scorpius verdrehte erneut die Augen. Aber scheinbar hatte Hugos kleines Entgegenkommen, eine Tür geöffnet. Zumindest einen Spalt breit.

 

„Sei… spontan“, schlug er ihm dann achselzuckend vor. „Mach was, was du sonst nicht machen würdest. Verlass deine gewohnte Umgebung, triff sie draußen. Irgendwas“, schloss Scorpius ratlos.

 

„Musstest du dich um Dominique bemühen?“, wollte Hugo aus Interesse wissen, und scheinbar antwortete Scorpius schneller, als er es selber wollte.

 

„Nein“, sagte er schlicht, und Hugo runzelte die Stirn. Scorpius schien seine Worte jetzt selber zu begreifen und ruderte zurück. „Sicher musste ich das. Aber-“

 

„-aber?“, unterbrach Hugo ihn interessiert. Und dann fasste Scorpius ihn sehr genau ins Auge.


„Rose und Dominique sind nicht sonderlich verschieden“, sagte er schließlich. Hugo hob eine Augenbraue. „Dominique mag umgänglicher sein und zeigt, was oder wen sie will und ist bereit, für ihre Ziele etwas zu tun. Das heißt aber nicht, dass Beziehungen einfach sind, nur weil gute Voraussetzungen gegeben waren.“

 

„Soll bedeuten, ihr seid beide mäßig attraktiv, und das machte es einfacher, die lästigen Oberflächlichkeiten schnell zu überwinden?“

 

„Nein, das heißt es nicht“, fuhr Scorpius ihm scharf über den Mund, aber Hugo glaubte ihm nicht. „Selbst wenn!“, ergänzte Scorpius kalt. „Selbst wenn es nur an Äußerlichkeiten gelegen hätte, nach einem Monat sind Äußerlichkeiten absolut egal. Das ist der Grund, warum James‘ Beziehungen immer in die Brüche gehen. Irgendwann reicht das äußerliche nicht mehr.“ Hugo musste kurz darüber nachdenken.

 

„Meine Cousine ist der oberflächlichste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Und dein Reflex, mir zu sagen, dass es keine Mühe war, ist lediglich ein Indikator dafür, dass es nicht viel benötigt, um Dominique zu beeindrucken. Und sie ist garantiert nicht umgänglich. Sie ist verzogen, verwöhnt und ehrlich gesagt…“ Aber er unterbrach sich. Scorpius wirkte wieder sehr kurz davor, ihn verprügeln zu wollen.

 

„Was?“, wollte Scorpius knurrend wissen.

 

„Nichts“, schloss Hugo dann.

 

„Oh komm schon, du bist doch die ganze Zeit zum Erbrechen ehrlich! Großer Fehler, würde ich meinen. Und bald ist es mir ziemlich egal, was du in der Hand hast. Du wirst Dominique nicht weiter beleidigen, Freak“, spuckte er ihm entgegen, und Hugo verzog knapp den Mund.

 

„Ehrlich gesagt, könntest du bessere Mädchen für weniger Aufwand bekommen, war, was ich sagen wollte“, schloss Hugo seine anfänglichen Gedanken ab. Und tatsächlich verlor Scorpius‘ Ausdruck kurz an Härte. „Aber Oberflächlichkeit ist eine lästige Sache, Malfoy. Und zweispurig noch dazu“, ergänzte er kühl. „Und deshalb hat es mich marginal interessiert, was zwischen dir und Rose vorgefallen ist, denn Rose mag vieles sein – dumm allem voran, weil mir unbegreiflich ist, weshalb sie sich an diesem Tag für dich entschieden hat, aber sie ist nicht oberflächlich. Sie ist so ziemlich das absolute Gegenteil davon. Und das macht es interessant. Nicht, dass du in einer stumpfsinnigen Beziehung bist, die ohnehin nirgendwohin führen wird.“  

 

„Wieso, Salazar noch mal, sagst du das?“ Zorn flackerte im Blick des blonden Slytherin. Wieder übernahmen die Emotionen. Deshalb war Hugo mit ihnen allen nicht befreundet. Es machte keinen Spaß. Es war müßig. Es war anstrengend.

 

„Rein statistisch“, antwortete Hugo. „Es ist unwahrscheinlich, dass man die erste Freundin behält.“ Das war einer der Gründe. Lediglich einer, denn er wollte nicht riskieren, ausgerechnet wegen der dummen Dominique ein blaues Auge zu kassieren.

 

„Ja? Warum, willst du dann unbedingt ein Mädchen haben?“, griff Scorpius seine Worte auf. „Warum die Mühe, Weasley? Wenn du sie sowieso nicht behalten wirst? Oder ist es bei dir alles anders, weil du ein aufgeblasenes, selbstverliebtes Arschloch bist, der ja soweit über allen anderen steht?“ Tatsächlich befand sich ein Funken Wahrheit in Scorpius‘ sonst völlig sinnbefreiten Worten. Und tatsächlich sprach er weiter. „Und deine Eltern, Albus‘ Eltern – kennen sie sich nicht auch seit der Schulzeit? Waren es nicht auch die ersten Beziehungen für sie gewesen? Scheinbar hat es da geklappt, oder nicht? Oder war das die Ausnahme der Regel?“

 

„Es hat Krieg geherrscht“, entgegnete Hugo bitter. Scorpius blinzelte daraufhin.

 

„Ja, perfekte Basis für langhaltende Beziehungen, hm?“, entfuhr es ihm kalt, und Hugo verdrehte jetzt tatsächlich die Augen.

 

„Es war anders!“, fuhr Hugo ihn an. „Merlin, meine Eltern haben sieben Jahre gebraucht, um zusammenzukommen. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es war alles andere als das!“ Er bereute, überhaupt etwas gesagt zu haben. Und Scorpius schien sich ebenfalls wieder zu beruhigen.

 

„Wieso machst du dir dann die Mühe? Wieso willst du ein Mädchen, was ganz klar andere Jungen bevorzugt?“ Und es war eine gute Frage. Und Hugo hatte nur eine lahme Antwort darauf.

 

„Weil ich sie will“, sagte er stiller. Scorpius atmete lange aus. Dann verzog Hugo den Mund. „Außerdem“, fuhr er bitter fort, „bin ich nicht aus Stein, Malfoy. Ich habe Bedürfnisse, auch wenn ich sie nicht wie sinnlose Trophäen vor mir hertrage und mein Leid jedem kundtue! Und wenn ich mich nicht bemühe, um irgendwen – egal wen – dann bleibe ich alleine. Niemand will alleine sein. Niemand entscheidet sich dafür, alleine zu sein. Andere entscheiden, wie beliebt man ist und wie hoch die Chancen für einen sind, zu bekommen, was man will. Ich habe keine Zweifel, dass ich beruflich jede Tür geöffnet bekomme, die es wert ist, geöffnet zu werden. Aber meine Familie hat hier klar und deutlich die Grenzen für mich und mein Privatleben gezogen. Auf dieser Schule bin ich ein Freak, ein Streber, und anscheinend niemand, den man mehr als einmal anzusehen braucht, um zu wissen, dass immer James oder Albus oder Louis oder Fred mir vorzuziehen sind!“

Malfoy schwieg daraufhin, starrte ihn praktisch an, aber Hugo schämte sich nicht für seine Worte. Sie zerstörten ihn emotional nicht mehr. Sie machten ihn lediglich wütend. „Und glaub mir, dich zu erpressen, für einen erbärmlichen Ratschlag, ist tiefer, als ich jemals hatte sinken wollen, Malfoy. Aber man bekommt leider nicht alles, nur weil man es verdient. Weil man klüger ist als die anderen. Weil man sich mehr Mühe gibt. Und ich verstehe nicht, was man tun muss. Und deshalb hatte ich geglaubt, du könntest mir ansatzweise helfen.“

 

Und tatsächlich sank die Deckung. Scorpius angespannte Haltung löste sich minimal. Seine Arme sanken zu seinen Seiten. Hugo hatte mehr zu ihm gesagt, als jemals zu irgendwem. Als jemals zu seinen Eltern oder zu Rose oder gar zu Lorcan. Er wusste nicht, ob Ehrlichkeit sich auszahlte. Theoretisch tat es das. Aber in der Praxis hatte er nur gegenteilige Erfahrungen gemacht. Er hatte besseres zu tun, als sich auslachen zu lassen. Und Scorpius schien eine Entscheidung für sich zu treffen, schien über seinen Schatten zu springen.

 

„Ich… wollte es“, entfuhr es Scorpius still, während sein Blick abwesend über die alten Buchrücken wanderte. Er schien seinen Blick nicht mehr erwidern zu wollen. „In diesem Moment. Ich… konnte nicht anders.“ Und fast war es ein erschreckendes Geständnis. Eine Machtlosigkeit ging von Scorpius aus, die für Hugo fast greifbar war. „Und ich kann dir nicht sagen, was es war. Ich kann dir nur sagen, dass es absolut dämlich war. Als meine Mutter starb, war Dominique für mich da. Und nicht auf oberflächliche Weise. Es war nicht so, wie du vielleicht denkst. Dominique ist ein warmer, gutherziger und selbstloser Mensch, wenn sie es will. Und es hatte keinen guten Grund für mich gegeben, ihr Vertrauen zu missbrauchen. Absolut keinen! Nicht einen! Und trotzdem“, fuhr er in Gedanken fort, „war das an diesem einen Tag am Strand so völlig egal. Ich weiß nicht, was es war. Ich wusste nur…, ich… wollte Rose. Ich… musste sie haben. Musste sie küssen, und… es gab keine Konsequenz. Und selbst wenn, wäre es mir egal gewesen.“ Und dann schnappten seine grauen Augen hoch, und Hugo sah sehr deutlich, dass Scorpius seine Worte sofort bereute, so wie Hugo seine eigenen bereute. „Ein Wort, und ich breche dir beide Arme“, versprach Scorpius dunkel, und Hugo glaubte ihm tatsächlich. Und er verstand. Er versuchte, seine Emotionen auszublenden, versuchte, sich einzureden, dass Scorpius nicht über seine Schwester sprach, versuchte, die Gefahr, die eindeutig aus diesen Worten zu hören war, zu ignorieren.

 

„Mut“, schloss Hugo didaktisch kurz. Das schien es zu sein, was diese Vollidioten antrieb. Scorpius runzelte die Stirn. „Was du beschreibst. Es scheint eine Art von Mut zu sein. Eine dumme, waghalsige Art von Mut, aber Mut nichtsdestotrotz. Du vergisst deinen Platz, deine Verantwortung, und du begibst dich in eine Situation, die dich emotional komplett zerstören könnte – aber… es ist dir egal. Du opferst deinen Stolz und riskierst alles, was dich ausmacht.“ Warum Scorpius all das für Rose riskiert hatte, wollte Hugo nicht wissen. Er wollte es nicht äußern, nicht ansprechen und wollte Scorpius nicht im Ansatz unterstellen, dass… es vielleicht mehr war, als eine fixe Entscheidung an einem willkürlichen Tag am Strand. Er war nicht so dumm, das zu tun. Er wollte dem Slytherin keine verdammten Ideen in den Kopf setzen. Er hatte genug eigene Sorgen.

 

Scorpius starrte ihn nun an, und Hugo sagte, was ihm dieses Gespräch gebracht hatte. „Es heißt, wenn ich ein Mädchen bekommen will, muss ich alles aufs Spiel setzen?“, schloss er, formulierte es aber als Frage. Vielleicht würde sein Gegenüber ja antworten.

 

„Im Idealfall nicht“, behauptete Scorpius verschlossen. Hugo hob die Augenbraue.

 

„Du würdest für Dominique nicht alles aufs Spiel setzen?“, fragte er, ohne groß nachzudenken. Tatsächlich hielt Scorpius seinem Blick stand, schien ernsthaft darüber nachzudenken. Und dann atmete der Junge, mit den silberhellen Haaren, dem markanten Kinn und offensichtlich keinen größeren Problemen in seinem Reinblüterleben, lange aus.

 

„Wahrscheinlich“, räumte Scorpius langsam ein. „Wahrscheinlich würde ich das, soweit ich die perfekte Beziehung beurteilen kann. Für Albus würde ich es mit Sicherheit tun. Für Albus allein, rede ich hier und heute mit dir.“ Hugo wusste kurz keine Antwort. Und erst jetzt wurde ihm klar, dass er so eine Freundschaft nicht hatte. Er hatte keinen… besten Freund, für den er alles aufs Spiel setzen würde, der so massiv wichtig wäre, dass er jede Konsequenz in Kauf nahm. Für eine Sekunde betrübte es ihn, aber dann verscheuchte er diese Gedanken.

Scorpius hatte ihm alle Informationen gegeben, über die seine Hirnkapazität verfügte. Und das für Albus Potter, dem Jungen, der Scorpius wahrscheinlich sofort in den Rücken fallen würde – vor allem, wenn es um Rose ging. Fast war es traurig und ironisch zugleich. Aber das war nicht Hugos Problem.

 

„Danke“, sagte er nickend, fast verblüfft, aber Scorpius hatte ihm tatsächlich geholfen. Aber Scorpius fixierte ihn scharf.

 

„Das war es dann?“, wollte er wissen. „Du hast, was du wolltest, und diese Sache am Strand ist vergessen?“ Und kurz war Hugo versucht, zu fragen, warum es so wichtig war. Warum Scorpius so sicher gehen musste, dass er, Hugo, den Mund hielt. Aber er befürchtete, die Antwort zu wissen. Allein die Tatsache, dass seine Schwester Scorpius Malfoy geküsst hatte, bedeutete wenig. Ja, es würde Ärger geben, es würde eigenartig sein, aber… es wäre auf lange Sicht uninteressant, absolut unwichtig.

 

Allerdings nicht, wenn es mehr bedeutete. Und war das das Problem? Ging es weniger um Dominique als Person, als die Tatsache, dass Dominique und Albus die einzigen Hindernisse im Weg waren? War es deshalb wichtig, sie zu schützen? Brauchte Scorpius Malfoy diese Hindernisse? Diese Barrieren? Wären sie fort, würde es dann… anders sein? Hätte Malfoy dann ausgiebig Zeit, über dieses Ereignis nachzudenken, und würde er dann vielleicht sogar zu dem Schluss kommen, dass Rose den Aufwand wert wäre, selbst wenn es bedeutete, gegen die Ablehnung ihres Vaters vorgehen zu müssen? Hugo wusste nicht, ob Scorpius so dachte. Er hoffte, nicht. Und zum ersten Mal nahm sich Hugo die Zeit seinen Gegenüber anzusehen. Wirklich anzusehen. Scorpius‘ Körpersprache verbarg selten seine Gefühle. In dieser Hinsicht war er nicht unehrlich. Das Gespräch hatte Hugo deutlich gezeigt, dass Scorpius wenige Kompromisse wirklich einging. Er war seiner Schwester erstaunlich ähnlich, denn auch Scorpius rannte wohl lieber mit dem Kopf durch die Wand, als wirklich nachzudenken. Sturheit lag deutlich in seinem eisgrauen Blick. Und eine gewisse Betriebsblindheit, wenn man so wollte. Hugo glaubte nicht, dass Scorpius auf lange Sicht plante, dass er tatsächlich weit genug dachte, um Konsequenzen richtig einschätzen zu können. Dass er zum eigenen Wohl auf etwas verzichtete, was er wirklich haben wollte. Reinblüter verzichteten selten auf irgendetwas.

Das alles waren schlechte Zeichen. Hoffentlich kam es nicht dazu, dass die Hindernisse jemals aus dem Weg geräumt wurden. Hugo streckte den Rücken durch, ohne Zuversicht zu empfinden.

 

„Die Sache ist vergessen. Ich denke, dieses Missgeschick gehört der Vergangenheit an, jetzt wo Rose offensichtlich Interesse an Presley Ford gefunden hat“, schloss er, mit derselben Ablehnung, die er Scorpius gegenüber pflegte. Besser Presley, als Scorpius. Die Rechnung war sehr einfach zu lösen. Hugo hatte schon viel zu viel Zeit mit Scorpius Malfoy verbracht. Und er wollte es nie wieder tun müssen.

Dann hob der Slytherin jedoch die Augenbraue, und der sanfte Spott, den Hugo so verabscheute, kehrte in sein Gesicht zurück.

 

„Ich hoffe, James bricht dir nicht das Genick“, sagte er, fast mit einem Lächeln. Hugo wusste nicht, ob man ihm die Überraschung kurz ansehen konnte, aber innerlich versuchte er, gelassen zu bleiben.

 

„Das wäre alles“, verabschiedete sich Hugo gepresst von ihm und fand es unerhört, dass Scorpius Malfoy ihn durchschaut hatte.

 

„Jaah. Absolut“, bestätigte der Slytherin und wandte sich lässig von ihm ab. Bastard. Arroganter Bastard, dachte Hugo mit kurzer blinder Wut. War es so offensichtlich? War er so transparent? Es war egal. Hugo würde es versuchen und ignorieren, dass Scorpius Malfoy überhaupt existierte. Und er hatte gelogen. Er hatte verstanden, was Scorpius mit der Chemie meinte. Denn, was auch immer Scorpius sich einredete – die Chemie stimmte zwischen ihm und Rose. Am besten strengte sich Presley Ford ein wenig an. Und über ihn wollte Hugo auch nicht viel länger nachdenken. Noch so ein quidditchspielender Vollidiot. Seine Schwester war geschmacklos.

Absolut geschmacklos.

 

 

 

 

Nine

 

 

Es war das erste richtige Treffen mit Hugo, seitdem sie wusste, dass er sie und Scorpius beobachtet hatte. Und sie war kurz versucht gewesen, nicht zu kommen. Kurz hatte sie die Nachhilfe in den Wind schießen wollen.

Aber es hatte wohl mit ihrem verdammten Stolz zu tun und dass sie ihrem kleinen Bruder nicht die Oberhand lassen wollte.

Mit zielstrebigen Schritten betrat sie die Bibliothek und ging fast herausfordernd in den offenen Arbeitsraum. Hugo war schon da, wie immer. Seine Unterlagen vor sich ausgebreitet, ihr Platz neben ihm wie immer frei.

Sein Blick hob sich unverfänglich, aber seine Konzentration ruhte auf seinen Unterlagen.

 

„Willst du da stehen bleiben?“, wollte er von ihr wissen, während seine Augen schon wieder ins Lehrbuch gefallen waren. Es war wie sonst. Ihr Herzschlag beruhigte sich minimal.

 

„Nein“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd. Sie setzte sich neben ihn, und selten war sie sich seiner Anwesenheit so bewusst. Aus den Augenwinkeln musterte sie ihn, bis sich sein Blick hob. Kurz machte ihr Herz einen erschrockenen Satz.

 

„Was?“, wollte er wissen, jetzt mit gesamter Aufmerksamkeit. Sie schüttelte schließlich den Kopf. Was hatte sie gedacht? Dass er mit ihr reden würde? Über wichtige Dinge?

 

„Nichts“, verneinte sie knapp. Und sie konnte nicht fassen, dass er gänzlich unbeeindruckt war. Von absolut allem. Sie war fast sauer, dass er von dem Kuss wusste und nichts gesagt hatte! Und aus Trotz sprach sie. „Ich gehe morgen mit Presley Ford aus“, schloss sie, und sie lauerte auf seine Reaktion. Aber er hob lediglich den ablehnenden Blick und musterte sie kurz.

 

„Super“, erwiderte er mit falschem Lächeln, und Rose verzog den Mund. „Dad wird begeistert sein“, ergänzte er bloß, bevor er wieder auf seine Unterlagen starrte. Rose verkniff sich jeden Kommentar. Ja, ihr Vater würde es nicht gut heißen. Aber ihr Vater hatte keine Ahnung. Sie atmete aus, und ihre Aufregung flachte ab. Er war immer noch Hugo, immer noch ihr nervtötender Bruder.

 

„Also?“, wollte sie schon jetzt gereizt wissen.

 

„Zaubertränke“, erklärte er ungerührt, und sie stöhnte innerlich auf. Vielleicht würde sie ihn mit ihrem Verwandlungswissen beeindrucken können, aber… dafür würde Zaubertränke einen bleibenden, schlechten Eindruck bei ihm hinterlassen. Sie war grottig in Zaubertränke. Wie konnte man in jedem Fach so gut sein?

Und nach und nach verlor sich ihre leise Panik. Hugo war wie immer. Und dass er nicht mit ihr über diese Sache sprechen wollte, war… vielleicht sogar eine gute Sache. Sie wusste es nicht mit Sicherheit.

 

Und es war bestimmt eine gute Stunde vergangen, als Hugo plötzlich das Thema wechselte. Rose war kurz davor, zu verzweifeln, weil die Rezeptangaben ihr persönlich keinen Aufschluss über die Reaktion des Trankes gaben. Aber Hugo war nicht mal sauer. Er sah sie unverwandt an und sprach schließlich.

„Ich würde morgen mit ins Dorf kommen“, sagte er, ohne jede Vorwarnung. Und Roses Blick gefror und hob sich langsam.

 

„Was?“, entkam es ihr ungläubig, als hätte sie sich verhört.

 

„Morgen. Ihr geht nach Hogsmeade?“ Rose blinzelte verblüfft.

 

„Und… und du willst mitkommen?“, vergewisserte sie sich ein wenig schockiert, und er runzelte die Stirn.

 

„Darf ich das nicht? Ich gehöre zur Familie, wie alle anderen auch?“, bemerkte er spitz, und sofort tat ihr ihre Reaktion leid. Zumindest etwas. Ihr ganzes Mitleid verdiente ihr geheimniskrämerischer kleiner Bruder nicht.

 

„Schon“, räumte sie vorsichtig ein. „Nur die letzten fünf Jahren hattest du auch kein Interesse an uns oder Hogsmeade.“ Und tatsächlich sah sie zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit auf den Zügen ihres Bruders.

 

„Vielleicht will ich auf dich aufpassen?“, entgegnete er, und fast hätte Rose laut gelacht.

 

„Ach ja? Weil du Presley Ford bei einem Duell besiegen würdest?“, vermutete sie, und tatsächlich hob sich seine Augenbraue.

 

„Wahrscheinlich sogar bewusstlos, ja“, bestätigte er. Sie musste kurz grinsen.

 

„Und bei einem Faustkampf?“, wollte sie dann wissen, und Hugo atmete gereizt aus.

 

„Wann geht ihr immer?“, vermied er eine Antwort auf ihre kindische Frage, und Rose gönnte ihm die Antwort.

 

„Neunzehn Uhr wollen wir los“, erwiderte sie, und fast konnte sie seinen missfallenden Ton erahnen, als er den Mund aufmachen wollte. Sie nahm an, er rechnete sich aus, wie spät sie dann ins Bett kämen, und dass es wahrscheinlich nicht mal erlaubt war, so lange wegzubleiben, aber er beherrschte sich. Er nickte mit einiger Überwindung.

 

„Ok. Ich… treffe euch… dort?“ Es war ein sehr unangenehmes Gespräch. Und Rose nickte langsam.

 

„Wir… können auch alle zusammen gehen?“, schlug sie vor, wusste aber die Antwort darauf schon.

 

„Nein, schon gut. Drei Besen, richtig?“, fragte er zu Sicherheit, und Rose nickte wieder.

 

„Ja.“ Und kurz wollte sie ihn fragen, warum er mit wollte. Aber sie tat es nicht. Ihr Bruder hatte jedes Recht, dort zu sein. Und fast war sie ein wenig aufgeregt. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Hugo Weasley einfach mal Spaß hatte? An einem Samstagabend?

Fast klang es unmöglich. Sie wünschte sich schon lange, einen ganz normalen Bruder zu haben! Stille Vorfreude durchfuhr sie. Vielleicht könnte sie mit Hugo irgendwann über ihr Geheimnis sprechen? Wie es Geschwister vielleicht taten? Als wären sie… Freunde? Vielleicht…. Sie machten auf jeden Fall Schritte in eine richtige Richtung.

 

***

 

Sie war pünktlich, und er war noch nicht ganz vorbereitet. Er hasste es, nicht vorbereitet zu sein. Eilig räumte er noch die restlichen Sachen zum Tisch, der im Erker des Gemeinschaftsraums stand. Heute lernten sie am besten Tisch. Rumer kam grinsend näher und warf ihre Tasche auf einen freien Stuhl.

 

„Hey“, begrüßte sie ihn lächelnd, und kurz überlegte er, ihr die Hand zu geben. Aber das war eine absolut bescheuerte Idee. Dann überlegte er, ob er sie umarmen sollte – einfach, weil er so etwas niemals tun würde. Und Malfoy hatte gesagt, er musste neue Dinge ausprobieren – aber… er konnte nicht. Er ging nach Hogsmeade. Mehr als das, brachte er nicht zustande.

 

„Hey“, erwiderte er lahm die Begrüßung und bedeutete ihr lediglich, sich zu setzen.

 

„Nett hier“, bemerkte sie anerkennend, als sie sich im stillen Gemeinschaftsraum umsah. Er nickte bloß.

 

„Hm“, machte er, und wusste, dafür, dass er so wahnsinnig intelligent war, sagte er verdammt wenig heute.

 

„Ich habe gehört, du kommst heute Abend mit?“, erkundigte sie sich, als sie sich neben ihn setzte, und er hatte gehofft, dass Rose es ihr sagen würde. Denn anscheinend sprachen sie wieder miteinander. Aber er wusste nicht, ob seine Schwester ihr Strand-Geheimnis Rumer verraten hatte. Wahrscheinlich nicht, nahm er an. Es war aber nur eine Vermutung. Er war ehrlich gesagt froh gewesen, dass Rose ihn nicht direkt in die Mangel genommen hatte. Aber… Rose war scheu, was solche Dinge anging. Dinge, die nichts mit Besen, Klatschern oder Faustkämpfen zu tun hatten. Sie war wie Dad, der lieber drei Stunden mit dem Zauberstab den Rasen stutzte, als auch nur ein Gefühl rational diskutieren zu müssen.

 

„Ja“, rang er sich eine dumme, einsilbige Antwort ab. Merlin, Hugo. Sag irgendwas, zwang er sich harsch. „Ich dachte, ich versuche… mal was anderes“, ergänzte er achselzuckend.

 

„Ich find’s klasse!“, sagte sie sofort. „Bringst du Freunde mit?“ Ha ha. Welche Freunde sollte er wohl mitbringen? Lorcan würde sich noch bis nächstes Jahr über ihn lustig machen. Aber er ließ sich nicht beirren und schüttelte den Kopf.

 

„Man glaubt es vielleicht nicht, aber ich kenne die Weasleys“, bemerkte er, und seine Mundwinkel zuckten spöttisch. Rumers Augen wurden groß.

 

„Oh, ich… na klar. So hatte ich es nicht-“

 

„-ich weiß“, schloss er bloß. Er wollte sie noch irgendetwas fragen, noch irgendetwas sagen, was nicht mit Arithmantik zu tun hatte. Denn sie sah hübsch aus. Ihr Zopf wippte, ihre Augen strahlten. Sie sah… wirklich schön aus. Er würde nicht fähig sein, ihr ein Kompliment zu machen. Aber er wollte auch nicht von James hören. Absolut nicht. „Du und Rose, ihr… habt euch vertragen?“, beschloss er zu fragen, und Rumer nickte.

 

„Du bist nicht dumm, Hugo“, erwiderte sie anerkennend.


„Anscheinend nicht“, schloss er lächelnd. Und ihr fiel auf, was er gehofft hatte, dass ihr auffallen würde. Es war alles säuberlich geplant.


„Du trägst dein Abzeichen nicht“, sagte sie verblüfft, aber er zuckte die Achseln.

 

„Keine Lust heute“, log er. Er hatte immer Lust auf sein Abzeichen. Es unterschied ihn von den anderen Vollidioten. Aber er sagte etwas anderes. „Man muss ja nicht immer negativ auffallen.“ Und tatsächlich zwinkerte er ihr zu. Sein Herz schlug laut in seiner Brust, und seine Mundwinkel hoben sich, als Rumer tatsächlich lachen musste. Er hatte überlegt, was James tun würde, unter der abwegigen Prämisse, dass er Vertrauensschüler wäre. Und Hugo nahm an, James würde sich schämen, das Abzeichen zu tragen. Also tat Hugo so, als täte er das auch.

 

„Ich erkenn dich gar nicht wieder“, bemerkte sie lächelnd. Und ihre leuchtenden Augen machten ihn nervös. Sein Blick fiel auf seine steifen Hände.

 

„Wollen wir anfangen?“, fragte er, und er wusste wirklich nichts Besseres.

 

„Klar“, erwiderte sie.

 

Und dann schlugen sie ihre Bücher auf, und Hugo musste sagen, Rumer brauchte wesentlich weniger Hilfe und Denkanstöße als Rose. Seine Schwester verschloss sich allen Übungsaufgaben und Lerntheorien, wohingegen Rumer… einfach begriff, was er erklärte. Fast war es eine erfrischende Abwechslung. Und sie sah gut aus, roch verlockend – ganz anders als Lorcan. Vollkommen anders!

 

„-…Fehler gemacht“, schnappte er Rumers letzte Worte auf, denn er war in Gedanken versunken gewesen, hatte die letzten fünf Minuten immer wieder heimlich den Blick gehoben, um ihr dabei zuzusehen, wie sie ihren Zopf um ihren Finger wickelte. Es hypnotisierte ihn, aus irgendeinem Grund. Und in seinen Tagträumen, waren sie im siebten Jahr, James wäre längst verschwunden, sie teilten sich die Räume der Schulsprecher, und in einer stürmischen Gewitternacht, würde Rumer Angst haben, zu ihm kommen, in sein Bett steigen-

 

„-hm?“, entfuhr es ihm abwesend, hob blinzelnd den Blick, aber sie musste lächeln.


„Du hast da einen Fehler gemacht“, wiederholte sie fast zufrieden. Sein Stolz und sein Intellekt schlugen Alarm.

 

„Kann nicht sein“, war seine sofortige Reaktion, denn… er machte keine Fehler. Und garantiert nicht, was Zahlen anging. Rumer musste lachen. Es klang wunderschön.

 

„Wow. An Arroganz mangelt es dir nicht, was?“ Und dann stand sie auf, stellte sich dicht neben ihn und lehnte sich hinab. Er hielt sie Luft an, denn ihr Busen berührte minimal seine Schulter. Ihm wurde übergangslos heiß, und sein Tagtraum ging nahtlos weiter. Er würde ihre Wärme spüren, in dieser Gewitternacht im siebten Jahr. Sie würde sich an ihn drängen.

Ihr Zopf rutschte über ihre Schulter und kitzelte seinen Nacken. Merlin. „Da“, behauptete sie, und ihr Finger stach nach unten auf sein Pergament. Er sah gar nichts, folgte ihrer Geste nicht, denn ihre andere Hand stützte sich auf seiner Schulter ab. „Siehst du?“, fragte sie ihn, und blank starrte er nach vorne. Er roch ihr Parfüm. Es stieg betörend in seine Nase. Sie war so nahe, dass er ihre Wärme spüren konnte. Sein Gehirn funktionierte nicht mehr. Sein fabelhaftes Gehirn.

 

„Ja“, log er rau. „Du hast Recht“, brachte er knapp hervor, ohne zu sehen, was sie ihm zeigte. Lachend stieß sie sich wieder von ihm ab und schritt zu ihrem Platz zurück. Ok. Sie war es wert. Sie war es wert, dass er sich zum Affen machte, dass er log, dass er sein geliebtes Abzeichen ablegte, dass er Fehler zugestand, die er nicht machte. Sie war es absolut wert, dass er Scorpius Malfoys Ratschläge beherzigte.

 

Es war gut, dass sie die mathematischen Prinzipen verstanden hatte, und ohne seine Hilfe durch die Aufgaben kam, denn er konnte sich auf gar nichts mehr konzentrieren.

Alles Schöne ging irgendwann vorbei, und sie blickte auf die Uhr an der Wand. Sie stellte fest, wie spät es schon war, und dass sie sich fertigmachen musste. Sie sah jetzt schon perfekt aus, und Hugo wusste nicht, wie sie noch perfekter aussehen sollte. Aber er verabschiedete sich steif, vereinbarte mit ihr direkt einen Termin für nächste Woche, und spürte ihren kurzen Schulterdruck noch, als sie gegangen war. Er war verliebt in Rumer MacLeod. Die beste Freundin seiner Schwester. War es ein Klischee? Selbst wenn. Es störte ihn nicht. Fast glaubte er, dass er vielleicht doch eine Chance hatte. Vielleicht geschahen solche Wunder manchmal?

 

 

 

 

 

Rumer stand mehr als beleidigt gegen die Wand gelehnt, während Dom einfach ungefragt das Kommando übernommen hatte, und Rose hatte zu lange gezögert. Sie hatte zu spät abgelehnt. Selten war sie ihrer Cousine so nah. Dom saß vor ihr, sehr nahe vor ihrem Gesicht, während auf dem Bett zigtausend Schachteln und Pinsel und Farbpaletten ausgebreitet waren.

„Fast möchte ich gar nicht über deine Sommersprossen schminken“, entfuhr es Dom hoch konzentriert. „Sie sind so niedlich“, fuhr sie fort, aber Rose verzog kurz den Mund.

 

„Mal sie alle über“, befahl sie durch nahezu geschlossene Lippen.

 

„Das hätte ich auch gekonnt“, bemerkte Rumer, eine Spur bitter.

 

„Ja, aber ich habe mehr Produkte. Und bessere“, ergänzte Dominique, ohne den Blick zu heben, ohne auch nur im Ansatz entschuldigend zu klingen. Rose spürte Rumer auch aus dieser Entfernung kochen. Rose durfte die Augen wieder öffnen, und der starke Geruch von Puder und Makeup war ekelerregend. „Wow“, murmelte Dom lächelnd. „Gar nicht schlecht“, schloss sie nickend. Sie hielt Rose einen Handspiegel vors Gesicht, und kurz vergaß Rose die Nähe zu Dom und starrte ihrem Spiegelbild entgegen. Sie kam sich so anders vor. Das Makeup schaffte es tatsächlich, ihre Sommersprossen verschwinden zu lassen.

 

„Oh“, entfuhr es Rose unbeabsichtigt.

 

„Nicht gut?“, erkundigte sich Dom eine Spur beleidigt.

 

„Nein“, flüsterte Rose kopfschüttelnd. „Viel besser als vorher.“ Sie hasste ihre vielen Sommersprossen. Jetzt sah sie endlich mal nicht so eigenartig aus. Und… ihre Haare! Sie… waren glatt! Sie sah es erst jetzt wirklich. Sie sah vollkommen anders aus. Fast glich sie Lily und Dom ein wenig mehr. Makellose Haut war etwas, was sie überhaupt nicht kannte. Haare, die sich ihrem Willen beugten, umso weniger.

Und sehr überraschend fuhr Doms Hand fast zärtlich über ihre Haare.

 

„Du bist wirklich schön, Rose“, sagte sie, als wäre es etwas, was ihr vorher nie aufgefallen wäre. Aber auch an Rose gingen diese oberflächlichen Dinge vorbei. Aber jetzt konnte sie es auf einmal sehen. Sie sah aus, wie ihre Mum. Das war… eigenartig, denn ihre Mutter war ein anderer Typ, aber… ihre Gesichtszüge. Sie sah es heute so deutlich, wie noch nie.

 

„Ich mag ihre Locken lieber“, sagte Rumer fast bissig. Rose unterbrach ihre Gedanken.

 

„Ich nicht“, behauptete sie lächelnd.

 

„Presley wird ausflippen. Und weißt du was?“ Dom sah sie strahlend an. „Ich leihe dir meinen neuen grünen Pulli!“, versprach sie ihr zwinkernd. „Der Ausschnitt ist etwas tief, aber… es ist genau das richtige für heute!“ Und Roses Augen weiteten sich. Der grüne Pulli, den sie in Hogsmeade gekauft hatte, als Rose mit Scorpius in die Blutige Schenke verschwunden war? Dieser Pulli? „Er wird dir vielleicht besser stehen als mir“, vermutete sie abwesend und zuckte dann die Achseln. „Wenn er dir besser steht, kannst du ihn behalten“, sagte sie gönnerhaft. Rose konnte es kaum fassen. Dom kam ziemlich schnell wieder, und Rose roch den letzten Ansatz von Doms Parfüm an dem weichen Stoff. „Ich hatte ihn einmal an, aber nicht sonderlich lange. Er… stand mir nicht richtig“, schloss Dom. Das konnte sich Rose nicht vorstellen. Alles stand ihrer zierlichen, hübschen Cousine. Alles.

 

„Er ist bestimmt zu eng“, vermutete Rose kopfschüttelnd.

 

„Er muss eng sein. Nicht alles ist Quidditch-komfortabel, Rose“, entgegnete Dom und schnalzte mit der Zunge, wie Vic es sonst tat. „Zieh ihn an. Dann machen wir deine Augen und suchen den perfekten Lippenstift aus.“ Sie waren noch nicht fertig? Rose war überfordert. Ihr Gesicht zu übermalen hatte schon Stunden gedauert, so kam es ihr vor. „Es geht schnell“, versprach Dom, die ihre Sorge vielleicht erkennen konnte.

 

„Wisst ihr was, ich warte unten. Ihr braucht mich nicht, oder?“ Rumers Stimme klang kühl.

 

„Rumer!“, Rose eilig, die sich nicht schon wieder mit ihr streiten wollte, aber Rumers Ausdruck wurde weicher.

 

„Schon gut“, versprach sie Rose. „Ich… vermisse James sowieso“, ergänzte sie zwinkernd. Rose verdrehte erleichtert die Augen.

 

„Na los, zieh dich um“, befahl Dom grinsend. Rose zog sich nicht sonderlich gerne vor anderen aus, aber durch das Quidditchspielen war sie es schon gewöhnt. Sie schälte sich vorsichtig aus dem Shirt, um ihre Haare nicht zu ruinieren. „Warte!“, rief Dom dann und kramte wieder in ihre Schublade. „Ich habe einen super Pushup-BH“, rief sie und zog ihn aus den Tiefen ihrer Kommode hervor.


„Ist das nötig?“, entfuhr es Rose skeptisch, denn sie wollte nicht den pinken BH ihrer Cousine anziehen, aber diese machte eine eindeutige Handbewegung.

 

„Oh Rose, komm schon! Natürlich ist es nötig. Du wirst umwerfend aussehen. Und alles, was Presley bekommen wird, ist ein keuscher Gutenachtkuss. Er wird jede Nacht von dir träumen!“, prophezeite Dom verschwörerisch, und Rose wurde eine Spur rot. Aber… das Makeup verbarg diese Gefühlsregung erfolgreich, stellte sie mit einem Blick in den Spiegel fest. Dann wurde Dom ernster.

„Weißt du, ich finde es gut, dass du mit Presley ausgehst“, sagte sie dann. „Ich meine, ich freue mich für Rumer, aber… James ist unser Cousin. Es macht keinen Spaß über unsere Cousins zu reden“, schloss sie. Rose nickte, denn sie verstand. „Und… jetzt datest du einen Slytherin und… ich auch, und… es ist spannend, nicht?“ Und fast kam es Rose so vor, als begann Dom, sich mit Scorpius zu langweilen. Als bräuchte sie… ein wenig Ablenkung und neuen Nervenkitzel, und sei es nur dadurch, dass Rose nun mit einem Jungen ausging, mit dem sie nicht verwandt waren.

 

„Ich denke schon“, räumte Rose ratlos ein. Dom drehte sich um, damit Rose den BH anziehen konnte, und sie beeilte sich. Es war ihr mehr als unangenehm. Kaum hatte sie den Verschluss mit Mühe geschlossen, wandte sich Dom wieder um – und strahlte.

 

„Wahnsinn!“, behauptete sie. Rose zog eilig den Pulli über, denn Dom betrachtete zufrieden ihren Busen – und Rose hatte damit keine Erfahrung. „Perfekt!“, ergänzte Dom, als Rose den sehr engen Pullover zurechtgezogen hatte. Sie drehte sich ihrem Spiegelbild zu. Und es war nicht mehr Rose Weasley. Es war… irgendjemand anders, den Rose kaum wiedererkannte. Sie trug keine engen Sachen. Sie trug… bequeme Sachen. Aber das hier… sah nicht schlecht aus.

„Nur deine Hose müssen wir loswerden. Ich habe einen braunen Minirock. Und eine dunkle Strumpfhose!“, schien Dom einzufallen. „Das wird klasse aussehen.“

 

„Dom-“, wandte Rose ein, aber ihre Cousine war kaum aufzuhalten.

 

„-weißt du, eigentlich… mag ich den Pulli, aber…“ Sie reichte Rose den Rock und die Strumpfhose. Rose trug nie Röcke, wenn sie es nicht musste. Nie.

 

„Aber?“, griff sie die Worte ihrer Cousine auf, denn es war ihr wieder einmal unangenehm, sich zu entblößen. Wie konnte es Dom so egal sein?!

 

„Aber Scorpius hat gesagt, er gefalle ihm nicht sonderlich gut“, schloss sie achselzuckend. Roses Blick fiel wieder auf den traumhaften Pulli.

 

„Ja?“, entgegnete sie. „Dann hat er einen absoluten Dachschaden, denn der Pulli ist toll“, widersprach sie spöttisch.

 

„Du magst ihn nicht wirklich, oder?“, fragte Dom plötzlich, und Roses Blick gefror. „Scorpius“, ergänzte Dom, falls Rose es nicht wüsste.

 

„Ahem…“, begann Rose unschlüssig. „Keine Ahnung. Ich… kenne ihn nicht wirklich“, wiegelte sie eilig ab.

 

„Du solltest ihn kennenlernen. Er ist… sensibel und nett und ein wahnsinnig lieber Kerl“, schwärmte Dom jetzt. „Ihr würdet euch verstehen, garantiert. Ihr habt beide… so einen komischen Humor“, schloss sie achselzuckend. Rose hob die Augenbraue.

 

„Danke?“, entgegnete sie beleidigt, aber Dom lächelte ein schönes Lächeln.

 

„Ach, du weißt, was ich meine“, winkte ihre Cousine ab. „Ich finde, wenn es mit Presley was wird, könnten wir doch… alle zu viert ausgehen, oder?“ Rose stellte es sich wahnsinnig unangenehm vor. Und so leicht, wie sie tat, fiel ihr die Zweisamkeit mit Dom nicht.

 

„Ja“, sagte Rose, aber… sie meinte es nicht ernst. Sie würde wenn überhaupt mit Rumer und James was unternehmen. Wenn überhaupt! Noch war sie nicht mit Presley aus gewesen, und sie hatte unheimliche Angst vor diesem heutigen Abend.

 

„Na los, wir beenden das Meisterwerk“, sagte Dom, nachdem sich Rose endlich umgezogen hatte, und direkt das Bedürfnis verspürte, ihre bequeme Hose wieder anzuziehen. „Du wirst die schönste Weasley sein, heute.“

 

„Ha ha“, entfuhr es Rose lakonisch.

 

„Was?“ Dom wirkt ehrlich verblüfft. Rose atmete lange aus.

 

„Dom“, begann Rose eindeutig, aber Dom sah sie mit großen Augen an. Aber Rose hatte keine Lust, Dom ein offensichtliches Kompliment zu machen. Scheinbar legte es ihre Cousine darauf gar nicht an. Es war schwer, Dom anzulügen, wenn sie tatsächlich nett zu ihr war. „Danke. Für alles“, schloss Rose beschämt, aber Dom strahlte mit einem betörend schönen Lächeln.

 

„Unsinn. Ich mache es gerne. Wir sind doch Cousinen! Wir sind für einander da, richtig?“ Sie zwinkerte Rose zu, ehe sie ihr befahl, die Augen zu schließen. Rose sagte gar nichts dazu. Mist. Mist. Dreifacher Mist.

 

 

 

 

„Wir werden niemals hier wegkommen“, knurrte Al kopfschüttelnd. „Es ist viertel nach sieben!“, rief er Richtung des Schlafsaals. Er war gereizt, stellte Scorpius fest. Das war er seit Tagen nur noch. Und heute war es besonders schlimm. Scorpius hatte ihm schon vorschlagen wollen, heute vielleicht nichts zu trinken, aber Al hatte sich bereits mit einigen Ravenclaws kurzgeschlossen, die harten Alkohol in die Drei Besen schmuggeln würden. Ab und an taten sie das, denn… von Butterbier alleine wurde man nicht glücklich – sagte Al. Es war eine dumme Idee, aber Scorpius sah sich außerstande, Al von irgendetwas abzuhalten. Zumindest im Moment.

 

„Krieg dich ein“, entgegnete James lächelnd, während er schon wieder den Kopf senkte, um Rumer zu küssen. Scorpius war ein wenig überrascht, dass sich James noch nicht zu langweilen schien. Rumer flüsterte ihm etwas ins Ohr, und James musste lächeln. Kurz dachte Scorpius an das Gespräch mit Hugo und wie schlecht sie beide über James gesprochen hatten. Es tat Scorpius beinahe wirklich leid. Und vielleicht veränderte sich James? Mit Rumer auszugehen… war schon etwas Neues. Sie war nicht irgendein Mädchen. Rumer war seit Jahren mit dabei. Sie gehörte dazu, und sie loszuwerden, wäre nicht möglich, glaubte er. Hätte er mehr Zeit mit dem älteren Potter verbringen sollen? Es kam ihm so abwegig vor. Aber im Moment war es mehr als anstrengend mit Al. Scorpius erkannte ihn nicht mehr wieder. Und schon stieß Al ein herablassendes Geräusch neben ihm aus, als Louis die Treppe zum Schlafsaal runter kam. Louis fertig zu machen, war etwas, das Al seit Jahren tat, und Scorpius hatte nie begriffen, warum Al ihm so feindlich gesinnt war. Nie. Louis war anders, als Fred oder James, aber Scorpius hatte ihn immer als angenehm unauffällig empfunden. Und natürlich ließ sich Louis selten irgendetwas von Al bieten. 

 

„Ein Wunder, dass du keinen kompletten Anzug angezogen hast“, machte Al sich über Louis‘ Hemd lustig, aber dieser hob lediglich die Augenbraue.

 

„Fick dich, Al“, entgegnete er gleichmütig, und Louis ließ sich eigentlich nie von Al aus der Ruhe bringen. Scorpius hätte längst öfters und eindeutiger seine Meinung gesagt, würde Al ihn jedes Mal so nerven. Aber eigentlich wagte das nur James. Und Scorpius fiel wirklich erst in diesen letzten Wochen auf, wie schwierig Albus sein konnte. Wie eigensinnig und absolut nicht umgänglich er war. Dass Scorpius sein bester Freund war, hatte ihn wohl ein wenig geblendet. Er wusste, einige hatten Angst vor Al, viele mieden sogar den direkten Blickkontakt, aber Scorpius hatte Albus immer faszinierend gefunden. Immer schon! Und das war er auch, aber… gleichzeitig war er so unberechenbar und konnte wirklich bösartig sein. Er war… tatsächlich eine Zeitbombe. Und seit neuestem kam Scorpius in den unerwünschten Genuss, ebenfalls von Al ignoriert zu werden, nicht mehr teilzuhaben, an Als Problemen. Al schätzte ihn nicht mehr so wert, wie er es getan hatte. Und er wusste nicht, wie er das ändern sollte. Und er wusste nicht, wie es ihn nicht belasten sollte, dass Al ihn verstieß, dass er seine Meinung nicht mehr wertschätzte. Es war nervig und anstrengend.

 

Dann hörte er Dominiques Stimme. Er hob den Blick. Er merkte erst jetzt, dass er selber merklich angespannt war. Wesentlich angespannter als sonst. Und garantiert viel zu angespannt, für einen gemütlichen Samstagabend. Und fast war er sich sicher – gemütlich würde es auch nicht werden. Zwar sprachen sie nicht darüber, aber dass Presley Ford heute mit dabei wäre, aus dem simplen Grund, mit Rose auszugehen… - war nicht unerheblich. Und sei es nur, weil es um Quidditch ging. Sei es nur, weil er und James natürliche Konkurrenten waren. Sei es nur, weil den Weasleys allen klar war, dass diese neue Entwicklung einen Eulenhagel an Briefen auslösen konnte, sollten es die Eltern erfahren. Scorpius interessierte sich nicht sonderlich für die magische Innenpolitik des Landes, denn es war ein Mikrokosmos, im Vergleich zum nichtmagischen Rest der Welt, aber… er wusste, Emory Ford, Presleys Vater, war Vertreter der Konservativen Vereinigung, und Vorgesetzter seines eigenen Vaters. Und zumindest Mrs Weasley dürfte ihn nicht sonderlich gut leiden können, denn sie war kandidierende Ministerkandidatin der Liberalen. Der Tagesprophet berichtete nie über irgendwelche Eklats zwischen Liberalen und Konservativen, denn es war ein ereignislos ruhiger Wahlkampf, wie immer. Sowieso hatte die Ministerposition in den letzten Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle gehabt. Aber das war langweilige Magische Rechtsgeschichte – ein Fach, was er abgewählt hatte, als er die Möglichkeit gehabt hatte, denn die unzähligen pazifistischen Nachkriegsgesetze waren allesamt einschläfernd und setzten auf Passivität. Deshalb wunderte es ihn nicht, dass die Neuwahlen für das Ministeramt keine Aufmerksamkeit mehr erregten. Und wahrscheinlich war es deshalb auch absolut egal, wer mit wem ausging. Theoretisch zumindest. Und Rose Weasley dürfte es erst recht nicht interessieren, nahm er an.

 

„Rose, warte“, vernahm er Dominiques Stimme deutlicher, und eilig kam sie die Stufen runter. Es überraschte ihn nicht, dass seine Freundin wunderschön aussah. Heute trug sie Jeans, ein blaues Top, und die Haare saßen in einem hohen Pferdeschwanz, der glatt und glänzend über ihre Schulter fiel. Ihre Makeup war dunkler, ließ sie verruchter aussehen als sonst, aber dann sprach sie wieder, lenkte seine Gedanken ab. „Jetzt kannst du kommen!“, rief sie nach oben. Dann wandte sie sich um. „Ladies und Gentlemen, die neue, verbesserte Rose Weasley“, verkündete sie stolz, und Scorpius runzelte die Stirn. Es war ein wenig übertrieben, oder nicht? Al verschränkte fast zornig die Arme vor der Brust. Und er hörte die Schritte auf den Stufen. Sie musste höhere Schuhe als sonst tragen, nahm er dumpf an.

 

„Dom, du hast einen Schaden, echt“, vernahm er Roses Stimme, und das klang sehr eindeutig nach der normalen Rose Weasley. An ihrem Charakter schien Dominique nichts verbessert zu haben, vermutete er spöttisch.

 

„Komm schon, du brauchst einen guten Auftritt“, behauptete seine Freundin lachend. Und dann kam Rose den Rest der Wendeltreppe hinab, erschien in ihrem Sichtfeld, und es war Fred, der einen anerkennenden Pfiff ausstieß.

 

„Unfassbar, wer hätte gedacht, dass sich unter der Quidditchuniform echtes Potential verbirgt?“, stellte Fred grinsend fest und tauschte einen Blick mit James.

 

„Wir sollten dich nicht mehr Schatten nennen, sondern das Chamäleon von Gryffindor“, beschloss James zustimmend, und ein wütender, wenn auch gleichzeitig verlegener Ausdruck, huschte über Roses Gesicht. Und kurz verfing sich sein Blick tatsächlich an ihr. Aber sie trug einfach nur Dominiques Kleidung, stellte Scorpius fest. Und alles, was anders war – gefiel ihm nicht sonderlich. Ihre Locken waren verschwunden. Lang und glatt fielen ihre Haare über ihre Schultern, und auch das Fehlen ihrer Sommersprossen hatte einen eigenartigen Effekt. Sie sah nicht schlecht aus, aber… alles, was Scorpius plötzlich bemerkte, war, wie künstlich Dominique tatschlich aussah, jetzt wo Rose ihm so ähnlich künstlich vorkam. Und noch nie hatte es ihm tatsächlich nicht gefallen, aber… heute Abend fand er es fast erschreckend auffällig. Nein, Rose sah nicht besser aus als sonst.

 

Dann wiederum – ihm musste es nicht gefallen, ermahnte er sich. Vielleicht würde es Dominique nicht schaden, ab und an weniger Makeup zu tragen. Er würde sich aber hüten, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten.

Roses Blick traf ihn, fast ein wenig verunsichert, und automatisch wich er ihren Augen aus, die so provozierend dunkel geschminkt waren. Er war sich nicht sicher, warum, aber er konnte sie nicht direkt ansehen.

Wenn Presley diese Aufmachung gefiel, dann… dann… - Scorpius wusste nicht, wie dieser Gedanke enden sollte. Und er zwang sich, nicht mehr darüber nachzudenken.

 

„Und für diesen Quatsch haben wir fünfzehn Minuten länger warten müssen?“, brachte Al es auf den Punkt, den Scorpius nicht wagte, laut zu äußern. Und für eine Sekunde schien Dominiques Wut den Gemeinschaftraum komplett zu füllen. Es war ein sehr unangenehmer Moment.


„Deine Meinung interessiert absolut überhaupt niemanden!“, fuhr sie Albus ohne Freundlichkeit an. „Rose sieht umwerfend aus, und darum ging es an diesem Abend. Garantiert nicht darum, dass du dich noch schneller als sonst betrinken kannst! Für dich wurde der Aufwand nicht betrieben, aber es würde nicht schaden, wenn du einfach mal deinen Mund halten würdest – vor allem, wenn dich niemand nach deiner verdammten Meinung fragt!“

 

Wow. Das war… ziemlich eindeutig, und kurz sah Al so aus, als wolle er erwidern, als wolle er sich ernsthaft auf diesen Streit einlassen. Und Scorpius hielt kurz den Atem an. Dann aber… schloss sich Als Mund, sein Blick jedoch war eiskalt.

 

„Lasst und einfach gehen“, beschloss James kopfschüttelnd. Ihm schien es mäßig egal zu sein, was wer dachte, und Scorpius war fast dankbar. Und in gruseliger Geschwindigkeit zauberte Dominique ein Lächeln auf ihre Lippen, schloss den Abstand zu ihm und begrüßte ihn vollkommen ausgeglichen. Al wandte sich direkt ab und verließ mit Fred und James bereits den Gemeinschaftsraum.

 

Automatisch senkte sich Scorpius‘ Kopf, automatisch küsste er ihren Mund, atmete unbewusst ihren vertrauten Duft ein, und er wusste, sie gab sich Mühe mit Rose. Warum auch immer sie es tat.

 

Neben ihm hatte sich Rumer bei Rose untergehakt, und er glaubte, er hörte sie über Al lästern. Sein Blick hob sich wieder, und er erkannte, Rose lächelte nicht mehr. Ihre Laune schien… mäßig schlecht zu sein. Es würde ein anstrengender Abend werden. Und Al war mehr als nur überwiegend Schuld daran.

 

Scorpius beobachtete bloß, wie Presley sie unten empfing. Er trug ein weißes Hemd, hatte den obersten Knopf offen gelassen und dazu eine dunkle Jeans. Durchaus angemessen für ein Date, nahm er an. Ihr ganzer Trupp hielt an, und kurz sprach James mit ihm, begrüßte ihn, tauschte bedeutungslose Floskeln aus, die unter Kapitänen wohl nötig waren, ehe Presleys Aufmerksamkeit sich komplett verlagerte.

 

„Hi“, begrüßte er Rose, aber Scorpius konnte nichts weiter verstehen, denn vehement schob ihn Dominique weiter, mit einem Wolfslächeln im Gesicht, als wäre ihr kleiner Plan bereits aufgegangen. Als wäre etwas Makeup alles, was eine gute Beziehung benötigte. Aber tatsächlich wirkte Presley sehr angetan von Rose. Al überholte sie alle, trat fast mit Gewalt die Schlosstore auf, und Scorpius verspürte beinahe das Bedürfnis, nicht wegzugehen. Einfach hier zu bleiben.

Aber… vielleicht war es, wie Rose sagte. Sie hatten alle ihre Rolle zu spielen. Und Scorpius hatte schon jetzt keine Lust mehr.

Vic war heute nicht mit dabei. Und James apparierte mit Rumer. Auch Presley war längst mit Rose verschwunden. Fred bot Dominique an, sie ins Dorf mitzunehmen, und Scorpius gestattete es, natürlich wäre Dominique so oder so mit Fred appariert, und er verblieb mit Louis und Al, aber Al marschierte drei Meter vor ihnen ins Dorf hinab.

Louis war nicht sein liebster Weasley, das gab er zu. Aber er war um einiges besser zu ertragen, als Al in den letzten Tagen. Sie sprachen nicht, gingen schweigend nebeneinander, bis Louis seufzte.

 

„Apparieren müsste man können“, beschwerte er sich dumpf.

 

„Mhm“, erwiderte Scorpius bloß.

 

„Albus‘ Laune ist unerträglich“, fuhr Louis stiller fort.

 

„Wird sich legen“, behauptete Scorpius knapp. Er spürte Louis‘ Blick deutlich.

 

„Ja?“, erwiderte dieser ungläubig. „Wann?“ Scorpius antwortete nicht, zuckte lediglich die Achseln. „Hast du mal mit ihm geredet?“, wollte er dann wissen. Scorpius hob den Blick. „Du bist sein bester Freund, oder?“ Betroffen schwieg er, denn… was meinte Louis damit? „Ich meine, keine Ahnung“, druckste der Blonde neben ihm achselzuckend herum. „Normal ist das nicht.“

 

„Was konkret?“, wollte Scorpius fast tonlos wissen, aber Louis tauschte einen sehr eindeutigen Blick mit ihm.

 

„Ich werd’s dir nicht buchstabieren“, entgegnete Louis schließlich, und Scorpius wandte wieder den Blick nach vorne, betrachtete Als schemenhafte Gestalt, die mit zornigen Schritten voranmarschierte, und er seufzte schließlich.

 

„Darüber kann ich nicht mit ihm reden“, schloss Scorpius dann.

 

„Irgendjemand wird es tun müssen, denn… das wird ihn noch zerstören.“ So viel Weitsicht hatte er Louis kaum unterstellt. „Vielleicht muss Rose es machen. Sie weiß es auch, ist aber zu feige, irgendwas zu unternehmen.“ Und tatsächlich sah Scorpius es ähnlich.

 

„Aber wie deutlich soll sie noch werden? Sie geht mit Presley aus“, schloss Scorpius. Louis pfiff durch die Zähne.

 

„Presley ist ein Player. Alles, was sie damit beweist, ist schlechten Geschmack.“ Scorpius‘ Blick hob sich wieder.

 

„Vielleicht meint Presley es ernst“, sagte er lediglich. Aber Louis Blick war eindeutig.

 

„Keine Ahnung, warum er es ausgerechnet auf Rose abgesehen hat, aber… sie ist dumm genug auf seine Masche reinzufallen.“ Scorpius hatte ein schlechtes Gefühl bei diesem Gespräch.


„Willst du ihr das sagen?“, fragte er dann, aber Louis zuckte die Achseln.

 

„Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich renne auch nicht zu Rumer, um ihr den massiven Fehler aufzuzeigen, den sie begeht, wenn sie sich mit James Potter einlässt. Ich meine, sieh es einfach ein – unsere Treiberinnen sind genauso dumm wie alle anderen Mädchen“, schloss er unbekümmert. „Und Rose würde nicht auf mich hören. Guck dir Presley an“, schloss er gleichmütig. „Und wer bin ich schon? Ich bin nicht besser als James.“


„Sie ist deine Cousine“, entfuhr es Scorpius schlicht. Louis zuckte die Achseln.

 

„Vielleicht klappt es auch“, behauptete er dann achselzuckend. „Wie bei dir und Dom. Das hätte auch keiner geglaubt“, schloss Louis lediglich, und Scorpius fühlte sich schlecht. Es war nicht direkt ein Kompliment, aber Louis verschenkte auch keine Komplimente, soweit Scorpius wusste.

 

„Wir sind alle scheiße, wenn wir nichts unternehmen“, sagte Scorpius missmutig.

 

„Tja, alles Heldenkinder, aber doch keine Helden, nicht?“ Scorpius verstand Louis nicht wirklich. Dieser blickte lächelnd gen Boden und schien sich nicht großartig an den Entwicklungen zu stören. Das Schicksal der anderen schien ihm mäßig gleichgültig zu sein. Louis erinnerte ihn manchmal an Hugo. Ein wenig abwesend, obwohl Louis immer noch dazu gehörte. Scorpius wusste darauf nichts zu sagen, und war froh, dass sie endlich angekommen waren. Er wusste, ihm stand garantiert nicht zu, zu urteilen, wer mit wem zu verkehren hatte, aber seine Gedanken machte er sich so oder so.

 

Sie betraten die Drei Besen, und die wohlige Wärme umfing ihn sofort. Die anderen saßen bereits am großen Tisch, und zu seiner Überraschung erkannte er eine neue Gestalt. Hugo Weasley saß ein wenig verloren am Tisch, neben seiner Schwester. Und er erkannte die Ravenclawschüler, die bereits mit Al ins Gespräch vertieft waren. Fast war Scorpius wirklich überrascht, dass Hugo solche Anstrengungen auf sich nahm, allein für Rumer. Und tatsächlich fände Scorpius es verdammt amüsant, sollte Rumer James für Hugo verlassen. Es wäre ein richtiges Wunder.

Presley war aufgestanden und holte bereits Getränke.

Der Abend ging los, und Scorpius schälte sich aus seiner Jacke, um sich neben Dominique zu setzen, die ihn lächelnd empfing.

Zeit, seine Rolle zu spielen. Hoffentlich war Al klug genug, das ebenfalls zu tun.

 

 

Ten

 

Die anderen mussten denken, sie hatte eine Blasenschwäche, nahm sie dumpf an, als sie zum sechsten Mal den Weg zu den Toiletten auf sich nahm. Doms Schuhe waren nicht sonderlich hoch, aber Rose war Absätze und Makeup und Miniröcke nicht gewöhnt, genauso wenig wie Presley Fords Hand, die immer wieder den Weg auf ihr Knie fand. Sie war überfordert, hatte nicht mal ihr Butterbier geleert und war überrascht, dass Hugo tatsächlich aufgetaucht war.

Im Spiegel vergewisserte sie sich, dass ihr Makeup noch saß, ihre Haare ordentlich lagen, und sie brauchte noch immer eine Sekunde, um sich überhaupt zu erkennen. Albys Worte hatten sie böse getroffen.

Er fand, sie sah nicht gut aus, dabei fand Rose, hatte sie noch nie besser ausgesehen. Sie sah nicht mehr aus, wie sie selbst. Sie sah besser aus als je zuvor. Und ihr Busen wirkte doppelt so groß wie sonst!

Sie war aufgeregt und gleichzeitig hatte sie Angst. Schreckliche Angst.

Die Tür schwang auf und eine Schülerin aus Hufflepuff betrat die Toiletten. Rose schenkte ihr ein nichtssagendes Lächeln, senkte dann den Blick und zwang sich, den Raum wieder zu verlassen.

Sie trat nach draußen und stieß fast mit ihm zusammen.

Sofort fuhr er sich durch die hellen Haare. Er schien ihren Blick zu meiden. Und sie mochte nicht, dass es ihr auffiel. Sie mochte nicht, dass sie ihm überhaupt irgendeine Aufmerksamkeit schenkte.


„Hey“, begrüßte Scorpius sie schließlich. Es waren die erste Worte, die sie heute sprachen und sie klangen gezwungen.

 

„Hey“, erwiderte sie die Begrüßung leer. Sie zog den grünen Pulli tiefer, biss sich kurz auf die Lippe und bedeutete ihm, vorzugehen.

 

„Nach dir“, bediente er sich ausdruckslos irgendwelchen semi-höflichen Floskeln, auf die sie beim besten Willen verzichten konnte. Garantiert in Bezug auf ihn und garantiert heute Abend, wo sie sich sowieso nicht so selbstbewusst fühlte, wie sonst.

 

Auf diesen Schuhen wäre sie ohnehin viel zu langsam. Aber sie sagte, nicht, was sie dachte. Sie sagte, was sie immer sagen würde.

 

„Ich brauche keinen Vortritt.“ Es klang defensiver, als sie beabsichtigt hatte. Sie konnte es nicht verhindern. Sein Blick hob sich kurz, streifte ihren, und er wirkte genervt. Für einen Moment fragte sie sich, warum sie es einfach nicht schaffte, nett zu sein. Oder wenigstens netter. Aber ihm gegenüber fiel es ihr besonders schwer. Sie wollte einfach nicht.

 

„Ok?“, entgegnete er gereizt. „Dann nicht“, schloss er kurz angebunden, zuckte die Schultern und ging voran. Was hatte sie ernsthaft gedacht? Dass er zu ihr käme, um ihr sagen, dass sie gut aussah? Dass er es gut fand, dass sie mit Presley ausging? Nein! Natürlich nicht. Ihr Atem ging unkontrolliert. Sie war viel zu aufgeregt. Das Hufflepuffmädchen verließ die Toilette schon wieder, schob sich an Rose vorbei, aber nicht, ohne ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen. Wieder beschränkte sich Rose auf ein Lächeln, bevor sie Kehrt machte und wieder auf den Toiletten verschwand. Sie wusste nicht mal, worüber sie mit Presley reden sollte. Sie hatten keine echten Gemeinsamkeiten. Und jedes Mal, wenn er ihr Knie berührte, wollte sie aufspringen und weglaufen. Sie hatte geglaubt, sie wäre bereit für so etwas, aber… sie fühlte sich so unwohl. Al hatte sie beleidigt, Scorpius sah sie nicht mal an – nicht, dass sie angesehen werden wollte, aber… sie fühlte sich nicht erhaben oder überlegen, wie Dom ihr versichert hatte.

 

Sie fühlte sich einfach nur-

 

„-oh, hey.“ Ihr Blick hob sich. Lily hatte sich ins Innere der Toiletten geschoben. Roses Mund öffnete sich verblüfft.

 

„Hey“, erwiderte sie, denn sie hatte gar nicht mehr an Lily gedacht! Sie musste mit ihren Bekannten schon eher losgegangen sein, nahm sie plötzlich an. Wie unhöflich von ihr, Lily vergessen zu haben. Schon war Lily in einer der Kabinen verschwunden und fragte sie nicht, was sie zum sechsten Mal hier unten tat. Jetzt erst fiel Rose auf, dass Lily nicht mal an ihrem Tisch saß. Merlin, war sie heute selbstbezogen!

 

Dumpf vernahm sie die lauten Gespräche, die verhaltene Musik. Und für eine Sekunde glaubte sie, absolut hässlich zu sein. Ihr Blick fiel. Plötzlich wollte sie weg. Sie war überfordert, fühlte sich schrecklich – und sie wollte einfach nur noch weg. Vielleicht versteckte sie sich deshalb hier unten. Sie konnte kaum noch atmen, wenn sie daran dachte, die Treppe zum Schankraum wieder hochgehen zu müssen, zurück zu ihrem Tisch zu staksen, wo ihr kleiner Bruder sich bestens mit Sutter Huxley verstand, was an sich schon äußerst fragwürdig war, und wo Presley Ford darauf wartete, dass sie seine Avancen zuließ. Plötzlich wünschte sie sich, Verwandlung besser zu beherrschen, Desillusionierungszauber zu kennen, zu verschmelzen mit ihrer Umgebung, und einfach abzuhauen. Unsichtbar sein, wäre wunderbar. Jetzt gerade. Oder einfach apparieren zu können!

 

Lily betätigte die Spülung, kam wieder raus und wusch ihre Hände neben ihr. Rose betrachtete ihr fremdes Spiegelbild und Lily trocknete ihre Hände. Die junge Potter beachtete sich selber nicht, fiel Rose auf. Sie schien kein Interesse an ihrem eigenen Spiegelbild zu haben und wandte sich schließlich ab. „Alles ok?“, entfuhr es Rose tatsächlich, und Lily antwortete, ohne innezuhalten, als sie die Tür öffnete.

 

„Alles bestens“, erwiderte sie gleichmütig, und schon schwang die Schwingtür wieder zu, als Lily verschwunden war. Rose runzelte die Stirn. Es klang… nicht so, als wäre alles bestens. Aber Rose glaubte, sie würde sich darum heute nicht sorgen können. Sie würde nicht für immer hier unten bleiben können. Nachher dachte noch jemand, sie vertrüge keinen Alkohol oder wäre feige. Sie wusste nicht, was schlimmer war. Sie atmete aus und dachte kurz noch an Lilys einsilbige Antworten und wie sie ihren Blick gemieden hatte, aber schon vergaß sie ihre Cousine, als sie auf dem Flur stand. Erneute Sorge überkam sie mit einem Mal. Er hatte sie gefunden…!

 

„Hier bist du“, begrüßte Presley sie mit einem Grinsen. „Ich habe dich schon vermisst“, bemerkte er und schlenderte die Stufen runter. Rose spürte, wie ihre Arme taub wurden, vor Angst. Sie erkannte seine Muskeln deutlich, roch seinen Duft schon aus dieser Entfernung, und sie fragte sich verzweifelt, was ein erfahrener Kapitän aus Slytherin mit ihr wollte? Konnte er nicht jede andere haben? Sie musste sich zwingen, zu sprechen.

 

„Oh, ich… tut mir… leid“, würgte sie hervor.

 

„Dein Bruder hat ordentlich Spaß. Er trinkt mit Sutter“, schloss Presley vielsagend, und Roses Augen wurden groß. Das lenkte sie von ihrer Angst ab. Wie konnte Sutter wagen, ihrem kleinen Bruder Alkohol einzuflößen? Und seit wann machte Hugo so etwas? Hatte er sein Gehirn im Gemeinschaftsraum gelassen?!

 

„Was?“, entfuhr es ihr ungläubig, und Presley grinste.

 

„Oh ja! Ich meine, dass Al Spaß an Sutters geheimen Alkoholvorräten hat, ist uns allen bekannt, aber dein Bruder… hat verborgene Qualitäten“, schloss er lächelnd. Es war keine Qualität. Es war ein verdammter Fehler. Aber sie sah sich gerade außer Stande, Sutter die Meinung zu sagen. Sie wusste nicht mal, wie sie an Presley vorbei sollte.


„Scheint so“, murmelte sie stattdessen. Plötzlich merkte sie, wie Presley den Abstand zu ihr schloss. Sofort beschleunigte sich ihr Atem um das Dreifache.

 

„Geht’s dir gut?“, fragte er sie, sanfte Sorge im Blick. Sie musste den Kopf heben, um in seine Augen zu sehen. Sie waren blau, wie ihre eigenen. Scorpius‘ Augen waren heller. Der Gedanke kam ihr sehr plötzlich und war so unpassend und dämlich. Presley griff zaghaft nach ihren kühlen Händen. „Ist dir kalt?“, wollte er sanft wissen, und Rose schluckte schwer. Ihr Herz raste mittlerweile. Er würde sie küssen! Er würde sie küssen! Und sie wollte nicht. Sie wollte es wirklich nicht! Sie hatte nicht das Gefühl, was sie am Strand gehabt hatte. Nichts war vertraut, nichts war gut. Sie wollte nicht!

 

„N-nein. Alles… gut“, erwiderte sie nervös.

 

„Ok“, sagte er, und sein Gesicht näherte sich unweigerlich. „Du… siehst umwerfend aus, heute“, flüsterte er, denn er war nahe genug, dass sie jedes Wort genau verstehen konnte.


„D-danke“, wisperte sie ebenfalls, obwohl sie rennen wollte. Obwohl sie schreien wollte. Sie wollte nicht! Es ging viel zu schnell, sie war nicht vorbereitet. Überhaupt nicht! Dom und Rumer waren nutzlos, hatten ihr nicht geholfen, hatten sie nicht vorbereitet, und es war nicht wie mit Scorpius! Sie fühlte gar nichts! Und seine Augen schienen zu fragen. Sein Blick war eindeutig, fiel immer wieder auf ihren Mund, und sie wusste, würde sie ihn nicht von sich schieben, gab sie ihm die Erlaubnis. Und sie fand es furchtbar. Das waren die Toiletten der Drei Besen. Hier auf dem Flur würde es niemals so magisch sein, wie zwischen den Felsen am Strand. Sie war so verzweifelt. Wie entkam sie bloß dieser Situation? Sie würde niemals-

 

„-ihr steht verdammt noch mal im Weg“, unterbrach Albys raue Stimme die schrecklich unangenehme Situation, und sie fuhren auseinander. Roses Herz schlug wild in ihrer Brust. Direkte Röte trat in ihre Wangen. Presley lachte laut auf.

 

„Ach, komm schon, Potter. Sei nicht so unromantisch“, entgegnete Presley. Alby war betrunken. Rose sah es sofort. Und nicht auf die Art und Weise, wie sie es war. Er war nicht leicht benebelt und musste aufpassen, nicht umzuknicken, nein. Alby war… sternhagelvoll. Sein Blick ging nicht mehr völlig gerade, und blanke Ablehnung stand auf seinen angespannten Zügen. Er machte ihr Angst. Und er sah sie… so abschätzend an. Völlige Herablassung war deutlich in seinen Augen zu lesen.

 

„Lass mich in Ruhe mit der Scheiße, und verpisst euch einfach!“, fuhr er Presley ungerührt an, und mit einem Mal war jede Freundlichkeit aus Presleys Worten verschwunden.

 

„Hey! Vielleicht hast du genug getrunken, was meinst du?“, fragte er Alby direkt, aber es war nicht wirklich eine Frage.

 

„Geht dich einen verdammten Scheißdreck an“, knurrte Alby und tatsächlich schubste er Presley ziemlich grob beiseite und sah sie gar nicht mehr an. Er wollte auf die Herrentoilette, aber Presley hielt ihn entrüstet auf. Rose wünschte, er würde es nicht tun. Sie wünschte, er würde ihn gehen lassen, bevor…- bevor was? Bevor Alby etwas Unpassendes sagen würde, was er morgen bereute? So ungefähr.

 

„Wieso redest du so mit mir? Was habe ich dir getan, verdammt?“ Geduld gab es in angetrunkenen Köpfen nicht wirklich. Und Alby schien kein Gespräch zu suchen. Er suchte den Streit. Es lag auf der Hand. Und vielleicht war er nur deshalb hier runter gekommen.

 

„Leg dich nicht mit mir an, ja?“, warnte Alby ihn schroff, und Presleys Augen wurden groß.

 

„Ich lege mich nicht an! Du benimmst dich wie ein dummes Arschloch!“, entgegnete er grimmig.

 

„Oh, ich bin das Arschloch, ja?“ Absolut gewaltbereit standen die Jungen voreinander. Und Presleys Größe und Gewicht überstiegen Albys um einiges.

 

„Hört auf“, hörte Rose sich sagen, aber ihre Stimme klang schwach. Es überforderte sie so sehr. Sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte.

 

„Halt dich da raus!“, würgte Alby sie ab, ohne sie anzusehen. Und dann überschritt er die Grenze und hart schubste er Presley, stieß ihm die Hände vor die Brust, und Presley taumelte zurück.

 

„Das machst du nicht noch mal!“, warnte Presley ihn jetzt, die Fäuste geballt. Alles geriet außer Kontrolle. Rose konnte kaum noch atmen.

 

„Alby!“, fuhr Rose ihn zitternd an, aber Albys Blick war weit entfernt.

 

„Na los, Ford! Ich warte!“, provozierte er ihn, aber bevor Presley zuschlagen konnte, trat Rose panisch dazwischen.


„Nicht!“, entfuhr es ihr atemlos. „Presley, nicht“, wiederholte sie verzweifelt, und spürte die Wärme beider Jungen.

 

„Geh weg, Rose!“, knurrte Alby hinter ihr, aber sie wandte sich zu ihm um.

 

„Bist du wahnsinnig geworden?“, flüsterte sie praktisch und mit weiten Augen starrte sie in sein Gesicht.

 

„Ich lasse mich nicht scheiße behandeln“, sagte Alby kalt.

 

„Ich behandel dich scheiße? Du hast sie nicht mehr alle!“, rief Presley wütend. „Du legst es immer auf die Auseinandersetzungen an! Ich halte ständig Leute davon ab, dich zu verprügeln, Potter!“, informierte Presley ihn zornig, aber Alby lachte kalt auf.

 

„Kann ich drauf verzichten, Presley! Du kannst dir deine scheiß Hilfe sparen!“

 

„Oh, glaub mir, das werde ich!“, knurrte Presley zornig, und Rose musste Alby nun mit beiden Händen zurückhalten.


„Albus, hör auf!“, flehte sie, aber Albys Blick war mittlerweile verzerrt vor Wut.

 

„Fass mich nicht an, du dummes Miststück!“, fuhr er sie zornig an und schlug ihre Hände beiseite. Rose war mehr von der Wucht der Worte betroffen, als von seiner physischen Reaktion, aber sie wich zurück. Hatte er das wirklich zu ihr gesagt? Ihr Herz tat schwere Schläge in ihrer Brust.

 

Und ihn nahm sie nur am Rande ihrer Wahrnehmung wahr, aber er war da! Zügig kam er die Stufen zu ihnen hinunter. Sie wusste nicht mal, warum die unbewusste Erleichterung sie erfasste, aber ihre Hände zitterten mit einem Mal weniger.

 

„Das reicht!“, hörte sie seine aufgebrachte Stimme. „Verdammt, es reicht, Al!“ Scorpius war unten angekommen, und er konnte nicht entnervter aussehen.

Aber auch Presley schien fast dankbar zu sein, dass Scorpius da war.

 

„Bring ihn raus hier, bevor ich ihn aus dem Team werfe!“, knurrte Presley haltlos, und Rose war sich nicht sicher, ob Presley diese Drohung ernstmeinte. Ehrlich gesagt, war es ihr gerade auch egal. Alby hatte sie beleidigt. Schon wieder heute. Und es tat einfach weh. Es tat schrecklich weh! Weil er ihr bester Freund war. Und heute setzte er alles daran, es nicht mehr zu sein.

 

„Jetzt habe ich aber Angst! Arschloch“, ergänzte Alby bitter, und Rose konnte ihn nur ungläubig anstarren. Was… was passierte hier? Es kam ihr alles so unwirklich vor.

 

„Bist du ok?“ Scorpius fragte sie, und sein besorgter Blick überflog ihr Gesicht, traf ihre Augen, und erst jetzt sah er sie tatsächlich an. Und sie wusste nicht, warum, aber erst jetzt kamen die Tränen tatsächlich an die Oberfläche. Hastig wischte sie sich über die Wangen, wollte nicht, dass ihr Makeup verschmierte, und wollte auch nicht, dass die Jungen sahen, dass es sie mitnahm. Dass sie… schwächer war, als sonst. Aber für Scorpius schien es eindeutig zu sein, dass die Grenze überschritten war.

 

„Albus-!“, begann er warnend, aber Alby winkte in betrunkener Manie einfach ab.


„-ihr geht es bestens!“, unterbrach Alby ihn, aber er sah sie an, als kenne er sie nicht mehr, als… würde er sie mehr als nur verabscheuen. „Rosie ist doch heute auf ihrem allerersten Date“, ergänzte er mit ätzender Tonlage und machte sich tatsächlich lustig über sie. Kurz stockte ihr der Atem über so viel Boshaftigkeit.


„Was ist dein Problem?“, fuhr sie ihn heiser an und vergaß, dass sie weinte. Sie vergaß, sich zu schämen, denn noch niemals hatte sich Alby ihr gegenüber so verhalten! Sie erkannte ihn nicht. Sie erkannte ihren besten Freund nicht mehr! Er verhielt sich wie das letzte Arschloch.

 

„Habe keins!“, behauptete er, und seine Oberlippe kräuselte sich. „Na los“, forderte er sie auf. „Wirf dich in seine Arme! Obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass der große Presley Lust auf eine dumme Jungfrau hat“, spuckte er ihr entgegen, und Rose wusste nicht, ob sie ihre Verletzung und den Scham so gekonnt verbergen konnte, wie sie wollte. Aber Merlin sei Dank, erwachten ihre Instinkte und ihr grenzenloser Stolz war noch nicht völlig verpufft.

 

„So redest du nicht mit mir, Albus Potter!“, fuhr sie ihn jetzt an, und er bewegte sich auf verdammt dünnem Eis.

 

„Ich rede mit dir, wie es mir passt, Rosie“, benutzte er ihren Spitznamen widerlich abwertend, und sie wollte ihn schlagen! Wirklich! „Denkst du, du siehst heute gut aus? Denkst du das? Denkst du, du kannst irgendwen täuschen, mit deinem schlampigen Outfit? Wahrscheinlich möchtest du, dass sie dich anfassen? Presley und Scorpius zusammen? Vielleicht sogar direkt hier auf den Toiletten? Träumst du davon, Rose?“, wollte er wissen, und es waren giftige Worte, so furchtbar böse Worte, und Hitze brannte in ihren Wangen. Sie sah nur am Rande, dass Scorpius Presley aufhielt, und Rose konnte sich nicht halten. Sie konnte nicht mehr.

 

„Oh, ich möchte lieber, dass sie mich anfassen, als auch nur noch einen ekelhaften Blick aus deinen Augen ertragen zu müssen! Du bist krank, Albus!“, entkam es ihr zitternd, und wilder Zorn flackerte in Albys grünen Augen. Sie war zu weit gegangen! Sie waren beide zu weit gegangen, aber jede Vernunft verließ ihren Cousin. Jede Freundlichkeit war längst zwischen Alkohol und Zorn verloren gegangen. Und fast war es, als hätte sie die unsichtbare Grenze überschritten, den unausgesprochenen Pakt gebrochen, wo sie seine Gefühle ignorierte, seine Blicke und Gesten. Und fast wirkte er… ertappt. Aber nur sehr kurz. Und dann erkannte sie die Abwehr. Und die Wut.

 

„Mach dich nicht lächerlich“, wisperte er beinahe durch zusammengebissene Zähne. Kurz zögerte er. Sehr kurz! Einen Wimpernschlag, bevor alles Schlechte in ihm die Oberhand gewann. „Als ob ich die Tochter eines Schlammbluts anrühren würde!“

 

Es war… als träfe sie eisige Kälte. Es war… als könne sie plötzlich nicht mehr atmen. Albus‘ Blick war eiskalt. Die grünen Augen glasig, und Roses Lippen teilten sich. Es war, als wäre ihr Herz erfroren, in nur einer Sekunde.

Tränen rangen sich aus ihren Augen, und gleichzeitig erfasste sie eine so bodenlose Wut, eine Verzweiflung, ein uralter Zorn, von dem sie nicht wusste, dass er in ihr schlummerte.

 

Und bevor die Jungen reagieren konnten – bevor Presley oder Scorpius auch nur ein Wort hätten sagen können, hatte Rose ausgeholt. Und alles Böse, alles Dunkle lag in diesem Schlag. Ihre Faust war hart wie Stein, so kam es ihr vor, und alle Gedanken hatten gleichzeitig ausgesetzt. Und alles, was sie vor sich sah, war ihre Mum. Alles, was sie über dieses Wort wusste, hatte mit ihrer Mum zu tun. Mit den Dingen, die sie ihr erzählt hatte. Und sie wusste nur, wie bösartig und ekelhaft und verabscheuungswürdig dieses Wort war! Es beleidigte nicht sie, es beleidigte ihre Mum! Und das war etwas, was Rose niemals durchgehen lassen würde! Niemals!

 

Sie schlug zu und hatte das Gefühl, ihre Faust wäre zersplittert. Albys Kopf flog zurück und Blut spritzte praktisch direkt aus seiner Nase, lief ungehindert über sein Gesicht, und er taumelte gegen die Wand, sackte fluchend zusammen und sie machte einen Schritt auf ihn zu. Ihr gesamter Körper zitterte. Sie hatte keine Angst mehr. Sie spürte gar nichts mehr. Alles war nur noch rote Wut und ihr Mitleid war ausgeblendet.

 

„Du bist ein Arschloch, Albus Potter“, flüsterte sie zitternd. „Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Nichts mehr! Solange ich lebe, hast du das verstanden?“, spuckte sie ihm entgegen und wartete zornig, bis sich sein glasiger Blick hob. Er weinte Tränen des Schmerzes, und sie gönnte es ihm! Ihre Faust war taub und pochte, pulsierte regelrecht, vor Schmerz. Und sie glaubte, den Horror in seinem Blick zu erkennen, aber sie war zu weit entfernt, auch nur den Ansatz von Mitleid mit ihm zu haben. Ihr Mund verzog sich voller Abscheu. „Meine Mum könnte einen möchtegern-Todesser wie dich in tausend Stücke fluchen!“, zischte sie, ehe sie sich zitternd abwandte.

 

Und es war Presley, der ihr hastig folgte.

 

„Rose“, entkam es ihm flach, aber sie schritt weiter voran, die Stufen hoch, und sie wollte hier weg. Sie musste raus hier! Die Blicke wandten sich, als sie oben angekommen war. Einige Leute beobachteten sie, aber sie sah gar nichts. Rumer war die erste, die zu ihr kam.

 

„Ihre Hand!“, fuhr Rumer Presley an, und Presley sagte etwas, aber Rose hörte nichts mehr. Gar nichts mehr. Sie schritt zu den Türen, griff sich ihre Jacke von der Garderobe, und kalte Nachtluft schlug ihr entgegen, als sie die Türen aufzog. Fast wollte sie aufschreien vor Schmerz, denn ihre Hand schickte ein unfassbar betäubend widerliches Gefühl durch ihren Körper, als sie sie benutzte. Etwas war gar nicht in Ordnung damit!

 

„Rose!“ Presley folgte ihr nach draußen. „Warte!“, rief er, und versperrte ihr den Weg.

 

„Lass mich gehen“, sagte sie dumpf und wollte nur noch weg. Einfach weg.

 

„Nein“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und seine Augen waren weit und er wirkte vollkommen überfordert. „Es… es tut mir leid. Albus ist… so ein Arschloch. Ich…- aber wir… müssen dich zum Krankenflügel bringen!“, sagte er sachlich. „Du kannst nicht einfach-“

 

„-ich brauche deine Hilfe nicht.“ Zwar hatte sie keine genaue Ahnung, was sie tun sollte, aber sie würde schon zurechtkommen. Presley wirkte mäßig verzweifelt, und wieder stob die Tür auf.

 

„Was… was ist passiert?“ James kam die letzten Meter gelaufen. Sofort fiel sein Blick auf ihre steife Hand, und seine Augen wurden groß. „Merlin, du blutest!“, entfuhr es ihm. Rose entzog ihm ihren Arm, als er ihn untersuchen wollte.

 

„Nein, das… das ist Albus‘ Blut“, korrigierte Presley ihn kopfschüttelnd, und Rose musste wieder an Albys Worte denken. Wie konnte er! Wie konnte er wagen, so etwas zu sagen?! Wie?!

 

„Albus?“, entkam es James ungläubig, und Presley erzählte etwas wirr, dass es ein Problem unten gegeben hatte, dass es… zu einer Auseinandersetzung gekommen war, aber… er erzählte nicht alles. Bei Merlin nicht alles!

 

„Ich bringe sie hoch. Ich habe nicht getrunken!“, behauptete James, und er klang einigermaßen nüchtern.


„Kannst du apparieren?“ Presley wirkte nicht überzeugt.

 

„Ja, kann ich“, versprach James sofort. „Rose, ich bringe dich. Keine Sorge, ok? Es ist noch nicht mal halb elf. Madame Pomfrey ist vielleicht noch wach.“ Rose wollte protestieren, aber Presley nickte.


„Ok. Danke“, sagte er rau. James hakte ihren gesunden Arm unter, und Rose wollte protestieren, aber James bedeutete ihr, ruhig zu bleiben, und schon spürte sie das Reißen hinter ihrem Nabel. Sie sausten durch die Schwärze, und keine Sekunde später landeten sie vor den Grenzmauern Hogwarts. James hielt weiterhin ihren Arm, schien sie zu stützten, obwohl sie sich erfolglos wehrte, und sie hasteten durch die Nacht, über das Gelände, zum erleuchteten Schloss empor.

 

Es war eine halbe Stunde nach Sperrschicht, aber McGonagall nahm es mit der Nachtruhe am Wochenende nie so genau. Roses Gedanken drifteten immer wieder ab, und im Schloss angekommen, apparierte James mit ihr in den vierten Stock. Es brannten bereits die Nachtlichter. Im Türrahmen ließ James sie stehen.

 

„Madame Pomfrey!“, rief er laut und lief voran. Rose merkte erst jetzt, dass sie zitterte, dass ihr schrecklich kalt war. Und dann wurde das Deckenlicht entfacht.

Sie blinzelte erschrocken, und dann kamen beide zurück. James und die uralte Krankenschwester. Ihre Schritte waren langsam, und sie schien bereits geschlafen zu haben, denn ihr Morgenmantel hing halboffen über ihrem Nachthemd. Die grauen Haare schälten sich in zauseligen Locken aus ihrem Dutt. Aber kaum war sie keinen Meter mehr entfernt, trat Wachsamkeit in ihre alten Augen.

 

„Ach du großer Merlin“, entfuhr es ihr. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen, und die alten Hände griffen nach ihrem Arm.

 

„Es gab… eine Auseinandersetzung“, erklärte James vage.

 

„Sie haben sich geprügelt?“, vermutete Mamdame Pomfrey, aber Rose sagte nichts, zuckte nur vor Schmerz zusammen, als sie Roses Handgelenk bewegte. „Zeige- und Mittelfinger sind gebrochen“, stellte die Krankenschwester geschäftig fest und bugsierte Rose zu einem der Betten. „Mr. Potter, Sie müssen nicht-“

„-ich bleibe“, widersprach James im selben Atemzug, und Madame Pomfrey atmete aus. James‘ Blick war eindeutig.

 

„Meinetwegen“, entgegnete die Krankenschwester, und Rose glaubte nicht, dass sie jemals alleine mit James gewesen war. Irgendwo. Aber sie fokussierte wieder, als Madame Pomfrey den Zauberstab zog. Sie reinigte ihre Hand, und das fremde But verschwand. Albys Blut. Wieder dachte sie an seine Worte. Seine absurden, widerlichen Worte. Fast brachte es die übelkeiterregenden Tränen zurück.

Und jetzt erkannte sie, dass ihre Finger blau und geschwollen waren. Ihr Zeigefinger stand in einem seltsamen Winkel ab. Er war schon einmal gebrochen gewesen, erinnerte sie sich dumpf. Letztes Jahr hatte sie Scorpius‘ Klatscher schlecht abgewehrt und war auch hier gelandet. „Das wird wehtun, aber das kennen Sie ja schon.“ Madame Pomfrey schien sich ebenfalls zu erinnern. Und sehr erfahren arbeiteten die alten Hände der Krankenschwester. Fest hielt sie ihre Hand in ihrer, bewegte den Zauberstab stumm, und mit einem knirschenden Geräusch fanden ihre Knochen wieder zusammen.

 

Rose unterdrückte den Schrei, und die Tränen schossen in ihre Augen. Sie schloss sie krampfhaft und spürte den Linderungszauber direkt durch ihre Glieder fließen. Heiß strömten die Tränen über ihre kühlen Wangen, und fast tat es gut, zu weinen. Aus so vielen Gründen. Der Schmerz ebbte ab und verblieb als dumpfes Pochen in ihrem Arm. „Sie bleiben die Nacht hier. Ich bringe Ihnen ein frisches Nachthemd“, sagte die Krankenschwester, tätschelte kurz ihre Schulter, und Rose atmete mit offenem Mund und hielt die Augen geschlossen.


„Was hat er gemacht?“, wollte James merklich abgeklärt wissen. Rose wusste, James war schon hier gewesen, wegen zertrümmerten Kniescheiben, gebrochenen Schultern, mehrfachen Gehirnerschütterungen und sogar einem Rückenbruch. Onkel Harry war öfter hier aufgetaucht, als der Schulrat. Und sie nahm an, James schockierten oberflächliche Verletzungen nicht mehr sonderlich. Sie öffnete blinzelnd die Augen. Sie fühlte sich elend und schlapp.

 

„Nichts“, murmelte sie rau, wollte nicht darüber reden, aber James‘ Blick war stechend. So kompromisslos wie Onkel Harrys Blick es manchmal war.

 

„Nichts, hm?“, wollte er dann ernst wissen. „Und du schlägst ihn so hart, dass deine Finger brechen für gar nichts, ja?“ Er klang nicht so, als würde er es gut sein lassen. Er klang nicht danach, als würde er gleich gehen. Sie hatte nie eine gute Verbindung zu James gehabt. Verstand sich mit ihm, wie sie sich mit Fred verstand. Nichts Besonderes. Es war nie etwas Besonderes gewesen. Nur mit Alby hatte sie eine echte Verbindung. Zumindest war es bisher so gewesen. Vielleicht war es auch nie so gewesen! Sie wusste es nicht mehr, und nur noch mehr Tränen fielen auf ihre Wange. Es störte sie kaum noch.

 

„Ich bin müde“, wisperte sie, mit geschlossenen Augen, aber James schien sich nicht zu rühren.

 

„Rose, was hat er gemacht? Hat… hat er dich angerührt?“ James fragte das tatsächlich. Ihre Augen öffneten sich wieder. Sie blinzelte. Einmal, zweimal.

 

„Mich…?“, wiederholte sie, konnte aber nicht weitersprechen. James nickte schroff.

 

„Das ist jetzt vorbei! Es endet heute. Ich… habe zu lange zugesehen. Und es reicht. Ein für allemal! Hat er irgendwas getan? Hat er dich-“

 

„-nein!“, unterbrach sie ihn, und spürte die Hitze in den Wangen. „Hat er nicht“, flüsterte sie praktisch. Aber James‘ Ausdruck blieb eisern und ernst.

 

„Rose, was hat er getan?“ Und James schien zu wissen, dass etwas Schlimmes vorgefallen war. Er schien es zu ahnen, schien es zu spüren, und Rose atmete schließlich aus.

 

„Er… hat etwas gesagt“, schloss sie stiller.

 

„Ja?“, vergewisserte sich James, und er tat es nicht ab. Sein Gesicht hatte keinen spöttischen Ausdruck, wie sonst. Und er schien sich sehr bewusst zu sein, wie sein Bruder sein konnte. Er schien viele Dinge zu wissen, sie längst erkannt zu haben. Und es ängstigte Rose ungemein, denn sie unterstellte James selten irgendeine Form der Intelligenz, irgendeine Verbundenheit.

 

„Ja“, wiederholte sie dumpf. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

 

„Hat er dich beleidigt?“, wollte er wissen, und Rose hob den Blick. Erschöpft, müde. Völlig fertig.

 

„Er hat meine Mum beleidigt“, flüsterte sie, und spürte die Tränen nur erneut in sich aufsteigen. „Er… hat…“ James wartete, aber sie brach den Blickkontakt.

 

„Rose, ich verstehe nicht, was-“

 

„-er sagte, er würde die Tochter eines Schlammbluts nicht anrühren“, wiederholte sie tonlos die widerlichen Worte. Und James schwieg. Rose starrte auf ihre geheilte Hand, die sich nicht sonderlich geheilt anfühlte. Sie war geschwollen, immer noch etwas dunkel verfärbt, und dann seufzte sie. „Deshalb musste ich ihn schlagen.“

 

„Wie kann er so etwas sagen? Wie kann er so etwas auch nur denken?“, entfuhr es James gepresst. „Selbst aus Eifersucht!“, fuhr er wütend fort.

 

„James-“, begann sie, aber er schüttelte den Kopf.

 

„-ich werde es Dad sagen.“ Und Rose spürte Panik in sich aufsteigen. Jede Wut war berechtigt, aber es gab Dinge, die verließen ihren Kreis besser nicht!

 

„Nein, bitte!“, bat sie ihn, aber er schüttelte wieder den Kopf.


„Ich muss. Es geht so nicht. Alle wissen es, Rose. Alle!“ Sie fühlte sich so elend.

 

„Onkel Harry wird es meinem Dad sagen“, flüsterte sie, und es würde ein Donnerwetter geben – mehr als das!

 

„Das hoffe ich doch! Rose, das geht zu weit. Das muss geklärt werden. Albus ist in dich verliebt, und es ist krank“, schloss er. „Und dass er dich nicht anrührt, sondern dich und Tante Hermine beleidigt, ist genauso schlimm!“ Rose spürte die Tränen in sich aufsteigen.

 

„James, bitte-“

 

„-ich muss das tun. Das ist das richtige, Rose.“ James wirkte so ernst. So traurig und ernst. Er wirkte plötzlich so viel älter als sie. Und Tränen fielen wieder auf ihre Wangen. Und dieses Mal rückte er näher, und nichts Unbeholfenes sprach aus seinen Gesten. Absolut gar nichts. Er zog sie in eine feste Umarmung und war vorsichtig, nicht ihre geheilte Hand zu berühren. Zuerst wollte sie sich wehren, wollte weg von ihm, aber er hielt sie fest. Irgendwann gab sie auf, und erschöpft sank ihr Kopf an seine Schulter. Sie glaubte, noch nie von James gehalten worden zu sein. „Schon ok“, murmelte er ruhig gegen ihren Haaransatz. „Ich kümmere mich“, versprach James, sprach beruhigende Worte, die sie nur von ihrem Dad kannte, und für eine kurze Sekunde glaubte sie James. Kurz nahm er ihr die Panik, nahm ihr die Angst, und dass Madame Pomfrey wiederkam, merkte sie nicht mal mehr.

 

An seiner Schulter war sie völlig erschöpft eingeschlafen.

 

 

 

Eleven

 

Der Morgen graute. Es war beinahe noch dunkel draußen, als sie die schweren Lider öffnete. Nicht, weil sie unbedingt schon wach war, sondern einfach, weil sie den warmen Druck spürte, der um ihre gesunde Hand lag. Und sie war sich nicht mal sicher, ob es nicht vielleicht doch ein Traum war, den sie träumte. Sie blinzelte gegen den schemenhaften Umriss, den sie erkannte. Aber sie war sich sicher, sie spürte das fremde Gewicht auf dem Bett.

 

„Es… tut mir so leid“, murmelte er, und seine Stimme klang… furchtbar. „Rose, es tut mir so unfassbar leid“, wiederholte er wieder, kaum lauter als der scharfe Wind, der draußen die herbstlichen Blätter um das Schloss trieb.

 

„Mh?“, machte sie heiser, denn sie glaubte, sie war sich nicht völlig sicher, wer mit ihr sprach – oder ob sie nicht doch träumte. Der Linderungstrank war mächtig gewesen, erlaubte ihrem Körper noch nicht völlig, Herr ihrer Sinne zu sein.

 

„Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich… habe dich mit ihm gesehen, und…“ Er zögerte, drückte kurz ihre Hand fester, und sie blinzelte wieder. Kurz wurde Albys Umriss schärfer, und sie war sich sicher, es war Alby. Seine Stimme war nüchtern und klang so schrecklich schuldbewusst. Sie hörte, er hatte geweint. Sie hörte es so deutlich! Sein Kopf sank. Er blickte hinab auf ihre Hände. „Es gibt keine Entschuldigung dafür, Rose. Ich hab’s versaut“, flüsterte er.

 

„Alby?“, krächzte sie bloß, und sein Blick hob sich wieder. Die grünen Augen unerkennbar durch die Schatten der Morgendämmerung verborgen. Die Nachtlichter im Krankenflügel waren bereits heruntergebrannt, und sie hatte Mühe, sein Gesicht zu erkennen. Aber sie glaubte, sie erkannte dunkle Umrisse über seiner Nase und seinem linkem Auge. Dort, wo sie ihn getroffen hatte. Irgendwer hatte ihn geheilt, nahm sie dumpf an.

 

„Rose, ich weiß, du kannst mir nicht verzeihen, und das musst du auch nicht“, sagte er sofort, immer noch so still, dass sie fast vermied zu atmen, um ihn zu verstehen. „Und… Presley kann nichts dafür“, ergänzte er kopfschüttelnd. „Es ist alleine mein Problem. Glaub mir, ich… wollte dich niemals beleidigen! Oder Tante Hermine“, versicherte er ihr. „Ich liebe Tante Hermine! Über alles! Das war nicht ok von mir. Meine… Gefühle sind nicht dein Problem“, brachte er verloren hervor.

 

„Alby“, sagte sie wieder, aber ihre Stimme klang noch immer schwer und müde.

 

„Ich hätte verdient, dass du mir das Genick brichst, Rose. Du bist meine beste Freundin, und… im Moment… weiß ich nicht, wie es wieder gut werden soll“, sagte er tonlos. Sie sah ihn blinzelnd an. Die Müdigkeit kam wieder zurück. Ihr Körper war noch nicht bereit, wach zu sein. „Ich… werde gehen, Rose. Ich… liebe dich immer, aber ich weiß, dass ich Abstand brauche, um das alles in den Griff zu kriegen. Und es tut mir leid. Wirklich.“ Und sie wusste, irgendwo in dem Gewirr an Worten, waren wichtige Informationen, die sie nur jetzt nicht greifen konnte. Und dann lehnte er sich tiefer zu ihr, und zum ersten Mal erkannte sie sein blaugeschlagenes Gesicht, den dunklen Ring um sein Auge, und fast erschütterte es sie mehr, als seine Beleidigung gestern. Sie hatte ihm das angetan. Sie hatten sich beide schlimm verletzt. „Und das hier ist die letzte Aktion, für die du mich hassen musst, versprochen“, wisperte er plötzlich. „Die letzte Sache. Und dann bin ich weg“, versprach er sanft. Und fast erweckte das Adrenalin sie gänzlich, als er den Abstand überwand, und sich seine warmen Lippen auf ihre legten. Und der Ekel blieb aus. Der Schock gefror in seinen Anfängen und klang ab. Es war ein sanfter Kuss, und kurz schlossen sich ihre Augen. Und dann war es vorbei. Alby zog den Kopf zurück, und kurz sahen sie einander in die Augen. Sie erkannte die Aufregung in seinen und das schlechte Gewissen. „Mach’s gut, Rose. Ich werde dich nie mehr verletzen, ok?“ Er drückte ihre Hand ein letztes Mal, und ihre Lippen teilten sich, ohne dass auch nur ein Ton rauskam. Dann löste sich der Druck um ihre Finger, das Gewicht verschwand vom Bett, und wie ein Geist, wurde seine Erscheinung von der Dämmerung verschluckt. Sie hörte das Klicken der Türen zum Krankenflügel, und sie wusste, sie war wieder allein.

Was hatte er gesagt? Sie versuchte, sich an seine Worte zu erinnern, aber… es fiel ihr schwerer und schwerer. Aber sie fühlte sich plötzlich leichter, fühlte sich nicht mehr so elend, und dann war sie gegen ihren Willen wieder eingeschlafen. Tiefer als vorher.

 

 

 

 

Es ging ihm nicht gut. Absolut nicht gut. Er konnte sich kaum bewegen. Er glaubte, er müsse sich sofort übergeben, wenn er auch nur einen Finger rührte. Hugo lag flach auf dem Rücken, und schlimmer war, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er in seinen Schlafsaal gekommen war. Nicht die leiseste! Er wusste nur, es war eine dumme Idee gewesen, mitzugehen. Und all die Aufregung hatte er nur am Rande mitbekommen. Er hatte irgendwann Albys blutüberströmtes Gesicht gesehen, und das war der Punkt gewesen, wo sie aus den Drei Besen geflogen waren. Aber er war sich sicher, das war noch nicht der Zeitpunkt gewesen, an dem er zurück zum Schloss gegangen war.

Aber er wusste nicht mehr, was dann passiert war.

 

Ihm wurde plötzlich so unfassbar schlecht, dass er sich unter größtem Schwindel aufsetzen musste. Die übrigen Jungen im Schlafsaal zogen sich bereits an oder waren längst ausgeflogen. Er sah doppelt, hielt sich die Stirn und erntete fragende Blicke. Er ignorierte die anderen, kam stolpernd auf die Beine, quälte sich durch den Flur, stürmte praktisch ins Badezimmer, und nur in der allerletzten Sekunde fiel er vor der Kloschüssel auf die Knie, schlug die Kabinentür hinter sich zu und erbrach sich geräuschvoll in die Keramik.

Es war der absolute Tiefpunkt, und aus irgendeinem Grund hasste er Scorpius Malfoy.

 

Er hatte das Gefühl, er lag hier seit Stunden. Sein Rücken lehnte an der unbequemen Seitenwand der Kabine, und seine Augen waren geschlossen. Der Schwindel war nicht abgeklungen. Und sein Magen war so leer, dass er nur noch Gedärme erbrechen könnte, nahm er an.

 

„Weasley?“, hörte er eine Stimme, und schlecht gelaunt öffnete er die Augen. Er konnte nicht antworten. Nicht direkt. „Bist du hier?“ Und jetzt erkannte er die Stimme. Sutter Huxley. Und plötzlich erinnerte er sich dunkel, mit Sutter angestoßen zu haben. Und es war kein Butterbier gewesen, so viel stand fest.

 

„Hm“, machte Hugo rau, und Sutter betrat geräuschvoll das Badezimmer.

 

„McGonagall schickt nach dir“, vernahm er die Stimme des Schulsprechers. Und er klang einigermaßen beunruhigt. Sutter öffnete die Kabinentür, ohne zu klopfen, und sein missbilligender Blick fiel auf ihn. „Scheiße“, entfuhr es Sutter. „Hör zu“, begann er, und bückte sich zu ihm herunter, „die Schulleiterin braucht nicht zu wissen, dass ich die unteren Jahrgänge mit Alkohol versorge, ok?“ Er zog den Zauberstab. „Es ist ein Entgiftungszauber, aber er hält nur kurze Zeit. Eine Stunde, vielleicht zwei. Und dann geht es dir genauso schlecht wie vorher, aber ich kann nicht riskieren, die Position zu verlieren, verstanden?“ Sutter vollführte den Zauber recht gekonnt. Hugo nahm an, er tat das häufiger. Sofort klärte sich sein Verstand. Ein massives Hungergefühl kehrte zurück und sein Magen knurrte. Sutter hörte es, und schüttelte direkt den Kopf. „Alles, was du jetzt isst, kommt später sowieso wieder raus, also mach es nicht. Glaub mir“, versicherte er ihm. „Komm schon!“, sagte er dann, griff Hugo unter die schlappen Arme und zerrte ihn hoch. Kurz glaubte Hugo, der Schwindel käme wieder, aber… es ging ihm wieder gut. Es war ein starker Zell-Zauber, und Hugo nahm an, dafür würde er später bezahlen. Gut, dass Sonntag war.

 

„Was… was will McGonagall?“, entfuhr es ihm rau.

 

„Keine Ahnung“, erwiderte Sutter, stellte den Wasserhahn an, griff sich ein Paar Papiertücher, durchnässte sie, nur um wiederzukommen und ungefragt durch Hugos Gesicht zu reiben. Fast wollte Hugo protestieren, aber sein Gehirn war noch zu weich und träge, um zu begreifen. „Aber sie steht unten, und du siehst… scheiße aus“, schloss Sutter, während er grob Hugos Gesicht säuberte. „Und mein Ruf steht auf dem Spiel. Ich glaube, niemand hat uns zurückkommen sehen. Also sollte es kein Problem sein. Ich war vorsichtig.“ Hugo begriff, dass Sutter ihn zurückgebracht hatte. Und er wusste, der Schulsprecher säße in der verdammten Tinte, wenn McGonagall von der Sauferei wüsste.

Und auch Hugo konnte keine Standpauke diesbezüglich gebrauchen. „Ok. So sollte es gehen. Zieh dich um. Zügig“, befahl Sutter streng, und Hugo gehorchte tatsächlich, ging vorsichtig zurück in den Schlafsaal, und brauchte trotzdem fast zehn Minuten, um sich anzuziehen.

 

Dann wagte er den Weg nach unten. Im Spiegel hatte er festgestellt, dass seine gesunde Hautfarbe einem aschgrauen Ton gewichen war. Nein, topfit war er trotz Zauber nicht. Die Schulleiterin stand am Fenster, betrachtete das Gelände, und Hugo näherte sich, angsterfüllt.

 

„Professor?“, machte er sich bemerkbar, und hoffte, seine Stimme klang nicht versoffen. Sie klang jedoch rauer als sonst.

 

„Mr. Weasley, begrüßte ihn McGonagall mit prüfendem Ausdruck. Sorge stand in dem sonst so gutmütigen Gesicht, was er von ihr kannte. „Ich hätte ein Paar Fragen“, begann sie unheilschwanger. Hugo wappnete sich innerlich.


„Fragen?“

 

„Wegen gestern Abend. Sie waren auch in Hogsmeade, nehme ich an?“ Hugo wusste nicht, ob das bereits eine Fangfrage war, und er ruckte unverbindlich mit dem Kopf. „James Potter hat Ihre Schwester nach Sperrzeit in den Krankenflügel gebracht, und-“

 

„-was?“ Er blinzelte erschrocken. „Meine-? Rose?“, vergewisserte er sich entgeistert, und McGonagall runzelte die Stirn.

 

„Davon wissen Sie nichts?“ Ihre Stimme klang scharf.

 

„Äh…?“ Er musste recht verloren aussehen.

 

„Ihren Eltern habe ich bereits Bescheid gegeben, weil, nun… weil jeder Krankenflügelvorfall den Eltern gemeldet werden muss.“

 

„Was ist passiert? Geht es ihr gut? Kann ich… kann…?“ Er wusste nicht, ob er es von McGonagall verlangen konnte.

 

„Natürlich können Sie zu ihr. Sie hat sich zwei Finger gebrochen. Soweit ist alles in Ordnung. Madame Pomfrey hat sie gestern ein wenig sediert, um die Schmerzen zu lindern. Sie ist bereits geheilt und kann heute wieder entlassen werden. Allerdings hätte ich einige Fragen, bezüglich Albus Potter, aber… wenn Sie keine Ahnung hatten, dass Ihre Schwester im Krankenflügel liegt, dann werden Sie wohl keine Antwort auf meine Frage wissen“, schloss die Schulleiterin knapp.

 

„Was… was ist mit ihm?“ Hugo hatte Albus‘ Gesicht wohl gesehen. Er wusste, Scorpius hatte ihn geheilt. Das wusste er alles. Er hatte nur nicht gewusst, dass es mit Rose zutun hatte! Er hatte nicht mehr viel mitbekommen. Verdammt noch mal! Elender Alkohol!

 

„Er ist weg“, sagte McGonagall.

 

„Weg?“, wiederholte Hugo entgeistert, und McGonagall nickte lediglich. Ihr altes Gesicht zeigte mehrere Sorgenfalten. Bestimmt aus verschiedenen Jahrzehnten. Aber heute waren sie alle zu deutlich zu erkennen.

 

„Ja. Er ist nicht im Schloss, nicht auf dem Gelände, soweit wir es einschätzen konnten. Und bevor ich seinem Vater eine Eule schicke, wollte ich die Familie fragen, ob nicht irgendwer weiß, wo er abgeblieben ist. Unter Umständen ist es möglich, die Potters da rauszuhalten, was mir lieber wäre. Aber dafür bräuchte ich einen Hinweis darauf, wo Albus Potter tatsächlich ist. Scorpius Malfoy sagt, er ist mit ihm gestern Abend zurückgekommen, allerdings ist sein Bett unbenutzt. Ich nehme also an, er ist in der Mitte der Nacht wieder… verschwunden.“ Hugo konnte nur starren. „Und ich gehe davon aus, dass Roses Verletzung mit Albus Potter in Verbindung steht?“ Es war eine direkte Frage, aber Hugo hatte keine Antwort darauf.

 

„Äh… ich… ich weiß es nicht, Professor“, sagte er dann. „Woher… wissen Sie, dass Albus-?“

 

„-Bridget aus den Drei Besen hat mir noch gestern Nacht einen Kauz geschickt. Die Nachricht las ich allerdings erst heute Morgen. Und identifizieren konnte sie lediglich… die Potters, wobei davon auszugehen ist, dass natürlich ein Großteil der Schülerschaft mein großzügiges Angebot des Samstagsausgangs ausgenutzt haben wird. Die Weasleys eingeschlossen“, offenbarte sie ihm sehr ehrlich. „Mein Weg führte mich also recht früh in den Gemeinschaftsraum der Slytherins, aber Albus war nicht in seinem Bett.“

 

„Oh“, entfuhr es ihm, und sein Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Hauptsache Rose ging es gut!

 

„Besuchen Sie Ihre Schwester“, schloss McGonagall nickend. „Wenn Sie James Potter über den Weg laufen, schicken Sie ihn bitte sofort in mein Büro. Ich kann bis heute Mittag warten, bevor ich die Eule schicke, allerdings keine Stunde länger als das.“ Es war eine klare Deadline. Es war eine klare Warnung. Und Hugo hatte verstanden. Sie fanden Alby bis mittags, oder Onkel Harry würde einen Herzinfarkt bekommen. Scheiße. Und Hugo ließ sich nicht zweimal bitten und machte direkt Kehrt.

 

 

 

 

Die Schritte waren laut und näherten sich zügig. Die Blicke hoben sich, denn sie rechneten alle mit der Schulleiterin, aber… die Schritte waren zu schnell dafür. So schnell war McGonagall nicht mehr. Und es war Hugo, der schließlich den Krankenflügel betrat, bleich wie die Nacht, Ringe um die Augen, aber er beachtete keinen von ihnen, stürmte nach vorne, und Roses Blick hatte sich gehoben.

 

„Rose!“, entfuhr es ihm rau, blinde Panik im Blick, und er kam zu ihr, setzte sich sofort an ihre Seite, während Rumer sich erhob. Er inspizierte sie genau, betrachtete ihre straff verbundene Hand, legte die Handfläche auf ihre Wange, fasste sie genau ins Auge, ehe er sie in eine Umarmung zog. Rose wirkte ein wenig überrascht, aber sie ließ ihren Bruder gewähren. „Bist du ok? Was ist passiert?“, wollte Hugo wissen, schien wütend und verzweifelt zu sein.

 

„Hugh-“, begann sie abwehrend, aber er schüttelte den Kopf.

 

„-was hat Albus gemacht?“

 

Scorpius Blick fiel. Hugo wusste es nicht. Vielleicht besser so. Aber er schien genug Misstrauen zu haben, Al das Schlechteste zu unterstellen. Scorpius hatte schlecht geschlafen, und war bereits in den frühen Morgenstunden in McGonagalls Kreuzverhör gezogen worden. Und es hatte nicht geholfen, dass an seinen Händen noch immer getrocknetes Blut geklebt hatte. Albus‘ Blut. Und weil Scorpius nicht wirklich kooperativ geworden war, hatte McGonagall mit einer Eule an seinen Vater gedroht. Und das wäre wirklich unangenehm. Für gewöhnlich bekam Scorpius keinen Ärger. Er hielt sich überall raus – so gut er konnte. Und wenn er es mal nicht schaffte, wurde er trotzdem nicht erwischt.

 

„Beruhige dich“, bat Rose ihn, aber Hugo schüttelte den Kopf.

 

„McGonagall kommt zu mir, erzählt mir, du liegst im Krankenflügel, was ich irgendwie verpasst habe – und Albus ist verschwunden? Was hat er gemacht? Hat er dich angerührt?“ Und ein defensiver Ausdruck huschte über Roses Gesicht. Es war unangenehm. All das war so unangenehm. Und dass sie alle hier waren, machte es nicht besser. Dass sie alle wussten, was Al für Rose empfand, machte es nicht besser. Fast war es, als ginge es sie alle überhaupt nichts an, und doch sprachen alle darüber.

 

„Hat er nicht“, knurrte Rose praktisch.

 

„Ich hab sie schon gefragt“, mischte sich James kleinlaut ein. Hugos Blick hob sich.

 

„McGonagall will dich in ihrem Büro sehen“, informierte Hugo seinen Cousin distanziert. „Und bis mittags muss Albus wieder da sein, oder dein Dad kriegt eine Eule.“ James wirkte gequält.

 

„Scheiße“, entfuhr es ihm. „Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Scorpius sagt, er war im Schlafsaal.“ Jetzt bekam Scorpius Hugos Aufmerksamkeit, und das war nichts Angenehmes. Dominiques Hand lag kalt in seiner. Er wusste, er musste etwas sagen.

 

„War er auch. Ich… keine Ahnung, wohin er gegangen ist. Wahrscheinlich… ist er abgehauen.“

 

„Aber wo soll er sein? Er ist minderjährig! Er kann nirgendwo sein.“ Hugo wirkte so unfassbar zornig, dabei wusste er nicht mal, was passiert war. Und Hugos Blick fiel wieder auf seine Schwester. „McGonagall sagt, sie hat Mum schon eine Eule geschickt.“ Und Rose atmete resignierend aus. Scheinbar hatte sie damit bereits gerechnet. „Also, was hat er gemacht?“, wollte Hugo wieder wissen, und er ließ Rose nicht aus den Augen. Sie wirkte fast verzweifelt, als sie ihn wieder ansah. „Sag es mir“, verlangte Hugo, und Rose atmete aus.

 

„Es ist nicht mehr wichtig“, flüsterte sie schließlich.


„Wichtig genug, dass du ihm anscheinend eine reingehauen hast, oder?“, schloss Hugo messerscharf, und Rose blickte angespannt zur Seite.


„Ich… war betrunken“, rechtfertigte sie sich, aber Hugo stieß die Luft aus.

 

„Nein, Rose. Ich war betrunken, ok? Und niemand von diesen Vollidioten hier hat es für nötig befunden, mich zu informieren, dass meine eigene Schwester im Krankenflügel ist!“, knurrte er böse, aber Rumer meldete sich jetzt zu Wort.

 

„Wenn du deine Zeit mit Sutter und seinen fragwürdigen Freunden verbringst, ist es wohl nicht unser Fehler, oder?“, fuhr sie ihn an, und Hugo schenkte ihr einen zornigen Blick. Sanfter Unglaube flackerte in seinen dunklen Augen auf, und Scorpius sah deutlich, wie sein Blick kurz über Rumer und James glitt. Sehr kurz. Scorpius hatte selber gesehen, dass Hugo am Ravenclawtisch gesessen hatte. Eigentlich ausschließlich überwiegend. Und entgegen seiner Vermutung, hatte sich Hugo mit anderen Personen beschäftigt, als mit Rumer. Vor allem auch mit anderen Mädchen.

 

„Es macht keinen Unterschied, ob ich Zeit mit Sutter oder mit euch verbringe!“, fuhr er sie wütend an. „Von Sutter wurde ich immerhin nicht ignoriert. Zur Abwechslung mal ein netter Unterschied!“, ergänzte Hugo ohne den Hauch von Furcht. Und Scorpius spürte die Betroffenheit der Familie praktisch selbst. „Und ihr könnt euch eure dämlichen Ausreden sparen! Mich interessieren eure Rechtfertigungen nicht. Ich will wissen, was er gemacht hat, Rose!“, wandte er sich sofort wieder an seine Schwester, aber die schien nicht sonderlich erpicht darauf, die Wahrheit zu sagen.

 

„Hugh, es ist einfach außer Kontrolle geraten, und… jetzt-“

 

„-wegen Presley Ford?“, wollte Hugo zornig wissen. „Das ist doch keine Entschuldigung!“, fuhr er sie an. „Albus rastet aus, weil du mit einem Jungen ausgehst, stellt Merlin was an, und du verprügelst ihn – und dann haut er ab? Von mir aus, kann McGonagall Onkel Harry Bescheid geben. Von mir aus können sie Albus von der Schule werfen!“, blaffte er.


„Hugo!“, sagte sie entgeistert, aber Hugo schüttelte den Kopf, ließ sich nicht abfertigen oder beschwichtigen. Scorpius nahm an, Hugo unterlag dem Entgiftungszauber, denn dieser resultierte jedes Mal in überausgeprägter Gereiztheit. Er kannte es von Al. 

 

„Es ist krank, Rose!“, stieß Hugo angewidert aus. Ihr Blick fiel wieder. Und es störte ihn ungemein, dass Hugo es übertrieb, dass er sich aufspielte und dass Rose so verdammt hilflos aussah!

 

„Lass sie doch einfach in Ruhe, verdammt!“ Scorpius hatte nichts sagen wollen, aber jetzt konnte er sich nicht zurückhalten, und Hugos Blick war so tödlich, dass er es direkt bereute. Er hatte es gestern schon bereut, hatte bereut, dass er eingeschritten war, dass er alles mitbekommen hatte – und es ging ihn nichts an. Und das machte Hugo jetzt auch ziemlich deutlich. Zu deutlich.

 

„Ich habe wirklich keine Lust, darüber ausgerechnet mit dir zu reden, Malfoy. Ausgerechnet du kannst einfach mal dein Maul halten!“, erwiderte Hugo so eindeutig ablehnend, dass Scorpius die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht laut zu werden. Und zumindest von Fred und James erntete er einen fragenden Blick. Denn es klag… ja. Es klang so, als hätten er und Hugo Probleme. Was sie auch hatten. Was Hugo aber nicht der Welt erzählen müsste! Er spürte Roses Blick ebenfalls, aber er vermied es, sie anzusehen.

 

„Es war eine scheiß Situation, ok?“, räumte Scorpius gepresst ein, ging nicht auf Hugos Nievau, und es war mal interessant, dass Hugos Niveau so weit unter seinem eigenen lag. „Und Al hat übertrieben, aber-“

 

„-aber was?“, wolle Hugo sofort wissen. „Du rechtfertigst sein Verhalten? Ist das dein verfluchter Ernst?“ Irgendwie stand Hugo auf beiden Beinen und Scorpius merkte, wie er ebenfalls reagierte, wie er sich erhob, um Balance zu schaffen, um gleichauf zu sein. Er merkte nicht mal, dass er Dominiques Hand losließ.

 

„Nein!“, entfuhr es Scorpius sofort, und er hob abwehrend die Hände. „Absolut nicht! Garantiert nicht!“, sagte er kopfschüttelnd. Und es wurde nicht wirklich besser. Die Kontrolle entglitt ihnen schneller und schneller.

 

„Hör auf, ihn anzuschreien“, mischte sich Rose jetzt lauter ein, aber es war nicht besser. Hugos Blick war so eindeutig. Es war so schrecklich eindeutig, fand Scorpius.

 

„Oh, hör auf, ihn zu verteidigen, Rose“, fuhr Hugo sie finster an, fast schon ruhig, fast… war es eine Warnung.

 

„Ich verteidige ihn nicht!“, erwiderte Rose zornig, aber Scorpius merkte, dass war es, was sie taten. Sie verteidigten sich gegenseitig. „Merlin, es geht dich nichts an, Hugo!“, schloss sie gepresst, und ihr Bruder stockte. Er tat einen weiteren Schritt zurück, wahrscheinlich nur der emotionalen Distanz wegen.

 

„Es geht also alle etwas an, nur mich nicht?“, wollte er stiller wissen, und Scorpius konnte sehen, wie unangenehm es Rose war. Ihr Blick fiel. „Ok“, schloss Hugo dann und Kälte kroch in seinen Blick. „Wahrscheinlich hast du recht. Es ist eine Familiensache, die mich nichts angeht, aber immerhin darf Scorpius Malfoy dabei sein, richtig?“ Scorpius‘ Mundwinkel sanken. Hugo war scheiße. Heute besonders.

 

„Hugh-“, flüsterte Rose schwach, aber ihr Bruder hob steif die Hände.

 

„-lass es, Rose“, unterbrach er sie stiller. „Du brauchst mich nicht? Das ist wirklich gut. Dann kann ich mich mit wichtigeren Dingen beschäftigen, als mit den unzähligen Arschlöchern, die versuchen, meine Schwester flachzulegen“, knurrte er praktisch, und Scorpius wusste nicht warum, aber immense Erleichterung durchflutete ihn, als Hugo den Blick nicht mehr hob, ihn nicht auch noch ansah. Es waren dumme Gedanken, aber dankbar war er trotzdem. Roses Wangen mussten heiß sein, denn sie glühten praktisch. Scorpius versuchte, aus Hugos Körperhaltung irgendetwas lesen zu können, aber es gelang ihm nicht. Sehr ernst hatte sich Hugo abgewandt, und der große Junge verließ mit langen Schritten den Krankenflügel, ohne sich noch einmal umzudrehen. Rose schloss die Augen.

 

„Wow“, etnfuhr es Louis, der bisher stumm geblieben war. „Das war… eindrucksvoll“, murmelte er kopfschüttelnd.

 

„Er wird sich beruhigen“, sagte Rumer jetzt, fast zweifelnd, und noch immer starrte sie auf die Tür, durch die Hugo längst verschwunden war. Es entstand eine unangenehme Stille, und Fred schien es auch nicht mehr ertragen zu können, denn er räusperte sich.

 

„Vielleicht… vielleicht ist Al in Hogsmeade?“, schlug er vor, wandte sich hilfesuchend an James, und dieser zuckte irgendwann die Achseln.


„Keine Ahnung. Scor?“ Er wandte sich an ihn, und Scorpius zermarterte sich das Gehirn. Er wollte diese scheiß unangenehme Situation ebenfalls überspielen. Er überlegte, ob er irgendwie mitbekommen hatte, dass Al aufgestanden war, aber… er konnte sich nicht entsinnen.

 

„Ich… weiß es nicht.“ Endlich setzte er sich wieder neben Dominique. Diese kaute abwesend auf ihrer Lippe, sah ihn nicht an, und für eine Sekunde fragte sich Scorpius, ob Dominique ebenfalls schuld an diesem Abend trug. Aber… wie viel Schuld konnte Makeup alleine schon ausmachen? Nein, es war nicht Dominiques Schuld. Es war alleine Als Schuld.

 

„Meinst du, er ist bei Onkel George?“ James wandte sich wieder an Fred, und dieser kaute ratlos auf seiner Lippe.

 

„Wie soll er in die Winkelgasse kommen? Jeder Apparierzauber würde im Ministerium Alarm schlagen, wenn er ihn versucht.“ Es stimmte. Es war unwahrscheinlich, dass Al das riskierte, dachte Scorpius.

 

„Und wenn er den Besen genommen hat?“ Wieder fixierte James ihn. Und seine Augen weiteten sich. Natürlich! Der Besen! Und es gab ihm die lang ersehnte Ausrede, endlich zu gehen! Fast war Scorpius dankbar.


„Ich sehe nach!“, versprach er sofort blind, denn er wollte hier raus. James erhob sich ebenfalls.

 

„Ich komme mit. Ich muss sowieso zu McGonagall.“ Dass dieser Abend so eskalieren würde, hatte Scorpius nicht kommen sehen. Und er wusste nicht, ob es vielleicht nicht besser wäre, wenn Al eine zeitlang untertauchen würde. Aber dann würde er der Schule verwiesen werden, oder nicht? War es das überhaupt wert?

 

„Hugo ist… wirklich sauer“, stellte James still fest, als sie eilig die vielen Stufen runtergingen. Scorpius hatte keine Ahnung, ob James nun tatsächlich über Hugo sprechen wollte. Denn er wollte es nicht. Garantiert nicht.

 

„Mh“, entkam es Scorpius unverbindlich, und er hoffte, es klang einsilbig genug, dass James nicht weiter darüber sprechen wollte.

 

„Hast du persönlich Probleme mit ihm?“, wollte James nun stiller wissen, und Scorpius‘ Blick gefror, während sie weiter gingen. Scheinbar nicht. Scheinbar wollte James reden. Und wenn es James auffiel, dann…- dann war es wohl offensichtlich, oder nicht?

 

„Nein, warum?“, log er steif, aber James runzelte die Stirn. „Nicht mehr als die anderen“, ergänzte Scorpius knapp, und James schien nachzudenken.

 

„Es kam mir so angespannt zwischen euch vor.“

 

„Heute ist ein angespannter Tag“, wich Scorpius ihm schlicht aus, denn was sollte er sagen? Dass er und Hugo allerlei Geheimnisse unter Verschlag hielten? Dass Scorpius wusste, dass Hugo es auf Rumer abgesehen hatte und James im Weg stand? Aber er beschloss, James irgendetwas zu sagen. „Ich verstehe mich mit ihm nicht sonderlich, das ist alles.“ Und schließlich nickte James, und Scorpius wusste nicht, ob er es nachvollziehen konnte. Vielleicht.  Dann wechselte James das Thema, und es war Scorpius nur recht.

 

„Ich… ich habe Rose versprochen, Dad einen Brief zu schicken“, begann James plötzlich. „Also… Rose wollte es nicht wirklich, aber… ich habe gesagt, dass ich es tun würde.“ James schien herumzudrucksen. Scorpius verstand nicht wirklich.

 

„Ok?“, entfuhr es ihm ratlos. Es klang ernst.

 

„Ich… konnte nicht“, entfuhr es James dann hilflos. „Ich wollte Dad schreiben, dass… dass Al auf Rose steht, aber… wie schreibt man so was?“ James sah ihn wieder an, die dunklen Augen weit und fragend. „Ich meine – was soll ich sagen? Es ist so… unangenehm“, schloss er lahm. „Und Dad würde es Onkel Ron sagen. Und… keine Ahnung…“, brach James verzweifelt ab. „Ich hätte es tun sollen. Und jetzt… jetzt ist Al abgehauen. Scheiße“, entfuhr es James überfordert.

 

„Er wird wieder auftauchen“, versprach Scorpius blind, ohne es zu wissen. James‘ Blick hob sich.

 

„Ich meine, wir streiten viel, aber… er ist mein Bruder. Und nach gestern… Merlin! Ich… hatte plötzlich das Bedürfnis, Rose zu beschützen, mich zu… kümmern. Verstehst du?“

 

„Ja“, sagte er, ohne nachzudenken, denn er hatte gestern dasselbe Bedürfnis verspürt, ohne es verhindern zu können. Und gleichzeitig bereute es das unüberlegte Wort, denn James griff es auf.

 

„Ja?“, vergewisserte sich James prüfend. „Ich meine, du kannst sie nicht wirklich leiden, oder? Aber sie ist nicht wie Hugo, sie ist-“

 

„-ich weiß“, bestätigte Scorpius wieder, ohne sich aufhalten zu können. Merlin, er sollte seine Klappe halten. Wirklich.

 

„Ich meine, sie ist garantiert nicht der Mensch, der es verdient von Al beleidigt zu werden!“ James hörte ihm nicht wirklich zu, und Scorpius reizte es.

 

„Ich weiß das, James!“, machte er es deutlicher. „Ich verteidige Al garantiert nicht! Rose kann ausgehen, mit wem sie will, und Al sollte erwachsen werden und das begreifen.“

 

„Was, wenn ihm was passiert ist?“ James flüsterte die Worte bloß. Scorpius befiel ein unangenehmes Gefühl. Er hatte kaum darüber nachgedacht, einfach weil er es sich nicht vorstellen konnte. Und dann wiederum…- er glaubte es auch nicht.

 

„Ihm wird nichts passieren. Wer weiß, wo er hin ist. Es würde zu ihm passen. Abzuhauen, unterzutauchen. Er wüsste schon Orte, wo er bleiben könnte. Er ist nicht dumm.“

 

„Er war sehr betrunken gestern“, fiel James wieder ein. „Was, wenn er abgestürzt ist? Das Wetter ist nicht mehr-“


„-James!“, unterbrach Scorpius ihn scharf. „Es wird alles in Ordnung sein. Al ist nicht wahnsinnig“, sagte er, aber er war sich nicht sicher, ob er sich selber glaubte.

 

„Mh“, machte James dann und atmete aus. Sie waren unten angekommen und ihre Wege trennten sich. „Noch eine Stunde. Wird er in einer Stunde auftauchen?“ James schien ihn tatsächlich zu fragen. Als wüsste Scorpius die Antwort auf diese Frage. Aber… wahrscheinlich tat er das. Er kannte Al. Und solche Sachen klärten sich nicht innerhalb von Stunden.


„Nein. Wird er nicht“, sagte Scorpius kopfschüttelnd. Er konnte es sich nicht vorstellen.

 

„Sag Bescheid, wenn du den Besen findest“, bat James ihn, und ihre Wege trennten sich. Aber Scorpius nahm an, er müsste gar nicht den beschwerlichen Weg zum Quidditchfeld auf sich nehmen, um sagen zu können, dass Als Besen nicht mehr im Zelt stehen würde. Er war sich ziemlich sicher, dass das der einzige Weg war, den Al genommen hätte. Und er könnte sonst wo sein. Es war fast Mittag. Aber… wohin könnte ein Sohn von Harry Potter schon auf Dauer unbemerkt verschwinden?

 

 

 

Twelve

 

Sie warteten zu viert. Es war ein kühler Nachmittag, und auch im Schloss auf dem steinernen Gang vor McGonagalls Büro war es kalt. Rose hatte sich in ihre gefütterte Trainingsjacke geschmiegt, hatte ihre mittlerweile wieder welligen Haare hoch gebunden, während Hugo nicht mehr aufgetaucht war. Sie nahm an, der Entgiftungszauber gegen seinen Kater hatte an Wirkung verloren. Sie wusste nicht, was sie ihren Eltern sagen sollte, wegen Hugo. Es war wohl auch im Moment egal, nahm sie finster an. Und scheinbar hatte Hugo von McGonagall keine Nachricht bekommen, hier aufzutauchen. Und sie glaubte, ihre Mum hätte Hugo schneller durchschaut als jeder andere. Sie war so. Es war… ihre Fähigkeit, glaubte Rose. Und sie hoffte, Rumer behielt Recht, und Hugo würde sich wieder beruhigen. Sie wollte nicht mit ihm streiten, aber… sie wollte sich auch nicht vertragen, denn er war so… selbstgerecht und verurteilte sie sowieso nur.

Mit Scorpius hatte sie sich auch kurz angelegt, als sie Orte durchgegangen waren, an denen Alby sein könnte. Rose wusste nicht, warum sie sich gestritten hatten, über Wahrscheinlichkeiten oder Unwahrscheinlichkeiten, aber es lag wohl an der allgemeinen Anspannung. Jetzt starrten sie beide blind nach vorne den Gang entlang, und sogar Scorpius‘ Vater würde herkommen müssen, denn McGonagall hatte ihm nicht geglaubt, dass er nicht wisse, wo Alby war.

Es war alles in allem ein wirklich beschissener Tag. Der letzte Abend steckte ihr in den Knochen, und der Linderungszauber lag noch immer schwer auf ihr.

Lily und James warteten neben ihnen, ganz in ihre eigenen Gedanken versunken, und Lily sprach gar nicht mehr mit ihr. Sie war zwar da, sie hatte sie im Krankenflügel besucht, aber sie sagte nichts mehr. Sah sie nicht mal mehr an. Es nervte Rose, aber… jetzt gerade war Alby verschwunden, und das war wohl wichtiger.

Die Anspannung war nahezu greifbar. Und dann vernahmen sie Schritte. Viele Schritte. Mehrere Leute kamen den Gang entlang, und zu McGonagalls Büro verirrten sich die wenigstens Schüler freiwillig. Sie hielt beinahe die Luft an.

Und tatsächlich war ihre Mutter ganz vorne.

Es war eigenartig, die eigenen Eltern in Hogwarts zu sehen. Und es war unangenehm. Immerhin hatte James ihr gestanden, dass er den Brief nicht abgeschickt hatte, und das beruhigte Rose ungemein. Sie war so absolut dankbar dafür! Vielleicht konnten sie diese Sache einfach von ihren Eltern fernhalten und mussten niemals darüber reden. Das wäre das Beste.

Noch hatten sie sich alle auf keine Geschichte einigen können, und James hatte gesagt, ihnen würde spontan etwas einfallen müssen, denn Rose war ganz und gar dagegen, die Wahrheit zu sagen. Absolut dagegen! Ihr war nur noch keine bessere Geschichte eingefallen. Albus‘ Besen war verschwunden. So viel wussten sie jetzt. Und sie waren sich sicher, er war damit abgehauen, wohin auch immer. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, und musste an den Morgen denken, von dem sie niemandem erzählt hatte. Warum auch? Es brachte niemanden weiter. Zu erzählen, Alby hätte ihr gesagt, er wolle weg, war sowieso offensichtlich. Und von dem Kuss wollte sie niemandem erzählen. Es war nicht so dramatisch, wie es sich die anderen ausmalen würden. Rose hatte nichts dabei empfunden, und sie glaubte, Alby würde darüber kein Wort mehr verlieren, käme er wieder. Sie war überzeugt, er würde wiederkommen.

Und er hatte sich entschuldigt. Ein halber Tag war vergangen, und auch wenn sie ihm nicht hatte verzeihen wollen… konnte sie kaum anders. Für sich selber, ganz still, hatte sie ihm bereits verziehen. Auch… wenn sie ihm das vielleicht nicht direkt ins Gesicht sagen würde, würde dieser Idiot endlich wiederkommen. Und sie spürte, ihm war nichts passiert. Er war Alby. Er war einfach… abgehauen.

 

Schon hatte ihre Mum sie erreicht, ihre welligen Haare wippten heftig. Sie sah aus, als käme sie direkt von irgendeiner wichtigen Sitzung, während Onkel Harry und ihr Dad in den Aurorenuniformen steckten. Fest zog ihre Mutter sie in die Arme, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.

 

„Oh Rose, ist alles in Ordnung?“, fragte ihre Mum außer Atem, und Rose nickte in der festen Umarmung. „Was ist denn passiert? Wo ist Albus?“ Ihre Mum ließ von ihr ab, fuhr ihr vergessen über die Haare, über die Wange, zog sie wieder an sich, und Rose atmete das Parfüm ihrer Mutter ein.


„Rosie!“, rief ihr Dad, umarmte sie gleichzeitig mit ihrer Mum, und dann griff er vorsichtig nach ihrem Arm. „Merlin, was ist passiert?“, fragte auch er. „Was für ein Unfall war es, Rose?“

 

Onkel Harry und Tante Ginny begrüßten James und Lily, begrüßten auch Scorpius, bevor sie auch zu ihr kamen.


„Alles ok?“, wollte Onkel Harry wissen, und Tante Ginny umarmte sie ebenfalls.

 

„Ja“, sagte Rose mit schwachem Lächeln, und sie sah, Tante Ginny hatte geweint. „Wir wissen nicht, wo er ist. Wirklich nicht. Wir… haben alles abgesucht, und-“

 

„-die Einheit weiß Bescheid. Sie überwacht Hogsmeade, die Gaststuben, die Kneipen. Wenn er auftaucht, geben sie uns Bescheid“, sagte Onkel Harry sofort. Auch er wirkte so viel ernster als sonst. „Was ist vorgefallen?“ Und ihre Eltern anzulügen, war etwas, was Rose schon schwer fiel, aber… ihren Patenonkel… - das war schwieriger.

 

„Ich…“, begann Rose, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Beruhigend legte ihre Mum die Hände auf ihre Schultern.

Erst jetzt fiel ihr der fremde Mann auf. Sie glaubte nicht, dass sie ihn überhaupt schon mal aus der Nähe gesehen hatte. Mr. Malfoy stand etwas abseits und sprach leise mit Scorpius. Er trug einen dunkeln Anzug, darüber einen nachtschwarzen Gehrock, und er sah sehr wichtig aus. Die hellblonden Haare hatte er zurückgekämmt, trug sie ganz anders, als sein Sohn es tat, und der blonde Vollbart, der die untere Partie seines Gesichts bedeckte, war einige Nuancen dunkler, als seine hellen Haare. Sein Blick traf sie überraschend, und fast hielt sie die Luft an.

Es waren Scorpius’s Augen. Und für eine schmale Sekunde, konnte sie erahnen, wie Scorpius in zwanzig Jahren aussehen würde, würde er sich für einen Vollbart entscheiden.

Und auch Scorpius‘ Vater legte die Hand auf die Schulter seines Sohnes. Ihr Blick fiel auf sein Gesicht, und tatsächlich erwiderte Scorpius ihren Blick. Die Hände ihrer Mutter wogen schwer auf ihren Schultern, und sie fragte sich unwillkürlich, ob es Scorpius ähnlich ging. Sie tauschten einen ausdruckslosen Blick, und die Distanz zwischen ihnen, war Rose noch nie so greifbar vorgekommen. Zwar wusste sie, ihre Familien verkehrten nicht miteinander, aber das war alles so theoretisch, denn in Hogwarts verkehrte sie fast täglich mit Scorpius. Aber jetzt… wurde ihr klar, dass es außerhalb jeder vernünftigen Wahrscheinlichkeit lag, dass sie und Scorpius jemals großartig Kontakt haben würden. Nach Hogswarts. Oder überhaupt, wenn sie erwachsen wären. Es war ein ernüchternder Gedanke.

 

Der Wasserspeier bewegte sich auf dem Podest, rotierte, und wenige Sekunden später gab er die Treppe frei. McGonagall kam die Stufen hinunter.

 

„Hallo, meine Lieben“, begrüßte die Schulleiterin die Eltern, und es begann ein großes Händeschütteln. „Die Kollegen suchen noch immer das Gelände ab“, versprach sie Onkel Harry und Tante Ginny im selben Atemzug.


„Er wird wieder auftauchen, wir sind überzeugt“, entgegnete Onkel Harry schließlich.

 

„Was genau ist passiert?“, wollte ihr Dad jetzt wissen, und McGonagall wandte sich an sie.

 

„Ich denke, da müssen uns Rose und Scorpius weiterhelfen. Würdet ihr zwei uns begleiten?“, fragte die Schulleiterin, aber Rose musste nicht groß nachdenken, um zu erkennen, dass es keine Bitte war. Sie hatten keine Wahl. Sie tauschte einen Blick mit James, aber er wirkte ähnlich hilflos. Lily mied ihren Blick, und Rose hatte nichts anderes erwartet.

 

„Ok“, räumte Rose resignierend ein, und wieder hob sich ihr Blick, um Mr. Malfoy zu betrachten, aber sie versuchte, nicht zu genau hinzusehen. Sie folgten der Schulleiterin, und Rose hatte keine Ahnung, was dieses Gespräch ergeben würde.

 

Es war genug Platz in McGonagalls Büro. Sie bot ihnen Stühle an, aber ihre Eltern und die anderen Erwachsenen lehnten ab. Niemand wollte sitzen. McGonagall lehnte sich an ihren Schreibtisch, so wie sie es auch im Unterricht tat.

„Scorpius, du hast Albus geheilt, nicht wahr?“, vergewisserte sich McGonagall mit ruhigem Ton, bevor sie sich an Onkel Harry und Tante Ginny wandte. „Wie ich schrieb, war Albus verletzt, auch wenn ich nicht weiß, in welchem Ausmaß.“

 

Scorpius schwieg unschlüssig. „Du hast seine Verletzung gesehen, nicht wahr?“, fragte McGonagall wieder. Rose sah Scorpius daraufhin an, aber er blickte angestrengt nach vorne, schien nachzudenken.


„Scorpius“, ermahnte ihn sein Vater jetzt, und seine Stimme klang dunkler als die von Scorpius, stellte Rose fest.

 

„Ja, ich habe ihn geheilt“, bestätigte Scorpius widerwillig.


„Was… was hatte er? War er schlimm verletzt? Wieso war Rose verletzt? Was ist passiert, Merlin noch mal?“ Tante Ginny hatte weitaus weniger Geduld als McGonagall. „Hattet ihr Streit?“, wollte sie wissen. „Du und Albus?“ Scorpius sah sie an.

 

„Nein“, sagte er stiller. Es war so offensichtlich gelogen, dass Tante Ginny wütender wurde.

 

„Ich erwarte eine Antwort von euch. Rose, warum waren deine Finger gebrochen? Hast du Albus verletzt?“ Es klang so absurd. Heute, im Licht des Tages klang es mehr als absurd. Und ihr fiel keine gute Geschichte ein.

 

„Rose!“, sagte auch ihre Mutter jetzt. „Hast du ihn verletzt?“ Und ihre Mutter fixierte sie streng.

 

„Ja“, entfuhr es Rose schließlich, und sie spürte Scorpius‘ Blick auf sich.

 

„Warum?“ Es war Tante Ginny, und Rose hörte sehr genau, sie schien sich nicht vorstellen zu können, warum Albus so etwas verdiente. Tante Ginny war manchmal naiv, fand Rose. Sie ließ Alby immer alles durchgehen.

 

„Was hat er gemacht?“ Onkel Harry hingegen war nicht halb so naiv wie seine Frau.

 

„Seit wann prügelt ihr euch überhaupt?“, wollte ihre Mutter gereizt wissen.

 

„Ich…“ Rose zögerte. Mit jeder Antwort würde eine neue Frage gestellt werden. Unweigerlich. Jedes Wort würde sie weiter in die Klemme bringen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

 

„Er war betrunken“, sagte Scorpius jetzt, und Rose wusste nicht, ob das eine Rechtfertigung sein sollte. Sie wusste nicht, was Scorpius vorhatte. Aber die Eltern tauschten einen besorgten Blick.

 

„Seit wann gibt es in den Drei Besen mehr als Butterbier für euch?“, wollte Tante Ginny jetzt streng wissen, und wieder war es eine neue Frage. Weil Sutter regelmäßig harten Alkohol mitbrachte. Aber das sagte Scorpius nicht. Merlin sei Dank.

 

„Ist das jetzt sonderlich wichtig, Gin?“, wollte Onkel Harry gereizt wissen, aber Tante Ginny sah ihn aufgelöst an.


„Unser Sohn war betrunken und hat sich mit seiner Cousine geprügelt! Ich nehme an, es ist wichtig, Harry!“

 

„Wir… haben uns nicht geprügelt“, entfuhr es Rose gereizt.

 

„Dann was?“, wollte ihr Vater mit verschränkten Armen wissen. Wieder sahen sich Rose und Scorpius an, aber wieder sprach ihr Vater. „Hör auf, ihn anzusehen, Rose. Sag uns einfach, was passiert ist.“

 

„Es gab Streit!“, sagte sie mit verschränkten Armen vor der Brust.

 

„Ok. Und dann?“ Ihr Vater schien nicht locker zu lassen.

 

„Es… ist irgendwie außer Kontrolle geraten, und… dann habe ich ihn geschlagen“, schloss sie. Es klang erbärmlich.

 

„Warst du auch betrunken?“, wollte ihr Dad bitter wissen, und Rose öffnete den Mund.

 

„Nein, war ich nicht!“, behauptete sie. War sie auch nicht. Sie hatte einige Butterbier getrunken, hatte einmal an Presleys Cocktail genippt, aber Hugo war wohl eher derjenige, der den Zorn ihres Vaters verdiente, nicht sie. Aber Hugo war so clever gewesen, hier nicht aufzutauchen.

 

„Und Scorpius war dabei?“, wollte Onkel Harry wissen.

 

„Was?“, entkam es ihr, und Onkel Harry fixierte sie.

 

„Scorpius. Er war bei euch?“ Wieder wagte sie, Scorpius anzusehen, aber sein Ausdruck half ihr nicht.

 

„Merlin, Rose! War er dabei, oder nicht?“ Ihr Vater schien die Nerven zu verlieren.

 

„Ja, ich war dabei!“, mischte sich Scorpius ein wenig zu laut ein, und Rose hasste, wie ihr Vater Scorpius beäugte. Sie hasste, wie sich beide ansahen. „Ich… habe ihn anschließend geheilt“, schloss Scorpius stiller.

 

„Anschließend? Anschließend an was?“, wollte ihr Vater gepresst wissen, und Scorpius‘ Mund öffnete sich, bevor er sich widerwillig schloss.

 

„Grundgütiger Merlin, ich will wissen, was passiert ist!“, rief Tante Ginny verzweifelt aus. „Ihr habt euch gestritten, du hast ihn geschlagen – und dann ist er abgehauen? Ist das, was passiert ist?“

 

„So ungefähr“, schloss Rose.


„So ungefähr?“, wiederholte ihr Vater wieder. „Rose, was soll das heißen?“

 

„Es ist kompliziert, Dad!“, entfuhr es ihr wütend. Nicht, dass das half! Und kurz fokussierte der Blick ihres Vaters. Alle schlimmen Sorgen sahen sich in seinen Augen bestätigt. Warum auch immer! Sie sah die nächste Frage schon kommen.

 

„Was soll das heißen?“ Ihm schien Übles zu schwanen, und Roses Mund öffnete sich, aber ihr Dad sprach. „Hat das irgendwas mit ihm zu tun?“, wollte er wissen und ruckte mit dem Kopf in Scorpius‘ Richtung. „Mit… mit ihm?“, wiederholte er angespannt, schien nicht mal seinen Namen sagen zu wollen, und immerhin musste Rose nicht lügen, als sie heftig widersprach.


„Mit Scorpius?“ Sie klang fast schon hitzig. „Nein! Warum sollte es? Es ging nur um Alby und mich, Dad!“, zischte sie gepresst. Er wirkte nicht sonderlich überzeugt, was sie noch mehr nervte.

 

„Und wo ist es überhaupt passiert, dass absolut niemand irgendetwas mitbekommen hat?“, wollte er weiter wissen, und Rose verdrehte die Augen.

 

„Oh Merlin“, entfuhr es Rose, und sie schloss die Augen.

 

„Ich meine das Ernst, Rose“, ermahnte ihr Vater sie ungeduldig.  Sie öffnete die Augen wieder.

 

„Mir ist das klar, ok? Ich weiß nicht, warum Alby abgehauen ist. Ich hätte nie gedacht, dass er abhauen würde!“, sagte sie mit mehr Nachdruck.

 

„Hast du ihm gedroht?“, wandte sich ihr Vater beinahe nahtlos an Scorpius, und dieser öffnete verblüfft den Mund.


„Ich – was?“ Scorpius wirkte gänzlich überfordert mit dieser Unterstellung und blinzelte verblüfft.

 

„Wieso sollte er?“, mischte sich Mr. Malfoy jetzt dunkel ein, machte sogar einen Schritt auf ihren Vater zu, aber irgendwie kam es Rose nicht fremd vor. Dieses eigenartig aggressive Verhalten zwischen… ihrem Dad und Mr. Malfoy. 


„Oh, ich weiß es nicht, Malfoy! Ich weiß nicht, was dein Sohn angestellt hat!“ Sie duzten sich. Selten duzte ihr Vater fremde Erwachsene. Dann wiederum… wirklich fremd schienen sie sich nicht zu sein.

 

Mein Sohn?“, wiederholte Mr. Malfoy aufgebracht. „Wie es aussieht, hat deine Tochter Albus verprügelt, also weiß ich nicht, weshalb du annimmst, dass mein Sohn überhaupt etwas damit zu tun hat!“ Auch Mr. Malfoy duzte ihren Dad. Sie sprachen miteinander, als wäre es nicht das erste Gespräch. Nicht der erste Streit. Rose fand es eigenartig.

 

„Vielleicht hat er sie bedrängt? In irgendeiner dunklen Ecke? In irgendeinem Korridor, und vielleicht hatte Albus den Sinn und den Verstand, deinen Sohn davon abzuhalten-“

 

„-Dad!“, rief Rose beinahe hysterisch, und brennende Hitze stieg in ihre Wangen. „Hör auf! Hör auf zu reden, Merlin!“, entkam es ihr stockend. „Scorpius war zufällig da!“, ergänzte sie so peinlich berührt, dass sie im Boden versinken wollte.

 

„Sie war nicht mit mir dort, sie hatte ein Date!“, mischte sich Scorpius ebenfalls ein, und es half nicht. Überhaupt nicht. Die nächste Frage kam sehr schnell, bevor Rose sich dazu hinreißen lassen konnte, vielleicht auch noch Scorpius zu verprügeln! Dämlicher Idiot! Was wollte er damit überhaupt aussagen, verflucht?!

 

„Ein Date?“ Ihr Vater fixierte sie wieder. „Du hattest ein Date?“ Er wiederholte es, wie etwas über alle Maßen unanständiges. Es war peinlich. Absolut peinlich!

 

„Es tut nichts zu Sache. Wirklich! Es ist so unfassbar unwichtig, Dad!“ Sie würde weinen. Sie würde wieder weinen. Es war so unwirklich und unnötig.


„Mit wem?“, wollte er wissen, ignorierte ihre Worte, und sein Blick war unfassbar kompromisslos. Sonst sprühte die Freude aus seinen blauen Augen, sonst war er immer zum Scherzen aufgelegt, und heute… erkannte sie ihn überhaupt nicht mehr!


„Dad, Albus ist verschwunden, und du interessiert dich für absolut unwichtige Details!“, schnauzte sie ihn an.

 

„Ron“, beruhigte Onkel Harry ihren Dad, aber ihr Dad entzog ihm den Arm.


„Sie hat Dates, Harry!“, fuhr Ron ihn an. „Was, wenn irgendein schmieriger halbstarker Slytherin sie anrührt, und Albus wollte sie verteidigen?“

 

„Was genau soll das heißen?“, mischte sich Mr. Malfoy äußerst kalt ein, aber Rose reichte es. Genau jetzt!

 

„Albus hat mich nicht verteidigt!“, entfuhr es ihr zornig. „Albus hat mich beleidigt!“ Sie hatte es nicht sagen wollen. Sie hatte gar nichts sagen wollen.


„Mr. Weasley“, wagte Scorpius tatsächlich zu sagen, aber ihr Vater fuhr zu ihm herum, bevor Rose sich wieder einmischen konnte.


„Ich will nicht wirklich hören, was du zu sagen hast!“, knurrte er, und Scorpius schwieg abrupt, Zorn flackerte über sein Gesicht. Es war alles nicht gut. Wirklich nicht. Kurz erinnerte ihr Dad sie an Hugo. Hatte er heute Morgen nicht sehr ähnlich reagiert?

 

„Vielleicht solltest du dich abregen und draußen warten?“, schlug Mr. Malfoy vor, aber ihr Dad schenkte ihm einen eisigen Blick.

 

„Es ist dein Sohn, der Probleme macht!“

 

„Eigentlich ist es Harrys Sohn“, korrigierte Mr. Malfoy ihren Vater, und Rose befürchtete, gleich würde ihr Dad einen handfesten Streit anfangen. Und jetzt zog ihre Mum ihn zurück.


„Ron, genug“, sagte sie stiller, und ihr Vater biss die Zähne zusammen. Er sah ihre Mum an.


„Es gefällt mir nicht. All das gefällt mir nicht“, sagte er wieder, und ihre Mum nickte stumm.

 

„Ich weiß. Aber es hilft uns nicht, ok? Wir wollen wissen, wo Albus ist. Wir wollen ihn finden und zurück bringen. Und alles andere… ist jetzt nebensächlich“, entschied sie diplomatisch zu sagen, und Rose war dankbar. Wirklich. Und gleichzeitig wusste sie aber keine Antwort auf das Problem.

 

„Wir wissen nicht, wo er ist!“, beteuerte Rose jetzt verzweifelt. „Er… er ist einfach ausgerastet! Und… ich weiß, ich… habe falsch reagiert, aber ich habe nicht gewollt, dass er verschwindet! Ich… habe ihn geschlagen und dann… wollte ich gehen, ich… konnte ihn nicht mehr ertragen, und… James hat mich zum Krankenflügel gebracht. Und…“ Sie wollte nicht weinen, aber die Tränen kamen unweigerlich. Ach verdammt. Sofort kam ihre Mum zu ihr. Sie spürte die warme Umarmung, und sie hasste, dass alles so furchtbar war.

 

„Die Kinder wissen nicht, wo er ist. Ich denke, das können wir festhalten“, schloss McGonagall langsam. Rose löste sich wieder von ihrer Mum und wischte sich die nassen Wangen trocken. Scorpius‘ Blick war auf den Boden gefallen. Und es war Onkel Harry, der sprach.


„Rose“, begann er ruhig, und sie hob den Blick, „warum hat er dich beleidigt? Vielleicht gibt uns das Aufschluss über seine Reaktion? Über sein Verschwinden?“, wollte er fast sanft wissen, und Rose konnte es nicht sagen. Sie konnte nicht.

 

„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie.

 

„Was hat er gesagt?“, fragte Onkel Harry sanft, und Rose schüttelte den Kopf.


„Es… es ist wirklich unwichtig“, wisperte sie erschöpft.

 

„Rose“, sagte Scorpius jetzt kopfschüttelnd, aber ihr Blick schoss zu ihm herum.


„Nein!“, warnte sie ihn bitter. Ungläubig sah er sie an.

 

„Als ob es irgendeinen Unterschied macht“, knurrte er jetzt, und sie sah sehr deutlich, dass er genug hatte. Er hatte genug davon, wegen ihr und Albus hier zu sein, wegen ihr und Albus von ihrem Vater bedrängt zu werden, und sie verstand das, aber was er tat, half nicht! Es half weder ihm, noch Albus!

 

„Es hat nichts damit zu tun“, erwiderte sie gepresst. „Also, lass es sein!“


„Es hat so ziemlich alles damit zu tun“, widersprach er, und sie bemerkte wie vor allem ihr Vater wieder unruhig wurde. Sie wünschte, er würde aufhören, zu reden!

 

„Was hat mit was zu tun?“ Sofort klang ihr Vater wieder alarmiert, und Scorpius konnte ihren Vater wirklich nicht leiden. Rose erkannte es mit einem Mal. Trotz sprach aus Scorpius‘ Blick. Sie öffnete den Mund, um ihn aufzuhalten, aber Scorpius schien keine Konsequenzen mehr zu fürchten.

 

„Albus steht auf Rose“, entfuhr es ihm gereizt, während er ihren Vater fixierte. „Und das seit Ewigkeiten!“ Es war als detonierte eine stille Bombe im Büro der Schulleiterin. Kurz sagte keiner etwas, bevor ihr Vater den Mund überfordert öffnete. Roses Herzschlag hatte kurz ausgesetzt.

 

„Was?“ Ihr Vater wirkte verwirrt.

 

„Er kam damit nicht zurecht, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er vollkommen ausrastet. Und mir ist es egal gewesen! Mich hat es alles nicht betroffen – aber gestern… ist er zu weit gegangen! Er hat Presley bedroht, er hat Rose-“

 

„-Presley?“, unterbrach ihn ihr Vater scharf. „Presley wer? Presley-“ Er unterbrach sich selbst, als er wohl verstand. „Presley Ford?!“, entkam es ihm absolut ungläubig. Aber Scorpius störte es nicht weiter, nein, es schien ihm zugefallen, ihren Vater in den Wahnsinn zu treiben. Auch ihre Mutter wirkte kurz mehr als empört.


„Scorpius!“, rief sie vollkommen ungläubig, aber es schien ihm nichts mehr auszumachen.

 

„Er hat sie beleidigt, wollte Presley schlagen, ich habe versucht, ihn aufzuhalten, und dann… hat Rose die Situation gelöst, hat ihm erklärt, dass sein Verhalten krank ist – und…“ Er zögerte. Sie starrte ihn an, und er erwiderte ihren Blick.


„Es reicht“, flüsterte sie heiser. „Halt einfach deinen Mund, verdammt noch mal! Was ist in dich gefahren?“ Sie flüsterte beinahe, konnte nicht fassen, dass er das getan hatte, und er wirkte auch noch beleidigt!

 

„Was in mich gefahren ist?“, wiederholte er ernsthaft wütend. „Vielleicht ist es dir entgangen, aber wegen Al sind wir hier! Wegen Al und seiner scheiß Aktionen, Rose!“

 

„Du hilfst überhaupt nicht!“, fuhr sie ihn verzweifelt an.

 

„Es ist alles egal, oder nicht? Und wenn James nicht fertigbringt, es seinen Eltern zu sagen, dann werde ich es wohl tun müssen! Merlin, ich habe nicht gewusst, dass ich Al gestern Nacht hätte festbinden müssen, damit er nicht auch noch abhaut! Es wird Zeit, dass es geklärt wird! Du hättest vor Jahren schon längst mit ihm reden müssen!“, fuhr er sie an.

 

„Jetzt ist es meine Schuld? Ist das dein Ernst?“, knurrte sie und vergaß beinahe, dass sie nicht alleine waren. Sie hatte gewusst, dass so etwas in Scorpius‘ Kopf rumschwirrte, deswegen war er so furchtbar drauf gewesen heute. Sie waren alle angespannt, aber Scorpius hatte übertrieben!

 

„Merlin, es geht nicht um Schuld! Es geht darum, dass du deinen Mund nicht aufbekommst!“, fuhr er sie an.

 

„Oh ja? Was genau hätte ich tun können? Man kann mit Alby nicht einfach reden!“, entkam es ihr hysterisch. „Und garantiert nicht darüber!“ Kopfschüttelnd starrte sie ihn an. Zorn floss durch ihre Adern. Wie konnte er wagen, all das zu sagen und ihr die Schuld zu geben? Aber er schien nicht fertig zu sein. Es war unfassbar! Er war derjenige, der nie seinen Mund aufbekam, und ausgerechnet jetzt, fing er damit an.

 

„Aber vor seinen Augen mit Presley Ford ausgehen, das war die richtige Therapie-Methode, ja? Ausgerechnet dieses Outfit zu tragen, hat geholfen, oder was?“ Sie starrten sich an. Sie ballte ihre gesunde Hand zur Faust und Röte schoss ungehindert in ihre Wangen.

 

„Es geht dich nichts an, Malfoy! Erlaub dir verdammt noch mal kein Urteil! Als ob du in der Position wärst, das zu tun“, zischte sie atemlos, und sie konnte nicht mehr ertragen, in sein selbstgerechtes Gesicht zu sehen. Wütend wandte sie sich ab, und jetzt gerade konnte sie keinen von ihnen mehr ertragen. Sie stürmte aus dem Büro.

 

„Rose“, rief ihre Mutter ihr nach.

 

„Rose, warte!“, rief auch ihr Vater, aber sie schlug die Bürotür hinter sich zu und sauste die Wendeltreppe hinab.

 

„Was war das für ein Geschrei?“ James versuchte, sie abzufangen, aber Rose hielt nicht inne. Sie wandte lediglich den Kopf über die Schulter, als sie den Flur hinablief.

 

„Malfoy hat es für eine gute Idee gehalten, Onkel Harry die Wahrheit über Alby zu sagen!“, rief sie zornig zurück, und wartete James‘ Antwort gar nicht erst ab.

Sie kochte vor Wut! Und sie wollte im Erdboden versinken! Was hatte Scorpius noch alles zu sagen? Wollte er einfach alles erzählen?! Wie peinlich es gewesen war! Und sie schämte sich, dass sie nicht in der Lage gewesen war, einfach den Mund zu halten. Verdammt. Denn wie sah das jetzt bitteschön aus?!

 

 

 

 

 

Sie gingen nebeneinander, und ab und verlor sich Scorpius‘ Blick in den Weiten des Geländes. Wo war Al, verflucht? Sein Vater blieb stehen, wandte sich dem Burghof zu, und über ihnen fiel der Regen, tauchte den Tag in einen matten Schleier. „Ich hatte den Eindruck, du wärst mit… der anderen Weasley zusammen“, sagte sein Vater nach einer ganzen Weile. Scorpius spürte, wie seine Mundwinkel sanken.

 

„Ich bin mit Dominique zusammen“, bestätigte er knapp. Sein Vater benutzte nicht sonderlich gerne die Vornamen der Weasleys. Und er klang immer äußerst zurückhaltend, wenn es um seine Beziehungen ging.

 

„Und was ist das für eine Verbindung zu… diesem anderen Mädchen?“ Schon wieder. Wieder verzichtete er auf den Namen.

 

„Rose?“, half ihm Scorpius genervt auf die Sprünge, aber sein Vater sah ihn nicht an, blickte hinaus ins Grün, was sich immer schneller verfärbte. Und bald hingen nicht mal mehr die herbstlichen Blätter an den Bäumen.

 

„Rose“, wiederholte sein Vater tatsächlich ihren Namen und klang sehr nachdenklich. „Ja, was ist mit ihr?“, wollte er dann wissen.

 

„Gar nichts ist mit ihr!“ Scorpius klang defensiver, als er eigentlich klingen wollte.

 

„Ziemlich viele Probleme für gar nichts, oder?“ Sein Vater klang nicht begeistert.

 

„Es liegt nicht an ihr. Es liegt an-“

 

„-mir ist vollkommen klar, an wem es liegt, aber scheinbar ist er immer noch dein bester Freund?“ Scorpius verfolgte andere Gedanken. Es belastete ihn. Sehr.

 

„Er hat sie Schlammblut genannt“, entfuhr es ihm stiller als zuvor. Und diesmal regte sich sein Vater. Diesmal wandte er den Kopf und sein Blick fiel auf ihn.

 

„Wer?“, entgegnete er ein wenig verblüfft.


„Al. Al hat… na ja. Er hat Roses Mutter beleidigt.“ Sein Vater schien darüber kurz nachzudenken. Dann zuckten seine Mundwinkel.

 

„Al ist ein dummer Junge. Wirklich dumm“, wiederholte sein Vater kopfschüttelnd.

 

„Ich habe sie nie beleidigt! Ich… habe noch nie jemanden beleidigt“, rechtfertigte sich Scorpius, ohne genau zu wissen, warum er es eigentlich tat.

 

„Gut. Das… ist gut so“, murmelte sein Vater, wieder einigermaßen in Gedanken versunken.

 

„Das war nicht ok“, sagte Scorpius angespannt. „Es war… wirklich schlimm“, wiederholte er tonlos. Sen Vater drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken an die Steinbalustrade und schien ernsthaft nachzudenken.


„Ich glaube, ich kann nicht mal mehr zählen, wie oft ich… Mrs Weasley so genannt habe. Damals“, entfuhr es ihm mit Bedacht, und Scorpius‘ Augen wurden groß. Er wusste, dass sein Dad mit den anderen zur Schule gegangen war, und er wusste auch, dass sie alle nicht befreundet gewesen waren. Aber sein Vater sprach so gut wie nie über die Schulzeit. Über gar nichts aus dieser Zeit. „Und für gewöhnlich, war… Harry einer der ersten, der mich dafür hat büßen lassen. Deshalb ist es so… eigenartig“, schloss er still.

 

„Hast du das ernstgemeint?“, wollte Scorpius kleinlaut wissen. Der Blick seines Vaters fiel.

 

„Was?“

 

„Das Wort, Dad“, sagte Scorpius, und sein Herz schlug schneller. Sein Vater verdrehte die Augen.

 

„Nein“, sagte er schließlich. „Es ist ein dummes Wort. Deine Mutter hat es verabscheut. Jedes Mal, wenn dein Großvater sich hat hinreißen lassen, Muggel und andere Geschöpfe zu verteufeln, mussten wir gehen. Noch bevor das Essen begonnen hatte, bevor die Feiern zu Ende waren – und wir sind oft gegangen. Astoria ist nie leichtfertig mit Beleidigungen umgegangen.“ Selten sprach er von seiner Mum, seitdem sie tot war. „Und dein Großvater hat sich nie die Mühe gemacht, deine Mutter zu respektieren.“ Es war ein seltsamer Themenwechsel, aber Scorpius konnte es beinahe nachvollziehen.

 

„Ja? Sowie du Dominique nicht respektierst?“ Sein Vater seufzte auf.

 

„Ich respekteire sie. Aber ihr seid jung“, war alles, was sein Vater sagte. „Und glaub mir, ich… bin der letzte, der in deinem Weg stehen wird, solltest du einem dieser Heldenkinder einen Antrag machen wollen“, schloss er spöttisch.

 

„Nenn sie nicht so“, entfuhr es Scorpius gepresst, aber sein Vater musste lächeln.

 

„Solange du deinen Namen behältst – kein Problem für mich“, entgegnete er lächelnd. Scorpius verdrehte die Augen. „Eine Weasley-Hochzeit tut unserem Ruf mehr als gut“, fuhr er spöttisch fort.

 

„Unheimlich witzig, Dad.“ Das Lächeln seines Vaters vertiefte sich.


„Mein Sohn, der Gutmensch“, zog er ihn auf.


„Du bist so blöd“, entfuhr es Scorpius beleidigt. Sein Vater legte den Arm um seine Schulter, und Scorpius erinnerte sich direkt an die letzten Tage im Haus. Als seine Mutter zu schwach gewesen war, um aufzustehen. Er roch praktisch den zu süßen Duft des Jasmins, der überall in der Luft gehangen hatte. Niemals wieder würde er den Sommeranfang mit etwas Positivem in Verbindung bringen können, denn da war seine Mum gestorben. Und sein Vater hatte Probleme damit, Gefühle zu zeigen, und deshalb erinnerte ihn jede körperliche Zuwendung einfach nur an die schlimme Zeit. Denn da hatte sein Vater etwas tun müssen. Er hatte sich um ihn kümmern müssen, hatte ihm Zuneigung zeigen müssen – einfach, weil es sonst nicht gegangen wäre.

Und plötzlich fühlte sich Scorpius sehr allein. Ohne Al, ohne irgendwen hier. Und das mit Al belastete ihn seit Wochen, denn es war immer schlimmer geworden. Er war gar nicht mehr sein bester Freund. Und Scorpius hatte nichts tun können, um das zu ändern. Sein Vater versteifte sich sehr kurz, als er ihn fest umarmte. Dann aber atmete er aus und legte die Arme um seinen Oberkörper.

 

„Alles ok?“, fragte er ihn knapp, und Scorpius nickte gegen den kratzigen Stoff des Gehrocks. Es war nichts ok, aber daran konnte sein Vater wenig ändern. „Er wird schon wieder auftauchen“, schien sein Vater seine Gedanken zu lesen. Dann fuhr er ihm durch die Haare, beinahe liebevoll. „Und unter Reinblütern ist Inzest nun wahrlich verbreiteter, als es die Pockenpest gewesen war“, fuhr er fort, und Scorpius hörte das Lächeln in seiner Stimme.

 

„Du bist eklig, Dad“, murmelte er bloß und hörte das tiefe Lachen, das durch die Brust seines Vaters drang, und es klang angenehm in seinen Ohren.

 

„Der Stammbaum deiner Großmutter ist eklig, glaub mir, ich bin normal“, versprach er versöhnlicher, und Scorpius löste sich von ihm.

 

„Es tut mir leid, dass du kommen musstest.“ Sein Vater hob eine blonde Augenbraue.


„Was wärst du für ein Slytherin, wenn ich nicht wenigstens einmal alle paar Jahre hier auftauchen müsste? Mein Vater war im Schlurat. Er war jede Woche hier, um mich beim Versagen im Quidditch zu beobachten“, fuhr er bitter fort. Scorpius musste fast grinsen. „Sei froh, dass ihr den guten Potter im Team habt. Merlin, wäre das Leben entspannter gewesen, wäre Harry Potter nach Slytherin gekommen“, ergänzte er, beinahe gedankenverloren. Dann wurde er ernst. „Eigentlich trifft es sich ganz gut“, sagte er plötzlich. „Nächstes Wochenende haben wir einen Termin am Haus. Vielleicht könnte ich dich abholen, dann schaust du es dir an?“, schlug er vor, aber Scorpius blockierte, wie er es immer tat.

 

„Ich will es nicht.“

 

„Du solltest es dir ansehen“, beharrte sein Vater strenger.

 

„Du und Großvater könnt es euch ansehen, ihr könnt es schätzen lassen, verkaufen – mir egal“, behauptete Scorpius blind, und sein Vater seufzte resignierend.

 

„Ich weiß, du magst deinen Großvater nicht – Merlin, niemand tut das, aber das ist dein Erbe, und du solltest es mit der Ernsthaftigkeit behandeln, die deine Mutter an den Tag gelegt hat, als sie es dir vermachte“, sagte er schwere Worte, und Scorpius hasste, wenn er das tat. „Es schadet nicht, ab und an mal erwachsener sein zu müssen, als man will.“ Scorpius verdrehte genervt die Augen.

 

„Meinetwegen“, entfuhr es ihm. „Aber es wird ohnehin verkauft.“

 

„Es ist ein großes Anwesen. Du könntest es bewirtschaften. Du könntest mit Miss Weasley dort einziehen“, schlug er achselzuckend vor.


„Sie heißt Dominique, Dad, und ich glaube, das will sie nicht. Und ich auch nicht“, behauptete er grimmig.

 

„Das wird deinen Großvater freuen. Dann kannst du Malfoy Manor übernehmen.“ Scorpius verzog gequält den Mund. Er hasste Malfoy Manor. Er hasste, dass das Haus ihren Namen trug, und er hasste die düsteren Kammern, den modrigen Grusel-Keller und die uralten Hauselfen, die durch die Gänge schlichen und die Malfoys flüsternd verteufelten. Sein Vater hatte es schon nicht haben wollen. Und das aus gutem Grund.

 

„Super, danke“, entfuhr es ihm gereizt. Sein Vater lächelte wieder, zerstrubbelte seine Haare, wie er es manchmal tat, und sofort schüttelte Scorpius sie zurück in die Stirn.

 

„Tante Daphne würde sich freuen, dich zu sehen“, behauptete sein Vater, aber Tante Daphne war die Schwester seiner Mum und sehr anstrengend. Und sehr dramatisch. 

 

„Mh“, machte Scorpius abweisend, aber er würde wohl oder übel dort auftauchen. Sein Vater erpresste ihn mit dem Erbe seiner Mutter. Klassisch, wirklich.

 

„Irgendwas Neues?“, erkundigte sich sein Vater, als sie sich wieder in Bewegung setzten.


„Mehr als das?“, wollte Scorpius ungläubig wissen. Sein Vater zuckte die Achseln, und Scorpius fiel tatsächlich noch etwas ein.


„Rumer ist mit James zusammen“, sagte er dann lächelnd.


„James Potter?“, vergewisserte sich sein Vater, bevor sich seine Mundwinkel wieder hoben. „Pansy wird begeistert sein“, ergänzte er grinsend. Scorpius verkniff sich das Grinsen geradeso. Und er verkniff sich, zu erwähnen, dass auch Hugo versuchte, bei Rumer zu laden.

 

„Erzähl es ihr nicht“, bat er ihn, aber sein Vater schüttelte den Kopf.

 

„Ich kann nicht anders“, entschuldigte sich sein Vater spöttisch. „Heute Abend ist wieder eine ihrer langweiligen Vorstandsfeiern, und ihr Ausdruck wird unbezahlbar sein.“ Scorpius verbarg das Lächeln mit Mühe. Tante Pansy war noch schlimmer als sein Vater. Sie ignorierte, dass es die Weasleys gab – und die Potters dazu. Sie hatte schon damals einen depressiven Anfall bekommen, als Rumer nach Gryffindor gekommen war. Aber Tante Pansy war eine gute Schauspielerin, und Scorpius glaubte auch, sie fand es gar nicht so tragisch, dass Rose Rumers beste Freundin war. Sie war immer ausgewählt höflich zu ihr, wie Rumer es sagte. Tante Pansy übertrieb immer gerne.

„Ich sehe dich nächste Woche, ja?“, drohte ihm sein Vater praktisch, aber Scorpius gab seufzend nach.

 

„Ja“, sagte er bloß.

 

„Stell nichts an, und schreib mir, wenn der kleine Potter wieder auftaucht.“ Sein Vater hatte nichts gegen Albus. Scorpius glaubte, sein Dad fand ihn sogar amüsant. Wahrscheinlich nur, weil er freiwillig in Slytherin war. Aber er nickte.


„Werde ich tun“, versprach er gleichmütig. Er begleitete seinen Vater ein Stück, bevor dieser den Zauberstab zog, und einen Regenschutzzauber sprach. Er hielt den Zauberstab hoch und trat auf den Kiesweg, der hinab zu den Toren führte. Im Gehen wandte er sich noch mal zu ihm um und hob die Hand zum Abschied. Scorpius erwiderte die Geste, und dann verschwand sein Dad mit zügigen Schritten. Scorpius vermisste ihn fast. Es war mal eine nette Abwechslung, ihn zu sehen. Früher hatte er selten so gedacht, aber… die Beziehung zu seinem Vater war besser geworden. Aber er erinnerte ihn sehr an seine Mum. Und er vermisste sie heute gleich doppelt so sehr, wie sonst.

 

Wieder glitt sein Blick in die Ferne und verfing sich an den Bergen, die in tiefem Nebel hingen. Und dann gefror sein Blick.

Er hatte eine Idee, wo Al sein könnte!

 

 

 

 

Thirteen

 

Sie nahm an, sie konnte mit garantierter Sicherheit, eine Eule ihrer Mutter erwarten. Rose hatte sich nicht verabschiedet, hatte mit keinem von ihnen noch mal gesprochen, und es nervte sie jetzt schon. Sie war wirklich sauer auf Scorpius. Richtig sauer! Kurz hatte Presley mit ihr gesprochen, aber Rose hatte nicht wirklich der Sinn danach gestanden, und sie hatte ihm versprechen müssen, dass sie ein Gespräch nachholten. Immerhin war er nicht so von ihr verschreckt, dass er gar nicht mehr mit ihr sprach.

Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht verbreitet, dass Rose Albus krankenhausreif geschlagen hatte, und dass er tatsächlich im Mungo lag. Und vor allem den Slytherins gefiel diese Geschichte nicht, denn dann hatten sie keinen Quidditch-König mehr. Es war bereits düster draußen, und ihre Sorge steigerte sich langsam ins Unermessliche. Was ihr recht war, war, dass alle übrigen Schüler ihre Nähe mieden, da sie glaubten, sie sei gefährlich.

Hugo war den Rest des Tages über nicht aufgetaucht, und immerhin würde auch er eine böse Eule ihrer Mum bekommen. Auch Scorpius saß nicht am Slytherintisch. Dieser Mistkerl. Es war so unglaublich peinlich gewesen. So absolut furchtbar. Sie war froh und dankbar, dass niemand sonst mit im Büro gewesen war. Aber sie glaubte nicht, dass das schon das Ende wäre.

Aber im Moment wollte sie einfach nur, dass Albus wieder auftauchte. Sie hatte sich bisher wenig Sorgen gemacht, aber mit Einbruch der Dunkelheit waren ihre Ängste gekommen.

 

Was, wenn er einen Unfall gehabt hatte? Das Wetter war wirklich nicht gut. Und wenn Onkel Harry sämtliche Gasthöfe und Kneipen überwachen ließ – warum war er dann noch nicht aufgetaucht? Es herrschte gedrückte Stimmung am Gryffindortisch, niemand sprach wirklich, und nur von Lily bekam sie ab und an den obligatorischen zornigen Blick. Aber Rose hatte gerade keine Lust und keine Muße, ihre Cousine anzusprechen. Sie glaubte doch wohl nicht, dass sie Alby krankenhausreif geschlagen hatte? Hatte sie nicht. Hoffte sie. Er hatte heute Morgen nicht gut ausgesehen, aber… es war ihm gut genug gegangen, dass er sie im Krankenflügel besucht hatte. Außerdem war Lily schon seit Tagen schlecht auf sie zu sprechen. Sie hatte überlegt, Rumer zu erzählen, dass Alby sie besucht hatte, aber Rumer wäre wohl emotional verpflichtet, es James zu sagen. Und… es war Rose unangenehm. Es war alles unangenehm. Aber nichts war es wert, dass Alby einfach abhaute. Verdammter Potter!

 

Sie erhob sich abrupt. Die Köpfe wandten sich in ihre Richtung.

 

„Ich… hab keinen Hunger mehr“, erklärte sie sich kleinlaut, aber niemand widersprach. Einige nickten – außer Lily – und sie stieg über die Bank, um die Halle zu verlassen. Sie hörte die übrigen Schüler tuscheln, und am liebsten würde sie drohend die Fäuste schwingen. Aber sie war zu erschöpft heute. Ihre Hand war straff verbunden, und die Schmerzen waren längst abgeklungen. Madame Pomfrey hatte gesagt, sie müsse den Verband noch tragen, um sicher zu gehen, dass die schwachen Knochen nicht aus Versehen erneut brachen, denn frisch geflickte Knochen waren noch nicht sonderlich belastbar, solange die Magie noch wirkte.

 

Sie ließ die Geräusche der Halle hinter sich und trat auf den kühleren Flur. Sie erkannte ihn, gerade als er nach draußen verschwinden wollte. Schnell trugen sie ihre Beine.


„Hey!“, rief sie, noch immer absolut wütend. Scorpius hielt inne. Mehr oder weniger freundlich, und sah sie an. Am liebsten würde sie ihm seinen selbstgerechten, arroganten Blick aus dem Gesicht schlagen! Er regte sie auf! Jeden Tag, nur noch mehr!

 

„Was?“, entkam es ihm bitter – als hätte er jedes Recht dazu. Als hätte er das Recht, beleidigt zu sein! Er! Ausgerechnet!

 

„Was?!“, wiederholte sie gepresst. „Denkst du ernsthaft, das ist vorbei? Denkst du, du blamierst mich vor meiner Familie – und sechs Stunden später ist es vergeben und vergessen?“, fuhr sie ihn zitternd an, aber lediglich sein Kiefer spannte sich bei ihren Worten an. Sie wusste nicht, was er zurückhielt, aber es schien ihn Beherrschung zu kosten. Fast wünschte sie, dass er schreien würde. Aber das tat er nicht.

 

„Ich habe heute keine Lust mehr, Rose“, sagte er mit Bedacht, und fast hätte sie aufgelacht.

 

„Oh wow! Dann halte ich besser meine Klappe, hm? Der große Malfoy hat heute keine Lust mehr!“ Und fast dachte sie, er würde sie schütteln. Kurz regte sich etwas in seiner Haltung, aber wieder gewann seine ätzende Beherrschung.

 

„Hast du nicht irgendwo zu sein? Haare glätten? Miniröcke anziehen?“, erkundigte er sich abwesend, und sie verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Ich habe jedes Recht hier zu sein!“, entgegnete sie. „Und dich muss es nicht interessieren, was ich anhabe!“, ergänzte sie böser.

 

„Es interessiert mich auch nicht“, gab er gereizt zurück und wollte sich abwenden.

 

„Wo gehst du hin?“ Sie fragte ihn, einfach so. Es interessierte sie nicht mal! Sie wollte ihn einfach nur nerven, so wie er sie nervte.

 

„Nirgendwohin“, log er schlicht, aber sie verschränkte so gut es ging die Arme vor der Brust, so dass es nicht schmerzte. Er sah, wie sie den Mund verzog. Kurz wanderte sein Blick über ihren Verband. „Tut es weh?“, fragte er tatsächlich, aber sie hatte keine Lust, es zu diskutieren.


„Interessiert es dich?“, konterte sie ungläubig, und die Abwehr trat aus seinem kühlen Blick.

 

„Das heute - es wäre so oder so rausgekommen“, informierte er sie ruhiger und ihre Auge verengten sich knapp.

 

„Da bin ich mir nicht sicher. Aber vor allem garantiert nicht vor meinen Eltern! Oder Albys Eltern!“, entrüstete sie sich. „Oder deinem Vater!“, ergänzte sie atemlos. Seine Mundwinkel zuckten kurz.


„Meinen Vater interessiert es nicht. Er sagte mir heute, dass Inzest unter Reinblütern sehr gewöhnlich ist“, sagte er, und vor Ekel verzog sich ihr Mund. Und fast widerwillig antwortete sie.


„Ich bin kein Reinblut, also betrifft es mich nicht.“ Scorpius antwortete nicht, stattdessen atmete er sehr lange aus. Und sie wollte diese Stille nicht länger ertragen, also sprach sie weiter. „Mich belastet das, ok? Du… du hattest einfach nicht das Recht, diese Dinge zu sagen, nur weil dir gerade danach war“, informierte sie ihn, wesentlich ruhiger als vorher.

 

„Dein Vater hat mich beleidigt.“ Sie wusste nicht, ob es eine Rechtfertigung sein sollte, aber es klang fast so.


„Ich weiß. Und… das war nicht in Ordnung, aber-“

 

„-es belastet mich auch, Rose“, unterbrach er sie und fuhr sich resignierend durch die hellen Haare. „Auch wenn du es nicht glaubst“, ergänzte er, aber sie glaubte ihm. „Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt. Du hast Albus nicht gepachtet, er ist mein bester Freund, ok?“ Seine Worte trafen sie überraschend, und Röte trat in ihre Wangen.

 

„Ich wollte nie in irgendeinem Mittelpunkt stehen! Das… das ist nicht fair“, erwiderte sie, fast kleinlaut und schüttelte den Kopf. „Er ist auch mein bester Freund.“ Scorpius verdrehte die Augen.

 

„Weil er auf dich steht“, widersprach er bitter. Aber ihr Blick hob sich zornig.


„Nur weil du nicht nachvollziehen kannst, warum jemand mit mir befreundet ist, heißt es nicht, dass es für alle gilt! Mädchen können auch noch etwas anderes, als Klamotten kaufen und Haare glätten!“, zischte sie. „Und Alby und ich waren echte Freunde. Ohne… ohne all das andere! Schon immer!“ Er machte sie wütend. Schließlich schwiegen sie beide.

 

„Es ist nicht meine Schuld, dass das passiert ist“, sagte er irgendwann, ohne sie anzusehen.

 

„Aber es ist meine Schuld?“, wollte sie fast empört wissen, und er stöhnte gereizt auf.


„Nein, das habe ich nicht gesagt! Es… es ist Als Schuld“, kam er bitter zu dem offensichtlichen Schluss. Und mental pflichtete sie ihm bei.

 

„Du… hättest es Onkel Harry trotzdem nicht ins Gesicht sagen müssen.“ Und zuerst dachte sie, den Zorn in seine Augen zurückkehren zu sehen, aber müde sah er sie schließlich an.

 

„Ich weiß“, räumte er tatsächlich ein. „Ich… weiß das.“ Und ihre Wut verrauchte sehr plötzlich. Sie hatte… alles gesagt, was sie störte. Und er hatte es eingesehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich war sauer auf Al“, sagte er offen.

 

Und sie versuchte ihr Glück erneut. „Was willst du draußen?“, fragte sie ihn ruhiger, und er mied ihren Blick. „Es ist dunkel, es regnet – willst… willst du… ihn suchen?“, fragte sie fast tonlos, denn danach sah es aus! „Scorpius?“, drängte sie ihn fast, und er blickte gedankenverloren zur Seite. „Ich will ihn auch finden“, beteuerte sie still. „Wir haben Probleme, aber… ich will einfach nur, dass er wiederkommt.“

 

Scorpius atmete lange aus, bevor er sich kurz umsah, aber sie waren allein. „Du kannst nicht mitkommen“, sagte er bestimmt.

 

„Wohin willst du?“, flüsterte sie praktisch, aber er schüttelte entschuldigend den Kopf.

 

„Geh wieder rein. Ruh dich aus“, bemerkte er mit Blick auf ihren Verband. „Wir sehen uns“, verabschiedete er sich sehr kurz angebunden, und dann ließ er sie stehen und schlüpfte nach draußen. Allerdings war es ihr gleichgültig und sie folgte ihm. Draußen wehte ein scharfer Wind.

 

„Warte!“, rief sie ihm nach, und der Wind schluckte ihre Stimme. Er wandte sich um, und der Wind zerrte an seinen hellen Strähnen, sie sah es auch in der Dämmerung. Regen durchnässte sie ziemlich schnell.

 

„Geh wieder rein, ich meine das ernst!“, rief er, aber sie lief ihm nach. Er zog sich die Kapuze seiner Jacke über den Kopf, und sie tat dasselbe mit ihrer dicken Trainingsjacke. „Rose!“, ermahnte er sie zornig, aber sie ignorierte ihn, lief neben ihm den dunklen Weg entlang und erkannte, er war unterwegs zu den Quidditchzelten. Schweigend rannten sie die letzten Meter und stoben durch den Eingang. Sie waren komplett durchnässt.

 

„Was hast du vor?“, entkam es ihr atemlos und sie zog sich die nasse Kapuze vom Kopf. Gereizt sah er sie an.

 

„Geh wieder zurück, Rose!“ Er klang nicht sonderlich in der Stimmung, um weiter zu diskutieren, aber sie wollte es wissen.

 

„Wieso sagst du es mir nicht?“, fuhr sie ihn wütend an. Und diesmal war er genauso zornig.

 

„Ich werde dich garantiert nicht mitnehmen, ok?“ Er war wütend, er wirkte so… verzweifelt.

 

„Mitnehmen wohin?“ Sie wusste, dass sie übertrieb. Sie wusste das. Aber sie konnte nicht einfach hier bleiben und gar nichts tun! Wasser perlte über sein Gesicht, und er wischte sich aggressiv die hellen, nassen Strähnen aus der Stirn.

 

„Du bist so absolut-!“, begann er zornig, aber sie unterbrach ihn ebenso laut.

 

„-du bist selber schuld!“, fuhr sie ihn an. „Du redest mit keinem, sagst keinem wohin du verschwindest – nicht mal Dom! Und dann was? Du willst mitten in der Dunkelheit losfliegen? Es ist gefährlich, Scorpius! Und ich will helfen! Ich will… irgendetwas tun!“ Sie klang so verzweifelt, dass es sie selber ankotzte. Und er atmete zornig aus.

 

„Ab und zu… sind wir hoch geflogen. Ins Gebirge. Da… ist eine Höhle. Nicht wirklich, aber… sie ist groß genug, um unterzukommen“, schloss er gereizt. „Und du“, fuhr er fort und deutete auf ihre Hand, „kannst keinen Besen fliegen, verdammt!“

 

„Denkst du, er ist oben im Gebirge?“, entkam es ihr atemlos. „Bei diesem Wetter?“

 

„Ich weiß es nicht!“, blaffte er zornig, aber… es war kaum Sorge, als eher Verzweiflung. Dieselbe Verzweiflung, die sie auch verspürte. „Und ehrlich gesagt, will ich nicht darüber reden. Ich will nicht ausdiskutieren, ob es eine gute oder eine scheiß Idee ist. Ich will einfach… weg“, schloss er fast tonlos. „Und du kannst nicht mit“, ergänzte er wieder. „Du darfst überhaupt nicht hier sein!“, schloss er rau. „Du kannst es nicht rechtfertigen – ich kann es nicht rechtfertigen, und am besten gehst du zurück ins Schloss.“ Wieder sah er sich beinahe schuldbewusst um, als könne sie hier irgendjemand hören, als wären sie… nicht alleine.

 

„Ich kann es rechtfertigen, verflucht!“, widersprach sie sofort. „Nicht alles, was wir tun ist verboten oder romantisch, verdammt noch mal! Eigentlich nichts ist romantisch“, entfuhr es ihr wütend. „Deine Angst ist in deinem verdammten Kopf!“, knurrte sie ungehalten. Sein Blick fiel, und er begann durch das Zelt zu wandern.

 

„Ich… ich hätte mit ihm reden müssen“, knurrte er, ohne sie wirklich anzusehen. „Schon längst. Schon seit… seit dem Urlaub“, entkam es ihm. „Aber ich habe mich geschämt und… ich wusste nicht, was richtig war. Und ich… bin so ein Arschloch und habe es soweit kommen lassen, weil ich Angst hatte, er kündigt mir die Freundschaft, wenn ich ihm das mit dir erzähle“, entfuhr es ihm. Rose blinzelte verblüfft. Dann hob sich sein Blick. „Und jetzt… ist er weg.“ Mit einem Mal wirkte er so verzweifelt, so ehrlich überfordert, dass es sie kurz lähmte. Innerlich und äußerlich. „Und ich brauche meinen besten Freund. Ich… muss mit ihm reden, und… diese ganze Scheiße soll aufhören. Ich verstehe nicht, seit wann Mädchen so wichtig sind. Seit wann das, was wir fühlen, uns tatsächlich auseinanderbringt!“ Sie hatte darauf keine Antwort, sie wusste nur – sie empfand genauso. Genauso!

 

„Ich weiß“, flüsterte sie, aber er hörte ihr nicht wirklich zu.

 

„Und heute…- ich habe es gesagt, weil… ich wollte, dass es aufhört! Dass es die Erwachsenen regeln, denn… wofür sind sie sonst gut? Ich wollte… dir nicht wehtun oder ihm oder – irgendwem! Ich wollte einfach nur-“

 

„-ich weiß“, unterbrach sie ihn wieder.

 

„Tust du das?“, wollte er ungläubig wissen und wandte sich ihr zu. „Verstehst du überhaupt, wie es ist?“ Er glaubte ihr nicht.

 

„Denkst du, für mich ist das einfach?“, flüsterte sie. „Ich habe nicht darum gebeten, dass Alby… mich so sieht. Dass er so empfindet. Merlin, ich bereue diesen Sommer so sehr, denn für mich hat sich alles geändert! Und ich kann es niemandem sagen. Es fühlt sich so furchtbar an, Scorpius“, entkam es ihr verzweifelt. „Und – keine Ahnung! Ich will, dass es so ist wie vorher. Ich… weiß, es ist egoistisch und dumm, aber…“ Und wieder spürte sie die Tränen. „Scheiße“, fluchte sie unterdrückt und wischte sich über die Augen. Unschlüssig standen sie voreinander. Trotzig hob sich ihr Blick. „Und ich will verdammt noch mal nicht darüber nachdenken müssen, ob es verboten ist, mit irgendwem meine Zeit zu verbringen. Wenn ich hier bei dir sein will, dann will ich verflucht noch mal hier sein, und mich nicht fragen, ob ich es darf!“ Es störte sie. All diese ungeschriebenen Regeln und Gebote der Höflichkeit zerrten an ihr.

 

„Du willst hier sein?“, wiederholte er ausdruckslos.

 

„Wo soll ich sonst sein?“, entkam es ihr schniefend. „Du bist der einzige, der sich genug Sorgen macht und in der Dunkelheit losziehen will, um Alby zu suchen! Und ich soll… im Schloss bleiben, nicht darüber reden und einfach abwarten? Nein, das mache ich nicht!“ Sie verschränkte vorsichtig die Arme vor der Brust. „Und nein, ich möchte meine Zeit nicht mit dir verbringen, aber… du bist… der einzige, mit dem es… Sinn macht. Der einzige, mit dem ich-“ Sie schwieg abrupt. Was redete sie denn da? Was genau faselte sie da eigentlich? Sie war entsetzlich erschöpft.

 

„Was?“, entkam es ihm nahezu tonlos.

 

„Ich meine… was anderes! Es klingt...- ich meine was anderes, verdammt!“, fuhr sie ihn heiser an.

 

„Was meinst du?“, wollte er plötzlich wissen und fixierte sie. Unbewusst kam sie ihn näher, und instinktiv eigentlich nur, weil er sie wieder aufregte, weil sie ihn… schubsen wollte… weil sie ihm deutlich machen wollte, dass sie garantiert nichts Verwerfliches meinte, dass sie…- sie wusste es nicht!

 

„Ich… ich meine, dass…!“ Sie sah zu ihm auf, hatte die Arme in Ermangelung besserer Worte verzweifelt gehoben. „Wir…- du-!“ Ihr Magen schmerzte sehr plötzlich, als dieses seltsame Gefühl sie durchzog. Sie war ihm zu nahe, und erst jetzt fiel es ihr wirklich auf. Kurz war das Geräusch des Regens auf dem Zelt unwirklich laut. Und plötzlich verstand sie, was er meinte. Mit einem Mal sah sie es so klar, dass es fast innerlich schmerzte.

Es war falsch. Er hatte Recht. Und sie war einfach nur bockig und handelte so dumm und unüberlegt, wie sie es immer getan hatte.

Wieso tat sie immer das Falsche? Wieso merkte sie es nicht mal? Sie hatte es gestern nicht gemerkt, als Dom sie wie eine Puppe geschminkt und angezogen hatte, sie hatte es im Sommer nicht gemerkt, als sie bewusst und offensichtlich einfach nur getan hatte, was sie selber für richtig empfand. So viele Dinge kamen ihr plötzlich in den Sinn. So viele Fragen. Fragte sich Dom wohl, wo er war? War es aufgefallen, dass sie beide fehlten? Und seit wann bedeutete das mehr, als es sonst bedeutet hatte? Und das Gefühl, was sich gestern bei Presley nicht hatte einstellen wollen, kam mit einem Mal zurück. Es war kalter Herbst, und sie standen vollkommen durchnässt im Quidditchzelt der Slytherins, und doch war es das Gefühl, was sie erst einmal inmitten der Fluten der Nordsee verspürt hatte. Sie blickte hoch in seine grauen Augen, und es war übermächtig. Dieses… verdammte Gefühl! Seine Augen flogen über ihr Gesicht, und… sie hielt es nicht mehr aus.

Es ging nicht mehr.

 

Sie schloss den Abstand – er schloss den Abstand! Irgendwie bewegten sie sich gleichzeitig. Irgendwie war es egal! Immense Ungeduld trieb sie, und ihre Hände griffen in seinen Nacken, fanden irgendwie den Weg nach oben, und die Luft zwischen ihnen verschwand. Es übertraf jede ihrer Erwartungen an diesen Tag, es überforderte sie, und gleichzeitig – fühlte es sich so richtig an! Ihre Lippen waren heiß, im Gegensatz zu seinen, und unbeholfen presste sie sie gegen seinen Mund. Sie spürte, wie er zunächst nicht reagierte, wie er sich praktisch versteifte, wie die unerwarteten Wellen ihn erst erfassten, und fast wollte sie wieder weinen, weil es so falsch war. Kurz dachte sie an die Distanz, die sie erst heute so deutlich gespürt hatte, an den offensichtlichen Hass ihres Vaters, den Streit, den sie immer wieder hatten, einfach weil sie sich nicht verstanden – und dann zog er sie an sich!

In einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Seine Hand schlang sich um ihren Nacken, und innerhalb einer Sekunde wandelte sich diese unüberlegte, kindische Aktion in etwas absolut Sinnliches, und es verschlug ihr den Atem, als seine Erfahrung ihre Unbeholfenheit ablöste, und ungeduldige Hitze stieg in ihre Wangen. Seine Lippen bewegten sich gegen ihre, und von Erregung getrieben öffnete sie den Mund, presste sich enger an ihn, und sein Kopf fand einen anderen Winkel, und heiß stieß seine Zuge nach vorne. Schwarze Punkte tanzten vor ihren geschlossenen Augen, und sie reagierte so schamlos.

So viele Nächte hatte sie von diesem Kuss geträumt, und niemals hätte sie geglaubt, dass dieser Kuss eine Wiederholung finden würde, und unfassbarerweise fühlte es sich genauso fantastisch an, wie das erste Mal! Niemals hätte sie sich eingestanden, dass sie es noch mal wollte! Niemals hätte sie es zugegeben! Es zog in ihrer Mitte, schickte direkte Erregung zwischen ihre Beine, und als er sich sehr plötzlich von ihr löste, den Kuss fast abrupt beendete, wäre sie fast nach vorne gestolpert, so überraschend passiert es.

 

Ihre Lider flatterten auf. Seine Augen waren fast silbern, so intensiv war der Glanz, und seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Seine Hände fielen von ihrem Körper, und nur zu schnell erfasste sie dieses Mal das Schamgefühl, das schlechte Gewissen, aber dieses Mal rannte sie nicht weg. Sie blieb genau hier stehen. Es war so vertraut, und doch war es dieses Mal alles anders.

 

„Geh“, entfuhr es ihm rau, so vollkommen ausdruckslos, und sein Blick war… nicht zu deuten. Was? Sie atmete stockend, und ihr Herz pochte laut in ihrer Brust.

 

„Was?“, wisperte sie heiser, aber unwirsch schüttelte er den Kopf.


„Geh, Rose!“, wiederholte er gepresst, und ein Glanz legte sich über seinen Blick. Tränen füllten seine Augen. „Ich… ich will das nicht!“, entfuhr es ihm verzweifelt. Und fast glaubte sie ihm. Fast. Aber nicht ganz. Und es war ihr elender Stolz, der ihm nicht glaubte. Und noch war sie zu benebelt, noch fühlte sie sich zu erregt, um durch seine Worte verletzt zu sein. Und sie wusste, es ließ ihn nicht kalt! Nichts hiervon! Und sie konnte nicht gehen. Sie wollte… ihn berühren. So furchtbar diese Tatsache auch war. Niemand hatte sie dieses Mal beobachtet. Es bedeutete gar nichts, wenn sie niemand sah, oder? War es nicht so? Wieder sprach er, störte ihre Gedanken. „Ich… kann es Dominique nicht antun“, entkam es ihm verzweifelt, und sie hörte seine Worte kaum, ließ ihn nicht aus den Augen, wollte den Blick nicht mal senken. Und… ihr war Dom egal. Zum zweiten Mal in ihrem Leben, war ihre Cousine ihr egal. Sie wollte… ihn einfach spüren. Und sie handelte, griff nach seinen Händen und legte sie, trotz seines Widerwillens auf ihre Hüften, rückte näher an ihn, und er blinzelte überrascht. Sein Mund öffnete sich verzweifelt, und sie sah die Abwägung, sah wie seine Mauer bröckelte.

 

„Sie… war immer für mich da!“, fielen die nächsten Worte wenig überzeugend aus seinem Mund, und seine Entschlossenheit schwand schneller. Unter ihren Wimpern sah sie zu ihm auf und fasziniert legten sich ihre Hände wieder auf die nasse Kleidung über seiner Brust. Seine Hände blieben unbewegt auf ihren Hüften liegen. „Ich… liebe sie“, wisperte er mit glasigen Augen, es fiel ihm schwer zu sprechen, und sie wusste nicht, was mit ihr los war. Diese Worte sollten mehr in ihr auslösen – vor allem Schock über ihr unfassbares Verhalten, aber… das passierte nicht. Vielleicht war sie anders erzogen worden. Vielleicht war es so, dass man seine eigenen Bedürfnisse niemals vor das Recht eines anderen stellen sollte. Das Schlimme war, dass sie seine Worte erregten, obwohl sie das genaue Gegenteil bewirken sollten. Ihr Herzschlag pochte in ihrem Hals, und alleine das eigenartige Gefühl von Macht ließ sie sprechen, denn der Effekt, den sie auf ihn zu haben schien, alleine durch ihre Nähe, berauschte sie.

 

„Berühr mich, Malfoy“, flüsterte sie mit klopfendem Herzen, und sein Mund fiel praktisch auf. Seine Pupillen weiteten sich automatisch, seine Atmung flachte ab, und es war einfach schmerzhaftes Verlangen, was sie so vollkommen rücksichtslos handeln ließ. Es hatte nichts mehr mit Moral zu tun. All die seltsam angestaute sexuelle Energie hatte ein Ventil gefunden. Ausgerechnet jetzt. Ausgerechnet heute! „Bitte“, entkam es ihr, und obwohl sie sich schämte, konnte sie nicht anders. Geschockt atmete er aus, und sein heißer Atem traf ihr Gesicht. Sein ganzer Körper schien die nächste Entscheidung zu treffen, und sie fühlte sich kurz sehr schlecht, weil ihr Körper seinen manipulieren konnte, aber es war ein unglaubliches Gefühl. Absolut überwältigend.


„Fuck“, knurrte er ungehalten, und sie sah, wie er alle seine Prinzipien, seine Argumente über den Haufen warf, wie sein Körper seine Worte Lügen strafte. „Scheiß drauf!“, kam es noch rau über seine Lippen, und es zog in ihrer Mitte. Diese… Fassade der guten Vorsätze verschwand, zerfiel innerhalb von Sekunden, und der nächste Kuss war anders! Grollend küsste er sie, verschlang ihre Lippen, und seine Zurückhaltung war verschwunden. Nichts davon war mehr da, und sie wusste, es war die Neugierde, gepaart mit der Verzweiflung, die sie empfand. Sie wollte diesen furchtbaren Tag vergessen. Sie erkannte sich selbst nicht mehr, wusste nicht mehr, wer sie war – und fast tat es ihr leid wegen Dom, aber… nicht mal wirklich! Das war falsch, ja. Das wusste sie, aber sie konnte sich gerade nicht dafür erwärmen, sich darum zu scheren. Ungeduldig bewegten sich seine Hände, griffen in ihre Jacke und zerrten sie ihre Arme hinab. Kurz stöhnte sie schmerzhaft auf, denn der Ärmel verfing sich an ihrem Handgelenk, und er unterbrach den Kuss.

 

„Tut… mir leid“, entfuhr es ihm atemlos, aber sie schüttelte ablehnend und ungeduldig den Kopf, wollte nicht reden und zog sich den Ärmel selber aus, bevor sie sich wieder an ihn presste. Es war kühl im Zelt, und unwillkürlich zitterte sie in seinen Armen. Wieder löste er sich von ihren Lippen und schlotternd hob sich ihr Blick. Resignierend atmete er aus. „Was machen wir hier?“, wollte er unter schweren Atemzügen wissen.

 

Ihr Mund öffnete sich. Ihre Lippen waren mittlerweile geschwollen, und erschöpft atmete sie aus.

 

„Ich…- keine Ahnung“, flüsterte sie schließlich, und allein die unsägliche Kälte brachte ein wenig Sauerstoff und einen Hauch von Vernunft in ihren nutzlosen Verstand.

 

„Das ist eine… richtig dumme Idee“, sagte er überfordert, presste sich die Handflächen vor die Augen, und sie biss sich auf die Lippe. „Hör zu“, sagte er gequält, als seine Hände wieder sanken, „ich… will das, aber…“ Ihr Herz machte sehr kurz einen Satz. „Ganz klar, will ich das“, wiederholte er verzweifelt, „aber… es ist falsch“, schloss er stiller. „Und hier in diesem scheiß Zelt, während du erfrierst – es ist… einfach falsch.“ Und sie wusste, er hatte Recht. „Rose-“

 

-schon gut“, unterbrach sie ihn beschämt, bückte sich nach ihrer nassen Jacke, und quälte sich wieder in die nassen Ärmel. Was tat sie bloß?! „Ich…- das war…. Du und Dom-“

 

„-nicht“, sagte er sofort, und klang bitter. „Das… das mit Dominique ist… vorbei“, entfuhr es ihm tonlos. Sie blinzelte. Meinte… er das ernst? Hatte er nicht gerade vollkommen anders reagiert?

 

„Was?“, entfuhr es ihr mit großen Augen, und tatsächlich erntete sie seinen ungläubigen Blick.

 

„Denkst du, ich kann ihr noch in die Augen sehen? Denkst du ernsthaft, ich kann… noch mit ihr… schlafen, wenn… ich hier in diesem Zelt, ohne Skrupel mit dir rumknutsche? Wenn ich… mich kaum davon abhalten kann?“, wollte er aufgebracht wissen, und ihr Blick fiel. Sie hatte darüber nicht nachgedacht, hatte überhaupt nicht daran denken wollen.

 

„Das… das wollte ich nicht“, entfuhr es ihr leise. Fast lachte er auf.

 

„Nein?“, wollte er erschöpft von ihr wissen, und ihr Blick hob sich wieder.

 

„Ich wollte nur…“

 

„Was?“, fragte er sie, und unglücklich verzog sie den Mund.

 

„Ich weiß nicht, warum ich es will“, wisperte sie. „Ich… will es einfach.“ Sie klang wie ein Kind. Und dann sah er ihr direkt in die Augen.

 

„Willst du… das nächste Woche auch noch?“, fragte er sie, und ihr Mund öffnete sich perplex.

 

„Was willst du damit sagen?“ Dumpfe Schläge tat ihr Herz. Was… meinte er damit?! Er schluckte schwer.

 

„Wenn… ich sie verlasse“, begann er, und sie öffnete überfordert den Mund, aber er hob die Hände. „Nicht, dass es Zukunft hätte! Das hier! Das hätte es nicht! Es würde… niemals gutgehen und… Dominique würde… absolut unglücklich sein- und… dein Vater…-“ Er führte den Gedanken nicht zu Ende, schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. „Aber… unter uns…?“ Sie starrte ihn an. Bot er ihr an, dass sie heimlich… Sachen tun konnten? Seine Unsicherheit trat deutlich auf seine Züge.

 

„Du würdest sie verlassen, um…?“

 

„Ja“, beantwortete er ihre offene Frage beinahe ruhig, beinahe gefasst. Gefasster, als sie bei dieser Aussicht war. Sie dachte in verbotenen Momenten, kurzen Phasen. Sie dachte nicht an… langwierige Sachen. Aber… er schien es zu tun. Weil er mehr Erfahrung hatte, als sie. Sie war… unentschlossen. „Du willst Dinge, und… ich will auch gewisse Dinge“, schloss er dunkel. Sie ging sehr stark davon aus, dass ihr moralischer Kompass irgendwann wieder funktionieren würde, und sie wusste nicht, ob sie dann noch objektiv über so ein Angebot nachdenken konnte. „Mir ist seit Wochen klar, dass es mit Dominique nicht… mehr funktioniert. Und… das hier“, er deutete auf sich und sie, „scheint einer der Gründe zu sein. Und vielleicht… lohnt es sich, das zu… hinterfragen?“ Roses Herz schlug wieder verräterisch schnell. Er wollte eine Basis schaffen. Eine… geheime Basis, die ihnen erlaubte, diese Sache zu ergründen, zu hinterfragen. Und es klang… verlockend. Und es schickte erneute Erregung in ihren unterkühlten Körper.

 

„Und… und dann?“, wollte sie unsicher wissen. „Ich meine… wie lange wollen wir…?“ Sie konnte es sich nicht wirklich vorstellen, hatte keine Ahnung, wie es funktionieren sollte, aber so konkret schien er es selber nicht zu wissen.

 

„Keine Ahnung“, entkam es ihm, aber sein Blick war stechend, ließ ihr Herz wieder schneller schlagen.

 

„Was… was ist mit Presley?“ Fast wollte sie nicht fragen, fast… wollte sie lieber rennen, aber sie tat es nicht.

 

„Was ist mit ihm?“, wiederholte er offen die Frage. Sie blinzelte knapp. „Du bist hier. Nicht bei Presley, oder?“, ergänzte er eindeutiger, und ihre Lippen teilten sich. Es stimmte. Sie vertröstete Presley, wollte nicht mit ihm reden, hatte erst gestern massive Panik gehabt, dabei… war Presley derjenige, der besser geeignet wäre! Der nicht mit ihrer Cousine zusammen war, der… ihr eine Zukunft bieten könnte. Aber… Presley war nicht derjenige, den sie jetzt gerade berühren wollte. Scheiße. Das war doch einfach scheiße. „Das hier“, begann er wieder, „wäre niemals offiziell!“, beteuerte er kopfschüttelnd. „Du kannst Presley immer noch… haben, wenn du willst. Das ist mir egal.“

 

Was? Sie begriff nicht wirklich. „Es ist dir egal?“, wiederholte sie verständnislos.

 

„Auf lange Sicht“, bestätigte er. Auf lange Sicht war es ihm egal. Kurz begriff sie, dass das hier eine Nutzen-Zweck-Beziehung sein könnte. Und kurz wusste sie nicht, was das heißen sollte. „Mach es nicht kompliziert, Rose“, warnte er sie plötzlich, denn vielleicht konnte er sehen, wie sie nachdachte. „Ich habe keine Antworten für dich. Scheiße, ich weiß nicht mal, was ich wirklich will!“, entfuhr es ihm. „Ich weiß, dass ich Dominique dieses Scheißverhalten nicht antun kann! Dass ich nicht mir ihr zusammen sein kann, wenn ich… dich berühren will“, schloss er atemloser, und wieder durchflutete die Erregung sie. „Und du… kannst es niemandem sagen. Al nicht, deinen Eltern nicht – Merlin, Hugo auf keinen Fall!“, fiel ihm spontan ein, und sie nickte, während sie abwesend auf ihrer Lippe kaute.

 

Für eine Sekunde begriff sie, wie weit sie gekommen waren. Wie absurd es war, dass… sie tatsächlich hier voreinander standen und überlegten, ihre Familien zu hintergehen. Scorpius Malfoy. Es war Scorpius Malfoy, der vor ihr stand! Ihre Eltern würden sie umbringen. Umbringen!

Und das allein… erregte sie schon wieder. Sie nahm an, sie war krank. Wirklich krank. Denn sie hörte zwischen den Zeilen. Scorpius wollte sich Dom gegenüber nicht scheiße verhalten – ihr gegenüber schon. Er hasste ihre Familie, wollte nichts mit Albus versauen, aber… ihr gegenüber war es scheiß egal. Und es sollte sie schockieren, es sollte sie verletzen, aber… sie dachte genauso! Es war… keine Zuneigung. Es war keine Liebe, soweit sie davon überhaupt Ahnung hatte. Es war… einfach Lust. Sie hatte Lust darauf! Auf diese verbotene Scheiße. Wirklich Lust. Unfassbare Lust. Und sie wusste, auf lange Sicht… war es zerstörerisch und furchtbar und…- leider konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es furchtbar werden würde. Jetzt gerade nicht.

Aber plötzlich überkam sie das schlechte Gewissen.

 

„Wir… sind so scheiße“, flüsterte sie plötzlich. „Alby ist verschwunden und wir… sind einfach nur egoistisch.“ Denn das war eine unumstößliche Sache. Und sie wusste, Dom sollte ihr leidtun! Die arme Dom sollte ihr leidtun, und garantiert nicht Alby, der sie beleidigte und freiwillig abgehauen war. Aber… so krank war sie eben! Dom tat ihr nicht leid.

 

„Er… wird wieder auftauchen. Garantiert“, sagte Scorpius fast kalt.

 

„Sollten… sollten wir darüber nachdenken? Ich meine… darüber schlafen, oder-?“

 

„-das mit Dominique ist vorbei. Ich… habe sie ziemlich offiziell betrogen, und… sie verdient besseres als das“, stellte er lediglich fest. „Das hier… wenn du darüber schlafen musst, dann tu das.“ Abwehr huschte kurz über seine Züge. Er würde Schluss mit Dom machen. Wow. Das war… erheblich. Er war schon solange mit Dom zusammen, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, wie… er es nicht mehr war. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er es tun würde.

 

„Falls du mit ihr Schluss machst…“, begann sie, unsicher, tonlos, und er hielt ihrem Blick stand.

 

„So oder so“, entgegnete er still. Sie sah den Schmerz auf seinen Zügen, seine grenzenlose Unsicherheit. Und ihr Körper trieb sie. Ihr Verstand wachte langsam auf, aber ihr Körper gewann diesen Kampf jetzt gerade. Sie schloss den Abstand, ohne nachzudenken, und alleine seine Körpersprache ließ sie ahnen, wie sehr er es wollte. Alleine, weil sie es spüren konnte, handelte sie überhaupt. Fast ging sie auf die Zehenspitzen, aber er kam ihr entgegen, schlang die Hand um ihren Nacken, bog ihren Kopf nach hinten, und sie spürte seine Ungeduld, spürte seine Lust, und so falsch es war… so verdammt richtig fühlte es sich jetzt gerade an.

 

Und als ihre Lippen sich zu einem letzten Kuss trafen, erkannte Rose zum ersten Mal, dass sie ein Arschloch war.

 

 

 

 

Fourteen

 

Er hatte nicht geschlafen. Ab und an hatten ihn Albträume heimgesucht, aber nicht lange. Die meiste Zeit hatte er wach gelegen, nichts wahrgenommen und blind an die Decke gestarrt. Das Mondlicht hatte sich über dem unruhigen Wasser des Sees bewegt, und er hatte keinen klaren Gedanken fassen können.

Es war früher Morgen, er hatte sich stoisch angezogen, und Hunger verspürte er nicht. Nur Angst. Hundert Mal war in seinem Kopf durchgegangen, was er tun sollte. Was er sagen sollte. Ob es ein Fehler war.

Hundert Mal hatte er Dominiques Gesicht vor sich gesehen – ihr wunderschönes Gesicht! Sie war schöner als Rose! Aber selbst, wenn er sich versuchte einzureden, dass sie schöner war – dann überkam ihn die Erregung dennoch nur, wenn er an Rose dachte.

Es war egal. Er hatte Dominique betrogen. Er konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Es war egal, wer schöner war. So was von scheiß egal! Es war vorbei. Ob er Schluss machte oder nicht – in seinem Kopf war es vorbei.

Was er gestern gefühlt hatte, war fast unwirklich gewesen. Merlin, hatte er sie gewollt! So ein Verlangen war unmenschlich gewesen! Und er war sich nicht mal sicher, was er alles gesagt hatte.

Es war ein immenses Risiko! Und das für Rose Weasley. Und er hatte gar nicht gewusst, wie weit er überhaupt bereit war, zu gehen – bis er es sich hatte sagen hören. Und ihr Blick… wie sie ihn angesehen hatte! Fast wäre er in seiner Hose gekommen. Merlin, dieses Mädchen regte etwas in ihm, was er nicht kannte.

 

Hatte er nicht gestern noch seinem Vater versichert, da wäre nichts? Hatte er sich nicht gestern noch mit ihrem Vater angelegt?

Und war es das? War es verlockend, dass sie ihn wollte – gerade weil ihre Familie so sehr dagegen war? Merlin, es war lächerlich, oder? Sein Herz schlug schwer und schnell, und ihm war so übel, als stünde er vor einer Prüfung, für die er nicht gelernt hatte. Es konnte nur schiefgehen.

Er dachte an Hugos Worte – an all seine Beteuerungen! Er liebte Dominique. Oder tat er das schon lange nicht mehr? Nicht, dass es zählte. Es war vorbei, so oder so.

 

So oder so. Das hatte er gesagt. Es hatte ihn verletzt, als sie sagte, dass sie darüber schlafen wollte. Und er wusste nicht mal, warum. Er wusste nicht, warum es seinen Stolz verletzte, dass sie darüber nachdenken wollte. Dass sie überhaupt Presley angesprochen hatte. Es hatte ihn verletzt! Und er hatte sie mehr gewollt danach. Und es war krank und falsch – und er wusste nicht weiter.

Er wusste nur, er musste Schluss machen. Und diese Dinge lenkten ihn davon ab, dass das Bett seines besten Freundes diese Nacht leer geblieben war.

Und garantiert wäre Al niemals hoch ins Gebirge geflogen. Niemals. Er würde irgendwo untergekommen sein – wenn nicht in Hogsmeade, dann vielleicht in der Stadt! Denn Al war viel zu bequem, um irgendwelche Strapazen auf sich zu nehmen. Und er musste gestehen, Al war ihm gerade fast nicht so wichtig.

Er war so scheiße. Er war so ein schlechter Freund – aber Al war auch ein schlechter Freund!

 

Er sparte sich das Frühstück, quälte sich mit Mühe zum Unterricht mit den Hufflepuffs, sprach mit keinem, meldete sich nicht, schrieb nicht einmal mit, was Professor Binns‘ monotone Stimme von sich gab, und die Zeit bis zum Mittagessen, verging in einem zähflüssigen Wachtraum, so kam es ihm vor.

 

Und als er den anderen folgte, als er die Große Halle zum Mittag betrat, befiel ihn Angst und Panik und seine Arme wurden taub, als er Dominique sah, die nach ihm Ausschau hielt. Er erkannte sofort, dass Rose nicht da war. Sie war nicht in der Halle. Und vielleicht ging es ihr genauso schlecht? Er würde niemals mehr in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors dürfen, ging ihm auf. Er wäre… ausgestoßen. Er wäre… ein gewöhnlicher Slytherin. Egal, ob er heimlich Dinge mit Rose tat.

Rose…. Immer wieder dachte er an sie. Fast wollte er sie sehen, um zu wissen, dass er nicht geträumt hatte. Er musste furchtbar aussehen, denn kaum hatte Dominique ihn erreicht, weiteten sich ihre Augen.

 

„Scorpius! Was ist los? Du siehst schlecht aus. Alles in Ordnung?“ Sie machte sich Sorgen. Ehrliche Sorgen. „Wo warst du gestern Abend? Und heute Morgen? Ich habe mir Sorgen gemacht!“

 

Oh Merlin. Und er musste die Tränen aus den Augen blinzeln, als er mit sanfter Gewalt ihre Hände von seinen Armen löste. Alles passierte wie in Schaum und Watte um ihn herum. Er nahm gar nichts wahr, hörte das Treiben um ihn nicht.

 

„Dominique“, sagte er tonlos, konnte sich nur auf ihr Gesicht konzentrieren. Ihr schönes Gesicht, was er nicht mehr in seinen Händen halten würde, was ihn niemals wieder anlächeln würde.

 

„Scor, was ist denn?“ Angst zuckte über ihre Züge. Und er hielt es nicht länger aus. Er konnte nicht länger warten. Jede weitere Sekunde machte es nur schlimmer, tat ihr nur noch mehr weh, und er begriff – er hätte es vor Wochen schon tun müssen.

 

„Es ist vorbei“, flüsterte er mit weiten Augen. Eine Träne fiel auf seine Wange. Ihr Mund öffnete sich. Sein Puls dröhnte in seinen Ohren.

 

„Was? Was ist vorbei?“ Sie begriff nicht mal, bezog es nicht mal auf sich, und er machte einen Schritt zurück. Er musste das tun. Er musste, auch wenn es ihm falsch vorkam! Er musste! Er wollte nicht, sein Körper rebellierte stark, er zitterte plötzlich. Aber er musste Abstand zwischen sich und sie bringen. Er konnte es sonst nicht.

 

„Das“, wisperte er. „Mit uns. Es ist vorbei“, wiederholte er, beinahe ungläubig. Niemals hätte er geglaubt, diese Worte zu sagen. Und kurz – sehr kurz – hatte er eine eigenartige Epiphanie. Fast war er plötzlich überzeugt, dass es ein Trick war. Dass Rose Weasley ihn nur benutzt und ausgetrickst hatte – dass sie es zusammen mit ihrem Bruder so geplant hatte, um ihn aus dem Weasley-Clan zu werfen, und dass, wenn er zu ihr ging, zu Rose, dann würde sie ihn auslachen, ihn dumm schimpfen und sie würde Dominique sagen, was für ein Schwein er war. Kurz glaubte er, ohnmächtig zu werden.

 

Und dann stellte sich sein Gehör wieder ein, sein Instinkt riss ihn zurück ins Hier und Jetzt.


„Was?!“ Dominiques Stimme war schrill, und ungläubig starrte sie ihn aus den hellblauen Augen an. „Was hast du gesagt? Ist das dein verdammter ernst, Scorpius Malfoy?“, schrie sie praktisch, und nun wich er instinktiv einen Schritt vor ihr zurück. „Das… das meinst du nicht ernst!“, behauptete sie außer sich. „Es ist, weil Albus weg ist! Es ist, weil alles gerade kompliziert ist! Liegt es am Sex?“, fuhr sie ihn blind an, und er war sich bewusst, dass die Tische ihre Unterhaltungen unterbrochen hatten, und wütend stach sie den Finger in seine Brust. „Sag mir ja nicht, dass es deshalb ist! Dass wir Probleme im Bett haben, und du wen anderes hast! Wehe, du sagst mir so etwas, Scorpius!“, knurrte sie wild, und sein Mund öffnete sich überfordert. Kurzatmig atmete er aus, blinzelte überfordert, bevor er den Kopf schüttelte.

 

„Ich… ich kann es nicht erklären“, erwiderte er gepresst – und vor allem wollte er es auch nicht. Aber er war selber schuld, dass er so etwas in der verdammten Halle ansprach – damit es auch ja jeder mitbekam! Er war so unglaublich dämlich.

 

„Was?“, entfuhr es ihr wieder zu laut, und er bereute es. Massiv! Er hätte eine Eule schicken sollen. „Du kannst es nicht erklären? Das ist es, was du zu mir sagst? Nach all der Zeit? Du entscheidest dich, dass unsere Beziehung es nicht wert ist, dass es vorbei ist – und du kannst es nicht erklären? Du bist ein feiges Arschloch, Scorpius! Das hätte ich niemals von dir gedacht! Niemals!“ Und sie wusste nicht mal, warum er es tat. Sie schrie ihn zusammen, einfach – weil! Einfach so! Merlin, wenn er ihr sagen würde, dass… dass…- nein. Das konnte er niemals tun. „Und dass du es so machst! Hier in der Halle! Wie kannst du es wagen?“, knurrte sie so zornig, dass ihre Augen praktisch Funken sprühten. „Ich war immer für dich da! Die ganze Zeit über! Ich habe mich gekümmert, ich habe dich geliebt – jetzt verschwindet mein Cousin, und du denkst, dass ist die geeignete Zeit, mit mir Schluss zu machen?! Oh, ich hasse dich!“, schrie sie jetzt. „Ich hasse dich!“ Die letzten Worte hatte sie praktisch geschrien, und die Halle tat keinen Mucks. Die Zeit stand einfach still, während sein Puls träge in seinen Ohren hämmerte.

 

Dann stieß sie ihm die Hände vor die Brust, und fast… war es übertrieben. Fast grenzte es schon… an unfassbare Dramatik. Aber das würde er erst recht nicht laut sagen. Er taumelte zurück, so viel Wucht hatte in ihrem Stoß gelegen.

„Ich hoffe, das ist es, was du willst!“, fuhr sie ihn bitter an. „Ich hoffe, du hast dir das gut überlegt. Und du kannst dir mein Gesicht jetzt sehr genau ansehen und es dir verdammt gut einprägen – denn du wirst niemals wieder erleben, dass ich dir auch nur noch ein einziges Mal meine Aufmerksamkeit schenke, du elender Mistkerl!“, donnerte sie, bevor mit zornigen Schritten an ihm vorbei stürmte und die Halle verließ.

Die Stille war absolut erdrückend, und er nahm an, dass war jetzt die Show des Jahres gewesen. Alle starrten ihn an. Absolut alle starrten ihn an! Selbst der Lehrertisch starrte ihn an. Sein Mund war geöffnet, sein Atem ging flach, und er blinzelte, nahm nichts Bestimmtes war, bevor seine Augen beinahe blind über den Gryffindortisch wanderten, wo ihn Fred mit offenem Mund anstarrte, als auch James mit ungläubigem Blick. Louis‘ Augen wirkten verengt und fast schien er zu hadern, ob er aufstehen müsse, um Scorpius den obligatorischen Faustschlag zu verpassen, und bevor es an dieser Front zu einer Entscheidung kam, machte Scorpius kehrt. Er musste raus hier! Er musste so schnell wie möglich raus hier!

 

 

 

Immer wieder dehnte sie ihre Finger und war sehr dankbar, dass sie den Verband los war. Der Tag war zäh vergangen, und sie hatte in Zauberkunst nicht wirklich aufpassen können. Sie hatte an gestern gedacht, an Alby gedacht, und zum Mittag hatte sie keinen Hunger verspürt, war lieber in den Krankflügel gegangen und war ihren Verband losgeworden.

Alby hatte sich nicht gemeldet, dafür aber hatte sie direkt drei Briefe erhalten. Einen von ihrer Mum - natürlich -, einen von Tante Ginny, und ein wenig später noch einen von ihrer Mum. Ein Brief reichte nämlich nicht. Den von Tante Ginny hatte sie geöffnet, und Tante Ginny hatte ihr versichert, dass Alby wohl nur eine Phase durchlebte, und dass es sich klären würde, und dass sie, sollte sich Alby melden, sofort Bescheid sagen würde, und dass vielleicht ein persönliches Gespräch angebracht wäre, und dass es keinen Keil zwischen ihren Freundschaft treiben sollte.

All das berührte sie nur teilweise. Denn ihre Gedanken kreisten um andere Dinge. Um wesentlich andere Dinge. Und die Realität holte sie sehr schnell ein, als sie den Gemeinschaftsraum betrat. Es klang wie…- uh oh. Sie blieb direkt stehen. Die Blicke wandten sich ihr zu, und Rumer sprang praktisch von der Couch.


„Oh Merlin! Oh Merlin, oh Merlin, oh Merlin!“, rief sie aufgeregt. „Ich habe dich schon gesucht! Oh Merlin, Rose, du hast alles verpasst!“, entfuhr es ihr mit weiten Augen. Wieder vernahm Rose einen Schrei von oben dem anschließend lautes Wehklagen folgte.

 

„Was verpasst?“, wollte sie still wissen, und Rumer ergriff ihre Hände, konnte wohl nicht anders.

 

„Scorpius hat Schluss gemacht. Mit Dom! In der Halle! Vor allen – vor absolut allen!“, entfuhr es ihr, und ihre Stimme überschlug sich fast. Oh Merlin! Er hatte es tatsächlich getan?! Fast war Rose überrascht. Grenzenlos überrascht, und begriff, dass sie Rumer nicht die richtige Reaktion lieferte. „Hast du gehört, was ich gesagt habe?“, ergänzte Rumer ungläubig, und Rose zwang sich, zu reagieren.

 

„Ach du… großer Mist“, entfuhr es ihr, nicht sonderlicher überzeugend, aber es reichte aus. Für Rumer schien es zu reichen.

 

„Oh ja! Es war unglaublich! Dom ist vollkommen ausgeflippt, hat ihn angeschrien, ihn geschubst – und wir vermuten, er hat eine andere!“, flüsterte sie praktisch, und nickte verschwörerisch. Roses Mund öffnete sich und schloss sich wieder.

 

„Meinst du?“, vergewisserte sie sich kleinlaut.

 

„Garantiert! Ich meine, weshalb sollte er sonst Schluss machen! Und viel wichtiger – wen hat er jetzt? Mal unter uns, hübscher als Dom ist keine! Vielleicht ist sie älter? Oder…- keine Ahnung! Er muss einen verdammt guten Grund haben, jetzt Schluss zu machen!“, wisperte Rumer kopfschüttelnd. „Oder er ist wahnsinnig geworden!“, schloss sie und wartete wieder auf Roses Reaktion.

 

„Ich… wow“, sagte Rose nur.

 

„Ja! Ganz genau! Es war so krass, Rose! Es war so dramatisch! Typisch Dom. Jetzt liegt sie oben, weint sich die Augen aus, und nur Vic darf zu ihr, zum Trösten. Noch keiner der Jungs hat mit ihm gesprochen, und ich bin mir nicht mal sicher, ob sie das wollen. Oder dürfen“, ergänzte sie stiller. „Dom ist völlig fertig. Sie weint seit zwei Stunden. Hoffentlich können wir heute Abend überhaupt einschlafen. Ist das nicht heftig?“ Wieder wartete sie auf Roses Reaktion. Wieder zwang sie sich zu reagieren.

 

„Ja, ich…- das ist wirklich hart. Damit hätte ich nie gerechnet“, erwiderte sie, und es war teilweise die Wahrheit. Teilweise.

 

„Ich glaube, keiner hat damit gerechnet! Ich meine, was soll noch alles passieren?“, entfuhr es Rumer übermütig. „Erst verschwindet Alby, nachdem du ihn geschlagen hast, dann macht Scorpius Schluss mit Dom! Es ist so dramatisch!“ Und fast klang es so, als würde es Rumer gefallen. Rose runzelte die Stirn. „Ich meine, natürlich ist das schrecklich! Aber… wir wissen doch, dass Alby höchstwahrscheinlich nur eine Show abzieht, und ich denke, ich glaube erst, dass Dom und Scorpius nicht mehr zusammen sind, wenn sie sich heute nicht direkt wieder vertragen! Ich meine, es war doch am Anfang auch so? Sie hat Schluss mit ihm gemacht, sie haben sich nur gestritten – also… was meinst du?“ Sie wartete ungeduldig.

 

„Also… ich… keine Ahnung“, entfuhr es Rose ausweichend. „Ich – du denkst, sie kommen wieder zusammen?“, fragte sie, bemüht um Gleichgültigkeit.

 

„Na ja, keine Ahnung. Du kennst doch Dom. Wenn sie erst mal mit schreien fertig ist, vielleicht fleht sie ihn dann an? Und ob er dann noch immer nein sagt?“, vermutete Rumer achselzuckend. „Und hast du noch mit Presley gesprochen? Ich meine, das läuft doch noch, oder?“ Roses Mund öffnete sich unschlüssig.

 

„Ich… äh… denke, Alby ist zurzeit wichtiger?“, entgegnete sie, und Rumer seufzte auf.

 

„Mann, Alby ist so scheiße“, murmelte sie. „Ob er es mit Absicht getan hat, um Aufmerksamkeit zu bekommen?“, wollte sie wissen, und Rose zuckte die Achseln.

 

„Ich weiß es nicht. Ich…“ Sie schwieg. Es waren so viele Informationen.

 

„Vielleicht war es auch nur eine Kurzschlussreaktion von Scorpius! Vielleicht hat es ihn völlig fertig gemacht, dass Alby abgehauen ist?“

 

„Bestimmt“, murmelte Rose abwesend.

 

„Aber keine Ahnung, ob Dom ihn dann auch noch zurücknimmt. Ach, es ist absolut spannend! Zu spannend für einen Montag!“, ergänzte Rumer und hielt sich mit Mühe von einem Grinsen ab. „Hast du noch eine Eule bekommen? Hat Alby vielleicht heimlich geschrieben?“, wollte sie dann wissen, und Rose schüttelte den Kopf.

 

„Nein. Hat er nicht.“

 

„Bist du… noch sauer auf ihn?“, wollte Rumer dann stiller wissen, und ihr Grinsen verschwand. Rose senkte den Blick.

 

„Ich… weiß, er… hat es nicht so gemeint, das weiß ich. Und… ich hoffe, er weiß, dass ich es auch nicht so gemeint habe. Aber… ja, ich glaube, ich bin noch etwas sauer. Aber… er soll wieder kommen. Ganz einfach.“

 

„Aber… du stehst nicht auf ihn, oder?“ Rumer klang so, als wäre sie sich nicht ganz sicher, und Roses Augen weiteten sich.


„Was? Nein! Natürlich nicht!“, fuhr Rose sie an.

 

„Ok. Schon gut. Ich dachte, ich frage. Nur zur Sicherheit.“ Wieder weinte Dom sehr laut und schrie, und sie hörte, wie Vics Stimme laut und beruhigend auf sie einredete.

 

„Und hast du gehört, was Scorpius gesagt hat?“, erkundigte sie sich möglichst unverfänglich, aber Rumer zuckte die Achseln.

 

„Nein, nicht wirklich. Nur Dom hat geschrien. Aber viel hat er nicht gesagt“, schloss sie enttäuscht. „Bin gespannt, was jetzt weiter passiert.“

 

„Jaah“, antwortete Rose tatsächlich aufrichtig, denn… sie war ziemlich gespannt, was jetzt passierte.  „Warst du schon bei ihr?“, fragte sie Rumer dann, und Rose hatte tatsächlich Angst, zu Dom zu gehen. Sie fürchtete, dass ihre Cousine sie möglicherweise durchschauen könnte. Dass sie praktisch riechen würde, dass Rose etwas damit zu tun hatte, auch wenn es unwahrscheinlich war.

 

„Nein. Ich… wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Außerdem bin ich in einer glücklichen Beziehung“, ergänzte Rumer vielsagend, und Rose hütete sich davor, zu widersprechen. „Und ich dachte mir, das will Dom gerade garantiert nicht sehen.“ Rose verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Wollen wir… eine Runde drehen?“, fragte Rose schließlich, und Rumer sah sie entschuldigend an.

 

„Sorry, ich… wollte mit James raus“, entgegnete sie. „Luft schnappen, und…“ Sie zögerte, suchte nach Worten, aber Rose unterbrach sie nickend.

 

„Romantisch sein. Verstehe schon“, schloss sie mit einem gezwungen Lächeln.

 

„Vielleicht können wir später was machen?“, schlug Rumer ehrlich betroffen vor, aber Rose winkte ab.

 

„Es ist ok, Rumer, wirklich. Du bist ein ekliges Pärchen mit meinem Cousin, also… viel Spaß dabei“, erwiderte sie achselzuckend. Rumer schüttelte genervt den Kopf über sie.

 

„Ich… möchte für ihn da sein, wo sein Bruder verschwunden ist.“ Rose hielt sich davon ab, mit den Zähnen zu knirschen.

 

„Alby ist abgehauen. Er ist nicht verschwunden“, korrigierte sie Rumer, denn… dass er verschwunden war, implizierte eine gewisse Machtlosigkeit, und dass er vielleicht nicht mehr auftauchen würde. Und Rose wollte so nicht denken.

Bibliothek, dachte sie dann dumpf. Dort könnte sie die furchtbaren Briefe ihrer Mutter lesen und sie könnte lernen. Könnte sich ablenken, und vielleicht endlich das Kapitel in Verwandlung abschließen. Es wäre eine Ablenkung. Und Doms jammervolles Wehklagen würde das schlechte Gewissen nicht alle paar Sekunden durch ihren Körper jagen. Es war ein Plan.

Vor allem musste sie sich davon ablenken, sich zu fragen, wann sie Scorpius wiedersehen würde. Sie war ein furchtbarer Mensch. Absolut furchtbar.

 

 

 

 

 

Er beobachtete sie, ohne sich zu rühren. Er war beinahe ernsthaft überrascht, sie zu sehen. Immer wieder musste sie die Feder zur Seite legen, und es war nicht mal wirklich, dass es eigenartig war, sie lernen zu sehen, es war eher die Tatsache, dass der Geist von Severus Snape mit voller Absicht um ihren Platz schlich, ihr ab und an über die Schulter blickte und ebenfalls zur Kenntnis nahm, dass sie ihre Hand noch nicht einwandfrei benutzen konnte.

Hugo drückte sich in den Schatten rum, drehte das Buch, was er vor etlichen Minuten geholt hatte abwesend in den Händen und erkannte auch neben seiner Schwester einen prallen Brief, denselben, den er heute erhalten hatte.

Und nachdem, was er gehört – oder nicht gehört – hatte, war das Gespräch mit den Eltern nicht gerade rosig verlaufen.

Seine Mutter hatte ihn in Kenntnis gesetzt, und tatsächlich darauf bestanden, dass er sich um Rose kümmerte, mit ihr sprach, ihr erklärte, dass Albus höchstwahrscheinlich eine Phase durchlebte, und all solche Sachen. Ehrlich gesagt, wollte er nicht mit Rose darüber reden, und er war sich sicher, seine Schwester hegte gleichartige Gefühle, was dieses Thema betraf.

Und außerdem sprachen sie zurzeit ohnehin nicht miteinander.

 

Er dachte an Albus. Natürlich tat er das. Jedoch hielt er es für äußerst unwahrscheinlich, dass sein Cousin tatsächlich verschollen war, oder in einer Situation, aus der er sich alleine nicht befreien konnte. Sehr unwahrscheinlich. Hugo vermutete, dass er im Haus der Blacks untergekommen war. Es war naheliegend, und es würde ihm Unterschlupf bieten, fernab von der Überwachung seines Vaters. Er wusste, die Potters versuchten seit Jahren, das Haus gewinnbringend zu verkaufen, aber kein Käufer hatte Interesse an dieser Schreckhütte.

Was ihn wesentlich dringender interessierte, waren die heutigen Ereignisse. Denn anscheinend hatte Scorpius das Unaussprechliche getan – er hatte Dominique verlassen. Und das doch ziemlich spontan. Und war Hugo der einzige, dem es gestern aufgefallen war? War er tatsächlich der einzige, der bemerkt hatte, dass weder seine Schwester, noch Scorpius zum Abendessen in der Halle gewesen waren? Er wusste, es hatte allerlei Aufregung gegeben, wegen Albus‘ Verschwinden, aber ihm war es aufgefallen. Und er nahm an, auch Dominique würde es aufgefallen sein. Zumindest, dass Scorpius nicht da gewesen war.

Für Hugo lagen die Dinge offensichtlicher. Allerdings nur, weil er die Vorgeschichte kannte. Nur, weil er wusste, welche Fragen er sich zu stellen hatte.

Was bedeutete es jetzt? War es wirklich so, wie er vermutete? Musste er seiner Schwester folgen, sollte sie gehen? Musste er ihr ins Gewissen reden? Oder irrte er sich – und das kam selten vor.

War es ein unglaublicher Zufall, dass Scorpius Malfoy seine scheinbare Seelenverwandte verließ, einfach… weil er doch keine Lust mehr hatte? Hugo hatte im Moment selber genug Sorgen, hatte er Rumer doch erst gestern angeschrien, weil er sich ausgeschlossen gefühlt hatte.

 

Er seufzte auf. Und was genau passierte jetzt mit Presley Ford? Darauf hatte seine Mutter ihn ebenfalls angesprochen. Ob Rose bewusst wäre, dass sie in direkter Konkurrenz zu Presleys Vater stehen würde, und ob Rose über diesen Konflikt schon mal nachgedacht hätte, und Hugo wusste nicht mal, was er dazu sagen sollte. Wahrscheinlich gar nichts. Nein, Rose würde sich keine Gedanken gemacht haben. Er bezweifelte, dass Rose überhaupt wusste, dass ihre Mum in direktem Wahlkampf zu Emory Ford stand. Dass überhaupt die Aussicht bestand, dass ihre Mum die nächste Ministerin werden würde – er glaubte, es waren Dinge, die an Rose vorbeigingen. Die sie nicht mal interessieren würden, selbst wenn sie das Ausmaß dahinter begreifen würde. Das war seine Schwester. Das einzige, was er nicht ganz glauben konnte, war, dass Rose Dominique ernsthaft verletzen würde. So war Rose nicht. So kannte er seine Schwester nicht. Dass sie sich überhaupt mit Jungen abgab. Und das war es, was es so schwer zu verdauen machte. Rose war nicht so. Und ehrlich gesagt glaubte er nicht an eine Verbindung zu Scorpius Malfoy – die seine Mutter ebenfalls angesprochen hatte. Was waren ihre Worte gewesen? Roses Verhalten wäre besorgniserregend gewesen. Sie hätte sich so offensichtlich feindselig Scorpius gegenüber verhalten. Das wiederum fand Hugo äußerst beruhigend.

 

Aber was wusste er wirklich? Wusste er, was in ihrem Kopf vor sich ging? Und wenn überhaupt, gab er Scorpius die alleinige Schuld, überhaupt solche Gedanken in Roses Kopf gepflanzt zu haben. Es wäre seine Schuld allein. Und ihm würde Hugo es zutrauen. Absolut.

 

Er hörte, wie sich der Geist von Snape lautstark räusperte, während Rose irgendwelche Worte niederschrieb, nur um sie direkt zu korrigieren. Anscheinend machte Snapes Geist sie subtil auf Fehler aufmerksam. Mehr oder weniger subtil. Was war das für eine eigenartige Verbindung? Hugo fürchtete sich nicht vor Snape. Er konnte all seine Fragen mühelos beantworten, nur beachtete Snape ihn nicht mal. Es war, als existiere er nicht. Ärgerlicherweise. Hugo würde nur zu gerne alle Fragen, des ehemaligen Zaubertränke-Genies beantworten. Zaubertränke war sein geheimes Lieblingsfach. Aber scheinbar… bevorzugte Snapes Geist Roses Gegenwart. Dabei war seine Schwester nicht mal schlau. Er verschränkte die Arme vor der Brust, das unbequeme Buch noch immer zwischen den Fingern.

Er wollte nicht mit ihr reden, denn er wollte gar nicht wissen, ob sie ihn anlog. Egal in welchem Bezug – auf Albus oder auf Scorpius. Er wollte einfach nur… dass alles wieder normal wäre. Und er wünschte, er würde nicht immer an Rumer denken müssen.

 

Und manchmal – sehr selten – war es so, dass hochintelligente, blinde Hühner ein Korn fanden, was sie gar nicht gesucht hatten. So war es jetzt.

 

„Es ist so gruselig, oder?“ Ein Mädchen hatte sich ungefragt neben ihn gestellt. „Ich finde Snapes Geist so unangenehm. Und er steht immer hinter ihr, wenn sie hier ist“, fuhr sie kopfschüttelnd fort. Cara Lockhart-Grey hob den blauäugigen Blick. Hugo war es nicht gewöhnt, von Mädchen angesprochen zu werden. Von herkömmlich betrachtet gutaussehenden Mädchen schon gar nicht. Sie war in seinem Jahrgang, und er kannte sie nur vom Sehen. Sie war eine Ravenclaw und das einzige Mädchen, was dem großen James Potter eine Abfuhr erteilt hatte. Deshalb kannte er sie. Deshalb war sie interessant. Ansonsten spielte sie Quidditch in ihrem Team – Hugo wusste die Position nicht mal, und sie war die Vertrauensschülerin aus Ravenclaw des sechsten Jahrgangs. „Deine Schwester ist mutig“, schloss sie flüsternd und nickte anerkennend. Kurz hatte sich Hugo gefragt, ob Cara überhaupt wusste, wer er war, aber… anscheinend schon.

 

„Gryffindors glauben immer, sie wären mutig“, erwiderte er still und konnte nicht anders, als das fremde Mädchen zu betrachten. Wieso sprach sie mit ihm? Niemand sprach mit ihm einfach so. Und er runzelte die Stirn. „Falls du wissen willst, wo mein Cousin Albus ist – ich habe keine Ahnung“, ergänzte er vorsintflutlich, denn höchstwahrscheinlich war das alles, woran dieses Mädchen Interesse hatte. An Albus Potter und seiner elenden Flucht.

 

„Mich interessieren die Potters allesamt eher wenig“, entgegnete sie achselzuckend, und Hugo runzelte die Stirn. Tatsächlich? Und dann seufzte sie auf. „Du erinnerst dich nicht mehr an mich, hm?“ Und sofort öffnete sich sein Mund. Was? Was meinte sie damit. „Die Drei Besen? Du warst… einigermaßen betrunken?“ Sein Kiefer lockerte sich. Er konnte sich nicht erinnern, irgendetwas getan zu haben, was außerhalb der Norm gewesen war – außer dass er mehrfach mit Sutter angestoßen hatte. Gut, er wusste nicht mehr jede Sekunde dieses Abends, aber… an ein Mädchen hätte er sich erinnert! „Wir haben angestoßen?“, half sie ihm eindeutig auf die Sprünge. „Du… hast gesagt, ich wäre das schönste Mädchen, was du je gesehen hättest, und du würdest mich gerne um ein Date bitten, sobald du nüchtern genug bist?“ Hugo starrte sie an.

 

„Ich – was?“ Und er spürte die Röte in seinen Wangen. Nahezu sofort. „Ich habe…- was?“ Merlin! Das… konnte nicht sein! Es klang nicht nach ihm! Ganz und gar nicht! Langsam hoben sich ihre Mundwinkel und ihm wurde schrecklich heiß. „Davon… weiß ich nichts mehr. Es tut mir… wirklich leid“, flüsterte er mit knallroten Wangen. Er konnte die Hitze regelrecht spüren. „Ich erinnere mich nicht, so was gesagt zu haben“, entfuhr es ihm entschuldigend. Und Cara zuckte die Achseln.

 

„Hast du auch nicht“, sagte sie dann schnippisch, und sein Mund schloss sich perplex. „Aber… es wäre nett gewesen, hättest du es getan, Hugo Weasley“, ergänzte sie mit sehr eindeutig erhobener Augenbraue. Er starrte sie an. Er kam sich dümmer vor, als gewöhnlich. Was?! „Also…“, schloss sie langsam, als sie sich abwandte. „Falls du…irgendwann auf die Idee kommen solltest, mich um ein Date zu bitten“, fuhr sie mit frechem Grinsen fort, „die Antwort wäre Ja“, schloss sie zwinkernd und verschwand um das nächste Regal. Seine Stirn legte sich in Falten, und sein Herz schlug schneller. Er war sich nicht völlig sicher, aber… hatte ihm gerade ein hübsches Mädchen klargemacht, dass er sie um eine Verabredung bitten sollte?! Er hätte gerne Publikum gehabt, oder einen Augenzeugen, den er befragen könnte. Sein Gehirn gab ihm da keine klare Antwort. Sein Gefühl jedoch war sich ziemlich sicher. Er hatte Chancen bei Cara Lockhart-Grey? Absolut neue Informationen für ihn! Allerdings war er verliebt in Rumer MacLeod. Er verrenkte sich praktisch den Hals, um Cara durch die Regale noch sehen zu können. Wahrscheinlich schadete es aber nicht, sicher vorher ein wenig… umzusehen?

 

Und wie lange genau musste er warten, um Cara tatsächlich auszubitten?

 

 

 

Fifteen

 

 

Eine Sache war ihr ziemlich schnell klar geworden. Die Chance, Scorpius irgendwo alleine zu treffen, war nahezu unmöglich geworden. Dom hatte ihnen allen ziemlich deutlich klar gemacht, auf welcher Seite sie zu stehen hatten, und dass Scorpius Staatsfeind Nummer eins geworden war. Allerdings war es ein wenig zu durchschaubar, fand Rose. Und es war traurig. Dom litt schwer unter der Trennung, und Rose war sich sicher, würde Scorpius seine Meinung ändern, würde er sich entschuldigen, dann würde Dom zurück in seine Arme fallen. Sie war sich sicher, denn in jeder Pause weinte ihre Cousine heimlich auf den Toiletten.

Und es war… mitleidserregend. Dom versuchte, viel zu verbergen, durch bösartige Worte, kaltes Verhalten, aber… Rose wusste, es war nur Show. Wahrscheinlich liebte Dom Scorpius noch immer.

Sie hatten bisher einige Fächer mit den Slytherins gehabt, und jetzt, wo Alby immer noch erfolgreich versteckt war, hatte Scorpius keine Verbindung mehr zu ihrer Familie. Er begnügte sich mit den Slytherins, mehr oder weniger halbherzig. Und sie sah, wie er Dom immer wieder Blicke zuwarf. Ihr selber nicht. Ihr nicht einen einzigen Blick! Aber dann wiederum versuchte sie auch gar nicht erst, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte Angst, dass Dom es merken würde. Dass sie es hinterfragen würde.

Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie Scorpius treffen sollte, ohne dass es irgendjemand merkte. Oder ob sie es noch sollte. Jetzt wo Dom Single war, musste Rose herhalten. Und ihr schlechtes Gewissen machte es nicht besser. Sie verbrachte ihre Zeit mit Dom. Ungerne, aber sie tat es, einfach weil ihre Cousine ihr leid tat. Was hatte sie gedacht? Dass es einfach wäre? Dass die Beziehung endete, dass sich Dom zurücklehnte und entspannte?

Und dann hatte sie Angst, dass Scorpius wieder zu Dom zurückkehrte, dass er sich tatsächlich entschuldigte. Aber bisher war das nicht passiert.

 

Dom schaffte es gerade so durch die gemeinsamen Stunden mit den Slytherins, nur um sich danach eine Stunde auf irgendeinem Klo einzuschließen. Seit der Trennung waren drei Tage vergangen, und Rose wurde langsam unruhig. Sie bekam täglich Briefe von ihrer Mutter, die sie nicht beantwortete, aber sie nahm an, Hugo gab sich die größte Mühe.

 

In der Schule hingen ab und an Plakate, auf denen Albys Gesicht prankte, McGonagall bestand darauf. Solche hingen auch in Hogsmeade, aber Rose wusste, Onkel Harry glaubte nicht daran, dass Alby wirklich verschwunden war, sondern dass er sich einfach nur versteckt hielt. Denn tatsächlich hatte sie durch ihre Mum erfahren, dass Alby Gold aus seinem Sparverlies abgehoben hatte. Und davon hatte Harry nur zufällig erfahren, da ihm die Kobolde von Gringotts den Genehmigungsschein für seine Unterlagen zugeschickt hatten, auf dem Alby Onkel Harrys Unterschrift gefälscht hatte. Es war also alles eher ein Spaß, als echter Ernst. Aber Alby würde verdammt viel Ärger bekommen, sobald Onkel Harry ihn fand. So viel stand fest.

 

Und jetzt gerade war Rose zusammen mit Dom und Rumer auf dem Weg zur Apparier-Stunde in der Halle. Die Tische waren alle an der Wand gestapelt, und die meisten Sechstklässler waren bereits hier. Das Abendessen wurde an diesen Tagen immer nach hinten verschoben, da der Ministeriumsbeamte auf keinen Fall eher kommen konnte – eine Lüge, wie ihr Vater ihr zu Beginn des Schuljahres versichert hatte, aber Hunger hatte Rose im Moment sowieso eher nicht.

 

„Rose?“ Die Stimme hielt sie auf. In der Tür zu Halle hielt sie inne, und die Mädchen wandten ebenfalls den Blick. Und als wäre es Doms Entscheidung, nickte sie ihr gönnerhaft zu.

 

„Na los, geh schon“, munterte Dom sie scheinbar auf. „Ich meine, du sollst nicht auch unglücklich alleine sein, nur weil ich es bin. Wir sehen uns gleich, ja?“, setzte sie aber fast angstvoll hinterher, und Rose ersparte sich, zornig den Mund zu verziehen.

 

„Mhm“, machte sie, tauschte einen kurzen Blick mit Rumer, und diese verdrehte die Augen, als Dom nicht hinsah. Dann wandte sich Rose unbehaglich an Presley, der höflich wartete, bis Dom und Rumer in der Halle verschwunden waren.

 

„Hey… das… sind aufregende Zeiten bei euch“, rang er sich mühsam freundlich ab. Sein Lächeln sah seltsam aus. „Ist… ist es ok, wenn wir reden?“, fragte er sie sofort, und… natürlich war es ok. Presley war sehr nett. Wirklich.

 

„Ja, klar“, bestätigte sie.

 

„Hör zu, Scorpius hat mir gesagt, du würdest mich gerne sehen? Alleine? Und… ohne, dass es deine Familie mitbekommt?“ Sie blinzelte. Was?!

 

„Ich…?“ Sie starrte Presley überfordert an. Scorpius hatte das gesagt?! Was sollte das bedeuten?

 

„Hättest du vielleicht heute Lust? Nach deinem Kurs?“ Und was wie Scheu ausgesehen hatte, wandelte sich auf Presleys hübschen Gesicht sehr schnell in Ungeduld. Scorpius hatte ihr also ein Date verschafft. Wie nett von ihm. War das sein kleiner Plan, damit er wieder mit Dom zusammen kommen konnte und sie beschwichtigt war? Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ich meine, wir… könnten in Gintys alte Unterkünfte? Es ist… nicht super romantisch, aber wir wären ungestört und könnten reden? Über… alles?“ Er wirkte so aufrichtig. So hoffnungsvoll. Und immerhin war Scorpius so freundlich gewesen, dieses Date zu organisieren. Zorn schoss durch ihren Körper.

 

„Ok“, hörte sie sich fast herausfordernd sagen. „Dann treffen wir uns um Acht“, verabschiedete sie sich von Presley. Er schenkte ihr ein Lächeln, reckte den Daumen in die Höhe, und schon jetzt überkam sie die Angst. Mit bitterem Gefühl wandte sie sich ab, betrat die Halle und schloss den Abstand zu Rumer und Dom.

 

„Und?“ Dom sah sie mit verweinten Augen an, versuchte es zu überspielen, und Rose zwang sich, freundlich zu sein.

 

„Ich habe heute ein Date mit Presley.“ Absoluter Trotz schwang in ihren Worten mit.

 

„Oh, das ist so schön!“, flüsterte Dom, und Tränen rollten über ihre Wange. Merlin. Rose sah sich gezwungen, ihre Cousine unbeholfen zu umarmen, während Rumer ihr einen eindeutig gereizten Blick zuwarf.

 

„Wir fangen an!“, tönte die Stimme des Ministeriumsbeamten über ihre Köpfe, und Rose konnte sich angenehmere Dinge vorstellen. Wesentlich angenehmere, als jetzt Apparieren zu lernen, und wesentlich angenehmere, als Dom zu umarmen, bis sie sich beruhigt hatte. Sie hatte wirklich nicht ausreichend über die Konsequenzen nachgedacht.

 

„Sieh dir das an!“, wisperte Rumer plötzlich und ihr Kopf ruckte nach links. Rose folgte ihrem Blick, und was sie sah, lenkte sie von ihrer Wut ab. Es war Hugo. Aber… er war nicht allein, wie sonst. Er hatte die Halle mit einem Mädchen betreten. Rose kannte sie nicht.

 

„Wer ist das?“, wollte sie still von Rumer wissen, die es zu wissen schien.

 

„Cara Lockhart-Grey“, entkam es Rumer kopfschüttelnd. „Sie ist Vertrauensschülerin in Hugos Jahrgang“, fuhr sie leiser fort. „Sie war am Samstag an Hugos Tisch gewesen. Meinst du, die beiden verstehen sich?“ Rumer wirkte ernsthaft interessiert, während Rose es kaum glauben konnte.

 

„Vielleicht hat er ihr lediglich die Richtung zur Halle gezeigt?“, vermutete sie, denn Hugo war nicht der Typ Junge, der einem Mädchen-

 

-und Hugo lachte über etwas, das Cara gesagt hatte, sprach ebenfalls, und jetzt lachte Cara über seine Worte. Oh. Anscheinend… verstanden sie sich?

 

„Aha“, machte Rumer eindeutig. „Ziemlich spannend, oder?“, wollte sie von Rose wissen. „Vielleicht kannst du ihn bei der Nachhilfe fragen?“, erkundigte sie sich, aber Rose schüttelte sofort den Kopf.

 

„Oh nein. Ich mache das nicht mehr! Ich habe erst mal keine Lust auf Hugos Nachhilfe.“ Rumer zuckte die Achseln.

 

„Oh, ich werde am Samstag zu seiner Nachhilfe gehen. Und ich werde ihn fragen. Unser kleiner Hugo wird erwachsen, Rose“, erwiderte sie lächelnd. Rose verzog nur den Mund. Hugo sollte einfach mal wieder seinen so berühmten Verstand einschalten und sich nicht ständig mit ihr anlegen. Das wäre besser. Noch immer schluchzte Dom an ihrer Brust, und Rose strich ihr unbeholfen über den Rücken.

Merlin, was für ein anstrengender Tag.

 

„Aufstellen!“, bellte die Stimme des Beamten lautstark, und Rose hatte schon jetzt keine Lust mehr.

 

 

Zäh vergingen die eineinhalb Stunden, und Rose hatte nicht ein einziges Mal geschafft, zu verschwinden. Rumer hingegen war drei Meter appariert. Immerhin war es Dom auch nicht geglückt, aber Dom hatte es nicht mal versucht. Der Beamte war zu ihnen gekommen, hatte in Doms hübsches, verweintes Gesicht geblickt, sie gefragt, was denn los sei, und sie anschließend früher gehen lassen. Diese Chance hatte Dom auch sofort genutzt, natürlich nicht ohne Scorpius noch einen schmachtenden Blick zuzuwerfen. Rose und Rumer blieben noch zurück, während die übrigen Sechstklässler bereits verschwanden. Die Slytherins gingen als erstes, und grimmig betrachtete Rose Scorpius‘ Hinterkopf, der in der Menge wunderbar auszumachen war. Arschloch. Elender Mistkerl! Wie konnte er?!

 

„Hey“, unterbrach Louis ihre Gedanken.

 

„Hey, du warst erfolgreich heute!“, stellte Rumer anerkennend fest, denn tatsächlich war Louis quer durch die Halle appariert, aber Louis zuckte die Achseln.

 

„So schwer ist es nicht“, behauptete er, und Rose schoss ihm einen wütenden Blick zu.

 

„Halt die Klappe, Louis“, sagte sie beleidigt. Kurz schenkte er ihr ein Lächeln, bevor er wieder ernst wurde.


„Wie geht es Dom?“, fragte er stiller, und Rose und Rumer tauschten einen Blick.

 

„Es geht“, sagte Rumer dann. „Frag sie doch einfach“, ergänzte sie.

 

„Ich glaube, sie will das nicht von mir gefragt werden. Ich würde ihr ohnehin nur sagen, dass Scorpius ein dämlicher Vollidiot ist, auf den sie sich niemals hätte einlassen sollen. Oh, übrigens“, er wandte sich direkt an Rumer, „James ist ein dämlicher Vollidiot. Dir sage ich es nur vorher, damit du Bescheid weißt“, ergänzte er, und Rumer fixierte ihn böse. Dann wandte er sich tatsächlich an sie. „Rose, auch dir muss ich sagen, Presley Ford ist-“

 

„-schon gut. Danke, Louis“, unterbrach Rose ihn barsch. Louis zuckte die Achseln.

 

„Ok. Wie ihr wollt. Wir sehen uns später“, verabschiedete er sich von ihnen und schlenderte aus der Halle.

 

„Denkst du, er verflucht Scorpius noch?“, wollte Rumer beinahe besorgt wissen.

 

„Es wäre nett“, entgegnete Rose bitter. Dann spürte sie Rumers Blick auf sich.


„Rose?“, sagte sie, und Rose wandte den Blick. Rumers Augen waren weit. „Am Wochenende will ich es tun“, schloss sie stiller, und Rose runzelte die Stirn. Fragend schob sich ihre Augenbraue in die Höhe.


„Was tun?“, erkundigte sie sich ratlos, aber Rumer verdrehte die Augen.

 

„Du weißt schon“, sagte sie mit mehr Nachdruck. „Es! Mit James“, ergänzte sie eindeutig, und Rose verzog den Mund.

 

„Oh. Echt? Hast… hast du dir das gut überlegt?“ Rumer sah sie entsprechend empört an.

 

„Dass ich überhaupt solange gewartet habe! Ich kann froh sein, dass er noch nicht Schluss gemacht hat, weil ich so prüde bin“, erwiderte Rumer gepresst, aber Rose atmete lange aus.

 

„Das… ist eine wichtige Entscheidung. Und… ich glaube nicht, dass James dich drängen würde“, ergänzte sie, und tatsächlich glaubte sie es. Sie hatte eine neue Seite von James kennengelernt. Eine neue gute Seite.

 

„Nein, würde er nicht, aber… ich… will es. Verstehst du? Ich… will ihn!“, sagte Rumer mit leuchtenden Augen, und Rose verstand. Nicht in Bezug auf James, aber… sie verstand – und wurde direkt wieder wütend.

 

„Ok“, sagte sie bloß. „Dann… viel Glück dabei“, entkam es ihr mit einem gezwungen schiefen Lächeln. Rumer schüttelte lächelnd den Kopf.

 

„Ich bin aufgeregt. Denkst du… du wirst es mit Presley tun wollen?“ Ihre beste Freundin wirkte so aufrichtig neugierig. Und Rose tat es beinahe weh, dass sie nicht ehrlich sein konnte. Denn nein. Sie hatte kein Interesse an Presley. Nicht wirklich. Es war… eine trotzige Notlösung.

 

„Vielleicht“, erwiderte Rose ausweichend.


„Aber nicht heute, oder?“ Rumer wirkte besorgt. Und Rose hatte ihr vorhin kurz erzählt, dass sie Presley gleich treffen würde. Nur kurz, damit Dom nicht noch einen eifersüchtigen Zusammenbruch bekam.

 

„Nein! Garantiert nicht!“, entfuhr es ihr bestimmt. „Ich werde mich nicht mal umziehen und werde sogar in meinen alten Klamotten dahin gehen“, informierte Rose sie eindeutig und deutete an sich hinab. „Wir werden bloß reden. Nichts weiter“, schloss sie achselzuckend.

 

„Gar nichts weiter? Ich habe gehört, er ist ein sehr guter Küsser“, murmelte Rumer grinsend.

 

„Ach ja? Von wem?“, wollte Rose sofort wissen.

 

„Zum Beispiel von Hugos kleiner Freundin Cara“, entgegnete Rumer lächelnd. „Denn sie hat darüber vor einigen Wochen beim Vertrauensschülertreffen mit ihren Freundinnen gesprochen.“

 

„Sie ist die Exfreundin von Presley?“, erkundigte sich Rose, und Rumer nickte bloß.

 

„Oh ja. Er steht auf Quidditch-Mädchen“, erwiderte Rumer vielsagend.

 

„Was für ein Glück“, gab Rose lächelnd zurück.

 

„Ich wünsch dir viel Spaß später. Ich… muss los“, verabschiedete sich Rumer schließlich, und Rose wandte den Blick. James winkte ihnen von der Hallentür aus zu. Er holte Rumer ab. Das war… nett, nahm Rose an. Sie war ernsthaft gespannt, wie lange es mit James halten würde. Louis war gerade nicht hilfreich gewesen, aber er hatte nicht unrecht. James war ein Player. Und Presley war das auch. Und Scorpius? Ja, der war einfach nur scheiße. Und einfach nur, um Scorpius eins auszuwischen, würde sich Rose gleich mit Presley treffen. Und sie würde keine Angst haben. Sie würde einfach… klare Grenzen ziehen. Vielleicht könnte sie Presley locker daten. Was wäre so schlimm daran? Gar nichts. Absolut gar nichts. Nicht, dass Rose auch nur die geringste Ahnung vom Daten hatte, und locker würde das Ganze auch nicht sein, aber sie war gerade bockig.

 

Und dass sie genauso blieb, wie sie aussah, lag daran, dass sie auf keinen Fall noch mal nach oben wollte, um von Dom vollgeheult zu werden. Sie hatte gestern schon zwei Stunden lang zuhören müssen, wie arm Dom dran war, und wie ausgenutzt sie sich fühlte. Sollte Vic heute übernehmen. Rose hatte genug. Wirklich!

 

Und sie wartete noch eine Weile, bis alle verschwunden waren. Wartete, bis es ungefährlich war, nach unten zu gehen, ohne dumme Fragen beantworten zu müssen. Und sie wusste, eigentlich war es dumm. Sie wusste, dass es gefährlich wäre, einfach zu gehen. Presley einfach zu sehen. Er würde sie bestimmt küssen wollen, aber… vielleicht wäre es gar nicht so schlimm? Immerhin hatte Scorpius dieses Treffen veranlasst! Merlin, machte sie das wütend!

 

Sie lief die Stufen hinab. Es war noch etwas zu früh, aber es wäre nicht schlimm. Sie würde warten. Der Korridor lag wie ausgestorben, und die Tür zu Gintys Klassenraum stand angelehnt wie immer. Sie konnte sich romantischere Dinge vorstellen, als den Zaubertränkeklassenraum oder Gintys alte Unterkünfte, aber es wäre besser als der Gemeinschaftsraum. Tausendmal besser. Sie dachte an Rumer und ihre Pläne, und sie glaubte nicht, dass sie jemals bereit wäre, mit Presley zu schlafen. Sie konnte sich ja kaum vorstellen, überhaupt intim mit ihm zu sein.

Und vielleicht sollte sie ihm das sagen. Vielleicht sollte sie Presley sagen, dass es zu schnell ging? Dass sie Zeit brauchte? Oder… das sie ihn eigentlich gar nicht wirklich wollte…?

 

Rumer entwickelte sich weiter, und sie… sie stand still. So kam es ihr vor. Sie traf schlechte Entscheidungen, und Rose wusste nicht, was in sie gefahren war. Wie hatte sie annehmen können, das mit Scorpius wäre eine gute Idee gewesen? Fairerweise hatte sie das zwar nicht gedacht, aber… sie hatte es sich leichter vorgestellt.

 

Sie betrat das dunkle Klassenzimmer und entzündete das Petroleum mit ihrem Zauberstab. Die meisten Klassenzimmer blieben über Nacht auf. Natürlich nicht die, an die bewohnten Unterkünfte grenzten, aber hier… war es nun eine Ausnahme. Kurz überlegte sie, ob Snapes Geist auftauchen würde, aber… warum sollte er? Es war ja niemand hier, dem er Fragen stellen konnte. Und sie fürchtete sich nicht mehr vor ihm. Er hatte ihr wieder geholfen, war wieder aufgetaucht. Und er näherte sich mittlerweile auf einen halben Meter. Sie hatte überlegt, mit Snape zu reden. Einfach mal… Kontakt aufzunehmen. Aber vielleicht würde er dann einfach verschwinden. Sie musste sich da mal ein Konzept überlegen.

 

Sie schlenderte nach vorne und setzte sich auf das Lehrerpult. Selbst der düstere Zaubertränkeraum kam ihr weniger bedrohlich vor, wenn sie hier keinen Unterricht hatten. Auf den großen Gruppentischen erkannte sie die Macken durch Messer und Mörser, die Brandflecken, wo die Kessel sonst standen, auch schlichte Holzverformungen, wo ein Trank mal eine gefährliche Wirkung angenommen hatte. Auch hing der Duft verschiedener Kräuter und Pflanzen in der Luft, vermischt zu einem ganz eigenen Aroma.

 

Draußen hörte sie kein Geräusch. Es näherten sich keine Schritte, und sie war sich nicht sicher, wie lange sie warten sollte. Es war schon eigenartig. Es gab noch andere Orte, wo man sich hätte treffen können, nahm sie an.

Und sie würde Presley fragen, ob Scorpius sonst noch was gesagt hatte. Ob er ihm vielleicht verraten hatte, dass er vorhatte, zurück zu Dom zu gehen. Es hätte ein gutes, denn dann würde Dom sie endlich wieder in Ruhe lassen. Rose mochte sie, aber… eher aus der Ferne, wenn sie nicht viel mit ihr zu tun hatte. Eher dann.

Seufzend blickte sie auf den Steinboden, ließ die Beine baumeln und wartete. Sie dachte irgendwann wieder an Alby. Wo war er wohl? Wann käme er wieder? Und wie groß wäre der Ärger, den er bekommen würde? Massiv groß, nahm sie angstvoll an. Und sie dachte an Hugo, und warum alles so schwer geworden war.

Dann aber vernahm sie Schritte aus der Entfernung, die zügig näher kamen. Sie wappnete sich. Ob Presley erwartet hatte, dass sie sich umzog? Dass sie so aussah wie am Samstag? Sie biss sich auf die Lippe. Dann wurde die Türklinke runtergedrückt, und sie glaubte plötzlich, dass es eine absolut dumme Idee von ihr gewesen war. Sie hatte nicht nachgedacht. Kurz beschleunigte ihr Atem und Panik befiel sie – wieso war sie so trotzig? Wieso brachte sie sich in diese Situationen?!

 

Die Tür öffnete sich – und… Scorpius schob sich ins Innere.

 

Kurz glaubte sie, zu träumen. Sie blinzelter heftig, aber… das Bild blieb dasselbe. Nicht Presley. Es war… nicht Presley?

 

Eilig verschloss er die Tür, legte sogar den Sperrzauber auf das Schloss, und ihr Herz machte mehrere Sätze, als er sich umwandte. Ihr Kiefer hatte nachgegeben. Was zur…?

 

„Hey“, begrüßte er sie, etwas außer Atem. „Es hat länger gedauert“, schien er sich zu entschuldigen und näherte sich etwas unschlüssig. „Was? Warum siehst du mich so an?“, fragte er ehrlich verwundert, und sie blinzelte kurz, rutschte hastig von der Tischkante und starte ihn weiterhin an.

 

„Aber… Presley…?“, begann sie verwirrt, und kurz verengten sich seine Augen.

 

„Presley kommt nicht?“, erwiderte er fast ungläubig und blieb vor ihr stehen. Ihr Puls beschleunigte sich rapide.

 

„Aber… ich war mit ihm- du hast ihm doch gesagt, dass ich ihn sehen will!“, fuhr sie ihn schließlich an, aber tatsächlich hob sich seine Augenbraue. Und was war es? War es… Nachsicht? Sie kannte den Blick sonst nur von Hugo. 

 

„Ja? Damit du einen Grund hast, abzuhauen?“ Dann schien er zu begreifen. „Rose, das war ein Vorwand. Ich dachte, das wäre klar? Dass Presley dumm genug ist, ihn zu nutzen…- ist lediglich von Vorteil. Warum denkst du, habe ich ihm diesen Raum vorgeschlagen?“, schloss er eindeutig, und ihr Mund klappte auf. „Du hast gedacht, ich schicke Presley, weil ich nicht mehr will?“, vermutete er dann und legte den Kopf schräg, und sie spürte, wie sie etwas rot wurde. Hitze stieg langsam in ihre Wangen. Oh verdammt! Dieser Slytherin! Kurz wusste sie nichts zu sagen. Aber dann dachte sie weiter.

 

„Und… und wo ist er jetzt?“ Sie senkte hastig den Blick. Merlin, sie kam sich fast dumm vor. Aber… woher hätte sie das wissen sollen?!

 

„Ich habe den anderen klar gemacht, dass wir ein Notfall-Team-Treffen brauchen, weil Al jetzt ja nicht da ist. Und… weil Al zurzeit fehlt, und es mich zu sehr belastet, habe ich frei bekommen… um dir zu sagen, dass Presley es heute leider doch nicht schafft“, schloss er, beinahe schnippisch. Wow. Er war so ein Slytherin. Dann aber hob sich sein Blick und Abwägung trat auf seine markanten Züge. „Aber… du dachtest, er würde tatsächlich kommen? Du… wolltest Presley sehen?“, vergewisserte er sich plötzlich und fixierte sie prüfend. Ihr Mund klappte wieder zu. Hastig schüttelte sie den Kopf.


„Nein, ich…- nein, wollte ich nicht!“, entfuhr es ihr vorschnell. „Aber… er sagte, du…“ Sie schwieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war vollkommen überwältigt, dass sie jetzt tatsächlich alleine mit ihm war, und… teilweise eine Ausrede hatte. Rumer würde Dom sagen, sie träfe sich mit Presley, Presley würde denken, Scorpius hätte das Treffen abgesagt, und… zur Not würde sie morgen sagen, sie wäre noch durchs Schloss spaziert, hätte sonst was gemacht! Wäre in die Bibliothek gegangen. Sie hatte… eine Ausrede.

 

Und jetzt… waren sie hier. Und eigentlich sollte sie noch wütend sein. Das war ein riskanter Plan von ihm gewesen. Und es war nicht nett gewesen, sie nicht einzuweihen, einfach anzunehmen, sie verstünde seine Beweggründe. Aber leider… war sie nicht mehr so wütend, wie sie sein sollte. Leider. Ein Hauch Unsicherheit stahl sich auf seine Züge.

 

„Hi“, begrüßte er sie fast kleinlaut, stand nahe vor ihr, und sie hatte das Gefühl, ihr Körper vibrierte vor Aufregung, so nahe vor seinem.

 

„Hi“, erwiderte sie die Begrüßung tonlos, aber… sie wusste, sie hatten… Dinge zu besprechen. Sie… musste ihn Sachen fragen. „Du… hast mit… Dom Schluss gemacht?“ Zwar wusste sie es, aber sie musste doch fragen. Ein Schatten legte sich über seine Züge. Seine Hand fand den Weg zu seinen Haaren, kämmte sie nach hinten, und fast war ihr schon egal, was sie zu besprechen hatten. Fast wollte sie selber mit ihren Finger durch seine Haare fahren.

Dämliche Gedanken.

 

„Ja“, bestätigte er.

 

„Es… geht ihr… wirklich schlecht“, erwiderte sie und musste den Blick senken. Sein Blick aus seinen grauen Augen war zu intensiv, als dass sie standhalten konnte.

 

„Ich weiß“, entkam es ihm still.

 

„Ich meine…, bist du wirklich sicher, dass… dass- sie würde dich zurücknehmen“, sagte Rose schnell und sah, wie seine Hand sich langsam hob, wie er den Zeigefinger unter ihr Kinn legte, und der Körperkontakt alleine jagte Schauer durch ihren Körper.

 

„Gut zu wissen“, murmelte er, kam noch einen letzten Schritt näher, und hob sanft ihren Kopf, damit sie ihn ansah. Sie schluckte schwer. Aus den Augenwinkeln hatte sie ihn heute beobachtet. Er trug noch immer den dunklen Pullover, die Jeans, die ihm sehr gut stand, und ihr Herz brach neue Rekorde. Hätte sie sich tatsächlich umziehen sollen? Wie sah sie überhaupt aus? Sie hatte nicht mal mehr ihre Haare-

 

Er senkte den Kopf, überwand die letzten Zentimeter, und ihre Augen flatterten zu, als seine Lippen auf ihre fielen. Tausend Schmetterlinge schwirrten durch ihren Bauch, und das Gefühl war so berauschend wie das letzte Mal! Sie atmete ihn ein, drängte sich näher, und schon schlang sich seine Hand um ihren Hals. Er öffnete ihre Lippen mit seinen, und fast lautlos stöhnte sie in seinen Mund, als er seine Zunge tiefer voranschob. Sie reagierte sofort, und ihre Hände griffen in den weichen Stoff des Pullovers um ihn enger an sich zu ziehen.

Sie bewegten sich unbewusst, stießen gegen das Pult, und sie hasste, dass sie standen. Sie hasste, wie planlos es war. Schwer atmend löste sie sich von seinen Lippen, um sich umzusehen. Ihr Blick fiel auf die angelehnte Tür zu den Unterkünften, und auffordernd sah sie Scorpius an.

Sein Blick war dunkler geworden. Schroff nickte er, griff nach ihrer Hand, und mit weichen Knien ließ sie sich von ihm mitziehen. Ob er mit Absicht ihre gesunde Hand ergriffen hatte? Sie wusste es nicht. Es war egal.

 

Er stieß die Tür auf, entfachte auch hier die Lampen, und es war kein großes Zimmer. Es besaß einen Waschschrank, einen Kamin, einen Kleiderschrank und… ein recht schmales Bett. Die Bettwäsche war abgezogen, aber… es reichte völlig aus. Gleichzeitig bewegten sie sich, und Rose hielt es nicht mehr aus. Sie griff in seinen Nacken, und er kam ihr entgegen, küsste sie hart, schob sie zum schmalen Bett, bis es in ihre Kniekehlen stieß und sie knickte ein. Sie unterbrachen den Kuss nicht mal, als sie sich setzten, als er näher rückte, als seine Hände über ihr Gesicht wanderten, über ihren Hals, ihre Schultern, als sie auf ihrer Taille liegen blieben, und sie wollte ihm näher sein. Noch näher.

Ihre Zunge stieß gegen seine, und der Druck seiner Hände wurde fordernder. Langsam bewegten sie sich, glitten höher, und kurz wünschte sie sich, keinen bequemen Pulli zu tragen. Sie schnappte unbewusst nach Luft, als er den Ansatz ihrer Brüste berührte, und sofort unterbrach er den Kuss.

 

„Zu schnell, oder? Das… ist viel zu schnell-“ Aber sie hörte ihm gar nicht zu, nutzte einfach die Gelegenheit und zog sich, mutiger als sie war, den Pulli über den Kopf Sie trug ein enges Trägershirt darunter, und sein Mund öffnete sich kurz, aber sie sah ihm einfach in die Augen, und hoffte, er konnte sehen, dass es nicht zu schnell ging. Dass sie ihn spüren wollte. Dass… er sich jetzt gerade einfach keine Gedanken machen brauchte. Sie trug nicht mal einen BH, hatte sich nicht mal Gedanken gemacht. Sie hatte nicht damit gerechnet, heute in so eine Situation zu kommen. Er reagierte nicht wirklich, und sie biss sich auf die Lippe, als sie einfach aufstand und sich sehr vorsichtig rittlings auf seinen Schoß setzte.

 

„Ist… ist das ok?“, fragte sie ihn beschämt, als er hoch in ihr Gesicht blickte, und er nickte stumm, sah sie noch immer mit diesen hypnotischen Augen an, und sie stütze sich auf seine Schultern, als sie den Abstand schloss, den Kopf senkte und ihn erneut küsste. Sofort griffen seine Hände in ihre Hüften, pressten sie an sich, und es fühlte sich unbeschreiblich an.

Sie erinnerte sich an den Tag am Strand. Lebhaft, andauernd, aber… sie wusste auch, dass sie abgehauen war. Dass sie nicht mit ihm gesprochen hatte, dass… seine Hände ihr Kleid geöffnet hatten – und sie hatte Angst bekommen. Es war zu schnell gegangen, und sie wusste noch immer nicht, wie weit sie gehen konnte – oder sollte, oder… überhaupt! Aber jetzt gerade fürchtete sie sich nicht.

Und unter ihrem Schoß spürte sie seine Reaktion deutlich. Es ließ ihn nicht kalt. Seine Erektion war steinhart. Sie spürte es so deutlich, und das wiederum jagte ihr etwas Angst ein.

Dieses Mal strichen seine Hände sanft über ihren Busen, und ihr Herz raste. Irgendwie schienen seine Daumen ihre Brustwarzen unter dem Stoff zu erahnen, und provozierend rieb er über den Stoff. Instinktiv presste sie sich in seinen Schritt, und er stöhnte grollend in ihren Mund. Bevor sie die Sensation begreifen konnte, warf er sie zur Seite um, lag über ihr zwischen ihren Beinen, küsste sie hungrig, und langsam schoben seine Hände ihr Shirt nach oben über ihren Bauch. Ihr Atem ging flacher, und dann löste er sich von ihren Lippen, küsste ihren Hals, nur um tiefer zu verschwinden, nur um plötzlich mit der Zunge um ihren Bauchnabel zu fahren, und sie biss sich stöhnend auf die Unterlippe. Merlin! Er schob das Top höher, bis zu ihren Brüsten, küsste eine Spur über ihren Bauchnabel hinauf, und dann hob sich sein Blick.

 

Seine hellen Strähnen hingen ihm dicht in die Augen, und für sie war es ein unfassbar erotischer Moment.

 

„Wir… wir sollten über ein paar Dinge reden?“, brachte er hervor, aber seine Augen sagten andere Dinge. Reden schien nicht ganz oben auf seiner Liste zu stehen. „Ok?“, vergewisserte er sich atemlos, kletterte von ihr runter, und sie stützte sich auf die Ellbogen, setzte sich ein wenig benebelt auf und zog beschämt ihr Oberteil zurecht. Sie nickte bloß, traute ihrer Stimme nicht.

„Wie… weit willst du… gehen? Ich meine…“ Er sah sie an, suchte nach Antworten in ihrem Gesicht, und sie wusste es nicht. „Bist du…? Hast du schon…?“ Es war eine furchtbare Frage. Es fühlte sich bloßstellend an, und sie senkte den Blick, um den Kopf sachte zu schütteln. Nein, sie hatte noch nie irgendetwas. Das hier war… so unglaublich! Noch niemand hatte sie so berührt. Und das jetzt gerade… war das erotischste, was sie jemals erlebt hatte.

„Ok“, sagte er wieder, fuhr sich durch die Haare. „Ich… weiß nicht, was… du willst, ok?“, murmelte er, versuchte, sie anzusehen. „Was dir angenehm ist? Oder…- Rose?“ Er wartete, bis sie den Blick hob. Sie hasste es, in diesen Dingen unerfahren zu sein.

 

„Tut mir… leid, dass ich… keine Erfahrung habe“, brachte sie angespannt hervor, aber seine Augen weiteten sich.

 

„Was? Was redest du für einen… absoluten Blödsinn?“, wollte er rau von ihr wissen. „Mir gefällt, dass du… dass…- du anders bist. Dass… Dinge neu sind, und… ich will dir einfach… nicht wehtun“, entfuhr es ihm. „Und… ich weiß, dass… du vielleicht mehr Zeit brauchst. Und… es tut mir leid, wenn ich ungeduldig bin, oder… es so wirkt. Und… wahrscheinlich wäre es ohnehin besser, zu warten. Bis… bis sich Dinge beruhigt haben, aber… ich konnte nicht warten“, sagte er plötzlich, und sie sahen sich an. „Ich… wollte nicht mehr warten.“

 

Und sie fühlte genauso. Sie wollte auf gar nichts warten. Wer wusste schon, wann sie die Gelegenheit haben würde, ihn wiederzusehen? Ihre Angst war, dass er zurück zu ihrer Cousine ging. Dass er es nicht aushalten würde, denn… wer war sie schon? Sie war Rose Weasley. Nicht hübsch, nicht erfahren und ziemlich scheiße, weil sie ihre Cousine hinterging. Das war alles, was sie war.

Und sie wusste, er wollte wahrscheinlich mit ihr schlafen. Der Gedanke alleine reichte, um sie knallrot werden zu lassen. Und wahrscheinlich war es nicht schmeichelhaft. Wahrscheinlich benutzte er sie bloß, und sie ließ es zu. Sie dachte an Rumers Worte, daran, dass ihre beste Freundin in wenigen Tagen mit James schlafen würde. Sie dachte daran, dass sie immer ein Spätzünder war, und… dass sie hasste, nicht offener zu sein.

 

„Wir… können das langsamer angehen.“

 

Sie biss sich auf die Lippe. „Was heißt, langsamer?“, fragte sie ihn scheu. Und seine Mundwinkel hoben sich.

 

„Alles, was du willst“, erwiderte er rau. Und eigentlich wollte sie nicht reden. Sie wollte, dass er sie küsste. Das wollte sie. Deshalb beugte sie sich vor, überwand den Abstand und… küsste ihn. Das konnte sie mittlerweile. Er atmete sie ein, erwiderte den Kuss sanft, aber… sie wollte ihn wieder auf sich spüren. Es hatte ihr gefallen, was er mit ihr getan hatte, dass er ihren Körper geküsst hatte. Es war… was sie jetzt gerade wollte, egal, ob es falsch war. Sie zog ihn mit sich zurück, ließ sich auf die alte Matratze fallen, und er grinste gegen ihre Lippen.

Und sie wusste nicht, wie viel Zeit verging. Wie lange sie einfach auf dem Bett lagen und wie lange sie sich küssten. Es kam ihr endlos vor und ihr wurde immer heißer, es staute sich immer mehr in ihrer Mitte zusammen, und irgendwann glitt seine Hand tiefer, über den Saum ihrer Hose, fuhr zwischen ihre Beine, und gegen seine Lippen schnappte sie nach Luft.

Sofort löste er sich einen Zentimeter von ihr, um sie anzusehen. Seine Hand lag noch immer zwischen ihren Beinen. Röte sprengte ihr Gesicht.

 

„Was das… ok?“, flüsterte er atemlos, und sie nickte überfordert und voller Verlangen. Wieder rieb seine Hand über die Stelle zwischen ihren Beinen, und ihm dabei in die Augen zu sehen, zu sehen, wie es ihn selber erregte, ließ ihren Kopf zurückfallen. Sie musste die Augen schließen. Es fühlte sich unglaublich an! Er wiederholte die Bewegung, und selbst durch den Stoff der Jeans war es unglaublich! Dann hörte er auf, und seine Hand glitt wieder höher, nur um den Knopf der Jeans zu öffnen. Ihr Kopf flog zurück und panisch weiteten sich ihre Augen.

 

„Keine Angst“, sagte er dann, und sanfter Schweiß stand auf seiner Stirn. Was tat er? Sie lag unter ihm, hielt die Luft an, und dann öffnete er ihren Reißverschluss, ließ sie nicht aus dem Blick, und sie wollte protestieren, als er die Hand langsam in ihre Hose gleiten ließ, absolute Anspannung und Beherrschung auf den Zügen. Sie wollte ihm sagen, dass sie es nicht wollte, dass sie sich schämte, weil sie wusste, dass… dass Mädchen sich dort unten… frisieren konnten – und dass sie sich nie um so etwas geschert hatte! All die albernen Gespräche mit Rumer kamen ihr in den Sinn, all die Geschichten von Mädchen, die Zauber ausprobiert hatten, und bei denen irgendwelche Frisuren und Symbole nach hinten losgegangen waren, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ob er anderes gewöhnt war – bei Dom garantiert! Und es war ihr peinlich, dass sie… dass sie…- Oh Merlin!

 

Seine Hand glitt über ihren Slip, tiefer, und er musste jetzt spüren, wie nass ihr Slip bereits war – wie unfassbar erregend es war! Es musste ekelhaft für ihn sein, aber…- stattdessen schlossen sich seine Augen angestrengt, und ihr Atem beschleunigte sich. Sie hielt ihn nicht auf, als seine Finger über ihre Mitte fuhren, als er sich nicht beherrschen konnte, den Stoff mühsam beiseiteschob, und sie schnappte nach Luft, als er sie tatsächlich berührte – ohne irgendeinen Stoff dazwischen, und ihr Mund öffnete sich tonlos, als er ihren Eingang fand – und zwei seiner Finger einfach in sie glitten.

 

Sie stöhnte unterdrückt auf, ihre Augen schlossen sich, und schon spürte sie seine Lippen, spürte den hungrigen Kuss, und seine Zunge schob sich verlangend vor, stieß gegen ihre, und träge begann der Kampf. Er zog die Finger zurück, und sie zitterte praktisch unter ihm. Er küsste sie verlangender, wiederholte die Bewegung, stieß die Finger wieder in sie, und es fühlte sich unfassbar verboten gut an. Auch sein Atem ging schneller. Sie bewegte unbewusst ihr Becken, stöhnte ungehalten in seinen Mund, und dann benutzte er seinen Daumen, traf ihren empfindlichen Punkt, rieb in schmerzhaften Kreisen darüber, und sie glaubte, den Verstand zu verlieren. Ihr Atem ging übergangslos schneller, und etwas Mächtiges erfasste sie, und sie musste sich von seinen Lippen lösen.

Erlösend fiel ihr Kopf zurück und ein kehliger Laut entrang sich ihrer Kehle, ein Laut, den sie noch nie gehört hatte, und ihr erster Orgasmus zerschmetterte praktisch ihr Gehirn, so kam es ihr vor!

 

Ihr Becken presste sich gegen seine verdammten Finger, die sie noch weiter reizten, und ihr Rücken bog sich verlangend durch. Punkte tanzten vor ihren geschlossenen Augen, und dann ebbten die Wellen langsam ab. Ihr Atem beruhigte sich langsam und kurz spürte sie seine Lippen auf den ihren. Es war nur ein kurzer Kuss, und irgendwann flatterten ihre Lider auf. Seine Finger waren nicht mehr in ihre, seine Hand nicht mehr in ihrer Hose, und er betrachtete sie nahezu abwartend. Sie fühlte sich unheimlich zufrieden, absolut befriedigt. Wow!

 

„Spaß gehabt?“, fragte er sie rau, und sie konnte nur annehmen, wie frustrierend es für ihn sein musste. Aber sie konnte nicht anders, als zu lächeln.

 

„Mhm“, bestätigte sie frech, und seine ebenmäßigen Mundwinkel hoben sich.

 

„Gut“, entgegnete er, und für eine Sekunde kam es ihr absolut absurd vor, dass sie so etwas mit Scorpius Malfoy erlebte. Sie hatte es vorher nie wirklich gesehen, aber… er sah unverschämt gut aus. Vor allem jetzt, kurz nachdem er sie zum Kommen gebracht hatte. Wirklich verdammt gut. Sie setzte sich langsam auf, während er neben ihr bäuchlings auf dem Bett lag, sich mit dem linken Ellbogen abstützte und zu ihr aufsah.

 

„Kann… kann ich was für dich tun? Ich meine…“, begann sie unschlüssig, und sein Grinsen verebbte langsam. „Wenn du mir sagst, was ich tun soll-“, fuhr sie unschlüssig fort, und er schüttelte den Kopf.


„Du musst gar nichts tun, Rose“, sagte er kopfschüttelnd.

 

„Ich… würde gern“, flüsterte sie praktisch, und sie sah ihn schlucken. Seine Hand hob sich, spielte kurz mit einer ihrer Locken, bevor er fast zärtlich über ihre Wange strich. Sie hielt praktisch den Atem an.

 

„Vielleicht… sollten wir es langsam angehen, und-“

 

„-ich kann dich anfassen, Scorpius“, unterbrach sie ihn ruhig, und alleine durch ihre Worte schien er schon die Fassung zu verlieren. Überrascht fiel seine Hand von ihrem Gesicht. Sie wollte es. Sie wollte… sich revanchieren. Sie… wollte, dass er so fühlte, wie sie. Das war es doch, was sie hier taten, oder nicht? Es war… keine Zuneigung, es war… Nutzen. Und… nur weil sie unerfahren war, musste es doch nicht so bleiben. Sie wusste sehr genau, zu was sie da zugestimmt hatte. Und sie wollte es. Sie wollte ihn.

 

„Rose-“

 

„-zeig es mir“, bat sie ihn schlicht. Er reagierte zunächst nicht, sanfte Abwägung im Blick. „Zeig es mir, oder ich ziehe deine Hose einfach aus“, beschloss sie, und kurz musste er wieder lächeln.

 

„Du bist so verdammt stur“, entkam es ihm kopfschüttelnd. Er zögerte, während sie wartete. „Sicher?“, erkundigte er sich, und sie glaubte, sie könnte sich nicht sonderlich mehr schämen. Er hatte… sie dort unten berührt! Merlin!

 

„Ja“, bestätigte sie, und dann öffnete er seine Jeans. Langsam, unsicher, und sie sah die Beule in seiner Hose deutlich. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er zog die Hose tiefer, und in seiner dunklen Shorts pulsierte es verheißungsvoll. Sie biss sich auf die Lippe. Dann zog er die Shorts ebenfalls tiefer. Unbewusst hielt sie die Luft an. Sein Penis war groß, zumindest kam es ihr so vor. Nicht, dass sie irgendeinen Vergleich hätte! Alles, was ihr einfiel, war, dass sie im Planschbecken mit Hugo gesessen hatte – und das war wirklich ein erbärmlicher Vergleich! Merlin, was für ein absolut dämlicher Gedanke.

 

„Alles ok?“, fragte er sie rau, und sie nickte, verscheuchte diesen Gedanken hastig und riss den Blick von seinem Penis.

 

„Was muss ich tun?“, fragte sie ihn tonlos, und er grinste ein schiefes Grinsen.

 

„Du musst gar nichts tun“, erinnerte er sie kopfschüttelnd.

 

„Malfoy-“, warnte sie ihn, und lächelnd griff er nach ihrer Hand, und sie schwieg. Er legte ihre Handfläche um seinen Schaft, und es war weicher, als sie jemals vermutet hätte. Seine Augen schlossen sich übergangslos, und er zog scharf die Luft ein.

 

„Nicht… so fest“, brachte er abgehackt über die Lippen, und seine Hand legte sich über ihre, führte ihre Finger, und sie ahmte die Auf- und Abbewegung nach. Fasziniert beobachtete sie seine Reaktion, und irgendwann fiel seine Hand von ihrer, und sie pumpte eigenständig an seiner Länge auf und ab. Längst war sein Kopf zurückgefallen und mit wachsendem Interesse beobachtete sie, was passierte, wie sich seine Vorhaut bewegte, wie jede schnellere Bewegung, jede festere Bewegung, eine andere Reaktion, einen anderen Laut aus seiner Kehle lockte. Sie bemerkte, wie es tatsächlich auf die Muskeln, ging, wie ihr Arm lahm wurde, aber sie beschleunigte das Tempo trotzdem, bewegte ihre Hand schneller, und dann bockte er hoch, drehte sich geistesgegenwärtig zur Seite, und sein Samen ergoss sich auf der Matratze. Hastig griff er sich den Zauberstab, säuberte die Matratze stumm, und sie sah, wie sein Penis schlaffer wurde. Mühsam zog er sich die Shorts und die Hose wieder hoch, und immerhin wirkte er nun ebenso benebelt wie sie. Erschöpft fiel sein Oberkörper zurück auf die Matratze und sie legte sich zurück neben ihn.

 

„Ok“, entkam es ihm heiser. „Ich denke… das war ein guter Abend.“ Sie starrten beide an die Decke, und irgendwie kam sie sich schrecklich erwachsen vor. „Sowas dürfte in diesem Raum noch niemals vorgefallen sein“, ergänzte er mit einem schwachen Lächeln. Kurz zuckten auch ihre Mundwinkel. Nein, wahrscheinlich hatte er Recht.

 

„Ich bin froh, dass du nicht Presley warst“, sagte sie irgendwann und drehte den Kopf zur Seite. Er drehte den Kopf ebenfalls nach links, und sah sie mit erhobener Braue an.

 

„Mh, ich auch“, bestätigte er spöttisch.

 

„Malfoy?“ Er sah sie an, und der Spott verschwand aus seinen grauen Augen.

 

„Ja?“

 

„Wie… wie geht es jetzt weiter?“ Sie hasste diese Frage. Sie hasste, dass es kompliziert war. Sein Blick war so ernst, und sie glaubte, er würde gar nichts mehr sagen. Aber irgendwann atmete er aus.

 

„Was möchtest du hören? Einen… Zeitplan, oder-?“

 

„-nein, ich…“ Sie wusste es ehrlich gesagt nicht. Natürlich gab es keinen Zeitplan. „Ich meine, wie oft würde so ein Trick mit Presley noch klappen? Es… ist doch irgendwie absolut unmöglich, dass… dass wir…“ Sie sah ihn hilflos an.

 

„Morgen ist Training“, sagte er schließlich. Sie blinzelte knapp. „Gryffindor hat Training, richtig?“ Er wartete, und dann nickte sie. Ja, richtig. Morgen war Training.

 

„Ja?“, bestätigte sie mit gerunzelter Stirn.

 

„Ich habe ein Vertrauensschülertreffen. Ich könnte danach zum Feld kommen.“ Er überlegte er laut, denn er sah sie nicht an.

 

„Und dann was?“

 

„Dann treffen wir uns im Zelt“, schlug er vor. Sie verzog den Mund.

 

„Es ist zu kalt im Zelt“, sagte sie dann. Er atmete aus.

 

„Jaah“, bestätigte er. „Was ist mit Hagrids Hütte?“, wollte er dann wissen, und sie schüttelte wieder den Kopf.

 

„Professor Longbottom sieht dort ab und zu nach dem Rechten. Das… wäre zu gefährlich.“ Er wandte den Blick, blickte wieder zur Decke und seufzte dann auf.

 

„Ich denke, dann müssen wir wohl oder übel hier bleiben“, entschied er, aber sie fand es nicht witzig.

 

„Was ist mit dem Wochenende?“, fragte sie ihn, denn sie wusste nicht, wann sie sich unverfänglich unter der Woche treffen sollten. Aber er schwieg. „Scorpius?“ Irgendwann atmete er aus.

 

„Das Wochenende ist schlecht.“

 

„Das ganze?“, vergewisserte sie sich, denn sie wusste zwar, dass er lernte, aber… doch wohl nicht das ganze Wochenende?!

 

„Ja“, bestätigte er. Es gefiel ihr nicht. Es war keine gute Antwort. Seufzend sah er sie an. „Mein… Vater holt mich ab“, beschloss er, zu erzählen. Ihre Augen weiteten sich.

 

„Als Strafe?“, wollte sie wissen, und tatsächlich lächelte er freudlos.

 

„Nein, ich…- meine Mum hat mir ein Haus vererbt, und das muss ich mir ansehen“, schloss er bitter. Sie schwieg daraufhin. Richtig. Sie vergaß es wieder und wieder. Er hatte keine Mum mehr. Sie war so dumm. Wieso entfiel es ihr immer? Es war wirklich egoistisch von ihr.

 

„Oh“, sagte sie also. „Ich…- es tut mir wirklich leid wegen… wegen deiner Mum“, schloss sie beschämt und er wandte den Blick wieder.

 

„Muss es nicht“, tat er ihre Worte achselzuckend ab, aber sie runzelte die Stirn.

 

„Doch, das muss es“, widersprach sie kopfschüttelnd. „Du… hast deine Mum verloren. Ich… könnte mir nicht vorstellen, wie es ohne meine Mum wäre“, sagte sie leise.

 

„Es ist scheiße. Aber… es ist nicht zu ändern.“ Sie nahm an, es war seine Art damit umzugehen.

 

„Es tut mir wirklich leid, Scorpius“, wiederholte sie ernster. Dieses Mal atmete er aus.

 

„Ok“, sagte er nickend. „Danke“, ergänzte er knapp.

 

„Wenn du… darüber reden willst-“

 

„-dann nerve ich Al“, unterbrach er sie, aber sein Lächeln schwand sehr plötzlich. „Sobald er wieder da ist“, ergänzte er stiller, und sie schluckte schwer. Richtig. Es gab noch andere Dinge in ihrem Leben, neben dieser verbotenen Affäre, die sie hier unterhielten. 

 

„Jaah“, erwiderte sie gedankenverloren. „Muss nett sein, Häuser zu erben.“

 

„Als ob ihr arm wert“, griff er fast dankbar ihre Worte auf, und der Spott kehrte zurück.

 

„Ich glaube, man kann es nicht vergleichen“, wagte sie, zu sagen.  „Der Malfoy-Stammbaum ist doch garantiert zweihundert Generationen lang?“

 

„Und der Weasley-Stammbaum nicht?“, konterte er mit erhobener Braue.

 

„Ja, aber wir sind arm. Ihr seid reich.“ Er schüttelte seufzend den Kopf.

 

„Ich hasse das Gold“, sagte er plötzlich. Rose runzelte die Stirn.

 

„Hätte ich so viel Gold, würde ich mir irgendwann ein Haus am Strand kaufen und für immer dort bleiben“, entkam es ihr fast tonlos.

 

„Alleine?“ Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme.

 

„Vielleicht nehme ich Presley mit“, entgegnete sie doch schlagfertiger, als sie angenommen hatte. Und sie sah aus den Augenwinkeln, wie er sich aufrichtete.

 

„Ach ja?“, erkundigte er sich rau, während er näher kam und sich über sie beugte. „Vielleicht kannst du ihm ja beschreiben, wie man ein Mädchen anzufassen hat“, murmelte er, kurz vor ihren Lippen, ehe sein Kopf sich senkte, und ihre Augen schlossen sich automatisch. Fast hatte sie seine Lippen schon vermisst. Der Kuss war sinnlich und sanft, und sie erwiderte ihn absolut willig. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken, und nur zu schnell löste er sich wieder. „Es… wird spät“, murmelte er, küsste sie noch einmal, und sie wollte nicht gehen.

 

Er hatte die Frage nicht beantwortet. „Wann sehen wir uns wieder?“, wiederholte sie, mit mehr Nachdruck, mit etwas zu viel Sehnsucht, nahm sie an, denn ein Lächeln erhellte seine Züge.

 

„Vermisst du mich?“, wollte er wissen, und sie verdrehte die Augen.

 

„Nicht wirklich“, behauptete sie, ließ aber die Arme immer noch um seinen Nacken liegen.

 

„Morgen nach dem Training“, versprach er ihr rau, und sie verengte die Augen.

 

„Und wie? Und wo?“

 

„Ich lass mir was einfallen“, murmelte er bloß, bevor er sie wieder küsste.

 

„Malfoy-“, protestierte sie gegen seine Lippen, aber nicht zu ernsthaft. Sie spürte sein Lächeln.

 

„-hey, ich bin ein Slytherin, mir fällt schon was ein“, flüsterte er, und ihre Augen schlossen sich resignierend und wieder küsste sie ihn, konnte gar nicht anders. Und sie hatte keine Ahnung, wie Affären funktionierten, aber sie glaubte, sie war wirklich schlecht darin, denn… sie glaubte nicht, dass sie gleichzeitig auch mit Presley ausgehen konnte, wie er vorgeschlagen hatte. Aber das war erst mal egal.

Das Wichtigste war, dass sie es geheim hielten.

 

Und dass er nicht aufhörte, sie zu küssen….

 

 

 

Sixteen

 

Es war einsam ohne Al. Es war… nicht dasselbe. Aber er wusste, dass er wiederkommen würde. Er wusste es einfach. Und bis dahin hatte er… Ablenkungen. Sein Blick hob sich, um sie anzusehen. Sie war… so anders als Dominique. Er mochte, wie schnell sie rot wurde. Er mochte all die unzähligen Sommersprossen. Er mochte, wie unglaublich es war, sie zu berühren, und er mochte, wie verdammt eng sie sich angefühlt hatte. Ihr Körper war fester als Dominiques Körper war, alleine deshalb, weil Rose sportlich war. Unfassbar sportlich. Unter den Schichten an Kleidung verbarg sich eine ungeahnte Erotik, und ihm gefiel, dass sie es niemals darauf anlegte, ihren Körper einzusetzen, um etwas zu bekommen. Er war es anders gewöhnt. Sie war so… ehrlich, hatte nicht mal einen BH getragen, was ihn wahnsinnig gemacht hatte! Und sie war… nicht glatt gewesen unten, nicht künstlich. Es hatte… unfassbaren Spaß gemacht.

Er hatte keine Ahnung, ob sein Blick zu intensiv geworden war, aber plötzlich hob sich ihr Kopf, wandte sich halb in seine Richtung, und ihre welligen Haare rutschten über ihre Schulter. Er mochte ihre Haare. Ganz entgegen seiner anfänglichen Überzeugung, waren rote Haare absolut sein Fall. Er hatte von ihr geträumt. Und es war… nichts Versautes gewesen. Er hatte einfach nur von ihr geträumt, von… ihrem Gesicht, ihrem Lächeln. Es war beinahe lächerlich, und er würde es auch keinem erzählen.

Ihre Blicke trafen sich, und er konnte nicht anders, als sich an ihr Gesicht zu erinnern, als sie seinen Schwanz angefasst hatte. Fast erahnte er die Röte auf ihren Wangen wieder, und ihr Blick fiel hastig zurück in ihren Kessel.

 

Er saß nicht mehr am Gryffindortisch. Das war vorbei. Dominique war heute wieder nicht da. Sie mied die Fächer, die sie zusammen belegten, und er konnte nicht sagen, dass es ihn störte. Es war ihm sogar recht. Dann zerstörte ihn das Gewissen immerhin nicht die gesamte Zeit über.

Er wusste, wie scheiße es war. Er machte mit der einen Cousine Schluss, um die nächste zu nehmen. So sah es aus, nahm er an.

 

„Wird das noch was, Mr. Malfoy?“ Er hatte Professor Longbottom nicht mal kommen hören. Wieder hatte der Kräuterkundeprofessor Zaubertränke übernommen, und Scorpius riss sich zusammen, richtete die Aufmerksamkeit auf seinen verdammten Kessel und warf die restlichen Zutaten hinein. Missbilligend beobachtete Longbottom ihn und notierte sich etwas auf Pergament. Durchfallen lassen würde er ihn nicht können, nahm Scorpius dumpf an. Immerhin etwas. Er konzentrierte sich auf die Zutaten, denn er konnte Louis‘ Blick spüren. Noch immer hatte er Sorge, dass Dominiques Bruder einfach nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete, ihn anzugreifen, und… sehr wahrscheinlich würde Scorpius ihn gewähren lassen.

Er wusste nicht, wie lange Dominique brauchen würde, um… zu vergessen. Um weiterzumachen, ohne ihn. Er hatte nicht vergessen, was Rose gesagt hatte. Merlin, er konnte es selber sehen, wusste, dass Dominique im Moment schwach war und ihn wahrscheinlich zurücknehmen würde, würde er nur wollen.

Und er dachte an sie. Sehr häufig, aber… fast nur aus Schuld heraus, nicht weil er sie wirklich vermisste.

 

Er musste sich mit diesen Gedanken ablenken, weil er sonst nur traurig werden würde, dass er bei den Gryffindors nichts mehr zu suchen hatte. Es war ein Club. Und aus diesem Club war er rausgeflogen. Es betrübte ihn, aber er hatte es so gewählt, und bisher… konnte er nicht anders, als es kaum zu bedauern. Vielleicht käme das noch. Aber er würde auf Al warten, und er wusste, dieses Mal würde er ihm die Wahrheit sagen. Und ja, es bestand die Gefahr, dass Al es erzählte, aber… dann würde er das eben tun. Nur war sich Scorpius noch nicht sicher, wann er das tun würde. Vielleicht wenn es vorbei wäre? Wieder hob sich sein Blick verstohlen, um Rose zu betrachten.

Wenn es vorbei wäre, könnte er es Al erzählen. Es war gerade erst der Anfang, und er dachte schon über das Ende nach. Es war wichtig, sagte er sich. Es war nur der reine Nutzen. Er könnte nicht mit ihr zusammen sein. Nicht, wie er es mit Dominique gekonnt hatte. Und das stand einfach fest. Egal, was passierte. Sie würden es beenden müssen. Noch nicht jetzt, noch nicht morgen. Aber irgendwann. Er glaubte auch, dass Rose nicht stark genug wäre. Sie könnte sich nicht mit ihrer Familie anlegen, diese ‚Sache‘ rechtfertigen und dafür gerade stehen. Scorpius traute es ihr nicht zu. Sie wirkte so unbedarft in diesen Dingen, hatte keinerlei Erfahrungen mit Auseinandersetzungen dieser Art.

Und vielleicht war es gut. Es würde es einfacher machen, zu gehen, denn sie würde ihm keine Alternative bieten können. Sie würde ihn wahrscheinlich nicht mal aufhalten wollen. Und er wusste, Presley wäre eine bessere Wahl.

Sie würden jetzt einfach ihren Spaß haben, und dann… würden sie diese Sache genauso heimlich beenden, wie sie sie begonnen hatten. Das war der Plan. Und er hoffte wirklich, dass es so funktionieren würde.

 

Endlich ertönte irgendwann der Gong dumpf durch die Schlossmauern. Er packte die Sachen zusammen, während Collin auf ihn einredete, aber Scorpius hörte kaum zu. Rose brachte den Kessel zurück in den Schrank, und unfassbarerweise hatten sie erst gestern im Nebenraum im Bett gelegen und verbotene Dinge getan. Er fragte sich, was sie fühlte, ob es ihr unangenehm war, ob es sie erregte? Er wusste es nicht, und er konnte sie nicht fragen.

Sie beachtete ihn nicht mehr, sprach mit Rumer, und Scorpius zwang sich, nicht mehr zu denken. Zumindest nicht mehr daran. Er musste durch den Rest des Tages kommen, und zumindest Collin freute sich, dass er nun Zeit mit ihm verbrachte, wo Al nicht da war.

Aber größtenteils wollte der andere Treiber von ihm lediglich Theorien durchgehen, wo Al war, was er wohl gerade tat und ob er jemals wiederkommen würde. Scheinbar hatte Collin eigenartige Sehnsüchte, würde wohl selber gerne mal abhauen, untertauchen, Menschen kennenlernen und… irgendwie überleben.

Menschen waren alle irgendwie eigenartig.

Flüsternd sprach Collin jetzt auf ihn ein, und sie verließen den verruchten Klassenraum, den Scorpius nie mehr unbefangen als Zaubertränkeraum wahrnehmen würde.

 

 

 

         Er tat es aus verschiedenen Gründen. Er wollte Antworten, und er wollte sie jetzt. Hugo schritt durch den Raum und verzichtete zum ersten Mal in seinem Leben auf den Platz in der ersten Reihe. Und heute würde er es tun. Heute würde er Cara um eine Verabredung bitten. Aber er würde bei diesem Treffen nicht neben ihr sitzen. Es war Taktik. Und Scorpius saß ohnehin alleine, hatte keine Freunde mehr und war ausgestoßen. Hugo war sauer auf ihn, keine Frage. Nicht nur, weil Scorpius einen höheren Rangplatz in der Familie belegt hatte, als er, aber das war ja nun auch vorbei.

Aber eigentlich ging es eher darum, dass er annahm, dass Scorpius besser wüsste, wie es Rose ging, als Hugo es erahnen konnte. Und ihn könnte er jetzt fragen, was ihm auf der Seele brannte, so sehr er nach außen auch vorgab, dass es ihn nicht kümmerte.

Er ging sehr stark davon aus, dass sich etwas Ekliges zwischen ihm und seiner Schwester angebahnt hatte. Sehr stark. Und offener Schock stand praktisch in Scorpius‘ Gesicht, als Hugo vor seinem Doppeltisch innehielt.

 

„Ist hier frei?“, wollte er also wissen, fixierte ihn genau, und Scorpius starrte ihn an.

 

„Wieso?“, entkam es ihm defensiv, aber Hugo atmete ruhig aus.

 

„Ja oder nein?“, wiederholte er schlicht, und Scorpius gab nach, verdrehte die Augen und rückte ein Stück zur Seite.

 

„Mach, was du willst“, knurrte Scorpius abweisend, und Hugo setzte sich kopfschüttelnd neben ihn.

 

„Ich habe dir nichts getan. Ich bin tatsächlich der einzige, der noch mit dir redet“, fiel Hugo spöttisch auf. „Abgesehen von…“ Er zögerte, wollte es nicht sagen, aber Scorpius‘ Blick hob sich langsam. „Auch egal“, schloss Hugo achselzuckend.

 

„Was wird das?“, wollte Scorpius kalt wissen. „Willst du mir ins Gewissen reden? Willst du mich nerven? Oder willst du mir drohen?“ Wow. Der Slytherin war ganz klar auf Offensive gepolt.

 

„Habe ich kein Interesse dran“, gab Hugo zurück. „Ehrlich. Zurzeit reden Rose und nicht mehr – nicht, dass wir jemals viel gesprochen hätten, aber wenn sie ein selbstzerstörerisches Techtelmechtel mit dir glücklich macht, dann… meinetwegen“, erklärte er offen, schaffte sogar ein nonchalantes Lächeln. Merlin, dieser Junge war sehr leicht zu durchschauen. Hugo hatte sogar das Gefühl, der blasse Slytherin wurde noch etwas bleicher um die Nase.

 

„Du hast keine Ahnung wovon du redest, Weasley“, brachte Scorpius gepresst hervor. Hugos Augenbraue hob sich entsprechen ungläubig.

 

„Das wäre mal was neues“, erwiderte er lächelnd. Scorpius schüttelte angewidert den Kopf. Aber tatsächlich stimmte es alles nicht so ganz. Tatsächlich sorgte sich Hugo um Rose. Tatsächlich glaubte er nicht, dass Rose irgendeine Verbindung zu Scorpius glücklich machen würde. In keiner Hinsicht. „Überleg dir einfach, was du tust“, schloss Hugo stiller. Wieder spürte er Scorpius‘ Blick auf sich

 

„Das geht dich alles überhaupt nichts an“, knurrte Scorpius, aber Hugo streckte den Rücken durch.

 

„Natürlich geht es mich was an. Das weißt du, das weiß Rose. Auch wenn… mich keiner dabei haben will. Es ändert nichts. Und jetzt… fühlst du dich so, wie ich mich immer fühle. Ausgrenzung macht keinen Spaß, auch wenn ich sie, in meinem Fall, nicht heraufbeschworen habe, wie du.“ Die Abweisung verschwand langsam aus Scorpius‘ Blick, und Hugo mochte nicht wirklich, dass er mit Scorpius besser reden konnte als mit James oder mit Albus oder mit Louis.

 

„Wie läuft’s mit Rumer?“, wechselte der Slytherin glatt das Thema, und die Feindseligkeit kehrte zurück.

 

„Ist pausiert“, erwiderte Hugo tatsächlich offen. „Danke der Nachfrage.“

 

„Kein Ding. Alles, was dich nervös macht, frage ich gerne“, bemerkte Scorpius, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte nach vorne, wartete, dass die unfähigen Schulsprecher antanzten, obwohl Hugo Sutter dankbar war. Zwar war Sutter schuld gewesen, an dem Kater seines Lebens, aber immerhin hatte Sutter ihn wieder zurückgebracht. Und dann atmete Hugo aus.

 

„Warum ist Albus abgehauen?“, fragte er Scorpius leise, denn deshalb war er hier. Deshalb machte er sich die Mühe. Denn jetzt gerade hatte Scorpius nirgendwo zu sein. Er war nirgendwo willkommen, und vielleicht bestand die Chance, dass der blonde Wichtigtuer ihm die Wahrheit sagte. Hugo wusste nicht, warum es ihm so wichtig war. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er Dinge wissen wollte. Eigentlich alle Dinge. Es war eine Krankheit. Scorpius schien entnervt auszuatmen.

 

„Denkst du, das weiß ich?“, fuhr Scorpius ihn still an, und Hugo zuckte die Achseln.

 

„Du weißt, was passiert ist“, bemerkte Hugo dann. Scorpius verdrehte die Augen über ihn.

 

„Du weißt doch sonst auch alles, Weasley. Also, wieso jetzt nicht?“, wollte Scorpius bitter wissen, und Hugo zuckte die Achseln.

 

„Ich weiß, dass er wohl kaum Rose beleidigt haben wird. Oder vielleicht schon, aber für gewöhnlich treffen Rose Beleidigungen nicht wirklich. Es wäre kein Grund für sie gewesen, ihn zu schlagen. Also… geht es tiefer als das. Entweder wusste Albus, dass sie in dich verknallt ist oder… es ging um jemand anderen. Unsere Eltern?“, schlug Hugo nachdenklich vor, aber Scorpius‘ Gesicht hatte einen seltsamen Ausdruck angenommen. „Was?“, entfuhr es Hugo mit gerunzelter Stirn.

 

„Nichts“, entgegnete Scorpius schroff. Und dann sah er ihn wieder an. „Sie ist nicht in mich verknallt“, ergänzte er durch zusammengebissene Zähne. Hugo atmete lange aus.

 

„Ich bitte dich“, war alles, was er sagte.

 

„Ist sie nicht!“, wiederholte er beinahe angriffslustig. Aber es amüsierte Hugo fast. Der Junge vor ihm musste blind sein. Hugo war überzeugt, Rose war in Scorpius verschossen, seit diesem verhängnisvollen Sommer, und jetzt… na ja, jetzt hatte seine Schwester bekommen, was sie wollte. Merlin, Scorpius hatte mit Dominique Schluss gemacht. Für Rose! Und man musste kein Genie sein, um diese Verbindung zu erahnen. Für Hugo lag es glasklar auf der Hand. Und anscheinend investierte seine arme Schwester wesentlich mehr in diese Sache, als Scorpius Malfoy es tat. Aber das wunderte ihn nicht.

 

„Nein?“, wiederholte Hugo spöttisch. „Warum nicht? Habt ihr das so abgemacht?“, entkam es ihm abschätzend, und kurz weiteten sich Scorpius‘ Augen. So leicht zu durchschauen, wirklich.

 

„Halt’s Maul, Weasley“, zischte Scorpius jetzt, und Hugo sah, es kostete den Slytherin einiges, jetzt ruhig sitzen zu bleiben.

 

„Mh. Tja, es wird bitter enden, nehme ich an“, stellte er lächelnd fest. „Und damit wir uns verstehen – auf meine Fäuste ist kein Verlass, wie es bei meiner Schwester der Fall ist, aber glaub ja nicht, dass ich so elegisch wie Louis bleiben werde, nachdem du meine Schwester abserviert hast. Ich kenne Zauber, die lassen deine Eingeweide innerhalb von zwei Minuten vertrocknen, und das ist nicht mal der schlimmste Zauber, der mir auf die Schnelle einfallen würde, Malfoy. Ich erinnere mich, dass ich dich gewarnt hatte. Das hat scheinbar nicht gezogen, aber ich beobachte dich. Und du schaufelst dein Grab höchstwahrscheinlich selbst, ganz ohne meine Hilfe.“

 

„Bist du fertig?“, wollte er ungerührt wissen, und Hugo nickte langsam.

 

„So gut wie. Warum ist Albus abgehauen?“, wiederholte er schlicht seine Frage, und kurz spannte sich Scoprius‘ Kiefer an. Und er sagte es aus Trotz. Es wirkte nicht überlegt.

 

„Er hat deine Mum beleidigt.“ Und das war alles. Und nur für wenige Sekunden musste Hugo überlegen. Nur für den Bruchteil eines Atemzuges konnte er sich nicht vorstellen, was Albus gesagt hatte.

Aber… dann war es offensichtlich. Und gleichzeitig war es… einfach nur absurd. Es gab nur ein Wort, mit dem man seine Mutter beleidigen konnte, was Rose derart zur Weißglut gebracht hätte.

Hugos Blick fiel. Dieses Bekenntnis hatte etwas Ohnmächtiges an sich.

Es zerriss etwas in ihm, denn er liebte seine Mum. Mehr als er Albus Potter jemals lieben könnte.

Und wie hatte Rose es ihm vorenthalten können? Scorpius sagte irgendetwas, aber Hugo hörte es gar nicht. Er empfand tiefe Wut auf Albus Potter, und er empfand Wut, dass sich dieser Wichser solange versteckt hielt, weil er feige war.

 

Hugo Weasley hatte genug. Vielleicht war er nicht der klügste Junge dieser Schule, aber der klügste aus seiner Familie war er alle mal. Und er tat etwas, was er bis vor einer Woche niemals im Ansatz hätte tun wollen. Aber… Dinge änderten sich scheinbar laufend.

 

„Entschuldige mich“, entfuhr es ihm abwesend, und er erhob sich.

 

„Weasley!“, rief Scorpius ihm tatsächlich nach, aber es störte ihn nicht. Cara hatte sich gerade an einen Doppeltisch gesetzt, und er ergriff die Chance, wo er gerade vollkommen losgelöst von Scham und Ängsten war. Im Gehen wandte er sich ihr zu.

 

„Cara, geh mit mir aus!“, sagte er fast tonlos, sah das hübsche Mädchen an, und ihre Augen weiteten sich verblüfft. Im Türrahmen hielt er kurz inne.


„Wo gehst du hin?“, wollte sie verblüfft von ihm wissen, und Hugo hielt sich knapp am Türrahmen fest.

 

„War das ein Ja?“, fragte er sie atemlos, und langsam hoben sich ihre Mundwinkel.

 

„Ja!“, bestätigte sie grinsend, und Hugo stieß sich vom Türrahmen ab und verschwand mit klopfendem Herzen.

 

Er fühlte sich gut. Er fühlte sich scheiße.

Zeit, die Regeln zu brechen. Zeit, Albus die Meinung zu sagen.

 

 

 

 

         Es war bereits dunkel, als James ihnen erlaubte, endlich zu landen. Heute hatte er es besonders auf Rumer abgesehen gehabt. Er hatte sie gescheucht, hatte sie kritisiert, und Rose war sich nicht sicher, ob er es tat, weil er dem Team beweisen wollte, dass er sie nicht bevorzugte, aber trotzdem war es… etwas viel gewesen. So viel Ärger hatte sie noch nie von James bekommen. Sie fuhr sich über das schweißnasse Gesicht. Der kühle Herbstwind tat sehr gut.

Rumer landete wütend neben ihr, zog sich den Schutzhelm vom Kopf und fuhr zu James herum.

 

„Sonst noch irgendwas? Wieso bin ich überhaupt im Team, wenn ich alles falsch mache?“, fuhr sie ihn ohne das geringste Zögern an, gab sich nicht einmal die Mühe, die Stimme zu senken.

 

„Was?“, entkam es James, der sich ebenfalls den Helm vom Kopf zog. „So läuft das Training, Rumer. Wir verbessern uns. Und das geht nicht, ohne Kritik.“

 

„Kritik?“, entfuhr es ihr wütend. „Rose hat ihren Schläger bestimmt achtmal fallen gelassen – und nicht ein Wort der verdammten Kritik!“, schnauzte ihre liebevolle beste Freundin, von der sie gerade praktisch vor den Hogwartsexpress gestoßen worden war! Und es waren keine achtmal gewesen, dachte Rose beschämt. „Und Louis ist erst gar nicht aus dem Versuchsstadium rausgekommen! Nicht ein Tor! Nicht eins! Aber das war auch besser, oder?“, zischte sie, als sie sich nahtlos an Fred wandte, der mäßig schockiert wirkte. „Denn sonst wäre die Unfähigkeit unseres Torhüters aufgefallen! Es war nicht alles meine Schuld, James!“, schloss sie aufgebracht.

 

„Ich habe nicht gesagt-“

 

„-doch, hast du!“, unterbrach sie ihn zornig. „Es war mein Problem, meine Steilflüge, meine Stöße – es war immer nur mein Fehler!“ Und tatsächlich… hatte sie nicht unrecht. Und es war ausgerechnet Nora, die sich räusperte.

 

„Das ist vielleicht der Grund, warum man innerhalb des Teams nicht daten sollte?“, schlug sie fast vorsichtig vor, und Rumer kochte neben ihr.

 

„Ja, wahrscheinlich!“, bestätigte Rumer wütend. „Wenn du damit nicht klar kommst, James, dann sag es mir einfach. Versteck dich nicht hinter irgendeiner dämlichen Kritik – die völlig unbegründet ist! Wenn du keine Lust mehr auf mich hast, dann-“

 

„-bist du verrückt geworden?“ James wurde selten laut, war immer ziemlich ausgeglichen, aber jetzt reichte es ihm. „Ich bin der Kapitän dieser Mannschaft und ich korrigiere euch, wenn es mir passt! Das hat nichts mit dir zu tun oder unserer Beziehung! Wenn man das überhaupt schon so nennen kann! Es gibt keinen doppelten Standard, es gibt keine Sonderbehandlung für dich, weil du mit mir zusammen bist – sorry, wenn du das erwartet hast!“, fuhr er sie an, und Rumers Besen knallte auf den feuchten Boden, bevor sie wütend die Hände in die Hüften stemmte.

 

„Ich habe gare nichts erwartet, Potter! Ich erwarte lediglich eine scheiß Gleichbehandlung in diesem Team!“

 

„Was soll das jetzt?“, rief er zornig. „Ich habe dich genauso behandelt, wie immer, verflucht!“, entfuhr es ihm wütend, aber… es stimmte nicht. Rose sah es wie Rumer. Und sie begriff nicht, was James tat. Oder warum er es tat. War es schon jetzt soweit, dass sich James selber sabotierte? Tat er es, ohne dass er es überhaupt merkte?

 

„Das denkst du? Schön!“, knurrte sie. „Dann kannst du heute Abend mit dir selber ausgehen. Arschloch! Und weißt du was? Wenn du es nicht mal Beziehung nennen willst – wie wäre es, wenn wir es dann als gar nichts bezeichnen? Wie wäre es, wenn ich einfach abhauen würde? Das sollte es verdammt einfach machen!“, fauchte sie zornig, ließ ihren Besen zurück und verließ mit zornigen Schritten das Feld.

 

„Rumer!“, rief James ihr wütend nach, aber sie blieb nicht mehr stehen. „Scheiße“, entfuhr es ihm, und ausnahmslos alle starrten mittlerweile auf den Boden. Es war verdammt unangenehm. „Packt die Ausrüstung ein und zieht euch um“, sagte James schließlich gepresst, drückte Fred seinen Besen in die Hand, und dann folgte er Rumer. Zumindest hoffte Rose das.

 

„Merlin, was ist los mit den Leuten?“, hörte sie Fred überfordert fragen. „Was, wenn die jetzt auch noch Schluss machen?“ Er fragte er niemanden bestimmten. Die Stimmung war drückend, und schweigend packten sie ein, verschwanden im kühlen Zelt und zogen sich still um. Rose trödelte ein wenig. Sie hatte nicht vergessen, dass Scorpius sie treffen wollte, auch wenn die verbotene Freude sie heute nicht wirklich erfüllte. Eigentlich müsste sie Rumer suchen, aber sie nahm wirklich an, dass James sich kümmerte. Und… sie wusste nicht, ob sie ihr hätte nachlaufen müssen? Ehrlich gesagt, wollte sie nicht. Sie… wollte Scorpius sehen. Wieder befiel sie der Verdacht, dass sie nicht nur eine schreckliche Cousine war, sondern auch eine grottige beste Freundin.

 

Letztendlich war sie die letzte, die das Zelt verließ. Das Feld lag dämmrig vor ihr, der Wind wehte scharf, und das Wetter war absolut unangenehm. Sie schulterte die Tasche neu und atmete aus.

Fast glaubte sie, Scorpius würde bei so einem Wetter garantiert nicht aufs Gelände kommen, aber dann hörte sie etwas. In der Dämmerung erkannte sie lediglich seine hellen Haare, die sich matt gegen die Dunkelheit absetzten.

 

„Allein?“, flüsterte er, und sie nickte, begriff aber, dass er es wohl kaum sehen konnte.

 

„Ja“, bestätigte sie dann, und ihr Herz schlug minimal schneller.

 

„Euer Training ist wesentlich aufregender als unseres“, behauptete er rau, schloss den Abstand, und Rose kam ihm entgegen, schlang die Hände um seinen Nacken, und trotz der Dunkelheit trafen sich ihre Lippen mit absoluter Sicherheit. Sie hatte ihn vermisst. Die Lust kribbelte in ihrem Innern, und seine Finger griffen hart in den Stoff ihrer Jacke, zogen sie enger an seinen Körper, und sein Mund öffnete sich unter ihren Lippen, und nur zu willig begegnete sie seiner Zunge. Er zog sie blind mit in den Schatten der Zelte, lehnte sie gegen die raue Zeltwand, und ihre Finger griffen in seine Haare.

Als sie dringend atmen mussten, löste er sich von ihr, lehnte seine Stirn gegen ihre, und fast konnte sie seine Augen ausmachen. Er hatte den Streit also mitbekommen, dachte sie dumpf. Ob er auch von ihr erwartet hätte, dass sie Rumer folgte? Aber das sagte er nicht.

 

„Dein… Bruder hat mit mir gesprochen“, murmelte er rau. Sie blinzelte überrascht und vergaß kurz über ihre beste Freundin zu grübeln.

 

„Wann? Gerade?“

 

„Ja“, bestätigte er still. „Und… er weiß das. Mit uns. Oder… er glaubt, dass er es weiß“, korrigierte er sich, und Rose biss sich auf die Lippe. Sie war fast davon ausgegangen. Denn… Hugo wusste eigentlich immer alles. „Und noch was…“, sagte er, und Rose wollte gar nicht mehr schlimme Neuigkeiten hören. Es reichte erst mal.

 

„Was?“, flüsterte sie angstvoll.

 

„Ich habe ihm gesagt, Albus hat eure Mum beleidigt“, ergänzte er vorsichtig, hielt sie weiter in seinem Griff, und sie atmete aus.

 

„Oh“, entfuhr es ihr. Wahrscheinlich war es gut, dass irgendwer Hugo die Wahrheit sagte. Sie wunderte sich nur, dass es ausgerechnet Scorpius war. Was für eine Verbindung bestand da überhaupt zu ihrem Bruder? Es war seltsam. Aber es interessierte sie brennend. „Und?“, wollte sie tonlos wissen.


„Er… hat das Treffen verlassen, bevor die Schulsprecher überhaupt da waren.“ Das überraschte Rose beinahe. Scheinbar hatte sich Hugo erschließen können, mit welchem Wort Alby ihre Mum beleidigt hatte. Und Hugo reagierte äußerst sensibel auf solche Beleidigungen, die in Kriegsbezug standen. Er war da ähnlich wie sie gestrickt. Es war einfach so.

 

„Mist“, murmelte sie kopfschüttelnd. „Ich… hätte es ihm sagen müssen.“ Kurz schwieg sie in seinen Armen. Kurz erfüllte sie der Drang, diese ganz Situation hier zu verlassen, um die anderen Dinge in ihrem Leben zu regeln, und vielleicht spürte er das auch.

 

„Willst du… mit ihm reden? Willst du zu ihm?“ Fast spürte sie aber auch, wie seine Finger sich unbewusst fester in den Stoff ihrer Jacke gruben. Und kaum hatte sie gerade noch ernste Zweifel gehegt, verpufften sie langsam aber sicher wieder. Denn… nein. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte Hugo jetzt gerade nicht wirklich finden, genauso wenig, wie sie Rumer finden wollte.

 

„Nicht… wirklich“, räumte sie fast beschämt ein. „Ich… kann morgen mit ihm reden“, wiegelte sie ab. „Aber… wollen will ich das auch nicht wirklich“, schloss sie stiller. Denn sie wollte nicht wirklich in sein Gesicht sehen, während er überzeugt davon war, dass sie was mit Scorpius hatte – was auch noch stimmte. Und wieso sagte Hugo nichts? Wieso verriet er es nicht Louis, oder irgendwem? Wieso behielt er dieses Geheimnis? Nein, sie wollte ihrem Bruder nicht in die Augen sehen müssen.

 

„Gut“, erwiderte er eilig. „Das… ist wirklich gut.“ Und langsam schloss sich der Abstand wieder. Seine Lippen erreichten ihren Mund, und sanft erwiderte sie diesen Kuss. Er beendete ihn ziemlich schnell. „Bist du… erschöpft?“, wollte er dann wissen, und sie zuckte die Achseln.


„Eigentlich hat heute nur Rumer Ärger bekommen. Aber… duschen wäre nicht schlecht“, brachte sie schließlich hervor. Sie fühlte sich ziemlich widerlich, wenn sie darüber nachdachte. Gut, dass es dunkel war. Gut, dass er sie nicht genau sehen könnte. Dom wäre jetzt wahrscheinlich eine tausendmal attraktivere Alternative….

 

„Das… ließe sich einrichten“, sagte seine Stimme, und sie hörte das Lächeln deutlich. Was meinte er jetzt damit?

 

„Ach ja?“, entkam es ihr verwirrt, und mit seinen Daumen zeichnete er schwache Kreise über dem Stoff ihrer Jacke.

 

„Wenn du… Lust hast… können wir in das Badezimmer der Vertrauensschüler. Ich habe mich für heute Abend eingetragen, es würde also sonst niemand reinkommen.“ Er wartete, und sie schwieg überfordert.

 

„Ich…- wir-?“

 

„-wir müssen auch nicht“, sagte er eilig. „Absolut nicht“, ergänzte er.

 

„Ich weiß nur nicht, ob… ob ich…“ Sie wusste nicht, was sie sagen wollte.

 

„Rose, wir müssen gar nichts tun. Wenn du willst, dann geh alleine. Entspann dich einfach in der Wanne! Ich hatte nichts… Versautes geplant. Echt nicht!“, rechtfertige er sich sofort. Hatte er nicht?

 

„Nein?“, wollte sie mit einem müden Lächeln wissen, was er nicht sehen konnte. „Wirklich schade“, ergänzte sie leise, hörte ihn lachen, und es zog in ihrer Mitte, als er den Abstand schloss. Kurz küsste er sie noch mal, bevor er einen Schritt zurückmachte.

 

„Ich dachte… es könnte so sein wie im Sommer? Wir… sind im Wasser, tun so, als wäre alles gut?“ Sie hörte, er versuchte, munter zu klingen. Und tatsächlich klang es verlockend.

 

„Ich… brauche einen Badeanzug“, sagte sie, mehr zu sich selbst.

 

„Besser wäre das“, hörte sie seine verruchte Stimme. Sie wurde knallrot und war froh, dass er sie nicht sehen konnte.

 

„Du gibst dir verdammt viel Mühe, Malfoy“, bemerkte sie lächelnd, als sie sich von der Zeltwand abstieß und die runtergefallene Trainingstasche wieder schulterte. Er trat neben sie, legte ihr den Arm um die Schultern und sie marschierten durch die Dämmerung nach oben.

 

„Ich will dich einfach sehen, das ist alles“, schloss er nonchalant, aber neben seinem Charme hörte sie tatsächlich, dass er es ehrlich meinte. Sie wollte ihn auch sehen. Auch wenn es blöd war. Jetzt gerade. Aber sie wollte einfach.

Sie dachte darüber nach, wusste nicht, wie sie es ungesehen schaffen sollte, aber sie hatte eine Idee. Eine verrückte Idee, die ein bisschen gefährlich war.

Das Schloss tat sich leuchtend und groß vor ihnen auf.

 

„Wir sollten getrennt rein. Was ist das Passwort für das Badezimmer?“, wollte sie wissen und löste sich aus seiner Umarmung.

 

„Feigenwein“, entgegnete er. „Dann warte ich da“, schloss er, und er ließ ihr den Vortritt. 

 

Sie drehte sich im Gehen um. Er wurde von den Lichtern des Schlosses beleuchtet. Wow. Ihr Herz schlug verdammt schnell. Und fast beruhigte sie, dass Scorpius ihr die Sache mit Hugo erzählt hatte. Denn selbst, dass Hugo es wusste, schreckte Scorpius nicht ab. Das war… bemerkenswert. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, auch wenn sie glaubte, dass er es nicht sehen konnte. Sie hob winkend die Hand und musste sich beeilen.

 

 

 

Seventeen

 

         Sie fürchtete sich vor dem Gemeinschaftsraum. Denn, um ihren Bikini zu holen, musste sie wohl oder übel da durch. Das einzig Gute war, dass die gesamte Schule gerade in der Halle zu Abend aß. Die Gänge lagen wie ausgestorben, und mit ihrer Trainingstasche über der Schulter, joggte sie praktisch höher und höher, bis sie keuchend vor der Fetten Dame innehielt. Kurz musste sie nach Luft schnappen, und mit dem leisesten Korn an Interesse musterte die Dame sie.

 

„Passwort?“, fragte sie, nicht ganz so herablassend wie sonst.

 

„Herbstgewitter“, erwiderte Rose atemlos.

 

„Sehr richtig. Sehr richtig, Kind“, sagte die Dame, ehe sie, mit wehmütigen Blick nach draußen durchs gegenüberliegende Fenster in die aufkommende Dunkelheit, nach außen schwang. Rose hielt die Luft an, trat in das Portraitloch, verharrte in der dunklen Schwelle – und es war, als bliebe das Glück ihr hold. Nicht mal ein Erstklässler hockte im Gemeinschaftsraum. Alle waren ausgeflogen. Sie musste nur darauf hoffen, dass Dom nicht im Schlafsaal lag und nur auf ein armes Opfer wartete, dem sie ihr endloses Leid klagen konnte.

Noch nie hatte sich Rose wirklich bemüht, die Stufen lautlos zu erklimmen, aber heute tat sie es. Nur leise ächzte das alte Holz unter ihren Trainingsschuhen, und sie fand, sie meisterte es nicht schlecht.

Sie spähte in den Schlafsaal und hatte noch mal endloses Glück. Niemand da!

Jetzt gab sie die Deckung auf, sprintet zu ihrer Kommode zerrte die Schublade auf, entlud ihre Sportsachen unordentlich auf dem Bett und stopfte frische Wäsche und den gelben Bikini in die Tasche. Sie hatte sich zwei Paar Socken gegriffen, aber es war egal! Absolut egal! Das hier ging auf Zeit! Sie zog den Reißverschluss wieder zu, schulterte die Tasche und machte Kehrt. Jetzt kam der schwierige Teil ihres Plans.

Sie lief über den Flur und hörte von unten Geräusche, aber wenn alles gut ging, wäre egal, dass jetzt jemand da wäre. Über den schmalen Gang erreichte sie das Treppenhaus zu den Schlafsälen der siebten Jahrgänge und hielt sich links, denn sie wollte zu den Jungen. Sie begegnete niemanden und stahl sich in den unordentlichsten aller Schlafsäle.

Es stank etwas nach alten Schuhen und trotz emsiger Arbeit der Hauselfen, waren die Betten ungemacht und die Schubladen standen teilweise weit offen. Sie kannte James' Bett. Es war das in der Mitte! Das unordentlichste.

Sie ließ ihre Tasche fallen und warf sich bäuchlings auf den Holzboden. Es war düster unter dem Bett und mit spitzen Fingern schob sie alte Socken und Schuhe beiseite, griff blind durch alte Pergamentblätter schob leere Tintenfässer zurück, bis ihre Finger das Holz spürten.

Triumphierend zog sie die Kiste hervor, kramte ihren Zauberstab aus der Tasche und hoffte, ihr Cousin wäre nicht über die Jahre paranoid geworden.

Die schmale Kiste war mit einem Antimuggel-Schloss gesichert. Sie tippte es mit dem Zauberstab an, und dann offenbarte sich das Zifferblatt. 0107 war der Code, und sie wartete ungeduldig. Das Schloss klickte verheißungsvoll! James hatte den Code nicht geändert! Sein Geburtstag war immer noch der Schlüssel! Sie öffnete die Kiste eilig und ein bodenlose Gefühl überkam sie. Ihr Herz sank in ihren Magen.

 

Die Kiste war leer. Nicht ganz. Ein Zettel lag darin. Sie erkannte die Handschrift, ohne nachdenken zu müssen. Albys Handschrift. ‚Sorry, Jamie! Nur geborgt!‘

Mist! Alby war schneller gewesen, und James schien nicht mal gemerkt zu haben, dass der Tarnumhang fehlte! Verdammt! Rose hatte ihn sich ebenfalls borgen wollen! Wieso bräuchte Alby überhaupt-?

 

„Rose?“ James' Stimme ließ sie erschrocken zusammen fahren. Ertappt hob sich ihr Blick aus dem Chaos, dass sie veranstaltet hatte.

 

„Hey“, entkam es ihr gedehnt. Seine Augen verengen sich.

 

„Suchst du was bestimmtes?“, erkundigte er sich mit erhobenen Augenbrauen bei ihr und sie wurde rot.

 

„Ich wollte ihn nur ausleihen, wirklich!“, beteuerte sie eilig. James trug auch noch immer seine Trainingsklamotten und sehr schnell begriff sie, er hatte Rumer wohl nicht gefunden. Nutzlos hockte sie vor seinem Bett und hatte einfach keine gute Ausrede parat.

 

„Wieso fragst du nicht einfach, anstatt ihn zu stehlen?“, wollte er verständnislos von ihr wissen, und Röte stieg in ihre Wangen. „Wieso brauchst du ihn überhaupt?“, fuhr er direkt fort. Ihr Mund öffnete sich unschlüssig. Ja, das war so ungefähr das Problem. Ihr fiel keine gute Lüge ein. „Rose?“ Abwartend betrachtete er sie, keine Freundlichkeit auf den ernsten Zügen.

 

„Ich kann es gerade nicht erklären“, murmelte sie ausweichend.

 

„Was soll das heißen?“ Ungeduld zuckte über sein Gesicht. „Steh endlich auf, Merlin noch mal“, knirscht er jetzt und sie erhob sich.

 

„Es ist egal, denn Alby hat ihn ohnehin bereits genommen“, rechtfertigte sie sich defensiv und James blinzelte verblüfft. Er kam zu ihr, bückte sich zur Kiste und holte den Zettel hervor.

 

„Dieser verdammte...“, begann James finster, beendete den Satz aber nicht. Dann wurde er wieder wütend. „Hört einfach auf, meine Sachen zu klauen!“, fuhr er sie haltlos an. Rose senkte den Blick, ein wenig betroffen. Er fuhr sich durch die Haare und er wirkte nicht glücklich.

 

„Du... Du hast Rumer nicht gefunden?“, erkundigte sie sich kleinlaut bei ihm und sofort schoss sein dunkler Blick wieder hoch.

 

„Lass es, Rose“, warnte er sie scharf. Sie hob abwehrend die Hände.

 

„Ich frage bloß, Merlin noch mal“, entkam es ihr zorniger als vorher.

 

„Es geht dich nichts an!“, beschuldigte er sie ungläubig.

 

„Sie ist meine beste Freundin!“, erwiderte sie wütend.

 

„Wieso suchst du sie dann nicht, anstatt meine Sachen zu durchwühlen?“, wollte er kalt von ihr wissen, und wieder wurde ihr heiß.

 

„Hör auf, mich anzuschreien!“, beschwerte sie sich gereizt. Und es wurde Zeit, dass sie ging. Langsam wurde es unten wieder lauter. „Ich gehe schon“, schloss sie beschämt.

 

„Wow! Zuerst bringst du alles durcheinander und jetzt darf ich es aufräumen?“, blaffte er hinter ihrem Rücken, als sie bereits Kehrt gemacht hatte. Und ihr Respekt gegenüber ihrem Cousin ging bis zu einem gewissen Grad. Und nicht weiter. Jetzt schämte sie sich nicht mehr. Zornig wandte sie sich um

 

„Was ist dein verdammtes Problem, James?“, wollte sie angriffslustig von ihm wissen, denn er nervte sie mit seiner Art. Als er sie in den Krankenflügel gebracht hatte, war er ganz anders gewesen.

 

„Mein Problem?“, knurrte er. „Ist das dein Ernst, Rose?“, wollte er wütend wissen. „Ich komme hier rauf, finde dich in meinen Sachen und du willst, dass ich mich rechtfertige?“ Aber sie würde darauf nicht eingehen.

 

„Ich bitte dich! Du hast nicht mal gemerkt, dass der Tarnumhang nicht da ist! Es ist dir absolut egal, ob-“

 

„-darum geht es verdammt noch mal nicht! Es ist meiner und ich muss nicht hinnehmen, dass du oder Alby euch an meinen Sachen vergreift!“, unterbrach er sie ungehalten.

 

„Es tut mir leid, ok? Krieg dich wieder ein, Merlin noch mal!“, entgegnete sie bitter. Sie starrten sich an. Und sie konnte nicht anders, musste ihn noch mal fragen. „Hast du nach Rumer gesucht?“ Wieder war sein Blick tödlich. „Kann ich das nicht fragen? Wart ihr bis vor einer halben Stunde nicht noch zusammen?“ Und dann verschränkte er die Arme vor der Brust und wandte sich ab

 

„Keine Ahnung.“ Seine ganze Körperhaltung suggerierte Widerwillen und Trotz.

 

„Wieso machst du das immer?“, fragte sie fast kleinlaut. „James?“ Sie wartete auf seine Antwort. Dann atmete er aus.

 

„Du verstehst das nicht, Rose. Du hattest noch nie eine Beziehung. Du begreifst die Zusammenhänge nicht. Es ist komplizierter als Quidditch spielen oder seine Fäuste einsetzen.“ Und kurz fühlte es sich an, wie ein Schlag in die Magengrube. Und es verletzte sie. Seine Worte taten weh.

 

„Ich muss nicht mit jedem Jungen hier geschlafen haben, um zu wissen, dass dein Verhalten Rumer verletzt. Und ich muss auch kein Genie sein, um zu begreifen, dass du einfach nur scheiße bist! Du hast Angst vor dieser Beziehung? Du weißt nicht, ob du es packst? Schön! Dann sag das, aber hör auf, die Leute zu verletzen, die eigentlich hinter dir stehen. Und ich weiß, dass du Alby vermisst! Ich weiß, dass du dich verantwortlich fühlst. Aber vielleicht solltest du darüber reden, anstatt alle einfach nur abzuschieben, die sich irgendwie um dich kümmern wollen.“ Sie war ein wenig außer Atem, und James sah sie immer noch nicht an. Wahrscheinlich war es sinnlos. Sie wandte sich kopfschüttelnd ab.

 

„Er kommt immer mit allem durch!“, flüsterte James praktisch. „Es ist nie irgendein Problem!“, entfuhr es ihm bitter, und verwundert wandte sich Rose wieder um. Stur blickte James gegen die Wand. „Und sogar jetzt! Selbst jetzt wird er nicht mal von der Schule fliegen! Dad wird ihm eine winzige Vorhaltung machen und dann ist alles gegessen. Kein Problem für Albus Potter, Dads Liebling!“ Rose blinzelte verblüfft. So hatte sie James noch nie reden gehört. Dann trat er wütend vor die Kiste, in der Albys verdammte Notiz lag, anstatt der rettende Tarnumhang. Rose zuckte zusammen. „Weißt du, nicht mal Slytherin war ein Problem!“, knurrte James mit zitternder Stimme. „Al geht nach Slytherin – na und? Weißt du, was Dad gesagt hat?“, integrierte er sie plötzlich wieder in seinen Monolog, und sein Blick hob sich zornig. Sie machte eine unverbindliche Kopfbewegung, denn sie wusste nicht, ob sie überhaupt reagieren sollte. „Er hätte sich eben reflektierte Gedanken gemacht!“, entfuhr es ihm. „Reflektierte Gedanken? Mit zehn Jahren?“, zischte James. „Wäre ich nach Slytherin gekommen – Dad hätte mich enterbt! Es wäre jeden verdammten Tag ein verdammtes Problem gewesen! Jeden Tag eine Eule. Und ich bin Kapitän, Rose! Ich bin Kapitän. Al ist lediglich…- er ist kein Kapitän! Aber das ist scheiß egal, weil er sowieso besser ist, nicht wahr?“ Seine Hände legten sich erschöpft über sein Gesicht, und er atmete angespannt aus. Er sprach durch seine Finger, absolut resignierend. „Und jetzt ist er verschwunden, und Dad sagt, es sei meine Schuld. Weil ich nicht aufgepasst habe. Weil ich seine Sorgen nicht erkannt habe. Weil ich mich nicht wie ein großer Bruder verhalten habe.“

 

„Das hat er nicht“, flüsterte Rose ungläubig, denn das konnte sie sich von Onkel Harry nicht vorstellen. James‘ Hände fielen zu seinen Seiten.

 

„Zwischen den Zeilen hat er das“, korrigierte er sie bitter. „Ich kenne meinen Vater, Rose.“

 

„Er bevorzugt Alby nicht“, entgegnete sie kopfschüttelnd.


„Alle bevorzugen ihn“, entkam es James besiegt. „Du bevorzugst ihn, oder nicht?“ Es war eine direkte Frage, und kurz schloss sich ihr Mund.

 

„James-“, begann sie vorsichtig, aber er hob die Hände.


„-schon gut, wirklich. Ich meine, er steht auf dich, und trotzdem! Trotzdem ist er… dein bester Freund, nicht wahr? Er beleidigt deine Mum, aber trotzdem…“, schloss er finster.

 

„Er… er hat es nicht so gemeint“, nahm sie Alby mit tauben Worten in Schutz, und James lächelte plötzlich.

 

„Jaah. Richtig“, entfuhr es ihm grimmig. „Und was, wenn doch? Was, wenn Albus alle Dinge genauso meint, wie er sagt? Was, wenn Leute einfach mal zugeben würden, dass er scheiße ist?“ Er verschränkte seufzend die Arme vor der Brust, und Rose wusste darauf keine Antwort. Und sie glaubte es auch nicht. Sie hatte nicht gewusst, dass es so eine Konkurrenz zwischen den Brüdern gab. Dass James überhaupt so fühlte! Sie hatte immer geglaubt, James liebte seinen jüngeren Bruder. James würde alles befürworten, was Alby tat. James würde…- aber wenn sie darüber nachdachte, dann… wäre James praktisch heilig, wenn er seinen Bruder immer nur vor sich selber stellen würde.

Aber James sah manche Dinge ebenfalls nicht. Zumindest nicht völlig klar.

 

„Du bist unser Anführer, James“, entkam es Rose kleinlaut. Belustigt hob er den Blick.

 

„Ja, sicher“, tat er ihre Worte ab.

 

„Doch, bist du. Dein Wort gilt. Und ohne dich, hätte Albus keine Möglichkeit, überhaupt… so zu existieren. Du bist… der König der Gryffindors“, sagte sie, ein wenig theatralisch. „Du bist der älteste, du… hältst deine Familie hoch, und du liebst Alby und Lily… und… uns. Und ohne dich… wäre Hogwarts nur halb so lustig, wenn überhaupt“, griff sie tief in die Trickkiste – auch wenn sie teilweise wirklich so empfand. James war… Hauptbestandteil ihrer Gruppe. James Potter war der Name, der aus ihrer Gruppe hervorstach. Er war es, dem die Mädchen nachliefen – und James sah es überhaupt nicht! Alles, was er sah, war sein Bruder. Und dass er scheinbar nicht gleichauf mit ihm war. Dabei war er meilenweit über Alby. „Die Mädchen stehen auf dich, nicht auf Alby. Fred und Louis folgen dir, garantiert nicht Alby. Und ich denke, dein Dad ist unheimlich froh, dass sein ältester Sohn nach Gryffindor geht. Dass du… genauso bist wie er.“

 

„Ich bin kein Held“, entfuhr es James sofort.

 

„Du bist… mein Held. Du hast mich in den Krankenflügel gebracht. Du bist Rumers Held – zumindest, wenn du kein Arschloch bist“, ergänzte sie sachte, und seine Züge wurden weicher. Sein Kopf sank und er starrte unglücklich auf den Boden. „Und du bist Albys Held, auch wenn er es nicht sagt. James, es ist nicht einfach, der große Bruder zu sein. Vor allem nicht, wenn du das Gefühl hast, deine Eltern mögen deinen jüngeren Bruder lieber“, entfuhr es ihr leiser, und langsam hob sich sein Blick wieder. Denn er hatte verstanden.

 

„Deine Eltern mögen Hugo nicht lieber. Niemand mag Hugo lieber als dich, Rose“, versicherte er ihr sofort, aber sie lächelte traurig.

 

„Ja?“, entfuhr es ihr demonstrativ, denn sie hatte da Zweifel. „Deine Eltern mögen Alby auch nicht lieber als dich, James.“ Sie war sich bei ihr und Hugo nicht sicher. Wenn sie ehrlich war, mochte sie Hugo auch lieber als sich selbst. Manchmal wäre sie gerne etwas mehr wie Hugo, und weniger wie sie selbst.

 

„Wieso kommt er nicht wieder?“, fragte James sie jetzt unglücklich.

 

„Weil er feige ist“, beantwortete Rose die Frage ehrlicher, als sie gedacht hatte. „Er ist ein feiger Slytherin, James“, ergänzte sie, und langsam hoben sich James‘ Mundwinkel wieder.


„Richtig. Im Herzen ist er also feige, und deshalb ist er ein Slytherin?“, fasste James zusammen, und auch wenn es nur halb ernstgemeint war, grinste Rose.

 

„Ja. Er war nie etwas anderes.“ Und dann atmete James lange aus.

 

„Ich… sollte Rumer finden“, entfuhr es ihm, und er merkte schon wieder nicht, dass er andere vor sich stellte. Dass er eigentlich… viel besser war, als Alby. Und Rose wusste nicht, warum James nicht ihr bester Freund war. Vielleicht war das die Last, die er zu tragen hatte. Er war der älteste, und… er hatte die Verantwortung zu übernehmen, ob er eben wollte oder nicht. Und deshalb war er vielleicht… allein. Zumindest mit diesen Sorgen und Gedanken. Aber sie nickte.

 

„Ja. Rumer mag dich. Sehr. Warum auch immer“, ergänzte Rose beinahe scherzhaft. James hob die Augenbraue.

 

„Weil ich James Potter bin“, bemerkte er, aber es klang mäßig halbherzig. Aber den größten Schmerz, schien er überwunden zu haben. Und dann legte sich sein Kopf ein wenig schräg. „Wofür brauchst du den Tarnumhang?“ Er fragte wieder, aber sie wusste, sie könnte ihm keine ehrliche Antwort geben. Aber… sie könnte es versuchen. Sie hatte das Gefühl, sie schuldete es ihrem Cousin.

 

„Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Aber leider kann ich nicht, ok?“, erwiderte sie entschuldigend, und er atmete lange aus.

 

„Gibt es Probleme, Rose?“, erkundigte er sich ernsthaft bei ihr, und sie war sich nicht sicher. Sie nahm an, es würde sehr viele Probleme geben.

 

„Nein“, log sie halbwegs sicher. „Es ist… einfach… privat. Etwas, was keinen Weasley und keinen Potter etwas angeht“, schloss sie achselzuckend.

 

„Ein Geheimnis, also?“, schloss er mit gerunzelter Stirn, und vage nickte sie.

 

„Schätze schon“, bestätigte sie stiller.

 

„Dann… sei vorsichtig“, war alles, was er noch sagte, bevor er zu ihr kam. „Ist das… so ein Moment, wo wir uns umarmen?“, fragte er, ehrlich unsicher. Sie musste grinsen.

 

„Wir sind nass geschwitzt und tragen noch unsere Trikots. Ich würde hoffen, wir umarmen uns nicht“, bemerkte sie mit leicht angewidertem Ausdruck, und James musste tatsächlich lachen. Und es klang schön. Sie mochte es, wenn er lachte. Dann sah er aus, wie Onkel Harry. Und er ignorierte sie, nahm sie in eine schraubstockartige Umarmung und drückte sie an sich. Und so sehr, wie sie geglaubt hatte, dass er stinken würde, stank er nicht. Sie atmete resignierend aus, drückte ihn ebenfalls kurz und machte sich dann von ihm los.

 

„Geh und finde Rumer, du Drama-Queen“, fuhr sie ihn lächelnd an.

 

„Oh bitte!“, erwiderte er grinsend. „Immerhin laufe ich nicht weg, klaue den Tarnumhang und fälsche Dads Unterschrift!“, bemerkte er spöttisch. Dann erhellten sich seine hübschen Züge. „Aber dafür wird er verdammten Ärger kriegen“, schien ihm aufzufallen. „Ich freue mich schon“, schloss er, drückte kurz ihre Schulter, bevor er den Schlafsaal verließ.

 

Und Rose musste sich beeilen. Denn jetzt klang der Gemeinschaftsraum ziemlich voll. Es wäre ein Wunder, würde sie nun unbemerkt hier raus kommen.

Man konnte nur hoffen….

 

 

 

 

         Er fragte sich, was passiert war. Auch nach einer halben Stunde, war sie nicht aufgetaucht. Vielleicht war der Plan schief gegangen. Vielleicht war der Gemeinschaftsraum voll gewesen. Vielleicht musste sie Dominique trösten – oder Rumer. Er hatte mitbekommen, wie James sie angefahren hatte. Ob das nun auch das Ende dieser Beziehung war, fragte sich Scorpius dumpf, während er wie ein Idiot auf der Holzbank saß, bereits in seiner Badeshorts, und feine Schweißperlen seine Stirn hinabliefen, denn die Wanne hatte er bereits gefüllt.

Er kam sich scheiße vor. Vielleicht war es auch so, dass sie Angst bekommen hatte. Dass sie noch mal nachgedacht hatte, und dass sie sich nicht vorstellen konnte, einfach so mit ihm zu baden. Er hatte nicht richtig nachgedacht. Immerhin war sie unerfahren. Unerfahrener als er es war.

 

Und fast schrak er zusammen, als sich die Tür endlich öffnete. Er hatte sie noch nicht verriegelt, sprang praktisch in die Senkrechte, aber es war Rose! Ihr Atem ging schnell, und sie schloss die Tür hinter sich. Und sie war es auch, die das Schloss sofort verriegelte. Dann warf sie ihre volle Trainingstasche auf die Fliesen und sah sich schließlich beeindruckt um.

 

„Wow!“, entfuhr es ihr. „Das ist euer Badezimmer?“, wollte sie entgeistert wissen. „Wofür? Weil ihr alle ein Ohnegleichen in Zaubertränke hattet?“, fuhr sie kopfschüttelnd fort. „Das ist… so ungerecht! Hugo hat nie davon erzählt!“, flüsterte sie, während ihre Finger über die bunten Mosaikfliesen an der Wand fuhren und sie lächelnd die Meerjungfrau beobachtete, die sich ihre blonden Mosaikhaare kämmte und ihr keinerlei Beachtung schenkte. Scorpius erinnerte sich, dass die Meerjungfrau Dominique immer wachsam betrachtet hatte, sich von Dominuques Schönheit praktisch herausgefordert gefühlt hatte, und erst jetzt begriff er, dass er mit Dominique hier auch mehr als einmal gewesen war. Fast hatte er ein schlechtes Gewissen, dass er diese Tradition mit Rose fortsetzte, als… als bedeute es irgendetwas. Und sofort dachte er an Hugos Worte, die irgendetwas Seltsames in seinem Magen auslösten. War sie in ihn verliebt?

 

Er ging nicht auf ihre Worte ein, denn er wusste nicht genau, was er dazu sagen sollte. „Gab’s Probleme?“, wollte er von ihr wissen und kam näher. Sie reagierte sofort, wirkte fast verschlossener als vorhin, schien erst jetzt zu bemerken, dass er nicht viel mehr trug als Shorts, und er sah die Röte in ihren Wangen sofort.

 

„Nichts Besonderes“, erwiderte sie kleinlaut. Sie log, dachte er sofort. Er konnte es hören. „War nur voll“, schloss sie.

 

„Hast du… mit irgendwem gesprochen?“, fragte er sie, denn ihn interessierten die Probleme. Er war schon Tage lang kein Teil mehr der Probleme in Gryffindor, hatte mit keinem von ihnen mehr gesprochen, und fast wünschte er sich, dass sie ein wenig mehr erzählen würde, aber sie gönnte es ihm nicht, zuckte lediglich die Achseln.

 

„Nein, es hat… einfach nur länger gedauert“, schloss sie knapp und sah überall hin, nur nicht auf seinen Oberkörper.

 

„Ok“, entgegnete er. Irgendetwas war anders, als noch vor einer Stunde, als er sie draußen getroffen hatte. Sie sah ihn nicht wirklich an. Hatte sie doch Zweifel? Ging es zu schnell. Steif stand sie vor ihm, die Arme verschränkt. Ihr Trikot so anders als seins. Ihre Haare steckten hoch in dem unordentlichen Zopf und Dreck klebte über ihrer Stirn. Sie bemerkte solche Dinge nicht. Sie störten solche Dinge nicht. Dominique hatte immer einen Handspiegel in ihrer Tasche gehabt. „Alles ok?“, wollte er dann wissen, obwohl er annahm, es war wenig ok. Vielleicht hatte sie Zeit zum Nachdenken gehabt. Vielleicht war sie in ihrem Gemeinschaftsraum gewesen und wollte auch lieber dort sein. Bei ihren Verwandten, ihren Freunden, anstatt irgendwelche verbotene Scheiße mit einem Slytherin zu treiben, der nicht mehr dazu gehörte. Was bei Merlin war los mit ihm, dachte er unwillkürlich. Wieso machte er sich solche Gedanken?

 

„Ja“, bestätigte sie blind, ohne nachzudenken. „Alles ok“, wiederholte sie nickend.

 

„Wir… können das auch lassen“, sagte er schließlich. Jetzt hob sich ihr abwesender Blick. Irgendetwas flackerte über ihr Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wieso er beleidigt klang.

 

„Was?“, entfuhr es ihr tatsächlich verblüfft.

 

„Das… hier“, ergänzte er, deutete auf das runde Badezimmer, und sie folgte seiner Geste. Jetzt erst schien sie sich zu besinnen. Ihr Kopf schüttelte sich automatisch.


„Nein. Sorry, ich war… abgelenkt. Alby, Rumer… diese Sachen“, räumte sie ein und sah ihm direkt ins Gesicht.

 

„Dann erzähl mir davon“, bat er sie tatsächlich, ohne es verhindern zu können. Sie blinzelte überrascht. Sein Herz schlug etwas schneller.


„Ich glaube, dass… gehört hier nicht hin?“, entkam es ihr als Frage, ernsthaft unsicher. Und fast störte es ihn. Es störte ihn, dass sie ihn ausgrenzte, und es störte ihn, dass… sie vollkommen Recht hatte. Sie trennte es. Und das tat sie wesentlich konsequenter als er es wohl tat. Es gab… ihre Welt. Ihre Familie und Freunde, und… dann gab es ihn. Sie waren keine Freunde. Sie erzählte ihm diese Dinge nicht. Tatsächlich vergaß er es immer wieder. Ihre Stirn runzelte sich langsam. „Richtig?“, ergänzte sie, immer noch unsicher, und er wusste, er beging einen großen Fehler, wenn er die Parameter dieser Beziehung ändern wollte. Wenn Hugo Recht hatte, dann durfte er ihre Gefühle nicht unterstützen, indem alles viel persönlicher würde, als es sein sollte. Er wusste nicht, warum er so viel darüber nachdachte, warum es ihn praktisch jagte, dass sie in ihn verliebt sein könnte. Er war sich nicht mal sicher, ob es ihm gefiel. Oder ob es ihn verängstigte.

 

„Richtig“, antwortete er schließlich. Und wieso machte er es sich selber so schwer. Sie war hier. Und sie war nicht hier, um zu reden. Das hatte sie ziemlich deutlich gemacht. Er zwang sich, nicht mehr an die Weasleys zu denken. Nicht mehr an die Potters. Nicht an Al. „Hast du Lust auf ein Bad?“, fragte er also, und gleichzeitig mochte er nicht, dass sie rot wurde. Es kam ihm so vor, als zwinge er sie zu diesen Dingen, und sie machte mit, weil… er ihr es auferlegte.

 

„Klar“, sagte sie dann, und Rose war eine schlechte Schauspielerin. Er sah genau, was sie dachte. Sie hatte Angst. Sie hatte Sorge. Sie schämte sich. Aber ihr Trotz und ihre Sturheit erlaubten diese Ehrlichkeit nicht. Er kam sich vor, wie eine dumme Herausforderung, die sie konstant anzunehmen hatte. Aber bevor er irgendetwas sagen konnte, hatte sie ihre Sporttasche ergriffen, schritt an ihm vorbei und inspizierte das Bad, erkannte die Nischen in der Ecke, in der man sich umziehen konnte. Sie zog den hellen Vorhang aus Leinen zu, und er sah nur noch ihre Füße. Fast wünschte er sich, dass sie ehrlicher war, aber… ironischerweise baute diese ganze Affäre auf Unehrlichkeiten auf, oder nicht?

Was war los mit ihm?!

 

Seufzend schritt er zur Wanne und wusste nicht, warum er sich plötzlich so fühlte. Warum er plötzlich dachte, es wäre alles ein Fehler. Er musste damit aufhören. Denn er wollte sie. Noch immer. Er betrat die Wanne über die schmalen eingelassenen Stufen. Das warme Wasser umspülte seine Füße und nachdenklich schritt er weiter, bis das Wasser ihm bis zur Brust ging. Er watete an den Rand, setzte sich auf die eingelassene Steinbank legte seine Arme links und rechts neben sich ab, und wartete. So wie schon eine halbe Stunde zuvor. Unbeeindruckt kämmte die Meerjungfrau weiter ihre Haare, warf ihm ab und an einen kurzen Blick zu, und die vielen Hähne tropften unregelmäßig. Die Geräusche hallten von den hübschen runden Wänden wider, aber die rechte Stimmung wollte ihn nicht erfassen. Er konnte die Gedanken nicht gut sortieren, und immer wieder nagte die Tatsache an ihm, dass Hugo Bescheid wusste. Was dachte sie darüber? War es ihr egal? Ließ sie es darauf ankommen? Weil sie in ihn verliebt war? Wieder diese Gedanken. Und dass er wusste, dass all das ein Fehler sein würde, half nicht.

Wirklich nicht. Dass er die Weitsicht hatte, diese Dinge einzuschätzen, half absolut nicht.

 

Sie zog den Vorhang zur Seite. Fast automatisch richtete er sich auf, saß plötzlich aufrechter als vorher. Bilder zuckten durch seine Erinnerung. Sie trug den gelben Bikini. Sie war nicht mehr so gebräunt, wie sie es im Sommer gewesen war. Ihre Taille war so schmal, die Hüften aber wunderbar rund geschwungen. Und sie hatte den Zopf gelöst. In wilden Wellen fielen ihre satten Haare über ihre Schultern, und ihr Gesicht zeigte Scheu, aber auch Neugierde. Er konnte… nicht erwarten, sie zu berühren. Seine Finger kribbelten praktisch. Und es war, wie im Sommer, nur jetzt… durfte er sie anfassen. Selbst die Meerjungfrau vergaß für ein paar Sekunden, ihre Haare zu kämmen, beobachtete Rose mit kurzer Eifersucht, ehe sie sich komplett abwandte, ihnen den Mosaikrücken zukehrte, und seine Aufmerksamkeit widmete sich dem sphärisch schönen Mädchen, was die Wanne betrat. Unsicher steckte sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr, und er wusste nicht, warum sie jetzt so viel sinnlicher und erwachsener wirkte. Es war einfach verrückt. All seine vorherigen Gedanken, die von Zweifel getrieben worden waren, verpufften einer nach dem anderen, je näher sie kam. Das Gefühl war wieder da. Vielleicht hatte sie Recht. Sie brauchten nicht reden! Über absolut gar nichts!

Er musste sie berühren. Er musste sie spüren. Am liebsten wollte er jede Stelle ihres Körpers spüren! Er wusste nicht, ob es ihm anzusehen war, aber als sie keine zwei Schritte von ihm entfernt war, färbten sich ihre Wangen wieder. Zwar war es heiß hier, aber er erkannte den Unterschied zwischen Hitze und Scham. Und dieses Mal störte es ihn nicht. Gar nichts mehr störte ihn. Seine Hormone übernahmen.

 

„Hey“, sagte er sinnbefreit, hatte das Bedürfnis, sie noch mal zu begrüßen, ihr… irgendwie zu versichern, dass er ihr nichts tun würde, dass er nichts machen würde, was sie nicht auch wollte, und es war ihrer Unerfahrenheit zuzuschreiben, dass sie einfach nicht begriff, dass ihre Anwesenheit ihn zu einem sabbernden Vollidioten machte. Sie konnte ihn scheinbar nicht gut lesen. Besser so.

Dann stand sie vor ihm. Und jetzt gerade würde er jedes Versprechen vor ihr ablegen, jeden Schwur. Wow. Sie war… unfassbar schön. Ihr Gesicht, ihre Konturen. Er hatte sich das Gesicht ihrer Mum nicht eingeprägt, als sie nach Hogwarts gekommen war, aber… sie besaß etwas, dass ganz und gar nicht Weasley war. Etwas Feineres, etwas… Dekadenteres als das.

 

„Hey“, wiederholte sie atemlos. Und er hatte sich geschworen, er würde sie nicht drängen, würde vielleicht eher versuchen, ein Gespräch mit ihr zu führen – aber wie dumm von ihm. Er konnte sich kaum abhalten. Längst war er aufgestanden, war ihr den letzten Schritt entgegen gekommen. Mit aller Macht, versuchte er die Ungeduld zu unterdrücken, als er die Hand hob, als er ihr Gesicht einfach berühren musste. Noch immer waren winzige Spuren von Dreck auf ihrem hübschen Gesicht verteilt, verdeckten die perfekten Sommersprossen, und sein Daumen fuhr über ihre cremig weiche Wange. Wow…. Er musste. Er konnte nicht anders.

 

Er schloss den Abstand, senkte den Kopf, atmete sie gleichzeitig ein, schmeckte ihre Wildheit bereits auf den Lippen, und dann küsste er sie, verschloss ihre Lippen, und sie lehnte sich in den Kuss, schmiegte ihren Körper an seinen, und ihre Haut zu spüren, brachte ihn praktisch um. Seine andere Hand hob sich ebenfalls, griff um ihren Nacken, und er vertiefte den Kuss automatisch, stöhnte in ihren halbgeöffneten Mund, bevor sich seine Zunge instinktiv und besitzergreifend zwischen ihre Lippen schob. Und ihre Fingerspitzen lagen auf seinen Schultern und schickten elektrische Stöße durch seinen Körper. Seine Hand fuhr durch ihre wilden Haare, wollte alles an ihr spüren, und sie war es, die ihn zurückdrängte, sich mit ihm weiterschob, bis sie die Bank wieder erreicht hatten, und blind setzte er sich, und ohne Zögern kletterte sie über ihn, setzte sich rittlings auf ihn, senkte den Kopf wieder und küsste verlangend seine Lippen.

Wie schnell sie das gelernt hatte, wie leicht ihr das zu fallen schien. Worte waren nicht wirklich ihre Stärke, aber alles andere – alles Sinnliche – fiel ihr viel zu leicht, dachte er atemlos. Ihren Körper zu spüren, ihren festen Körper, ihre feinen Muskeln, ihre perfekte Haut! Sein Kopf lehnte sich zurück, seine Zunge begegnete ihrer entschlossen und ohne Zögern, und seine Erektion war bereits steinhart.

Er war hart, seitdem sie die Kabine verlassen hatte.

Er wollte sie spüren! Er wollte es unbedingt. Er wollte mit ihr schlafen, und dieser Gedanke zerschoss alle Ängste und Sorgen, die er empfand. Er wollte es!

Es war so dumm von ihm gewesen. Zu glauben, sie kämen hier her, um… zu schwimmen? Wirklich? Hatte er gedacht, das könnte er? Dazu wäre er fähig?

 

Fast schmerzte es ihn, aber bevor er nicht mehr denken konnte, schob er sie von sich. Sanft, aber bestimmt. Und fast ärgerlich sah sie auf ihn hinab. Mit fragender Ungeduld.

 

„Alles… alles ok?“, wisperte sie, die Lippen verlockend geschwollen, die Wangen rot und ihr Körper so willig über seinem.

 

„Mhm“, machte er angestrengt, und lächelnd runzelte sich ihre Stirn.

 

„Willst… willst du nicht-?“, begann sie zaghaft, aber er konnte sie nicht mal aussprechen lassen.

 

„-ich will“, entfuhr es ihm hastig, rau, hungrig. „Ich will, aber…“ Er konnte nicht. Er wollte ihr keine Angst machen.

 

„Aber?“, wagte sie zu fragen, und absolute Unsicherheit schoss über ihre schönen Zügen. Unbewegt schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht. „Mache… ich was falsch?“, entfuhr es ihr erschrocken, und wieder schüttelte er den Kopf.

 

„Nein, du… machst gar nichts falsch. Ich… ich kann einfach…“ Er wusste nicht, was er sagte. Sie wollte von ihm klettern, aber sofort griffen seine Hände in ihre bloßen Hüften. „Nicht“, flüsterte er verzweifelt, schüttelte den Kopf, brachte sie näher an sich, überwand den Abstand und küsste hungrig ihre Lippen. Schmerzhaft erregend presste sie ihren Schoß in seine Erektion, und er stöhnte grollend in ihren Mund.

Scheiß egal!

 

Absolut egal!

 

Seine Finger zogen die Träger ihres Bikinis über ihre Schultern, tiefer, und sein Mund löste sich von ihren Lippen. Bevor sie protestierend konnte – bevor sie irgendetwas tun konnte – zog er den Stoff tiefer. Seine Lippen fielen auf ihre Haut, er atmete sie ein, und seine Hand griff um ihre Brust. Gierig leckte er über ihre erhobene Brustwarze, saugte sie in seinen Mund, ließ seine Zunge provozierend im Kreis wandern, und ihre erstickten Geräusche der Erregung ließen jedes Blut aus seinem Gehirn tiefer wandern. Ihre Fingernägel kratzten unbewusst über seine Kopfhaut und sie lehnte sich ihm entgegen. Er widmete sich ihrer anderen Brust, und ihr Atem ging unregelmäßig. Ihre Bewegungen wurden ungeduldiger, und er wusste nicht, wie er vorsichtiger oder langsamer sein sollte, wenn er nicht anders konnte. Wenn sie ihn nicht mal ließ.

Und dann griff sie in seinen Nacken, zog seinen Kopf höher, küsste ihn voller Lust, und seine Hand wanderte zwischen ihre Körper, verschwand in ihrem Höschen, und keuchend schnappte sie nach Luft, während er zeitgleich seine Zunge zwischen ihre Lippen schob, und zwei Finger tief in sie stieß.

Ihre Atmung beschleunigte sich, wurde flacher, aber sie ließ ihn nicht einfach gewähren. Nein! Ihre Hand glitt ebenfalls tiefer, griff mühelos in seine Shorts, und fast wurde ihm schwarz vor Augen, als sich ihre Finger um seinen Schwanz schlossen.

 

Er wusste, wenn er jetzt nicht den Willen fand, aufzuhören, würde er zwischen ihren Finger kommen, und dann… würde es eklig in der Wanne werden. Mit aller Macht löste er sich von ihr, entfernte seine Finger aus ihr. „Rose“, brachte er zwischen den Zähnen hervor, umfing ihr Handgelenk, und sie schien nicht zu verstehen. Abwehr huschte über ihre geröteten Züge, und sie schien zu glauben, sie mache etwas falsch. „Wenn du weiter machst, komme ich“, brachte er schwer atmend hervor, und dann hoben sich ihre Mundwinkel.

 

„Ist das nicht der Plan?“, wisperte sie über ihm, und sie schien nicht zu wissen, wie unglaublich perfekt sie aussah, auf seinem Schoß, mit ihren offenbarten Brüsten und dem frechen Ausdruck auf den Lippen.

 

„Nicht… hier. Nicht im Wasser. Noch… nicht“, ergänzte er schwer atmend. Sie biss sich auf die Unterlippe, und dann ließ sie widerwillig von ihm ab. Sie zog sogar die Träger ihres Bikinis wieder über die Schultern, verpackte ihre Brüste, auch wenn ihm das nicht gefiel. „Lass uns das nicht überstürzen. Wir haben den ganzen Abend“, erklärte er, zauberte ein schiefes Lächeln auf seine Lippen, und sie kletterte von seinem Schoß, setzte sich auf die Steinbank und betrachtete ihn.

 

„Wieso… kommst du so schnell?“ Sie fragte ihn mit echtem Interesse und leuchtend roten Wangen, und seine Augenbrauen hoben sich. Fast amüsiert betrachtete er sie und schüttelte den Kopf. Sie war… zu niedlich.

 

„Weil du mich erregst“, beantwortete er ihre Frage rau, um Ernsthaftigkeit bemüht.

 

„Wirklich?“, vergewisserte sie sich eine Spur ungläubig, und er rückte näher, legte den Zeigefinger unter ihr Kinn und nickte, als er den Kopf senkte. Sie wusste es nicht. Es machte sie noch unwiderstehlicher in seinen Augen. Wie konnte sie es nicht wissen? Wie konnte sie es nicht sehen?! Sah sie nicht, was er sah?

 

„Wirklich“, bestätigte er tonlos, überwand den Abstand und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Sie löste sich schnell wieder von ihm. Und diesmal wirkte sie recht ernst.

 

„Scorpius“, begann sie, und er runzelte die Stirn.

 

„Ja?“, erwiderte er, und er versuchte, seine Gedanken in irgendeine Richtung zu drängen, damit seine Erektion nicht so unerträglich schmerzhaft blieb. Sie machte ihn fertig.

 

„Wann… wann haben wir Sex?“

 

Sie fragte das tatsächlich. Fast sogar… ein wenig vorwurfsvoll? Fast verschluckte er sich am Badewasser, so überrascht wich er vor ihr zurück. Und diese Frage half seiner Erektion gar nicht! Merlin, sie musste damit aufhören! Und sein Herzschlag beschleunigte sich. Rapide. Allein, dass sie das Wort sagte!

 

„Hast du es… irgendwie eilig?“, rang er sich mühsam ab, und konnte nicht begreifen, wie sie es kaum schaffte, sich nicht ohne Erröten vor ihm umzuziehen, aber bei solchen Fragen, schaffte sie, ein verdammtes Pokerface zu behalten.

 

„Du… nicht?“, wisperte sie fast, und immerhin, die lächerliche Aussicht, dass er vielleicht nicht wollte, brachte ihren Scham zurück.

 

Und dann wollte er sprechen. Er wusste genau, was er sagen wollte. Er wollte ihr sagen, dass sie es sich gut überlegen musste, dass sie vielleicht darüber nachdenken sollte, ihr erstes Mal mit jemandem zu haben, mit dem sie in einer Beziehung war. Er wollte sie warnen, dass sie keinen Fehler begehen sollte, der nicht rückgängig zu machen war. Dass er besser sein wollte, als ein scheiß Idiot, der sie einfach nur vögeln wollte, dass er… sich scherte. Es war keine Beziehung, und dass sie das verstehen musste. Dass es… zu Ende gehen würde. Und fast konnte er erahnen, was sie dazu sagen würde. Sie würde denken, er glaube, sie könne es nicht trennen, so wie es kein Mädchen trennen konnte. Vielleicht würde sie wütend werden. Und er wollte das hier nicht bereuen und wollte, dass sie es nicht bereute! Dass sie nicht irgendwann einen Vollidioten fand, den sie heiraten konnte, den ihr Dad nicht verabscheute, so wie ihn, und diesen Abend hier bereute!

 

Aber bevor er den Mund öffnen konnte, bevor er all diese Worte sagte – schaltete sich sein Gehirn ein. Es war, als kippte der verdammte Schalter, als wäre das, was vorher in nicht greifbarer Dunkelheit gelegen hatte, in plötzlich grelles Licht getaucht.

 

Er konnte das nicht. Sie war nicht das Problem. Er war das Problem! Wie hatte ihm das entgehen können? Er spürte, er wollte keine Affäre. So eine Scheiße.

 

„Scorpius?“ Er hatte zu lange geschwiegen. Fuck.

 

„Nicht… heute“, entkam es ihm tonlos. „Ok?“, setzte er hinterher, versuchte irgendeine Ruhe in seine Stimmung zu legen, aber es misslang ihm kläglich. Er wollte nicht mit ihr schlafen, wenn es nichts bedeutete. Es schien, als wäre das Konzept einer Affäre an ihm vorbei gegangen. Als wäre er das Mädchen. Und er verstand nicht. Was war los mit ihm? Er wusste, dass es keine Zukunft hatte. Warum war er so scheiße? Merlin, fast wirkte sie enttäuscht. Als wäre Sex etwas, das keine Schäden verursachte, keine Konsequenzen mit sich brachte.

Und fast glaubte er, Hugo irrte sich. Rose ließ ihn nicht an sich ran. Sie gab ihm physische Zuneigung, aber er glaubte nicht, dass sie irgendein Interesse daran hatte, dass er sonst Teil ihres Lebens wurde. Und genau das hatten sie abgemacht.

 

„Oh“, flüsterte sie.

 

Immerhin. Er hatte keine Erektion mehr. Großartig.

 

„Ich… enttäusche dich, oder? Ich meine, physisch? Weil ich nicht genau weiß, wie ich mich verhalten soll? Wie ich dich berühren soll?“ Sie klang so verloren, und er hasste das. Er hasste jedes ihrer Worte, denn es war so falsch.

 

„Rose“, entfuhr es ihm gepresst, denn sie sollte aufhören zu reden. Sie sollte aufhören, so einen Unsinn zu erzählen.

 

„Wenn du mir zeigst, was ich-“

 

„-halt den Mund!“, knurrte er, beinahe zornig, und beinahe war es unpassend. Die Wut hinter seinen Worten, aber es ärgerte ihn. Und seine Hand schlang sich um ihren Nacken, und beinahe grob zog er ihren Kopf zur sich. Beinahe zornig küsste er sie, und nicht, weil er sauer auf sie war. Er war sauer auf sich, er war sauer auf Presley Ford – er war sauer, dass er ein Malfoy war. Es war irrational, und doch war es vollkommen logisch. Überrascht keuchte sie auf, hatte nicht mit diesem Überfall gerechnet.

Seine Erektion erwachte schlagartig wieder. Er atmete sie ein, genoss ihren Duft und verschlang ihre sinnlichen Lippen. Das hier… konnte er haben. Das war alles, was er kriegen konnte. Und im Moment war es alles, was er brauchte. Und er wollte mit ihr schlafen – es war alles, woran er seit Monaten dachte! Aber… er durfte nicht. Es gäbe kein Zurück danach. Er war sich sicher. Und die anderen Dinge, die sie tun konnten…, müssten reichen. Er war so egoistisch. Er wollte mehr von ihr, als er haben konnte.

 

Schwer atmend löste er sich von ihr, und ihr Blick war benebelt. Er hob die Hand, seine Knöchel fuhren über die Linie ihres Kiefers. Halb war ihr Mund geöffnet, und sein Daumen rieb über ihre geschwollene Unterlippe. „Wir… können anderen Dinge tun“, sagte er rau, rauer als beabsichtigt, und sie blinzelte ein wenig abwesend. „Vertraust du mir?“, fragte er sie, und dunkel färbten sich ihre Wangen. Er spürte, dass ihr Atem abflachte. Wortlos nickte sie schließlich. Seine Erektion pulsierte mittlerweile. Dann erhob er sich, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. Sie folgte ihm, absolut freiwillig, ein wenig ungeduldig, und sie verließen die Wanne. Er wollte sie spüren. Er wollte… sie schmecken.

Er bugsierte sie zu einer der Duschkabinen, zog den Vorhang zur Seite und wandte sich wieder um. Er überragte sie, und verlangend fuhren seine Hände über ihre Seiten. Ihr fester Körper war ein absoluter Traum. Es half wirklich nicht, dass sie so gut aussah unter den Schichten Trainingsklamotten und frechen Sprüchen. Wirklich nicht. Seine Finger hakten sich in die Seiten ihres Höschens, und ihr Blick flog praktisch hoch zu seinem Gesicht.

„Es… wird dir gefallen“, murmelte er dunkel, und sie schluckte schwer. Er sah es genau. Und er wusste, er hatte Recht. Sie würde es lieben. Langsam zog er ihr Höschen tiefer, über ihre Hüften, und mit flachen Atemzügen, biss sie sich auf die Lippe, und dass sie den Blick nicht von ihm abwandte, machte ihn wahnsinnig. Er war so absolut krank, denn schon jetzt wusste er, dass er nicht mit der Aussicht leben konnte, dass ein Arschloch wie Presley Ford sie so berührte. Er konnte nicht.

Es war ein deutliches Warnsignal, das er jetzt gerade leider ignorieren musste. Sein Körper handelte bereits instinktiv. Er konnte gar nicht anders.

Und während er das Höschen tiefer zog, ging er auf die Knie. Ihr Blick fiel, und sie schnappte nach Luft. Sie schämte sich, versuchte, ihre Beine zusammenzuhalten, aber er griff um ihre Kniekehle, hob ihr Bein hoch und legte es sich über die Schulter. Ihre flachen Hände stützten sich hastig gegen die Fliesen hinter sich.


„Scorpius“, flüsterte sie panisch, aber er hob den Blick, sah sie von unten herauf an, und er hoffte lediglich, dass die Dinge, die er mit ihr tat, ihr Bewusstsein ändern würden, dass sie zu dem Schluss käme, diese Dinge nur mit ihm erleben zu wollen, und auch wenn er sie damit beide verdammte. Jetzt gerade kümmerte es ihn einen Scheißdreck.

 

Seine Erektion pulsierte schmerzhaft in seiner Hose. Merlin, sie war so verdammt perfekt, dass es wehtat. „Keine Angst“, flüsterte er kopfschüttelnd, und ohne Zögern lehnte er sich vor. Sie roch so frisch, und es war so verdammt aufregend, weil es so neu für sie war. Er war der Erste, der sie so berührte, der sie… schmecken würde. Es putschte seine Nerven fast bis an die Grenzen. Er musste die Augen schließen, als er ihren Schenkel weiter spreizte, und seine Zunge über ihre feuchte Mitte leckte. Er hörte sie schockiert nach Luft schnappen, und sofort nutzte er seinen linken Daumen, um ihre Klitoris zu reiben. Mit der Zunge leckte er erneut über ihren Eingang, und unkontrollierte Laute verließen ihren Mund. Kurz setzte sein Daumen aus, und seine Zunge fuhr höher.

 

„Merlin!“, flüsterte sie keuchend, und er musste lächeln. Jetzt beschrieb er harte Kreise, und sie stöhnte ungehalten. Dann ließ er die Zunge tiefer wandern, denn er wusste, es gefiel ihr. Sein Daumen übernahm wieder, und dann ließ er langsam seine Zunge in sie gleiten. Nicht tief, nicht lange, aber sie keuchte lauter auf, als vorher. Ihr Atem ging schneller. Sein Daumen übte mehr Druck aus, und fast wimmerte sie jetzt. Erneut glitt seine Zunge in sie, und dieses Mal dachte er, würden ihre zitternde Knie einknicken. Ihre Finger krallten sich praktisch in die Fliesen hinter ihr, erkannte er, als er kurz die Augen öffnete, und er konnte nicht aufhören. Er spreizte ihren Schenkel weiter, und dieses Mal glitt seine Zunge noch tiefer, und zitternd rief sie seinen Namen.

 

Sie kam schnell und heftig. Er hatte den Kopf zurückgezogen, aber sein Daumen rieb noch einige Sekunden über ihre harte Klitoris und betrachtete ihr verzücktes Gesicht, während ihre Augen geschlossen waren. Ihre Knie zitterten noch immer, und langsam kam er wieder auf die Beine. Er drehte den Hahn auf, nahm zwei Händevoll Wasser in die hohle Hand, spülte seinen Mund aus, und sie sah ihm fasziniert und ein wenig benebelt zu. Kaum hatte er das Wasser wieder ausgestellt, griff sie in seinen Nacken und zog ihn eng an sich. Ohne Worte küsste sie ihn hart, und im Nebel seiner eigenen Erregung, schlangen sich seine Arme um ihren Körper. Merlin, würde er nur seine Shorts ein wenig tiefer ziehen, würde dieser Millimeter Stoff verschwinden, könnte er sich in ihre vergraben. In ihrer Enge, ihrer Hitze, die nur auf ihn wartete.

Er spürte ihre Hand, spürte, wie sie tiefer wanderte, wie sie einfach in seine Shorts griff, und fest und ungeduldig schloss sie sich um seinen steinharten Schwanz, und grollend stöhnte er in ihren Mund. Hart umfasste sie seinen Schaft und begann, ihre Hand zu bewegen. Er presste sie übergangslos fester gegen die Fliesen, aber sie hielt ihn weiter fest umschlossen. Sie pumpte abgehackt auf und ab, denn fast war es nicht möglich, so eng befand er sich gegen sie, und die Lichter gingen an, in seinem Kopf. Seine Zunge glitt tief in ihren Mund, während ihr Atem sich beschleunigte, und dieses Mal war er nicht höflich genug, sich abzuwenden, dieses Mal nicht. Er bockte gegen sie, bockte auf in ihrer schmalen Hand, und sein Kopf fiel grollend zurück, beendete den hungrigen Kuss abrupt, während sich seine Hände blind und hart gegen die Fliesen pressten. Er kam in zähen Stößen und er wusste, er traf ihren Bauch, aber hart schlossen sich seine Augen, und schmerzhaft biss er sich auf die Lippe.

 

Seine Atemzüge zitterten praktisch, und dann sank seine Stirn erschöpft gegen ihre. Seine Erektion schlaffte ab, und er atmete mit offenem Mund. Sein heißer Atem musste ihre Gesicht treffen, und anstatt ihn von sich zu schieben, anstatt das Wasser anzustellen, anstatt sich sauber zu machen, griff ihre Hand wieder in seinen Nacken und zog ihn an sich. Dieser Kuss war so anders. Seine Hände lösten sich von den Fliesen, griffen wieder in ihre bloßen Hüften, und träge kämpfte ihre Zunge mit seiner. Er glaubte, sie musste es spüren. Sie musste sein Verlangen so deutlich spüren. Es war nicht normal, was er fühlte. Sie musste jetzt gerade spüren, dass sie die Grenzen überschritten.

 

Er war dumm gewesen. Für ihn war es plötzlich ernst geworden. Er verschlang ihren Mund. Vielleicht war sie nicht in ihn verliebt. Aber das war egal. Denn… er war es. Fast schmerzte diese Erkenntnis mehr, als die härteste Erektion, denn… dafür gab es keine Erlösung.

 

Er war ein absoluter Idiot.

 

Scheiße.

 

 

 

 

 

         Sie spürte die dumpfen Schläge ihres Herzens. Starr fixierte ihr Blick die Karte. Und ein winziger Teil in ihr wünschte sich, dass sie die Karte niemals gestohlen hätte. Dass sie nicht so zeitig vom Essen zurückkehrt wäre. Dass sie nicht nach oben geschlichen wäre, wo sie die laute Stimme ihres Bruders vernommen hatte. Dass sie nicht mitbekommen hätte, wie Rose versucht hatte, James‘ Tarnumhang zu stehlen. Und sie wünschte sich, dass es sie einfach nicht interessiert hätte! Dass sie nicht an ihre Kommode gegangen wäre, wo sie die Karte der Rumtreiber hervorgeholt hatte, die sie Albus vor einem halben Jahr heimlich gestohlen hatte, weil sie sauer gewesen war, dass nur James und Albus Erbstücke ihres Vaters bekommen hatten – und sie wünschte, sie hätte sich dann nicht im Badezimmer eingeschlossen.

 

Und lange hatte sie ausgehalten. Bestimmt eine Dreiviertelstunde lang hatte sie sich davon überzeugt, dass sie gar nicht wissen wollte, weshalb Rose einen Tarnumhang brauchte. Sie hatte es nicht wissen wollen! Und dann… hatte die dumme Eifersucht sie einfach überkommen. Sie hatte nicht anders gekonnt, denn sie wusste, Rose datete Presley, hatte ihn erst vor wenigen Tagen getroffen. Sie wusste das, und sie war eifersüchtig gewesen. Und sie hatte… einfach nur sehen wollen, wo er war. Es war dumm gewesen. Und dann hatte sie die Karte aktiviert, nur um den Slytheringemeinschaftsraum zu finden, nur um zu sehen, wo sie waren. Und… sie hatte Presley gefunden. Aber er war allein. Rose hatte sich nicht zu ihm geschlichen.

 

Und dann hatte sie… einfach weitergesucht. Hatte den anderen Jungen ihrer Träume finden wollen, weil es sie unterm Strich nicht interessierte, was Rose dann tat, wo sie dann war. Und sehr schnell hatte sie eine grauenhafte Erkenntnis gemacht. Denn irgendwann hatte sie den schmalen Punkt gefunden, der Scorpius Malfoy war. Er war im Badezimmer der Vertrauensschüler. Und schwarz auf weiß trat ein Name direkt neben seinem hervor. Rose Weasley.

 

Und Lily hatte eine ganze Weile auf die Karte gestarrt, hatte versucht, zu begreifen, was es bedeuten sollte, ob einfach mehrere Stockwerke übereinander lagen, ob die Karte log, ob sie es einfach falsch darstellte, aber… alle Stockwerke waren einzeln verzeichnet. Eine Überlagerung war gar nicht möglich, und… irgendwann in den letzten fünf Minuten, war sie zu der einzig sinnvollen Erkenntnis gelangt – die absolut keinen Sinn ergab.

 

Rose und Scorpius waren zusammen im Badezimmer der Vertrauensschüler. Zusammen. Was taten sie dort? Es war unbegreiflich. Lily verstand nicht wirklich, was es bedeutete. Und doch gab es eigentlich nur eine einzige Erklärung. Und sie war nicht schön. Nein, sie war… absolut furchtbar.

Denn sie nahm nicht an, dass Rose und Scorpius Hausaufgaben im Badezimmer der Vertrauensschüler erledigten. Sie nahm auch nicht an, dass sie sich dort zufällig getroffen hatten.

Und Lily erinnerte sich, dass Rose und Scorpius am Abend nach Albus‘ Verschwinden beide nicht da gewesen waren. So viele Dinge ergaben Sinn, die eigentlich… überhaupt nicht stimmen konnten!

Und sollten beide aus Versehen dort aufeinander getroffen sein – wieso blieben sie dann da? Wieso gingen sie nicht?

 

Und Lily wartete. Steif stand sie im dunklen Badezimmer, den Zauberstab über die Karte erhoben, und sie wartete, dass sich die Punkte Rose Weasley und Scorpius Malfoy endlich trennten, endlich das Badezimmer verließen.

 

Aber… sie hatte keine Ahnung, was sie dann tun sollte.

 

 

 

Eighteen

 

Es war spät. Ziemlich spät. Er hatte sich in der Bibliothek verborgen, bis diese geschlossen hatte. Dann war er noch eine Weile durchs Schloss gewandert, war nicht in seinen Schlafsaal zurückgekehrt, und keinen schien es wirklich zu stören. Es wunderte ihn nicht, und dieses Mal war es von Vorteil, dass er nicht viele Freunde besaß. Dass sich nicht viele darum scherten, wo er war und was er tat. Abgesehen von Lorcan, denn diesen hatte er teilweise eingeweiht. Nur teilweise. Er hatte so lange gewartet, damit es ziemlich schwierig wäre, für das Ministerium, denn nachts arbeitete niemand gerne. Mittlerweile war es nach zehn, und er beschloss, keine Zeit mehr zu verlieren.

Hugo verließ das Gelände des Schlosses. Als Vertrauensschüler kannte er die Losung der Tore, die unterhalb der Woche stets verschlossen blieben. Noch würde er keinen Alarm auslösen. Mit dem fremden Zauberstab voran beleuchtete er seinen Weg und wusste, es bestand das geringe Risiko, dass er einfach zersplintern würde, wie auch Lorcan spöttisch prophezeit hatte. Mitten in der Luft, auf halbem Weg. Wenn es so war, dann… hatte er verdammtes Pech gehabt. Aber er verließ sich auf seinen Verstand. So wie immer.

 

Er wusste, wohin er wollte. Er war ein paar Mal da gewesen, und es würde reichen müssen. Er blieb mitten auf dem Abhang stehen, der nach Hogsmeade führte. Und dann schwang er den Zauberstab, vollführte die Bewegung und sprang praktisch in die Drehung. Etwas unsauber, nicht ganz exakt, aber vor seinem Auge sah er genau, wohin er wollte. Er wollte in die Stadt, weit außerhalb der Winkelgasse, weit weg von Hogwarts! Seine Gedanken klammerten sich an den Ort! Grimmauld Place! Grimmauld Place! Grimmauld Place!

 

Und dann schlugen seine Knie auf das Kopfsteinpflaster. Hart und erbarmungslos. Dieser Schmerz löste immerhin das Verlangen ab, sich einfach zu übergeben, ob des verdammten Schwindels. Er schrie unterdrückt auf. Der Zauberstab schlitterte davon, blieb einige Meter vor ihm liegen, und kurz kontrollierte er seinen Körper. Alles noch dran? Zwei Beine, zwei Arme. Er blinzelte – ja, sein Kopf war auch noch da! Schmerzhaft kam er auf die Beine. Es war dunkel auf der Straße, die Laternen spendeten wenig Licht, niemand war mehr unterwegs, Merlin sei Dank. Er nahm an, mittlerweile hatte sein Zauber im Ministerium Alarm geschlagen. Mit Glück würde der Nachtwächter heute kein Interesse mehr daran haben. Und wenn doch, dann würden bestimmt noch zwei Stunden vergehen, bis sie den Fehler bemerkten. Denn zunächst würden sie den Scamanders Bescheid geben, annehmen, dass Lorcan gezaubert hatte – nicht er. Denn unter massiven Verhandlungen und Versprechungen hatte Hugo Lorcan überzeugt, ihm seinen Zauberstab auszuleihen. Und dann würden sie in Hogwarts über Floh anrufen, vielleicht McGonagall wecken. Und dann würde sie sehen, dass Lorcan in seinem Bett schlief. Vielleicht würde sie es als Missverständnis abtun. Mit Pech würde sie durch die restlichen Schlafsäle wandern, weil sie nicht dumm war, und dann würde sie noch vorm Morgengrauen seinen Eltern Bescheid geben. Aber das war die Theorie. Und bis dahin hatte er noch einige Stunden Zeit. Er klaubte Lorcans Zauberstab vom Boden und war dankbar, dass er nicht zerbrochen war. Lorcan hätte ihn umgebracht.

 

Er war in der richtigen Straße. Und mit zügigen Schritten näherte er sich dem Haus. Es schimmerte in sein Sichtfeld, denn der Zauberstab brach den Muggelschutz, der auf dem Haus lag. Seine Mutter hatte ihm mal erzählt, das Haus wäre mit einem Fidelius-Zauber geschützt gewesen. Heutzutage nicht mehr, es reichte der Muggel-Schutz, denn das Haus diente keiner magischen Elite mehr, die sich gegen Voldemort stellen wollte. Jetzt war es nur noch ein gruseliges, altes Haus, was sein Onkel Harry auch mit größten Anstrengungen nicht verkaufen konnte. Trotz aufwendiger Renovierungen.

 

Hugo gab sich nicht die Mühe, anzuklopfen. Aus Spaß versuchte er den Alohomora, erwartete aber nicht viel. So dumm würde Albus auch nicht sein. Er behielt Recht. Die Tür bewegte sich nicht. Aber Hugo war findig. Und fast überkam ihn eine stille Vorfreude, mit jedem weiteren Zauber. Denn es war ein absolut großartiges Gefühl, außerhalb von Hogwarts zu zaubern – auch wenn er es nicht durfte. Denn er beherrschte jeden Zauber perfekt, den er bisher gelernt hatte. Schade, dass dem Ministerium nicht direkt angezeigt wurde, wie gut ein minderjähriger Zauberer, die Zauber ausführte. Wirklich schade. Und er hoffte, dass die Ortung eine Weile dauern würde.

Resero!“, sprach er behutsam, setzte noch eine überdynamische Zauberstabbewegung hinterher, und der Sperrzauber zerbarst in hellen Funken. Es war ein innerer Zauber gewesen. Jemand hatte von innen verriegelt, und genau davon war Hugo ausgegangen. Er drehte den Türknauf und die alte Tür sprang auf. Hell erstreckte sich der schmale Flur, denn sein Onkel hatte alle dunklen Farben gegen freundliche Töne austauschen lassen. Und trotzdem haftete auf diesem Haus ein düsteres Gefühl. Etwas altes, dass sich mit Pastellfarben nicht verscheuchen ließ. Er hielt Lorcans Zauberstab hoch über den Kopf beleuchtete den Flur, aber es herrschte Dunkelheit. Auch weiter vorne.

 

Er betrat das Haus. Er nahm an, Albus hatte bereits begriffen, dass jemand das Haus betreten hatte, und Hugo ging davon aus, er würde sich verbergen. Onkel Harry hatte bestimmt schon hier nachgesehen, aber nie so still und leise, dass er Albus überrascht hätte. Und Hugo löschte den Lumos-Zauber, wollte nicht entdeckt werden und belegte sich selbst mit einer schwachen Desillusionierung. Im Dunkeln würde es reichen. Und als er sich weiter durch den Flur schob, hörte er es. Das leise Klicken einer Tür. Es war nicht weit von hier. Wahrscheinlich die Verandatür. Albus würde sich draußen verbergen. Und wahrscheinlich – aber hier musste Hugo raten – war er im Besitz von James‘ Tarnumhang. Davon ging Hugo aus, denn er glaubte nicht, dass Albus eine gute Desillusionierung zustande brachte. Und wahrscheinlich riskierte Albus ohnehin keine Zauber. Dann wäre er längst aufgeflogen!

Deshalb schlich Hugo voran, durch das Wohnzimmer, was freundlich in Beige getaucht war. Laken lagen über den Möbeln, und Hugo schritt weiter. Er erreichte den Flur, der zur Küche führte, und von dort führte eine Tür hinaus in den schmalen Garten. Dort wucherte bereits das Unkraut, wuchs über die Platten hinaus, die der Mond beschien, und Hugo ließ seinen Blick durch das Glas der Tür wandernd. Aber er konnte niemanden entdecken. Tarnumhang, nahm er grimmig an.

 

Dann griff er entschlossen nach der Klinke, drückte die Tür auf und wich hastig zurück ins Innere, für den Fall, dass Albus nur zu bereit wäre, ihn zu verfluchen. Aber nichts geschah. Sein Atem ging schneller. Dann lehnte er den Zauberstab gegen seine Schläfe. „Caldario!“, murmelte er, blinzelte den Schleier weg, und seine Augen unterlagen für einer kurzen Zeit einem Wärmesensor-Zauber, der ihm Anomalien zeigen würde. Kurz war ihm schwindelig, denn er sah nicht mehr optisch, sondern nur sensorisch. In den Büschen bewegten sich kleine Tiere, aber kaum ließ er seinen sensorischen Blick wandern, erkannte er eine schlanke Gestalt im Garten, direkt an der Mauer. Er hatte nicht mehr viel Zeit, denn der Sensor-Zauber würde gleich schon wieder an Kraft verbraucht haben. Er schlich zur offenen Tür, hob den Zauberstab schnell und zielte auf die rote sensorische Gestalt.

 

Petrificus Totalus!“, rief er, und er traf! Mit einem dumpfen Geräusch, brach die rote Gestalt zusammen, und schon endete der Sensor-Zauber, und Hugo sah keine Wärmebilder mehr. Dunkel lag der Garten vor ihm und er entfachte den Lumos. Er schritt zu der Stelle, auf die er gezielt hatte, bis sein Fuß gegen einen Widerstand stieß. Er bückte sich, und seine Finger fanden den feinen Stoff des kühlen Tarnumhangs. Er griff beherzt zu und zog ihn zur Seite. Albus blinzelte lichtempfindlich gegen seinen Zauberstab und lag recht unspektakulär auf dem kühlen Gras. Er trug seine Trainingsklamotten, sah ziemlich unordentlich aus und nicht so, als wäre er in naher Zukunft bereit, zurück nach Hogwarts zu gehen. Aber das würde sich heute ändern. Hugo hob die eigene Desillusionierung auf, und kurz weiteten sich Albus‘ Augen. Ja. Mit ihm hatte er nicht gerechnet.

 

„Hey“, begrüßte Hugo seinen Cousin beinahe unschlüssig. Neben der grenzenlosen Überforderung, flackerte Zorn in Albus‘ grünen Augen. Und bis zu diesem Punkt, war Hugo nicht mal vollkommen sicher gewesen, was ihn trieb. Ja, er war überwiegend wütend. Er hatte genug davon, dass Albus sich verstecken konnte, um jeder Konsequenz zu entgehen. Und er fühlte sich verdammt selbstbewusst, weil anscheinend nur er in der Lage dazu war, seinen dämlichen Cousin zu finden. Aber… es war nicht alles. Er war auch wütend auf Scorpius Malfoy. Wenn nicht sogar genauso wütend, wie er auf Albus war. Teilweise, weil ausgerechnet Malfoy es war, der ihm Dinge erzählte – und nicht Rose selbst! Er erfuhr alles aus zweiter Hand, weil seine Familie einfach nur scheiße war. Und dann verfügte er nicht über genug Mut, um Malfoy zur Rede zu stellen, ihm ordentlich zu drohen, ihn… vielleicht sogar dazu zu bringen, nie mehr mit Rose zu sprechen. Und manchmal – sehr selten – war er neidisch. Auf all die anderen, die glaubten, die Welt läge ihnen zu Füßen, ohne je etwas anderes getan zu haben, als unfassbar dreist zu sein.

Und jetzt gab es jemandem, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Seinen frischen, untypischen Zorn. Jetzt, wo er ihn vor sich liegen hatte, sah Hugo die Möglichkeiten, die sich ihm boten.

Er musste sich nicht mit Scorpius Malfoy rumärgern. Er musste es zumindest nicht persönlich tun. Und Albus bedeutete ihm nichts. Was Albus dachte, was ihn trieb, interessierte Hugo nicht im Geringsten. Aber Albus schuldete ihm etwas. Dafür, dass er seine Mutter beleidigte. Dafür, dass er auf seine Schwester stand. Hugo sah es als Entschädigung. Und vielleicht war es ein kleiner Bonus, dass Hugo in der überlegenen Position war und über dieses Wissen verfügte, was Rose und Malfoy betraf. Und ja, vielleicht schadete er seiner Schwester. Aber letztendlich… tat er ihr einen Gefallen. Nein. Albus würde ihr diesen Gefallen tun. Und er war überzeugt, tief in seinem Bauch, dass es die richtige Entscheidung war. Dass er jetzt und hier die einzige Möglichkeit hatte, endlich Gerechtigkeit walten zu lassen. Es war seine Chance, seinen Intellekt zu beweisen, vielleicht etwas emotionalen Druck auszuüben, und seinen Cousin zu manipulieren – so wie es seine Verwandten stets und ständig taten.

 

Und vielleicht war es riskant. Aber das war die Sache mit der Wut. Seine natürliche Vorsicht war im Moment ausgehebelt. Und vielleicht war das ein Fehler. Aber er sah ihn nicht. Im Moment sah er gar nichts. Nur die günstige Gelegenheit, Albus Potter von seinem verdammten Thron zu stoßen.

Und das wog mehr als jede kluge Entscheidung.

 

Hugos Mundwinkel zuckten fast. „Wir sollten reden“, sagte er schlicht, als er die Lähmung stumm aufhob, und Albus stöhnend seinen Knöchel rieb.

 

 

 

 

 

         Er hätte nicht damit gerechnet, hier überfallen zu werden. Und garantiert nicht von seinem bescheuerten Cousin. Hugo hatte den Lähmungszauber gelöst und mittlerweile saßen sie in der renovierten Küche. Albus konnte nicht behaupten, eine enge Verbindung zu Hugo zu haben. So wie eigentlich niemand aus ihrer Familie. Und nur, weil Hugo ihn offen mit dem Zauberstab bedroht hatte, hatte er noch nicht geschrien. War noch nicht ausgrastet – denn, was dachte sich Hugo eigentlich?! Hugo hatte sich geweigert, Limonade zu trinken und zähneknirschend hatte Albus Tee gekocht. Hugo saß mittlerweile auf dem Hocker am hohen Tresen in der Küche, und Albus stand mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Tresens, während er ihn mit verengten Augen fixierte. Es war so verdammt eigenartig. Hugo trug sogar seine scheiß Uniform – samt Vertrauensschülerabzeichen. Es war so ironisch, oder nicht? Garantiert war längst aufgefallen, dass sein Streber von Cousin fehlte. Und tatsächlich überraschte ihn, dass sich Hugo nicht viel daraus zu machen schien, dass das Ministerium wusste, dass er gezaubert hatte – außerhalb der Schule. Albus‘ Zähne mahlten aufeinander, und er begriff nicht, was das sollte. Hoffentlich waren die Ortungszauber im Ministerium immer noch so grottig, dass nicht gleich irgendwelche Auroren der Bereitschaft - im schlimmsten Fall sein Vater - die Tür einrannten.

Er verabscheute Hugos Blick. Seine Augen waren nicht nur verdammt dunkel und schwer zu lesen, sondern auch ätzend selbstgerecht. Hugo war ein Mensch, den man nur schwer belügen konnte, dem man nur schwer ausweichen konnte, wenn er einen ansah.

Und Albus sprach nicht mit seinem Cousin, aus genau diesen Gründen. Hugos dunkle Haare lagen im selben tiefen Seitenscheitel, wie immer. Ordentlich, gestriegelt und so anders als seine. Hugo sah immer aufgeräumt und vorbereitet aus – auf was auch immer. Selbst jetzt! Er war wesentlich größer, als er es war. Schon früher waren auch seine Hände immer sauber gewesen, nie ein Fleck auf seiner Hose. Er war der Liebling seiner eigenen Mum gewesen, weil der kleine Hugo niemals auf Bäume kletterte, niemals vom Kinderbesen fiel – denn Hugo flog nicht!

Hugo tat nichts, was er oder seine Cousins taten! Hugo war… keiner von ihnen! Und doch… sprach vor allem heute Abend einiges dafür, dass er… zur Familie gehörte. So leichtsinnig, wie sein Verhalten war. Und seine Gesichtsform… ähnelte seiner eigenen, dachte Albus dumpf. Hugo sah Onkel Ron sehr ähnlich. Aber… er war bei weitem nicht so witzig!

 

Albus wusste, Hugo betrachtete den Berg an Fastfood-Kartons und den sonstigen Müll abschätzend, verurteilte ihn, und Albus verzog gereizt den Mund. Er würde sich für gar nichts rechtfertigen. Und er hasste, dass er bereits jetzt ein scheiß schlechtes Gewissen hatte, denn… wahrscheinlich hatte Hugo jedes Recht wütend zu sein, aus… sehr vielen verschiedenen Gründen.

Vor Hugo ließ sich nichts verbergen. Nicht einmal er selbst hatte sich verbergen können. Es war verdammt bezeichnend.

Und Hugo war der letzte, mit dem Albus ein Gespräch führen wollte, aber gleichzeitig nervte es ihn, dass sein verdammter Cousin noch kein weiteres Wort gesagt hatte. Denn gelinde gesagt, war Albus fast schon interessiert.

Sein Knöchel schmerzte noch immer, vom Fall im Garten, als Hugo ihn feige und gemein außer Gefecht gesetzt hatte, und Albus erwartete kein lustiges Familientreffen. Fast hatte er geglaubt, Hugo würde ihn verprügeln, als er die unfaire Chance gehabt hatte, aber… es war nicht Hugos Art. Auseinandersetzungen waren generell nicht Hugos Art. Soweit Albus es beurteilen konnte. Und ehrlich gesagt, hatte er nicht geglaubt, dass es Hugo überhaupt stören würde, dass er fort war. Genau das Gegenteil hatte er vermutet.

 

„Hast du noch vor, irgendwas zu mir zu sagen?“, wollte Albus unwirsch von ihm wissen, und Hugos Ausdruck wurde kälter. Er wirkte manchmal so viel älter als fünfzehn. Es war gruselig. Aber er hatte keine Angst vor Hugo. Zumindest versuchte er, sich das einzureden.

 

„Ich würde dir gerne deine Zunge aus dem Hals fluchen“, entgegnete sein Cousin sehr aufgeräumt, und Albus blinzelte überrascht. Er hatte kaum mit einer Antwort gerechnet. Aber Hugo fuhr fort. „Vielleicht würde ich noch deinen Schädel rasieren und dich nackt auf die Straße werfen. Irgendwas in der Richtung“, schloss er, und Albus schluckte tatsächlich. Es konnte nur bedeuten, dass Hugo es wusste. Und es machte Sinn, denn sein Vorbild von Cousin brach die Regeln bestimmt nicht einfach so, aus Spaß. Aus Langeweile. Scheiße. „Du hast meine Mutter beleidigt“, sagte Hugo überflüssigerweise. Albus‘ Blick fiel automatisch, konnte ihn nicht mehr ansehen, und sein Körper versteifte sich. Dann sammelte er sich und öffnete den Mund.

 

„Hugo-“, begann er unwillig, aber sein Cousin schnalzte ungeduldig mit der Zunge.


„-lass es einfach“, unterbrach er ihn reserviert. „Ich... will damit nicht anfangen. Ich nehme an, du wirst irgendeine bescheuerte Ausrede haben und in zwei Monaten werden es ohnehin alle wieder vergessen haben. Passenderweise“, schloss Hugo überraschend bitter, und Albus gefiel diese Unterstellung gar nicht.

 

„Wir sollten darüber reden“, widersprach Alby unschlüssig, denn es war nichts, was man einfach abtun sollte, egal, ob Hugo ihm unterstellte, dass es alle sowieso vergessen würden, was Albus auch nicht glaubte. Kurz wirkte Hugo erschöpft, vielleicht unzufrieden. Eine Spur gehetzt, und Albus konnte es nicht ganz nachvollziehen.

 

„Wieso hat dein Vater dich noch nicht gefunden?“, wechselte Hugo beinahe barsch das Thema, als gefiele ihm nicht, dass Albus tatsächlich über die Beleidigung reden wollte. Als hätte Albus kein Recht eine Entschuldigung zu äußern. „War er nicht hier? So viel Verstand kostet es einen nicht, zu erraten, wo du bist“, ergänzte er kopfschüttelnd, beinahe missbilligend. Fast kam es Albus so vor, als wolle Hugo das Thema bewusst auf etwas anderes lenken. Es gefiel ihm nicht. Aber er antwortete. 

 

„Er war hier, aber… wahrscheinlich wollte er mich nicht so dringend finden. Aber es braucht auch ein krankes Hirn, um einen Sensor-Zauber zu benutzen“, ergänzte er bitter. Hugo ließ sich nicht von seinen Worten beeindrucken.

 

„Selbstmitleid?“, entfuhr es ihm stattdessen, und Albus‘ Augen verengten sich wütend.

 

„Ich habe kein Selbstmitleid!“, erwiderte er schnell.

 

„Nein. Du wartest nur darauf, dass sich irgendwer erbarmt und dich findet“, murmelte sein Cousin leise. „Und dann bin ausgerechnet ich der einzige. Wirklich schade, oder? Ich nehme an, du hättest wen Besseres erwartet.“ Es war eine eigenartige Feststellung, aber Albus‘ Eingeweide zogen sich zusammen, in der unausgesprochenen Konklusion. Denn dass er Hugos Mutter beleidigt hatte, war schließlich nicht wirklich alles. Und er ging davon aus, es würde nicht mehr viel Zeit vergehen, bis Hugo über Rose sprechen wollte. Oder nicht wollte! Wusste Merlin, was Hugo tatsächlich von ihm wollte! Und er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht. Er wollte nicht gefunden werden, aber… vielleicht hatte er sich wirklich nicht viel Mühe gegeben, mit diesem Versteck. Und vielleicht nahm er es in Kauf, dass selbst Rose ihn finden könnte, wenn sie denn wollte – was offensichtlich nicht so war. Emotional war er dieses Problem noch gar nicht angegangen, und Hugo war die letzte Person, mit der er das besprechen wollte. „Und du brauchst nicht rot werden“, sagte Hugo mit sanftem Ekel in der Stimme. „Ich hatte angenommen, du würdest die Anwesenheit von deinem Freund Malfoy bevorzugen. Ich hatte garantiert nicht meine Schwester gemeint“, durchschaute er seine Gedanken, und Albus hatte keine Ahnung, wie er das konnte. Vielleicht lag es auf der Hand, aber vielleicht… war Hugo einfach zu klug. Die Erwähnung von Scorpius schickte sofort Schmerz durch Albus' Körper.

 

„Weiß Scorpius, dass du-?“, entfuhr es Albus, um mit aller Macht das Thema zu wechseln, aber Abwehr huschte über Hugos Gesicht.

 

„-nein“, unterbrach er ihn glatt. Sein Ton änderte sich sehr plötzlich. „Das hier ist... keine selbstlose Mission“, fuhr Hugo bitter fort, und es bestätigte Albus‘ Theorie. „Wir… sollten über ein paar Dinge reden“, begann Hugo schließlich und bewegte sich unbewusst auf dem Hocker.

 

„Ach ja?“ Die Worte verließen defensiv Albus‘ Lippen, denn… er wollte nicht. Nicht mit Hugo. Oder irgendwem.

 

„Unsere Eltern waren in der Schule. Vielleicht konntest du dir das erschließen? Aber wahrscheinlich ziehst du deine Scheuklappen vor“, bemerkte Hugo kühl, und Albus verschränkte die Arme vor der Brust. Er war davon ausgegangen. McGonagall ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihn zu maßregeln. Selbst wenn er nicht da war. „Sie… haben Rose und Malfoy verhört“, fuhr er fort, und sein Tonfall bestätigte ihm, was er befürchtete. McGonagall war bestimmt über den Ausgang des Abends informiert. Und wenn McGonagall es war - dann bestimmt auch die übrigen Erwachsenen.

 

„Haben sie es gesagt? Was… was hat Tante Hermine gesagt?“, entfuhr es ihm tonlos, denn es war seine größte Angst. Zumindest eine davon. Hugos Blick war so abweisend, so furchtbar kalt. Aber lange atmete er aus.

 

„Sie weiß nicht, dass du sie beleidigt hast“, räumte Hugo schließlich ein, und sein Blick hob sich überrascht.

 

„Nicht?“, entkam es ihm heiser.

 

„Nein“, bestätigte Hugo. „Aber…“

 

„Aber?“ Nervosität befiel ihn stärker, als zuvor.

 

„Aber wir sollten über deinen Freund reden“, fuhr Hugo strenger fort. Albus runzelte die Stirn. Wieso sollten sie? Wieso war Hugo so verdammt kryptisch?

 

„Was hat Scorpius gesagt?“ Und fast hasste er, dass er überrascht klang. Als… als könne er verlangen, dass Scorpius ihn deckte, egal, was er tat. Er wusste, dass war unrealistisch. Und so wie Hugo herumdruckste, ihn mit Absicht folterte, nahm Albus an, dass Scorpius nicht unbedingt seinen Rücken freigehalten hatte. Vielleicht könnte Albus das auch nicht wirklich verlangen. Und tatsächlich schienen sie jetzt das Ende des unangenehmen Vorgeplänkels erreicht zu haben. Fast kam es ihm so vor, als käme jetzt der Teil dieses Zusammentreffens, auf den Hugo tatsächlich vorbereitet war, denn plötzliche Entschlossenheit trat auf seine Züge. Albus kannte ihn im Unterricht aus Zauberkunst - und genau diesen punkteversessenen Blick hatte sein Cousin jetzt drauf.

 

„Du stehst auf meine Schwester.“ Die Worte klangen ein wenig hohl, und… Albus reagierte zunächst gar nicht. Es war wie ein dumpfer Schlag, und dass Hugo es aussprach, machte es nicht angenehmer. Er öffnete den Mund, aber Hugo blockierte sofort, wie schon zuvor, und Albus begriff, es ging Hugo nicht um das Gespräch, nicht um die Erklärung dahinter, aber noch verstand er nicht, was der Junge wirklich wollte. „Nein! Wag... es ja nicht, irgendetwas zu erklären“, warnte er ihn tatsächlich, und Albus stockte. „Sie will dich nicht“, ergänzte er, als wäre es nötig! Als wisse es Albus nicht auch so, ohne diesen freundlichen Hinweis. 

 

„Ich weiß das!“, sagte er endlich und konnte seinen Zorn nicht unterdrücken.

 

„Gut!“, fuhr Hugo ihn scharf an. „Ich hoffe, du weißt das!“ Jetzt gerade schien Hugo sein Konzept wieder zu vergessen, denn er wirkte schrecklich aufgewühlt. Röte stieg in die blassen Wangen seines Cousins.

 

„Merlin, Hugo! Denkst du, ich habe es mir so ausgesucht? Denkst du, ich renne durch das Schloss und freue mich darüber? Denkst du, ich habe darauf gewartet, dass du mich hier findest, weil ich nicht erwarten kann, ausgerechnet mit meinem Freak von Cousin darüber zu reden?“, platzte es Albus raus, und kurz wirkte Hugo aus der Fassung gebracht. „Denn nein!“, beantwortete Albus etwas gefasster seine rhetorischen Fragen, und sein Atem ging flacher. „Das ist kein Spaß für mich. Und es ist nichts, was ich tue, um zu polarisieren oder um andere wütend zu machen, verdammt noch mal!“, knurrte er verzweifelt. Aber Hugo schien sich wieder zu besinnen. Ablehnung trat wieder hart auf seine Züge. Und die nächsten Worte folgten mit absoluter Berechnung.

 

„Sie wissen es“, entkam es Hugos Lippen fast eilig. „Deine Eltern, meine Eltern.“ Und fast hatte Albus es befürchtet. Er hatte es geahnt. Und er fand es abartig, dass Hugo beinahe Freude zu empfinden schien. „Dein Freund hat es ihnen verraten“, ergänzte Hugo mit einiger Berechnung, und kurz durchfuhr Albus ein bodenlose Gefühl. Er spürte, seine Kontenance verließ ihn schwindend schnell. Er wollte fragen, und gleichzeitig wollte er nicht. Er hatte angenommen, dass Scorpius nicht blind war. Trotzdem fühlte er sich verraten. Hugo wirkte fast enttäuscht. Wahrscheinlich hatte er erwartet, dass Albus schreien würde. Oder sonst etwas. Aber Albus war gerade wie erstarrt. Fast wünschte er sich, seine Eltern wüssten eher, dass er Tante Hermine beleidigt hatte, als dass er auf ihre Tochter stand. Scheiße.

Und doch wirkte Hugo noch immer angespannt, aufgeregt, als wäre es noch nicht alles. Als gäbe es noch eine grauenvolle Sache, die seinem Cousin wesentlich mehr Genugtuung brachte, als es angebracht wäre.

 

„Wieso siehst du mich so an?“, entfuhr es Albus zornig. „Wieso empfindest du so viele Freude, du kranker Bastard? Du musst mich sehr hassen, Hugo, wenn-“, knurrte er, aber Hugos Stimme unterbrach ihn zornig.

 

„-es geht hier um meine Schwester, du Arschloch!“,  unterbrach er ihn, zum ersten Mal ehrlich außer sich. „Und nichts hiervon gefällt mir! Glaub mir, Al! Nichts davon ist irgendwas, mit dem ich meine Zeit verschwenden will! Aber ich werde dir eine weitere Sache sagen. Und garantiert nicht, weil es mir Spaß macht!“, fuhr er ihn an, und Albus wünschte sich schon jetzt, Hugo würde es nicht tun. Egal, was es war Albus wollte es nicht wissen.

 

„Hugo, ich-!“

 

„-er hat was mit Rose!“, schien Hugo sich nicht mehr halten zu können, und Albus verstummte. So abrupt, dass die Stille plötzlich eigenartig war. Nur Hugos schneller Atem erfüllte die Küche, die noch immer nach frischer Farbe roch. Albus wusste nicht, warum er ausgerechnet jetzt diesen Geruch deutlicher wahrnahm, aber seine Sinne schienen plötzlich schärfer als vorher.

 

„Wer?“ Das Wort entkam ihm still und voller Unglaube, denn sein Gehirn verstand nicht. Wollte nicht verstehen.

 

„Wer?“, wiederholte Hugo tonlos. „Wer denkst du wohl?“, entfuhr es ihm gepresst, und ganz ehrlich dachte Albus an Presley. Aber sein Gehirn wusste bereits - es ging wohl nicht um Presley. Aber… das konnte nicht sein. Etwas anderes konnte nicht sein.

 

„Scorpius?“, entkam es ihm rau. „Du sagst, Scorpius hat was mit Rose?“ Es war völlig absurd! Völlig unmöglich! „Das ist… nicht möglich“, sagte er, was die Vernunft ihm diktierte. Hugo musste verrückt geworden sein. Ungeduldig sah Hugo ihn an, ein wenig aufgekratzt. Und Albus brauchte hier Bestätigung. Hugo sollte seinen Mund aufmachen! „Hugo“, sagte er wütend. „Das ist unmöglich“, wiederholte er mit Nachdruck. Aber Hugo erklärte es nicht, wartete einfach, und Albus schüttelte wieder und wieder den Kopf. „Du redest Scheiße!“, fuhr Albus ihn jetzt an. Er begriff die Worte nicht.

 

„Ich werde es nicht diskutieren. Ich will nicht hören, wie abwegig und unwahrscheinlich es ist.“ Hugo klang wieder erschöpft. Nicht so, als ob er sich gerade eine Lüge aus den Fingern sog. Er klang, als hätte er bereits einige Gedanken zu diesem Thema gehabt. Und es schockierte Albus nur noch mehr. „Ich habe sie im Urlaub erwischt “, fuhr er unnötigerweise fort, denn Albus wollte gar nicht mehr hören! Kein Wort mehr davon! Aber Hugo sprach weiter. „Er hat mit Dominique Schluss gemacht. Und-“

 

„-was?!“, platzte er aus Albus heraus, denn er konnte sich nicht mehr zurück halten. Seit wann ging das bitteschön?! Was bei Salazar…?!

 

„Für den Fall, dass du geglaubt hast, meine Schwester liegt auf ihrem Bett und weint sich die Augen nach dir aus, muss ich dich enttäuschen. Oder falls du dachtest, Malfoy ist krank vor Sorge und sucht nach dir“, ergänzte er kälter.

 

„Woher… weißt du das? Das sie... was haben?“, flüsterte er ungläubig, beinahe angewidert. Noch glaubte er gar nichts!

 

„Ich habe mit Malfoy gesprochen“, erwiderte Hugo, fast etwas unüberlegt. Fast etwas zu hastig. Und auch Hugo schien das aufzufallen, denn er atmete schneller. Albus‘ Gesicht verlor jeden Ausdruck. Hugo hatte was…?

 

„Und er hat dir das einfach so gesagt?“, entfuhr es ihm beinahe ruhig, aber Hugo verdrehte die Augen, bemerkte den feinen Umschwung diesmal nicht.

 

„Nein. Er droht mir mit seinen Fäusten und ist ein verdammtes Arschloch, aber so sicher ich wusste, dich hier zu finden, genauso sicher weiß ich, dass er meine Schwester mit seinen verdammten Händen anfasst“, entkam es Hugo atemlos, vielleicht auch etwas stolz, darüber, dass er tatsächlich so viel zu wissen schien. Und diese Worte… lösten weit mehr in Albus aus, als er fassen konnte. Irgendwas in Albus‘ Innerem reagierte auf diese Anschuldigung, und irgendetwas sagte ihm, Hugo log nicht. Und wieso – Merlin, wieso – fiel es ihm überhaupt nicht schwer, das zu glauben?! Wieso? Es hatte nie in Scorpius‘ Körpersprache gelegen! Er hatte Rose nie attraktiv gefunden! Es war nie… ein Problem gewesen! Ja, sie stritten, Rose hasste Scorpius – aber… war es Show? War es… nicht echt? Hatte sein bester Freund ihn tatsächlich hintergangen und hatte seinen Eltern gesteckt, dass er, Albus, auf Rose stand? Aus welchem Grund? Aus welchem verdammten Grund?

 

Und plötzlich brannte irgendetwas in seinem Innern durch. Irgendetwas, was vorher rational gewesen war, schlug plötzlich um. Und neben all diesen schrecklichen Gedanken – neben dem widerlichen Gefühl, dass Scorpius ihre Freundschaft zerstört hatte – hatte sich noch etwas vollkommen anderes für ihn heraus kristallisiert.

 

Denn… Hugo wusste es.

 

„Haben sie Sex?“ Seine Stimme war so hörbar lauter geworden, so hörbar wütender, und er wusste, warum es ihn mit so viel Zorn erfasste. Hugo wirkte kurz überfordert. Albus wusste, warum er es fragen musste. Und jetzt war sein Cousin wieder fünfzehn jungfräuliche Jahre alt, während Albus‘ Hände sich zu harten Fäusten ballten. Denn eine Sache war wesentlich wichtiger. Noch wichtiger als die Antwort auf seine vorherige Frage. Und allmählich schien Hugo etwas zu dämmern, was er vorher ignoriert hatte. „Hast du es Onkel Ron gesagt?“, fragte er Hugo also jetzt, und seine Stimme könnte Butterbier zum Frieren bringen. Denn genau jetzt wurde ihm klar, warum er Hugo Weasley nicht leiden konnte. Warum diese unangenehme Intelligenzbestie überhaupt hier war! 

 

„Ich –!“, begann sein Cousin aufgebracht. „Nein. Ich habe es ihm nicht gesagt.“ Und Hugos Stimme hatte den nervig überheblichen Ton verloren. Sehr plötzlich. Von einer Sekunde auf die nächste. Denn jetzt schien dem kleinen Hugo der verdammte Fehler aufzugehen.

 

„Und warum nicht?“ Albus hatte sich in Bewegung gesetzt. „Scheinbar wird unseren Eltern doch sonst alles erzählt?“, fuhr er Hugo bitter an. „Bin ich wirklich das scheiß Problem, wenn Scorpius Malfoy deine Schwester vögelt?“, donnerte er längst über den Rand seiner Beherrschung hinaus, und Hugo zuckte ängstlich zusammen. „Und wie kann es sein, dass du das zulässt?“ Sehr schnell war seine Stimme wieder leise geworden, aber die Boshaftigkeit blieb zurück. 

 

„Ich lasse gar nichts zu, ok? Ich kann überhaupt nichts tun! Ich habe-!“

 

„-ach nein?“, unterbrach er ihn glatt. „Du scheinst ohne weiteres Gesetze brechen zu können, Hausfriedensbruch zu begehen – mich verdammt noch mal zu verfluchen! Und ich würde Rose niemals anrühren, Merlin noch mal! Weil ich weiß, dass es falsch ist! Aber du… du – wie läuft das? Habt ihr euch zu Keksen und Gebäck getroffen, und Scorpius hat erörtert, dass Rose über ein Pult zu werfen, und sie von hinten zu nehmen, eine fantastische Idee wäre – und alles, was du tust, ist absolut gar nichts?!“, schrie er ihn an, und Hugos Mund öffnete und schloss sich überfordert. „Du kommst hier her, schreist mich an – und erwähnst nebenbei, dass unsere Eltern die einzige Sache wissen, die mich umbringt, während mein bester Freund deine Schwester fickt?“ Er hatte den Tresen umrundet und war so kurz davor, Hugo die Prügelei seines Lebens zu verpassen, aber er wollte die Antwort darauf hören – obwohl er die Antwort bereits wusste! Seine Fäuste zitterten. Fast fiel Hugo vom Hocker, als er hastig auf die Beine kam. Angst war deutlich auf Hugos Zügen zu erkennen. Er wich vor ihm zurück und zog den Zauberstab, aber selbst seine große Waffe zitterte zwischen seinen Fingern.

 

„Ja“, knurrte Albus zornig. „Super Idee, Hugo. Denn ich bin das Problem, richtig?“ Hugos Blick ging wild und er wich noch weiter zurück.

 

„Ich…- ich kann nicht!-“, begann Hugo wieder heiser, aber Albus lachte freudlos auf, denn das war die Antwort, oder nicht? Das war der Grund, weshalb Hugo überhaupt hier aufgetaucht war! Elender Wichser!

 

„-aber ich soll es machen?“, beendete er den scheiß Satz kalt und fixierte Hugo voller Wut. Und er sah genau, dass Hugo mit einem gänzlich anderen Ausgang gerechnet hatte. All die Überlegenheit, mit der sein Cousin hier aufgetaucht war, war verpufft. Nichts war mehr übrig. „Ist es das?“, fuhr Albus eisig fort. „Du kommst hier her, konfrontierst mich – ohne den Hauch von Empathie, ohne jedes Interesse, wie es mir geht, was ich fühle – damit ich die Drecksarbeit erledige? Weil es um mich nicht schade ist? Ist es das, was du denkst, Hugo? Ist es das?!“, schrie er seinen Cousin an, und dieser wirkte so absolut fertig, so… ehrlich durchschaut und in die Ecke gedrängt, dass es Albus nur noch mehr aufregte. „Antworte mir, verdammt noch mal!“, brüllte er praktisch, und jetzt schluchzte Hugo auf.

 

„Hör auf!“, schrie Hugo jetzt mit gebrochener Stimme, und seine Augen glänzten verdächtig hell. „Halt den Mund!“ Er würde weinen. Sein scheiß Cousin, der genug Courage hatte ihn bloßzustellen, ihn zu bedrohen, ihn anzuschreien, würde gleich heulen wie ein kleines Kind. Und dann zog Albus den Zauberstab aus seiner Tasche.

 

„Denkst du, du bist der einzige mit einem scheiß Zauberstab?“ Und dann war es Albus egal. Absolut egal. „Expelliarmus!“, knurrte er, und mit einem überraschten Laut, flog der Zauberstab aus Hugos Hand. Jetzt trat echte Panik in Hugos Blick. Und jetzt war es Hugo, der zurückwich, immer weiter, bis er unsanft gegen den Tresen stieß. Er hatte all die Tage nicht gezaubert, aber sollte das Ministerium ruhig kommen! Scheiß egal. „Beantworte meine Frage, Hugo“, verlangte Albus bitter. Wie ein gehetztes Tier stand Hugo vor ihm. „Na los“, wiederholte Albus dunkel. Aber Hugo sagte gar nichts, starrte ihn lediglich schwer atmend an. „Sag mir, dass du mich ausnutzen willst, weil ich deine Mutter beleidigt habe. Sag mir, dass du meine Gefühle für Rose nutzen möchtest, um sie gegen Scorpius auszuspielen! Deshalb machst du dir die Mühe, oder nicht? Deshalb bist du hier. Und wieso? Was hast du davon?“

 

Hart stach Albus ihm die Spitze des Zauberstabs in die Brust. Er kannte nicht so viele Sprüche, wie Hugo es höchstwahrscheinlich tat. Aber er kannte genug, um Dinge schmerzhaft werden zu lassen. „Was hast du erwartet? Dass ich dir gehorche? Dass ich dir folge? Dass ich so krankhaft besessen bin?“

 

„Du schuldest es mir“, sagte Hugo zitternd, und Albus zog die Augenbraue in die Höhe.

 

„Was schulde ich dir?“, entkam es Albus beinahe höhnisch. Wie konnte dieser kleine Mistkerl es überhaupt wagen, so etwas zu sagen?

 

„Du bist nicht besser“, flüsterte Hugo, und tatsächlich fiel eine Träne auf seine blasse Wange. „Nur weil du Potter heißt, bist du nicht besser.“

 

„Du bist so ein-“

 

„-ich habe Recht!“, unterbrach Hugo ihn heiser. „Und du bist…“ Er zögerte, wischte sich die verräterisch feuchten Wangen wieder trocken, und sein Cousin wirkte gebrochen und erschöpft. „Du bist so selbstgerecht. Und gedankenlos. Du bist… ein schlechter Cousin! Du bist eine Beleidigung für unsere Familie!“, wisperte Hugo fast. „Und ich… erwarte von dieser Familie nicht viel. Ich will nicht… in euren ‚Club‘! In eure Quidditch-Gang! Es interessiert mich nicht!“, krächzte Hugo zitternd.

 

„Was zur-?“, entfuhr es Albus ungeduldig, aber Hugo ignorierte ihn.

 

„-für Rose!“, sagte Hugo fester. „Du schuldest es mir, für Rose! Und wenn ich mein ganzes Leben ausgegrenzt bin, nicht dazu gehöre – dann meinetwegen. Aber dieses eine Mal muss irgendwer von euch erwachsen sein! Und du kannst Rose nicht haben“, schloss er stiller. „Genauso wenig wie Scorpius Malfoy. Also… ist das keine Bitte von mir. Es ist deine Pflicht.“ Albus starrte ihn an, schwieg tatsächlich, und Hugo schniefte laut. „Wenn mein Vater es wüsste – ich weiß, du verstehst das nicht. Onkel Harry ist anders. Onkel Harry… ist nicht nachtragend, aber mein Vater….“ Hugo sprach nicht weiter. „Es ist schwieriger für uns. Also, bitte“, flüsterte Hugo jetzt, „kümmer dich darum. Kümmer dich ein einziges Mal nicht nur um dich selbst, sondern auch um jemand anderen!“

 

Noch immer stach Albus Hugo den Zauberstab direkt in die Brust, unschlüssig, teilweise sehr zornig, aber zu einem anderen Teil… war jedes Gefühl verebbt. „Und die Antwort… ist Ja“, schloss Hugo, die Stimme bereits viel ruhiger, als vorher. „Ich will, dass du die Drecksarbeit erledigst.“

 

Es vergingen stille Sekunden, und mit einer unterdrückten Beleidigung auf den Lippen, ließ Albus den Zauberstab erschöpft sinken. „Ich sollte dich verfluchen und hier liegen lassen“, entfuhr es ihm gepresst. Hugo musste ihn so sehr hassen. Wirklich verabscheuen. Und vielleicht… am Ende, unterm Strich – hatte Hugo Recht. Nicht mit allem – bei Merlin, mit dem allerwenigstens! Aber… vielleicht mit einem einzigem Korn Wahrheit, hatte Hugo Recht. Aber Albus war nicht James! Er war… nicht der gute Potter! Er… war nicht derjenige, der zurücksteckte, der… sich kümmerte. Er kam kaum mit sich selbst zurecht. Und jetzt gerade war es alleine dem Umstand geschuldet, dass es dreitausend Dinge auf einmal waren, die Albus fertig machten. Es war so viel Input – hätte er genügend Zeit, über alles nachzudenken, wäre er längst zusammengebrochen. Wortlos reichte er Hugo den Zauberstab, den er ihm abgenommen hatte, und es war bezeichnend, wie stark Hugos Finger zitterten, als er ihn wieder an sich nahm.

 

Und sie beide zuckten zusammen, als die Haustür vorne praktisch aus den Angeln explodierte.

 

Hugos Ausdruck wirkte so gehetzt, so absolut überfordert, und Albus atmete resignierend aus. Wahrscheinlich war sein Zauberstab seit seinem Verschwinden längst im Ministerium registriert, und die Auroren warteten nur darauf, dass er einen Fehler beging. Schwere Tritte näherten sich. Fast kam es Albus vor wie ein eigenartiges Ende. Als wäre es alles vorbei. Er war sich nicht sicher, was passieren würde, aber er tauschte einen knappen Blick mit Hugo. Er hatte keine Ahnung, was Hugo tun würde. Unter Druck funktionierte sein Cousin nämlich nicht.

Und Albus riss sich zusammen, schnappte aus der Schockstarre und tat das einzige, was ansatzweise Sinn ergab. Jetzt gerade. Für ihn. Sollte denn der seltsame Fall tatsächlich eintreten, dass er auch nur im Ansatz versuchte, so zu sein, wie sein scheiß Bruder. Er umrundete den Tresen, griff sich den silberglänzenden Stoff vom Boden, kam zurück, und absolut keine Sekunde zu früh breitete er den Tarnumhang wortlos aus, warf ihn über seinen Cousin, und das letzte, was er sah, war Hugos ungläubiger Blick, ehe der Umhang ihn verschluckte.

 

Und dann flog die Tür zur Küche auf. Albus zuckte zusammen, wich zurück, denn die Auroren standen in voller Montur und fluchsicherem Visier über dem Kopf im Türrahmen, zwängten sich ins Innere, mit erhobenem Zauberstab, und Albus spürte, wie der kühle Tarnumhang ihn streifte, als Hugo vor ihm schwand, weiter ins Zimmer flüchtete, und mit Glück würde er sogar unbemerkt hier raus kommen.

Immerhin, dachte Albus bitter.

 

Der Auror ganz vorne zerrte sich schließlich das Vsier vom Kopf. Verdammter Mist, dachte Albus dumpf.

 

Das Gesicht seines Vaters war wutverzerrt, seine Haare unordentlich, wie immer. „Hast du vor, irgendeine Art der Gegenwehr zu leisten?“, fragte ihn sein Vater hasserfüllt, und demonstrativ – mit nervöser Angst erfüllt – ließ Albus seinen Zauberstab auf die Fliesen fallen. Es war das Protokoll, wusste Albus. Sein Dad musste fragen. „Das dachte ich mir“, knurrte sein Vater ungehalten. Dann warf er den Blick zurück. „Ihr könnt wieder zurück. Es tut mir wirklich leid, dass ihr um die Zeit losmusstet. Auch mein Sohn entschuldigt sich dafür, ein Kleinkind zu sein, was selbst mit sechzehn Jahren immer nur Probleme macht, egal, was er tut.“ Die letzten Worte galten ihm, und Albus schluckte schwer. Und der Blick seines Vaters war so eindeutig und spürbar schmerzhaft, dass Albus eingeschüchtert nickte.

 

„Tut… tut mir leid“, würgte er heiser hervor, und kam sich auf allen Ebenen gedemütigt vor. Die Auroren, die er hinter den Visieren nicht erkennen konnte, murmelten irgendwelche Worte, halb gereizt, halb kopfschüttelnd, bevor sie die Küche gesammelt wieder verließen. Er wandte sich an seinen Vater, denn er wusste, er musste es erklären. „Dad-“, begann er, aber neuer Zorn flackerte in den grünen Augen seines Vaters. Allein sein Blick ließ ihn verstummen. 

 

Erst als die kaputte Haustür wieder magisch ins Schloss gesetzt und mit einem lauten Rumms wieder zugefallen war, atmete sein Vater aus. Albus hatte keine Ahnung, ob Hugo noch im Haus war. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Und die verrückte Aussage, sein Vater wäre nicht nachtragend? Sein Vater gehörte zu den Menschen, die nie irgendetwas vergaßen. Und Albus nahm an, an diese Aktion würde er sich noch in fünfzig Jahren erinnern. 

 

„Deine Mutter und ich waren krank vor Sorge“, informierte ihn sein Vater gepresst, und Albus‘ Blick fiel automatisch. „Wegzulaufen war eine grenzenlos dumme Idee“, fuhr er nahtlos fort, und Wut tränkte jedes Wort. „Du verpasst den Unterricht, begibst dich in sinnlose Gefahren – und ich kann es verstehen.“

 

Moment – was?!

 

Albus‘ Blick schoss entgeistert wieder hoch, sah seinem Vater direkt ins Gesicht. Er tat was?! Seine Augen mussten ihm praktisch aus dem Kopf fallen, und sein Vater schritt zu dem Hocker, auf dem Hugo vor wenigen Minuten noch gesessen hatte. Taub folgte Albus ihm, konnte immer noch nicht viel mehr tun, als ihn verwirrt anzusehen, und sein Vater fuhr sich abwesend durch die Haare. Er war so absolut James, wenn er das tat. Oder umgekehrt. „Es muss schwer sein“, schloss sein Dad schließlich. „Aber du kannst nicht weglaufen, Al“, ergänzte er kopfschüttelnd.

 

„Ich weiß“, entkam es ihm still, und fast erschrak er über seine eigene Stimme.

 

„Rose wird dich nicht für immer hassen. Wenn sie es überhaupt tut“, sagte sein Vater dann, und es war so peinlich. So verdammt peinlich, dass sein Dad es wusste. Und dass er darüber sprach. „Willst du drüber reden?“, erkundigte er sich, und sofort schüttelte sich sein Kopf.


„Nein“, murmelte er hastig. „Auf keinen Fall“, ergänzte er rau.

 

„Es ist eine Phase, und die wird vergehen, ok?“ Immerhin tat sich sein Dad auch etwas schwer damit. Und Albus wünschte sich, er würde aufhören. Immerhin wurde er nicht angeschrien. Das war positiv.

 

„Ok“, bestätigte er hastig, denn er wollte, dass dieses Gespräch endete. Sehr schnell.

 

„Ok“, wiederholte sein Vater, und dann wurde sein Ausdruck kälter. „Und was fällt dir ein, fünfhundert Galleonen abzuheben?“, bekam er die nahtlose Anfuhr für die nächste Aktion. Er verzog ratlos den Mund.

 

„Ich… hatte Angst?“, schlug er vorsichtig vor, aber sein Dad kaufte es ihm nicht ab.

 

„Ach ja? Hier ist was, um deine Angst zu schüren, Al“, erwiderte er glatt. „Wie wäre es, wenn wir dieses Jahr auf deine Weihnachtsgeschenke verzichten?“ Aber Albus nahm an, das wäre eine sehr glimpfliche Strafe.

 

„Das wäre hart“, entgegnete er still.


„Gut. Und du kannst Onkel Ron und Tante Hermine einen hübschen Brief schreiben. Und lass dir was Besseres einfallen, als dass es dir leid tut“, warnte sein Vater ihn. Albus verzog den Mund. Und er nahm an, wüsste sein Dad, dass er seine Tante beleidigt hatte, würde dieses Gespräch wesentlich anders aussehen. Wahrscheinlich war er noch mal davon gekommen. Und bei diesem Gedanken wurde seine Brust plötzlich sehr eng. Er kam davon. Hugo hatte… Recht. Er hatte tatsächlich Glück. Vielleicht mehr Glück als andere. Er fühlte sich absolut scheiße.

 

Und dann tat sein Dad etwas Seltsames. „Wie wäre es, wenn wir hier bleiben? Heute? Es ist spät, Hogwarts ist weit weg. Vielleicht… wäre es nicht schlecht.“ Albus war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Es würde ihn ablenken nahm er an. Von… allen Dingen. Von… ihr. Und… ihm. Mit aller Macht sah er Scorpius vor sich. Wie konnte er? Wie konnte Scorpius so etwas tun?

Und erst jetzt schlug diese Information ein, erreichte sein Gehirn, und Tränen schossen in seine Augen.

Sein Vater reagierte nahezu sofort. „Al?“ Er hatte sich erhoben, schloss den Abstand, und heiße Tränen fielen auf Albus’ Wange, als er begriff, dass er seinen besten Freund verloren hatte. Sein Dad umarmte ihn ohne Worte, und wie ein Kind hielt sich Albus an ihm fest, schloss die Augen fest und wollte nicht mehr nachdenken. Über gar nichts mehr.

 

 

 

Nineteen

 

         Es war ein eigenartiges Gefühl gewesen. Zum ersten Mal in der Geschichte ihrer schulischen Karriere war es passiert, dass ihre Hand schneller oben gewesen war. Ihr war aufgefallen, dass ihr Bruder heute müder wirkte als sonst – erschöpft regelrecht, und noch kein Mal hatte er die Hand gehoben, um sein Wissen zu beweisen. Und das hier war eine definitive Hugo-Weasley-Frage gewesen. Aber Rose hatte die Antwort gewusst, bevor McGonagall ihre Frage überhaupt beendet hatte. Von Rumer erntete sie einen ungläubigen Seitenblick, als ihre Hand nach oben geschossen war, und fast saß sie auf der Kante des Stuhls, so dringend wollte sie sich beweisen. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Es ging ums Prinzip. Und um die Tatsache, dass sie noch immer nicht mit ihrem Bruder sprach.

 

„Miss Weasley?“ Überraschung klang in McGonagalls Stimme mit, und eine Frage von McGonagall zu beantworten, war… erheblicher, als Kräuterkunde zu bestehen. Es war eine andere Liga. Und sie spürte Hugos Blick auf sich, als sie antwortete. Fast zitterte ihre Stimme, denn das war nicht ihr Terrain. Es war Hugos Terrain. Rose war gut auf dem Besen, aber nicht im Klassenzimmer.

 

„Der Crinus Muto Zauber ist ein Basenaffekt-Zauber und gehört zum ersten Status, da er ohne Trank, nur durch Transformation mit Zauberstab ausgeführt wird. Der Farbwechsel der Haare ist nur zu konventionellen Farben möglich“, schloss sie, ein wenig atemlos, und von sich selber gänzlich überrascht.

 

„Das… ist völlig korrekt. Nehmen Sie fünf Punkte, Miss Weasley“, entgegnete McGonagall äußerst wohlwollend, und Rose konnte nicht anders, als zu lächeln. Automatisch, ohne es verhindern zu können, hob sich ihr Blick, und sie hatte schon gespürt, dass Hugo sie anstarrte. Tatsächlich sah ihr Bruder so aus, als hätte er in etwas Saures gebissen. Roses Mundwinkel zuckten, und eilig fiel ihr Blick zurück auf ihre Unterlagen.

 

„Was war das denn?“, zischte Rumer neben ihr. „Woher weißt du sowas?“, wisperte sie ungläubig, und Rose zuckte bescheiden die Achseln.

 

„Keine Ahnung“, flüsterte sie, dabei hatte sie erst vorgestern das schwierige Kapitel über Basenaffekte mit Snape im Rücken durchgearbeitet. Sie war selber überrascht, dass sie sich die komplizierten Erklärungen hatte merken können. Und tatsächlich war der Crinus Muto Zauber einer der ersten, der überhaupt beschrieben wurde. Glück gehabt, dachte sie mit klopfendem Herzen. Was für ein verdammt großartiges Gefühl. Sie hatte zum ersten Mal Punkte für irgendetwas bekommen!

 

„Hugo sieht aus, als hättest du ihm den Pudding versalzen“, murmelte Rumer, während sie ihren Bruder betrachtete, und Rose tat es lächelnd ab. Sie hatte das Gefühl, den Rest der Stunde über aufmerksamer zu sein und notierte sich sogar die Extraaufsätze, die McGonagall beiläufig erwähnte.

Und tatsächlich hob sich ihre Hand ein zweites Mal. Diesmal erntete sie sogar Doms fragenden Blick.

 

„Miss Weasley?“, reagierte McGonagall positiv überrascht, und wieder schämte sich Rose beinahe, als sie sprach.


„Ich kann zu diesem Thema ebenfalls den Aufsatz von… Hermine Granger über den Blutstatus und seine Regelmäßigkeiten empfehlen. Einige Auszüge befassen sich ausschließlich mit Basenaffekten“, endete sie stiller, und McGonagall wirkte beeindruckt.

 

„Mir ist dieser Aufsatz durchaus bekannt“, bemerkte die Schulleiterin mit dem schmalsten aller Lächeln. „Und das war ein sehr guter Hinweis. Danke, Miss Weasley. Klasse, ich finde, bis zum nächsten Mal dürfen alle den Aufsatz von Hermine Granger lesen. Sie finden ihn in der Bibliothek. Die Stunde ist vorbei. Guten Hunger, wünsche ich.“ Laut wurden die Taschen gepackt, und tatsächlich beschwerten sich Schüler verhalten über sie. Rose wusste, es war wahrscheinlich unfassbar streberhaft einen Aufsatz der eigenen Mutter zu empfehlen, aber… sie hatte gar nicht anders gekonnt. Das kannte sie von sich nicht. Für gewöhnlich hielt sie den Mund und zwang Leuten nicht ihre Meinung auf!

 

„Wegen dir haben wir Extrahausaufgaben. Danke“, bemerkte Rumer kopfschüttelnd.

 

„Wahrscheinlich hat sie jetzt mehr Zeit, ihr Gehirn zu benutzen, wo du in einer anstrengenden Beziehung steckst“, entgegnete Dom überraschend kühl. Rose war schon aufgefallen, dass Dom deutlich weniger weinte. Sie war dazu übergegangen, bissig zu sein.

 

„Besser, Rose benutzt ihr Gehirn, als dass sie es gänzlich abschaltet, nicht wahr, Dom?“, erwiderte Rumer mit zuckersüßem Lächeln, und Dom schien sich nicht sicher zu sein, ob das gerade eine Beleidigung war. Rose bemerkte, dass Hugo das Klassenzimmer sehr schnell verließ, als hätte er es eilig. Oder als hätte er Angst.

 

Ihr Blick folgte ihm, und sie hörte Dom und Rumer gar nicht mehr zu. Und nein, sie benutzte ihr Gehirn nicht wirklich. Nicht in Bezug auf gewisse Dinge. Sie hinterging ihre Cousine, mit jedem weiteren Tag. Es trieb die Röte in ihre Wangen, überhaupt über gestern nachzudenken. Es war ein perfekter Abend gewesen, zu perfekt. Fast wusste sie nicht mal mehr, wie sie jemals aus der Sache mit Scorpius unbeschadet rauskommen sollte. Sie hatte keine Ahnung von Affären, aber gestern war es gefährlich gewesen, oder? Und vielleicht war es gut, dass er nicht mit ihr geschlafen hatte, denn… sie war sich nicht sicher, was es alles bedeuten würde. Es wäre nicht für immer, und langsam aber sich wurde sie süchtig nach seinem Körper. Und sie hatte auch Angst davor. Er hatte ihren Horizont erweitert, definitiv. Und sie sehnte sich nach mehr. Aber… sie würde den den nächsten Schritt nicht initiieren können. Denn sie wusste gar nicht, wie sie es beginnen sollte. Oder ob sie überhaupt die Macht hatte, ihn von irgendetwas zu überzeugen.

 

„Lasst uns einfach gehen“, vernahm sie Rumers gereizte Stimme wieder, aber Rose wusste ziemlich genau, dass James und Rumer sich vertragen hatten. Sie hatte es ihr nach dem Frühstück hinter vorgehaltener Hand berichtet. Laut Rumer hatten sie die Differenzen geklärt, aber es war noch nicht zum Äußersten gekommen, denn sie ließ ihn noch etwas schmoren, so ihre Worte.

Auf dem Weg in die Halle entdeckte sie ihren Bruder wieder. Er war in ein sehr stilles Gespräch mit seinem kleinen Freund vertieft. Einer der Scamanders, wusste Rose, aber sie konnte beide nicht auseinanderhalten. Einer war clever, der andere nicht. Das war alles, was sie wusste, denn natürlich sprach Hugo nie darüber. Und sie sah, ihr Bruder wirkte besorgt. Merlin, sie hatte Hugo noch nie so erlebt, wenn sie ehrlich war. Er schien so selbstvergessen. Für gewöhnlich konnte sie ihn nie lange beobachten, denn er merkte es zu schnell. Aber heute…? Irgendwas Eigenartiges umgab ihn. Auch als James gähnend zu ihnen stieß, Rumer umarmte, ruhte ihre Aufmerksamkeit auf Hugo. Vielleicht war es etwas Schwesterliches. Sie wusste es nicht. Aber sie hatte ein seltsames Gefühl.

 

„-nicht wahr, Rose?“ Louis hatte sie aus ihren Gedanken gerissen. Abrupt wandte sich ihr Blick.

 

„Hm?“, entfuhr es ihr abwesend, und Luis grinste frech.

 

„Ich sagte, du kommst immer mehr auf deinen Bruder. Punkte sammeln für krankes Zusatzwissen?“, schien er zu wiederholen, und immerhin heuchelte James Interesse. Denn eigentlich interessierten sie sich alle nicht sonderlich für schulische Leistung.

 

„Ich hatte auch mal so eine Phase“, mischte sich Fred fast versonnen ein, tiefe Grübchen auf den dunklen Wangen.

 

„Ja, ja. Um Ginnifer zu beeindrucken“, warf James nickend ein, mit vielsagendem Blick, während er den Arm um Rumers Schulter legte.

 

„Tja“, entgegnete Fred, eine Spur bitter. „Aber Rose, glaub mir – selbst wenn du superschlau bist – die heißen Mädchen nehmen den dümmsten Vollidioten“, warnte er sie.


„Hey!“, entfuhr es James. Aber Fred hatte nicht unrecht, dachte Rose. Auch wenn James nicht unbedingt der dümmste Vollidiot war.

 

„Halt die Klappe, Fred!“, beschwerte sich auch Rumer, und Rose musste fast lachen.

 

„Hätte Ginnifer dann nicht eigentlich Sutter nehmen müssen?“, wollte Rose ratlos wissen, und James nickte grinsend. Dann wandte er sich an Rumer.


„Das war damals, Baby“, entschuldigte er sich, und Rose sah deutlich, Rumer hasste diesen Spitznamen. Rumer konnte auch die Erwähnung von Ginnifer offenkundig nicht leiden.

 

„Du bist auf Bewährung. Also spar dir dein ‚Baby‘“, erinnerte sie ihn finster.

 

„Ginnifer hätte dann doch eigentlich Scorpius nehmen müssen“, entfuhr es Dom fast selbstvergessen, und äußerst abwertend. „Wenn es schon der dümmste Vollidiot sein muss“, ergänzte sie bitter. Und dieses Mal seufzte Louis tatsächlich auf, wo er sich sonst nie einmischte.

 

„Wir haben’s verstanden, Dom“, versicherte er ihr gepresst. „Malfoy ist ein Arschloch, du bist für immer sauer für ihn – alle haben’s begriffen“, schloss er eindeutig. Dom schoss ihm einen wütenden Blick zu.

 

„Entschuldige, wenn dich meine Gefühle nerven, Louis. Entschuldige, dass ich das Bedürfnis habe, darüber zu sprechen und nicht wie du, jede kleinste Regung in meinem Körper mit dämlichen Sprüchen unterdrücken muss! Du schläfst doch mit jedem Mädchen im Besenschrank und bleibst keiner treu, nur um dich nicht festzulegen!“

 

„Hey! Mein Leben geht dich überhaupt nicht an, Dominique!“, fuhr Louis seine Schwester plötzlich ziemlich scharf an. „Immerhin bin ich nicht so dumm zu glauben, dass sich jedes Mädchen ihr linkes Bein ausreißen würde, um mir zu gefallen. Ich verlasse mich nicht auf mein Aussehen, und ich investiere eben nicht mein Herz. Vielleicht hättest du dir vorher ein paar Gedanken machen sollen, du oberflächliche Ziege!“, knurrte er, und Dom schwieg verblüfft. Sie alle schwiegen verblüfft.

 

Dom setzte zum Konter an, Rose sah es sehr genau, und sehr schnell war das alles hier sehr unangenehm geworden. Und fast war es eigenartig, das Vic manchmal sehr gutes Timing hatte. „Na, streiten sich die kleinen Geschwister? Louis, lass es einfach. Und Dom? Du weißt doch, dass man ihn besser ignoriert. Ich würde vorschlagen, wir essen, und ihr blamiert mich nicht weiter?“ Der letzte Satz galt der gesamten Familie, und ihr unfassbar schönes Lächeln, ließ sie allesamt verstummen. Ja, Vic war anders. Vic schien hier schon lange nicht mehr hinzugehören. Eigenartig, wirklich. Damals hatte Rose geglaubt, Vic würde niemals erwachsen werden, und mittlerweile… war alles anders. Es war beunruhigend, aber scheinbar nicht aufzuhalten. Auch Roses eigene Veränderungen überraschten sie, aber sie geschahen so zunehmend und unaufhaltsam, dass es… normal sein musste?

 

Und es war angespannt, als sie längst am langen Tisch saßen, einige schlechter gelaunt als andere, und Rose hing den trüben Gedanken nach, wagte nicht mal, sich umzudrehen, um vielleicht einen Blick auf den Slytherintisch zu werfen, denn jetzt gerade hütete sie sich davor. Dom kochte neben ihr, und selbst Rumer schwieg verbissen, dachte vielleicht über Ginnifer und James nach. Louis hatte sich ziemlich weit weg gesetzt, und heute saß Lily ihr direkt gegenüber. Schon ein paar Mal war Rose aufgefallen, dass Lily sie öfters anstarrte. Aber immer, wenn Rose den Blick gehoben hatte, war Lilys Blick hastig auf ihren Teller zurück gefallen.

 

Ok. Dieses Problem musste sie angehen. Sie fühlte sich durch Vic inspiriert. Was war Lilys verdammtes Problem? Es nervte sie schon seit Tagen. Ihre Cousine war schwierig und seltsam, aber jetzt reichte es einfach.

Nach dem Essen würde sich Rose darum kümmern. Sie hatten beide eine Freistunde, das wusste sie, und vielleicht musste sie diese unangenehmen Dinge endlich mal ansprechen, um sie zu lösen. Noch so eine lästige erwachsene Sache. Man konnte nicht entkommen.

 

Es brach plötzlich unterdrücktes Gemurmel aus. Und sie erkannte an James‘ Haltung, dass irgendetwas geschah. Denn sein Löffel sank sehr plötzlich, und sein Gesicht verlor jeden Ausdruck. Rose wandte sich direkt um.

McGonagall hatte die Halle betreten – und… ihr Arm lag um Albys Schulter! Es war Alby! Merlin! Die Schüler verrenkten sich an den Tischen die Hälse, und kurz flackerte ihr Blick zu Scorpius. Wie gebannt sah der blonde Slytherin zur Tür, aber er regte sich nicht, sprang nicht auf, und Rose wusste nicht, was passieren würde. Es war tatsächlich das erste, was sie dachte. Sie dachte kaum daran, dass sie glücklich war, Alby wiederzusehen. Nein, sie… dachte an Scorpius. An die Probleme, die jetzt auftreten würden.

Und sie befiel das schlechte Gefühl. Mit Alby war nichts geklärt, sie hatte ihre Gefühle allesamt ignoriert, und jetzt… kamen sie mit aller Macht zurück.

Unter den Blicken aller, schritt ihr Cousin weiter. Er trug die Uniform von Slytherin, aber er ging nicht in Richtung seines Haustisches. Er steuerte direkt zu ihnen. Roses Kiefer gab nach, als sie seinen Blick auffing. Ihr Herz schlug schneller. Es war so viel passiert. So schrecklich viel.

Und dann… war die Zeit vorbei, die Sekunden schmerzlich abgelaufen, und er stand direkt vor ihr. Ihr Kopf lag in ihrem Nacken.

 

„Hey“, begrüßte er sie als erste, und Rose schluckte schwer. Ihr Herz raste. Es lag keine Versöhnung in seinem Gesicht. Das war, was sie eigenartigerweise zuerst erkannte. Fast überraschte es sie. Fast hatte sie erwartet, dass er auf die Knie fallen würde, um sie vor der gesamten Halle um Vergebung zu bitten. Schließlich… war er sie in verliebt, nicht wahr? Dumme Gedanken. Egoistische, arrogante Gedanken. Die gesamte Familie schwieg.

 

„Du bist wieder da“, brach James nach einer ganzen Weile die Stille, und Albys Blick löste sich unwillig von ihrem Gesicht. Rose konnte wieder atmen.

 

„Ja“, bestätigte er ernst.

 

„Weiß Dad Bescheid?“ Auch in James‘ Stimme fehlte einfach die Wiedersehensfreude, und Alby vergrub die Hände in seinen Taschen, so wie Rose es von ihm gewöhnt war.

 

„Ja, weiß er“, bestätigte Hugo knapp. Und plötzlich konnte sie nicht mehr sitzen, kam abrupt auf die Beine, und Albys Blick ruhte wieder auf ihr. Umständlich kletterte sie über die Bank, stand nervös vor ihrem Cousin, und sie wusste nicht, ob sie irgendetwas sagen sollte. Sie hatte es sich anders vorgestellt. Nicht so… angespannt?

 

„Rose?“ Es war Rumers vorsichtige Stimme. Ihr Herzschlag ging schneller. Und sie hatte das komische Gefühl, dass es nicht mehr ihr bester Freund war, der vor ihr stand. Nicht der Junge, der still und heimlich verschwunden war, sie um Vergebung gebeten hatte, sie… geküsst hatte. Sein Blick war beinahe feindselig. Und es war so vollkommen abwegig, so absolut unwahrscheinlich, aber plötzlich hatte sie den merkwürdigen Verdacht – dass nagende Gefühl – dass… er es wusste. Aber es konnte gar nicht sein. Es konnte nicht! Denn woher sollte er?!

 

„Und?“, sprach er das erste Wort, direkt in ihr Gesicht. „Irgendwas passiert, während ich weg war?“ Seine Stimme war neutral, sein Tonfall lauernd, und Rose musste wieder schlucken. „Irgendwas spannendes?“, ergänzte er. Und kurz teilten sich ihre Lippen, aber sie sagte kein Wort. Kurz flackerte ein Schatten des alten Albys über sein Gesicht, kurz erkannte sie ihn. „Ich… möchte mich in aller Form bei dir entschuldigen, Rose“, kam es anschließend über seine Lippen, aber die aufrichtigen Worte erreichten seine kühlen, grünen Augen nicht. „Wirklich. Ich… habe dir wehgetan, aber… ich hatte Zeit, mich zu besinnen. Meine… Gefühle zu ordnen.“ Sie wusste, der halbe Tisch hörte zu, die restliche Halle starrte zu ihnen hinüber, und die Worte, die er sagte, waren ganz und gar nicht, was er meinte. „Und… keine Sorge“, schloss er mit einem sehr intensiven Blick, der ihr Schauer über den Rücken jagte, „ich bin drüber weg.“ Kälte kroch wieder in seine Haltung. Und sie hatte keine Ahnung, ob er log oder die kalte Wahrheit sagte. „Ich hoffe, wir lassen diese Sache hinter uns.“ Sein ununterbrochener Augenkontakt beschleunigte ihre Atmung. Und es war keine Frage, die er äußerte, keine echte Bitte. „Wir wollten uns nicht wehtun, richtig?“ Seine Oberlippe kräuselte sich sehr kurz, und sie hatte keine Ahnung, wie es sein konnte, aber… sie fühlte sich komplett nackt unter seinem Blick. Komplett durchschaut.

 

„Ich muss gehen“, flüsterte sie, sah ihm nicht mehr in die Augen, wandte sich ab, und fast rannte sie aus der Halle. Sie wusste, sie erregte Aufmerksamkeit, aber sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, würde sie noch länger dort stehen bleiben. Rumer rief ihr nach, aber Rose hielt nicht inne, rannte einfach weiter.

Alby war wieder da, und… er war komplett anders! Er jagte ihr Angst ein. Schreckliche Angst.

 

 

 

 

 

         Er wartete ungeduldig. Es musste ihm auffallen. Es musste Al auffallen, dass er nicht unten war. Nicht im Gemeinschaftsraum. Er nahm an, McGonagalls Standpauke hatte eine ganze Weile gedauert, und alle fragten ihn jetzt bestimmt eintausend Fragen unten. Und gleichzeitig fürchtete sich Scorpius. Er war nicht dumm. Er hatte gesehen, wie Rose und Albus gesprochen hatten, es war ihm nicht entgangen, dass sie sich nicht umarmt hatten, dass Rose irgendwann geflüchtet war. Und Scorpius nahm an, es war kein gutes Zeichen. Er hatte sich davon abgehalten, Rose nachzulaufen. Es war ein Gefühl, tief in seinen Eingeweiden, weswegen er sich zurückhielt, sich praktisch versteckte. Warum war Al wiedergekommen? Scheinbar einfach so?

Ein instinktives Gefühl sagte ihm, Hugo war daran nicht unschuldig.

Und tatsächlich freute er sich nicht. Er war dumm gewesen, hatte sich nicht darauf vorbereitet, Al wiederzusehen, und jetzt… passierte alles viel zu schnell.

Und er hatte bereits Collin aus dem Schlafsaal geworfen, als dieser sich auf sein Bett hatte fläzen wollen, um in einer Quidditchzeitschrift zu schmökern. Nur unter Protest und Androhung von Gewalt seitens Scorpius hatte sich Collin verpisst, und seitdem tigerte Scorpius durch den Schlafsaal. Dass Al sich so viel Zeit ließ, bedeutete nichts Gutes. Es war ganz einfach.

 

Vielleicht war Scorpius paranoid geworden, aber seine Eingeweide signalisierten ihm deutlich, dass von jetzt an nichts Gutes passieren würde. Zwischen ihm und Al. Er war sich so absolut sicher!

 

Und dann passierte es. Er hörte die Schritte. Sein Körper spannte sich an. Er verharrte in der Mitte des Schlafsaals. Seine Finger dehnten und spannten sich wieder und wieder, versuchten, durch kompulsive Wiederholung, Ruhe in seinen Körper zu bringen, leider vergebens. Der Schatten fiel in den Türrahmen, und Scorpius‘ Blick fokussierte, blind für alles andere. Er erkannte Albus Gestalt sofort. Seine Umrisse, seine typischen Bewegungen. Seine Augen suchten sein vertrautes Gesicht, und selbst im Schatten, selbst unter diesen Bedingungen, dauerte es weniger als eine Sekunde. Mehr brauchte es nicht. So gut kannte Scorpius ihn. Sein Herz fiel in seinen Magen, und fast überraschte es ihn, wie schnell er sich abfand. Sich wappnete. Wie sich sein Körper instinktiv auf die Auseinandersetzung vorbereitete. Denn Als Ausdruck sagte ihm eine Sache mit schreiender Deutlichkeit: Sein Geheimnis war kein Geheimnis mehr. Es war vorbei.

 

Al Potter war ein wenig kleiner als er. Nicht der Rede wert. In einem Kampf wäre es absolut unwichtig. Sein Ausdruck war erschreckend kalt, und Scorpius hatte geglaubt, Als Gesicht vergessen zu haben, aber es war, als hätte er ihn erst gestern gesehen. Aber nicht wie sonst, lachte sein bester Freund, scherzte mit ihm, alberte mit ihm, unterstützte ihn, denn jetzt… jetzt kam der Weasley in ihm durch. Die Person, die ihn ganz und gar nicht leiden konnte. Ablehnung füllte das Grün seiner Augen, und Scorpius streckte den Rücken durch.


„Schließ die Tür“, war das erste, was Scorpius zu seinem Freund sagte. Absolut ruhig, ohne jede Aggression. Und Al betrat ihren Schlafsaal, während er langsam, mit demonstrativer Ruhe, die Tür hinter sich schloss. Sie waren allein. Kein Geräusch drang mehr von unten nach oben.

 

„Angst?“, erkundigte sich Al sehr ruhig bei ihm, enttarnte ihn sofort, und Scorpius Augen sogen seinen Anblick auf. Ringe lagen um Als Augen, sein Gesicht wirkte deutlich eingefallen. Er sah nicht schlecht aus – tat er nie, aber… er wirkte auch nicht gerade ausgeschlafen und gesund.

 

„Warum sollte ich?“, entfuhr es Scorpius argwöhnisch, aber… nicht überzeugend genug, denn Merlin! Er hatte Al bereits gebeten, die Tür zu schließen. Sie fixierten einander wie Platzhirsche, beäugten einander wie Alphatiere, die kurz vor dem Ausbruch standen. Es war… offensichtlich. Und ja. Scorpius hatte eine scheiß Angst. Sie hatten sich noch nicht einmal begrüßt, und er starb innerlich. Noch nie war es zu einer physischen Auseinandersetzung zwischen ihnen gekommen, und Scorpius sehnte sich auch nicht danach. Ganz und gar nicht. Es zerstörte ihn schon jetzt, dass Al ihn so hasserfüllt betrachtete.

 

„Hm“, machte Al nachdenklich, ließ ihn nicht aus dem Blick. „Aus verschiedenen Gründen, nehme ich an“, beantwortete er seine Frage mit sanftem Interesse. „Du glaubst ja nicht, wer mich gestern besucht hat“, entfuhr es ihm gedehnt, und Scorpius Finger zuckten unbewusst. Er war sich nur zu gewahr, dass sein Zauberstab in seiner Hintertasche steckte. Er hasste, dass er darüber nachdachte, ihn zu benutzen. Er hasste, dass er tatsächlich den Hauch von Panik verspürte. Er würde es gegenüber Al nicht zugeben.

 

„Wer?“, ging Scorpius ungeduldig auf Als Spiel ein, obwohl er nicht wollte. Obwohl er es bereits ahnte.

 

„Oh, rate einfach. Tu mir den Gefallen, Scor“, erwiderte Al mit einem freudlosen Lächeln. Scorpius schluckte schwer. Er ruckte unwirsch mit dem Kopf, weigerte sich, zu antworten, und dann wechselte Al das Thema, während sein Lächeln langsam verblasste. „Dann sag mir, warum ich die Tür schließen sollte“, wollte Al schließlich von ihm wissen, während er lauernd näher kam. Scorpius wich zur Seite aus, bis sie in einen seltsam lächerlichen Tanz fielen, und den Raum in exakt gleicher Distanz zu einander umrundeten. Scorpius‘ Mund öffnete sich knapp.

 

„Weil… eil es niemanden etwas angeht“, entfuhr es ihm beherrscht. Als grüne Augen blitzten gefährlich auf.

 

„Ja? Ich kann mir vorstellen, die anderen würde es brennend interessieren“, fuhr Al verbissen fort.

 

„Al-“, begann Scorpius langsam, hob die Hände, aber sein bester Freund schüttelte den Kopf. Noch immer blieben sie in Bewegung. Scorpius‘ Atem flachte ab.

 

„-wie fühlt es sich an, Malfoy?“, unterbrach Al ihn ruhiger. „Fühlt es sich gut an?“, fuhr er rauer fort. „Waren meine Gefühle irgendein Faktor, oder… ging es nur um dich?“ Er fragte ihn ehrlich, sah ihn durchdringend an, und Scorpius biss die Zähne zusammen. „Nicht, dass es noch sonderlich wichtig wäre. Rein interessehalber.“ Al beschritt weiterhin ruhige Kreise. Scorpius antizipierte einen Angriff jede Sekunde. Er kannte Al. Er kannte ihn zu gut. Kannte ihn, wenn er auf andere wütend war, und niemals hatte er geglaubt, mal der Fokus von Als Wut zu sein. Es fühlte sich beschissen an. „Ich hatte geglaubt, rote Haare wären nicht dein Fall“, fuhr er dunkler fort, riss ihn aus seinen Gedanken.

 

„Albus-!“

 

„-mir war so, als hättest du mir versichert, Dom wäre die eine?“, ignorierte er ihn mit verengten Augen, und seine gespielte Unschuld klang widerwärtig. Dass er Dom erwähnte, jagte Schmerz durch Scorpius‘ Körper.

 

„Albus, lass es mich erklären-!“, machte Scorpius den letzten Versuch, aber Al lachte hart auf.

 

„-bitte, ich kann’s kaum erwarten!“, knurrte Al unfassbar zornig, die gemimte Überraschung scheiterte kläglich in seiner Stimme. „Erklär mir, warum du Rose Weasley vögelst!“

 

Und dann hielten sie an. Der Tanz vorbei. Sein bester Freund kam näher, und Scorpius hielt ihn nicht auf.

 

„Seit Sommer, hm?“, fuhr Al nickend fort, eine Ader zuckte auf seiner Stirn. „Wow. Wirklich beeindruckend. So absolut Slytherin von dir“, ergänzte er kalt. „Musste verdammt perfekt sein, dass ich ausgerastet bin, wegen Presley!“, entkam es ihm freudlos. „Dass ich abgehauen bin! Freie Bahn für Scorpius Malfoy!“, rief er mit schnarrender Stimme und ausgestreckten Armen, als präsentiere er seine Erkenntnis einem unsichtbaren Publikum. Und jetzt sah Scorpius es mehr als deutlich. Schmerz. Es war absoluter Schmerz, der Al zeichnete. Alles an ihm wirkte verletzt und zerstört. „Du elender Feigling, sag irgendwas!“, fuhr Al ihn schließlich an, und seine Stimme zitterte vor grenzenlosem Zorn. Scorpius‘ Mund öffnete sich, aber kein Ton kam raus. „Sag mir, dass es nicht stimmt! Sag mir, dass das Arschloch Hugo gelogen hat, und mein bester Freund mich nicht ausgeliefert hat! Sag mir, dass du es nicht gewesen bist!“, donnerte seine Stimme beinahe hilflos, beinahe absolute verzweifelt, während Tränen in Als Augen traten. „Sag mir, dass du Rose nicht angerührt hast, weil du genau gewusst hast, dass es mich zerstören würde! Selbst wenn es krank von mir ist! Sag mir, dass ich mich auf dich verlassen konnte, auch wenn ich nicht hier war! Auch wenn ich scheiße war! Denn du konntest dich auf mich verlassen, Scorpius! Denn ich war da, als deine Mum so krank wurde, dass sie nicht mehr aufstehen konnte! Ich war da, als alles furchtbar war! Jeden Tag, verdammt!“, brüllte er praktisch, bevor seine Stimme brach, bevor die ersten Tränen fielen, bevor Als Fäuste kraftlos an seine Seiten sanken. „Ich war jeden Tag da“, wisperte er beinahe, die Augen groß, voller Schmerz, und es zerriss Scorpius innerlich. Scheiße, es tat so verflucht weh. Er blinzelte die Tränen zurück

 

„Al-!“, flüsterte er zitternd, und Al wischte sich zornig über die Wange.

 

„-streite es ab“, entfuhr es Al erschöpft. „Verdammt noch mal, Scorpius! Streite es ab!“, verlangte er verzweifelte, aber Scorpius konnte nicht. Selbst, wenn nicht alles stimmte. Selbst, wenn es nur teilweise der Wahrheit entsprach - unterm Strich änderte es gar nichts. „Streite es ab, oder es ist alles vorbei“, flüsterte er Al kopfschüttelnd.

 

„Es tut mir leid“, entkamen ihm die Worte schwer, und abgehackt entwich Al ein schmerzhafter Atemzug. Freudlos lächelte er, während seine Augen wieder glasig wurden.

 

„Wow“, flüsterte er kopfschüttelnd. „Ich… war so einfältig und naiv zu glauben, dass du mich suchst. Wie… konnte ich so dumm sein?“, flüsterte er ungläubig. Und dann kam der Schmerz zurück. „Wieso ausgerechnet Rose?“ Es war eine echte Frage, eine direkte Frage – eine verdammt gute Frage.

 

„Ich weiß es nicht!“, entfuhr es Scorpius unter zornigen Tränen, und Al schüttelte nur den Kopf.

 

„Nicht gut genug, Scor“, widersprach er bitter.

 

„Es ist einfach passiert!“, rief er wütend.

 

„Immer noch nicht gut genug, du scheiß Bastard!“, schrie er jetzt außer Atem.

 

„Es tut mir leid!“, donnerte seine eigene Stimme so unfassbar laut, dass seine Kehle schmerzte.

 

„Wenn du dich noch einmal entschuldigst“, warnte Al ihn zitternd, „schlage ich dir ins Gesicht, du Dreckssack!“, knurrte er, und Scorpius konnte nicht anders.

 

„Es tut mir leid“, wiederholte er rau, und mit Tränen auf den Wangen stieß Al ihm hart vor die Brust, dass er zurücktaumelte.

 

„Ich meine das ernst!“, brachte Al gepresst hervor.

 

„Es tut mir leid“, flüsterte Scorpius wieder, und Als Schmerz war so betäubend echt, und fast antizipierte Scorpius die nächsten Sekunden. Fast brauchte er es. Es war eine kranke Mischung.

Grenzenlose Wut überschattete plötzlich jedes andere Gefühl. Und Als Faust holte aus, und Scorpius tat gar nichts. Absolut gar nichts. Mit voller Wucht traf ihn die Faust seines besten Freundes, und kurz glaubte er, sein Genick würde brechen, als sein Kopf zur Seite flog. Sterne tanzten vor seinem Blickfeld, er verlor die Orientierung und ging zu Boden. Er hielt sich fluchend sein Auge, und Al stand über ihm. Sein Atem ging schwer, unregelmäßig, und tatsächlich sagte er es noch einmal. Weil es stimmte. Weil er es wollte.

 

„Es… tut mir leid“, flüsterte er zitternd, und Al wurde nur noch wütender. Scorpius sah seinen Fuß kommen, wappnete sich nur halbherzig, und schon trat Al ihm in die Mitte. Nicht sonderlich hart, aber hart genug, dass es verdammt noch mal neue Tränen in seine Augen trieb.

 

„Mir nicht!“, zischte Al, aber… es stimmte nicht. Er hörte es. Scorpius fiel auf den Rücken, gab sich den verdammten Schmerzen hin, und dann ging Al neben ihm auf den Boden. Zornig griff er sich eine Handvoll seines Pullunders und zerrte ihn näher an sein Gesicht. Blinzelnd nahm Scorpius seine Umrisse verschwommen war.

 

„Mir nicht, Malfoy!“, wiederholte er bitter. „Das… das war’s“, verkündete Al mit eigenartig hohler Stimme, als überraschten ihn seine Worte selbst. „Wir… wir sind keine… Freunde mehr“, flüsterte er voller Schmerz, und Scorpius schluckte schwer. „Du wirst deine dreckigen Hände von meiner Cousine lassen, du Malfoy-Missgeburt! Du…“ Er zögerte. Kurz. Und es war, als zwang er sich dazu, weiterzusprechen. „Du elender Sohn eines Todessers!“ Und dann fiel eine Träne auf seine Wange. Scorpius sah es genau, blinzelte heftig gegen den Schmerz. „Gut, dass deine scheiß Mutter tot ist“, brachte Albus über die trockenen Lippen. „Dann muss sie nicht erleben, was für ein unfassbares Arschloch du bist!“

 

Scorpius ließ es zu. Er ließ ihn diese Worte sagen. Es tat so unendlich weh.

 

„Das ist meine Warnung an dich! Es ist das letzte Mal, dass ich mit dir rede! Dass ich dir meine Aufmerksamkeit gönne! Und rührst du sie an, sehe ich dich noch einmal näher als nötig bei ihr – dann… sage ich es Ron!“, flüstert er heiser. Ron Weasley… der Name schickte kalte Schauer durch seinen tauben Körper. „Ich sage ihm, dass du auf seine Tochter stehst, so wie du es bei mir getan hast! Ich sage ihm, dass du deine schmutzigen Hände nicht von ihr lassen kannst – und es ist mir scheiß egal, wenn Rose mit dir untergeht!“, warnte er ihn dunkel. Und Scorpius verstand. Er verstand es alles. „Ich bin fertig mit euch.“

 

Und dann ließ er ihn los. Scorpius‘ Oberkörper fiel zurück auf den harten Boden. Seine Augen schlossen sich. Die Bewusstlosigkeit näherte sich zügig.

 

Ihm war schrecklich schlecht.

 

Hugo Weasley hatte sich einen eigenartigen Handlanger geholt. Einen effektiven Handlanger. Tränen rangen sich aus Scorpius‘ Augen, während er das Gefühl hatte, die Zeit stand still.

 

 

 

 

Twenty

 

Der Brief in ihrer Hand wog schwer, und der Weg hoch in die Eulerei kam ihr endlos vor. Eiskalter Wind zerrte an ihren dunklen Haaren, zog sie fast aus dem lockeren Zopf, und egal, wie fest sie ihren Mantel um sich schlang, die Kälte kam hindurch. Sie wusste nicht, was vor sich ging, wieso Rose seit einer Weile eigenartig war, aber sie hatte verstanden, dass Rose nicht mit Albus reden wollte. Merlin, Rumer verstand nicht mal, warum sie ihn nicht verflucht hatte! Auf der Stelle! Rose war nicht im Gemeinschaftsraum gewesen. Rumer nahm an, sie hatte sich in die Bibliothek geflüchtet. Es war neu und eigenartig, Rose so zu erleben. Als jemanden, der sich tatsächlich um Noten und Leistungen scherte.

Es hatte sie einigermaßen von ihren eigenen Sorgen abgelenkt, all die Aufregung um Albus. Seit einigen Tagen schlief sie schon mit dem Brief ihrer Mutter unter dem Kopfkissen, mit ihren eigenen Sorgen. Und bisher hatte sie nicht die richtigen Worte gefunden gehabt, hatte nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen.

Ihre Mutter hatte von ihrer Beziehung erfahren, und das aller erste, was ihre Mutter ihr nahelegte, war, sich besser in Slytherin umzusehen. Nach geeigneteren Partien. Nach… - wie hatte sie es genannt? Kulturell gleichgesinnten? Rumer hatte nicht mal begriffen, was das heißen sollte! Was ihre Mutter damit überhaupt meinte! Sie nahm an, Scorpius Malfoy wäre ihrer Mutter nach die beste Option. Sie wusste, was ihre Mutter dachte. Sie nahm ihr noch immer übel, nach Gryffindor gekommen zu sein. Sie nahm ihr übel, dass sie dem Sprechenden Hut damals nicht widersprochen hatte. Aber Rumer war nicht so. Nicht im Ansatz! Sie hatte nach Gryffindor gewollt. Es entsprach ihrem Charakter, und seitdem sie denken konnte, war sie in James Potter verliebt gewesen!

 

Seit dem ersten Tag! Ob die Freundschaft mit Rose nun Zufall gewesen war… wer wusste das schon noch zu sagen? Aber es war ein glücklicher Zufall gewesen. Sie hatte immer mit dazu gehört, war immer in James‘ Gesellschaft gewesen, und dass sich ihr Traum endlich erfüllt hatte – war unfassbar! Und dass ihre Mutter ihr direkt nahelegte, Schluss zu machen, tat einfach weh.

Und ja, es war anders, als sie geglaubt hatte. Sie wusste, was alle über James Potter sagten, und Rumer gab sich die größte Mühe, seine übliche Haltwertzeit was Mädchen anging, zu überschreiten, sich nicht von ihm abschieben zu lassen, ihm zu zeigen, dass sie besser war, als all die anderen dummen Mädchen, die er an seiner Seite gehabt hatte. Und vielleicht… war sie das nicht.

Vielleicht hatte ihre Mutter recht, wenn sie behauptete, die Potter-Jungen wären nicht der richtige Umgang, würden ihr Herz brechen und wären die schlechteste Wahl, die sie treffen könnte – aber Rumer glaubte ihr nicht.

Sie glaubte ihrer Mutter nie.

Ja, ihre Mutter mochte Rose nicht leiden. Weil sie eine Weasley war! War das zu fassen? Das war der einzige, dumme Grund, den ihre Mutter finden konnte!

 

Sie erreichte den windigen Absatz und verharrte verblüfft. Bei diesem scheiß Wetter war sie nicht die einzige hier oben. Ihre Augen erfassten ihn, und abwesend strich sie eine Strähne hinter ihr Ohr, die bereits aus ihrem Zopf gefallen war. Er lehnte an der Mauer, den Kopf in den Händen vergraben, und er trug nicht mal einen Mantel. Er trug nur seine Uniform. Er war alleine, und er wirkte so selbstvergessen, so… schmerzerfüllt. Es war… so eigenartig.

Heute Morgen hatte sie ihn beobachtet. Sie tat es in letzter Zeit, denn Rose weigerte sich. Und Rumer hatte das Gefühl, irgendwer… musste es tun. Er hatte sich stark verändert. In den letzten Wochen war es ihr aufgefallen, und sie wusste nicht mal genau, was es war. Unschlüssig stand sie auf dem Absatz, hielt den Brief an ihre Mutter vergessen gegen ihre Brust gepresst und betrachtete Hugo Weasley stumm.

 

Er war groß geworden, war längst größer als sie. Sein Pullover war hochgekrempelt, und seine Unterarme, die sich auf die Balustrade stützten, um seinen Kopf zu halten, waren nicht mehr die eines Jungen. Letzte Woche beim Lernen war es ihr schon aufgefallen. Hugo wuchs in einen eigenartig männlichen Körper. Kein direkter Quidditchkörper, nein, Hugo würde nicht mal wissen, wie man Quidditch buchstabierte, aber… Rume fiel es auf. Und es war absolut unfassbar, dass Cara Lockhart-Grey so oft an seiner Seite zu sehen war. Fand Rumer. Rose beachtete es nicht – Rose interessierte es nicht, dabei war es… spannend. Sie wusste, er hatte Cara um ein Date gebeten. Sie wusste, Hugo hatte eine seltsame Verbindung zu Scorpius Malfoy. Und sie wusste, er hatte das Treffen eher verlassen. Sie wusste das. Sie war da gewesen. Auch nicht bis zum Ende, aber sie hatte Hugo erlebt in den letzten Tagen. Und sie hatte es Rose gar nicht erst gesagt. Und jetzt? Jetzt war er hier oben, alleine, unglücklich, und fast überkam sie die Fürsorge einer großen Schwester, denn immerhin kannte sie Hugo, seitdem er hier angefangen hatte.

Und sie fasste sich ein Herz. Auch wenn sie nicht viel Kontakt hatten. Auch wenn sie wusste, dass er eigenartig war, zurückgezogen existierte und sie alle nicht ausstehen konnte. Sie trat neben ihn, und es zeigte ihr, wie versunken er tatsächlich war. Er bemerkte sie nicht.

 

Und dann löste sich ihre Hand von dem Umschlag, den sie hielt, und zögernd legte sie sie auf Hugos hohen Rücken, auf sein langsam breiter werdendes Kreuz. Verdammt, war er in die Höhe geschossen. Und fast erschrak sie, als er ebenfalls zusammenzuckte. Sofort hob sich sein Kopf aus seinen Händen, und zum ersten Mal wirkte er nicht so glatt, so ordentlich. Seine Haare lagen wild und dunkel, ragten in seine Stirn, und seine dunklen Augen erfassten sie, verarbeiteten die Information und verengten sich ungläubig.

 

„Hey“, begrüßte sie ihn besorgt, und fast schluckte der Wind ihre Stimme. Ihre Hand fiel beschämt von seinem Rücken. „Alles ok?“, fragte sie, sprach lauter, und er richtete sich auf, streckte den Rücken durch, als schäme er sich. Schroff nickte er.

 

„Ja“, log er. Sie sah es genau. Er hatte geweint. Seine Stimme klang so rau.

 

„Wirklich?“, vergewisserte sie sich mit gerunzelter Stirn, und kurz flogen seine dunklen Augen über ihr Gesicht.

 

„Ja“, bestätigte er bloß, ehe er den Blick abwandte. „Ich wäre gerne allein“, informierte er sie tatsächlich, und es überraschte sie nicht, dass er verschlossen war. Er war immer so.

 

„Kann ich… irgendetwas tun?“, fragte sie ihn erschüttert, und fast grimmig hob sich sein Blick.

„Nein“, erwiderte er bloß, und sie hatte das sichere Gefühl, er konnte sie nicht leiden. Bisher hatte sie immer geglaubt, er hätte neutrale Gefühle ihr gegenüber, aber… seit einer Weile war es irgendwie anders geworden. Als hätte sie ihm irgendwas getan. Es brachte nichts. Sie käme nicht zu ihm durch. Er wollte das nicht. Sie ließ ihn stehen, wandte sich den Eulen zu, pfiff eine zu sich hinab, und mit kalten, steifen Fingern, band sie den verdammten Brief an ihr Bein. Einige Male fluchte sie unterdrückt, einfach weil ihre Finger zitterten, denn es war kein netter Brief, den sie verfasst hatte. Sie hatte ihrer Mutter gesagt, sie in Ruhe zu lassen, und dass es sie nicht anging, mit wem sie zusammen war, und dass sie kein Interesse an irgendeinem Slytherin hatte.

Dass sie eine Gryffindor war, und dass ihre Mum sich damit abfinden musste!

 

Aus den Augenwinkeln hatte er ihr zugesehen. Sie trat, mit der schmalen Eule in den Händen, zurück an die Mauer. Der kleine Vogel schien keine besondere Lust zu haben, ihren Brief zu überbringen, pickte ihr nicht mal in die Finger, ließ sich einfach halten, und dann setzte sie den Vogel auf die Mauer. Das zusammengerollte Pergament flatterte im Wind, und beleidigt schuhte die Eule, schüttelte die Federn, die der Wind zerzauste, bevor sie die Flügel ausbreitete und in den diesigen Nachmittag davon flatterte. Rumer sah dem Vogel nach, biss auf ihre Unterlippe und spürte wieder seinen Blick auf sich.

 

„Bist du fertig?“, erkundigte er sich gereizt bei ihr, und sie wandte sich ihm wieder zu. Kurz überlegte sie, ihm zu sagen, dass er so gar nicht erst mit ihr reden brauchte, aber sie beherrschte sich. Sie wollte nicht mit Hugo streiten. Er war der kleine Bruder ihrer besten Freundin.

 

Und dann zog sie sich den Mantel aus. Sie erkannte die Gänsehaut auf seinen Unterarmen. Überrascht weiteten sich seine Augen. „Was tust du?“, entfuhr es ihm sofort. Sein Blick flog über ihre zitternde Gestalt.

 

„Keine Ahnung, wie lange du vorhast, hier oben zu schmollen, aber es ist zu kalt, ohne Mantel, Hugh“, informierte sie ihn kopfschüttelnd, und er fing ihre Hände ab, bevor sie ihren Mantel um seine Schultern legen konnte.

 

„Bist du verrückt? Du holst dir den Tod!“, erwiderte er ungläubig, aber sie lachte zitternd auf.


„Ich bin gleich wieder drin. Wenn du hier länger oben bleibst, holst du dir höchstens den Tod. Oder wirst weggeweht“, ergänzte sie. Er ließ ihre Hände los und zog gereizt seinen Zauberstab aus seiner hinteren Hosentasche. Sie beobachtete ihn, während sie heftig zitterte. Stumm beschrieb er einen Kreis in der Luft, ohne sie aus den Augen zu lassen. Und sie spürte, wie der Wind erstarb. Nicht nur das! Wärme erfüllte sie augenblicklich. Echte Hitze stieg in ihre kalten Glieder. Es war ein Zauber, den er noch gar nicht beherrschen konnte, dachte sie mit geöffneten Lippen. Sie beherrschte ihn nicht mal! Er hatte eine Schutzblase um sie beide gebildet. Aktive Wärmezauber lernten sie erst im siebten Jahr!

 

„Und darauf kommst du erst jetzt?“, entfuhr es ihr, und ihre Stimme klang plötzlich viel zu laut, im Schutz der Wärmekapsel. Beschämt klappte ihr Mund zu.

 

„Mir war nicht kalt“, erwiderte er ruhig, sah sie an, und die Hände, mit denen sie ihren Mantel hielt, sanken schließlich. Würde sie solche Zauber beherrschen, bräuchte sie gar keine Mäntel mehr. Sie würde nur noch damit rumlaufen.

 

„Du… bist ziemlich begabt“, bemerkte sie anerkennend, aber seine Stirn runzelte sich lediglich. Er bedankte sich nicht für Komplimente, nahm sie nicht mal wirklich wahr, hatte sie das Gefühl. Er war es so sehr gewöhnt, alles zu können, dass sie es fast nachvollziehen konnte. Er tat es nicht für die Anerkennung. Er konnte alles, weil… er einfach alles konnte. Ihre Gedanken waren so sinnlos und redundant. „Warum… bist du hier oben?“ Sie wusste, er wollte nicht reden, wollte alleine sein, aber gerade genoss sie den Wärmezauber zu sehr, um seine Nähe zu verlassen. Er atmete lange aus.

 

„Ich will wirklich nicht darüber reden, Rumer“, erinnerte er sie, klang aber nicht mehr völlig ablehnend. „Ich könnte dich auch fragen, was es für ein Brief war, den du mitten am Tag abschickst, und bei dem du nicht bis Morgenfrüh warten kannst, bis die Eulen sowieso an den Tisch kommen“, ergänzte er schlicht, sanfte Aufmerksamkeit im Blick. Fast kroch die Röte in ihre Wangen. Ja, er war intelligent. Sie hatte das begriffen. Und sie schämte sich aber nicht, ihm zu antworten.

 

„Ich habe meiner Mutter geschrieben“, eröffnete sie ihm furchtlos. Sie war eine Gryffindor. Sie hatte keine Angst.

 

„Irgendwas Nettes?“, wollte er beiläufig wissen, schien aber die Antwort zu erahnen.

 

„Nein“, erwiderte sie mit einem traurigen Lächeln.

 

„Tut mir leid“, sagte er ehrlich, und fast überraschte es sie. Es war so eigenartig, dass er an irgendetwas Anteil nahm.

 

„Muss es nicht. Meine Mutter ist… schwierig.“

 

„Hm“, macht er. „Kenne ich“, bestätigte er dann. Sie runzelte die Stirn. „Mein Dad ist schwierig“, erläuterte er knapp, denn sie wusste, sein Mum war einfach nur großartig. „Musst du nirgendwo sein?“, fragte er dann, fuhr sich durch die Haare, und danach lagen sie nur noch unordentlicher. Fast musste sie darüber schmunzeln. „Was?“, entfuhr es ihm sofort, denn der Ansatz ihres Lächelns war ihm nicht entgangen. Und dann hob sich ihre Hand, völlig gedankenverloren. Sie musste sich ein wenig strecken, um seinen Haaransatz zu erreichen, und mit sanfter Gewalt, sortierte sie seine Haare, legte sie dem Wirbel nach, auf seine bevorzugte Seite, und jetzt erkannte sie ihn fast schon wieder. Mit wachsamen Blick musterte er sie, hatte den Kopf automatisch tiefer geneigt, damit sie seine Haare erreichen konnte, und fast erschrocken verharrte sie, zog schließlich die Hand zurück und schenkte ihm ein schmales Lächeln.

 

„Viel besser so“, sagte sie kleinlaut. Sein Blick war eigenartig.

 

„Ja?“, erkundigte er sich rau, und bevor sie über die satte Farbe seiner Augen nachdenken konnte, über die Wärme, die das dunkle Braun in ihr auslöste, über seine blassen Sommersprossen, die sie noch nie gesehen hatte, über seine Lippen, die sie doch sehr stark an Roses Lippen erinnerten, senkte sich sein Kopf tiefer.

Fast tat ihr Herz einen erschrockenen Satz, stürzte praktisch in ihre Magengrube, und dann lagen seine Lippen auf ihren!

 

Weit waren ihre Augen aufgerissen, begriffen kaum, was geschah, und nach einer Sekunde hatte sie steif den Kopf zurückgezogen. Ihr Mund stand einen Spalt offen und absolut panisch sah sie ihn an. Hitze war in ihre Wangen geschossen – und… was?!

 

Hugo hatte sie geküsst! Der kleine Hugo hatte sie geküsst! Nur… war er nicht mehr wirklich klein. Echte Verblüffung stand in seinem Blick, und plötzlich brannte ihre Seite, als sich seine Hand zögernd auf ihre Hüfte legte. Scharf zog sie die Luft ein, die sie angehalten hatte, blinzelte überfordert, und der sanfte Druck seiner langen Finger, brachte sie wieder näher an ihn. Die Wärme des Zaubers benebelte sie, und ihre Finger hatten sich in ihren Mantel gekrallt. Sie musste… weg hier! Sie…-

 

Und vorsichtig lehnte er den Kopf tiefer – und sie tat absolut gar nichts! Sie hatte nicht die geringste Ahnung, warum dieser stille, nachdenkliche, gequälte Hugo etwas anderes in ihr auslöste, als der Hugo den sie sonst kannte, aber ihr Innerstes kribbelte so heftig, dass sie kaum denken konnte! Fest lagen seine Lippen erneut über ihren, und ihr Mantel entglitt ihren Fingern. Er schloss den Abstand, und ehe sie ernsthaft darüber nachdenken konnte, hatten sich ihre Hände gehoben und in seinen Nacken gegriffen. Sie hörte ihn überrascht nach Luft schnappen und presste ihre Lippen gegen seine. Sie hatte keine Ahnung, was gerade passierte, aber das Gefühl war zu gut. Ihre Zunge schob sich zwischen seine halbgeöffneten Lippen, und unbeherrscht stöhnte er in ihren Mund, als ihre Zungenspitze seine berührte.

Sie drückte sich näher an ihn, denn ihr Magen schlug Saltos, ihr war vollkommen schwindelig bei dem verbotenen Gefühl, dass durch ihren Körper jagte, und er ging leicht in die Knie, schlang die Arme um ihren Körper, und sie fühlte sich komplett von ihm aufgefangen.

 

Er küsste so viel besser als…-

 

-wie geschockt zog sie den Kopf zurück! Enttäuschung brannte in seinem trägen Blick, als er die Augen öffnete, und sie wich so weit zurück, dass sie die Wärmekapsel beinahe verließ und die beißende Kälte bereits an ihren Waden leckte. Ihr Atem ging schnell und ungläubig schüttelte sie den Kopf.

 

„Ich… ich kann nicht!“, wisperte sie mit klopfendem Herzen. „Tut mir leid!“, piepste sie überfordert, schüttelte wieder den Kopf, bückte sich mit hochroten Wangen nach ihrem Mantel, und ignorierte sein enttäuschtes Gesicht, seinen geöffneten Mund, und hasste, dass sie seine Berührung noch immer spüren konnte, dass ihr Herz jagte, als hätte sie noch nie einen Jungen geküsst! Merlin, was war das für ein Gefühl?! Mit Panik wandte sie sich ab, rannte zur Treppe und flog praktisch die Stufen hinab. Ihre tauben Beine eilten die vielen Stufen hinunter, und ihr Herz schlug viel zu schnell! So eine Scheiße! Was war los mit ihr? War sie verrückt geworden? Was war in sie gefahren? Sie konnte doch nicht Hugo küssen! Sie war mit James zusammen! Sie… hatte ihrer Mutter gerade einen sehr eindeutigen Brief geschickt, der ihr klar machte, dass sie auch für immer bis in alle Zeit mit James zusammen sein würde!

 

Was hatte sie getan?! Oh Merlin!

 

 

 

 

         „Und?“, wollte James wissen, während er die Hände in seinen Hosentaschen vergraben hatte. „Was hat Dad gesagt?“ Gespannt wartete er. Albus war erschöpft. Er fühlte sich abscheulich. Und als er den Schlafsaal verlassen hatte, um zu verschwinden, hatte er Presley Bescheid gegeben. Er hatte ihm gesagt, er wäre ausgerastet, weil Scorpius ihn auf Rose angesprochen hatte, er hätte überreagiert, und er hätte Scorpius niedergeschlagen, ob Presley ihn vielleicht ohne großes Aufsehen heilen könnte. Sofort hatte Presley zugesagt, und Albus war abgehauen. Zu den Gryffindors. Zu seinem Bruder, den er tatsächlich um einen Spaziergang gebeten hatte. Es hatte ihn viel Stolz gekostet, aber… Albus hatte Angst bekommen, hatte nicht mehr gewusst, was richtig war und was nicht. Und James hatte Zeit. Rumer war hoch zur Eulerei, einen wichtigen Brief abschicken – oder was auch immer. Albus hatte es kaum interessiert. Und jetzt liefen sie über die nasskalten Ländereien, und Albus könnte sich übergeben vor Scham und Ekel.

 

„Nicht viel“, rang er sich also eine Antwort ab. „Keine Weihnachtsgeschenke dieses Jahr.“ James lächelte plötzlich.

 

„Finde ich gut“, sagte er nickend. Albus brachte kein Lächeln zustande. „Ich denke, Rose braucht noch eine Weile“, fuhr James schließlich fort, und Albus wollte nicht über sie reden. Wenn er nur an sie dachte, überkam ihn die Wut. Und es stand ihm nicht mal zu. Nicht mal das. Es war nicht so, dass er erwartet hatte, dass sie seine Gefühle erwiderte – nein. So funktionierte das echte Leben nicht. Aber er war nicht davon ausgegangen, dass sie seine Abwesenheit nutzte, um mit Scorpius…- er zwang seine Gedanken in eine andere Richtung.

 

„Jaah“, bestätigte er sparsam, und James atmete aus.

 

„Ich bin froh, dass du wieder da bist“, sagte sein Bruder nach einer Weile. Fast überraschte es ihn.

 

„Wieso?“ Es war eine ehrliche Frage, und James sah ihn ungläubig an.

 

„Ist das dein Ernst?“, wollte er kopfschüttelnd wissen, und Albus runzelte müde die Stirn.

 

„Ich bin ein Arschloch, James“, wagte er zu sagen, und James verdrehte die Augen. „Ich habe schlimme Sachen gesagt. Und-“

 

„-hast du es ernstgemeint?“ Plötzlich war James ernst geworden.

 

„Was?“ Albus‘ Stimme klang schwach.

 

„Denkst du, Tante Hermine ist ein Schlammblut?“ Fast gleichmütig wiederholte James das Wort, und es jagte Albus einen Schauer des Ekels über den Rücken.

 

„Nein“, sagte er tonlos, innerhalb einer Sekunde. „Natürlich nicht. Wie könnte ich?“, flüsterte er. 

 

„Deshalb bin ich froh, dass du wieder da bist“, schloss James schließlich. „Ja, du bist ein Arschloch, Al“, bestätigte sein Bruder seufzend. „Aber… die meiste Zeit bist du… mein Bruder.“ Es war ein eigenartiges Geständnis. Und Albus wusste nicht, was ihn ritt.

 

„James?“

 

„Ja?“

 

„Ich… ich habe Scorpius verprügelt“, entfuhr es ihm angsterfüllt mit weiten Augen. James blinzelte verblüfft.

 

„Wann? Jetzt gerade?“, wollte er verwundert wissen, und Albus zog seine lädierte Hand aus der Jackentasche. James Augen weiteten sich beim Anblick der blau geschwollenen Knöchel. „Ach du scheiße“, entfuhr es ihm ungläubig. „Warum? Wegen Dom? Dein Ernst?“, vergewisserte sich James und war längst stehen geblieben, und Albus schüttelte den Kopf.

 

„Nein. Nicht… nicht wegen Dom“, widersprach er unwillig. James wirkte aufrichtig verwirrt.

 

„Warum dann? Al, was soll das?“ Absolute James-Potter-Verurteilung stand im Blick seines Bruders, und gerne würde Albus anmerken, dass er, wenn er so guckte, ihrem Dad ein ganzes Stück ähnlicher war. Dieser unerschütterlich gute Charakter trieb taube Übelkeit in seinem Körper nach oben.

 

„James“, begann er unschlüssig, denn er plante es nicht. Er hatte es keinem sagen wollen. Er… konnte nur nicht anders.

 

„Ist… ist er ok?“, wollte James ungerührt wissen.


„Presley heilt ihn gerade“, erwiderte Albus bitter.

 

„Merlin, Al! Wieso verprügelst du deinen besten Freund? Womit hat er das verdient? Klar, er hat mit Dom Schluss gemacht! Aber – weder du noch ich haben tatsächlich eine gute Beziehung zu ihr!“, beschwerte sich James kopfschüttelnd.

 

„James“, wiederholte Albus müde, und sein Bruder sah ihn verständnislos an. Sah er es wirklich nicht, oder wollte er es nicht sehen? Albus war sich nicht sicher. Und dann zog er die Notbremse. „Ich habe überreagiert“, brachte er zähneknirschend hervor.

 

„So wie eigentlich immer?“, ging James ohne weitere Fragen auf seine Worte ein, und Albus überwand sich zu einem halbherzigen Nicken. Er konnte es nicht. „Hast du Hugo auch verprügelt?“, erkundigte er sich bitter, denn Albus hatte ihm sehr kurz von Hugos Auftauchen im Grimmauld Place erzählt.

 

„Nein“, räumte Albus ein, wenn gleich auch hier nicht mehr viel gefehlt hätte. Und dann fing James an, ihm Vorhaltungen zu machen, die nur ein großer Bruder machen konnte, nur ein Sohn von Harry Potter, der seit Jahren mit der Gutmensch-Philosophie gefoltert worden war. Und Albus schwieg und ließ die Worte über sich ergehen. Ein wenig neidvoll betrachtete er den Jungen, der sein Bruder war. Sie sahen sich kaum ähnlich, wenn man von den Haaren absah. Und innerlich waren sie so verschieden. Er hörte raus, dass James glaube, Dad bevorzuge ihn, Albus. Fast wollte er darüber lachen. Dachte James das wirklich? Er wusste, er kam mit vielem durch, aber letztendlich würde es irgendwann auf ihn zurückfallen.

Und sein Bruder betäubte den dumpfen Schmerz mit trivialen Worten, die ihn davon ablenkten, dass er die zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren hatte.

 

 

 

Sie hatte ihren Platz in der Bibliothek verlassen. Dort war sie hin geflüchtet, um den anderen zu entgehen, um nachzudenken. Über so viele Dinge. Und während sie sich halbherzig mit Professor Longbottoms wüster Aufgabenstellung für Zaubertränke abmühte, hatte sie sie aus den Augenwinkeln entdeckt. Fast dankbar war sie aufgesprungen und hastete nun durch die langen Büchergänge. Am Ende der Reihe entdeckte sie ihre Cousine, und außer Atem kam sie vor ihr zum Stehen.

 

„Wir müssen reden“, flüsterte sie gepresst, denn sie hatte nicht vor, von ihrem Plan abzuweichen. Sie hatte genug davon, mit den Potters Probleme zu haben. Ein Schatten legte sich über das schmale Gesicht ihrer Cousine.

 

„Worüber?“, entschied sich Lily irgendwann zu erwidern, und die sanfte Verachtung in ihrem Blick überraschte Rose, aber sie erinnerte sie an Albus. Eigenartig.

 

„Warum bist du so abweisend zu mir?“, wollte Rose empört von ihr wissen. „Es geht seit Wochen so, und ich finde, es reicht langsam!“ Sie klang wütender, als sie vorgehabt hatte. Unglaube trat in Lilys blasses Gesicht.

 

„Seit wann interessiert Rose Weasley, was irgendwer anderes empfindet?“, wollte Lily so abweisend von ihr wissen, dass Rose stutzte.

 

„Was?“, entfuhr es ihr verblüfft, aber Lilys Augen verengten sich.

 

„Tu nicht so, als ob du dich plötzlich interessierst!“, fuhr Lily sie an.


„Lily“, entkam es Rose mit großen Augen, „wieso bist du so?“, wollte sie verständnislos wissen. „Was habe ich dir getan?“

 

„Getan?“, wiederholte Lily wütend. „Rose, du hast gar nichts getan! Du tust nie irgendwas für überhaupt irgendwen, ok?“

 

„Ich verstehe dein Problem nicht! Wir haben uns immer verstanden, und-“

 

„-wir haben uns nie verstanden, Rose!“, fuhr Lily sie lauter an, und Rose zuckte zusammen. Jetzt waren sie so laut, dass die Bibliothekarin gleich kommen würde. Und was war das bitte für eine Aussage?

 

„Ist das dein Ernst?“, wisperte Rose ungläubig.

 

„Du hast dir doch nie die Mühe gemacht, rauszufinden, was ich mag, wer ich bin!“, beschwerte sich Lily wütend. „Also komm bloß nicht zu mir, um jetzt zu fragen, was los ist!“

 

„Ich wusste nicht-“

 

„-natürlich nicht, Rose! Warum auch?“, blaffte Lily, und Rose hatte nicht geahnt, dass sich eine derartige Wut angestaut hatte.

 

„Du warst doch diejenige, die lieber mit Vic und Dom-“

 

„-hör auf, Rose!“, warnte Lily jetzt kopfschüttelnd. „Und ich habe meine Zeit mit Vic und Dom verbracht, weil du zu arrogant warst, dich jemals mit mir zu beschäftigen, ok? Dir waren deine eigenen Cousinen nicht gut genug! Unsere Mütter waren beste Freundinnen, seitdem sie hier her gegangen sind! Und ich habe Jahre damit zugebracht, zu begreifen, wie das überhaupt sein kann. Aber weißt du was? Tante Hermine schert sich um Menschen, ist mitfühlend und stellt andere vor sich! Tante Hermine hätte meiner Mum niemals so etwas angetan!“

 

„Angetan?“, wiederholte Rose entgeistert, völlig überfordert. Von was sprach Lily bitteschön? Beste Freundinnen? Seit wann wollte Lily das? Lily hasste alles, was Rose mochte! Sie spielte nicht mal Quidditch!

 

„Ja!“, knurrte Lily bitterböse. „Wärst du nicht so verdammt selbstbezogen, dann wüsstest du genau, was du nicht tun solltest, Rose! Komm also nicht zu mir und verlange, dass ich dir irgendeine Rechenschaft darüber ablege, warum wir uns nicht verstehen!“

 

„Ich habe mich immer mit dir verstanden!“, behauptete sie wütend, denn sie wüsste nicht, warum-

 

„Ja, wenn man sich nie die Mühe macht, Menschen näher kennenzulernen, dann kann man das sehr leicht behaupten!“, fuhr Lily sie an. Und Rose wusste nicht, zu welchem Schluss sie gerade gekommen waren. Und dann atmete Lily böse aus. „Liebst du ihn?“ Die Lautstärke in ihrer Stimme fiel wieder, und Roses Blick fokussierte. Was? Sie war gänzlich verstummt, aber Lily wartete. „Ich habe dich gefragt, ob du ihn liebst, Rose?“ Roses Atmung war abgeflacht, und die Hitze drohte in ihr Gesicht zu steigen.

 

„Wen?“

 

„Wen?“, wiederholte Lily abschätzend. „Richtig, es sind so viele, dass du nicht einmal weißt, von wem ich rede, oder?“, spuckte Lily fast. „Ich meine nicht Albus, und ich meine nicht Presley“, ergänzte sie böse, und Rose konnte kaum fassen, was sie hörte. Lily… wusste es?! Sie wusste es? Woher? Von Albus? Rose musste sie so grenzenlos empört ansehen, dass Lily wütend ausatmete. „Dass du neuerdings in der Bibliothek sitzt und ein bis zwei Bücher liest, heißt nicht, dass du über Nacht unsichtbar geworden bist“, beleidigte ihre Cousine sie scharf. „Ich weiß, dass…“, kurz zögert Lily, ehe sie sich zwang, weiterzusprechen, „dass du mit Scorpius im Badezimmer der Vertrauensschüler warst!“, zischte sie. Roses Kiefer gab nach. Ihr Mund öffnete sich, und es war wie ein Schlag in den Magen. Merlin, ihre Cousine wusste es tatsächlich! Oh nein. Und sie hatte keine Ahnung, warum es anders war, bei Lily. Warum es nicht so schlimm war, bei Hugo, vielleicht bei Albus – aber bei Lily war es… ein ganz anderes Gefühl. Weil sie ein Mädchen war? Weil Rose glaubte, dass Jungen es nicht weitererzählten, es für sich behielten? Rose konnte es nicht analysieren, aber sie nahm an, so etwas empfand sie. „Also“, wiederholte Lily gefasster, und ihr Blick war niederschmetternd. „Liebst du ihn?“

 

Rose konnte nicht. Sie konnte kaum fassen, dass ihre Cousine das fragte.

 

Sie hatte sich darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Sie war froh tagsüber nicht vor Scham zu vergehen, wenn sie an Scorpius dachte, und die Dinge, die er schon mit ihr getan hatte! Sie war froh, überhaupt noch Dom unter die Augen treten zu können, so zu tun, als wäre alles ansatzweise in Ordnung! Aber seit heute – seitdem sie wusste, dass Alby es wusste… war es sowieso alles anders. Und jetzt… stand Lily vor ihr, eröffnete ihr, dass sie es ebenfalls wusste – und… Rose konnte einfach nicht. Aber dann sprach Lily weiter, legte es wohl gar nicht auf eine konkrete Antwort an. „Denn ich liebe ihn“, sagte sie fast beschämt. „Fall du dich jemals gefragt haben solltest“, ergänzte sie kalt. Und nein, Rose hatte sich das nie gefragt. Ihr Mund öffnete sich überfordert. Lily liebte Scorpius? Seit wann das? Seit… immer schon? Oder was wollte sie sagen? Rose hatte es nicht gewusst, und sie ging davon aus, dass Dom das auch nicht gewusst hatte. „Und wenn du nur Spiele spielst und einfach alle ausnutzt, so wie Presley, dann…“ Rose spürte, Lily war kurz davor, ihr ungefragte Ratschläge zu erteilen. „Mir ist klar, warum Albus sauer auf dich ist“, ergänzte Lily außerhalb des Kontextes, und Rose konnte sich vorstellen, dass Lily es wusste. Für Lily ergab es Sinn. „Und vielleicht hast du jetzt genug Leute verletzt, Rose?“

 

Und sehr kurz wollte Rose erwidern. Wollte Lily in ihre Schranken weisen, ihr sagen, dass es sie überhaupt nichts anging, aber… Lily war ein Mädchen. Hugo könnte sie so etwas ins Gesicht sagen, aber Lily? Lily würde beleidigt sein, sauer werden, und Lily würde keine Skrupel haben und zu Dom gehen! Schlimmer noch – ihrer Mum schreiben. „Und… ich will dich nicht erpressen“, entfuhr es Lily dann, aber Rose hatte das entschiedene Gefühl, dass genau das Gegenteil der Fall war. „Aber du weißt selber, wie scheiße es von dir ist.“ Und das… stimmte leider. Röte sprengte ihr Gesicht mittlerweile. „Jetzt weißt du, was ich denke, und… ich habe keine Lust, mit dir zu reden. Du willst eine Rechtfertigung von mir hören, warum ich abweisend zu dir bin? Weil du schon immer furchtbar warst, Rose. Früher wollte ich unbedingt mit dir befreundet sein, aber… mittlerweile… bin ich drüber weg. Du interessierst dich für niemanden. Zumindest für niemanden aus deiner Familie. Merlin, du kannst nicht mal deinen eigenen Bruder leiden!“

 

Rose könnte so etwas sagen, wie, dass Lily ihre eigenen Brüder hasste, aber sie sagte gar nichts. Lilys Worte taten weh. Und anscheinend war es so, dass ein Korn Wahrheit zutraf. Denn irgendetwas schmerzte in ihrem Innern. Irgendetwas, das Lily sagte, traf ins Schwarze. Nicht alles, aber… irgendetwas davon stimmte. Denn Rose fühlte es. Sie wusste nicht, ob es stimmte, dass sie alle Leute verletzte oder vor den Kopf stieß, oder ob sie sich für ihre Familie nicht interessierte, oder ob sie tatsächlich kein tieferes Interesse an irgendwem hatte. Sie wusste auch nicht, ob Lily ihre beste Freundin sein musste, weil Tante Ginny die beste Freundin ihrer Mum war. Sie hatte ehrlich gesagt noch nie darüber nachgedacht. Und hieß das, sie war egoistisch und selbstbezogen? Hieß das, sie scherte sich nur um sich selbst? Und sie mochte Hugo. Sie konnte nur… nichts mit ihm anfangen.

Und Presley…- vielleicht verletzte sie ihn auch. Betroffen schwieg sie noch immer.

 

„Du hast nichts zu sagen?“, wollte Lily mir verschränkten Armen von ihr wissen. „Ich meine, es wundert mich nicht. Du hast mich nicht mal gefragt, wie es mir ging, als du meinen Bruder geschlagen hattest und er verschwunden war.“ Auch das stimmte. Und was nervig war, war die Tatsache, dass… Rose es nie so gesehen hatte. Sie war das Opfer gewesen – hatte sie geglaubt. „Vielleicht solltest du etwas vorsichtiger mit deinen Affären sein“, schloss Lily kalt. „Und… im Vergleich zu Dom sind wir alle Trolle, also… kannst du stark davon ausgehen, dass Scorpius die Lust an dir verlieren wird. Stolz ist dir doch so wichtig, Rose? Vielleicht solltest du dann genug Rückgrat besitzen, diese Sache… zu beenden. Und nicht umgekehrt.“ Mit einem letzten Blick aus den dunklen Augen, die James‘ Augen so ähnlich waren, ließ Lily sie einfach stehen.

 

Tränen füllten Roses Augen sehr plötzlich. Sie war kein Monster. Sie war nicht alle Dinge, die Lily behauptete! Aber wieso… hatte sie dann kein Wort sagen können? Wieso tat es dann so weh? Rose hatte Gefühle! Sie konnte… sie nur nicht gut in Worte fassen. Und sie hatte Angst. So schrecklich viel Angst, hinter der Fassade, die Lily so kalt beschrieben hatte. Stumm verblieb sie zwischen den hohen Bücherregalen und weinte heiße Tränen der Verzweiflung. Seit wann genau war Rumer nicht mehr an ihrer Seite und half ihr durch solche Situationen? Seit wann war Rose auf sich allein gestellt?

 

Und Lily hatte Recht. Scorpius wollte keine Beziehung. Er wollte sie benutzen. Es stimmte. Sie war nicht Dom. Sie war der billige Ersatz. Fast hatte sie das vergessen. Vielleicht wurde es Zeit, sich daran wieder zu erinnern?

 

 

 

 

Twenty-One

 

         Die letzten Tage waren nur zäh vergangen. Und dann hatte er sie auch noch mit Presley und Collin verbracht. Keinen der beiden mochte er sonderlich leiden. Presley hatte ihn ziemlich gründlich geheilt, deshalb schuldete er es ihm, wohl oder übel. Ein sanfter lila Schatten hing noch um sein Auge. Wenn man genau hinsah, bemerkte man es. So wie Scorpius verstanden hatte, hatte Al gelogen, hatte ihn teilweise gedeckt, hatte nichts verraten. Nicht mal gegenüber Presley. Scorpius hatte auf die Essen in der Halle verzichtet, war heimlich runter zur Küche, und die Elfen hatten Mitleid mit ihm gehabt.

So hatte er keinen der Gryffindors sehen müssen. So hatte er Rose nicht sehen müssen. Er wusste genau, was Al gesagt hatte. Er erinnerte sich an jedes Wort. Und Al würde es allen sagen, würde es allen verraten, und dann… wäre Roses Leben ruiniert. Ihre Cousine würde sie hassen – alle würden sie hassen!

Und Rose würde Al hassen und ihren Bruder.

Wenn ihr Vater davon Wind bekäme…, Scorpius schauderte wieder innerlich. Das wäre wohl das Schlimmste, nahm er an.

Und das war es jetzt.

 

Es war vorbei. Schneller als er geglaubt hatte. Und die Situation machte es erschreckend einfach für ihn. Er wollte nicht, dass Rose diese Gefühle durchleben musste. Er kassierte ihretwegen gerne Schläge, nahm sie einfach hin.

Er würde sie schützen müssen, ganz einfach. Sie zählte mehr als er. Er hatte so viel begriffen.

Es änderte nichts an der Tatsache, dass er von ihr träumte. Das nicht. Aber er war nicht unglücklich über seine Entscheidung, nicht mit ihr geschlafen zu haben. Das machte es alles noch erträglich. Es machte es nicht ganz so schlimm, ließ die Sehnsucht nicht übermächtig werden.

Und jetzt verließ er das Schloss mit der Erlaubnis von McGonagall. Gut, dass sie von der Prügelei nichts mitbekommen hatte. Presley hatte sein Wort gehalten. Ätzend, ausgerechnet Presley Ford etwas zu schulden, dachte er bitter. Al hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, und verbittert stand er jetzt draußen, vergrub die Hände tief in seinen Taschen und wartete unter dem Torbogen, dass sein Vater das Gelände empor kam. Er hatte keine Lust, im Regen zu warten. Er hatte nicht mal Lust, das scheiß Haus zu besichtigen. Er wollte einfach… vergessen. Allein.

 

Die Tore öffneten sich. Instinktiv wandte er sich um, und fast erschrak er. Sie schob sich nach draußen. Alles in seinem Innern versteifte sich. Und sie war schöner, als er angenommen hatte. Noch immer. Aber sie sah blass aus, ihr Gesicht verschlossen.

 

„Hey“, begrüßte sie ihn unschlüssig, mied seinen Blick, und sofort sah er sich um. Nach allen Richtungen wanderte sein Blick. Irgendwer würde sie gesehen haben, oder? Sie waren alle beim Frühstück. Irgendwer würde gleich rauskommen! Irgendwer würde gleich ihr Leben zerstören, vermutete er mit klopfendem Herzen. Er war irrational, aber er konnte nicht anders.

 

„Was tust du hier?“, entfuhr es ihm gepresst. Kurz hob sich ihr Blick. Sein Ton war hart gewesen, aber er konnte es nicht ändern. Er musste es tun.

 

„Ich… wusste, dass du… heute abreist. Ich… wollte vorher mit dir reden.“ Fast klangen die Worte eigenartig, und er nahm an, es kostete sie einiges. Und vielleicht vermisste sie ihn? Er hatte jetzt drei Tage kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Er vermisste sie auch. Aber das sagten sie beide nicht.

 

„Wir sollten hier nicht zusammen stehen“, sagte er, obwohl er wissen wollte, was sie ihm sagen wollte. Dringend. Er wollte ihre Stimme hören. Am liebsten wollte er hören, dass sie… dass sie…- nicht anders konnte, als ihn zu sehen. Dass sie mit Al gesprochen hatte – mit allen gesprochen hatte! Dass sie einen Brief nach Hause schreiben würde. Aber… er machte sich da nichts vor. Ihre Gefühle gingen nicht so weit. Sie hatte keine Gefühle für ihn. Ungeduld zerrte an ihm. Es war gefährlich für sie, bei ihm zu sein. „Was möchtest du?“, kürzte er es ab, und er sah, er verletzte sie. Starr blickte er nach vorne übers Gelände.

 

„Ich…- wir sollten… uns nicht mehr sehen“, entkam es ihr fast tonlos. Er sah ihr nicht mehr ins Gesicht, hielt den Blick geradeaus. Denn er konnte nicht. Konnte sie nicht ansehen. Er hatte Angst, dass sie es sehen würde. Was er empfand. Es schmerzte. Zu wissen, dass sie das Vernünftige tun würde – so kurz, nachdem es erst begonnen hatte, hinterließ ein dumpfes Gefühl in ihm. Kurz fragte er sich, ob es das wert gewesen war? Die kurze Zeit der verbotenen Küsse, der sinnlichen Berührungen – ihrer Haut unter seiner, ihrer- Nein. Er bereute es nicht. Nichts davon! Er zwang sich, hart zu bleiben. Musste sich zwingen.

 

Es fiel ihm schwer. Die Worte waren so schwer.

 

„Gut“, erwiderte er bitter. „Sehe ich genauso.“

 

Und reglos blieb sie neben ihm stehen. Wieso machte sie es so schwer? Verdammt noch mal! Und er wusste, die Show musste gut sein. Sie sollte ihn verabscheuen, damit… damit es keine Chance gab, dass… dass sie wiederkam. „Es war ja sowieso nichts Echtes“, ergänzte er, und sein Gleichmut klang so überzeugend, dass er sie einatmen hörte. „Wir wussten, das war eine kurze Sache, sie hat nichts bedeutet, und vielleicht…“ Kurz war er von dem Schmerz überwältigt. Kurz konnte er nicht sprechen, denn sie hasste ihn jetzt gerade, und es tat so weh. „Vielleicht sollten wir drüber wegkommen und mit unserem Leben weitermachen“, schloss er gezwungen, und ihre Haltung war so steif. Aus den Augenwinkeln konnte er es sehen.

 

„Ja“, sagte sie, kläglich um Kälte bemüht. Sie nickte sogar einmal. Und dann wandte er den Blick, denn er wollte sie ein letztes Mal aus der Nähe sehen. Ihr schönes Gesicht, ihre verlockenden Sommersprossen, die er küssen wollte, ihre strahlenden Augen, die leuchteten, wenn er sie zum Kommen brachte. Künstliche Verachtung überkam seine Züge, und es kostete ihn viel Kraft.

 

„So gut war es ohnehin nicht.“ Die Worte waren hohl, und als er den Schmerz in ihren Augen erkannte, wandte er den Blick wieder ab. Er zielte direkt auf ihren Gryffindorstolz, und hoffte, er traf einen Nerv. Er hörte sie schlucken. Sein Herzschlag ging sehr schnell.

 

„Nein. Ich bin froh, dass wir es beenden“, knurrte sie praktisch, aber er hörte es. Ihre Stimme klang belegt. Die Tränen waren nicht mehr weit weg. Er hatte sie verletzt. Gut. Das machte es leichter. Für alle. Auch für ihn. Auch, wenn er das jetzt noch nicht sah.

 

Und dann näherte sich die Gestalt. Er hob den Blick. Und Rose verharrte neben ihm, wahrscheinlich aus Überraschung.

 

„Guten Morgen“, riss die Stimme seines Vaters ihn harsch aus jeden Gedanken. Dann fasste er Rose ins Auge. „Rose, richtig?“, erkundigte sich sein Vater mit gerunzelter Stirn. Und Scorpius hasste, dass sich sein Vater ausgerechnet jetzt an ihren Namen zu erinnern schien. Er hasste, dass Rose noch immer hier war, ihn quälte, und dass es so aussah, als… als… bedeute es irgendwas.

 

„Ja“, entkam es ihr heiser. „Hallo, Mr. Malfoy“, begrüßte sie ihren Vater steif. Sie fuhr sich über die verräterischen roten Wangen. „Ich… muss rein“, schloss sie kühl, und fast lief sie zurück zum Schloss. Sein Herz brach. Ziemlich mittig. Und die geballten Fäuste in seinen Jackentaschen schmerzten zum Zerbersten. Der Blick seines Vaters war wie heißes Öl, und es machte ihn wütend. Und es machte ihn noch wütender, dass sein Vater gar nichts sagte. Dass er ihn ansah, als könne er auch nur im Entferntesten begreifen, was passierte. Der unwillige Trotz eines Teenagers stieg in ihm empor, und auch das hasste er unwillkürlich.

 

„Können wir?“ Sein Vater sagte nur diese beiden Worte, aber Scorpius hörte ganze Welten aus diesem Satz.

 

„Wenn’s sein muss“, erwiderte Scorpius bissig, und sein Vater atmete lange aus, während sie nebeneinander durch das scheiß Wetter den fallenden Weg beschritten.

 

„Wer hat dein Auge geheilt?“, wollte er dann wissen, und Scorpius hielt unbewusst die Luft an. Natürlich sah sein Vater es. Ob Rose es gesehen hatte?

 

„Was?“, entfuhr es ihm scharf, voller Abwehr.

 

„Oder sollte ich fragen, wer hat es dir verpasst?“, ging sein Vater nicht auf seine Worte ein.


„Ich weiß nicht, wovon du redest“, blaffte er zornig, senkte den Blick, und er hasste alles an diesem scheiß Tag.

 

„Hat das irgendwas mit Rose Wealey zu tun?“ Und Scorpius nahm an, jedes scheiß Wort, wäre ein scheiß Wort zu viel. Sein Vater würde sich schon alles zusammenreimen. Würde Scorpius jetzt Nein sagen, würde er nur die hochgezogene Augenbraue seines Vaters ernten, und darauf hatte er keine Lust. Aber scheinbar war es vollkommen egal, was er tat, denn sein Vater seufzte lange auf. „Hast du gewusst, dass mir deine Exfreundin einen äußerst erheiternd langen Brief geschrieben hat?“, riss ihn der nächste Satz direkt aus seiner Lethargie. Ohne es zu verhindern, hob sich sein ausdrucksloser Blick. Und er wurde direkt rot. Oh Merlin! Hatte sie nicht! Er empfand tiefen Respekt für Dominique. Sie war unmöglich. „Oh ja“, ging sein Vater mäßig amüsiert auf seinen Ausdruck ein. „Ich bin höchst beunruhigt zu erfahren, dass du… Potenzprobleme zu haben scheinst?“, zitierte er scheinbar aus dem Brief, und Scorpius wollte sterben. Jetzt. Er schloss gequält die Augen. „Ist das… irgendwas, was sich Heiler Corman ansehen müsste?“, fuhr sein Vater so spöttisch fort, dass Scorpius die Zähne fest zusammenbiss. „Immerhin kannst du so keine der Weasleytöchter schwängern, hm?“, machte sein Vater nahtlos weiter, und Scorpius glaubte nicht, dass er tiefer sinken konnte. Dominiques Rache war unfassbar. Absolut unfassbar! „Und bitte“, ergänzte er, nicht minder belustigt, „gib mir kurz Bescheid, wenn ich die Eule zum Duell von Ron Weasley erwarten darf, ja?“, ärgerte er ihn weiter, und Scorpius glaubte, dass er irgendwann vor Scham einfach versinken müsste. Er war überzeugt davon. Es war pervers, was für einen Spaß sein Vater empfand.

„Ich nehme an, der kleine Potter dürfte dir das Veilchen verpasst haben, was du so erfolgreich verstecken willst?“, vermutete sein Vater mit neuer Euphorie, und Scorpius nahm an, heute Abend würde die Standpauke erfolgen, die sein Vater jetzt mit so viel Humor verzögerte.

 

Scorpius sagte kein Sterbenswort und marschierte knallrot neben seinem Vater zum Tor. Manchmal hasste er seinen Vater. Wirklich. Sollte er ihn anschreien. Das wäre um einiges hilfreicher als alles andere. Vor allem heute! Gerade heute! Denn heute durfte er sich auch noch seine Tante Daphne antun und garantiert seinen scheiß Großvater.

 

 

 

 

Sie hatte keine Ahnung, wohin sie hätte gehen sollen. Zuerst hatte sie in den Schlafsaal gewollt, hatte das Kissen über den Kopf ziehen wollen, aber es war en Internat! Es war ein Schloss voller Menschen – es war nicht ihr Zimmer Zuhause, und sie würde nirgendwo alleine sein! Und irgendwann waren ihre Schritte schneller geworden, als die Tränen ohnmächtig an die Oberfläche gestiegen waren, und ihr einziges Ziel war gewesen, auszuhalten, bis sie irgendwo alleine war. Und deshalb war sie höher und höher gelaufen, bis sie den siebten Stock erreicht hatte.

Und schwer atmend, mit geöffnetem Mund, brach sie in das nächstbeste Zimmer, was der Astronomieturm war, und ihr Blick verschwamm, blind vor Tränen. Sie tastete sich vor, bis sie die tiefen Fenster erreichte, und erschöpft sank sie auf den kalten Steinboden, und sie fiel praktisch mit dem Oberkörper auf den niedrigen Sims, bettete ihren Kopf auf ihre Unterarme, und weinte so heftig, wie sie es nicht von sich kannte. Heftige Wellen der Wut und Trauer schüttelten ihren Körper, während immer mehr Tränen aus ihren Augen flossen.

Sie fühlte sich so schrecklich leer. Sie fühlte sich, als hätte er alleine die Affäre beendet – als hätte sie es überhaupt nicht angesprochen gehabt. Dabei war es doch ihre Idee gewesen!

Und wieso fühlte es sich so schrecklich an? Sie hatte darüber nachgedacht, und es war das einzig Richtige! Sie hätte schon längst darauf kommen müssen. Sie hätte es längst tun sollen. Sie hätte es gar nicht anfangen dürfen, hätte im Sommer nicht mit ihm alleine sein sollen – und jetzt lag sie hier und weinte, als wäre die Welt untergegangen.

 

Sie glaubte, der Schmerz würde niemals enden. Niemals. Ihre Augen schmerzten bereits, aber die Tränen wollten nicht versiegen. Sie hatte mit niemandem reden können, hatte nicht gewusst, wie – und die Trauer stand ihr gar nicht zu. Sie war nicht Scorpius‘ Freundin gewesen. Sie war… die heimliche Affäre, und es durfte nich so wehtun. Es war nicht echt gewesen. Es war falsch gewesen, und sie hatte so vielen Menschen wehgetan.

Ihr schwerer Kopf hob sich von ihren Armen, und ihr Gesicht war nass von Tränen, sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen, und fast zuckte sie zusammen, als sie den Schatten aus dem Augenwinkel sah.

 

Sie war nicht allein. Hastig wandte sie den Blick, aber…- es war kein Mensch. Sie schniefte überfordert, während der Geist sie mit ernster Miene betrachtete, keine drei Schritte entfernt. Ihre Brust bebte noch immer unregelmäßig, noch immer fielen Tränen auf ihre Wangen, und sie wollte ihn nicht sehen. Sie brauchte seine Anwesenheit, seinen verurteilenden Blick nicht. Was trieb er hier? Was wollte er von ihr?

 

„Was?“, fuhr sie den Geist heiser an, schämte sich nicht, dass sie weinte und die Tränen ihren Hals hinbrannen. „Was willst du?“, rief sie zornig, und Snapes Geist wirkte eine Spur unschlüssig. Eine Falte erschien auf seiner Stirn, als studierte er sie und könnte nicht ganz begreifen, was sie tat. Er wirkte nicht so hochkonzentriert, nicht so abwesend, nicht in seiner eigenen Welt versunken. Und sobald Geister vergaßen, sich nur um ihre eigenen Sorgen zu scheren – was eben die Eigenart der Geister war – wurden sie um einiges menschlicher. Seine nebelhafte Gestalt näherte sich langsam. Sein Gesicht zeigte nicht die übliche Verachtung, die verschlossene Herablassung, die sie von ihm kannte. Er tat nicht so, als könne er sie nicht sehen. Lautlos kniete er sich neben sie, seine AUfmersamkeit vollkommen auf ihr Gesicht geheftet, und dann hob sich seine kalkweiße Hand. Fasziniert berührte er tatsächlich ihre nasskalte Wange, und sie atmete erschrocken ein, als die Kälte sie erfasste. Es war, als stünde plötzlich eine Tür offen, als zöge ein eiskalter Lufthauch hinein, der aber wesentlich tiefer ging, als Luft es jemals könnte.

 

Hastig zog er die stofflosen Finger zurück, als er wohl begriff, dass er sie nicht wirklich berühren konnte. Der Geist blinzelte verblülfft, aber Roses Tränen waren versiegt. Warum war er hier? Warum suchte er ausgerechnet sie? Was wollte er bloß? Was war es, was unerledigt war, weswegen er noch immer auf dieser Erde wandelte? Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann verließ das menschlihe Bewusstsein seinen Blick wieder, er erhob sich abwesend, und sie sah ihm reglos nach, als er lautlos durch die Wand verschwand.

 

Was war gerade passiert? Wieso wurde sie von einem Geist verfolgt? Ihre Beine schmerzten mittlerweile, und endlich stand sie zitternd auf und setzte sich auf den Fenstersims. Mit dem Ärmel trocknete sie ihr Gesicht, und immerhin hatte Snape dafür gesorgt, dass sie nicht mehr weinte. Stattdessen fühlte sie sich nur noch leer. Wie kommunizierte man mit einem Geist? Hatte sie diese Aufgabe? Musste sie Snapes Geist helfen? Sie wusste nicht mal, wie.

 

Sie wusste nicht mal, wie sie sich selber helfen sollte. Es ging ihr nicht gut. All das tat ihr nicht gut. Es tat weh. Wieso tat jede Entscheidung so schrecklich weh? Sie verstand es nicht.

 

 

 

Twenty-Two

 

         Das Haus war alt. Sehr alt. Und manche Häuser besaßen einen eigentümlichen Charakter, einen fast menschlichen Zug. Wie man ein Haus pflegte, wie man in ihm lebte, so zeigte es sich der Außenwelt. Dieses Exemplar wirkte fest mit der Natur verankert, hatte sich seinen Platz verdient, unter der alten Sonne, die seine dunklen Dachziegel langsam aber stetig bleichen ließ.

Es besaß Geschichte, einen Namen, strotzte vor Tradition und altem Blut, und selbst in der nachlässigen Verwilderung, erkannte man doch noch den einstigen Zauber, der es umgeben hatte. Das Haus schien noch immer zu wissen, den Blick auf sich zu ziehen.

 

Geduldig und stur befand sich jeder Stein an derselben Stelle; jeder Strauch, jeder Baum des wilden Gartens, hatte seinen Platz mit blinder Arroganz verteidigt. Erbaut im frühen 18. Jahrhundert, thronte es weit über den anderen, hoch auf einer Anhöhe. Genauso alt wie das Haus, waren die Geschichten, die es erzählen konnte, und nicht alle waren gut. Nicht jedes Ende ein glückliches. Etwas altersschwach, aber noch immer imposant, ganz dem italienischen Zeitgeist treu, stützten die sechs weißen Säulen das mächtige Vordach, was bereits mit wildem Wein überwuchert war, welcher mit der Zeit die massiven Säulen hinabkroch, von denen allmählich die Farbe blätterte.

Zwei Geschosse an hohen Sprossenfenstern zierten die Front, wie dunkle Augen, welche wissend und kühl hinausstarrten, jeden stumm beobachteten, der sich näherte, die morschen Fensterläden demonstrativ weit geöffnet. Alte Stufen, geschlagen in Stein, führten hoch zum Eingang. 

Am Boden der Treppe wachten zwei gefährlich aussehende Mantikore aus gesprungenem Stein, flankierten die Seiten, überdimensional riesig in ihrer Gestalt. Aber sie standen nicht aufrecht, lauerten nicht auf Eindringlinge. Die vier Beine jeweils zur Ruhe gelegt, lagen sie am Fuße, nur die edlen Löwenköpfe in stummer Wachsamkeit erhoben, den Blick herrschend in die Ferne gerichtet, den drachenartigen Schwanz um sich gelegt, während auch hier die Jungfernrebe keine Ausnahme machte und mit geduldiger immergrüner Beharrlichkeit die steinernen Pranken der Tiere überwuchs.

 

An manche Tage erinnerte man sich deutlicher als an andere, beinahe kristallklar, als wären es keine Erinnerungen, sondern mentale Bilder, die man sich immer wieder ansehen konnte, und jedes Detail war für immer ins Gedächtnis gebrannt. Dieser Duft, den die Linden noch schwach verströmten, war derselbe wie damals auf dem Friedhof, und sein Verstand zog eine direkte Parallele. Fast überkam ihn Übelkeit, denn es überreizte seine Nerven gänzlich. Seine Fäuste ballten und entspannten sich immer wieder, versuchten, Blut durch seine steifen Glieder zu pumpen, denn selbst bei der herbstlichen Kälte, erinnerte er sich an den drückenden Tag im Sommer. An den Tag der Beerdigung seiner Frau.

 

„Eine Menge Arbeit.“ Er wusste, Daphne versuchte nichts anderes, als hilfsbereit zu sein. Seit drei Wochen versuchte sie nichts anderes. Seine Toleranz schwankte zwischen bösartiger Ehrlichkeit und eisigem Schweigen. Denn Daphne war alles Mögliche gewesen, aber eine Hilfe war sie nicht. Er hatte sie eine Weile nicht gesehen. Das letzte Mal vor fünf Monaten, als Astoria sehr krank geworden war.  Sie war für kurze Zeit bei ihnen eingezogen, weil es keinen Unterschied machte, ob sie zu viert oder zu acht in seinem Haus wohnten. Daphnes Blick war mit lähmender Nostalgie nach vorne gerichtet. Auf das Haus ihrer Ahnen. Er fragte sich unwillkürlich, ob sie selber daran dachte, dort einzuziehen, ob es in ihrem Kopf als fixe Idee bereits spukte, seitdem sie seit drei Wochen auf der Suche nach einer neuen Bleibe war, aber er verwarf den Gedanken. Daphne war keine Hilfe, aber sie besaß auch kein böses Kalkül. Und fast glaubte er nicht, dass sie dieses Haus jemals als Alternative ins Auge fasste.

 

Sie verband das das Notwendige mit dem Nützlichen, denn bevor sie heute alleine blieb, kam sie wohl lieber mit ihnen mit. Sie war noch immer aufgewühlt und verwirrt, wie vor einigen Wochen, als er über Floh mit ihr gesprochen hatte, denn Blaise hatte sie verlassen. Draco wusste keine Einzelheiten, interessierte sich nicht für die selbstzerstörerische Ehe seines alten Freundes, aber er hatte sich außer Stande gesehen, Daphne zu verbieten, herzukommen. Warum auch? Sie war die Schwester seiner verstorbenen Frau, Scorpius‘ Tante, und sie war eine bessere Begleitung als sein scheiß Vater. Sie hatte als reiche Reinbüterin nirgendwo zu sein – also… war sie hier.

 

Alles, was Draco sah, wenn er nach vorne blickte, war das Haus, indem der dunkle Fluch gesprochen wurde, der Tori befallen hatte. Irgendwann, vor hundert Jahren, hatte irgendeiner ihrer verdammten Ahnen diesen elenden Fluch ausgesprochen, und es musste schlechtes Karma gewesen sein, weshalb ausgerechnet seine liebe, wundervolle Frau darunter zu leiden gehabt hatte. Es erfüllte ihn noch immer mit kalter Wut, und das Haus war so unangenehm wie das seiner eigenen Eltern. Diese Reinblüterpaläste unterschieden sich in nichts, glichen einander auf gruselige Weise, und über ihnen schwebte die dunkle Beharrlichkeit. Und sein Vater begleitete sie, wie ein Vater junge Kinder begleitete, die weder Ahnung, noch Verstand besaßen. Und dass Daphne gesprochen hatte, schien einfach nur der unsichtbare Wink an seinen Vater gewesen zu sein, dass es jetzt ok wäre, ebenfalls den viel zu großen Mund aufzumachen. 

 

„Ihr hättet längst etwas daran machen können“, entfuhr es Lucius in fast geschäftlichem Plauderton, als taten sie so etwas. Als machten sie Ausflüge mit ausgerechnet ihm, und ihm war nicht ganz klar an wen er dieses kollektive ‚Ihr‘ überhaupt richtete. An ihn und Daphne? An ihn und Scorpius? Als läge es auf der Hand, dass das erste, worauf sie zu sprechen kommen hatten, der Status der Reparaturbedürftigkeit dieser Abscheulichkeit vor ihnen war. Draco war wieder hin und hergerissen zwischen Schweigen und Ehrlichkeit. Ihn interessierte dieses Haus nicht. Nicht im Geringsten.  

Es war angenehm gewesen, dass sein Vater ganze drei Stunden seinen Mund gehalten hatte. Wirklich angenehm. Merlin.


„Nicht jetzt, Vater“, war alles, was er sagte. Er hörte nicht einmal wirklich zu. Nur sein Vater konnte ihn wirklich noch zur Weißglut treiben. Niemand sonst. Nichts sonst. Nicht einmal der blasse Schimmer, der um das linke Auge seines Sohnes lag, weil er geschlagen worden war. Nicht einmal das. Sie würden darüber sprechen – aber nicht jetzt.

 

„Die Verwilderung erschwert nicht nur den Verkauf, sondern auch-“

 

„-nicht jetzt, Vater!“, wiederholte er weitaus deutlicher, und Lucius bekam den bitteren Zug um seine Mundwinkel, den er immer bekam, wenn er sich überlegen wähnte und ihm am liebsten über den Mund gefahren wäre. Aber er tat gut daran, heute eine verdammte Ausnahme zu machen. Und genau das musste in Dracos Blick liegen, mit dem er ihn direkt strafte, denn heute vor fünf Monaten hatte Draco seine Frau unter die Erde gebracht. Und es war genauso frisch, als wäre es zwei Stunden her. 

 

„Ihr wollt es verkaufen?“ Sein Sohn sprach. Immerhin. Er brach das unangenehme Schweigen. Auch Scorpius‘ Blick ging direkt nach vorne, sog den Anblick des alten Hauses auf, und Draco war sich nicht sicher, welche Gedanken, sein Sohn verfolgte. Seine Stimme klang eigenartig hohl. Er würde heute Abend noch genügend Zeit haben, herauszufinden, was auf Hogwarts vor sich ging. Nicht, dass er es unbedingt wollte. Das Leben der jungen Leute, änderte sich rasant schnell. Er kam sich schrecklich alt vor, im Vergleich zu Scorpius. Und fast war er froh, älter zu sein. Sich nicht mit diesen Sorgen rumzuärgern, die Scorpius höchstwahrscheinlich plagten.

 

„Wir entscheiden heute gar nichts“, klärte Draco die drohende Auseinandersetzung, die er in Lucius‘ Nähe immer spüren konnte. Unterm Strich gehörte das Anwesen tatsächlich Scorpius. Tori hatte es ihm alleine vermacht. Draco hatte daran nichts auszusetzen, musste er sich doch schon mit der Scheußlichkeit auseinandersetzen, die seine Eltern für ihn warm hielten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Scorpius nach Hogwarts irgendein Interesse hätte, in dieses Monstrum hier zu ziehen. Dann wiederum wusste er aber auch nicht, woran Scorpius Interesse hatte. Abgesehen von einer weiten Anzahl an Weasley-Mädchen. Erschreckenderweise.

 

Es musste eigenartig aussehen, wie sie hier vor dem alten Anwesen standen.

 

„Willst du rein?“, fragte er seinen Sohn, und Scorpius mied seinen Blick, wie es nur ein bockiger Teenager konnte. Zuerst reagierte er nicht. Und es war auch keine verlockende Aussicht, nahm Draco an. Es war ein Gemäuer, vielleicht nicht einsturzgefährdet, aber dennoch war es… nicht unbedingt ein freundlicher Palast.

 

„Ich denke, das ist heute wohl nicht der rechte Anlass, Draco?“ Sein Vater klang milde empört, und er sprach seinen Vornamen mit Nachdruck, als wolle er etwas in ihm wachrütteln. Als wäre es nur hinderlich, würden sie sich das Haus heute ansehen. Heute war ein genauso guter Tag, wie jeder andere.

 

„Wenn er rein möchte, gehen wir rein“, schloss Draco recht kompromisslos, und er hasste wirklich, dass sein Vater mitgekommen war. Dass er keinen guten Grund gefunden hatte, ihn abzuhalten.

 

„Ok“, entfuhr es Scorpius neben ihm, mäßig gleichgültig. Lucius atmete fast knurrend aus.

 

„Fein“, entkam es ihm bitter. Und Daphne wirkte vollkommen aufgelöst. Sie durchschritten den verwahrlosten Garten.

 

„Du kannst auch draußen warten“, informierte Draco seinen Vater trocken, aber Lucius lachte freudlos auf.


„Das hättest du gerne, nicht wahr?“, entgegnete er knapp, und Draco konnte sich nicht halten.

 

„Verdammt gerne, ja“, erwiderte er und erntete Lucius kalten Blick. Merlin, er hasste seinen Vater. Mehr als das. So viel mehr als das! Lucius erwiderte nichts darauf, ignorierte ihn gekonnt, und sie überwanden die letzten Stufen.

 

Über den Doppeltüren war ein eisenverziertes Rundbogenfenster eingelassen. Das Glas der kleinen Scheiben in einem undurchsichtigen Grün. Draco zog den alten Schlüssel hervor, und es kostete ihn einiges an Kraft, sie nach außen aufzustemmen. Sie eröffneten den Weg in eine große Eingangshalle, und der Boden bestand aus steinernen Mosaiken. Kuppelförmig wölbte sich die Decke nach oben und durch ein blasses Oberlicht fiel milchig weißes Licht auf die dekorativen Steinfliesen. Es roch muffig und alt. So wie in den meisten Herrenhäusern, dachte er bitter. Von dieser übertrieben noblen Halle führten die Wege tiefer ins Haus, über Flure, durch Türen, mittels ausladender Treppenhäuser, und jedes Zimmer erzählte eine andere schreckliche Geschichte, nahm er dumpf an.

Sein Sohn sah sich um, schritt mutig voran, und sein Vater entfachte die alten Kronleuchter mit einem Schlenker seines Zauberstabes.

 

„Exquisit“, entfuhr ihm ein belangloses Wort, was Draco zur Kenntnis nahm. Es war alles eher veraltet und renovierungsbedürftig. Das war, was er sah. Er sah die hunderttausende an Galleonen, die er hier würde reinstecken müssen, um einen marginalen Gewinn zu erzielen. Das Dach war alt. Die Wände morsch. Das war es, was er sah. Nichts davon war ‚exquisit‘. Einfach gar nichts.

 

„Merlin“, entfuhr es Daphne mit beschlagener Stimme. „Es ist so lange her“, flüsterte sie und verschwand ebenfalls in die Tiefen der Halle, begutachtete die Wände mit nostalgischem Interesse und sah Dinge, die wohl nur Vertraute dieses Hauses entdecken konnten.

 

„Scorpius, sei vorsichtig!“, rief er weiter ins Inneren, denn Scorpius war längst ins nächste Zimmer verschwunden. „Scor?“, rief er und folgte seinem Sohn. Er achtete, wohin er trat, denn er traute diesem verdammten Haus nicht.

 

„Du wirst ihm doch wohl nicht die Entscheidung überlassen?“ Es war keine echte Frage, die sein Vater stellte. Sein Vater stellte eigentlich nie echte Fragen. Es waren mehr Herausforderungen, die Draco nicht annahm.

 

„Sicher werde ich das“, erwiderte Draco beflissen. „Es ist sein Haus.“

 

„Er ist minderjährig“, sagte Lucius barsch.


„Na und?“ Draco nahm die Herausforderung dieses Mal an. Auch wenn es dumm war. „Und wenn schon.“

 

„Ihr müsst verkaufen“, sagte sein Vater lediglich.


„Wenn er es verbrennen will, dann werden wir es verbrennen, Vater“, widersprach er eindeutig, und Lucius‘ Blick war düster.

 

„Witzig, Draco“, rief er ihm nach, denn Draco ließ ihn bereits zurück. Scorpius war nicht im nächsten Zimmer, und auch nicht nächsten. Die Petroleumleuchter warfen ein gruseliges Licht auf den Boden, und Draco sah sich um.

 

„Scorpius?“, rief er knapp, und dann sah er ihn durch die gläsernen Türen. Er runzelte die Stirn. Es schien eine Art Wintergarten zu sein. Er schlüpfte durch die offenen Türen, und durch die gläserne Decke fiel das kalte Herbstlicht, tauchte den Raum in stilles Grau. In der Mitte des steinernen Bodens thronte eine Fontäne. Natürlich. Jeder hatte einen Springbrunnen in seinem Wintergarten, dachte Draco bitter. Und die Skulptur in der Mitte wölbte die Flügel, wie im nahenden Flug, als wolle sie abheben. Es war ein riesiger Schwan, ganz aus weißem Marmor. Majestätisch nahm er den Platz dieses Raumes ein. Der Schwan war das Hauswappen der Greengrass‘ gewesen. Absolut übertrieben. Absolut. Draco verzog den Mund. Scorpius‘ Blick schien wie gefangen von dem steinernen Tier.

Damals musste der Schwan Wasser gespiehen haben, was über seine Flügel seinen Körper hinab, zurück ins Bassin fließen würde. Aber schon lange Jahre war hier kein Wasser mehr geflossen.

 

„Hey“, sagte Draco jetzt und stellte sich neben seinen Sohn. „Was denkst du?“, fragte er ihn still und sah sich unbehaglich um. Scorpius folgte seinem Blick, bevor er zu ihm aufsah. Nicht mehr viel fehlte, dachte Draco manchmal. Vielleicht noch ein Jahr, dann hätte sein Sohn ihn an Größe eingeholt, wenn nicht schon überholt. Er würde noch größer werden. Und dann seufzte Scorpius.


„Müssen wir verkaufen?“, fragte er ihn tatsächlich, und Draco runzelte die Stirn.

 

„Du willst nicht?“ Scorpius ruckte unverbindlich mit dem Kopf. Es konnte alles heißen. Draco dachte knapp nach. „Müssen tun wir gar nichts, Scor“, schloss er dann.

 

„Dann… will ich es noch nicht entscheiden“, sagte er schlicht. Es überraschte Draco ernsthaft. Hatte sein Sohn wirklich Interesse an diesem Haus?

 

„Ok“, gab sich Draco geschlagen. Es war das Haus seines Sohnes. Ganz einfach. Allein die Renovierungskosten bereiteten ihm schon wieder Magenschmerzen, aber… es wäre egal. Wenn Scorpius es haben wollte, dann… sollte er es haben.

 

„Wir könnten einige Architekten beauftragen“, fing sein Vater voller Tatendrang an, aber Draco schüttelte den Kopf.


„Wir überlegen noch“, sagte er glatt.

 

„Was?“ Lucius sah ihn an. „Was überlegt ihr?“

 

„Vielleicht behalten wir es“, schloss Draco schlicht, vergrub die Hände in den Taschen, und sein Vater starrte ihn finster an.

 

„Wenn du das tust, um mich zu ärgern, dann spar dir das“, erklärte er, aber Draco lachte auf.

 

„Ich bin vierzig Jahre alt, Lucius“, erklärte er kopfschüttelnd. „Ich habe kein Interesse, ‚dich zu ärgern‘“, wiederholte er amüsiert. Lucius verzog den Mund. „Wir denken darüber nach. Akzeptier das, und hör auf, zu planen“, entgegnete er bitter.


„Darf ich mit Scorpius sprechen?“, versuchte sein Vater es erneut, aber Draco ging dazwischen.

 

„Nein“, widersprach er kalt. „Du darfst deinen Mund halten“, schloss er freudlos, und Lucius starrte ihn zornig an.

 

„Draco-“

 

„-genug“, sagte Draco kopfschüttelnd. „Es reicht für heute. Sieh dir das verdammte Haus einfach an, ohne deinen Senf dazuzugeben, ok? Wenn wir es verkaufen wollen, sage ich dir Bescheid. Aber bis dahin, sei einfach still.“ Es war eine Warnung, und so sah sein Vater ihn auch an.

 

„Komm, wir gehen hoch. Ich zeige dir das alte Zimmer deiner Mum“, flüsterte Daphne, und Draco war ihr tatsächlich dankbar. Sie war doch für etwas gut.

Mit dem Arm um seine Schulter, führte sie Scorpius aus dem Wintergarten.

 

„Du wirst nicht mehr so mit mir reden“, entfuhr es seinem Vater eisig. „Nicht vor deinem Sohn, nicht vor deiner Schwägerin!“

 

„Ich rede mit dir, wie es mir passt.“

 

„Astoria war ein schlechter Einfluss, Draco.“ Und mit diesen Worten wandte sich Draco gänzlich seinem Vater zu.

 

„Vorsicht“, entkam es Draco messerscharf. „Ich würde verdammt vorsichtig sein, was du von dir gibst, du alter Todesser. Glaub ja nicht, dass du hier willkommen bist. Ich möchte aber, dass mein Sohn seinen Großvater hin und wieder sieht. Wenn du dich aber nicht benehmen kannst, dann ist das vorbei. Du brauchst meine Gnade, nicht umgekehrt, Vater. Garantiert nicht umgekehrt!“, fuhr er ihn zitternd an. Und Lucius schwieg. Es geschah selten, aber hin und wieder passierte auch dieses Wunder.

 

„Du redest wie deine Mutter“, spuckte er ihm entgegen.

 

„Ja, vielleicht hättest du ihr das eine oder andere Mal besser zuhören sollen!“, zischte Draco zornig.

 

„Du verziehst deinen Sohn! Erlaubst ihm alles! Befreundet mit den Potter-Kindern, zusammen mit einer Weasley!“, entfuhr es Lucius außer sich.

 

„Und sei es nur für dein frühes Grab, würde ich eine sofortige Heirat mit jeder Weasley befürworten!“, knurrte Draco ungehalten. Säuerlich kräuselte sich die Oberlippe seines Vaters. Und nein, es stimmte nicht direkt. Draco befiel selber manchmal die stumme Furcht, wenn er an so eine Zukunft dachte, aber jetzt gerade… jetzt gerade tat es gut, seinem verdammten Vater die Luft aus den Segeln zu nehmen.

 

Und Merlin und Morgana sei Dank, schwieg sein verfluchter Vater endlich. Sie es vor Schock oder vor Wut – Draco war es herzlich egal.

 

 

 

Seine Frisur gab auf. Immer wieder fielen die nervigen, etwas zu langen Strähnen in sein Gesicht, hingen vor seinen Augen, und mit gereizten Griffen kämmte er sie immer wieder nach hinten über seinen Kopf. Er nahm an, so würden sie verdammt schnell fettig werden, aber es war unerträglich. Abwesend fuhr seine Hand über seinen Bart, einerseits, um verirrte Haare wieder zu ordnen, andererseits aber einfach nur zur Beruhigung. Es war eigenartig, aber über sein behaartes Kinn zu fahren, brachte ihm eine Ruhe durch Autosuggestion.

 

Er beobachtete Hermine seit einer Weile. Es war dumm von ihm gewesen, Amory und Hermine einzuladen, ausgerechnet heute, wo Scorpius Zuhause war. Er wollte ein paar Dinge mit seinem Sohn besprechen, bevor es Zeit wurde, ihn ins Bett zu schicken. Amory und Hermine diskutieren seit einer ganzen Weile. Es war längst dunkel draußen und beide hatten bereits zweimal Zuhause Bescheid gegeben, dass es später werden würde. Insgeheim hatte sich Draco bereits eine mentale Notiz gemacht, niemals wieder während der Kandidaturzeit die Leitung zu übernehmen. Er hatte geglaubt, es wäre leichte Arbeit, aber tatsächlich bedeutete die Freistellung von seinen übrigen Aufgaben leider, dass er doppelt und dreifach viel Zeit in die Kampagnen stecken musste. Die Interne Verwaltung übernahm nämlich den Wahlkampf beider Seiten, organisierte und strukturierte die Wahl, und er wusste, Amory und Hermine waren nicht unbedingt schreckliche Streithähne, aber er hatte die Meinungsdebatte doch unterschätzt.

 

Sie beachtete ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit ruhte auf Amory. Sie hatte auch kein Problem damit gehabt, in sein Haus zu kommen. Sie strahlte eine fast nervtötende Professionalität aus, dass er den Kopf schütteln wollte. Sie besaß ein natürliches Talent für Diplomatie und Konfliktlösung. Amory war etwas aggressiver in seiner Vorgehensweise, aber so wie Draco es bewertete, wäre eine doppelte Ministerschaft gar keine schlechte Alternative. Eine Koalition, wenn man so wollte. Aber natürlich interessierten sich weder Hermine, noch Amory für diesen Vorschlag. Beide wollten ihre Interessen durchsetzen, und die unterschieden sich unterm Strich doch immens.

 

„Und warum nicht?“, fragte Amory wieder, die blauen Augen wachsam, verständnisvoll, aber die Müdigkeit stand ihm deutlich ins scharfkantige, sehr symmetrische Gesicht geschrieben. Er machte sich gut auf den Wahlplakaten. Der Stimmfolge bisher hatte sein Gesicht nur Vorteile gebracht, und die Bevölkerung bevorzugte Amory zurzeit. Hermine sortierte ihre Gefühle, er sah es deutlich in den angespannten Linien um ihren Mund.

 

„Weil es nicht erste Priorität haben sollte. Alleine vom Gleichheitsgrundsatz her.“ So zivilisiert. So unfassbar freundlich. Draco hielt sich nur mit Mühe ab, aufzustöhnen.

 

„Was hat der Gleichheitsgrundsatz damit zu tun? Es ist doch reine Präferenz.“

 

„Es suggeriert aber etwas vollkommen anderes, Amory“, widersprach sie mit sanfter Ablehnung.

 

Draco war sich nicht mal mehr sicher, um was es überhaupt ging. Heiler, die sich eher auf Reinblüter spezialisierten? Oder Heiler, die eher Muggelpraktiken bevorzugten? Es waren nur noch unsinnige Details, die ins Wahlprogramm gepackt werden sollten, aber die passive Politik verlangte, dass nichts Zweideutiges und anrüchiges oder streitträchtiges Eingang in die Wahlkampagne fand. Eigentlich lohnte die Ministerwahl seit Jahren nicht mehr. Es war nicht mehr spannend und schmutzig. Es war weichgespülter Quatsch geworden.


„Draco?“, riss ihn Amorys Stimme scheinbar wiederholt aus den Gedanken. Dracos Augen weiteten sich überrascht.


„Hm?“, entfuhr es ihm entschuldigend, denn er war längst abgedriftet.


„Eine zweite Meinung wäre hilfreich?“, sagte Amory mehr oder weniger ungeduldig.


„Muss das sein?“, entfuhr es Draco ablehnend. „Ich bin wirklich nicht geeignet, diese Uneinigkeiten zu schlichten, Ames“, fuhr er vage fort.

 

„Dafür bist du aber da“, erinnerte Amory ihn eindeutig. Draco atmete ergeben aus. Jetzt spürte er Hermines Blick sehr deutlich, sehr kompromisslos. Und auch Amory sollte es besser wissen, als sich mit Hermine Weasley anzulegen. Es brachte nicht viel. Es brachte einem höchsten einen Termin vorm höchsten Verwaltungsbeamten, um die Unstimmigkeiten auszudiskutieren.


„Passive Politik, Amory“, sprach Draco achselzuckend, was eigentlich immer eine gute Antwort auf sämtliche Fragen war. Ob man nun zugehört hatte, oder nicht.

 

„Man darf also gar nichts mehr sagen? Wenn sich die Parteien nicht unterscheiden – wofür dann überhaupt Wahlprogramm machen?“, fuhr Amory ihn jetzt an, aber Draco zuckte die Achseln.

 

„Mein Reden seit Jahren“, bestätigte er, aber Hermine atmete gereizt aus.

 

„Warum sollte man den Streit riskieren?“, fing sie wieder an.


„Es ist kein Streit! Es ist eine zweite Meinung, Hermine!“, entfuhr es Amory gereizter als vorher.

 

„Eine zweite Meinung, die gegen Nachkriegsgrundsätze verstößt!“, korrigierte sie ihn wütend.


„Weil der magischen Bevölkerung die Wahl gelassen werden soll, ob sie zu einem reinmagischen Heiler gehen oder zu einem gemischt magischen Heiler?“, entgegnete Amory ungläubig, und Draco dankte Amory stumm für die Erinnerung, um was es gerade eigentlich ging.

 

„Draco hat sich geäußert“, erwiderte sie endgültig. Amorys Blick traf ihn kurz, und er wirkte nicht begeistert.

 

„Draco hat überhaupt nichts getan. Draco hört uns nicht mal mehr zu“, entfuhr es ihm spitz.

 

„Nichtsdestotrotz hat er Recht. Passive Politik bedeutet, zwischen Reinblüter und Halbblüter keine Zwietracht zu scheren.“

 

„Zwietracht?“, wiederholte Amory ungläubig.

 

„Zwietracht“, bestätigte sie ungerührt. Wieder traf ihn Amorys Blick.


„Und du willst dazu gar nichts sagen?“ Es war eine klare, unmissverständliche Aufforderung, und Draco gab die Antwort, die er sich seit Monaten angewöhnt hatte.

 

„Ich bin wirklich nur ein neutraler Dritter, Amory“, sagte er glatt, und Amory gab schließlich auf.

 

„Fein. Ihr seid beide dämlich“, kam er zu einem bissigen Schluss, aber Überlegenheit zuckte um Hermines Mundwinkel.

 

„Dann sind wir für heute fertig, nehme ich an?“, wollte sie lächelnd wissen, aber Amory schüttelte den Kopf.

 

„Ich bin für den Rest meines Lebens fertig“, widersprach er lakonisch.

 

„Stell dich nicht so an. Dein hübsches Gesicht verträgt die Sorgenfalten nicht sonderlich gut, Amory“, erntete er von Hermine die Spitze gegen seine demonstrativen Wahlplakate. Amory verzog den Mund.

 

„Witzig. Hör auf zu grinsen, Draco!“, schnappte er in seine Richtung, und sein Bart verbarg seine Gefühlsregungen wohl doch nicht so gründlich, wie Draco gehofft hatte.

 

„Immer wieder eine Freude die Parteispitzen bei mir willkommen zu heißen“, erwiderte Draco eindeutig scharf. Endlich standen sie alle auf. Endlich fand dieser Abend ein ersehntes Ende.

 

„Wir sehen uns morgen im Club?“, erkundigte sich Amory versöhnlicher bei ihm. „Dein Vater hat großes zu verkünden, wie ich hörte?“, ergänzte er lächelnd, und Dracos Lächeln gefror.

 

„Mein Vater gehört ins Irrenhaus, wo sie ihm den verdammten Zauberstab wegnehmen und ihn unter Strafe zwingen, nach jedem Satz Danke und Bitte zu sagen“, knurrte Draco zornig. Denn ja, sein Vater hatte Andeutungen gemacht, aber Draco interessierte es einen feuchten Scheißdreck, was Lucius zu verkünden hatte. Er sah, wie Hermine den Kopf missbilligend schüttelte.

 

„Was?“, entfuhr es Amory lauernd. „Dir gefällt der Club nicht? Es hat nichts mit dem Wahlkampf zu tun. Wir reden da nicht schon wieder drüber“, warnte er sie, und Draco war sehr dankbar dafür. Und Hermine erwiderte auch nichts. Sie wirkte lediglich wieder mal überhaben und betrachtete sie mitleidig. „Also, Isabella lyncht mich, wenn ich nicht endlich aufbreche. Es war mir eine Ehre, mit dir zu streiten, Hermine“, verabschiedete er sich mit einem schmalen Lächeln von ihr. „Bis morgen, Draco. Ich finde raus“, wandte er sich an ihn und verließ das Büro. Er ließ die Tür offen stehen, und Draco genoss den Stoß kühler Luft, die vom Flur hineinwehte.

 

„Er ist so verbissen. Ich begreife nicht, wie ihr befreundet sein könnt“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. Draco blickte noch immer zu Tür hinaus, durch Amory längst verschwunden war.

 

„Wir reden selten über Muggelpraktiker im Club“, entgegnete er mit einer Spitze Sarkasmus, und sie atmete resignierend aus. Und dann… standen sie sinnlos und schweigend voreinander in seinem Büro.

Sie packte schließlich ihre Unterlagen in ihre arg mitgenommene Ledertasche und schulterte sie erschöpft.

 

„Dein Sohn ist hier?“ Es war eine Frage, die sie stellte. Scorpius war zuvor durch die Flure geschlichen, und er nahm an, Hermine hatte ihn gesehen. Draco nickte lediglich, fuhr sich abwesend über seinen Bart und schüttelte die Strähnen aus den Augen. „Warum?“ Er vergrub die Hände in den ausgebeulten Taschen seiner Stoffhose und atmete lange aus.


„Astoria hat ihm das Haus ihrer Großeltern vermacht. Ich bin mir nicht sicher, warum. Ich bin mir nicht mal sicher, warum ihre Eltern versäumt haben, das Testament zu ändern. Dass sie es überhaupt bekommen hatte, ist verwunderlich. Und… warum sie glaubte, es wäre eine gute Idee, es Scorpius zu vermachen… begreife ich nicht. Jedenfalls… haben wir es heute besichtigt.“ Hermine hörte ihm aufmerksam zu. Es war nicht so, dass Draco keinen Kontakt mit den Weasleys hatte. Er hatte sich damit abgefunden, Harry öfter als gewünscht zu sehen, und es war… nur halb so schlimm, wie er angenommen hatte.

Und tatsächlich waren Hermine und Astoria befreundet gewesen, hatten sich während des Studiums gut verstanden, hatten sogar Thesen zusammen verfasst. Ab und zu, wenn es die Zeit und der Zufall erlaubten, trafen sie sich. Sie saßen in der Ministeriumskantine und tranken Tee zusammen.

Es war nichts Verbotenes. Es war nichts, weswegen Ron Weasley ihm den Kopf abreißen musste, aber ihm war nicht entgangen, dass sein Kamin im Wohnzimmer dreimal aktiviert worden war, denn Ron Weasley hatte tatsächlich dreimal seine Frau sprechen müssen, um… sicherzugehen, dass sie hier nicht gefoltert und zerstückelt wurde, nahm Draco bitter an.

Amory und Hermine waren bisher viermal hier gewesen, und jedes Mal war es endlos und unangenehm geworden.

 

„Und? Will er es behalten?“ Sie stellte die richtigen Fragen. Sie war eine exzellente Zuhörerin.

 

„Er weiß es noch nicht“, erwiderte Draco unschlüssig.

 

„Oh?“ Es schien sie zu überraschen. „Will er nach Hogwarts ausziehen?“, vermutete sie lächelnd.

 

„Garantiert“, erwiderte Draco, und auch seine Mundwinkel hoben sich. „Amory weiß nichts von… Rose und Presley?“, vermutete Draco schließlich, und Hermines Lächeln schwand. Draco war überrascht, dass er sich den Namen des Mädchens merken konnte, aber dann wiederum… war sie die einzige Weasley von Signifikanz, nicht wahr? Sie war die einzige, weswegen sein Sohn so dermaßen Ärger bekommen hatte, dass er in der Schule hatte auftauchen müssen. Sie schien also wichtig zu sein. Wahrscheinlich war es der einzige Name, den er sich merken müsste, dachte er dumpf.

 

„Nein, denn ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Meine Tochter schreibt mir nicht, und mein Sohn hat erstaunlich wenig Interesse an den Beziehungen seiner Schwester“, erwiderte sie mit demonstrativ erhobener Augenbraue. Und kurz war Draco versucht, zu lächeln, es abzutun, aber… er konnte es nicht ganz verdrängen. Ob sein Sohn gerade irgendwo lauschte?

 

Dann setzte er sich in Bewegung, stieß sich von der Schrebtischkante ab, linste in den Flur, und schloss dann geräuschlos seine Tür erneut. Er wandte sich um, und Hermine hatte bereits fragend die Augenbrauen gehoben.

 

„Eine Sache wäre da noch“, begann er unschlüssig, und sie wirkte etwas… aufgewühlt. Etwas… unentspannt.

 

„Ja?“ Ihre Stimme war flach, etwas atemlos. „Was weißt du?“, entfuhr es ihr stiller, denn sie schien seinen Blick zu durchschauen.

 

„Nicht wirklich viel“, bemerkte er still, für den Fall, dass sein Sohn das Ohr an die Wand gepresst hielt.


„Aber?“ Sie sah ihn durchdringend an. Merlin, ihre Tochter war ihr sehr ähnlich. Heute war es ihm deutlich aufgefallen, als er das verschlossene Mädchen getroffen hatte, die doch erstaunlich häufig in der Nähe seines Sohnes anzutreffen war. Dasselbe Gesicht, derselbe Blick.

 

„Scorpius ist nicht mehr mit Dominique zusammen“, begann er schließlich, und es war nichts, was ihn mit Verlustschmerzen plagte, denn Bill und Fleur hatten ihn einige Male zu häufig zum Essen eingeladen und ihn mit genügend französischen Delikatessen gefoltert, dass er den Tag herbeigesehnt hatte, an dem sein Sohn ein wenig erwachsener wurde, und über die Veela-Schönheit der jungen Weasley hinaus erkennen würde, dass mit ihrer Herkunft sehr ekelhaftes Essen einherging, was Draco auf einer möglichen Hochzeit unerträglich gefunden hatte. Hermine sah ihn unentwegt an.

 

„Ich hörte davon“, erwiderte sie vage. „Gab es… da einen bestimmten Grund für?“ Dracos Mund öffnete sich, ehe er ihn unentschlossen wieder schloss. Und es war ein durchaus eigenartiger Satz, und bisher hatte er über diese Konsequenz nicht wirklich ausreichend nachgedacht.

 

„Ich glaube, mein Sohn mag dein Tochter“, sagte er, mit Bedacht und ausgewählter Vorsicht. Und sie wirkte nicht unbedingt überrascht. Nicht wirklich. Sie sah so aus, als hätte sie darüber nachgedacht. Als käme ihr der Gedanke nicht frisch und schmerzhaft.


„Hm, ich…“ Sie schien nach geeigneten Worten zu suchen, ehe sie resignierend aufgab. „Hat Scorpius es dir gesagt?“, fragte sie ihn mit leiser Hoffnung, auf einen handfesten Beweis, aber Draco musste lächeln.

 

„Ich denke, er würde eher seinen Besen verkaufen, als mir so etwas freiwillig zu beichten“, bemerkte er mit einem trockenen Lächeln.

 

„Vielleicht ist es eine Phase“, vermutete sie schließlich. Seine Mundwinkel zuckten.

 

„Eine Malfoy-Phase?“, entgegnete er spöttisch.

 

„Möglich“, sagte sie bloß. Aber sein Name allein hatte die kurze Auswirkung gehabt, dass sie das Gesicht schmerzhaft verzogen hatte. „Ich meine, Rose fehlt die Einsicht, dass Amorys Sohn vielleicht… nicht die beste Wahl ist. Einfach weil… es mir Magenschmerzen bereitet“, schloss sie kopfschüttelnd. „Also gehe ich davon aus, dass sie auch nicht großartig nachdenken wird, sollte sie… Scorpius… leiden können, obwohl…“

„Obwohl?“ Er war interessiert, was so schrecklich an seinem Sohn war, dass es Herminesolche Probleme bereitete, darüber zu sprechen.

 

„Obwohl ihr Vater höchstahrscheinlich einen übertriebenen Tobsuchtsanfall bekommen würde“, schloss sie sehr eindeutig, und Draco zog die Nase kraus. Ja. Richtig.

 

„Ich weiß es nicht, ok? Vielleicht… interpretiere ich zu viel in Scorpius‘ Verhalten hinein – vielleicht ist es alles harmlos“, ruderte er schließlich zurück. „Es wäre für keine beteiligte Familie sonderlich… einfach“, ergänzte er dann.

 

„Ja“, bestätigte sie müde. „Definitiv nicht einfach“, ergänzte sie, etwas abwesend. „Ich… sollte wirklich gehen“, wechselte sie anschließend abrupt das Thema. Sie sah ihn nicht mehr an.

 

„Sicher. Willst du über Floh-?“, begann er, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„-ich appariere. Etwas frische Luft kann nicht schaden, nach diesem endlosen Abend und Amorys endlosen Tiraden“, entgegnete sie kopfschüttelnd. Draco schritt zur Tür und öffnete sie wieder. Der Flur lag ausgestorben vor ihnen. Sie traten hinaus und gingen nebeneinander den Flur entlang zum Korridor, der zur Haustür führte.

 

„Ich denke, du wirst diesen Wahlmpf gewinnen“, sagte er schließlich, als sie die Haustür erreicht hatten. Sie atmete lange aus.

 

„Ich weiß gar nicht, ob ich es wirklich will.“ Fast klang ihre Stimme etwas verloren. Die Sorge lag sanft über ihrem Gesicht, und Draco konnte sich nicht vorstellen, dass sie es nicht meistern würde. Er arbeitete lange genug mit Hermine Weasley, um klar sagen zu können – es gab nichts, was sie nicht konnte. Absolut gar nichts. Ihr Blickk flackerte etwas, verließ sein Gesicht, und Dracos Augen folgten ihrem Blick. Tatsächlich druckste sich sein Sohn im Türrahmen zum Wohnzimmer herum. „Hey“, begrüßte Hermine ihn freundlich.

 

„Hallo“, erwiderte sein Sohn tatsächlich einigrmaßen scheu.

 

„Wir… haben uns in McGonagalls Büro getroffen. Aber… es war nicht unbedingt der beste Zeitpunkt gewesen, nicht wahr?“, begann sie das Gespräch so unverfänglich, wie nur ein Politiker es konnte. Dracos Mundwinkel hoben sich ein wenig, als Hermine wieder in den Flur trat und seinem missratenen Sohn die Hand reichte. Immerhin besaß Scorpius genügend Anstand, um ihre Hand zu schütteln.

 

„Nein“, bestätigte er einsilbig, wie es Teenager eben taten.

 

„Das war heute bestimmt ein anstrengender Tag für dich?“, erkundigte sich Hermine fast sanft bei seinem Sohn, und Draco würde gerne hinzufügen, dass dieser anstrengende Tag noch nicht vorüber war, denn er hatte noch die eine oder andere Frage, die ihm auf der Seele brannte. Scorpius ruckte mit dem Kopf.

 

„Sprechen habe ich dir aber beigebracht, oder?“, entkam es Draco eindeutig scharf, und Scorpius schoss ihm einen kurzen, zornigen Blick zu.

 

„Ja, es war anstrengend“, bestätigte er bloß.

 

„Weißt du“, begann Hermine sanfter, „wir kennen uns nicht wirklich gut, aber…“ Draco runzelte die Stirn, aber sein Sohn ließ Hermine nicht aus dem Blick, „… wir sind auch für dich da, wenn du… mal reden möchtest. Nicht nur Harry und Ginny haben dich gerne dabei, ok? Deine Mum war ein wunderbarer Mensch, und ich hatte das Glück, häufig mit ihr zu arbeiten, und… ich kann mir nicht vorstellen, wie es für dich sein muss, dass sie nicht mehr da ist.“ Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln, und Scorpius‘ Blick fiel etwas beschämt. „Und ich will dir nicht zu nahe treten, und du sollst dich auch nicht bedrängt fühlen. Ich wollte nur-“

 

„-schon gut“, unterbrach Scorpius sie still. „Danke“, fügte er peinlich berührt hinzu. Hermine streckte den Rücken wieder durch und kehrte zu ihm zurück.

 

„Das erinnert mich daran, dass ich euch einladen wollte“, fuhr sie freundlich fort.


„Wie du es so häufig tust“, bemerkte er spöttisch, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„Harrys und Ginnys zwanzigster Hochzeitstag steht an, und Ginny plant eine massive Feier. Ich denke, die Kinder werden Hogwarts an diesem Wochenende verlassen dürfen, um mitzufeiern, und Harry hat mich noch beauftragt, dir heute Bescheid zu geben.“ Dracos Stirn runzelte sich schließlich.

 

„Das ist… nett. Wir überlegen uns das“, ergänzte er, aber Hermine verzog den Mund.

 

„Ich denke nicht, dass sich Harry Potter mit dieser Antwort zufrieden geben wird. Es ist das zweite Novemberwochende, und dann haben wir auch kein anstrengendes Treffen mit Amory, also verzichte auf deinen dämlichen Reinblüter-Club und lasst euch im Goldenen Drachen blicken.“ Ihr mahnender Blick galt auch Scorpius. „Der größte Saal ist reserviert, und ich weiß, dass Brautpaar freut sich gleichermaßen über überteuerten Wein wie auch über verschiedene Sorten an ekelhaftem Feuerwhiskey“, bemerkte sie mit angewidertem Ausdruck.

 

„Verstanden“, gab er sich lächelnd geschlagen. Noch einmal glitt ihr Blick über Scorpius.

 

„Es wird dir bestimmt Spaß machen“, versprach sie ihm. „Albus und James werden sich garantiert besonders daneben benehmen“, ergänzte sie zwinkernd. Sein Sohn wirkte, als hätte er einen Faustschlag in den Magen kassiert, nickte aber unbewegt. „Alles klar, dann schönen Abend euch, und ich sehe euch nächsten Monat!“, warnte sie sie beide. Sie öffnete selbstständig die Tür, und der kalte Herbst trieb die feuchtkalte Nachtluft ins Innere. Sie winkte ihnen zum Abschied und zog dann die Tür hinter sich zu.

 

„Tja“, begann Draco nach einem langen Seufzer, „sieht aus, als könntest du noch ein Wochenende-“ Aber Scorpius unterbrach ihn laut und scharf.

 

„-wieso bringst du sie hierher?“, fuhr er ihn tatsächlich an. Draco schwieg abrupt und fixierte seinen Sohn. Aufgebracht hob sich dessen Brust und Wut flackerte in seinen Augen.

 

„Bitte?“, erkundigte sich Draco, denn er glaubte nicht, dass er wirklich verstanden hatte.

 

„Mrs Weasley!“, machte er es deutlich. „Was tut sie hier? Wieso bringst du sie her?“ Scorpius‘ Wut kam von irgendwoher, aber Draco hatte keine Ahnung, was der Grund war.

 

„Ich bringe sie nicht her. Sie war hier, weil Mr. Ford auch hier war. Ich arbeite mit diesen Menschen, Scorpius. Und ich möchte nicht-“

 

„-ich möchte auch vieles nicht!“, blaffte Scorpius zornig.

 

„Was ist dein Problem?“, wollte Draco agespannt von ihm wissen.

 

„Mein Problem ist, dass du scheiße bist!“, fuhr sein Sohn ihn an, und Dracos Augen weiteten sich.

 

„Ich schlage dir jetzt in aller Freundlichkeit vor, dir genau zu überlegen, wie du mit mir sprichst, mein Freund“, erwiderte er, gezwungene Ruhe in der Stimme. Zu viele Schläge seines eigenen Vaters hielten ihn davon ab, diese Erziehungsfehler zu wiederholen. Scorpius wirkte über alle Maßen aufgebracht und unfassbar zornig. Zorniger, als Draco es jemals erlebt hatte.

 

„Ich will nicht, dass sie über Mum spricht!“, schnauzte Scorpius wütend. „Sie hat kein Recht dazu!“

 

„Scor-“

 

„-nein!“, blaffte er mit zitternder Stimme.

 

„Sie meint das nicht böse“, begann Draco wieder, obwohl noch immer keine wirkliche Ahnung hatte, ob das wirklich Scorpius‘ Problem war.

 

„Es ist mir verflucht egal, wie sie es meint!“, rief er verzweifelt, und jetzt trat der Glanz in seine Augen. „Sie hat kein scheiß Recht überhaupt über sie zu reden! Und sie braucht uns auch nicht zu irgendwelchen scheiß VEranstaltugen einladen!“, dröhnte die Stimme seines Sohnes durch den Flur, und langsam aber sich dämmerte es Draco. Teenager waren höchstkomplizierte Wesen. Absolut undurchsichtig.

 

„Du achtest gefälligst auf deine Sprache, hast du verstanden?“, fuhr Draco ihn scharf an. „Und wenn uns jemand einlädt, dann ist es verdammt noch mal höflich, anzunehmen“, knurrte er und missachtete selber seine Aussprache, denn sein Sohn war einfach zu anstrengend. „Und dass sie dir anbietet, ein offenes Ohr zu haben, dass sie dir sagt, dass du willkommen bist, ist vielleicht nicht das schlechteste Angebot, wenn ich bedenke, dass ich dich noch nicht gefragt habe, wie du das blaue Auge erklären möchtest, geschweige denn, warum Albus Potter sich überhaupt dazu genötigt gesehen hat, es dir zu verpassen!“ Seine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden, und die Träne, die aus Scorpius‘ Augen rollte, schmerzte sein Vaterherz mehr als jedes böse Wort. „Und wenn du sauer bist, weil du gerade einen Streit mit deinem besten Freund hast – dann schön! Dann sag das. Oder sag gar nichts, aber Mrs Weasley hat damit nichts zu tun!“, schloss Draco wütend. Draco wusste, er wäre mittlerweile längst abgezogen, hätte die Tür ins Schloss geworfen, aber hätte er sich so einen Schlagabtausch mit Lucius geliefert, hätte er längst den steinharten Gehstock über den Rücken gezogen bekommen gehabt.

 

Es wäre tatsächlich eine rein hypothetische Frage, ob er sich länger mit seinem Vater gestritten hätte, hätte Lucius davon abgesehen, ihn zu verprügeln, wenn er mit Worten nicht weiter gewusst hatte.

 

Sein Sohn zumindest blieb, wo er war, schien noch nicht fertig zu sein.

 

„Es gibt keinen Grund, mit ihnen Kontakt zu haben!“, sagte Scorpius bitter. „Ich habe keinen Kontakt mehr mit Albus – und auch mit sonst keinem von ihnen! Und Ron Weasley hat hier heute fünfmal über Floh angerufen! Weil er dich hasst, Dad!“, knurrte er.

 

„Dreimal“, korrigierte Draco überflüssgerweise, aber es ging lediglich nur noch ums Prinzip.


„Und wenn es fünfzehnmal gewesen wäre!“, schnauzte Scorpius aufgebracht. „Wir sollten nichts mit ihnen zu tun haben, ganz einfach! Niemand will uns da!“

 

Anscheinend stand es um das Herz seines Sohnes ernster, als er angenommen hatte. Und er durfte sich nicht hinreißen lassen, ihn weiter anzuschreien. Er musste der Vater sein, den Astoria von ihm erwarten würde, der er war.

 

„Albus wird sich wieder beruhigen“, sagte er schließlich.

 

„Darum geht es nicht!“, fuhr Scorpius ihn zornig an.

 

„Ich denke schon.“

 

„Dann liegst du eben verdammt noch mal falsch!“ Röte war in Scorpius Gesicht gestiegen und zornig wischte er sich die Tränen weg, die Draco nicht kommentierte.

 

„Es ist ok“, sagte Draco stiller.

 

„Nein, verdammt!“ Scorpius‘ Stimme brach. „Es ist gar nichts ok!“

 

„Ron Weasley wird nicht umbringen, Scorpius“, sprach Draco seine Gedanken mit Bedacht aus. Panik trat tatsächlich in die Augen seines Sohnes.

 

„Was?“, entkam es Scorpius heiser vor Schreck. Er wurde ganz blass.

 

„Du… magst Rose? Keiner wird dich umbringen deswegen“, schloss er, fast schon entnervt. „Weder Ron, noch Albus.“ Aber Scorpius wirkte, als hätte er ihm gerade einen Kessel übergebraten.

 

„Du redest… absoluten…!“ Aber die Stimme seines Sohnes besaß keinerlei Substanz mehr. Die Bösartigkeit war verflogen.

 

„Es ist ok“, wiederholte Draco wieder. Und wieder. Bis die Tränen aus seinem Sohn nur so herausströmten, und es überforderte ihn, mehr, als Draco es sagen konnte. „Es ist ok…“, flüsterte er nur noch, als er den Abstand schloss, um seinen unmöglich Sohn in seine Arme zu ziehen. Er erinnerte sich noch, als Scorpius vier Jahre alt gewesen war. Er hatte ihn ohne Mühe hochheben können, hatte ihn festgehalten, und mittlerweile konnte er kaum noch seinen ganzen Körper umarmen, konnte ihn nicht mehr von der Welt abschirmen, wenn er wollte. Sein Sohn wollte ihn von sich schieben, aber Draco ignorierte das. Denn er konnte nicht anders. Sein Sohn litt, und es gab wenig, was Draco mehr bekümmerte als das. Und irgendwann gab Scorpius auf, stoppte seine Fluchtversuche, und Draco umarmte ihn fest, ohne weitere Worte, während er sich noch nicht völlig sicher war, was er von dieser neuen Entwicklung halten sollte. Er nahm an, Ron würde Scorpius tatsächlich nicht umbringen. Aber… vielleicht würde er persönlich dafür den Zorn einstecken müssen.

 

Man sollte sich vielleicht wirklich lieber genau die Eltern seines Partners ansehen. Aber… er verwarf diesen Gedanken. Dann wäre er höchstwahrscheinlich für immer alleine geblieben, und hätte niemals seinen Engel gefunden, der ihm diesen unmöglichen Sohn geschenkt hatte, den er mehr liebte, als sich selbst.

 

 

 

Twenty-Three

 

Er spürte Lorcans Blick seit einer ganzen Weile auf sich, und Hugo wusste, er leistete keine gute Arbeit. Er war so abgelenkt, dachte an alles andere, aber nicht an den Aufsatz für Zauberkunst. Aber Lorcan sprach ihn auf gar nichts an, fragte ihn nicht nach Cara, die er heute hatte versetzen müssen, weil er sich nicht sicher war, was er wirklich wollte. Rumer hatte ihm ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht wollte. Wahrscheinlich... küsste er schlecht. Wahrscheinlich... war er nichts weiter als ein kleiner Junge.
Er hatte sich gänzlich von seinen Gefühlen leiten lassen - etwas, was sonst nur seine Schwester fertigbrachte. Und wahrscheinlich war das sein größter Fehler gewesen. Scheiße.

 

„Was ist los mit dir?“, fragte sein einziger Freund ihn gereizt. Hugo ruckte bloß mit dem Kopf. Lorcan atmete lange aus, schien sich zu sammeln. „Ich weiß, schulische Leistungen stehen zurzeit nicht ganz oben auf deiner Liste, aber vielleicht solltest du über dein Problem reden, damit wir es hinter uns bringen, und schulische Leistungen wieder mehr in deinen Fokus rücken?“ Er sah ihn eindeutig an. Hugo drehte die Feder in seinen tintenbesprenkelten Händen. Er hatte heute nicht mal auf Sauberkeit geachtet.

 

„Du verstehst das nicht“, entfuhr es Hugo kompromisslos, und Lorcans Feder sank ebenfalls.

 

„Wirklich? Das ist dein Argument? Lust, das noch mal zu überdenken, Hugo?“, fragte er ihn scharf, und ja, es gab wenig, dass Lorcan nicht verstand, aber das hier… war etwas anderes. Hugos Blick hob sich unwillig.

 

„Du stehst nicht auf Mädchen, also…“, erwiderte Hugo schroff, aber Lorcans Augenbraue hob sich.


„Also bedeutet das, ich bin ein gefühlsloser Bastard, der bei seinem Leben nicht begreifen könnte, welche komplexen Probleme ihr Heteros habt? Weil Schwule keine komplizierten Gefühle haben können? Weil du so verdammt schwer zu durchschauen bist, ja?“ Und mit einem langsamen Nicken schlug Lorcan sein Buch zu.

 

„Nein, so habe ich es nicht gemeint“, erwiderte Hugo, um Ruhe bemüht. Lorcan packte seine Tasche und erhob sich vom Tisch.

 

„Für dich muss es sehr ironisch sein – falls du zurzeit clever genug bist, die Ironie überhaupt zu erkennen –, dass du vielleicht doch mehr zu deiner Familie gehörst, als du es immer behauptest. Vielleicht ließen sich deine Probleme eher mit Albus Potter besprechen?“ Wut zuckte über Lorcans blasses Gesicht. „Ich habe für dich verdammten Ärger bekommen, Hugo. Du hast meinen Zauberstab benutzt, für irgendeine waghalsige Weasley-Aktion!“ Bei diesen Worten spürte Hugo, wie sein Körper sich defensiv verspannte. „Und meine Eltern wurden vom Ministerium informiert, ok? Meine Eltern haben mir eine seitenlange Beschwerde geschrieben, wie untypisch und unerfreulich diese Sache war. Und für dich belüge ich die Schulleiterin. Und warum? Damit ich mir von dir anhören kann, dass ich deine Probleme nicht begreife, weil ich nicht auf Mädchen stehe!“, knurrte er wütend. „Wow“, ergänzte er. „Weißt du, wenn das der Grund ist, dann will ich deine scheiß Probleme höchstwahrscheinlich nicht verstehen, denn es klingt nach absolut dämlichen Probleme, die wahrscheinlich jeder Potter mit verbundenen Augen, ohne Hilfe lösen könnte – also… vergiss, dass ich gefragt habe. Am besten lernen wir alleine“, schloss er kühl, wandte sich ab, und Hugo konnte ihm nur mit großen Augen nachsehen, als er mit steifen Schritten den Gemeinschaftsraum verließ.

 

Zornig warf er die Feder auf sein halbherzig beschriebenes Blatt Pergament, und sie verteilte gefächerte Spritzer auf seiner Arbeit. Was für eine Scheiße. Er war nicht wie seine Verwandten! Immerhin war es spät genug, dass der Gemeinschaftsraum nahezu verlassen war. Und die wenigen Erstklässler, die sich noch wachhielten interessierten sich nicht für ihre Gespräche.

 

„Na?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen, und er hatte nicht gewusst, dass Sutter noch hier war. Er war wohl die Treppe runtergeschlendert gekommen und näherte sich jetzt seinem Tisch. „Streit mit dem festen Freund? Muss hart sein“, ergänzte er spöttisch.

 

„Halt’s Maul, Sutter“, knurrte Hugo, ohne Furcht, und Sutters Mundwinkel zuckten. Anstatt wütend zu werden, lehnte sich Sutter schließlich gegen den alten Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Hugo hob unwillig den Blick.

 

„Erklär mir mal, warum Cara nicht mit mir ausgehen möchte? Warum sie sagt, sie hätte jemand anderen in Aussicht, der heute nur bedauerlicherweise keine Zeit hat?“, wollte Sutter fast geduldig wissen. Hugo wusste kurz keine Antwort. Ein Mädchen schlug ein Date mit dem Schulsprecher aus – für ihn. Das war… neu.

 

„Klingt wie `ne Ausrede?“, vermutete Hugo freudlos. Aber scheinbar wusste Sutter, dass er, Hugo, der Grund für die Abfuhr war.

 

„Ist es ernsthaft spannender, hier zu sitzen, deine Aufgaben zu beschmieren und dich mit ‚Loser‘ Scamander zu streiten, als mit Cara Lockhart-Grey auszugehen?“ Hugos Mundwinkel sanken.

 

„Was willst du von mir, Huxley?“, kürzte Hugo dieses unerfreuliche Gespräch ab.

 

„Keine Ahnung, Weasley“, ahmte Sutter ihn nach, benutzte ebenfalls seinen Nachnamen. „Es sieht so aus, als wärst du mein Nachfolger, korrekt? Der jetzige Schulsprecher und der künftige Schulsprecher sollten ein paar Gemeinsamkeiten haben, oder nicht? Ich könnte dir Tipps und Ratschläge geben“, fuhr Sutter achselzuckend fort.

 

„Ach ja?“, entkam es Hugo glatt, und seine Mundwinkel hoben sich freudlos. „Was wären das für Tipps? Wie man es schafft, gerade ebenso nicht von der Schule zu fliegen? Wie man schlechte Zellzauber gegen zu viel Alkohol ausübt? Wie man Abfuhr nach Abfuhr erteilt bekommt, egal, von welchem Mädchen? Oder wie man Schulsprecher wird, ohne jemals nennenswerte Leistungen erreicht zu haben?“ Aber tatsächlich lächelte Sutter bloß.

 

„Weißt du, was das nächste Jahr für dich bedeuten wird, Hugo?“ Es war eine rhetorische Frage, also bemühte sich Hugo nicht mal um eine Antwort. Er wartete gereizt. „Hier? Auf dieser Schule? Die Schüler sehen auf zu dir. Zumindest in einem kurzen Zeitfenster. Und innerhalb dieses Zeitfensters hast du dich zu bewiesen. Zu zeigen, was für ein Schulsprecher du sein wirst. Ich werde respektiert. Niemand wagt, mich scheiße zu behandeln, mich zu erpressen – mich herauszufordern, in irgendeiner Weise. Die Leute mucken auf, die Leute wehren sich halbherzig, aber am Ende des Tages, gewinne ich dieses Spiel. Und in einem Jahr, wo James Potter hätte Schulsprecher werden können – bin ich es geworden. Und die Leute wissen es auch.“

 

„Bist du fertig?“ Hugo war nicht beeindruckt. Sutters Lächeln schwand.

 

„Du wirst Schulsprecher sein, in einem Jahr mit Albus Potter. Denkst du ernsthaft, du wirst den Leuten hier im Gedächtnis bleiben? Die Schüler werden nur wissen, dass du Schulsprecher bist, weil du das verdammte Abzeichen trägst-“

 

„-im Gegensatz zu dir“, unterbrach Hugo ihn mit einem entsprechenden Blick, aber Sutter zuckte die Achseln.


„Ich brauche es nicht. Mein Ruf eilt mir voraus, Weasley. Dir eilt nur der Ruf deiner Eltern voraus. Und ich würde vorschlagen, du nutzt dein Momentum weiser, als du es bisher tust.“

 

„Was soll das heißen?“

 

„Mach dir einen verdammten eigenen Namen!“, knurrte Sutter jetzt. „Noch nie in der Geschichte Hogwarts‘ ist es vorgekommen, dass Ravenclaw konsekutiv zwei Schulsprecher stellt“, informierte ihn Sutter barsch. Hugo war verblüfft, dass Sutter überhaupt Worte wie ‚konsekutiv‘ kannte, aber er schwieg. „Und vielleicht können wir diese Tradition aufrecht erhalten“, schloss Sutter schlicht.

 

„Seit wann interessiert dich Tradition?“, wollte Hugo bloß wissen. Und wahrscheinlich würden sie diese Tradition aber fortsetzen, denn niemand würde klüger sein, als Lorcan.

 

„Den Quidditchpokal werden wir nicht gewinnen, aber der Hauspokal sollte einfach genug zu bekommen sein.“ Sutter war reflektiert. Bedachte man, dass er ebenfalls Kapitän ihres Hauses war. Und kein sonderlich guter. „Unser Haus ist das einflussreichste dieser Schule. Die großen Köpfe im Ministerium besuchten allesamt Ravenclaw, also warum nicht einfach mal ein wenig Stolz zeigen und den verdammten Gryffindors beweisen, dass wir generell besser sind?“ Anscheinend wollte Sutter auf irgendetwas Aktives hinaus.

 

„Sutter“, begann Hugo kopfschüttelnd, aber dann legte Sutter ihm die Hand auf die Schulter.

 

„Weasley, es ist Samstagabend – da wartet ein verflucht heißes Mädchen auf dich, und du…- du sitzt beleidigt am Tisch. Egal, was auch immer vorgefallen ist, was auch immer deinen nervtötenden Verstand belästigt – scheiß da heute Abend drauf, und mach dein Haus stolz!“

 

„Mein Haus stolz?“, wiederholte Hugo spöttisch.

 

„Ich biete dir an, zu apparieren, Weasley.“

 

„Ich will nicht in die Drei Besen“, widersprach Hugo sofort und verschränkte die Arme vor der Brust. Sutter lächelte schwach.

 

„Hugo, es ist ganz natürlich, dass das an dir vorbeigegangen ist, aber dank Albus Potter haben wir allesamt Ausgangssperre für die Drei Besen, noch für ganze drei Wochen.“

 

„Wohin geht ihr dann?“

 

„Wir sind Ravenclaws. Es gibt noch wesentlich bessere Orte, als die Drei Besen“, informierte Sutter ihn nonchalant.

 

„Ich glaube nicht, dass-“

 

„-was hast du heute Abend zu versäumen? Ernsthaft?“ Sutter sah ihn auffordernd an. Und Hugo hatte keine gute Ausrede. Abgesehen davon, dass er mit Sutter nicht weg wollte. Und er wusste nicht, ob es Trotz war – oder was es war. Aber er war deprimiert wegen Rumer. Er war sauer auf Lorcan, und er hasste den Gedanken an seinen Cousin. Wahrscheinlich trieb ihn ein Funke, gemischt aus Trotz und Leichtsinn. Demonstrativ griffen seine Hände um die Tischkante und mit Kraft schob er seinen Stuhl lautstark zurück.

Er erhob sich, und tatsächlich überragte er Sutter mittlerweile. Gelassen sah er ihm entgegen.

 

„Machen wir das Haus stolz“, wiederholte Hugo achselzuckend die hohlen Worte, die nicht sonderlich viel bedeuteten, aber Sutters Mundwinkel hoben sich.

 

„Exzellente Form, Weasley.“ Er schlug ihm die Hand auf die Schulter, und mit einem knappen Seitenblick auf die Standuhr, stellte Hugo fest, dass es bereits kurz vor zehn war. Aber sein Trotz überschattete seine Sorge. Er hatte nichts zu versäumen. Keine Freunde warteten auf ihn. Und Rumer machte sich bestimmt schon mental über ihn lustig.

Besser, er vergaß diesen Tag so schnell wie möglich.

 

 

 

 

Es herrschte gedrückte Stimmung. Es war einer der seltenen Samstage, die sie im Gemeinschaftsraum verbrachten. Einfach weil sie Ausgangsverbot hatten. Zumindest für Hogsmeade. Albus und James saßen nebeneinander auf der weichen Couch, Lily zu Albus‘ linken auf dem alten Sessel. Neben James saß Rumer an seiner Seite, aber sie starrte genauso selbstvergessen ins Feuer, wie Albus es tat. Vic saß auf einem Kissen vor dem flachen Tisch und bearbeitete ihre langen Nägel mit dem Zauberstab, versah sie mit funkelnden Punkten und Facetten, während Dominique auf dem Sessel Lily gegenüber saß und Roxys Haare kämmte, die vor ihr kauerte und bereits mehrfach gähnte.

Fred und Louis fläzten sich auf dem alten Fell vor dem Kamin und spielten irgendein Kartenspiel, schlugen ab und an auf den Stapel und Funken stoben lautlos in die Luft.

 

Es war ein ruhiger Abend. Allerdings fehlte Rose. Lily wusste nicht, ob sie das erwartet hatte. Sie wusste, sie hatte ihrer Cousine weitaus mehr an den Kopf geworfen, als sie geplant hatte. Und sie hatte nicht angenommen, dass… es irgendetwas ändern würde, dass sie überhaupt zu Rose durchdringen würde, aber… vielleicht doch. Sie wusste, Scorpius war heute abgereist. Einige Slytherins hatten in der Halle darüber gesprochen. Sie wusste nicht, warum er gegangen war, aber dann wiederum würde heute auch niemand darüber sprechen.

Vielleicht hatte Rose es bereits beendet?

Und warum fühlte sich Lily dann nicht besser?

 

Vielleicht, weil sie nicht sehen konnte, wie Rose sich quälte, wie es sie mitnahm? Vielleicht, weil Rose sich nun distanzierte, es bevorzugte, nicht mehr bei ihnen zu sein? Und dann aber wollte Lily überhaupt nicht sehen, dass es Rose quälte! Sie wollte Demut im Gesicht ihrer Cousine erblicken. Sie wollte sehen, dass Rose einen Fehler gemacht hatte und es bereute. Sie wollte, dass… ihr Handeln etwas Gutes bewirkt hatte. Sie wollte nicht, dass die Familie zerfiel.

Und für das bloße Auge wirkte es heute wie ein gewöhnlicher Potter-Weasley-Abend. Alle waren da. Alle, bis auf Rose.

Aber niemand sprach es aus. Sie dachten sicher, Rose wäre nicht hier, wegen Albus. Und es konnte gut sein. Es war noch immer unangenehm. Ihn zu sehen, zu wissen, dass er abgehauen war – zu wissen, was er gesagt und getan hatte, und es war natürlich, dass Rose ihm aus dem Weg gehen würde, oder?

Und musste sie, Lily, eigentlich an Albus‘ Seite verbleiben? War es das, was sich für Familie gehörte? Dass sie einfach ertrug, wie scheiße ihr Bruder war?

James schien es zu tun.

 

„Wollen wir noch irgendwas machen?“ Es war Dom, die es fragte. Natürlich. Ihre Cousine war gänzlich unsensibel für so ziemlich alles Zwischenmenschliche. James hob den Blick.

 

„Was sollen wir machen?“, erwiderte er mäßig lustlos.

 

„Keine Ahnung“, rief Dom aus. „Aber hier zu sitzen und depressiv zu sein, zieht die Stimmung ziemlich runter, oder?“

 

„Vielleicht kannst du uns allen die Haare kämmen?“, schlug Louis bitter vor, und Wut zuckte über Doms Gesicht.

 

„Ich finde es ganz angenehm so“, mischte sich Vic eindeutig ein. Roxy gähnte wieder laut.

 

„Wo ist Rose?“, wollte ihre junge Cousine mit fragendem Blick wissen, und Rumer schien aus freundschaftlichen Gründen antworten zu müssen.

 

„Ich denke, sie lernt“, murmelte sie. Roxy zog die Nase kraus.

 

„Seit wann?“ Tatsächlich war an ihrer kleinen Cousine das meiste Drama vorüber gegangen. Sie wusste, dass Albus verschwunden war, aber sonst wusste sie nichts. Und es war dennoch eine berechtigte Frage.

 

„Seit…“, begann Rumer, „seit einer Weile“, schloss sie etwas ratlos. Abwesend fiel Rumers Blick zurück ins Kaminfeuer, und Roxy verschränkte unzufrieden die Arme vor der Brust, während Dom mit mehr Kraft als nötig die Spitze des Kamms in Roxys krause Locken piekste, um sie zu ordnen.

 

„Sie ist bestimmt bei Presley“, schloss Dom einfältig, wie sie war. „Wer lernt schon samstags?“, ergänzte sie bloß.

 

„Höchstwahrscheinlich Hugo“, warf Fred konzentriert ein, schlug eher als Louis auf den Stapel an Karten und stieß einen triumphierenden Pfiff aus, als die Funken sprühten.

 

„Ja. Hugo weiß auch nicht, wie man seine Freizeit sonst anders verbringen kann“, spottete Dom bitter, und Lily merkte, wie Rumers Körperhaltung angespannter wurde.

 

„Müssen wir über Hugo reden?“, entkam es Albus kurz angebunden, und Lily glaubte, es war das erste, was er heute Abend sagte. Seine Stimme klang genervt.

 

„Nein, wir können über deine große Flucht reden“, schlug Louis mit einem feinen Lächeln vor, und klarer Spott schwang in seiner Stimme mit.

 

„Mhm. Oder ich polier dir die Fresse?“, schlug Albus kalt vor, und Louis‘ Mundwinkel zuckten freudlos.

 

„Ach, hört schon auf!“, beschwerte sich James gereizt. „Vielleicht behältst du deine verdammten Fäuste mal bei dir, zur Abwechslung?“, wandte er sich an seinen Bruder, Wut in der sonst ruhigen Stimme. Albus‘ Blick fiel tatsächlich auf seine Hände, und er sagte gar nichts mehr.

Wieder fiel das depressive Schweigen über ihre Gruppe, nur Dom wirkte etwas zorniger, als vorher. Merlin, es herrschte ein schreckliche Stimmung. Lag es daran, dass Rose fehlte? War es wirklich so einfach?

Die Uhr tickte wieder schrecklich laut, und die meisten Erstklässler verabschiedeten sich voneinander, verschwanden die Treppe nach oben, und Roxy löste ihren Schneidersitz, bedankte sich bei Dom und winkte ihnen gähnend zum Abschied.

 

Das Portrait schwang auf, und Lily beobachtete, wie Ginnifer zu ihnen kam. „Vic, wollen wir hoch?“ Ihre Wangen waren gerötet, und wahrscheinlich gab es wieder irgendeinen Tratsch und Klatsch zu erzählen. Vielleicht hatte Ginnifers Freund der Hufflepuff-Kapitän Julien Beckett endlich seine Scheu überwunden und mit ihr geschlafen? Vic hielt nicht viel davon, Geheimnisse für sich zu behalten.

 

„Klar“, sagte Vic schlicht, schien sich von der depressiven Stimmung hier nichts anzunehmen und schenkte ihnen allen keinen Blick mehr. „Es war so schrecklich heute Abend, ich dachte, ich sterbe noch“, sagte sie lediglich, als sie sich erhob, kurz ihre Nägel prüfte und den Zauberstab einsteckte.

 

„Kann ich mit euch kommen?“, bat Dom sie, als wäre es auch für sie nichts weiter als grauenhaft gewesen, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Vic tauschte einen Blick mit Ginnifer, und diese nickte irgendwann entnervt.

 

„Wenn’s sein muss“, räumte Ginnifer achselzuckend ein, und dankbar ging Dom vor.

 

„Nacht, Kinder“, verabschiedete sich Vic nachsichtig von ihnen, und vertiefte sich bereits leise ins Gespräch mit Ginnifer.

 

„Ich glaube…, ich gehe auch ins Bett“, sagte Rumer schließlich mit dumpfer Stimme. James erwachte aus seiner Starre.

 

„Wirklich?“, wollte er knapp wissen, aber Rumer nickte bloß und erhob sich. „Ich… ich bringe dich noch zur Treppe“, bot er hastig an, erhob sich ebenfalls und Rumer verabschiedete sich nicht von ihnen. Albus sah James beinahe verstohlen nach, bevor sein Ausdruck grimmiger wurde. Er schien keinen guten Abend zu haben. Aber Lily wüsste auch nicht, warum er das sollte.

 

Dann tat sie etwas, was sie… noch nie getan hatte, im Beisein ihrer Familie. Aus ihrer Rocktasche holte sie ihre Brille hervor, setzte sie umstandslos auf ihre Nase und griff sich das Buch, was sie in der Sesselfalte deponiert hatte. ‚Rennbesen und die richtige Pflege‘. Ihr Dad hatte es ihr mal geschenkt. Es war Jahre her. Aber sie mochte die Bilder der Besen, und ihr gefiel, dass sie bald genug gespart hatte, um sich eines der teureren Modelle leisten zu können.

Sie spürte Albus‘ Blick, als sie sich demonstrativ in die ersten Seiten vertiefte.

 

„Lily kann lesen“, entfuhr es Louis anerkennend. „Aber vielleicht ist deine Lesestärke nicht die Beste. Weißt du überhaupt, wie man Quidditch buchstabiert, Lils?“, wollte er spöttisch wissen. Und ohne aufzusehen, antwortete Lily, innerhalb einer Sekunde.

 

„Q-U-I-D-D-I-T-C-H. Weißt du noch, wie man Tore schießt, Louis? Oder liegt es daran, dass du die rechte Hanglange deines Besens zu sehr strapazierst, weil du die linke Flankendeckung auch nach sechs Jahren noch nicht beherrschst?“, entgegnete sie, und dafür, dass dies ihre ersten Worte heute Abend waren – war sie ziemlich stolz auf sich. Fred ließ wieder einen Pfiff durch die schmale Lücke seiner Vorderzähne ertönen, und Lily musste den Blick nicht heben, um zu wissen, dass Louis‘ Grinsen verflogen war. Niemand kritisierte Louis. Aber ihr war es herzlich egal.

 

„Verdammt, Louis. Die kleine Lily hat dich durchschaut“, lachte Fred rau auf.

 

„Halt die Klappe, und spiel!“, verlangte Louis gereizt und schlug härter als nötig auf den Kartenstapel. Lily verbarg ihr feines Lächeln hinter dem Rennbesenbuch. Sie spürte Albus‘ Blick deutlich, aber sie sah ihn nicht an. Ihr Herz schlug schnell. Sie widersprach nie, äußerte sich eigentlich auch nie, aber… seit einigen Tagen, seit der Aussprache mit Rose, war etwas mit ihr geschehen. Sie spürte nicht mehr den Drang, sich zu verstecken. Ihre Neigungen… zu verbergen. Und sie brauchte dringend Ablenkung, denn… sie fühlte sich schlecht wegen Rose. Aber sie wollte darüber jetzt nicht nachdenken.

Da las sie lieber in aller Öffentlichkeit Quidditch-Bücher und trug ihre Brille zur Schau.

 

Und das mochte schon was heißen.

 

 

 

 


         Sie bugsierte seinen riesigen Körper durch das Portrait. Er war ätzend schwer und lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht auf sie. „Wem wolltest du damit was beweisen?“, fuhr sie ihn gepresst an, aber er reagierte kaum. „Hugo!“, ermahnte sie ihn und lehnte ihn neben das Portrait, als sie endlich wieder im Gemeinschaftsraum waren. Die anderen betrunken Mitschüler strömten ins Innere, und Sutter hielt neben ihnen an. Das Grinsen in seinem Gesicht entblößte seine weißen Zähne im fahlen Mondlicht, das durch die tiefen Fenster fiel.

 

„Kümmer dich gut um ihn“, sagte Sutter lallend, und verschwand lachend mit dem übrigen Quidditchteam.

 

„Hm?“, entfuhr es Hugo zusammenhanglos, und blinzelnd öffnete er die Augen.


„Du verträgst nicht einen einzigen Shot!“, entfuhr es ihr zornig. „Wieso musstest du mit ihnen mithalten? Du hattest mir gesagt, du hast überhaupt keine Zeit, auszugehen“, fuhr sie zornig fort, aber es machte kaum Sinn, denn sie glaubte nicht, dass Hugo ihr überhaupt zuhörte. „Weasley!“, knurrte sie wütend, und endlich öffnete er die Augen. Das Blau war sehr dunkel und seine sonst allgegenwärtige Intelligenz hatte sich über die letzten Stunden komplett verabschiedet. Die letzten Mädchen verabschiedeten sich kichernd von ihr, schlugen ihr vor, Hugo auf dem Teppich liegen zu lassen, aber Cara hatte sich nicht so sexy angezogen, die Haare nicht umsonst stundenlang geglättet und mit Glanz-Zaubern bearbeitet, um Hugo Weasley auf dem Teppich abzulegen. Sie erwartete eine ordentliche Verabschiedung von ihm.

 

Und dann waren sie die letzten im Gemeinschaftsraum.

 

„Wieso lässt du dich von Sutter überreden, so viel zu trinken?“, wollte sie wieder wissen, konnte ihren Ärger nicht zügeln, denn alles, was sie von Hugo heute bekommen hatte, war ein flüchtiger Blick, bevor Sutter ihn komplett in Beschlag genommen hatte.


„Ich werde Schulsprecher“, lallte Hugo, als ergebe es Sinn.


„Aha? Soll das deine Entschuldigung sein?“, fragte sie ihn direkt, und Hugo blinzelte überfordert.

 

„Hm?“, machte er wieder, und Cara schlug ihn vor die Brust.

 

„Du sagst unsere Verabredung ab, und dann kommst du doch und betrinkst dich mit Sutter Huxley!“, fuhr sie ihn wütend an. „Siehst du überhaupt den Aufwand, den ich betrieben habe?“ Sie hatte geglaubt, auf Hugo Weasley zu setzen, wäre eine sichere Wahl gewesen. Er wirkte nett, lieb, klug – alles, was diese Quidditch-Vollidioten eben nicht waren! Und jetzt stellte sich heraus – Hugo war genauso! Nur dass er nicht mal Quidditch spielte! Er zwang sich, zu blinzeln, sie näher zu betrachten.

 

„Du bist… sehr hübsch“, rang er sich mühsam die Worte ab. Sie verdrehte die Augen.

 

„Spar dir das, Hugo“, warnte sie ihn. Betrunken hob er die Hand zu ihrem Gesicht. Kühl legte sie sich über ihre Wange.

 

„Du bist… verflucht heiß“, flüsterte er rau, und jetzt entschied er sich, aktiv zu werden. Er senkte den Kopf zu ihr hinab, und seine Lippen fielen unbeholfen auf ihren Mund. Er war zu betrunken, um Dimensionen noch richtig einzuschätzen, und die scharfe Note des Alkohols traf ihre Zunge. Sie zog die Luft ein, wollte sich zurückziehen, aber seine Hand schlang sich um ihren Nacken, und schon öffneten seine Lippen die ihren. Caras Augen fielen zu, als Hugo seine Zunge in ihren Mund schob. Es zog in ihrer Mitte, und er wirkte mit einem Mal nicht mehr sonderlich betrunken. Seine Bewegungen gewannen an Fokus und Ziel, und sein Arm schlang sich um ihre Taille, zog sie näher an sich. Sie trugen noch die verdammten Umhänge, und Cara wurde merklich heiß.

 

Mit Gewalt machte sie sich von ihm los, und seine Augen waren dunkler geworden. Ohne ihn aus dem Blick zu lassen, öffnete sie ihren Umhang, und kurz fuhr sein Blick über ihre Gestalt, die er im Mondlicht bestimmt nicht sonderlich gut ausmachen konnte. Der Alkohol schien ihn aber gänzlich zu enthemmen, und seine Hand legte sich auf ihre Taille, fuhr über den seidigen Stoff ihres kurzen Kleides, wanderte höher, und sein Blick fiel auf ihre Körper, als er am Ansatz ihrer Brüste angekommen war. Ihr Herz schlug mittlerweile schnell, und sie mochte das Gefühl seiner langen Finger. Sein Atem ging flach, als sie ihn nicht aufhielt, als sie ihm gestattete, höher zu wandern. Seine Hand legte sich über ihre Brust, und sie atmete mit geöffnetem Mund.

Sie griff in seinen Pullunder und zog ihn zu sich, küsste ihn hart, und er stöhnte unterdrückt in ihren Mund.

Sie war erfahren genug, um zu wissen, dass sie einen direkten Effekt auf ihn hatte. Und sie nahm an, er war letztendlich doch nur wegen ihr mitgekommen.

Ihre Hand legte sich über seine Brust und glitt tiefer, bis sie seinen Hosenbund erreichte. Hart massierte er mittlerweile ihre Brust, und dann presste sie ihre Hand flach gegen seine Erektion. Sie pulsierte seit einer ganzen Weile in seiner Hose, und wieder stöhnte er in ihren Mund, und mit fahrigen Fingern fand er die Knopfleiste des teuren Kleides. Mit einer Hand öffnete er den ersten Knopf, während seine andere Hand sie gegen seinen Körper presste.

Er öffnete den zweiten Knopf und beim dritten war er sehr ungeduldig. Er schob den Stoff zur Seite, um wieder ihre Brust zu finden. Diesmal schob er zitternd den Stoff des BH zur Seite, und fast ehrfürchtig fuhr seine Hand über ihre bloße Brust.

Ihr Nippel war bereits hart, und es machte sie wahnsinnig, dass sein Daumen wieder und wieder darüber strich. Sie löste den Kuss, griff in seinen Nacken und presste seinen Kopf tiefer. Ihr Kopf legte sich zurück, und reichlich spät, schien er zu begreifen.

Mit flachen Atemzügen fielen seine Lippen auf ihre Haut, küssten ihr Schlüsselbein, bevor sie tiefer wanderten und sich zitternd um ihre harte Brustwarze schlossen. Sie stöhnte leise zur Bestätigung, und zuerst leckte seine Zunge vorsichtig, bis er begriff, dass es ihr gefiel, und dann biss er sanft zu.

Ihre Hände hatten mittlerweile seine Hose geöffnet, und sie war bereit, ihm zu zeigen, was er haben könnte, würde er ihr Freund sein.

Die Idee, einen Weasley zu haben – und dann noch den intelligentesten der Heldenkinder – erregte sie immens. Es ging natürlich nicht nur um Ansehen und den Ruf, aber es half, dass Hugo Weasley große Schuhe füllte.

Nebenbei war er wirklich niedlich. Und sein Penis war… erstaunlich groß.

 

Sein Atem ging unfassbar schnell, und er löste sich von ihrer Brust, als sich ihre Hand erfahren um seinen Schaft schloss. Sein Rücken streckte sich durch, und sein Kopf fiel zurück gegen die Wand hinter ihm. Laut gingen seine Atemzüge jetzt, und mit dem Daumen rieb sie über seine geschwollene Spitze, als der erste Lusttropfen seinen Schwanz verließ. Presley hatte es gemocht, wenn sie das tat, und es schien bei Hugo nicht anders zu sein. Er biss sich auf die Lippe, um sich vom Stöhnen abzuhalten, und mit einem feinen Grinsen ging sie vor ihm auf die Knie. Das Parkett des Bodens war hart, aber es war nicht sonderlich schlimm.

 

Merlin, es schien ihn die größte Anstrengung zu kosten, nicht laut zu stöhnen. Es war fast witzig. Und sie genoss seinen animalischen Laut, als sie sich auf den Knien nach oben reckte, und sich ihre Lippen um seine harte Eichel schlossen. Sie leckte über die Spitze, und sah, seine Hände schlugen flach gegen die Wand neben sich.

 

„Scheiße!“, entfuhr es ihm rau, und kurz musste sie lächeln, aber es war reichlich schwer, mit ihm in ihrem Mund. Sie konzentrierte sich stattdessen, griff um seine Länge und begann, ihn zu verwöhnen, langsam zu pumpen, und sie wechselte ab, zwischen liebkosen, lecken und beißen seiner Spitze, bis hin zur Aufnahme seiner Länge, soweit sie konnte. Es klang, als renne er den Marathon, so schnell ging sein Atem. Seine Spitze stieß gegen ihre Kehle, und fahrig griff seine Hand in ihre Haare. Seine Bewegungen wurden ruckartig, aber sie arbeitete gegen ihn, so dass er sich nicht einfach in ihren Mund rammte.

Schneller saugte sie ihn in ihren Mund, übte mehr Druck aus, und er zitterte über ihr. Sie wusste, er war kurz davor, und ein letztes Mal, lockerte sie ihren Kiefer und nahm seine Länge bis zur Kehle auf. Er fluchte unanständig, sie hatte es noch nie zuvor gehört, dass er solche Worte benutzte, und dann bockte er unkontrolliert nach vorne, noch tiefer in ihren Mund. Sie schloss die Augen, atmete durch die Nase, und schluckte die zähen Stöße an dicker Flüssigkeit direkt.

 

„Rumer!“, rief er heiser aus, und Cara hatte Mühe den letzten Rest seines Samens zu schlucken, bevor sie den Kopf zurückzog. Was hatte er gesagt?! Das war jetzt nicht sein verdammter ernst!

 

Vom Boden her sah sie zu ihm auf, und sein Blick fiel vollkommen befriedigt auf ihr Gesicht. Zornig kam sie auf die Beine, wischte sich angewidert den Mund ab und starrte ihn an.

 

„Was?“, zischte sie zornig, und er blinzelte überfordert, aber allmählich schien es ihm zu dämmern. Sein Gehirn schien langsam wieder zu arbeiten. Er stand vor ihr, absoluter Schock auf seinen Zügen, während sein schlaffer Penis aus seiner Hose hing.

 

„N-nein“, entfuhr es ihm heiser. „Ich… ich…“

 

„Fick dich, Hugo!“, entfuhr es ihr wütend und sie bückte sich nach ihrem Umhang. Hastig verschloss er fluchend seine Hose, und folgte ihr.

 

„Cara, warte!“, brachte er verzweifelt hervor, aber sie lief kopfschüttelnd voran. „Es… es tut mir leid! Ich… wollte nicht…!“ Aber sie bog ab, nahm zwei Stufen auf einmal, und sie wusste, er konnte ihr ohnehin nicht folgen, sobald sie die Treppe zu den Mädchenschlafsälen genommen hatte. Sie hörte seine verzweifelte Stimme, aber sie war zu wütend, um sich umzudrehen. Um überhaupt noch mit ihm zu reden!

 

Ja, manchmal redeten Männer Stuss, wenn sie kamen – aber das? Das war die Höhe! Wie konnte er! Wie konnte er an Rumer MacLeod denken, während sie seinen Schwanz im Mund hatte? Während sie ihm einen erstklassigen Blowjob lieferte?! Er hatte an sie zu denken! Nur an sie! Was für eine Beleidigung!

Wahrscheinlich bedeutete es nichts, sagte sie sich, während sie sich zwang, nicht zu weinen. Vielleicht… dachte er einfach nur so an Rumer?

Aber… sollte er nicht an sie denken? Nur an sie? Vor allem, wenn er kam?

 

Cara flüchtete sich ins Bad. Hätte sie sich auf Louis Weasley konzentrieren sollen? Wäre er erfahren genug, ihren Namen zu stöhnen und nicht den einer anderen? Aber Cara mochte Hugo. Und deshalb tat es besonders weh. Das hatte sie einfach nicht verdient.

 

 

 

Twenty-Four

 

Sie war spät ins Bett gegangen und sie war früh aufgestanden. Vor allen anderen. In der Halle aß sie ein ungestörtes Frühstück. Kein Gryffindor würde jemals um acht Uhr an einem Sonntag in der Halle sitzen. Alle Tische waren mäßig leer. Nur am Ravenclawtisch herrschte ein wenig mehr morgendliche Disziplin, aber Hugo konnte sie auch nicht entdecken.

Sie hatte es gestern nicht über sich bringen können, mit ihrer Familie, Zeit zu verbringen. Sie hatte Alby und Lily nicht sehen wollen. Hätte sie nicht sehen können. Denn sie brach ab und an in eigenartige Heulkrämpfe aus und musste sich sehr schnell in eine leere Toilette flüchten, um diese Anfälle unbemerkt zu überstehen.

 

Großen Hunger hatte sie nicht. Sie hatte gar nichts wirklich. Sie hatte keine Lust, mit irgendwem zu reden, wollte nicht mehr lernen, denn es lenkte sie nicht ab. Es war nur schwer und lästig, und sie konnte schlecht vor ihrer Familie so aussehen, als befände sie sich in irgendeiner unpassenden Trauer um einen Jungen, der nicht mal ihr Freund war. Rose wusste nicht, warum es so wehtat, warum es sie so traf, aber sie hasste das Gefühl.

 

Sie schob das Müsli von sich und erhob sich schwerfällig.

 

„Sehr früh wach“, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken, und erschrocken wandte sie sich um. Ihr Blick hob sich zu seinem Gesicht, und er sah gut aus. Ausgeschlafen, freundlich, und sie fühlte sich gleich noch schlechter.

 

„Hey“, brachte sie lächelnd zustande, und Presley fiel in Gleichschritt neben sie, als sie zu den Türen der Halle schritt.

 

„Wohin geht’s?“, fragte er sie interessiert, und sie nahm an, er war gerade erst gekommen, hatte noch nicht gefrühstückt, und sie draußen auf dem Korridor hielt sie inne.

 

„Ich… denke, ich drehe draußen eine Runde“, wich sie einer konkreten Antwort aus.

 

„Allein?“, wollte er mit gerunzelter Stirn wissen.

 

„Jaah, ich… habe ein bisschen nachzudenken“, erwiderte sie, so freundlich wie sie konnte. „Du… solltest frühstücken gehen“, ergänzte sie schlicht.

 

„Willst du mich loswerden?“, vermutete er lächelnd, und am liebsten hätte sie genickt. Aber das tat sie nicht.

 

„Nein, will ich nicht“, erwiderte sie lächelnd. „Aber…“, begann sie unschlüssig, und er vergrub die Hände in den Taschen.

 

„Aber ich habe überhaupt keinen Hunger“, wand er ein, und sie wusste nicht, ob er log. Sie hätte morgens Hunger. Und er garantiert auch.

 

„Presley“, begann sie entschuldigend, aber er hob die Hände.

 

„Wie wäre es, wenn wir zusammen eine Runde drehen? Und wenn du meine Anwesenheit absolut verabscheust, dann… verschwinde ich, zwinge mich, zu frühstücken. Wie klingt das?“, wollte er grinsend wissen, und es klang absolut furchtbar.

 

„Ok?“, räumte sie unsicher ein, und er schritt voran zu den Toren. Sie zog ihre Jacke enger um sich, und hoffte, Presley fror in seinem Pullover nicht. Er wirkte einigermaßen dick, aber nicht dick genug, um draußen spazieren zu gehen. Er hielt ihr das Tor auf, und Rose folgte ihm seufzend.

Die Luft war angenehm kühl, beruhigte ihren Kopf, und wiedermal hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wie sie aussah.

 

„Es nimmt dich mit? Die Sache mit Albus?“, wollte Presley verständnisvoll wissen, und es wäre wohl einfacher, zu lügen. So halbwegs zu lügen.

 

„Jaah“, bestätigte sie träge.

 

„Verstehe ich. Wenn… wenn du darüber reden willst, dann… können wir das gerne tun“, schlug er ihr vor. Sie hatten nicht mehr gesprochen, seitdem sie zusammen ausgegangen waren. Es kam Rose so vor, als wäre es Monate her. Es war so viel passiert seitdem. Viel zu viel. „Rose?“, erinnerte er sie, und ihr fiel auf, sie hatte nichts gesagt.

 

„Ich… ich muss nicht reden. Danke“, räumte sie ein. Presley blieb stehen, als sie gerade auf mittlerer Höhe zum Quidditchfeld waren.

 

„Ich weiß, ich bin… nicht deine Familie, und mir steht es nicht zu, da eine Meinung zu haben, aber ich denke, es ist sehr wichtig, dass du über deine Gefühle sprichst, Rose“, erwiderte er ernst. Sie verzog den Mund. „Und… nicht mal mit mir!“, ergänzte er hastig. „Mit… mit irgendwem, Rose! Vielleicht mit… Rumer. Oder mit Lily?“, schlug er jetzt vor. „Sowas kann… sehr schwierig sein. Und Dinge nicht auszusprechen, macht es selten von alleine wieder gut.“

 

Er hatte Recht mit vielen, was er sagte. Aber es ging nicht um Alby. Es war nicht so ein Problem. Natürlich schon, aber… es belastete sie nicht so sehr, wie es die Sache mit Scorpius tat. „Rose?“ Wieder sagte er ihren Namen. Sie seufzte auf.


„Ich weiß, du hast Recht, aber… ich…“

 

„Aber du?“, griff er ihre Worte fragend auf, und sie mied seinen Blick.

 

„Es geht nicht nur um Alby“, gab sie ihm eine ausweichende Antwort.

 

„Hat das… irgendwas mit Scorpius zu tun?“, wollte er wissen, aber er fragte beinahe vorsichtig. Ihr Blick gefror. Langsam sah sie ihn an.

 

„Was? Was meinst du damit?“ Sie hoffte, sie klang nicht defensiv. Er schien kurz zu hadern. Aber irgendetwas schien ihn ausatmen zu lassen.

 

„Albus hat… Scorpius verprügelt. Vor einigen Tagen“, ergänzte er, als sich Roses Augen weiteten. Sie konnte es gar nicht verhindern. War es ihr aufgefallen? Sie hatte geglaubt, Scorpius‘ Auge wäre leicht geschwollenen gewesen, aber sie war sich nicht sicher, ob es stimmte, oder ob es das Licht gewesen war. Sie hatte es wieder verdrängt. „Ich… habe ihn geheilt, und… Albus sagte mir, er hätte ihn auf dich angesprochen, aber… es ergibt nicht so viel Sinn. Ich meine…“ Er tat sich schwer mit den Worten, und unbewusst atmete Rose fast erleichtert aus, bei dem Gedanken, dass Scorpius schnell geheilt worden war und keine großen Schmerzen haben musste. „Ich weiß, Albus hat eine kurze Zündschnur, und klar will man auf seine Laster wohl nicht angesprochen werden, aber…“

 

Rose hielt den Atem an. „Es sah für mich nach etwas anderem aus“, schloss er schließlich, und sein Blick fiel. Sie war sehr schockiert. „Ich meine“, fuhr Presley unschlüssig fort, kämmte sich durch die dunkelblonden kurzen Haare und richtete den Blick in die Ferne, „Scorpius macht mit Dom Schluss, und… plötzlich kommt Albus wieder und… rastet aus. Dann reist Scorpius ab, du… bist völlig fertig?“ Es endete als Frage, und Rose wusste, sie musste ziemlich sparsam dreinblicken. „Da… war mehr, oder?“ Er fragte sie so offen, dass sie schlucken musste. „Mit… mit Scorpius?“, ergänzte er, und ihr Mund öffnete sich überfordert.

Und wieder passierte es. Wieder hasste sie sich selber dafür, als sie die verdammten Tränen spürte. Hastig wandte sie sich ab, kehrte ihm den Rücken zu und heiße Tränen liefen über ihre Wange. „Rose?“, fragte er behutsam, aber sie schüttelte stumm den Kopf, hatte die Augen geschlossen und weinte nur heftiger. Er trat um sie herum, sie hörte es, und dann zog er sie in eine unbeholfene Umarmung. „Schon ok“, murmelte er bloß. Sie schluchzte gegen seine Schulter, und sie hasste, dass sie ausgerechnet in Presleys Umarmung weinen musste.

 

Aber… es tat so gut. Es tat wirklich gut. Sie wehrte sich nicht dagegen, lehnte sich gegen seine Schulter, und seine Hand strich zaghaft über ihren Rücken.

 

„Presley, es… es tut mir so leid“, flüsterte sie abgehackt, aber er schüttelte über ihr den Kopf.

 

„Hey, es ist ok. Ich…- es tut mir leid, wenn es dir schlecht geht. Bei euch ist alles… etwas komplizierter, aber… das ist nicht schlimm, Rose“, versicherte er ihr ruhig. Irgendwann fand sie die Kraft und löste sich von ihm. Sie wischte sich über die Wangen, und beschämt lächelte sie tatsächlich.

 

„Sorry“, wisperte sie leise. Presley schenkte ihr ein schiefes Lächeln.

 

„Kein Problem“, erwiderte er achselzuckend. „Kann… kann ich dich was fragen?“, entfuhr es ihm dann, und Rose nickte stumm. „Ich… ich will es gar nicht genau wissen, wirklich“, beteuerte er schnell, „aber… das mit Scorpius…- ist das… vorbei?“, erkundigte er sich vage bei ihr, einen Hauch Hoffnung im Blick. Schamesröte kroch wieder in ihre Wangen, aber hastig nickte sie. „Ja?“, vergewisserte er sich.

 

„Oh ja“, bestätigte sie rau, rieb sich energisch die roten Augen, um auch die letzten Tränen zu verbannen, denn das konnte sie bestätigen. Es tat alles weh, aber es war alles vorbei! Endgültig! Es hätte niemals sein dürfen!

 

„Und… besteht die geringste Chance, dass…“ Er zögerte, wusste nicht, wohin mit seinem Blick, und sie wusste, was er sie fragen wollte. „Unter Umständen…, dass… dass du und… ich…?“ Es fiel ihm wirklich schwer. „Ich meine“, begann er erneut, fuhr sich wieder durch die Haare, und fast war es nett, zu sehen, wie schwer er sich wirklich tat, „vielleicht hast du auch genug, von dämlichen Slytherins, die versuchen, dich zu beeindrucken, aber-“

 

„-Presley“, unterbrach sie ihn sanft, und er hob angespannt den Blick. Seine blauen Augen waren warm. Er war nicht perfekt. Er war nicht Alby, er war nicht Scorpius, aber… vielleicht war das genau das richtige. Vielleicht war es von Anfang an das richtige. Merlin, als Mädchen hatte sie oft genug seinen Namen heimlich in ihr armseliges Tagebuch geschrieben, was nicht viele Einträge beinhielt. Presley war ein hübscher Junge, und dazu war er noch nett und sehr weitsichtig, was ihre Probleme betraf, und es war die vernünftige Entscheidung.

 

„Ja?“ Seine Stimme klang atemlos. Und Rose überwand sich. Sie war auf dem Pfad, das richtige zu tun. Nicht mehr so viele Dummheiten zu begehen, und vielleicht brauchte sie das jetzt.

 

„Ich würde gerne mit dir ausgehen. Wenn du das noch willst“, überwand sie sich zu sagen, und spürte die Röte erneut. Sie war so unerfahren. Vielleicht nicht mehr so unerfahren in körperlichen Dingen – Dank Scorpius, dachte sie und Schmerz erfasste sie wieder. Aber sie war unerfahren in emotionalen Dingen. Darin, tatsächlich ihre Gedanken und Gefühle zu äußern.

 

„Ok“, entfuhr es ihm fast verblüfft. Er schien kaum noch damit gerechnet zu haben. „Sicher?“, fragte er vorsichtshalber, aber sie atmete tief ein, streckte den Rücken durch und zwang sich zu einem Lächeln.


„Ich… habe viele Fehler gemacht, und… ich weiß nicht mal, warum. Aber vielleicht… könnten wir es noch mal versuchen? Ich… mag dich“, sagte sie still, denn es stimmte. Presley war… wirklich nett. Eine wirklich gute Wahl. Und dass es ihre Mum vielleicht aufregen würde – war lediglich ein Bonus. Ihr Dad würde sich nämlich freuen. Vielleicht nicht freuen, aber Presley war ein Hüter, wie ihr Dad. Und Presley beleidigte sie nicht, ließ sie nicht zurück, und er wusste alles – und trotzdem… blieb er hier. Sie müsste absolut dumm sein, wenn sie nicht wahrnahm, Presley die Chance zu geben, die er verdiente. Niemand sonst bemühte sich um sie, wie er es tat. Niemand sonst.

 

 

 

 

Es war früher Abend, als ihn sein Vater absetzte, und Scorpius schämte sich noch immer für seinen Auftritt gestern. Er hatte sich nicht übermäßig entschuldigt, auch wenn sein Vater die vielen schlimmen Worte nicht verdient hatte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte. Sie hatten sich freundlich voneinander verabschiedet, und sein Vater war ohnehin schlecht gelaunt, weil er heute Abend in den Club musste, und seinem eigenen Vater gegenüber sitzen musste. Scorpius verstand das. Sein Großvater war ein unangenehmer Mann. Wirklich unangenehm.

Aber seine Laune sank erst, als er das Schloss betrat, wirklich zu einem ungeahnten Tiefpunkt. Auch von weitem erkannte er, dass Presley am Gryffindortisch saß. Und er saß neben ihr. Neben Rose. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber er sah, sie sprach angeregt mit Presley. Scorpius stand reglos in den Türen zur Halle und die Schatten schluckten ihn.

Presley zögerte nicht sonderlich lange. Aber vielleicht suchte Presley Roses Aufmerksamkeit auch die gesamte Zeit über, und erst jetzt, wo er, Scorpius, mal nicht im Weg war, funktionierten Presleys Annäherungen.

 

Wollte Rose das? War sie drüber weg? Scorpius spürte die bitteren Falten um seinen Mund. Er hatte keinen Hunger mehr. Der Anblick von Rose und Presley schlug ihm auf den Magen. Er hasste das. Dabei hatte er kein Recht, sauer zu sein. Presley hatte ihn geheilt, hatte ihn gedeckt, und er selber hatte nicht mal die Befugnis, Rose überhaupt anzusehen.

Sauer überwand er die Stufen nach unten in die Keller, wurde seine Tasche los, zog sich um, schnappte sich seine Unterlagen und verschwand in die Bibliothek. Nicht, dass ihn Zaubertränke von seinem Leid ablenken würde, aber dann musste er nicht im Gemeinschaftsraum sein, wo er hadern konnte, ob er Albus verfluchen würde oder nicht, und er musste nicht an die Halle denken, wo Presley und Rose sich einen verflucht netten Abend machten. Ohne ihn.

 

Er steuerte auf einen der Arbeitsräume zu, denn er wollte seine Ruhe haben. Und in der Tür zum äußersten Raum hielt er inne. Der Gurt der Tasche schnitt unangenehm hart in seine Schulter, aber es störte ihn jetzt gerade nicht.

 

Hugos Blick hob sich abwesend, nur um dann zu fokussieren, als er ihn erkannte. Scorpius‘ Blick musste so eindeutig sein, dass es keiner weiteren Worte bedurfte. Die Feder sank in Hugos Hand, und Scorpius atmete scharf durch die Nase aus. Wut erfüllte ihn über Hugo Weasley. Denn Hugo hatte es Al gesteckt, Hugo war Schuld an all diesen Ereignissen, und dass Hugo selber absolut beschissen aussah, tat zumindest oberflächlich sehr gut. Und immerhin hatte Hugo den Anstand, blass um die Nase zu werden.

Scorpius fragte sich zornig, was er Hugo eigentlich jemals getan hatte? Was genau es war, weswegen er verdiente, von diesem Idioten bestraft zu werden? Ja. Er hatte seine Schwester angerührt. Nicht nur das. Er… war verliebt in seine Schwester. Und verdiente dieses Gefühl eine solche Strafe? Anscheinend schon.

 

Sie hatten eine Menge hinter sich, dafür, dass sie keine Freunde waren und sich nicht leiden konnten. Dann atmete Hugo aus, und Scorpius war sich nicht sicher, was es bedeuten sollte, aber Hugo legte die Feder auf den Tisch, schob seine Unterlagen demonstrativ zur Seite, und… machte den Platz neben sich frei. Scorpius verharrte in der Tür und runzelte die Stirn. Hugo sah ihn eindeutig an. Und was war es? Klang eine leise Entschuldigung in seinen Augen mit? War es das, was der unangenehme Junge ihm zu vermitteln ersuchte? Scorpius‘ Kiefer arbeitete angespannt.

 

„Der Platz ist frei, wenn du willst“, sagte Hugo schließlich überflüssigerweise, und der Klang seiner Stimme kam Scorpius sehr bekannt vor. Sie war rau, wie es Stimmen für gewöhnlich nur nach Nächten voller Alkohol und schlechten Entscheidungen waren. Hugo Weasley schien eine rebellische Phase zu durchleben. Und es war ein eigenartiges Entgegenkommen. Anscheinend bereute Hugo, Albus Potter in seine kleinen Pläne eingeweiht zu haben. Und Scorpius verzog den Mund. Er hatte nirgendwo zu sein. Niemand vermisste ihn.

 

Mit starrem Blick betrat er den Raum stellte seine Tasche auf den Tisch und setzte sich schließlich auf den freien Stuhl neben Hugo. Anstatt seine Unterlagen auszubreiten, stützte er die Ellbogen auf den Tisch, und legte die Hand über seine untere Gesichtspartie. Seine Gedanken drifteten ab, und er war zu erschöpft, um sich mit Hugo ernsthaft anzulegen, ihm zu sagen, was er von ihm hielt. Und auch Hugo schien… darüber hinwegzusehen.

 

Scorpius fiel auf, dass Hugo nicht gearbeitet hatte. Alles, was auf seinem Pergament stand, waren Schimpfworte. Fast war es eigenartig amüsant, aber gleichzeitig auch sehr verstörend.

 

„Gutes Wochenende gehabt?“, fragte Scorpius eindeutig trocken, und Hugo ergriff die Feder, um weitere selbstgeißelnde Beleidigungen zu Papier zu bringen.

 

„Mhm. Ziemlich“, erwiderte Hugo neben ihm, ohne aufzusehen. „Selbst?“, gab er die Frage rau zurück, und Scorpius atmete lange aus.

 

„Hätte schlechter laufen können“, entkam es ihm bitter. Er sah, dass sich Hugos Mundwinkel freudlos hoben. Und mehr sprachen sie nicht. Scorpius begann, zu arbeiten, während Hugo selbstvergessen neben ihm verblieb und auf sein Pergament kritzelte.

Und fast fühlte es sich… nicht gänzlich furchtbar an. Nicht gänzlich… schlecht. Er wusste nicht, warum, aber Hugos Anwesenheit bot einen seltsamen Trost. Sei es auch nur, weil er Roses engster Verwandter war, und manchmal eine sanfte Ähnlichkeit durchblitzte, die Scorpius genoss. Sie waren keine Freunde, aber er hatte das Gefühl, sie waren auch keine direkten Feinde mehr.

 

 

 

 

Twenty-Five

 

Er saß neben Collin. Aber nur, weil kein anderer Platz frei war. Presley saß zum dritten Mal am Gryffindortisch diese Woche, und scheinbar fügte er sich nahtlos in die Gruppe. Es war nett, dass Rose Scorpius schnell ersetzt hatte. Wirklich super. Aber sie mit Presley zu sehen, fühlte sich genauso scheiße an.

Albus hatte erwartet, irgendwann die Retour zu bekommen. Irgendwann aufzuwachen, während Scorpius mit erhobenem Zauberstab über ihm stand. Aber das geschah nicht. Scorpius ignorierte ihn, als kannten sie sich nicht. Er sprach ab und an mit Collin, wenn dieser nicht aufhörte, Fragen zu stellen. Sie hatten immer über Collin gelästert, hatten ihn immer verabscheut, aber jetzt schien Collin die einzige Verbindung zwischen ihnen zu sein. Jetzt saß er zwischen ihnen.

Albus gab sich Mühe, nicht auf Scorpius‘ Stimme zu achten, wenn dieser Collin antwortete.

 

Und Albus hasste, dass er oft an Scorpius dachte. Er verbrachte seine Zeit mit James. Etwas, das er früher nie getan hatte. Nie gewollt hatte. Denn James war… langweilig. Viel zu nett. Er vermisste Scorpius. Und gleichzeitig hasste er ihn für so viele Dinge.

 

Die Eulen brachten die Post, und er hatte das Glück, mal keinen mahnenden Brief seiner Eltern zu bekommen – oder seiner Tante Hermine. Aber Tante Hermine antwortete er seitenlang, denn er hatte ein schlechtes Gewissen. Und er wollte nicht, dass sie glaubte, er würde sie nicht mögen. Er mochte sie. Sehr gerne. Manchmal lieber, als seine eigene Mutter.

Und ein Jagdfalke fiel in einen gefährlichen Sturzflug, stob durch die aufgehetzten Eulen, die lautstark mit den Schnäbeln klackerten, um einen ziemlich fetten Umschlag vor Scorpius fallen zu lassen. Er verfehlte sehr knapp das Müsli, und mit kräftigen Flügelschlängen und einem übertrieben lauten Schrei, verschwand der Jagdfalke wieder. Albus versuchte, nicht interessiert den Blick zu wenden, aber es misslang ihm. Collin bestürmte Scorpius mit Fragen, und Scorpius drehte den großen Umschlag um.

 

Albus riskierte einen sehr kurzen Blick in das Gesicht seines ehemaligen Freundes, und sah, dass sich seine Stirn gerunzelt hatte.

 

„Holden & Priestley?“, schien Collin vom Umschlag zu lesen. „Was ist das?“

 

„Eine Kanzlei“, entgegnete einer der älteren Slytherins von der gegenüberliegenden Seite des Tisches. „Mein Vater macht Geschäfte mit ihnen“, ergänzte Vincent Goyle, eine Spur zu überheblich. Er gehörte zu den Slytherins, mit denen Albus keinen Kontakt pflegte. Es hatte sich nie ergeben, und er glaubte, so liberal sein Vater auch war – der Name Goyle käme Zuhause nicht sonderlich gut an. Sein Dad hatte schon lange gebraucht, den Namen Malfoy zu verdauen. Aber… das war jetzt ja vorbei, dachte Albus dumpf und versuchte, nicht mehr zuzuhören.

 

„Warum schreibt dir eine Kanzlei?“, wollte Collin aufgeregt wissen.

 

„Halt den Mund, Collin“, knurrte Scorpius entnervt, und Albus senkte seinen Blick zurück auf sein halbgegessenes Toastbrot. Aber auch darin fand er keine Ablenkung.

 

„Du solltest ihn öffnen“, legte Goyle ihm interessiert nahe, aber Scorpius antwortete nicht. Es verging ein kurzer Moment, und dann schien er sich zu entschließen, den Umschlag aufzureißen. Unauffällig beobachtete Albus ihn wieder aus den Augenwinkeln, aber Collin lehnte sich jetzt sehr weit vor, um ebenfalls zuzusehen. Scorpius‘ Brief war wohl heute das aufregendste, was passierte. Vielleicht erwarteten alle, dass er verhaftet wurde. Oder… oder was auch immer.

Er zog einen Stapel an Papier hervor, und alles, was Albus erkannte, waren goldene Siegel, geschwungene Unterschriften, und eine Menge an kleinen Zeilen.

Scorpius schien sich zu vertiefen, und unhöflich wie Collin eben war, las er auch mit.

 

„Woah!“, entfuhr es Collin plötzlich, ein wenig heiser, und Scorpius zog die Dokumente hastig an seine Brust.

 

„Das Postgeheimnis sagt dir nicht wirklich etwas, oder?“, fuhr Scorpius ihn an, aber Collin reagierte nicht auf den Vorwurf.

 

„Was soll das heißen, du bekommst den Titel?“, wiederholte er scheinbar, was er gelesen hatte. Scorpius stöhnte gereizt auf.

 

„Was weiß ich!“, entfuhr es ihm gereizt. Aber der hilfreiche Goyle schien mehr zu wissen, als der Rest. Er tauschte einen knappen Blick mit seinen Freunde, die fast wohlwollend dreinblickten.

 

„Den Malfoy-Titel. Sein Vater hatte ihn ausgeschlagen. Und scheinbar bist du jetzt in direkter Linie dafür.“ Goyle klang so abartig zufrieden. Und Albus konnte nicht verhindern, zuzuhören, kurz Scorpius einen Bick zuzuwerfen. Denn anscheinend hörte auch Scorpius diese Dinge zum ersten Mal. Woher Goyle so etwas wusste, konnte sich Albus nicht erklären.

 

„Ach was?“, entfuhr es Collin, der sich gespannt auf die Ellbogen lehnte und quer über dem Tisch lag, um Goyle zuzuhören. „Da steht, er bekommt Kontenvollmacht!“, wisperte er begierig.


„Collin!“, fuhr Scorpius ihn zornig an, und immerhin senkte Collin beschämt den Blick. Goyles Mundwinkel hoben sich.

 

„Glückwunsch, Malfoy. Leute“, bemerkte er mit herrschendem Blick nach rechts und links, und die Siebtklässler, die ihm hörig waren, erhoben sich gleichzeitig. „Wenn du nach dem Spiel heute Abend nichts weiter zu tun hast, statte uns ruhig einen Besuch ab.“ Scorpius sagte gar nichts, blickte der kleinen Gruppe an elitären Wichsern lediglich nach, und Albus verfolgte den kleinen Trupp mit verengten Augen, als diese stumm die Halle verließen. Es gab eine Handvoll Slytherins in ihrem Haus, die sich von ihnen unterschieden. Nach dem Krieg waren viele der alten Reinblüterfamilien ausgewandert. Zumindest diese, die nicht verhaftet worden waren. Diese, deren Gold nicht für den Krieg zur Unterstützung Voldemorts draufgegangen war. Albus wusste, Scorpius‘ Großvater war in Askaban gewesen. Einige Jahre lang. Aber die Familie Malfoy hatte sich… freigekauft, wie Onkel Ron es nannte. Und sie waren in London geblieben. Ebenso wie die Goyles, die Dolohows, die MacNairs und die Zabinis.

Seit dem Krieg besuchten nicht nur Reinblüter dieses Haus, es war… alles sehr viel lockerer, und Albus war stolz, Teil davon zu sein, aber manchmal… klang die alte Tradition hier durch. Diese Schüler, die zum Urgestein der ehemaligen Elite gehörten, hatten ihren eigenen Club. Sie waren in der absoluten Minderzahl, und Albus konnte ihr Vermögen lediglich schätzen. Er wusste, Scorpius hatte Gold. Jede Menge davon. Aber Scorpius kehrte es nicht nach außen, hasste es, sprach nie von seinem Erbe oder von seinem Großvater. Aber scheinbar hatte ihn Vincent Goyle heute eingeladen, dem elitären Kreis beizuwohnen. Die Siebtklässler trafen sich im Trophäenzimmer, legten Bannsprüche auf die Tür. Es war… wie ihr Clubhaus, denn der Gemeinschaftsraum war ihnen zu mondän.

Presley gehörte nicht dazu. Sein Vater war ein klarer Gegner der Reinen Allianz gewesen, die vor einigen Jahren eine Partei gegründet hatten. Und auch Scorpius‘ Vater hatte sich sehr klar dagegen positioniert. Und das war alles, was Albus darüber wusste. Denn Scorpius interessierte sich nicht für Reinblüter und nicht für Gold.

 

„Scheiße. Die haben dich eingeladen!“, entfuhr es Collin kopfschüttelnd. „Gehst du dahin?“

 

„Halt die Klappe, Collin.“ Und es war Albus, der gesprochen hatte. Eher aus Versehen, als aus Absicht. Aber die Idee, dass Scorpius tatsächlich in Erwägung ziehen könnte, sich mit diesen Wichsern aus der siebten Klasse zu treffen, um über Titel und Gold zu reden, war vollkommen absurd.

 

„Du bist nur neidisch, dass sie dich nicht fragen!“, fuhr Collin ihn von der Seite an. Albus lachte freudlos auf.

 

„Du denkst, die Kriegssympathisanten und Söhne der Reinen Allianz wagen es, den Sohn von Harry Potter zu fragen?“, entkam es ihm herablassend – herablassender, als er es vorgehabt hatte. Er hörte selber, wie unfassbar hohl und scheiße es klang.

 

„Vielleicht darf ich dir meinen Titel anbieten, Lord Potter?“, sprang Scorpius sofort auf ihn an, und tatsächlich sprach er mit ihm. Albus‘ Blick hob sich so schnell, dass er sich mental dafür maßregelte. Scorpius‘ Stimme hatte sich stark abgekühlt. Aber er antwortete, weil er eben impulsiv war. Und scheiße.

 

„Als ob du dich mit diesen elitären Vollidioten treffen würdest!“, knurrte er praktisch, und sein Herz schlug schnell, weil Scorpius nach dieser ganzen Zeit mit ihm sprach, obwohl Albus es gar nicht wollte. Obwohl er einfach nur sauer auf ihn sein wollte.

 

„Doch neidisch?“, fragte Scorpius kalt, und Albus glaubte, er tat das mit voller Absicht. Und nein. Albus war nicht neidisch. Auf keinen von ihnen. Er war der bessere hier. Er war der Sucher-König dieses Hauses. Er war es, der Gryffindor und Slytherin verband. Scorpius selbst war mit seiner Cousine zusammen gewesen! Nein, er war auf nichts und niemanden neidisch! Es war genau umgekehrt. Aber so etwas sagte man nicht laut.

 

„Ja, sicher“, gab er eisig zurück. Scorpius erhob sich geschmeidig und ließ ihn nicht aus dem Blick. Wow. Absolute Ausgrenzung sprach aus Scorpius‘ kaltem Blick. Die grauen Augen abschätzend auf ihn gerichtet.

 

„Vielleicht ist es lohnenswert, dass ich mich mit ihnen treffe. Alleine um die überhebliche Visage eines Inzest-Kriegshelden-Kindes nicht mehr zu sehen. Wieso verpisst du dich nicht einfach an den Gryffindortisch und versteckst dich hinter James? Das kannst du doch besonders gut, Potter“, sagte er die Worte mit vollstem Ernst, und Albus biss die Zähne fest zusammen. Er wusste, er hatte Scorpius beleidigt. Und er wusste, es war nicht ok gewesen. Er hatte ihn beleidigt, ihn geschlagen, und er… hatte böse Dinge gesagt. Aber dass es ihm leid tat… würde er unter Folter nicht zugeben! Jetzt nicht mehr.

 

Albus erhob sich ebenfalls. Der ganze Tisch hielt den Atem an.

 

„Jaah“, entfuhr es ihm gedehnt. „Vielleicht gehe ich besser zu meinesgleichen. Und vielleicht bleibst du einfach bei deinesgleichen, Malfoy“, benutzte er seinen Namen so abwertend, wie er es nur von Onkel Ron gehört hatte. „Und ihr plaudert über die Dinge, über die ehemalige Todesser eben so plaudern, hm?“, setzte er noch einen drauf, und Wut brannte in Scorpius‘ Augen. Albus war sich nicht sicher, wer von ihnen schneller war, aber plötzlich standen sie außerhalb der Bank, und Scorpius hatte ausgeholt. Die Dokumente waren quer auf dem Boden verteilt, und Albus wehrte den Schlag ab, versuchte Scorpius in den Schwitzkasten zu nehmen, aber ein Schwall Magie riss sie auseinander.

 

„Schluss damit!“, donnerte Longbottoms Stimme zornig. Er kam zügig näher, und eigentlich war Professor Longbottom ihm freundlich gesinnt. Heute… allerdings wohl nicht. Sie atmeten beide schwer, funkelten sich an, aber der Protego hielt sie auf Abstand voneinander. „Fünfzig Punkte Abzug für Slytherin, weil Sie es für angebracht halten, sich in der Halle zu prügeln! Sie dürfen beide bei mir Nachsitzen. Mr. Malfoy kennt sich ja schon aus“, ergänzte er bitter. Albus hörte kaum zu.

 

„Sie… sind nicht unser Hauslehrer“, brachte Albus wütend hervor, denn er hatte keine Lust, Dreck zu schaufeln. Professor Longbottom lächelte ein böses Lächeln.

 

„Mr. Potter, da uns der unfähige Professor Ginty leider verlassen hat, können Sie sich glücklich schätzen, dass ich für Sie zuständig bin. Gerne lasse ich aber die Schulleiterin selber eine Strafe für Sie finden“, bot er ihm gönnerhaft an. Geräuschvoll knirschte Albus mit den Zähnen. „Nein?“, sagte Longbottom mit freundlicher Berechnung. „Gut, dann dürfen Sie beide morgen bei mir auf der Matte stehen. Sonnenuntergang“, ergänzte er warnend, ehe er kopfschüttelnd den Zauber löste und sich abwandte. Scorpius bückte sich wütend mit hochrotem Kopf nach seinen Dokumenten, und Albus stand unschlüssig vor ihm. Ihr Tisch schwieg betroffen. Albus sah Scorpius zu, wie er zitternd vor Zorn die Papiere in seine Tasche stopfte, und ohne einen weiteren Blick auf ihn aus der Halle stob.

 

Er erkannte seinen Bruder von weitem. Und lästigerweise folgte ihm Presley.

 

Die anderen mieden den Blick auf ihn, schämten sich höchstwahrscheinlich, und Albus schämte sich selber schon genug.

 

„Hey“, sagte James, sah ihm ins Gesicht, inspizierte ihn knapp, aber Albus sah ihn unzufrieden an.

 

„Irgendwelchen Ärger bekommen?“, wollte Presley sofort wissen. „Bist du suspendiert?“ Es ging um Quidditch. Bei Presley ging es meistens um Quidditch. Wenn es nicht neuerdings darum ging, seine Cousine anzufassen. Arschloch. Albus atmete aus.

 

„Nein, bin ich nicht.“

 

„Gut“, entgegnete Presley, aber sein Blick blieb steinern. „Und der Streit mit Malfoy findet sein Ende, hast du mich verstanden?“, fuhr Presley ihn ernster an. Albus‘ Mund öffnete sich protestierend, aber Presley zog ihn am Arm ein Stück zur Seite. Albus hasste, dass James zuhörte. „Ansonsten suspendiere ich Malfoy vom Team und sage ihm, es wäre deine Schuld. Also, reiß dich gefälligst zusammen!“, schloss er zornig, ließ seinen Arm los, und Albus schoss James einen wütenden Blick zu, denn dieser schien Presleys Verhalten sogar zu befürworten. Er hasste sie alle! Allesamt! Zornig wandte er sich ebenfalls ab, griff sich seine Tasche und verließ ohne ein Wort ebenfalls die Halle. Was für ein scheiß Morgen.

 

 

 

 

Hugo verharrte sehr kurz im Türrahmen als er Scorpius‘ unzufriedenem Blick gewahr wurde, aber dann wandte er sich wieder an Cara, die sich an ihm vorbeischob.

 

„Cara, warte!“, sagte er eindringlich, aber das Mädchen drehte sich zornig zu ihm um.

 

„Ich will nicht mit dir reden. Das habe ich doch schon klar gemacht, oder?“, fuhr sie ihn an, aber Hugo ergriff ihren Oberarm, während sich die Schüler an ihnen vorbei drängten.

 

„Lass es mich wenigstens erklären! Ich habe nicht-“

 

„-ich möchte gehen, Hugo“, warnte sie ihn ernst. Er atmete aus und ließ ihren Arm widerwillig los.

 

„Wir reden später, ja?“, rief er ihr nach, aber sie blickte nicht zurück. „Cara, ich finde dich später!“, rief er lauter, und er würde diese Sache klären. Er musste. Dann fiel sein Blick auf ihn. „Was wird das?“, fragte er Scorpius gereizt, aber dieser stieß sich vom Fenstersims ab. Seit wann kannte Scorpius seinen Stundenplan? Wieso fing er ihn nach Astronomie ab? Es störte Hugo, denn eigentlich wollte er mit Cara reden. Und er hatte heute Morgen die Auseinandersetzung mit Albus sehr wohl mitbekommen.

 

„Hast du kurz Zeit, oder musst du noch andere Mädchen belästigen?“, erkundigte sich Scorpius grimmig, und Hugo lächelte freudlos.

 

„Sehr witzig. Wirklich. Schade, dass Albus keine Lust hat, sich deine Witze anzuhören.“ Und dann biss sich Hugo auf die Zunge. Ja, und er selber war der Grund, dass Albus Scorpius verabscheute. Er vergaß es bereits wieder.

 

„Ja, bedauerlich“, bestätigte Scorpius sehr kalt. „Wirklich, Weasley.“ Hugo seufzte auf.

 

„Ich… ich hatte wirklich nicht gewollt, dass-“ Aber Scorpius hob warnend die Hand.

 

„-hör bloß auf! Spar dir deine Entschuldigungen für Cara auf“, unterbrach Scorpius ihn kopfschüttelnd. „Kannst du dir das mal ansehen?“ Er zog den ominösen Umschlag hervor, der heute so viel Tumult am Slytherintisch ausgelöst hatte, und Hugo konnte nicht verbergen, dass er milde interessiert war.

 

„Was ist das?“, fragte er knapp, aber Scorpius setzte sich in Bewegung. Hugo folgte ihm schließlich, und er wusste, die übrigen Schüler seines Hauses, sahen ihm skeptisch nach. Ein Ravenclaw und ein Slytherin. Eine unangenehme Verbindung. Aber er war interessiert.

 

„Ich denke, es ist eine Änderung des Testaments meines Großvaters. Es gab… eine Menge Streit, letzte Woche“, ergänzte er und verdrehte die Augen. In der nächsten Fensternische hielten sie inne, und Hugo zog den Stapel an Blättern aus dem Umschlag, setzte sich auf den Sims und überflog die Zeilen. Ach du großer Hippogreif! Seine Augen schlangen sich um die Zahlen, die Anlagen und aktiven Posten, die Scorpius unwiderruflich zugesprochen wurden. Und kurz war er mehr als verlegen, dass Scorpius ihm diese Unterlagen zur Einsicht anvertraute. Sie hatten in den letzten Tagen viel nebeneinander gelernt, und ihr Waffenstillstand war angenehm, aber das… war überraschend.

 

„Ja“, sagte er dann, mit belegter Stimme, „dein Großvater hat deinen Vater enterbt und dir das gesamte Erbe zugesprochen“, entkam es ihm heiser.

 

„Geht… geht das überhaupt?“, erwidere Scorpius mit weiten Augen.

 

„Ja. Bei euch geht das“, ergänzte Hugo fast etwas gedankenlos, während er den wirklich spannenden Erbvertrag las.

 

„Bei… uns?“, wiederholte Scorpius fast verständnislos, aber dann schien er zu begreifen. „Bei Reinblüter-Arschlöchern, meinst du?“, erläuterte er knapp, und Hugo verzog abwägend den Mund.

 

„Bei reichen Reinblüter-Arschlöchern, mit Titeln und Blutverträgen, ja“, bestätigte er knapp. Er nahm, dass so etwas bei den Malfoys ebenfalls Gang und Gäbe war. Ob Scorpius wusste, wie reich seine Familie war? Wie konnte er nachts überhaupt schlafen? Hugo würde es nicht können.

 

„Muss mein Vater es nicht unterschreiben? Kann mein Großvater ihn überhaupt übergehen? Ich meine-“

 

„-ich denke. Vielleicht nicht vollständig, aber… diese Anlagen hier – die…äh, Grundstücke, die Juwelen, die Verliese – all das, kann er dir vermachen. Dein Vater bekommt seinen Pflichtteil, mehr nicht. Und hier steht, dein Vater wollte den Titel nicht, deshalb… kannst du ihn vorzeitig haben.“

 

„Ich will ihn nicht!“, entfuhr es Scorpius nahezu sofort.

 

„Dann… schlag ihn aus“, entgegnete Hugo achselzuckend. Er kannte sich nicht sonderlich gut mit magischem Erbrecht aus, aber interessehalber hatte er vorheriges Jahr mal das eine oder andere Buch dazu studiert, denn es war ziemlich interessant, was die Reichen alles tun konnten – oder was sie verhindern konnten.

 

„Ok. Und… kann ich meinem Vater nicht… einfach alle anderen Sachen überschreiben?“, fragte er wieder, und Hugo hätte ihm gerne empfohlen, sich direkt an die zuständige Kanzlei zu wenden, aber er fühlte sich minimal geschmeichelt, dass Scorpius Malfoy mit buchstäblichen Millionen-Probleme ausgerechnet zu ihm kam.

 

„Es gibt… da ein Problem“, bemerkte er vorsichtig, während er an das Ende der Dokumente blätterte. Er überreichte Scorpius die letzte Seite, und mit gerunzelter Stirn las der ahnungslose Reinblüter vor ihm die uralte Regelung, von denen sich Hugo nicht mal sicher war, ob sie vor einem magischen Gericht noch Bestand haben würden. Aber bestimmt war Malfoy Senior mächtig genug, um so etwas durchzusetzen.

 

„Was… was heißt das?“, wollte Scorpius langsam wissen.

 

„Na ja“, begann Hugo unschlüssig, „vor hundert Jahren war es wohl Standard. Das ist die Stände-Klausel“, erklärte er knapp. Aber Scorpius schien dazu kein Wissen zu haben.

 

„Und was bedeutet das?“

 

„Das bedeutet, dass du deinem Stand gemäß heiraten musst“, half Hugo ihm eindeutig auf die Sprünge. Scorpius‘ Augenbraue hob sich entsprechend. „Ansonsten verfällt dieser Vertrag“, schloss Hugo.

 

„Was?“, entfuhr es Scorpius ungläubig.

 

„Das ist Absicherung der Reinblüter – ehrlich, wieso weißt du so was nicht?“, wollte Hugo von ihm wissen. „Deine Familie ist eine der ältesten, die-“

 

„-was soll das konkret heißen?“, unterbrach ihn Scorpius, vollkommen desinteressiert an Hugos Worten.

 

„Dein Großvater will hiermit sichergehen, dass du als Erbe würdig bist.“

 

„Und… wenn ich das nicht bin?“, fragte er sofort.

 

„Dann…“, Hugo überflog sicherheitshalber noch einmal die letzte Passage, „dann greift das Recht des Zweiten, und der nächste Erbe in horizontaler Folge bekommt den Zuspruch. Irgendeiner deiner Cousins, der sich an die Vorgabe hält, also.“

 

„Was?“, entfuhr es ihm. „Dann… sind mein Vater und ich enterbt?“, entkam es ihm.

 

„Theoretisch, ja. Ihr habt dann nur den Pflichtteil – der aber auch verdammt groß ist“, ergänzte Hugo knapp. Und dann zuckte er die Achseln. „Du könntest aber einfach standesgemäß heiraten, und-“

 

„-ich will nicht heiraten!“, beschwerte sich Scorpius direkt, aber Hugo verdrehte die Augen.

 

„Niemals?“, erkundigte er sich trocken.

 

„Was? Nein, aber nicht-“

 

„-du musst nicht nächstes Jahr heiraten, Merlin noch mal. Und denkst du ernsthaft darüber nach, mit eurer Tradition zu brechen?“ Hugo klang ein wenig ungläubig dabei. Scorpius runzelte die Stirn.

 

„Was soll das heißen?“

 

„Du… bist ein Malfoy? Dein Vater hat eine Reinblüterin geheiratet, dein Großvater, dessen Großvater – na ja…“, schloss Hugo eindeutig. Scorpius‘ Mund schloss sich entsprechend.

 

„Mir ist das egal“, entkam es ihm dann fast kleinlaut. Hugo betrachtete den Slytherin prüfend.

 

„Interessant“, sagte er lediglich.

 

„Was soll daran interessant sein?“, fuhr Scorpius ihn fast an.

 

„Nun, du… gehörst zu einer sehr schmalen Gruppe an reinmagischen Zauberern, die den Luxus hat, Multimillionen an Galleonen zu besitzen. Und das ist alleine daran gebunden, dass du… die Blutlinie aufrechterhältst.“ Scorpius runzelte die Stirn.

 

„Wie Voldemort von dir“, entgegnete er spitz. Hugo verdrehte die Augen.

 

„Oh bitte“, sagte er eindeutig. „Nur weil ich das Reinblüter-Konzept verstehe, heißt es nicht, dass ich es billige. Alles, was ich sage, ist, dass-“

 

„-dass du darüber nachdenken würdest?“, beendete Scorpius den Satz für ihn.

 

„Für Multimillionen? Ja“, machte Hugo es achselzuckend überdeutlich. „Übrigens wäre Dominique eine standesgemäße Wahl, nur um das in Perspektive für dich zu setzen“, ergänzte er mit Bedacht. Scorpius‘ Stirn legte sich in tiefe Falten. „Ihre Eltern kommen beide aus ahnenlangen Reinbüterfamilien. Es kommt nicht auf die persönliche Präferenz deines Großvaters an, sondern lediglich auf den Stammbaum.“ Scorpius‘ Gesichtsausdruck war für Hugo nicht zu deuten.

 

Er überreichte Scorpius wieder die Unterlagen. „Eigentlich ist eine standesgemäße Wahl leicht zu finden“, fuhr er nachdenklich fort. „Rumer wäre das. Cara wäre es übrigens auch-“

 

„-danke, Weasley“, entgegnete Scorpius mit Nachdruck.

 

„Oder Ginnifer, Destiny Flint, Allegra Fudge“, zählte er weiter auf.

 

„Ich habe es begriffen, Hugo“, wiederholte er eindeutig.

 

„Ok. Also, bevor du alles ausschlägst, solltest du-“

 

„-Rumer MacLeod um ihre Hand bitten?“, unterbrach er ihn, und Hugo verzog den Mund. „Wirklich?“, ergänzte Scorpius spöttisch. „Ich meine… mit meinen Multimillionen“, benutzte er Hugos Wort abschätzend, „würde sie vielleicht nicht mal nein sagen, hm?“, ärgerte er ihn eindeutig. „Ich meine, Pansy ist meine Patentante – es wäre… wirklich angebracht, wenn ich drüber nachdenke“, fuhr er gedankenverloren fort.

 

„Witzig“, sagte Hugo steif. Scorpius lächelte jedoch und steckte die Unterlagen wieder ein.

 

„Danke, Weasley“, wiederholte er dann. Er klang ziemlich aufrichtig. Dann hob sich sein Mundwinkel.

 

„Du… du wirst drüber nachdenken, oder?“ Hugo wusste nicht wirklich, warum seine Stimme hohler klang. Aber Scorpius vergrub die Hände in den Taschen und zuckte die Achseln.

 

„Ich denke nicht“, erwiderte er tatsächlich achselzuckend. Als wäre die Aussicht auf Multimillionen nichts Erstrebenswertes. Hugos Kiefer gab nach.

 

„Du… du denkst nicht?“, wiederholte er ungläubig.

 

„Reinblüter-Traditionen interessieren mich nicht. Wenn mein Dad nichts dagegen hat, schlage ich aus.“ Hugo starrte ihn an.

 

„Scorpius“, sagte Hugo entgeistert seinen Vornamen, denn er glaubte nicht, dass Scorpius gerade rational nachdachte.

 

„Mein Großvater kann auf seinen Millionen verrotten“, schloss Scorpius, fast schon amüsiert. „Ich will dich nicht weiter aufhalten“, schloss er nickend, und Hugo konnte ihn nur anstarren. Und für den unwahrscheinlich Fall, dass Scorpius solche Schritte tat, wegen… wegen seiner Schwester – wegen Rose! – dann… konnte Hugo nicht umhin, gänzlich beeindruckt zu sein. Er hatte sich persönlich schon Sorgen darüber gemacht, ob Rumer ihm überhaupt weitere Beachtung schenken würde, gerade weil sie Reinblüterin war und weil ihre Mutter eben sehr streng was, solche Dinge anging – aber… dass Scorpius ohne zu zögern auf all das verzichtete – und sei es nicht mal wegen Rose… - macht ihn in Hugos Augen zu einer vollkommen anderen Person. So hatte er ihn nie wahrgenommen. Scorpius war selbstloser als alle Potters dieser Welt. Und dabei war die neue Generation an Potters wohl schon alles andere als das.

 

„Scorpius“, rief er dann, und der blonde Reinblüter, ohne jedes Interesse am Reinblütertum, wandte sich zu ihm um. „Ich… stehe dir nicht mehr im Weg“, entkam es Hugo fast verblüfft. Scorpius‘ Stirn runzelte sich langsam. „Wenn du… sie noch willst“, ergänzte er stiller, denn jetzt gerade in dieser Minute, hatte sich Scorpius Malfoy mehr als würdig erwiesen, seine dämliche Schwester zu bekommen. Sofern es darum überhaupt noch ging. Und was sein Vater dachte, war Hugo ziemlich egal. Sein Vater hatte nicht immer Recht, und in Bezug auf Scorpius Malfoy lag er so weit daneben, wie es nur sein konnte. Und… er wollte, dass Scorpius das wusste. „Wenn… wenn dir das noch irgendwas wert ist“, schloss Hugo kleinlaut.

 

„Kommst du heute zum Spiel?“, fragte Scorpius ihn tatsächlich, und Hugo begriff nicht, wie er solange so blind hatte sein können. Scorpius hatte sich selbst um ihn kümmern wollen, als er das erste Vertrauensschülertreffen besucht hatte. Hugo hatte einen Fehler gemacht. Er sah es jetzt.

 

„Ich – ja“, bestätigte er nickend. Er wollte Dinge mit Cara klären. Er hatte ihr nicht wehtun wollen, vor allem nicht, da sie… da sie so zuvorkommend ihm gegenüber gewesen war. Und ehrlich gesagt, hatte es ihm mehr als gefallen. Rumer war nur in seine Gedanken geraten, weil er… betrunken gewesen war.

 

„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“, erkundigte sich Scorpius, als fiele ihm gerade etwas ein. Und Hugo wollte nicht mal ablehnen. Er wusste, wenn er Menschen etwas schuldig war – und Scorpius war er wohl mehr als nur etwas schuldig.

 

„Sicher“, war Hugos felsenfeste Antwort. Ihm gefiel diese neue Verbindung mehr, als er je angenommen hatte.

 

 

 

Twenty-Six

 

Es war ihr unangenehm, zu warten. Ausgerechnet vor diesem Zelt. Presley machte es ihr sehr einfach, war sehr geduldig, wollte sie nicht mal küssen. Er verbrachte einfach unverbindlich Zeit mit ihr, und seitdem verbrachte sie auch wieder mehr Zeit mit Rumer und James, mit Fred und Louis, und sogar Lily verhielt sich freundlicher, als vorher, obwohl Rose damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Mit Alby sprach sie immer noch nicht, genauso wenig wie mit Hugo, aber ansonsten… heilte sie gerade innerlich. Es tat gut, jemanden zu haben, mit dem sie gesehen werden konnte. Bei dem es kein Problem war, aus dem Gemeinschaftsraum zu verschwinden, um ihn zu treffen.

 

Und jetzt vertrat sie sich die Beine in der Kälte, da Presley sie gebeten hatte, vor dem Spiel gegen Ravenclaw noch mal vorbeizuschauen, ihm Glück zu wünschen, und sie hatte zugestimmt. Es war unschuldig genug. Aber ausgerechnet vor dem Slytherinzelt zu warten, war hart. Und sie tat es nur, weil Presley immer als erster umgezogen war, sein Team alleine ließ, damit sie sich ohne ihn motivieren konnten, über ihn lästern durften – was auch immer – und erst jetzt sah sie aus den Augenwinkeln, dass noch jemand zu warten schien.

 

Vor dem Ravenclawzelt stand… ihr Bruder?! Aber schnell schaltete sie, und glaubte, er würde wohl auf Cara warten. Sie hatte keine Ahnung, was zwischen beiden mittlerweile passierte, ob sie… zusammen waren? Wusste ihr Bruder überhaupt, was man mit einer Freundin zu tun hatte? Sie glaubte es nicht. Aber wer sie schon, solche Dinge zu denken. Als wüsste sie Bescheid! Dann traf sie sein Blick, und sie glaubte, sie hatte sich noch nie solange mit ihrem Bruder gestritten. Früher, in den Ferien hatten sie sich tagelang angeschwiegen, wenn er mal wieder lieber gelernt hatte, als ihrem Wunsch zu folgen, ihre Eltern zu überzeugen, dass Quidditchcamp eine super Alternative zu Urlaub bei den Großeltern war, aber natürlich war Hugo immer auf Mums Seite gewesen. Über so etwas hatten sie gestritten. Es war nie um etwas Ernstes gegangen.

 

Der Wind zerzauste seine Haare, und ehrlich gesagt, hatte sie nie geglaubt, dass Hugo sich tatsächlich mal um jemand anderen als sich selber kümmern würde. Dass er sich Mühe mit Cara gab, war… so eigenartig. Und kurz erfasste die Wut sie wieder, denn… um sie kümmerte er sich nicht. Sie verdrängt, dass sie es gewesen war, die Hugo ausgegrenzt hatte. Und jetzt erst bemerkte sie, dass er nicht seine Uniform trug. Das tat sie auch nicht, aber bei Hugo war… es fast schon eine Seltenheit, wenn er es nicht tat. Nicht mal das Vertrauensschülerzeichen konnte sie irgendwo entdecken, dabei machte er sich sogar die Mühe, es über seinen Mantel zu pinnen, wenn er einen trug. Er sah so… normal aus, dachte sie verwundert. Ihr Blick fiel, als es unangenehm wurde. Sie hatte es noch nie gut haben können, von Hugos Blick durchleuchtet zu werden.

 

Und nach einigem Zögern, setzte er sich tatsächlich in Bewegung und schritt unschlüssig auf sie zu. Und fast war sie mehr als dankbar, dass der Zeltvorhang zur Seite stob. Denn sie wollte nicht, dass Hugo den ersten Schritt machte, dass er ausgerechnet jetzt reden wollte. Aber bedauerlicherweise war es nicht Presley, der nach draußen trat. Es war Alby, und er sah reichlich wütend aus. Er war heute Morgen schon wütend gewesen. Sie hatte die Auseinandersetzung sehr wohl verfolgt, auch wenn sie so getan hatte, als interessiere es sie keinen müden Knut. Sie hatte heute an kaum etwas anderes gedacht.

Sein Blick fiel überrascht auf ihr Gesicht, und der Zorn auf seinen angespannten Zügen, legte sich unwillkürlich. Ihr Mund öffnete sich unschlüssig, und dann wanderte sein Blick weiter, traf Hugo, der mittlerweile neben ihr stand, und jedes Wort, was vielleicht Albys Lippen hatte verlassen wollen, gefror unausgesprochen. Und Hugo hielt Albys Blick stand. Irgendetwas war da vorgefallen, Rose spürte es.

 

„Presley kommt gleich“, sagte Alby schließlich verschlossen. „Ich nehmen an, du wartest auf ihn?“, ergänzte er, mit dem richtigen Maß an Herablassung. Als warte sie auf jemand anderen! Als hätte er das Recht, solche Behauptungen zu wagen.

 

„Ja“, entkam es ihr zorniger, als sie zunächst beabsichtigt hatte. „Ich warte auf Presley“, bestätigte sie kalt. „Garantiert nicht auf dich“, sagte sie bitter, und Alby hob die Augenbraue.

 

„Super“, spuckte er ihr entgegen.

 

„Ja!“, erwiderte sie giftig.

 

„Gut!“

 

Sie waren lächerlich, und Merlin sei Dank, verschwand Alby mit wütenden Schritten, Richtung Feld.

 

„Sehr erwachsen“, entfuhr es Hugo still, und Rose presste die Lippen aufeinander. Er sollte nicht so tun, als interessiere es ihn wirklich. Der Vorhang flog wieder zur Seite, und fast sank ihr Herz in ihren Bauch. Sie hatte ihn nicht vergessen, aber sie hatte nicht erwartet, dass er als nächstes das Zelt verlassen würde. Er wirkte gereizt, und fast überrascht, fasste er sie ins Auge. Seine Lippen teilten sich, und sie konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren und sofort kehrten die Erinnerungen zurück. Die Gefühle, der Geschmack seiner Lippen, und ihr Bauch zog unangenehm heftig, als sie an den Abend im Badezimmer der Vertrauensschüler dachte, wo er vor ihr gekniet hatte, und-

 

-bevor es schrecklich unangenehm wurde, und die Röte ihr ganzes Gesicht beherrschte, wandte er den Blick von ihrem Gesicht und betrachtete Hugo.

 

„Hey“, begrüßte er ihn tatsächlich.

 

„Hey“, erwiderte Hugo, nicht mal sonderlich unfreundlich. Was?!

 

„Du wartest auf Cara?“, vermutete Scorpius, und woher wusste er so etwas.

 

„Ja“, bestätigte Hugo tatsächlich.

 

„Presley kommt gleich“, gönnte er ihr leere Worte, ohne sie anzusehen, wie es auch schon Alby getan hatte.

 

„Ich weiß“, erwiderte sie gereizt, und jetzt traf sie sein Blick wieder. Schärfer als vorher.

 

„Kein Grund, mich anzufahren“, bemerkte er bitter, aber sie hatte Gründe genug. Sie wollte überhaupt nicht mit ihm reden. Es tat ohnehin viel zu weh. Sein scheiß Gesicht zu sehen, seine verdammte Nähe, die sie wahnsinnig machte. Sie hasste ihn! Das war das Gefühl. Sie hasste ihn so sehr, dass es wehtat! „Wegen später-“, wandte er sich nahtlos wieder an Hugo, aber Rose hatte genug davon.

 

„-seit wann redet ihr? Was soll das?“ Sie wusste, sprach eigentlich weder mit ihm, noch mit Hugo, aber es regte sie auf. Zuerst hasste Hugo ihn, drohte ihnen, ihre Affäre auffliegen zu lassen – und jetzt? Jetzt waren sie beste Freunde? Was zur Hölle – um es mit den seltenen Worten ihrer Mutter zu sagen!

 

„Geht dich das was an?“ Scorpius antwortete schneller, als Hugo es konnte.

 

„Er ist mein Bruder!“, spuckte sie ihm zornig entgegen.

 

„Ach ja? Und seit wann redest du wieder mit ihm?“, schlug er sie mit ihren eigenen Waffen. Und sie hatte seine Stimme fast vermisst. Nicht wirklich. Natürlich nicht wirklich.

 

„Das geht dich erst recht nichts an!“, rief sie, und ihre Fäuste zitterten an ihren Seiten. Oh, er machte sie so wütend! Die Ravenclaws verließen gesammelt das Zelt, und mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Hugo. Er schien Cara entdeckt zu haben.

 

„Ihr schafft das schon. Bis später“, verabschiedete er sich halbherzig von Scorpius, und Rose gefiel es nicht.

 

„Halt dich von meinem Bruder fern!“, warnte Rose ihn jetzt atemlos. Scorpius verschränkte belustigt die Arme vor der Brust.

 

„Weißt du, wie ironisch das ist?“, erkundigte er sich glatt bei ihr, und sein Kiefermuskel zuckte in sanfter Anspannung. Roses Augen verengten sich. Ja, vielleicht war es ironisch, aber sie brauchte jetzt wirklich nicht diese Verbindung zwischen Hugo und Scorpius. Sie erinnerte sich daran, dass ihr zweiter gemeinsamer Kuss, keine drei Meter weiter passiert war. Fast verloren sich ihre Augen in seinem Anblick, in den markanten Zügen seines Gesichts, und es zog in ihrer Mitte bei dem schlichten Gedanken, dass sie einfach nur ihre Hand heben musste, um sein Gesicht zu berühren. Und sie sah, dass sein Blick nicht nur ihre Augen fixierte. Er fiel, ruhte sehr kurz auf ihren Lippen, ihrem Körper, und ihr Atem ging flacher. Die Stimmung war so greifbar angespannt, sein Blick lud sich langsam auf, und am liebsten würde sie ihm das verdammte Quidditchjersey über den Kopf ziehen, und-

 

„-Rose.“

 

Jetzt verließ Presley das Zelt. Verdammt spät. Sie riss mit aller Macht den Blick von Scorpius‘ Gesicht los. Sie versuchte, sich zu sammeln, ihre Atmung zu beruhigen, die Röte in ihren Wangen irgendwie zu kontrollieren. „Alles ok?“, erkundigte sich Presley bei ihr, und kurz sah er Scorpius an.

 

„Lass dir hier nicht zu viel Zeit“, bemerkte Scorpius, und sie hörte auch an seiner Stimme, dass er nicht vollkommen beherrscht klang. Nein, ganz und gar nicht. Ihr Herz jagte immer noch, und sie zwang sich, Scorpius nicht nachzusehen, als er Richtung Feld marschierte. Meinte er sie oder Presley, fragte sie sich dumpf, obwohl sie wusste, seine Worte hatten Presley gegolten. Sein Blick aber ihr.

 

„Ist hier irgendwas passiert?“, wollte Presley sanft wissen, und sofort schoss Roses Blick in die Höhe.

 

„Was? Nein! Es ist gar nichts… passiert! Er ist… er ist einfach ein Arschloch!“, flüsterte sie tonlos.

 

„Hey, schon ok“, erwiderte Presley verblüfft. „Rose, was-?“ Aber sie wollte nicht reden. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte sich nicht rechtfertigen, und was sie als nächstes tat, war einfach nur der Katalysator ihrer inneren Gefühle. Sie schloss den Abstand zu ihm, überraschte sich selber etwas, aber diese angestaute Spannung, dieses verdammte Gefühl – sie musste es loswerden. Und so entging sie seinen unangenehmen Fragen. Sie griff in sein Jersey und zog ihn zu sich hinab, presste sich praktisch an ihn, und in massiver Ungeduld verschlossen ihre Lippen seinen Mund.

Sie hatte nicht geglaubt, dass ihr erste Kuss mit Presley geschah, weil sie so unfassbar sauer auf Scorpius war, aber… so war es jetzt eben. Ihr Herz schlug schnell, und als sich ihre Augen schlossen, sah sie Scorpius vor sich und nicht… Presley. Und sie unterband diese Vorstellung mental auch nicht. Nicht wirklich. Fast genoss sie die Vorstellung, dass es Scorpius war, den sie gerade küsste – und sie war aber froh, dass er es in Wahrheit nicht war.

Presley überwand seine Verblüffung nach wenigen Sekunden, erwiderte ihren Kuss, schlang die Hand um ihren Nacken, und sie klammerte sich an ihn, ignorierte seinen eigenen Duft und versuchte, sich Scorpius‘ Duft ins Gedächtnis zu rufen. Und sie verbarg ihre Enttäuschung, denn der erste Kuss mit Presley war nichts, im Vergleich zu ihrem ersten Kuss mit Scorpius. Oder ihrem zweiten Kuss mit Scorpius. Oder dem dritten - Sie öffnete ihre Lippen mit aller Macht unter seinen, und bevor sie seine Zunge spüren konnte, zog er überrascht den Kopf zurück.

 

„Wow – ok, halt!“, flüsterte er rau, aber ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ich… finde es wirklich gut, dass… dass du mich küssen willst, aber ich brauche einen klaren Kopf für das Spiel“, entkam es ihm abgehackt, und sie mochte definitiv, dass er sprachlos und nervös war. Sogar seine Wangen waren eine Spur gerötet. Und es überraschte sie wieder, dass sie tatsächlich irgendeinen Effekt auf Jungen haben konnte. Sie hatte es nie geahnt, und noch glaubte sie es immer noch nicht wirklich, aber… scheinbar schon?

 

„Aber danach?“, wagte sie zu fragen, obwohl sie nicht übermäßig großes Interesse hatte, diesen Kuss fortzuführen. Bis dahin würde sich ihr angespannter Körper beruhigt haben, und sie würde nicht mehr das Verlangen verspüren, Scorpius küssen zu müssen, und sich Ausgleich bei Presley zu suchen. Sie würde wieder normal denken können, nach dem Spiel.

 

„Absolut“, war seine sehr klare Antwort. Und vielleicht sollte sie es durchziehen. Vielleicht musste sie Presley diese Chance geben. Er zog sein Jersey gerade, streckte den Rücken durch und räusperte sich, etwas nervös.

 

„Viel Glück“, sagte sie, ein wenig beschämt, und er schenkte ihr ein Lächeln.

 

„Brauchen wir nicht“, sagte er, was er immer sagte, aber er verschonte sie mit dem Rest des ihr nur zu bekannten Satzes. Sie hatten Albus Potter. Ja, sie wusste es. Aber ihn konnte sie im Moment auch nicht leiden. Sie sah Presley nach, und fast war es wie ein Schlag in die Magengrube, denn am Rand des Feldes erkannte sie Scorpius. Und sie spürte seinen Blick nur zu deutlich. Nur zu verdammt deutlich. Und sie konnte nicht anders, als ihn zu erwidern. Trotzig reckte sie ihr Kinn vor. Wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag unpassenderweise.

Er hatte es gesehen. Er hatte gesehen, dass sie Presley geküsst hatte. Und sie wusste nicht, warum, aber sie hoffte, es störte ihn.

Sie war unfassbar albern. Und sie war es, die den Blick als erstes abwandte. Sie kam sich ein wenig erhaben vor, als hätte sie gewonnen. Was auch immer sie gewonnen hatte!

 

Und dann verzog sie den Mund, als ihr Blick auf Hugo fiel. Er küsste Cara Lockhart-Grey, und sie nahm an, es war ein siegreicher Weasley-Tag. Dass Hugo überhaupt wusste, wie man ein Mädchen küsste – es war so abwegig! Ihre Gedanken taten ihr leid. Nicht viel, aber ein wenig. Sie unterschätzte ihren Bruder vielleicht. Aber Hugo löste sich schließlich von der hübschen Ravenclaw, flüsterte ihr etwas ins Ohr, und versöhnlich schien Cara zu lächeln. Dann verschwand ihr Bruder allerdings wieder Richtung Schloss, und auch Cara zog sich ihr Jersey zurecht. Sie bemerkte Roses Blick, und ihr Lächeln schwand. Aber sie nickte ihr zu. Sehr sparsam. Rose fiel wieder ein, dass Cara Presleys Exfreundin war.

Sie hatte sich gar keine Gedanken darüber gemacht. Wieso genau wollte Presley noch mal mit ihr zusammen sein, wenn er jemanden wie Cara gehabt hatte? Vielleicht würde sie ihn später fragen.

 

Jetzt galt es erst mal, zur Tribüne zu gehen, und das erste Mal in ihrem Leben würde sie das Slytherin-Team anfeuern. Nicht Alby, aber immerhin Presley. Und sie würde Scorpius nicht einmal ansehen, schwor sie sich.

 

Aber kaum begann das Spiel wurde ihr klar, dass sie es nicht konnte, und sie ertappte sich mehr als zwanzig Mal dabei, dass ihre Augen ausschließlich Scorpius folgten. Sie konnte am Ende nicht mal sagen, ob Presley irgendeinen Quaffel abgewehrt hatte, denn wie hypnotisiert verfolgten ihre Augen widerwillig den grünsilbernen Treiber, der heute besonders aggressiv gegen Ravenclaw vorging.

Rose hasste sich selbst ein klein wenig. Aber immerhin bereute sie die Entscheidung nicht, sich später mit Presley zu treffen, denn mit jedem aggressiven Schlag, der Scorpius‘ Muskeln spielen ließ, biss sie sich auf die Lippe und konnte nicht erwarten, dass das Spiel vorbei wäre.

Ihre Anspannung verflog nämlich nicht, und das anstrengende Gefühl in ihrem Unterleib blieb.

 

Und ihr Ventil, dieses Verlangen loszuwerden, würde heute Abend Presley sein.

 

 

 

 

Er wusste nicht, ob Albus sich extra viel Zeit gelassen hatte, den elenden Schnatz zu fangen, aber Scorpius nahm es an. Sie waren alle durchnässt vom Nieselregen, als sich Albus endlich erbarmte, aus höchster Höhe hinabzustoßen, und das scheiß Ding zu fangen. Es war ein unnötig langes Spiel gewesen, und sie gewannen nur haarscharf.

Müde landeten sie, wurden von ihrem Haus gefeiert, und Scorpius‘ Blick folgte Vincent Goyle und seinen Freunden, die bereits hoch zum Schloss marschierten. Und er wusste, Albus sah ihm zu. Und Albus musste die Idee verabscheuen, dass er sich womöglich Goyle und seinen Freunden anschließen konnte. Und es gefiel Scorpius wirklich gut. Was ihm wirklich nicht gefiel, war, dass Rose aufs Feld gelaufen kam. Sie ignorierte ihn und Albus, um Presley in die Arme zu fallen. Scorpius hatte gesehen, wie sie Presley vor dem Spiel geküsst hatte. Und er wollte nicht behaupten, sein aggressives Spiel hatte damit zu tun gehabt – aber… dann würde er lügen. Kalte Wut hatte ihn erfasst, und immer wieder hatte er während des Spiels zu den Tribünen geblickt, und mehr als einmal hatte sie ihn angesehen, seinen Blick erwidert, nur um wieder wegzusehen.

 

Und fast glaubte er, sie tat es mit Absicht. Er war sich nicht sicher, aber er glaubte, auch jetzt lief sie mit Absicht zu Presley, damit er es sah. Er hasste das. Dieses angespannte Verhältnis. Und vorhin, als sie gestritten hatten – Merlin, ihre Augen waren nicht so zornig gewesen, wie ihre Worte es vielleicht andeuteten. Nein, sie hatte ihn anders angesehen. Mit diesem Blick hätte er sie gerne zurück ins Badezimmer der Vertrauensschüler gebracht, um dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Verdammt. Dass Hugo ihm sein Einverständnis gab, brachte Scorpius wenig. Denn jetzt hatte Presley gewonnen. Auch wenn er es Rose nicht abkaufte.

 

Er musste diese Gefühle aber erst mal ignorieren. Sonst würde er etwas Dummes machen, und wahrscheinlich würde Presley ihn dann verfluchen, aus dem Team werfen – was auch immer. Scorpius machte Kehrt, verschwand zum Zelt und hoffte, Teil zwei des Plans funktionierte so, wie er dachte. Er hatte keine Lust, Albus zu verprügeln – Lust schon, keine Frage, aber… es wäre dumm. Heute Morgen hatte er sich hinreißen lassen, denn er regte ihn auf.

Und jetzt würde Albus seine Retour bekommen. Und danach… wenn danach alles geklärt war – dann würde er sich um Rose kümmern. 

 

Er zog sich um, schnell genug, um früh fertig sein, langsam genug, als dass Albus ebenfalls fertig wurde. Und er hoffte auf eine ganz bestimmte Frage einer ganz bestimmten Person. Und er wurde nicht enttäuscht.

 

„Hey, gehst du zu ihnen? Zu Goyle und so?“ Collin wirkte sehr gespannt, sah ihn scheinbar seit heute Morgen mit ganz anderen Augen, und Scorpius hielt sich davon ab, die Augen zu verdrehen. Er antwortete laut genug.

 

„Ja“, bestätigte er überzeugt und spürte Als Blick auf sich. Nahezu sofort.

 

„Ernsthaft?“, flüsterte Collin mit großen Augen, und Scorpius zuckte die Achseln.

 

„Sicher. Ich gehöre zur Elite“, räumte er überheblich ein.


„Oh, ja. Schon klar“, erwiderte Collin etwas beschämt. „Dann… viel Spaß“, ergänzte er ehrfürchtig, und Scorpius nickte, schulterte die Tasche und verließ das Zelt. Presley und Rose standen immer noch draußen, aber immerhin küsste sie ihn nicht. Scorpius zwang seinen Blick in eine andere Richtung und eilte zum Schloss. Und aus den Augenwinkeln sah er, dass Albus ihm folgte. Seine Mundwinkel zuckten. Oh ja, Albus sollte ruhig glauben, Scorpius wäre übergelaufen. Dieser verdammte Bastard. Es geschah ihm recht! Er wollte Albus bestrafen. Er wusste, er hatte es damals nicht so gemeint, aber er wollte die Entschuldigung von ihm. Er bestand darauf. Er würde es ihm nicht einfach machen.

 

Er erreichte müde das Schloss und erklamm die vielen Stufen in genau dem richtigen Tempo, so dass Albus ihm scheinbar unauffällig folgen konnte.

 

Endlich kam er oben an, zum Flur des Trophäenzimmers, und ein sanftes Flimmern lag über dem Durchgang. Der Zauber war aktiviert. Hinterm ihm erreichte Albus den Flur, und mit selbstbewussten Schritten durchquerte Scorpius den Flur, hielt vor dem goldenen, undurchsichtigen Schimmer an und legte probehalber die Hand auf das Gold. Es gab nicht nach.

 

„Ich bin Scorpius Malfoy. Lasst mich eintreten“, rief er dann, und tatsächlich teilte sich der goldene Schleier keine zwei Sekunden später, und mit angehaltenem Atem glitt er durch den Bann.

 

Kurz befürchtete er, dass der Plan doch nicht funktioniert hatte, aber dann erkannte er Hugo. Dieser lehnte gelangweilt an einer der Vitrinen. Und neben ihm stand Lorcan Scamander. Dafür, dass Hugo das Spiel versäumte, um das Trophäenzimmer vor Goyle und seinen Freunden in Beschlag zu nehmen, um Albus auf die falsche Fährte zu locken, hatte Scorpius Hugo versprochen, dass er den Abend heute mit ihm und Lorcan verbrachte. Hugo war ein wenig kryptisch gewesen, aber Scorpius glaubte, verstanden zu haben, dass Lorcan auf ihn stand.

Aber um Al eins auszuwischen tat er vieles.

 

„Na, gewonnen?“, erkundigte sich Hugo, und Scorpius nickte, warf die Tasche in die Ecke und streckte sich.

 

„Ja, nachdem Albus sich eine Stunde Zeit gelassen hat, das scheiß Ding zu fangen. Eigentlich müsstest du Cara trösten gehen“, bemerkte er spöttisch und schloss den Abstand zu den Jungen.

 

„Später“, winkte Hugo lässig ab, und fast musste Scorpius grinsen. „Ist Albus dir gefolgt?“, fragte er gespannt, aber Scorpius musste lächeln.

 

„Oh ja. Alles, wie geplant“, bestätigte er, und Hugo grinste ein Weasley-Lächeln.  Wie selbstverständlich sich Hugo in seinen Weasley-Genen zurecht fand. James wäre so stolz auf ihn. „Scorpius Malfoy“, stellte er sich anschließend Lorcan vor und reichte ihm die Hand. „Danke für diesen kleinen Streich“, ergänzte er. Lorcan tauschte einen knappen Blick mit Hugo, bevor er scheu Scorpius‘ Hand schüttelte.

 

„Lorcan Scamander.“

 

„Du bist der hochbegabte Scamander aus dem fünften Jahr, richtig?“, vermutete Scorpius, war aber zuvor von Hugo instruiert worden.

 

„Also… keine Ahnung, ob… ich…- aber ja, ich bin aus dem fünften Jahr.“ Schnell zog Lorcan die Hand wieder zurück und zückte den Zauberstab. Stumm vollführte er einen wesentlich fortgeschritteneren Trockenzauber aus, und überrascht stellte Scorpius fest, dass sich seine Kleidung nicht nur knitterfrei an seinen Körper schmiegte, sondern auch noch nach Minze duftete.

 

„Wow. Danke. Nützlicher Zauber“, entfuhr es ihm.

 

„Nicht der… nicht der Rede wert“, winkte Lorcan ab.

 

„Hast du den Bannzauber auf die Tür gelegt? Das ist wirklich-“

 

„-ach halt schon den Mund, Malfoy“, unterbrach Lorcan ihn und verdrehte die Augen. „Keine Ahnung, was du Hugo schuldest, aber… ich weiß, du stehst auf Mädchen.“ Scorpius tauschte einen Blick mit Hugo.

 

„Das… macht es nicht zwangsläufig einfacher“, erwiderte Scorpius nach einer kleinen Weile.

 

„Nein, wahrscheinlich nicht. Und ich bin auch nicht hier, um dich kennenzulernen, falls du schon Angst vor mir hast“, ergänzte Lorcan bitter, aber diesmal musste Scorpius lachen.

 

„Ich habe keine Angst. Ich glaube, den Abend mit euch zu verbringen, ist um einiges angenehmer, als woanders“, schloss er bloß.

 

„Meint er das ernst?“, erkundigte sich Lorcan spöttisch bei Hugo, aber dieser schien einigermaßen erleichtert zu sein.

 

„Keine Ahnung, Lorcan“, sagte Hugo. „Aber… es gibt da einen Ort, wo wir tatsächlich Spaß haben könnten“, bemerkte er geheimnisvoll. Und dann sah er ihn direkt an. „Wo willst du hin?“, fragte er ihn.

 

„Was?“, entfuhr es Scorpius verwundert, aber Lorcan musste auch grinsen.

 

„Ja, egal, wohin, Malfoy. Such dir was aus.“

 

„Wie soll das gehen?“, wollte Scorpius wissen.

 

„Das muss deine Sorge nicht sein. Sagen wir, du… möchtest Roses Zimmer Zuhause sehen – das wäre kein Problem, oder Hugh?“ Er sah Hugo grinsend an. Hugo verdrehte die Augen.

 

„Ich erzähle dir zwar nie wieder ein Geheimnis, Lorcan, aber nein. Es wäre… kein Problem“, bestätigte Hugo grimmig. Scorpius Mundwinkel hoben sich langsam.

 

„Ihr wisst, wo er ist? James und Fred suchen ihn seit Jahren!“, entfuhr es ihm ungläubig. „Der Raum der Wünsche?“, ergänzte er, und Lorcan nickte beiläufig.

 

„James und Fred mangelt es an Intelligenz“, erläuterte Lorcan achselzuckend. Und kurz dachte Scorpius nach, ehe er die Arme vor der Brut verschränkte.

 

„Ok. Dann möchte ich in Roses Kinderzimmer“, bestätigte er lächelnd, und Hugo stöhnte auf.

 

„Ausgezeichnete Wahl“, entgegnete Lorcan. „Komm schon, Weasley“, ergänzte er in Hugos Richtung, und widerwillig setzte der große Weasley sich in Bewegung. Der Abend wurde doch noch lustig.

 

 

 

 

Twenty-Seven

 

Sie war ganz froh gewesen, dass James Presley in den Gemeinschaftsraum eingeladen hatte, und Rose und Presley nichts weiter hatten tun können, als Händchen zu halten und einen keuschen Gutenachtkuss auszutauschen, als es Zeit für Presley wurde, zu gehen.

Sie hätte mehr auch nicht über sich gebracht. Solange Scorpius in Sicht war, erfüllte sie die verbotene Anspannung, aber wenn er nicht da war, dann… verlor sie die blinde Sicherheit. Es war krank von ihr. Jetzt stand sie über das Buch gebeugt, und vergaß beinahe, dass sie Zaubertränke mit den Slytherins hatten.

 

Dom neben ihr gähnte, aber Rose war fest davon überzeugt, diesen Trank korrekt zu brauen. Fast hoffte Rose, dass Snape auftauchte, denn sie wollte ihm beweisen, dass sie wusste, was sie tat. Ab und an drehte Professor Longbottom eine Runde um ihren Tisch, und tatsächlich nickte er anerkennend, als er einen Blick in ihren Kessel geworfen hatte.

 

„Willst du Klassenbeste werden?“, wollte Rumer leise von ihr wissen, und Rose wusste nicht wirklich, warum, aber sie hatte das Gefühl, sie und Rumer hatten sich weit auseinander gelebt. Vielleicht, weil sie ihr Dinge verschwieg, aber… vielleicht auch, weil Rumer etwas zu verschweigen hatte? Rose war sich nicht sicher.

 

„Nein“, flüsterte Rose lächelnd. „Ich will Dinge nur richtig machen“, ergänzte sie stiller. Und selbst bei dieser Aussage, war sie sich mehr als unsicher.

 

„Oh nein“, erwiderte Rumer plötzlich, außerhalb des Kontextes, denn die Lampen hatten begonnen zu flackern. Aber Rose musste lächeln. Ja! Er kam! Anspannung legte sich über die Schüler. Professor Longbottom zog bereits den Zauberstab, immer bereit, den Patronus zu rufen. Snape materialisierte aus der gegenüberliegenden Wand und rauschte zwischen den Schülern durch die Gänge.

 

„Mal wieder spät dran“, bemerkte Professor Longbottom gereizt. Snape sah aus wie immer. Den Blick abweisend, die Kleidung milchig schwarz, und sein Ausdruck recht mitleidslos. Und Rose nahm ihren Mut zusammen.

 

„Professor Snape“, sagte sie laut, und tatsächlich hob der Geist den Blick. „Ist die Konsistenz in Ordnung?“ Die anderen Schüler starrten sie verständnislos an, und schließlich schwebte der Geist neben sie, warf einen abschätzenden Blick in den Kessel, aber Rose konnte ihr Lächeln kaum verbergen.

 

„Etwas dünn“, kritisierte der Geist mit rauer Stimme.

 

„Ich glaube nicht, Sir“, widersprach Rose selbstbewusst.

 

„Sie widersprechen mir, Miss Granger?“ Der alte Blick des Geistes flog über ihre Erscheinung.

 

„Ich denke, Sie wissen, dass ich nicht Granger heiße, Sir“, erwiderte sie still. „Mein Name ist Rose Weasley.“ Sie mied seinen Blick nicht, sah ihm direkt in die dunklen Augen, und sein Blick verengte sich prüfend. Ihre Worte schienen für ihn wenig Sinn zu machen.

 

„Weasley?“, wiederholte Snape dann langsam. Sie nahm an, er kannte die Weasleys. Gut genug, wenn sie den Geschichten ihrer Eltern Glauben schenken konnte. Sie war sich den Blicken der anderen nicht gewahr. Sie sah nur aus den Augenwinkeln, dass Professor Longbottom den Zauberstab unschlüssig senkte. „Ich erinnere mich“, schloss der Geist irgendwann mit gerunzelter Stirn. „Sie weinten“, fuhr er tonlos fort, und Rose stockte kurz der Atem. Verdammt. Daran erinnerte er sich jetzt ausgerechnet. Aber sie streckte den Rücken durch.

 

„Ja“, wisperte sie fast und nickte knapp. Dann klärte sich sein Blick plötzlich, und eine ungewohnte Klarheit trat in seine Augen, ließ sie dunkler erscheinen, viel lebendiger als jemals zuvor. Und als er sprach, klang eine tiefe Traurigkeit aus seinen Worten, und seine Stimme hatte den ätzend überheblichen Klang verloren.

 

„Dann können Sie mir nicht helfen“, schloss er beinahe ruhig, beinahe resignierend. Er rauschte durch den Tisch, direkt durch die geschlossene Tür hinaus, und Rose hatte nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte.

 

„Was… was war das?“, zischte Rumer neben ihr. Roses Atem ging schnell. Sie wusste es nicht. Was meinte er damit?

 

„Keine Ahnung“, flüsterte sie. Aber sie würde dieser Sache auf den Grund gehen. Snapes Geist schien lichte Momente zu haben, und sie brauchte diese Moment, um ihn zu fragen, was ihn hier hielt und warum… er je geglaubt hatte, dass sie ihm hätte helfen können! Und warum es jetzt nicht mehr so war!

 

Sie wusste nicht, ob es ihre Aufgabe war, aber sie hatte es im Gefühl. Es war eigenartig und ängstigte sie ein wenig.

 

„Und du hast geweint?“, ergänzte Rumer prüfend, aber Rose mied ihren Blick. Darüber wollte sie jetzt nicht mehr reden. Am besten nie mehr.

 

„Die Show ist vorbei. An die Arbeit, Leute“, unterbrach Professor Longbottom das Gemurmel streng, und alle konzentrierten sich stöhnend auf ihre Tränke.

 

Auch als es läutete, ließ sich Rose ein wenig mehr Zeit, als die anderen, falls Rumer auf die Idee käme, sie ausführlicher zu fragen, weshalb sie geweint hatte. Außerdem wartete James bereits im Türrahmen darauf, dass Rumer ihre Sachen packte, also hatte Rose Glück. Mehr oder weniger, denn auch Malfoy ließ sich lästig viel Zeit. Alby verließ den Klassenraum einigermaßen zornig und ignorierte sie beständig, und Rose hatte keine Lust mit Malfoy übrig zu bleiben. Sie beeilte sich, brachte ihren sauberen Kessel endlich zu den Schränken, aber kaum hatte sie ihn abgestellt und sich wieder umgewandt, stand er hinter ihr.

Sie nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen, und sein Kopf legte sich minimal schräg.

 

„Du stehst im Weg“, informierte er sie, und sie schreckte aus ihrer Starre wieder in Bewegung, schob sich grob an ihm vorbei, ging zu ihrem Gruppentisch zurück, und die letzten Schüler verließen den Klassenraum. Nur noch sie und Scorpius blieben zurück. Hastig packte sie ihre restlichen Utensilien in ihre Lederrolle und stopfte diese in ihre Tasche. Sie spürte ihn deutlich hinter sich, als er wieder zurückging.

 

„Wann hast du geweint?“, fragte auch er sie still, und ein Schauer befiel sie, denn er stand sehr nahe hinter ihr. Er hatte Snape also auch zugehört. Rumer durfte das. Er durfte das nicht!

 

„Habe ich nicht“, brachte sie nervös hervor und wagte nicht, sich zu rühren, denn sie glaubte, würde sie sich nur einen Millimeter bewegen, würde sie gegen seinen Körper stoßen.

 

„Nein?“, fragte er sie jetzt, und sie hörte, er glaubte ihr nicht. „Warum hast du Presley geküsst?“, wechselte er so plötzlich das Thema, dass sie scharf einatmete.

 

Und sie wandte sich zu ihm um. Merlin, war er nahe.

 

„Was?“, entfuhr es ihr ungläubig, und sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht.

 

„Gestern. Oder stimmt das auch nicht? Hat er dich geküsst?“, fuhr er stiller fort, und kurz fiel sein Blick auf ihre Lippen. Unbewusst leckte ihre Zunge über ihre trockene Unterlippe, und sein Blick hob sich langsam wieder.

 

„Ich…“, begann sie hilflos, aber sie zwang sich, den Rücken durchzustrecken. „Wir sind zusammen. Presley und ich“, erklärte sie, so würdevoll sie konnte.

 

„Glückwunsch“, entkam es ihm unaufrichtig und kalt. „Und küsst er gut?“, wollte er wissen, den Hauch an Spott in der stillen Stimme.

 

„Ja!“, behauptete sie blind, obwohl es nicht so gut war, wie sie gehofft hatte.

 

„Ja?“ Es verließ als eigenartige Frage seinen Mund. Fast klang er unsicher, aber nur fast.

 

„Ja“, log sie tonlos. Ihr Herz schlug verräterisch laut.

 

„Hast du wegen mir geweint?“, fragte er plötzlich, und sie blinzelte hastig. Wieso tat er das? Wieso wechselte er das Thema ständig? Wieso glaubte er ihr nicht?

 

„Nein“, sagte sie kopfschüttelnd. „Wie du schon sagtest, es war ohnehin nicht sonderlich gut gewesen“, wiederholte sie seine widerlichen Worte, und seine Mundwinkel hoben sich tatsächlich. Nicht viel, aber ausreichend, um sein trauriges Lächeln zu offenbaren.

 

„Richtig“, bestätigte er dumpf. Dann machte er einen Schritt zurück, und sie hatte das Gefühl, endlich wieder atmen zu können. „Nett, mit dir geredet zu haben, Rose“, verabschiedete er sich von ihr, und sie sah ihm steif nach, konnte ihre Atmung nur mit Mühe kontrollieren. Sie hasste ihn. Allein für dieses Gefühl! Wo war Presley, verdammt? Sie musste irgendwen küssen! Jetzt!

 

 

 

Pünktlich zu Sonnenuntergang hatte er die Gewächshäuser erreicht. Zu seiner Überraschung war Al schon da. Interessant, wo er doch sonst nie pünktlich war. Scorpius dachte noch immer an Rose, an die seltsame Zaubertränkestunde, und er hatte schon überlegt, Snapes Geist aufzusuchen, ihn selber zu fragen, warum Rose geweint hatte, aber wahrscheinlich wäre das verrückt von ihm.

Und es war so ein Adrenalinstoß gewesen, zu trödeln, länger im Klassenraum zu bleiben, sie ein wenig zu ärgern, und zu sehen, was für ein schlechter Lügner sie war. Er war sich sicher, hätte er sie nach Zaubertränke einfach geküsst – sie hätte ihn gelassen! Sie hätte es gewollt! Merlin, sie beendete diese Affäre und überließ es ihm, durchzuhalten. Es war anstrengend. Es half nicht, dass er sie wollte und nicht haben durfte. Aber er musste sich daran erinnern, dass sie lieber mit Presley zusammen war, als gegen ihre Familie vorzugehen, sich einzugestehen, dass sie ihn… mochte – und deshalb konnte er nicht. Er konnte es ihr nicht antun. Er wusste nur nicht, wie lange er warten konnte.

 

Als Ausdruck war tausend Galleonen wert. Scorpius glaubte, Al war noch wach gewesen, als er gestern in den Schlafsaal zurückgekehrt war. Ob Al dachte, er hätte den Abend tatsächlich mit Goyle verbracht? Das alleine heiterte Scorpius allerdings auf. Als er und Hugo und Lorcan das Trophäenzimmer verlassen hatten, war Al bereits verschwunden gewesen. Wahrscheinlich aus Wut abgehauen.

 

„Hey Arschloch“, begrüßte Al ihn tatsächlich, und Scorpius vermied, zu lächeln. Oh ja, er beachtete ihn. Gut.

 

„Gleichfalls“, knurrte er knapp, und schon kam Professor Longbottom aus einem der Gewächshäuser.

 

„Super, dass hier da seid“, begrüßte er sie spöttisch. „Handschuhe anziehen und mir folgen“, informierte er sie, nachdem er sie knapp betrachtet hatte. „Die Alraunen ernten sich nicht von selbst“, bemerkte er spitz, und Scorpius bückte sich nach den Handschuhen, die Longbottom ihnen vor die Füße geworfen hatte. Er hasste die Alraunen. Sie schrien und bissen und waren generell eher nervige Geschöpfe. Im Gewächshaus war es allerdings wärmer und sie konnten ihre Jacken ausziehen. Al warf den zitternden Gewächsen einen prüfenden Blick zu, und Scorpius hoffte, sie bissen ordentlich zu. Zumindest bei Al.

 

„Macht keinen Quatsch, oder ihr könnt euch morgen Abend noch mal hier einfinden, und den Kröterdünger schaufeln“, warnte Longbottom sie scharf, und Scorpius würde sich hüten, noch mehr Strafen aufgedrückt zu bekommen. Longbottom ließ sie allein, und fast stoisch begann Albus die Geschöpfe auszugraben. Scorpius folgte seinem Beispiel, und stumm erduldeten sie die schreienden Kreaturen, die um sich schlugen, und nur knapp entgingen sie beide, direkten Attacken ins Gesicht. Sie arbeiteten sicher eine halbe Stunde und schafften eine ganze Reihe. Blieben noch drei weitere. Die Alraunen waren still, nachdem sie umgetopft worden waren, und Scorpius wischte sich über die Stirn, genoss die kurze Stille, und bevor Albus sich der zweiten Reihe zuwenden konnte, sprach Scorpius mit Bedacht.

 

„Ich hatte gestern ziemlich viel Spaß“, bemerkte er lächelnd, aber Albus‘ Ausdruck verhärtete sich, ohne ihn anzusehen. Und tatsächlich hatte er Spaß, denn Lorcan und Hugo hatten tatsächlich den Raum der Wünsche gefunden, und sie waren in Roses Zimmer gewesen. Es war unordentlich, chaotisch, absolut Rose. Was sie alles aufbewahrte und sammelte. Er war sich nicht sicher, ob es tatsächlich die exakte Abbildung von Roses Zimmer gewesen war, aber Hugo hatte ihm versichert, dass der Raum der Wünsche die Essenz von Roses Zimmer sehr gut widerspiegelte. Und sie besaß jede Zeitschrift der Sheffield Shooters. Keine alten Schulbücher hatte er geordnet und sortiert irgendwo stehen sehen – aber eine Quidditchzeitschriften-Reihe, da behielt sie Ordnung. Auch Roses Tagebuch hatte Lorcan inmitten des Chaos‘ unter ihrem Bett entdeckt, allerdings hatten sie alle wenig Lust gehabt, hineinzusehen, um vielleicht höchsten die Auflistung der letzten Quidditchergebnisse zu finden. Es war nur ein harmloser Ausflug gewesen. Und Scorpius‘ Herz hatte ihm trotzdem bis zum Hals geschlagen, denn… sich alleine vorzustellen, im Haus der Weasleys zu sein – mit Mr. Weasley unten im Wohnzimmer… erfasste ihn mit stummer Furcht. Darüber hatte er nicht gesprochen. Darüber wollte er noch immer nicht nachdenken.

 

„Interessiert mich einen Scheißdreck.“ Als Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.

 

„Mh“, machte Scorpius nachdenklich. „Warum bist du mir dann gefolgt?“, wollte er von ihm wissen, und zornig hob Albus den Blick. Ein unbemerkter Flecken Erde klebte auf seiner Stirn.

 

„Das hättest du wohl gerne. Als ob!“, knurrte er. Er war sehr leicht zu durchschauen.

 

„Ich habe dich gesehen“, beharrte Scorpius nachsichtig.

 

„Schön für dich! Was stört es dich noch? Du hast deine neuen Freunde, also lass mich in Ruhe. Ich will hier fertig werden!“, blaffte er zornig.

 

„Du denkst das wirklich?“, fragte Scorpius, als Albus zornig in die frische Erde griff, um die nächsten Alraunen umzutopfen. „Dass ich zu ihnen gehe?“, vergewisserte er sich ungläubig, aber Albus sah ihn nicht an.

 

„Warum nicht? Du bist ein scheiß Arschloch, dass nicht mal-“ Aber Scorpius schloss den Abstand. Albus zog die Hände aus der feuchten Erde zurück, bereit, zuzuschlagen und fixierte ihn mit schmalen Augen.

 

„-anstatt mich zu beleidigen, könntest du dich entschuldigen“, bot Scorpius ihm ruhiger an, und Albus fixierte ihn zornig.

 

„Denkst du das? Dass ich mich beim arroganten Lord Malfoy entschuldige? Wofür? Dass ich alleine war und du dich mit Rose vergnügt hast? Dafür, dass du mich hintergangen hast?“

 

„Dafür, dass du mich beleidigt hast.“ Scorpius mied seinen Blick nicht, und Albus verzog den Mund.

 

„Ich hatte nicht Unrecht!“, fuhr Albus ihn an. „Wenn du dich mit diesen Vollidioten triffst-“

 

„-habe ich nicht“, unterbrach er ihn gereizt. Albus schwieg abrupt. „Ich habe Hugo gebeten, den Raum vor Goyle zu belegen.“

 

„Hugo?“, wiederholte Albus ungläubig, und Scorpius verzog den Mund.

 

„Ja. Dein Boss?“, machte er es deutlich, Spott auf den Lippen. Albus‘ Ausdruck verfinsterte sich, aber er schien zu verstehen.

 

„Er ist nicht mein Boss! Ich brauche nicht-“

 

„-Albus!“, unterbrach Scorpius ihn gereizt. Wütend sah Albus ihn an. Es war so verdammt schwer. „Schluss damit!“, entfuhr es ihm erschöpft. „Wieso… wieso streiten wir? Ganz klar stört es dich, würde ich tatsächlich meine Zeit mit Goyle und seinen Vollidioten verbringen-“

 

„-tut es nicht!“, widersprach Albus, aber schon fast halbherzig.

 

„Und dir ist klar, dass Rose-“

 

„-nein!“, unterbrach Al ihn scharf, wollte ihn am Sprechen hindern, aber Scorpius achtete nicht auf ihn.

 

„Dir ist klar, dass Rose deine Gefühle nicht erwidert!“, beendete er den Satz trotzdem. „Du weißt das!“

 

„Fick dich, Malfoy!“, spuckte er ihm entgegen.

 

„Al!“, ermahnte er ihn fast ungläubig.

 

„Was?“, entfuhr es Albus verzweifelt. „Was willst du? Dass ich es sage? Schön! Ja, sie will mich nicht! Ich hab’s kapiert, ok?“, knurrte er.

 

„Warum bist du dann-?“

 

„-weil es wehtut!“, brüllte Al, ohne Zögern, ohne es verhindern zu können. Seine Augen glänzten jetzt verdächtig. „Weil es verdammt noch mal wehtut, Scorpius! Rose zu verlieren! Dich zu verlieren!“

 

„Du hast mich nicht verloren! Und Rose ebenso wenig, du blöder Idiot!“, fuhr er ihn an. „Die Mädchen stehen auf dich, ok? Ich weiß nicht, warum es dir so schwer fällt, dich für eine andere zu entscheiden. Und du brauchst nicht-“

 

„-ich weiß es nicht, Scor! Ok? Ich weiß es nicht! Denkst du, ich… will das? Das alles?“ Als Atem ging schnell, und Verzweiflung klang in seiner wütenden Stimme mit. „Ich-“

 

„-du hast mich geschlagen!“, erinnerte er ihn zornig.

 

„Ich weiß!“ Fast klang er eine Spur beschämt.

 

„Du-“

 

„-liebst du sie?“, unterbrach Al ihn mit flachen Atemzügen.

 

„Was?“, entfuhr es Scorpius sofort, und sie sahen sich an.

 

„Nuschel ich?“, entkam es Al, und er fixierte ihn genau. „Ob du sie liebst?“, wiederholte er gnadenlos, und Scorpius‘ Mund öffnete sich hilflos und schloss sich wieder.

 

„Am besten beantworten Sie die Frage, damit Sie hier weiterarbeiten können, ansonsten dürfen Sie die ganze Woche hier antanzen“, unterbrach Longbottoms Stimme ihren Streit, und beide Junge zuckten zusammen. Er lehnte in der Tür zum Gewächshaus. „Wissen Sie, es interessiert mich alles wenig. Anscheinend sind meine Drohungen allesamt wirkungslos – also beenden Sie diesen dummen Streit und topfen Sie die verdammten Alraunen um, oder Slytherin darf zukünftig ohne den Star-Sucher spielen“, warnte er sie bedächtig, bevor er kopfschüttelnd das Gewächshaus wieder verließ. Ein wenig beschämt standen sie voreinander.

 

„Ich… wollte dich nicht schlagen“, entfuhr es Al schließlich tonlos.

 

„Und ich wollte dich wirklich suchen“, erwiderte Scorpius schwach. „Damals. Wirklich!“, beteuerte er still.

 

„Dann… warst du nicht bei Goyle?“, wollte Albus schließlich wissen, und Scorpius schüttelte den Kopf.

 

„Nein“, bestätigte er tonlos.

 

„Und wirst du… wirst du dich von Rose fernhalten?“ Es klang kaum wie eine Drohung, und Scorpius antwortete wahrheitsgemäß.

 

„Wenn sie das will, ja.“ Kurz huschte ein Schatten über Als Gesicht, und Scorpius seufzte schließlich. „Und wenn du es willst, dann… dann halte ich mich fern.“ Kurz zögerte Albus, bevor er schließlich seufzend die Augen verdrehte.

 

„Oh bitte“, entkam es ihm, und kurz zuckte der Spott um seine Mundwinkel. „Ich bin kein Arschloch“, entfuhr es ihm. Aber Scorpius legte den Kopf schräg.

 

„Seit wann das nicht?“, wollte er mit erhobenen Augenbrauen wissen, und dann hoben sich Als Mundwinkel. Und fast überkam Scorpius die Erleichterung. Und fast fühlte es sich an, als müssten sie sich umarmen, aber… so etwas taten sie nicht wirklich. Stattdessen beugte sich Al über die zweite Reihe an zuckenden Alraunen.

 

„Könnte deine Hilfe gebrauchen. Die scheiß Biester beißen“, ergänzte er missmutig, und mit einem schmalen Lächeln schloss Scorpius den Abstand zu ihm. Nebeneinander durchwühlten sie die Erde, und es hatte etwas Befreiendes an sich, endlich wieder zusammenzuarbeiten. Endlich wieder ein Team zu sein. Sei es auch nur, während sie ächzend und stöhnend, gefährliche, kleine Biester mit messerscharfen Zähnen umtopften.

 

 

 

Twenty-Eight

 

Fast war er gelangweilt. Wirklich nur fast, denn anscheinend tat sich etwas, im Gefüge seiner unübersichtlichen Familie. Er apparierte quer durch die Halle, denn… apparieren konnte er längst. Selbst große Distanzen, Merlin noch mal. Er landete in der Ecke der Slytherins, und Albus zuckte erfreulicherweise zusammen.

 

„Hallo Angeber“, begrüßte Scorpius ihn konzentriert. Hugos Mundwinkel hoben sich.

 

„Ich gebe nicht an. Ich kann es einfach“, erwiderte Hugo lächelnd.

 

„Schön für dich“, knurrte Albus neben Scorpius.

 

„Darf man gratulieren?“, wollte Hugo fast spöttisch wissen. Albus hob grimmig den Blick.

 

„Darf man dir ins Gesicht schlagen?“, konterte sein Cousin böse.

 

„Ist der Streit begraben?“, wandte sich Hugo an Scorpius, denn mit Albus zu sprechen war, wie immer, ermüdend. Scorpius lächelte knapp.

 

„Keine Ahnung. Al?“, wandte er sich an ihn, und Albus verdrehte die Augen.

 

„Mach da nicht so ein Schul-Drama draus!“, fuhr er Scorpius stiller an, aber Scorpius grinste und legte den Arm um Albus‘ Schulter.

 

„Er liebt mich“, bestätigte Scorpius nickend, aber sofort schubste ihn Albus zur Seite.

 

„Scor, ich schlage dich!“, warnte sein Cousin jetzt grimmig, aber Hugo war tatsächlich erleichtert und gleichzeitig… noch etwas anderes.

 

„Gut für euch“, erwiderte er nickend. „Wirklich gut.“ Und dann wandte er sich ab. Er nahm an, er wurde hier nicht weiter gebraucht. Scorpius hatte seinen besten Freund wieder, sie hatten sich irgendwie vertragen, und er war… einfach nur noch überflüssig.

 

„Bleib“, hörte er Scorpius‘ Stimme. „Zeig uns, wie man appariert.“ Langsam wandte sich Hugo ihnen zu. Sein Blick galt Albus, und er wusste nicht sicher, wo sie eigentlich standen. Albus hatte ihn gedeckt, damals im Haus der Blacks. Er hatte sich nicht bei ihm bedankt, sie hatten gar nicht mehr gesprochen, und anscheinend tat Albus Scorpius diesen Gefallen, denn er erwiderte Hugos Blick.

 

„Bin ich auch für“, räumte Albus ruhiger ein. „Und dann kannst du uns erklären, wie man als fünfzehnjähriger Streber ein Mädchen wie Cara Lockhart-Grey bekommt“, ergänzte er, mit einem Blick durch die Halle, wo seine Freundin ebenfalls Fortschritte beim Apparieren machte.

Hugo lächelte still. Eigentlich hatte er kaum damit gerechnet, dass Cara überhaupt noch mit ihm sprechen würde, und wahrscheinlich tat sie es auch nur noch unter der Voraussetzung, dass er praktisch jeden Fetzen Freizeit mit ihr verbrachte. Mädchen waren eigenartig, aber Hugo hatte immensen Gefallen an der physischen Aufmerksamkeit gefunden, die Cara ihm zeigte.

Und vor allem… musste er über Rumer hinweg kommen. Eine Sache stand wohl fest: Rumer wollte ihn nicht. Und dass er sie in seinem Kopf hatte, wenn er mit Cara zusammen war, war einfach nur traurig. Cara war die bessere Wahl – ganz einfach, weil sie sich sonst niemand für ihn interessierte. Lorcan hatte ihm schon gesagt, dass er sich solche Sorgen überhaupt nicht machen sollte, sich aufs Lernen zu konzentrieren hatte – aber Hugo war nicht wie Lorcan. Er konnte nicht plötzlich wieder die Augen verschließen, so tun, als wäre er nicht in ihrem Mund gekommen – es war unglaublich gewesen. Und ja, er hasste das Leben seiner Cousins und der quidditchspielenden Vollidioten, aber… es hatte seine Vorzüge ein Idiot zu sein. Definitiv.

 

„Ich bin ein kluger Junge. Das ist alles“, beantwortete er Albus‘ Frage ruhig.

 

„Ja, sicher“, bemerkte Albus spöttisch. Hugo antwortete darauf nichts.

 

„Also?“, sagte er schließlich, die Herausforderung im Blick. „Schaffst du es bis zum Ende der Halle?“, fragte er Albus, und dieser schien kurz zu überlegen, ob er sich ernsthaft auf diese Herausforderung einlassen sollte, bevor er ausatmete.

 

„Mal sehen“, entgegnete er lediglich, drehte sich um sich selbst und verschwand tatsächlich. Aber er schaffte nur die Hälfte der Distanz. Trotzdem war es beeindruckend dafür, dass Albus eigentlich nie lernte, nichts für irgendetwas tat, und solche Menschen musste es wohl auch geben.

Dann zuckten er und Scorpius zusammen, aber Scorpius reagierte sehr schnell, denn eine Person apparierte aus dem Nichts zwischen sie, hatte aber zu viel Beschleunigung drauf, und geistesgegenwärtig hatte Scorpius ihren Arm ergriffen und hielt sie davon ab, schmerzhaft zu stürzen.

 

„Oh!“, entfuhr es Dominique atemlos und sie rappelte sich hastig auf, um ihre Haare zu ordnen. Hugo wusste nicht, ob dieser ‚Unfall‘ beabsichtigt war. Aber den Scham spielte sie sehr gut, denn Dominique wurde tatsächlich rot und ihr Blick fiel.

 

„Alles ok?“, fragte Scorpius sie gefasst, und Dominique schien hin und her gerissen zu sein, wütend zu werden oder gar nichts zu sagen.

 

„Ja“, entschied sie sich schließlich für den diplomatischeren Weg, fuhr sich noch einmal über die glänzend blonden Haare, und scheu hob sich ihr Blick zum Gesicht ihres Exfreundes. „Danke“, ergänzte sie still, bevor sie sich abwandte und wieder zu ihrer Gruppe zurücklief.

 

„Das war Absicht“, bemerkte Hugo schlicht. Seine Augen folgten seiner verschlagenen Cousine.

 

„Was? Glaube ich nicht“, entgegnete Scorpius, und auch er sah Dominique nach. Dominique war nicht sonderlich clever, beherrschte nicht viele Dinge sonderlich gut, aber Hugo nahm an, für so eine Situation würde sogar seine oberflächliche Cousine ein wenig üben.

 

„Hm“, machte Hugo abwehrend. Dominique hatte die anderen Mädchen wieder erreicht und verbarg kopfschüttelnd den Kopf in ihren Händen, allerdings sah Hugo, dass Rose zu ihnen sah. Und er nahm an, auch seine Schwester wusste, dass Dominique solche Dinge mit Absicht tat. Hugo wusste, er tat sich schwer mit zwischenmenschlichen Ebenen, und deshalb würde er nie wieder mit Rumer auch nur ein Wort über ihren Kuss wechseln, aber er hoffte, dass seine Schwester anders war. Dass sie ihren Gryffindor-Stolz irgendwann überwand und… mit Scorpius sprach. Nicht, weil er diese Verbindung großartig fand, aber… sie war ehrlicher als die Sache, die Rose mit Presley veranstaltete. Nicht, dass ihm Presley sonderlich leid tat. Nein. Aber… Scorpius tat ihm leid.

Und er fürchtete, dass sich sein neu gewonnener… Freund? Bekannter? Dass er sich vielleicht irgendwann ablenken ließ, und den Trost bei Dominique fand, so wie Hugo ihn bei Cara suchte.

Es würde sich zeigen. Albus kam zurück zu ihnen.

 

„Wieder Kontakt mit Dom?“, sprach er Scorpius direkt an, und dieser verdrehte die Augen.

 

„Nein. Es war Zufall. Ich bin froh, dass sie nicht mehr weint oder schreit“, ergänzte er, ein wenig erleichtert.

 

„Pass auf mit den Weasley-Mädchen“, sagte Albus schließlich achselzuckend. „Sie sind den Aufwand nicht wert.“ Hugo sah ihm direkt ins Gesicht, aber Albus erwiderte seinen Blick nicht. Und Hugo wusste nicht, ob Rose irgendeinen Aufwand wirklich wert war. Im Moment verhielt sie sich so kindisch, wie Dominique es tat. Wenn nicht noch kindischer.

 

 

 

Am Wochenende stand die große Party bevor. Sie dachte häufiger daran, jetzt, wo der Termin näher rückte. 

 

„Rose?“, unterbrach Presley ihre Gedanken, und sie schreckte fast aus ihren Gedanken. Sie saßen nebeneinander auf der Couch im Gemeinschaftsraum, und Presley hatte begonnen, ihren Nacken zu küssen. „Ich leiste hier beste Verführungsarbeit“, murmelte er in ihr Ohr. „Und ich habe das Gefühl, es interessiert dich nicht.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, lehnte sich näher zu ihm und küsste ihn sanft auf die Lippen.

 

„Sorry“, murmelte sie lediglich. „Ich… habe nachgedacht.“

 

„Sehr gefährlich“, entgegnete er spöttisch. Er hatte ein hübsches Gesicht. Sanfte Barstoppeln zeichneten sich auf seinem Kinn ab. Es war faszinierend. „Worüber?“, wollte er dann wissen.


„Am Wochenende feiern Tante Ginny und Onkel Harry ihren Hochzeitstag, und… wir sind eingeladen, und…“

 

„Und?“ Er wartete, dass sie weiter sprach.

 

„Und meine Mum weiß nicht, dass…“

 

„Dass wir zusammen sind?“, schloss er nickend und rückte etwas von ihr ab.

 

„Ja“, bestätigte sie scheu.

 

„Und… hast du vor, es ihr zu sagen?“, fragte er eindeutig, und Rose seufzte.

 

„Ich… schon. Nur…“

 

„Rose, rede mit mir.“ Er klang eine Spur gereizt. Und er hatte Recht. Sie konnte über alles mit ihm reden.

 

„Ich meine… ich melde mich schon sonst nie bei ihr. Und ihr ausgerechnet vier Tage vorher Bescheid zu sagen, dass ich… meinen Freund mitbringen will, den sie nicht kennt – und wahrscheinlich nicht leiden kann, kommt nicht so gut“, schloss sie gequält.

 

„Du hättest ihr auch wesentlich eher Bescheid sagen können“, entkam es ihm kopfschüttelnd.

 

„Ich…- ja… nein“, widersprach sie. „Es hätte nichts daran geändert, dass du immer noch du wärst.“

 

„Wow“, entfuhr es ihm verletzt. „Was soll das heißen?“

 

„Das heißt, dass unsere Eltern im Wettbewerb stehen, und-“

 

„-na und? Dann tun sie das halt. Es beeinflusst doch nicht unsere Gefühle. Oder ist das bei dir anders?“, wollte er knapp wissen, und sie verdrehte die Augen.

 

„Pres, meine Mum schickt mir Pyjamas mit Rennbesen drauf!“, entfuhr es ihr peinlich berührt. „Was denkst du, was sie denkt, wenn… wenn ich sage, dass ich mit einem Jungen zusammen bin, der nicht nur älter ist, sondern auch noch in Slytherin und der Sohn von ihrem Konkurrenten?“

 

„Dass du verdammt guten Geschmack hast“, bemerkte er etwas eingebildet und grinste ein schiefes Grinsen. Aber Rose fand es nicht witzig. Gar nicht.

 

„Ganz zu schweigen von meinem Dad-“

 

„-Rose, ich bin wirklich nicht die schlechteste Wahl, die du treffen konntest, wenn ich mir dieses Statement erlauben darf“, begann er kopfschüttelnd. „Ich verstehe, dass es eine große Sache ist, aber wenn du es jetzt nicht machst – wann willst du es deinen Eltern dann sagen? Wenn du mit Hogwarts fertig bist? Wenn du ausgezogen bist? An deiner Hochzeit – wann? Deine Eltern denken doch wohl nicht, dass du immer nur artig in deinem Schlafsaal sitzt?“ Und wahrscheinlich dachten sie genau das.

 

„Presley-“

 

„-ich zwinge dich zu gar nichts. Und ich habe auch nicht vor, mit dir Schluss zu machen. Ich weiß, eure Familie ist groß und kompliziert – und es ist eine absolute Herausforderung, deinen Eltern gegenüber zu treten, aber ich bin bereit, das zu tun, Rose“, versprach er ihr aufrichtig. „Allerdings nur, wenn du bereit bist, diese Sache ernstzunehmen. Ich nehme es ernst. Ich… mag dich. Wirklich sehr“, ergänzte er stiller, und Rose fühlte sich wie eingesperrt in ihrem Innern. Sie konnte diese Worte nicht mal erwidern. Sie konnte nicht! Sie fühlte so nicht. Sie mochte Presley, mochte, wie er sich anfühlte, wie er sie küsste, wie er roch. Sie mochte das, aber… es war nicht das beste aller Gefühle. Das war es einfach nicht.

 

„Ok“, sagte sie. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. Und er hatte Recht. Es war schäbig von ihr, und es war nicht Presleys Schuld.

 

„Wenn du mich nicht dabei haben willst, ist das ok“, sagte er schlicht. „Aber du solltest dir überlegen, wann genau du weißt, ob es dir ernst ist. Daran ändert diese Party nichts.“ Und dann wurde er ernster und seine Stimme senkte sich minimal. „Denkst du an ihn? An Sco-“

 

„-nein!“, unterbrach sie ihn scharf. „Nicht alles hat immer nur mit ihm zu tun, ok?“, fuhr sie ihn zorniger an, als beabsichtigt. „Das ist alles neu für mich, Presley. Und ich habe keine Lust von meinen Eltern so angesehen zu werden, wie ich vom Rest meiner Familie immer angesehen werde!“, entkam es ihr wütend. „Als wüsste ich nichts, als verstünde ich nichts – und es wird hierbei nicht anders sein! Rose ist ein Mauerblümchen, Rose weiß nichts von Beziehungen, Rose hat Angst, es ihrer Mum zu sagen – ja! Das stimmt alles“, entfuhr es ihr wütend, und sie hatte sich erhoben.

 

„Rose“, sagte er fast beschwichtigend und erhob sich ebenfalls. „Du brauchst mehr Zeit – ok! Ich hab’s verstanden!“

 

„Nein, hast du nicht!“, entkam es ihr, und sie wusste nicht mal, warum sie so wütend war. „Ich habe keine Lust mir diese Sache noch mal von dir anzuhören. Dass du bereit wärst, so viele Hürden zu überwinden, dass du bereit bist, eine richtige Beziehung zu führen! Ich kann das auch!“, versicherte sie ihm, etwas übereifrig. „Und ich hasse diesen Druck – also hoffe ich mal, du hast dir gut überlegt, was du da willst, denn ich werde ihr jetzt schreiben, Presley!“, drohte sie und entfernte sich von ihm.


„Rose, warte!“, sagte er mit Nachdruck, aber sie ließ sich nicht erpressen. Nicht emotional und auf keine andere Weise.


„Du willst doch mitkommen, oder nicht? Du willst, dass ich zu dir stehe, weil du Angst hast, dass ich es nicht tue, wegen… wegen!“ Sie wollte es nicht sagen. Es lag alles nicht an Scorpius! Tat es nicht! Sie weigerte sich, überhaupt darüber nachzudenken. Es machte sie so unfassbar wütend!

 

„Rose, ich will nicht, dass du das aus Trotz machst, weil du denkst, ich zwinge dich“, fuhr er sie jetzt ebenfalls wütend an.

 

„Pech, Presley!“, entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust.


„Willst du mich überhaupt dabei haben?“, wollte er stiller wissen, und sie antwortete überzeugt, auch wenn sie es eher halbherzig meinte. Jetzt ging es nur noch ums Prinzip.


„Ich will dich immer dabei haben. Ich brauche nur länger für Sachen, aber damit du weißt, dass es mir ernst ist – gehe ich diesen Schritt.“ Sie klang unzufrieden, und er sah ebenfalls merklich unzufrieden aus.

 

„Du weißt, dass ich dich nicht dazu zwinge? Auch nicht zwischen den Zeilen?“, wollte er ungläubig von ihr wissen.


„Fein. Meinetwegen“, erwiderte sie.


„Rose“, begann er gepresst.

 

„Ich werde es ihr sagen, und du wirst mitkommen. Ich halte meinen Kopf nicht hin, damit du absagst!“, warnte sie ihn.

 

„Deinen Kopf? Merlin, Rose, es sollte nicht-“

 

„Wirst du absagen?“, fuhr sie ihn an, und er verdrehte die Augen.

 

„Nein, du Verrückte!“, knurrte er und schloss den Abstand. „Es ist kein verdammter Wettbewerb, ok?“ Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. „Ich… ich bin verliebt in dich, und will dich immer sehen“, endete er fast lautlos, und es waren schöne Worte. Sie würde ihm gerne glauben, und sie würde es gerne fühlen. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, und verlangend küsste er sie. Das Kribbeln blieb aus. Es war ein schönes Gefühl, und mehr nicht. Und sie wusste schon jetzt, es ihrer Mum zu sagen, war ein unfassbarer Fehler. Wenn sie jetzt diese Pforten öffnete, ihrer Mum schrieb – dann würde es ihre Mum nur als Aufforderung sehen, ihr öfter zu schreiben, sie ernsthaft nach ihrem Privatleben zu fragen, und Rose hasste diese Vorstellung schon jetzt. Und sie tat es Presley zu Liebe, obwohl sie… überhaupt kein ernsthaftes Interesse an einer langfristigen Beziehung hatte. Aber das sagte sie ihm nicht. Das gestand sie sich ja kaum selber ein. 

Es wurde verdammt kompliziert, und sie tat Presley damit genauso weh wie sich selber. Aber sie war stolz, und sie konnte nicht leiden, dass ihr irgendeine Art von Feigheit unterstellt wurde.

 

„Nehmt euch ein Zimmer!“, hörte sie die beleidigte Stimme von Fred aus den Tiefen des Sessels vorm Kamin, der sich in den letzten Wochen ziemlich ausgeschlossen fühlte, wie er sagte, denn sogar Louis hatte ein neues Objekt der Begierde gefunden. Blieb nur noch Albus über. Und Scorpius. Und ihre Laune war auch deshalb merklich schlecht, weil Dom wieder Kontakt zu Scorpius aufbaute. Es war offensichtlich, was sie tat.

Aber… vielleicht würde Rose ja noch ihre tiefe Zuneigung zu Presley finden, wenn ihre Familie ihn am Wochenende willkommen hieß – und wenn sie Scorpius nicht ertragen musste, ihm nicht zusehen musste, wie er höchstwahrscheinlich wieder mit Dom zusammen kam.

 

Ja, ihre Laune war unten durch. Blöder Tag. Absolut blöd.

 

 

 

„Dann bin ich die einzige ohne Date!“, entkam es ihr aufgebracht, und Lily erwähnte nicht mal, dass sie ebenfalls datelos war. Es wäre Dom ohnehin egal. Und niemand würde je auf die Idee kommen, dass Lily überhaupt das Verlangen nach einer Verabredung hatte. So war ihre Familie nämlich. „Ich meine, wie sieht das aus?“, jammerte Dom, während sie schlecht gelaunt ihre Haare kämmte. Lily war nur hier oben, weil sie nicht wusste, was sie sonst mit sich anfangen sollte. Und jetzt wünschte sie schon, dass sie in die Bibliothek verschwunden wäre.

 

„Wie soll es schon aussehen“, erwiderte Vic etwas desinteressiert, während sie die neuen französischen Kosmetikprodukte ausprobierte, die ihre Tante Gabrielle geschickt hatte.

 

„Es sieht so aus, als wäre ich ein kleines Kind! Merlin, sogar Rose hat ein Date!“, entfuhr es ihr. Vic legte den Pinsel beiseite, betrachtete ihr Werk und wandte sich dann an ihre Schwester. Lily tat so, als beschäftige sie sich ausgiebig mit dem magischen Makeup Pinsel, die selbstauftragend waren.

 

„Du weißt, die Malfoys kommen?“, sagte sie eindeutig, und Lily hob überrascht den Blick.


„Was?“ Dom starrte ihre Schwester an.

 

„Mum hat mir schon die Gästeliste geschickt? Und Tante Hermine hat sie eingeladen, und Mr. Malfoy hat bereits zugesagt? Er kommt mit seinem Sohn?“, erläuterte sie. „Dann kannst du mit ihm deine Zeit verbringen.“

 

„Oh“, machte Dom merklich still. „Ich… habe schon überlegt, ob ich ihm noch eine letzte Chance gebe“, sagte sie fast sanft. „Ich glaube, er will mich immer noch?“ Und es war das leiseste Geräusch, was Lily von sich gab, aber Doms Kopf flog herum. „Was? Denkst du nicht?“, wollte sie sofort von ihr wissen, und Lily hatte lediglich resignierend ausgeatmet. Nichts weiter.


„Was? Nein! Ich… habe nichts gesagt, Dom“, erwiderte sie mit erhobenen Händen.

 

„Ich glaube nicht, dass er wirklich nachgedacht hat, als er Schluss gemacht hat!“, behauptete Dom jetzt überzeugt. „Und außerdem hatte er auch keine andere. Vielleicht… war er einfach nur verwirrt? Wusste nicht, was er wollte? Vielleicht hatte er wirklich Potenzprobleme, die er mittlerweile in den Griff – oh Merlin, Lily, was soll das?“, fuhr ihre Cousine sie wieder an, und Lily biss sich auf die Zunge. Sie hatte schon wieder übertrieben laut ausgeatmet, aber sie konnte sich kaum aufhalten. Dom war so… unglaublich oberflächlich! „Ich meine, was weißt du schon?“, ging Dom direkt zum Angriff über. „Du hast nicht mal einen Freund!“ Und Lily spürte, wie sich ihr Rücken durchstreckte. Und sie sprach, ohne es wirklich zu wollen.

 

„Immerhin weiß ich, wann mich jemand ersetzt, und wann nicht, Dom!“, fuhr sie ihre Cousine scharf an, und Doms Augen wurden groß.

 

„Was soll das bedeuten?“

 

„Er hatte eine andere!“, spuckte Lily ihr entgegen, und selbst Vic schien neues Interesse an dieser Unterhaltung zu gewinnen.

 

„Ja? Wen?“ Ihr Blick war einigermaßen abgeklärt, und Vic war auch nicht so ein Hitzkopf, wie Dom es immer war.

 

„Ich… ich weiß es nicht“, ruderte Lily jetzt stiller zurück.

 

„Von wem hast du das gehört? Wer hat das gesagt? Albus?“, entfuhr es Dom aufgebracht. „Ich will wissen, welches Mädchen es gewagt hat, meinen Platz einzunehmen! Sie gehört von der Schule geworfen!“

 

„Weil sie was mit einem Jungen hatte, der dich nicht mehr wollte?“, erkundigte sich Lily ernsthaft ungläubig, aber Doms Blick war kalt.

 

„Es gibt niemanden, der mich einfach so nicht mehr will! Weißt du eigentlich, wie viele Liebesbriefe ich bekommen habe, in den letzten sechs Jahren, Lily? Weißt du überhaupt, was ein Liebesbrief ist?“ Lily schluckte die Beleidigung runter. Ihre Cousine war einfach nur scheiße. „Wahrscheinlich war es eine von diesen Slytherin-Goldgräberinnen, die sich überhaupt nicht um Scorpius scheren!“, fuhr sie zorniger fort.


„Es war eine Gryffindor“, sagte Lily schlicht. „Soweit ich hörte“, ergänzte sie, und Vics Blick war mittlerweile stechend.

 

„Eine was?!“ Dom schrie jetzt praktisch. „Oh, ich werde schon rausfinden, wer das war! Und Gnade ihr Morgana, wenn ich sie gefunden habe! Das heißt Krieg!“ Sie warf die Haarbürste zornig auf ihr Bett, bevor sie aus dem Schlafsaal rauschte. Vic setzte sich wortlos zu Lily aufs Bett und begann, den magischen Effektrouge auf ihren Wangen zu verteilen. Lily ließ es etwas geschockt über sich ergehen.

 

„Du weißt, wer es war, oder?“, vermutete Vic mit ruhiger Stimme, und Lily schluckte schwer, denn ihr Hals war trocken.

 

„Nein, ich-“, begann sie kopfschüttelnd, aber Vic verdrehte die Augen.

 

„-selbst wenn er in meinem Jahr gewesen wäre, hätte ich die Finger von Scorpius Malfoy gelassen“, bemerkte sie bloß kopfschüttelnd. „Und wäre ich Rose“, fuhr sie noch stiller fort, während sie begann, mit dem Zauberstab Concealer-Punkte auf Lilys Wangen zu verteilen, „würde ich mir ein sehr gutes Versteck suchen“, schloss sie seufzend. Lily hatte den Atem sehr plötzlich angehalten. Vic klang völlig überzeugt, und Lily begriff nicht, wie es sein konnte! Dann hoben sich Vics klare blaue Augen zu ihren. „Du weißt, dass ich mich in Okklumentik weiterbilde, oder?“, sagte sie schlicht, und Lilys Mund öffnete sich. „Und deine Gedanken sind schreiend laut, Lily. Wirklich laut“, ergänzte sie eindeutig, und Lily konnte vor Schreck nur blinzeln.

 

„Du… du kannst es nicht sagen“, entfuhr es Lily tonlos, und Vic verdrehte die Augen. 

 

„Als ob ich an euren Kleinkinder-Auseinandersetzungen Interesse hätte. Ich habe andere Sorgen“, ergänzte sie seufzend. Lily runzelte die Stirn, nachdem Vic mit ihrem Gesicht fertig war und den Zauberstab senkte.

 

„Was für Sorgen? Dein Vater hat doch erlaubt, dass du Teddy heiratest“, flüsterte sie bloß, und hoffte, Vic konnte nicht aus ihren Worten lesen, wie neidisch Lily war. Vic lehnte sich zurück.

 

„Du behältst doch gerne Geheimnisse, oder?“, erkundigte sich Vic bei ihr, und strich sich über den Bauch. „Ich bin schwanger“, sagte sie dann mit einem schmalen Lächeln. „Natürlich von Ted“, ergänzte sie, falls Lily es hatte anzweifeln wollen.

 

„Oh Merlin“ flüsterte Lily schockiert und fand, Vic hatte Recht. Es verlieh Doms und Roses Problem eine absolute Banalität. „Wissen deine Eltern-?“

 

„-nein! Natürlich nicht. Ich sage es ihnen, wenn ich die Utze bestanden habe. Dann… ist es vielleicht nicht ganz so schlimm“, ergänzte sie achselzuckend. Lilys Blick fiel automatisch auf ihren Bauch.

 

„Die Utze sind im Frühling! Wird man dann nicht schon sehen, dass-?“

 

„-ich kenne ein paar Desillusionierungen, die den Bauch verbergen werden. Im Juni ist der Termin“, sagte sie, aber sie lächelte dabei.

 

„Wow“, sagte Lily bloß.

 

„Ja“, bestätigte Vic. „Sag es keinem, ok? Erst recht nicht deinen Brüdern!“, befahl sie ihr, und Lily nickte heftig. Natürlich nicht! Als ob sie nichts Besseres zu tun hatte. Es setzte alles in andere Perspektiven. Arme Vic, dachte Lily plötzlich.

„Also?“, fuhr Vic schließlich fort. „Was will Rose mit Presley?“, erkundigte sie sich, und Lily konnte nicht verhindern, sich immer wieder zu fragen, ob sie schuld daran war, dass sich Scorpius und Rose nicht mehr trafen, und ob… Presley ein billiger Ersatz war? Und sie hoffte, Vic las ihre Gedanken gerade nicht. Sie zuckte also die Achseln.

 

„Keine Ahnung“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

 

„Ehrlich gesagt“, bemerkte Vic ein wenig nachdenklich, „würde ich es meiner Schwester gönnen, dass sie von ausgerechnet Rose ausgeboten wird“, schloss sie mit einem feinen Lächeln. „Es hätte was“, sagte sie, und hübsche Grübchen erschienen auf ihren Wangen.

 

„Mh“, machte Lily, denn sie war sich da nicht sicher. Gar nicht sicher. „Vic?“, fragte sie schließlich, denn jetzt konnte sie diese Gedanken nicht mehr abschütteln, aber Vic hatte ihre Gedanken wohl gelesen.

 

„Es wird ein Mädchen“, beantwortete sie die ungestellte Frage, und zum ersten Mal seit langer Zeit, strahlte sie übers ganze Gesicht. Und auch Lily konnte nicht anders, als breit zu lächeln.

 

„Wie schön“, flüsterte sie voller Zuneigung, und sie hatte gar nicht gewusst, dass ihre Cousine doch nicht so übel war, wie sie immer geglaubt hatte.

 

 

 

Twenty-Nine

 

„Ron, beruhige dich“, sagte sie wieder, während ihr Mann, die unordentlichen Zeilen ihrer Tochter wieder und wieder las.

 

„Ja, aber… aber was soll das heißen? ‚Sind zusammen‘?“ Er sah sie auffordernd an, als hätte sie alle Antworten parat.

 

„Ich denke, das heißt, sie sind… Freund und Freundin“, schloss Hermine eindeutig, und Ron verzog den Mund.

 

„Oh Merlin, ich weiß, was es heißt!“, entkam es ihm gereizt. Er hatte seine Uniform noch nicht verschlossen und sah reichlich albern aus, wie er jetzt vor ihr stand, mit bloßem Oberkörper, während der Overall im halb über den Hüften hing.

 

„Ron-“, begann sie wieder, und er schüttelte den Kopf.

 

„-es gefällt mir nicht. Wieso… wieso macht sie das? Was soll das auf einmal?“ Wieder sah er sie an, als wäre sie schuld. „Ich meine, Jungen in dem Alter sind… sie sind… Schweine!“, entrüstete er sich, fast panisch. „Wenn er sie anrührt- wenn…“

 

„Ich denke, Rose wird nichts tun, was sie nicht tun will“, versuchte Hermine es erneut.


„Merlin, was soll das heißen? Sie soll gefälligst gar nichts tun! Sie ist unser kleines Mädchen! Sie spielt Quidditch! Sie… trägt kein Makeup, keine Kleider – sie ist… überhaupt noch nicht reif genug, um einen Freund zu haben! Und garantiert nicht so einen Lustmolch aus dem siebten Jahr!“

 

„Lustmolch?“, wiederholte Hermine fast amüsiert, aber Ron schien es nicht witzig zu finden. Er funkelte sie an, was schon beeindruckend war, bedachte man, dass er halbnackt vor ihr stand.

 

„Ja!“, entgegnete er wütend. „Hast… hast du schon zurückgeschrieben? Hermine, du hast es nicht erlaubt, oder?“, entkam es ihm hastig, und sie verdrehte die Augen.

 

„Wenn ich unserem Sohn erlaube, eine Freundin einzuladen, die ein Jahr älter ist als er, wie würde es aussehen, wenn ich Rose nicht dasselbe erlaube, Schatz?“, wollte sie nachsichtig von ihm wissen, aber sein Ausdruck wurde finster.

 

„Weil es nicht dasselbe ist, ganz einfach“, blaffte er.

 

„Richtig“, entfuhr es ihr scharf. „Du bist stolz auf Hugo, weil du schon Sorge hattest, dass er nie ein Mädchen findet, aber bei Rose ist es ganz anders?“

 

„Natürlich ist es anders! Ich will nicht, dass ihr Herz gebrochen wird, von irgendeinem Slytherin-Vollidioten, der sowieso nur das eine will!“

 

„Und wer wäre passend für unsere Tochter?“, entkam es ihr mehr als gereizt.

 

„Niemand! Wenn überhaupt - ein Gryffindor! Und garantiert nicht jetzt! Irgendwann, kurz vor ihrem Abschluss. Oder weit danach, wenn sie in der Ausbildung ist! Dann vielleicht!“

 

„Oh Ron!“, entkam es ihr kopfschüttelnd. Er übertrieb so maßlos. Und dass er annahm, Rose würde eine Ausbildung machen, war schon gewagt. Sie wusste, Ron hoffte auf die Aurorenausbildung. Hermine hoffte, sie schaffte Hogwarts in der Regelzeit. Sie sah allerdings noch nicht, dass ihre wenig ambitionierte Tochter die schwierige Prüfung zur Aurorin ablegte. Und sie ging stark davon aus, Rose wollte das gar nicht. Mehr als einmal hatte Hermine schon mitbekommen, dass sie mit George über ein Langzeitpraktikum im Scherzartikelladen gesprochen hatte. Aber das war eine ganz andere Baustelle.

 

„Ich meine, es ist schlimm genug, dass du die Malfoys eingeladen hast!“, entrüstete er sich wieder, und darüber hatte er gut und gerne schon zwei Wochen geschimpft. „Und jetzt arrangierst du Dates für unsere minderjährige Tochter!“

 

„Rose ist sechzehn, und höchstwahrscheinlich hätte Albus Scorpius ohnehin eingeladen“, ergänzte sie achselzuckend.

 

„Ja, das ist auch noch so eine Verbindung, über die Harry sich Gedanken machen sollte. Gott!“, entfuhr es Ron, und es amüsierte sie auch, wenn er Muggel-Worte benutzte. „Die ganze Sache mit Albus ist schon… eklig genug“, murmelte er seufzend.

 

„Ok. Ich möchte, dass du dich wieder beruhigst. Ich muss los, und ich habe keine Lust, dass wir uns über Tatsachen streiten, die nicht zu ändern sind. Wir haben eine hübsche Tochter, und es ist an der Zeit, dass es jemandem auffällt. Und warum nicht Amorys Sohn? Immerhin ist Presleys Vater engagiert, wir kennen ihn, und-“

 

„-und er ist Reinblüter“, knurrte Ron.

 

„Du bist Reinblüter“, erinnerte sie ihn still.

 

„Nicht so einer!“, beschwerte er sich. Hermine verdrehte demonstrativ die Augen.


„Wir können diese Sachen nicht kontrollieren. Und sie ist schon lange nicht mehr dein kleines Mädchen, Ron. Sie ist… eine Frau.“

 

„Sie ist keine Frau!“, fuhr er sie an, als hätte sie ihre Tochter soeben aufs Schlimmste beleidigt.

 

„Ron-“

 

„-ich darf mich darüber aufregen, oder nicht?“, wollte er aufgebracht wissen. „Ich liebe unser Mädchen, und ich habe Angst, dass sie einen Fehler macht, dass sie… sich überreden lässt, zu widerlichen Dingen, weil sie es bei ihren Cousinen sieht!“

 

„Du redest von-?“

 

„-von wem rede ich wohl? Nur weil Bill eine kranke Erziehungsmethode hat, Malfoys bei sich willkommen heißt, und Vic nicht schnell genug unter die Haube bekommt, heißt es nicht, dass ich genauso bin, Merlin noch mal!“

 

„Hör auf, mit den Malfoys, Ron!“, entfuhr es ihr gepresst.

 

„Es geht mir auch nicht um die Malfoys, verdammt! Mir sind sie völlig egal, ok? Es geht darum, dass du mir solche Sachen vorenthältst!“, fuhr er sie an, die Hand mit dem zerknüllten Brief anklagend erhoben.

 

„Oh, und du hast auch nicht den blassesten Schimmer, warum ich so etwas tue, ja?“, wollte sie herausfordernd wissen, und seine Hand sank langsam, aber sein Blick war kochend.

 

„Weil du denkst, dass ich überreagiere, wie meine Mum“, entgegnete er gepresst und zähneknirschend.

 

„Kaum“, entgegnete sie trocken und äußerst spöttisch.

 

„Wie kannst du für jeden noch so bekloppten Wähler ein offenes Ohr haben und vollstes Verständnis zeigen, und mich hierbei nicht unterstützen, Hermine?“

 

„Wobei genau?“ Langsam reichte es ihr. „Du willst doch überhaupt nicht, dass ich Rose alles verbiete! Du möchtest, dass ich solche Sachen gezielt vor dir verberge und alleine löse, damit du dich fünf Minuten aufregen kannst, während du heimlich froh darüber bist, diese Entscheidungen nicht treffen zu müssen, weil du verdammt noch mal versagen würdest!“, rief sie unfassbar zornig.

 

„Du kommst sofort her!“, knurrte er jetzt praktisch, und bevor sie sich wehren konnte, hatte er sie in seine Arme gezogen. Sie protestierte halbherzig, als er sie küsste und ihre Frisur durcheinander brachte. Sie stemmte die Hände gegen seine bloße Brut, aber sie war ehrlich gesagt nicht wirklich sauer.

 

„Ron“, murmelte sie gegen seine Lippen, aber musste bereits lächeln. Er gab sie frei, behielt sie aber in seinen Armen.

 

„Ich liebe dich“, sagte er, wesentlich ruhiger, als noch vor zwei Minuten.

 

„Weil ich Recht habe?“, vermutete sie und lehnte sich gegen seine muskulöse Brust.

 

„Na ja“, entgegnete er und verdrehte die Augen. „Sie schreibt, dieser Presley ist Hüter?“, bemerkte er, halb interessiert, und sie musste grinsen.

 

„Mhm. Hat deine Tochter da etwa Geschmack?“, neckte sie ihn, und er atmete lange aus.

 

„Schaden kann es nicht“, schloss er schließlich. „Kriegen James und Fred das hin?“, ergänzte er schließlich, die Stimme wieder neutral.

 

„Apparieren? Ich denke, sie brennen darauf“, erwiderte sie und kuschelte sich enger gegen ihn. James, Fred und Vic brachten die übrigen nach Hause, mussten dafür mehrfach apparieren, aber das war die Art von Verantwortung, die sie übernehmen mussten, jetzt wo sie volljährig waren.

 

„Wann kommen die Kinder?“ Er fragte in einem eindeutigen Tonfall, mit Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch.

 

„Ron“, entfuhr es ihr überrascht. „Wir müssen gleich los. Du hast die Sitzung im Team und ich-“

 

„-dreißig Minuten“, unterbrach er sie herausfordernd.

 

„Was willst du in dreißig Minuten machen?“, neckte sie ihn und biss sich auf die Lippe. „Ich meine, fünf Minuten haben wir Sex, weil du keine Ausdauer mehr hast, und dann was? Willst du Wäsche machen? Die Küche wischen? Vielleicht noch-?“ Aber mit einem wissenden Nicken unterbrach er sie.

 

„-keine Ausdauer, ja? Ich zeige dir, wer keine Ausdauer mehr hat!“, nahm er die Herausforderung an, und wieder verschloss er ihre Lippen. Ihre Augen schlossen sich und ihre Arme legten sich automatisch um seinen Nacken. Dann kam sie eben ein bisschen zu spät…. Ein kleines Bisschen. Es kribbelte in ihrem Bauch, als er in die Knie ging, sie auf die Arme hob und tatsächlich in Richtung Badezimmer trug. Sie löste sich hastig von seinen Lippen.

 

„Ronald, was hast du-?“

 

„-ist eine Weile her, dass wir zusammen geduscht haben“, entgegnete er mit dunklen Versprechungen im Blick.

 

„Ron!“, entkam es ihr mit großen Augen, und überraschte Hitze stieg in ihre Wangen. Manchmal war er… so unverschämt sexy, dass ihre Knie weich wurden. Sie liebte ihn noch immer so sehr, wie vor zwanzig Jahren. Und ein wenig Zeit hatten sie noch, bevor ihre Kinder nach Hause kämen….

 

 

 

 

Sie war froh, dass Fred sie absetzte, und nicht Presley. James brachte Rumer nach Hause, und es machte Sinn. Aber wären ihre Eltern zu Hause und würden durchs Fenster spähen, dann würde sie im Boden versinken. Das würde sie ohnehin wohl noch tun. Sie war sich sicher, es würden heute Abend ohnehin noch unangenehme Gespräche folgen, denn ihre Mutter hatte bestimmt ein Dutzend unpassende Fragen, und sie sprach noch immer nicht mit Hugo. Und es war erst Freitag. Morgen würde es noch schlimmer werden.

 

„Ok. Dann sehen wir uns morgen“, verabschiedete sich Fred missmutig. Er musste jetzt noch Hugo holen und dann seine eigene Schwester nach Hause bringen. Es war schon ein Aufwand, und Rose war froh, noch nicht selber apparieren zu müssen. Vor allem mussten James und Fred morgen auch Apparierer spielen und alle Eltern nach Hause bringen. Das war der Deal. So konnten die Erwachsenen trinken. Nicht, dass Rose große Lust auf Alkohol hatte, aber vielleicht trank sie heimlich ein Glas Champagner.

 

Es war eigenartig, Zuhause zu sein, mitten im Schuljahr. Sie wandte sich an ihren Cousin. „Danke, Fred“, sagte sie lächelnd. Er zuckte die Achseln. Sie wusste, er war traurig, weil er kein Date hatte. Und für gewöhnlich hätte sie ihn aufgeheitert, weil sie auch nie eine Verabredung hatte, aber dieses Mal fiel sie aus der Norm.

 

„Kein Ding. Mach’s gut“, wiederholte er, hob die Hand, drehte sich um sich selbst und war wieder verschwunden. Ihr waren keine tröstenden Worte eingefallen. Seufzend verschwand sie ins Haus, bevor er mit Hugo zurückkam, und ihr Bruder wieder irgendwelche unpassenden Bemerkungen machte, auf die sie nicht eingehen wollte. Sie hatte keine Ahnung, wie sich dieser Streit lösen sollte, aber den ersten Schritt würde sie garantiert nicht machen. Sie schritt zur Tür und bückte sich nach dem großen Blumenkübel, worunter ihre Mum den Schlüssel heute deponiert hatte. Sie klopfte nicht an, wollte nicht testen, ob irgendwer da war, sondern schloss auf und platzierte den Schlüssel für Hugo wieder unter dem Kübel.

Sie ließ die Tür ins Schloss fallen, und atmete den vertrauten Duft ihres Zuhauses ein.

 

„Hallo?“, rief sie in den langen Flur. „Dad? Mum?“ Aber niemand antwortete. Sie war allein. Gut so. Eilig lief sie in die Küche, griff sich die Packung Bertie Crispy Flakes aus dem Regal und eine Flasche Apfel Cider ohne Alkohol aus dem Vorrat, um sich in ihre Zimmer zurückzuziehen, und bis zum Abendessen nicht rauskommen zu müssen. Sie würde vermeiden, Hugo zu begegnen, egal, wie albern es war.

 

Aus dem Küchenfenster sah sie, wie Fred erneut apparierte, diesmal mit Hugo im Schlepptau, und eilig, ohne abzuwarten, stürmte Rose die knarrenden Stufen empor, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen, damit Hugo nicht reinkam. Aber sie wusste, ihr Bruder war genauso stur wie sie. Es sollte sich kein Gespräch zwischen ihnen ergeben.

Sie lehnte sich gegen die Tür und sah, dass ihre Mutter mal keinen Ordnungsfimmel bekommen hatte, und ihre Zimmer sah ähnlich unordentlich aus, wie vor ein paar Monaten, als sie gegangen war. Das Bett war gemacht, aber ansonsten wirkte alles wie immer. Ihr Blick wanderte über die Wände, die mit Quidditchpostern und Gryffindor-Bannern verhangen waren. Sie runzelte die Stirn. Es kam ihr alles so kindisch vor.

Sie stellte ihren Proviant auf dem Schreibtisch ab, und unschlüssig näherte sie sich dem Cannons Poster, was an den Ecken bereits ausgefranst war. Ihre Hände hoben sich, lösten den magischen Kleber vorsichtig, und mit einem erschrockenen Blick sahen ihr die Spieler zu, wie sie das Poster zusammenrollte.

Auch einige Banner nahm sie ab. Ihr war nicht aufgefallen, wie kindisch ihr Zimmer war. Aus ihrer Jackentasche holte sie den verkleinerten Beutel hervor und griff beherzt hinein. Bis zur Schulter verschwand ihr Arm im Beutel, und was sie sich mitgenommen hatte, waren… Schulbücher. Aber das hatte sie keinem verraten. Sie wischte die Scherzartikel von ihrem Schreibtisch, um die Bücher dort zu stapeln. Sie wollte ein wenig nacharbeiten. Nur ein bisschen. Nicht viel, hatte sie sich versprochen. Sie hatte sich sogar ein Buch über Geisterkunde ausgeliehen, da sie dieser Snape-Sache auf den Grund gehen wollte, ohne ihre Mum zu fragen.

 

Dann ging sie zu ihrem Kleiderschrank, denn morgen Abend würde sich ein weitaus größeres Problem stellen. Sie hatte Presley angedroht, dass er sich noch wundern würde, und dass sie nicht immer nur Jeans und Kapuzenpullis tragen würde. Er hatte gelacht, behauptet, sie gefiele ihm auch in Schlabbersachen, aber sie hatte ziemlich viel Aufhebens darum gemacht, dass sie sehr wohl wusste, wie man sich entsprechend kleidete, und dass sie die bequemen Sachen nur aus Pragmatismus bevorzugte. Eine Lüge, natürlich. Aber das wusste Presley nicht, und jetzt hatte er sich ziemlich gespannt von ihr verabschiedet und ihr versprochen, ihr in nichts nachzustehen, und seinen neuen Anzug zu tragen.

Sie bereut diese Entscheidung sehr, aber wahrscheinlich würde sie ohnehin etwas Vernünftiges anziehen müssen, denn zum zwanzigsten Hochzeitstag trug man bestimmt ohnehin schicke Kleidung.

Sie zog die Schranktür auf, und die Seite, wo nur die Stange befestigt war, war sehr übersichtlich, denn Rose besaß nicht viele Sachen, die aufgehangen werden mussten. Sie besaß eine Handvoll Kleider, und das auch nur, weil Tante Fleur es sich nicht hatte nehmen lassen, ihr ab und an Couture aus Frankreich mitzubringen, weil es sich für junge Damen gehörte, mindestens ein Kleid zu besitzen.

Sie griff sich das eindrucksvollste, was noch eingepackt am Bügel hing. Es war blau. Rose hasste Blau. Sie fand, der Kontrast zu ihren Haaren war zu auffällig, und es lenkte lediglich alle Blicke auf sie. Aber vielleicht war das genau, was sie morgen brauchte, um Presley zu beeindrucken – oder eben alle zu beeindrucken, die da waren. Und irgendwo in ihrem Hinterkopf dachte sie darüber nach, Dom auszustechen. Vielleicht ein einziges Mal eindrucksvoller auszusehen, als Dom es ständig tat. 

 

Sie zog es aus dem Schrank, holte es aus der Tasche und legte es auf ihr Bett. Sie kaute abwesend auf ihrer Lippe. Es war sehr schmal in der Taille. Ob es überhaupt noch passen würde? Silberne Seidenblumen verteilten sich schwach auf dem Stoff, aber sie waren magisch und glänzten nur, wenn das Licht sie direkt traf. Es war ein schönes Kleid. Das Blau war satt und tief, und es war ein Kleid, was die Schultern frei ließ. Es besaß keine langen Ärmel, hatte lediglich eine breite Stola, die man sich umlegen konnte, und sie war ebenfalls mit silbernen Seidenblumen bestickt.

Der Rock setzte direkt an der Taille an, war lockerer als der Rest und würde ihr bis eine Handbreit übers Knie reichen. Es war ein kurzes Kleid, allerdings optional mit einem Wärmezauber versehen, den das magische Garn aktivierte. Es wäre also geeignet. Das einzige, was sie nicht besaß, waren blaue Schuhe, die passen würden. Sie stellte sich vor, dass hohe Schuhe wirklich gut aussehen würden. Aber… sie hatte keine hohen Schuhe. Allein der Gedanke an einen hohen Absatz ließ ihre Laune sinken.

 

Ob es noch passte? Kurzerhand zog sie die Vorhänge ihres Fensters zu, bevor sie sich langsam entkleidete. Ihre wilden Locken fasste sie mit beiden Händen zusammen und knotete sie in einen funktionalen Dutt, hoch auf ihrem Kopf. Sie war ein wenig nervös, obwohl sie alleine im Zimmer war. Nur noch in Unterwäsche bekleidet stellte sie sich vor ihren Kleiderschrank, um das breite Cannons Tuch vom Spiegel zu entfernen. Vor Jahren hatte sie den Spiegel ihres Kleiderschranks verhangen, weil sie keine Lust gehabt hatte, ständig ihr Spiegelbild sehen zu müssen, wann immer sie sich umzog. Aber heute… änderte sie ihre Meinung. Und es tat gar nicht so weh, wie sie gedacht hatte, sich von einigen Quidditch-Dingen zu trennen. Es war gar nicht schlimm. Der Spiegel war sauber, und sie betrachtete sich prüfend. Ihr Blick fiel auf ihren Oberkörper, ihren Bauch, glitt ihre Beine hinab, und nein, sie war nicht dick. Nicht im Ansatz. Und ihre Taille war schmal genug, dass sie vielleicht noch in das Kleid passen würden. Aber sie wusste, einen BH würde sie nicht tragen können. Dass das Kleid schulterfrei war, würde sie dazu zwingen, ohne BH zu bleiben.

 

Sie öffnete ihren Sport-BH ungeschickt, warf ihn aufs Bett, betrachtete sich noch einmal kritisch von allen Seiten, bevor sie ausatmete und zum Bett zurückkehrte. Vorsichtig öffnete sie den verborgenen Reißverschluss, die wenigen Haken und Ösen, um dann in das praktisch jungfräuliche Kleid zu steigen. Der Stoff fühlte sich schwer und angenehm kalt an. Er schmiegte sich an ihren Körper, so eng war das Kleid. Sie hatte gehofft, es würde weiter fallen, aber es überließ wahrlich wenig der Fantasie. Kurz hatte sie Mühe, den steifen Reißverschluss wieder zu verschließen, und auch die Ösen wollten nur widerwillig halten, denn ihr Busen war doch in den letzten Jahren gewachsen. Es war ihr nie aufgefallen.

 

Luftig war das Gefühl ihrer Oberschenkel, denn der zarte Stoff umfloss ihre Beine locker und bewegte sich geschmeidig bei jeder Bewegung. Sie wandte sich mit Angst ihrem Spiegelbild zu – und staunte kurz. Sie sah älter aus als sonst, war das erste, was ihr auffiel. Und.. sie sah aus, wie ein Mädchen. Ihre Figur war ok. Fast überraschte sie diese Erkenntnis. Sie war keine Veela, aber sie war nicht hässlich. Gar nicht. Sie trat näher an den Spiegel, fast ungläubig. Ihr Busen wirkte größer, als sonst. Ihre Beine schlanker, als in den alten Trainingshosen. Sie störte sich an den vielen Sommersprossen, die sich auf ihren Schulterblättern verteilten, aber dagegen war nicht viel zu machen, nahm sie an. Sie drehte sich, und die Schichten des Stoffes ließen es so wirken, als hätte sie eine hübsche Rundung, wo ihr Po saß. Ein sehr schmeichelhaftes Kleid. Und die Farbe war auffällig, spiegelte sich praktisch in ihren Augen, und hin und wieder fing sie den glänzenden Effekt der Silberblüten auf, wenn das dämmrige Licht sie traf.

 

Sie zog die Träger zurecht. Sie waren nicht gerafft, langen recht eng und flach über ihren Oberarmen und waren etwa Handbreit. Dadurch, dass sie über ihren Oberarmen saßen, wurde ihr Busen noch ein wenig mehr gefördert, etwas mehr unterstützt und gepusht, und sie hatte nie gewusst, dass sie einen Ausschnitt haben konnte.

 

„Rose?“ Es klopfte laut an ihrer Tür. Es war ihre Mum. „Machst du auf, Schatz?“, rief sie, und Roses Herz schlug ihr bis zum Hals.


„Mum, einen Moment, ich-“

 

„-komm schon, mach auf! Ich will dich begrüßen, Liebling!“, hörte sie die Stimme ihrer Mum, und Rose schämte sich bis ins Mark, wollte fast den Spiegel wieder verhängen, aber ihr blieb wohl keine Zeit. Und sie durfte nicht zaubern, konnte sich also nicht schnell aus diesem Ungetüm an Kleid befreien und sah keinen direkten Ausweg. „Rose?“, rief ihre Mum wieder, und Rose atmete aus.

 

„Mum, erschrick dich nicht, ja?“, rief sie und näherte sich der Tür. Sie hörte die Sorge in der Stimme ihrer Mum sofort.


„Was ist los?“, fragte sie.


„Ich… ich habe ein Kleid anprobiert, ok?“, entfuhr es Rose, als hätte sie die Scheibe mit dem Quaffel zerdeppert. Was ihr jetzt gerade lieber wäre!

 

„Oh“, machte ihre Mum etwas unschlüssig. „Probierst du es für morgen an?“, wollte sie überrascht wissen, und ja, Rose wusste, es war untypisch, dass sie so etwas tat, dass es sie interessierte, aber nun hatte sie einen festen Freund und… musste wohl oder übel auf ihr Aussehen achten. Hin und wieder zumindest.


„Ja. Aber ich weiß nicht, ob es mir steht“, wich sie aus, und ihre Mum zögerte.


„Darf ich… darf ich es sehen?“, fragte sie, und Rose drehte den Schlüssel um. Sie öffnete schweren Herzens die Tür und blickte in das erwartungsvolle Gesicht ihrer Mum. Kurz entglitten ihr die Gesichtszüge. „Oh wow“, entkam es ihr flüsternd, und ihre dunklen Augen waren weit vor Überraschung. „Rose, das ist… wunderschön. Du siehst unglaublich aus!“, flüsterte ihre Mum kopfschüttelnd. „Darf ich dich… überhaupt noch umarmen?“, wollte ihre Mutter vorsichtig wissen, und Rose verdrehte die Augen.

 

„Ja, Mum“, erwiderte sie mit roten Wangen, und breitete die Arme aus, um sie zu umarmen.

 

„Mein schönes Mädchen“, flüsterte ihre Mutter, als sie sie fest an sich drückte. „Aber die Haare musst du aufmachen“, bemerkte sie, als sie sich entfernte und schon griff sie nach ihren Haaren. Sie entfernte das Gummi, und Rose schüttelte unschlüssig die Locken. Ihre Mutter kämmte sie liebevoll mit den Finger und führte sie zurück zum Kleiderschrank. „Ich hatte fast befürchtet, den Spiegel gibt es gar nicht mehr“, sagte ihre Mum lächelnd. „Wunderschön“, ergänzte sie und rieb ihre bloßen Schultern.

 

Rose betrachtete sich zweifelnd im Spiegel. Sie sah nicht wirklich, was ihre Mutter sah. Jetzt fielen ihre roten Locken ihren Rücken halb hinab, und es gefiel ihr nicht sonderlich.

 

„Sollte ich sie glätten?“, fragte sie ihre Mum unsicher, aber diese schüttelte heftig den Kopf.

 

„Auf keinen Fall! Sie sehen perfekt aus so. Merlin, Rose, du wirst morgen das hübscheste Mädchen sein. Presley kann sich sehr glücklich schätzen, hm?“, machte ihre Mutter zwinkernd, und Roses Blick fiel.

 

„Mum, ich-“

 

„-schon gut“, lenkte ihre Mutter ein. „Ich will dich nicht blamieren. Ich freue mich, dass du wen mitbringst, und wenn du willst, leihe ich dir ein Paar Schuhe? Merlin, dass wir mittlerweile dieselbe Größe haben ist gruselig, nicht wahr? Möchtest du hohe oder flache Schuhe?“, fragte sie ihre Mum sie stolz, und Rose war ohnehin wesentlich kleiner als Presley, also hob sich ihr Blick vorsichtig.

 

„Hohe?“, schlug sie leise vor, und ihre Mum grinste.

 

„Dein Dad wird ausflippen“, sagte sie bloß.

 

„Warum?“ Roses sah sie mit großen Augen an.


„Weil er dich nicht wiedererkennen wird“, prophezeite ihre Mum seufzend.

 

„Oh“, machte Rose besorgt.


„Nein, das ist eine gute Sache. Ich habe entschieden, dass dein Vater langsam mal erwachsen werden muss, was seine Kinder angeht.“

 

„Ich bin sechzehn, Mum“, entfuhr es Rose kopfschüttelnd.

 

„Ja, und sieh dich an, Liebling.“ Wieder drehte ihre Mum sie dem Spiegel zu. „Das ist ein Kleid für eine hübsche junge Dame, und genau das bist du.“ Rose schämte sich unfassbar, aber sie konnte nicht anders, als sich geschmeichelt zu fühlen. Und dann zerstörte ihre praktische Mum den Moment. „Müssen wir über magische Verhütung reden?“, wechselte sie das Thema abrupt, und Rose wollte umfallen. Sofort.


„Nein, Mum!“, entkam es ihr gepresst. „Merlin!“, flüsterte sie beschämt.


„Ok. Ich will nur, dass du vorberietet bist, wenn-“

 

„-Mum!“, unterbrach sie ihre Mutter mit knallroten Wangen und entfernte sich aus ihrem Griff. „Du bist unmöglich!“, flüsterte sie beschämt. Denn Rose hatte nicht vor, mit Presley Sex zu haben! Auf keinen Fall!

 

„Schon gut“, entschuldigte sich ihre Mum eilig. Und dann schien ihr Blick auf den Schreibtisch zu fallen. „Rose, sind das Schulbücher?“ Sie klang absolut ungläubig. Noch ungläubiger, als vorhin, als Rose ihr gesagt hatte, sie würde ein Kleid tragen. „Sind das Hugos?“, entfuhr es ihrer Mum entgeistert. Rose verzog den Mund.


„Nein“, erwiderte sie knapp.

 

„Merlin, müssen wir zum Heiler? Was ist los? Steht es so schlecht um die Zags?“, wollte ihre Mum prüfend wissen, aber Rose stöhnte auf und verdrehte die Augen.

 

„Nein. Ich wollte lediglich ein bisschen vorlernen, weil-“ Aber weiter kam sie nicht, denn mit Tränen in den Augen hatte ihre Mum den Abstand geschlossen und zog sie in eine so feste Umarmung, dass Rose der Atem weg blieb.

 

„-oh Schatz, du glaubst nicht, wie viel mir das bedeutet!“, krächzte ihre Mutter mit belegter Stimme.


„Mum!“, entfuhr es Rose gepresst, aber ihre Mutter ließ sie nicht los.

 

„Nein. Ich bin noch nicht fertig!“, widersprach ihre Mutter stockend. Rose gab auf, entspannte sich in der Umarmung und ließ ihrer Mutter diesen übertriebenen Moment. Sie war unmöglich.

 

 

 

Thirty

 

Hugo merkte erst, wie selten er wirklich Zeit mit seinem Vater verbrachte, als er mit der ungebundenen Krawatte an die Schlafzimmertür seiner Eltern klopfte.


„Ja“, rief sein Vater aus dem Innern, und Hugo schob die Tür auf.

 

„Dad?“ Er betrat das große Zimmer. Sein Vater stand vor dem großen Spiegelschrank und knöpfte gerade sein Hemd zu. Er warf ihm im Spiegel einen fragenden Blick zu.


„Alles klar, Hugh? Brauchst du Hilfe mit der Krawatte?“, wollte er ein wenig abgelenkt wissen, aber Hugo kam näher.

 

„Dad, wir tragen in Hogwarts jeden Tag Krawatten“, bemerkte er knapp. Sein Dad schenkte ihm ein schiefes Grinsen.

 

„Jaah, aber ich war nie sonderlich gut im Binden“, räumte sein Dad belustigt ein.

 

„Nein, ich… brauche keine Hilfe dabei“, verneinte Hugo still. Er brauchte eigentlich nie Hilfe bei gar nichts. Dann drehte sich sein Dad gänzlich um.

 

„Wow. Sieh dich an!“, entfuhr es seinem Vater anerkennend. „Wie groß du bist. Weasleys sehen fantastisch in Anzügen aus, nicht?“, stellte er zufrieden fest, aber Hugo empfand nicht wirklich so. „Was kann ich für dich tun?“, wollte sein Vater schließlich wissen, und Hugo atmete lange aus.

 

„Dad, woher… wusstest du, dass Mum die Richtige ist?“, fragte er ihn schließlich, und sein Vater zog die Augenbrauen hoch. Dabei brauchte Hugo nämlich Hilfe. Bei sonst gar nichts.

 

„Sie hat es mir gesagt“, erwiderte er ernst, bevor seine Mundwinkel zuckten. Hugo verdrehte die Augen. „Hugh, du weißt, wer die Rictige ist. Es gibt da… keine Hinweise, kein Textbuch drüber. Du merkst es einfach.“

 

„Cara ist nicht die Richtige“, sagte Hugo dann kopfschüttelnd. Sein Vater wirkte kurz überrascht.

 

„Cara? Das Mädchen, was du heute Abend mitbringst?“, vergewisserte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Vater war viel muskulöser, als Hugo es jemals sein würde. Fast beneidete Hugo ihn ein wenig. Er streckte den Rücken weiter durch, und fast war er immerhin so groß wie sein Dad.

 

„Aber sie… ist sehr nett. Und hübsch, und…“

 

„Und?“ Sein Vater betrachtete ihn abwartend.

 

„Und sie… tut Dinge“, schloss Hugo ein wenig vage.

 

„Ach ja?“ Jetzt wirkte sein Vater merklich interessiert. „Du… passt auf, richtig? Wenn sie nicht die Richtige ist, dann wäre es nämlich wirklich unglücklich, wenn sie-“

 

„-wir haben keinen Sex, Dad“, unterbrach Hugo ihn schnell.

 

„Oh“, entkam es seinem Vater sehr erleichtert. „Ja. Gut. Ich meine, du bist… erst fünfzehn, und-“

 

„-schon klar“, sagte Hugo eindeutig.

 

„Gut“, wiederholte sein Dad sichtlich peinlich berührt.

 

„Aber… ich kenne die Verghütungssprüche, wenn dich das beruhigt?“, ergänzte Hugo mit gerunzelter Stirn.


„Super“, erwiderte sein Dad kurz angebunden.

 

„Ich…“ Hugo war sich nicht sicher, wie er es formulieren sollte. Er war sich nicht mal sicher, ob sein Vater der richtige Ansprechpartner war. Er wusste nur, seine Mum war es in diesem Fall nicht.

 

„Ja?“ Interessiert sah sein Vater ihm ins Gesicht.

 

„Wie kommt man damit zurecht, nicht die Richtige zu haben? Ich meine, ich mag ein Mädchen, aber…“

 

„Aber sie mag dich nicht?“, vermutete sein Dad, und er klang mäßig überrascht. Ja, Hugo verbrachte seine Zeit mit Büchern, aber eben nicht nur.

 

„Nein“, bestätigte Hugo bitter.

 

„Hast du sie gefragt?“, wollte sein Vater jetzt fast vätlich nachsichtig wissen. Hugo atmete aus.

 

„Nein, ich… habe sie geküsst“, schloss er, und der Mund seines Vaters klappte auf.

 

„Hugo, was ist passiert? Auf einmal häufen sich die Mädchen in der Schlange?“, wollte er lächelnd wissen, aber Hugo schüttelte den Kopf.

 

„Es gibt keine Schlange, Dad. Es gibt zwei Mädchen. Eines mag mich, eines mag mich nicht“, wiederholte er ernst.

 

„Und du hast das Mädchen, was du magst, geküsst, aber sie… fand es… nicht gut?“ Sein Vater schien erraten zu wollen, was das Problem war, und tat sich so schwer, wie Hugo sich tat, darüber zu sprechen. Aber wenn jemand einen Rat wusste, dann vielleicht sein Vater. Er war älter, erfahren – er hatte eine Frau.

 

„Ich… denke nicht. Sie ist… weggelaufen“, schloss Hugo bitter.

 

„Oh. Das… ist ein schlechtes Zeichen.“

 

„Aber…“

 

„Aber was?“ Sein Dad schien Gefallen an diesem Gespräch zu haben.

 

„Aber… sie hat auch einen Freund“, schloss Hugo leiser.


„Was?“, entfuhr es seinem Vater ungläubig. „Hugh, was ist los mit dir?“ Aber tatsächlich schien sein Vater nicht sonderlich schockiert oder ablehnend. „Ich erkenne dich kaum wieder, mein Sohn“, schloss sein Vater kopfschüttelnd. Hugo sah ihn eindeutig an. „Ich… ich denke, du weißt die Antwort auf dein Problem, nicht wahr?“ Sein Dad sah ihn auffordernd an.

 

„Ich frage dich, also… nein“, antwortete Hugo überrascht.

 

„Denk einfach mal scharf nach. Das… kannst du doch eigentlich am besten von uns“, ergänzte sein Vater belustigt.

 

„Du sagst… sie mag mich wahrscheinlich, aber… sie hat einen Freund.“

 

„Jaah“, bestätigte sein Dad jetzt. „Aber… es kann nicht schaden, dass du eine neue Freundin hast. Mädchen sind… schnell eifersüchtig, und manchmal wollen sie dann noch dringender, was sie nicht dürfen“, erklärte sein Vater mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wenn du verstehst…?“

 

„Kaum“, gab Hugo ehrlich zu, und sein Vater lachte kurz auf.

 

„Du solltest Cara nicht an der Nase rumführen. Und was das Mädchen angeht, was du tatsächlich magst – warte einfach ab. Außerdem bist du fünfzehn. Du hast noch ewig Zeit, Hugh“, schloss er dann. „Komm her“, ergänzte er, stellte sich vor ihn, und zum ersten Mal band sein Vater seine Krawatte.

 

„Ich denke, ich kann es besser als du, Dad“, bemerkte Hugo still.

 

„Shht“, machte sein Vater kopfschüttelnd, während er sich mit dem doppelten Knoten abmühte. „Wir haben gerade einen Moment, Hugh“, ergänzte er feierlich.

 

„Ach ja? Der Moment, wo du meinen Knoten ruinierst, und ich ihn noch mal binden muss?“, vermutete Hugo spöttisch, und sein Vater schlug ihn scherzhaft gegen den Arm.

 

„Dann mach es besser, Junge“, verlangte sein Vater, bevor sein Blick auf seine eigene dunkle Krawatte fiel. „Und meine kannst du direkt mitbinden“, ergänzte er und wackelte mit den Augenbrauen.

 

„Dad?“, sagte Hugo jetzt, und sein Vater sah ihn wieder gespannt an.

 

„Mh?“, machte er, und bedeutete Hugo fortzufahren.

 

„Scorpius Malfoy ist nicht übel“, entfuhr es ihm, um Ruhe bemüht. Sein Vater verengte die Augen.


„Was?“, entkam es ihm mit schräg gelegtem Kopf.

 

„Nur… dass du Bescheid weißt“, ergänzte Hugo knapp.

 

„Aha“, machte sein Vater, nicht gerade begeistert. „Seit wann seid ihr… befreundet?“, wollte er mit Mühe wissen.

 

„Noch nicht lange. Aber… er ist in Ordnung.“

 

„Mh“, machte er wieder. Aber es klang nicht so, als glaubte er ihm. Und er schien auch nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Hugo verstand.

 

„Der doppelte Knoten ist sehr einfach“, begann Hugo schließlich, wandte sich dem Spiegel zu, und sein Dad betrachtete ihn mit einem ungläubigen Lächeln. „Du musst schon mitmachen, Dad. Das ist kein Fernsehen“, bemerkte Hugo eindeutig, während sein Vater ihm sachte gegen den Hinterkopf schlug.

 

„Unfassbar witzig, Hugh. Wirklich.“

 

 

 

 

„Ginny, wo bleibt ihr denn?“, rief sein Vater mit lauter Stimme, während sie wie die Orgelpfeifen im Flur warteten. Albus hasste den Anzug schon jetzt. Er schwitzte bereits unter dem verdammten Jackett. James war doch tatsächlich seit dem Sommer noch ein nerviges Stück gewachsen, weswegen ihm die Anzughose ein wenig zu kurz geraten war. Albus hasste seinen Bruder dafür, so viel größer zu sein als er es war. Aber immerhin war sein Bruder ein wenig nervös. Es war das erste Mal, dass er offiziell einer seiner Freundin irgendwo mit hinnahm. Albus hatte es ihm kaum zugetraut.

 

„Wir kommen!“, rief seine Mutter ebenso laut zurück. Sie ließ sich nicht gerne hetzen. Immer wieder fuhr sich sein Vater durch die widerwilligen dunklen Haare. Albus hatte seine Haare längst aufgegeben. Sie lagen, wie sie eben wollten. Da war nichts dran zu machen. Außerdem glaubte er, bei seinem Vater handelte es sich mittlerweile um einen nervösen Tick.

 

„Wir kommen zu spät zu unserer eigenen Feier“, murmelte sein Vater gereizt. Er wandte sich ihnen zu, inspizierte ihre Haare, ihre Anzüge, betrachtete sie von oben bis unten und schien mit keinem seiner Söhne ansatzweise zufrieden. „Keine Späße heute!“, warnte er sie jetzt direkt. „Keine Tricks, keine krummen Sachen“, fuhr er strenger fort. „Ich möchte einen verdammt fantastischen Hochzeitstag haben, und keiner von euch, wird sich irgendetwas leisten, weswegen ich mich bei der Familie entschuldigen muss. Haben wir uns verstanden?“ Zuerst fixierte er James, dann Albus.

 

„Glasklar“, antwortete James, hörig wie immer. Albus‘ Kiefer spannte sich an.

 

„Albus“, entfuhr es seinem Dad warnend, und Albus verdrehte die Augen.

 

„Keine Sorge, Harry“, sagte er belustigt, aber sein Dad fand es nicht witzig.

 

„Das kannst du dir sparen. Ein falscher Blick in Roses Richtung, und James bringt dich nach Hause, ist das klar?“ Er sah ihn direkt an, und Albus glaubte, ein wenig rot zu werden. Aus Wut, aus Verlegenheit – aus vielen Gründen. „Antworte mir-“

 

„-ja, verdammt“, unterbrach Albus ihn ungehalten.

 

„Ich warne dich!“, sagte sein Vater noch mal, und Albus verdrehte die Augen.

 

„Ich hab’s begriffen, ok?“

 

„Ok“, räumte sein Vater dann ruhiger ein.

 

„Ok!“, wiederholte Albus lauter, und schüttelte fassungslos den Kopf über seinen Vater. Er konnte so scheiße sein! Wieder fuhr sich sein Dad über die Haare, und zunächst lagen sie geplättet auf seinem Kopf, bevor sie sich wieder in alle Richtungen wanden. Endlich vernahmen sie Schritte auf der Treppe, und Albus wandte den Blick. Seine Mum trug ein grünes, enges Kleid, und sofort löste sich sein Dad aus ihrer Reihe. Seine Mum gab sich immer Mühe, um-

 

Er dachte nicht mehr weiter, denn sein Blick fiel auf das Mädchen oben am Treppenabsatz. Albus dachte nie viel über Lily nach. Und seine Schwester wurde von ihm und James lediglich deshalb in Schutz genommen, um sie zu ärgern, aber heute erkannte Albus, dass es sich vielleicht lohnen könnte, Lily von lüsternen Blicken zu schützen. Denn heute erkannte er seine kleine Schwester kaum. Ihre Haare lagen glatt und glänzend. Das Kupfer leuchtete regelrecht. Sie trug ebenfalls ein grünes Kleid, aber heller als das seiner Mum, und ihm war noch nie aufgefallen wie ähnlich sie sich sahen.

 

„Gin“, entfuhr es seinem Dad sprachlos, und seine Mum lächelte.

 

„Oh, meine perfekten Gentlemen“, rief sie aus, als sie sie erblickte, aber ihr Lächeln gefror. „Keine Streich heute, ich-“

 

„-Dad hat uns schon gedroht, Mum“, unterbrach Albus sie lächelnd.

 

„Na dann“, entfuhr es ihr. Albus fiel ebenfalls aus der Reihe, schloss den Abstand zu seiner Mum und reichte ihr seinen Arm.

 

„Darf ich bitten?“, fragte er grinsend, und sie hakte sich wohlwollend bei ihm unter.

 

„Wenn deine schulischen Leistungen so gut wären wie deine Schauspielerei, hätten wir weniger Sorgen, Al“, bemerkte sie kopfschüttelnd. Er musste breiter grinsen, während Dad nahe zu Lily trat, flüsternd mit ihr sprach, aber Albus glaubte die Worte ‚wunderschön‘ und ‚ganzer Stolz‘ zu hören. Natürlich. Aber Albus blieb um einen frechen Spruch verlegen. Wie auch James.

Und Albus begleitete seine Mum nach draußen und apparierte mit ihr zusammen. Dad apparierte mit Lily und James allein. Heute würde sich Albus heimlich betrinken. Gut, dass sein Bruder apparieren musste. Dann stand ihm der Weg zum teuren Feuerwhiskey garantiert offen.

 

Sie landeten direkt vor den Stufen zum Goldenen Drachen und Tante Fleur und Onkel Bill waren samt Kindern bereits eingetroffen sowie die Malfoys. Albus löste sich vom Arm seiner Mutter, die bereits Glückwünsche entgegennahm.

 

„Hey“, begrüßte er Scorpius direkt, und hasste für einen kurzen Moment dieses verdammte Malfoy-Gen, weswegen Scorpius so aussah, als wäre er bereits im Anzug geboren worden. Scorpius war ins Gespräch mit Dom vertieft, was Albus zur Kenntnis nahm. Seine Cousine beachtete er nicht weiter, denn sie sah aus wie immer: Übertrieben und verzweifelt. Stinkender Blumenduft wehte zu ihm hinüber. Sie war scheinbar getränkt in billigem Parfüm. Widerlich. Auch Scors Vater sah eindrucksvoll aus, und Albus erinnerte sich an die Etikette. „Mr. Malfoy, Sir“, begrüßte er ebenfalls seinen Vater.

 

„Albus, schön dich zu sehen“, bemerkte der ältere Malfoy jetzt, bevor er den Weg zu seinem Dad überwand.

 

„Wie ich sehe, bist du schon wieder schwer beschäftigt?“, erkundigte sich Albus spöttisch, und Scorpius wandte den Blick von Dom ab. Diese schien sich maßlos über sein Auftauchen zu ärgern und schoss ihm einen zornigen Blick zu. „Dominique, immer ein Vergnügen“, behauptete er bissig, und Dom verzog den Mund.

 

„Ja, sicher“, knurrte sie praktisch.

 

„Ihr seid nicht mehr zusammen – nur so nebenbei“, ergänzte er stiller, und Dom wandte sich zähneknirschend von ihnen ab. Scorpius sah ihn an.

 

„Was wird das?“ Aber Albus zuckte die Achseln.

 

„Sorry, aber diese dumme Kuh zu ärgern, wird niemals langweilig, Scor“, entgegnete er. „Du siehst abscheulich aus heute“, ergänzte er kopfschüttelnd, aber Scorpius schien zu wissen, dass dies garantiert nicht der Fall war.

 

„Neidisch?“, erkundigte er sich, aber Albus war um eine Antwort nicht verlegen.

 

„Mhm“, machte er grinsend, „Hugo wird sich direkt in dich verknallen“, ergänzte er. Scorpius verdrehte die Augen.

 

„Hugo ist freundlicher als du“, behauptete er, und Albus musste lachen.

 

„Oh, ich weiß.“ Aber ihr freundschaftliches Geplänkel, was Albus sehr genoss, wurde unterbrochen durch die nächste Ankunft. Unerwünschte Ankunft, ergänzte er in Gedanken. Die Erwachsenen wandten sich ebenfalls um.

Albus‘ Mundwinkel sanken ein Stück. Presley Ford sah aus, wie nur ein Sohn eines zukünftigen Ministers aussehen konnte – aalglatt, übertrieben schick, und auch er war größer als er. Ihm fiel auf, dass auch Scorpius‘ Ausdruck düsterer wurde.

 

„Auftritt Romeo“, murmelte Albus grimmig, als Presley sofort zu seinen Eltern schritt, Hände schüttelte, übertrieben große Geschenke überreichte, und sein Dad strahlte regelrecht über den höflichen, scheiß perfekten Presley. Nach endlosen Floskeln bemerkte er ihn und Scorpius, verabschiedete sich und kam zu ihnen.

 

„Abend, Team“, begrüßte er sie mit einem bestechenden Lächeln. Albus mochte ihn immer weniger.

 

„Abend, Pres“, begrüßte immerhin Scorpius ihren Kapitän. „Netter Anzug“, ergänzte er nickend.

 

„Ebenso“, gab Presley das Kompliment zurück, und James erschien mit Rumer. Kurz reckte Albus den Kopf höher, denn auch Rumer sah verdammt noch mal unglaublich aus. Was war los mit den Mädchen? Wurden sie über Nacht alle zu Prinzessinnen? Er begriff es nicht. Rumer begrüßte zuerst Lily und dann Dom und Vic. Louis druckste sich neben seinen Eltern rum, hielt die Hand seiner neuesten Errungenschaft fest in seiner, und wahrscheinlich hatte er auch nicht großartig vor, die Schönheit weiter vorzustellen.

 

„Ich wette gute Galleonen, dass Louis den Namen seiner Schnitte nicht mal weiß“, bemerkte er still, und Scorpius folgte seinem Blick. Er verzog den Mund nachdenklich.


„Den Vornamen bestimmt“, bemerkte er dann, mit einem flachen Lächeln.

 

„Ihr seid scheiße“, entfuhr es Presley, aber seine Mundwinkel zuckten.

 

„Nicht jeder kann ein Vorzeige-Muster-Slytherin sein, Pres“, erwiderte Albus achselzuckend. Presley bedachte ihn mit einem knappen Blick.

 

„Wir sollten reingehen“, rief sein Dad schließlich. „Ron und Hermine werden den Weg schon finden.“

 

„Immer zu spät“, beschwerte sich Bill. Bevor sie reingingen tauchten Onkel George und Tante Angelina mit Fred und Roxy auf, und fast gleichzeitig Onkel Percy und Tante Penelope. Es wurde langsam aber sicher voller und Albus ging als erstes die Treppe nach oben, um die Tür aufzuschieben. Ein Kellner begrüßte sie höflich, und sie mussten nicht mal den Namen äußern. Der Silbersaal war für sie reserviert, und tatsächlich musste Albus staunen. Es war… unfassbar schön. Schillernde Girlanden hingen von der Decke, eine silberne Zwanzig verpuffte in der Luft, nur um am Ende des Saals wieder zu erscheinen, und eine riesige Tafel stand am Ende des Saal, darum verteilt Stehtische, und überall glitzerte Dekoration, leuchteten Lampions und nichtssagende Streichmusik ertönte aus den magischen Lautsprechern.

 

Sie durchschritten den Saal, und Albus guckte sich einen Platz aus, der am nächsten zur Bar war. Kaum waren sie alle versammelt, öffnete sich die Tür wieder. Und diesmal erhellte sich Albus‘ Gesicht. „Onkel Charlie!“, flüsterte er praktisch. Auch Scorpius sah sich um. Sein Onkel Charlie war der Beste! Er war so cool, dass Albus tatsächlich stolz war, mit ihm verwandt zu sein. Onkel Charlie begrüßte seine Mum und seinen Dad, und nach und nach kamen die letzten. Onkel Percys Töchter Lucy und Molly kamen zusammen – ohne Begleitung, natürlich – denn wie sie ihm schon so oft erklärt hatten, ließ die Arbeit als magische Außenbeauftragte zu wenig Zeit für Beziehungen. – Nicht, dass er jemals gefragt hatte.

 

Teddy Lupin kam ebenfalls zu spät, und ihm folgten Grannie Molly und Granpa Arthur. Alle Kinder wurden jetzt gedrückt – sogar Presley, und natürlich Scorpius. Fehlten nur noch… Tante Hermine und Onkel Ron, mit Kindern. Albus behielt die Tür im Auge. Aber sie tauchten nicht auf. Fast wollte er Presley fragen, aber er wollte nicht so wirken, als störe es ihn – und als würde er Presley unterstellen, besser über seine Familie Bescheid zu wissen, als er es tat.

 

Geschenke häuften sich auf dem langen Beistelltisch, und wieder standen sie in kleinen Grüppchen zusammen, aber diesmal trennten sich die Kinder klar von den Erwachsenen.

 

„Wow, ihr seid… verdammt viele“, entfuhr es Presley anerkennend, als sie zusammen in der Runde standen.

 

„Es ist wie in Hogwarts. Eigentlich“, bemerkte Dom, die wieder auffallend nah bei Scorpius stand.

 

„Ja. Eigentlich nicht“, entfuhr es Albus spöttisch. Wieder erntete er Doms wütenden Blick. Oh, dieses Spiel könnte er den ganzen Abend spielen. Er wusste, was Dom hier tat. Es war so verflucht offensichtlich.

 

„Wo ist Rose?“ Es war Rumer, die es fragte, und sie blickte erwartungsvoll in die Runde.

 

„Sie sind noch nicht da“, stellte Presley achselzuckend fest.

 

„Wundert mich nicht“, bemerkte Dom mit verschränkten Armen. „Garantiert ist ihr jetzt aufgefallen, dass man nicht in Quidditchuniform kommen kann“, lachte sie glockenhell, und Albus atmete resignierend aus.

 

„Du bist nicht witzig, Dom. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“, erwiderte er laut, und Doms Blick war tödlich.

 

„Ja? Immerhin steh ich nicht auf meine Cousine, Albus“, konterte sie wenig intelligent, aber durchaus effektiv.

 

„Dom“, sagte Rumer tatsächlich schockiert, aber Albus nickte lächelnd.

 

„Keine Sorge. Ich denke, das war mein Stichwort“, entkam es ihm bitter, und er wandte sich ab. Scorpius folgte ihm tatsächlich. „Ich hoffe, du fängst nicht wieder was mit dieser hohlen Nuss an, Malfoy“, knurrte Albus jetzt und schlich sich hinter die noch leerstehende Bar.

 

„Habe ich kein Interesse dran“, sagte sein bester Freund entschieden, lehnte sich gegen den hohen Tresen, und klammheimlich zog Albus eine Flasche Champagner unterm Tresen hervor. Kein Feuerwhiskey, aber fürs Erste würde es reichen. Vor allem, wenn er über Scorpius‘ Worte nachdachte und sich fragen musste, wo dann sein Interesse lag, wenn nicht bei Dom. Scorpius war allerdings ein guter Slytherin und warf ab und an Blicke nach rechts und links, aber die Erwachsenen waren schwer beschäftigt damit, langweilig zu sein. Albus öffnete sein Jackett und verbarg die Flasche im Innern.

 

„Bin gleich wieder da“, versprach er mit einem kühlen Lächeln und verschwand durch die angrenzende Schwingtür, um die Toiletten aufzusuchen. Der Flur hier lag leer, und es gingen noch zwei weitere Türen ab. Er linste durch die dunklen Bullaugenfenster. Ein Zimmer schien eine Art Abstellraum zu sein, und erkannte blitzendes Porzellan in den Regalen, und der andere dunkle Raum war größer. Vielleicht war es noch ein kleinerer Saal. Er ging weiter, bis zu den Toiletten, und schob die letzte Tür auf. Es roch frisch nach Minze, und Hogwarts könnte sich mal ein Beispiel an diesen Toiletten nehmen, dachte er dumpf. Blitzeblank.

 

Er holte die Flasche hervor, griff beherzt nach dem Korken und zog. Mit einem lauten Plopp knallte der Korken und schoss ihm in die Hand. Champagner strömte über seine Finger. Schon schwang die Tür auf, und er zuckte zusammen. Aber Erleichterung überkam ihn.

 

„Na? Was treiben wir denn hier?“, fragte ihn Onkel Charlie mit einem breiten Grinsen, und seine roten Haare lagen so unordentlich, dass er bestimmt von seiner Mum schon Ärger bekommen hatte.

 

„Nichts“, log Albus halbherzig, und Onkel Charlie streckte ihm die Hand entgegen. Albus gab ihm die offene Flasche und schüttelte die nasse Hand aus. Onkel Charlie setzte den Hals direkt an die Lippen und trank einen großen Schluck.

 

„Gutes Zeug“, entfuhr es ihm anerkennend. „Dann ist der Abend wohl gerettet“, ergänzte er. Albus wusch sich die Hände, und sein Onkel tat es ihm gleich. „Ich hasse Familienfeiern, Al“, fuhr Charlie kopfschüttelnd fort. „Vor allem, wenn Percy da ist“, ergänzte er bitter. Albus musste lachen. „Wo ist Ronnie?“, fragte Charlie ihn jetzt, aber Albus zuckte die Achseln.

 

„Keine Ahnung“, sagte er wahrheitsgemäß.

 

„Schade. Ich ärger den kleinen Hugo so gerne“, bemerkte Charlie grinsend. „Er ist ein richtiger Percy“, ergänzte er. Charlie mochte Onkel Percy nicht. Das war eigentlich auf jeder Familienfeier ein riesiges Highlight, denn Charlie ließ Onkel Percy seine Ablehnung jedes Mal spüren, bis Grannie Molly einschreiten musste. Es war großartig. Charlie trank einen letzten Schluck und reichte ihm die Flasche zurück. „Lass dich nicht erwischen, Potter“, verabschiedete er sich von ihm, und Albus verbarg die Falsche wieder in seinem Jackett. Er hatte einen Plan.

Er verließ die Toiletten und verbarg die Flasche im angrenzenden Abstellraum, direkt neben der Tür. Ihm musste nur gelingen, während der Feier immer mal wieder Alkohol hierhin zu schmuggeln.

 

Er verschloss anschließend sein Jackett wieder und marschierte in Richtung Festsaal zurück. Die Stimmen waren lauter geworden, die Erwachsenen lachten, und als er die Tür aufschob, erkannte er Onkel Ron direkt. Sein Lachen war am lautesten. Sein Blick wanderte durch den Saal, und wie angewurzelt blieb er in der Tür stehen. Sie stand etwas abseits, begrüßte die Familie, ließ sich begutachten, lächelte höflich und unbefangen, während ihre wilden glänzenden Locken das Licht fingen und in rotgoldenen Facetten wiedergaben. Er merkte nicht, dass sein Kiefer locker wurde, dass ihr Anblick direkte Auswirkungen auf seinen Körper hatte, und für einen Moment vergaß er die Menschen um sich herum, vergaß, dass scheiß Leute wie Dom heute Abend hier waren.

Rose war das Schönste, was er jemals gesehen hatte. Sie übertraf seine Schwester – selbst seine Mum – um Längen. Ihr Kleid war eng und gleichzeitig luftig, und ihre schlanken Beine steckten ihn verboten hohen Schuhen. Das Kleid schimmerte in einem Blau, einem Grün, einem Silber, dass er kaum den Blick abwenden konnte. Und er wusste nicht, ob sie Makeup trug. Von hier aus konnte er es nicht erkennen, aber… selbst wenn nicht, dann sah sie trotzdem perfekt aus.

Presley trat neben sie, und er erinnerte sich wieder, wo sie waren. In welcher grausamen Welt er leben musste.

 

Und zu wem Rose gehörte. Und wenn er über den weiteren Verlauf des Abends nachdachte, nahm er an, dass es eine verdammt dämliche Idee gewesen war, nicht auch irgendein Mädchen mitgenommen zu haben. Irgendeins.

 

Sein Blick fiel, denn er wollte sie wirklich nicht länger ansehen. Vielleicht war sie auch nur von weitem schön. Aus der Nähe sähe sie garantiert widerlich aus.

 

Er hatte das Bedürfnis, noch etwas mehr zu trinken. Er wollte den Abend nicht depressiv beginnen. Er wollte ihn auch nicht depressiv beenden, aber wahrscheinlich würde daran kein Weg vorbeiführen.

 

 

 

Thirty-One

 

„Und als er Weihnachten nach Hause kam“, fuhr Mr. Malfoy mit knappem Blick auf seinen Sohn fort, der am Ende des Tisches saß und nicht zuhörte, „erklärte er mir, dass er einen neuen besten Freund hätte. Und… dieser hieß Albus. Und ich fragte ihn, ob er sich da ganz sicher sei“, ergänzte er, mit einem leisen Lächeln, und einige der Erwachsenen, vor allem Onkel Harry, schmunzelten über seine Worte, und er atmete resignierend aus, „-aber es bestand kein Zweifel. Sein bester Freund war Albus Potter“, beendete er die Anekdote, um deren Erzählung Grannie Molly gebeten hatte.

Die Erwachsenen lachten vereinzelt, und ihre Mum schenkte Mr. Malfoy ein warmes Lächeln.

 

„Tja, jetzt gehörst du wohl dazu“, entschied Onkel George achselzuckend. „Mein Beileid“, ergänzte er grinsend, und Mr. Malfoy lächelte ebenfalls. 

 

Sie spürte Presleys Blick andauernd auf ihrem Gesicht, und tat ihr bestes, ihn nicht anzusehen. Sie saß mit Absicht ganz am Rand, ihrer Mum gegenüber. Ihr Dad saß neben ihr, ließ sie ab und eigenartige Meeresfrüchte probieren, die sie nicht mal halbeklig fand, und sie gab sich Mühe, den Erwachsenen zuzuhören. Presley saß Mr. Malfoy gegenüber. Sie ertappte sich zu häufig dabei, wie sie Mr. Malfoy ansah, einfach, um nicht ihre Mutter oder Presley ansehen zu müssen.

 

Sie hatte gemerkt, dass Albus, als er sie gesehen hatte, direkt Kehrt gemacht hatte. Und es belastete sie. Alle hatten ihr versichert, dass sie wunderhübsch aussah – Presley sogar mehrfach, und sie fühlte sich geschmeichelt. Aber es fühlte sich alles ungewohnt und seltsam an. Tante Fleur hatte fast Freudentränen geweint, vor Glück, aber Rose fand, Rumer und Lily waren ebenso schön – und Dom…- Dom sah aus, als ginge es darum, einen Wettbewerb zu gewinnen. Sie sah unglaublich aus! Doms Kleid war schwarz und etwas zu kurz, aber gerade kurz genug, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Und Dom saß neben Scorpius.

Rose nahm an, das tat sie mit Absicht. Mit welcher Absicht auch immer.

 

Sie war ziemlich stolz auf sich, denn sie hatte Scorpius heute nicht ein einziges Mal angesehen. Aber aus den Augenwinkeln wusste sie bereits, dass er verdammt gut in seinem Anzug aussah. Sie musste nicht mal hinsehen.

Unterm Tisch griff Presley nach ihrer Hand, die angespannt auf ihrem Knie lag, und eher unbewusst hob sich ihr erschrockener Blick zu seinem Gesicht.

 

„Alles in Ordnung?“, fragte er sie, und sie konnte seinen Blick nicht wirklich deuten. Sie nickte bloß, während sie hoffte, dass ihr Dad jetzt gerade den Blick wandte. Sanft entzog sie Presley ihre Hand wieder. Die Begrüßung zwischen ihrem Vater und Presley war eher kühl gewesen. Rose schämte sich dafür, dass ihre Eltern hier waren, dass Presley hier war, dass sie immer noch nicht mit Hugo sprach, und… alles in allem fühlte sie nicht einen Bruchteil der Schönheit, die ihre Mutter ihr garantiert hatte, als sie zusammen vorm Spiegel gestanden hatten.

 

Was war nur los mit ihr? Fast wollte sie wieder nach Hause. Sie sehnte sich plötzlich nach Hogwarts, nach dem Quidditchfeld und der Freiheit, die ein Besen hoch über den Wolken brachte. Und sie wusste, Presley nahm es ihr übel, dass sie so abweisend war. Er räusperte sich und rückte auf dem Stuhl zurück.

 

„Entschuldige mich“, sagte er kühl und erhob sich, um aus dem Saal zu verschwinden und die angrenzenden Toiletten aufzusuchen. Und hier passierte ihr der verdammte Fehler, dass sie den Blick hob. Wirklich nur zufällig, absolut unbewusst. Und er saß einfach direkt in ihrem Blickfeld, sie konnte es nicht verhindern.

 

Ihre Blicke trafen sich, und die Sekunden vergingen merklich langsamer. Unbewusst setzte sie sich gerader auf, streckte den Rücken durch, brachte ihre Brust nach vorne, und ihre Lippen teilten sich. Fast war sein Blick anmaßend, fast unverhohlen. Die grauen Augen so schamlos auf sie geheftet, dass sie spürte, wie sie kurzatmiger wurde. Es war ein Blick, für den ihr Vater ihn verfluchen und sie in ihr Zimmer einsperren würde, nahm sie an. Scorpius Malfoy sah sie an, als zöge er in Gedanken bereits ihr Kleid ihren Körper hinab, und Rose schluckte schwer, denn… diese Gedanken waren so absolut falsch und unpassend, dass sie übergangslos rot wurde.

 

Mit aller Macht wandte sie den Blick wieder nach vorne und starrte auf die weiße Tischdecke. Es würde ein langer Abend werden….

 

 

 

Er wusste nicht warum, aber er brauchte eine Pause. Eine… Auszeit. Cara hatte er gesagt, er würde zur Toilette gehen, aber dort war er nicht angekommen. Stattdessen hatte er den ungenutzten Saal betreten, durchschritt ihn langsam, während es ihn in den Fingern juckte, die Lampen mit dem Zauberstab anzuschnippen, und verengte die Augen, die sich langsam an die Dunkelheit hier gewöhnten. Nur durch das Bullaugenfenster zum Flur drang fahles Licht hinein. Es war eine schöne Feier, und er mochte Familienfeiern bis zu dem Grad, wo er sich irgendwann verabschieden und nach oben verschwinden konnte. Hier ging das nicht. Und er war auch nicht allein. Er hatte… eine Begleitung dabei, die es ihm mehr als übel nehmen würde. Es war anstrengend neben den Slytherins zu sitzen, befand er. Scorpius‘ Laune war mäßig bis schlecht, und Albus war bereits einigermaßen betrunken. Woher auch immer er den Alkohol nahm!

 

Er hörte Stimmen, und bevor er reagieren konnte, schob sich die Tür bereits auf. Rein instinktiv – was absolut dumm war – zog er sich tiefer in das Dunkel des Raumes zurück.

 

„Hier?“, hörte er ein Wispern und ärgerte sich, dass er die Stimme sofort erkannte. Es war Rumer.

 

„Ja. Hier stört uns niemand“, erwiderte James leise, und Hugo verdrehte entnervt die Augen. Oh nein. Bitte nicht. Rumer lachte verhalten, und fast wollte sich Hugo bei dem widerlichen Kussgeräusch übergeben. Scheinbar hatte Fred jetzt die Musik übernommen. James hatte sich noch gerüstet, einen perfekten Musikgeschmack zu haben. Zu schade, dass er nicht hinterm Mischpult verblieben war.

 

„James“, sagte Rumer jetzt – wieder Kussgeräusche. „James, nicht“, vernahm Hugo ihre Stimme, und seine Fäuste ballten sich unwillkürlich.

 

„Warum nicht?“, flüsterte James enttäuscht.

 

„Ich…- nicht hier. Nicht… jetzt, ok?“

 

„Ist es nicht romantisch?“, wollte James, der Ober-Primat, enttäuscht von ihr wissen, und Hugo könnte sich dreitausend Orte und Zustände vorstellen, die romantischer wären, als der kühle Ersatzsaal im Goldenen Drachen, Merlin noch mal.

 

„Ich… bin noch nicht so weit“, räumte Rumer stiller ein, und Hugo konnte nicht anders, als jedes ihrer Worte aufzusaugen. Und dann atmete James schwer aus.

 

„Hey, ich… will dich nicht drängen. Überhaupt nicht“, begann sein dämlicher Cousin, klang aber nicht wirklich ehrlich. „Ich… frage mich nur, was das Problem ist? Seit… einer ganzen Weile darf ich dich nicht mal mehr anfassen. Ich dachte, es wäre ein ziemlich idealer Zeitpunkt heute“, schloss er, etwas beleidigt. Ideal wofür, dachte Hugo kopfschüttelnd und mochte seinen verdammten Cousin nicht leiden.

 

„Ideal wofür?“, wiederholte Rumer tatsächlich seine mentale Frage, und Hugo spitzte die Ohren. Ja, wie würde sich James da raus reden wollen.

 

„Keine… Ahnung“, wich James ihrer Frage aus. „Ich meine nur… wir sind nicht in Hogwarts, wir… sind hier ungestört. Es ist ziemlich perfekt, oder?“

 

„Ich… werde hier keinen Sex mit dir haben, falls es das ist-“

 

„-nein! Merlin, nein!“, fuhr James dazwischen. „Ich… Mann, Rumer, ich will doch bloß – keine Ahnung!“, schloss er unzufrieden. „Schon gut. Ich gehe wieder rein. Sorry, dass ich dachte, dass… es dir gefällt.“ Hugo hörte, wie James sich abwandte.

 

„James!“, rief Rumer ihm nach, aber gegen das Licht vom Flur, hob James abwinkend die Hand.

 

„Passt schon, Rumer“, schloss er und verschwand.

 

„So eine Scheiße“, hörte Hugo Rumer fluchen. Dann zog sie die Nase hoch und verblieb, wo sie war. Super. Jetzt stand er hier wie ein Vollidiot im Dunkeln. Wieder schniefte sie, und Hugo wusste, sie weinte. Er überlegte sehr kurz, bevor er sich langsam in Bewegung setzte. Sie stand gegen das Licht, und er kam näher. Der Teppich schluckte seine Schritte.

 

„Nicht erschrecken, ok?“, versuchte er, sehr ruhig zu sagen, als er hinter ihr stand, aber natürlich war das eine saudumme Idee. Rumer zuckte zusammen, schrie auf, und blind hatte sie die Faust nach oben gerissen. Hugo wich aus – nur leider zu spät. Hart traf ihn ihre Faust direkt gegen sein Kinn, denn sie zielte blind und war wesentlich kleiner als er.

 

„Au!“, rief er stöhnend, wich zurück und hielt sich sein schmerzendes Kinn. Sein Kiefer knirschte kurz, als er ihn bewegte, und Rumer wich zurück.


„Hugo?“, entfuhr es ihr ungläubig.

 

„Mhm“, machte er schmerzerfüllt, und sie kam wieder näher.


„Oh Merlin, was…? Was tust du hier?“, entkam es ihr heiser.

 

„Ich… ich brauchte etwas Ruhe, und dann… kamt ihr, und…“

 

„Und du versteckst dich wie ein Perverser in den Schatten?“ Ja. So ungefähr sah es wohl aus. Noch immer rieb er sich den Kiefer. „Tut… tut es weh?“, fragte sie ihn, kam noch näher, um ihn anzusehen, aber er nahm an, soweit reichte das Licht nicht wirklich. Seinen Schatten würde sie ausmachen können.

 

„Nein“, log er bloß, und es war das erste Mal, dass sie sprachen. Seit… seit einer Weile.

 

„Sorry“, entkam es ihr zaghaft.

 

„Mir tut’s leid“, entgegnete er schließlich.

 

„Du… hast alles gehört?“, vergewisserte sie sich vorsichtig, und er nickte – was sie wohl nicht sehen konnte.

 

„Ich…- so ungefähr.“

 

„Hör zu-“, begann sie plötzlich, aber er wollte nicht über James reden.

 

„-du musst mir nichts erklären. Schon gar nicht, warum du nicht mit meinem Cousin in einem Saal eines Restaurants schlafen willst. Wirklich nicht“, ergänzte er eindeutig.

 

„Nein, ich…“, widersprach sie unschlüssig und atmete dann aus. Er schwieg. „Wegen… damals. Wegen…“

 

„Vergiss es einfach“, rang er sich ab, denn darüber wollte er auch nicht reden. Nicht wirklich. Nicht, wenn sein Dad falsch lag. Nicht, wenn…-

 

„-ich… kann es nicht wirklich vergessen, Hugo“, flüsterte sie fast. Hugo stand stocksteif vor ihr. Er blinzelte und wusste nicht wirklich, was sie sagen wollte.

 

„Was?“ Seine Stimme war nicht laut, nicht sicher.

 

„Ich meine…, ich weiß! Du bist jetzt mit Cara zusammen, und ich… habe James“, begann sie hastig.

 

„Ja?“, warf er lauernd ein, denn… das wusste er. Worauf wollte sie hinaus? Schließlich schien sie sich zu besinnen, atmete lange aus, und er sah im Halbschatten, wie sich ihr Kopf schüttelte.

 

„Ich… sollte wieder reingehen. Ich sollte… mit James reden.“

 

„Ja“, bestätigte er, aber das wollte er nicht sagen. „Oder… du gehst nicht“, ergänzte er, eine Spur unsicher. Sie verharrte vor ihm. Er spürte eine Gänsehaut über seinen Körper laufen, denn diese Worte waren nicht unbedingt dazu geeignet, auf viele Arten ausgelegt zu werden. Fast spürte er ihren Blick, konnte ihre grünen Augen in seinem Geist deutlich sehen. Er hörte ihre kurzen Atemzüge. Zum ersten Mal spürte er, dass er tatsächlich kein Gryffindor war. Mut zur Dummheit war eine Sache, die ihm schwer fiel. Alles auf eine Karte zu setzen und zu hoffen, dass man richtig lag – das war nicht wirklich eine sichere Entscheidung. Es war nicht Ravenclaw.

 

Aber… sie sagte, sie könne es nicht vergessen. Es war so eine Sache mit der Hoffnung. Der leiseste Funke konnte ein ganzes Feuer entfachen. Er tat einen unsicheren Schritt, stand nahe vor ihr, hob langsam seine Hand, und sie ließ ihn gewähren, rührte sich nicht. Er sollte nicht. Wirklich nicht.

Aber… er konnte leider nicht anders. Sein Herz schlug so schnell, und bevor seine heißen Finger ihre Wange berühren konnte, kam sie ihm entgegen, lehnte sich vor, und sein Mund fiel auf ihre Lippen. Kurz stach sein Kiefer, aber es war egal. Sie drängte sich seufzend gegen ihn, und dass James älter und stärker war, rückte in seinem Bewusstsein weit nach hinten. Dass es tausend romantischere Orte gab, ignorierte er ebenfalls, und sein Arm schlang sich um ihre Taille, spürte den samtenen Stoff des Kleides, und ihr Duft stieg ihm zu Kopf. Genau das wollte er!

 Ihre Hände griffen zitternd in seine Haare, zerrten an den Strähnen, und seine Zunge fand ihre, und es war so wie damals in der Eulerei.

 

Seine Hand verließ ihr Gesicht, fiel auf ihre schlanke Taille, und mit beiden Händen zog er sie enger an seinen Körper, ging etwas in die Knie, um sie verlangender zu küssen, und es war Rumer, die mit fahrigen Bewegungen, sein Jackett seinen Schultern hinabschob.

Merlin! Er würde nicht aufhören können, selbst wenn-

 

-grelles Licht entflammte über ihnen, und seine Augen flogen auf.

 

„Was zur…?“ Rumer wich vor ihm zurück, und mit offenem Mund blinzelte er gegen die plötzliche Helligkeit. „Was… soll das denn?“ Fred stand mit offenem Mund in der Tür, den Zauberstab erhoben, und zum ersten Mal in seinem Leben, war Hugo absolut sprachlos. Hastig richtete er sein Jackett und wagte einen kurzen Blick in Rumers Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, die Augen ungläubig weit, und Schuld stand tief auf ihrem Gesicht geschrieben.

 

„Fred“, begann Rumer zitternd, „ich-“

 

„-du… bist doch mit James zusammen?“, entkam es seinem Cousin kurz ein wenig verwirrt.

 

„Ja, ich…“

 

„Wieso… seid ihr dann…?“ Und tatsächlich betrachtete Fred ihn so, wie er ihn immer betrachtete. Fred war der einzige, den er tatsächlich am schlechtesten kannte. Und auch Fred hatte sich die nie die Mühe gemacht, ein Gespräch mit ihm zu führen. Fast fühlte sich Hugo geneigt, sich vorzustellen, denn Fred sah ihn an, als erkenne er ihn überhaupt nicht. „Das… ist Hugo“, schloss er, als wäre es möglich, dass Rumer ein ehrlicher Fehler passiert wäre.

 

„Ich weiß“, flüsterte Rumer, jetzt mit Tränen in den Augen.

 

„Das glaub ich nicht“, entfuhr es Fred plötzlich mit großen Augen. „Verdammter Doxymist!“

 

„Bitte“, begann Rumer heftig, „sag es nicht James, ok?“ Hugo wusste, es wäre an der Zeit, den Mund aufzubekommen. Fred ignorierte Rumers Worte und fixierte Hugo schließlich.


„Du… bist mit Cara hier, oder nicht?“ Hugo atmete angespannt die Luft aus, die er angehalten hatte.


„Ich – schon“, bestätigte er dann widerwillig.

 

„Wenn du… hier mit Rumer bist – darf ich dann mein Glück versuchen?“ Fred schien ein Kaufmann wie sein Vater zu sein, stellte Hugo milde überrascht fest. Es war Rumer, die antwortete.


„Nein! Darfst du nicht!“, widersprach sie sofort, und mit roten Wangen starrte sie ungläubig auf Fred.

 

„Hey, ich denke, du brauchst dich gar nicht aufregen! Was ist, Hugo? Die Sache ist gegessen, oder nicht?“, wollte er zügig wissen, und Rumer schien sein Verhalten tatsächlich widerlich zu finden.

 

„Das ist alles, woran du denkst? James ist dein bester Freund, oder nicht?“, entfuhr es ihr anklagend, aber Hugo schenkte ihr einen knappen Blick. Anscheinend verlor sie gerade das Wesentliche aus den Augen, und das schien auch Fred so zu sehen.

 

„Hey – ich werde ihm heute garantiert nicht stecken, dass seine Freundin sich einen Weasley gesucht hat. Ich… möchte lediglich Cara trösten“, schloss er mit eindeutigem Blick. „Und… wenn du mich lässt, dann… habe ich nichts gesehen“, entschied Fred mit eindeutigem Blick, und Rumers Mund schloss sich empört. „Ansonsten wird das unangenehm. Für uns alle“, ergänzte er stiller.

 

Rumer blickte starr auf den Boden, und Hugo hatte sehr schnell erkannt, dass jeder Ausweg beschissen wäre. Entweder Fred ging zu James und es würde ein schrecklicher Abend werden, oder… Hugo gab Fred grünes Licht und… es würde ein schrecklicher Abend werden. Aber immerhin würde die Sache nicht auffliegen.

 

„Ok“, rag sich Hugo schließlich zähneknirschend ab.

 

„Ok?!“, entfuhr es Rumer tatsächlich, aber Fred reckte den Daumen in die Höhe.

 

„Fantastisch!“, entgegnete er. „Dann… viel Spaß noch“, schloss er, löschte das Licht wieder und hatte sich zügig abgewandt. Sie standen wieder im Dunkeln, und Hugo atmete lange aus.

 

„Wie… konntest du das tun?“, flüsterte Rumer entsetzt.

 

„Was? Verhindern, dass James uns lyncht? Ich denke, es war reiner Überlebensinstinkt“, schloss er, aber Rumer schnaubte auf.


„Du hast Cara aufgegeben! Du gestattest deinem Cousin, sie einfach… zu haben!“, entfuhr es ihr wütend, aber Hugo verdrehte die Augen.

 

„Als ob sie sich auf Fred einlassen würde“, entkam es ihm kopfschüttelnd, „außerdem“, fuhr er eine Spur gereizter fort, „habe ich deinen Hintern gerettet!“, bemerkte er bitter, und er konnte ihren Zorn praktisch spüren.

 

„Oh wirklich?“, knurrte sie. „Wie großzügig von dir! Du opferst deine Freundin, damit es nicht auffliegt!“

 

„Willst du das?“, fuhr er sie zornig an. „Wenn du möchtest, dass ich da rein marschiere und James sagen soll, dass du kein Interesse an ihm hast, aber durchaus bereit dazu bist, mich hier zu küssen, dann-“ Er sah ihre Hand nicht wirklich kommen, und wieder wich er zu spät aus. Er fluchte unverschämt laut auf, und jetzt hatte sie ihn das zweite Mal geschlagen! Seine Wange hatte sie knapp verfehlt, hatte wieder seinen Kiefer getroffen, und dumpfer Schmerz summte wieder durch sein Kinn.

 

„Rumer, verdammt!“, fuhr er sie an, aber sie hatte sich zornig abgewandt. Er stolperte hinter ihr her, aber zornig fuhr sie herum.


„Lass es, Hugo!“, zischte sie bloß. „Du bist feige und scheiße!“

 

„Was?“, rief er empört aus. „Dann sag es mir!“, forderte er plötzlich stiller, und hielt sie am Arm auf. Ihr Blick hob sich, so viel erkannte er. „Sag mir, dass ich es allen sagen soll. Sag es mir!“, befahl er, und würde sie es wollen, würde sie es von ihm verlangen, dann… würde er ein Gryffindor sein. Dann würde er-

 

 

„-mach dich nicht lächerlich“, flüsterte sie heiser. „Das würde doch niemand glauben“, schloss sie still, und wie verbrannt ließ er ihren Arm fahren. Was? Aber… er verstand. Weil er ein kleiner Junge war. Ein Kind, in ihren Augen. Der alberne, verschrobene Hugo Weasley, den man nicht ernstnehmen konnte. Sie spielte mit ihm. Und das war alles. Er schritt an ihr vorbei.


„Hugo“, sagte sie qualvoll, aber er schüttelte den Kopf.

 

„Tut mir leid, dass ich… dich geküsst habe. Das war dumm von mir.“ Er schob die Tür zornig auf, hörte Rumers Stimme, aber seine Augen fanden ein anderes Ziel.

 

„-weil es anstrengend ist, Rose!“, sagte Presley gepresst. „Weil ich mir Mühe gebe. Weil ich nichts falsch mache, und du trotzdem so verdammt distanziert bist, dass es wehtut. Oder irre ich mich?“, wollte er von seiner Schwester wissen, und Hugo gefror.

 

„Ich- nein, Presley. Ich… es tut mir leid, dass-“

 

„-willst du mich hier haben?“

 

„Ja! Natürlich!“, entkam es seiner Schwester fast flehend.

 

„Wieso redest du dann nicht mit mir?“ Seine Stimme war lauter geworden, und Hugo entschied sich recht spontan, von irrationaler Wut getrieben. Roses Blick war so offen, so hilflos. Er kannte seine Schwester so nicht. Ganz und gar nicht. Und ja, sie sprachen nicht, aber… zur Hölle damit!

 

„Lass sie in Ruhe“, verlangte Hugo kälter, als er erwartet hatte. Mutiger, als er erwartet hatte.

 

„Hugo!“ Rumer war ihm gefolgt, war nun dicht hinter ihm, aber Hugo ignorierte sie. Presleys verwunderter Blick traf ihn.

 

„Es ist alles in Ordnung, Hugo“, behauptete Presley schlicht, aber Hugo war nicht blind.

 

„Ach ja?“, entkam es ihm. „Hör auf, meine Schwester zu bedrängen.

 

„Ich bedränge niemanden. Und es geht dich nichts an!“ Die letzten Worte hatte er lauter geäußert, und Rose war zusammen geschreckt. Hugo verzog den Mund, denn es löste ein beschissenes Gefühl in ihm aus. Sein Verstand wog ab, wie groß der Schaden wohl wäre, den er nehmen würde, würde er jetzt tatsächlich ausholen und Presley schlagen.

Und es wurde nicht besser, denn langsam wurde es voll im Flur. Albus torkelte durch die angrenzende Tür zum Saal und blieb verblüfft stehen, als er sie erkannte.

 

„Na? Was haben wir denn hier?“, lallte er einigermaßen belustigt. Presley stöhnte unterdrückt auf. „Witzig, oder? Es ist wie… wie in den Drei Besen, damals.“ Und Hugo kannte die Details dieses Abends nicht im Einzelnen. Er wusste nur, auch an diesem Abend war Rose irgendwo mit Presley und Albus gewesen. Allein. Unter welchen Umständen auch immer.

 

„Albus, lass es. Halt dich da raus“, warnte Presley ihn, sichtlich müde.

 

„Oh!“, entfuhr es Albus lächelnd. „Es gibt was, wo ich mich raushalten soll? Wie spannend“, schnarrte seine betrunkene Stimme. Presley verdrehte die Augen.

 

„Rose, könntest du deinen Verwandten erklären, dass ich nichts falsch gemacht habe? Bitte“, ergänzte er gefährlich ruhig. Rose schien sich zu sammeln, und dann nickte sie.

 

„Presley hat nichts falsch gemacht. Es muss sich hier keiner aufspielen“, ergänzte sie, kurz in Albus‘ Richtung, kurz in seine.

 

„Warum weinst du dann?“, erkundigte sich Albus, und sein Lächeln war verschwunden. Überrascht tastete seine Schwester nach ihren Wangen, und sie schien es tatsächlich nicht gemerkt zu haben.

 

„Rose“, sagte Presley schließlich, senkte den Blick, und schien zu einem bitteren Schluss zu kommen, „ich werde gehen“, sagte er dann. Roses Augen weiteten sich panisch.


„Nein! Bitte, Presley! Nein!“ Sie schloss den Abstand, schien Presley tatsächlich küssen zu wollen, aber dieser hielt ihre Handgelenke fest.

 

„Nicht“, verlangte er gepresst. „Es war… absolut dumm von mir. Ich habe mir was vorgemacht. Ich dachte, du… würdest mich mögen, würdest mich wollen-“

 

„-das tue ich, Presley!“, versicherte seine Schwester fast hysterisch. „Das tue ich auch!“, wiederholte sie.


„Nein, das tust du nicht, Rose. Du willst nicht mich. Mich hast du heute kein einziges Mal angesehen, Merlin noch mal!“ Und es war wohl eine bittere Wahrheit. „Und ich habe verdammt lange gebraucht, um es zu sehen.“

 

„Presley“, flehte sie unter Tränen, aber Presley schob ihre Hände beiseite.

 

„Bitte. Ich stehe dir nicht mehr im Weg, Rose.“ Und Hugo wusste nicht, ob Rose verstand. Ob sie überhaupt begriff, was Presley sagte. Denn für ihn war es offensichtlich. Er hatte es heute ein Dutzendmal gesehen. Rose hatte Scorpius so oft angesehen, dass es fast schon peinlich war.

 

„Presley!“, rief sie, aber er wandte sich kopfschüttelnd ab, und tatsächlich setzte sie ihm nach, und Hugo reagierte geistesgegenwärtig und umfing ihren Unterarm.

 

„Nicht. Lass ihn“, sprach er ruhige Worte, aber seine Schwester wehrte sich.

 

„Nein! Lass mich! Ich muss mit ihm reden, ich-!“

 

„-Rose!“, entfuhr es Hugo ungläubig. „Du willst doch überhaupt nicht mit ihm zusammen sein!“ Und jetzt funkelte seine Schwester so bösartig zornig zu ihm auf, dass Hugo kurz den Atem anhielt. Mit grober Gewalt entriss sie ihm ihren Unterarm.

 

„Woher willst du wissen, was ich will, Hugo?“, fuhr sie ihn bitter an. „Als ob es dich einen verdammten Scheißdreck interessieren würde, was ich will und was nicht!“, blaffte sie ihn an. Und dann fiel sie in einen lächerlichen Laufschritt, denn ihre Schuhe waren viel zu hoch für sie. „Presley!“, hörte er die verzweifelte Stimme seiner Schwester, und er hasste, dass sie sich etwas vormachte. Und ihn fertig machte dafür! Denn er wusste, was seine blöde Schwester eigentlich wollte. Hugos Kiefer spannte sich schmerzhaft an. Rumer hatte ihn zweimal geschlagen, Rose ließ sich von ihm nicht helfen – er fühlte sich absolut beschissen.

 

„Vielleicht… solltest du dich etwas mehr um deine Begleitung kümmern, Hugh, denn Fred gibt sich mächtig Mühe, die arme Cara zu umgarnen. Es ist ein Trauerspiel da drin“, lallte Albus, und Hugo tauschte einen kurzen Blick mit Rumer, die gänzlich überfordert wirkte.

Und vielleicht würde Hugo das, wenn sich Albus auf den eigenen Beinen halten könnte. Er knickte glucksend ein, und gleichzeitig griffen Rumer und er unter seine Arme.

 

„Wir… sollten ihn ablegen“, brachte Rumer mit eiserner Kontenance über die Lippen, während sie beide Albus‘ Gewicht hielten.

 

„Hey! Ich kann alleine… stehen“, murmelte Albus, aber sein Kopf sank langsam auf seine Brust.

 

„Besser er schläft, als dass er alle hier als Schlammblüter beleidigt“, knurrte Hugo gereizt, und mit gemeinsamer Anstrengung schleiften sie Albus zurück in den leeren Saal.

 

„Ha ha!“, rief Albus grinsend aus, als wäre es ein fabelhafter Witz gewesen. „Gute Zeiten…“, lallte er, und Rumer atmete entnervt aus.

 

„Alby, du bist so ein Wichser!“, beleidigte sie ihn konsequent, und fast musste Hugo lächeln. Aber nur fast.

 

„Verbringst viel Zeit mit unserm Hugo, hm?“, murmelte Albus und ließ sie sein Gewicht nun praktisch vollständige alleine tragen. „Ist ´n Süßer, nicht wahr?“, fuhr er fort, und Hugo wollte ihn einfach schlagen. „Vielleicht… kann er dir von dem Abend erzählen, als er mich im Grimmauld Place besuchen kam – ganz der Macho, und mich zwingen wollte, nach Hause zu kommen? Fantastische Geschichte, nicht wahr, Hugh? Als du mich erpressen wolltest-?“

 

„-halt die Klappe, Albus“, unterbrach Hugo ihn eilig, während sie ihn über den Teppich schleiften, bis sie ihn zu einer Stuhlgruppe bugsiert hatten, wo sie ihn mehr schlecht als recht ablegten.

 

„Denn Hugo weiß so verdammt viel!“, lallte Albus, und im Dunkel war es schwer, überhaupt noch irgendetwas zu sehen.

 

„Albus“, kam es warnend über Hugos Lippen, und mittlerweile glaubte er, Albus tat das mit blanker Absicht.

 

„Vielleicht… ist es mittlerweile ja offensichtlich. Ich meine, der arme Presley weiß es auch, nicht wahr?“ Die Frage galt wohl ihm, aber Hugo antwortete nicht.

 

„Was weiß Presley?“, entfuhr es Rumer jetzt, und Hugo stöhnte auf.

 

„Gar nichts, Merlin noch mal. Albus, ich hole James. Vielleicht kann er dich unbemerkt nach Hause bringen“, schloss er knapp.

 

„Was läuft bei euch?“, ignorierte Albus ihn, und seine Worte klangen forsch.

 

„Gar nichts.“

 

„Gar nichts!“

 

Er und Rumer sprachen gleichzeitig, und Albus kicherte albern auf den Stühlen, bevor er sehr laut gähnte. „Ihr seid doch alle bescheuert“, murmelte er träge, und Hugo war sehr, sehr dankbar, als das laute Schnarchen den Saal erfüllte. Merlin sei Dank.

 

„Was meint er damit, du warst im Grimmauld Place?“, wandte sich Rumer nach einer kurzen Stille an ihn.

 

„Keine Ahnung, was er meint“, entgegnete er bloß.

 

„Hugo-“

 

„-es ist schon gut, Rumer. Du musst nicht mit mir reden. Du machst dich nur lächerlich“, wiederholte er ihre Worte scharf und erhob sich. Sie tat es ihm gleich.

 

„Ich habe es nicht so… gemeint“, rang sie sich die Worte ab, und langsam schritt er durch die Dunkelheit voran. „Hugo!“ Er blieb stehen, und Rumer lief direkt in ihn hinein. Bevor sie etwas sagen konnte, drehte er sich um, fand ihre Schultern, und fasste seinen spärlichen Mut zusammen.

 

„Ich mag dich, Rumer MacLeod“, sagte er ernst. „Und ich… werde Cara sagen, dass ich… nicht mit zusammen sein kann. Und wenn… dir das irgendwas bedeutet, dann… weißt du, dass ich… da bin. Wenn du das willst, und es nicht zu lächerlich für dich ist“, schloss er stiller, und er hörte sie seufzen. Er ließ ihre Schultern wieder los.

 

„Du… bist Roses kleiner Bruder“, flüsterte sie schließlich.

 

„Na und?“, entkam es ihm rau. Er hob die Hand zu ihrer Wange, und diesmal fuhren seine Knöchel federleicht über ihre Haut. Er hörte, wie sie den Atem anhielt. „Das stört mich nicht“, schloss er tonlos. „Überleg es dir.“ Schweren Herzens zog er die Hand zurück und hoffte, dieser Abgang war, was Rumer haben wollte. Was für ein anstrengender Abend. Und doch… schlug sein Herz sehr schnell.

 

 

 

Thirty-Two

 

Sie hastete durch die Halle, aber es war schwer, ihn einzuholen. Vor allem auf diesen Schuhen! Sie sah davon ab, noch mal seinen Namen zu rufen. Die Erwachsenen lachten und tanzten, und sie spürte die verdammten Blicke. Fast war es sanfte Nachsicht. Als wäre sie ein Kind, und solche Beziehungsprobleme wären lächerlich, und alle wussten es besser. Sie ignorierte sie alle und eilte Presley nach, der bereits die Stufen erreicht hatte, die zum Ausgang führten.

Im Vorbeigehen sah sie Dom und Scorpius ins Gespräch vertieft, und sie hasste, dass es ihr auffiel. Sie hasste, dass sie selbst unbewusst darauf achtete – und sie hasste, dass Presley glaubte, er stünde ihr im Weg!

 

Und was fiel ihrem Bruder plötzlich ein? Sie war sauer auf Hugo. Und auf Alby. Und auf Presley. Eilig lief sie die Stufen runter. So schnell sie eben konnte, und endlich holte sie ihn ein, als er die schweren Türen aufzog, den Kellner ignorierte, und sie schlüpfte ebenfalls nach draußen.

 

„Presley!“, rief sie verzweifelt, und schließlich blieb er stehen. Die kalte Nachtluft ließ sie zittern. Die Stola lag drinnen über ihrem Stuhl.

 

„Geh rein, Rose“, warnte er sie, ohne sich umzudrehen.

 

„Bitte!“, flehte sie schlotternd, und zornig wandte er sich zu ihr um.

 

„Bitte was, Rose? Warum folgst du mir?“

 

„Weil ich nicht will, dass du gehst“, wisperte sie und zitterte heftiger.

 

„Aber du willst auch nicht, dass ich bleibe. Und deshalb gehe ich. Bitte, geh wieder rein.“ Bockig schüttelte sie den Kopf. Genervt zog er den Zauberstab, richtete ihn auf ihre Gestalt und sprach den Wärmezauber stumm. Sofort entspannte sich ihr Körper und Wärme erfüllte sie.

 

„Geh nicht“, bat sie ihn, mit Tränen in den Augen. Presley sah sie ernst an.

 

„Was soll ich da drin? Zusehen, wie du ihn anschmachtest. Ich bin besser als das, Rose.“

 

„Es stimmt nicht!“, wehrte sie sich heftig gegen seine verdammten Worte, aber er lachte auf.

 

„Ich will wirklich nicht derjenige sein, der es dir buchstabiert, Rose, und vielleicht…“ Er biss sich kurz auf die Lippe. „Vielleicht tust du es auch nicht mit Absicht, aber… du willst mich nicht wirklich.“ Rose hasste, dass er so sprach. „Ich wünschte, es wäre anders, aber ich kann nicht mehr so tun, ok? Ich will nicht mehr dazwischen stehen.“

 

„Presley“, flüsterte sie unglücklich, und tatsächlich kam er näher und hielt direkt vor ihr inne. Dann zog er sie in seine Arme und sie ließ sich von ihm halten.

 

„Ich… wäre sehr gerne dein Freund gewesen. Aber… ich komme gegen ihn scheinbar nicht an“, schloss er seufzend. Dann löste er sich von ihr.

 

„Aber… das stimmt nicht“, beharrte sie kopfschüttelnd auf ihren Worten, und Presley lächelte schwach.

 

„Es ist fast beruhigend, dass du gar nicht zu wissen scheinst, warum du mir wehtust. Es macht es… etwas besser.“ Er war so schrecklich erwachsen. Dann verließ sein treuer Blick ihr Gesicht, und Rose wollte nicht, dass er ging, denn dann hatte sie keine Ausreden mehr an die sie sich klammern konnte. „Und ich denke…, das ist mein Stichwort“, schloss er bitter. Sie wandte überrascht den Blick.

 

Scorpius. Er hatte das Restaurant verlassen und stand nun unschlüssig vor der Tür, sah zu ihnen hinab, und Presley streckte den Rücken durch. „Kannst es nicht abwarten, was, Malfoy?“, entkam es ihm grimmig. „Keine Sorge. Ich bin schon weg.“ Rose konnte nur verzweifelt zu ihm auf sehen. „Und jetzt musst du mich gehen lassen“, bat er sie still. „Zumindest das schuldest du mir.“ Sie hasste, dass er Recht hatte. Mit allem, was er sagte. Sie schloss die Augen und rang um Fassung.

 

„Es tut mir so schrecklich leid“, flüsterte sie untröstlich. Presley zuckte schließlich die Achseln.

 

„Viel Glück, Rose.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab, wirbelte um sich selbst und war verschwunden. Der Geruch von Schnee lag in der Luft, und kaum war Presley appariert, erfasste sie die beißende Kälte wieder. Und leer starrte sie auf die Stelle, wo Presley gestanden hatte. Gerne hätte sie etwas Schlagfertiges gesagt. Etwas Gemeines. Sie hätte Scorpius vorschlagen können, zurück zu Dom zu gehen, da sie ihn bestimmt schon vermissen würde, aber… sie konnte nicht.

 

Sie zitterte unwillkürlich und hasste diesen Abend. Wie lange war Scorpius schon da? Was hatte er alles gehört? Und was genau wollte er? Wollte er sich lustig machen? Wollte er ihr schadenfroh erklären, wie erbärmlich sie war? Mit dem letzten bisschen Fassung, was sie finden konnte, wandte sie sich um. Sie hatte sich absolut lächerlich gemacht. Sie war Presley nachgelaufen, hatte irgendwo gehofft, ihn umzustimmen, aber nicht mal ihr Aussehen schien gereicht zu haben. Nicht, dass sie sich noch in irgendeiner Weise überlegen fühlte. Tat sie nicht mehr.

 

„Was willst du?“, fuhr sie ihn schließlich an, denn er schien gar nichts sagen zu wollen. Sie zitterte mittlerweile. Der Zauber des Kleides wirkte draußen nicht mal ansatzweise. Und sein eisiger Ausdruck schmolz irgendwann, und es regte sie nur noch mehr auf. Er schüttelte sich aus seinem scheiß Jackett, was ihm so verdammt gut stand, dass sie kotzen könnte. Sie erlaubte sich auch jetzt nicht, in sein Gesicht zu sehen. Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich brauche dein Jackett nicht!“, warnte sie ihn, aber er schenkte ihr wenig Beachtung, schloss den Abstand und hielt es ihr entgegen. Bockig starrte sie auf das Jackett und schüttelte bloß den Kopf. Sie wollte an ihm vorbei, und er breitete das Jackett aus und legte es um ihre Schultern. Sehr kurz überlegte sie, es von ihren Schultern zu schütteln, aber die warmen Fasern taten sofort gut, auf ihrer unterkühlten Haut.

Dann machte er auf dem Absatz kehrt und hielt ihr die Tür demonstrativ auf, als er wieder am Eingang stand.

 

Sie hasste, dass es nur diesen Weg gab. Dass sie nicht einfach apparieren oder sogar zu Fuß nach Hause konnte. Sie hatte keine andere Alternative, als wieder ins verdammte Restaurant zu gehen. Die Demütigung blieb ihr nicht erspart.

 

„Rose“, sprach er sehr erschöpft. Sie biss sich unglücklich auf die Lippe. Sie wollte nicht rein. Sie wollte nicht, dass der Abend weiterging, dass sie beantworten musste, wo Presley geblieben war. Sie wollte ihren Eltern nicht sagen, dass er gegangen war, dass er nicht wiederkommen würde, und dass sie die Schuld daran trug. Sie wollte nicht von Scorpius ‚gerettet‘ werden. Sie wollte es alles nicht. Ihre Cousins und Cousinen würden sie verurteilen, und sie war noch nicht bereit. Und es war ein sehr knapper Kampf in ihrem Innern, und nur mit geringem Vorsprung siegte ihr Selbsterhaltungstrieb über ihre Bockigkeit. Unwillig ging sie zurück, stieg vorsichtig die Stufen empor, denn die Schuhe brachten sie um, und kaum war sie wieder drinnen im Vorraum zum Korridor, zog sie sich sein Jackett von den Schultern und pfefferte es ihm wieder entgegen. Fast verpasste er, es zu fangen, aber er bekam es gerade noch mit den Fingern zu fassen. Sie hatte sich abgewandt, aber sie hörte seine Stimme erneut.

 

„Warte“, hielt er sie gepresst auf, und griff tatsächlich nach ihrem Unterarm. Und es war zu viel. Alleine das war schon zu viel. Ein wenig zu gewalttätig entzog sie ihm ihren Arm, wie sie es auch schon bei ihrem Bruder getan hatte und funkelte ihn an.

 

„Lass es!“, flüsterte sie hasserfüllt, und sein neutraler Ausdruck wandelte sich. Er warf das Jackett zornig neben sich auf den Boden, und sie hörte das Lachen der Erwachsenen von drinnen, hörte, wie sie Spaß hatten und feierten, und sie begriff nicht, warum sie nicht Spaß haben konnte! Warum es ihr nicht vergönnt war, irgendetwas Gutes zu haben. Warum alles immer nur böse und falsch und verboten sein musste! Warum dieser Abend nicht einfach mal zu ihren Gunsten hatte ausgehen können. Und sie war weit entfernt davon, zu reflektieren! Sie wollte nicht nachdenken und herausfinden, dass es alles ihre Schuld war – dass sie ihr eigenes Glück bestimmte. Und sie konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Ihn endlich ungestört zu betrachten.

Merlin, er war so gutaussehend, dass sie heulen könnte. Und es war nicht so, dass Presley nicht gut aussah. Aber… aber ihr Kopf wollte es nicht einsehen. Und sie hasste sich selbst dafür.

 

„Rose, warum ist Presley gegangen?“, fragte er sie tatsächlich, aber es klang nicht wirklich nach einer echten Frage, die er stellte. Es klang so, als wisse er die Antwort, und das machte sie nur wütender. Zuerst wollte sie nicht antworten, aber ihr Trotz war schneller.

 

„Was weiß ich, warum! Es geht dich nichts an, ok?“, ergänzte sie und bemühte sich um Ruhe in ihrer Stimme.

 

„Warum hast du ihn heute eingeladen?“, stellte er die nächste Frage, ignorierte ihre Worte, und war dieser arrogante Bastard zu fassen?!

 

„Weil er mein Freund-!“, begann sie, begriff aber, dass sie diesen Satz nicht gut beenden konnte. Er war nicht mehr ihr Freund. Er war… gar nichts mehr für sie.

 

„Warum war er sauer?“, entkam es ihm stiller, und er fixierte sie genau aus seinen grauen Augen, die kein Erbarmen mit ihr hatten. Wirklich? Warum verbrachte er den Abend mit Dominique? Sie könnte dieselben Fragen stellen! Aber sie tat es nicht! Wieso machte er das?

 

„Fick dich, Scorpius!“, fuhr sie ihn zornig an, und wollte gehen, wollte wieder in den Saal, denn selbst die dämlichen Erwachsenen mit ihrer blöden guten Laune wären besser, als Scorpius Malfoy. Aber dieses Mal hatte er ihren Arm mit mehr Kraft ergriffen, riss sie praktisch zurück, und sie fand sich gegen seinen Körper gepresst. Schockiert stemmte sie sich gegen ihn. „Lass mich-“

 

„-was empfindest du für mich, Rose?“, unterbrach er sie rau, und sie riss die Augen weit auf. Gar nichts! Sie empfand gar nichts für ihn! Was erlaubte er sich eigentlich?

 

„Lass mich los!“, fuhr sie ihn verzweifelt an, aber er tat nichts dergleichen, hielt ihren Bemühungen eisern stand.

 

„Sag es mir, Rose“, verlangte er dunkel, und sie warf sich praktisch gegen seinen Körper.

 

„Ich will gehen, Scorpius!“, warnte sie ihn und spürte die Tränen deutlich hinter ihren Augen.

 

„Willst du wirklich, dass ich dich gehen lasse?“, fragte er sie, und sie machte ein empörtes Geräusch. „Hat es dich gestört? Dass ich mit Dom gesprochen habe?“, fuhr er plötzlich fort, ohne seinen Griff zu lockern.


„Nein!“, spuckte sie ihm zornig entgegen, erwiderte seinen funkelnden Blick, und es war eine bittere Lüge. Ihr Herz schlug so schnell, Hitze war längst in ihre Wangen – sogar in ihre Ohren – gestiegen, und sie konnte kaum noch klar denken, so nahe vor ihm. Mit aller Macht riss sie sich von ihm los, taumelte einige Schritte zurück, und sie musste mit offenem Mund atmen, denn zu wenig Sauerstoff versorgte ihr Gehirn. Ihr war beinahe schwindelig.

 

„Ich bin jetzt hier, Rose“, sagte er ernsthaft. „Ich weiß, dass Presley gegangen ist, weil er nicht derjenige ist, mit dem du deine Zeit verbringen willst. Hugo weiß es. Albus weiß es – Merlin, wahrscheinlich wissen es alle bereits!“, fuhr er sie an. Und unter Tränen schüttelte sie den Kopf. Nein! Er hatte Unrecht! „Warum ist es so schwer für dich, verdammt noch mal?“ Sie hasste, dass er sie beleidigte, dass er all diese Dinge in ihr Gesicht sagte. Und sie wollte nicht darüber reden. Sie wollte ihm gar nicht sagen müssen, dass er derjenige war, der sie nur zu gerne hatte gehen lassen! Der nicht einmal versucht hatte, sie zu behalten. Er hatte sie benutzt! Aber würde sie es sagen, würde er denken, es mache ihr etwas aus! Er machte ihr keine Zugeständnisse, also wieso sollte sie es tun? Was wolle er hören? Dass… dass sie ihn wollte? Denn… ja. Vielleicht wollte sie das, aber… es ging nicht! Es war… viel zu schwer! Es war zu schmerzhaft und zu kompliziert.

 

„Ich kann das nicht“, flüsterte sie tonlos und schüttelte den Kopf mit weiten Augen. Seine geballten Fäuste entspannten sich. Resignierend sanken seine Schultern.

 

„Dann geh“, entfuhr es ihm. „Wenn du mich nicht willst, dann… geh. Verschwinde einfach.“ Seine Stimme klang hohl, erschöpft, und Tränen fielen auf ihre Wange. Wieso musste sie diejenige sein, fragte sie sich blind vor Schmerz. Und wieso ausgerechnet er? Sie nahm an, er hatte gelogen, und die Zeit mit ihr war nicht schlecht gewesen. Vielleicht hatte er auch gelogen, als sie gesagt hatte, dass sie keine Affäre mehr mit ihm haben könnte. Und es reichte nicht. Sie war… gierig. Sie musste es hören, musste es wissen, denn es reichte ihr nicht!

 

„Wi-willst du mich?“, entkam es ihr wesentlich schwächer, als sie beabsichtigt hatte. Denn er sagte es nicht! Mit keinem einzigen Wort! Und vielleicht interpretierte sie seine Blicke, seine Gesten einfach falsch. Woher sollte sie wissen-

 

„-wieso fragst du mich das?“ Er klang tatsächlich ungläubig. Er klang… zornig. Mit ihr! Als hätte sie – „-was denkst du, warum ich hier bin? Warum ich vor dir stehe?“ Aber es reichte nicht! Es war nicht gut genug. Sie brauchte mehr Klarheit als das.

 

„Willst du mich?“ Und jetzt klang ihre Stimme selbstbewusster. Ihr Herz schlug so unheimlich schnell, dass ihr schlecht wurde. Und fast war sein Ausdruck schmerzhaft. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig, und als er sich in Bewegung setzte, machte ihr Herz einen unkontrollierten Satz. Dann stand er vor ihr, und die Zeit schien stillzustehen.

 

„Ja, verdammt“, knurrte er ungehalten, und… es reichte. Das reichte ihr, um Hals über Kopf den Verstand zu verlieren. Fast verzweifelt drängte sie sich gegen ihn, griff in seine seidigen Haare, hätte weinen können beim Gefühl seiner Haare zwischen ihren Fingern, und er kam ihr entgegen. Sie vergaß, wo sie war und warum sie so unglücklich war. Sie vergaß alles, und es war, als wären die schlimmen, letzten Wochen überhaupt nicht real gewesen.

Endlich verschlossen seine Lippen ihren Mund, und geschockt über das Verlangen, was sie explosionsartig verspürte, schnappte sie nach Luft. Seine Arme schlossen sich um ihren Körper, pressten sie näher an seine Wärme, und ungeduldig ließ sie ihre Zunge zwischen seine Lippen gleiten, und es war ein Kuss, der sie ihren Namen vergessen ließ. Sein Atem ging schneller, heißer, als er den Kuss erwiderte, ihre Zunge mit seiner verdrängte, sie reizte, und sie wollte, dass er sie berührte. Sie wollte alles an ihm. Das pochende Gefühl zwischen ihren Beinen war so unerträglich, dass sie schreien wollte. Und sie lehnte sich in seine Bewegungen, als sich seine Arme lösten, als seine Hände ihre Seiten auf und ab fuhren, bis er ihre Brüste fand, und keuchend erwiderte sie den Kuss heftiger, zeigte ihm, wie sehr es ihr gefiel, und die Erektion in seiner Hose pulsierte heftig, schien vollständig geweckt, und sie glaubte nicht, dass sie noch viel länger ertragen könnte, seine Haut nicht zu spüren. Ihre Nägel kratzten über den Stoff seines Hemdes, und sie rieb sich an ihm, stöhnte heiser, und seine Bewegungen wurden gröber.

 

Und die Person, die sich eilig umdrehte und wieder im Korridor verschwand, hatten sie nicht wahrgenommen.

 

 

 

 

 

Er hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich angenehm wäre, seinen Abend in Gesellschaft dieser Menschen zu verbringen. Er hörte Harry zu, und kurz musste er sich fragen, weshalb er als Junge so viel gegen ihn rebelliert hatte. Er gab seinem Vater die Schuld. Es war einfacher, als sich einzugestehen, dass er ein Arschloch gewesen war. Sein Sohn war wesentlich klüger, nahm er an.

Scorpius war seit einer Weile verschwunden. Er hatte gar nicht mehr drauf geachtet. Auch Albus hatte er bestimmt seit einer Stunde nicht mehr gesehen.

Und dann verschob sich seine Aufmerksamkeit, und auch Harry wandte den Blick.

 

Dominique hatte sich an den Stehtisch vor ihnen gedrängt. Sie sah sehr hübsch aus. Scorpius hatte erstaunlich viel Zeit mit ihr verbracht heute. Bill hatte ihn auch schon darauf angesprochen.

 

„Onkel Ron!“, rief sie verzweifelt, und erst jetzt erkannte Draco die Tränen. „Onkel Ron!“, rief sie wieder, und Ron Weasley näherte sich hastig. „Es ist Rose!“, vernahm Draco Dominiques gequälte Stimme, und Ron setzte sich sofort in Bewegung. Innerhalb einer einzigen Sekunde hatte er reagiert und folgte Dominique. Er und Harry tauschten einen knappen Blick, und erst als Hermine folgte, erhob Draco sich automatisch. Er wusste nicht, warum, aber er hatte ein unbestimmt schlechtes Gefühl in seiner Brust.

 

Auch Harry erhob sich hinter ihm, und Draco beschleunigte seine Schritte automatisch. Ron lief die Stufen hinab, Draco beeilte sich, Schritt zu halten und erreichte Hermine. Sie überwanden die Stufen ebenfalls, und Draco hatte keine Ahnung, warum sie beinahe rannten.

 

Und dann hörte er den Schrei. Kurz stockten sie, und Hermines Gesicht war bleich geworden, bevor sie nun gänzlich rannte. Draco folgte eilig, Harry dicht hinter ihm. Sie bogen um die Ecke, und sein Mund öffnete sich. Sein Gehirn brauchte etwa eine Sekunde, um das Bild zu verarbeiten. Er brauchte noch eine Sekunde, bis er begriff, dass es Scorpius war, den Ron am Kragen gepackt hatte und von seiner Tochter wegzerrte. Roses Wangen waren gerötet, die Träger ihres Kleides hinabgezogen, und Dracos Mund öffnete sich langsam.

 

„Was fällt dir ein?“, brüllte Ron seinem Sohn entgegen, und seine Stimme drang wie durch Watte an Dracos Ohren, und bedauerlicherweise tickte die Zeit weiter, und Draco löste sich aus der kleinen Gruppe, und in zäher Zeitlupe erreichte er Ron und seinen Sohn. Und die nächste Reaktion entschied dann wohl über sein Schicksal in dieser erlauchten Heldenreihe, dachte er dumpf, als sich seine Hand grob um Rons Arm legte und Kraft ausübte.

 

„Lass ihn los!“, befahl er rau, aber Rons Blick war blind vor Zorn.

 

„Dein verdammter Sohn hat-!“ Draco wollte es nicht hören. Er war verdammt noch mal nicht blind!

 

„-lass ihn los!“, wiederholte er wieder, und er wollte das nicht. Er wollte diese Auseinandersetzung nicht. Sein Sohn schaffte nicht, Rons Griff abzuschütteln, und Draco zählte innerlich bis drei, bevor er mehr Kraft anwandte, seine andere Hand einsetzte und Rons geballte Faust vom Hemd seines Sohnes löste. Scorpius wich keuchend zurück, aber Rons Blick folgte ihm zornig.


„Was fällt dir ein?“, schrie er Scorpius entgegen, und Draco blockierte Ron nun mit seiner gesamten Gestalt, um zu verhindern, dass er auf seinen Sohn losging.

 

„Dad!“, entfuhr es Rose aufgelöst, verzweifelt, und Draco hasste, dass sie weinte.

 

„Lass mich“, knurrte Ron nun in sein Gesicht, aber Draco dachte nicht im Traum daran.


„Beruhige dich“, verlangte er gepresst, aber Ron stieß ihm hart vor die Brust, so dass Draco beinahe stürzte.

 

„Ron!“ Hermine trat neben ihn. „Hör auf damit! Ich bitte dich!“

 

„Hermine, er hat sie-!“, begann er außer sich, aber dann überlegte er sich anders, schob seine Frau beiseite, und Draco reagierte zu spät. Ron hatte seinen Sohn erreicht, und fast glaubte Draco, dass Scorpius ausholen würde – aber… dann passierte etwas Seltsames. Rose drängte sich zwischen Scorpius und ihren Vater.

 

„Nein! Dad, nein!“, rief sie mit zitternder Stimme. „Lass ihn in Ruhe!“, flehte sie kopfschüttelnd.


„Rose, geh aus dem Weg!“, blaffte Ron am Rande eines Anfalls, aber seine Tochter blieb eisern.

 

„Nein!“, flüsterte sie und weinte heftiger.

 

„Nein?“, wiederholte Ron plötzlich, als hätte ihn eine massive Kraft zurückgeworfen. Kraftlos sanken seine angespannten Arme an seine Seite.

 

„Dad, bitte“, flüsterte Rose tonlos, und sein Sohn stand schwer atmend hinter Rose, beäugte Ron wachsam.

 

„Du wirst dich nicht mit ihm abgeben, Rose“, warnte Ron sie kompromisslos, aber seine Tochter ballte die Hände zu Fäusten.

 

„Das… das ist nicht deine Entscheidung!“, fuhr sie ihn an.

 

„Rose“, sagte Scorpius still, legte die Hand auf ihre Schulter, und Ron explodierte wieder.

 

„Rühr sie nicht-!“

 

„-Dad, halt den Mund! Lass ihn in Ruhe!“, schrie Rose jetzt fast ängstlich, und Draco und Hermine bewegten sich gleichzeitig, und Hermine zog Ron zurück, während Draco hinter Scorpius trat.

 

„Nein!“, schrie Ron, riss sich aus Hermines beruhigendem Griff, fuhr sich durch die Haare und starrte seine Tochter ungläubig an. Ein bitterer Ausdruck trat auf sein Gesicht, und sein hasserfüllter Blick galt ihm, bevor er auf Scorpius fiel. Und dann wandte er sich ab, schritt mit zornigen Schritten zur Tür, riss sie auf und war in die Nacht verschwunden.

 

„Ron!“, rief Hermine hastig, öffnete die Tür ebenfalls, aber Ron war bereits appariert. „Verdammt noch mal“, flüsterte Hermine erschöpft. Sie wandte sich wieder an Rose. „Bleib einfach hier!“, befahl sie ihrer Tochter. „Und zieh dir was über“, ergänzte sie ansatzweise gereizt. „James“, wandte sie sich an den ältesten Potter, und Draco begriff, mittlerweile stand die ganze Familie im Flur, hatte die Szene mit schockierten Gesichtern verfolgt, und James trat zögernd vor. „Bring mich nach Hause. Ron hat zu viel getrunken und hätte nicht apparieren dürfen, und ich habe ebenfalls schon getrunken. Dann kommst du zurück und bringst Rose und Hugo!“, befahl sie knapp, und James nickte hastig. „Ginny, ich melde mich morgen“, verabschiedete sie sich schlecht gelaunt, und Ginny nickte überfordert. James begleitete Hermine nach draußen, und dann kehrte Stille ein.

 

„Dad“, begann sein verdammter Sohn beschämt, aber Draco streckte den Rücken durch. Sein Blick glitt über den Haufen an Weasleys.

 

„Entschuldige dich“, befahl er tonlos. Scorpius schien widersprechen zu wollen, schwieg dann aber. „Entschuldige dich bei den Gastgebern, Scorpius.“

 

„Es… tut mir leid“, murmelte sein Sohn verzweifelt, und Harry und Ginny schienen keine rechte Antwort zu wissen.

 

„Verabschiede dich. Wir werden gehen“, fuhr Draco gepresst fort, und sein Sohn schluckte schwer.

 

„Auf… Wiedersehen. Danke für…“ Er brach ab, sein Blick fiel auf Rose, und sie hatte noch immer Tränen in den Augen. Draco war kurz versucht, seinen Sohn am Arm zu packen und von ihr wegzuziehen. Aber er hatte das schon geahnt. Er hatte es längst befürchtet. Und leider hatte er seinen Sohn unwissenderweise belogen. Er hatte ihm versichert, dass ihm niemand den Kopf abreißen würde, allerdings… war er auch nicht davon ausgegangen, dass sein Sohn so wenig Taktgefühl besaß und Ron Weasleys Tochter direkt im Flur ausziehen würde. Merlin. Dracos Kiefer spannte sich an. Rose nickte schwach, schien nichts mehr sagen zu können, und Draco setzte sich in Bewegung.

 

„Wiedersehen“, sagte er sehr knapp, ergriff Scorpius‘ Arm und gemeinsam verließen sie die Party, die zu einem sehr plötzlichen Halt gekommen war.

 

 

Thirty-Three

 

Es herrschte betretenes Schweigen, während James, Fred und Vic damit beschäftigt waren, die schlecht gelaunten Erwachsenen nach Hause zu bringen. Lily starrte auf die Tischdecke, die mittlerweile mit Weinflecken übersät war, und sie verspürte Wut. Auf ziemlich viele Leute. Es war der Hochzeitstag ihrer Eltern gewesen, und sie hatte tatsächlich Spaß gehabt.

Und sie war sauer auf Rose und Scorpius, aber… noch wütender war sie auf Dom. Diese saß da, als wäre ihr persönlich ein Leid angetan worden! Als wäre sie das Opfer. Sehr eilig hatte Rumer sie vorhin mit geschleift, um Albus zu wecken, der anscheinend vollkommen betrunken im Ersatz-Saal eingeschlafen war. Und er saß ebenfalls neben ihr, den Kopf auf die Arme gebettet, während er wieder eingeschlafen war.

 

„Wusstest ihr das?“, fragte die neue Freundin von Louis gespannt, und Cara schüttelte den Kopf. Sie waren beide Sechstklässlerinnen aus Ravenclaw, aber Lily glaubte nicht, dass Louis ernste Absichten verfolgte.

 

„Ich hatte keine Ahnung“, erwiderte Cara kopfschüttelnd. „Ich dachte, sie wäre mit Presley zusammen“, ergänzte sie still.

 

„Scheinbar nicht“, entfuhr es Louis mäßig interessiert.

 

„Sie ist so unmöglich!“, entfuhr es Dom aufgebracht. „Wie konnte sie mir so etwas antun? Was habe ich ihr je getan? Sie kann es nicht ertragen, dass ich glücklich bin!“ Lily spannte den Kiefer an und riss sich zusammen.

 

„Richtig!“, entfuhr es Louis‘ Freundin schließlich. „Heute Abend dachte ich auch, dass du und Scorpius wieder etwas anfangen würdet!“, beteuerte sie nickend.

 

„Ja! Ich weiß! Wie kann Rose nur-?“

 

„-oh halt die Klappe, Dom!“, entfuhr es Lily zornig, ohne dass sie sich aufhalten konnte. Die Köpfe wandten sich in ihre Richtung, und Lily schluckte. Es war selten, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Familie bekam. Dom sah sie tatsächlich etwas ungläubig an, als hätte sie sich vielleicht verhört.

 

„Bitte?“, entkam es ihrer Cousine anklagend. Aber Lily hatte keine Lust mehr, höflich zu tun. Ehrlich gesagt, war sie ziemlich froh, dass es so gekommen war.

 

„Tu nicht so, als wärst du der Mittelpunkt der Welt“, entfuhr es Lily, und Doms Augen weiteten sich.

 

„Du bist absolut unsensibel!“, fuhr Dom sie bestürzt an, aber Lily lachte freudlos auf.


„Ich? Ich bin unsensibel? Dom, verdammt noch mal, das war nicht dein Abend! Es ging nicht um dich, auch wenn du dir das nur schwer vorstellen kannst!“, blaffte sie, so dass Albus‘ Kopf nach oben ruckte, als er wieder aufwachte. „Heute Abend haben meine Eltern Hochzeitstag gefeiert! Und du mischst dich in Sachen ein, die dich nichts angehen, schnüffelst Leuten hinterher, mit denen du nichts zu schaffen hast und regst dich über einen Typen auf, der dich nicht mal will!“ Albus neben ihr streckte sich gähnend.

 

„Ich habe irgendwas Spannendes verpasst, hm?“, mischte er sich mit tiefer Alkoholstimme ein, und Lily verzichtete darauf, ihm mitzuteilen, dass es eine ordentliche Standpauke setzen würde, wenn sie Zuhause wären. Das würde Albus gleich schon noch erleben. Doms Mund stand währenddessen ziemlich weit auf, und Lily genoss den Anflug von Verständnislosigkeit auf Doms Gesicht.

 

„Albus, du hast alles verpasst“, erklärte Lily kopfschüttelnd. „So, wie eigentlich immer.“

 

„Presley weg?“, erkundigte er sich milde interessiert, während er sich gähnend umblickte.

 

„Oh ja“, bestätigte sie finster.

 

„Mh“, machte er dann und sah sich um. „Hey – wo sind alle?“ Ihm schien es erst jetzt aufzufallen.

 

„Onkel Ron ist ausgeflippt, weil Scor und Rose Sex im Foyer hatten“, füllte Louis Albus‘ Lücken mehr schlecht als recht. Albus‘ trockene Lippen teilten sich verblüfft.

 

„Echt?“

 

„Oh Merlin, natürlich nicht!“, fuhr Lily dazwischen.

 

„Aber Onkel Ron ist abgehauen. Und dann… musste Fred Tante Hermine, Rose und Hugo nach Hause bringen“, mischte sich Louis achselzuckend wieder ein.

 

„Hugo auch? Wegen der Sache mit Rumer?“, wollte Albus mit gerunzelter Stirn wissen, und tatsächlich ruckte jetzt auch Rumers Kopf nach oben, die selber ziemlich müde zu sein schien. Cara meldete sich wieder zu Wort.

 

„Welche Sache mit Rumer?“ Die Aufmerksamkeit wechselte, verließ sie und ruhte nun auf Albus. Dieser öffnete knapp den Mund, dachte angestrengt nach, und schüttelte dann den Kopf.

 

„Nichts“, entschied er zu sagen.

 

„Was soll das heißen?“ Caras Augen waren verengt, schienen Albus‘ Gesicht nach Hinweisen abzusuchen, aber ihr Bruder hob müde die Hände und schenkte Cara ein schwaches Grinsen.

 

„Hab echt keine Ahnung – interessiert mich auch nicht.“ Cara wirkte reichlich unzufrieden, als James schließlich an den Tisch zurückkehrte. „Rumer?“, wandte sie sich direkt an das Mädchen, was ziemlich wenig sagte.

 

„Es – ist nichts! Keine Ahnung, wovon er redet, Cara!“, entfuhr es Rumer sehr defensiv. „Bringst du mich nach Hause?“, wandte sie sich nahtlos an James, der erschöpft nickte. Er wandte den Blick.

 

„Cara, danach bringe ich dich“, informierte er sie, und Cara verschränkte missmutig die Arme vor Brust. Vic und Fred kehrten ebenfalls zurück.

 

„Gäste zuerst. Äh- Brenda?“, sprach Fred Louis‘ Begleitung auffordernd an, und diese verzog den Mund.

 

„Mein Name ist Lauren?“, gab diese absolut gereizt zurück, und Fred verzog mit einem zischenden Geräusch den Mund, weil er doch ziemlich weit danebengelegen hatte.


„Sorry. Langer Abend“, sagte er schlicht, und Louis‘ Freundin verabschiedete sich schlecht gelaunt von ihm und dem Rest, und Vic griff sich ihren Bruder vom Stuhl.

 

„Ich glaube, es wird Zeit“, sagte sie vielsagend zu ihm, und wankend erhob sich Albus.

 

„Scheiße“, entkam es James. „Lass es Dad nicht sehen!“, flüsterte er in Vics Richtung, denn ihr Dad lief noch immer durch den Saal, klärte alles mit dem Personal, und Lily wollte einfach nur noch nach Hause.

Schade, dass Vic Dom nicht mitgenommen hatte. Jetzt wurde der Tisch merklich leerer.

 

„Irgendwas läuft da“, murmelte Cara böse.

 

„Frag Lily. Sie weiß doch scheinbar alles“, bemerkte Dom bitter.

 

„Lass es einfach sein“, erwiderte Lily bloß. „Du hast genug Schaden angerichtet“, ergänzte sie eindeutig, und wieder öffnete sich Doms Mund sehr schockiert.

 

„Ich?“, entfuhr es ihr bösartig.

 

„Ja, sicher. Wer ist denn zu Onkel Ron gerannt?“ Und dieses Mal schnappte Dom nach Luft, wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Und zum ersten Mal huschte so etwas wie Schuld über Doms Züge.

 

„Was hätte ich tun sollen? Onkel Ron würde das niemals erlauben, also-“

 

„-wie selbstlos von dir, Dom. Wirklich“, unterbrach Lily sie kopfschüttelnd.

 

„Dominique hat getan, was sie für richtig hielt“, mischte sich Cara ungefragt ein, und Lily könnte sich hier und jetzt übergeben, so sehr zum Kotzen waren diese dummen Tussen.

 

„Nein. Dom hat getan, was ihr in den Kram gepasst hat, ohne auch nur eine Sekunde an irgendjemand anders zu denken, außer an sich selbst.“

 

„Du bist so scheiße!“

 

„Nein, Dom. Du bist scheiße“, korrigierte Lily müde und gereizt. „Und ich hoffe mal, dein Vater ist nicht zu nett – wie sonst immer – und zwingt dich, dich bei meinen Eltern zu entschuldigen, du verwöhnte, dumme Gans!“ Lily schob hart den Stuhl zurück und erhob sich wütend. Dom sah ihr mit offenem Mund nach, während Lily aus dem Saal stampfte. Ihr Dad fing ihren Blick, aber sie hob die Hand. „Ich warte draußen auf James“, rief sie ihm kleinlaut zu, denn sie wollte nicht länger an diesem Tisch sitzen, wo alle nur an sich selber dachten.

 

***

 

Ein Haus voller Weasleys war nicht das Einfachste. Vor allem nicht, wenn alle gerade sauer waren. Ron war gestern Abend noch gut Zuhause angekommen, jedenfalls soweit Hermine es beurteilen konnte, denn gesehen hatte sie ihn nicht mehr. Sie hatte nur gemerkt, dass das Gästezimmer verschlossen gewesen war und er wohl sein Bettzeug mitgenommen hatte.

Sie war auch nicht ins Zimmer eingedrungen, hatte ihn schmoren gelassen, und heute hatte sie sich mit ihren Kindern angelegt, die dringend nach Hogwarts gebracht werden wollten, aber Hermine hatte es nicht gestattet. Zuerst würden sie miteinander reden. Sobald Ron denn wieder ins Haus käme.

 

Hermine schlang die weite Strickjacke enger um ihren Körper, als sie in Richtung Garage stapfte. Der Schnee lag nicht sonderlich hoch, aber er lag. Es sah eigentlich sehr schön aus, wäre heute nicht so ein furchtbarer Tag. Sie klopfte gegen die Tür an der Seite, und aus dem Innern hörte sie das magische Grammophon eine rockige Melodie spielen. Als sie nichts hörte, öffnete sie die Tür und steckte den Kopf ins Innere. Immerhin hatte er einen Wärmezauber benutzt. Sie betrat die Garage und sah sich um. Dann sah sie seine Beine auf dem Boden.

 

Er lag unter seinem 1965er Shelby Cobra, oder zumindest den Teilen, die er bereits zusammengeschweißt hatte. Hatte Ron sich vor zwanzig Jahren noch schwer getan, mit der Idee eines Führerscheins, so hatte er wohl die deutlichste Verwandlung gemacht. Natürlich besaßen sie eine Garage, und natürlich schraubte ihr Mann an Oldtimern. Ab und an kam Harry vorbei, der aus seiner Kindheit schließlich ebenfalls wusste, was Autos waren, aber noch viel begeisterte war Rons Dad. Ein Oldtimer – oder Hot Rod, oder gerne auch Muscle Car, wie Ron sie immer wieder verbesserte – war noch eine ganz andere Liga, als ein Toaster. Und Hermine sagte Ron nicht, dass er sie sehr stark an seinen Vater erinnerte. Ron stritt solche Thesen immer ab.

Aber letztendlich war Ron doch von Muggeldingen besessen, wie Arthur auch. Und tatsächlich war Rose diejenige, die ihm hier in den Ferien Gesellschaft leistete. Eigentlich, wann immer sie konnte. Das war es, was die beiden taten. Hermine und Hugo gingen in die Stadt, klapperten Bücherläden ab, bis es dunkel wurde, und Ron und Rose schraubten an winzigen Einzelteilen, die irgendwann ein Sportauto sein würden.

 

„Hey“, sagte sie also und ging in die Hocke. Er lag auf dem Rollbrett und verschraubte gerade – wusste Merlin – was.

 

„Hey“, erwiderte er monoton, und sie atmete lange aus. Immerhin sprach er noch mit ihr.

 

„Wenn du Frühstück möchtest, musst du schon reinkommen“, sagte sie eindeutig, aber darauf sprang er nicht an.

 

„Keinen Hunger“, drang seine steinerne Stimme wieder an ihr Ohr.

 

„Ron“, begann sie sanft, „wir müssen darüber reden.“

 

„Nein, müssen wir nicht“, behauptete er entschieden. „Kannst du mir das Achter-Gewinde geben?“ Hermine erhob sich seufzend wieder und schritt zur Werkzeugbank.

 

„Er ist kein… furchtbarer Mensch“, sagte sie laut, während sie mit gerunzelter Stirn den Tisch absuchte. Stand die Nummer auf den Gewinden, fragte sie sich dumpf, und Ron antwortete natürlich nicht. Blind griff sie sich eines der größeren Gewinde vom Tisch und kehrte zu ihm zurück. Sie bückte sich und reichte ihm das Werkzeug unter die Karosserie. „Hörst du?“, ergänzte sie, und er griff sich das Gewinde.

 

„Das keine Nummer acht, Hermine“, entfuhr es ihm gereizt, und sie verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Du könntest einfach den Accio benutzen, aber stattdessen beauftragst du mich. Das bedeutet, du möchtest nicht wirklich, dass ich gehe. Du möchtest darüber reden.“ Sie kam sich sehr clever vor – wie meistens. Und dann rollte er endlich in ihr Sichtfeld und setzte sich müde auf.

 

„Ich benutze den Accio nicht, weil mir die Scheiße sonst gegen den Kopf fliegt“, klärte er sie mit erhobenen Brauen auf und kam vorsichtig auf die Beine, um das richtige Gewinde vom Tisch zu holen.

 

„Wie dem auch sei – er ist kein furchtbarer Mensch, Ron“, wiederholte sie mit mehr Nachdruck.

 

„Wer?“ Er sah sie knapp an, schlug das Gewinde abwartend auf seine flache Hand, zeigte ihr, wie ungeduldig er war, weiterzumachen, aber Hermine hatte nicht vor, nachzugeben.

 

„Scorpius.“ Ron verzog kaum merklich den Mund, ging wieder in die Hocke und setzte sich auf das Rollbrett. „Ron“, sagte sie wieder, als er in die Rückenlage ging. „Du musst mit deiner Tochter reden.“ Aber schon war er wieder unter dem Rohbau des Autos verschwunden. „Ron!“, wiederholte sie streng, aber scheinbar benutzte er jetzt den Zauberstab, denn magischerweise wurde die Lautstärke der Grammphons hochgedreht.

 

Ok. Er wollte nicht reden? Er hatte noch bis abends Zeit. So lange würde sie ihre Kinder hier als Gefangene halten. Irgendwann musste ihr sturer Ehemann schließlich ins Haus kommen. Als sie ging, ließ sie die Garagentür offen. Sollte er ruhig Ärger mit ihr haben. Sie wusste, warum er sauer war. Aber er verhielt sich einfach nur kindisch.

 

Zurück im Haus wartete Hugo schon. „Mum, wann bringst du uns?“ Er hatte es ziemlich eilig. Eigentlich war immer Rose diejenige, die sich mit ihr stritt und jede ihrer Entscheidungen anzweifelte, aber dieses Mal wohl nicht.

 

„Noch nicht“, war alles, was sie sagte.

 

„Wann?“, wiederholte Hugo ungeduldig, und sie sah ihn überrascht an.

 

„Hast du dir keine Lernsachen mitgenommen?“, wollte sie von ihm wissen, aber er antwortete ihr nicht auf die Frage.

 

„Ich will einfach nur wissen, wann wir apparieren. Ansonsten… ansonsten frage ich James, ob-“

 

„das will ich sehen“, unterbrach sie ihren Sohn streng. „Du willst bei den Potters über Floh anrufen, obwohl ihre Feier wegen uns ein jähes Ende fand, um ihren Sohn auszuleihen?“ Hugo verzog den Mund.

 

„Es war Roses Schuld, nicht meine!“, behauptete er, aber Hermine schüttelte bloß den Kopf.

 

„Tut mir leid, Hugo. Wir bleiben noch.“ Sie nahm an, ihr Sohn wollte seine Freundin sehen. Das war… mal etwas neues.

 

„Wo ist Dad?“, fragte er schroff, und sie atmete lange aus.

 

„In der Garage. Kannst gerne dein Glück versuchen. Mit mir spricht er nicht mehr.“ Hugo biss sich auf die Lippe. Hugo besucht Ron eigentlich nie in der Garage, half ihm nicht am Auto, und die Welt schien nicht nahe genug dem Untergang zu sein, stellte Hermine fest, denn wütend stieß ihr Sohn die Luft aus und verschwand wieder nach oben.

 

Das brachte sie zu ihrem zweiten schweren Gang. Sie ging ebenfalls nach oben, an Hugos geschlossener Tür vorbei, zur Tür ihrer Tochter. Sie klopfte sachte, aber schon wie bei Ron, bekam sie keine Aufforderung, reinzukommen. Also drückte sie die Klinke runter.

Sie linste ins Zimmer, und ihre Tochter lag auf dem Bett, während sie lustlos in einem Magazin zu blättern schien.

 

„Na?“, sagte Hermine und näherte sich ihrer Tochter, die vorhin unten beim Frühstück weder mit ihr, noch mit Hugo gesprochen hatte. Sie hob kurz den Blick, und Hermine sah, wie sehr sie sich schämte.

 

„Nicht jetzt, Mum“, sagte Rose mit rauer Stimme.

 

„Wann dann, Rose? Wenn du weg bist, erreiche ich dich nicht mehr, bis Weihnachten“, entgegnete sie eindeutig. Ihre Tochter verdrehte die Augen, wie es nur eine Tochter konnte und warf das Magazin zur Seite.

 

„Stell dir vor – ich will nicht drüber reden!“, entfuhr es ihr gereizt. Hermine setzte sich auf die Bettkante und blickte auf den blauen Bezug.

 

„Dein… Dad hatte einfach noch keine Chance, ihn kennenzulernen. Genausowenig wie ich“, ergänzte sie stiller. Rose mied ihren Blick jetzt. „Das… wird vorübergehen.“ Hermine hatte keine Ahnung, was genau sie sagen sollte. Oder konnte. War ihre Tochter so? Datete sie Presley Ford, nur um am nächsten Tag ihre Meinung zu ändern? War es überhaupt wichtig, sich Gedanken zu machen? Und musste Hermine ihre Tochter maßregeln? Sie war gänzlich überrascht, dass Rose überhaupt Interesse an Jungs hatte – denn bis vor wenigen Wochen hatte das noch anders ausgesehen. „Kann ich… dich was fragen?“ Rose atmete zornig aus.

 

„Nein, Mum. Einfach Nein.“

 

„Wieso hast du Presley überhaupt eingeladen?“ Sie fragte trotzdem – weil sie hier die Mutter war. Weil sie ein Recht hatte, Dinge zu fragen. Rose stöhnte praktisch auf.

 

„Ich will nicht darüber-“

 

„-du hast die Feier deiner Paten verdorben, Rose!“, unterbrach Hermine sie streng. Roses Augen weiteten sich.

 

„Nein, Dom hat-!“

 

„-ich bitte dich! Presley war dein Date, Rose! Und dann erwischen wir dich mit Scorpius Malfoy – mitten im Foyer! Nicht sonderlich clever, oder?” Ihre Tochter mied stur ihren Blick, und Hermine hasste manchmal, wie ähnlich sie ihrem Vater war. „Wie lange läuft das schon?“ Und etwas flackerte im bockigen Blick ihrer Tochter. Draco hatte richtig gelegen, nahm sie dumpf an. Draco hatte ihr gesagt, dass da etwas vorging. Natürlich hatte Hermine es Ron gar nicht erst erzählt – warum auch? Warum ihn unnötig aufregen? Und jetzt war es so weit. „Rose?“

 

„Merlin, es geht dich nichts an, Mum!“, fuhr sie sie an, aber Hermine seufzte lange auf. Es wäre schön, wenn es so wäre.

 

„Weißt du, ich darf morgen mit Presleys Vater arbeiten, Rose. Und du kannst dich heute Abend mit Dom auseinandersetzen. Vielleicht wäre es besser, wenn du irgendwen an deinen Gedanken teilhaben lässt, bevor du wieder weg bist?“

 

Wieder schoss ihre Tochter ihr einen bösen Blick zu. „Ich meine, woher kommt das plötzliche Interesse? Du… warst doch sonst immer auf der Seite deines Vaters – nicht immer aus den richtigen Gründen, aber meines Wissens nach, warst du nie ein Fan der Malfoys?“ Rose stöhnte wieder auf, aber Hermine war es wichtig. „Rose, ich muss wissen, wie viel Anstrengung es mich kosten wird, ok?“ Jetzt sah ihre Tochter sie wieder an. „Ich bin auf deiner Seite, Merlin noch mal. Aber wenn das so eine Presley-Sache ist… - wenn du dich morgen wieder umentscheidest, dann-“

 

„-wow!“, entfuhr es Rose schockiert. „Mum, es geht dich nichts an!“, wiederholte sie lauter.

 

„Ja? Wenn du jetzt mit Scorpius Malfoy zusammen bist, geht mich das ziemlich deutlich etwas an, Rose Weasley!“, fuhr sie ihre unfassbare Tochter an. „Und wie es aussah können wir direkt noch über geeignete Verhütungsmethoden reden. Denn das letzte, was ich will-“ Aber Rose war aufgesprungen.

 

„-Mum – geh!“, forderte sie tonlos, mit krebsroten Wangen.

 

„Rose-“

 

„-nein! Geh einfach!“

 

„Du wirst mit deinem Vater reden!“, sagte Hermine jetzt gnadenlos, aber der Weasley-Stolz war unfassbar.

 

„Nein“, sagte Rose bloß. „Er will nicht mit mir reden, also rede ich nicht mit ihm!“

 

„Rose-“

 

„-Merlin, nein, Mum! Nerv Hugo! Nerv irgendwen – aber lass mich einfach in Ruhe! Sag mir Bescheid, wenn wir endlich apparieren können!“ Kopfschüttelnd verließ Hermine das Zimmer. Zu jung. Vielleicht war Rose einfach noch zu jung für ernsthafte Gespräche. Sie war nicht wie Vic. Mit Vic konnte man über alles reden! Dann nahm Hermine an, dass sich diese Malfoy-Sache schnell erledigt haben würde. Als ob ihre Tochter so etwas lange durchhalten würde. Wusste Rose, was Liebe war? Hermine hatte keine Ahnung, denn Rose sprach über gar nichts!

 

In der Tür wandte sie sich um. „Frag deine Cousine Vic nach geeigneten Verhütungs-“

 

-und schon hatte Rose mit einem schockierten Ausdruck die Tür hinter ihr zugeschlagen. Hermine hörte noch, wie sie den Schlüssel zweimal im Schloss drehte. Kopfschüttelnd ging sie über den Flur.

Sie hatte wirklich nette Kinder gehabt. Bis vor ein paar Wochen hatte sie keine Ahnung von der Pubertät, mit der Ginny immer zu kämpfen hatte – vor allem bei Albus. Und auf einmal… konnte Hermine ihr eigenes Lied singen.

Was ging durch Rons Kopf? Dachte er weiter? Kam sein Verstand über den Nachnamen des Jungen hinaus? War es für Ron etwas Endgültiges? Und würde er jemals darüber wegkommen? Die Garage musste er irgendwann verlassen, aber… wann würde er mit Rose reden? Wenn er es heute nicht tat, sahen sie sich erst an Weihnachten wieder. Das würde ein sehr unangenehmes Weihnachten werden.

 

Es klopfte an der Tür, gerade als sie wieder unten war. Ron hatte einen Schlüssel, oder nicht? Sie öffnete mit gerunzelter Stirn, und ihr Mund entspannte sich, als sie ihrer besten Freundin entgegen sah.

 

„Seit wann sind deine Kinder spannender als meine, Hermine?“ Ginny wirkte überhaupt nicht sauer. Sie wirkte milde interessiert. Hermine umarmte Ginny fest, entschuldigte sich im Namen ihrer gesamten Familie bei ihr und bat sie ins Haus.

 

„Ich habe keine Ahnung, was hier los ist“, sagte Hermine schließlich einigermaßen verzweifelt. „Mit mir redet keiner…“, seufzte sie, während sie und Ginny in die Küche verschwanden. Zeit, für ein Gespräch unter besten Freundinnen.

 

 

 

Thirty-Four

 

Er wusste, sein Vater würde darüber reden wollen. Oder vielleicht auch nicht? Scorpius wusste, dass er sich dieses Mal wirklich einen echten Patzer geleistet hatte.

 

„Alles gepackt?“, fragte ihn sein Vater, kurz angebunden, ohne ihn wirklich anzusehen.

 

„Hatte nicht viel dabei“, erwiderte Scorpius still.

 

„Richtig.“ Sie schwiegen, während sie im Flur standen. Sein Vater tat sich schwer. „Hör zu, wir… haben noch nicht mal über… diese Erbsache gesprochen – und irgendwie häufen sich langsam aber sicher die Themen, über die wir sprechen sollten, aber…“

 

„Ich will das Erbe nicht“, versicherte Scorpius ihm sofort. Sein Vater lächelte milde, bevor er wieder ernst wurde.

 

„Ok, ich… verstehe das, aber ganz so einfach ist es alles nicht, Scorpius“, begann er seufzend.

 

„Ich… ich habe die Bedingungen gelesen. Hugo hat es mir erklärt“, ergänzte er hastig.

 

„Hugo? Weasley?“, ergänzte sein Vater dann – denn scheinbar kannte er mittlerweile die Namen. „Mit ihm auch befreundet? Äußerst praktisch“, schloss er, fast bitter.

 

„Dad-“

 

„-nein, schon gut. Ich…- ich weiß, dein Großvater-“

 

„-ich will keine Reinblüterin heiraten“, entfuhr es ihm. „Ich will nichts unterschreiben, dass mich zwingt-“

 

„-Scorpius, beruhige dich. Das sind soft options. Über so was lässt sich verhandeln. Dein Großvater versucht seine Tricks. Du denkst doch wohl nicht, er verschenkt sein Gold an den nächstbesten Verwandten, oder?“ Scorpius schwieg daraufhin. „Ganz abgesehen davon, habe ich auch eine Reinblüterin geheiratet“, ergänzte er stiller. Scorpius wusste das. Und trotzdem wollte er nicht zu Dingen gezwungen werden. Und schon gar nicht zu solchen Dingen. Sein Vater seufzte lange. „Das sind… alles schwere Entscheidungen, Scorpius. Mit diesem Status kommt sehr viel Verantwortung.“ Und das kam noch dazu. Er wusste nicht mal, was es bedeuten würde. Was sollte er mit so viel Gold anfangen? Dass es seinen Großeltern gehörte – damit konnte er leben. Das erschien sehr weit weg. Aber… wenn er plötzlich der Erbe wurde – selbst wenn er es seinem Dad schenkte – dann änderte sich ihr Leben, oder?

„Vielleicht verschieben wir dieses Thema und reden über gestern Abend?“, schlug sein Vater jetzt vor, und Scorpius würde dann doch lieber über das viele Gold sprechen, als darüber. „Scor?“ Abwartend sah er ihn an.

 

„Ja?“ Er sah seinen Dad an, nachdem er scheu den Blick gehoben hatte. Und er merkte erst jetzt wirklich, wie sehr er seine Mum vermisste. Mit ihr hatte er über Dominique sprechen können. Nur mit ihr. Und mit seinem Dad hatte er es nie tun müssen, und jetzt war es mehr als unangenehm. Nicht, weil er sein Vater war, aber… einfach weil dies etwas gewesen war, was in den Aufgabenbereich seiner Mutter gehörte. So empfand Scorpius zumindest. Und vielleicht spürte sein Dad es auch.

„Möchtest… du dich erklären?“ Er schoss den Quaffel also auf seine Hälfte des Feldes, nahm Scorpius an. Aber das konnte er ebenso tun.

„Nein“, erwiderte er aufrichtig. Sein Vater atmete lange aus.

„War das… etwas… Ernstes?“, wagte er zu fragen, obwohl er sich die sparsamen Worte gut zu überlegen schien, bevor er sie äußerte, bemerkte Scorpius. „Oder… nicht?“ Was für eine dumme Frage.

„Dad-“, begann er zögernd, aber sein Vater hob knapp die Hand.

„-weißt du, ich… würde dich gerne anschreien, aber…“ Kurz dachte sein Vater nach, und verzog gequält den Mund, „aber… von mir aus, brauche ich keine Verbindung zu… ihnen. Den… Weasleys, den Potters…- ich befürchte nur, dass… du es anders siehst.“

„Du befürchtest es?“, wiederholte Scorpius stirnrunzelnd, denn sein Vater wusste sehr wohl, wer sein bester Freund war! Zwar hatte es jetzt kurzfristig eine Pause gegeben, aber es änderte nichts daran.

„Wir haben nicht… sonderlich viel über den Krieg gesprochen, aber…“

„Aber sie waren die Helden und unsere Familie gehörte zu Voldemort. Ich habe das schon verstanden, Dad.“ Es nervte ihn, dass sein Vater so anfing.

„Hast du das?“, wollte sein Vater plötzlich recht nüchtern wissen.

„Was willst du damit-?“

„-ich gehe mit unserem Namen nicht hausieren – Merlin, eher das Gegenteil, wenn möglich, aber diese Verbindung…- Harry ist ein… ordentlicher Mann, er ist nicht nachtragend, und dafür bin ich dankbar und einigermaßen… nun – überrascht, aber… Mr. Weasley scheint es… anders zu sehen.“ Scorpius verstand das. Sein Dad musste es nicht buchstabieren.

„Du möchtest nicht, dass ich…?“

„Was ich möchte, ist egal, oder?“, unterbrach sein Vater ihn kopfschüttelnd. „Du solltest nur… darüber nachdenken, ob…“

„Ob?“, entkam es ihm reichlich ungeduldig, denn sein Vater machte das mit Absicht.

„Ob es den Aufwand wert ist“, schloss er dann. Scorpius verzog den Mund und verschränkte die Arme vor der Brust. Er verstand, was sein Vater sagte. Er verstand sehr gut.

„Weil du mir damit sagen willst, du wirst dir keine Mühe geben? Du würdest meine Entscheidung nicht unterstützen, und du hättest es lieber, wenn wir keinen Kontakt mit den Weasleys oder den Potters hätten? So ungefähr?“, vergewisserte er sich, aber sein Vater verdrehte die Augen.

„Merlin, alles, was ich sage, ist, dass es einfacher gehen würde, aber-“

„-aber? Aber was, Dad?“

„Aber wenn es dein Wunsch ist, diese… Verbindung… aufrechtzuerhalten, dann… setzte ich mich dafür ein“, schloss sein Vater zerknirscht.

„Widerwillig?“, erkundigte sich Scorpius gereizt.

„Scorpius, du hast mir nicht mal gesagt, ob du es ernstmeinst, oder ob es deine charmante Malfoy-Art ist, Mädchen mitten an öffentlichen Orten auszuziehen, um weiß Merlin was zu tun!“

„Malfoy-Art?“, entkam es ihm mit verengten Augen, aber sehr schnell wiegelte sein Vater diesen Vorwurf ab.

„Unwichtig – wichtig ist, ob es dir ernst ist, oder ob du das mit sechzehn Jahren überhaupt noch nicht beurteilen kannst?“

„Im Vergleich zu dir, wo du doch mit sechzehn die brillante Entscheidung getroffen hast, dass es gut wäre, das Dunkle Mal zu tragen?“, entkam es ihm, obwohl er es nicht hatte sagen wollen. Ein kühler Ausdruck legte sich über das Gesicht seines Vaters, und die eisgrauen Augen verloren ihren Glanz.

„Eine Gutenachtgeschichte deines Großvaters, nehme ich an?“, vermutete sein Vater bitter, denn tatsächlich hatte sein Vater ihm nichts von seinem Mal erzählt. Der Kiefer seines Vaters arbeitete, er sah die Anspannung unter seinem Bart.

„Wieso sagst du mir nicht, dass du es nicht willst?“, fuhr Scorpius ihn erschöpft an.

„Weil ich dir nicht vorschreiben will, was du zu tun hast, Salazar noch mal! Ich will, dass du darüber nachdenkst! Denn… verdammt noch mal, es wird nicht einfach werden. Und mit sechzehn hat man die Wahl, sich solche Schwierigkeiten zu ersparen, Scorpius. Man muss sich nicht mit dem Kopf voran hineinstürzen!“

„Denkst du, ich weiß das nicht? Ich… suche es mir nicht aus, Dad. Das ist keine… fixe Idee – oder was auch immer! Es ist keine… Sache, die meine Hormone entscheiden, ok? Denkst du, ich wollte mit Dom Schluss machen? Denkst du, ich verstehe nicht, dass es ein Albtraum werden wird? Und dass Mr. Weasley vielleicht niemals mit mir sprechen wird? Und ja – wenn er Rose vor die Wahl stellt, wenn es darauf hinausläuft, dass sie sich entscheiden müsste – zwischen mir oder ihrer Familie – dann gebe ich auf. Keine Sorge. Ich werde dir nicht ein Leben voller Anstrengungen aufbürgen!“ Sein Atem ging schnell, und sein Vater sah ihn sehr genau an.

„Du dummer Junge. Natürlich entscheiden deine Hormone. Dein Verstand tut es nicht“, erwiderte sein Vater bitter. Scorpius‘ Blick fiel, denn es machte ihn wütend. „Ok“, ergänzte sein Vater dann ruhiger, und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, kämmte sie über den Kopf nach hinten und atmete schwer aus. „Ok“, wiederholte er müde. „Du entschuldigest dich bei den Potters“, schloss er dann. Scorpius‘ Augen hoben sich wieder. „Persönlich. Nicht per Brief, nicht per Floh.“ Sein Mund öffnete sich langsam. „Und das tun wir heute. Ich habe keine Lust, dass unser Name immer zu und überall nur Zorn hervorruft“, knurrte sein Vater.

„Aber-“

„-oder möchtest du direkt zu den Weasleys?“, unterbrach er ihn scharf, und Scorpius‘ Mund klappte augenblicklich zu. Denn – nein. Wenn das das Ultimatum war, dann wählte er die Potters. „Hast du alles?“, erkundigte sich sein Vater steif, und Scorpius starrte ihn an.

„Jetzt? Sofort?“ Er fühlte sich minimal elend.

„Nein. Wir warten bis Mitternacht – natürlich jetzt sofort. Weißt du, ich habe noch mehr Sorgen am Hals, Scorpius. Du darfst heute wieder nach Hogwarts verschwinden, während ich mir morgen Amorys vorwurfsvollen Blick antun darf, weil mein Sohn seinen ausgestochen hat – warum auch immer!“, ergänzte er zornig. Kurz fühlte sich Scorpius verletzt, denn… wieso sollte sein Vater denken, Presley wäre besser? Weil er älter war? Weil er Kapitän war? Weil… die Fords nicht im Krieg involviert gewesen waren? Deshalb? Erbarmungslos ergriff sein Vater seinen Unterarm und zog ihn mit nach draußen. „Und noch etwas“, begann sein Vater warnend, „wenn du sie schwängerst, sage ich es deinem Großvater!“, schloss er knurrend, und Scorpius‘ Mund öffnete sich im Protest, bevor sein Vater sich zu drehen begann, und die Magie beide verschluckte.

               ***


                 
Es klopfte an er Tür, und Harry schob die Brille seine Nase höher, als er sich einen Weg durch den Flur bahnte. „Wieso liegt euer Mist immer im Weg rum? Selbst, wenn ihr nur zwei Tage hier seid?“, rief er wütend die Treppe nach oben, während er zornig nach der halbleeren Sporttasche trat, die er vage James zuordnete. Oben rumorte es, irgendetwas fiel zu Boden, und seine Söhne gaben sich nicht die geringste Mühe, ihn zu beachten. Er sah nicht durch den Spion und zog die Haustür auf. Er vergaß seinen Zorn, denn Draco Malfoy stand mit eisiger Konatance auf seiner Fußmatte, seinen Sohn im Schlepptau, der reichlich mitgenommen wirkte.

„Ah – hallo“, begrüßte Harry die beiden überfordert, und überlegte, ob er nach Albus rufen sollte, denn für gewöhnlich pflegte sein jüngster Sohn den Kontakt zu Reinblütern.

„Guten Tag“, erwiderte Malfoy konstieriert und schob Scorpius mit Gewalt voran. „Mein Sohn möchte gerne mit dir und deiner Frau sprechen“, ergänzte er, und Harry nahm an, es war eine Lüge, denn… Scorpius sah eher so aus, als wolle er rennen.

„Ähm, das…- Ginny ist gar nicht da“, fiel ihm wortkarg ein. Kurz schien Malfoy darüber nachzudenken.

„Das macht nichts. Dann wird Scorpius sich zweimal entschuldigen müssen“, schloss er kalt. Und Harry begriff. Seine Augen weiteten sich.

„Oh – ich…, das muss wirklich nicht-“, begann er, aber Malfoy schien es anders zu sehen.

„-doch, das muss sein“, widersprach er. „Scorpius“, ergänzte er auffordernd, und sein Sohn hob langsam den Blick.

„Mr. Potter, es tut mir wirklich aufrichtig leid“, sagte er gequält. „Ich hätte eine bessere Entscheidung treffen müssen und es gibt keine Rechtfertigung für mein Verhalten gestern.“ Harrys Mund zuckte knapp. War es diese verdammte Reinblütererziehung, die aus sturen Teenagern so eloquente junge Männer machte? Wenn Albus nur einmal so vernünftig sprechen würde! Leider färbte Scorpius nicht auf seinen Sohn ab, dachte Harry dumpf.

„Das ist schon in Ordnung, Scorpius“, rang sich Harry milde Worte ab. „Ihr seid jung…- so was passiert“, ergänzte er seufzend. „Und ehrlich gesagt… müsste ich mich wohl für Ron entschuldigen“, schloss er kopfschüttelnd. „Er trägt ebenfalls sehr viel Schuld an dem Ausgang des Abends“, fuhr er fort. Scorpius‘ Blick war herzerweichend.

„Scor!“ Albus hatte anscheinend die Treppe gefunden und war endlich unten angekommen. Sein verdammter Schluckspecht von Sohn.

„Hey“, begrüßte Scorpius seinen Sohn scheu. Harry erinnerte sich wieder an simple Höflichkeiten.

„Wollt… wollt ihr reinkommen?“, fragte er, etwas unsicher, und er sah die instinktive Antwort auf Malfoys Zügen sehr genau. Mehr als das.

„Du kannst mir packen helfen“, kürzte sein Sohn die unangenehme Stille ab und zog Scorpius bereits ins Innere. „Dad ist ausgerastet gestern“, hörte er seinen Sohn murmeln, als dieser Scorpius die Treppe hochzog.

„Wirklich, Al? Vielleicht weil du zwei Falschen verdammt teuren Champagner vernichtet hast und deine Mutter deine Alkoholvergiftung heilen musste?“, knurrte ihm Harry nach, und sein Sohn besaß die Dreistzigkeit zu lachen, bevor sie oben imn Flur verschwanden. Harrys Zähne malten aufeinander, während er den Blick zu Malfoys Gesicht hob. „So war ich nie“, entkam es ihm bitter. Und tatsächlich lächelte Malfoy sanft. „Komm rein“, schloss Harry und verdrehte die Augen.

Malfoy folgte ihm. „Kann ich dir was zu trinken anbieten? Scotch, Wein, Ale?“, erkundigte er sich trocken bei ihm, und jetzt lachte Malfoy auf.

„Tee wäre angebracht.“

„Ja, wahrscheinlich“, räumte er ein. „Das… war ein überraschendes Ende gestern“, fuhr er fort, denn er wusste nicht, was er sagen sollte.

„Mhm“, machte Malfoy lediglich, und Harry konnte praktisch an seiner Stimme hören, dass er sich unwohl fühlte. Er wandte sich zu ihm um.

„Ron hat überreagiert“, begann Harry schließlich. Anscheinend mussten sie darüber sprechen.

„Hat er das?“, stellte Malfoy mit erhobener Braue die Gegenfrage, und Harry stutzte.

„Hat er nicht?“, wollte er verwirrt wissen. „Ich denke, es war nicht nötig, auszuflippen und zu apparieren. Ich meine – gut, dann haben sie sich geküsst. Davon geht die Welt nicht unter, oder?“ Er sah Malfoy aufmerksam an.

„Von was geht sie dann unter?“, entkam es Malfoy ein wenig abwesend, während sein Blick über die Bilderrahmen im Flur glitt. Harry deutete auf das Wohnzimmer, das vor ihnen lag, und Malfoy setzte sich schließlich auf einen der Sessel. Harry holte noch eine weitere Tasse aus der Vitrine und goss Malfoy einen heißen Earl Grey ein. Er nahm ihm gegenüber Platz und griff sich seine Tasse, die bereits abgekühlt war. Er zückte den Zauberstab und heizte sie wieder auf – auch wenn magisch erwärmter Tee nicht sonderlich gut schmeckte.

„Muss hart für dich sein“, bemerkte er lächelnd. Malfoy trank einen Schluck und sah ihn dann fragend an. „Ich meine, Bill ist um einiges unkomplizierter als Ron es ist, aber… der Geschmack deines Sohnes erscheint eindeutig.“ Fast musste Harry lächeln.

„Mal sehen“, murmelte Malfoy bloß.

„Ginny ist… gerade bei Hermine“, ergänzte Harry seufzend, und Malfoys Blick hatte sich bei Hermines Namen gehoben. „Sie… sagt, ihr geht ab und an in der Kantine was trinken?“, ergänzte er, und kam sich so vor, als spräche er mit Albus, dem er auch alles aus der Nase ziehen musste. Sofort huschte ein defensiver Ausdruck über Malfoys Gesicht.

„Das ist nichts“, sagte er hasrch. „Sie… sie kannte Astoria, deshalb-“

„-schon gut“, lenkte Harry ein. „Schon gut. Ich… wollte dir nichts unterstellen, ok?“, versicherte er mit gerunzelter Stirn. Malfoy atmete angestrengt aus. „Ron…“, begann er zögernd, verharrte dann aber. Ron mochte Malfoy nicht. Egal, wie Harry es drehte. Ron tolerierte ihn lediglich. Weil Harry es tat. Weil Harrys Familie mit den Malfoys verbunden war. Und zunächst war es ihm auch schwer gefallen, und er hatte nicht begriffen, was Albus mit einem Malfoy zu schaffen hatte, aber Scorpius war… er war ein guter Junge. Ganz im Gegensatz zu Albus, dachte er bitter. Aber Harry wüsste nicht, was er davon halten würde, würde Scorpius Malfoy mit seiner eigenen Tochter ausgehen. Kurz drifteten seine Gedanken ab. Er würde es nicht gut finden. Es wäre… zu kompliziert. Und nicht mal wegen Scorpius, Merlin, nicht mal wegen Draco Malfoy. Eher… wegen Lucius. Wegen des Namens. Wegen… vielen Dingen. „Weißt du“, begann Harry plötzlich, „wenn Rose deinen Sohn mag, dann… wird Ron sich schon gewöhnen. Er liebt seine Tochter. Über alles.“

„Nur weil ich Dinge rationaler sehe und gegenüber den Kriegshelden Demut zeige, bedeutet das nicht, dass ich große Lust habe, mich zu gewöhnen“, erwiderte Malfoy äußerst kühl. „Scorpius ist… das Beste, was ich habe. Er ist… das Einzige, was ich habe, und ich bin dankbar, dass er mehr nach Astoria kommt, als nach mir“, ergänzte Malfoy, ohne ihn anzusehen. „Scorpius findet… Toleranz und Respekt gegenüber Menschen, bei denen es mir mehr als schwer fallen würde. Er ist… nicht wie ich, und ich weiß wirklich nicht, wie ich mit dieser Entwicklung umzugehen habe, ob… ich es nicht im Keim ersticken sollte. Ich… hatte schlaflose Nächte, als er angefangen hat, mit Dominique auszugehen, und Astoria war es, die mich beruhigt hatte. Die mir sagte, es mache keinen Unterschied, wen er mag. Woher das Mädchen kommt. Wie sie mit Nachnamen heißt.“ Malfoy machte er eine Pause, starrte in die schwachen Flammen des Kamins, und Harry hörte ihm lediglich zu. „Und jetzt…- jetzt ist sie nicht mehr da. Und alles in mir sträubt sich gegen diese… Verbindung. Der Nachname ist derselbe, aber… die Ausmaße sind ungleich größer.“

„Weil es Hermines Tochter ist?“, entfuhr es Harry, denn er konnte nicht anders.

„Weil es ihre Tochter ist?“, wiederholte Malfoy verständnislos. „Nein“, widersprach er kopfschüttelnd. „Es ist nicht…- sie ist-“

„-sie ist Hermines Tochter“, sagte Harry schlicht.

„Es macht keinen Unterschied, ob sie-“, entrüstete er isch jetzt, aber Harry blieb völlig ruhig.

„-Malfoy“, unterbrach er ihn fast sanft, und Malfoys unruihger Blick traf seine Augen. „Ich bin mir nicht sicher ob du Sorge hast, dass Scorpius erfährt, wie häufig und oft du Hermine beleidigt hast, oder ob du es für eine Art Refelktion hältst, und dass Ron denken müsste, alle Malfoys wollen die Frauen seiner Familie haben – aber weder das eine noch das andere sollte dich jetzt noch belasten“, sprach er fast ruhige Worte, und Malfoys weiter, schockierter Blick verriet ihm beinahe, dass seine Worte in irgendein Ziel trafen. „Es hat Krieg geherrscht. Dein Vater hat dich zu vielen Dingen gezwungen – du hattest keine Wahl. Ich nehme an, du bereust einiges, und dass dein Sohn Hermines Tochter mag, ist kein Ausdruck deiner Gefühle – oder deines Versagens.“

Malfoy schwieg, starrte ihn an, und Harry betrachtete ihn genau. Es waren Tehorien, die er und Ginny in langen Sommernächten zur reinen Unterhaltung hin und her gesponnen hatten. Und er hatte das Bedürfnis, sie zu äußern. Malfoy einfach… zu fragen. „Du… mochtest Hermine? Irgendwann mal?“, wagte er zu sagen, und reglos saß Malfoy im Sessel, gänzlich abweisend. Und dann atmete er aus.

„Nein“, erwiderte Malfoy merklich gefasst. „Ich habe Astoria geliebt, und das tue ich noch. Und davor hat es nur den Krieg gegeben. Nichts sonst.“ Harry atmete aus. Malfoy log. Malfoy log, wie er immer schon gelogen hatte. Es war wohl einer der sehr vielen Gründe gewesen, weswegen Harry mit ihm schon im ersten Jahr nichts zu tun gehabt haben wollte. Malfoy hatte vieles verborgen, hatte gelogen, wenn er nur den Mund aufmachte.

„Ich sage auch nicht, dass du sie bekommen hättest. Dass sie die Gefühle erwidert hätte. Ich sage lediglich-“

„-lass es“, unterbrach er ihn tatsächlich sehr still. Harry atmete knapp aus.

„Es gibt keinen Grund, Ron und Hermines Tochter anders zu behandeln, als Bills Tochter. Das ist alles, was ich sage.“ Harry verschränkte die Arme vor der Brust.

„Weasley wollte mich schlagen. Er wollte Scorpius schlagen“, entfuhr es Malfoy scharf, und dass er in alte Muster fiel, hatte fast etwas Nostalgisches an sich, fand Harry.

„Nicht weil Scorpius seine Tochter geküsst hat“, erwiderte Harry kopfschüttelnd, und Malfoys helle Augenbraue hob sich entsprechend.

„Sondern weil er ein Malfoy ist?“ Es verließ als Frage seine Lippen, und Harry konnte nicht anders, als die Achseln zu zucken.

„Es war der erste Schock. Das wird vergehen.“

„Wird es das?“, entfuhr es dem blonden Hünen, der ihm gegenüber saß, aristokratische Arroganz auf den Reinblüterzügen, die Harry jedes Mal schaudern ließen.

„Hermine wird es richten. Sie mag dich“, ergänzte Harry beinahe spöttisch, und Malfoy verdrehte gereizt die Augen. Er erhob sich und strafte Harry mit einem kühlen Blick.

„Diese kleine Sozial-Romanze, die du dir da zusammenreimst, ist reine Fantasie. Ich hoffe, du weißt das?“, informierte Malfoy ihn mahnend, aber Harry lächelte lediglich, während er sich ebebfalls erhob.

„Lass mir meine Fantasie“, bemerkte er lächelnd. „Es hilft mir, mir vorzustellen, dass du früher einfach nur ein Arschloch warst, weil du deine Gefühle unterdrücken musstest.“ Malfoy schüttelte resignierend den Kopf. „Hast du vor, Ron auch noch einen Besuch abzustatten?“, erkundigte sich Harry fast unschuldig bei ihm, und Malfoy verzog den Mund.

„Ich nehme an, um seine Frau auszuspannen?“, entkam es sardonisch trocken Malfoys Lippen, und Harrys Mundwinkel zuckten.

„Nein. Keine Chance, Malfoy“, erwiderte Harry mit halb ehrlichem Bedauern. „Eher um mit gutem Beispiel voranzugehen und es Scorpius leichter zu machen?“, schlug Harry eindeutig vor, und Malfoy verzog fast gequält die Mundwinkel.

„Danke“, erwiderte er knapp. „Ich verzichte.“ Jetzt verdrehte Harry die Augen.

„Ich kann mich nicht mehr ganz entsinnen, Malfoy, aber du kannst fliegen, oder?“ Jetzt blieb Malfoy komplett stehen und drehte sich um. „Zwar wirst du kein besserer Sucher sein, als ich, aber… auf einem Besen kannst du dich halten, nicht wahr?“

„Warum fragst du das?“ Sanfte Abwägung und Vorsicht waren in seine Stimme getreten.

„Wir bräuchten einen Jäger. Einen passablen Jäger“, ergänzte er. „Das Ministeriumsteam verliert jedes Jahr. Und-“

„-und du wärst so selbstlos, mir einen Platz in deinem feinen Aurorenteam anzubieten?“, beendete er spöttisch den Satz.

„Du arbeitest im Ministerium, du kannst fliegen. Ich komme dir entgegen, denn auch mich betreffen diese Entwicklungen in euren Familien.“

„Danke, aber nein.“ Verschlossen stand der blonde Mann in seinem Wohnzimmer, und Harry würde am liebsten stöhnen über so viel Sturheit. Eigentlich sollte sich Malfoy hervorragend mit seinem besten Freund verstehen, überlegte Harry bitter. Beide waren so unverbesserlich stur und uneinsichtig – es könnte eine wunderbare Freundschaft daraus entstehen.

„Wir trainieren montags und donnerstags, siebzehn Uhr, in der Trainingshalle im dritten Untergeschoss“, fuhr Harry unbeirrt fort. „Und ich weiß, eure sinnlosen Clubtreffen kollidieren nicht mit diesen Zeiten, denn auch Preston McGraw fliegt für unser Team.“

„Potter-“, begann er, aber Harry unterbrach ihn einfach.

„-komm einfach mal vorbei. Geh etwas unter Leute, Malfoy. Wer weiß, vielleicht gefällt es dir sogar?“, neckte er ihn spöttisch, und Malfoy atmete aus.

„Dad, wo bleibt Mum? Bevor es dunkel wird, sollten wir-“ James unterbrach sich, als er das Wohnzimmer durch das Esszimmer betrat. „Oh, hallo, Mr. Malfoy, Sir“, begrüßte sein Sohn den Mann, und Malfoy war es sichtlich unangenehm.

„Mr. Malfoy ist unserem Quidditchteam auf der Arbeit beigetreten“, begann Harry jetzt lächelnd zu erzählen. Und James taute etwas auf.

„Ja? Vielleicht schafft ihr ja nächstes Jahr den Sieg? Wäre mal was Neues“, sagte sein Sohn grinsend.

„Musst du gerade sagen“, erwiderte sein Vater scherzhaft, aber James verzog den Mund.

„Witzig“, murmelte James kopfschüttelnd. „Was für einen Besen fliegen Sie?“, wandte er sich interessiert an Malfoy, und dieser wirkte tatsächlich überrumpelt.

„Ich – einen Feuerblitz 3000“, schloss Malfoy knapp.

„Ernsthaft? Dad, ihr habt denselben Besen! Das ist ein teures Modell. Zu teuer für den Schulsport“, ergänzte er bedauernd, und Harry tauschte mit Malfoy einen Blick. „Aber so einen will ich mir nächstes Jahr auch besorgen.“ Sein Sohn hatte keine Schwierigkeiten mit Malfoy. Und auch Malfoy schien zu wissen, wie man sich verhielt.

„Wirst du dem Team deines Vaters beitreten?“, erkundigte er sich höflich, und James ruckte mit dem Kopf. Harry horchte interessiert auf, denn noch wusste er nichts von den zukünftigen Plänen seines Sohnes. Noch hatte sich James nicht geäußert.

„Keine Ahnung“, murmelte er bloß. „Auroren brauchen… gute Noten“, rang er sich ab. Malfoy runzelte die Stirn.

„Auroren brauchen Ausdauer, einen guten Zauberstab und das richtige Gespür. Ich denke, eine paar Heldengene können auch nicht schaden“, ergänzte er sogar mit einem knappen Zwinkern in James‘ Richtung, und tatsächlich hoben sich die Mundwinkel seines Sohnes.

„Ich weiß, dass Albus überlegt, die Ausbildung zu machen“, sagte James daraufhin. „Aber ich-“

„-Albus überlegt, die Ausbildung zu machen?“, entfuhr es Harry, ohne dass er sich halten konnte. „Albus? Unser Albus?“, vergewisserte er sich verständnislos. James sah ihn verblüfft an.

„Ja, er meinte vor ein paar Wochen-“

„-die Ausbildung zum Auror?“, vergewisserte sich Harry noch mal, und James runzelte die Stirn.

„Ja?“, bestätigte er langsam und runzelte die Stirn. Harrys Mund hatte sich geöffnet.

„Wow, das…- ok“, schloss Harry, und konnte nicht verhindern, Stolz zu empfinden.

„Vielleicht passt zu mir etwas weniger… aktives besser“, sagte James in Malfoys Richtung, und Harry zwang sich zuzuhören, auch wenn es ihm schwer fiel. Albus Potter wollte Auror werden.

„Wenn es dich interessiert, kann ich dir ein Praktikum in der Finanzverwaltung besorgen“, sprach Malfoy weiter, und jetzt war Harry wieder dabei. „Es ist deutlich passiver, aber die Bezahlung ist um einges höher als das Auroren-Gehalt“, versprach Malfoy lächelnd. James erwiderte das Lächeln.

„James wird noch mal darüber nachdenken“, antwortete Harry anstatt seiner und erntete James‘ wütenden Blick.

„Ich kann es selber entscheiden, Dad. Danke, Mr. Malfoy“, sagte er dann und verließ kopfschüttelnd das Zimmer wieder. Malfoy lächelte noch immer.

„Sie können nicht alle Auroren werden“, bemerkte er knapp. Harry verzog den Mund.

„Mh“, machte er bloß.

„Scorpius“, rief Malfoy im Flur, und Harry folgte ihm. „Wir müssen los“, sagte er, aber Albus erschien am Treppenabsatz.

„Dad, können wir ihn mitnehmen?“, rief er, unhöflich wie er war, nach unten, und Harry verdrehte die Augen.

„Du könntest auch runter kommen, um zu fragen!“, rief er zurück, aber Albus lehnte sich weit übers Geländer.

„Was?“, brüllte er praktisch, und Harry fluchte innerlich.

„Ja, können wir!“, schrie er, und Albus reckte den Daumen in die Höhe.

„Das ist nett, aber-“, begann Malfoy, aber Harry unterbrach ihn gereizt.

„-Montag, siebzehn Uhr. Und besser fliegst du verdammt fantastisch, wenn du meinen ältesten Sohn schon in die Reinblüterabteilung locken willst“, entgegnete er finster, und Malfoy lächelte tatsächlich breiter. Und dann kam Scorpius die Treppe runter, um sich, wie ein guter Junge von seinem Vater zu verabschieden. Harry verzog wieder den Mund. Was machte er bloß falsch.

„Sind… sind wir ok?“, hörte Harry Scorpius leise fragen, und Malfoy betrachtete ihn ernst.

„Immer“, sagte er dann seufzend, und Malfoy legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir sehen uns Weihnachten. Mach keinen Unsinn, ja?“ Dann wandte er sich an ihn. „Und bedank dich, hörst du?“

„Danke, Mr. Potter“, sagte Scorpius gehorsam, und Harry atmete aus.

„Das ist schon in Ordnung, Scorpius“, wiegelte er ab. „Bis Montag, Malfoy“, ergänzte er mit eindeutigem Blick, und kurz zögerte Malfoy, ehe er antwortete.

„Bis Montag, Potter“, verabschiedete er sich nickend und verließ das Haus wieder.

„Nicht einfach, dein Dad“, bemerkte Harry schließlich seufzend, als er und Scorpius alleine waren. Unschlüssig nickte Scorpius. „Sag mal, was willst du nach Hogwarts machen?“, erkundigte sich Harry prüfend bei dem blonden Jungen, der verblüfft den Blick gehoben hatte.


Thirty-Five

 

         Sie starrte blind nach vorne in die aufkommende Dämmerung, auf die Stelle, wo ihre Mum gerade verschwunden war. Jetzt überkam Rose doch der Anflug eines Gewissens, was sie sonst auch gekonnt verdrängen konnte. Es hatte keine Aussprache gegeben. Sie hatte darauf verzichtet, ihrem Dad noch mal unter die Augen zu treten, und erst jetzt begriff sie, dass ihre Mutter nicht Unrecht gehabt hatte. Jetzt ging Hogwarts weiter, und Dom kochte bestimmt vor Wut. Bei Tante Ginny hatte sie sich entschuldigt, aber nicht mehr großartig mit ihr gesprochen.
Auch mit Rumer nicht – oder gar mit Scorpius. Oder Albus! Alle wussten Bescheid, und Rose hatte keine Ahnung, was sie erwarten würde, wenn sie gleich das Schloss betrat.
Hugo hatte sich abgewandt und stapfte in der Dämmerung den Weg nach oben, ohne auf sie zu warten. Auch mit Hugo sprach sie nicht. Immer noch nicht. Auf der Party hatten sie kurz gesprochen. Aber es zählte nicht wirklich. Und dann bekam sie Magenschmerzen, wenn sie bloß an Presley dachte.
Sie würde einfach hier bleiben. Vor den Toren von Hogwarts, bis Gras über die Sache gewachsen war.

Sie zuckte zusammen, als Hugo neben sie trat. Er war zurückgekommen, aber sie ließ sich gar nichts anmerken. Schließlich seufzte er auf. Er schien zu warten. Wartete er, dass sie sprach? Bockig starrte sie weiter geradeaus.

„Hast du Angst?“, fragte er sie schließlich, und sie konnte nicht sagen, ob er genervt klang oder nicht. Sie jedenfalls hatte keine Lust, zu antworten. „Rose?“, sagte er jetzt, und jetzt hörte sie seinen gereizten Tonfall deutlich. Abfällig wandte sie den Blick.

„Geh einfach“, spuckte sie ihm entgegen, und für eine kurze Sekunde wusste sie nicht mehr, warum sie überhaupt stritten. Aber dann fiel es ihr wieder ein. Hugo war undankbar und uneinsichtig, und sie hatte ihn schützen wollen, aber er war so selbstgerecht und wusste immer alles besser. Deshalb war sie sauer.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er lediglich den Kopf schüttelte, und dieses Mal ging er wirklich.

Rose Weasley hatte Angst. Wie lächerlich.

Unschlüssig drehte sie sich irgendwann um, als sie sicher sein konnte, dass Hugo längst verschwunden war, und mit schweren Schritten näherte sie sich dem Schloss, was beinahe bedrohlich in der Dämmerung vor ihr thronte. Es war fast an der Zeit fürs Abendbrot, aber Hunger hatte sie nicht wirklich. Der Wind pfiff durch ihre Haare, die sie hoch im Zopf trug, und es war, als wolle er sie ärgern. Sie hatte sich keinen Schlachtplan zurechtgelegt, und generell war ihr Kopf einfach nur leer. Sie dachte an ihren Dad. Die ganze Zeit über, auch wenn sie sich weigerte, es sich selber einzugestehen. An ihn und Scorpius. Ihr Dad war sauer, mehr als das. Und Rose wusste nicht, wie man es lösen sollte. Der dumme Vorschlag ihrer Mum, dass sie ‚reden‘ sollten, löste das Problem nicht. Was sollte sie bitteschön sagen? Dass es ihr leid tat, aber gleichzeitig tat es das nicht? Denn sie könnte sich nicht für etwas entschuldigen, was sie immer wieder tun würde, oder? Ihr Dad würde erwarten, dass so etwas nie wieder vorkäme, aber… Rose machte sich da nichts vor. Sie hatte sich ziemlich klar zwischen ihrem Vater und Scorpius Malfoy positioniert, und sie hatte einmal nicht den feigen Ausweg genommen.

Ihr Dad war die Spitze des Eisbergs, aber eigentlich war es nur ihr Dad, bei dem sie sich wirklich Sorgen machte. Denn… sie konnte es nicht wiedergutmachen. Das ginge nur, wenn alles so wäre, wie immer. Und so war es nicht mehr.
Rumer… Rumer würde sie zur Rede stellen, sich vielleicht ein wenig hintergangen fühlen, aber Rose nahm an, sie würde ihr verzeihen, vor allem, weil sie ja ihre Zeit nur noch James und nicht ihrer Freundschaft gewidmet hatte. Rose wusste, das war unfair. Aber… so dachte sie jetzt gerade. Denn neben Dom wirkte Rumer wirklich wie ein Leichtgewichts-Problem. Dom war… etwas anderes. Denn Rose wusste, bei Dom gab es keine Entschuldigung. Es war wie eine Aufgabe, ohne Lösung. Wüsste Dom, wie lange es schon lief, dann… dann…- Rose schluckte. Sie begriff, wie scheiße sie tatsächlich war. Es war nicht nett von ihr gewesen. Sogar der Gedanke an Presley war angenehmer, als der Gedanke an Dom.
Sie konnte nur hoffen, dass Albus nicht so eine riesige Sache daraus machen würde. Dass er Scorpius in Ruhe ließ. Wäre ihre Familie ihr gänzlich egal, dann…- aber selbst wenn sie das wäre! Dann wäre es trotzdem immer kompliziert.

Sie seufzte schwer, als sie halb erfroren den Eingang erreicht hatte. Hell erleuchtet strahlten ihr die hohen Fenster entgegen, und Rose wäre gerne woanders. Irgendwo. Selbst im Verbotenen Wald wäre sie lieber. Immerhin fühlte sie sich wieder wohl in ihrer Haut. Sie trug wieder Hosen, eine dicke Jacke – sie stand nicht mehr im Mittelpunkt. Viel besser so. Sie betrat das Schloss, atmete mit mehr Kraft, tat so, als wäre sie mutig, als wäre sie eine echte Gryffindor – und schon umfing sie die Wärme, die aus der Großen Halle strömte.

Es näherten sich schnelle Schritte, und Rose war schon regelrecht paranoid, als sie ihren Blick hastig hob. Es war Cara, die sich zornig im Gehen ihre Jacke übergezogen hatte. Ihr Blick war reichlich wütend, und anstatt raus zu gehen, bog sie ab, um runter zu den Kellern zu gelangen. Immerhin schien sie nicht mit Rose sprechen zu wollen, schenkte ihr lediglich einen kochenden Blick, und Rose runzelte verblüfft die Stirn. Was war los? Hatte sie Streit mit Hugo? Rose konnte das nachvollziehen. Sie hatte häufig Streit mit Hugo. Und was wollte Cara unten?
Rose beschloss, dass es eine schlechte Idee wäre, hier zu verweilen. Slytherin war zu nahe. Albus, Scorpius, Presley…- alles war von hier nicht weit, und alle auf einmal würde sie nicht ertragen können. Aber der Gedanke an den Gryffindorgemeinschaftsraum trieb ein taubes Gefühl in ihre Arme und Beine. Sie würden sie alle anstarren. Und vielleicht würden sie sich lustig über sie machen? Vielleicht würden sie auch in Gelächter ausbrechen – zumindest bestimmt James und Fred und Louis. Ihr wurde jetzt erst klar, wie absolut lächerlich sie sich gemacht hatte!

Genau wie vor einer Viertelstunde stand sie unbeholfen an derselben Stelle, und wusste beim besten Willen nicht, was sie tun sollte. Sie müsste verdammtes Glück haben, wenn alle sie ignorieren würden, so wie Cara es gerade tat.
Sie würde jetzt gerade am liebsten alles dafür geben, Rumer irgendwie Bescheid zu geben! Und sie wüsste zu gerne, ob sie in ihrer besten Freundin noch eine Allianz hätte.

Wieder vernahm sie schnelle Schritte. Sie kamen diesmal von unten. Kam Cara bereits wieder? Roses Blick hatte sich gehoben, und fast erstarrte sie komplett. Es war nicht Cara. Er wirkte etwas gehetzt, als wäre er ziemlich schnell gerannt. Und jetzt versuchte er wohl, den letzten Rest an Coolness zurück zu gewinnen, in dem er sich lässig die Haare nach hinten strich, aber sie sah immer noch, wie schnell sich seine Brust hob und senkte. Ihr Mund öffnete sich überfordert.

„Hey“, begrüßte Scorpius sie eine Spur atemlos, aber er räusperte sich hastig. „Hast du…?“ Er unterbrach sich, schien nicht wirklich zu wissen, was er sagen sollte, aber er kam näher. Vorsichtig, langsam, und sie spürte, wie Herz schneller ging. Sie sah ihn wieder! Sie hatte sich die gesamte Zeit über kaum mit dem Gedanken an ihn befassen können, weil sie an ihren Dad und an Dom und Presley und Albus gedacht hatte. Aber… jetzt kehrten die Erinnerungen und Gefühle zurück.

„Hey“, flüsterte sie tonlos. „Woher wusstest-?“

„-Cara“, beantwortete er zügig die Frage, und sie nickte bloß. Ja, es machte Sinn. Dann war Cara unten bei den Slytherins. Was tat sie da?

„Warum ist sie bei euch?“, fragte Rose ein wenig abwesend, aber Scorpius ruckte nur mit dem Kopf, ließ sie nicht aus dem Blick.

„Keine Ahnung. Ist… ist das wichtig?“, entkam es ihm rau, und Rose schüttelte träge den Kopf.

„Nein. Nicht wichtig“, entkam es ihr kurzsilbig. Ihre Augen flogen über sein Gesicht. Er war so nahe. Er würde sie küssen. Er würde sie küssen!! Ihr Herz jagte plötzlich. Sie hatte ihn vermisst. Ernsthaft vermisst. „Warum bist du gerannt?“, flüsterte sie jetzt praktisch, als sie jeden hellen Funken in seiner grauen Iris ausmachen konnte.

„Bin ich nicht“, log er atemlos, direkt vor ihrem Gesicht, und langsam hoben sich ihre Mundwinkel. Er hatte garantiert Sorge gehabt, sie wäre weggewesen, wenn er sich nicht beeilte. Er hatte sie sehen wollen. Er hatte… sie vermisst. Das zumindest nahm sie an. Das zumindest hoffte sie.

„Du… lügst“, erwiderte sie stockend, als seine schlanken Finger ihre Hände fanden, sich mit ihren Fingern verbanden, und er zog sie sanft näher. Ihr Kopf legte sich in den Nacken, und er atmete sie ein, als seine Lippen auf ihren Mund fielen. Ihre Augen schlossen sich automatisch, und sie lehnte sich näher zu ihm, genoss den Kuss, der sehr schnell leidenschaftlicher wurde, und kaum öffnete sie ihre Lippen unter seinen, lösten sich seine Finger von ihren, und seine Hände hoben sich, umfassten ihr Gesicht, und brachten sie noch näher an sich. Gierig und ungehalten drang seine Zunge vorwärts, und schon wieder befanden sie sich nicht gerade an einem sonderlich privaten Ort – aber diese Gedanken hinterließen wenig Eindruck in ihrem leeren Verstand. Stattdessen legten sich ihre Hände um seine warmen Handgelenke, hielten sie fest, und erst, als er seine Hand befreite, und sie um ihre Taille legen wollte, unterbrach sie den Kuss.

Ihr Atem ging schnell, und sie erkannte wie groß seine Pupillen geworden waren, als er ebenfalls die Augen öffnete. „Wir… sollten… reden“, zwang sie sich, zu sprechen. Er schien anderer Meinung zu sein, löste sich aber schließlich von ihr und machte einen Schritt zurück.

„Ok“, bestätigte er rau.

„Wir… wir können nicht einfach… irgendwo rumstehen und… und uns küssen. Es… es ist gefährlich“, murmelte sie anklagend, und er versuchte, schuldbewusst auszusehen.

„Mhm“, sagte er bloß, und sie nahm an, er hatte nicht genügend Blut in seinem Kopf.

„Malfoy“, entkam es ihr eine Spur gereizter, und er schloss kurz die Augen, atmete aus, und nickte schließlich.

„Worüber willst du reden?“, fragte er sie seufzend. „Über… über deinen Dad?“, begann er vorsichtig, und sie verzog hastig den Mund.

„Nein!“, entkam es ihr ablehnend. Nicht jetzt. Garantiert nicht jetzt, wenn sie das angenehme Ziehen in ihrer Mitter spürte.

„Über Dom?“, fuhr er fort, und sie blickte verzweifelt zur Seite. „Worüber, Rose?“

„Was… was passiert jetzt? Mit uns?“, flüsterte sie mit weitem Blick und suchte Antworten in seinem Gesicht. „Ich… ich meine – hast du Albus schon gesehen? Hast du-?“

„-ja“, bestätigte er bloß.

„Und?“ Sie sah ihn auffordernd an. Er zuckte die Achseln.

„Er hat mich nicht geschlagen“, gab er zurück. Sie verdrehte die Augen.

„Weiß er es? Das… das mit uns?“

„Er weiß es seit einer Weile“, entgegnete er mit gerunzelter Stirn, und er frustrierte sie gerade ziemlich.

„Nein! Ich meine, das jetzt! Diese… neue Entwicklung!“, fuhr sie ihn praktisch an.

„Ich denke schon“, erwiderte er langsam.

„Und… er ist ok damit? Es macht ihm nichts aus?“ Sie musste es wissen. Interessierte es Scorpius überhaupt nicht? Er atmete lange aus.

„Glaube nicht“, entgegnete er, und sie stöhnte auf.

„Merlin, Scorpius!“

„Was genau fragst du mich, Rose?“, fuhr er sie jetzt lauter an.

„Ich frage dich, ob du Albus gesagt hast, dass wir zusam-“ Sie unterbrach sich, denn… - genau das hatten sie noch nicht definiert. Genau dieser Punkt stand jetzt gerade zwischen ihnen, und wie ein dummer Idiot plapperte sie drauf los. Seine Augenbraue hob sich lauernd.

„Dass wir was?“, wiederholte er gespannt, und ihr Mund schloss sich hastig.

„Ich meine…, ich meine bloß, dass…“

„Willst du mit mir zusammen sein?“, griff er ihre Worte wachsam auf, und sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Rose?

„Willst… du das?“, flüchtete sie sich in die Gegenfrage, aber er gab nicht nach.

„Wenn du das willst“, sagte er prüfend, und sie atmete stockend aus.

„Ich meine, ich bin nicht diejenige, die sich fast die Beine gebrochen hat, um hier hochzurennen“, bemerkte sie stiller und fasste ihn wieder ins Auge, aber das Pokerface ruhte jetzt auf seinen hübschen Zügen.

„Du küsst mich, obwohl dein Vater einen Anfall bekommen hat, beim letzten Mal. Also, so dringend wie du-“, begann er, und mit geröteten Wangen fiel ihr Bick wieder.

„-ok!“, unterbrach sie ihn gepresst, und er schwieg. Sie sah sein Lächeln aus den Augenwinkeln.

„Ok bedeutet, du… willst mit mir zusammen sein?“ Sie hasste dieses Spiel. Trotzig hob sie den Blick wieder, schob das Kinn vor, und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ok bedeutet, dass du ein Idiot bist“, gab sie kopfschüttelnd zurück, und sein Lächeln verblasste langsam. „Wenn du das nicht ernstnimmst-“

„-glaub mir, ich nehme es ernst“, unterbrach er sie hart.

„Gut, denn… ohne dich schaffe ich das nicht“, entkam es ihr ruhiger. „Gegen meine Familie anzukommen ist… nicht gerade… leicht“, sagte se vorsichtige Worte. Seine Stirn legte sich in Falten. „Niemand wird es gutheißen, und das ist anstrengend“, murmelte sie erschöpft.

„Willst du mich trotzdem?“, fragte er rau, und sein Blick alleine schickte ein Schwächegefühl in ihre Knie.

„Ja“, wisperte sie praktisch und sah ihn schlucken. Er nickte knapp.

„Dann lass uns gehen“, schloss er ernst, ergriff ihre Hand und zog sie weiter. Stolpernd setzte sie sich in Bewegung.

„Warte! Wohin…? Du willst in den Gemeinschaftsraum?“, entkam es ihr fast panisch.

„Sicher. Da ist doch deine Familie, oder nicht? Du musst das nicht alleine tun, Rose“, sagte er bloß, und sie entzog ihm ihre Hand.

„Warte, ich kann nicht-“

„-sicher kannst du!“, unterbrach er sie verständnislos.

„Ich sollte… alleine gehen“, widersprach sie nervös. Auch wenn das gerade noch etwas gewesen war, was sie tunlichst hatte vermeiden wollen.

„Warum? Sie haben uns alle gesehen, Rose. Es ist kein Geheimnis mehr.“ Sie schluckte schwer.

„Ich weiß, aber…“

„Aber?“ Ungeduldig sah er sie an.

„Was… sollen wir sagen?“ Verzweifelt blickte sie ihm entgegen. „Ich kann dich nicht einfach… mitnehmen! Dom wird ausflippen – und… Louis wird dich vielleicht schlagen! Ich meine-“

„-Rose, du hast mich gebeten, da zu sein. Ich bin da.“ Völlig bereit stand er vor ihr. Aber sie schüttelte langsam den Kopf.

„Das kann ich so nicht“, flüsterte sie. „Ich kann ihnen nicht allen vor den Kopf stoßen. Sei… einfach da für mich, wenn… es soweit ist, ok?“ Sein Mund öffnete sich überfordert. „Bitte?“, ergänzte sie zaghaft, und er kam zu ihr.

„Ich will dir helfen“, sagte er nur, und sie nickte daraufhin.

„Ich weiß. Danke“, ergänzte sie versichernd. „Lass mich sehen, wie… die anderen drauf sind.“

„Und wenn sie wütend sind? Was dann? Dann muss ich mich in den Kellern verstecken? Wir vereinbaren geheime Orte an Mitternacht, damit wir uns sehen können?“ Er klang nicht zufrieden. „Das haben wir schon getan, Rose“, erinnerte er sie grimmig. „Das brauchen wir nicht mehr. Wenn du mich willst, dann-“

„-dann ändert es nichts daran, dass es Menschen verletzt. Und das will ich nicht. Nicht so!“, entfuhr es ihr. Er verdrehte die Augen.

„Ich habe dich vermisst! Ich… will dich sehen. Ich will dich… spüren, Rose!“, machte er es schmerzlich deutlich, und seine Worte lösten Schauer in ihr aus. „Ich will, dass es weitergeht. Ich habe lange genug gewartet, habe dich diese Sache mit Presley ausprobieren lassen, und-“

„-du hast es mich… ausprobieren lassen?“, wiederholte sie ungläubig und eine Spur verwirrt, aber er machte eine wegwerfende Handbewegung. Die positiven Gefühle verschwanden langsam.

„Du weißt, wie ich es meine“, fuhr er ungeduldig dazwischen, aber sie sah ihn herausfordernd an. Was genau meinte er damit?

„Nein. Ehrlich gesagt nicht. Es klingt so, als wäre es alles dein Plan gewesen. Als wäre ich ein dummer Bauer, den du übers Schachbrett schicken könntest. Es hing nicht von deiner Gunst ab! Ich habe unsere Affäre beendet!“, erinnerte sie ihn bitter, aber er wirkte nicht sonderlich beeindruckt.

„Weil ich dich gelassen habe“, erklärte er überheblich. Ihre Augen weiteten sich.

„Du hast was?“, entfuhr es ihr empört.

„Weil ich wusste, dass du es nicht packst. Es war zu viel für dich. Und das ist ok gewesen. Du hast Zeit gebraucht, ich habe das verstanden. Ich meine, deine Familie hat es nicht leicht gemacht. Albus war-“

„-Albus ist dein bester Freund! Dass ich irgendetwas für dich getan habe, ist scheinbar völlig unmöglich, ja?“ Ihr war nicht aufgefallen, wann sie angefangen hatten zu schreien, aber plötzlich befanden sie sich im handfesten Streit.

„Ich habe mit Dom Schluss gemacht!“, fuhr er sie an. „Ich habe die Opfer gebracht! Und du hast-“

„-Opfer? Ernsthaft jetzt? Das nennst du Opfer? Du nutzt meine Cousine aus, küsst mich im Urlaub, um dann mit ihr zu schlafen, und mir dann hier zu erzählen, dass du eine bedeutungslose Affäre mit mir haben möchtest, weil es alles sowieso nichts werden kann? Und jetzt hast du mir den Gefallen getan, und hast mich mit dir Schluss machen lassen, damit ich mit Presley zusammenkommen kann?“ Sie konnte nicht fassen, dass er ernsthaft glaubte, er wäre der Gönner, der Held dieser Geschichte. Und er verdrehte die Augen über sie! Der Mistkerl!

„Du hattest keine Erfahrung!“, begann er jetzt gedehnt, und sie machte ein zorniges Geräusch.

„Wow. Du bist so-“

„-und deshalb“, unterbrach er sie gepresst, „kannst du jetzt auch nicht verstehen, dass ich dir diese Zeit gegeben habe.“

„Es ging mir hundsmiserabel wegen dir!“, fuhr sie ihn an.

„Es ging dir miserabel, weil du dir nicht eingestehen konntest, dass du mehr wolltest, als eine Affäre!“, blaffte er sie ungehalten an. Wie… wie konnte er das wagen? Wie konnte er ihr so was unterstellen? Und selbst… wenn es stimmte, dann war sie garantiert nicht die einzige gewesen, die das gewollt hatte! Und das würde sie jetzt erst recht nicht mehr zugeben!

„Das stimmt nicht! Ich habe gar nichts davon gewollt! Du hast die ganze Zeit-“

„-du bist mir ins Zelt nachgelaufen! Nicht umgekehrt! Ich habe dich nicht dazu gezwungen, habe dich nicht mal motiviert, irgendetwas zu tun!“, beschwerte er sich wütend.

„Als ob!“, entkam es ihr entrüstet. „Du hast mich doch ständig aufgesucht! Du hast doch geheime Treffen arrangiert, als du und Dom noch zusammen wart!“, fuhr sie ihn wütend an.

„Dein Bruder hat mich bedroht! Für mich war es alles wesentlich schlimmer. Meine Freundschaften standen alle auf dem Spiel! Ich wollte, dass es aufhört! Garantiert nicht, dass es mehr wird!“ Als die Worte seinen Mund verlassen hatten, schwiegen sie beide sehr plötzlich, und Rose war es, die bitter weitersprach.

„Tja, dann hast du dich jetzt verdammt dumm angestellt!“, knurrte sie, eine Spur verletzt. Er stöhnte auf.

„Das habe ich nicht gemeint! Damals! Damals war es anders, ok?“, entgegnete er zornig, und sie funkelten sich hasserfüllt an und keiner kam dem anderen entgegen. Keinen Zentimeter. „Wieso verdammt noch mal streiten wir?“, rief er jetzt genervt aus, und ihre Mundwinkel sanken.

„Keine Ahnung. Anscheinend weil du ein Arschloch bist?“, entkam es ihr bitter, und sie sah, wie sich sein Kiefer anspannte. „Weil du denkst, ich bin ein unerfahrenes kleines Mädchen, dem du seinen Willen lassen musstest, damit ich erkennen konnte, was für ein verdammt nobler, liebenswürdiger Kerl du bist? Weil ich Gefühle nicht erkenne und Angst vor meiner eigenen Familie habe? Ungefähr deshalb vielleicht?“ Ihre Stimme war lauter geworden, und seine Schultern waren gesunken.

„Rose“, begann er, um Kontenance bemüht, hatte eine Hand beschwichtigend gehoben, aber jetzt gerade war sie verletzt.

„Nein, schon gut“, fuhr sie ihm dazwischen. „Ich bin dumm und impulsiv und unerfahren – ich habe deine Beziehung zu Dom zerstört, weil ich es ja auch war, die diese Sache damals am Strand begonnen hatte!“, entkam es ihr lakonisch. „Alles meine Schuld! Dass mein Cousin auf mich steht, dass mein Vater dich hasst – garantiert auch meine Schuld, richtig?“, entkam es ihr bissig. „Und zu behaupten, Presley würde sich für mich interessieren, weil du es erlaubst, weil du es zulässt…! Und weil ich so phlegmatisch bin, ist es sicherlich auch meine Schuld, dass Hugo nicht wollte, dass du mich anrührst, oder? Es könnte nicht eine Sekunde lang an dir liegen, oder? Es könnte nicht sein, dass du dich irrst, richtig? Und selbst wenn nicht! Du hattest kein Recht, mir wehzutun! Mich glauben zu lassen, du würdest mich nicht wollen! Du hättest einfach ehrlich sein können! Es ist nicht alles meine Schuld! Wenn du mich wolltest, dann hättest du es Albus sagen müssen – einfach weil es deine Aufgabe gewesen wäre! Und du hättest mit Dom im Sommer Schluss machen müssen, anstatt mit ihr zu schlafen und diese Sache in die Länge zu ziehen, weil du zu feige warst!“

„Und warum?“, wollte er bitter wissen. „Warum wäre es meine Aufgabe gewesen? Warum hast du es nicht getan? Warum bist du im Sommer nicht zu Doms Vater gegangen und hast mich verpetzt? Warum nicht? Du wolltest es alles so! Du hattest keine Lust auf diese Konfrontation! Du schaffst es ja jetzt nicht mal! Du redest nicht mal mehr mit deinem eigenen Bruder!“, schrie er praktisch, und sie zuckte zusammen. „Und wieso sagst du mir das alles jetzt und nicht schon vorher?“

„Weil ich nicht wusste, was du willst!“, schrie sie zurück. „Du wolltest Dom! Du hast… mich benutzt. Und…-“

„-das habe ich nicht!“, widersprach er resolut.

„Das hast du wohl!“

Er schloss gequält die Augen. Als er sie öffnete, erkannte sie milde Erschöpfung in seinem Blick. Er kam einen Schritt näher. „Du wusstest genau, was ich wollte“, sagte er sehr ernst. „Und mein Name allein sollte nicht der Grund dafür sein, dass ich alle Hürden überwinden muss. Wenn du das hier willst“, fuhr er fort, deutete auf sie, dann auf sich, „dann funktioniert es nicht, versteckt auf Korridoren. Dann reicht es nicht aus, dass du mich vertröstest. Ja, ich habe mich falsch verhalten, ich… konnte mir nicht eingestehen, dass ich dich wollte, weil mir die Freundschaft zu Albus wichtiger war! Weil ich nicht wusste, was du für mich empfindest, ob es…- genau dieselben Gefühle sind, oder ob du… bloß Erfahrungen sammeln wolltest! Das im Sommer, das war… Zufall! Ein glücklicher Zufall, aber ich hatte Angst. Ich…- alles aufs Spiel zu setzen, für ein Mädchen, deren Familie mich teilweise verabscheut – das war schwer. Und jetzt sind wir hier. Jetzt… wissen es alle. Es sollte dir… einfach ausreichen, Rose! Es muss dir genug Sicherheit geben, dass ich da bin, dass ich… keine Angst habe, vor deiner Familie, vor… deinem Vater.“ Sein Blick war so… offen. Fast tat es weh. Und sie hatte ihm noch nicht verziehen, dass er ihre Unerfahrenheit ausgenutzt hatte, dass er glaubte, er hätte die Fäden in der Hand gehabt, aber sie erkannte eine wichtige Sache.

„Ich bin nicht Dom“, entkam es ihr traurig. Er blinzelte kurz.

„Was? Ich habe nicht-“

„-wir können jetzt nicht einfach… zusammen sein“, unterbrach sie ihn still. „Zusammen irgendwo auftauchen. So… bin ich nicht. Und vielleicht bist du es so gewöhnt – oder vielleicht ist Dom es so gewöhnt – aber das ist nicht richtig, Scorpius.“ Sie sah ihn an, versuchte, zu erkennen, ob er sie verstand. „Wir haben Fehler gemacht und Menschen wehgetan.“ Sein Mund hatte sich geschlossen. „Und man verhält sich so nicht.“

„Sie wissen es doch!“, entrang es sich ihm verzweifelt.

„Na und?“, erwidere sie verständnislos. „So zeigt man keine… Demut“, ergänzte sie deutlicher, und kurz hatte sie das Gefühl, er wusste gar nichts mit diesem Wort anzufangen. Sanfte Verständnislosigkeit flackerte in seinem Blick. „Man… walzt nicht über Gefühle der anderen, man stellt sich nicht einfach dahin, ist zusammen, und lässt die anderen spüren, dass man einfach genau das macht, was man machen will. Ohne jede Rücksicht.“ Und tatsächlich begriff er nicht eines ihrer Worte.

„Was… was soll das heißen?“, fragte er stattdessen, und sie atmete aus.

„Dass… ich wissen muss, ob es ok ist. Ich brauche“, sie dachte angestrengt nach, über passende Worte, „Absolution. Ich brauche, die Erlaubnis, dass-“

„-Erlaubnis?“, unterbrach er sie empört, denn dieses Wort schien er zu kennen. „Wieso solltest du irgendwen um Erlaubnis bitten?“ Und sie wusste nicht, ob es eine Eigenart der Slytherins war, oder ob es einfach seinen ganz persönlichen Charakter zeigte, dass er so etwas nicht mal im Ansatz nachvollziehen konnte, und sie konnte nur antworten, was sie glaubte. Was sie wusste. Was jeder Gryffindor sagen würde.

„Weil es richtig ist.“ Er wirkte so komplett überfordert damit, dass er nicht mal mehr schrie.

„Das verstehe ich nicht“, entkam es ihm sehr offen.

„So bin ich aber.“

„Das ist… feige“, entkam es ihm verblüfft, und fast musste sie lächeln.

„Man nennt es einfühlsam. Wahrscheinlich etwas, was Dom nicht unbedingt begreift“, ergänzte sie bitterer. „Oder du“, schloss sie, mit einem knappen Blick in sein Gesicht.

„Das heißt, es bleibt geheim“, subsumierte er ablehnend, und sie verdrehte die Augen.

„Nein, das heißt, ich zeige Reue und Verständnis und verschone die Gefühle der anderen, in dem ich mich nicht an öffentlichen Plätzen auf dich stürze.“

„Das… das ist so…“ Seine Stirn war gerunzelt, und er hatte größte Probleme mit diesem Konzept. „Und ich bin einfühlsam!“, griff er ihre Worte auf, die er wohl als Beleidigung empfand. „Ich lasse mich nur nicht von anderen bestimmen und unterdrücken“, entkam es ihm hart, aber ihr Lächeln vertiefte sich nur.

„Weil du ein arroganter Idiot bist?“, vermutete sie grinsend, und er wirkte gänzlich schockiert.

„Ich… ich bin nicht arrogant!“, entkam es ihm tonlos, fast zögernd.

„Doch, ziemlich“, widersprach sie, und es machte wirklich Spaß, ihn so überfordert zu sehen.

„Das… das ist so scheiße von dir!“, entrüstete er sich. „Sogar Albus‘ Eltern mögen mich lieber als ihn! Für einen Slytherin bin ich absolut höflich und angenehm und-“

„-sehr bescheiden von dir“, unterbrach sie ihn scheinheilig, und sein Mund klappte zornig zu. „Ich denke, du kannst nichts dafür“, behauptete sie achselzuckend. „Wahrscheinlich ist es der Malfoy-Charakter, oder-“ Schnell hatte er den Abstand geschlossen und baute sich vor ihr auf.

„-auf die Reue und das Verständnis gegenüber deinem Bruder bin ich verdammt gespannt, Weasley“, unterbrach er sie knurrend, und seine Nähe war wieder einmal einfach nur toxisch für ihren Verstand. „Und wahrscheinlich ist es einfach nur witzig, zuzusehen, wie du versuchst, einfühlsam zu sein. Also, bitte!“, behauptete er herausfordernd. „Ich bekämpfe einfach das Bedürfnis, absolut ehrlich zu sein, und meine Gefühle nicht zu verbergen, für deine dämliche Idee von ‚Demut‘“, wiederholte er ihr Wort äußerst herablassend, „und ich-“ Aber sie unterbrach ihn, in dem sie auf die Zehenspitzen ging, und ihn von weiteren Tiraden abhielt, und verlangend seine Lippen verschloss. Überrascht verstummte er, taute widerwillig auf, bevor er sie mit einem unterdrückten Stöhnen näher an sich zog. Sanft legten sich ihre Arme um seinen Nacken, und ihre Finger spielten mit seinen weichen Strähnen. Sie spürte, wie er eine Gänsehaut bekam, und mit einem leisen Schmatzen lösten sich ihre geschwollenen Lippen von seinen, und er war ziemlich atemlos.

„Ich bin unerfahren, ja?“, flüsterte sie lächelnd, und sein Ausdruck war von Hunger und Verlangen gezeichnet.

„Oh, halt die Klappe, Rose“, entgegnete er rau, nur um sie noch einmal zu küssen. Sie quietschte gegen seine Lippen, als er sie hart an sich zog, und einige Schüler wichen ihnen aus. Langsam füllte sich der Korridor vor der Halle mit jüngeren Schülern, die gerne pünktlich aßen, und wahrscheinlich konnten sie wirklich froh sein, dass niemand ihrer Familie diese Auseinandersetzung mitbekommen hatte. Sie war sich ihrer Lage nun wieder sehr bewusst, und löste sich mit aller Macht von ihm. Sie spürte die Hitze in ihren Wangen, und er bedachte sie mit einem überheblichen Lächeln. „Na? Wieder am Schämen?“, vermutete er spöttisch, und sanft stieß sie ihn von sich. Er ließ von ihr ab. „Dann sitzen wir wohl beim Essen nicht nebeneinander“, fuhr er mit gespieltem Bedauern fort. „Aber… das willst du ja so, richtig?“, ergänzte er, und sie verdrehte die Augen über ihn. Er war so kindisch. Sie standen mitten im Fluss der Schüler, die die Treppenhäuser hinabgeflutet kamen, und dann lehnte er sich zu ihr hinab, wisperte heiß in ihr Ohr, und seine Nähe war betörend. Er tat das mit Absicht, dachte sie dumpf. „Noch eine Sache, die dir bei deiner Demut-Show eine interessante Perspektive bringen sollte“, flüsterte er, und sie hörte sein Lächeln förmlich. „Zwischen Hugo und Rumer läuft was“, schloss er still, und sofort wich sie zurück, um ihn ungläubig anzustarren.

„Was?“, entkam es ihr zischend, und die Geräusche im Korridor waren viel zu laut, als dass sie diese Information in Ruhe hätte verarbeiten können.

„Jaah, wir könnten da noch ausgiebig und in Ruhe drüber reden, würden wir einfach nebeneinander sitzen – aber hey“, sagte er entschuldigend, hob die Arme, als könne er es nicht ändern, „am besten, wir sehen uns erst wieder, wenn sich der Abend beruhigt hat, hm?“ Sie starrte ihn an, während sich ihr Kiefer gelockert hatte. Die Schüler brachten sie weiter und weiter auseinander, aber sie sah ihn unverwandt an. „Albus hat sie erwischt“, schenkte er ihr noch das letzte Bisschen an Wissen, und sie war versucht, ihm nachzulaufen, als er bedauernd die Hand hob und sich mit einem feinen Lächeln von ihr abgewandt hatte.

Was?! Hugo und… Rumer? Das konnte nicht-! Wie konnte er ihr so etwas einfach sagen? Stimmte das? Rumer hatte seit Monaten von James geschwärmt! Nicht von ihrem kleinen Bruder! Rose wusste nichts über Hugo, aber… sie glaubte, Rumer ziemlich gut einschätzen zu können. Und das war… das war einfach…! Scorpius war so ein Arsch! Sie war sich nicht mal sicher, ob sie alle Differenzen jetzt beigelegt hatten. Sie war immer noch sauer, aber… nicht mehr wirklich. Es war eine dumme Lage gewesen, damals. Und jetzt… ging es einfach um eine saubere Abwicklung. Dass sie wütend mit ihm war, änderte wenig an der Tatsache, dass er ihre Knie in Pudding verwandeln konnte.
Sie wusste, ihr Plan war der bessere, aber jetzt gerade… wollte sie Hugo anschreien. Demut hin oder her. Sie hasste, dass Scorpius sie so gut einschätzen konnte. Und… war Cara deshalb gerade in die Keller geflohen? Weil sie auf Hugo gewartet hatte und dieser… Schluss gemacht hatte? Und fast fand sie es erschreckend, wie ähnlich sie und ihr Bruder mit Beziehungen umgingen. Denn… wenn es stimmte, dann… hätte er Cara so benutzt, wie sie es bei Presley getan hatte. Sie verzog angewidert den Mund. Rumer und Hugo? Das konnte nicht sein!

Sie ließ sich von der Menge an den Rand drängen, wartete, bis die erste Flut an Schülern abebbte, um dann mit zielsicheren Schritten ihren Weg fortzusetzen. Das Gespräch mit Scorpius hatte ihr die Augen geöffnet. Sie wusste, was sie tun wollte. Und die Angst war mäßiger Ungeduld gewichen. Der Gemeinschaftsraum kam ihr mit einem Mal nicht mehr so erschreckend vor. Sie wollte Klarheit. Und sie gestand es sich ungerne ein, aber sie wollte Scorpius wiedersehen. Denn selbst, mit ihm zu streiten, war, auf eine absolut beunruhigende Weise, sehr erregend.

 

 

 

Thirty-Six

 

         Fast hatte Lily schon nicht mehr damit gerechnet, obwohl es natürlich Unsinn war. Rose würde nicht Zuhause bleiben, nur weil sie auf einer Party erwischt worden war, wie sie einen Jungen küsste. Und doch hatte eine gewisse unsichere Spannung in der Luft gelegen. Sei es auch nur, weil Dom trotzig auf der Couch gesessen hatte, und mit niemanden hatte sprechen wollen. Aber natürlich zog Dom es vor, alle an ihrer schlechten Laune teilhaben zu lassen, anstatt einfach rücksichtsvoll zu sein, und im Schlafsaal auf ihrem Bett zu liegen, um schlecht gelaunt zu sein.
Dass Rose jetzt also tatsächlich durch das Portraitloch den Gemeinschaftsraum betrat, war… doch überraschend. Lily war sich nicht sicher gewesen, wie Rose mit dieser Situation umgehen würde, und fast hätte sie ihre Cousine eher so eingeschätzt, als würde sie sich verstecken, sich in der Bibliothek verbergen und nie wieder ein Wort mit keinem von ihnen reden. Aber Lily hatte sich geirrt. Und sie sah sofort, wie Rose sich wappnete, wie sie sofort Dom erkannte. Und diese schien auch nicht mit einer direkten Konfrontation gerechnet zu haben, denn ihr Bick hatte sich beiläufig gehoben und hing nun an Roses Gestalt. Dom wirkte sehr unschlüssig und reagierte für die nächsten Sekunden gar nicht.

Rumer setzte sich gerade auf, machte aber keine Anstalten, die Sitzgruppe zu verlassen, und nach kurzem Zögern, kam Rose näher. Sie sah aus, wie eigentlich immer. Sie trug ihren hohen Zopf, aus dem die roten unbändigen Wellen quollen, eine Jeans, mit der sie garantiert keine Formschönheit beweisen wollte, ihre grüne Kapuzenjacke, und ihren Rucksack auf dem Rücken, aber ihr Blick war eindeutig konzentriert. Sanfte Müdigkeit lag auf ihren Zügen. Sie war also tatsächlich gerade angekommen. Lily fragte sich automatisch, ob sie und Scorpius sich schon gesehen hatten. Es war Rose nicht anzusehen. Aber… eigentlich war Rose nie irgendetwas anzusehen.
Vor der Sitzgruppe blieb sie also stehen, und da niemand sprach, und da wohl niemand Doms Ehre verteidigen wollte, musste Dom es wohl oder übel selber machen. Wankend kam sie auf die schlanken Beine. Lily sah, dass es Dom Überwindung kostete. Sie sah Rose entgegen, und Roses Ausdruck gab nach, zeigte den Hauch von Schuld, vielleicht die winzige Spur von Angst.

„Seit… seit wann?“, fragte Dom also, und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Du… willst anscheinend nichts sagen, also beantworte mir wenigstens die Frage“, verlangte Dom, aber tatsächlich ruhiger, als Lily erwartet hatte. „Seit wann läuft das?“ Roses Mund öffnete sich unschlüssig, bevor er sich wieder schloss. Sie atmete lange aus und setzte den Rucksack ab. Dann öffnete sie ihre Jacke, zog sie aus, und Lily kam es so vor, als bereite Rose sich auf eine physische Auseinandersetzung vor, anstatt auf eine verbale. Rose war nicht sonderlich verbal, aber Lily glaubte nicht, dass Dom sich auf sie stürzen würde. Mit mäßiger Verwirrung glitt Doms Blick zornig über den gestrickten burgunderfarbenen Pullover, den Rose trug, mit dem goldenen R in der Mitte. Ja, es musste bitter für Dom sein, ihren Exfreund an ein Mädchen zu verlieren, die mit Stolz die Stricksachen ihrer Großmutter trug, die Dom jedes Jahr keine vierundzwanzig Stunden später in den Müll warf. Wirklich bitter. Und Lily war sich nicht sicher, was Dom erwartet hatte, oder ob Dom es überhaupt wusste. Rose war nicht irgendein Mädchen. Sie war… ihre Cousine. Sie war Familie. Ging so etwas durch Doms Kopf? Wahrscheinlich eher nicht, oder? Machte Dom diesen Unterschied? Aber Lily hatte ehrlich gesagt erwartet, dass Dom schrie. Nicht, dass sie… so passiv war. Aber… vielleicht kam das noch? Und ganz klar gefiel es Rose nicht, vor allen darüber zu reden, aber… wahrscheinlich hatte sie schon kalkuliert, dass sie nicht darum herum kommen würde. Dom würde nicht zulassen, dass dieses Gespräch ein privates sein würde. Nicht, wenn die Chance bestand, dass Dom von der gesamten Welt Mitleid bekommen könnte – was sie zurzeit nicht mal bekam. Davon abgesehen. Und Lily war fast schon gespannt auf die Antwort. Ob Rose lügen würde, oder ob-

„-seit dem Urlaub“, sagte Rose plötzlich und unterbrach Lilys Gedanken. Und tatsächlich schien Dom damit nicht gerechnet zu haben, denn ihr bösartiger Ausdruck brach zusammen. Schock trat auf ihr Gesicht.

„Seit…-? Was?“, zischte sie überfordert, und Rose vergrub die Hände in den ausgebeulten Taschen ihrer Jeans. Sie gab keine weitere Erklärung, holte nicht aus, und Lily musste kurz die Zeit überschlagen, in ihrem Kopf. Seit dem Urlaub? Das war… drei Monate her! Fast… vier! „Was meinst du damit?“ Doms Stimme klang tatsächlich tonlos, fast kleinlaut. Und auch die Jungen, die es absolut nicht interessierte, schienen begriffen zu haben, dass die Sache mit Scorpius also schon am Laufen war, als dieser sich noch in einer Beziehung befunden hatte. Louis hatte den Blick gehoben, so auch Fred. Das hätte Lily Rose nicht zugetraut.

„Ja, was meinst du damit?“, entfuhr es jetzt auch Rumer, die gänzlich verstört wirkte. Roses Blick galt ihr nur sehr kurz, und etwas flackerte auf ihren Zügen, was Lily nicht ganz zuordnen konnte, aber es war nichts Freundliches. Roses Blick fiel wieder auf ihre Turnschuhe, und Lily konnte förmlich spüren, wie Doms Frustration wuchs. Rose ließ sich nicht auf laute, wilde Streitereien ein. Sie war… eher passiv, eher zurückgezogen, deshalb war diese Auseinandersetzung umso spannender, denn… Dom und Rose waren so verschieden. Und zu Dom passte Scorpius wirklich gut, bedachte man das Aussehen, den Charakter – einfach alles. Und Rose…? Rose hatte immer eher unscheinbar dagegen gewirkt. Das war eine interessante Wendung. Rose wirkte nicht so, als würde sie kaltherzig ihre Cousine hintergehen, aber scheinbar…- war genau das passiert.

„Es tut mir leid. Es… ist einfach passiert.“ Das waren Roses Worte, und Dom wirkte ganz und gar nicht zufrieden.

„Was… was ist einfach passiert?“, flüsterte sie fast. „Wie… wie kann das sein?“, entfuhr es ihr ungläubig. „Ihr konntet euch nicht leiden! Ihr habt euch gehasst! Ihr…!“ Dom unterbrach sich verzweifelt. „Wie konntest du…?“, flüsterte Dom jetzt nur noch schockiert. „Wie konnte er dich wollen, wenn er mich hatte?!“, fuhr sie Rose mit tonloser Stimme an, und Lily war schon fast besorgt gewesen, denn Doms Taktik war grundsätzlich immer, dass alle anderen ihr unterlegen waren, und sie dies auch laut äußerte. Aber Rose war nicht wie Dom, ging Lily schlagartig auf. Denn Rose zuckte tatsächlich die Achseln.

„Ich weiß es nicht. Es… kam einfach so“, wiederholte sie bloß, und vielleicht hatte Dom erwartet, dass Rose darauf anspringen würde, auf diese… offensichtliche Beleidigung.

„Sieh dich an!“, zischte Dom jetzt, im weiteren Versuch, Geschehenes ungeschehen zu machen, Tatsachen zu verdrehen, Dinge zu neutralisieren, indem sie sich herablassend äußerte. „Ich begreife es nicht!“ Dom schrie noch immer nicht, aber trotzdem galt ihrer Runde die gesamte Aufmerksamkeit des Gemeinschaftsraums. „Scorpius sieht unfassbar gut aus, und du-!“ Dom musste um Fassung ringen, während sie krampfhaft nach einer Beleidigung zu suchen schien. „Du…!“, begann Dom wieder, und ihre Brust hob und senkte sich schneller. „Du bist keine Konkurrenz!“, entfuhr es ihrer Cousine verzweifelt. Und Lily wusste, Dom griff nach Strohhalmen, denn sie alle hatten gesehen, wie Rose aussah, wenn sie sich die Mühe gab, die Dom sich mit Äußerlichkeiten gab – und am Samstag… hatte Rose Dom in Schönheit um nichts nachgestanden. Sie hatte unglaublich ausgesehen. Rose sah… immer unglaublich aus, fand Lily. Gerade weil ihr Äußerlichkeiten nichts bedeuteten.

„Es ging nicht ums Aussehen“, entkam es Rose ernst, und Dom schnaubte auf.

„Nein, es ging darum, mir das Messer in den Rücken zu rammen, richtig?“, wollte sie wütend wissen. „Ich… ich habe mich dir anvertraut! Rose, ich habe dir… vertraut. Ich…- die ganze Zeit über!“ unterbrach sich Dom plötzlich und konnte nur den Kopf schütteln. „Er hat wegen dir mit mir Schluss gemacht? Wegen dir? Was kannst du ihm bieten? Was, Rose?“, wollte sie bitter wissen, schien sich nicht damit abfinden zu können. „Wie konntest du mich hintergehen? Was habe ich dir getan, dass du so widerlich und gemein bist? Wieso sollte er so eine widerliche Person wollen?“ Rose schwieg, und Lily setzten Doms Worte mehr zu, als es bei Rose der Fall zu sein schien.

„Es tut mir leid“, sagte Rose wieder, und allein das Verständnis in ihrer Stimme, schien Dom um den Verstand zu bringen. Sie verließ die Sitzgruppe und stoppte direkt vor Rose.

„Entschuldige dich nicht bei mir!“, zischte Dom zornig. „Du kannst das nicht wiedergutmachen, Rose!“, warnte Dom sie zitternd.

„Ich weiß“, erwiderte Rose schuldbewusst, und Lily hätte Dom wahrscheinlich schon längst eine Ohrfeige verpasst.

„Ich hasse dich dafür!“, flüsterte Dom unter Tränen. Rose nickte gefasst. „Ich hoffe, dein blöder Vater verstößt dich dafür!“, rief sie schlussendlich aus, schob Rose grob beiseite und verließ fluchtartig den Gemeinschaftsraum. Onkel Ron zu beleidigen, war wohl Doms letztes Mittel gewesen. Und tatsächlich starrte Rose ins Leere, die Hände zu Fäusten geballt, bevor sie in einer zornigen Geste über ihre feuchten Wangen wischte. Rose schämte sich, Gefühle zu zeigen – zeigte sie auch nie, und deshalb versetzte es Lily einen mächtigen Stich. Und Vic war schneller, als sie, hatte sich erhoben, schloss den Abstand und zog Rose in die Arme.

„Das war sehr tapfer von dir“, hörte sie Vic murmeln, während Rose sich zunächst widerstrebend in ihren Armen bewegte, aber Vic strich ihr sanft über den Rücken, und Lily sah, wie Rose aufgab, wie sie gegen Vic sank, sich halten ließ, und Lily wusste nicht, ob Vic mittlerweile mütterliche Instinkte entwickelte, aber ihre Zuneigung wirkte so natürlich, dass es rührend war. Und es schien eine Art eigenartiges Pflichtbewusstsein zu sein, was Louis handeln ließ. Er erhob sich ebenfalls, ging auf die beiden zu, stellte sich vor sie und legte ebenfalls den Arm um Roses Rücken. Er sagte nichts Bestärkendes, beleidigte seine Zwillingsschwester nicht, aber Roses heftige Reaktion allein zeigte, wie viel es bedeutete, dass selbst Louis sich die Mühe machte.

Fred hingegen weinte mittlerweile, erkannte Lily, als dieser ebenfalls auf die Beine kam. Er schloss den Abstand schneller, legte die langen Arme um alle drei, und Louis machte ein gereiztes Geräusch, aber Fred hielt alle fest. Lily musste fast lachen, als auch sie aufstand und zu ihnen eilte. Fred reagierte und legte den Arm auch um sie, und auch Roxy, die vielleicht nicht alles verstand, kam ebenfalls angelaufen. Lily hörte irgendwann Rumers beruhigende Stimme, die sich ebenfalls der Gruppenumarmung angeschlossen hatte, und natürlich war es James, der einfach nur albern war, sich praktisch gegen sie alle warf, und mit einem überraschten Laut, kippten sie alle zur Seite, fielen übereinander, und James lag lachend über ihnen.

„Familienhaufen!“, rief er laut, und Louis beschwerte sich heftig, und alle strampelten sich wieder frei. Es hatte die Stimmung um hundert Prozent gelockert, der Gemeinschaftsraum lachte über sie, und sie lagen alle am Boden, mehr oder weniger beschämt, aber Rose weinte nicht mehr. Sie hatte sich aufgesetzt und verdrehte mit glasigem Blick die Augen.

„Keine Angst“, sagte James jetzt lächelnd, „Onkel Ron wird dich nicht verstoßen“, versicherte er ihr zwinkernd, und Lily nahm an, weil ihr Bruder der älteste war, musste er die Stimmung auflockern. Wahrscheinlich sah er es als seine Pflicht an.

„Danke, James“, entkam es Rose kopfschüttelnd.

„Ich meine, wer soll dann die Familienehre hochhalten? Hugo?“, wollte er belustigt wissen, und Rose schüttelte den Kopf über ihn. James stutzt kurz, als er nachdachte. „Na ja, gut, wenn er Schulsprecher wird, dann… ist er wohl besser, als wir alle – aber…“ Er kratzte sich kurz am Kopf.

„Danke, James“, wiederholte Rose mit Nachdruck, aber ihre Mundwinkel hoben sich langsam wieder. James schenkte ihr ein schiefes Grinsen.

„So. Genug geheult jetzt. Ich hab Hunger. Lasst uns essen gehen. Dom beruhigt sich schon wieder“, beschloss er achselzuckend, und Lily musste Jungs zugutehalten, dass sie sich nie sonderlich lange mit dem Gefühlschaos befassten. Allerdings streckte ihr Bruder Rumer liebevoll die Hand entgegen, und fast widerwillig, ließ sich Rumer von ihm helfen. Irgendetwas war anders hier, hatte Lily festgestellt. James hauchte einen Kuss auf Rumers Handrücken, legte den Arm um ihre Schultern, und gemeinsam gingen sie zum Portraitloch. Auch Rose blickte beiden mit einem eigenartigen Ausdruck nach. Vic half Rose, aufzustehen, und die Familie lächelte sich einigermaßen verlegen zu.

„Was findet ihr alle an Malfoy?“, warf Fred kopfschüttelnd ein. „Wirklich“, ergänzte er und hob demonstrativ die Augenbrauen.

„Er ist sexy!“, sagte Roxy jetzt grinsend, und sofort wurde sie von Fred in den Schwitzkasten genommen.

„Ach ja?“, wollte er warnend wissen, rieb mit der Faust hart über Roxys Kopf, und diese jaulte praktisch auf. „Ich will nichts hören, verstanden? Du weißt überhaupt nicht, was sexy ist, klar?“, verlangte er und kitzelte seine kleine Schwester jetzt, bis diese ganz außer Puste war, vor Lachen und sich ergab. Er wandte sich zum Gehen. „Louis kommst du mit, oder… musst du deine Perle noch abholen?“, erkundigte sich Fred spöttisch bei ihm, aber Louis zuckte die Achseln.

„Ist längst vorbei“, erwiderte er schlicht, und Fred hob die Augenbraue.

„Jaah, ich meine… es läuft ja auch immerhin schon drei Tage, hm?“, entgegnete er eindeutig, aber Louis schenkte ihm ein Lächeln.

„Man sollte sich nicht festlegen“, behauptete Louis achselzuckend und folgte Fred und Roxy nach draußen. Lily und Vic nahmen Rose in die Mitte, und die Erleichterung, die Rose umgab, war fast spürbar. Es fühlte sich gut. Es fühlte sich richtig an. Nach langer Zeit, tat es das, stellte Lily fest.



         „Ich weiß, was du tust“, bemerkte Hugo mit eindeutig erhobener Augenbraue. Scorpius Malfoy war kein Genie, wirklich nicht. Und Hugo war sich nicht mal völlig sicher, warum er dem Slytherin den Gefallen tat. Vielleicht wollte er es unbewusst, konnte es aber nicht wirklich zugeben.

„Davon bin ich ausgegangen, Weasley“, entgegnete Scorpius gedehnt. „Nett, dass du mitspielst“, ergänzte er lächelnd.

„Ich brauche deine Hilfe dabei nicht, weißt du?“, erinnerte Hugo ihn dennoch, und Scorpius zuckte unschuldig die Achseln.

„Gut“, sagte Scorpius bloß und begann bereits, seine Sachen zu packen. „Wirklich gut“, wiederholte er. „Ich habe festgestellt, es ist besser, sich mit ihr auszusprechen, als sich anzuschweigen“, schloss er vielsagend, und Hugo verdrehte den Blick.

„Sag sowas nicht“, entgegnete Hugo lakonisch. „Sie ist meine Schwester. Ich bin mir bewusst, dass sich Dinge nicht in Luft auflösen, wenn man sie ignoriert“, ergänzte er zähneknirschend, aber Scorpius schenkte ihm weiterhin bloß ein blödes Lächeln.

„Dann tu uns allen den Gefallen und rede mit ihr. Ich bin es leid“, schloss Scorpius.

„Sie ist die ältere“, entkam es Hugo fast trotzig. „Eigentlich sollte sie genügend Verstand und Verantwortungsbewusstsein besitzen, um zu mir zu kommen, und nicht-“

„-ja, wir können da stundenlang drüber philosophieren, aber Rose wird absolut gar nichts tun.“ Hugo seufzte auf. Ihm gefiel tatsächlich, mal mit jemandem über seine Schwester reden zu können, mit dem er nicht verwandt war. Ihm gefiel die Verbindung zu Scorpius, egal, wie sehr sein Dad es hassen würde. Fast musste Hugo grinsen bei diesem Gedanken. Denn selten war er es, der irgendwas Verbotenes tat. „Ich meine, wir könnten auch über Cara reden, die heute in den Gemeinschaftsraum kam und sich direkt bei Presley ausgeweint hat?“, schlug Scorpius unverschämt frech vor, und Hugo verzog den Mund.

„Nein, danke.“

Und in diesem Augenblick betrat Rose den Arbeitsraum, und tatsächlich wirkte seine Schwester ernsthaft überrascht, ihn hier zu sehen. Sofort glitt ihr Blick zu Scorpius.

„Was wird das?“, wollte sie ein wenig angriffslustig wissen, aber gleichzeitig klang sie sehr erschöpft.

„Bevor wir den Abend beginnen und du mir alles erzählst, was vorgefallen ist“, begann Scorpius mit einem warmen Blick in ihre Richtung, „möchte ich, dass du diese Sache auch noch klärst. Wo du doch gerade dabei bist, alles im Alleingang zu klären“, ergänzte er lächelnd. Und Rose wirkte überrumpelt. Und Hugo interessierte tatsächlich auch, was im Gemeinschaftsraum passiert war. Er hatte mit Scorpius kurz gemutmaßt, ob Dom Rose wohl zerstückelt hatte, aber… Rose wirkte unverletzt. Und schlecht gelaunt.

„Malfoy-“, entfuhr es ihr warnend, aber Scorpius schüttelte den Kopf.

„-du weißt, ich habe recht, Rose“, widersprach er knapp. „Komm schon“, ergänzte er mit Nachdruck. „Und dann erzähle ich dir, was ich über Snapes Geist rausgefunden habe“, lockte er sie mit eigenartigen Informationen, die für Hugo keinen Sinn ergaben. Kurz wirkte Rose abgelenkt.

„Was meinst du damit?“, entkam es ihr.

„Ich habe eine Theorie, basierend auf deiner Lektüre“, erwiderte er. „Aber zuerst…“ Feierlich deutete er auf ihn, Hugo. Und Roses Ausdruck wurde finster. Und Hugo wusste nicht, warum er immer noch saß, warum er nicht ging, denn ganz klar, war Rose nicht erwachsen genug, um ein vernünftiges Gespräch zu führen.

„Ich habe ihm nichts zu sagen, Scorpius. Vielleicht solltest du dich weniger einmischen, und-“ Aber bevor Scorpius noch ihren kindischen Zorn zu spüren bekam, unterbrach er sie lächelnd.

„-gar nichts, Rose? Sicher? Nicht mal eine einzige Kleinigkeit, die du ihn fragen möchtest?“ Und anscheinend verfügten beide hier über geheimes Wissen, denn Roses Mund klappte zu. Wacher Zorn trat in ihren Blick, und ihre Arme verschränkten sich. Hugo hatte keine Angst vor seiner Schwester, aber jetzt gerade sah sie aus, wie vor jedem Quidditchspiel. Wilde Entschlossenheit, sich in Gefahr zu begeben, stand auf ihren Zügen.

„Du hast was mit Rumer?“, fuhr sie ihn tatsächlich an, schien es über die Sache mit Dom vergessen zu haben, aber anscheinend – wusste seine Schwester das? Sein Mund war unspektakulär aufgeklappt. Kurz glitt sein Blick zu Scorpius, denn anscheinend hatte ihn sein neuer Freund in die Pfanne gehauen.

„Ich muss los“, entschuldige sich Scorpius, mit einem feinen Lächeln. Auf Roses Höhe hielt er inne. Er erntete ebenfalls ihren zornigen Blick. „Ich sehe dich später?“ Es klang wie eine Frage, aber Hugo glaubte nicht, dass es eine Frage war. Und es war eigenartig, beide zusammen zu sehen. So… vertraut. Er erinnerte sich lebhaft an den Nachmittag am Strand, hatte nicht glauben können, was er sah, aber mittlerweile… machte es mehr Sinn. Roses Körpersprache wurde weicher, ihre Schultern lockerten sich, und als Scorpius ihre Hand ergriff, sah Hugo praktisch, dass sie den Atem anhielt. Scorpius hob ihre Finger zu seinen Lippen, und der Drang, den Blick zu senken, war übermächtig, aber wie schon damals am Strand, konnte er nicht wirklich. Er musste sehen, ob sich seine unnahbare Schwester wirklich verwandelte, wann immer Scorpius Malfoy in der Nähe war – und tatsächlich. Fast huschte Friedfertigkeit über ihr Gesicht, als Scorpius ihre Fingerknöchel küsste.

„Ok“, bestätigte Rose beinahe atemlos, sah Scorpius nach, als er ging, bevor ihr eisiger Ausdruck zurückkehrte und Hugo schmerzhaft daran erinnerte, dass er nicht der unbemerkte und versteckte Beobachter war, wie sonst immer, sondern tatsächlich auf dem Präsentierteller hockte. Er schluckte kurz.

„Rose-“, begann er in Erklärungsnot, aber seine Schwester unterbrach ihn kurzerhand.

„-ich kann nicht fassen, dass du mich immer von oben herab behandelst, wenn du kein Stück besser bist, als ich!“, fuhr sie ihn wütend an. Sein Mund schloss sich unzufrieden.

„Das stimmt nicht! Ich-“

„-Rumer? Wirklich, Hugo? Du hast immer behauptet, wir wären dir beide zu dumm. Anscheinend nicht mehr? Und war es deine Idee, dass sie es mir nicht sagen soll?“, wollte sie wütend wissen, aber sie brauchte gar nicht so zu tun!

„Du hast ihr auch nichts von Scorpius gesagt, oder?“, fuhr er sie an, aber seine Schwester verschränkte wütend die Arme vor der Brust.

„Das ist etwas anderes!“

„Es ist gar nichts anderes!“

„Doch! Denn Scorpius war mit Dom zusammen!“ Hugo verdrehte die Augen.

„Wenn sie es dir nicht gesagt hat, wird sie ihre Gründe haben!“

„Ja, du bist mein kleiner Bruder, und es ist eklig!“, entrüstet sich Rose und schüttelte sich praktisch. „Und sie ist mit unserem Cousin zusammen – also was zur Hölle, Hugh?“, kürzte sie es ab.

„Es war nicht geplant“, entfuhr es ihm schließlich. „Schon“, ruderte er dann zurück, denn geplant hatte er es schon, „aber ich… hätte nicht gedacht, dass… dass sie mich will, also…“

„Sie ist immer noch mit James zusammen, falls es dir entgangen ist!“, widersprach Rose angewidert.

„Noch“, entfuhr es ihm, selbstbewusster, als er sich fühlte.

„Noch?“, wiederholte Rose, ein wenig aus der Bahn geworfen.

„Ja“, bestätigte er. Rose schloss kurz die Augen.

„Unsere Verwandten hassen uns, Hugo“, sagte sie stiller. „Wir… wir sind emotional so komplett unfähig!“, entfuhr es ihr frustriert, und Hugo wollte widersprechen, aber ehrlich gesagt… hatte Rose nicht unrecht.

„Dads Schuld“, fasste er es knapp zusammen, und Rose sah ihn wütend an.

„Ernsthaft? Du gibst Dad die Schuld? Mit dir wird er auch nicht mehr reden“, prophezeite sie freudlos.

„Wirklich? Denkst du ernsthaft, unser Vater wird uns für immer mit Schweigen strafen, weil wir nicht mit den Leuten verkehren, die er für richtig hält? Er wird sich abfinden“, schloss er achselzuckend. Kurz schwiegen sie beide. Und kurz war sich Hugo nicht sicher. Er wusste, Malfoy und  ursprünglich wohl Parkinson waren nicht unbedingt die Namen, die seine Eltern mit Liebe im Herzen äußerten, wenn sie es überhaupt taten, aber… war es nicht einfach Pech? Es war, wie es eben war. Ändern konnte er es nicht.

„Liebst du sie?“, wollte Rose leiser wissen, fast ungläubig. „Ich meine, du bist fünfzehn“, ergänzte sie, als erkläre sie ihm, er wäre ein wilder Hundewelpe, der keine Liebe empfinden konnte. Er rümpfte knapp die Nase.

„Ich denke, ich bin um einiges reifer als du, und ja, tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich liebe sie. Soweit ich es in meinem schmalen fünfzehnjährigen Kopf beurteilen kann“, ergänzte er spöttisch.

„Tut mir leid wegen…“, begann sie und tat sich schwer, so wie Dad sich immer schwer tat, mit Zugeständnissen. Und Hugo verstand, denn so gerne er behauptete, er wäre durch und durch seine Mum – so sehr konnte er eben auch nicht leugnen, dass ihm Zugeständnisse genauso schwer fielen, wie Rose. Ein wenig Weasley steckte auch in ihm. Überwiegend Granger, aber… einen Hauch Weasley gestand er sich zu.

„Ich weiß“, erwiderte er bloß.

„Nein, ich hätte dich nicht-“

„-schon gut, Rose.“

„Du bist mein Bruder, und auch wenn ich es nicht oft sage – oder überhaupt, ich… liebe dich schon“, würgte sie praktisch hervor, und sein Mundwinkel hob sich langsam über dieses verkorkste Geständnis.

„Merlin, ich hoffe, du tust dich bei Scorpius nicht so schwer“, bemerkte er lächelnd, und Roses Wangen färbten sich ins tiefste Rot, was ihr Dad stets als niedlich titulierte.

„Du bist so ein Arsch, Hugo“, knurrte sie, aber Hugo fühlte, wie er sich bewegte, wie seine Beine entschieden, aufzustehen, und er umrundete den Arbeitstisch und kam auf seine dumme Schwester zu, die ihn alle Nerven kostete, die er hatte. Fast etwas angstvoll blickte sie ihm entgegen. Wieder verdrehte er die Augen, aber ohne Worte zog er seine komplizierte Schwester in die Arme. Sie wehrte sich, wie ein Haustier, das man für die wöchentliche Dusche in die Wanne setzen wollte, dachte belustigt.

„Wer sind wir? Die Potters?“, murmelte sie abwehrend und wand sich in der Umarmung, aber er musste grinsen.

„Gott sei Dank, nicht“, benutzte er Mums Worte, obwohl er keiner Muggelgottheit irgendetwas abgewinnen konnte. Er hörte, wie Rose auflachen musste, bevor sie sich ergab. Plötzlich spürte er ihre feste Umarmung, und er glaubte, dass letzte Mal hatte sie ihn so umarmt, da war er fünf gewesen. Es rührte etwas in ihm.

„Dann… haben wir uns vertragen?“, wollte sie spöttisch wissen.

„Weiß kaum noch, warum wir gestritten haben“, log er sanft, aber wieder lachte sie auf, denn sie kannte ihn besser, als er es ihr zugestand. „Du solltest Mum öfters schreiben“, nutzt er die Gelegenheit, sie emotional ein wenig unter Druck zu setzen. Rose stöhnte kopfschüttelnd gegen seine Brust. Grinsend legte er das Kinn auf ihren Haaransatz und begriff erst jetzt, wie viel größer er als seine Schwester war. Er hielt sie noch eine Weile fest, denn er konnte sich ziemlich gut vorstellen, was seine Cousine Dominique für widerliche Dinge gesagt haben musste. Und er hoffte zumindest, dass Rose ihn auch ohne Worte verstand.


 

Thirty-Seven

 

Es war ihm egal, dass er wie ein Idiot vor dem Gemeinschaftsraum wartete, dass alle wussten, wie erbärmlich er war. Aber sein Herz ging schnell, und er konnte nicht erwarten, dass sie zu ihm kam. Und als er sie im Gang erkannte, setzte er sich in Bewegung. Das Konzept Coolness war an ihm vorbeigegangen. Er erinnerte sich an seine früher Teenagerzeit, und dass sein Vater ihm mal erklärt hatte, dass es sich lohne, auf das Gute zu warten, aber Scorpius hatte keine Geduld. Er hatte Rose erkannt, und sein Körper entschied ohne seinen Verstand.

Und er hatte sich schlecht gefühlt, Samstagabend. Er wusste, sein Vater war stinksauer gewesen, war wahrscheinlich immer noch stinksauer, aber nichtsdestotrotz hatte er nicht anders gekonnt, als in seinem Zimmer zu verschwinden, lediglich seine Krawatte zu lösen, um dann seinen Reißverschluss zu öffnen, und so hart zu onanieren, wie noch nie zuvor in seinem Leben, denn Roses Anblick hatte sein geistiges Auge nicht verlassen, nicht für eine Sekunde, und seine Erektion war unnachgiebig gewesen.

Wie sie ausgesehen hatte! In diesem Kleid! Mit den offenen, wilden Haaren, diesem sehnsüchtigen Blick, und arrogant, wie er war, hatte er geglaubt – gehofft – sie hatte das Kleid nur für ihn getragen, hatte nur für ihn so ausgesehen.

Und er nahm an, vielleicht hatte er sogar Recht.

Alles in seinem Innern hatte nach ihr verlangt, nach ihr geschrien, sich komplett verzerrt. Und als er sie gespürt hatte, war er gestorben.

Es war so verdammt perfekt gewesen, und selbst… als sie aufgeflogen waren, selbst dann! Er würde diesen Augenblick um nichts in der Welt tauschen wollen.

 

Und jetzt hatte er sie erreicht. Und er fand, er hatte sich tapfer geschlagen, hatte sie nicht direkt im Flur zu Großen Halle ausgezogen und auf den kalten Fliesen, genommen, wie sein Verstand es ihm dringend geraten hatte, nein. Er war… cool gewesen. Er war so wahnsinnig gewesen, sich mit ihr anzulegen, sich zu streiten, nur, um sie dann alleine abziehen zu lassen, auf dieser Schreckensmission, sich Dominique zu stellen. Scorpius wusste, wie unangenehm es war. Aber… er hatte nachgegeben. Demut…. Er erinnerte sich an dieses Wort, an Roses verständnislosen Blick, als er ihr nicht zugestimmt hatte, und selbst dann hatte er sie einfach an sich reißen wollen.

 

Und dann, vor dem Essen, hatte er auch noch dafür gesorgt, dass sie sich mit ihrem Bruder aussprach, hatte ihr zwar gesagt, er würde alleine in der Bibliothek warten, aber es war nur halb gelogen gewesen, und er hatte das verdammte Geisterbuch gelesen, was sie ihm in die Hand gedrückt hatte, obwohl es wirklich grenzwertig um sein sexuelles Seelenheil stand. Fast bekam er schon Schweißausbrüche, denn… er wollte sie. Er wollte sie wirklich dringend! Er hatte nicht essen können – hatte es auch gar nicht gewollt, denn er musste ihre Familie nicht unbedingt direkt heute Abend wieder sehen. Es reichte ihm, Als Grinsen zu ertragen, seine Stichelleien, aber Scorpius ertrug es, denn er wusste, es fiel Al schwer. Und das war das Äußerste.

 

„Alles geklärt?“, wollte er sehr kurz angebunden wissen. Sehr kurz. Sein nötiges Blut dümpelte in tieferen Regionen. Und das war ok.

 

„Ja“, räumte sie kleinlaut ein. Er mochte, wenn sie scheu war. Er mochte es lieber, wenn sie ihn anfunkelte und ihn einen Idioten schimpfte, aber… scheu war auch mal in Ordnung. Dann zeigte sie diese andere Seite von sich, die stille Rose, die neu für ihn war, und die überhaupt erst sein Augenmerk auf sie gezogen hatte, in diesem fatalen Sommer.

 

„Rose“, begann er atemlos, denn er wusste, ihr wäre es lieber, es ruhiger angehen zu lassen, geheimer. Dass sie… sich Zeit ließen, dass er-

 

-aber scheinbar irrte er sich! Sie hatte den Abstand geschlossen, hatte in seinen Pullover gegriffen und hart zog sie ihn zu sich. Die Tasche rutschte ihre Schulter hinab, und achtlos ließ sie sie auf den Boden fallen. Und Scorpius wollte ihr vorschlagen, in Gintys Räume zu verschwinden, es war nicht weit! Er wollte wirklich. Wollte vernünftig sein, wollte nicht nachgeben – nicht sofort zumindest – aber was machte er sich wirklich vor? Seine Lippen teilten sich, seine Zunge stieß in ihren heißen Mund, und ihr Stöhnen brachte ihn um jeden Verstand. Er drängte sie nach hinten, und sie stießen gegen die kalte Wand. Er presste sich gegen sie, drückte seinen harten Schwanz gegen ihren Schenkel, und vor Erleichterung grollte er in ihren geöffneten Mund, spürte sie schaudern, und ihre Fingernägel kratzten über seine Kopfhaut.

Vielleicht waren sie die Art von Menschen, die gerne erwischt wurden, überlegte er dumpf, als sie an seinem Pulloversaum zog, ihn seinen Bauch empor schob. Vielleicht waren sie… exhibitionistisch veranlagt?

Aber… er wollte wirklich nicht, dass irgendwer der Slytherin-Idioten sie hier unten womöglich nackt sah. Um ihn war es nicht schade, aber… Rose gehörte ihm – und absolut keiner brauchte sie länger ansehen, als nötig! Er löste sich schwer atmend von ihr.

 

„Gintys Räume?“, schlug er rau vor, und sie nickte heftig, die Lippen geschwollen, die Wangen gerötet – Merlin, fuck! Er wich zurück, taumelte rückwärts, bückte sich grobmotorisch nach ihrer Tasche, und sein Blick war auffordernd genug, dass sie sich ebenfalls wankend in Bewegung setzte. Er wusste, was sie taten, war laut Schulordnung strikt verboten, aber… es war ihm so scheiß egal. Fast musste er grinsen, so leicht fühlte er sich, so vollkommen zufrieden, dass das Blut angenehm in seinem Körper summte, denn ihm kam es vor, als hätte er Jahre auf diesen Moment gewartet. Es überraschte ihn angenehm, dass sie ebenso aufgeregt war, wie er, bei Merlin, sie ließ es sich sonst auch nicht anmerken, aber sie stieß Gintys Türen auf, wartete ungeduldig auf, sperrte hinter ihm zu, und Scorpius war McGonagall sehr, sehr dankbar, dass sie noch keinen passenden Ersatz gefunden hatte! Er ließ ihre Tasche achtlos fallen, hinterfragte nicht mal, warum sie sie hatte – oder brauchte.

 

Rose hatte bereits nach seinen Händen gegriffen und zog ihn mit, zu den privaten Unterkünften. Er fragte sich instinktiv, ob sie nicht reden müssten. Ob Rose nicht über das Wochenende sprechen wollte, über ihren Vater, über… Dom? Er wusste, sie war so nicht, aber… aber…

 

„Zieh mich aus, Malfoy“, befahl sie ihm rau, die klaren, ozeanblauen Augen fordernd auf ihn geheftet, und er gehorchte so ergeben, so schnell, als hätte er einen magischen Impuls bekommen. Nein, definitiv wollte sie nicht reden. Definitiv nicht! Sie half ihm bei ihrer Jacke, und fast zitterten seine Finger, als er den Pullover über ihren Kopf zog. Es brachte ihren Zopf durcheinander, aber ungefragt griff er nach ihrem Haargummi und zog es langsam den Zopf hinab. Seine Faust ballte sich um den schmalen Stoffring, als Rose ihre wellige Mähne aufschüttelte und ihn unter ihren Wimpern auffordernd anblickte. Merlin! Fast musste er schmunzeln über ihr altes Trainingsshirt, was er ebenfalls über ihren Kopf zog, aber dann verging ihm jedes alberne Lächeln, denn sie trug nur noch Jeans und BH, und ihr BH war blau – wie ihr Kleid gewesen war.

Und beinahe vorsichtig streckten sich seine Finger nach ihr, sehnten sich nach dem Gefühl ihrer bloßen Haut, und er spürte die Gänsehaut auf seiner Kopfhaut, als er sie endlich berührte, ihren brennend heißen Körper.

Er zog sie an sich, denn er musste sie küssen, und ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken. Dass sie tatsächlich mit Presley zusammen war! Wenn auch nur kurz, wenn auch…- er hasste es plötzlich! Diesen Gedanken, dass Presley sie hatte anfassen dürfen! Dass er, Scorpius, so verdammt passiv gewesen war und es gestattet hatte – auch wenn Rose es anders sah! Oh, aber sie würde verstehen! Sie würde begreifen, dass das nicht mehr vorkommen würde! Dass sie nichts anderes wollen würde, als ihn.

 

Er löste sich grob von ihr. „Kein anderer wird dich anrühren“, entfuhr es ihm. Halb Befehl, halb Warnung, und verblüfft hatte sich ihr Mund geöffnet, aber seine Finger öffneten die Knöpfe ihrer Jeans, zogen sich herrisch ihre Beine hinab, und nachdem sie mit fragendem Blick, die Schuhe von den Füßen getreten hatte und ihm half, die Hose loszuwerden, schob er sie Richtung Bett. „Keiner“, wiederholte er dunkel, und als sie wohl protestieren wollte, schubste er sie nach hinten, und mit einem überraschten Laut fiel sie auf die Matratze. Schnell war er über ihr, lag zwischen ihren Beinen, und Röte sprengte ihre Wangen. „Du kommst nur noch für mich, Rose Weasley“, wisperte er, als er ihre Beine weit spreizte, und den Stoff ihres Höschens beiseiteschob. Ihr Protest wandelte sich in einen kehligen Laut, und seine Erektion sprengte fast die Enge seiner Hose, als seine Zunge begann, ihre Klitoris zu reizen.

 

 

 

 

         Sie lagen nebeneinander auf dem Bett, wie schon damals mal, und starrten an die gesprungene verputzte Decke. Nur war sie jetzt absolut unzufrieden.

 

„Sorry“, wiederholte er dumpf, und sie verdrehte die Augen. Dann wandte sie den Kopf in seine Richtung und sah ihn an.

 

„Ich hatte angenommen, Männer würden eher ziemlich wortkarg sein, kurz vor dem Sex, mit Erektion und so…“, erläuterte sie bitter.

 

„Rose, es tut mir-“

 

„-hey, schon gut! Vielleicht können wir vorher noch über alle unangenehmen Dinge reden, Scorpius, wie wäre das? Das erste Weihnachten, das du nicht bei den Weasleys verbringst, weil du verstoßen bist – muss furchtbar sein“, knurrte sie böse, bereute es aber sofort, denn ein Blick in seine überraschten Augen sagte ihr, dass er darüber wohl noch nicht nachgedacht hatte. „Tut mir-“, begann sie hastig, aber er winkte mit der Hand ab.

 

„-schon gut“, grollte er nur. „Ich nehme an, das habe ich verdient?“, verließ es als gedehnte Frage seine Lippen, und sie atmete lange aus.

 

„Nein, hast du nicht, ich…“ Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Aber… sie wusste es doch. „Ich… dachte nur, wir würden einen unvergesslich schönen Abend haben, und nicht… endlose Diskussionen über meine Familie“, entkam es ihr. Sie wusste nicht, was passiert war, oder was in seinem Kopf wirklich vorging. Er befriedigte sie, und keine Sekunde später, platzte aus ihm raus, dass das hier jetzt echt wäre, dass es kein Zurück mehr für sie gab, dass sie sich darüber Gedanken machen sollte, und dass sie über ihren Vater sprechen sollte. Und viel mehr als solche Worte, brauchte es wohl nicht, um jeden erotischen Moment verpuffen zu lassen. Er atmete lange aus.

 

„Das… das haben wir auch, aber-“

 

„-aber du willst vorher noch über meinen Vater reden? Malfoy, das ist widerlich“, ergänzte sie gepresst.

 

„Rose, Sex ändert Dinge, macht sie… wahr und-“

 

„-oh Merlin, Scorpius! Meine gesamte Familie hat uns erwischt! Dinge sind bereits wahr und echt und unumkehrbar!“

 

„Sind sie nicht“, widersprach er beinahe ruhig. „Jetzt bist du noch Ron Weasleys reine, liebe Tochter, die keinen Sex mit irgendeinem Slytherin gehabt hat, ok?“

 

„Oh mein Gott!“, entfuhr es ihr verzweifelt. Sie stützte sich auf die Ellbogen und sah ihn demonstrativ an. „Danach bin ich immer noch seine Tochter, ok? Immer noch rein und lieb“, ergänzte sie spöttisch. „Ich dachte, du willst das?“

 

„Ich will das!“, rief er aus. „Ich… will nur, dass du… dir Gedanken machst, und dass du nicht aus Trotz handelst, Rose!“

 

„Weißt du, es hat mir besser gefallen, als wir nicht geredet haben“, murmelte sie kopfschüttelnd. Wieder schloss er die Augen, presste sich die Handflächen vors Gesicht, und frustriert blickte sie nach vorne in den spärlich eingerichteten Raum. Irgendwann fielen seine Hände, und er richtete sich ebenfalls auf.

 

„Es ist mir wichtig, das ist alles“, erwiderte er seufzend.

 

„Warum ausgerechnet jetzt?“, wollte sie unzufrieden wissen, und sein Blick war einigermaßen aufrichtig.

 

„Weil… weil es mir ernst ist, weil ich mit dir zusammen sein will, weil ich dich liebe.“

 

Sie hatte die Luft angehalten, und er war sehr schnell, sehr blass geworden. Er war ohnehin ziemlich blass, aber jetzt gerade wirkte er noch eine Nuance heller. „Das… habe ich nicht gemeint!“, brachte er mit krächzender Stimme hervor. Sie blinzelte schwerfällig. Er – was? Was?! Noch immer hielt sie die Luft an, und pure Verzweiflung trat in seinen Blick. „Rose, ich meinte nicht… Liebe, wie…“ Er rang krampfhaft nach Worten, und sie wusste nicht, was er vorhatte, wie er diese Kurve überhaupt noch kriegen wollte! „Ich… meine nur, ich bin… verliebt in dich. Nicht viel mehr, ok? Nicht… echte Liebe, sondern einfach nur…“ Er schwieg, Horror in den grauen Augen, und zitternd atmete sie aus.

 

„Du… du liebst mich?“, flüsterte sie ungläubig.

 

„Nein!“, rief er sofort aus. „Ich –nein!“, wiederholte er ernsthaft. „Verliebt, ok? Ich bin… verliebt.“

 

„Wo… wo ist der Unterschied?“, flüsterte sie überfordert, und kurz öffnete sich sein Mund, nur um sich tonlos wieder zu schließen.

 

„Keine – keine Ahnung, aber ich bin sicher, es gibt einen Unterschied“, endete er lahm.

 

„Wieso… wieso sagst du das, und dann… nimmst du es zurück?“, wollte sie verstört wissen, und sein Atem ging schneller.


„Weil… weil ich nicht will, dass… dass du aufspringst und wegläufst, dass du… Angst vor mir hast und nie wieder ein Wort mit mir sprichst“, erwiderte er, ohne sie direkt anzusehen.

 

„Deshalb der Stress?“, flüsterte sie plötzlich. „Deshalb… befriedigst du mich, nur um dann panisch zu werden, dass ich mit meinem Vater sprechen soll – und am besten gleich noch mit Dom? Du… willst nicht mit mir schlafen, weil du in mich verliebt bist und denkst… ich renne weg, wenn du es laut sagst?“, schloss sie ungläubig, und unglücklich sah er sie an.

 

„Rose-“, begann er, aber sie setzte sich vollständig auf.

 

„-nur damit du Bescheid weißt, du Idiot“, begann sie kopfschüttelnd, „ich stelle mich meinem Vater bestimmt nicht aus Spaß in den Weg, ok? Ich… riskiere die Prügelei mit Dom nicht einfach nur so! Und ich spreche mich garantiert nicht mit Hugo aus, wenn ich nur lauwarme Gefühle für dich hätte, Merlin noch mal.“ Sie konnte ihn nicht fassen. So schwer war sie doch wohl nicht zu lesen, oder?! Was dachte er? Dass sie sich von ihm hier hin lotsen ließ, bis zum Äußersten gehen wollte, wenn… wenn sie ihn nicht wollte? Seine Gefühle nicht erwiderte? Vielleicht färbte ihr Bruder auf sie ab, der heute seine Gefühle auch so unerschrocken und völlig ernsthaft geäußert hatte?

 

„Was… meinst du da-?“

 

„-ich bin in dich verliebt, Scorpius“, unterbrach sie ihn eindeutig, denn wozu sollte sie lügen? Wieso sollte sie ihm diese Information vorenthalten? Wieder öffnete sich sein Mund, ohne dass er sprach. Er sah selten dämlich aus, wenn er sie so ansah.

 

„Du… liebst mich?“, fragte er sie schließlich tonlos, aber sie hob die Augenbraue in die Höhe und schüttelte den Kopf.

 

„Nein“, erwiderte sie spöttisch. „Ich bin bloß verliebt in dich. Liebe wäre zu viel gesagt, nicht wahr?“, wollte sie bitter von ihm wissen, aber langsam hoben sich seine Mundwinkel. Er wollte den Abstand schließen, aber geistesgegenwärtig hielt sie ihn auf Abstand. „Oh nein!“, rief sie aus. „Wir reden zuerst noch über meinen Dad! Vielleicht noch über Hugo! Warum nicht über Alby oder James?“, schlug sie ihm vor, und jetzt warf er sie mit seinem Gewicht um.

 

„Bist du dir sicher?“, fragte er sie atemlos, und sie sah zu ihm auf. Kurz wollte sie etwas Spöttisches erwidern, aber ihr Herz ging viel zu schnell. Sprach er von ihren Gefühlen oder ihrem Wunsch, mit ihm zu schlafen? Seine frostig hellen Strähnen hingen ihm ins Gesicht, und er hatte noch nie so schön ausgesehen.

Stattdessen nickte sie nur und sah hoch in seine Augen. Er hatte wieder Farbe bekommen, Merlin sei Dank. Sie hob die Hände zu seinem Gesicht, umfing seine samtigen Wangen und zog ihn zu sich. Dieser Kuss war so anders.

Er schien über gar nichts mehr reden zu wollen, schien nicht mehr diskutieren zu müssen, als hätte sie ihm genügend Sicherheiten gegeben, dass sie nicht verschwinden würde, nach dieser Nacht. Sie konnte sein typisches Selbstbewusstsein so deutlich spüren, und es reizte sie ungemein.

 

Ungeduldig half sie ihm aus seiner Kleidung, und ihr Blick verfing sich an seinem Zauberstab, als er den Verhütungsspruch auf seinen Penis legte, und dann trafen sich ihre Blicke wieder. Es passierte, ohne Worte. Er entschuldigte sich für nichts, und sie brauchte auch keine Entschuldigung. Er sollte sich nicht entschuldigen, für etwas, das sie beide unbedingt wollten.

 

Ihr Atem ging flacher, und sie spreizte die Beine weit für ihn, als er sich über sie legte. Seine Finger berührten sie wieder, schienen zu testen, ob sie bereit war – was sie war, Merlin! – bevor er drei Finger in sie gleiten ließ. Anspannung stand auf seinen Zügen, und sie konnte ihn nur beobachten, während ihr schrecklich heiß wurde. Sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um kein Geräusch zu machen, als er sie dehnte, die Finger zurückzog, nur um es zu wiederholen. Er ließ sie nicht aus seinem hungrigen Blick, und fast wäre sie gekommen, einfach weil sein Blick allein sie so erregte. Und dann, als sie fast um seinen Penis betteln wollte, hörte er auf. Er zog die Hand zurück, legte sie um seinen Schaft, pumpte einige Male selber auf und ab, bevor sie die feuchte Spitze an ihrem Eingang spüren konnte.

Sie schluckte schwer, sah ihn aber unverwandt an

 

Sein Atem verließ stoßweise seine Lippen, und schlagartig kam sich Rose sehr erwachsen vor, als er langsam in sie eindrang. Er glitt durch ihre feuchte Hitze, bis… bis es wehtat. Bis sie schlucken musste, aber mutig hielt sie seinen Blick. Wenn sie sich schon in Unerfahrenheit in nichts von den anderen dummen Jungfrauen unterschied, dann wollte sie ihm wenigstens keine Angst zeigen, sondern ihm signalisieren, dass es ok war.

Sie wusste nicht, ob er in ihrem Blick gelesen hatte, aber sie wollte nicht, dass er verharrte. Dass er stockte. Vic hatte so häufig von ihrem ersten Mal mit Teddy Lupin erzählt, dass Rose es auswendig wusste, und sie wusste deshalb, dass es wehtat, aber dass es auch aufhörte. Und deshalb richtete sie sich auf, fing seine Lippen ein, küsste ihn verlangend, und küsste ihn auch durch den Schmerz, als er sich völlig willenlos tiefer in sie schob, und scheinbar war er so tief in ihr, wie er nur konnte, als er sich schwer atmend von ihren Lippen löste. Er füllte sie aus, und sie wusste, es waren nur dumme männliche Sprüche, als er meinte, dass niemand sonst sie anrühren würde, niemand sonst sie zum Kommen brachte – aber… jetzt gerade wünschte sie es sich tatsächlich. Dass er der eine wäre.

 

„Du… du bist so unglaublich schön“, flüsterte er gäznlich neben sich, sanfter Schweiß auf seiner Stirn, und ihre Mundwinkel hoben sich. Der Schmerz klang langsam ab, und sie war stolz auf sich, dass sie nicht geweint hatte. Mit den Fingern strich sie sanft seine hellen Strähnen über seinen Kopf.

 

„Küss mich, Scorpius“, bat sie ihn rau, und seine Lippen fielen wieder auf ihren Mund. Er bewegte sich in ihr, zunächst mit langsamen Zügen. Er zog sich zurück, glitt wieder tiefer, und je mehr er sie dehnte, je schneller sie sich gewöhnte, umso deutlicher spürte sie das Verlangen, die stumpfe Luft nach mehr! Sie begegnete ihm, ahmte den Rhythmus nach, seine Bewegungen, fand das perfekte Tempo, und seine Muskeln kontraktierten, seine Atmung beschleunigte sich, und als sie sich wünschte, dass es zu keinem Ende kommen würde, schlug die Lust über ihr ein, als sie überraschend heftig kam. Ihr Kopf fiel zurück, sie stöhnte laut, und scheinbar konnte er jetzt nicht länger aushalten, rammte sich ein letztes Mal in sie, grollend und zitternd, und sie schlang ihre Arme um ihn, als er über ihr zusammenbrach. Heiß traf sein unregelmäßiger Atem ihre Halsbeuge, und ihre Augen schlossen sich zufrieden.

Er stemmte sich schließlich erschöpft in die Höhe.

 

„Wow“, flüsterte sie mit weiten Augen.

 

Sie liebte das schiefe Lächeln, das er ihr schenkte. Sie… liebte ihn. Wow….

 

 

 

 

Thirty-Eight

 

         Es war unangenehm, aber sie vergaß alle paar Minuten, dass er da war. Fast wie mit einem stillen, depressiven Haustier, nahm sie an. Und immer, wenn sie sich in den Zeilen verlor, erinnerte er sie daran, dass er immer noch da war.

 

„Was liest du jetzt?“, fragte er sie wieder, nachdem sie das Buch gewechselt hatte, und langsam hob sich ihr Blick.

 

„Bennett’s ‚Fakten für’s Übersinnliche‘“, antwortete sie freundlich, und James betrachtete den Stapel an Büchern erneut.

 

„Warum?“ Er fragte das erste Mal, warum sie die Bücher las.

 

„Um Snape zu helfen“, erwiderte sie, und unauffällig blickte sie auf die Uhr im Arbeitsraum. Sie verstand, dass er hier her kam und sie aufsuchte, denn er würde nicht im Gemeinschaftsraum sein wollen, hatte bestimmt keine Lust auf die anderen, und sein Bruder, als auch Scorpius hatten noch Training. James war… aufgeschmissen. Rumer hatte mit ihm Schluss gemacht, und Rose tat es wirklich leid. Sie war gespannt wie ein Regenschirm, ob Rumer jetzt was mit Hugo anfangen würde, aber… sie hielt sich zurück. Eigentlich hatte sie längst mit Rumer sprechen wollen, denn… Rose hatte ihr erstes Mal erlebt und wollte es Rumer erzählen! Aber Rumer war zurzeit… etwas abwesend und wehmütig, und Rose hatte Angst, dass sie mit ihr über Hugo reden wollte. Rose war noch nicht so weit. Aber… der Tag schien zu nahen.

 

„Snape?“, wiederholte er, genauso desinteressiert, wie er neugierig klang.

 

„Scorpius und ich glauben, er hat etwas Unerledigtes und sucht unbewusst Hilfe, es zu erledigen und weiterzugehen“, schloss sie, um Geduld bemüht. Wie lange trainierte das verdammte Team ihres Freundes bitteschön? Und könnte sich Alby endlich um seinen Bruder kümmern? Jetzt?

 

„Der… Geist?“, wiederholte James verständnislos, und tatsächlich lenkte es ihn von seiner Trauer ab, die er für Rumer empfand.

 

„Ja“, bestätigte sie lächelnd. Er schwieg wieder, legte seinen Kopf auf seine Arme, und Rose vertiefte sich wieder in die Lektüre. Soweit hatten Scorpius und sie beschlossen, dass Snape sie zwar nicht für ihre Mum hielt, dass ihr aber eine Intelligenz unterstellte, die ihm helfen könnte. Und Rose wollte ihm helfen.  Er tat ihr leid. Sie sah es als ein Zeichen, als ihre Aufgabe. Und sie wollte den Geist nicht enttäuschen.

 

„Ich mochte sie. Wirklich“, riss James sie wieder aus ihren Gedanken, und seufzend ließ Rose auch dieses Buch sinken.

 

„Ich weiß, James“, bestätigte sie sanft.

 

„Ich wollte mit ihr zusammen sein. Ich… habe ihr alle Zeit der Welt gelassen. Und jetzt… jetzt sägt sie mich ab! Für wen auch immer!“, entfuhr es ihm bitter. „Hat sie es dir gesagt?“, wollte er wissen, und Rose verzog den Mund.

 

„Nicht direkt, nein.“ Sie überlegte, ob es schaden würde. Sie hatte mittlerweile ihre Erfahrungen gemacht, mit Lügen und Intrigen, mit Geheimnissen – mit schwierigen Beziehungen. Und sie glaubte, dass Rumer sehr unehrlich mit James war. „Du musst mir was versprechen“, begann sie also und legte das Buch zur Seite.

 

„Was?“, fragte er lustlos, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„Versprich es mir“, bat sie ihn.

 

„Was soll ich dir versprechen?“ Er runzelte die Stirn.

 

„Dass du Hugo nicht umbringst.“ James sah sie gänzlich entgeistert an.

 

„Hugo wen? Hugo Weasley?“, vergewisserte er sich. „Was hat das mit Hugo zu tun?“, wollte er kopfschüttelnd wissen.

 

„Ich denke, dass… da was läuft“, schloss sie, und James sah sie ungläubig an.

 

„Ich denke nicht“, entgegnete er schlecht gelaunt.

 

„James, glaub mir. Deshalb hat er mit Cara Schluss gemacht. Deshalb… hat Rumer mit dir Schluss gemacht“, erklärte sie es deutlicher, und James setzte sich aufrecht hin. Noch immer wirkte er verwirrt.

 

„Woher… weißt du das?“, wollte er tonlos wissen.

 

„Hugo hat mir gesagt, dass er… sie liebt“, schloss sie stiller. James‘ Augen wurden groß.

 

„Dass…- er liebt sie?“, entfuhr es ihm ungläubig. „Dein Bruder ist ein kleines Kind!“, entrüstet er sich aufgebracht.

 

„Er ist fünfzehn“, korrigierte sie ihn.

 

„Ja, eben! Rumer macht Schluss mit mir für Hugo Weasley?“, entkam es ihm schockiert, und Rose hob die Augenbraue.

 

„Du sprichst von meinem Bruder, James.“ James blinzelte knapp.

 

„Ich… ich bin James Potter“, wisperte er mit großen Augen. „James Potter!“, wiederholte er hilflos.

 

„Ich weiß, Jamie“, erwiderte sie mit einem traurigen Lächeln.

 

„Aber…?“ Er wirkte gänzlich überfordert. „Ich… ich habe sie nicht betrogen, sie nicht schlecht behandelt – ich… habe dieses Mal alles richtig gemacht!“, beschwerte er sich entgeistert. „Wie kann sie…?“

 

„Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich hätte Hugo nicht genommen“, beschwichtige Rose ihn, aber James verzog angewidert den Mund.

 

„Ja. Er ist auch dein Bruder.“ Rose verdrehte die Augen.

 

„Ich meine, wäre er es nicht. Niemals. Er ist ein Streber und nervtötend. Vielleicht ist Rumer… einfach sowieso nicht die Richtige für dich gewesen?“ Sie versuchte wirklich, auf James‘ Seite zu sein. Auch wenn das schwierig war. Aber sie tat es für Hugo, denn sollte James sich doch dazu entscheiden, ihn zu verprügeln, hätte sie ihr Bestes getan.

 

„Sie ist deine beste Freundin, oder nicht? Ich weiß, was du tust, Rose!“, fuhr er sie beleidigt an.

 

„James, ich meine es nur gut. Es… es ist richtig, dass ich es dir sage, oder? Du willst nicht so überrascht werden, wie… wie ich Dom überrascht habe. Das ist… nicht richtig“, reflektierte sie ihre eigenen Erlebnisse, und James stöhnte auf.

 

„Ich – keine Ahnung, Rose. Ich schätze nicht, aber…“

 

„Du wirst eine andere finden, wirklich“, versicherte sie ihm. Er lachte freudlos auf.

 

„Muss dir doch gerade recht sein. Dir hat es doch sowieso nicht gefallen, dass ich mit Rumer zusammen bin!“, fuhr er sie jetzt an.


„Das ist nicht fair!“

 

„Aber mit Hugo ist es kein Problem, ja?“ James hörte nicht richtig zu.

 

„Weißt du, mein Vater kann Rumers Eltern nicht leiden. Genauso wenig, wie er Scorpius und seinen Vater nicht leiden kann“, begann sie ernst. „Wahrscheinlich klappt es sowieso nicht mit Hugo und Rumer, weil unser Dad sich einmischen wird. Wahrscheinlich wird Scorpius mich auch verlassen, sobald mein Dad die Gelegenheit bekommt, alles zu ruinieren. Also… warte einfach ab, dann… kannst du über uns Weasleys lachen, ok?“ Und James schwieg. Nach einer Weile atmete er unglücklich aus.

 

„Ich will nicht über euch lachen“, räumte er ein. „Ich… wünschte nur, sie hätte es mir gesagt.“

 

„Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass du Hugo verprügelst, weil du wesentlich stärker und gutaussehender bist, als-“

 

„-oh halt den Mund, Rose“, unterbrach James sie seufzend, aber er wirkte nicht mehr völlig wütend. „Weißt du, es… war eine Wette. Ursprünglich“, ergänzte er abwesend. „Fred hatte mit mir gewettet, dass ich kein Mädchen wie Rumer bekommen könnte – und… ich hatte angenommen. Und dann… mochte ich Rumer mehr, als ich für möglich gehalten hatte, aber… ich wusste, dass… eine Beziehung nicht halten kann, die auf einer Wette basiert“, schloss er dumpf.

 

„Wir sind noch jung“, tat Rose es achselzuckend ab und schlug das Buch wieder auf. „Hugo wird nicht mit ihr zusammen bleiben, ich werde nicht mit Scorpius zusammen bleiben-“, log sie gepresst, aber sie wurde unterbrochen.

 

„-gut zu wissen“, vernahm sie die herablassende Stimme ihres Freundes, und Röte stieg in ihre Wangen, als sie hastig das Buch wieder senkte.

 

„Scorpius, ich-“, begann sie, aber James unterbrach sie.

 

„-nimm sie nicht ernst. Sie versucht mehr schlecht als recht, mich aufzuheitern“, beschwerte er sich bitter. Mit geschulterte Tasche betrat er den Arbeitsraum, warf die Tasche neben den Tisch und beugte sich zu einem Kuss zu ihr hinab.

 

„Das hoffe ich“, raunte er ihr eindeutig zu, aber ein Lächeln zerrte unwillkürlich an ihren Mundwinkeln, und sie kam ihm für einen liebevollen Kuss entgegen.

 

„Hast du… das gewusst? Mit Rumer und Hugo?“, wollte James jetzt von Scorpius wissen, und dieser tauschte einen knappen Blick mit ihr.

 

„Hat Rose mich schon in die Pfanne gehauen?“, erkundigte er sich, und James verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Nein, noch nicht“, entgegnete er trocken, und Scorpius seufzte auf.

 

„Ja, ich wusste es. Aber ich weiß es von Al!“, rechtfertigte er sich hastig, und James wirkte wirklich schlecht gelaunt.

 

„Ernsthaft?“ Jetzt erhob er sich.

 

„Aber Al weiß es von Fred!“, sagte Scorpius hastig, und Rose verbarg das Lächeln hinter ihrem Buch.

 

„Mein bester Freund und mein Bruder?“, vergewisserte sich James mittlerweile kalt, und Scorpius wechselte einen hilfesuchenden Blick mit ihr.

 

„James, wir lieben dich alle“, begann Rose beschwichtigend, aber James sah sie eindeutig an.

 

„Mhm. Am allermeisten Fred und Albus, richtig?“, vermutete er bitter.

 

„James“, sagte sie warnend, aber James hob die Hand.

 

„Keine Sorge, Rose. Ich bringe Hugo nicht um“, versprach er ihr dunkel. „Aber Albus und Fred können sich verdammt warm anziehen“, knurrte er böse.

 

„James!“, rief sie ihm nach, aber er hatte den Arbeitsraum verlassen. „Das haben wir super hingekriegt“, seufzte sie, und Scorpius lehnte sich an den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Wir?“, wiederholte er mit erhobener Augenbraue. „Du hast praktisch mit mir Schluss gemacht“, fuhr er sie kopfschüttelnd an. Rose erhob sich grinsend.

 

„Ich musste James aufheitern“, versicherte sie ihrem Freund. „Unser Leid ist seine Freude“, schloss sie.

 

„Ach ja?“, erkundigte sich Scorpius spöttisch, und Rose schob sich zwischen seine Beine, legte die Arme um seinen Nacken und zog einen Schmollmund.

 

„Es tut mir leid, wirklich“, beteuerte sie, und ihr gefiel, dass er noch nicht geduscht hatte. Sie mochte seinen herben, eigenen Geruch gerne. „Ich tue alles, was du willst, als Wiedergutmachung“, versprach sie ihm, und seine Augenbrauen hoben sich anerkennend. „Wenn du magst, können wir gleich ins Badezimmer der Vertrauensschüler gehen“, schlug sie ihm vor, und seine Mundwinkel hoben sich.

 

„Das sollten wir so oder so tun, aber… alles, was ich will? Wirklich?“, vergewisserte er sich lauernd, und sie spürte die Röte in den Wangen.

 

„Was schwebt dir vor, du böser Slytherin?“, erwiderte sie lächelnd, und dann wurde er ernst.

 

„Komm zu uns. Am zweiten Feiertag“, bat er sie. Rose wurde übergangslos ernst. „Wenn… deine Eltern es erlauben“, ergänzte er stiller. Rose atmete abrupt aus.

 

„Scor-“

 

„-es würde mir alles bedeuten“, unterbrach er sie.

 

„Ich… frage meine Mum, ok?“, erwiderte sie seufzend, und er fuhr sanft über ihre Wange. „Ich meine, zurzeit redet nicht mal mein Dad mit mir, aber… wenn Mum es erlaubt, dann… komme ich zu euch.“

 

„Perfekt. Es wäre absolut wunderbar“, sagte er strahlend. „Es ist nur mein Dad, Tante Daphne… und ich“, schloss er, und dann verwischte seine Freude langsam. Sein Blick fiel, und Rose spürte, etwas war anders.

 

„Was – was ist los?“, fragte sie ihn vorsichtig.

 

„Nichts“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und er schob sie sanft zurück. „Hast du die Bücher weiter durchforstet?“, wollte er wissen, wechselte sehr plötzlich das Thema, und Rose wusste nicht, ob sie auf einer Antwort beharren sollte. Aber sie kannte ihn wohl gut genug, um zu wissen, dass er wahrscheinlich nicht darüber reden würde.

 

„Ja“, erwiderte sie still. Ihr Blick fiel und sie setzte sich wieder. Blind starrte sie auf die Bücher. Er dachte an seine Mum, sie war sich sicher. Und bisher hatte sie ihn noch nicht darauf angesprochen, hatte ihn noch nicht drängen wollen, in den letzten vier Wochen, wo alles einfach gut für sie lief. Jetzt näherte sich Weihnachten, und sie wurde nervös. Ihre Mum hatte nicht mehr geschrieben, ihr Dad sowieso nicht. Mit Rumer hatte sie wenig gesprochen, und da sie jetzt mit James Schluss gemacht hatte, verstand Rose, dass es Rumer nicht gut gegangen war. Hugo und sie hatten gelernt, aber über nichts Wichtiges gesprochen.

Und es tat gut, einfach nur zu leben. Der Kontakt zu Alby war schwierig, aber allmählich alberten sie wieder miteinander. Dom sprach nicht mit ihr, nicht mit Scorpius – und es war gar nicht so schlimm.

Und Lily hatte sie vor zwei Wochen gefragt, ob sie mit ihr heimlich auf dem Feld trainieren würde, und Rose hatte sofort zugesagt. Lily hatte ihre vierte Stunde hinter sich, und Rose wusste, sie war unfassbar begabt. Dass, was Alby hatte – das besaß auch Lily! Das verrückte Potter-Quidditch-Gen! Sie hatten einige Positionen geübt, aber Lily war ein begnadeter Sucher. Sie würde ohne Probleme das Team im nächsten Jahr schaffen! Besonders, wenn Rose Kapitän werden würde.

 

Und alle Probleme, die sich langsam aber sicher anstauten, würden bald zur Explosion führen. In wenigen Tagen begannen die Weihnachtsferien, und Rose hatte Bauchschmerzen. Und natürlich wollte sie Scorpius den Gefallen tun, ihn an den Feiertagen zu sehen – aber… sie wusste nicht, ob ihre Eltern es erlauben würden. Sie würde eher schätzen, nein. Soweit sie ihren Vater einschätzte. Und das konnte sie für gewöhnlich ganz gut.

 

***

 

         Mit einem Schrei beförderte Ron Weasley, seinen perfekt angeschnittenen Quaffel aus dem Torring und schlug ihn hart in seine Richtung zurück, so dass Draco auf dem Besen gefährlich steil ausweichen musste.

 

„Ron!“, brüllte Potter quer über das Feld. „Verdammt noch mal! Noch so eine Aktion, und du setzt aus!“, informierte er seinen besten Freund, und Weasley zog sich den Helm vom Kopf. Jetzt konnte Draco den hasserfüllten Blick nicht nur erahnen, sondern direkt begutachten. Weasley hasste ihn. Aufrichtig, wie nur ein Feind es konnte. Es war… wie früher, stellte Draco ratlos fest.

Die letzten Minuten flogen alle unangenehm berührt über das Feld, und keiner wagte, noch einen Angriff auf die Torringe zu starten. Das dürfte auch sein gutes haben, im nächsten Spiel gegen die Mannschaft des Tagespropheten, überlegte Draco dumpf, denn wenn Weasley es schaffte, diese Aura aufrechtzuerhalten, würde niemand auch nur einen Sturm auf die Torringe versuchen.

Potter beendete das Training schließlich gnädigerweise mit einem gereizten Pfiff, und sie landeten dankbar.

 

„Was ist sein Problem?“ Preston McGraw sprach still mit dem Treiber aus der Abteilung der Liegenschaften, und Wyatt Cunningham lehnte sich näher zu ihm.

 

„Hast du es nicht mitbekommen?“, wisperte Wyatt verschmitzt zurück, bemerkte aber Dracos Blick, und änderte seine Meinung. „Wir reden später“, ergänzte er hastig, und Preston wirkte nur noch gespannter.

Draco wusste nicht, weshalb er hier immer noch auftauchte. Es war seine achte Trainingseinheit, und kein einziges Mal war es friedlich verlaufen. Oder freundlich. Er genoss, dass sich Potter für ihn einsetzte, etwas, das schon alleine seltsam genug war, soweit es Quidditch betraf, und wahrscheinlich schuldete er es seinem Sohn, dass er sich wenigstens ansatzweise Mühe gab, mit Ronald Weasley auf eine soziale Ebene zu steigen, auf der sie einander nicht mit dem Quaffel vermöbeln wollten.

 

Aber – ganz ehrlich – er wusste nicht, wie.

 

Er war sich nicht mal sicher, wie er beginnen sollte. Was sollte er sagen? Gutes Spiel? Super Form? Warum hasst du mich so dermaßen? Weil mein Sohn mit deiner Tochter zusammen ist? Weil deine Frau und ich Tee trinken? Weil Potter mich ins Team gelassen hat? Und er nahm stark an, der Jackpot befand sich hinter allen drei Möglichkeiten. Er lehnte seinen Besen gegen die Bank und freute sich nicht unbedingt auf die gemeinsame Dusche. Für gewöhnlich verschob er die Dusche auf später, aber heute konnte er nicht nach Hause, gleich drohte ihm noch ein Treffen mit Amory und Hermine, und es sah merkbar schlechter aus. – Für Amory. Und das ließ er ihn auch spüren. Draco hatte es nicht leicht zurzeit. In den Umkleideräumen erreichte er gedankenverloren die Bank und kramte in seiner Tasche nach seinem Duschgel, wurde er aber beiseite gedrängt.

 

„Mach dich nicht so verdammt breit hier“, knurrte Weasley ungehalten, nicht einmal darauf bedacht, falsche Höflichkeit vorzuschützen, und Draco schluckte allen Ärger runter und schob seine Tasche unwirsch beiseite. Er sagte nichts, verlangte keinen Respekt, keine Entschuldigung – gar nichts. Er hatte überlegt, ob Gewalt die rechte Methode war – Weasley schien nicht abgeneigt. Aber er war seine Möglichkeiten durchgegangen, und bedauerlicherweise würde er wohl keinerlei Rückendeckung bekommen.

Das Wasser wurde angedreht. Wyatt und Preston blieben zum Duschen. Keine der beiden Frauen blieb. Potter befand sich bereits in den Gruppenkabinen, und Draco hasste, dass das Ministerium nicht mal genug Gelder dafür locker machen konnte, um getrennte Duschkabinen hier unten zu haben. Er war kein Snob, er war einfach nur… jemand der unglücklich genug gewesen war, in eine scheiß Familie geboren worden zu sein, denn die eine Sache, gegen die die Desillusionierung immun war, war Wasser.

Und gleich würde das verdammte Mal in all seiner Schönheit erstrahlen.

Aber er hatte keine Wahl. Er konnte unmöglich zwei Stunden zwischen den Ministerkandidaten sitzen und nach Schweiß stinken.

Und deshalb schluckte er den Scham und den Stolz runter, denn niemand hier hielt ihn für einen Helden, für einen Kriegsveteranen. Jeder wusste, wer er war. Und ja, er hätte das Mal entfernen lassen, wenn Astoria ihm nicht gesagt hätte, dass er es einfach als Mahnmal behalten könne, um sich immer wieder an diesen Fehler zu erinnern, anstatt lebenslange Phantomschmerzen zu haben, die jede Entfernung mit sich bringt.

 

Ohne Scheu zog er also seinen Jersey aus, dachte einfach an Astoria, schälte sich aus den nassen übrigen Sachen, und mit aller Macht ignorierte er die nackten Männerkörper, die er nie so genau hatte in Augenschein nehmen wollen und konzentrierte sich auf die freie Dusche, bewaffnet mit seinem Duschgel. Scheiße.

Seine Nervosität zerrte ein wenig an seinen Nerven, aber er stellte das warme Wasser an, schloss die Augen und brachte hinter sich, was unvermeidbar war. In Rekordzeit duschte er, wusch seine Haare, und schlug dann das Wasser wieder aus. Nass hingen ihm die Strähnen ins Gesicht. Sein Bart tropfte beständig, und er wusste nicht, ob ihn jemand ansah, denn er bemühte sich, keinen Augenkontakt zu halten. Aber er ging stark davon aus. Ehemalige Todesser waren eine Rarität im Aurorenteam des Ministeriums.

Aus den Regalen griff er sich sein Handtuch, was er hier deponiert hatte, trocknete sich ab, und Weasley schien ebenfalls fertig zu sein, zog sein Handtuch ebenfalls aus einem der Fächer, und Draco spürte seinen Blick. Eilig rieb er sich den Kopf trocken, hing das Handtuch auf, und zog dann seinen Zauberstab aus dem Fach.

Stumm vollführte er den Trockenzauber und anschließend die Desillusionierung, und aus den Augenwinkeln sah er, wie Weasley ihn beobachtete. In Sekundenschnelle war die schwarze Abscheulichkeit wieder verschwunden. Draco trug die Desillusionierung vierundzwanzig Stunden am Tag, abgesehen von den täglichen Duschen, wo ihn die Realität daran erinnerte, dass er das verdammte Mal auf seinem Arm trug.

 

Manche alte Ehemalige trugen es mit Stolz – oder mit was auch immer sein Vater rechtfertigte, es nicht zu verbergen – aber er trug es mit Abscheu. Wie eigentlich schon immer. Sein ganzes Leben lang.

 

Er hob den Blick, nachdem er wieder Shorts und Hose trug. Weasley sah ihn immer noch an, das Handtuch mittlerweile um seine mittlere Partie geschlungen. Draco erwiderte den Blick ruhig, abwartend. Was kam jetzt? Der Showdown? Weasley war erschreckend größer als er. Erschreckend breiter.

 

„Alles ok hier?“, mischte sich Potter ein, ebenfalls ein Handtuch um den Körper geschlungen, und auch Potter schien die angespannte Stimmung zu spüren. Aber Potter tat nichts anderes, als zu schlichten. Seit vier Wochen, mehr oder weniger offensichtlich. Draco wusste nicht, ob Weasley sich auch zwischen den Trainingseinheiten von Potter anhören musste, dass es alles kein Weltuntergang war, aber nach Weasleys schlechter Dauerlaune zu urteilen, nahm Draco es ganz stark an. Und ja, er verstand. Draco machte es auch keinen Spaß, hier zu sein. Er konnte sich bessere Dinge vorstellen, als zwischen Gryffindors und Auroren zu duschen, sich betrachten zu lassen, die Gerüchte und das Geschwätz ignorieren zu müssen. Er wollte nicht, dass sich seine Familie mit ausgerechnet den Weasleys paarte! Merlin, er mochte liberaler sein, als Lucius, er mochte seinen Sohn bedingungslos lieben und auf seiner Seite stehen, aber er blieb ein Malfoy, und die natürliche Abneigung gegen die Weasleys steckte, soweit es ihn betraf, tief verankert in seinen Wurzeln – und wusste Morgana, weshalb Scorpius immun gegen diese Abneigung war. Was Weasley fühlte – er fühlte es auch! Nur genoss er nicht den verdammten Luxus, es tagtäglich raushängen lassen zu können! Er hatte keine Frau, die es durchgehen ließ, keinen besten Freund, der die Scherben kittete! Würde er den Kontakt zu Scorpius einstellen, weil er sauer war, dann…- wäre er nicht besser, als Lucius es war. Und vielleicht war das eine Sache, die Ronald Weasley gefehlt hatte – ein Arschloch-Vater. Denn dann würde er nicht so verdammt rücksichtslos sein, seine Meinung und Gefühle über alles andere stellen, und sich abfinden, mit Dingen, die außerhalb seiner Handlungsmacht standen.

 

Dracos Kiefer war hart angespannt, während er und Weasley sich beäugten.

 

Draco griff nach seinem Hemd, zog es angespannt über und verschloss die Knöpfe, einen zorniger als den nächsten. „Was macht ihr gleich?“, warf Potter betont munter, wenn auch ein wenig befehlsgewohnt ein. Draco sagte nichts, aber Weasley war so freundlich zu antworten.

 

„Ich mache gar nichts“, bemerkte er eisig. „Aber Malfoy hier, trifft sich gleich mit meiner Frau“, schloss er kalt, und Dracos Blick hob sich wieder. Seine Mundwinkel sanken.

 

„Ich treffe mich nicht mit ihr“, knurrte er lediglich. „Wir-“

 

„-ihr arbeitet zusammen, ja. Verdammt passend“, bemerkte Weasley, und Draco konnte nicht fassen, dass Weasley ernsthaft eifersüchtig war!

 

„Du bist-“

 

„-was?“ Weasley unterbrach ihn schnell, und wieder starrten sie sich hasserfüllt an. „Was bin ich, Malfoy?“, wiederholte er herausfordernd, und Draco fielen erstaunlich viele Adjektive ein, aber er biss die Zähne zusammen. Enttäuscht hoben sich Weasleys Augenbrauen. „Was? Nichts auf Lager?“, reizte er ihn bitter. „Komm schon, ich weiß, dass du tausend Beleidigungen für mich im Hinterkopf hast.“ Und Weasley genoss sichtlich, dass Draco vorzog, zu schweigen.

 

„Ron“, sagte Potter schließlich erschöpft.

 

„Ja, Harry?“, erwiderte Weasley, ohne den Blick von ihm zu wenden.

 

„Du kannst nicht-“, begann Potter, und Draco wusste es zu schätzen, dass sich Potter in die Mitte begab, auch wenn er es nicht musste, aber Weasley schien seine Laune jetzt kundtun zu wollen. Die beiden übrigen Männer verabschiedeten sich eilig von Harry, und jetzt waren sie nur noch zu dritt.

 

„-sag mir nicht, was ich kann und was nicht, ok?“, fuhr Weasley seinen besten Freund an. „Sein Sohn schläft mit meiner Tochter, Harry!“, knurrte er zornig, und Dracos Fäuste spannten sich an. Potters Bick fiel seufzend. „Und woher weiß ich das? Weil dein Freund Malfoy sich zum gemütlichen Tee mit Hermine trifft, um die Beziehung unserer Kinder zu diskutieren!“

 

Scorpius hatte ihm geschrieben. Er schrieb mittlerweile öfters, länger, glücklicher. Er nannte Rose Weasley jetzt seine Freundin und wollte sie für Weihnachten einladen. Und ja, zwischendurch hatte er Hermine getroffen, für einen ihrer verbotenen Nachmittage in der Kantine und hatte ihr berichtet, was er wusste. Er hatte ihr auch gesagt, dass er annahm, dass sich physisch mehr zwischen Rose und Scorpius entwickelt haben musste, denn er hatte seinen Sohn an dem Abend dem Abend des Hochzeitstags gesehen. Wusste, wie er Rose ansah, und er ging einfach davon aus, dass sein Sohn nichts von Verzicht oder Anstand verstand. Er wusste es einfach. Das schrieb Scorpius natürlich nicht in seinen Briefen, aber Draco war nicht dämlich. Wenn Scorpius mit Dominique schlief, ging er davon aus, dass er bei Rose Weasley keine Ausnahme machte, und es war ein ohnmächtiges, falsches Gefühl. Und er wusste, dass Rose nicht mehr mit ihrem Vater sprach. Und umgekehrt.

 

„Und du bist genauso schuld!“, fuhr Weasley jetzt Potter an, was Draco überraschend fand. Potter ebenso.

 

„Was?“, entfuhr es Potter ungläubig.

 

„Du hast deinem Sohn erlaubt, mit Scorpius Malfoy befreundet zu sein! Du hast jede Grenze, jede nötige Distanz verwischen lassen! Du bist absolut nicht unschuldig daran, und das weißt du auch!“, fuhr er Potter zornig an, und dieser atmete wütend aus.

 

„Ron, ich verbiete meinem Sohn nicht, mit wem er befreundet sein kann. Scorpius ist höflich, zuvorkommend – er hat dir nie etwas getan!“

 

„Ja?“, knurrte Weasley. „Wir werden sehen, wie zuvorkommend er ist, wenn er fertig mit Rose ist, um sich die nächste in der Reihe zu nehmen. Wer bleibt noch, nach Dom und Rose? Richtig, Lily dürfte noch ins Schema passen. Und dann will ich sehen, wie ruhig du bleibst, Harry!“, schloss Weasley in tonloser Rage. „Und weißt du, es ist mir egal!“, brauste er schließlich auf. „Es ist mir egal, ob es der Sohn eines Todessers ist, ok?“ Dracos Mund öffnete sich, aber Weasley ignorierte ihn. „Es ist mir egal, ob es ein Malfoy ist“, ergänzte Weasley eindeutig. „Sein Sohn ist kein Gentleman, ganz einfach! Er arbeitet sich durch unsere Nichten, unsere Töchter, mit keinem bisschen Anstand! Er hat Albus benutzt, um in unsere Familie zu kommen – und das habe ich dir schon vor Jahren gesagt!“

 

„Denkst du das ernsthaft?“, entfuhr es Draco absolut ungläubig, die Stimme so laut wie Weasleys.

 

„Ja, Malfoy! Das denke ich ernsthaft! Was wäre besser für deine Familie, als euren Ruf reinzuwaschen und ausgerechnet mit uns anzubändeln? Nicht viel, oder? Dass dein Sohn den Verstand besessen hat und jetzt der beste Freund von einem Potter ist, war das Beste, was dir in deiner jämmerlichen Existenz hatte passieren können! Und glaub mir, die Ironie geht an mir nicht vorbei, dass jemand wie du, der Hermine aufs Schlimmste beleidigt hat, jetzt einen Sohn hat, der ausgerechnet mit meiner Tochter zusammen sein will!“

 

„Am besten hältst du deine-!“

 

„-Scorpius ist der einzige, der dafür sorgen kann, dass du eine angenehme Zukunft haben wirst! Dass du nicht verdammt bist, bei deinen Eltern zu sitzen, wo ihr in eurer Todesservergangenheit schwelgen könnt, bis ihr verreckt! Und ja, das hast du gut gemacht! Das streite ich nicht ab. Scorpius ist ein fähiger, kleiner Slytherin, der es gut versteht, die richtige Seite zu wählen – etwas, was du niemals geschafft hast!“, donnerte Weasleys Stimme ungnädig. „Aber es wird nicht halten, und das ist bedauerlich für dich. Und für deinen Sohn. Er ist untreu, wankelmütig – absolut nicht zuverlässig. Und hätte Albus einen stärkeren Charakter, würde er Dominiques Ehre verteidigt haben! Er würde nicht auf meine Tochter stehen und wegen dieser Fehler auch nicht den Kontakt zu deinem Sohn aufrechterhalten, damit sich beide besser fühlen, weil sie beide falsche Entscheidungen treffen.  Diese Freundschaft ist absolut toxisch, und wärst du nicht absolut besessen von der Idee, endlich die Seiten wechseln zu können, in unserer Familie als der gutherzige Witwer aufgenommen zu werden, und ausgerechnet meine Frau mit deinem fragwürdigen Charme zu beeindrucken, würdest du die Augen aufmachen und verhindern, dass dein Sohn das Herz meiner Tochter zerschmettern wird!“

 

Dracos Kiefer hatte sich gelockert, und auch Potter sagte überhaupt nichts mehr. Weasley nackte Brust hob und senkte sich sehr schnell. Draco konnte ihn nur anstarren. „Ich habe nichts gegen dich, Malfoy“, rang sich Weasley tonlos hab. „Ich habe speziell auch nicht wirklich etwas für dich übrig, aber du hast keine Tochter. Du verstehst nicht, wie es sich anfühlt. Es tut mir leid, dass du deine Frau verloren hast, und gut, dass dein Sohn nicht von Grund auf schlecht ist, wirklich. Aber ich kann meine Tochter nicht riskieren, wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass diese giftige Beziehung niemals halten wird. Hermine sieht es nicht, und vielleicht willst du es nicht wahrhaben, aber das kann nicht gut gehen. Und wenn du mir nicht einmal dieses Zugeständnis machen kannst, dann wird es niemals anders sein, als wie es jetzt gerade ist!“

 

Weasley atmete schwer aus, fuhr sich durch die nassen Haare, und Draco schloss blinzelnd die Augen. „Na los“, forderte Weasley ihn erschöpft auf. „Hermine wartet auf dich“, schloss er ernst, und Draco hatte eine Frage.

 

„Und wenn du dich irrst?“, wollte er wissen. „Wenn er sie nicht verlässt?“ Er wusste nicht, warum er fragte, warum es wichtig. Warum er selber die eigenartige Vorstellung hatte, dass sein Sohn mit sechzehn Jahren wusste, was er wollte. Denn Weasley hatte wohl mit vielem Recht – und dennoch wollte Draco es wissen, als wäre er ein dummes Mädchen, was es nicht besser wüsste.

 

„Dann… gut für ihn. Er bekommt das beste Mädchen, was es auf dieser Welt nur geben kann, denn sie ist Hermines Tochter. Ich denke nur nicht, dass es das Beste für sie ist. Tut mir leid“, entkam es Weasley tatsächlich, und Draco wusste darauf keine Antwort. „Und ich kann nicht unbefangen mit dir reden, mit dir Quidditch spielen, dich zum Grillen einladen, oder was Harry alles an ‚Dates‘ für uns geplant hat“, bemerkte er lakonisch, mit Blick auf den sehr schweigsamen Helden. „Es ist zu viel passiert, und du wirst niemals mehr für mich sein, als Draco Malfoy, der arrogante Slytherin, der mich Blutsverräter schimpft und meine Frau als Schlammblut beleidigt.“ Dracos Blick fiel, denn er konnte diese Vergangenheit nicht leugnen, konnte sie nicht abschütteln und hatte auch nie viel dafür getan, es zu ändern. „Und es hilft nicht, dass du deinem Vater zum Verwechseln ähnlich siehst“, ergänzte Weasley bitter, und Dracos Blick schnappte wieder hoch. „Und dass auch dein Sohn in diese Linie fällt.“ Es war die schlimmste Beleidigung.

 

„Scorpius ist Astoria“, behauptete er gereizt.

 

„In deinen Augen vielleicht“, bemerkte Weasley, und sie schrien nicht mehr. Es hatte sich in ein tragisches Gespräch gewandelt. „Aber in meinen Augen ist das alles eine finstere Zukunft“, räumte Weasley ein. Draco schulterte die Tasche, verabschiedete sich nicht, und wusste, er käme bestimmt eine Viertelstunde zu spät. Er machte Kehrt, ohne Potter noch mal anzusehen, und ehrlich gesagt wünschte er sich, Weasley hätte den Mund nicht aufgemacht, hätte weiter das passiv aggressive Spiel gespielt, denn was hatte Draco schon erwartet?

Er hatte keine Freundschaft erwartet, kein gutes Klima. Merlin, er wusste das alles. Er wusste, was Weasley dachte – Merlin, er sah es ähnlich, wenn er ehrlich war. Weasley hatte auch nicht mit allem Recht. Draco brauchte Weasleys Familie nicht, um sich besser zu fühlen. Er spielte keine Show, mimte keinen tragischen Witwer, der Anschluss suchte, wirklich nicht. Es mochte so aussehen. Scorpius mochte diesen Anschein vermitteln, aber Dracos Leben war angenehm, ohne jeden Weasley.

 

Und mit Glück lag Weasley richtig, und Scorpius würde sich langweilen. Und vielleicht war es so vorherbestimmt. Vielleicht hatte Scorpius keine andere Wahl, als eine bequeme Reinblüterverbindung einzugehen, damit er nicht konstant für die Fehler seiner Eltern und Großeltern büßen musste. Draco wollte das nicht für ihn. Und vielleicht war das einfach die bittere Wahrheit?

 

Und wahrscheinlich musste Scorpius sich nicht mal langweilen. Wahrscheinlich reichte es aus, dass Weasley so einen Druck auf seine eigene Tochter ausübte, sie mit Schweigen strafte, und ihr so klarmachte, wie dunkel und boshaft diese Zukunft sein würde, sollte sie in Erwägung ziehen, mit Scorpius zusammen zu bleiben. Er holte seinen Besen aus der Halle, nur um dann mit grimmiger Miene in den vierten Stock zu fahren.

Er hatte keine Lösung für das Problem. Er brauchte es nicht mal versuchen. Es stand einfach nicht in den Sternen für Scorpius. Und es tat ihm ehrlich leid.

 

 

 

Thirty-Nine

 

         Nach endlosen Überredungen hatte Ron die Garage verlassen und folgte ihr endlich zurück ins Haus. Hermine war gänzlich erschöpft von diesen verdammten Streitereien und Diskussion über die Familie Malfoy. Es war ermüdend, wirklich. Bevor sie die Haustür erreichten, um sich drinnen weiter anzuschreien, erschien eine Gestalt aus dem Nichts. Hermine wandte überrascht den Blick. Sie rechnete noch nicht mit Hugo und Rose, denn für gewöhnlich ließen sie sich Zeit, und sie glaubte nicht, dass es ausgerechnet heute anders wäre. Wenn Rose überhaupt auftauchte, dachte sie verzweifelt.

 

Eine Frau näherte sich, die Hermine äußerst selten sah. Unter dem langen schwarzen Mantel wippte ein eleganter grüner Rock in seidigen Falten, und ihre schulterlangen dunklen Haare trug sie in einer lockeren Frisur. Sie war stark geschminkt, und die Diamantohrringe blitzten im kühlen Licht des kalten Dezembertages. Es fehlte nur noch eine Leine, an der Pansy einen armen Hauselfen hinter sich herschleifen konnte, dann wäre das Reinblüterbild perfekt. Pansy stellte stets zur Schau, wie reich sie waren und zu welcher Gesellschaftsschicht sie gehörten. Ron neben ihr atmete hörbar aus, denn auch Pansy gehörte nicht zu seinen liebsten Gästen.

 

„Pansy“, begrüßte Hermine die Frau widerwillig freundlich. „Alles… in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig, aber sie nahm an, wenn Pansy MacLeod solche Längen ging und hier auftauchte, dann war gar nichts in Ordnung.

 

„Nicht direkt. Können wir reden? Drinnen?“, ergänzte sie mäßig unzufrieden, und es folgte keine Begrüßung, keine Floskeln, und Ron verzog den Mund. Er tauschte einen Blick mit ihr, und Hermine zuckte kaum merklich die Achseln. Sie betraten das Haus, und Hermine hatte das plötzliche Bedürfnis, sich für den Wäschekorb im Flur zu entschuldigen, aber Pansy ignorierte die Unordnung.

 

„Ich kann eine Kanne Tee aufsetzen?“, schlug Hermine vor, aber Pansy schüttelte den Kopf.

 

„Ich habe nicht viel Zeit, aber ich… denke, wir sollten reden.“ Hermine war dankbar, denn sie hatte gar keine Lust, Tee aufzusetzen.

 

„Geht… geht es um Rumer und Rose?“, wollte sie wissen, denn sie hatte keine Ahnung, was Pansy trieb. Ron hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sie schritten ins Wohnzimmer, wo sich Pansy den äußersten Platz am Esstisch aussuchte und nicht mal den Mantel auszog.

 

„Nein“, erwiderte Pansy schlicht. Und Hermine war ernsthaft überrascht. Sie hatte fast angenommen, es wäre eine Art Dreiecks-Fiasko zwischen Rumer, Rose und Scorpius. Es würde Sinn ergeben, in ihrem Kopf zumindest.

 

„Nicht?“ Es war Ron, der sprach.

 

„Nein“, wiederholte Pansy konsterniert. „Rumer liegt Zuhause im Bett und weint sich die Augen aus dem Kopf.“ Hermine und Ron tauschten wieder einen Blick. Pansy schien zu begreifen, dass sie beide keinen Schimmer hatten, wovon sie sprach. „Wegen eurem Sohn?“ Kurz schwiegen sie beide ehrlich entgeistert.

 

„Wegen… wegen Hugo?“, vergewisserte sich Ron äußerst ungläubig. „Aber… deine Tochter ist mit James Potter zusammen?“, entfuhr es Ron, fast mit Nachdruck, fast mit Sorge.

 

„Oh, diese kleine Phase scheint vorbei zu sein. Nein, Rumer sagte mir, sie hätte James verlassen, wegen… Hugo Weasley. Ist das nicht fantastisch?“, erkundigte sich Pansy bitter. Kein Hauch der Freude zierte ihr Gesicht. Hermines Mund hatte sich stumm geöffnet, und Ron wirkte einem Zusammenbruch sehr nahe. Oh ja, das musste für ihren Mann wirklich bitter sein, begriff Hermine dumpf.

 

„Und… Hugo will sie nicht?“ Hermine versuchte, nicht zu hoffnungsvoll zu klingen, denn auch sie begrüßte diese Entwicklung nicht wirklich. Pansy verzog den Mund.

 

„Anscheinend schon“, zerschoss sie pikiert Hermines Hoffnungen. „Allerdings…- nun“, druckste Pansy herum, „Booker und ich sind nicht begeistert. Offen gesagt…“ Sie tat sich schwer, und Hermine sank überfordert auf ihren Platz. Ron blieb stehen und legte lediglich die Hände um die Stuhllehne, vielleicht um sich abzustützen, bevor er noch ohnmächtig werden würde. „Hugo ist zu jung“, schloss sie mäßig diplomatisch. „Ich habe Rumer untersagt, ihn zu sehen. Und ich weiß, dass das sinnlos ist, es sei denn, ich bekomme da eure Unterstützung“, entfuhr es ihr eindeutig auffordernd. Hermines Blick hob sich zu Rons Gesicht, und blankes Entsetzen spiegelte sich darin. „Ich weiß, dass es zurzeit nicht einfach ist. Ich hörte, Scorpius Malfoy ist mit eurer Tochter zusammen? Natürlich ebenfalls eine unmögliche Verbindung“, ergänzte Pansy einigermaßen bitter.

 

„Unmöglich?“, wiederholte Hermine ein wenig verständnislos und erntete Rons Seitenblick. Es klang sehr übertrieben.

 

„Nun“, sagte Pansy wieder und atmete knapp aus, „aus offensichtlichen Gründen“, erklärte sie stiller.

 

„Die da wären?“ Hermine ließ es nicht auf sich beruhen, und Ron atmete müßig aus.

 

„Hermine“, begann er gereizt, aber Hermine hob die Hand.

 

„Nein, Ron. Lass Pansy erklären, warum unsere Tochter nicht gut genug für Scorpius Malfoy ist. Ich bin wirklich interessiert“, sagte sie mit einem Lächeln.

 

„Hermine, ich bitte dich“, sagte auch Pansy jetzt. „Ich meinte damit nicht-“

 

„-ich weiß, was du damit meinst, Pansy“, zischte Hermine gereizt. „Es wäre dir wahrscheinlich lieber, würde Rumer mit Scorpius zusammen sein, nicht wahr?“

 

„Es geht hierbei nicht ums Gold, Hermine.“

 

„Aber schon ein wenig, oder?“ Hermine verschränkte die Arme vor der Brust. „Es kann ja wohl nicht um den Blutstatus gehen?“, reizte sie Pansy ein wenig mehr, bis diese die Augen verdrehte.

 

„Vor allem geht es mir um Rumer. Ich meine, was für eine unangenehme Situation das jetzt ist! Sie macht sich zum Gespött, und natürlich kann sie dieses Jahr nicht zu euren Großeltern in den Fuchsbau!“

 

„Gespött?“, wiederholte Hermine entrüstet.

 

„Hermine-“, begann Ron wieder, aber ihr reichte es.

 

„-nein! Wenn du sie so reden lassen möchtest, bitte! Es reicht mir schon, diese ganze Malfoy-Sache stets und ständig mit dir diskutieren zu müssen! Aber ich lasse mir nicht vorwerfen, dass sich Rumer zum Gespött macht, sollte sie eine Beziehung mit meinem Sohn wünschen!“, fuhr Hermine ihn wütend an. „Ich nehme an, James war im Nachhinein doch eine angebrachtere Wahl, Pansy? Ein wenig scharf auf den Potter-Ruhm?“, warf sie ihr böse vor, und Pansys Mund öffnete sich empört.

 

„Das… das ist eine bodenlose Frechheit! Ich weiß, dass ihr sehr darauf bedacht seid, dass Rose die Beziehung zu Scorpius beendet. Draco hat darüber gesprochen. Ich begreife also nicht, wieso es bei Rumer anders sein soll! Wir wollen alle nicht, dass sich die Kinder auf diese Weise… mischen“, schloss Pansy, wohl in Ermangelung eines besseren Wortes.

 

„Natürlich wollen wir das nicht!“, mischte sich Ron schließlich ein, bevor Hermine sich hatte echauffieren können. „Aber was sollen wir dagegen ausrichten?“

 

„Ihr verbietet Hugo, Rumer zu sehen, ganz einfach.“

 

„Ron?“ Hermine wandte sich an ihn, sah ihn erwartungsvoll an, und ihr Mann schien doch sehr schnell zu begreifen, dass sich hier ein Ungleichgewicht entwickeln könnte. So wie er Rose behandelte, so musste er zwangsläufig Hugo behandeln. Es funktionierte anders nicht. Denn wenn Ron Hugo erlaubte, zu sehen, wen er für richtig hielt, dann… dann konnte es keine Doppelmoral geben.

 

„Hugo ist jung, er hat keine Ahnung, was er will, und noch ist hier kein Schaden eingetreten. Rumer wird traurig sein, aber letztendlich wird sie mir dafür danken, sie bewahrt zu haben, vor diesem massiven Fehler.“ Pansy versuchte scheinbar, vernünftig zu klingen. Und selbst Hermine sah, dass die Worte ‚massiver Fehler‘ auch in Rons Ohren nachzuhallen schienen, und dass er sie ganz und gar nicht in Ordnung fand. Selbst Pansy schien es zu merken. „Und bitte, ich hege keinen Groll. Natürlich können Rose und Rumer befreundet sein. Merlin, damit habe ich mich abgefunden, ich denke nur, dass es nicht zuträglich ist, für keine Familie, wenn man den hormonellen Neigungen der Kinder nachgibt“, gab sie zu bedenken. „Ich habe Rumers Wünschen nachgegeben, was James Potter anging, weil sie mich regelrecht belästigt hat. Aber man sieht, wohin solche Verbindungen führen. Zu gebrochenen Herzen, und zu nichts sonst. Rumer ist zu höherem bestimmt, und es soll nicht anmaßend klingen. Es wäre einfacher, für alle Beteiligten, wenn wir uns in der Gesellschaft bewegen, in die wir geboren worden sind, nicht wahr?“ Sie klang recht gnadenlos. „Es ist zu kompliziert. Merlin, und Booker und ich sind nicht mal die Malfoys!“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd. „Man muss die Kinder manchmal führen und lenken. Ich verlange keine unmögliche Aufgabe von euch“, fuhr sie beide an. „Verbietet Hugo einfach die Beziehung zu Rumer, lebt mit der Auflehnung, die nur von kurzer Dauer sein wird – und niemand nimmt bleibenden Schaden.“

 

Ron schien mäßig sprachlos zu sein. „Und was für eine Botschaft vermittelt ihr euren Kindern sonst?“, fuhr Pansy unbeeindruckt fort. „Die Verbindung zu den Malfoys ist verboten, aber die Verbindung zu uns ist erlaubt? Was soll Rose denken, wenn ihr Bruder alles darf?“ Und es war Hermines Punkt, oder so ähnlich zumindest.

 

„Die Verbindung zu den Malfoys ist nicht verboten“, sagte Hermine gereizt, aber Pansy winkte ab und erhob sich.

 

„Nenn es, wie du möchtest, aber ich weiß, ihr hofft auf ein schnelles Ende dieser unmöglichen Beziehung. Also lasst uns die höflichen Spiele sein lassen, und einfach ehrlich beschließen, dass die Beziehungen unserer Kinder eher früher als später zum Scheitern verurteilt sind, ja? Rumer hat die unwahrscheinliche Chance mit James Potter bekommen – es hat nicht funktioniert, und ich müsste wahnsinnig sein, sie noch einmal dasselbe Fiasko mit Hugo Weasley durchleben zu lassen! Ich bitte euch also ausdrücklich, redet auf Hugo ein und setzt diesem Theater ein Ende. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende, nicht wahr?“ Hermine hasste diese Worte. Sie hasste alles, was Pansy von sich gab.

 

„Wir reden mit Hugo“, lenkte Ron schließlich gepresst ein, und Hermine hatte von ihrem Mann letztendlich nichts anderes erwartet. Sie strafte ihn mit einem zornigen Blick.

 

„Ich danke euch. Frohe Weihnachten“, schloss Pansy. „Ich finde den Weg“, ergänzte sie kühl, verließ das Wohnzimmer und hinterließ nichts weiter, als die feine Note ihres teuren Parfüms. Ron hob träge den Blick zu ihrem Gesicht.

 

„Ich wünsche dir viel Spaß dabei, mit Hugo zu reden und ihm zu erklären, was für ein unglaubliches Arschloch du bist!“, entkam es ihr zitternd. Rons Mund öffnete sich perplex, Schock trat auf seine Züge. „Und ich bin sehr gespannt, wie du es erträgst, wenn keines deiner Kinder auch nur ein Wort mehr mit dir spricht!“

 

„Hermine-“

 

„-und wag es nicht, mit mir zu reden! Ich kann dein Gesicht heute absolut nicht mehr ertragen und werde abreisen, um den Abend bei meinen Eltern zu verbringen. Ich erwarte, dass du den Kindern Essen machst und auch sonst alles weitere erledigst, denn ich habe die Nase voll von deinen Launen, deinen Ansichten und deinem mangelnden Rückgrat!“, knurrte sie und zitterte vor Zorn. Seine Augen weiteten sich, aber sie wandte sich ab und verließ kochend mit zornigen Schritten ihr eigenes Wohnzimmer, um ihre Tasche zu packen.

 

Merlin, war sie wütend! Noch nie zuvor hatte sie das Bedürfnis verspürt, solche Schritte zu ergreifen, hatte Ehen immer bemitleidet, die in solchen Maßnahmen resultierten und hatte auch nie verstanden, dass Menschen Dinge nicht vernünftig ausdiskutierten, aber Hermine hatte das Ende ihrer Geduld erreicht. Sie hatte keine Lust, sich irgendwelche fadenscheinigen rassistischen Ausreden anzuhören, weshalb unschuldige Kinder nicht ein wenig Spaß haben durften! Wie konnte man so verbohrt und widerlich sein? Pansy und Ron trieben es auf die Spitze, und sie hoffte ernsthaft, dass Ron sich jetzt besser reflektieren konnte, wo er und Pansy doch so ähnliche Gedankengänge hatten! Scheiß Reinblüter!

 

Während sie wütend wahllose Kleidungsstücke in ihre Tasche warf, erkannte sie seine Gestalt im Türrahmen.

 

„Hermine, was soll das?“ Seine Stimme klang herablassend, fast nachsichtig, aber sie ahnte den Zorn, hörte ihn unterschwellig. „Du willst doch nicht ernsthaft gehen?“, vergewisserte er sich ungläubig, aber sie nickte ihrer Tasche zu.

 

„Ja. Sonst werde ich dich nämlich mit sämtlichen unangenehmen Flüchen belegen, die mir in den Sinn kommen, und das möchte ich vermeiden.“ Er lachte freudlos auf.

 

„All das wegen der Kinder? Wirklich?“, fuhr er sie an, und ihr Blick schoss nach oben.

 

„Nein. All das, weil du deine Wut nicht unter Kontrolle hast, verdammt noch mal!“, schrie sie außer sich.

 

„Ich?“, erwiderte er entsprechend spöttisch.

 

„Ja, du! Dass du es nicht gut sein lassen kannst! Dass du ernsthaft seit fünf Wochen nicht mehr mit deiner eigenen Tochter sprichst, weil sie Gefühle für einen Jungen hat, der dir nicht passt! Und wenn unser Haus mit Malfoys und Parkinsons überläuft, es ist verdammt noch mal egal!“, rief sie verzweifelt aus. „Komm drüber weg, Ronald!“ Er starrte sie fassungslos an.

 

„So einfach, wie du es dir machst, ist es nicht, Hermine! Verflucht noch mal, stell die Tasche ab!“, rief er zornig.

 

„Es ist verdammt einfach, Ron! Es ist so einfach, und du siehst es nicht mal! Hast du alles vergessen? Weswegen wir Krieg geführt? Weswegen alles furchtbar war? Dass Menschen wie Malfoy und Parkinson mich Schlammblut genannt haben?“ Und jetzt schien Ron auszurasten.

 

„Ja! Ja, eben deswegen, Hermine!“, schrie er.


„Ja, und genau deshalb ist es so verdammt wichtig, dass wir offen sind, dass wir Dinge nicht nachtragen, dass wir Menschen vergeben, die bereit dafür sind, Dinge zu verändern! Diese Kinder, diese Nachfahren dieser schrecklichen Generation, sind bereit, alles zu verändern, und du stellst dich dagegen mit deiner kleinbürgerlichen, scheiß rückständigen, reaktionären Meinung – und das ist genau der Grund, weshalb ich mich zur Ministerwahl habe aufstellen lassen! Um noch mehr gegen diese elenden Vorurteile zu arbeiten! Um sie abzuschaffen, aber ich schaffe es nicht mal in meiner eigenen Familie, nicht wahr? Ich schaffe nicht mal, dass mein Mann die Augen öffnet, und begreift, was selbst seine Kinder längst begriffen haben!“ Rons Schultern waren gesunken, und sein Mund hatte sich sanft geöffnet. „Und deshalb muss ich gehen“, schloss sie gepresst. „Denn sonst verlasse ich dich noch hier und heute, und das will ich nicht. Also gib mir diese Freiheit, Ronald“, fuhr sie ihn wütend an, und wie verbrannt wich er zur Seite, als sie das Zimmer verließ. „Du weißt, dass ich Recht habe, und ich habe dir deine Launen zu lange durchgehen lassen. Und das weißt du auch!“, zischte sie zornig in seine Richtung.

 

Er sagte gar nichts, aber sie spürte seinen Blick deutlich im Rücken.

 

Scheiße. Jetzt würde sie ernsthaft zu ihren Eltern verschwinden, und konnte sich sonst was für eine Ausrede ausdenken, die ihre Muggeleltern verstehen würden, denn bei Merlin, all das, was Hermine gerade erklärt hatte, ergab in dieser Welt Sinn, nur leider nicht in der Welt ihrer Eltern. Verdammte Scheiße.

 

Gott, sie hasste Ron dafür, dass er ihr das antat. Und sie hasste Rose und Hugo gleich mit. Einfach nur, weil sie gerade wütend auf ihre Familie war, die es ihr so verdammt schwer machte.

 

***

 

         Es war dunkel, als sie den Fuchsbau erreichten. Viel gesprochen hatten sie nicht, denn ihr Dad war so wütend, dass er überhaupt nicht mehr sprach. Nicht nur nicht mit ihr. Hugo bekam seinen Zorn ebenfalls ab. Mit gepackten Taschen standen sie vor der Tür, und irgendwann öffnete ihre besorgte Großmutter. Grannie Molly sah sie mitleidig an, und scheinbar hatte ihr Dad Bescheid gegeben, als sie ihre Taschen gepackt hatten.

Rose wusste nicht, was für einen Streit ihre Eltern hatten und wie ernst es wirklich war, sie wusste nur, es war ihre Schuld. Und wahrscheinlich Hugos.


„Kommt rein, kommt rein, meine Lieben“, rief Grannie Molly mit offenen Armen, drückte zunächst ihren ‚Goldschatz‘ Hugo an sich, bevor Rose geschnappt wurde. „Das wird alles wieder, keine Sorge“, flüsterte sie zuversichtlich. „Am besten bringt ihr eure Sachen hoch, und dann gibt es etwas Gutes zu essen für euch. Das wird euch ablenken.“ Hugo und Rose stiefelten die Treppe nach oben, während ihr Dad flüsternd mit Grannie Molly in der Küche verschwand.

 

Sie erreichten den zweiten Stock, und Rose und Hugo tauschten einen knappen Blick. Dann schlug Hugo den Weg zur mittleren Tür ein, stieß sie auf und wandte sich um. Rose folgte ihm, ohne Zögern. Es war das Zimmer der Zwillinge, und hier standen zwei Betten. Eines hatte Onkel George gehört und eines Onkel Fred, den sie nie hatten kennenlernen dürfen. Sie kannten Fotos, und er sah genauso aus wie Onkel George. Aber Grannie Molly erzählte nie zu viel von ihrem Sohn Fred, denn es schmerzte sie zu sehr.

 

Und heute würden sie und Hugo sich dieses Zimmer teilen, denn anscheinend wollte Hugo genauso wenig alleine sein, wie sie.

Sie waren angekommen und hatten geglaubt, dass ihre Eltern endlose Diskussionen mit ihnen führen wurden, aber stattdessen hatte ihr Vater auf sie gewartet, sie informiert, dass ihre Mum heute woanders schlafen würde und sie in den Fuchsbau gingen, denn er hatte absolut keine Lust, sich um das Essen zu kümmern. Viel mehr hatte er nicht gesagt. Aber viel mehr hatte er nicht sagen müssen, denn Rumer hatte nicht viel später eine Eule geschickt.

 

Sie und Hugo waren tatsächlich zusammen gekommen, und an diesem Tag hatten die Weihnachtsferien begonnen, und Rumer hatte geschworen, es sofort ihrer Mum zu sagen. Und das… war so ziemlich nach hinten losgegangen. Hugo war erschüttert gewesen, von Rumers Nachricht und dem Wunsch ihrer Mutter, dass sie Hugo am besten nie wieder sah, und dass Mrs MacLeod auch noch zu ihnen nach Hause gekommen war, um es deutlich zu machen. Und Rose wusste nicht, ob sich Hugo fühlte wie sie, aber sie nahm es an.

Sie hatten ihre Eltern auseinander gebracht. Sie und ihre Beziehungen. Ihre Mum war gegangen. Rose nahm an, sie war bei Grandpa und Grandma Granger. Das hoffte sie zumindest. Und sie hoffte, sie würde morgen wiederkommen. Denn… bald war Weihnachten. Rose hatte automatisch Onkel Freds Bett genommen. Sie wusste nicht, warum.

 

Im Dunkeln saßen sie jetzt auf den Betten, während draußen der Schnee in dichten Flocken zu fallen begonnen hatte. Dann wurden die Stimmen unten lauter, und sie hörten nicht nur ihren Dad und ihre Großmutter, sondern auch Grandpa Arthur schreien. Sie verstanden keines der Worte, aber irgendwann knallte die Haustür ins Schloss und Stille trat ein.

 

„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Rose in die Dunkelheit, denn ihr Bruder wusste alles. Hugo wusste jede Antwort auf jede Frage, kannte jede Lösung zu jedem Problem, aber unglücklich hatte er den Blick gehoben.

 

„Ich weiß es nicht“, murmelte er tonlos. Eine Träne rollte über Roses Wange, und Hugo erhob sich schwerfällig, um sich neben sie zu setzen. Er legte den Arm um sie, und Rose lehnte den Kopf an seinen Körper und schloss die Augen. Es war alles ihre Schuld. Sie wusste nicht, warum sie so fühlte, aber sie glaubte, hätte sie anders reagiert, hätte sie etwas anderes getan, dann wäre es alles gewesen.

Ihre Eltern stritten, weil sie mit Scorpius zusammen war.

Sie weinte nur heftiger, denn sie wollte Scorpius nicht aufgeben, aber… sie hatte das Gefühl, es wäre das einzig richtige, was sie tun konnte, um ihre Eltern wieder zusammenzubringen.

 

Aber… wie könnte sie? Sie liebte Scorpius. Sie liebte ihn so sehr.

 

 

 

Fourty

 

         „Worüber reden die?“, flüsterte Lily aufgeregt, aber Albus machte eine zornige Geste. Die verdammten Langziehohren reichten nicht bis in die Küche, und er konnte nur streckenweise verstehen, um was es ging. Onkel Ron war vorhin hier aufgetaucht, und – er hatte geweint!

Und das war erst mal alles gewesen. Ihre Mum hatte sie nach oben verscheucht, und jetzt waren die Erwachsenen in der Küche verbunkert.

 

„Tante Hermine ist abgehauen“, sagte Albus gereizt und versuchte, mehr zu verstehen.

 

„Was?“, entkam es Lily schockiert. „Weswegen? Wegen Rose?“, wollte sie wissen, und Albus‘ Kopf fuhr zu ihr herum.

 

„Keine Ahnung, red doch noch lauter, damit ich garantiert nichts hören kann!“, schnappte er wütend.


„Sorry“, murmelte sie gepresst. James war aufgestanden und lehnte sich weit über das Treppengeländer.

 

„Es hängt garantiert damit zusammen“, mutmaßte sein blöder Bruder jetzt, und Albus gab es auf, irgendetwas über das Ohr zu verstehen. Er zog an der langen Schnur, und das Ohr unten rollte sich wieder nach oben auf.

 

„Vielleicht hat er sie betrogen“, sagte Albus jetzt finster, aber seine Geschwister schenkten ihm einen ungläubigen Blick.

 

„Onkel Ron betrügt Tante Hermine nicht!“, behauptete Lily gereizt.

 

„Ach ja? Es passiert oft genug!“, sagte Albus jetzt.

 

„Ja? Bei wem?“, wollte James ungläubig von ihm wissen, und Albus verdrehte die Augen.

 

„Bei unserer Familie jetzt nicht, aber bei Außenstehenden passiert es! Bei den Zabinis“, nannte er das nächstbeste Beispiel, was ihm einfiel. Lily schüttelte den Kopf.

 

„Nein, es liegt an Scorpius. Deswegen ist Onkel Ron doch auch abgehauen von der Party!“

 

„Es trennt sich kein Ehepaar wegen Scorpius“, sagte Albus kopfschüttelnd, denn so wichtig konnte Scorpius nicht sein.

 

„Und was machen wir jetzt?“, wollte Lily wissen, und Albus sah sie an.

 

„Gar nichts. Was sollen wir machen?“

 

„Ja, aber – das geht doch nicht. Tante Hermine kann nicht einfach gehen. Bald ist Weihnachten!“, entfuhr es ihr schockiert.

 

„Was sollen wir dagegen machen? Ist nicht unsere Entscheidung.“

 

„Wir… wir müssen mit Onkel Ron reden!“, beharrte Lily jetzt, und Albus lachte leise auf.

 

„Bist du wahnsinnig? Der reißt uns den Kopf ab! Wahrscheinlich gibt er uns auch noch die Schuld – und mich kann er sowieso nicht leiden!“, ergänzte er hastig, während James den Kopf schüttelte.

 

„Ich versuche, die beiden über Floh zu erreichen“, sagte er schließlich.

 

„Der einzige offene Kamin ist im Wohnzimmer!“, entfuhr es Lily mit weiten Augen.

 

„Das weiß ich“, erwiderte James gereizt. „Ihr müsst Schmiere stehen, gute Weasleys sein“, ergänzte er mahnend.

 

„James, wenn die aus der Küche kommen und sehen, dass wir mit Rose und Hugo reden-“, begann Albus warnend, aber James unterbrach ihn rigoros.

 

„-dann was? Dann streichen sie auch noch Lilys und meine Geschenke? Und wenn schon! Wir haben ein Recht zu wissen, was passiert. Das ist auch unsere Familie.“ Albus kaute auf seiner Lippe. „Was ist? Auf einmal feige geworden?“, wollte James ungläubig von ihm wissen, und Albus atmete wütend aus.


„Nein!“, behauptete er bitter.


„Gut. Dann setz dich in Bewegung. Keine Ahnung, wie lange die noch in der Küche bleiben“, sagte James, und die drei Geschwister schlichen die Treppe runter, übersprangen alle die knarrende Stufe, und das Wohnzimmer war nur eine Tür von der Küche entfernt.

 

„Ok“, flüsterte Albus, als James das Pulver in die Flammen geworfen hatte und auf die Knie ging. „Wenn die Tür aufgeht, reiß ich dich zurück, und dann rennen wir!“, warnte er James, und dieser verdrehte die Augen.

 

„Ja, ja, meinetwegen“, erwiderte er, sagte die Adresse des Fuchsbaus und verschwand mit dem Kopf in den Flammen.

 

Lily rieb nervös ihre Hände, aber sie blieb direkt neben ihm stehen, betrachtete lauernd die Tür, ehe sie näher schlich.


„Lily!“, zischte Albus, aber Lily winkte ab.

 

„Ich gehe näher“, flüsterte sie. „Dann höre ich, worüber sie reden, und ob sie aufstehen!“, ergänzte sie, und ihr Mut war beachtlich, dachte Albus dumpf. Dann hörte er James unterdrückte Stimme sprechen. Scheinbar war er im Fuchsbau durchgekommen. Albus war mehr als angespannt. Er hatte die letzten Wochen keinen Ärger mehr bekommen, und es war ganz nett, einfach mal keine Probleme zu haben. Aber heute Abend hatte die ruhige Zeit wohl ein Ende gefunden. Und er redete viel und machte sich lustig, aber tatsächlich hatte er echte Sorge. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Tante Hermine Onkel Ron wirklich verlassen würde. Er wollte es sich auch nicht vorstellen.

 

Die Zeit verging, und Lily hatte mittlerweile das Ohr gegen die Küchentür gepresst. Sein Atem ging flach, aber es schien alles zu funktionieren. Die Erwachsenen blieben in der Küche, und James Stimme sprach angeregt dumpf durch die Flammen.

 

Die Standuhr tickte laut, aber Albus hatte kein Zeitgefühl. Es waren Minuten vergangen, aber wie viele konnte er nicht schätzen. Plötzlich stieß sich seine Schwester mit gehetztem Ausdruck ab. Sofort reagierte Albus, drehte sich um und zerrte James an den Schultern zurück. Mit einem überraschten Laut plumpste James nach hinten.

 

„Sie kommen!“, raunte Albus panisch, und James kam auf die Beine. Zu spät hatten sie sich in Bewegung gesetzt, und die Stimme seines Vaters hielt sie auf.

 

„Was treibt ihr hier?“, wollte er wütend wissen. „Wir hatten euch nach oben geschickt! Wieso könnt ihr nicht ein einziges Mal hören, wenn euch was befohlen wird, Merlin noch mal!“, fuhr er sie an. Lily hatte schuldbewusst den Kopf gesenkt, aber sie sprach trotzdem.


„Weil… weil wir uns Sorgen machen, Dad“, sagte sie beschämt, und sein Vater atmete lange aus.


„Das müsst ihr nicht, ok?“, erwiderte er bloß. „Es… wird schon alles wieder gut.“

 

„Was ist mit Onkel Ron?“, mischte sich James jetzt ein. „Wieso ist er vom Fuchsbau weggegangen?“, wollte er wissen, und der Blick seines Vaters fiel kurz auf den flackernden Kamin hinter ihnen.

 

„Mit wem habt ihr gesprochen?“, wollte er gereizt wissen.

 

„Mit – niemandem“, erwiderte James hastig, aber sein Dad sah ihn eindeutig an. „Mit Hugo“, schloss James dann lahm. Sein Dad seufzte auf.

 

„Es… ist kompliziert, ok? Aber Grannie Molly und Grandpa Arthur sind da. Rose und Hugo sind nicht alleine. Und… Ron wird… heute hier bleiben. Keine Fragen, es wird nicht mehr gelauscht – es geht euch nichts an! Und wenn ich sage, es wird alles wieder gut – dann wird alles wieder gut. Und jetzt ab nach oben! Es ist spät, ich will euch nicht mehr hier unten sehen, verstanden?“ Seine Stimme ließ keine Widerworte zu, und schließlich nickten sie alle, mehr oder weniger widerwillig. „Ok. Dann los. Ich kontrolliere gleich!“, warnte er sie, schritt zum Weinregal und zog eine der Flaschen aus dem Regal. Die Geschwister tauschten einen Blick. Es wurde getrunken. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Nicht heute zumindest.

 

 

 

 

 

         „Ich weiß was!“, entfuhr es Lily schließlich, und sie schraken zusammen. Es war weit nach Mitternacht, und ihr Dad hatte schon zweimal kontrolliert, ob sie schliefen. Aber immer wieder hatten sich Lily und Al wieder in sein Zimmer geschlichen. Al ruckte aus seinem Dämmerschlaf.


„Mh – was?“, machte er erschrocken, und James wartete, was seine Schwester zu verkünden hatte.

 

„James, du müsstest apparieren“, sagte sie eindringlich, und er runzelte die Stirn. „Das ganze Problem liegt einfach nur darin, dass keiner mit keinem spricht“, faselte seine Schwester, aber sie war hellwach.

 

„Das Problem liegt darin, dass Onkel Ron blöd ist“, murrte Albus gähnend, aber Lily fuhr ihm über den Mund.


„Quatsch! Onkel Ron ist unser Pate, und der beste Pate der Welt, ok? Und er hat Stress mit Scorpius‘ Vater und Rumers Mum. Und deshalb müssen Scorpius und Rumer mit ihm reden“, schloss sie, als wäre es simpel.

 

„Äh – du erinnerst dich an den Hochzeitstag? Ich dachte, er reißt Scorpius den Kopf ab!“, mischte sich Albus kopfschüttelnd ein.

 

„Ja, ja. Die Situation war scheiße“, räumte sie ein.

 

„Lily-“


„-nein, ich meine das ernst! James, du holst Scorpius ab, bringst sie zu Onkel Ron nach Hause, und dann holst du Rumer und bringst sie auch dorthin.“ James sah seine Schwester zweifelnd an.

 

„Nein, danke“, sagte er kopfschüttelnd. „Weißt du, was für enormen Ärger wir kriegen?“

 

„Wenn wir Onkel Ron und Tante Hermine wieder zusammen bringen? Nein? Dann kriegen wir doppelt und dreifach Geschenke.“

 

„Und dann was?“, wollte Albus mittlerweile wacher wissen. „Er holt sie, und dann was?“

 

„Dann erzähle ich Onkel Ron irgendeine Geschichte, dass er dringend nach Hause muss – und dann stehen Rumer und Scorpius vor seiner Tür. Alleine, mitten in der Nacht.“

 

„Wow“, schloss James kopfschüttelnd.


„Und dann reden sie“, erklärte Lily, als wäre es eindeutig.


„Ja, oder, was wesentlich wahrscheinlicher ist – Onkel Ron ruft Scorpius‘ Dad über Floh und Rumers Mum, und dann gibt es erst richtig Ärger.“

 

„Nein, Rumer und Scorpius müssen natürlich gut argumentieren. Onkel Ron ist nicht böse. Er versteht es nur nicht. Rumer und Scorpius sind fabelhafte Menschen!“, sagte sie gereizt.


„Es geht so“, bemerkte James bissig, aber Lily sah ihn eindeutig an.

 

„Sei doch einfach mal ein Potter und komm drüber weg, James“, beleidigte sie ihn entnervt, und er öffnete empört den Mund.


„Hey, ich soll diese ganzen Leute abholen und wegbringen, ok? Also vielleicht überlegst du dir besser, wie du mit mir sprichst!“ Aber Lily schien nicht beeindruckt von seinen Worten.

 

„Und wie sollen wir das organisieren?“, mischte sich Al zweifelnd ein

 

„Ich rufe bei Rumer durch – ich bin sicher, sie ist noch wach“, erwiderte Lily, „und… Scorpius – keine Ahnung.“

 

„Zu gefährlich. Ich gehe mit James. Ich kenne das lose Dielenbrett, wo Scorpius den Ersatzschlüssel versteckt. Du kümmerst dich um Onkel Ron“, schloss Albus grimmig, und James konnte nicht fassen, dass seine Geschwister ernsthaft annahmen, dass das klappen sollte.

 

„Ok“, willigte Lily nickend ein. James schüttelte bloß den Kopf.


„Es ist spät, es ist gefährlich. Und wir-“

 

„-komm schon, James!“, fuhr sogar Albus ihn an. „Das ist unsere Familie. Wer soll sich um Rose und Hugo kümmern, wenn nicht wir Potters? Irgendwer muss doch vernünftig sein!“

 

„Vernünftig? Oh, das ist also die vernünftige Entscheidung?“, wollte James kopfschüttelnd wissen.

 

„Du wärst unser Held, James“, sagte Lily nun einschmeichelnd, und James verdrehte die Augen.

 

„Die ganzen Sommerferien über bekomme ich euer Taschengeld“, forderte er knapp. Albus‘ Mund klappte auf.

 

„Nicht sonderlich heldenhaft, James“, beschwerte er sich, aber James zuckte die Achseln.

 

„Das ist der Preis, wenn ich meine Exfreundin abholen soll, damit alles rund läuft, in ihrer neuen blöden Beziehung“, meckerte er trotzig, und Albus und Lily tauschten einen Blick.


„Fein. Den ganzen Sommer lang, du Arsch“, knurrte Albus. „Jetzt zieh dich an. Es wird immer später.“

 

„Ich kann nicht fassen, dass wir das machen“, murmelte James lediglich, als er in seine Hose stieg.

 

Dann ging alles ziemlich schnell. Sie apparierten zuerst zu Scorpius‘ Haus. Alles war dunkel, wie sie antizipiert hatten. James wartete im Gebüsch, beobachtete Al, der auf der Veranda im Dunkeln tastete, bis er das Brett gefunden hatte, und tatsächlich öffnete er nur wenige Sekunden später die Haustür, ohne ein Geräusch. Dann war er im Innern verschwunden, und James wusste, ging nur eine Kleinigkeit schief, rakte Albus nur eine Lampe um, wäre Mr. Malfoy wach, und dann gäbe es Ärger. Und James hoffte doch so dringend auf den Praktikumsplatz, den Mr. Malfoy ihm besorgen würde. Er hatte es seinem Dad noch nicht gesagt und auch Mr. Malfoy per Brief gebeten, es vor seinem Dad geheim zu halten, und jetzt hatte er die Zusage bekommen, auf ein bezahltes Praktikum in den Osterferien. Mr. Malfoy hatte ihm gesagt, dass nichts dagegen sprechen würde, in der Abteilung übernommen zu werden, wenn er seine Utze abschloss.

 

Und jetzt hing alles davon ab, dass Albus keinen Mist veranstaltete und einfach schaffte, unentdeckt zu bleiben. Aber sein Bruder war ein Slytherin, und tauchte fünf Minuten später wieder auf. Mit Scorpius im Schlepptau. Unfassbar, dass sich die Leute darauf einließen! James glaubte nicht daran, dass sein Onkel Ron ein solcher Gutmensch war. Er kannte ihn. Und er wusste, er hasste die Malfoys innig.

 

Sie schlichen zu ihm. Scorpius wirkte aufgewühlt, und nicht so, als hätte er geschlafen.

 

„Hey“, begrüßte James ihn flüsternd.

 

„Hey“, erwiderte Scorpius etwas außer Atem.

 

„Bring ihn zum Haus“, verlangte Al mit weiten Augen, und James ergriff Scorpius‘ Arm. Er würde nicht gerne in seinen Schuhen stecken wollen.

 

„Bereit?“, fragte er den blassen Jungen, und Scorpius ruckte mit dem Kopf. Gut genug für ihn. Dann verschwanden sie in der Nacht.

 

James war etwas außer Atem, als er letztendlich alleine vor Rumers Haus ankam. Es war größer als das von Scorpius, und er war erst einmal hier gewesen. Letzten Monat, als er Rumer zur Feier abgeholt hatte. Er hatte Albus wieder Zuhause abgesetzt, hatte gesagt, sie müssten nicht beide auffliegen. Und dann ging er zu den Eingangstoren und schob sie schwerfällig auf. Sie waren nicht verschlossen, und er war dankbar dafür. Vor ihm erstreckte sich die Auffahrt, aber er bog in den weiten Garten ab. Er wusste, hier stand eine Hütte, in der Rumer einen Ersatzbesen hatte. Ihre Mutter hatte ihr verboten, den Besen im Haus zu haben, und James hoffte einfach, dass auch diese Hütte nicht verschlossen war. Er fand schnell, was er suchte, rüttelte an der Brettertür, aber sie gab nicht nach.

 

Mist. Musste er wohl oder übel doch einbrechen. Mit dem Alohomora gab die Tür nach, und er leuchtete den Lumos in die schmale Hütte. Mit Besorgnis stellte er fest, dass Rumers Vater anscheinend Interesse an magischer Großwildjagd hatte, denn es häuften sich einige massive Felle in einer Ecke sowie ein hässlicher Kopf eines monströsen Büffelgrasochsen. Dann erkannte er, was er suchte an der Wand. Er griff sich den alten Besen. Er würde für seine Zwecke ausreichen. James verschloss die Hütte wieder und bestieg den Besen.

 

Lautlos stieg er in die Luft. Das riesige Haus besaß bestimmt zwanzig Zimmer. Er wusste nur, Rumers Zimmer war im ersten Stock, und sein Atem kondensierte in der höheren Luft. Er umflog die Westseite, hielt vor einem offenen Fenster und wich hastig in der Luft zurück, als er eine Gestalt im Innern erkannte, die garantiert nicht Rumer war. Anscheinend kam Rumers Vater gerade aus dem Badezimmer zurück, und hastig stieg James höher, bis er außer Sicht war. Er wechselte die Hausseite Garantiert lag Rumers Zimmer nicht auf dem Flur des Schlafzimmers ihrer Eltern. Die Südseite hatte einen vielversprechenden Balkon, auf dem er landete. Er linste durch den schmalen Spalt zwischen den Vorhängen, und Lily hatte Unrecht. Niemand war wach. Es war stockdunkel im Zimmer, aber James schöpfte Mut, als er den Gryffindorbanner schwach an der Wand gegenüber erkannte. Es war das richtige Zimmer. Sanft klopfte er gegen die Scheibe. Solange, bis endlich das Licht im Innern entfacht wurde.

 

Die Vorhänge wurden zur Seite gezogen, und Rumers Augen brauchten eine Sekunde, ehe sie ihn in der Dunkelheit erkannten. Erschrocken wich sie zurück, bevor sie begriff, wer er war, und hastig die die Flügeltüren öffnete.


„James?“, entkam es ihr ungläubig, und ihr Blick fiel auf ihren Besen in seiner Hand.

 

„Hey“, begrüßte er sie und musste schlucken. Sie trug ihre Trainingsklamotten, hatte darin wohl geschlafen. Ihre Augen waren gerötet. Sie hatte geweint, und er fragte sich unwillkürlich, ob sie auch für ihn die Tränen vergoss. Er glaubte es nicht. Und es tat tatsächlich weh, egal, ob er sich geschworen hatte, Hugo und Rumer nicht böse zu sein. Er war es doch. Er mochte nicht, zu denken, besser als Hugo zu sein, und er tat es trotzdem. Er war kein Held.

 

„Was…?“, begann sie, aber er atmete tief ein.

 

„Onkel Ron ist bei uns, und… Tante Hermine ist nicht mehr da – und wir…- Lily hatte den Plan, dass du und Scorpius mit Onkel Ron reden müsst, weil… alles nur daran liegt, dass keiner mit keinem redet.“ Und jetzt, wo er es wiederholte, klang der Plan… lahm. Rumer blinzelte verblüfft.

 

„Was?“, wiederholte sie verwirrt, und James fuhr sich durch die Haare, nachdem er ihren Besen gegen den Balkon gelehnt hatte.

 

„Scorpius ist vor Roses Haus und wartet auf dich. Dort würde ich dich hinbringen, sofern du… überhaupt alles für Hugo riskieren willst“, räumte er bitter ein, und sah, dass sie fröstelte. „Darf ich… rein?“, erkundigte er sich bloß, und schließlich wich sie zur Seite und ließ ihn rein. Er rieb sich die kalten Hände.

 

„Du… hast Scorpius abgeholt und… jetzt willst du mich abholen, damit wir Mr. Weasley überzeugen können, dass… wir mit seinen Kindern zusammen sein können?“

 

„Ja, so ziemlich“, bestätigte er.

 

„James“, begann sie mitfühlend, aber er winkte ab.

 

„Familie kommt zuerst, und… ich will nicht, dass meine Paten sich trennen, weil… sie nicht wissen, wie großartig du eigentlich bist.“ Er war erbärmlich. Manchmal beneidete er Albus um seine Coolness. Albus hätte ein Mädchen wie Rumer halten können, nahm er bitter an. Dann wiederum – stand Albus auf andere Dinge.

 

„Wow“, flüsterte sie.

 

„Hugo also?“, vergewisserte er sich, vielleicht mit ein klein wenig Hoffnung, und beschämt fiel ihr Blick.

 

„Es… tut mir wirklich leid.“ Sie sagte es schon wieder. Als sie ihn abserviert hatte, hatte sie sich tausendmal bei ihm entschuldigt, ihm allerdings nicht gesagt, dass es um Hugo ging.

 

„Vergiss es“, murmelte er bloß. Was dachte er? Dass er hier hinkam, wegen Hugo, aber vielleicht doch noch Chancen bei ihr hatte? Leider funktionierte es so nicht. Und Hugo war auch noch zwei Jahre jünger als er. Gerne würde er sie fragen, was genau dieser unscheinbare, nervtötende Weasley an sich hatte, aber, wenn er ehrlich war, wollte er es gar nicht so genau wissen. „Also…?“ Er sah sie abwartend an.

 

„Ich ziehe mich an“, sagte sie, mit einem Mal wach.

 

„Äh, ich… warte auf dem Balkon“, erwiderte er und verschwand wieder nach draußen. Mehr als einmal wollte er sich umdrehen, und vielleicht einen Blick auf sie erhaschen, aber er zwang sich, kein Arsch zu sein. So schwer das auch war.

 

Dann kam sie nach draußen und verschloss ihre Jacke. „Denkst du, das klappt?“, wollte sie besorgt wissen, als er ihren Arm sanft unter seinen hakte.

 

„Sag du es mir“, erwiderte er und sah ihr tief in die Augen, zog alle Register seines Potter-Charmes. Sie schien es nicht mal zu merken und kaute abwesend auf ihrer Lippe.


„Für Hugo muss ich es versuchen“, flüsterte sie traurig, und James blies besiegt die Luft aus.

 

„Für Hugo“, murmelte er bitter. Dann apparierten sie in die Nacht.

 

Er hatte Rumer abgesetzt, und jetzt warteten sie und Scorpius nervös auf das, was kommen würde. James war endlich wieder Zuhause gelandet, und Lily wartete bereits an der Tür.

 

„Alles geklappt?“, wisperte sie, und James nickte erschöpft.


„Ja“, bestätigte er still.

 

„Ok, das ist der Plan“, fuhr sie fort. „Ich wecke Onkel Ron, sage, dass Hugo über Floh angerufen hat, und dass Rose abgehauen ist“, begann sie, und James‘ Mund öffnete sich. „Und dann vermute ich, dass sie denkt, Tante Hermine wäre wieder Zuhause, und dass er dorthin apparieren muss!“

 

„Denkst du, das kauft er dir ab?“, wollte James unsicher wissen, aber Lily zuckte die Achseln.

 

„Das muss er. Ansonsten… ansonsten überlege ich mir was“, murmelte sie. „Also, verschwinde. Ich gehe rein“, verkündete sie, und James schlich die Treppe hoch, während Lily den Flur entlang zum Gästezimmer lief. Oben traf er auf Albus, der sich vors Treppengeländer gekauert hatte und lauschte.

 

Sie hörten, wie Lily klopfte, und auch James duckte sich runter zu Albus.

 

Dann hörten sie ihre aufgelöste Stimme. Sie erzählte die Geschichte so, wie sie James gesagt hatte. Es folgte ein kurzes Gespräch, was sie nicht verstehen konnte, dann wieder Lilys gequälte Stimme, wie sie davon sprach, Rose schlecht behandelt zu haben, dass es alles ihre Schuld war, und dass sie nicht mit sich leben könnte, würde Tante Hermine nicht wiederkommen, und dass Rose bestimmt etwas Dummes anstellen würde, wenn sie vor dem leeren Haus stand, wo niemand war, wo sie doch so schlecht apparieren konnte.

 

Erfolgreich hielt Lily Onkel Ron davon ab, im Fuchsbau Bescheid zu geben, oder ihre Eltern zu wecken. Lily redete solange auf ihn ein, versprach, ihren Eltern zu sagen, wo er war, bis Onkel Ron hastig in seine Jacke stieg und die Haustür aufzog.

 

Und kaum war die Tür ins Schloss gefallen, entflammte das Licht unten im Flur.

 

„Was genau veranstaltet hier, mitten in der Nacht?“, wollte ihre Mum gänzlich gereizt wissen, und Lily war erschrocken zusammen gefahren. „War das Ron? Ist er gegangen? Was er hat gesagt?“, wollte sie von Lily wissen, und James erhob sich hastig.

 

„Er… wollte zurück in den Fuchsbau, weil… er Rose und Hugo nicht länger alleine lassen wollte.“ Seine Mum hob verwirrt den Blick nach oben zum Geländer, und auch Albus kam auf die Beine.

 

„Was?“, sagte sie entgeistert.

 

„Lily hat ihm gesagt, dass es wichtig wäre, mit seinen Kindern zu sprechen und ihnen zu vertrauen, und er wollte zurück“, bestätigte Albus seine Geschichte, und seine Mum sah Lily an.

 

„Stimmt das?“, entfuhr es ihr äußerst ungläubig, und Lily nickte stumm, bevor sie so waschechte Tränen weinte, wie nur ihre Schwester es konnte. „Oh, meine Kleine, nicht weinen“, rief ihre Mum sofort aus, und Albus streckte ihm unauffällig die flache Hand entgegen. Blind schlug James leise ein – und verdammt, sie waren ein schrecklich gutes Team.

 

Blieb nur noch zu hoffen, dass Scorpius und Rumer sich nicht dumm anstellten.

 

 

 

Fourty-One

 

         Es waren zehn Minuten vergangen, und Scorpius blies sich warme Luft in die gefalteten Hände. Auch Rumer fror neben ihm in ihrer dünnen Jacke.

„Hat James versucht, bei dir zu landen?“, wollte Scorpius still von ihr wissen, und Rumer schoss ihm einen wütenden Blick zu, aber er hatte das dringende Bedürfnis, die Situation aufzulockern, sonst würde er sich übergeben.

 

„Witzig, Scor“, gab sie genervt zurück. Er nahm an, das bedeutete Ja. Sie war schrecklich nervös. So wie er. Nur hoffte er, ihm sah man es nicht so deutlich an, wie Rumer.

 

„Hast du Angst vor ihm?“, wollte er ernsthaft wissen, und Rumer zuckte die Achseln.

 

„Vor Mr. Weasley?“, vergewisserte sie sich leise. „Immer ein bisschen“, räumte sie schließlich ein. „Du?“ Scorpius hatte verdammte Panik. Das letzte Mal hatte er geglaubt, Mr. Weasley würde ihn erwürgen. Und dieses Mal…- wer wusste, was passieren würde, wo Rose nicht da war, um sich dazwischen zu stellen…?

 

„Hab meinen Zauberstab dabei“, erwiderte er lediglich, auch wenn das keine direkte Antwort war. Rumer sah ihn mit großen Augen an.

 

„Er ist Auror“, informierte sie ihn, als wisse es Scorpius nicht. Merlin, er wusste das! Er würde den Zauberstab vor Nervosität wahrscheinlich nicht mal halten können, käme es zum Äußersten.

 

„Wenn… wenn er mich erwürgt, kann ich mich wehren“, entkam es ihm tonlos, und offen gesagt glaubte er, nicht mal dann könne er sich wirklich wehren. Seiner Stimme fehlte jede Überzeugung.

 

„Er wird dich nicht erwürgen“, murmelte sie, klang aber nicht gänzlich überzeugt.

 

„Wir können uns darauf einigen, dass du es leichter haben wirst“, beschloss Scorpius bitter.


„Und warum das bitteschön?“, entfuhr es Rumer gereizt, aber Scorpius schenkte ihr einen eindeutigen Blick.

 

„Du bist ein Mädchen, du gehst nach Gryffindor, du bist Roses beste Freundin, und du hast keinen Schwanz“, schloss er finster, und Rumers Mund schloss sich knapp.

 

„Er hasst meine Mum, wie er deinen Dad hasst, ok?“ Scorpius wusste, sein Dad war Rumers Patenonkel. Und langsam stiegen Zweifel in ihm auf, ob das wirklich der beste Schlachtplan war, ob sie wirklich auf die Potters hören konnten – denn Mr. Weasley war deren Patenonkel, nicht ihrer. Immer wieder waren Scorpius in den letzten Wochen massive Zweifel gekommen.

„Wüsste Hugo, was wir hier tun, würde er uns Vollidioten schimpfen“, murmelte sie, fast mit einem Lächeln.

 

„Jaah. Aber… das würde er so oder so“, schloss Scorpius nickend.

 

„Er hätte das niemals zugelassen“, fuhr Rumer versonnen fort.

 

„Ja, ich glaube auch, Rose hätte eher mit mir Schluss gemacht, als erlaubt, dass ich mich in solche Gefahr begebe.“ Er wusste, es bestand durchaus die Gefahr, dass Mr. Weasley ihn verfluchen würde. Er war sich absolut sicher.

 

„Weißt du, ich… denke, es könnte helfen, mit ihm zu reden. Wirklich“, beteuerte Rumer.

 

„Ich glaube, wir handeln überstürzt“, sagte Scorpius kopfschüttelnd, aber Rumer widersprach.

 

„Nein, Scorpius. Jetzt ist der Zeitpunkt richtig. Mr. Weasley ist verletzlich, seine Frau ist nicht da, er ist müde und verzweifelt“, schloss sie düster.

 

„Sicher, dass die erste Wahl des Hutes Gryffindor gewesen ist?“, wollte er mit gerunzelter Stirn von ihr wissen, und tatsächlich schenkte Rumer ihm ein schmales Lächeln.

 

„Nein“, bestätigte sie seine Vermutung. „Es war nicht mal seine zweite Wahl.“ Scorpius‘ Mund öffnete sich. „Aber nach den all Geschichten, die meine Mutter über das schreckliche Haus Gryffindor erzählt hatte – gab es für mich keine andere Wahl, als das.“

 

„Dann… hast du ihr nicht richtig zugehört?“, vermutete Scorpius mit einem feinen Lächeln, aber Rumer zuckte die Achseln.


„Oh doch. Waghalsige, idiotische Helden, die Mut nicht von Leichtsinnigkeit unterscheiden können. Arrogante Gutmenschen, die Kriege nicht durch Strategie, sondern ein gutes Herz meistern, doch. Ich habe zugehört“, schloss sie zufrieden.

 

„Wow. Was war die zweite Wahl?“, wollte er interessehalber wissen.

 

„Ravenclaw“, sagte sie achselzuckend.

 

„Verdammt, Rumer. Du hättest zu den Klügsten gehen können und hast dich für die Wahnsinnigen entschieden“, bemerkte er kopfschüttelnd.

 

„Tja, hab ich kein Problem mit.“

 

Still hingen sie ihren Gedanken nach, und als er fast vergessen hatte, warum sie vor dem Haus der Weasleys standen, apparierte eine Gestalt in der Nacht, und beide zuckten zusammen. Mr. Weasley war mit der jahrelangen Präzision und Übung eines Aurors gelandet, die Scorpius unbewusst direkt beneidete, und näherte sich ihnen mit schnellen Schritten, bevor er verblüfft innehielt, als er sie erkannte. Sein Mund hatte sich geöffnet, und perplex starrte er ihnen entgegen.

Sein Gesicht war blass, Scorpius erkannte so viel, und langsam schloss er den Abstand.

 

„Was… was tut ihr hier?“, entkam es dem Mann vor ihnen entgeistert, und sehr schnell stellte Scorpius fest, dass er größer war, als in seiner angstvollen Erinnerung. „Wo… wo ist Rose?“ Die Frage galt ihm, aber Rumer antwortete.


„Mr. Weasley, Rose ist im Fuchsbau“, begann sie, aber Mr. Weasley schüttelte den Kopf, hinterfragte wohl zunächst nicht einmal, weshalb sie beide hier waren und sah sich um, sanfte Panik im Blick.

 

„Nein! Nein, ist sie nicht! Lily sagte, sie sei dort abgehauen, sie-“

 

„-Lily hat gelogen“, unterbrach sie ihn tonlos, und jetzt verstummte Mr. Weasley abrupt. Kurz trat Stille ein, und Mr. Weasleys Ausdruck war gänzlich entgeistert. „Wir… wollten mit Ihnen reden? Sir?“, ergänzte sie vorsichtig, und ausdruckslos starrte der Mann sie jetzt an. Er war erstaunlich breit gebaut, ging es Scorpius dunkel durch den Kopf. Es war ihm letztes Mal gar nicht aufgefallen. Sanfte Ungeduld verzerrte seine Züge, und auch wenn die Hälfte seines Gesichts durch den hochgeschlagenen Kragen seines Mantels verborgen blieb, erkannte Scorpius die Wut langsam deutlicher.

 

„Was?“, fuhr er Rumer jetzt an. „Was soll das heißen? Wie… wie seid ihr überhaupt hier her gekommen?“, wollte er jetzt wissen. „Ihr seid minderjährig, ihr könnt nicht-“

 

„-James hat uns geholt“, gab Rumer sofort preis, und Mr. Weasley verstummte wieder, schien es nicht fassen zu können. Er schloss kurz die Augen, bevor er sie kopfschüttelnd wieder öffnete.

 

„Nein“, sagte er fest, als wäre es die Antwort auf eine Frage. „Ich bringe euch nach Hause. Es ist spät, es ist kalt, und-“, begann er warnend, aber Rumer schien seltsamen Gryffindor-Mut gefunden zu haben.


„-wir wollen nicht nach Hause“, widersprach sie eilig, und Scorpius konnte sich nicht anschließen. Noch lebte er. Noch hatte niemand geschrien. Aber Rumer wirkte wild entschlossen. „Wir wollen mit Ihnen reden.“

 

„Rumer“, begann Mr. Weasley müde, „es gibt nichts zu reden.“ Seine Stimme klang recht erbarmungslos, aber das schien Rumer nicht aufzuhalten.

 

„Es gibt sehr viel zu reden!“, rief sie aus. „Ich… ich mag ihren Sohn. Sehr sogar. Und… ich will mit ihm zusammen sein, egal, wie widerlich meine Mutter ist! Und Scorpius liebt Rose!“, riss sie ihn direkt mit in den Abgrund, und frische Wut flackerte über Mr. Weasleys erschöpfte Züge. „Und… ich weiß, Sie haben etwas dazu zu sagen. Ich weiß, dass es… schwierig ist und Sie das nicht wollen, aber-“

 

„-ich werde euch nach Hause bringen“, wiederholte Mr. Weasley ernster und Rumer schwieg endlich. Sein Blick fiel jetzt auf sein Gesicht, und Scorpius wusste, er musste seinen verdammten Mund aufkriegen – oder nie wieder etwas sagen. Wenn es heute Abend sein musste, dann… würde es heute Abend eben zu Ende gehen. Dann würde er sich opfern. Für Rose Weasley.

 

„Sir“, begann er steif, und scheinbar reizte Mr. Weasley schon die eine Silbe aus seinem Mund, denn er wirkte noch angespannter. „Ich… ich liebe Ihre Tochter“, brach es aus ihm hervor, und seine Stimme zitterte. Mr. Weasley reagierte zuerst nicht, bevor er schließlich die Augen verdrehte.

 

„Scorpius“, begann er tatsächlich, sprach seinen Namen widerwillig, aber um Ruhe bemüht – vielleicht auch eine Spur angewidert, aber Scorpius wollte nicht zuhören. Er wollte nicht wissen, warum es Mr. Weasley nicht interessierte, warum er ihn wegbringen wollte.

 

„Ich weiß, Sie hassen mich und meinen Dad“, sagte er kurzerhand, und Mr. Weasley schwieg daraufhin. „Ich weiß, Sie denken, wir sind alle Todesser, sind alle Abschaum und werden niemals irgendetwas anderes sein“, entfuhr es ihm, und Mr. Weasleys Mund öffnete sich protestierend, aber Scorpius sprach weiter. „Mein Dad… war ein Arschloch, wie sein Vater eines war. Ich weiß das. Ich weiß auch, dass Voldemort nicht die Entschuldigung für alles sein kann. Mein Dad hat widerliche Dinge zu Ihnen und Ihrer Frau gesagt, und er zwingt mich seit Jahren, mich mit Vorurteilen auseinanderzusetzen und zu begreifen, warum es falsch war. Warum Ideologien falsch sind. Und Sie wissen, dass ich anders bin! Sie wissen das!“, warf er ihm jetzt vor. „Sie wissen, wer meine Freunde sind. Und wäre meine Mum noch hier, wäre nicht mein Dad das einzige, was Sie von mir kennen, dann würden Sie nicht meinen Dad in mir sehen“, schloss er zitternd. „Denn meine Mum war gut, Mr. Weasley. Sie war… wirklich perfekt, und sie hat mir die Heldengeschichten von Ihnen und Mr. Potter einhundert Mal vorgelesen“, rief er aus. „Ich will Auror werden, wie Sie und Mr. Potter, ich… will nichts weiter, als die eine Chance. Ich weiß, ich war mit Dominique zusammen, aber… es war nicht das richtige, das weiß ich jetzt. Was ich für Rose empfinde, übertrifft alles vorherige, Mr. Weasley, und es tut mir leid. Wirklich. Ich… komme aus einer schrecklichen Familie, aber… mein Dad gibt sich wirklich Mühe, Dinge zu ändern. Er… ist kein Arschloch mehr, Mr. Weasley, und ich bin kein Arschloch“, beteuerte Scorpius schwach und wusste schon nicht mehr, was er gerade alles gesagt hatte. Aber er zitterte, und plötzlich fielen Tränen auf seine Wange, so sehr zehrte es an seinen Nerven. Mr. Weasley starrte ihn vollkommen entgeistert an. Niemand schrie. Rumer neben ihm schluchzte ebenfalls.

 

Schließlich atmete Mr. Weasley lange aus, und Scorpius wagte nicht, den Blick zu senken, wagte nicht einmal zu atmen. Dann schloss Mr. Weasley die Augen, rieb sich das Kinn, bevor er gereizt stöhnte.

 

„Wir gehen rein, und dann sage ich euren Eltern Bescheid, dass ihr hier seid“, informierte er sie kopfschüttelnd, und dann ließ er sie stehen und öffnete die Haustür. Rumer tauschte einen unglücklichen Blick mit ihm und sie folgten ihm ins Haus, wo Mr. Weasley das Licht entfachte. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs machte er Feuer im Kamin, und Scorpius und Rumer zog es wie manisch zu der angenehmen Wärme. Überall hingen bewegte Fotos der Familie. Rose strahlte ihm entgegen, zog verspielt an ihren Haaren, und Hugo streckte ihm die Zunge raus, auf einem Foto, wo er vielleicht fünf Jahre alt war.

Ein eigenartiges Gefühl befiel Scorpius. Er… fühlte sich nicht fremd hier, fühlte sich nicht falsch. Es konnte nicht sein, dass Mr. Weasley ihm verbot, bei Rose zu sein. Es durfte nicht sein. Er wollte hier sein.

 

Mr. Weasley warf das Pulver in den Kamin.

 

„Ich flohe deinen Vater an“, informierte er Scorpius, und Scorpius wusste, Mr. Weasley kannte die Adresse. Er hatte seinen Dad schließlich schon häufiger über Floh erreicht. Mr. Weasleys Kopf verschwand im Kamin, und irgendwann vernahm Scorpius die besorgte Stimme seines Vaters, die er nicht verstehen konnte. Dann zog Mr. Weasley den Kopf zurück, und es vergingen unangenehme Sekunden, in denen Scorpius krampfhaft überlegte, wie er Mr. Weasley noch umstimmen konnte, aber ihm fiel nichts ein. Sein Kopf war leer. Dann loderten die Flammen grün, und sein Vater trat vom Rost des Kamins. Er hatte lediglich seinen Morgenrock übergeworfen. Er wirkte blasser als sonst.

 

„Scorpius!“, rief er aus, erkannte die Tränen auf seinen Wangen und zerrte ihn näher. „Alles ok? Bist du in Ordnung?“, wollte er wissen, und Scorpius nickte, unfähig zu sprechen, und mehr Tränen fielen auf seine Wange und sein Vater schloss ihn in die Arme. „Was… was passiert hier? Wie seid ihr hier her gekommen?“, entfuhr es seinem Vater überfordert, und Scorpius hörte Mr. Weasley ausatmen.

 

„James hat sie gebracht“, erklärte er bitter.

 

„James? Potter?“, wollte sein Vater ungläubig wissen.

 

„Ja“, bestätigte Mr. Weasley tonlos. „Scheinbar… haben die Kinder über Floh gesprochen, und-“ Kurz unterbrach er sich und schwieg, bevor er sich zu sammeln schien. „Hermine hat mich heute verlassen.“ Scorpius hörte ihm gebannt zu und spürte, wie sich sein Vater versteifte.

„Was?“, wisperte er fassungslos. Mr. Weasley schwieg daraufhin. „Sie… sie hat was?“, wiederholte er bloß und Mr. Weasley entfuhr ein unglücklicher Laut.

 

„Scheiße“, flüsterte er zornig. „Keine Ahnung, was… was passiert ist!“, entfuhr es ihm, und sein Dad löste sich von ihm. Wütend sah Mr. Weasley seinem Vater entgegen, bevor die angespannten Züge langsam wieder verschwanden. „Pansy war heute hier.“ Sein Blick galt Rumer, und diese schluckte schwer.

 

„Pansy?“, wiederholte sein Dad ungläubig, und wandte sich an Rumer. „Alles ok mit dir?“, erkundigte er sich knapp bei seiner Patentochter, und diese nickte bloß. „Was bei Merlin wollte Pansy hier?“, fuhr sein Dad fort, und Mr. Weasley legte kurz den Kopf in den Nacken.

 

„Ich bin jetzt mit Hugo zusammen“, erklärte Rumer es still, aber sehr deutlich, und sein Vater blinzelte verblüfft, bevor er lange ausatmete.

 

„Oh“, entkam es ihm, passend knapp, und Mr. Weasley öffnete die Augen wieder. „Das Gespräch lief also entsprechend schlecht?“, vermutete sein Vater seufzend.

 

„Scheinbar bin ich ein Rassist und ein Arschloch, weil ich Sorge habe, dass…“ Aber Mr. Weasleys Blick glitt über ihn und Rumer, und er wandte den Blick schließlich ab. „Ich weiß nicht mal mehr, warum ich Sorge habe“, entkam es Mr. Weasley resignierend, und sein Blick fiel. Bevor sein Vater etwas erwidern konnte, sah Mr. Weasley ihn wieder an. „Sag du es mir“, verlangte er müde. „Was soll ich verdammt noch mal tun?“, wiederholte er ratlos.

 

„Geben Sie uns eine Chance“, antwortete Scorpius anstelle seines sprachlosen Vaters jetzt rau. Sein Vater sah ihn überrascht an. „Bitte“, ergänzte er beinahe tonlos. Zuerst dachte er, Mr. Weasley würde nicht mehr mit ihm reden, aber dann brach Sorge durch die zornige Maske auf seinem Gesicht.

 

„Und wenn du ihr wehtust, was dann?“, entfuhr es Mr. Weasley völlig ernst. „Wenn du sie verlässt? Ihr Herz brichst? Wenn… sie mir die Schuld gibt, sie nicht geschützt zu haben?“ Er fragte es mit so einer Überzeugung, dass Scorpius schlucken musste.

 

„Das werde ich nicht!“, behauptete Scorpius sofort, fast verzweifelt, und er wusste, es klang wie eine leere Versprechung.

 

„Nein? Kannst du mir das versprechen?“, wollte er schärfer wissen. „Kannst du es schwören? Auf das Grab deiner Mutter?“ Sein Vater regte sich, aber Scorpius reagierte schneller.

 

„Nein, das kann ich nicht, Mr. Weasley. Aber ich… liebe Rose. Jetzt, in dieser Sekunde. Mehr als mich“, ergänzte er mit zitternder Stimme. „Und ich werde ihr nicht wehtun. Niemals. Das zumindest schwöre ich Ihnen“, schloss er, und die Hände seines Vaters hatten sich zu Fäusten geballt.

 

„Tja. Das scheint mehr zu sein, als ich meiner Frau versprechen kann, also…“, schloss Mr. Weasley bitter.

 

„Also?“, griff Scorpius lauernd das Wort auf, und Mr. Weasley seufzte.

 

„Also gut“, sagte er widerwillig, und Scorpius‘ Mund öffnete sich verblüfft. Mr. Weasley schenkte ihm einen neutralen Blick. „Solange… diese Beziehung hält, werde ich mich bemühen, dich zu akzeptieren, Scorpius Malfoy. Das verspreche ich dir“, räumte er offen ein. Scorpius entwich die angehaltene Luft.

 

„Danke“, sagte er rau.

 

„Und Rumer“, fuhr Mr. Weasley fort, „ich hoffe, Hugo ist der richtige für dich. Und all der Ärger ist es wert“, schloss er mit erhobenen Augenbrauen. Rumer schluchzte auf, bevor sie Mr. Weasley in die Arme fiel. Gänzlich erschrocken legte er irgendwann die Arme um Rumer und streichelte beruhigend ihren Rücken. „Schon gut, Rumer“, murmelte er kopfschüttelnd, und Scorpius konnte nicht fassen, dass Rumer richtig gelegen hatte. Wahrscheinlich war genau heute der richtige Zeitpunkt gewesen.

 

„Du weißt, dass wir deine Gnade garantiert nicht brauchen, ja?“, informierte sein Dad Mr. Weasley nun äußerst angespannt, und Scorpius befürchtete fast, dass gleich jeder Fortschritt dahin wäre, sollten sich beide Männer duellieren oder prügeln, oder sonst was Dummes anstellen. „Und niemand muss auf die Gräber von irgendwem schwören“, ergänzte er bitter.

 

Mr. Weasley löste sich seufzend von Rumer. „Ok“, räumte er müde ein. Sein Vater verzog knapp den Mund, sagte aber nichts mehr.


„Onkel Draco?“, begann Rumer jetzt, „bitte sag meiner Mum nicht Bescheid, ok? Sie benutzt ohnehin Schlafzauber und würde niemals merken, dass ich nicht da bin! Du weißt, wie schrecklich sie ist, wenn sie ihren Schönheitsschlaf versäumt!“, bat sie ihn sofort, und Draco verdrehte die Augen.

 

„Es war eine sehr dumme Aktion von euch“, bemerkte er gereizt, gab aber schließlich nach. „Aber ich habe heute Abend auch keine Lust mehr auf Pansys Geschrei, also…“ Der Wind heulte laut um das Haus, rüttelte an den Fensterläden, und der Schnee trieb nun in dichten Schwaden vorbei. „Du kannst bei uns schlafen, Rumer“, schloss sein Dad dann, bevor er lange ausatmete, weil er begriff, was jetzt gerade nicht zu ändern war. „Sobald wir apparieren können“, ergänzte er finster, und Mr. Weasleys Blick glitt ebenfalls nach draußen ins Schneetreiben vor dem Haus. Sie mussten apparieren, denn über den Kamin konnten sie nicht zurück ins Haus, ging Scorpius auf. Niemand war da, um es zu gestatten.

 

„Bleibt“, sagte Mr. Weasley dann, aber sein Dad schoss ihm einen kalten Blick zu.

 

„Danke, eher schlafe ich im Schnee“, erwiderte sein Vater recht eindeutig.

 

„Du willst also am Fenster warten, bis womöglich die Sonne aufgeht, um zu apparieren, ja?“, entgegnete Mr. Weasley spöttisch, aber sein Vater blieb eisern.

 

„So ungefähr“, bestätigte er bitter. „Wieso interessiert es dich?“, fuhr er abschätzend fort. „Zuerst willst du uns loswerden, um uns jetzt zu nötigen, zu bleiben?“ Sein Vater schien es anders zusehen, als Scorpius es tat. Scorpius fühlte Erleichterung, aber er wusste, sein Vater nahm Mr. Weasley den Kommentar über das Grab seiner Mutter übel. Sehr, sehr übel. Mehr, als Scorpius es tat. „Angst allein, Auror Weasley?“, vermutete sein Vater, gefährlich sarkastisch, und Mr. Weasley betrachtete ihn fast ruhig.

 

„Bleibt“, wiederholte er, fast neutral, fast resignierend.

 

„Weißt du was, Weasley?“, begann sein Vater, nahe dran, ausfallend zu werden, Scorpius spürte es.

 

„Wieso guckt ihr nicht was? Rumer, du weißt, wie der Fernseher funktioniert, richtig?“, unterbrach Mr. Weasley die sehr wahrscheinliche Beleidigung seines Vaters sehr demonstrativ, und Rumer reagierte sofort.

 

„Ja, sicher! Komm, Scor“, sagte sie hastig, denn wahrscheinlich wollte auch sie diesem Streit nicht beiwohnen. Scorpius war mäßig überfordert, aber Rumer schob ihn zur Couch, und er ließ sich mit sanfter Gewalt in die Kissen zwingen, während Rumer die flache schwarze Scheibe ohne Magie zum Leuchten brachte. Scorpius konnte diese Muggel-Magie bloß anstarren, während er mehrere Menschen in einer Küche erkennen konnte. Gelächter drang aus dem flachen Kasten, und sein Vater und Mr. Weasley verließen das Wohnzimmer.

Kurz hatte Scorpius Sorge, dass sie sich verfluchen würden, aber dann musste er weit gähnen. Gegen seinen Willen sank er tiefer in die Kissen, während Rumer auf eine Box drückte, und das Bild auf der Scheibe wechselte.

 

„Oh ja“, murmelte sie zufrieden. „Alte Glücksradfolgen“, entkam es ihr erfreut, und Scorpius Augen schlossen sich blinzelnd, während er Rumer nicht mehr wirklich zuhörte. Er war so erschöpft. So schrecklich müde. Es war so verdammt anstrengend, sein Herz auszuschütten. Wirklich… anstrengend.

 

 

 

 

         Dracos Blick fiel wieder auf die Flasche Scotch, und er wusste, es handelte sich um eine regelrechte Seltenheit. Bestimmt siebzig Jahre alt, unfassbar teuer – etwas, was sich vielleicht in Lucius‘ Vorrat oder im Club finden ließ. Garantiert nicht im billigen Küchenschrank der Weasleys. Und Weasley hatte zwei Gläser auf den Tresen gestellt. Zwei. Aber Draco war sauer, wirklich sauer.

Was erlaubte sich dieser Wichser eigentlich?

 

„Willst du da stehen bleiben?“, erkundigte sich Weasley erschöpft, und Draco wollte fast erwidern, dass er auf keinen Fall am selben Tresen mit Weasley sitzen würde, aber er wusste, es wäre albern und trotzig.

 

„Du hast keine Ahnung, wie es ist, seine Frau zu verlieren“, knurrte er zornig.

 

„Jetzt gerade kann ich es mir ausmalen, Malfoy“, gab Weasley gereizt zurück, und Draco atmete zornig aus.

 

„Fick dich, Weasley“, entfuhr es ihm scharf, und Weasleys Blick hob sich langsam. „Deine Frau braucht eine Auszeit, das ist alles. Meine Frau kommt nie wieder. Und deine dämlichen Sprüche, deine unfassbare-“

 

„-es tut mir leid“, sagte der rothaarige Mann mit ruhiger Stimme, und Draco schwieg abrupt.

 

„Du kannst dir dein Mitleid sparen. Ich will nicht-“

 

„-ich weiß“, unterbrach ihn Weasley erneut. „Es tut mir leid, Malfoy. Ich… hatte es nicht so gemeint.“

 

„Mir scheiß egal“, entfuhr es Draco unwillig.

 

„Ok“, sagte Weasley schlicht, füllte das zweite Glas mit goldener Flüssigkeit und schob es über den Tresen. Dracos Kiefer arbeitete unschlüssig. „Waffenstillstand?“, fragte Weasley knapp, und halb zornig, halb gereizt schloss Draco den Abstand, setzte sich auf den Hocker, und griff sich das Glas. Der teure, vollendete Duft des fabelhaften Getränks stieg in seine Nase, und er konnte nicht fassen, wie satt der Geschmack allein in seiner Nase zu erkennen war.

 

„Du solltest eine solche Flasche nicht offen stehen haben“, entfuhr es Draco, ohne dass er sich halten konnte.

 

„Die halten nie lange vor, also macht es nichts“, entgegnete Weasley achselzuckend.

 

„Was meinst du damit?“, wollte er wissen, und hatte noch nicht gewagt, zu trinken.

 

„Was ich damit meine?“, wiederholte Weasley verständnislos. „Ich habe vier Brüder und einen besten Freund, die regelmäßig zu mir kommen und meine Vorräte austrinken – von meinem Vater ganz zu schweigen. Diese Flaschen kaufe ich praktisch jeden Monat neu“, schloss er eindeutig. Draco sah ihn ungläubig an.

 

„Diese Flasche allein kostet rund zweitausend Galleonen“, sagte er, mit milder Ehrfurcht in der Stimme.

 

„Ja. Ist mir klar“, sagte Weasley bloß, und Draco konnte den entgeisterten Blick nicht verhindern. Weasley lächelte ein nachsichtiges Lächeln. „Wir sind nicht arm, Malfoy. Wir haben uns lediglich für ein einfaches Haus entschieden. Zwar liegen Welten zwischen deinem Reichtum und unseren, aber wie ich meine Kriegsabfindung anlege, entscheide ich. Und mit wem ich sie teile ebenfalls“, ergänzte er mit eindeutigem Blick.

 

Und Draco nickte schließlich. Er trank einen Schluck und musste kurz die Augen schließen, so gut war es. „Das Gold gehört Lucius, nicht mir“, fühlte er sich gehalten, klarzustellen. „Oder… vielmehr wird es Scorpius gehören. Was mir auch recht ist.“ Beinahe gierig trank er noch einen köstlichen Schluck. „Ich wusste nicht, dass die Kinder so etwas geplant haben“, sagte er schließlich und zwang sich, das Glas zurückzustellen, sich noch etwas aufzuheben. Angenehme Wärme erfüllte seinen Körper. Er hob den Blick und betrachtete den Mann vor sich, der immer wieder über die polierte Fläche des Tresens strich.

 

„Ich… bin nicht wie Harry“, entkam es Weasley bitter. Bevor Draco diese Worte bestätigen konnte, sprach Weasley weiter. „Ich… dachte immer, ich wäre es. Zumindest… im Ansatz“, schloss er kopfschüttelnd. „Aber… wie Harry mit Dingen umgeht…- dass Albus nach Slytherin kam, dass Albus sich mit deinem Sohn angefreundet hat – Harry hat… es einfach hingenommen. Es war kein Problem. Merlin, weißt du, wie anstrengend das ist? Und meine Frau…“, fuhr er unglücklich fort, „meine Frau will diese Welt mit aller Macht verbessern und hat Mitleid mit ehemaligen Todessern, verflucht noch mal. Wie soll man da mit halten? Wie?“ Er hob den Blick und sah ihn an. „Ich versuche es. Wirklich. Aber…“

 

„Aber es ist einfacher, Vorurteile zu haben. Schon klar“, schloss Draco, mit dem rechten an Maß an Vorwurf.

 

„Und das sagst gerade du“, bemerkte Weasley freudlos.

 

„Ich muss meinem Sohn ein Beispiel sein“, erwiderte er ernst.

 

„Du bist wirklich ätzend“, entfuhr es Weasley nickend, als hätte er es sich die ganze Zeit über gedacht. Draco musste fast lächeln.

 

„Pansy hat mir so oft vorgeschlagen, dass Scorpius Rumer heiraten soll, wenn sie Hogwarts verlassen, ich weiß nicht mal mehr, wie oft ich abgelehnt habe“, entgegnete Draco nachdenklich. „Vielleicht hast du Recht, und ich bin ein erbärmlicher Witwer, der Anerkennung auf der anderen Seite sucht“, vermutete er schließlich.

 

„Das ist meine Vermutung, ja“, bestätigte Weasley nickend. „Weißt du, ich hasse es, wenn sie nach Hause kommt und mich ansieht, wie einen Wahnsinnigen, wenn ich auch nur ansatzweise behaupte, dass du ein Arschloch wärst, was seine Show abzieht“, schloss er düster. Draco musste lächeln. Weasley hob den Blick. „Sie kann dich leiden. Und sie kann deinen Sohn leiden. Und das ist ok. Ich bin nicht eifersüchtig, ich bin… einfach genervt.“

 

„Ach ja?“, wollte Draco skeptisch wissen, denn für ihn klang es nach Eifersucht.

 

„Du bist kein schlechter Mensch – mehr“, ergänzte Weasley gereizt. Fast entglitten Dracos Gesichtszüge, bei diesem unverhofften Geständnis. „Und für diese Erkenntnis muss Hermine mir androhen, mich zu verlassen. Es ist zum Kotzen“, murmelte er kopfschüttelnd.

 

„Wir müssen nicht befreundet sein, nur weil unsere Kinder zusammen sind“, entgegnete Draco schlicht.

 

„Ja, ich weiß“, bestätigte Weasley dunkel. „Aber sie werden dich einladen“, fuhr er warnend fort. „Sie werden dich weiterhin einladen. Bill wird nicht die Muße besitzen, sauer auf dich oder Scorpius zu sein, und Hermine wird sich ein Bein dafür ausreißen, euch zu integrieren – also… so einfach, wie du es dir mit dem bequemen Hass vorstellst, ist es nicht.“ Weasley verzog den Mund. „Und Harry hat ein scheiß Helfer-Syndrom und wird mich wahnsinnig machen. Und irgendwann… merke ich nicht mal mehr, dass du zum dritten Mal mit in Urlaub gefahren bist. Ich werde dich einladen, ohne dass Hermine mich zwingt, und wenn die Kinder heiraten, werden wir anstoßen, und mein Hass wird so mürbe sein, dass ich nicht mal mehr weiß, warum ich Menschen wie dich verabscheue.“ Trist starrte Weasley auf den Tresen und Draco atmete lange aus. Weasley malte ein trauriges Bild von der Zukunft.

 

„Du hast einen kranken Humor, Weasley“, bemerkte Draco, und dann zuckten Weasleys Mundwinkel. Er hob den Blick und sah ihn an.

 

„Weißt du, für Hermine würde ich alles tun. Sogar deine Anwesenheit tolerieren. Wenn es denn sein muss.“

 

„Ich kann mir vorstellen, dass ich künftig viel vorhaben werde, einige Auslandsaufenthalte annehme – einfach… keine Zeit habe für eure Weasley-Familientreffen“, erwiderte Draco vielsagend, und Weasleys Lächeln vertiefte sich.

 

„Klingt gut“, entgegnete er nickend, beinahe dankbar. „Ich werde dich dran erinnern.“

 

„Und… danke“, räumte Draco schließlich widerwillig ein. „Dass du Scorpius die Chance gibst“, schloss er stiller. Weasley seufzte auf.

 

„Es gibt Dinge, die tue ich für Hermine, und es gibt Dinge, die tue ich für Rose. Also, bedank dich nicht. Ich… habe nicht wirklich die Wahl, wie es aussieht. Und… er glaubt, er liebt sie. Wie oft erlebt man das in diesem Alter? Ich habe Lavender Brown nachgestellt“, schien Weasley mit reuendem Ekel einzufallen. „Sein Geschmack ist besser.“ Draco nickte, bevor er nachdenklich wurde.

 

„Und… wie geht diese Nacht aus? Was ist mit deiner Frau?“, wollte Draco wissen, aber Weasleys Ausdruck wirkte gequält.

 

„Keine Ahnung“, erwiderte er ehrlich. „Ich hoffe, dass… sie mich nicht verlässt. Das ist erst mal alles.“ Draco nickte daraufhin nur. Er konnte es sich nicht vorstellen. Hermine Weasley gab nicht so einfach auf, soweit er es beurteilen konnte.

Mit so einer Nacht hatte er nicht gerechnet. Wirklich nicht.

Genüsslich trank er seinen Whiskey und war schwer damit beschäftigt, seinen Verstand von der Tatsache abzulenken, dass Ronald Weasley nicht der unerträglichste Mensch auf dieser Erde war. Er war nicht sein Favorit, aber er rangierte gerade höher als sein eigener Vater. Nicht, dass es eine Kunst war, aber immerhin.

 

 

 

Fourty-Two

 

         Sie hatte nicht viel geschlafen, und tausend Hippogreife hätten sie nicht dazu bewegen können, zum verurteilenden Frühstück zu bleiben. Der Schnee war liegen geblieben, aber es stürmte nicht mehr. Es war noch früh am Tage, aber immerhin kam sie so unbemerkt Zuhause an. Es hatte einen Vorteil gehabt, bei ihren Eltern zu bleiben, neben den achtzig Moralpredigten, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Magisch war sie von der Welt abgeschnitten gewesen, hatte sich nicht mit Anrufen über Floh ärgern müssen, hatte niemanden gesehen – und sie hatte einfach die Zeit gehabt, sich zu sammeln. Und das war wichtig.

 

Jetzt fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss und sie lehnte sich erschöpft dagegen. Sanft hörte sie das Geräusch des Fernsehers aus dem Wohnzimmer. War Rose schon wach? Hugo interessierte sich nicht sonderlich für das Fernsehprogramm. Sie fragte sich, wie sauer ihre Kinder wohl waren. Sie stellte ihre Tasche ab und schlich auf leisen Sohlen ins Wohnzimmer.

Sie blieb im Bogen der Wand stehen und hatte für eine Sekunde das beklemmende Gefühl, in ein falsches Haus eingebrochen zu sein, denn… ihre Familie war nicht im Wohnzimmer.

Sie brauchte eine geschlagene Sekunde, bevor sie Rumer erkannte, und… neben ihr lag Scorpius Malfoy, halb eingerollt in der bunten Patchworkdecke, während er leise schnarchte. Im Fernsehen liefen Cartoons, und als sie mit gerunzelter Stirn das Wohnzimmer betrat, stockte sie erneut.

Draco Malfoy war in eine liegende Position auf der kleinen Couch gerutscht, und schlief tief und fest. Er trug… einen Morgenrock?! Ihr Blick wanderte weiter, und sie erkannte ihren Mann auf dem Sessel, zusammengesunken, ebenfalls im tiefen Schlaf versunken, während seine Hand in einer offenen Bertie Botts Mini-Snacktüte hing.

 

Was in Merlins Namen war hier passiert? Wieso sammelten sich in ihrem Wohnzimmer diese fremden Leute – und… wo war ihre echte Familie?

 

Und sie räumte ihm diese Chance ein, sich zu erklären und trat nahe an den Sessel. Sie beugte sich hinab, und tippte ihm sachte auf die Schulter.

„Ron“, flüsterte sie leise, und er bewegte sich träge im Schlaf. „Ronald“, wiederholte sie eindringlicher, und seine Augen öffneten sich verschlafen. Es verging ein kurzer Moment, bis er sie erkannte.

 

„Hermine!“, entkam es ihm rau. Und praktisch sofort sprang er aus dem Sessel, nur um den Mund zu verziehen, denn anscheinend schmerzte sein gesamter Körper durch die Nacht auf dem Sessel. „Du bist hier!“, entfuhr es ihm, und Rumer bewegte sich auf der Couch. Ron ergriff sanft ihren Arm und zog sie in die Küche.

 

„Was soll das?“, fuhr sie ihn leise an. „Versteckst du Pansy auch noch irgendwo?“, wollte sie verständnislos wissen, aber er schüttelte den Kopf und sah sie weiterhin an, als hätte er sie Jahre nicht gesehen.

 

„Ich liebe dich“, entkam es ihm hilflos, und sie schluckte schwer. Er sollte das jetzt nicht tun. Sie waren noch lange nicht fertig. Sie hatten diesen Streit noch nicht überwunden, aber sein wunder Blick kratzte an ihrer Kälte.

 

„Ich hatte dich gebeten, dich um die Kinder zu kümmern. Und jetzt komme ich nach Hause, und wildfremde Menschen liegen in unserem Wohnzimmer. Wo sind unsere Kinder?“, erkundigte sie sich gefährlich ruhig bei ihm.

 

„Bei meiner Mutter“, erwiderte er beschämt. „Hermine, ich… konnte nicht- ich…“

 

„-und wieso bist du nicht dort? Wieso bist du-?“

 

„-es ist… ziemlich kompliziert“, wich er einer Antwort aus.


„Ron, wieso liegt Draco Malfoy auf unserer Couch? Im Morgenmantel?“

 

„Das… kann ich erklären“, behauptete er, milde überfordert.

 

„Ja? Ich bin gespannt.“

 

„Die beiden – also… Rumer und Scorpius – standen vor unserer Tür. Gestern. Mitten in der Nacht, meine ich“, begann er eilig. „Lily sagte, es wäre Rose, aber… es war nur…- ist auch nicht wichtig, jedenfalls kam ich hier an, und… sie haben geweint, und…“ Hermine begriff kein einziges Wort. „Und Scorpius liebt Rose, und Rumer mag Hugo – und… dann habe ich Malfoy gerufen, und… irgendwie… haben wir verpasst, dass der Sturm nachgelassen hat“, fiel Ron mit Blick auf die Flasche Scotch ein. Hermine folgte seinem Blick.


„Merlin, ihr habt die ganze Flasche getrunken?“, entfuhr es ihr schockiert.

 

„Hermine-“

 

„-wieso sind diese Menschen hier?“, wiederholte sie ungeduldig.

 

„Weil ich sie gebeten habe, zu bleiben“, erwiderte er kleinlaut. Er hatte was? Ihr Mann hatte was?! „Es tut mir leid. Du hattest Recht, ich war ein Arschloch, und-“

 

„-nein“, unterbrach sie ihn mit leisem Zorn. „So funktioniert das nicht!“

 

„Wie funktioniert es dann?“, entkam es ihm hilflos. „Ich liebe dich. Ich will dich nicht verlieren. Nicht wegen… nicht wegen so etwas! Es tut mir leid, Hermine. Ich… war überfordert. Es… tat so schrecklich weh. Ich meine, Rose zieht einen Malfoy vor, und du… du verbringst viel Zeit mit Draco Malfoy – und… ich weiß, das ist ok!“, sagte er sofort, als sie anfangen wollte, zu schreien. „Ich liebe dich zu sehr, um ernsthaft eifersüchtig zu sein. Und… Scorpius liebt Rose, also…“, schloss er hilflos. „Und wenn ich das akzeptieren muss, dann… ist das so. Aber es hatte mich… einfach kalt erwischt. Ich bin nicht so klug wie du“, schmeichelte er ihr sehr offensichtlich, und sie verzog den Mund.

 

„Ich habe dir noch nicht verziehen, Ron“, warnte sie ihn still.

 

„Ich weiß. Sag mir, was ich tun kann, um-“


„-erst mal kannst du den Mund halten. Ich hatte dich gebeten, hier zu bleiben, vernünftig zu sein, keinen Stress zu machen, die Kinder zu versorgen, und-“

 

„-ich hole die Kinder!“, versprach er sofort. „Ich… appariere sofort. Und ich besorge Frühstück, ich mache Rührei – bleib einfach, geh duschen, und-“

 

„-und die Menschen im Wohnzimmer?“, wollte sie gereizt wissen.

 

„Sie schlafen noch. Die Nacht war lang. Sie können zum Frühstück bleiben. Ich… bitte, Hermine“, flehte er praktisch. Sie atmete lange aus.

 

„Hol die Kinder. Ich mache Frühstück“, sagte sie ernst. Er schenkte ihr ein Lächeln.

 

„Ok. Mach ich. Sind… sind wir ok?“, fragte er vorsichtig, aber sie konnte das nicht. Nicht so schnell. Sie wusste nicht wirklich, was sie waren.

 

„Nein“, flüsterte sie still. „Noch sind wir… gar nichts. Noch weiß ich nicht mal, ob Draco Malfoy tatsächlich schläft, oder ob du ihn nicht doch geschockt hast“, entfuhr es ihr verzweifelt. „Noch sind es Worte, Ron.“ Deprimiert sah er sie an.

 

„Ich liebe dich“, sagte er wieder, und sie schluckte schwer.

 

„Ich liebe dich auch, aber… du hast es mir so schwer gemacht. Du-“

 

„-ok“, unterbrach er sie, und seine Augen waren glasig. „Ich hole die Kinder, und… sei einfach hier, wenn ich wiederkomme“, bat er sie, und ihr Herz schmerzte so sehr. Aber dann wandte er sich ab, und keine Minute später hörte sie, wie die Haustür ins Schloss fiel. Überfordert stand sie in der Küche, aber sie wusste, sie hatte immerhin genügend Vorräte im Schrank. Zuerst würde sie wohl Pansy Bescheid geben müssen. Sie nahm nicht an, dass Rumer zuvor um Erlaubnis gefragt hatte.

 

***

 

         Sie wachte auf, weil sie den Windzug der offenen Tür spürte und das plötzliche Gewicht auf der Bettkante.

 

„Morgen, Rosie“, hörte sie die vertraute Stimme, und Tränen füllten ihre Augen so augenblicklich, noch bevor sich ihre Lider geöffnet hatten. Es war ein Traum, nahm sie an. Ein eigenartiger Traum. Und er wirkte so real. Sie sah ihm blinzelnd entgegen. Der Morgen graute erst, und es war noch nicht viel Licht im Zimmer, aber sie erkannte ihren Dad deutlich. Was für ein wunderbarer Traum! Er lächelte ihr entgegen, ebenfalls Tränen in den Augen, und ohne nachzudenken, streckte sie die Arme nach ihm aus, und er zog sie fest an seinen Körper. Sein Duft war, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Und ihre Augen schlossen sich. Sie weinte stumm an seiner Schulter, und langsam aber sicher wurde ihr klar, dass es kein Traum war.

Das hier… war echt.

 

„Dad“, flüsterte sie heiser, und er drückte sie nur fester.

 

„Ich liebe dich so sehr, Rosie“, murmelte er zitternd, und sie schluchzte auf.

 

„Ich liebe dich auch, Daddy“, erwiderte sie stockend, und so saßen sie eine ganze Weile, bis er sich von ihr löste.

 

„Ich bringe euch nach Hause. Eure Mum ist zurück“, erklärte er lächelnd.

 

„Mum ist zurück?“, flüsterte sie mit weiten Augen. „Wirklich? Ist… alles ok?“ Aber sein Gesicht wirkte traurig und verschlossen.

 

„Ich – nicht wirklich, nein. Aber… ich arbeite dran, ok?“, sagte er hastig, und sie sah ihn unschlüssig an. Ihr fiel ein, weswegen sie stritten.

 

„Wegen Scorpius, Dad-“, begann sie, aber winkte ab.

 

„-du musst nicht…- es ist ok. Du… magst ihn?“, fragte er sie, und sie sah, wie unangenehm es ihm war. Sie nickte beschämt. „Ok“, entfuhr es ihm seufzend. „Dann… mag ich ihn auch“, schloss er, als wäre es so einfach.

 

„Du… magst ihn?“, vergewisserte sie sich mit großen Augen, und er atmete knapp aus.

 

„Na ja, nicht… wie du, aber… ich versuche es, Rosie“, versprach er ihr still. Wieder füllten Tränen ihre Augen.

 

„Weiß Mum, dass du-?“

 

„-ja, sie weiß es, aber sie ist immer noch sauer, also…“

 

„Oh“, entfuhr es ihr. „Wie lange ist sie sauer?“, wollte sie leise wissen, und ihr Dad zuckte die Achseln.

 

„Ich hoffe, nicht lange.“ Er klang so traurig, und Rose hatte so viel Mitleid mit ihm, dass sie ihn wieder umarmte. Hugo schnarchte laut im Bett nebenan, und ihr Dad löste sich wieder von ihr.

 

„Zeit, den Langen zu wecken“, bemerkte er knapp. Er erhob sich, und Rose wischte sich die nassen Wangen trocken. Ihr Dad legte sachte die Hand auf Hugos Arm, und ihr Bruder erwachte schlagartig, saß aufrecht im Bett, blickte sich desorientiert um, und erkannte ihren Dad ebenfalls.

 

„Dad?“, krächzte er, und ihr Dad nickte.

 

„Hey, Hugh“, begrüßte er ihn sanft.

 

„Was… was ist los?“ Hugo klang direkt panisch, direkt ängstlich.

 

„Wir gehen nach Hause“, erklärte ihr Dad. „Mum ist da“, sagte er mit warmer Stimme, und Hugo atmete erleichtert aus. „Deine Freundin hat mich gestern Nacht regelrecht überfallen“, fuhr er eindeutig fort, und Hugos Mund öffnete sich.

 

„Rumer? Rumer war… da?“

 

„Ja“, bestätigte er knapp. „Sie ist… was Besonderes, Hugh, also… versau es besser nicht“, ergänzte er bloß, und auch Hugo hatte Tränen in den Augen, als er Dad in die Arme fiel. Rose krabbelte aus dem Bett, nur um sich hinter ihren Dad zu setzen, um ihn ebenfalls zu umarmen. Sie liebte ihn so sehr. Und sie wusste, wie schwer es für ihn sein musste, und dann war Mum immer noch sauer. Es tat weh, und sie war einfach nur dankbar, dass er wieder da war.

 

Sie hatten nicht lange gebraucht, ihre Sachen zu packen, und verabschiedeten sich von ihren Großeltern, die weitaus weniger besorgt waren. Sie erklärten, sie hatten sowieso gewusst, dass es sich einrenken würde, und dass sie alle an Heiligabend hier erwarteten. Ihr Dad gab ihnen diese Bestätigung, und dann apparierte er mit Hugo. Rose wartete in der Tür, dass er zurückkam, und ihre Großmutter strich ihr über die Haare.

 

„Keine Angst, Rosie“, versicherte sie ihr. „Das ist nicht der erste Streit deiner Eltern, und es wird garantiert nicht der letzte sein.“ Sie lächelte dabei, obwohl Rose es nicht gerade als zuversichtlich empfand. „Wer streitet, liebt sich“, ergänzte sie nickend, und Rose wusste nicht, ob das stimmte. Aber dann kam ihr Dad zurück, und sie konnte gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Sie wusste nicht, ob es unangenehm sein würde, ob ihre Mum sprechen würde, aber sie wollte nach Hause.

 

„Mach‘s gut, Grannie“, verabschiedete sie sich, und dann verschwanden sie und ihr Dad im fahlen Morgenlicht. Sie schlugen sicher auf, und Hugo wartete vor der Tür, schien ebenfalls Angst zu haben, reinzugehen, und ihr Dad schloss schließlich die Tür auf.

 

„Oh, und… wir haben Besuch“, ergänzte er vielsagend, und Rose und Hugo tauschten einen verständnislosen Blick. Im Innern hörten sie bereits fremde Stimmen. Geschirr klirrte, und der Duft von Brötchen, Tee und Ei stieg in ihre Nase. Mum hatte Frühstück gemacht. Waren Onkel Harry und Tante Ginny hier? Sie betraten langsam den Flur, stellten ihre Taschen ab, schälten sich aus den Mänteln, und folgten ihrem Dad dann ins Esszimmer. Für gewöhnlich aßen sie in der Küche, nicht im Esszimmer, also waren sie mehr als vier, schloss Rose dumpf.

Sie blieben wie angewurzelt stehen.

 

Sie erkannte Scorpius nahezu sofort. Er half ihrer Mum mit der Teekanne, und sein Blick traf ihren. Seine Mundwinkel hoben sich scheu, und sie erwiderte das Lächeln sofort. Auch Rumer war hier, stellte sie fest, denn Hugo war sofort zu ihr gegangen und war weitaus weniger zurückhaltend, als sie es war, denn er umarmte Rumer, ohne Zögern.

Rose hingegen wandte den Blick zu ihrer Mum. Sie wirkte nicht ausgelassen, nicht sonderlich fröhlich, aber schließlich schenkte sie Rose ein schmales Lächeln. Roses Blick fiel, denn sie stritt noch immer mit Dad, und es gefiel ihr gar nicht.

 

„Morgen“, vernahm sie die nächste fremde Stimme, und sofort schoss ihr Blick nach oben. Scorpius Vater war hier? Er… trug einen Morgenmantel, und seine Haare lagen durcheinander, wie sie es nicht kannte. Was tat er hier?

 

„Morgen“, erwiderte ihr Dad die Begrüßung etwas steif, und sofort musste Rose an den Abend der Hochzeitsparty denken. Merlin, es war unangenehm gewesen, und jetzt war es nicht zwingend anders. Dass Hugo den Mut besaß, einfach zu Rumer zu gehen. Unfassbar. Ihr Bruder war ein stilles Wasser, aber dafür unheimlich tief.

 

„Wir wäre es, wenn wir uns setzen? Die Eier sind fertig, die Brötchen frisch“, sagte ihre Mum schließlich, und dann setzten sie sich. Scorpius setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand unter dem Tisch. Schweigend begann ihre Mutter die Brötchen zu verteilen, Tee einzuschenken, um sich schließlich an Rumer zu wenden. „Ich denke, deine Mum wird dich bald holen, also…“

 

„Also beeile ich mich“, beendete Rumer den Satz seufzend. Rose warf ihr einen Blick zu, und Rumer lächelte ihr entgegen, bevor sie ergeben die Achseln zuckte, während sie einen Seitenblick auf Hugo warf. Rose musste grinsen, denn Rumer schien keine gute Erklärung zu haben, warum sie Hugo mochte. „Werden die Potters Ärger bekommen?“, wollte Rumer schließlich ein wenig besorgt wissen, und Rose hatte sich noch nicht getraut zu fragen, was überhaupt passiert war letzte Nacht. Die Erwachsenen tauschten kurze Blicke, bevor ihre Mum ausatmete.

 

„Ich… denke nicht“, sagte sie anschließend, und Rumer lächelte wieder.

 

„Sie sind die Beste, Mrs Weasley“, erwiderte sie erleichtert. „Und Sie auch, Mr. Weasley!“, ergänzte sie eilig, aber ihr Dad winkte ab.

 

„Nicht wirklich“, räumte er stiller ein. „Scorpius, du willst Auror werden?“, erkundigte sich ihr Dad absolut neutral, den Hauch Interesse auf den Zügen.

 

„Ich… - ja!“, entgegnete ihr Freund vorsichtig.

 

„Du willst Auror werden?“, wollte sein Vater überrascht wissen.

 

„Na ja, ich… habe schon länger darüber nachgedacht, und-“

 

„-ok“, unterbrach sein Vater ihn schlicht. „Darf ich dabei sein, wenn du es deinem Großvater sagst, oder…?“ Scorpius‘ Blick verfinsterte sich. „Ich meine, er wird begeistert sein, garantiert“, neckte ihn sein Dad, aber ihr Vater mischte sich ein.

 

„Wir könnten garantiert mal ein paar Schnupper-Tage arrangieren“, bot ihr Dad unverfänglich an, aber Scorpius‘ Augen leuchteten.

 

„Das… das wäre wirklich super, Mr. Weasley, Sir!“, entfuhr es ihm begeistert.

 

„Nenn mich Ron, ok? Dieses ‚Mr. Weasley, Sir‘ ist mir sehr unangenehm“, bemerkte ihr Dad kopfschüttelnd.

 

„R-ron?“, wiederholte Scorpius entgeistert, und ihr Dad zuckte die Achseln.

 

„Wenn das ok ist?“, erwiderte er mit erhobenen Brauen und Scorpius verschluckte sich fast, an seinem gekauten Bissen.

 

„Sicher! Sicher, Mr. We- Ron!“, korrigierte er sich hastig.

 

„Hast du Ahnung von Sportwagen?“, wollte ihr Dad wissen, und Rose musste sich wirklich auf die Zunge beißen, um nicht zu lachen. Scorpius fing regelrecht an zu schwitzen. „Höchstwahrscheinlich nicht“, ergänzte ihr Vater, mit Blick auf Scorpius‘ Dad.

 

„Nein, Sir- Ron. Ich… nein“, schloss Scorpius, fast verzweifelt.

 

„Kein Problem. Wenn du Lust hast, zeige ich dir gleich, woran Rose und ich arbeiten. Sofern dein Dad-“

 

„-bitte, macht was ihr wollt. Ich habe ehrlich gesagt, eine Menge zu tun“, unterbrach Mr. Malfoy ihren Dad. „Auslandsaufenthalte… und so was…“, sprach er recht kryptisch, und ihr Dad musste fast lachen.

 

„Richtig. Hab gehört, die können wirklich lästig sein.“

 

Jaah“, bestätigte Mr. Malfoy, und sie sah, dass er unter seinem Bart lächeln musste.

 

„Was genau geht hier vor?“, wollte ihre Mum kopfschüttelnd wissen.

 

„Mum“, sagte Rose mahnend, denn sie mochte nicht, dass ihre Mutter wirklich mit aller Macht zerstören wollte, was die anderen versuchten. Es war ein Anfang, und ihre Mutter war unmöglich. Ihre Mutter seufzte auf.

 

„Macht, was ihr wollt“, räumte sie schließlich entnervt ein. „Macht einfach, was ihr wollt…“

 

 

 

 

Fourty-Three

 

         Dass Mr. Malfoy bei ihnen war, schien sogar Rumers Mum etwas besänftigt zu haben, und tatsächlich saßen die Erwachsenen noch immer im Esszimmer um den Tisch und sprachen. Nicht sonderlich laut, aber das bedeutete immerhin, dass sie nicht schrien.

Unfassbarerweise saßen sie nun zu viert im ordentlichen Zimmer ihres Bruders, was mehrere Sitzgelegenheiten bot, als Roses Zimmer. Sie saß mit Scorpius auf der schmalen Couch, seine Hand fest in ihrer, ein Lächeln auf dem Gesicht, während Hugo und Rumer auf seinem Bett saßen. Für einige feierliche Sekunden sagte keiner irgendwas, und es war nicht mal unangenehm.

Immer wieder betrachtete Hugo Rumer von der Seite, bis diese schließlich aufseufzte.

 

„Ja? Spuck’s aus. Ich weiß genau, dass dir irgendwas nicht passt“, bemerkte sie mit wissendem Blick, und Rose musste fast lächeln. Ja, sie kannten Hugo beide gut, und auch Rose spürte, dass sich Hugo lediglich zurückhielt.

 

„Es ist gar nichts!“, behauptete ihr Bruder. „Wirklich. Gar nichts. Ich… meine nur…“, begann er schließlich, und Rumer stöhnte auf.

 

„Was, Hugo?“ Lauernd sah sie ihn an.

 

„Das… war ziemlich gefährlich. Und James wird noch richtig viel Ärger bekommen“, beschwor er das Unheil herauf. „Und ganz nebenbei – hat er… dich abgeholt? Ich meine… nachts? Hat er dich…?“

 

„Hat er mich, was?“ Rumer sah ihn sehr eindeutig an. Rose bemerkte, wie Scorpius‘ Mundwinkel amüsiert zuckten, und Rose tat Hugo fast leid. Ihr dummer Bruder konnte nicht einmal die Klappe halten, selbst wenn es um sein Leben gehen würde. „Ernsthaft, Hugo? Ich komme hierher für dich, riskiere alles, und du machst dir Sorgen, dass James mich in meinem Bett überrascht hat? Ernsthaft?“, vergewisserte sie sich, und fast erahnte Rose die Röte in Hugos Gesicht.

 

„Ich – nein“, log er sofort. Und sehr schlecht. Aber Rose würde ihn retten. Dieses Mal.

 

„Rumer, seit wann stehst du auf meinen kleinen Bruder?“, wollte Rose dreist wissen, und jetzt wurde Rumer rot.

 

„Ok, wir… können darüber garantiert wann anders sprechen, oder?“, wollte ihre beste Freundin unglücklich wissen, bevor sie selber den Finger zeigte. „Ich meine…, das hier! Die Sache mit Scorpius – das hättest du mir auch sagen können, oder nicht?“, ergänzte sie entsprechend anklagend, und Rose musste lächeln.

 

„Vielleicht“, räumte sie beschämt ein. Rumer atmete lange aus und zuckte dann die Achseln.

 

„Dann… Schwamm drüber?“, schlug sie grinsend vor, und Rose nickte dankbar. „Meine Mum ist sehr lange bei euch“, bemerkte sie schließlich.

 

„Mhm, mein Dad auch“, ergänzte Scorpius, fast besorgt. Dann schwiegen sie. Vielleicht wagten sie alle kaum zu hoffen, dass ihre Eltern tatsächlich noch Freunde werden konnten. Es wäre… ein wenig zu perfekt, nicht wahr?

Und dann kam Rose eine Idee.

 

„Hey! Ihr seid doch alle hochbegabte Vertrauensschüler, nicht?“ Sie war aufgestanden und hatte das Zimmer verlassen, um ihre Tasche aus ihrem Zimmer zu holen. Hastig kehrte sie zu den entsprechend fragenden Blicken der anderen zurück und holte ihre Notizen aus der Tasche. „Dann lösen wir jetzt das Snape-Problem!“

 

„Snape-Problem?“, wiederholte ihr Bruder sofort.

 

„Ja! Snapes Geiste hat mir nämlich-“

 

„-ich weiß, was Snapes Geist tut. Dass er in der Bibliothek nicht auf deinem Schoß sitzt, ist auch schon alles“, bemerkte Hugo mit gerunzelter Stirn. Rose verzog den Mund.

 

„Uägh, Hugo. Ekelhaft“, erwiderte sie gereizt. „Jedenfalls denke ich, dass es wichtig ist, herauszufinden, was ihn hält. Was er… tun muss. Kein Geist will bleiben, richtig?“, warf sie die Frage in die Runde und schlug ihr vertrauenswürdiges Geisterbuch auf. Hugos Blick war äußerst kritisch. „Was? Was jetzt?“, fuhr sie ihren Bruder an, denn – er war immer noch ihr Bruder.

 

„Nichts, es ist nur… du hast ein Buch in den Händen. Es ist so neu für mich“, neckte er sie mit einem Lächeln, und fast hätte Rose das Buch nach ihm geworfen.

 

„Nicht witzig!“, entgegnete sie, aber die anderen grinsten breit. „Also?“ Sie sah ihn auffordernd an.

 

„Was? Du denkst, ich habe alle Lösungen auf Geister-Fragen?“, entfuhr es Hugo ungläubig.

 

„Sicher, warum nicht?“, sagte sie achselzuckend, aber Hugo stöhnte auf.

 

„So einfach ist nicht“, beschwerte er sich. „Und erst mal – nicht alle Geister wollen gehen. Der fast kopflose Nick will nirgendwohin. Er will einfach nur an der kopflosen Reitergesellschaft teilhaben.“

 

„Sowas will Snape nicht!“, entfuhr es Rose gereizt.

 

„Woher willst du wissen, was er will?“, entgegnete Hugo mit gerunzelter Stirn, und Rose bemerkte die amüsierten Blicke nicht, die sich Scorpius und Rumer zuwarfen.

 

„Oh, ich bitte dich! Als ob er extra mich aufsucht, weil er unbedingt der kopflosen Reitergesellschaft beiwohnen möchte!“, entfuhr es ihr wütend. Aber bevor Hugo etwas Entsprechendes erwiderte, schwieg er schließlich.

 

„Er nennt dich Granger“, sagte er schließlich, und Rose konnte förmlich spüren, wie sein Gehirn in den klugen Modus wechselte, und er die Informationen ordnete. „Er denkt, du wärst Mum“, schloss er nickend. „Er denkt, du wärst klug“, kam er nickend zu einem Schluss.

 

„Sehr nett von dir“, bemerkte sie knapp, aber Hugo achtete kaum auf sie, stand auf und griff sich ihr Buch vom Schoß. Er blätterte wahllos durch das Inhaltsverzeichnis. „Geister haben ein sehr geringes Erinnerungsvermögen. Das Langzeitgedächtnis ist nahezu durchgebrannt.“

 

„Das hier?“, mischte sich Rumer ein und deutete auf eine Zeile im Verzeichnis. „Hilfesuchung durch den Verstorbenen?“, fragte sie, und Hugo nickte abwesend, während Scorpius sich gähnend zurücklehnte und den Arm um ihre Schulter legte. Es interessierte ihn alles herzlich wenig.

 

„Danke übrigens“, murmelte sie ihm zu, und er erwiderte ihren Blick überrascht.

 

„Danke? Wofür?“, wisperte er zurück, und sie schenkte ihm ein Lächeln.

 

„Dass du todesmutig hier aufgetaucht bist, um meinem bösen Vater die Stirn zu bieten“, erwiderte sie sanft, und er lehnte sich näher zu ihr.

 

„Alles für dich“, sagte er so aufrichtig, dass ihr Herz schneller schlug. Sie lehnte sich vor und küsste seine Lippen verlangend, traute sich erst jetzt, und er erwiderte den Kuss sofort.

 

„Äh – hallo?“, unterbrach Hugos Stimme sie gereizt. „Wir erledigen nicht deine Arbeit, Rose, während du-“ Aber grinsend lösten sie und Scorpius sich voneinander, und mit roten Wangen, richtete Rose ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Bruder.

 

„-schon gut“, entkam es ihr heiser.

 

„Snape sucht Hilfe bei dir, weil er denkt, du kennst die Lösung“, erläuterte Rumer wohl ihren Fund.


„Die Lösung? Auf was?“

 

„Was du sagtest“, erwiderte sie eindeutig. „Bestimmt will er nicht bleiben, aber seine Erinnerung ist wohl so lückenhaft, dass er lediglich dich als Hermine Grangers Tochter erkennt – wie Geister sowas auch immer schaffen – aber… das ist erstmal alles“, schloss sie achselzuckend.

 

„Es ist einfacher…“, murmelte Hugo, und Rose hatte gewusst, dass das ein Rätsel war, dem sich Hugo wohl nur schlecht verschließen konnte.

 

„Snape war… Zaubertränkelehrer, richtig?“, versuchte er sich zu erinnern.

 

„Severus Snape war Zaubertränkelehrer, hätte aber lieber die Stelle als Verteidigungslehrer gehabt, aber Dumbledore hatte Sorge, weil Snape als Doppelagent für Voldemort gearbeitet hat, nachdem er voller Reue nach Hogwarts zurückkehrte, als er Voldemort die Prophezeiung gedeutet hat, dass Harry Potter der Auserwählte war, und nicht Professor Longbottom“, schloss er vielsagend, und Rose starrte ihn an. „Was?“, entfuhr es ihm. „Als ob Albus diese Geschichte nicht schon dreitausendmal von seinen Eltern gehört hat! Er heißt schließlich so!“, rechtfertigte er sich kopfschüttelnd.


„Und das sagst du jetzt?“ Professor Longbottom hätte der eine Junge sein können? Rose fiel es nicht schwer, sich das vorzustellen.

 

„Ihr wisst das doch!“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd.

 

„Nicht mehr… so genau“, rechtfertigte sich Rose, die sich nie sonderlich für Albys seltsame Vornamen interessiert hatte, geschweige denn für die gesamte Potter-Saga. James und Albus waren regelrecht investiert mit den Heldengeschichten von Onkel Harry, aber sie persönlich hörte lieber die Geschichte ihrer Eltern. Wieder und wieder. Wie sie sich gefunden hatten, sich nicht hatten leiden können, und letztendlich doch ein unsterbliches Paar geworden waren. Auch wenn sie zurzeit eher… Probleme bekämpften. Es verursachte ein beklemmendes Gefühl in ihrem Innern. Aber Hugo hatte sich interessiert vorgelehnt.


„Warum hat er es Voldemort verraten? Warum hat er die Potters gewählt?“ Er fragte Scorpius direkt.

 

„Ich – keine Ahnung?“, entfuhr es Scorpius achselzuckend. „Weil er sie kannte? Weil… er sie nicht mochte?“

 

„Er mochte sie nicht, verrät es Voldemort – und Onkel Harry benennt seinen Sohn nach ihm? Das glaube ich nicht.“ Rose zog die Stirn kraus.

 

„Tja, vielleicht müssen wir Mr. Potter fragen? Oder Albus?“, schlug Rumer vor, ehe sie den Mund verzog. „Ich sollte vielleicht nicht unbedingt Kontakt mit den Potters haben, aber…“

 

„Was soll das heißen? Du kommst doch Weihnachten, oder?“, entfuhr es Rose, aber Rumer blickte zur Seite.

 

„Rose, ich weiß nicht, ob… das klug wäre.“ Dann fiel Rose ein, dass Scorpius ein ähnliches Problem hatte.


„Aber… du kommst, richtig? Ich…- ihr könnt doch nicht beide wegbleiben!“, rief sie aus.

 

„Wenn du Dom und James fragst, ob es ok ist?“, schlug ihre beste Freundin vor, und jetzt verzog Rose gequält den Mund.

 

„Vielleicht komme ich auch nicht“, murmelte sie seufzend, und Hugo atmete gereizt aus.

 

„Wenn ich mit ihnen rede, fragst du dann Mum nach Severus Snape?“, fragte er sie direkt, aber sie sah ihn gequält an.

 

„Du willst mit Dom sprechen?“, erkundigte sich Scorpius zweifelnd, aber Hugo zuckte ergeben die Achseln.

 

„Bin mir zwar nicht hundertprozentig sicher, ob Dom mich verstehen kann, aber ich kann mich so dumm wie möglich stellen, wenn es hilft.“ Kurz glitten die Blicke zu Scorpius. Kurz hatte Rose das Gefühl, als müsse Scorpius Dom verteidigen – schließlich war sie lange Zeit seine Freundin gewesen, und gleichzeitig… war es immer noch unangenehm an Dom zu denken. Sie wechselte kurzerhand das Thema, um Scorpius nicht in Verlegenheit zu bringen.

 

„Ich will nicht mit Mum sprechen. Sie ist immer noch sauer auf Dad!“

 

„Und du willst auch noch mit James reden?“, vergewisserte sich Rumer jetzt achtlos bei Hugo, denn beides waren einfach unwahrscheinliche Dinge. Hugo seufzte auf.

 

„Ich denke, es lässt sich nicht wirklich vermeiden, oder? Wenn du es willst, dann mach ich es. Das weißt du“, ergänzte er nachdrücklich, und es war so seltsam. Es war seltsam, Hugo dabei zuzusehen, wie er tatsächlich Gefühle für jemanden hatte, und es war seltsam, Rumers verträumten Blick zu verdauen. Und ohne Scheu schloss Rumer den Abstand und küsste ihren Bruder. Und Rose überkam dasselbe Schockgefühl wie schon damals auf dem Quidditchfeld, als ihr Bruder Cara geküsst hatte. Nur jetzt hielt er sich wirklich nicht sonderlich zurück, zog Rumer nahe an sich, und Rose erhob sich übergangslos. Es war einfach nur beängstigend, dass ihr Bruder keine fünf Jahre alt mehr war, und sie war sich nicht sicher, wann er ein Junge geworden war, der tatsächlich Wert auf Freundinnen legte – und dann gerade auf Rumer!


„Ok! Ok, ich rede mich Mum!“, schrie sie fast, und Scorpius hatte sich ebenfalls erhoben. „Aber hört auf damit! Merlin, noch mal!“ Aber das taten sie nicht. Rumer lachte gegen Hugos Lippen, und Rose machte direkt kehrt, um aus dem Zimmer zu verschwinden. Draußen auf dem Flur schüttelte sie sich kurz. Scorpius trat vor sie.

 

„Ich liebe dich, Rose Weasley“, sagte er still, und der Ekel verschwand sofort, als ein Lächeln ihr Gesicht erhellte.

 

„Ich liebe dich auch, Scorpius Malfoy“, flüsterte sie zurück, und grinsend kam er näher, umfasste ihre Taille, nur um sie sanft gegen die Flurwand zu drängen, direkt neben das große, gerahmte Hochzeitsbild ihrer Eltern, um sie hungrig zu küssen. Schnell verlor sich Rose nur zu willig im Spiel seiner Zunge, und ihre Hände griffen in seinen Pullover, zogen ihn enger an sich, und schwer atmend, zwischen zwei Küssen, löste er sich einen Zentimeter von ihren Lippen. Er ruckte mit dem Kopf nach rechts.

 

„Dein Zimmer?“, schlug er heiser vor, und sie runzelte kurz die Stirn.


„Du… weißt, wo mein Zimmer ist?“, entkam es ihr außer Atem, und kurz stahl sich ein schulbewusster Zug auf sein Gesicht.

 

„Lange Geschichte“, murmelte er lediglich, und sein Blick fiel wieder auf ihre Lippen. „Erzählt Hugo dir später“, ergänzte er zwinkernd, und Rose hatte viele Frage, würde sie aber verschieben. Still zog sie ihn mit sich, öffnete leise ihre Zimmertür und schob ihn ins Innere. Er griff nach ihrem Gesicht, brachte es wieder näher zu sich und sie manövrierten beständig Richtung Bett.

 

Und es war, als hätte ihre Mum einen nervigen Radar, denn keine Sekunde später klopfte es bereits an ihre Zimmertür, und sie vernahm ihren Namen. Hastig fuhren sie auseinander, und Rose hatte gerade noch genug Zeit, ihren Pullover glatt zu streichen, bevor ihre Mum ungefragt öffnete. Sie mussten ein wenig ertappt aussehen, denn ihre Mutter hielt in der Bewegung inne. Sie musterte zuerst Scorpius, bevor ihr Blick auf ihr ruhte.

 

„Die Zimmertür bleibt offen, Rose“, entkam es ihr ausgewählt vorsichtig.

 

„Ok“, erwiderte Rose, verräterisch atemlos. Ihre Mutter schien kurz die Nase rümpfen zu wollen, überlegte es sich aber wohl doch noch anders.

 

„Hast du dich um Geschenke gekümmert? Oder ist es dasselbe wie jedes Jahr?“, erinnerte sie ihre Mutter an die leidige Aufgabe, die Rose immer wieder vergaß. Vor allem im Moment.

 

„Ach, verdammter Eulendreck“, entfuhr es Rose gereizt.

 

„Dann sollten wir vielleicht noch mal los?“ Sie stand abwartend in der Tür, und Rose hob den Blick zu Scorpius‘ Gesicht.

 

„Ich… ich kann mitkommen“, bot er sofort an. Das schien etwas zu sein, was ihre Mum hatte verhindern wollen.

 

„Ich dachte, du wolltest dir Rons Auto ansehen?“, erkundigte sich ihre Mutter direkt bei ihrem Freund, und Scorpius‘ Mund schloss sich wieder.

 

„Richtig“, bestätigte er.

 

„Das… das kann er doch danach noch machen, oder Mum? Ich meine, es wäre wirklich toll, wenn Scorpius mitkäme“, bettelte sie praktisch, aber dann bewegte sich Scorpius. Von ihr weg. Zur Tür.

 

„Rose, wie wäre es, wenn ihr das klärt, und dann könntest du direkt noch etwas fragen“, erinnerte er sie knapp, aber eindeutig. Rose begriff nicht wirklich.

 

„Fragen?“, wiederholte ihre Mutter, ein wenig nervös. Als wäre es etwas Unangenehmes. Dann verstand Rose.

 

„Oh. Nein. Das muss jetzt nicht-“

 

„-sicher. Frag einfach, ja? Ich bin… da, wo das Auto steht“, schloss er, denn anscheinend kannte er das Wort Garage nicht. Rose atmete ergeben aus, als er sich mit einem Nicken an ihrer Mum vorbeistahl, und sie schließlich alleine waren.

 

„Was für eine Frage soll das sein?“ Ihre Mutter klang so furchtbar besorgt. Wahrscheinlich nahm sie an, Rose wollte irgendwelche ekligen Sex-Fragen stellen. So sah ihre Mum aus. Es war peinlich.

 

„Es geht um… Severus Snape“, rückte Rose mit der Sprache raus. „Aber… können wir zusammen in die Stadt?“, wollte sie gleichzeitig mit dem treuesten Dackelblick wissen, und ihre Mutter verdrehte die Augen.

 

„Wenn ihr es keine Sekunde ohne einander aushaltet – bitte.“ Und Rose musste lächeln. „Und was… meinst du damit, es geht um Severus Snape?“

 

„Um seinen Geist“, erwiderte Rose etwas beschämt. „Ich… ich will ihm helfen.“

 

„Ich glaube nicht, dass ihm zu helfen-“

 

„-ich denke schon. Ich weiß nur nicht, was er zu erledigen hat“, warf sie ein, aber ihre Mum seufzte auf.

 

„So einfach ist es nicht.“ Sie sprach wie Hugo. Sie war wie Hugo. Es war nervtötend.

 

„Vielleicht ja doch“, widersprach Rose barsch. „Warum heißt Albus wie Snape, wenn… wenn Snape Onkel Harrys Eltern… praktisch ausgewählt hat?“, wiederholte sie, was Scorpius gesagt hatte.

 

„Ausgewählt?“, wiederholte ihre Mutter mit gerunzelter Stirn.

 

„Na ja, wegen ihm sind sie tot, oder nicht?“ Es klang kaltherziger, als Rose beabsichtigt hatte, und so in etwa sah ihre Mutter sie jetzt an.

 

„Lily und James Potter starben durch Voldemort, nicht durch Severus Snape.“ Rose fand es sehr seltsam, dass Onkel Harry seine Kinder so genannt hatte, wie seine Eltern hießen, aber das war wohl gerade unerheblich.

 

„Ja, aber-“

 

„-Severus Snape war ein guter Mann, Rose. Ein Held.“

 

„Wirklich? Was war so heldenhaft an ihm, wenn er Anhänger Voldemorts gewesen ist?“ Und ihre Mutter hatte diesen verdammt überheblichen Blick drauf, den Rose von den Wahlplakaten bereits kannte.

 

„Du weißt, dass Scorpius‘ Vater ebenfalls ein Anhänger war?“, wollte sie ruhig von ihr wissen, und nein, das hatte Rose nicht wirklich gewusst.

 

„Trägt… trägt er…?“

 

„Das Mal?“, beendete ihre Mutter den Satz, ehe sie seufzte. „Ja. Er trägt das Mal“, bestätigte sie schließlich ernst, und Rose musste schlucken. Das hatte sie verdrängt. Absolut verdrängt. „Und Severus Snape hat für all seine Fehler gesühnt, und er starb als aufrichtiger, guter Mann“, ergänzte sie eindeutig.

 

„Was fehlt ihm dann? Seinem Geist?“, ergänzte sie unzufrieden. „Was hat ihm im Leben gefehlt?“, verlangte sie zu wissen, und ihre Mum seufzte wieder einmal.

 

„Liebe, nehme ich an.“ Ihre Mutter war wirklich klug.

 

„Liebe?“, wiederholte Rose verblüfft. „Wen hat er geliebt? Hat er-“

 

„-Harrys Mutter, Lily“, offenbarte ihre Mum bereitwillig.

 

„Oh“, entfuhr es Rose, denn… wie bitter war das denn? Severus Snape war in Onkel Harrys Mutter verliebt gewesen und hatte sie dann quasi verraten? Die Prophezeiung einfach… gedeutet, wie es ihm gefiel?

 

„Er mochte Harrys Vater nie“, ergänzte ihre Mutter kopfschüttelnd.

 

„Ohhh“, machte Rose, denn sie verstand. Es hatte viel mit Eifersucht und Wut zu tun. „Oh“, entfuhr es ihr, als es sie begriff, dass es vielleicht unter Umständen nie zum Tod von Onkel Harrys Eltern hätte gekommen sein müssen, hätte Snape die Prophezeiung nicht gedeutet. Kein Wunder, dass sein Geist –

 

Sie hatte eine Idee! Sie musste Hugo fragen! Wieso eigentlich platzte ihre Mum nie in Hugos Zimmer? Er hatte dort ebenfalls jemanden, den er küsste! So eklig es auch war!

 

„Danke, Mum! Ich… ich bin gleich wieder da!“, versprach sie, und verließ ihr Zimmer.

 

„Rose! Was ist mit den Geschenken?“, rief ihre Mutter ihr gereizt nach, aber Rose hatte gerade andere Gedanken.

Sie wusste nur nicht, ob sie etwas taugten. Sie war noch nicht sonderlich bewandert, im Ideen haben. Deshalb musste sie mit Hugo sprechen.

 

 

 

Forty-Four

 

         Hermine hatte keine Probleme mit der Familie. Sie war eine liebevoller Ehefrau, eine Vorzeigeschwiegertochter, eine ausgeglichene Mutter, nicht zu streng, nicht zu gleichgültig, und mit einem Mal, innerhalb weniger Wochen, hatten die grausamen Hormone zugeschlagen und ihre beiden lieben Kinder erwischt.

Erst vor wenigen Stunden hatte sie Schnappatmung bekommen, bei dem Gedanken, dass Hugo durchaus in der Lage sein könnte, Rumer zu schwängern – und das wäre… absolut furchtbar. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war Rons Aufgabe.

Aber zurzeit war sie keine liebevolle Ehefrau, denn sie zeigte Ron eine äußerst kalte Schulter, denn sie war noch immer sauer, obwohl ihr Mann tatsächlich die Kurve bekommen hatte. Merlin, er bastelte mit Scorpius Malfoy in seiner Garage. Hermine wusste nicht, warum sie ihm nicht vergeben konnte. Warum sie bockig war.

 

Und es hatte Einfluss auf ihr ganzes Sozialgefüge. Molly war ein wenig gereizt, als Hermine mit jetzt mit hochgekrempelten Ärmeln neben ihr in der Küche stand, und half, die Teigrollen in perfekte Form zu bringen, damit Molly kleine Pasteten backen konnte. Und das war nicht alles! Nicht nur ihr perfekter Schwiegertochter-Status begann, dahinzuschwinden – nein! Sie wurde ersetzt. – Durch ausgerechnet Fleur!

 

Hermine hatte kein Problem mit Fleur. Hermine hatte mit niemanden je irgendein Problem! Abgesehen von jetzt. Denn Fleur war ebenfalls sauer auf sie.

Weil ihre Tochter jetzt mit dem Exfreund ihrer Tochter zusammen war.

Es war kompliziert, und es warf generell kein gutes Licht auf Hermines Familie. Das nächste Problem war Harry, der sich ganz klar auf James‘ Seite geschlagen hatte, wohingegen Ginny das Beziehungsproblem mit Rumer und James bereits achselzuckend abgetan hatte.

Harry schien irgendeinen neugewonnen Zweifel gefunden zu haben. Nicht nur war Albus in Rose verliebt gewesen, sondern jetzt war auch sein ältester Sohn durch Hugo seiner Freundin beraubt worden. Und tatsächlich sah man James eine gewisse Niedergeschlagenheit an.

Er gab sich Mühe, es zu verbergen, was es nur schlimmer machte.

 

„Isch würde dir vorschlagen, du machst nischt so dicke Rollen, ja?“, unterbrach Fleur Hermines Gedanken beinahe bissig. Ihr Blick fiel auf ihren perfekt geformten Teig, aber Hermine würde sich hüten, zu diskutieren.

 

„Ach Fleur, du bist so aufmerksam, Liebes“, bestätigte Molly mütterlich, und Hermine verzog den Mund. Die Küchentür schwang auf. Hermine atmete innerlich auf.

 

„Schwer beschäftigt?“, wollte Ginny mit gewissem Abstand zum Küchentresen wissen, und Molly hob direkt das Nudelholz.

 

„Du bleibst schön weg von meinen Zuckerpasteten!“, warnte ihre Mutter sie sofort. Ginny war… keine sonderlich gute Köchin, und Backen war noch so eine Sache, die Ginny äußerst selten – wenn überhaupt – in Angriff nahm. Hermine konnte sich an keinen selbstgebackenen Kuchen für auch nur eines von Ginnys drei Kindern erinnern. Es war vielleicht besser so.

 

„Alles gut hier?“, erkundigte sich Ginny, und stellte sich direkt neben sie, tauchte den Finger in einer unbemerkten Sekunde in die Teigschüssel und leckte die Spitze genüsslich ab. „Mhh“, entfuhr es ihr still.

 

„Es geht“, gab Hermine murmelnd zurück. Fleur war nahe an Molly gerückt, und Molly lachte über Fleurs leise Worte, und sie waren die besten Freundinnen.

 

„Ich sehe schon“, bemerkte Ginny und verdrehte die Augen. „Dom hat sich oben eingeschlossen“, fuhr sie noch stiller fort. Hermines Blick hob sich müde. Hermine kritisierte ihre Verwandten nicht. Bill nicht, für die Laissez-Faire Erziehung, und natürlich Fleur nicht, auch wenn sie ihre Kinder verwöhnte und verzog, und oberflächliche Kommunikation der Disziplin vorzog.

 

„Warum?“, wagte Hermine leise zu fragen, und Ginny schenkte ihr ein Lächeln und tat ahnungslos.

 

„Ach du, einfach nur weil Rose hier ist“, erwiderte sie, fast belustigt.

 

„Grundgütiger“, knurrte Hermine praktisch. „Wie geht es Harry?“, wollte sie anschließend wissen, während sie den nächsten Brocken Teig mit etwas zu viel Kraft bearbeitete.

 

„Ich glaube, Harry ist betroffener als James“, entgegnete Ginny und lehnte sich entspannt an den Küchentresen und sah Hermine zu. „Mach dir keine Vorwürfe, ja?“, ergänzte Ginny sehr leise. „Sie sind alle ein bisschen verrückt.“

 

„Hm“, machte Hermine unzufrieden. Sie kandierte als Ministerin für Zauberei und konnte nicht mal für Frieden in ihrer Familie sorgen. Und es war nicht mal ihre Schuld! Es waren ihre Kinder! Und ihr Mann! Das brachte sie zum nächsten Gedanken. „Wo sind die Kinder?“

 

„Lily und Rose spielen Quidditch mit Fred, Louis und Roxy“, erwiderte Ginny mit entsprechend eindeutigem Blick, und auch Hermine war überrascht. Lily spielte Quidditch? Seit wann das? „James und Albus polieren alte Besen mit Harry“, fuhr sie fort, „obwohl Albus keine Lust dazu hat“, ergänzte sie grinsend, „Vic und Teddy sind im Wohnzimmer und führen vernünftige Gespräche mit Angelina und George.“

 

Hermine nickte nachdenklich. „Wo ist Hugo?“, wollte sie dann wissen, und Ginny dachte nach.

 

„Keine Ahnung, ehrlich gesagt“, gab sie zurück.

 

„Liest bestimmt irgendwo“, nahm Hermine seufzend an. „Und Ron?“, ergänzte sie leiser.

 

„Ist mit Dad im Schuppen“, bemerkte Ginny sehr eindeutig, und Hermine verdrehte die Augen. Der jüngste und der älteste Weasley waren immer noch ständig damit beschäftigt, alle möglichen Kleinigkeiten zu reparieren, um sich regelmäßig mittelschwere Stromstöße zu verpassen. Zurzeit reparierten sie eigentlich einen alten Aufsitzmäher. Hermine wusste nicht, ob dies immer noch das Objekt der Weasley-Begierde war. Zurzeit war ein Rasenmäher nämlich absolut nutzlos, denn der Boden war nahezu gefroren. Aber sie maßregelte sie nicht. „Hast du ihm schon vergeben?“, wollte ihre Freundin behutsam wissen, und wieder verzog Hermine den Mund.

 

„In meinem Kopf schon“, murmelte Hermine unglücklich. „Aber… laut sagen kann ich es nicht.“

 

„Ich weiß, es tut ihm leid.“

 

„Ja, das weiß ich auch. Ich…“

 

„Du lässt ihn einfach etwas leiden?“, vermutete Ginny jetzt, und Hermine hob schrecklich schuldbewusst den Blick, aber Ginny grinste versöhnlich. „Das mache ich mit Harry jeden Monat so“, wisperte sie lächelnd. „Hält die Ehe frisch“, ergänzte sie zwinkernd. Hermine fühlte sich schrecklich. Sie wollte Ron überhaupt nicht leiden lassen. Sie konnte nur nicht anders. Sie war noch immer verletzt. „Aber erzähl mir von morgen“, fuhr Ginny gespannt fort. Hermine sah, wie Fleur die Ohren spitzte. Hermine griff sich ein Küchentuch, trocknete ihre Hände ab, denn sie hatte keine Lust, dass Fleur wieder selbstgerecht und überzogen urteilte.

 

„Komm, wir drehen eine Runde. Ich mache hier ja sowieso alles falsch“, ergänzte sie in Richtung Molly und Fleur, die ihr sparsame Blicke zuwarfen und sofort die Köpfe zusammen steckten, als Hermine mit Ginny die Küche verließ. Es war, als könne sie endlich wieder atmen. Im Wohnzimmer lachten Teddy und Vic über etwas, das George erzählte, und Hermine konnte kaum erwarten, dass alle Kinder erwachsen und vernünftig waren. Hugo kam letztendlich die Treppe runter und spazierte Richtung Küche. Aber Hermine warnte ihn nicht. Molly liebte Hugo. Er würde niemals Ärger bekommen. Es bestand keine Gefahr.

 

„Also?“, wollte Ginny wissen, nachdem sie über die Tür zum Garten den Fuchsbau verließen.

 

„Ach, was weiß ich“, entfuhr es Hermine wirklich überfordert.

 

„Was, die zukünftige Ministerin weiß nicht, ob ihre Kinder ihre Freunde einladen dürfen?“, neckte Ginny sie, und Hermine warf ihr einen bösen Blick zu.

 

„Du hast viel zu viel Spaß daran“, zischte Hermine jetzt.


„Oh ja! Immerhin einmal geht es nicht um Albus“, entfuhr es Ginny fast erleichtert. Hermine verzog den Mund. Es stimmte. Für gewöhnlich musste Ginny alle Scherben kitten, während Harry immer vollkommen überrascht war, dass sein kleiner Engel von mittlerem Sohn überhaupt Fehler machen konnte. Harry vergaß sehr schnell….

 

„Ich weiß es nicht. Fleur ist sauer, Dom schließt sich ein. James hat Liebeskummer – wie könnte ich da erlauben, dass Scorpius und Rumer kommen? Ich meine, die Familie geht doch wohl vor, oder nicht?“ Sie war überfordert damit.

 

„Hm“, machte Ginny. „Wenn das so weitergeht, dann wird es einen Keil zwischen die Kinder treiben“, vermutete sie. Hermine lachte hart auf.

 

„Das ist sowieso schon passiert. Und es nicht so, dass Hugo direkt akzeptiert wird“, bemerkte Hermine, und zwar definitiv an Ginny gerichtete, denn Albus war der Meinungsführer ihrer kleinen Gruppe an Kindern. Immer schon gewesen. Und es lag in seiner Hand, ob Hugo mit einbezogen wurde, oder ob er – wie immer – alleine irgendwo seine Zeit verbrachte.

 

„Nicht das schon wieder“, jammerte Ginny. „Hugo ist klug, Albus ist dumm. Es tut mir leid“, sagte sie verzweifelt. „Dumme Hunde lernen keine Tricks mehr“, benutzte sie das Sprichwort falsch, wie auch Ron, und fast musste Hermine lachen. „Sei froh, dass du Hugo hast, und dass er nicht zu viel Zeit mit der verkorksten Familie verbringt, wirklich“, entfuhr es Ginny versöhnlich. „Es kann nur gut für ihn sein. Einer muss sich ja später um Albus kümmern“, beschwor sie wohlweislich herauf. „Lily und James werden es nicht tun. Hugo hat ein gutes Herz.“ Hermine lachte auf.

 

„Deine Hoffnungen für Albus sind ja immens“, entfuhr es ihr, aber Ginny zuckte die Achseln.

 

„Dieser Junge wird ein Albtraum für jeden Vorgesetzten sein. Ich bin nur froh, wenn er dann nicht mehr Zuhause wohnt und ich jede Kleinigkeit klären muss. Das ist alles, was ich sage“, schloss sie feierlich, mit erhobenen Händen. Es fühlte sich so gut an, einfach zu lachen, einfach für einen Moment zu vergessen. Aber Ginny zerstörte auch diesen Moment sehr schnell. „Denkst du, sie haben Sex?“ Und dass Hermine schon nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob Ginny Rose oder Hugo meinte, brachte ihr erneute Übelkeit.


„Was?“, entfuhr es ihr gequält.


„Rose und Scorpius“, machte Ginny es deutlicher. Hermines Mund öffnete sich, um sich schlecht gelaunt wieder zu schließen. „Hast du mit ihr gesprochen?“

 

„Ich habe es versucht“, bemerkte Hermine sparsam.

 

„Und?“ Ginny war viel zu gespannt.


„Ach, was denkst du bitte? Dass Rose offen und erwachsen mit dem Thema umgeht?“, fuhr sie Ginny beschämt an.

 

„Wieso? Bist du ihr direkt mit irgendwelchem Verhütungsquatsch gekommen?“, erriet Ginny Hermines vorhersehbare Methode, und Hermine wandte den Blick nach vorne. „Bestimmt hatten sie schon Sex“, nahm Ginny nickend an, und Hermine verzog wieder den Mund.


„Kannst du aufhören, es ‚Sex‘ zu nennen?“ Angewidert sah Hermine ihre Freundin von der Seite an. Ginny lachte auf.


„Ich meine“, bemerkte sie, und ihre Augenbrauen hoben sich eindeutig, aber Hermine starrte dumpf zurück.

 

„Was?“, entfuhr es ihr gereizt.

„Sieh ihn dir an. Rose hat Augen im Kopf, garantiert“, bemerkte Ginny, und Hermine wurde wieder schlecht.

 

„Was genau soll das heißen?“, verlangte sie entsetzt zu wissen, und Ginny amüsierte sich köstlich über Hermines Ekel.

 

„Scorpius Malfoy ist ein sehr attraktiver Junge, das ist alles“, schloss sie vielsagend, und Hermine schloss entnervt die Augen. „Hübsche Kinder werden das, wenn sie heiraten und schwanger werden…“, ergänzte Ginny lachend, und Hermine schlug blind nach ihr, und Ginny lachte nur noch lauter.

 

„Sie werden nicht heiraten“, entschied Hermine, nachdem sie sich besonnen hatte. Sie sind sechzehn. Dass sie… ‚Sex‘ haben, das… kann ich schlecht verhindern – und ich will es auch nicht wissen!“, entfuhr es ihr scharf. „Aber… heiraten…, das… das wird sich keiner der beiden auch nur im Entferntesten ausmalen können.“

 

„Richtig“, entkam es Ginny trocken. „Das mit dir und Ron, das war auch nur lauwarm, ja?“

 

„Das war was anderes!“, konterte Hermine streng. „Es hat Krieg geherrscht, und… wir waren für einander bestimmt!“, beschloss sie arrogant.

 

„Ja“, sagte Ginny, mehr oder weniger ernsthaft.

 

„Was? Siehst du das anders?“, wollte Hermine fast herausfordernd wissen, aber Ginny hob wieder abwehrend die Hände.

 

„Nein. Es… ist ein wahrhaftiges Märchen, wie Hermine Granger und Ron Weasley zueinander gefunden haben“, entfuhr es ihr, äußerst trocken. Wieder zuckten Hermines Mundwinkel.

 

„Mum! Mum!“, hörten sie Lily rufen, und mit hochroten Wangen kam das hübsche Mädchen um die Ecke geflitzt, Rose dicht hinter ihr. „Ich habe den Schnatz gefangen! Nach zehn Minuten! Zehn Minuten, Mum!“ Ganz klar wollte Lily Lob hören, und das bekam sie auch.


„Um Jahre besser als James“, sagte ihr Mutter stolz. „Und sogar schneller als Albus!“, ergänzte sie dann vielsagend und drückte ihre Tochter kurz an sich.

 

„Ja, ich weiß!“, entkam es Lily atemlos. Und dann wandte sich das Mädchen an sie. „Tante Hermine, darf Scorpius morgen kommen?“, wollte sie mit weiten Augen wissen. „Es wäre so toll! Für Rose und fürs Spielen!“ Hermines Mund öffnete sich knapp. Rose sah überall hin, nur nicht in ihr Gesicht.

 

„Lily, Schatz, das kann ich dir noch nicht sagen.“

 

„Warum nicht, Tante Hermine? Wegen Dom? Du wirst doch wohl nicht auch noch auf ihre dumme Show reinfallen, oder? Wieso weist sie keiner in ihre dämlichen Schranken? Wir kriegen immer Ärger, und Dom nicht?“, wollte sie wütend wissen, und leise sprach Rose auf sie ein.

 

„Ja, eigentlich hat sie Recht, oder?“, mischte sich Ginny lächelnd ein, und Hermine schenkte ihr einen gereizten Blick.


„Das ist wirklich die Angelegenheit von Tante Fleur und Onkel Bill, Lily“, versuchte Hermine es mit Diplomatie.

 

„Aber-“, begann Lily, und Hermine seufzte auf.

 

„-es ist Heiligabend. Ich möchte wirklich nicht noch mehr Familienstreit hervorrufen, und wenn ich Rose gestatte, Scorpius einzuladen, dann muss ich es Hugo gestatten, und willst du wirklich, dass dein Bruder James morgen traurig ist? Manchmal müssen wir schwere Entscheidungen treffen, zum Wohle der anderen. Auch wenn die anderen sich genauso rücksichtslos verhalten.“ Hermine hasste solche Ansprachen eigentlich. Vor allem, wenn es nicht ihre eigenen Kinder waren, aber Ginny stand lediglich feixend neben ihr und tat gar nichts.

 

„Es ist ungerecht“, behauptete Lily bitter. Seit wann Rose und Lily überhaupt Freundinnen waren, wusste Hermine nicht, aber es gefiel ihr tatsächlich sehr gut.

 

„Vieles ist ungerecht, Lily, Schatz“, erwiderte Hermine sanft. „Dom ist niedergeschlagen. Und es fühlt sich für sie bestimmt schrecklich an, dass Rose nun mit ihrem Exfreund zusammen ist. Und ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass eure Cousine ausgerechnet am Weihnachtsmorgen so unfassbar traurig ist. Genau dasselbe gilt für James“, ergänzte sie nachsichtig. „Rose, verstehst du das?“, wollte sie jetzt von ihrer Tochter wissen, aber Lily stampfte zornig mit dem Fuß auf.

 

„Und dass wir dafür gesorgt haben, dass Onkel Ron nach Hause kommt, dafür, dass Scorpius und Rumer alles riskiert haben, damit Onkel Ron nicht mehr wütend ist – dafür bekommen wir nichts?“, wollte sie wütend wissen, und jetzt richtete sich Ginny zur vollen mütterlichen Größe auf, denn Hermine wusste darauf keine Worte, keine Rechtfertigung, denn ja, diese Sache stand noch im Raum. Und es lähmte sie, dass die Kinder von ihrem Streit mit Ron wussten, dass sie wussten, worum es ging.

 

„Lily, es reicht. Diese Sache haben wir noch nicht abschließend geklärt, und glaub mir, dafür gibt es auch noch Strafen! Es war nicht eure Angelegenheit-“

 

„-aber Onkel Ron hätte sonst-!“

 

„-genug!“, unterbrach Ginny ihre Tochter scharf.

 

„Wir machen alles richtig, und nur weil Dom eine blöde, selbstbezogene Ziege ist, müssen alle nach ihrer Pfeife tanzen! Sie ist überhaupt nicht traurig! Sie ist drüber weg, ok? Sie macht es nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen – und selbst wenn!“, fuhr Lily wütend fort. „Selbst wenn sie traurig ist, dann sollte sie sich lieber für Rose freuen, so wie ich es tue! Ich war auch in Scorpius verliebt, Mum! Aber ich sehe ein, wenn andere Leute besser zu einander passen! Und ich verstehe nicht, wieso Dom nicht einfach wie alle anderen auch, drüber weg kommen muss!“, blaffte sie, und Ginny atmete hart aus.

 

„Du gehst sofort ins Haus, kein Quidditch mehr für dich. Du wirst dich umziehen, dein bestes Kleid tragen, und wenn deine Cousine heute Abend runter kommt, erwarte ich, dass du nett und freundlich zu ihr bist, hast du das verstanden?“, wollte Ginny streng wissen. Lilys Blick sprühte praktisch Funken und zornig machte sie Kehrt und stürmte davon. Rose stand wie ein begossener Pudel vor ihnen. Hermines Mund öffnete sich überfordert.


„Ich versteh schon, Mum“, sagte sie still. „Ich will auch nicht, dass Dom leidet“, schloss sie mit einem traurigen Lächeln, und es brach Hermines Herz, zu sehen, wie vernünftig Rose geworden war, wie rücksichtsvoll, und es tat ihr alles so schrecklich leid. „Aber… Rumer ist auch meine Freundin. Lange bevor James sie kannte. Und es ist auch für mich nicht leicht. Nicht nur für Hugo oder James“, ergänzte sie ruhig, und Hermine hatte es fast verdrängt. Rumer gehörte eigentlich zu Rose, und sie wusste nicht, wann alles so furchtbar kompliziert geworden war.

 

„Ich weiß, Liebling“, entfuhr es ihr entschuldigend. „Es tut mir wirklich leid“, ergänzte sie fast machtlos, und Rose zuckte die Achseln.

 

„Ja, ich weiß“, schloss sie und wandte sich ab. Sie und Ginny blieben zurück, und Ginny seufzte lange auf.

 

„Wann genau ist es dazu gekommen, dass die Kinder vernünftiger sind, als wir? Wäre Dom meine Tochter, dann hätte sie von mir rechts und links eine Ohrfeige bekommen“, knurrte Ginny zornig.

 

„Hätte sie nicht“, bemerkte Hermine kopfschüttelnd, denn Ginny mochte vielleicht streng wirken, wenn sie sprach, aber sie konnte sich nicht entsinnen, dass Albus oder James jemals auch nur einen Klapser auf den Po bekommen hatten, nicht mal, als sie den Schuppen in Brand gesetzt hatten. Also wusste sie sehr genau, dass Ginny Dom nicht mal mit dem Finger gedroht hätte, wäre es ihre Tochter.

 

„Aber ich hätte drüber nachgedacht!“, entfuhr es Ginny schlecht gelaunt. „Mehrfach“, beteuerte sie bitter, und Hermine legte lächelnd einen Arm um ihre beste Freundin.

 

Ron und Arthur verließen den Schuppen, zufrieden, im Gespräch vertieft, und Ron war über und über mit Schmieröl verdreckt. Seine Hände waren praktisch schwarz, sein Arbeitsshirt besaß unzählige Flecken und sogar sein Gesicht wies Spuren auf, weil er sich wohl abwesend die Haare aus der Stirn gewischt hatte, mit den schmutzigen Händen.

 

„Kinder“, begrüßte Arthur sie zufrieden, und es beruhigte Hermine, dass Arthur immerhin nicht böse mit ihr war. Molly hatte einfach damit gerechnet, dass Hermine nicht nachtragend war, wo doch ihr Goldjunge Ron so artig wieder nach Hause zurückgekehrt war, aber Arthur war da realistischer. „Ich denke, ich mache mich fürs Essen fertig, sonst jagt mich meine Frau noch mit dem Nudelholz“, erklärte er zwinkernd, und Hermine wusste, das war eine echte Wahrscheinlichkeit.

 

„Und?“, wollte Ginny von ihrem Bruder wissen. „Läuft das Ding?“ Scheinbar meinte sie den Rasenmäher.

 

„Zündkerze fehlt“, erwiderte Ron bedauernd, und Hermine musste schmunzeln, denn Ginny schien mit dem Wort nicht viel anfangen zu können.

 

„Ah“, machte sie. „Wir haben Kerzen im Haus“, sagte sie dann etwas ratlos, und Hermine liebte praktisch den nachsichtigen Blick, den Ron seiner Schwester zuteilwerden ließ. Als wäre es ein großes Muggel-Geheimnis, was seine Schwester nie begreifen würde.

 

„Jaah“, erwidert er lächelnd, „hol mir eine, und wir schauen, ob das funktioniert, Gin“, schloss er frech, und Ginny schüttelte nur den Kopf.

 

„Witzig, Ron“, sagte sie. „Vielleicht verfliegt deine fabelhafte Laune, wenn deine Frau dich über den neuesten Streit der Kinder aufklärt. Hermine, ich suche Harry. Zeit, dass sich die Jungs umziehen. Wenn ich sie denn dazu kriege, die Jacketts überhaupt überzuziehen“, beschwerte sich Ginny erschöpft, und es wäre wirklich das erste Mal, denn Hermine hatte weder James noch Albus – oder Harry – jemals im Jackett im Fuchsbau gesehen. Harry nur zur Hochzeit.

 

„Viel Glück“, behauptete Ron lächelnd, und Ginny verschwand so gereizt, wie ihre Tochter es getan hatte. Seufzend sah ihr Mann sie an. „Was habe ich verpasst?“, wollte er müde wissen, aber Hermine konnte plötzlich nicht anders. Sie liebte ihren ölverschmierten Mann. Sie schloss den Abstand fast ungeduldig, drängte sich an ihn, und ihre Hände griffen in seine alte offene Strickjacke, die er trug, und überrascht senkte sich sein Kopf instinktiv, als sie ihm entgegenkam.

Seine Überraschung währte zwei Sekunden. Höchstens. Dann hoben sich seine warmen Hände zu ihrem Gesicht, umfassten es fest, und er vertiefte den Kuss sehnsüchtig, als wären sie Jahre getrennt gewesen. Sie schmiegte sich an ihn, und dann schlang er die Arme um ihren Körper, presste sie an sich, küsste sie heftiger, und seine Zunge schob sich vor. Sie schlang die Arme um seinen Nacken, und genoss jede Sekunden. Sie war nicht mehr sauer.

Denn sie hatten dafür gesorgt, eine liebe und verständnisvolle Tochter zu haben, und einen Sohn, der sich nicht mit den Streitereien der anderen abgab.

Sie hatten wirklich Glück. Sie waren ein gutes Team.

 

Glücklich löste sich Hermine ein Stück von ihm, und grenzenlose Überraschung leuchtete in seinem Blick. „Wo-wofür war das?“, wollte er atemlos wissen, und Hermine musste lächeln. Sie zuckte die Achseln.

 

„Ich liebe dich, du unmöglicher Idiot“, erklärte sie scheu, und er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Alle Schwere, alle Sorgen waren von ihm abgefallen, und er zog sie nur wieder an sich. Dieser Kuss war sanfter, liebevoller, und schließlich löste er sich wieder und ergriff ihre Hand.

 

„Komm, wir gehen rein. Es ist kalt, und… vielleicht könnten wir eine Dusche vertragen?“, schlug er scheinheilig vor, aber Hermine hatte schon gespürt, welche Art ‚Dusche‘ ihr Mann wohl meinte. Sie hatte auch Sehnsucht nach ihm. Mehr als das. Sie betraten den Fuchsbau über die offene Eingangstür, und George und Angelina hoben den Blick. Es war allerdings Teddy, der anerkennend den Daumen in die Höhe reckte.

 

„Wieder vertragen?“, erkundigte sich der junge Mann eindeutig, und Hermines Blick fiel abwesend in den Garderobenspiegel gegenüber. Ihr Gesicht war ölverschmiert, wie auch ihr Pullover. Schamesröte kroch in ihre Wangen. Manchmal war sie auch noch ein junges Mädchen. Aber Ron neben ihr grinste ungeniert.

 

„Sieht so aus“, bestätigte er, und George und Angelina wirkten ebenfalls erleichtert.

 

„Na los“, raunte Ron ihr zu und zog sie Richtung Treppenhaus, „ich will dich jetzt, ziemlich dringend, Hermine“, erklärte er rau, und Hermine musste den Blick senken, so unanständig war es von ihm. Aber sie konnte nicht lügen.

 

„Ich dich auch“, erwiderte sie leise, und dass sie nicht zwei Stufen auf einmal nahmen, war auch schon alles.

 

 

 

 

         Es war unangenehm, so viel stand fest. Ihre Eltern verhielten sich fast kindisch, denn Rose sah genau, wie ihr Vater unter dem Tisch die Hand ihrer Mutter in seiner hielt. Sie hatten sich wieder vertragen, und das war das einzige, was Rose wirklich freute. Hugo hatte es auch schon bemerkt, und die Geschwister tauschten wissende Blicke. James stocherte auf seinem Teller rum, wirkte gänzlich abgelenkt und mied Hugos Blick. Rose wusste, er gab sich Mühe, aber scheinbar hatte James Potter das erste Mal Liebeskummer. Es war wohl nicht so einfach für ihn.

Albus war unhöflich und laut wie eh und je, und Tante Ginny hatte alle Hände voll damit zu tun, ihn zu maßregeln und Strafen anzudrohen.

Vic hatte sich schon zweimal entschuldigt und den Tisch verlassen, und Dom saß bockig gegenüber auf der anderen Seite und hatte noch keinen Bissen gegessen, egal, wie oft und bestätigend Tante Fleur ihr über die seidig glänzenden Haare strich.

 

Lily saß neben ihr in einem hübschen Kleid, und Lily hasste jede Sekunde hier unten, Rose spürte es.

 

„Tja“, entfuhr es Grandpa Arthur schließlich ein wenig unbeholfen, „schön, dass wir alle wieder zusammentreffen, nicht?“, sagte er, um etwas zu sagen, um sich dann an Grannie Molly zu wenden. „Wirklich wunderbar gekocht, Liebes“, ergänzte er, und auch ihre Großmutter war wieder besser gelaunt, denn auch sie schien zu sehen, dass Mum und Dad sich vertragen hatten.

 

Aber sie schien auch zu merken, dass sich die Familie zurzeit nicht wirklich gut verstand. Das Essen hatte sich in stille Längen gezogen, und schließlich legte Grannie Molly ihre Serviette zur Seite.

Rose sah genau, dass sie sprechen würde. Sehr genau. Und ihr Blick war streng, wie eigentlich immer.

 

„Meine Lieben“, begann sie, aber ihre Stimme klang nicht halb so freundlich, wie ihre Worte. Die Erwachsenen hoben die Blicke quer über den Tisch. Grannie Molly saß immer am Kopf des großen Tisches. Immer schon. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass es Uneinigkeiten unter euch gibt.“ Sie sprach mit den Erwachsenen, als auch mit den Kindern. „Und ich weiß auch, dass es schwieriger geworden ist. Seit einigen Jahren empfange ich Rumer MacLeod und Scorpius Malfoy als Gäste in meinem Haus, Rose und Albus zu Liebe“, ergänzte sie scharf. „Und ich habe mir erlaubt, die beiden für morgen ebenfalls einzuladen, da es Tradition geworden ist und es unhöflich wäre, es nicht zu tun“, schloss sie streng, und Rose konnte zusehen, wie Doms Kinnlade offen fiel. „Ich weiß, dass es für euch vielleicht nicht vollkommen ideal ist, aber… ich habe dieses Jahr für beide Pullover gestrickt. Es wäre wirklich schade, wenn sie diese nicht zu Weihnachten bekämen, nicht wahr?“, wollte sie streng wissen. „Außerdem ist es das erste Weihnachten für Scorpius ohne seine liebe Mutter, und ich kann mir nicht vorstellen, wie das für eine Familie sein muss. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, Draco Malfoy und seine Schwägerin ebenfalls für morgen einzuladen.“

 

Es war, als detonierte eine stille Bombe. Alle Geräusche am Tisch waren mit einem Mal verstorben. „Wir sind eine offene, liebevolle und berüchtigte Familie. Und berüchtigt sind wir nicht dafür, Feindschaften zu halten oder nachtragend zu sein! Wir sind berüchtigt für unsere Gastfreundschaft, und diese gedenke ich auch dieses Jahr aufrechtzuerhalten. Wer ein Problem damit hat, kann sich gerne direkt an mich wenden. Je mehr, desto besser, meine ich. Es ist mein Haus, und jeder ist willkommen, der gerne kommen möchte.“  Grandpa Arthur hatte die Hand seiner Frau ergriffen und nickte bestätigend.

 

Ihre Ansprache war vorbei, und Rose sah sehr genau, wie Hugo versuchte, das Grinsen zu verbergen. Dann fing er Roses Blick, und hob kurz die Augenbrauen. Ihr Bruder war ein verdammtes Genie, ging ihr schockiert auf. Er war nicht zu James gegangen oder zu Dom. Er war direkt zu der Quelle gegangen, die den größten Erfolg versprach. Dort war er also heute Nachmittag gewesen! Denn, wenn Hugo Grannie Molly sein Leid klagte und es damit würzte, dass Scorpius auch noch ärmer dran war, als ihre Familie, dann gäbe es für Grannie Molly keine andere Wahl.

Hätte sie einen Hut, würde sie ihn ziehen. Vor ihrem Bruder, dem Genie.

 

Es würde das beste Weihnachten der Weasley-Geschichte werden!

 

 

 

 

 

Fourty-Five

 

         Er war so nervös, als wäre er noch nie im Fuchsbau gewesen. Dabei war es mittlerweile sein fünftes Jahr. Er kannte den Fuchsbau, er kannte die Weasleys, aber es war das erste Mal, dass sein Dad ihn begleitete. Scorpius wartete bereits ungeduldig am Treppenabsatz, denn er wollte los. Sein Vater kam endlich die Treppe runter, aber Scorpius‘ Kiefer lockerte sich.

„Was soll das denn?“, entfuhr es ihm, und sein Vater verharrte abrupt auf den Stufen.

„Was?“, entkam es ihm defensiv, bevor sein Blick fiel. „Zu viel?“, wollte er überfordert wissen, und Scorpius nickte ungläubig.

„Äh – ja? Wir gehen nicht ins Theater, Dad“, erwiderte er fassungslos. Sein Vater trug seinen besten Anzug, die teuerste Seide, lächerlich glänzende Schuhe – und das ging nicht. Die Weasleys waren… gemütlich, unbefangen, und sein Dad tat so, als wäre es ein Staatsempfang.

„Woher soll ich das wissen?“, schnaubte sein Vater gereizt. „Fein“, ergänzte er dann, und Tante Daphne kam aus dem Gästebad. Ihre Augen wurden groß.

„Gehen wir vorher noch auf eine Beerdigung?“, erkundigte sich seine Tante Daphne, die seiner Mutter nur manchmal sehr ähnelte, aber ihr Humor erinnerte Scorpius immer schmerzlich und gleichzeitig liebevoll an seine Mum.

„Witzig, Daphne“, knurrte sein Dad wütend. „Wir kommen zu spät, wenn ich mich jetzt noch umziehen muss“, ergänzte er warnend.

„Vielleicht kannst du dich ja gerade noch davon abhalten, die beste Robe mit Seide und Spitze anzuziehen, hm?“, erkundigte sich Tante Daphne mit verschränkten Armen, während sie den Kopf schüttelte. Tante Daphne, die sich eigentlich ausschließlich in höherer Gesellschaft bewegte, sah wesentlich präsentabler aus als sein Dad. Sein Vater war immerhin nervöser als er. „Dein Dad hat Angst“, bemerkte Tante Daphne wohlweislich, als sein Vater außer Hörweite war.

„Wovor?“, wollte Scorpius ein wenig ratlos wissen.

„Vor Harry Potter, nehme ich an.“

„Sie trainieren zusammen im Ministerium“, widersprach Scorpius kopfschüttelnd.

„Unerheblich. Wir alle fürchten Harry Potter ein klein wenig“, sagte sie lächelnd.

„Mr. Potter ist wirklich nett“, beteuerte Scorpius lediglich.

„Ich zumindest bin sehr gespannt“, sagte Tante Daphne. Ihr ging es mittlerweile schon besser, und sie sprach auch nicht mehr über Onkel Blaise. Zumindest nicht mehr sehnsüchtig und traurig. Sie nannte ihn mittlerweile ‚den Arsch‘, was Scorpius sehr witzig fand. „Auch auf deine Freundin“, ergänzte sie wohlwollend. Scorpius wurde nicht rot, aber unangenehm war es trotzdem. „Hermine Grangers Tochter, nicht wahr?“, erkundigte sich Daphne, die gut informiert war. Scorpius ruckte mit dem Kopf, obwohl der Nachname nicht mehr passte. „Deiner Mutter hätte das gefallen. Sie und Hermine haben sich damals gut verstanden“, ergänzte sie. Scorpius wusste darüber nicht viel, ruckte aber wieder mit dem Kopf. Er hatte sich ziemlich unmöglich gegenüber Mrs Weasley verhalten, fiel ihm wieder ein. Er hoffte, sie wäre nicht nachtragend.  „Weiß dein Großvater Bescheid?“, wollte sie probehalber wissen, die Lippen angespannt.

„Oh ja“, bestätigte Scorpius, denn gestern Abend war kein guter Abend gewesen. Heiligabend ohne seine Mum war schon schlimm genug, aber dann gegenüber seinem Großvater zu sitzen, während er ihm hundert Gründe aufzählte, besser nichts mit den Weasleys zu tun haben, war noch anstrengender. Als Scorpius sich dann wirklich handfest gestritten hatte, hatte sich sein Vater erhoben und angekündigt, dass sie jetzt besser nach Hause gingen. Scorpius hatte völlig haltlos geschrien, seinem Großvater eröffnet, dass er weder Gold noch Titel haben wollte, und seine Großmutter hatte Tränen der Bestürzung vergossen.
Typisches Malfoy-Weihnachten, nannte er es. Dass sie sich nicht stritten wäre eine absolute Seltenheit.

Und deshalb freute er sich auf den Fuchsbau, auch wenn Dom es garantiert nicht einfach machen würde. Wenn er ehrlich war, dann zählte sowieso nur Rose. Niemand sonst.
Er hatte ihr Geschenk schon lange, und er war nervös, es ihr zu geben. Wirklich extrem nervös. Es war… ziemlich persönlich, und fast hoffte er, sie hätte nichts für ihn, denn er würde sich nur schämen.
Fast merkte er nicht, wie Tante Daphne die Hände von hinten auf seine Schultern legte. Sie seufzte leise auf, und dieses Geräusch erinnerte ihn so stark an seine Mum, dass er kurz schlucken musste und die Augen schloss.
Denn wenn er die Augen schloss, sich vorsichtig an sie lehnte, ihre warmen, schmalen Hände auf seinen Schultern spürte, dann… konnte er sich vorstellen, es wäre seine Mum. Nicht seine Tante.
Die Tränen kamen sehr plötzlich, und es war nicht so, dass er nicht umarmt wurde. Sein Dad umarmte ihn ständig, aber… von einer erwachsenen Frau bekam er keine Zuneigung. Vielleicht war es das.
Er wusste, sein Dad hatte sich Mühe gegeben. Das Haus war geschmückt, aber nicht so detailreich, wie es seine Mutter sonst gemacht hatte. Dad hatte die verzauberten Schlittenfahrer nicht aufgehangen, hatte den Spruch nicht gesprochen, damit das Wohnzimmer nach Minzstangen roch, und Scorpius hatte es ihm nicht sagen wollen.

„Komm her, mein Liebling“, murmelte Tante Daphne mit beschlagener Stimme, drehte ihn zu sich herum und schloss ihn sanft in ihre Umarmung. Mit geschlossenen Augen fühlte sie sich an, wie Mum. Er presste sich fest an sie, und liebevoll strich sie über seinen Kopf. „Ich vermisse sie auch, Scor“, flüsterte sie. Tante Daphne war wesentlich angenehmer, ohne Onkel Blaise. Sie war nicht so aufgedreht und ungeduldig. Sie hatte keine Kinder, und manchmal glaubte Scorpius, dass das für sie auch furchtbar sein müsste. Er wusste es nicht. Er wusste nicht, was sie und Onkel Blaise all die Jahre aneinander gefunden hatten. Seine Tante war sehr schön. Etwas größer als seine Mum, die Haare etwas dünner als die seiner Mum, die Gesichtszüge etwas länglicher, aber ansonsten hatten sich die Schwestern immer sehr geähnelt. Sie war schlank, sie roch sehr gut, und für einen Moment genoss Scorpius diese Nähe. Je länger es dauerte, umso mehr erinnerte er sich an seine Mutter und merkte, wie verschieden die Schwestern doch waren. Zuerst hatte er gedacht, es wäre genau dasselbe, und fast war er erleichtert, zu sehen, dass er seine Mum doch nicht vergessen hatte, dass er sofort alle Unterschiede hätte aufzeigen können.
Seine Mum hätte ihn irgendwann gekitzelt, hätte sich gelöst, hätte ihn geärgert. Tante Daphne tat das nicht. Sie hielt ihn fest, und Scorpius löste sich selbst von ihr. Er lächelte zu ihr auf. Sie hatte selber ein paar Tränen geweint. Energisch streckte sie den Rücken durch, lächelte die Tränen fort, und fuhr ihm mit beiden Händen über die Wangen, wischte auch seine Tränen weg.

„Jetzt wird nicht mehr geweint, oder dein Dad wirft mich raus“, prophezeite sie besorgt, aber Scorpius schüttelte den Kopf.

„Tut er nicht“, widersprach er grinsend. Er glaubte, seinem Das gefiel Tante Daphnes Anwesenheit, auch wenn er viel schimpfte. Niemand war gerne allein.

„Würde er gerne. Ich weiß, was er von mit denkt“, entkam es ihr eindeutig, mit erhobenen Augenbrauen.

„Er mag dich, Tante Daphne“, sagte Scorpius freundlich. „Ich mag dich auch“, ergänzte er, und wieder glänzten ihre Augen.

„Wenn… wenn du irgendwas brauchst, ja? Egal, was – dann… ruf durch, ok? Sag einfach Bescheid, dann… komm ich! Versprochen“, erklärte sie ihm, etwas überfordert, aber er verstand schon. Er lächelte breiter.

„Ok. Danke“, sagte er nickend.

„Wie sehe ich aus?“, fragte sie dann, wechselte das Thema, machte einen Schritt zurück, um sich zu präsentieren, und das war wieder typisch seine Mum. Das hätte sie ihn auch gefragt. Tante Daphne deutete auf ihre schmale Figur. Sie trug einen eleganten Rock, darüber eine luftige hellblaue Bluse, die gut zu ihren dunklen Haaren passte, und sie sah wesentlich besser aus, als noch vor ein paar Wochen. Sie wirkte jünger, fröhlicher. Sie war wirklich hübsch.

„Fantastisch“, sagte Scorpius, mit etwas belegter Stimme, denn dasselbe hatte er zu seiner Mum gesagt, wenn sie ihn gefragt hatte. Tante Daphne nahm das Kompliment mit einem Lächeln an.

„Charmeur“, behauptete sie kopfschüttelnd. Dann seufzte sie auf. „Draco, du bist nicht die Prinzessin des Balls, beweg dich endlich!“, rief sie die Treppe nach oben, und Scorpius musste des Lachen verbergen, als er die gereizte Stimme seines Vaters vernahm.


                        Rose war nervös. Sie standen alle im Wohnzimmer, wie die Orgelpfeifen. Trotz aller Wut und Trauer hatte Dom es doch tatsächlich geschafft, alle Register zu ziehen. Sie sah unglaublich aus. Die goldenen Haare leuchtend und weich, das Gesicht strahlte vor Schönheit, und Rose wurde fast übel bei ihrem Anblick. Sie sah viel zu gut aus. Dom machte sehr gute Miene zum bösen Spiel, und Rose konnte nicht erwarten, dass Hogwarts vorbei wäre, und Dom endlich – endlich – weg zog! Weit weg! Vielleicht irgendeinen Grafen in Frankreich heiratete. Das wäre das Beste für alle. Ihre Schwester hingegen war merklich blasser als sonst. Vic schien es nicht so blendend zu gehen. Aber auch James und Albus wirkten nicht sonderlich begeistert. Albus wahrscheinlich, weil er keine Geschenke bekam, und James… na ja, weil er Liebeskummer hatte.
Hugo stand neben ihr, groß und unnahbar, und Rose hätte für tausend Galleonen nicht sagen können, was er denken mochte.

Alle wirkten ein wenig angespannter. Die Malfoys waren bereits fünf Minuten zu spät, und Grannie Molly bestand aber darauf, dass sie auf die Ankunft der Gäste warteten.
Bevor es tatsächlich unangenehm wurde, und sie alle darüber nachdachten, wo sie sonst sein könnten, klopfte es an der Tür. Es war Grannie Molly, die öffnete, und Rose beherrschte sich, nicht auf die Zehenspitzen zu gehen. Grannie Molly begrüßte die Gäste ausgiebig, umarmte sogar Scorpius‘ Vater und seine Tante, und dann traten die Gäste ins Wohnzimmer.
Und ihr Dad löste sich als erstes, begrüßte die Gäste ebenfalls, so wie ihre Mum nach einer kurzen Sekunde. Sie hatten Rumer direkt mitgebracht. Sie steuerte sofort auf sie und Hugo zu, umarmte Rose heftig, und Hugo schien so viel Taktgefühl zu besitzen, Rumer lediglich die Hand zu reichen. Rose spürte James‘ Blick auch von hier aus.
Scorpius begrüßte ihren Vater unangenehm lange, und Rose wusste bei Merlin nicht, worüber beide sprachen. Endlich kam er zu ihr, aber sein Blick glitt durch die Runde, und sie wusste, er hatte Dom erkannt. Er nickte ihr sogar zu, und Dom nickte kühl und tapfer zurück.
Rose war mäßig übel, und endlich stand er vor ihr.
Und er besaß nicht Hugos Taktgefühl. Bevor Rose knallrot werden konnte, hatte er sich zu ihr gebeugt und küsste ihre Lippen sanft.

„Frohe Weihnachten“, murmelte er, und er roch fantastisch. Er trug einen dunklen Blazer, und seine hellen Haare lagen dicht und ordentlich, und sie liebte ihn so sehr, dass es albern war. Ihre Mundwinkel hoben sich.

„Frohe Weihnachten“, wiederholte sie atemlos.

„Ich würde vorschlagen, wie beginnen mit den Geschenken, nicht wahr? Wir haben lange genug ausgehalten“, beschloss Grannie Molly laut, und es lockerte die Stimmung tatsächlich. Innerhalb weniger Minuten, war das Wohnzimmer ihrer Großeltern in einem regelrechten Geschenkechaos versunken. Rose könnte sie nicht mal zählen. Es waren achtzig Geschenke? Vielleicht mehr? Und alleine davon bekam sie bestimm fünfzehn auf den Schoß gestapelt. Sogar Dom vergaß kurz ihre schlechte Laune, als sie die monströse Schminkkommode auspackte, die Schubladen prall gefüllt, mit tausend verschiedenen Beauty Produkten.
Hugo bekam bestimmt zehn Bücher geschenkt und war bereits in einen großen Wälzer zusammen mit Rumer vertieft.
Alby saß etwas abseits von ihr und blickte ziemlich missmutig drein, aber dann kam Onkel Harry aus der Küche zurück. Er hatte ein einzelnes Paket auf dem Arm.

„Ginny und ich haben nachgedacht“, begann er laut, und Alby hob vorsichtig den Blick. „Und… vielleicht ist ‚kein Geschenk‘ etwas zu hart“, schloss er dann lächelnd. „Also… gibt es zumindest ein einziges Geschenk für dich, Al“, fuhr er fort und reichte seinem Sohn das Paket. Alby biss sich auf die Lippe, bevor er das Papier zurück schlug.

„Oh verdammt!“, entfuhr es ihm ungehalten, als er die Box erkannte, und Grannie Molly schürzte missbilligend die Lippen, aber auch James hatte sich erhoben.

„Der Silver 5000!“, entfuhr es James mit weiten Augen, und Rose und Scorpius erhoben sich praktisch automatisch sowie auch Louis, Rumer, Fred und Lily. Sie standen dicht gedrängt um Alby, der mit fahrigen Bewegungen, die Box öffnete und einen Rennbesen offenbarte, der Stiehl aus Koboldmetall gefertigt, die Borsten glänzend und gefettet zusammengefasst, und eingraviert lasen sie die drei verschnörkelten Zeichen der Koboldsprache. Das Markenzeichen dieses Besens. Das Wort für Koboldsilber. Ihr Vater drängte sich unauffällig zwischen sie.

„Das nenn ich einen Besen“, bestätigte er anerkennend.

„Er ist gebraucht“, sagte Onkel Harry sofort, die Warnung in der Stimme. „Und es ist ein Probebesen. Solltest du dir irgendeine, noch so kleine Missetat leisten, kommt er zurück in die Box“, schloss er eindringlich, aber Alby sah ihn selig an.

„Danke Dad!“, flüsterte er, überließ den anderen seinen Besen, um seinen Vater zu umarmen. Onkel Harry musste grinsen.

„Ach, hör schon auf“, sagte sein Vater und zerstrubbelte seine Haare. Auch Grannie Molly schob Alby unauffällig ein paar verborgene Geschenke zu und zwinkerte verschwörerisch.
Es war ein wirklich schöner Weihnachtstag bisher. Auch wenn Rose Scorpius sein Geschenk noch nicht gegeben hatte. Sie hatte auch keines von ihm bekommen, aber von seinem Vater und seiner Tante hatte sie ein wunderschönes, in Leder gebundenes Tagebuch bekommen sowie Quidditchhandschuhe mit ihren Initialen. Sie war begeistert.

Die Erwachsenen plauderten ausgelassen, während die Kinder das Wetter inspizierten, und nur darauf warteten, nach draußen zu können, um den Besen auszuprobieren.
Es war Rumer, die aushandelte, das Essen noch ein wenig zu verschieben, und Grannie Molly gefiel Rumers direkte Art so gut, dass sie ihnen erlaubte, noch eine Stunde nach draußen zu gehen. Onkel Harry, ihr Dad, Onkel George, Tante Angelina und Onkel Bill folgten ihnen direkt nach draußen.

Alby konnte kaum erwarten, den Besen zu besteigen und stieß sich glücklich vom kalten Boden ab. Es roch nach Schnee, aber noch war keine Flocke zu entdecken. Scorpius verschloss seine Jacke, und Rose setzte die Mütze auf. Im Schuppen standen genug Ersatzbesen, so dass sie alle spielen konnten. Sie spürte plötzlich Scorpius Hand. Er schob etwas in ihre Jackentasche. Sofort fuhren ihre Finger ins Innere der Tasche und schlossen sich um ein sehr kleines Geschenk. Sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Er lächelte etwas scheu.

„Pack es später aus“, raunte er ihr zwinkernd zu, und ihr Herz machte einen Satz. Er hatte ein Geschenk für sie! Sie knöpfte die Tasche zu, damit das Geschenk nicht rausfallen konnte, und Vic hatte mal gesagt, die besten Geschenke sind in der kleinsten Verpackung. Rose war vollkommen nervös. Denn… es wäre Schmuck, nicht wahr? Ihr Freund schenkte ihr Schmuck. Sie besaß keinen Schmuck, denn sie legte keinen Wert darauf, aber… allein der Gedanke daran, dass Scorpius sich die Mühe gemacht hatte, ihr etwas Kostbares zu besorgen, ließ ihre Knie weich werden.

Es war der beste Nachmittag. Sie verspürte keinen Hunger, und ihrer Familie schien es ähnlich zu gehen. Sie spielten ausgelassen miteinander, und Lily flog fantastisch, und Rose war so stolz auf sie. Sie selber musste ein wenig vorsichtiger fliegen, aber Scorpius würde noch früh genug erfahren, warum. Schnell verschwand die Sonne, und die Kälte kroch durch ihre Jacken, lag schwer in der Luft, und irgendwann riefen sie ihre Eltern nach drinnen, und endlich verspürte Rose den Hunger.
Sie fühlte sich so leicht, fand den weg an Scorpius‘ Seite schnell und ohne Zögern, und selbst Hugo holte Rumer von draußen ab, küsste sie innig, und selbst James war nicht mehr vollkommen verbissen und traurig.
Drinnen schälten sich die Kinder aus ihrer klammen Kleidung und versammelten sich um den großen Tisch, der fast barst, mit all den Köstlichkeiten. Kerzen standen einladend in der Mitte, und sie genossen alle die wohlige Wärme. Und nicht mal Doms Anwesenheit störte Rose noch sonderlich. Sie versammelten sich um den Tisch, nahmen Platz, und nur noch Vic und Ted fehlten, stellte Rose fest.
Unter dem Tisch hatte Scorpius ihre Hand ergriffen, und Rose dachte nur noch an die kleine Schachtel in ihrer Jackentasche. Sie war völlig aufgeregt.

Und dann betraten Vic und Ted das Esszimmer, die Hände fest ineinander, die Finger verschränkt. Und Vic wirkte merklich blass, hielt den Blick aber aufrecht, in Richtung ihrer Eltern.

„Mum, Dad“, begann sie mit belegter Stimme, und die Gespräche verstummten langsam.

„Vic, Liebling, setz disch“, forderte ihre Mutter sie lächelnd auf.

„Was ist los, Vic?“, wollte Onkel Bill etwas wachsamer wissen, und Vic atmete knapp aus.

„Wir sind schwanger“, sagte Vic, ohne Angst, ohne Scheu, und die Erwachsenen verstummten gänzlich. „Das Kind werde ich nach den Utzen bekommen, also werde ich einen Abschluss haben, keine Sorge, Dad“, fuhr sie fort. „Ted hat seine Ersparnisse bereits angelegt, und wir haben uns ein nettes, kleines Haus in Hogsmeade angesehen, das wir uns leisten können. Ich weiß, dass es nicht ideal ist, aber… so ist es jetzt“, schloss sie, um Kontenance bemüht.

Tante Fleur wirkte vollkommen erschlagen, genauso wie Dominique, die ihre Schwester ungläubig anstarrte. Niemand sagte etwas. Rose wandte unauffällig den Blick, aber es schien für jeden hier eine Neuigkeit zu sein. Außer vielleicht… für Lily, denn diese hatte ein warmes Lächeln auf den Lippen.

„Wir waren bei der Heilerin. Es ist alles in bester Ordnung. Und es wird ein Mädchen“, schloss Vic, und sehr kurz hoben sich ihre angespannten Mundwinkel in stiller Vorfreude, bevor sie wieder sehr ernst wurde. „Wir hoffen, ihr könnt damit umgehen. Verzeiht, dass wir euch das Fest verdorben haben, aber… ich wollte es nicht länger geheim halten.“

Die beiden standen recht verloren nebeneinander, und schließlich erhob sich Grannie Molly und schloss den Abstand zu Vic und Ted.

„Meine Liebe, das ist wundervoll“, sagte ihre Großmutter mit warmer und liebevoller Stimme. „Keine Angst! Wir werden uns kümmern!“, versprach sie fest, als sie beide in die Arme schloss. Und dann erhoben sich auch Onkel Bill und Tante Fleur, bis schließlich alle aufstanden, um eilig zu Vic zu gehen. Tante Fleur weinte sogar, und Onkel Bill schien zu schwanken zwischen Wut Freude, aber letztendlich drückte er auch Ted an sich, gratulierte beiden und versprach ihnen, dass es nicht das Ende der Welt war, und Rose hatte zwar keine Ahnung, was sie Vic sagen sollte, aber auch sie drückte ihre Cousine, und war froh, dass es kein Familiendesaster gegeben hatte. Vic weinte vor Erleichterung, und alle mussten aufrücken, damit Vic und Ted neben Grannie Molly sitzen konnten.
Dom konnte gar nicht aufhören, davon zu erzählen, dass sie Tante werden würde, und Rose und Scorpius tauschten ein Grinsen.

Es wurde ein lautes, unverwechselbar lustiges Essen, und alle wurden satt. Rose bemerkte auch, dass sich Scorpius‘ Tante sehr ausgiebig mit Onkel Charlie unterhielt und selbst über seine schlechtesten Witze lachte. Sie nahm an, Onkel Charlie war ziemlich froh, dass er die Einladung von Grannie Molly doch nicht ausgeschlagen hatte. Allerdings entschuldigten sich die Kinder schließlich, denn die Erwachsenen hatten begonnen über langweilige Themen zu reden, und vor allem Roxy wollte mit ihren Geschenken spielen. Aber Dom kam nicht mit ihnen. Sie blieb bei ihrer Schwester, rückte ganz nahe an sie heran und hatte nur noch Augen für Vic. Es war so seltsam, dass Rose fast versucht war, mit Dom zu sprechen. Aber sie wusste, sie sollte lieber dankbar dafür sein, dass Dom ihr keine Vorwürfe machte.

Die anderen liefen plaudernd nach oben, aber Rose und Scorpius blieben zurück. Die anderen schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, und im halbdunklen Flur blieben sie stehen. Als hätte Scorpius schon viel zu lange gewartet und als könne er sich kaum noch beherrschen, drängte er sie gegen die dunkle Flurwand. Ihre Lippen fanden sich auch im Halbdunkeln. Damit kannten sie sich schon aus. Sie legte sanft die Arme um seinen Nacken, und sein Drängen schickte neue Erregung durch ihren Körper.

„Möchtest… möchtest du dein Geschenk sehen?“, fragte sie ihn zwischen zwei Küssen, und er lehnte schwer atmend den Kopf gegen ihre Stirn.

„Du hast ein Geschenk für mich?“, erkundigte er sich rau, und sie nickte still.

„Du hast doch auch eins für mich“, erwiderte sie mit leiser Empörung, und er ruckte mit dem Kopf.

„Na ja, das heißt nicht, dass-“

„-möchtest du es haben, oder nicht?“, unterbrach sie ihn herausfordernd, und er schwieg.

„Sehr gerne“, sagte er still, und dann löste sie sich von ihm, holte zunächst sein kleines Geschenk für sie aus ihrer Jackentasche und ergriff seine Hand, als sie wieder zu ihm schlich.

„Lass uns ganz nach oben. Dort werden die anderen nicht sein“, ergänzte sie vielsagend, und sie erkannte sein schneeweißes Grinsen auch im Dunkeln.  
Ihr Herz schlug schnell. Denn ihr Geschenk für ihn war… etwas anders, als konventionelle Geschenke. Und sie war sich nicht völlig sicher, ob es ihm überhaupt gefallen würde.
Und vor allem war sie gar nicht diejenige gewesen, die es besorgt hatte. Sie hatte Lily beauftragt, denn Rose hatte gar nicht wirklich gewusst, was sie einem Jungen schenken könnte, der sich alles ohne weiteres kaufen konnte – und der wahrscheinlich auch schon alles hatte.

Endlich erreichten sie den dritten Stock, waren still und leise an den übrigen Zimmern vorbeigeschlichen, und die anderen waren im ehemaligen Zimmer der Zwillinge und lachten und erzählten irgendwelche Hogwartsgeschichten.
Oben öffnete Rose die Tür zum Zimmer von Tante Ginny. Es war ein schmales Zimmer, und die anderen kamen selten hier hoch, eben weil es zu eng war. Rose verschloss vorsorglich die Tür und wusste, sie hatten kein sonderlich großes Zeitfenster.
Sie entfachte die Lampen per Hand, und es dauerte einen Moment. Scorpius wanderte durch das kleine Zimmer, betrachtete die alten Bücherregale voller uralter Quidditchzeitschriften, und dann standen sie sich gegenüber, Rose ein wenig atemloser als er.

„Pack deins zuerst aus“, forderte er sie auf, und in seiner typisch unsicheren Geste, kämmte er sich die Haare über den Kopf. Sie löste mit fahrigen Fingern das schmale Band, schlug das Papier zur Seite, und wusste, sie hatte recht. Es war eine Samtschachtel. Etwas abgegriffen, etwas älter. „Ok, es… es ist nicht, was du denkst“, sagte er hastig, als sie mit großen Augen den Deckel öffnete. Ihr Mund öffnete sich stumm. „Ich weiß, es sieht so aus, aber… es ist nicht, was du denkst“, wiederholte er heiser, und ihr Blick war auf den bildhübschen Ring gefallen.

Er war filigran und unbeschreiblich schön, und sie konnte nur raten, dass der funkelnde Stein ein Diamant war. Ihr Blick hob sich ängstlich wieder. Er kam näher, nahm ihr die Schachtel ab und zog den Ring heraus. „Es… es war der Verlobungsring meiner Mum“, erläuterte er kleinlaut. „Und… ich habe ihn für dich neu gravieren lassen – und ich weiß, ein Verlobungsring ist nicht wirklich… passend, da ich dir keinen Antrag machen will, aber… zumindest hast du ihn einfach schon, für den Fall“, schloss er nervös.

„Für… für den Fall?“, wiederholte sie mit piepsender Stimme. Sie sahen sich in die Augen.

„Für den Fall, dass wir… zusammen bleiben und… du mich tatsächlich behalten willst. Für den Fall eben“, erläuterte er leiser. Sie nahm den Ring vorsichtig entgegen und betrachtete die Innenseite. Tatsächlich! Auf der einen Hälfte standen die Initialen A+D in feinster Kalligraphie, und auf der anderen Seite erkannte sie etwas deutlicher die Buchstaben R+S. Sie starrte ihn wieder an. „Nicht gut?“, vermutete er tonlos, aber sie schloss kopfschüttelnd den Abstand und küsste ihn sofort. Überrascht schlossen sich seine Augen und er zog sie sofort an sich. Der Kuss war lang und nervenaufreibend, und sie löste sich mit knallroten Wangen wieder.

„Jetzt… jetzt komme ich mir wirklich doof vor“, murmelte sie beschämt. „Ich habe… ein komplett anderes Geschenk für dich“, schloss sie bitter. Er sah sie an.

„Rose, ich weiß, das… ist ein gewagtes Geschenk. Aber… meine Mum hat mir gesagt, ich soll den Ring dem Mädchen geben, was die Eine für mich ist. Und, egal ob wir zusammen bleiben und heiraten, oder ob du nächstes Jahr deine Meinung änderst und mich verlassen willst – du bleibst die Eine, Rose“, sagte er mit fester Stimme, und es trieb ihr die Tränen in die Augen.

„Oh Scorpius! Ich liebe dich so sehr!“, entkam es ihr mit belegter Stimme und sie warf die Arme um seinen Nacken.

„Ich liebe dich auch“, flüsterte er in ihre Haare und hielt sie fest. Dann löste sie sich wieder und er nickte ihr auffordernd zu. „Willst du probieren, ob er passt?“ Als bekäme sie jeden Tag Diamantringe geschenkt! Ihr Vater würde höchstwahrscheinlich einen Schock kriegen, würde er den Ring sehen. Aber Rose schob ihn mit roten Wangen auf ihren Ringfinger, und er passte perfekt!

„Wow“, flüsterte sie, als sie auf den funkelnden Stein an ihrem Finger blickte. Ihre Hand sah direkt edler aus.

„Du musst ihn nicht tragen, wenn du-“

„-ich werde ihn nie wieder absetzen“, versprach sie blind, und begriff nicht mal, was diese Worte letztendlich bedeuteten. Scorpius lächelte ein schönes Lächeln.

„Gut“, erwiderte er. „Mein Geschenk?“ Seine Augen funkelten frech, und Rose musste sich erst wieder beruhigen. Sie biss sich auf die Lippe und kam sich lächerlich vor.

„Vielleicht sollte ich ein anderes Geschenk besorgen und es dir wann anders-“

„-oh komm schon, Rose!“, unterbrach er sie ungläubig.

„Ok“, entkam es ihr unzufrieden. „Aber… du darfst nicht lachen“, warnte sie ihn, und er sah sie mit erhobener Braue an.

„Ist es lustig?“, wollte er spöttisch wissen, aber sie schüttelte den Kopf.

„Nein“, erwiderte sie. „Eher peinlich, glaube ich. Nach diesem Geschenk“, ergänzte sie, und er verdrehte die Augen.

„Ich hätte es dir nicht geben sollen, richtig?“, vermutete er, und sie schüttelte sofort den Kopf.

„Nein! Der Ring ist wundervoll! Er ist das Schönste, was ich je bekommen habe. Ich liebe ihn!“, entfuhr es ihr sofort, und er zuckte die Achseln.

„Und ich werde lieben, was auch immer du für mich hast, Rose. Versprochen“, sagte er, und sie verdrehte die Augen, als sie die Knöpfe ihrer Bluse öffnete. Sofort gefror er vor ihr. „Rose?“, entkam es ihm, einigermaßen unsicher, aber er folgte ihren Fingern mit seinem Blick.

„Dann halt die Klappe, setz dich hin und… frohe Weihnachten“, erwiderte sie streng, und gespannt setzte er sich auf Tante Lilys altes Bett. Sie war fertig mit den Knöpfen der Bluse und zog sie aus. Achtlos ließ sie sie hinter sich fallen. Sie spürte die Röte in den Wangen. Sie trug ein weißes Trägershirt, und sein erwartungsvoller Blick ließ sie schlucken. Ok. Jetzt oder nie.

Sie griff in den Saum und zog das Shirt über ihren Kopf. Und es hatte sehr gut verborgen, was sich darunter befand. Zwar war ursprünglich nicht ihr Plan gewesen, ihn ausgerechnet hier zu verführen, aber… da hatte sie noch nicht gewusst, dass Grannie Molly die Familie einfach zwingen würde, Rumer und Scorpius einzuladen.

„Woah“, entfuhr es ihm rau. Er konnte den oberen Teil der Korsage bereits erkennen. Sie war aus dunkelblauer Seide, und tatsächlich hatte ihr Lily geholfen, sie heute einzuschnüren. Rose war ziemlich begeistert davon, wie wenig ihr dieses Kleidungsstück beim Quidditchspielen ausgemacht hatte – dann wiederum hatte sie heute auch wirklich passiv gespielt. Sie knöpfte die Hose auf und schob sie vorsichtig ihre Beine hinab, denn das ganze Spektakel ging unten noch weiter. Sehr vorsichtig hatte sie die Strumpfbänder befestigt, und auch diese hatten den Quidditchnachmittag gut überstanden. Sie stieg aus der Hose und richtete sich auf. Sein Kiefer hatte sich gelockert, und mit Mühe hob er den Blick zu ihren Augen.

„Verdammt, Rose“, entkam es ihm heiser.

„Gefällt es dir?“, flüsterte sie unsicher, und er nickte ziemlich unbewegt.

„Das… das ist…- ich…“ Ihm schienen immerhin die rechten Worte zu fehlen, und das gab ihr den Mut näher zu kommen. Ihre Taille war straff eingebunden, ihre Brüste wurden in die Höhe gepuscht, und er biss sich unbewusst auf die Lippe. Sie neigte sich vor, ergriff seine kühlen Hände und legte sie sanft auf ihre Taille. Angespannt entwich die Luft seinen Lungen.

„Viel besser, als mein Geschenk“, wisperte er mit weiten Augen, und mit einem anzüglichen Lächeln setzte sie sich rittlings auf seinen Schoß.

„Auf keinen Fall“, entgegnete sie, fuhr sich durch die Locken, um sie aufzulockern, und hungrig schlang sich seine Hand um ihren Nacken, zog sie zu sich, und dieser Kuss war wesentlich fordernder. Sie half ihm, seine Sachen auszuziehen, und er fluchte gegen ihre Lippen, weil es verdammt lange dauerte, sein Hemd zu öffnen.

„Wir… haben nicht viel Zeit“, murmelte sie erregt, „also… sollten wir es schnell machen“, ergänzte sie, und alleine diese Worte schienen seine Erregung noch zu steigern. Seine Hände fuhren über ihren Körper, berührten jede Stelle, und sie öffnete seine Gürtel und ging hoch auf die Knie, als er die Hose samt Boxershorts tiefer zog. Seine Finger schoben das winzige Stück Seide beiseite, das ihre Weiblichkeit verdeckte, und er stöhnend stieß er zwei Finger tief in sie.
Sie brauchte kein Vorspiel. Alleine, dass sie sich vor ihm ausgezogen hatte, hatte sie feucht werden lassen. Und sie küsste ihn verlangend, als sie sich langsam niederließ, und er ihr half, seinen Penis genau richtig zu positionieren, und sie genoss jede Sekunde, als er langsam in sie glitt, sie dehnte, sie ausfüllte und an ihre engen Grenzen stieß.

Ihr Kopf fiel seufzend zurück, und sie begann, sich zu bewegen, hob ihr Becken, und seine Atmung ging unfassbar schnell. Sie nahm an, es würde nicht lange dauern, und sie bezweifelte, dass sie bei ihrer Nervosität kommen, würde, also konzentrierte sie sich auf ihn, und nur auf ihn. Sie bewegte sich schneller, ließ ihre Hüften kreisen und er bockte mit harten Stößen auf, kam ihr entgegen, und dann biss er sich hart auf die Lippe, um nicht laut zu stöhnen.
Sie musste lächeln, denn sie fühlte sich gut. Wirklich gut, und sie liebte ihn. Zitternd bockte er ein letztes Mal nach oben, krallte sich in ihre Hüften, und sie genoss seinen erdbebenartigen Orgasmus. Sein Kopf sank gegen ihre Brust.

„Das war… unglaublich“, flüsterte er nach einer Weile, und sie küsste seine Stirn. Sie war ein wenig von Schweiß benetzt, und er schlang seine Arme um ihren Körper. „Sorry, dass es so schnell ging“, murmelte er bloß, aber sie schüttelte den Kopf.

„Es war genau richtig“, erwiderte sie stolz.

„Ich möchte, dass du das von jetzt an immer anziehst“, erwiderte er mit hungrigem Blick, als er den Kopf wieder hob. Rose musste grinsen.

„Immer?“

„Jeden Tag, denn wir werden jeden Tag Sex haben“, versprach er ihr dunkel, und sie lachte leise auf. Sie war erleichtert, dass es ihm gefiel. Wirklich. Er hatte sie nicht ausgelacht. Er hatte sie sofort haben wollen. Und das war, was sie bezweckt hatte. Sie wollte ihm zeigen, dass sie nicht immer nur unerfahren war. Sie wollte ihm zeigen, dass sie auch sinnlich mit ihm sein konnte.

Der Abend war perfekt gewesen. Irgendwann in den nächsten Minuten hatten sie sich angezogen und Rose hatte den Verhütungstrank nachträglich getrunken, den sie extra vorsorglich mitgebracht hatte, und dann gingen sie Hand in Hand die Treppe wieder runter.
Sie betraten das Zimmer der Zwillinge, und die anderen waren dabei, ihre Geschenke zu vergleichen und machten sich nur kurz über sie lustig, und dass sie peinlich waren und nicht die Hände voneinander lassen konnten, und Rose war es herrlich egal. Sie ließ sich von Scorpius auf seinen Schoß ziehen und liebte jede Sekunde des Abends, bis Scorpius‘ Vater irgendwann nach ihm rief und sie gehen mussten.

Sie schämte sich nicht, ihn unten vor ihrer Familie zu küssen, und sie war so glücklich, wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

 

 

 

Fourty-Six

 

         Lily war nervös. Rose hatte sie gebeten, zu warten, aber Lily sah jetzt ihre Chance, und sie wusste nicht, wann sie die nächste bekommen würde. Vielleicht hätte sie die Zeit, Hugo zu finden, aber auch darauf verzichtete sie.

Mit zügigen Schritten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, lief sie zwischen den Regalen der Bibliothek entlang, legte die gefunden Bücher achtlos zurück, den Blick fest geradeaus geheftet.

Der Geist schwebte gedankenverloren voran, durch dieses Regal, dann durch das nächste, und Lily folgte, bog um sämtliche Ecken und sah ihn gerade noch auf die Außenwand zu schweben.

 

„Severus!“, rief sie hastig, und sie befanden so weit hinten in der Bibliothek, inmitten der Kräuterbücher, wo sowieso nie ein Schüler war. Der Geist hielt inne, bevor sich seine milchige Gestalt orientierungslos umwandte. Traurigkeit zeichnete seine Züge, und Lily schluckte schwer. Er kannte sie nicht, so viel sah sie in seinem Gesicht. Er musterte sie ausdruckslos, und sie kam näher. Langsam. Vorsichtig.

 

„Severus, ich bin Lily Potter“, sagte sie ruhig, und kurz fokussierten seine Augen, glommen schwach, im Lichte einer uralten Erkenntnis, bevor sie wieder jeden Glanz verloren und Vergessenheit ihn überkam. Er wollte sich abwenden, aber sie stellte sich in seinen Weg. „Ich weiß, du hast Rose aufgesucht, wolltest, dass sie dir hilft, weil du vergessen hast, was es ist, was du suchst!“, informierte sie ihn, und es war das, was Hugo und Rose ihr erklärt hatten. Der Geist betrachtete sie prüfend. „Ich bin Lilys Enkelin. Du erinnerst dich an sie? Lily?“, wiederholte sie mit klopfendem Herzen.

 

„Ich kenne dich nicht“, sagte er mit verlorener Stimme, und sie nickte.

 

„Ich weiß, aber du kennst meinen Dad. Harry Potter?“ Wieder glomm etwas in den grauen Augen des Geistes auf, und Lily sprach hastig weiter. „Und ich bin seine Tochter? Harrys Tochter? Lilys Enkelin?“, wiederholte sie. „Und ich weiß, wie mutig du warst, was du riskiert hast, und egal, welche Schuld du dir auferlegt hast – du hast sie erfüllt, Severus“, sagte sie fest. Er blinzelte plötzlich, als durchbreche sie allein mit Worten seine Trance. „Du hast meinen Vater beschützt, du hast ihn gerettet, unzählige Male, und Lily dankt es dir. Ich weiß es. Sie vergibt dir deine Fehler, und du musst nicht mehr hier sein. Du musst nicht mehr in Hogwarts umherstreifen und nach einer Lösung suchen. Du bist erlöst“, flüsterte sie, und plötzlich wurden seine Augen glasig. „Ich erlöse dich, Severus Snape“, schloss sie mit bebender Stimme, und plötzlich trat Erkenntnis in seinen todtraurigen Blick, eine seltsame Wachsamkeit, die einem Geist nur selten anzusehen war.

 

„Lily“, sagte er ihren Namen voller Zuneigung, und sie sah die milchige Träne, die auf seine Wange fiel. „ich… wollte ihn beschützen“, flüsterte er verloren, und Lily trat näher.

 

„Du hast ihn beschützt. Du hast dich für ihn geopfert, du stehst in keiner Schuld.“ Und er wirkte plötzlich schmaler und Erkenntnis überkam ihn. Lily spürte, wie das massive Erbe ihrer Großmutter, die sie nie gekannt hatte, auf sie überging, wie sie die Macht hatte, einem Geist seine Erlösung zu bringen, weil es ihre Worte waren. Ihr Blut. Ihre Unscheinbarkeit fand zumindest gegenüber dem Geist von Severus Snape ein Ende, und tatsächlich fiel der Geist lautlos auf seine Knie vor ihr. Sein Kopf senkte sich, und Lily handelte instinktiv, trat vor und legte die Hände auf seine Schultern. Fast glaubte sie, sie würden durch die stofflose Gestalt sinken, aber tatsächlich spürte sie die Materie unter ihren Fingern. Ihr stockte der Atem, denn Severus Snape materialisierte für wenige Sekunden. Das Grau verschwand, wechselte in echte Farbe, und für den Bruchteil einer Sekunde hauchte ihre Berührung dem Geist wieder Leben ein. Dunkel brannten die traurigen Augen auf, sanfte Überraschung in ihnen, und dann hoben sich seine Mundwinkel zu einem unfassbar erlösenden Lächeln, und er nickte ihr voller Dankbarkeit zu.

 

Und niemand sonst sah, wie ihre Hände plötzlich durch seine Schultern sanken, wie Severus Snape sich mit einem Mal auflöste, in tausend funkelnde Atome, wie das, was seine Seele und seinen Geist ausmachten, höher stieg, die Bibliothek praktisch erleuchtete, und wie die schimmernden Reste seines Daseins mit seinem erlösenden Seufzen verschwanden.

Lily spürte die eigenen Tränen auf ihren Wangen.

 

Die Stille lag nicht schwer um sie herum, denn sie war erfüllt mit Leichtigkeit und Sorglosigkeit. Severus Snape hatte Ruhe gefunden, und sie war die einzige gewesen, die dafür hatte sorgen können. Und vor einigen Monaten hätte sie es niemals für möglich gehalten, aber etwas hatte sich verändert. Sie hatte sich verändert. Und sie wollte nie wieder zurück, wollte nie mehr die unscheinbare Lily Potter sein, die alle kannten. Sie wollte mehr sein als das. Sie wollte gesehen werden. Sie würde in den Fußstapfen ihrer Brüder folgen. Hogwarts würde sie sehen. Hogwarts würde sich noch wundern, versprach sie sich, und verließ die Bibliothek, um im kühlen Januarnachmittag ihren Besen zu besteigen, um zu trainieren. Um besser zu werden, um das Team zu schaffen.

Sie war Lily Potter. Es wurde Zeit, dass die Welt es auch erfuhr.

 

***

 

         Rose stand vor dem Haus und konnte sich kaum sattsehen. Scorpius‘ Vater hatte sie abgeholt und war mit ihnen nacheinander appariert. Scorpius hatte ihr versprochen, ihr das Haus zu zeigen, und dieses Wochenende hatte sich endlich die Gelegenheit ergeben. Es war kühl heute, und der Garten schlief noch. Nichts blühte, alles zeigte noch die harsche Kälte des Winters, aber dennoch thronte das uralte Haus stolz auf der Anhöhe.

 

„Es ist wunderschön“, flüsterte sie entzückt. Sie bemerkte Mr. Malfoys Seitenblick nicht, denn ihr Blick war gefangen von dem Anwesen.

 

„Es ist recht baufällig“, sagte Mr. Malfoy schließlich, als sie näher traten.

 

„Kann man es nicht renovieren?“, wollte sie sofort wissen, erklomm die Stufen, nachdem sie die Mantikore begutachtet hatten, die das Haus bewachten und konnte sich kaum sattsehen, an all den wunderbaren Details.

 

„Kann man schon“, erwiderte Mr. Malfoy vage, und Rose tauschte einen Blick mit Scorpius, der ihr ein aufforderndes Lächeln schenkte.

 

„Willst du rein?“

 

„Sehr gerne“, sagte sie lächelnd. Sie trug seinen Ring. Sie trug ihn jeden Tag, und vielleicht sah es Mr. Malfoy, aber fast wollte sie, dass er es sah. Dass er wusste, wie ernst es ihr war. Dass sie niemanden außer Scorpius haben wollte, jemals. Sie wollte, dass er es begriff.

 

Scorpius öffnete die Tür, und Rose verliebte sich direkt in die weite Halle, sah nicht die Baufälligkeit, das Alter, die Gefahren. Sie sah die Chancen, die Möglichkeiten und die Liebe, mit der das Haus errichtet worden war. Sofort schritt sie voran, sah die Blicke nicht, die Vater und Sohn tauschten, und verzückte Laute verließen ihre Lippen, als sie Zimmer um Zimmer erkundete, nachdem Mr. Malfoy Licht gemacht hatte.

 

„Ich hoffe, du willst es niemals verkaufen, Scorpius!“, rief sie aus der nächsten Halle, und dann stockte sie, als sie den Wintergarten sah. Sofort beschleunigten ihre Schritte, und Scorpius und sein Vater folgten ihr.

 

„Wie wunderschön“, flüsterte sie, als sie den majestätischen Schwan betrachtete, der die Flügel gestreckt hatte, bereit, zu fliegen. „Führt er Wasser?“, wollte sie an Mr. Malfoy gewandt wissen, und dieser zuckte die Achseln.

 

„Höchstwahrscheinlich ist es gefroren“, bemerkte er, aber ihr Blick war so auffordernd, dass er wortlos den Zauberstab zog und eine stumme Bewegung vollführte. Tatsächlich hörte sie das Gluckern, hörte, wie der Brunnen zum Leben erwachte, wie die Rohre und Leitungen nicht zerstört waren, und dann brach ein klarer, wunderschöner Wasserstrahl aus dem höchsten Punkt des Schwanenkopfes, und mit dem Wasser erwachte die Magie des Brunnens. Der Schwan schüttelte sich, wie nach einem langen Schlaf, und Wasser perlte über seine eleganten Flügel, floss zurück in den Brunnen, und der Vogel badete sich ausgelassen, und Rose glaubte, nie etwas Schöneres als diesen außergewöhnlichen Brunnen gesehen zu haben. Der Schwan wandte sich ihr zu, betrachtete sie, und seine riesige Gestalt war sehr eindrucksvoll. Schließlich neigte er den mamorartigen Kopf tief, und Rose musste lächeln. Er begrüßte sie. Er dankte ihr, für das frische Wasser. Das nahm sie an.

 

„Der Brunnen mag dich“, stellte Scorpius spöttisch fest, ergriff ihre Hand und drückte sie fest.

 

„Ich liebe das Haus“, sagte sie, auch wenn sie wusste, dass ihre Meinung wenig zählte, dass es ihr wohl nicht zustand, und dann hob Scorpius den Blick zum Gesicht seines Vaters. Mr. Malfoy stellte sich neben sie und betrachtete den Schwan mit abwägendem Blick.

 

„Ich denke, dann werden wir zusehen, dass die Renovierungen dieses Jahr beginnen, und dann wäre das Haus bestimmt nächsten Sommer bezugsfertig“, schloss er vielsagend, und Rose sah Scorpius in die grauen Augen. Er erwiderte ihren Blick, und seine Mundwinkel hoben sich.

 

„Nächsten Sommer klingt gut“, bestätigte er bloß, und Roses Herz klopfte schnell. Vielleicht würde sie hier wohnen? Mit Scorpius? In diesem Palast mit dem märchenhaften Brunnen? Vielleicht würde sie hier heiraten? Vielleicht würde sie hier ihre Kinder großziehen? Und sie sah es beinahe vor sich. Sie konnte sehen, wie der Wintergarten geschmückt wäre, wie selbst der Schwan eine Blumenkrone tragen würde, wie wunderbar alles im Sommer aussehen musste, und was für üppige Blumenbeete sie anlegen könnten, um die Schönheit noch klarer aufzufangen. Wie sie die noch unscheinbare Schönheit dieses Hauses wieder in vollem Glanz erstrahlen lassen könnte!

 

„Ja“, erwiderte sie mit einem scheuen Lächeln. „Nächsten Sommer klingt perfekt“, schloss sie glücklich und lehnte sich an ihn.

 

Sie versprach sich, ihn glücklich zu machen. Ihn so sehr zu lieben, wie sie nur konnte, damit sich seine Mutter, wo auch immer sie war, keine Gedanken machen musste. Nicht um ihren Sohn.  

Und irgendwann verließen die drei das Anwesen wieder. Mr. Malfoy hatte das Wasser abgestellt und der Zauber des Schwans versagte, und steif verfiel er wieder in die eindrucksvolle Pose. Er löschte das Licht und sie verschlossen wieder alle Türen.

 

Mit leichten Schritten verließen sie das Grundstück wieder, und Rose beschloss, ihren Eltern davon besser nichts zu sagen. Sie hatte das Gefühl, Scorpius würde ihr wenig verweigern, und wenn sie mit ihm hier leben wollen würde, dann… würde er nichts lieber tun, als das. Sie war sich nur nicht sicher, ob ihre Mutter es sonderlich gut auffassen würde.

Sie war zurzeit ohnehin nicht ganz so gut auf sie zu sprechen. An Silvester hatte sich Rose dazu entschieden, vielleicht doch kein Langzeitpraktikum in Georges Laden zu machen. Der Beruf des Aurors bot wesentlich mehr Abwechslung und Spannung. Dafür lernte sie jetzt sehr viel mit Hugo, Rumer, Alby und Scorpius, um ihre Noten in den nächsten zwölf Monaten in einen Ohnegleichen-Bereich zu bekommen, und bisher lief es gut. Wirklich gut. Das Lernen fiel ihr leichter, als sie all die Jahre über geglaubt hatte.

 

„Ich bringe euch zurück. Der Tag ist noch lang“, bemerkte Mr. Malfoy mit einem Lächeln in ihre Richtung. „Deine Mutter wartet bestimmt schon.“ Er klang nicht sonderlich begeistert, aber er lächelte trotzdem. Rose schenkte ihm einen mitleidigen Blick.

 

Ihre Mutter hatte die Wahl mit großer Mehrheit gewonnen, und hatte am ersten Januar den Ministerposten entgegengenommen. Mr. Malfoy hatte seinen ursprünglichen Posten im Ministerium daraufhin verlassen, um mit ihrer Mutter zusammen gerechte Politik für Halbblüter und Muggel zu entwickeln und eine Stärkung der Gesetze zur Gleichbehandlung von magischen Wesen ins Leben zu rufen.

Ihr Dad war ziemlich froh, dass er sich dafür nicht engagieren musste, und Mr. Malfoy war diesen Monat schon bestimmt achtmal von ihrem Vater zum Essen eingeladen worden.

Scorpius‘ Tante war nicht bei ihm und seinem Dad eingezogen, wie Scorpius befürchtet hatte, denn sie und Onkel Charlie waren letzte Wochen zusammen nach Rumänien verreist. Onkel Charlie wollte ihr die Drachen zeigen, mit denen er arbeitete. Wenn das nicht Liebe war, wusste Rose es auch nicht.

 

Sie bat Mr. Malfoy, Scorpius zuerst zu bringen, und die beiden Männer verschwanden. Rose wandte sich um und betrachtete den verschlafenen, weiten Garten vor sich. Sie trug die Haare offen. Das tat sie jetzt häufiger, verzichtete auf den Pferdeschwanz, und Vic hatte ihr den schönen langen, grünen Mantel vermacht, der ihr nicht mehr passte. Rose freute sich auf den Frühling, und sie freute sich noch mehr auf den Sommer, den kommenden und den folgenden. Vielleicht würde das Haus hier auf sie warten. Vielleicht sah sie jetzt gerade in dieser Sekunde ihrer Zukunft ins Auge.

 

Und vielleicht war es ein wenig beängstigend, aber überwiegend hatte sie einfach nur ein fantastisch aufregendes Gefühl in ihrem Innern.

Es war ein anstrengendes Jahr gewesen, aber dennoch war es das beste Jahr für sie gewesen. Sie hatte Scorpius Malfoy gefunden, sie war ehrlich zu sich selbst, und sie konnte kaum erwarten, erwachsen zu sein. Sie lächelte voller Glück und Zuversicht. Egal, was kommen würde – sie wäre bereit.

 

 

 

– The End –