Chapters
One , Two , Three
, Four ,
Five ,
Six , Seven , Eight
, Nine ,
Ten , Eleven , Twelve
, Thirteen , Fourteen , Fifteen , Sixteen ,
Seventeen , Eighteen , Nineteen , Twenty , Twenty-One
,
Twenty-Two , Twenty-Three , Twenty-Four , Twenty-Five ,
Twenty-Six , Twenty-Seven , Twenty-Eight , Twenty-Nine ,
Thirty , Thirty-One , Thirty-Two
, Thirty-Three , Thirty-Four ,
Thirty-Five , Thirty-Six , Thirty-Seven , Thirty-Eight ,
Thirty-Nine , Fourty , Fourty-One , Fourty-Two , Fourty-Three ,
Fourty-Four , Fourty-Five , Fourty-Six
~*~
“To be born in a duck's nest, in a farmyard,
is of no consequence to a bird,
if it is hatched from a swan's egg.”
The Ugly
Duckling
~*~
Die
Luft war warm, fast windstill, liebkoste seine Haut, und er fühlte sich so
lebendig. Es war kurz davor, ein sehr heißer Tag zu werden. Der Himmel strahlte
wolkenlos, während sich das Wasser in warmen Wellen an seinen Füßen brach. Es
war ein vollkommenes Gefühl, was ihn erfüllte. Er wandte den Kopf zurück zum
Strand, musste die goldenen Strähnen aus den Augen wischen, und zum ersten Mal
seit einer Weile fühlte er sich frei. Unbeschwert; spürte das Leben in den
Fingerspitzen. Der Strand erstreckte sich hinter ihm bis zu den dicht
bewachsenen Dünen, und ein Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. Eine Klarheit
erfüllte ihn, mit einer paranoiden Geschwindigkeit, so unverkennbar eindeutig,
dass er glaubte, keinen Fehler begehen zu können. Nicht heute. Als hätte er
einen Schluck Felix Felicis getrunken; das Glück ganz auf seiner Seite.
Die
Möwen riefen über ihm, schienen immer rastlos auf der Suche zu sein, süchtig
nach den warmen Böen der scharfen Meeresbrise, und sie segelten scheinbar ohne
Mühe, schwerelos dem Horizont entgegen. Heute fühlte er sich eins mit ihnen.
Neben ihm rannten sie lachend in die Fluten. Seine Freunde. Die Menschen, mit
denen er am liebsten seine Zeit verbachte. Al und James, Fred und Louis, die
Mädchen… und Rose.
Es
war der erste Tag, an dem sie ihm aufgefallen war. Wirklich aufgefallen, mit
dem Verständnis, dass sein Blick mit einer unheimlichen Selbstverständlichkeit
an ihrer Gestalt hängenblieb. Seine Augen fanden sie mühelos, seine Wahrnehmung
gravitierte immer wieder zu ihr zurück, als wäre sie der Mittelpunkt aller
Dinge.
Als
wäre sie die Sonne, der er sich nicht verwehren konnte, denn auch wenn er nicht
hinsah, traf ihn ihre strahlende Schönheit selbst aus den Augenwinkeln.
Der
goldgelbe Bikini schimmerte praktisch auf ihrem Körper, betonte die Farbe ihrer
sonnengeküssten Haut, und wie ein Schleier lagen die vielen Sommersprossen auf
ihrem Körper, wie ihre eigene Zeichnung. Er könnte sie niemals zählen, und
doch… verlor sich sein Blick ständig in diesem Anblick.
Die
Linien ihres Gesichts, so vertraut und doch gänzlich unbekannt. Grübchen, die
ihm nie aufgefallen waren, formten sich tief auf ihren Wangen, wann immer sie
lachte, wurden umrahmt von welligen, unbändigen Locken, die aus ihrem hohen
Zopf rutschten. Ihre Haare besaßen diese satte, rote Farbe, gingen fast ins
helle Braun. Hatten nicht das orangene Blond, was so verbreitet war. Selbst
unter der Sonne verlor es nicht an Tiefe, und ihr Anblick glich der einer
sphärischen Schönheit, die er kaum fassen konnte, die er nie bemerkt hatte. In
all den Jahren nicht. Ihre Augen, so blau wie der Ozean, strahlten, tanzten
regelrecht vor Freude.
Nicht
in seine Richtung. Nie in seine Richtung.
Al
rief seinen Namen, animierte ihn, sich zu bewegen, und endlich erwachten seine Beine
zum Leben. Das Wasser kroch höher, mit jedem weiteren Schritt. Und er wusste
nicht, welcher Leichtsinn ihn trieb, aber er schloss zu ihr auf, kämpfte gegen
das Gewicht des Wassers, als wäre es eine Hürde, die er überwinden musste, und
erreichte sie, wie einen schwer zu gewinnenden Preis, als das Wasser ihm weit
über die Hüften reichte.
Automatisch
hoben sich seine Hände aus dem kühlen Nass, denn er konnte wirklich nicht
anders, und ihr Blick traf ihn zum ersten Mal. Schwere Schläge tat sein Herz,
und es war, als sähe die Welt ihnen zu, als hielte selbst das Meer den Atem an.
Als vergäßen sie hier in den Fluten, wer sie waren. Hier, am Rand seiner Welt.
Kaum berührten seine Finger ihre bloßen Hüften, schossen Impulse, wie Blitze,
durch seine Nerven. Hart griff er in ihre Haut, denn das warme Gefühl unter
seinen Fingern war belebend. Seine Muskeln reagierten, gehorchten seinem
Wunsch, spannten sich an, und mit wenig Anstrengung hob er ihre schmale Figur
aus dem Wasser. Vielleicht eine halbe Sekunde hielt er ihr Gewicht, spürte
ihren entwaffnenden Blick auf sich, bevor seine Nerven reagierten und er sie in
die Fluten warf.
Ihr
Protestschrei ging im Wasser unter, und James brüllte vor Lachen. Ein harmloser
Spaß, ein unschuldiges Spiel.
Als
sie auftauchte, er hatte fast sehnsüchtig gewartet, war sie kurz desorientiert,
atmete mit geöffnetem Mund, und ihre feuchten Lippen glänzten verführerisch,
aber ihr verblüfft zorniger Blick fand ihn schnell, war noch betörender, und
schickte eine direkte Erregung durch seinen Körper, denn selten registrierte er
ihre Aufmerksamkeit überhaupt, selten bekam er überhaupt ihren ungeteilten
Fokus, und noch nie hatte er sich so gefühlt! Sie richtete sich auf, und sein
Blick hatte kaum Zeit, über ihren glänzenden Körper zu wandern, die Erhebung
ihrer Brustwarzen unter dem gelben Stoff vielleicht überhaupt zu erahnen, denn
mit wilder Entschlossenheit setzte sie zum Angriff an. Es war spontan, gänzlich
instinktiv und unüberlegt. Mühelos hätte er standhalten können, aber ihm war nicht
danach. Absolut nicht. Die Wucht wurde durch den Widerstand des Wasser
gedämpft, aber er spürte jeden Millimeter ihrer nassen Haut, die sich gegen
seine presste, und eine Gänsehaut auslöste, die nichts mit Kälte zu tun hatte,
und er spürte den Stoff ihres Bikinis, die Weichheit ihrer vollen Brüste
darunter, und ließ sich von ihr umwerfen, denn seine Knie gaben nach, unter all
diesen Gefühlen.
Sie
verloren den Halt, die Welt kippte, und das wilde Wasser schlug über ihnen ein,
verschlang sie, und absolute Stille umhüllte sie. Die Zeit blieb stehen, so kam
es ihm vor, und blind bewegten sich seine Hände, fanden ihre Haut, griffen hart
in ihr Fleisch und pressten sie kurz an sich, denn er konnte nicht anders, und
es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, auch wenn es nur wenige Sekunden dauerte.
Sie
schwebte über ihm, an seinen Körper gepresst, und sehr kurz waren sie eins. Er
spürte ihre Haare, schwerelos und lang kitzelten sie sein Gesicht, und dann war
es vorbei.
Sie
tauchten wieder auf, und für eine panische Sekunde fürchtete er, all diese
erdbebenartigen Gefühle müssten ihm zweifellos anzusehen sein. Dieses nackte
Gefühl der Überraschung, der grenzenlosen Lust, aber niemand merkte etwas.
Sein
bester Freund tauchte neben ihm auf, ein Grinsen im Gesicht, hob übermütig die
Hände, döppte ihn, und er verschwand wieder im Wasser.
Scorpius
revanchierte sich, nachdem er wieder auftauchte, und dieser eigenartige,
verbotene, unfassbare Moment der absoluten Perfektion war an jedem von ihnen
vorbeigegangen. Er schmeckte das Salz auf seinen Lippen und fühlte sich wie
niemals zuvor.
Der
Wind war so warm, so luftig und angenehm, zog an ihren halb getrockneten
Haaren, bewegte ihr dünnes Kleid, als spiele er mit dem Stoff. Die anderen
waren so weit vorne, umwanderten die Priele, sprangen barfuß ins Wasser, und
sie konnte nicht mehr sagen, warum sie zurückgeblieben waren, warum sie länger
brauchten als die anderen. War es mit Absicht? Gab es einen tieferen Grund,
weshalb sie trödelten? Sie war sich nicht völlig sicher. Sie wusste nur,
irgendetwas in ihrem Magen funktionierte nicht mehr richtig. Nicht, seitdem er
sie aus dem Wasser gehoben hatte. Immer wieder wischte er sich die blonden
Strähnen aus der Stirn. Seine Wimpern waren lang, berührten beinahe seine
Wangen, wann immer er den Blick nach unten richtete, um nicht über einen der
Steine zu stolpern. Ihre Füße hinterließen Spuren im feuchten Sand, und fast
konnte sie seine Berührungen noch immer spüren. Es war, als hielten sie sie wie
ein Magnet auch jetzt noch in seiner Nähe.
Sie
wagte kaum, in sein Gesicht zu sehen, wenn er den Blick hob, als vergewissere
er sich jede Minute, dass sie noch hinter ihm war. Sie sprachen nicht, und noch
immer durchnässte ihr feuchter Bikini ihr dünnes Kleid, zeichnete sich schwach
unter dem Stoff ab, und ihre Gedanken gingen unsortiert und eigenartig.
Zwischen ihren Beinen hatte sich ein seltsames Gefühl angestaut, etwas, was ihr
Angst machte. Etwas, was sie nicht einzuordnen wagte.
Sie
erreichten eine Felsformation, die sich natürlich gebildet hatte, vom Wasser
geformt und geglättet worden war, vielleicht mannshoch und wohl nur bei Ebbe zu
durchwandern. Es waren fünf Felsen, und sie standen dicht beieinander, gerade
so weit voneinander entfernt, dass man mühelos hindurchpasste.
Er
wich von seinem Weg durch das seichte Wasserbett ab, bog zu den Felsen, und
wieder streifte sie sein Blick. Sie wusste nicht, ob es eine Aufforderung war,
aber ihre Beine hatten einen eigenen Willen, folgten ihm tatsächlich zu den
Felsen, und sie wusste nicht, warum. Aber ihr Herz schlug unwillkürlich
schneller in ihrer Brust, als sie die einsamen Felsen erreichte, ihm folgte, in
den schmalen Zwischenraum, durch den der Wind sauste. Sie streckte die Hände
aus, um die Wärme der Steine zu spüren, und es war ein schönes Gefühl,
stimulierend. Sie war dich hinter ihm, und bevor sie auf der anderen Seite den
schmalen Gang wieder verließen, hielt er plötzlich inne.
Ihr
Herz jagte mittlerweile, ihr Körper summte vor Energie und Spannung, und dann
drehte er sich um. So nah. So nah, dass sie nicht anders konnte, als den Blick
seiner Augen zu erwidern. Atemlosigkeit erfasste sie, als alleine sein Blick
irgendetwas Gefährliches in ihr auslöste, was ihren Bauch Saltos schlagen ließ.
So nah, dass sie registrierte, wie sich seine dunklen Brustwarzen durch sein
nasses Shirt abzeichneten. So nah, dass ihr schlecht wurde, als er einen
Schritt auf sie zu machte, während sie stocksteif ihre Hände zu je beiden
Seiten gegen die heißen Felsen presste, weil sie Angst hatte, sonst umzufallen.
Er
war groß, und ihr Atem ging so schnell, als wäre sie gerannt. Langsam legte
sich ihr Kopf in den Nacken, und Hitze stieg in ihre Wangen. Ihre Lippen
teilten sich automatisch. Sie versuchte, ihr Gehirn mit Sauerstoff zu
versorgen, denn diese Nähe zu ihm stieg ihr zu Kopf.
Er
kam näher, noch einige Zentimeter, und es war, als wären sie wieder im Wasser.
Es war kaum zu ertragen, dieses Gefühl.
Seine
Lippen, voll und geschwungen, waren ihr noch nie aufgefallen – nichts an ihm
war ihr je wirklich aufgefallen, doch heute reagierte sie auf seine Nähe, als
wären sie beide statisch aufgeladen. Seine grauen Augen besaßen einen silbernen
Glanz, der absolut hypnotisch war, und als er die letzte Grenze überschritt,
als er sie berührte, ohne zu begreifen, denn sie erkannte die Verwirrung in
seinen Augen, glaubte sie, schon fast zu hyperventilieren.
Sie
hörte seine scharfen Atemzüge ebenfalls, denn er atmete mit offenem Mund.
Unregelmäßig hob sich seine Brust unter dem feuchten Shirt, und es war das
erste Mal, dass sie einen Jungen berühren wollte. Dass sie ihn berühren wollte!
So
dringend! So unvorstellbar dringend!
Beinahe
federleicht lagen seine langen, schlanken Finger auf ihrer Taille, und selbst
durch den Stoff ihres Kleides, glaubte sie, zu verbrennen, wo er sie berührte.
Ihre
Hände glitten von den Felswänden, legten sich voller Faszination über seine
Brust, und sie spürte, wie er schluckte, wie er versuchte, sich zu sammeln,
denn seine Augen schlossen sich kurz. Sie spürte seinen Brustkorb, die Muskeln
darunter, und langsam wanderten ihre Hände höher, trafen seine Haut, glitten
über seine Schlüsselbeine, bis sie seinen Nacken erreicht hatten, und es war
unvermeidlich. Absolut unvermeidlich.
Es
war das erste Mal, dass sie so empfand. Es war ihr erster Kuss. Und fast
überkam sie das erschreckende Gefühl, dass es richtig war.
Genau
das hier. Dass absolut nichts an diesem Moment voller sinnlicher Perfektion
falsch sein konnte. Es gab keinen moralischen Anker, der ihre blinde Arroganz
aus diesen hohen Wolken der leichten Sorglosigkeit hätte ziehen können. Es gab
gar nichts. Nur sie und ihn.
Er
senkte den Kopf, verlor jeden Anstand, jede Beherrschung, und sie schloss die
Augen. Seine Lippen pressten sich warm und samtig gegen ihre, und hart atmete
sie durch die Nase ein, als es in ihrer Mitte zog, ein scharfes Gefühl zwischen
ihre Beine schickte, und ihr Puls hämmerte in ihren Ohren.
Nur
am Rande merkte sie, wie er sich mit ihr bewegte, sie rückwärts gegen die
warme, harte Felswand schob, und verlangend griffen ihre Finger härter in
seinen Nacken, als sein Gewicht gegen ihren Körper krachte und kurz die Luft
aus ihren Lungen presste. Seine Nähe zu spüren, benebelte sie, und sie vergaß,
sich zu schämen, weil sie keine Ahnung hatte, was sie tat.
Sie verlor
jedes Zeitgefühl, und das Gefühl war so unecht und so unglaublich, dass ihr
ganz leicht ums Herz wurde. Absolut perfekt.
Er
schmeckte nach Salz und Seeluft, nach verbotenen Abenteuern und Lust, nach
fernen Träumen, die sie nicht greifen konnte, und seine Finger krallten sich in
den dünnen Stoff ihres Kleides, drückten ihren Körper enger an seinen, als sie
ein Stöhnen nicht verhindern konnte. Ihre Lippen öffneten sich unbewusst, denn
sie wollte mehr von ihm, wollten ihn einatmen, und seine warme Zunge drängte
sich gegen ihre. Kurz erschrak sie, gefror, als sich ihre Zungen trafen, aber
nur für eine Sekunde, denn es fühlte sich unglaublich richtig an. All ihre
Nerven reagierten blind auf ihn, und es war kein langsamer Kuss, denn tief
glitt seine Zunge in ihren Mund, gierig, bewegte sich gegen ihre, und sie ahmte
seine Bewegung nach, verlor sich gänzlich in ihm. Er legte den Kopf schräger,
öffnete seine Lippen weiter, und ihre Zunge fand einen quälend erregenden
Rhythmus, und sie glaubte, sie würde sterben unter seinen Berührungen. Längst
hatte er die Arme fest um sie geschlungen, hob sie praktisch vom Boden, und sie
konnte sich nur an ihn klammern, ihn genau hier halten, denn sie wollte nicht,
dass er sie jemals wieder losließ, egal, wie schamlos der Gedanke war. Etwas
unfassbar Hartes presste sich gegen ihre Hüfte, und allein der Gedanke an seine
Erektion, steigerte ihre Erregung ins Unermessliche, und instinktiv
provozierend bewegte sie sich gegen seine Härte, und der Kuss wurde so
verzehrend, dass ihre geschwollenen Lippen schmerzten. Sie war sich dem harten
Stein in ihrem Rücken auch mehr als bewusst, aber es war eine zu süße Qual, als
dass sie aufhören wollte. Oder konnte.
Noch
niemals in ihrem Leben hatte sie so gefühlsgesteuert gehandelt, wie heute.
Noch
nie hatte sie so eine Erregung verspürt, und noch nie war ihr der Rest der Welt
so vollkommen egal gewesen.
***
Es
war so unwirklich gewesen. Dieser Urlaub war wie eine befremdliche Szene aus
einem Buch, was er nicht kannte, als hätte er wildfremde Menschen beobachtet.
Menschen, die er niemals mit sich in Verbindungen bringen konnte. Es war
eigenartig, wieder zurück zu sein. In Hogwarts, mit Aufgaben, Verpflichtungen,
Stundenplänen. Er erlaubte sich, seinen Blick wandern zu lassen, durch die Halle,
über die vielen Köpfe. Sie saß am Gryffindortisch, sprach und lachte, und er
konnte nicht begreifen, was in ihn gefahren war.
Soweit
hatte es keine Konsequenzen gegeben, und fast glaubte er mittlerweile, er hatte
es bloß geträumt. Diesen seltsamen, surrealen Traum, Rose Weasley geküsst zu
haben, so verzweifelt und willig, als hätte er sie gebraucht, wie die Luft zum
Atmen.
Er
wusste nicht, was in ihn gefahren war. War es ein Hitzestich gewesen? War ihm
das Wetter zu Kopf gestiegen? Das Meer? Waren es Nebenwirkungen gewesen, die
die Beerdigung seiner Mutter zwangsläufig mit sich gebracht hatte, wie eine
eigenartige Verzweiflung? Aber es war nichts geschehen. Das war alles gewesen.
Ein Kuss. Ein geheimer, unbeobachteter, unwichtiger Kuss. Er versuchte, zu ergründen,
was er vor einigen Wochen gefühlt hatte, aber das Gefühl stellte sich nicht
wieder ein. Es war unmöglich, es noch einmal zu empfinden. In der Sekunde, als
er ihren Körper berührt hatte, hatte er geglaubt, verbrennen zu müssen. Er
hatte geglaubt, so etwas noch niemals in seinem Leben gespürt zu haben.
Absolute Perfektion. Es war so richtig gewesen, so wichtig, dass er das tat.
Aber
es stimmte nicht. Er hatte dieses Gefühl nicht noch einmal bekommen. Und
natürlich stimmte es nicht!
„Muss
ja verdammt spannend sein, was du siehst“, raunte Al in sein Ohr, und Scorpius‘
unverhohlener Blick gefror. Es war sein Glück, dass Dominique und Rose
nebeneinander saßen. Unmöglich für Al zu erkennen, wen er beobachtete. Denn
eine Tatsache kam ganz erschwerend hinzu: Rose war nicht seine Freundin. Bei
Merlin, nein! Er konnte sich an keinen einzigen Moment in seinen Jahren hier
erinnern, wo er ihr jemals einen zweiten Blick geschenkt hatte. Oder einen
ersten. Rote Haare waren nicht sein Fall. Er war mit Dominique zusammen. Seit
vier Monaten. Und er war auch in diesem gemeinsamen Urlaub am Meer mit ihr
zusammen gewesen. Er war nicht frei gewesen, zu tun, was auch immer er hatte
tun wollen, an diesem verhängnisvollen Tag am Strand. Es war Wahnsinn gewesen!
Es war eine ganze Reihe an furchtbaren Entscheidungen gewesen, denn an diesem
Tag, hatte er Dominique sogar entjungfert. Er war panisch geworden, hatte die
gute Zeit schwinden sehen, hatte befürchtet, dass Rose Weasley direkt zu seiner
Freundin rannte – oder schlimmer noch, zu ihrem Vater!
Es
war vielleicht schlechtes Timing gewesen, das gab er zu, und Dominique
verdiente Besseres, aber er war beinahe nicht davon ausgegangen, dass er sich
noch viel länger in der glücklichen Position befände, Dominique als seine
Freundin zu bezeichnen.
Er
hatte geglaubt, es wäre vorbei, sobald Rose Weasley wieder zu Sinnen kam und
Dominique haarklein erzählte, was geschehen war. Was er getan hatte.
Aber…
das war nicht passiert. Gar nichts war passiert.
Nicht
wirklich gar nichts, aber nichts weiter als dieser Kuss. Gut, es war ein Kuss,
den er so noch nie erlebt hatte, aber weder er noch Rose hatten nach diesem Tag
je wieder darüber gesprochen, und er und Dominique waren weiterhin ein
glückliches Paar. Und er hatte nicht mehr an diesen Tag gedacht. Natürlich
dachte er daran, aber er dachte nicht mit Erregung an dieses Ereignis zurück.
Nur mit Übelkeit.
Ihn
beschlich das schlechte Gewissen, wenn er darüber nachdachte, wie wunderbar
Dominique war, dass sie für ihn da gewesen war, als seine Mutter gestorben war,
dass sie den Urlaub die ganze Zeit an seiner Seite verbracht hatte, ihm ihre
Liebe gestanden hatte, und ihr Vater ihn in der Familie willkommen geheißen
hatte. Ihm wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn Rose
Weasley auch nur eine Andeutung gemacht hätte.
Wenn
es nur irgendjemand gesehen hätte….
Sein
Atem beschleunigte sich. Sein Blick fiel auf seinen leeren Teller. Bill Weasley
war ein fabelhafter Vater. Umgänglich, modern, absolut unvoreingenommen und er hatte
sogar für ihn bezahlt, obwohl Gold kein Problem für Scorpius darstellte. Aber
Bill Weasley hatte es seiner Tochter zuliebe getan. Und Mr. Weasley, Roses
Vater, war das verdammte Gegenteil. Er hasste ihn. Wirklich. Offen, ohne Scheu.
Scorpius glaubte, er war noch nie alleine mit Mr. Weasley gewesen – und das
wollte er auch nicht. Alleine der Gedanke, dass Mr. Weasley ihn erwischt hätte,
wie er und Rose…- Merlin, Scorpius wurde direkt schlecht.
„Alles
ok?“ Al musterte ihn stirnrunzelnd von der Seite. Scorpius atmete tief ein,
versuchte, Ruhe in seine Körpersprache zu bringen, und nickte schroff.
„Mhm“,
machte er, nicht sonderlich überzeugend, und Al zog die Stirn in Falten.
„Ich
mache Witze, Scor“, schien er sagen zu müssen. „Wir haben uns alle gewöhnt,
dass du Dom heiraten wirst. Mach dir nicht ins Hemd“, schloss er achselzuckend,
den Scherz auf den Lippen, und Scorpius hob den Blick zum Gesicht seines besten
Freundes. Er hatte es Al schon im Urlaub sagen wollen. Er wusste nicht, warum.
Als für ihn klar war, dass Rose es nicht tun würde, hatte er es selber fast
gestanden. Fast war es unerträglich gewesen, es Al nicht zu erzählen. Es
einfach… für sich zu behalten, dabei war er überhaupt nicht der Typ, der seine
Geheimnisse alles und jedem erzählen wollte! Zwar verbarg er vor Al das
Wenigste, aber er glaubte, diese eine Sache, wäre nicht so leicht über die
Bühne gegangen. Er hätte keinen Schulterklopfer bekommen, Al hätte darüber
nicht gelacht.
Denn
Al mochte Rose. Scorpius wusste nicht, in welchem Ausmaß oder ob es wirklich
irgendwie ernst war, aber Rose war schon immer etwas anderes für Al gewesen,
als seine restlichen Cousinen. Er wusste auch nicht, ob Al diese Tatsache
bewusst war, aber Scorpius merkte es alleine daran, wie Al Rose ansah. Alles Spöttische
verschwand aus seinem Blick, wenn sie einen Raum betrat.
Und
es war bedenklich und besorgniserregend – so viel konnte Scorpius sagen.
Aber
er hatte Al nie darauf angesprochen, und er glaubte, das war eine dieser Sachen,
die man lieber für sich behielt.
Und
er dachte an den Tag am Strand, wie an eine Mahnung, weil er so haarscharf
sämtlichen grauenhaften Konsequenzen entronnen war. Er hätte Al verloren –
vielleicht. Und garantiert Dominique! Vielleicht hätte Bill Weasley ihn auch
nach Hause geschickt. Wahrscheinlich hätte ihn Mr. Weasley vorher noch
verprügelt, weil er seine Tochter angerührt hatte. Nein, er hatte es nicht
wirklich verarbeitet, und es half nicht wirklich, nicht darüber zu sprechen.
Aber
eigentlich war es unnötig. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Aber
er wusste, das stimmte nicht. Dominique würde es anders sehen, davon ging er
aus. Und er kannte es von sich auch nicht, alle Konsequenzen in den Wind zu
schießen. Vor allem in Bezug auf Al. Er hatte in Hogwarts gelernt, dass sein
Name einherging, mit Voldemorts Missetaten, mit dem Verständnis eines
Todessers, denn das war es, was seine Familie gewesen war. Sie waren nahezu
allesamt Todesser gewesen. Und so war er angesehen worden. Seit dem ersten Tag.
Und
es war sein reines Glück gewesen, dass Albus Potter nach Slytherin gekommen
war, dass er sich tatsächlich mit ihm angefreundet hatte, und dass es Scorpius
im Alleingang gelungen war, den schlechten Ruf seiner Familie über die Jahre
hinweg auszumerzen. Zumindest bei den Potters.
Aber
der Heldenstatus von Harry Potter ließ alle bösen Zungen verstummen. Scorpius
gehörte dazu. Zu den Weasley, zu den Potters. Er war immer mit dabei. Und er
mochte es, dazuzugehören. Er mochte die Weasleys und die Potters, die riesige
Familie. Und das absolut Dümmste, was er tun konnte, wäre, es zu vermasseln und
all das zu verlieren. Obendrein seine wunderschöne Veela-Freundin! Sie war ein
absoluter Traum, die hübscheste Gryffindor im gesamten Turm!
Und
immer wieder fragte er sich, was in ihn gefahren war! Wie er so dumm hatte sein
können. Wieso er überhaupt auf Rose Weasley reagiert hatte. Was – in Merlins
Namen – er an diesem verhängnisvollen Tag in ihr gesehen hatte, was er mit
Händen und Lippen und seiner Zunge hatte ergründen müssen! Denn… er sah es
nicht mehr. Der Zauber war vorbei. Sie erschien ihm so unscheinbar wie eh und
je. Sein Blick hob sich wieder. Niemand hier in der Großen Halle würde jemals
auf die Idee kommen, auch nur im Ansatz zu ahnen, dass irgendetwas zwischen
ihnen war. Und das machte es für ihn so schwer, zu begreifen – denn… er wusste
schon, dass es nichts gab. Es hatte nie etwas zwischen ihnen gegeben.
Absolut
gar nichts. Sie hatten keine Gemeinsamkeiten. Den einzigen gemeinsamen Nenner,
den sie hatten, war Al. Sie beide verbrachten viel Zeit in seiner Nähe, und
Scorpius hatte sich längst daran gewöhnt, dass er sich nie mit Rose Weasley
verstehen würde. Er hatte sich damit abgefunden, dass dieses seltsame Mädchen
zum Gesamtpaket gehörte, dass sie den Nachnamen seiner Freundin trug. Und das
war alles gewesen. Und niemals hatte sie ihm jemals zu verstehen gegeben, dass
sie überhaupt irgendein Interesse in ihrem vorlauten, albernen Kopf hegte, von
ihm geküsst zu werden.
Aber
an diesem Tag – war gar nichts albern gewesen. Nichts! Es war ihm wie eine
seltsame schicksalhafte Bestimmung vorgekommen. Wie die Aussicht auf etwas,
das… irgendwo geschlummert hatte, tief und verborgen. Und es machte ihn
verrückt. Es machte ihn wahnsinnig, dass er genau wusste, was er gefühlt hatte!
Wann immer er sie ansah, bekam er es mit der Angst zu tun. Was er im Urlaub
erlebt hatte, war eine andere Version von Rose Weasley gewesen.
Sie
war nicht sein Typ. Ganz offenkundig war sie das nie gewesen! Also was genau war
es an ihr, das seinen Leichtsinn und diese Rücksichtslosigkeit entfacht hatte?
Und
sobald er das ergründet hatte, würde er wieder atmen können.
Denn
soweit es ihn betraf, musste es ein Missverständnis gewesen sein. Ein
hormonelles Missverständnis.
Sofern
es so etwas gab.
Rumer
schulterte ihren Besen neu, als sie runter zum Quidditchfeld gingen. Es war
noch immer warm, aber nur, solange die Sonne schien. Dann sah ihre beste
Freundin sie direkt an. Ihre Augen hellgrün, bestechend und wachsam. „Bist du sicher,
dass er niemanden kennengelernt hat?“ Es war ein eigenartiges Verhör, eine
unangenehme Frage, und es war ihr neu, dass Rumer so offen über ihre
Verliebtheit sprach. Für gewöhnlich stritten sie sämtliche Verliebtheiten immer
ab, aber scheinbar… nicht mehr? Sie taten viele Dinge nicht mehr.
„Hat
er nicht“, wiederholte Rose angespannt, mit gesenkter Stimme, denn es wäre ihr
lieb, wenn nicht jeder Schüler mitbekam, dass auch sie genauso dumm waren, wie
all die anderen Mädchen und nur noch über Jungen sprechen konnten. Fast
verrenkte sie sich den Nacken, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe
war. Und wenn sie ehrlich war, gefiel ihr diese Verbindung nicht. „Wieso
überhaupt James?“, versuchte sie munter einzuwerfen. Aber Rumer schien nicht in
der Stimmung, Ausreden zu erfinden.
„Ich
glaube, er ist der Richtige.“ Allein diese Aussage war so grundfalsch, dass
Rose nur mit Mühe keine Grimasse zog.
„Für
was?“, wollte sie lakonisch wissen, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass
James für irgendetwas der Richtige war. Er war ein schlechter Sucher, ein
mittelmäßiger Kapitän, ein trolliger Snape-Explodiert-Partner – und er war
nicht lustig. Nicht, dass sie ihm das jemals sagen würde! Unter Folter würde
sie es nicht sagen! Aber ihre Gedanken waren noch frei.
„Ich
habe versucht, mir einzureden, dass ich ihn nicht mag, aber-“
„-dann versuch es weiter, ok? Wenn du willst, gebe ich dir fünf Galleonen, wenn
du dir wen anderes suchst“, flehte sie jetzt praktisch und setzte ihre letzten
Ersparnisse der Ferien aufs Spiel. Ihre Freundin wirkte ehrlich betroffen.
„Was
meinst du damit?“, wollte sie stiller von ihr wissen. „Ich… dachte, du freust
dich vielleicht?“ Rose konnte ihrer Logik nicht ganz folgen. „Ich meine,
immerhin wäre ich seine Freundin, anstatt irgendeine dummen Kuh, die du den
Rest deines Lebens ertragen müsstest. Bin ich… nicht gut genug für deinen
Cousin?“
Oh
Merlin. Was? Rose vermisste die Tage, als sie ihren Cousins aufgelauert hatten,
um sie mit Doxymist abzuwerfen. Wo waren diese Tage bitteschön hin? Sie konnten
noch nicht so weit entfernt sein, dass jetzt tatsächlich eine
Grundsatzdiskussion über James Potter geführt wurde! Rose wollte das nicht. Sie
wollte nicht so sein, wie Vic oder wie Dom. Sie wollte sein, wie sie selbst.
Und Rumer sollte die Rumer sein, die vor den Ferien noch über eine ernsthafte
Quidditchkarriere nachgedacht hatte. Rose wollte sich nicht mit dem Jetzt
auseinandersetzen. Oder mit Rumers Gefühlen. Wirklich nicht.
„Erst
mal: Den Rest meines Lebens?“, wiederholte sie mit milder Panik, aber Rumer
begriff überhaupt nicht, worum es ging. Abgesehen davon, dass James es nie viel
länger als vier Wochen mit einem Mädchen aushielt. „Ich will mich nicht den
Rest meines Lebens darüber lustig machen müssen, dass du – ausgerechnet du,
meine beste Freundin – dich für den größten Langeweiler aus Gryffindor
entscheidest“, erklärte sie verzweifelt. „Wir waren eine Front, Rumer“,
erinnerte sie sie bitter. „Und nein. Du bist nicht gut genug, du bist
tausendmal besser als James!“, korrigierte sie das Missverständnis, dem Rumer
wohl unterlag. James hatte nur Unsinn im Kopf, war ohne Tiefe, ohne Witz.
Und
tatsächlich lächelte Rumer und sagte etwas Furchtbares. „Ich glaube, wir werden
erwachsen, Rose.“ Was war das für eine Antwort? Nein?! Wurden sie nicht? Rumer
wurde vielleicht wahnsinnig, so wie Rose es einschätzte. Nicht erwachsen,
Merlin! „Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Rumer plötzlich bei ihr,
und Rose verzog den Mund. Es ging einfach nur darum, dass sich Rumer jeden
aussuchen durfte, nur vielleicht einfach gerade keinen Jungen aus ihrem engsten
Familienkreis! Sie wollte einfach nicht, dass Rumer bald die Freundin von einem
ihrer Cousins war. Sie wollte überhaupt nicht, dass Rumer die Freundin von
irgendwem wurde! Wahrscheinlich hatte ihre Mum ihr einmal zu oft Ronja
Räubertochter vorgelesen, denn Rose war weit entfernt von diesen Dingen!
Und
keiner – absolut keiner – ihrer Cousins, behielt eine Freundin sonderlich
lange, denn sie waren alle selber noch Kinder!
Und
Rose sah die trauernden Gestalten der Mädchen nur zu oft in den Schatten
lungern, während sie James hinterher schmachteten, obwohl er ihr Herz gebrochen
hatte. Wie dumm sie waren! Rumer sollte so nicht enden!
Alles
änderte sich so rasend schnell, dabei wollte sie einfach nur, dass alles blieb,
wie es war! „Rose?“ Sie hatte zu lange geschwiegen, wurde ihr klar. Sie kaute
auf ihrer Lippe, und scheinbar sah sich Rumer gehalten, weiterzusprechen. „Bist
du…“ Sie dachte kurz über ihre Worte nach, und gespannt wartete Rose auf das
Ende dieses Satzes. War sie sauer? Ja, war sie. War sie enttäuscht? Ja, das war
sie auch! „Bist du… in keinen Jungen verliebt?“
Kurz
atmete sie aus. „Nein, bin ich nicht“, entgegnete sie gereizt. Sie war noch
normal im Kopf. Zumindest schwor sie sich, ab jetzt wieder vollkommen normal zu
sein. Und sie wusste, ungefähr jetzt bot sich wohl die Gelegenheit an, Rumer
von ihrem furchtbaren Stranderlebnis zu erzählen. Ungefähr jetzt war der
geeignete Zeitpunkt für solche Geständnisse. Aber sie… - Rose Weasley - sollte
einen Jungen am Strand geküsst haben, der nicht ihr Freund war, sondern der
Freund ihrer Cousine? Ausgerechnet sie sollte den einen Jungen geküsst haben,
den ihr Vater nicht ausstehen konnte? Nein. Wer sollte das glauben? Sie glaubte
es ja selber kaum! Und sie war nicht mal verliebt in ihn. Bei Merlin nicht!
Und
es half nicht, dass sie mittlerweile nicht mal mehr eine passende Beleidigung
auf den Lippen hatte, wenn sie ihn sah. Es war nicht mehr wie früher. Ja,
Scorpius verbrachte seine Zeit immer noch mit Alby, so wie sie auch. Aber jetzt
konnte sie nicht mehr unbefangen dabei sein. Sie war nie unbefangen, hatte
Scorpius noch nie viel abgewinnen können, aber jetzt… jetzt fehlten ihr sogar noch
die schlagfertigen Worte.
Ihr
wurde praktisch übel, so sehr bereute sie diesen Tag. Das war mit Abstand das
Dümmste, was sie in den letzten Jahren getan hatte, und sie hatte lediglich
Glück gehabt, dass es niemand mitbekommen hatte. Es war auch das allererste
lebensverändernde Ereignis, das sie vor ihrer besten Freundin geheimhielt. Es
gab eigentlich keine Geheimnisse zwischen ihnen, und vor allem hätte Rose nie
für möglich gehalten, dass ausgerechnet ihr erster Kuss ein Geheimnis sein
würde.
Rumers
erster Kuss hatte eine ganze Nacht gefüllt, während sie kichernd Schokofrösche
gegessen hatten, in Schlafsäcke eingemummelt gewesen waren, und bei Rumers
Eltern im Garten gezeltet hatten. „Irgendwann bist du soweit“, sagte Rumer mit
einem verständnisvollen Nicken, und Rose hätte jetzt gerade gerne eine Handvoll
Doxymist griffbereit. Oh, sie war soweit! Nur scheinbar waren nicht die
richtigen Jungen in der Nähe, wenn ihr Körper entschied, sich massive
hormonelle Fehltritte zu leisten. Sie wusste, würde sie auch nur eine Sekunde
über diesen Kuss nachdenken, würde sie genau jetzt so knallrot werden, dass sie
ihren Haaren Konkurrenz machen könnte.
Und
wäre es ein Wettbewerb – dann hätte Rose verdammt noch mal gewonnen. Denn
Rumers Kuss hatte keine Minute gedauert, war in der Garderobe des
Reinblüterclubs passiert, und dann auch noch mit Collin Barrie, dem unfähigen
Treiber aus Slytherin. Gut, Scorpius war auch ein unfähiger Treiber aus
Slytherin, aber Rose hatte das dumpfe Gefühl, ihr Kuss wäre interessanter als Rumers.
Aber es war kein Wettbewerb. Ganz einfach.
Und
jetzt durfte sie auf ihren zweiten Kuss warten und musste hoffen, dass dieser
Junge kein seelenloser Mistkerl war, nicht mit ihrer Cousine ausging, und dass
ihr Dad ihn nicht gerade auf den Tod verabscheute. Und davon konnte sie dann
Rumer erzählen. Vielleicht. Denn jetzt gerade mochte sie ihre beste Freundin
nicht.
Oh –
und sie hatte überhaupt gar kein Interesse an einem zweiten Kuss! Denn es gab
niemanden auf Hogwarts, der dieses Drama wert wäre! Sie war mit der Hälfte der
Herzensbrecher verwandt, und die andere Hälfte interessierte sie nicht! Für
gewöhnlich. Gut, es hatte sich auch noch keiner angeboten. Niemand schien es zu
wagen, ihr zu nahe zu kommen. Selten war sie irgendwo allein, und ihre Cousins
machten es anderen Jungen nicht gerade einfach. Sie seufzte lange.
„Rose?“
Erschrocken hob sich ihr Blick wieder. Sie war ganz in ihren Gedanken versunken
gewesen. „Du verheimlichst mir was, oder?“ Ja, mehrere Dinge. Rumer fixierte
sie sehr genau, und Rose öffnete unschlüssig den Mund. Es gab etwas, das sie
Rumer erzählen wollte. Und es war mehr oder weniger unverfänglich, und es würde
Rumer ablenken, von dem wahren Problem. Wieder sah sich Rose verschwörerisch
um. Dann senkte sie die Stimme und lehnte sich näher zu ihrer besten Freundin.
„Dom
hatte ihr erstes Mal“, flüsterte sie, als wäre es Salazars Fluch, den niemand
hören durfte. Rumer blinzelte daraufhin, vollkommen aus der Bahn geworfen.
„Wann?
Im Urlaub? Mit Scorpius?“, zischte sie praktisch, und Rose verdrehte die Augen.
„Nein,
mit James“, spottete Rose mit halbem Lächeln, und Rumer verzog den Mund.
„Nicht
witzig, Rose“, entgegnete sie, bevor sie wieder ernst wurde. Und sie kam direkt
zu dem Punkt, der auch Rose stutzig gemacht hatte. „Und sie hat es dir
erzählt?“ Fast klang es beleidigend, aber Rose hielt es für ebenso abwegig, wie
Rumer. Denn sie verstand sich mit ihren Cousinen nicht sonderlich blendend. Sie
konnte nicht viel mit ihnen anfangen, mit keiner von ihnen.
Aber
sie wusste, das war keine Entschuldigung. Selbst wenn sie nichts mit Dom zu tun
hatte, war es keine Entschuldigung.
„Ja,
seltsam, nicht?“, bestätigte Rose nachdenklich, und Rumer schien sofort ihre
Theorien zu haben.
„Weil
sie dachte, Vic würde es nicht interessieren? Oder weil Lily es vielleicht
ihren Eltern erzählt hätte?“, vermutete sie, und dann wäre dieses unvertraute
Geheimnis kein Kompliment ihrer Cousine, sondern… reine Angabe? Aber egal, was
es war – Rose hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte es Dom sogar erzählen
wollen. Zweidutzendmal schon. Aber jetzt würde es mehr Schaden anrichten, als
es nutzen würde. Und sie hatte Zeit gehabt, darüber nachzudenken.
Das
erste Mal hatte sie es Dom direkt im Urlaub erzählen wollen, aber an dem Abend
hatte ihre Cousine ihr mit rosaroten Scheuklappen von ihrer ersten gemeinsamen
Nacht mit Scorpius Malfoy erzählt hatte, denn anscheinend ließ Scorpius gar
nichts anbrennen, und hatte doch tatsächlich noch am selben Abend des schrecklichen
Tages mit Dom geschlafen. Es war Doms erstes Mal gewesen, und Rose hatte
wirklich etwas sagen wollen, hatte den Mund schon geöffnet, aber… sie hatte die
richtigen Worte einfach nicht gefunden. Vor allem – was hätte es gebracht? Doms
erstes Mal mit diesem Idioten wäre nicht rückgängig zu machen, und Rose hätte
es nur schlimmer gemacht, indem Dom erfahren hätte, dass Rose diese Sache
ohnehin zu lange vor ihr geheim gehalten hatte. Wieder mal gab es ein
Zeitfenster für solche Geständnisse, und dieses hatte sie auch da einfach
verpasst.
Und
sie war albern gewesen, kindisch, fast. Denn fast hatte sie geglaubt, es hätte
etwas bedeutet. Es hätte zumindest mehr bedeutet, als dass dieser Vollidiot
noch am selben Abend zu Dom lief, um mit ihr zu schlafen. Rose wusste nicht,
was sie erwartet hatte, aber… er hatte ihr somit jede Handlungsmöglichkeit
genommen. Sie hatte mit ihm reden wollen – bis Dom mit ihr gesprochen hatte.
Ab
dann hatte sie nur noch blanke Wut empfunden. Denn ganz klar bedeutete es gar
nichts! Ganz klar küsste Scorpius Malfoy Mädchen nur aus Sport. Und selbst
wenn! Selbst wenn es ihm irgendwas bedeutet hätte, hätte sie sich natürlich
niemals darauf eingelassen, aber… es würde sich anders anfühlen. Es würde sich
nicht wie ein verdammtes Geheimnis anfühlen, das sie bis zu ihrem Tode hüten
musste, nur weil sie sich falsch entschieden hatte!
Und…
sie hätte einfach Nein sagen können. Einfach Nein….
Im
Nachhinein kam es ihr viel simpler vor.
Und
das war das Schlimme. Sie hatte nicht gekonnt. Sie hatte nicht Nein sagen
können. So simpel diese Entscheidung im Nachhinein auch war. In diesem
verhängnisvollen Moment hatte sie gar nichts tun können.
„Keine
Ahnung“, antwortete sie Rumer achselzuckend. Und Rose wusste mit absoluter
Sicherheit, dass Rumer sie verurteilen würde. Es war nichts Ehrenhaftes an
dieser Geschichte. Es war einfach nur bitter und krank und unnötig. Scorpius
war mit Dom zusammen. Nicht mit ihr. Es war nicht ok, dass er sie küsste, und
es war nicht ok, dass Rose es zugelassen hatte.
Und
das war es jetzt eben. Das war es, wo sie stand. Irgendwo alleine zwischen den
Stühlen, und der einzige, mit dem sie darüber reden konnte, war ein dämliches
Arschloch, das ihre Cousine schlecht behandelte. Und sie gleich mit.
Und
würde Dom es rausfinden – sie würde einen Krieg anzetteln. Rose erinnerte sich
noch gut an das zweite Jahr. Tara Goode hatte Doms Haarbürste verflucht, so
dass sie ihre Haare ausriss, anstatt zu kämmen – und dieser kleine Scherz war
bitter geendet. Dom war völlig ausgeflippt, hatte den gesamten
Gemeinschaftsraum angestachelt, bis Tara Goode zum Halbjahr hin Hogwarts
verlassen hatte. Und Scorpius war keine Haarbürste….
Zwar
waren Doms Haare irgendwann nachgewachsen, aber… immer noch konnte Dom voller
Hass diese Anekdote erzählen. Auch der erste Monat zwischen den beiden war sehr
anstrengend gewesen, und niemand hatte angenommen, dass es zwischen Dom und
Scorpius funktionieren würde, aber nachdem Dom Scorpius vier Wochen lang
vorgeworfen hatte, sie zu betrügen, hatte sie sich beruhigt. Beunruhigend, dass
ihre paranoide Cousine doch irgendwie richtig lag….
„Fehlen
nur noch du und ich“, schloss Rumer ehrfürchtig, und Rose riss sich mit Gewalt
aus ihren Gedanken. Ihre Stirn runzelte sich langsam, aber dann verstand sie.
Rumer und sie waren noch Jungfrauen. Aber Rose hatte es wirklich nicht eilig.
Wirklich nicht. Dieser Urlaub hatte ihr eine schreckliche Seite von sich
gezeigt. Sie hatte sich praktisch vor sich selbst gefürchtet. Aber sie ging auf
Rumers Worte ein, als sie das Zelt erreicht hatten.
„Lily
gehört auch noch zum Club“, merkte sie an, aber Rumer machte tatsächlich eine
wegwerfende Handbewegung und hatte die Augenbraue demonstrativ erhoben.
„Lily
zählt nicht wirklich, oder?“, entgegnete sie achselzuckend. „Ihre Brüder würden
doch jeden kastrieren, der ihr zu nahe kommt. James und Alby wissen eben, wie
scheiße Jungen sind“, schloss sie, und Roses Mund öffnete sich überlegen, aber
schnell hatte Rumer die Hand gehoben. „Bis jetzt!“, ergänzte sie hastig. „Bis
jetzt, meine Liebe! Warte, bis ich mit James fertig bin. Ein neuer Mann wird er
sein, glaub es mir!“, versprach sie zwinkernd, und James überhaupt als Mann zu
bezeichnen, war fast schon zu viel.
Trotzdem
musste Rose grinsen, obwohl ihr die Vorstellung missfiel, dass sich Rumer
irgendwelche Mühe mit dem ältesten Potter gab. Er war es nicht wert. Auch Rumer
grinste jetzt breit, und Rose fühlte sich wieder etwas leichter. Es war schön,
mit Rumer Witze zu machen. Und dann leuchteten Rumers Augen. „Wir sollten
Scorpius eine Karte zukommen lassen“, fuhr sie lächelnd fort. Rose runzelte die
Stirn. „Er hat die Königin von Gryffindor gelandet. Die Schlange war lang
gewesen…“
Der
Vorhang des Zelts stob auf. „Welche Schlange war lang gewesen?“ Fred hatte
interessiert den Kopf hinausgeschoben. Seine dunkle Haut schien im Urlaub noch
ein wenig dunkler geworden zu sein. Der Schalk blitzte gefährlich in seinen
frechen Augen, und Rumer war immerhin doch nicht völlig erwachsen, denn sie
musste ihr Lachen verbergen, als sie antwortete.
„Scorpius‘
Schlange“, erwiderte sie, schenkte ihr einen mehrdeutigen Blick und wackelte
mit den Augenbrauen. Und selbst Rose musste fast losprusten, auch wenn es
absolut unpassend war. Fred schüttelte den Kopf über sie beide, denn Rumer
weinte nun echte Tränen vor Lachen.
„Unmöglich“,
murmelte er mit gespielter Enttäuschung, „absolut unmöglich“, wiederholte er,
und James trat hinzu, gänzlich überfordert mit der Situation und tauschte einen
ratlosen Blick mit Fred.
„Die Treiberinnen
sind wahnsinnig geworden, Kapitän. Erbitte Exekutionsbefehl“, verlangte Fred
mit monotoner Stimme, und James schien ernsthaft darüber nachzudenken.
„Lass
uns noch ein Spiel abwarten, treuer Torhüter“, antwortete er über ihr Gekicher
hinweg. „Wenn sie schlecht spielen, darfst du sie vernichten“, beschloss er
gönnerhaft, und Rose hätte Rumer gerne aufgezeigt, wie verrückt sie tatsächlich
war, wenn sie jemanden wie James mochte.
Und
fast verging ihr das Lachen, als sie sehr kurz darüber nachdachte, dass sie
Rumer ziemlich genau sagen konnte, wie lang Scorpius‘ Schlange tatsächlich war,
denn… sie hatte es ziemlich deutlich gespürt.
Ja.
Das Lachen verging ihr, so schnell wie es gekommen war.
Sie
sah ihren Bruder nicht allzu häufig, aber einmal die Woche konnte sie sich
nicht vor ihm drücken. Er gab ihr nicht nur Nachhilfe in zahlreichen Fächern,
sondern zwang sie auch, ein Lebenszeichen nach Hause zu schicken, was sie sonst
regelmäßig vergessen würde. Sie trafen sich freitags in einem der offenen
Arbeitsräume der Bibliothek, vor dem Abendessen. Zum einen weil es Rose zu
peinlich war, im Gemeinschaftsraum der Gryffindors mit ihrem Bruder zu lernen,
und zum anderen, weil Rose nie eine Antwort auf die Rätsel für den
Ravenclawgemeinschaftsraum wusste. Und sie hatte keine Lust, wie ein Idiot vor
verschlossenen Türen zu warten, bis sich ein Ravenclaw erbarmte und ihr
öffnete, denn ihr Bruder tat es nicht.
„Möchtest
du noch was ergänzen?“, fragte er knapp, die dunkle Augenbraue erhoben, und seufzend
griff sie sich die schwarze Feder aus seiner Hand, die er ihr nur widerwillig
überließ. Mum hatte sie ihm zum letzten Geburtstag geschenkt. Sie waren nach
unfruchtbaren Lernversuchen zum leidigen Brief nach Hause angekommen. Sie
schrieb lediglich ‚Liebe Grüße, Rose‘ unter die letzte Zeile des Briefes, den
Hugo verfasst hatte, und sie wusste, ihre Mum würde sich wieder beschweren,
dass sie nicht mehr zu sagen hatte. „Ist das dein Ernst?“, erkundigte er sich
glatt, und sie verdrehte die Augen. Drei Stunden mit ihrem Bruder vergingen nur
langsam, und sie war jedes Mal vollkommen entnervt danach.
„Jap“,
bestätigte sie mit einem ausdruckslosen Lächeln, und seufzend faltete er den
Brief zusammen. Sie konnte nicht begreifen, was Hugo ihrer Mum alles zu erzählen
hatte. Dann wiederum sprach Mum ohnehin lieber mit ihm als mit ihr. Hugo hatte
vor ihrem Sommerurlaub Zusatzkurse besucht, denn ihr fabelhafter Bruder hatte
eine Klasse überspringen dürfen und war jetzt – man stelle es sich vor –
gleichauf mit ihr im sechsten Jahrgang. Etwas Peinlicheres als das gab es kaum.
Abgesehen davon, dass Rose das Annehmbar in Verwandlung nur mit Hängen und
Würgen bekommen hatte, um ihr Mies in Zauberkunst auszugleichen. Hugo war
außerdem Vertrauensschüler von Ravenclaw geworden. Mum hatte geweint vor Glück.
Ihr Bruder hatte das Hirn bekommen.
Aber
ehrlich gesagt war Rose recht dankbar dafür. Ihre Eltern erwarteten von ihr
lediglich, dass sie Hogwarts in einem Stück überlebte, während Hugo Chefheiler
im Mungo werden musste – oder direkt Zaubereiminister.
Hugo
spielte kein Quidditch, natürlich nicht, und er verbrachte seine Zeit am
liebsten außerhalb des Weasley-Clans.
„Wie
immer ein Vergnügen“, bemerkte er spöttisch, und wenn man sie zusammen sah,
konnte man nur schwer erraten, dass sie Geschwister waren. Hugo ähnelte eher
ihrer Mum. Dunkle Haare, dunkle Augen, auch sein Hautton war eine Spur dunkler.
Nur besaß er nicht Mums Locken. Die hatte Rose leider aufgebürgt bekommen,
neben dem lästigen Temperament ihres Vaters. Von beiden das Schlechte, wie sie
immer sagte.
Sie
hatte ihn gar nicht gefragt, wie er zurechtkam, aber sie nahm an, es ging ihm
gut. Sie hatten jetzt zusammen Verwandlung, was vor allem ihre Mutter ungemein
freute. Sie gönnte ihm seine Leistungen allesamt, solange er sie verschonte.
Sie wusste, Mum hatte ihn als Spürhund auf sie angesetzt, um mehr über ihr
Privatleben rauszufinden, aber bisher ließ er sie in Ruhe. Sie konnte sich
vorstellen, dass Hugo bessere Dinge zu tun hatte, als sie zu beschatten.
Sie
hoffte es zumindest.
„Hugh“,
hielt sie ihn auf, als er seine Sachen gepackt und seine Tasche geschultert
hatte, und benutzte den Spitznamen, den auch Dad immer verwandte. Seine braunen
Augen ruhten auf ihr. Er war nicht unkoordiniert wie sie. Bei ihm wirkte jede
Bewegung absichtlich und gut überlegt. Eigentlich tat er nie irgendetwas
Unüberlegtes, und wenn einer aus ihrer riesigen Familie Schulsprecher werden
würde – dann war es ihr kleiner Bruder.
„Ja?“
Er sah sie abwartend an. Er war groß geworden, überragte sie mittlerweile, und
er könnte nicht genervter aussehen. Der Ledergurt seiner Tasche spannte stark,
denn sie war prall gefüllt mit Büchern, die nicht auf dem Lehrplan standen. Er
war süchtig nach Büchern, nach Wissen, nach Dingen, die Rose eher kalt ließen.
„Ist…
ah… ist alles ok soweit? Ich meine… kommst du mit den Leuten zurecht?“, fragte
sie ihn, und er wirkte ehrlich entgeistert.
„Es
sind dieselben Leute, die ich seit fünf Jahren kenne, Rose.“
„Also nein?“, witzelte sie schwach, und er verzog den Mund. Er erinnerte sie an
Mum, wenn er das tat. Sie verdrehte die Augen. „Ich meine… sind alle nett zu
dir?“
Tatsächlich
wanderten seine Augenbrauen demonstrativ höher.
„Und
wenn nicht? Dann kommt meine große Schwester vorbei, verprügelt die bösen
Schüler und steckt sie kopfüber in das Jungenklo? Alles ok, Rose“, schloss er
spöttisch, und sie konnte nie wirklich mit ihm reden. Denn er sprach nie
wirklich mit ihr. Er nahm sie überhaupt nicht ernst, und dass sie sich mal auf
derselben Ebene verstanden hatten, schien Jahre her zu sein. Sie kam sich fast
lächerlich dabei vor, ihm anzubieten, ihn irgendwie zu beschützen, aber Fakt
war, dass sie eben doch die große Schwester war. Ob nun auch geeignet, ihm irgendwelche
Hilfe anzubieten, ließ sie außen vor. Seine Haare lagen so ordentlich, dass sie
das unbestimmte Bedürfnis verspürte, aufzustehen und sie zu zerstrubbeln. So
wie sie es früher getan hatte, als er noch nicht über sie hinausgewachsen war.
Aber sie konnte nicht. Sie wusste nicht mehr, wie. Sie nahm an, er hielt sie
für einen dummen Primaten, der es nicht einmal fertig brachte, einen simplen
Brief nach Hause zu schreiben. Dabei ging es weniger um das Schreiben, als dass
sie einfach keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte. Sie bezweifelte, dass es
irgendetwas gab, was ihre Eltern tatsächlich interessierte. Und sie hatte keine
Ahnung, wie Hugo die Muße fand, jede Woche Seite um Seite zu verfassen. Und wie
er es fertig brachte, dass sie sich jedes Mal schlechter fühlte. Sie machte
sich manchmal etwas vor, aber sie musste gestehen, sie und Hugo waren nicht wie
die Potters. Oft wünschte sie sich, sie würde mehr mit ihrem Bruder
unternehmen, denn sie glaubte, er war ein interessanter, witziger Mensch. Aber er
zeigte es nicht, legte keinen Wert darauf, und wahrscheinlich hatte sie auch
noch Glück, in erster Linie mit ihm verwandt zu sein, ansonsten würde er sie
wohl komplett ignorieren, wie den Rest der Verwandtschaft.
„Ok.
Dann… bis dann“, erwiderte sie resignierend, entließ ihn aus ihrem Blick, und
er machte Kehrt. Sie blickte ihrem kleinen Bruder nach und wusste
eigenartigerweise, dass sie ihm niemals ihr Geheimnis anvertrauen würde. Er
wäre wohl der allerletzte auf der Welt. Und wahrscheinlich deshalb, weil er ihr
knallhart die Wahrheit sagen würde, und was für ein widerlicher Mensch sie
wäre. Manchmal hatte sie Angst vor Hugos Worten. Er würde sie in überheblicher
Manie darauf hinweisen, dass ihm so ein Fehler niemals passieren würde. Es wäre
einfacher, es Rumer zu sagen – und das wäre schon unmöglich.
Rose
war tatsächlich ganz froh, dass ihre beste Freundin zurzeit schwer damit
beschäftigt war, bei James Eindruck zu schinden, auch wenn es fast
selbstsüchtig von ihr war – nicht dass es viel bedurfte. James war beeindruckt,
wenn ein Mädchen ihren Stundenplan auswendig kannte.
Seufzend
packte sie ihre Sachen zusammen und befürchtete, sie hatte den schwierigen
Zauber noch immer nicht verstanden. Hugo war kein guter Lehrer. Er hatte wenig
Geduld und begriff nicht, warum andere länger brauchten, um die Zauber zu
verstehen. Sie verließ den Arbeitsraum, und die Bibliothek lag still vor ihr.
Wahrscheinlich waren alle unterwegs in die Halle. Aber ihr Blick blieb an einer
Gestalt hängen. Selten sah sie ihn wirklich lernen. Sie sah ihn immer nur vor
dem Spiegel, wie er neue Klamotten anprobierte, dachte sie mit einem schmalen
Lächeln, als sie näher kam.
„Fleißig?“,
riss sie ihn leise aus seinen Gedanken, und Louis hob überrascht den
konzentrierten Blick. Er war Doms Zwillingsbruder, und fabelhafter Jäger ihres
Teams. Ein ebenmäßiges Lächeln hob seine Mundwinkel, als er sie erkannte, und
er war ein hübscher Junge. Seine blonden Haare fast schulterlang in einem
unordentlichen Zopf, die dunkelblauen Augen wachsam und immer verschmitzt.
Seine Finger standen meist vor Dreck, denn tatsächlich war Kräuterkunde sein
Lieblingsfach, und oft half er Professor Longbottom im Verbotenen Wald, denn
Professor Longbottom war nicht nur Lehrer, sondern auch Wildhüter von Hogwars,
und ziemlich gutaussehend, wenn man dem Getratsche glauben schenkte.
Wahrscheinlich eher verwegen, denn er hatte ebenfalls lange Haare und einen
Zehntagebart, wenn Rose schätzen müsste. Auch war sein Gesicht vernarbt, aber
das half seiner Beliebtheit unter den Schülerinnen nur. Nicht, dass es Rose
interessierte.
„Wäre
dein Bruder nicht so ein überheblicher Affe, würde ich auch Nachhilfe bei ihm
nehmen“, erwiderte Louis und richtete den Blick auf den Gang, durch den Hugo
wohl gerade verschwunden war. Rose lächelte leicht. Hugo war eigentlich nicht
überheblich, aber wahrscheinlich erweckte seine unfassbare Intelligenz diesen
Anschein. Ein hartes Los, aber im Moment konnte sie kein Mitleid für ihn
aufbringen.
„Danach
fühlst du dich nur noch schlechter“, erwiderte sie achselzuckend. Sie hatte
nicht gewusst, dass Louis auch Probleme in Verwandlung hatte. Er behielt
eigentlich viel für sich, erzählte nie viel von Problemen, aber das taten James
und Fred auch nicht. Die beiden hatten nicht mal ein Lieblingsfach und schafften
ihre Fächer geradeso, aber der Unterricht war auch eher nebensächlich in ihren
Augen. Etwas Lästiges, was erledigt werden musste, bevor man Quidditch spielen
konnte. Rose sah es ähnlich. Die meiste Zeit über zumindest. Sie betrachtete
Louis, und musste sagen, er war mit Abstand der hübscheste Gryffindorjunge.
Vielleicht war er Rumer zu jung? Er war schließlich erst im sechsten Jahr,
nicht wie der fabelhafte James im siebten. Aber für ihre beste Freundin war
Louis eine genauso gefährliche Wahl. Louis schien seine Freundin nämlich
wöchentlich zu wechseln.
„Wollen
wir runter?“, erkundigte sich Louis resignierend und klappte seine Bücher zu.
„Auf
jeden Fall. Ich verhungere“, behauptete sie grimmig. Louis war größer als sie.
Sie sah die Ähnlichkeit zu Onkel Bill in seiner Mimik, seinen Gesten. In der
Art, wie er einen Witz erzählte, aber diese kühle äußere Schönheit war alles
Tante Fleur. Manchmal starrte sie ihn regelrecht an, denn es war kaum anders
möglich. Es gab Parallelen zu Scorpius Malfoy, nahm sie an. Die blonden Haare,
die Statur, aber… Scorpius sah noch mal anders aus. Nicht, dass sie jemals
sonderlich viel darüber nachgedacht hatte. Aber sie wusste, Louis verstand sich
nicht so hervorragend mit Scorpius, wie Alby es vielleicht tat. Wahrscheinlich
war es ein Beschützerinstinkt, in Bezug auf seine Zwillingsschwester. Und das
hatte Louis in ihren Augen eigentlich immer besonders sympathisch gemacht. Sie
fragte sich, was Louis von ihr denken würde, wüsste er, was passiert war.
Wahrscheinlich würde er sie dann auch nicht mehr so gut leiden können.
„Schon
aufgeregt?“, wollte Louis von ihr wissen, und sie hob verstört den Blick.
„Wegen des Spiels“, ergänzte er nachsichtig, und Roses Mund öffnete sich.
„Nicht
wirklich“, erwiderte sie, verbarg kaum die Enttäuschung, denn… sie spielten
gegen Slytherin. Es wäre ein Wunder, würde James den Schnatz fangen, und es
wäre ein Wunder, würden sie tatsächlich gegen Slytherin gewinnen. Manchmal
schaffte Louis es im Alleingang hundertfünfzig Punkte zu sammeln, und dann
hatten sie die reelle Chance auf ein Unentschieden, wenn Alby den Schnatz recht
spät fand. „Es wird so sein wie immer sein“, prophezeite sie düster.
Das
gute Wetter hatte nachgelassen. Donner grollte in der Ferne, aber seine Teamkollegen
ignorierten diese Tatsache. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Spiel im
Unwetter stattfand. Ihr Aushilfslehrer nahm es mit dem Wetter nicht allzu
genau. Oliver Wood war vierzig Jahre alt und hatte die Sheffield Shooters
letztes Jahr wegen der Altersregel verlassen müssen. Er unterrichtete seitdem
gnadenlos Quidditch auf Hogwarts, und eigentlich gab es keinen guten Grund,
weshalb überhaupt irgendein Spiel vorzeitig beendet wurde. Und wenn Al die
ganze Nacht nach dem verdammten Schnatz suchen musste. Zwar war Mr. Wood nur
die Aushilfe, aber ihre Lehrerin Madame Green kurierte seit acht Monaten eine
Verletzung aus, die sie vom Fliegen abhielt. Es war alles geheimnisvoll, und
die Schulleiterin machte sich auch keine Mühe, die Verletzung ihrer geliebten
Lehrerin zu erläutern. Es gab Spekulationen, aber keine Details. Sie konnten
nur hoffen, dass Mr. Wood irgendwann abgelöst wurde. Es wurden harte Spiele
unter echten Bedingungen gespielt, und Scorpius glaubte, die Verletzungsgefahr
hatte sich verdreifacht.
„-wahrscheinlich
können wir ihre Brüste sehen, wenn es regnet“, schnappte er Collins Worte auf,
und seine Aufmerksamkeit fokussierte sich auf die wirklich wichtigen Themen im
Umkleidezelt.
„Wessen?“,
fragte er sofort und erntete Als amüsierten Blick.
„Hat
dich nicht zu interessieren, oder?“ Es waren nicht wirklich unfreundliche
Worte, aber ihm entging die unterschwellige Feindseligkeit nicht, die Collin
zur Schau stellte. Scorpius wackelte scherzhaft mit den Augenbrauen, um die
Situation zu entschärfen, denn es interessierte ihn tatsächlich nicht.
Dominiques Brüste interessieren ihn. Und eigentlich konnten alle übrigen
Mädchen in Hogwarts sowieso einpacken, denn gegen Dominique konnte keine
gewinnen. Aber er wusste, Collin hatte ebenfalls eine Schwäche für Dominique
gehabt.
„Tut
es auch nicht“, antwortete Scorpius mit einem glatten Lächeln, denn er würde
keinen Streit so kurz vor dem Spiel beginnen.
„Wir
werden alle Brüste sehen können“, beschwichtigte ihr Kapitän jetzt mit
abwinkender Handbewegung. Presley Ford besaß das Alpha-Gen. Groß,
breitschultrig, unglaublich arrogant – er war ein so natürlicher Leitwolf, dass
ihm niemand widersprach. Abgesehen von Al, der sich vor gar nichts fürchtete,
nicht einmal vor Presleys Fäusten des Zorns, wie er sie selber nannte. Scorpius
nahm an, das lag an Als Potter-Gen, was ihn häufiger in Schwierigkeiten
brachte, als dass es ihn rettete.
„Nichts,
was sich lohnen würde, zu sehen, oder?“, widersprach Al grinsend, aber Presley
lächelte lediglich. Es entging Scorpius nicht, und kurz fragte er sich, an wem
Presley aus dem Gryffindorteam ernsthaft Interesse haben könnte. Rumer oder
Rose? Denn die Jägerin Nora Welsh war erst im vierten Jahr. Zwar konnte sie
Kurven in der Luft schlagen, wie niemand sonst, den Scorpius kannte, aber… sie
war schlichtweg zu jung. Er tippte auf Rumer, denn sie war Reinblüterin. Er
schätzte Presley so ein, denn auch Presley war einer der reinsten Reinblüter.
Nicht, dass es viel zählte. Nicht, dass Scorpius sich um so etwas kümmerte. Vielleicht
beschwichtigte Presley auch lediglich seinen hitzigen Treiber und scherte sich
um überhaupt kein Mädchen aus einem anderen Team.
„Ich
würde keine von ihnen von der Kante stoßen“, protestierte Collin, während er
sich seine Schienbeinschoner umschnallte, und riss Scorpius aus seinen
Gedanken.
„Du
würdest einen Kröter im Rock nicht von der Kante stoßen“, bemerkte ihr Jäger
Derek Flynn mit einem spöttischen Grinsen, und Collin schoss ihm einen wütenden
Blick zu.
„Nicht
mal, wenn er ein Gryffindortrikot trägt!“, mischte sich ihr zweiter Jäger ein,
und er und Derek tauschen ein Highfive. Bevor sich Collin ernsthaft in Rage
schnaubte, schlichtete Presley.
„Genug.
Ich will unsere Glückssträhne nicht abreißen sehen. Potter, wie ist die Form?“,
wollte Presley beiläufig von Al wissen, und dieser zuckte arrogant die Achseln.
„Unwichtig.
James könnte ich im Schlaf, mit verdorbenem Magen und verbundenen Gliedmaßen
besiegen.“ Presley lächelte daraufhin. Es schien ihm auszureichen. Auch
Scorpius zweifelte nicht an Als Fähigkeiten.
„Das
will ich hören. Ich warte draußen auf euch“, verabschiedete sich ihr Kapitän
von ihnen, und tatsächlich war Presley der einzige von ihnen, der im siebten
Jahr war. Kein anderer von seinen Klassenkameraden hatte dieses Jahr das Team
geschafft. Scorpius war sich nur nicht sicher, ob sie alle tatsächlich nicht
gut genug gewesen waren, oder ob Presley einfach keine Konkurrenz ertragen
konnte.
Es
war das erste Spiel gegen Gryffindor. Ravenclaw hatten sie bereits besiegt. Und
am besten gewannen sie einfach jedes Spiel, um problemlos den Quidditchpokal zu
gewinnen. Seitdem Al im Team war, hatten sie kein Jahr mehr verloren. Sie
hatten den guten Potter. Bitter für Gryffindor. Collin trat neben ihn, wischte
sich mit dem Handrücken über die feuchte Nase und fasste ihn näher ins Auge.
„Du
Weasley, ich MacLeod“, beschloss er, und es war die Regel. So arbeiteten sie
seit Jahren. Und erst heute fiel es ihm wirklich auf. Erst heute begriff er,
dass er seine Aufmerksamkeit zumindest in der Zeitspanne eines Spiels auf Rose
Weasley fixierte. Und er wollte ablehnen, wollte widersprechen, aber… er kannte
ihre Schwächen und ihre Stärken mittlerweile sowie Collin Rumers Schwächen und
Stärken kannte. Zumindest, was Quidditch betraf. Und deshalb schwieg er.
Deshalb nickte er schroff. Aber er wandte sich an Al.
„Fang
den Schnatz schnell, ok?“ Fast bat er ihn.
„Angst,
nass zu werden?“, erkundigte sich Al kopfschüttelnd, und Scorpius beschloss, zu
lügen.
„Ja. Keine
Lust“, erwiderte er, und Al hob die Augenbrauen.
„Du
bist ein verdammter Schönling, Malfoy“, bemerkte er seufzend. Scorpius schenkte
ihm ein Grinsen.
„Fang
einfach das verdammte Ding, und wir können uns schneller betrinken“, sagte er
bloß, und das schien Al zum Nachdenken zu bringen.
„Guter
Punkt“, schloss dieser, zog noch einmal die Klettverschlüsse seiner Handschuhe
straff, und dann verließen sie ebenfalls das Zelt. Es wurde Zeit. Mr. Wood
bellte bereits irgendwelche zornigen Worte. Abwesend drehte Scorpius seinen
abgewetzten Schläger in den Händen. Es wurde bald Zeit für neues Equipment,
aber man gewöhnte sich an die gebrauchten Sachen, an das abgegriffene Holz. Er
tauschte seine Besitztümer ungern gegen neue Sachen aus.
Aus
der Ferne sah er bereits, wie James mit Mr. Wood verhandelte. Wollte er aus dem
Spiel rauskommen? War dem Gryffindorkapitän das Wetter zu riskant?
Eine
scharfe Brise sauste ihm scharf und kalt durch das Trikot, und die Gryffindors
standen in ständiger Bewegung auf dem Platz. Die Jäger dehnten ihre Beine,
während die Treiberinnen die Köpfe zusammengesteckt hatten. Ein gutes hatte
dieses verfluchte Stranderlebnis. Rose Weasley beleidigte ihn nicht mehr.
Eigentlich beachtete sie ihn überhaupt nicht mehr. Es war pure Erholung, aber
gleichzeitig war es auch das eindeutige Zeichen, dass sie es nicht verdrängt
oder vergessen hatte. Er atmete resignierend aus.
Scorpius‘
Blick wanderte hoch zu den Tribünen. Das Wetter hielt die Schüler ab, stellte
er fest, denn die Ränge waren nur halbbesetzt. Aber natürlich erkannte er seine
schöne Freundin auch aus dieser Entfernung. Er hob die Hand, winkte ihr leicht,
und tatsächlich schwenkte sie seinen Schal. In all dem Gold und Rot blitzte das
Silbergrün aus der ersten Reihe. Sie war mutig, seine hübsche Freundin.
„Auf
die Besen!“, bellte Oliver Woods Stimme gnadenlos, und er sah noch, wie James
gereizt den Mund verzog.
„Nichts
für ungut, Potter“, begrüßte Presley seinen Gegenüber und schnallte seinen Helm
fest. „Selbst wenn strahlender Sonnenschein wäre, würden wir mit euch das Feld
wischen“, schloss er grinsend.
„Oh,
fick dich einfach, Presley!“, knurrte James wütend, und Mr. Wood störte sich
nicht an rauen Umgangsformen. Er begrüßte sie vielmehr. Und Presley lachte
lediglich. Alle Spieler bestiegen die Besen, und er fing ihren Blick. Die
Treiberinnen von Gryffindor erledigten die Dinge anders. Sie griffen an, wer
sich gerade anbot. Sie brauchten keine Strategie. Sie waren leichter auf ihren
Besen, schneller als er und Collin, aber ihnen fehlte manchmal die rechte
Wucht, hinter ihren Schlägen. Kurz versuchte er, zu zählen, wie oft er und Rose
sich schon verletzt hatten, aber er konnte es nicht überschlagen.
Vierdutzendmal? Mehr als das?
„Soll
ich dir Vorsprung lassen?“, erkundigte sich Al bei seinem Bruder, und James‘
Blick war mörderisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass Al und James sich
prügelten – wegen Quidditch. Und Scorpius glaubte auch, noch lange nicht die
letzte Auseinandersetzung zwischen den Brüdern gesehen zu haben. Al hielt nie
seine Klappe. Jedes Mal, wenn er den Schnatz fing, riskierte er eine dicke
Lippe, und James war größer als Al. Er war muskulöser, und tatsächlich ging Al
jedes Mal schlimmer aus einem Kampf raus als James, aber das hielt ihn selten
davon ab, seine Meinung laut zu äußern.
„Wie
wäre es, wenn ich dir den ersten Schlag ins Gesicht umsonst schenke, wenn das
Spiel vorbei ist, du kleine Made?“, bot James ihm an, und Al grinste breit.
„Ich
glaube, ich werde zu gute Laune haben, Jamie, aber morgen vielleicht?“, erwiderte
er, und man musste James zugutehalten, dass er zumindest nur noch die Augen
verdrehte. Der Gryffindorkapitän schien ziemlich genau zu wissen, dass sein
Bruder wohl wieder gewinnen würde. Es musste eine unbequeme Erkenntnis sein,
überlegte Scorpius.
„Das
Angebot gilt nur für heute, Al“, widersprach James entschuldigend.
„Tjaah…“,
sagte Al, gespielt ratlos.
„Tja“,
wiederholte James, und beide Brüder grinsten plötzlich. Sie sahen sich
schrecklich ähnlich, wenn sie das taten.
„Möge
der bessere gewinnen!“, sagte Al, und James stöhnte auf.
Mr.
Wood warf den Quaffel in die Höhe, und der Pfiff ertönte. Sie stießen sich alle
gleichzeitig ab, stiegen höher, und der Wind pfiff in seinen Ohren. Der Herbst
kam unaufhaltsam, aber es war seine liebste Jahreszeit. Er mochte die Farben,
die Luft, die fallenden Blätter. Er lenkte seinen Gedanke ab, um nicht sich
nicht ausschließlich mit ihr befassen zu müssen. Aus den Augenwinkeln sah er,
wie Oliver Wood den Klatscher befreite, und der knochenharte Ball sauste in die
Höhe. Collin schlug ihn mit einem gepressten Schrei in Noras Richtung, und
Rumer sank in einen Sturzflug, während Collin ihr folgte. Rose fiel in eine
Rechtskurve, und unauffällig spiegelte Scorpius ihre Bewegungen. Locker lag der
Schläger in seiner Faust. Ihre roten Haare waren lang geworden, flogen über
ihre Schulter, der Wind zerrte an ihnen, zerwirbelte die Locken, und blanke
Konzentration beherrschte ihre Züge. Die Bräune des Urlaubs war fast verflogen,
und beiläufig hob sich ihr Blick, vielleicht um sich Überblick zu verschaffen,
wer ihr folgte, und ihre Blicke trafen sich unwillkürlich. Fast verschlug es
ihm den Atem, denn kurz – sehr kurz – erinnerte sich an die Nähe, und das
schlechte Gewissen breitete sich auch mit voller Macht auf ihrem Gesicht aus,
so dass ihm fast schlecht wurde. Er konnte es sehen! Sein Herz stürzte
praktisch in seinen Magen, so sehr überraschte ihn seine Reaktion. Scheiße.
Hastig senkte er den Blick. Er musste sich-
„-hey,
Malfoy!“, brüllte Collin zornig, als der Klatscher zwischen ihm und Rose
gefährlich knapp durch die Luft sauste und sein Ohr nur um wenige Zentimeter
verfehlte. „Zieh den Kopf aus deinem Arsch, verdammt!“ Und sein Herz ging
schnell vor Schreck. Er drückte die Geschwindigkeit, ließ sich fallen, bis der
Klatscher in Sicht kam, und routinemäßig schlug er ihn hart in Richtung der
feindlichen Jäger. Er würde ihr was zu tun geben, denn er hatte keine Lust, sie
länger anzustarren und sich beschissen zu fühlen. Er wusste, er würde so nicht
leben können. Nicht auf Dauer. Nicht in ihrer konstanten Gegenwart, auch, wenn
sie Häuser entfernt existierten. Auch, wenn sie nicht sprachen. Das war das
Problem, wenn man sich die Gedanken zu spät machte.
Es
wurde ein angespanntes Spiel, und Spaß hatte er keinen dabei…. Erst nach
weiteren endlosen zwanzig Minuten hatte Al den Schnatz gefunden, und pünktlich
zum Regenguss endete dieses Match. Glück gehabt. Zumindest dieses Mal.
Wer
etwas auf sich hielt, verkehrte mit ihnen. So war es, seitdem sie denken
konnte. Seitdem sie hier war. Ihr Gemeinschaftsraum war die Hochburg von
Hogwarts, und dort hatte man zu sein, wenn man gelten wollte. Ihre Brüder waren
bereits betrunken. Zumindest betrunken genug, um albern zu sein.
Und
James hatte erstaunlich gute Laune dafür, dass Gryffindor ohne ein Tor verloren
hatte. Sie erkannte, dass Louis bei weitem keine so gute Laune hatte, dass er
bereits mit spitzer Feder ausgerechnet hatte, wie viele Tore sie nun bei den
nächsten Spielen rausholen mussten, um Slytherin zu schlagen, sollten diese
weiterhin so gut abschneiden.
Sobald
James und Albus zusammen waren, außerhalb des Quidditchfelds, verschwand jede
Konkurrenz. Dass Albus in Slytherin war, mochte dann vielleicht eine Tatsache
sein, aber es war kein Hindernis. Und das galt auch für seine Freunde. Dass
Slytherins ihren Gemeinschaftsraum bevölkerten gehörte mittlerweile zum guten
Ton. Wahrscheinlich, weil James es so befohlen hatte. Der älteste Sohn von
Harry Potter zu sein, war ihrem Bruder milde zu Kopf gestiegen – und sie
profitierten alle davon. Mehr oder weniger.
Rose
lachte sehr laut über etwas, dass Fred gesagt hatte, und zog die Aufmerksamkeit
auf sich, um lautstark Freds Worte zu wiederholen. Lily senkte den Blick. Sie
saß nahe bei, aber doch etwas abseits. Sie war die jüngste von ihnen. Von
denen, die zählten. Von den älteren. Jünger als Rose, auch wenn ihre Cousine
einen jüngeren Anschein machte, durch ihre Unbeholfenheit, ihre schiere
Lautstärke. Lily trank auch nicht das geschmuggelte Butterbier, so wie Rose es
tat. Heute könnte sie vielleicht sogar unbemerkt Alkohol trinken, denn James
und Albus waren mit sich selbst beschäftigt, aber sie wollte gar nicht mehr
rebellieren. Ihre Brüder hatten sich angewöhnt, die Hand über sie zu halten,
sie vor sämtlichen Dingen zu schützen, und tatsächlich wagte niemand, ihr zu
nahe zu kommen, schlecht über sie zu reden – oder überhaupt mit ihr zu reden,
wenn er nicht gerade verwandt mit ihr war. Sie war Lily Potter.
Es
war ein eigenartiger Titel, der ihr nicht viel brachte. Teilweise neidische
Blicke der Mädchen, wenn sie in den Ferien mit James und Albus nach Hause
fahren durfte – aber es war kein echter Neid, denn schließlich hatte Lily kein
Interesse an ihren älteren Brüdern. Es war anstrengend. Sie hatten viel Unsinn
im Kopf, vor allem James. Und irgendetwas fanden die Mädchen besonders
anziehend daran. Ihr blieb es verwehrt.
Lily
hatte gelernt, sich auf ihre Cousinen zu verlassen, da die meisten Mädchen aus
Gryffindor nur mit ihr befreundet waren, wegen James, oder wegen Louis. Mit Dom
hatte sie nun viel weniger zu tun, als letztes Jahr. Dom hatte einen Freund.
Und natürlich kannte Lily Doms Freund. Denn immerhin kannte sie Scorpius,
seitdem Albus ihn zum Übernachten in ihr Haus einlud, und das tat er seit sechs
Jahren. Sie kannte Scorpius, lange bevor Dom überhaupt ein Auge auf ihn
geworfen hatte, und Lilys Bick hob sich verstohlen aus ihrem Schoß, um quer
durch den Raum zu gleiten. Sie saßen tatsächlich abseits, in einem gemütlichen,
breiten Sessel. Dom auf Scorpius‘ Schoß. Ihr Platz. Lilys Platz.
Aber
natürlich hätte Albus es niemals zugelassen. Es wäre nicht in Frage gekommen,
dass Lily auch nur zwei Minuten mit Scorpius alleine hätte reden dürfen. Und
vielleicht nicht einmal, weil Albus sie schützen wollte, nein, vielleicht
einfach nur, weil kein anderer Potter Scorpius‘ bester Freund sein durfte.
Natürlich
hatte Lily gegen Dom keine Chance. Nicht mal ihr Name half, wenn man denn über
gesundes Augenlicht verfügte. Dom war… eine Schönheit. Und eigentlich war sie
Lilys beste Freundin gewesen. Bisher.
Aber
seitdem Scorpius an Doms Seite existierte und nicht mehr nur exklusiv an Albus‘
Seite, suchte Lily Abstand. Es war schwer gewesen, zu Beginn. Es war noch
schwerer gewesen, als Scorpius‘ Mum gestorben war.
Denn
Lily hätte für ihn da sein können. Sie hatte ihn nachts durch die Wand weinen
gehört, als er bei ihnen geschlafen hatte. Dom war nicht da gewesen. Lily hätte
ihn trösten können. Vielleicht besser als Dom es konnte. Er war sogar zu ihrem
Familienurlaub eingeladen gewesen. Für sie war es schwer gewesen, ihn zu sehen.
Dom zuzusehen, während sie das bekam, wovon Lily nur träumen konnte.
Und
wenn sie sehr ehrlich war, dann konnte sie nicht erwarten, dass James und Albus
Hogwarts endlich verließen. Dass Fred und Louis verschwanden. Dass alle gingen.
Und sie wäre die letzte Potter auf der Schule. Nicht einmal Hugo, der zuvor in
ihrem Jahrgang gewesen war, wäre noch da, denn er hatte ja übersprungen. Nur
Roxy und sie wären dann noch hier. Aber bis dahin dauerte es noch lange Jahre.
All
das half ihr im Moment nicht. Sie unterdrückte ein Seufzen. Seitdem Scorpius
vergeben war und sie sowieso niemals beachten würde, einfach weil ihr Name es
verbat, hatte sie sich erlaubt, sich umzusehen. Denn Lily interessierte sich
für Jungen. Sehr sogar. Sie schaffte es nur nicht, überhaupt irgendeine
Beziehung zu jemandem aufzubauen, denn James und Albus sorgten schon dafür,
dass jeder Reißaus nahm, dessen Absichten nicht ehrenwert waren. Und Lily war
sich nicht so sicher, dass lediglich ein Schutzreflex James und Albus trieb. Es
kam ihr eher so vor, als wäre es ihren Brüdern lästig, dass sie erwachsen
wurde, und das ruhige Leben Zuhause oder in Hogwarts störte, und dass sie, ihre
feinen Brüder, am Ende von ihrem Dad noch Ärger bekämen, weil sie eben nicht
aufpassten. Also nahm sie an, es war teilweise blanker Eigennutz.
Und
heute war einer der seltenen Tage, an dem das halbe Slytherinteam eingeladen
war. Collin Barrie war hier, Derek Flynn, der sehr gut aussah, und natürlich
der Kapitän Presley Ford. Sie spürte direkt, wie sich ihre Pupillen weiteten,
als sie ihn ins Auge fasste.
In
ihren Gedanken war es so, dass Scorpius eigentlich sie liebte, und nun sah,
dass sie ihr Interesse Presley widmete. Sie lebte in ihrem eigenen Roman, in
dem ihre Brüder sie auf den Weg der Tugend zwangen, und alle Männer sie nur aus
der Ferne lieben konnten.
Natürlich
war es nicht so. Natürlich nicht. Aber in ihren Träumen lagen die Dinge anders.
Presley war zwei Jahre älter als sie, und es störte sie nicht, dass er in
Slytherin war. Genausowenig wie es sie störte, dass Albus oder Scorpius in
Slytherin waren. Es war ein anderes Haus, kein anderer Planet.
Aber
natürlich hatte Presley keine Augen für sie. Sie nahm an, wäre Dom nicht
bereits vergeben, dann würde er versuchen, Dom zu bekommen – wie es eigentlich
jeder tat, seitdem Vic verlobt war. Die schöne Vic. Lily erinnerte sich noch,
dass sich die Jungen vor zwei Jahren noch die Zähne ausgeschlagen hatten, um
Vic Weasley zu bekommen. Und die Enttäuschung war groß gewesen, als es
ausgerechnet Ted Lupin geschafft hatte. Ein Außenseiter, der Hogwarts längst
verlassen hatte. Kaum war Vic siebzehn geworden, hatte er ihr einen Antrag
gemacht. Zähneknirschend hatte Onkel Bill eingewilligt, aber er hatte nicht
viel zu sagen, wusste Lily. Was Vic und Dom wollten, das passierte auch. Wen
sie wollten, den bekamen sie. Es wunderte Lily also nicht wirklich.
Was
sie wunderte, war, dass Vic ihre Meinung noch nicht geändert hatte. Aber
immerhin waren so die Veela-Weasleys weg vom Fenster.
Nein,
ihr Leben war nicht leicht. Nicht wirklich.
Roxy
saß neben ihr und nickte immer wieder ein. Ihre Cousine war elf und in ihrem
ersten Jahr. Sie war ziemlich missmutig, die meiste Zeit über. Denn sie hatte
dieses Jahr nicht geschafft, ins Team gewählt zu werden. Sie war einfach noch
zu jung. Sie flog nicht sicher genug. Soweit Lily wusste, war es bisher nur
Harry und Albus Potter vergönnt gewesen, in ihrem ersten Jahr ins Team zu
kommen. Ihr Dad erzählte es immer noch jedem, der es nicht hören wollte. Lily
hatte kein Interesse am Fliegen. Auch wenn es nicht stimmte. Das sagte sie
immer nur. Vielleicht, wenn nicht gerade vier ihrer Verwandten im Team flogen.
Vielleicht, wenn sie die einzige Potter wäre, dann hätte sie keine Skrupel
gehabt, zum Probefliegen zu erscheinen. Aber sie kannte ihren Bruder. James
machte sich lustig über sie. Über ihre Größe, über ihre Verletzbarkeit. Sie
hatte gewusst, seitdem James im Team war, würde sie keinen Fuß auf das
Quidditchfeld setzen.
Mit
ihrem Dad spielte sie ab und an. Alleine. Hinzu kam ihre Sehschwäche. Natürlich
war es nicht unbedingt ein Problem. Aber sie behauptete, es wäre eine
Leseschwäche, und sie würde ihre Brille lediglich zum Lesen benötigen. Das stimmte
nicht, aber das wusste niemand. Außer ihre Eltern. Aber die waren nicht hier.
Lily hatte häufig Kopfschmerzen, und im Unterricht hatte sie sich schon
angewöhnt, vorne zu sitzen. Das wussten ihre Brüder nicht, immerhin. Denn sie
wollte die dämliche Brille nicht die gesamte Zeit tragen. Vor allem waren ihre
Brüder verschont geblieben, von dieser Schwäche.
Zwar
hatte ihre Mum ihr eine schöne Brille besorgt, nicht dieses furchtbare
Rundgestell, was ihr Vater bevorzugte, aber trotzdem. Sie wollte nicht die einzige
Brillenschlange sein. Und zum Fliegen würde sie wohl oder übel eine Brille
brauchen. Und ihre Brüder würden aus dem Lachen nicht mehr rauskommen, das
stand fest. Kontaktlinsen waren nichts für sie. So sehr sie es wollte, aber sie
vertrug sie nicht. Seit Jahren zog sie es vor, nur die Hälfte sehen zu können.
Viele mochten sie deshalb für unaufmerksam oder selbstbezogen halten, aber…
Lily sah die meisten Leute einfach wirklich nicht.
Allerdings
passte sie damit sehr gut zu Dom und Vic. Die beiden sahen die meisten Leute
mit Absicht nicht, sprachen nur mit ihrem ausgewählten Kreis an Freunden und
spielten natürlich beide nicht Quidditch.
Aber
sie glaubte, sie würde ihr Glück im letzten Jahr versuchen – wenn ihre Brüder
verschwunden waren. Und sie würde sich dafür einsetzen, dass auch Roxy ins Team
kam, sollte es vorher nichts werden.
Laut
stießen die Jungen mit Rose an, lobten ihre Treiberfähigkeit, und Lily ging
davon aus, dass Rose Kapitän werden würde, sobald James nicht mehr da war. Es
war… ein Gefühl, das sie hatte. Rose verfügte über dieses Talent, Leute glauben
zu lassen, sie wäre unbesiegbar. Alles Fassade, dachte Lily. Rose war so
besiegbar wie sie es war, aber Rose war laut und frech und verschaffte sich,
wenn nötig, auch mit Fäusten Gehör. Rose bekam, was sie wollte. Egal, wie. Sie
durfte alles, was Lily nicht durfte. Sie spielte Quidditch, Albus akzeptierte
sie als gleichberechtigt, und Hugo war weit weg – und interessierte sich nicht
für seine Schwester. Und Rose schien nicht der Masse zu folgen, schenkte weder
Presley noch Scorpius Beachtung – nein, sie mochte Scorpius nicht mal. Sie
schien überhaupt kein Interesse an Jungen zu haben. Sie interessierte sich für
niemanden.
Aber
Lily erkannte, dass Roses beste Freundin Rumer auffallend nahe neben James saß.
Es war eine Frage der Zeit gewesen, nahm sie an. Sie glaubte, jedes Mädchen aus
Gryffindor war zumindest kurzfristig in ihren ältesten Bruder verliebt gewesen
– und wahrscheinlich heimlich auch in Albus. Und Lily glaubte, Rose gut genug zu
kennen, um sagen zu können, dass es sie mehr als aufregen musste. Denn Rose sah
James so, wie Lily ihn wahrnahm. Er war überheblich und mehr oder weniger ein
Vollidiot.
Aber
so ganz stimmte es wohl nicht. Rose interessierte sich für Albus. Sie steckten
häufig zusammen, und Lily wusste, Albus mochte Rose. Mochte sie mehr, als es
den Anschein machte. Sie wusste, die geheime Valentinsrose, die Rose dieses
Jahr geschickt bekommen – und ignoriert – hatte, war nicht von irgendeinem
Gryffindor gewesen, wie Rumer vermutet hatte. Lily wusste, dass Albus sie ihr
geschickt hatte. Tatsächlich nur aus Zufall, und wahrscheinlich würde Albus sie
umbringen, wüsste er es, aber Lily wusste, wie man den Mund hielt. Und Albus
interessierte sich kaum genug für ein Mädchen, um solch einen Aufwand zu
begehen, geschweige denn, für eine seiner Cousinen. James hingegen stach
hervor, mit seiner offensichtlichen Casanova-Fähigkeit. Über Albus wusste Lily
nicht so viel. Zumindest nicht über seine Eskapaden. Er hielt sie geheimer. Und
diese Sache mit Rose durfte erst recht niemand erfahren.
Lily
glaubte auch, würde Rose es wissen, würde sie damit nicht umgehen können. Ihr
kam es so vor, als käme Rose mit Auseinandersetzungen physischer Art sehr gut
zurecht. Sie wusste, wie man seine Meinung vertrat, seinen Platz verteidigte,
aber emotionale Dinge waren nicht ihre Stärke. Ihre Reize waren nicht ihre
Stärke. Rose verließ sich nicht auf ihr Aussehen. Sie machte sich nichts aus
Kleidern, aus Makeup, aus Haarglättungszaubern. Lily beneidete sie um ihr
Selbstbewusstsein. Und vielleicht war es das, was Albus gefiel? Sie wusste es
nicht, aber sie hoffte, es würde sich legen. Sie hoffte, Albus würde irgendwann
klar sehen und begreifen, dass Rose nichts war, was er haben konnte – auch wenn
es nicht viel gab, was er nicht besaß. Auch wenn James der Ältere war, der
Größere, der Stärkere, so hatte sie das Gefühl, Albus hinterließ den größeren
Eindruck. Sie sah, wie die Mädchen in ihrem Gemeinschaftsraum, ihren Bruder
anstarrten. Den geheimnisvollen Potter aus Slytherin. Er war etwas kleiner als
James, die Haare waren wilder, glichen mehr ihrem Dad, seine Augen waren
stechend grün, und er wirkte… verwegener. Geheimnisvoller. Intelligenter als
James. Natürlich wusste Lily, dass er ebenso ein Idiot war wie James. Und
manchmal wünschte sie sich, andere Brüder zu haben – oder keine.
Ihre
Mum hatte ihr mal erzählt, sie hatte es gehasst, als jüngstes Kind ihrer
Familie nach Hogwarts zu kommen, wo ihre Brüder allesamt schon schlechte
Eindrücke hinterlassen hatten. Sie hatte ihr gesagt, wie schwer es gewesen war,
und wie unmöglich es ihr vorgekommen war, tatsächlich mit ihrem Dad
zusammenzukommen. Und sie, Lily, solle sich nicht entmutigen lassen. Dass es
einen Platz für sie gab, und dass sie irgendwann sehr dankbar für ihre Brüder
sein würde. Lily sah diesen Tag noch nicht kommen.
Und
es gab niemanden wie ihren Dad, der für seine Liebe jede Weasley-Hürde
überwand. Es war keine episch romantische Geschichte, wie die ihrer Mum. Kein
Junge interessierte sich für sie. Sie existierte auf Hogwarts, im Schatten
ihrer Brüder. Im Schatten eines Namens, der schwer auf ihr lastete. Sie war die
Tochter von Harry Potter, dem Kriegshelden. Welcher Junge würde schon wagen,
jemals zu ihrem Vater zu gehen, und um ihre Hand zu bitten?
Welcher…?
Sie
atmete lange aus, dann stupste sie Roxy in die Seite. Ihre Cousine erwachte
gähnend. „Komm, ich bring dich hoch“, murmelte Lily, legte den Arm um ihre süße
Cousine, die sich die krausen, dunklen Locken kratzte, und Lily wusste, Roxy
würde eine wahre Schönheit werden. Widerwillig ließ sich Roxy in die Senkrechte
ziehen.
„Ich
will noch nicht schlafen“, beschwerte sich Roxy gähnend bei ihr, aber Lily
schüttelte bloß den Kopf.
„Du
verpasst gar nichts, ok? Sie sind alle albern und blöd“, beteuerte sie, und
Roxy wirkte noch enttäuschter. Lily verdrehte die Augen. „Wenn du älter bist,
kannst du auch albern und blöd sein, versprochen“, schloss sie, und Roxy
pustete frustriert die Luft aus ihren Backen.
„Ok“,
erwiderte ihre Cousine, und gähnte erneut. Lily brachte sie zum Schlafsaal, und
Roxy war nicht die erste, die schlafen ging. Die meisten Mädchen schliefen
bereits. Und ihre erste Vertrauensschülerin, Rumer MacLeod, war zu beschäftigt
damit, James anzuschmachten, und kümmerte sich nicht um die Erstklässler. Die
Schulsprecherin hatte genug damit zu tun, James böse Blicke zuzuwerfen, denn er
hatte vor den Ferien mit ihr Schluss gemacht. Ziemlich öffentlich. Und Lily
fragte sich, ob er auch Schluss gemacht hätte, hätte er gewusst, dass sie
tatsächlich Schulsprecherin werden würde. Sie kannte ihren Bruder. Er hätte den
großen Nutzen darin gesehen, die Schulsprecherin überzeugen zu können, keine
Punkte abzuziehen. Und fast gönnte sie ihrem Bruder diese missliche Lage. Und
Ginnifer würde garantiert nicht den ganzen Abend zulassen, dass Butterbier
getrunken wurde. Irgendwann würde ihr James‘ flirtender Blick in alle
Richtungen den Rest geben, und sie müssten alle auch noch aufräumen. Lily
bedauerte, dass sie nicht ebenfalls Vertrauensschülerin geworden war. Aber
dafür müsste sie wohl Vollzeit ihre Brille tragen, nahm sie dumpf an. Roxy
verzichtete darauf, Zähne zu putzen, schälte sich lieblos aus ihrer Kleidung
und stürzte praktisch in ihr Bett. Die anderen Mädchen schnarchten leise, und
Lily deckte Roxy zu. Seufzend verließ sie den Schlafsaal der Erstklässlerinnen
wieder und überlegte in Gedanken, wie sie Presley Ford jemals dazu bringen
konnte, sie zu beachten.
Es
war ein heißer Morgen, und fast war es angenehm, in den Kellern Unterricht zu
haben. Nur war es eben Zaubertränke. Aber jedes Fach war schwierig, also war es
egal. Und sie hatte Grundsatzdiskussionen mit ihrer Mutter geführt. Sie hatte
jedes Fach abwählen dürfen, außer Verwandlung, Verteidigung, Zauberkunst und
Zaubertränke. Und Rose hatte geweint und geschrien, hatte ihren Vater längst
überzeugt gehabt, dass Zaubertränke ein unnötiger Zeitaufwand war, aber ihre
Mutter hatte es nicht hören wollen. Jedes weiterführende Studium bedurfte
Zaubertränke. Und Rose hatte ihr schon klar gemacht, dass sie lieber bei Onkel
George im Laden arbeiten wollte, nicht studieren gehen würde – aber auch das
hatte ihre Mutter zerschlagen. Es käme nicht in Frage.
Und
deshalb verstand sich Rose besser mit ihrem Vater. Aber fein! Sie besuchte die
dämlichen Fächer, die sie nicht brauchen würde, sie würde schlecht abschneiden,
und dann würde sie ohnehin in Onkel Georges Laden anfangen. Denn er hatte ihr
schon im Vertrauen erzählt, dass Fred kein guter Nachfolger wäre. Rose freute sich
schon, den ganzen Tag Scherzartikel an fähige Hogwartsschüler zu verkaufen, die
wussten, wie man sie einsetzte.
Aber
bis dahin war sie verdammt dazu, Zaubertränke zu bestehen. Unmöglich, in ihren
Augen. Nur gut, dass Alby auch dabei war.
Ihr
Cousin war ein einnehmender Charakter. Er scheute keine Konfrontation, war sich
für wenig zu schade, solange es Spaß machte, und die Mädchen folgten ihm.
Scharenweise, so hatte sie manchmal das Gefühl. Und es gefiel ihr, dass er eine
Ausnahme machte. Für sie. Dass er manchmal einfach ihr Cousin war, dass er…
extra nett war. Auch wenn sie in verschiedenen Häusern waren. Auch wenn sie das
Alter erreichten, wo es eben nur natürlich war, dass sie weniger Zeit
miteinander verbrachten, aber Alby trotzdem genauso zuvorkommend war, wie
immer.
Er
war ihr bester Freund, neben Rumer. Sie vertraute ihm vollkommen, und es war…
einfach nett. Er lachte ausgelassen über etwas, das Louis sagte, während sein
Arm wie selbstverständlich um ihre Schultern lag.
Sie
waren gute Freunde, sie zeigten, dass sie sich mochten. Und sie wusste, was die
anderen dachten. All diejenigen, die nicht Weasley oder Potter mit Nachnamen
hießen. All diese Leute. Sie dachten sich schmutzige Dinge aus, sahen etwas,
was überhaupt nicht da war, und Rose achtete darauf. Wann immer es ihr in den
Sinn kam, sah sie etwas deutlicher hin, achtete etwas genauer auf Albys
Körpersprache, aber es ging nie über Freundschaft, über Verwandtschaft, hinaus.
Er
war ihr Cousin, er war ihr bester Freund. Und die Grenze stand ganz klar
zwischen ihnen. Rose war sich sicher.
Rumer
hatte sie irgendwann darauf angesprochen, dass Alby sehr viel Zeit mit ihr
verbrachte. Unnatürlich viel Zeit, hatte sie gesagt, und Rose hatte es fast die
Sprache verschlagen, vor Schreck. Denn nichts in Albys Gesten zeigte ihr, dass
er sie anders wahrnahm, als seinen Bruder oder Louis oder Fred. Absolut nichts.
Ja,
sie hatten Körperkontakt. Er legte den Arm um ihre Schultern, er kniff sie in
die Seite, er umarmte sie hin und wieder.
Na
und? Nur weil sie mit ihrem Bruder keinen engen Kontakt pflegte, musste es
nicht bedeuten, dass es direkt ungewöhnlich war, dass sie und Alby gut
miteinander auskamen.
Sie
wünschte sich, Rumer hätte sie nie darauf angesprochen, denn sie dachte
häufiger an diesen Unsinn, als ihr lieb war.
Sie
standen alle zusammen, und irgendwann löste Alby den Arm um ihre Schulter,
begrüßte irgendeinen Slytherin, und Roses Blick fiel wie von selbst auf Dom,
die neben ihr stand. Sie war in ein Gespräch mit Scorpius vertieft, der seine
Finger mit ihren verschränkt hatte. Louis erzählte irgendeine
Quidditchanekdote, die sie schon hundertmal gehört hatte. Rumer widersprach ihm
lautstark, denn er übertrieb in seiner Geschichte, aber Rose hörte kaum zu.
Sie
war nervös. Die direkte Nähe zu Dom und Scorpius war nicht auszuhalten, und
dass Scorpius es überhaupt fertigbrachte, die Hand ihrer Cousine zu halten, ihr
so nahe zu sein, ohne vor Scham zu vergehen, war fast zu viel. Gestern war
anstrengend gewesen. Rose hatte mehr getrunken als sonst, war munterer gewesen,
hatte sich in jedes Gespräch verwickeln lassen, hatte sich irgendwann sogar von
Presley Ford zum Armdrücken hinreißen lassen – was sie gewonnen hatte, weil
James mit ihr zusammen gedrückt hatte. Es war witzig gewesen, aber sie war
hundemüde. So zu tun, als ob man sich um nichts scherte, war verdammt
anstrengend. So zu tun, als könne man sein Gewissen abschalten, war hart. Vor
allem an einem Donnerstagabend. Und jetzt hier zu stehen, beide sehen zu müssen
und zu wissen, dass sie und Scorpius scheiße waren – es kostete sie alle
Beherrschung. Heute war sie stiller als sonst, und sofort hatten ihre Gedanken
Zeit, unangenehm zu werden.
Sie
blickte den langen Flur hinab, beinahe sehnsüchtig, denn der Professor war zu
spät.
Professor
Ginty war ein kleiner Mann, trug einen dichten Schnauzbart, besaß nur noch
wenige Haare, und er war jähzornig wie ein kleiner, kläffender Hund.
Und
das machte ihn so unfassbar witzig. Allerdings hatte er es lange ausgehalten,
als Zaubertranklehrer. Er war letztes Jahr zum zweiten Halbjahr gekommen und
hatte Professor Weston abgelöst, der nach zwei Monaten gekündigt hatte.
Professor Ginty unterrichtete den achten Monat an ihrer Schule, und damit hatte
sie kaum gerechnet. Wohl niemand wirklich. Erst recht nicht McGonagall, die
händeringend nach neuen Professoren suchte, seit… nun, seitdem die Stelle frei
wahr, überlegte Rose knapp.
Und
dann kam eine Gestalt mit schnellen Schritten den Flur entlang. Merlin,
endlich. Rose konnte es kaum noch ertragen, neben Dom zu stehen. Schlimm genug,
dass sie gleich am selben Tisch arbeiten mussten.
Die
Mädchen streckten den Rücken durch, ging ihr auf. Erst jetzt erkannte sie die
Gestalt. Es war der beliebte Professor Longbottom, der anscheinend Vertretung
machte. Die langen Haare steckten unordentlich in einem Pferdeschwanz, und er
stand vor Dreck. Wie immer eigentlich. Er war Lehrer für Kräuterkunde, seitdem
Professor Sprout in den Ruhestand gegangen war. Und er war nicht Lehrer für
Zaubertränke. Nur äußerst selten. Nur als Übergang, denn er war der einzige,
der sich nicht ängstigen ließ.
Von
ihm.
Rose
musste lächeln, denn es war jedes Mal ein großes Schauspiel, wenn sie
zusammentrafen. Der Grund, weshalb Zaubertränke keinen dauerhaften Lehrer fand,
war sehr simpel, wirklich. Schon Ted Lupin, Vics Verlobter, kannte es seit
seinem ersten Jahr nicht anders, dass die Stelle immer neu zu besetzen war.
Denn es gab ein winziges Problem. Professor Longbottom, der mit ihren Eltern,
als auch mit Albys Eltern gut befreundet war, verzog grimmig den Mund.
„Gewöhnt
euch nicht“, warnte er sie lediglich mit rauer Stimme, als seine schmutzigen
Finger den schmiedeeisernen Schlüssel zogen und das Klassenzimmer aufschlossen.
„Ginty wird wiederkommen, und wenn McGonagall sein Gehalt verdreifachen muss“,
fuhr er bitter fort, stieß die Tür auf und warf einen zornigen Blick in die
Dämmerung, bevor er mit einem knappen Wink die Lichter entfachte.
Sie
tauschte einen Blick mit Rumer, die Professor Longbottom einen kurzen
schmachtenten Blick nachwarf – aber wirklich nur einen kurzen, denn sie war ja
scheinbar jetzt hinter James her. Albys Grinsen war ansteckend. Auch Rose
musste grinsen.
„Das
wird super werden“, prophezeite Alby leise, und Gryffindor und Slytherin
betraten das Klassenzimmer. Alles wirkte wie immer. Nur die Tür zu Gintys
privaten Räumen war angelehnt, nicht verschlossen. Scheinbar war der Professor
abgereist. Und sie war sich nicht sicher, ob er wiederkommen würde. Für
gewöhnlich kamen die Professoren nicht wieder.
„Setzen“,
blaffte Professor Longbottom gereizt. „Für die Zags alleine, mache ich die
Ausnahme und lasse die Setzlinge unbeaufsichtigt. Das ist der Trank“, fuhr er
fort, ließ die Rezeptur schmucklos an der Tafel erscheinen, und fasste sie
nacheinander ins Auge. „Sie werden ihn ohne großes Murren und ohne dumme Fragen
brauen, denn er ist höchst prüfungsrelevant und nennt sich ‚Trank der
Schlaflosen‘.“ Rose überflog die komplizierte Zutatenliste und atmete lange
aus. Sie würde ewig dafür brauchen. Noch länger als ewig. So wie immer. „Bei
Fragen wenden Sie sich gefälligst an ihre Vertrauensschüler“, blaffte Professor
Longbottom unfreundlich. Er mochte es nicht, hier zu sein. Sie wussten es alle.
Und sein Blick verdunkelte sich.
Albys
Hand war in die Höhe geschossen, nachdem sie sich an ihrem Gruppentisch
eingefunden hatten. Slytherins und Gryffindors mischten sich. Alby und Scorpius
teilten sich den Tisch mit ihr, Rumer, Louis und Dom.
„Mr.
Potter“, nahm Profossor Longbottom mit warnendem Unterton zur Kenntnis, aber
Alby sah ihm selbstbewusst entgegen.
„Professor,
wo ist Professor Ginty?“, fragte er direkt, und Professor Longbottoms
Unterlippe bewegte sich kurz, als er nachdachte.
„Das
geht Sie überhaupt nichts an. Fangen Sie mit dem Brauen an, ich möchte ungerne
die gesamten zweit Stunden mit Tränkebrauen zubringen müssen“, warnte Professor
Longbottom ihn, verschränkte die Arme vor der Brust und schien zu lauern,
während sie ihre Kessel aus den Schränken holten und begannen, die Zutaten
zusammenzusuchen. „Und wehe, Sie stellen mir Fragen. Tränkebrauen ist nicht
mein Metier und wird es niemals sein, wie ich es McGonagall schon hundertmal
gesagt habe“, erinnerte er sie, wie jedes Mal, und Rose konnte gar nicht
erwarten, dass es losging.
„Aber
Sie sind der beste Zaubertranklehrer!“, rief ein Mädchen aus Slytherin jetzt
mit einschmeichelndem Ton, und fast konnte Rose spüren, wie die Luft kälter
wurde, wie das Petroleum in den Lampen flackerte, und das Mädchen verstummte
augenblicklich, sah sich panisch um, und ein Murmeln ging durch die
Schülerschaft. Zwar war es jede Zaubertrankstunde ähnlich, aber das bedeutete
nicht, dass es nicht jedes Mal furchterregend war.
Und
ohne ein Geräusch materialisierte der Geist von Severus Snape düster und
ablehnend im Klassenraum, kroch praktisch durch die Wand zu den privaten
Räumen, die zurzeit leer standen, und die Schüler schwiegen abrupt.
„Spät
dran“, bemerkte Professor Longbottom jedoch unbeeindruckt in Richtung des
Geistes. „Hatten Sie noch zu tun, den armen Professor Ginty aus dem Schloss zu
jagen, Snape?“ Soweit Rose gehört hatte, war Severus Snape auch als Lebender
nicht unbedingt farbenfroh gewesen, hatte immer schwarz getragen, war immer
blass, aber sein Geist übertraf ihre Vorstellung um einiges. Sein scharfes
Gesicht mit den spitzen Zügen leuchtete praktisch, so blass war er, während der
Rest seiner Gestalt in einen nachtschwarzen Gehrock gehüllt war, der das Licht
zu schlucken schien. Snape war mehr eine dunkle Erscheinung, etwas, das alle
Wärme schluckte und einem die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, wenn er einen
zulange betrachtete. Und Snape war immer schlecht gelaunt. Sie hatte ihn noch
nie lachen gesehen. Nicht wie den fast kopflosen Nick, nein. Snape lachte
nicht, er sprach nicht mit den anderen Geistern, selbst der blutige Baron
fürchtete sich. Und dieser Geist war der Namensgeber für Albys zweiten
Vornamen. Es war verdammt gruselig.
Aber
Professor Longbottom war unbeeindruckt. Jedes Mal übernahm er die Vertretung,
wenn Snape einen Kandidaten verscheucht hatte, und ihr Dad hatte ihr erzählt,
dass Professor Longbottom damals riesige Angst vor Snape gehabt hatte – als er
noch kein Geist gewesen war.
Denn
Severus Snape war damals Zaubertränkelehrer gewesen, und Rose konnte sich nicht
vorstellen, wie irgendjemand überhaupt jemals einen Trank zuende hatte brauen
können, mit dieser Gruselgestalt im Rücken.
Der
Geist schwebte lautlos zur Tafel, schien die Rezeptur zu studieren, ehe er sich
mit einem kalten Blick aus den dunklen Augen wieder umwandte. Sein Blick
überflog die Schülerschaft, ohne einen von ihnen wirklich wahrzunehmen, ehe er
tatsächlich Professor Longbottom ins Auge fasste.
„Der
‚Trank der Schlaflosen‘ verdankt seinen Namen einer einzelnen Pflanze.“ Die
Stimme des Geistes war tief, durchdringend, einfach schaurig und seelenlos.
„Auch wenn Sie keinerlei Begabung zeigen, sollten Sie sie kennen, nicht wahr?“
Er fragte Professor Longbottom persönlich, und dieser schien sich nur ebenso
zusammenzureißen.
„Sie
denken doch wohl nicht, dass ich Ihnen irgendeine Antwort schulde, oder?“,
erwiderte Professor Longbottom abschätzend, während er langsam wütend wurde.
Dann richtete sich Snapes Blick auf die Klasse, und alle diejenigen, die keine
Asse in Zaubettränke waren, schienen die Luft anzuhalten.
Und das
war der simple Grund, warum der gute Professor Binns immer noch unterrichten
durfte, wohingegen Snapes Geist einfach keine Erlaubnis bekam. Denn die Schüler
machten sich in die Hose, wann immer er auftauchte. Manchmal blieb sein Blick
an Alby hängen und etwas wie entfernte Erinnerung huschte über seine sonst so
starren und kalten Züge, aber er nannte Alby nicht beim Namen. Das tat er bei
keinem Schüler. Na ja… fast.
„Mr.
Malfoy“, entfuhr es Snapes Geist wie ein kalter Windhauch, und etwas Altes und
Wissendes lag in der Art und Weise, wie er diesen Namen sagte, und es war
offensichtlich, dass er jemand anderen in Scorpius sah, denn Scorpius konnte er
schließlich nicht kennen, aber sie sah, wie Scorpius schnell nachdachte, bevor
er den Kopf schüttelte. Und er klang nicht selbstbewusst, als er antwortete,
nein, auch Scorpius fürchtete sich vor Snape.
„Ich…
ich weiß es nicht“, sagte er wahrheitsgemäß. Professor Longbottom stöhnte
ungeduldig auf.
„Snape,
hören Sie auf!“, befahl er wütend, aber Snapes Geist ignorierte ihn völlig. Er
klang eher halbherzig, denn auch Professor Longbottom konnte Scorpius nicht
sonderlich leiden. Und Rose konnte es ihm nicht verdenken. Sie nahm an, es war
eine ähnliche Abneigung, die auch ihr Dad empfand. Zwar zeigte es Professor
Longbottom nie deutlich genug, aber Rose konnte es spüren.
„Miss
Parkinson“, wandte sich Snape jetzt ohne Zögern an Rumer, die mutig ausatmete.
Parkinson war der Mädchenname von Rumers Mutter gewesen, wusste Rose, und
scheinbar konnte Snape die Ähnlichkeit erkennen. Es war gruselig.
„Blaudisteln?“,
schien Rumer blind zu raten, und Rose hielt gespannt den Atem an. Rumer und
Scorpius waren Vertrauensschüler, also ging Rose davon aus, dass irgendwer von beiden
die Antwort wissen müsste. Sie überflog die Tafel. Gestampfter Zitterrettich,
Grünwurzeln, gehackt und zerkocht, Blaudistelsaft, Feuerstaub der Eisrebe, ein
halber Schöpflöffel gemörserter Atlantisbaumblätter und noch acht weitere
Zutaten, die Rose auf die Schnelle kaum lesen konnte.
Und
es kam, was kommen musste.
„Ich
bin sicher, Miss Granger weiß die Lösung?“ Und bedauerlicherweise traf sein
schwarzer Blick sie. Nach seinem gespensterhaften Verständnis war sie nämlich
ihre Mutter. Aber… das war sie bedauerlicherweise nicht. Ihre Mum wüsste die
Antwort. Ihre Mum wusste die Antwort auf jede verdammte Frage in der Galaxie,
dachte Rose manchmal.
„Äh…“,
machte sie, versuchte noch mal alle Zutaten zu lesen, bevor sie ebenfalls raten
musste. Halb war es geraten, und zur anderen Hälfte… war es so ein Gefühl.
„Eisrebe?“, entschied sie sich für das Nächstbeste, und ein säuerlicher
Ausdruck spielte um Snapes Mundwinkel, ehe der Geist wahllos zwischen ihnen
schwebte, und einige Mädchen angstvoll den Atem anhielten.
„Eisrebe“,
wiederholte Snapes Geist düster und ein wenig abwesend, während er sie
musterte, und Rose verzog den Mund. Natürlich nicht. Dann flackerte das Licht
wieder, und sie konnten allesamt spüren, dass Snapes Geist gleich ausflippen
würde. „Diese Klasse ist gänzlich unbegabt!“ Seine Stimme war nur ein
zischender Laut, und die gespannt Stimmung war greifbar. Rose mochte vieles
sein, aber feige war sie nicht, und bockig hielt sie Snapes Blick stand. Es
schien ihn nur wütender zu machen, aber es war ihr gleich. Zornig rauschte
Snapes Geist schließlich durch die Tische, durch einige Schüler, die sich
anschließend vor Kälte schüttelten, und Professor Longbottom zog den
Zauberstab.
„Genug!“,
blaffte er gereizt. „Verschwinden Sie, oder ich hole McGonagall!“, warnte
Professor Longbottom ohne Zögern, und Snapes Mund verzog sich. „Denn irgendwann
wird Minerva nicht mehr zusehen und Sie endgültig verweisen!“ Snapes Geist
wirkte nicht sonderlich beeindruckt von Profoessor Longbottoms Worten, aber
immerhin sah er ihn an. Und gerade als Professor Longbottom wohl seinen
Patronus schicken wollte, schwebte Snapes Geist in imposanten Schwaden zur Tür
und verschwand still und lautlos durch das Holz. Die Petroleumlampen erholten
sich und glühten wieder in voller Stärke.
„Mistkerl“,
murmelte Professor Longbottom wütend, und Alby senkte den Kopf und musste kurz
grinsen. Rose reichte die wöchentliche Dosis von Snapes Geist vollkommen. „Na
los, Sie haben eine Menge zu tun!“, fuhr er sie alle an, und endlich regten
sich die ersten Schüler wieder und begannen zu schneiden und zu mörsern.
„Ich
glaube, ich frage ihn, was die Antwort ist“, murmelte Alby neben ihr grinsend,
und Rose verdrehte die Augen. Professor Longbottom war wütend genug, Alby
Nachsitzen aufzudrücken, wenn er jetzt fragen würde, sie war sich sicher. Aber
Professor Longbottom besaß ein Paar sehr guter Ohren.
„Wenn
es Sie wirklich interessiert, Mr. Potter“, bemerkte Professor Longbottom laut,
„bin ich so frei und schenke Miss Weasley die fünf Punkte für Gryffindor, die
unser fabelhafter Zaubertränkemeister ihr verwehrt hat. Eisrebe ist korrekt“,
ergänzte er nickend in ihre Richtung, und Albys Augenbraue hob sich. Und Rose
Mundwinkel hob sich tatsächlich äußerst überrascht. Blinde Hühner fanden auch
mal Körner, dachte sie zufrieden. Rumer schlug ihr zufrieden auf die Schulter.
„Weiter
so, und wir verdienen uns den Hauspokal noch durch deine Intelligenz“,
flüsterte sie grinsend, und Rose wollte fast lachen. Nur fast. Denn… manchmal
wünschte sie es sich. Dass sie ein wenig so wäre, wie ihre Mum. Dass sie
Vertrauensschülerin wäre, dass sie die Klasse überspringen durfte. Manchmal…
lag sie nachts wach und dachte darüber nach, wie anders ihr Leben wäre, wäre
sie nicht so faul und würde sich anstrengen. Wenn sie einfach mal lernen würde.
Denn… sie war die Tochter ihrer Mum. Müsste das Gehirn nicht irgendwo verborgen
vorhanden sein? Konnte es sein, dass Hugo alles an Intelligenz abkassiert
hatte? Man stelle sich vor, sie wäre Kapitänin ihres Teams und dazu Schulsprecherin….
Aber
es waren flüchtige Gedanken, bescheidene Wünsche. Sie war eben nicht klug. Auch
wenn es ihrer Mutter das Herz brach. Leider war sie nur sie selbst.
„Jaah“,
murmelte sie, und ihr Lächeln versagte. Nicht immer war ihre Mauer
undurchdringlich. Nicht immer war sie laut und lustig. Und ausgerechnet jetzt
spürte sie Scorpius‘ Blick zu deutlich, aber sie war zu müde, ihn anzusehen.
Sie tat ihr bestes, aber… es war anstrengend.
Er
hatte nicht gut geschlafen. Zu viele Gedanken hatten seine Träume geflutet. Es
war ein anstrengender Abend gewesen, obwohl er sich bemüht hatte, sich allein
mit Dom zu beschäftigen. Ihm war nicht entgangen, dass Presley gerne mit ihm
und Al gekommen war. Und ihm war nicht entgangen, dass Pres sich gut mit Rose
verstanden hatte. Er dachte an Presleys Worte im Quidditchzelt zurück. Konnte
es sein? Hatte der Kapitän Interesse an Rose Weasley? Er wusste nicht, was er
davon halten sollte. Ob es ihn überhaupt interessierte. Wenn überhaupt, wäre es
gut, nahm er an. Vielleicht gäbe es dann weniger schreckliche Momente, in denen
er und Rose furchtbare Blicke tauschen würden.
Das
Vertrauensschülertreffen zog sich in unnötige Längen, und die Schulsprecher
waren sich uneins wie eh und je. Sein Blick hob sich, als sich der neue
Vertrauensschüler meldete. Und er kannte ihn tatsächlich nur zufällig, hatte
ihn im Urlaub immer nur hin und wieder gesehen – nie am Strand, immer nur
vergraben in Büchern und Sachtexten, ansonsten hätte er niemals gewusst, dass
er zur Familie gehörte. Rumer saß neben ihm, gespannt die Arme vor der Brust
verschränkt, denn sie schien erahnen zu können, was jetzt folgte.
„Ja?“,
schnappte Ginnifer Hawthorne, Gryffindors fabelhafte Schulsprecherin, mit
verengten Augen, kompromisslos und gereizt. James‘ Exfreundin, wusste er. Ganz
gefährliche Idee von James gewesen, sie abzuservieren. Denn Ginnifer war
nachtragend. Und für gewöhnlich ließ sie James mittlerweile schnell auffliegen,
verpetzte ihn bei den Hauslehrern, zog ihm besonders viele Punkte ab… - es war
fast kindisch. Aber es war James‘ Problem.
„Diese
Probleme ließen sich alle sehr einfach lösen, wenn man seinen Gehirn
einschalten würde und zusammenarbeitet, wie es der Plan vorsieht“, entgegnete Hugo
Weasley, und Scorpius musste sich praktisch auf die Lippe beißen, um nicht
loszulachen. Rumer schenkte ihm einen eindeutigen Blick, als wolle sie sagen,
dass Hugo immer so war.
„Und
du bist wer?“, verließen giftige Worte Ginnifers Lippen, und Scorpius war
wirklich dankbar, heute nicht geschwänzt zu haben. Herrlich.
„Hugo
Weasley, Ravenclaw“, stellte er sich mit einem nachsichtigen Lächeln vor. „Das
Regelbuch sieht bei Uneinigkeiten der Klasse 2 eine Abstimmung nach einfacher
Mehrheit vor“, zitierte er scheinbar ein Regelwerk, das Scorpius nicht kannte.
Und es beeindruckte ihn, wie diese unscheinbare Speiche – Hugo war ziemlich
groß – da vorne, nicht einknickte unter Ginnifers Eisblick.
„Ein
weiteres Heldenkind der Goldenen Ära“, entfuhr es Sutter Huxley, dem
Schulsprecher aus Ravenclaw, der noch immer sauer war, dass er Ginnifer beim
letzten Frühlingsball nicht abbekommen hatte. Sorpius reagierte sofort. Es war
Gewohnheit.
„Halt’s
Maul, Huxley“, mischte er sich kalt ein. Sofort hatte er Sutters Aufmerksamkeit.
Und das war nichts Gutes. Sutter stand über ihm, was die Hierarchie betraf, und
in Anbetracht der Vorurteile, die Ravenclaw ausmachten, gehörte Sutter eher…
nach Slytherin. Seine Intelligenz verbarg er meist sehr gekonnt mit dummen
Beleidigungen.
„Ah,
Malfoy, ich denke, dein Pensum diesen Monat ist lange überschritten. Auch wenn
du deinen Schwanz zu gerne im Heldenpfuhl vergräbst, berechtigt dich das nicht
zu Störungen. Verstanden, Arschloch?“ Er und Sutter hatten mehrere Dispute.
Einer war seine unfassbare Eifersucht, was ihn anging, seine Freundschaft zu Al
und natürlich seine perfekte Freundin. Denn unter all den Liebesbriefen, die
Dominique ihm zum Lustigmachen gezeigt hatte, befand sich auch einer von Sutter
Huxley. Mit Herzen und Blumen – das ganze Paket.
„Ich
glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden, Hux. Könntest du mir das noch
mal buchstabieren? Am besten direkt hier? In meine Faust?“ Er lauerte, wartete,
denn er brauchte nicht mal einen guten Grund, um Sutter die Faust ins Gesicht
zu schlagen. Sutter verzog zornig den Mund, aber tatsächlich bemühte sich
Ginnifer um Gehör.
„Sutter,
halt den Mund“, schoss sie in seine Richtung. „Malfoy – hör auf, zu
provozieren.“ Es war halbherzig, aber immerhin. Ihre Laune war äußerst
schlecht. „Und was sind bitteschön ‚Uneinigkeiten der Klasse 2‘?“, wandte sie
sich schließlich unbeeindruckt an Hugo, welcher vielleicht milde verstört
wirkte. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Scorpius war beeindruckt.
„Um
es hier mit den angemessenen Worten auszudrücken – absoluter Bullshit“,
erläuterte Hugo, und dieses Mal lachte Scorpius auf. Verdammt! Der
Weasley-Junge war sein Gold wert. Ginnifer sah aus, als hätte sie nicht richtig
verstanden. Selbst Sutter runzelte die Stirn.
„Bitte?“,
zischte sie ungehalten.
„Niemand
interessiert sich für das Farbthema des Winterballs. Um ehrlich zu sein,
niemand mit größeren Ambitionen als den Hauspokal, interessiert sich für den
Winterball“, ergänzte er, und Scorpius fühlte sich eigenartigerweise an seine
Schwester erinnert. Zwar war Rose… anders, aber… diese Schlagfertigkeit, diese
stille Intelligenz – Rose besaß sie, ebenso wie ihr Bruder. Heute erst in
Zaubertränke, hatte Scorpius nicht anders gekonnt, als sie anzusehen. Immer
dann, wenn sie sich nicht hinter dieser Fassade verbarg. Wenn sie nicht albern
war. Und dann wandte Hugo sich der Gruppe zu, denn er saß natürlich in der
ersten Reihe. „Alle für Blau heben die Hand“, kürzte er das leidige Thema, was
seit zwei Wochen Probleme bereitete, ab, und tatsächlich erhoben sich alle
Hände der Vertrauensschüler, Scorpius‘ Hand als erstes. „Das Problem scheint
geklärt zu sein. Wesentlich dringender sind die Rotationspläne?“, fuhr Hugo
unbeeindruckt fort, und Ginnifers Zähne mahlten aufeinander. „Also?“ Der junge
Weasley wartete abschätzend, und selbst Ginnifer musste erkennen, dass vor ihr
der nächste Schulsprecher saß. Scorpius war sich sicher. Es würde nicht anders
kommen können. Dieser Junge verfügte über Kompetenzen in seinem kleinen Finger,
über die sie alle nicht verfügten.
Und
zum ersten Mal seit unzähligen Monaten brachten die dämlichen
Vertrauensschülertreffen einen Fortschritt zustande. Scorpius hatte es noch nie
so still und friedlich hier erlebt.
Aber vertrauensgemäß
wartete er ab, bis alle das Klassenzimmer verlassen hatte, denn Sutter
veranstaltete gerne eine große Willkommensshow, schüchterte die neuen ein,
während Ginnifer sich aus dem Staub machte, aber Scorpius blieb einfach sitzen,
bis Sutter keine Ausrede mehr hatte und mit einem zornigen Gesichtsausdruck die
Tasche schulterte und aus dem Raum rauschte. Auch Rumer hatte sich schon
verabschiedet, wartete nicht auf ihn, aber Scorpius brannte praktisch darauf,
dieses Weasley-Exemplar kennenzulernen, was immer so unscheinbar neben seinen
vielen Cousins existierte.
Hugo
Weasley hatte seine Aufzeichnungen verstaut und sprach mit ihm, ohne sich
umzudrehen. „Ich habe einen Zauberstab, Malfoy. Ich brauche keinen Bodyguard.
Und ich kenne Sutter schon. Wir besuchen dasselbe Haus“, sagte er beflissen
über die Schulter hinweg, und Scorpius schlenderte nach vorne.
„Mag
sein“, räumte er ein. „Aber Sutter hat eine schnelle Faust. Schneller als der
beste Spruch, Weasley.“ Dann wandte sich der Junge um. Er war recht jung. Was
Alby erzählt hatte, war er so etwas wie ein Wunderkind, hatte das fünfte Jahr
direkt übersprungen und meisterte nun das sechste, sollte er denn dauerhaft im
sechsten bleiben. Scorpius streckte ihm die Hand entgegen, aber tatsächlich
betrachtete der Junge sie lediglich.
„Danke“,
sagte er schließlich, sah ihm direkt ins Gesicht, und hier versagte die
Ähnlichkeit zu seiner Schwester. Die Augen waren so dunkel, dass man sich in
der Tiefe verlor. „Aber ich verzichte“, schloss er ruhig. Kurz runzelte sich
Scorpius‘ Stirn, aber er zog die Hand wieder zurück. Seine Mundwinkel zuckten
versöhnlich.
„Kein
Problem.“ Der Junge war ein Einzelgänger, und Scorpius nahm es ihm nicht übel.
„Ich
bin kein Heldenkind, dem du den Hintern retten musst“, fuhr Hugo dann ernsthaft
fort, als wäre es ein wichtiges Anliegen. „Ich kann meine Schlachten selber
kämpfen.“
„Habe
ich nicht dran gezweifelt“, erwiderte Scorpius mit gerunzelter Stirn. So wie
Hugo sprach, schien er dieses Gespräch schon mal geführt zu haben. Als müsse er
sich häufiger rechtfertigen.
„Jemand
wie Sutter Huxley wäre nicht der erste Bully, der mich verprügelt, und er wird
auch nicht der letzte sein. Das macht mir nichts aus“, erklärte der Junge
beinahe sachlich. So sachlich, dass Scorpius schlucken musste. „Und ich halte
nicht sonderlich viel von James oder Albus, auch meine Cousinen sind eher eine
Platzverschwendung, als menschlich und sozial tatsächlich wertvoll“,
kritisierte er seine Familie mühelos, ohne Reue, aber sein Blick wurde kühler,
und Scorpius beschlich das Gefühl, dieser Weasley konnte ihn persönlich nicht
leiden. Wie der Vater, so der Sohn, durchfuhr ihn plötzlich dieser Gedanke. Er
hatte nicht einmal Zeit, Dominique zu verteidigen, da kam der Junge zum Punkt
seiner kleinen Ansprache. „Ich achte auf meine Schwester, denn sie liegt mir am
Herzen.“ Und alles Grauenhafte, vor dem sich Scorpius fürchtete, fand seine
eisige Bestätigung. „Mir ist es allerdings kein Anliegen, meinem Vater
unbedingt von eurer seltsamen Begegnung am Strand zu erzählen, Malfoy.“
Und
Scorpius fand sich gänzlich wortlos vor dem jungen Weasley wieder. Er hatte
nichts. Nichts vorzubringen. Rein gar nichts. Sein Kiefer lockerte sich, und
tausend Steine sanken in seinen Magen. Verdammte Scheiße. „Ich nehme an, du bist
gut bei meiner Cousine aufgehoben, also… bleibst du am besten dort und hältst
dich von meiner Schwester fern?“ Und dann fand Scorpius hastige, leere Worte.
„Willst
du mich erpressen? Soll das eine Drohung sein?“, entkam es ihm heiser, und Hugo
Weasley betrachtete ihn fast ausdruckslos, keine Emotion zierte seine Züge.
Heiße Verzweiflung rauschte durch Scorpius‘ Körper. Er hätte nie damit
gerechnet, dass es tatsächlich jemand wusste! Jemand anderes, außer ihm selbst
und Rose, arrogant wie er nun mal war.
„Nein“,
erwiderte er, schien tatsächlich darüber nachzudenken. „Lediglich… eine faire
Warnung. Sie ist fair, oder nicht, Malfoy?“ Und wieder schluckte Scorpius, ehe
er registrierte, dass er nickte.
„Ja“,
bestätigte er trocken. „Sie ist fair.“
Dann
waren sie nicht unbemerkt geblieben. Der junge Weasley wusste es. Und das seit
Wochen. Und er hatte nichts gesagt. Es brachte die furchtbaren Gefühle zurück,
das schlechte Gewissen riss auf, fühlte sich so rau und frisch an, wie an
diesem verhängnisvollen Tag. Mr. Weasley hatte also einen Sohn, der ihn
ebenfalls verabscheute. Das war… gut zu wissen.
Hugo
Weasley wandte sich gleichmütig ab, als hätten sie nie ein Gespräch geführt und
verließ das Klassenzimmer mit selbstbewussten Schritten.
Scorpius
hatte das Gefühl, als könne er plötzlich schlechter atmen. Es änderte Dinge. Es
machte Dinge… realer. Hugo Weasleys mehr oder weniger faire Warnung ließ ihn
paranoide Ängste haben. Er hatte kein Interesse an Rose, aber natürlich sah das
ganz anders aus, wenn man ihn und sie an diesem Tag beobachtet hatte! Natürlich
sah es… furchtbar aus! Er hatte das wilde Bedürfnis, sich zu rechtfertigen,
Hugo Weasley nachzulaufen, aber er wusste, jedes verdammte Wort wäre falsch.
Was tat er jetzt? Was sollte er tun? Sollte er zu Sutter gehen, ihm
vorschlagen, Hugo doch zu verprügeln? Es waren absolut dämliche Gedanken.
Vielleicht sollte er zu Rose gehen? Sie könnte Hugo verprügeln. Er schloss die
Augen, denn ihm wurde schlecht. Und mit plötzlich sehr weichen Knien musste
sich Scorpius setzen. Verdammt….
Er
hatte das Gefühl, ihr Geheimnis war nicht mehr geheim, lag nicht mehr vergraben
und vergessen am Strand – nein. Er hatte das Gefühl, jetzt war es hier.
Offiziell. Zwischen den Wänden von Hogwarts. Und was genau hatte Hugo zu verlieren?
Eigentlich gar nichts. Es durfte nicht rauskommen. Und das musste jemand Hugo
klarmachen. Und das war leider nicht er.
Scheiße.
Verdammte scheiße!
Der
Ausflug nach Hogsmeade war der Lichtblick der Woche. Hausaufgaben türmten sich mittlerweile,
aber Rose hatte einfach nicht die Muße, alles gewissenhaft zu erledigen. Sie
wollte Spaß haben, wollte trainieren, wollte Ravenclaw haushoch schlagen! Sie
hatte ein Leben. Und Rumer hielt sie ebenfalls von diesem Leben ab…. Allerdings
mit ganz anderen Problemen.
„Wie
sehe ich aus?“ Ihre beste Freundin wandte nicht mal den Blick von ihrem
Spiegelbild ab. Immer wieder zog sie das Top tiefer, betonte so ihren
Ausschnitt, und Rose atmete entnervt aus. Sie trug eine zerfetzte Jeans und ihr
altes Gryffindorshirt, darüber die Trainingsjacke. Absolut angemessen für einen
Ausflug nach Hogsmeade. Rumer hatte sogar Haarzauber angewandt, und sie fielen
in weichen Wellen ihren Rücken hinab. Sie sah hübsch aus, aber das würde Rose
ihr nicht auch noch auf die Nase binden.
„Verzweifelt“,
knirschte Rose spöttisch hervor, und Rumer wandte wütend den Blick zurück.
„Rose,
komm schon!“, ermahnte sie sie, und Rose hasste, dass sich alles nur noch um
Jungen und Dates drehte. „Heute ist der perfekte Tag, um alleine mit ihm zu
sein.“ Rumer presste die Lippen aufeinander, um den Lippenstift zu verteilen,
und Rose fand es lächerlich.
„Ach
ja?“ Rose ließ sich nur widerwillig auf dieses Gespräch ein. „Wie soll das
funktionieren, wenn alle aus dem Team da sind? Als ob James scharf darauf ist,
mit dir Händchenhaltend übers Gras zu spazieren, um Gänseblümchen zu
pflücken!“, entrüstete sie sich scharf.
„Du
bist wirklich gemein“, warf Rumer ihr vor, schüttelte ihre Haare wieder auf,
zog noch einmal das Top tiefer, und Rose wollte ihren Kopf demonstrativ gegen
den Türrahmen schlagen. „Weißt du, ich verstehe, dass es dich nervt, weil du
kein Interesse an irgendwem hast, aber es würde dir nicht schaden, dich nur
einmal… schick zu machen, ok?“ Es war ein klarer Vorwurf, und Rose fand ihn
unnötig. Und unangebracht. Denn Rumer hatte gezögert, hatte sich tatsächlich
die Zeit genommen, Rose genau zu betrachten, und kurz nagte die Unsicherheit an
ihrem Ego.
„Oh
wirklich?“, brannte Rose wütend auf, wütender, als sie vielleicht wirklich war.
„Tut mir leid, dass ich keine dumme Schlampe bin, Rumer“, entfuhr es ihr, ohne
dass sie groß über ihre Worte nachdachte.
„So
wie ich, meinst du?“ Rumer sah sie direkt an, und Rose wusste, sie musste
zurückrudern. Denn so hatte sie es nicht gemeint. Aber Rumers Blick wurde
kühler. „Es ist mir egal. Und es tut mir leid, dass ich ihn mag, ok? Aber ich
mag ihn. Denkst du, ich habe es mir so ausgesucht, um dich zu ärgern?
Ernsthaft? Immerhin nutze ich meine Chancen, Rose! Du siehst deine Chancen nicht
mal!“ Wütend marschierte Rumer an ihr vorbei – und scheinbar hatten sie sich
gerade tatsächlich… gestritten?! Und von welchen Chancen sprach Rumer
bitteschön?
Unfassbar!
Aber Rose war gerade zu wütend, um ihr nachzulaufen! Um sich auch noch zu
entschuldigen! Sie hatte überhaupt nichts falsch gemacht!
„Alby
oder James?“ Rose erschrak beinahe, denn sie hatte Vic nicht kommen hören. Sie
wandte sich ertappt um. Ihre Cousine stand lässig im Bogen zum Schlafsaal, die
Arme vor der Brust verschränkt, und der grüne Pullover, den sie trug, ließ ihre
hellen Haare praktisch strahlen. Die hellblauen Augen funkelten mit gewissem
Spott, und Rose atmete gereizt aus. Sie vermied genau diese Art von Gesprächen.
Vor allem mit Vic! Vic war so…- nachsichtig. Als hätte sie die Weisheit des
Erwachsenseins mit Löffeln gefressen. Als wäre alles so einfach und ließe sich
auf Jungs und Beziehungen zurückführen. Und Rose hasste jetzt gerade, dass
Rumer sie in eine solche Position brachte, wo es stimmte. Zumindest in ihrer
kleinen Welt.
„Was?“,
versuchte Rose schwach, unbeteiligt zu tun, aber Vic schürzte die geschminkten
Lippen und hob die perfekt gezupften Augenbrauen.
„Ich
nehme an, es geht um James“, vermutete sie mit dieser ätzenden Nachsicht, die jeden
vernünftigen Charakterzug von ihr überschattete. Vielleicht erzählte Dom ihrer
Schwester deshalb keines ihrer Geheimnisse, vermutete Rose bitter. Sie mochte
Vic, aber… sie mochte nicht, dass Vic nicht wenigstens einmal bescheiden und
überrascht tun konnte. Aber so war Vic nicht. Rose wäre jetzt sehr gerne
alleine, denn sie brachte es nicht wirklich fertig, eine Fassade aufrecht zu
halten. Sie kochte noch immer vor Wut und Scham.
„Weißt
du, es ist völlig egal“, erwiderte Rose unwirsch, wandte sich ab, und hoffe,
Vic verstand diesen Wink. Mit dem trollgroßen Zaunpfahl! Vic ignorierte
allerdings jeden Hinweis und betrat den Schlafsaal mit gemäßigten Schritten,
während Rose aus den Augenwinkeln erkannte, dass Vic ihre knallpinken
Fingernägel betrachtete und unverbindlich mit der Zunge schnalzte.
„Wundert
es dich?“, wollte Vic schließlich wissen, und Rose vergaß, nonchalant abweisend
zu sein. Denn ja! Es wunderte Rose, denn für gewöhnlich hatte Rumer Geschmack
besessen. Und Vic schien sie zu durchschauen. „Sei nicht so naiv. Hast du schon
mal darüber nachgedacht, dass Rumer nur mit uns befreundet ist, wegen James?“
Und Roses Mund öffnete sich.
„Ist
sie nicht“, sagte sie sofort. Denn es stimmte nicht. Wieder zuckte Vic
teilnahmslos die Achseln.
„Schön.
Dann wird sich das schnell wieder einrenken“, entgegnete ihre hübsche Cousine
vielsagend. „Wenn ich dir einen Ratschlag geben darf?“ Und es klang nicht
wirklich so, als ließe ihr Vic die Wahl. Als könne Rose ernsthaft entscheiden,
ob sie Vics verdammte Worte hören wollte, oder nicht.
„Sicher“,
knirschte sie hervor, und Vic atmete kurz aus. Merlin, wann hörte dieses
Gespräch auf?
„Wir
wissen beide, dass James kein Interesse an Rumer haben wird. Zumindest… nicht
dauerhaft“, korrigierte Vic sich achselzuckend. „Und das Klügste, was du tun
kannst, ist, ihr nicht in den Rücken zu fallen, Rosie.“ Oh, Rose hasste den
Spitznamen. Aus Vics Mund noch mehr. Noch mehr, als wenn ihr Dad es sagte.
„Denn wenn James sie fallen lässt, wird sie sich dumm genug vorkommen. Da
braucht sie deine Überheblichkeit nicht.“ Und Rose brauchte Vics
Überheblichkeit erst recht nicht. Aber… Vic würde recht haben. Das war das
Ärgerliche. Und fast fand Rose es dreist, dass Vic ernsthaft davon ausging,
dass Rumer keine Chance hätte. Zwar dachte Rose ebenfalls so, aber sagen würde
sie es nicht. Nicht laut. Und Rumer hätte einfach nur keine Chance, weil James
ein Vollidiot war, der etwas Gutes nicht mal erkennen würde, wenn es ihn mit
dem Klatscher bewusstlos schlug! „Soll ich dich mitnehmen?“ Vics Blick war
auffordernd und ein Lächeln hob ihre Mundwinkel, als wäre das Problem gelöst.
Als wäre es so einfach. Vic war… eben anders. Sie war so… - ja, oberflächlich.
Es war einfach das beste Wort, um sie zu beschreiben. Probleme waren
oberflächlich, Freundschaften waren oberflächlich – einfach alles in Vics Leben
ging nie tiefer als unter die schicke Oberfläche. Nicht mal ein Streit war
ernsthaft genug, um länger als fünf Minuten darüber zu reden.
„Wohin?“,
entfuhr es Rose, aber sie wusste, Vic ging jedes Wochenende nach Hogsmeade.
Allerdings traf sie sich dort mit dem hübschen Ted Lupin. Wohlgemerkt, der
einzige akzeptable Mann, mit dem sie alle nicht verwandt waren. Und natürlich
hatte Vic ihn bekommen. Eine hübsche oberflächliche Geschichte. Rose atmete
lange aus.
„Nach
Hogsmeade. Wir können apparieren. Und wenn du magst, können wir dir ein paar
neue Sachen kaufen?“ Sie hatte Tante Fleurs Lächeln auf den Lippen, wenn diese
ihr jedes Jahr zu Weihnachten neue Couture aus Paris schenkte, die Rose weder
mochte, noch jemals anziehen würde!
„Danke,
aber-“
„-dann
lass uns wenigstens apparieren, Rosie. Dom ist schon vorgegangen, und ich
möchte nicht alleine durch das Schloss gehen, um von sämtlichen Versagern
angesprochen zu werden, ok?“ Das Lächeln war Zucker, aber die Worte waren…
Gift. Vic halt. Rose gab resignierend auf.
„Ok“,
gab sie sich geschlagen. „Meinetwegen. Soll ich meinen Schläger mitnehmen?“,
bot Rose ihr trocken an, aber Vic verstand den Witz nicht. Ihre schöne Stirn
runzelte sich, und man bekam fast Mitleid mit dem Engelsgesicht.
„Warum?“
Das Wort verließ völlig verständnislos ihren Mund.
„Um
die Versager zu verscheu…- ist auch egal“, entschied sich Rose kopfschüttelnd.
„Lass uns gehen“, schloss sie mürrisch, denn sie hatte keine Ahnung, wie lange
Rumer vorhatte, sauer zu sein. Und sie hatte auf keinen Fall vor, dass diese
Verbindung zu Vic etwas Dauerhaftes sein würde. Ihre Cousine war… anstrengend.
Merlin
sei Dank hatten sie und Vic sich nicht mehr viel zu sagen, als sie den Turm
verließen, um den anderen zu folgen. Kleine Gruppen marschierten zielstrebig in
dieselbe Richtung, und Roses Blick wanderte über die Mengen an
Ravenclawuniformen, um vielleicht Hugo zu entdecken, aber sie hatte noch nicht
erlebt, dass er nach Hogsmeade ging. Weder mit Freunden, noch alleine. Dann
wiederum war sie sich nicht sicher, ob Hugo überhaupt Freunde hatte. Manchmal
kam sie sich schlecht vor, weil sie ihn nicht sonderlich integrierte, aber… sie
konnte nicht viel tun. Zwingen würde sie ihn nicht, und er würde das wohl auch
nicht zulassen.
Der
einzige Vorteil, mit einem Siebtklässler zu gehen, war, zu apparieren. Und das
außerhalb von Hogwarts. Rose war selber schon einige Male appariert, aber nie
wenn sie es beabsichtigt hatte. Sie besuchten in ihrem sechsten Jahr alle den
zwölfwöchigen Kurs, aber nur Hugo schaffte es bereits, dort aufzutauchen, wo er
hinwollte. Keine echte Überraschung.
Sie
waren vor den offenen Toren angekommen und überblickten die Ländereien. Vic
seufzte und reichte ihr auffordernd ihren Arm.
Fast
ungeduldig hakte Rose sich ein und versuchte, darauf zu achten, was Vic anders
machte als sie, aber schon spürte sie das Reißen hinter ihrem Nabel und konnte
nicht sagen, warum Vic besser war. Es wirkte so einfach für sie.
Keine
Sekunde später legte sich der Wirbel und die bunten Farben, und hart schlugen
ihre Füße auf den steinigen Untergrund. Rose orientierte sich kurz und sah,
dass sie nicht vor den Drei Besen gelandet waren. Schon hatte Vic sich von ihr
gelöst und den Arm gehoben.
„Ted!“,
rief sie munter, während Rose aufpassen musste, nicht direkt vornüber zu
kippen. Sie hielt ihr Gewicht mühsam und versuchte vergeblich, ihre wilden
Haare platt zu drücken, denn bei Ted Lupin hatte sie dieses eigenartige
Bedürfnis. Nicht, dass plattdrücken half. Nicht, dass irgendtewas bei ihren
Haaren half….
Ted
war groß und schlank und trug die Haare wie immer, dunkel und strubbelig kurz.
Nur an Feiertagen, oder wenn Fred und sie ihn lange genug nervten, wechselte er
die Haarfarbe für sie. Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, weshalb
Ted Vic heiraten würde. Sie bat ihn nie, wie ein Kind, die Haarfarbe zu
wechseln. Rose senkte automatisch den Blick, als Ted Vic an sich zog und sie
recht schamlos küsste. Merlin, Rose war es schon unangenehm, wenn ihre eigenen
Eltern Händchenhielten. Sie war erbärmlich, das wusste sie.
„Rose,
schön dich zu sehen!“, hörte sie seine Stimme und wagte, den Blick zu heben.
Ihre Mundwinkel hoben sich, denn kurz vergaß sie ihren Streit mit Rumer. „Wie
geht’s dir? Wie läuft die Schule?“ Es waren so erwachsene Fragen, und Rose
hasste es, sie zu beantworten.
„Hey
Ted! Geht so“, antwortete sie also wahrheitsgemäß.
„Und?
Hugo schon im siebten Jahr?“, wollte er grinsend wissen, als er sie kurz an
sich drückte. Ted kannte sie, seitdem sie ein Baby war. Eine zeitlang hatte er
bei Tante Ginny und Onkel Harry praktisch gewohnt.
„Nee,
noch nicht“, erwiderte Rose grinsend. „Aber vielleicht nächste Woche“, ergänzte
sie, und Ted nickte vielsagend. „Und? Habt ihr Aussichten auf den Hauspokal?“
Ted interessierte sich wenigstens für Sport, während Vic gelangweilt die Augen
verdrehte.
„Wenn
Slytherin ausfällt, garantiert“, behauptete sie seufzend. Ted schüttelte völlig
entgeistert den Kopf, wie er es immer tat, wenn das Thema Quidditch aufkam.
„Weißt
du, damals wäre es absolut undenkbar gewesen, dass Slytherin irgendeinen Pokal
bekommt.“ Rose musste lächeln.
„Das
wäre schön“, entgegnete sie wehmütig.
„Kommst
du mit uns?“ Und Ted wirkte tatsächlich aufrichtig begeistert bei dieser Idee.
Vic schien erst jetzt in den Sinn zu kommen, Rose überhaupt zu fragen. „Wir
wollten in der Kirschblüte essen gehen. Hast du Lust?“ Aber Rose wusste, es war
ein asiatisches Restaurant, und sie mochte keine asiatische Küche – wofür sie
immer einen eindeutig ablehnenden Blick ihrer Mum kassierte.
„Nein,
schon gut, danke. Ich treffe die anderen“, wiegelte sie ab.
„Ja, ist
wahrscheinlich zu langweilig mit uns?“, wollte Ted grinsend wissen, und Rose
hätte ihm gerne gesagt, dass auch Vic höchtswahrscheinlich besser in den Drei
Besen aufgehoben wäre, da auch Vic nur ein Jahr älter war als sie, aber sie
hielt den Mund.
„Quatsch,
aber-“
„-aber
Rose ist noch jung und will noch etwas Spaß haben“, unterbrach Vic sie lachend.
„Im
Gegensatz zu uns?“, wollte Ted stirnrunzelnd von ihr wissen, und beide
tauschten einen ekligen Blick, und Rose hatte das dumpfe Verständnis, dass sich
beide in Hogsmeade trafen, um Sex zu haben.
„Wir
haben anderen Spaß“, bedeutete Vic augenzwinkernd, und wenn sie dachte, ihr
Code wäre nicht zu knacken, so irrte sie sich massiv, und Rose wünschte, sie
würde einfach den Mund halten.
„Jaah“,
entgegnete Ted und schien sich kurz im Anblick seiner Verlobten zu verlieren.
Rose kam sich absolut überflüssig vor.
„O-k“,
sagte sie mit knallroten Wangen und hob die Hand zum Gruß. „Ich muss los“,
verabschiedete sie sich, und Ted riss sich von Vic los.
„Alles
klar. Ganz viel Spaß dir und wir sehen uns bestimmt in den Ferien“, versprach
Ted, und Rose stellte sich kurz vor, wie es wäre, wenn Ted Lupin sie hier
erwarten würde, wenn sie mit Ted essen gehen würde. Und wenn sie mit ihm…
mitgehen würde, um…- aber sie konnte es sich nicht einmal vorstellen. Nicht
wirklich.
„Bestimmt.
Macht’s gut. Danke fürs Bringen“, wandte sie sich an Vic, die ihr ein
oberflächliches Lächeln schenkte, auch wenn es nicht unfreundlich war. Und
vielleicht – ganz vielleicht – war Vic tatsächlich zu alt für sie alle.
Vielleicht passte sie ganz gut zu Ted. Aber nur vielleicht.
Rose
wandte sich um. Sie vergrub die Hände in den Taschen ihrer Hose, was fast schon
zu schwer war, denn die kaputte Hose saß mittlerweile recht eng. Sie war noch zwei
Straßen von den Drei Besen entfernt. Und sie wusste schon jetzt, dass es
unangenehm werden würde. Der Wind blies stärker und die Luft kühlte sich bereit
ab. Die ersten welken Blätter fegten die Straße entlang, und der Herbst schien
durch das Dorf zu schleichen, langsam, als wolle er den Sommer nicht zu schnell
ablösen.
Ihr
Blick fiel auf das strahlend helle Schaufenster. Es wunderte sie nicht, überall
in Hogsmeade ihre Verwandtschaft zu entdecken. Lily stand gedankenverloren am
Fenster, sah Rose gar nicht – aber Lily sah nie irgendwen. Sie wirkte manchmal
auch viel zu oberflächlich. In ihren Fingern drehte sie eine kleine Dose,
wahrscheinlich irgendein Makeup, denn sie befanden sich in Madame Casparis
Laden der ‚Schönheitskünste‘, wie er vielversprechend hieß. Dom erkannte sie
auch von weitem, denn ihre hellen Haare leuchteten wie Vics, unter dem grellen
Licht der riesigen Petroleumlampen. War es nicht schrecklich langweilig, sein
ganzes Gold für Makeup auszugeben? Sie wusste, sie gab ihr Erspartes für Quidditchutensilien
aus, was wahrscheinlich genauso dämlich war, aber… sie hatte sich noch nie
schlecht deswegen gefühlt.
Automatisch
hob sich ihre Hand zu ihren Haaren, fuhr durch die dichten Locken, versuchte,
sie zu ordnen, aber vergeblich. Sie überlegte, ob Vics grüner Pulli ihr auch
stehen würde, während ihr Blick an ihrem Körper hinabfiel. Das weite Shirt
verbarg jede Form, und für gewöhnlich war Rose das nur recht.
Sie
konnte nicht leiden, wenn Mädchen ihre Figur betonten, alleine deshalb, damit
ein Junge sie bemerkte.
Es
war absolut dämlich und-
„-hey“,
riss die Stimme sie aus ihren Gedanken, und erschrocken flog ihr Kopf zurück.
Und nur weniges konnte diesen beschissenen Tag noch beschissener machen. Aber
ausgerechnet Scorpius Malfoy am Rande der Nokturngasse war tatsächlich ein
weiteres schlechtes Omen. Und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Mund öffnete
sich ratlos und ihre Kehle war sehr trocken. Wieso – Merlin, wieso! – sprach er
mit ihr? Wieso lauerte er in der düsteren Gasse? Wieso sah er sie so an?!
Und
sie hasste sich dafür, dass sie sich hastig umsah, dass ihr Blick zurück zum
Schaufenster glitt, ob Dom ihnen zusah.
Und
dann sagte er etwas absolut furchtbares!
„Wir
müssen reden.“
Merlin,
sie hatte ihn angestarrt, als hätte er sie an einen vergessenen Termin zum
Nachsitzen erinnert. Jeder Glanz war aus ihren Augen verschwunden, und nur
widerwillig folgte sie ihm. Es war kühler geworden, und die hohen schmalen
Gebäude der Nokturngasse schluckten jedes Licht. Und erst jetzt, wo sie bereits
die Hälfte der Straße durchquert hatten, kam ihm in den Sinn, dass es
vielleicht nicht die cleverste Idee war, ausgerechnet diese Abkürzung zu
nehmen.
Aber
nur diese Gasse gab ihm die Sicherheit, dass Dominique ihnen nicht folgen
würde. Scheiße, er wäre gerne auch woanders. Al hatte er gesagt, er würde seine
Freundin begleiten und Dominique hatte er erzählt, er würde mit Al zum
Quidditchgeschäft gehen.
Er
war froh, Rose überhaupt gefunden zu haben, denn in den Drei Besen war sie
nicht gewesen. Und er hatte sich recht spontan entschieden, in die Nokturngasse
zu flüchten, zu warten, bis sie näherkam, und sie anzusprechen.
Er
glaubte, seine Stimme hatte nicht lässig und sicher geklungen. Aber nichts war
mehr lässig und sicher. Gar nichts mehr. Und er wusste, irgendwann müsste er
anhalten. Irgendwann… müsste er mit ihr reden.
Aber
tatsächlich sprach sie mit ihm, auch wenn ihre Stimme eisig klang.
„Wo gehen wir hin?“ Sie klang so, als wäre sie kurz davor umzukehren. Und
hastig sah er sich um. Er kannte keines dieser Geschäfte. Sein Vater nahm ihn
nie mit, wenn er denn mal alle Jubeljahre hier auftauchte, weil er und Mr.
Burke alte Bekannte waren. Scorpius entdeckte eine zwielichtig aussehende
Schenke, deren Name nicht mehr zu entziffern war, und ruckte mit dem Kopf in
die Richtung.
„Dorthin“,
schloss er bestimmt, aber er sah aus den Augenwinkeln, wie sie innehielt.
Ungeduldig wandte er sich um.
„Bist
du verrückt?“, fragte sie ihn ernsthaft, und ihr Blick war abwehrend und kalt.
Ohne Probleme würde sie einen Klatscher nach ihm schlagen, hätte sie ihren
Schläger parat, nahm er dumpf an.
„Ich
will das nicht hier draußen besprechen“, entkam es ihm gepresst. Und dann
weitete sich ihr Blick für eine panische Sekunde, bevor sie sich unbewusst die
Arme rieb, die in ihrer Gryffindorjacke steckten. Höchstwahrscheinlich der
falsche Aufzug für einen Trip in die Nokturngasse, aber er wollte es hinter
sich bringen.
Und
er konnte es in ihrem Gesicht lesen. Was wollte er besprechen? Ihre Augen
schrien es praktisch.
„Ich-“
Sie sah aus, als wolle sie gehen, als wolle sie sich abwenden. Und Scorpius
verfiel in dumme Panik, und die Worte fielen praktisch aus seinem Mund.
„-Hugo
weiß es“, sagte er, was ihm auf der Seele brannte, und zumindest hier, zwischen
den düsteren, windschiefen Gebäuden der Nokturngasse, würde kein Weasley und
kein Potter diese Worte aufschnappen. Zuerst wirkte sie überfordert und
verständnislos, ehe langsam, sehr langsam eine Art Ahnung über ihr blasses
Gesicht glitt. Ihr Kiefer gab nach, und ihre Lippen teilten sich ungläubig.
„Lass
uns rein gehen“, sagte er, mehr oder weniger überzegt, denn er wollte selber
ganz woanders sein. Sie hob den Blick zu der weniger vertrauenserweckenden
Schenke, und es musste echte Verzweiflung sein, die sie trieb. Denn stumm
setzte sie sich in Bewegung, wartete nicht auf ihn und schob schließlich die
dunklen Türen auf.
Das
Innere der Schenke war rußig und verraucht. Es war alter Pilzzigarrenduft, den
Scorpius nur von seinem Großvater kannte. Schwer hing der Geruch von Scotch und
Spirituosen süßlich und schwer in der Luft, so dass ihm die Augen kurz stachen.
Er hörte, wie sie die Nase hochzog, sah ihre verschränkten Arme, aber sie fand
einen verschwiegenen Platz nahe der Tür. Alte Zauberer starrten sie
unfreundlich an, und der Wirt hinter der verwitterten Theke verengte die Augen.
Die vertäfelten Wände wirkte nahezu schwarz. Er nahm an, es war sehr dunkles
Mahagoniholz, denn eigentümlicherweise erinnerte ihn der Geruch an Zuhause.
Er
folgte ihr, ignorierte die Blicke der Männer und setzte sich ihr gegenüber. Die
Polsterung der Stühle schien nur noch Zier zu sein, denn die Sitzfläche war
hart und unbequem. Sie legte ihre Arme nicht auf den Tisch, und er tat es ihr
gleich. Die Oberfläche glänzte, aber ein bitterer Geruch stieg von ihr empor.
Er
überlegte, ob die Leute hier nur hinkamen, um fragwürdige Geschäfte
abzuwickeln. Sie mied seinen Blick entschieden, starrte auf die Tischplatte, und
er wollte hier nicht länger als nötig sein, aber genauso wenig wollte er etwas
sagen.
Ihm
wurde diese Entscheidung abgenommen, denn der Wirt erreichte sie, eine
schmutzige Schürze um den Unterleib gebunden. Schlechtgelaunt blickte auf sie
hinab, und Rose schien es gänzlich die Sprach verschlagen zu haben. So selten
das auch vorkam.
„Etwas
ohne Alkohol?“, wagte Scorpius zu fragen, und das grimmige Gesicht des Mannes
wurde noch düsterer. „Oder… Butterbier?“, ergänzte Scorpius vorsichtig, aber
der Wirt sah aus, als wolle er sie gleich auf die Straße werfen. Scorpius ließ
sich nicht beirren, sah ihn weiter fest an und entschied sich recht spontan.
„Scotch aus Amaronenfässern, doppelt gelagert“, befahl er einfallslos, denn das
war, was sein Vater trank. Er spürte Roses schockierten Blick auf sich, aber
der Wirt nickte schroff und wandte sich ab. Scorpius hatte nicht gemerkt, dass
er die Luft angehalten hatte, aber sie entwich ihm jetzt sehr plötzlich.
„Hast
du Geld dafür?“, fragte sie ihn scharf, und wie selbstverständlich nickte er,
bevor er sich besann.
„Bestimmt“,
korrigierte er sich, denn er wollte nicht so dastehen, wie ihn die meisten
ohnehin betrachteten. Er wollte nicht hervorstechen. Nicht durch Gold, nicht
durch andere Dinge. Kurz runzelte sie die Stirn, ging aber nicht weiter darauf
ein. Er bezweifelte sehr stark, dass er auch nur einen Schluck Whiskey würde
trinken können, aber er nahm an, auch Rose würde nicht mutiger sein. Die
Gespräche der wenigen anderen Gäste waren still und Scorpius verstand keines
der gemurmelten Worte. Es schien keine dieser lauten Schenken zu sein.
Er
konnte gerade aber immer noch nicht ganz begreifen, dass er jetzt tatsächlich
hier war. Mit ihr. Auch sein Blick fiel erneut in die schmale Runde, aber er
kannte keines der Gesichter.
Sie
sagte nichts mehr, starrte blank nach vorne und sie warteten, bis der Wirt
wiederkam. Er wollte das Gespräch nicht beginnen, nur um Pausen zu machen.
Eigentlich wollte er dieses Gespräch eigentlich gar nicht beginnen, aber er sah
ein, dass er das wohl musste. Der Wirt stellte die beiden bauchigen Gläser,
deren Wände bereits milchig waren, vor ihnen ab, und wartete unfreundlich.
Wahrscheinlich darauf, dass Scorpius bezahlte.
Hastig
reagierte er und griff in seine Hosentasche. Blind zog er mehrere Galleonen aus
der Tasche und drückte sie dem Wirt in die ausgestreckte, kalte Hand –
wohlwissend, dass er ein sehr großzügiges Trinkgeld hinterließ, aber der Wirt
schien damit kein Problem zu haben.
Der
Wirt verschwand, und jetzt konnte dieses Gespräch beginnen. Rose beäugte den
rosefarbenen Whiskey misstrauisch, und der süßliche Duft verfing sich in
Scorpius‘ Nase.
Verkrampft
lagen seine Hände auf seinen Knien.
„Du
musst mit ihm reden“, sagte er jetzt, denn er wollte es von der Seele haben. Und
ihre defensive Haltung war greifbar. Röte stieg in ihre Wangen, ebenso wie der
sanfte Ärger.
„Warum
soll ich mit ihm reden?“ Ihre Worte waren angriffslustig, aber Scorpius
erkannte, sie war genauso überfordert wie er es war.
„Weil-!“
Kurz dachte er nach. „Weil…-“, wiederholte er gepresster, aber er konnte nicht.
„Weil er es weiß“, schloss er nach einer angespannten Stille.
„Sicher?“
Ihm gefielen ihre kurzen Antworten nicht, ihr Unglaube. Ihre Ablehnung. Es war
nicht alleine sein Problem. Gut, es war überwiegend sein Problem.
„Ja“,
knurrte er gepresst. „Er… hat mich gewarnt-“ Und jetzt unterbrach sie ihn
tatsächlich. Unglaube stand auf ihren Zügen.
„-gewarnt?“,
wiederholte sie. „Mein Bruder hat dich gewarnt?“ Und sie glaubte ihm nicht.
„Ja!“
Seine Stimme war sehr kurz laut geworden, und er zwang sich zur Beherrschung.
Ihr Ausdruck wirkte noch verschlossener. „Ja“, bestätigte er gefasster. „Und-“
„-und
was?“ Tatsächlich sagte sie das. Wieder fanden ihre Arme in die vertraute Position
zurück, verschränkten sich erbarmungslos vor ihrer Brust, und sie sah ihn
tatsächlich an. Selten sah er sie an. Selten sah sie ihn an. Merlin! Dass er
dieses Mädchen voller Lust geküsst haben sollte, kam ihm Millionen Jahre
entfernt vor und war so unwahrscheinlich, dass er es noch nie so sehr bereut
hatte, wie in dieser Sekunde. Er hatte hundert Mal darüber nachgedacht, aber
jetzt, wo es ernst wurde, wo es gefährlich wurde, sah er klar. Es war der
dümmste Fehler seines Lebens. Rose Weasley war das Schlimmste, was ihm passiert
war. Er hasste sich so sehr dafür.
„Und
ich dachte, weder du noch ich… wollen, dass… dass diese Sache… rauskommt.“
Merlin, er nahm an, kryptischer konnte er nicht sein. Aber sie half ihm nicht.
Sie kam ihm nicht entgegen, und zum ersten Mal ging ihm auf, dass sie
vielleicht sauer auf ihn war. Zwar wusste er nicht weswegen, aber eigentlich
war es ihm egal.
„Ich
kann mir nicht vorstellen, dass Hugo es weiß. Und wenn, dann dürfte es ihn
nicht sonderlich interessieren, und er wird garantiert nicht zu deiner Freundin
laufen und es ihr berichten, oder?“ Ihr wütender Blick fiel.
„Er
weiß es! Und vielleicht redest du mit-“
„-das
werde ich nicht tun!“, unterbrach sie ihn schärfer als zuvor, und ihre Augen
hoben sich wieder. „Denkst du ernsthaft, so was tue ich? Mein Bruder und ich
sind nicht-“ Aber sie unterbrach sich sofort, als hätte sie zu viel gesagt, als
besann sie sich, als… gingen ihn ihre Gedanken nichts an. „Es ist egal. Wenn
Hugo derjenige ist, der… der es weiß, dann… hast du nichts zu befürchten“,
wiegelte sie freudlos ab.
„Ich?“,
wiederholte er fast atemlos. „Ich allein?“ Ihm gefiel es nicht. Ihm gefiel
nicht, wie sie es zu seinem Problem machte. Und dennoch hatte er nichts anderes
von ihr erwartet! Er erwartete von dieser Seite der Weasley-Familie nie etwas
anderes. Rose hatte ihn noch nie gemocht – und es würde sich nicht ändern. Und
nicht nur ihren Vater hatte er gegen sich – sondern auch noch ihren verdammten
Bruder! Gerne würde er ihr vorwerfen, dass es garantiert nicht alleine sein
Problem war, aber sie sprach bereits.
„Ja,
du allein!“, behauptete sie blind. Trotz beherrschte ihre Stimme, und er wusste
nicht, was sie dazu veranlasste, aber sie griff aus einem plötzlichen Impuls
heraus nach ihrem Glas, setzte es ohne Zögern an die Lippe, und ihr
Gryffindormut war bewundernswert, nahm er an. Sie trank einen tiefen Schluck,
nur um direkt den Mund zu verziehen. Aber sie machte keinen Laut, schüttelte
sich nicht vor Ekel, sondern stellte das Glas zurück auf den Tisch. Hitze stieg
in ihr Gesicht, aber sie ließ es sich nicht anmerken.
Blinder
Zorn erfasste ihn ebenfalls und er griff sich sein Glas, nur um das teure
Getränk in einem Zug zu leeren. Seine Kehle brannte sofort, schickte Tränen in
seine Augen, und mit zu viel Kraft stellte er das Glas auf den Tisch zurück.
„Dir wäre es wahrscheinlich auch noch recht, wenn er es erzählt, oder?“ Wut
tränkte seine raue Stimme jetzt, und bevor er aufstehen konnte, musste er sich
kurz besinnen. Es war ein starkes Getränk. Er blinzelte heftig.
„Mir
wäre es recht, wenn es niemals passiert wäre!“, zischte sie wütend. „Und mir
wäre es recht, wenn du niemals wieder mit mir sprechen würdest!“ Ihre Brust hob
und senkte sich schneller, und sie stand als erstes auf. Es war so eigenartig,
dass er neben ihrer Wut gleichzeitig etwas anderes erkennen konnte.
„Arschloch“, entkam es ihr fast vorsichtig, und seine Lippen teilten sich. Sie
wandte sich mit hochroten Wangen von ihm ab, stürzte fast über ihren Stuhl, und
hastig erhob er sich ebenfalls. Die wenigen Gäste hatten ihre stillen Gespräche
aufgegeben und betrachteten sie mittlerweile mit wachsendem Unmut und
gleichmäßigem Interesse. Scorpius fluchte unterdrückt, als er Mühe hatte,
gerade zu gehen, und stieß die Tür auf, die hinter ihr zugefallen war.
Was
für eine dämliche scheiß Idee, ausgerechnet mit Rose Weasley-
„-und
die Nummer zwei“, unterbrach eine bekannte Stimme seine zornigen Gedanken, und
kurz setzte sein Herzschlag aus. Fuck. Rose stand zwei Schritte vor ihm, den
Blick gesenkt, und Professor Longbottom wirkte nicht sonderlich begeistert.
Sein Blick wanderte über ihn, dann über die Schenke, und Scorpius spürte, wie
sich sein Mund öffnete, wie sein Gehirn angestrengt nach einer sehr guten
Entschuldigung suchte, aber Professor Longbottom zerstörte all diese Hoffnung
sehr schnell. Er setzte den schweren Beutel ab, den er trug, von dem Scorpius
nicht zwingend wissen wollte, was sich im Innern befand, denn ein faulig
moosig, erdiger Geruch drang vom Beutel nach außen.
„Haben
Sie getrunken?“, fragte Professor Longbottom recht erbarmungslos, und Scorpius
schüttelte sofort den Kopf, aber Professor Longbottom zog die Nase kraus, als
er sich vorlehnte. „Sie stinken nach Alkohol, Mr. Malfoy. Miss Weasley?“,
wandte er sich an sie, und zu Scorpius‘ massiver Wut, musste er feststellen,
dass ihre Augen gerötet waren. Weinte sie? Ernsthaft? Sie weinte? Weshalb,
bitteschön?! Ihr Problem war es ja anscheinend nicht, wie sie gerade
festgestellt hatte! Sie hatte ihn beleidigt, dabei war er an diesem scheiß Tag
nicht alleine am Strand gewesen! Sie hatte nicht Nein gesagt, Merlin noch mal!
Oh Salazar, er verlor langsam die Kontenance. Er spürte, dass seine Handflächen
feucht wurden.
„Möchte
mir einer von Ihnen erklären, was hier gerade passiert? Ihnen ist bewusst, dass
das hier eine sehr gefährliche Straße ist? Und das auch wenn man den Namen
Malfoy trägt.“ Scorpius wusste, Professor Longbottom hatte die
Weasley-Krankheit, die auch die meisten Weasley-Männer hatten – sie konnten ihn
nicht leiden. Oder seinen Vater – oder sie allesamt nicht. Er wusste es nicht.
Aber er wusste, er sagte besser gar nichts. „Haben Sie Miss Weasley gezwungen,
Alkohol zu trinken?“, fragte der Professor jetzt ungnädig, und Scorpius nahm
an, Professor Longbottom kannte Rose Weasley nicht sonderlich gut, denn dieses
Mädchen ließ sich zu gar nichts zwingen. Alkohol benebelte kurz seine
rationalen Gedankengänge.
„Oh,
das hätte sie gerne“, entfuhr es ihm zornig, und zumindest aus den Augenwinkeln
sah sie ihn an. Ja, am besten wäre es alles seine Schuld! Am besten kümmerte er
sich alleine um dieses Schlamassel, aber es wäre sehr einfach, alles zu
verdrehen, nahm er an. Als ob Rose besser dastehen würde als er! Wenn ihr Vater
wüsste-
„-was
haben Sie gesagt?“, unterbrach der Professor ihn scharf, aber Rose schien sich
gezwungen zu sehen, zu sprechen.
„Nichts!“,
sagte sie hastig. „Professor, es tut mir wirklich leid. Wir… sind hier aus
Versehen gelandet, und wir… wurden dort drinnen genötigt zu trinken, und… das war
eine falsche Entscheidung! Ich-“
„-ach
Miss Weasley…. Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich einer Weasley dieser
Ausreden abkaufe, oder?“ Rose schwieg abrupt. „Es ist ehrenhaft, was sie
versuchen, und ich erwarte nichts anderes von einer Gryffindor, und dieses Mal
kommen Sie davon.“ Scorpius glaubte, sich verhört zu haben. „Aber es gibt
fünfzig Punkte Abzug, und Sie bekommen Nachsitzen. Beide. Ich erwarte Sie
morgen Abend nach dem Essen an der alten Hütte. Ich hoffe, Sie fürchten sich
nicht im Dunkeln? Aber wer alleine mutig genug ist, die Blutige Schenke zu
betreten, von dem werde ich erwarten können, ein wenig Waldarbeit zu leisten,
nicht wahr?“
Sie
starrten ihn an. So ein Mist. Aber immerhin keine Briefe nach Hause. Sein Vater
wäre ausgeflippt. „Da geht’s lang“, bedeutete Professor Longbottom streng,
nachdem er seinen Beutel nachgeschultert hatte, und Scorpius beschlich die
dunkle Ahnung, dass sie sich morgen Abend ausführlich mit dem ekelhaften Inhalt
dieses Beutels beschäftigen durften.
Sie
ging verdammt schnell, ließ ihn eilig zurück und verließ die Straße, noch vor
ihm, und Professor Longbottom hielt ihn tatsächlich auf. „Ich beobachte Sie,
Mr. Malfoy“, warnte er ihn, und langsam aber sicher reichte es Scorpius mit den
verdammten Warnungen. Aber er war noch nüchtern genug, nicht zu widersprechen.
Er nickte lediglich, bevor er hastig die Gasse ebenfalls verließ.
Und
er hatte keine Lust mehr auf die Drei Besen.
Er
hatte auf gar nichts mehr Lust.
Sanfter
Regen fiel. Es wurde noch kälter, und sie zog die selbstgestrickte Jacke von
Grannie Weasley enger um ihre Schultern. Sie war sich nicht völlig sicher,
warum sie abgebogen war, warum sie nicht in die Halle gegangen war. Obwohl…
eigentlich war sie sich ziemlich sicher, warum sie durch die Tore nach draußen
gegangen war. Sie wollte sie alle nicht sehen. Rumer nicht, Dom nicht, Hugo
nicht, Scorpius nicht. Sie hatte gestern mit keinem mehr gesprochen, war nicht
mehr in die Drei Besen gegangen und hatte auch keinem von ihrer Strafe erzählt.
Sie
hatte schlecht geschlafen, und der Whiskey war besonders ekelhaft gewesen. Er
war ihr auf den Magen geschlagen. Oder andere Dinge waren ihr auf den Magen
geschlagen.
Sie
war so wütend gewesen. Dass er die Dreistigkeit besessen hatte, sie abzufangen,
dass sie auch noch mitgegangen war! Dass sie ihn in diese Spelunke begleitet
hatte! Und dass sie sich auch noch anhören musste, was er für Probleme hatte!
Er hatte sich diese Probleme selber gemacht! Er sprach nicht mit ihr und
erwartete, dass sie höflich und hilfsbereit war, nur weil er ihr erzählte, dass
Hugo es wusste?! War das sein Ernst?
Und
ihr wurde eiskalt bei dem Gedanken, dass ihr kleiner Bruder sie gesehen hatte!
Denn sie konnte damit nicht umgehen.
Sie
hatte kein gutes Verhältnis mit Hugo. Er erinnerte sie zu sehr an ihre Mum. Und
wenn sie sich auch nur ansatzweise vorstellte, Hugo auf dieses Erlebnis
anzusprechen – dann… würde sie einfach sterben.
Merlin,
sie hatte geweint! Obwohl sie schwor, dass es am Whiskey gelegen hatte. Aber
seine bodenlose Dreistigkeit war unfassbar gewesen.
Er
machte sich Sorgen? Er sah seine gute Zeit schwinden? Ja, vielleicht hätte er
sich darüber Gedanken machen sollen, bevor er Dom entjungfert hatte! Bevor er
ihr, Rose, ihren ersten Kuss gestohlen hatte!
Dumpf
blickte sie in den Regenschleier hinaus. Die Pflanzen im Burghof waren noch
grün, ließen aber langsam die Blätter hängen.
Es
schlug ihr auf den Magen, dass sie ihn heute wiedersehen musste. Dass sie
tatsächlich eine Strafe bekam, weil sie mit diesem Arschloch mitgegangen war.
So hatte sie ihn genannt. Merlin, wieso hatte sie nicht einfach Nein gesagt?
Diesmal, gestern, hätte sie Nein sagen können.
Wie
konnte ein Fehler so große Folgen haben? Wieso war es nicht einfach vorbei?
Die
Tore des Schlosses öffneten sich knarrend, und hastig stellte sie sich gerade
hin. Sie mochte nicht, überrascht zu werden, egal von was. Und fast überraschte
es sie nicht, Alby zu sehen. Neben Rumer war er der einzige, dem sie blind
vertraute. Neben Rumer war er der einzige, der sie ernstnahm.
„Na,
keinen Hunger?“ In einer sehr typischen Geste fuhr er sich durch die dunklen
Haare. Er schlenderte neben sie, und sie blickte wieder starr nach vorne.
„Heute
nicht so“, räumte sie achselzuckend ein.
„Ich hab
dich gestern vermisst“, entgegnete er, und für eine Sekunde schwang etwas
Unangenehmes in seinen Worten mit, aber natürlich war es albern. Er sagte es
nicht auf eine komische Weise. Seine Stimme klang nicht anders, und sie wusste,
wie er es meinte. Sie war im Moment einfach nur… sensibel. Das war alles. Und
das war schon viel, wenn man bedachte, wer sie war.
„Ich…
hatte keine Lust mehr“, räumte sie ein. „Ich musste noch einiges für
Verwandlung nachholen.“ Merlin, jetzt log sie schon, dass sie lernte. Langsam
ging es zu Ende mit ihr.
„Oho.
Willst du Hugo Konkurrenz machen? Auch noch schnell eine Klasse überspringen?“
Sie verzog grimmig den Mund.
„Besser
wäre es“, erwiderte sie gedankenlos.
„Ach
ja? Und mich alleine lassen mit den Idioten, ja?“ Sie wandte den Blick, und sie
wusste nicht, warum sie es sagte.
„Du
hast doch noch Malfoy“, beschwichtigte sie ihn, aber Alby winkte ab.
„Ach,
Malfoy ist schon ok, aber… reden tue ich lieber mit dir“, versprach er ihr
gönnerhaft, auf diese Art und Weise, die sie gerne mochte, denn seine Worte
könnten ein Scherz sein, sie könnten aber auch ernstgemeint sein. Es war eine
Aussage, auf die sie nicht zwingend antworten musste. Sie konnte sie einfach
stehen lassen. Langsam hoben sich ihre Mundwinkel wieder. „Eigentlich
interessiert es mich nicht und ich rede nicht über solche Dinge, aber… wie es
aussieht, hat Rumer uns verlassen“, erklärte er verschwörerisch. Und
tatsächlich wandte Rose den Blick, um ihren Cousin anzusehen.
„Was meinst du damit?“ Fast klang sie atemlos.
„Also,
wie sie und James gestern rumgeknutscht haben – ich dachte schon, sie
untersucht, ob seine Mandeln noch drin sind“, schloss er eindeutig, und Rose
verzog den Mund.
„Oh
nein“, entfuhr es ihr resignierend.
„Jap“,
bestätigte Alby mit tragischer Miene.
„Sie
wird wiederkommen“, prophezeite Rose düster.
„Aber sie wird ein anderer Mensch sein. Ein ekligerer Mensch“, ergänzte er
grinsend. „Ich hätte sie genommen, aber so…“, bemerkte er entschuldigend, und
Rose nickte ernsthaft.
„Völlig
verständlich, Alby. Völlig verständlich.“
Wieder
öffneten sich die Tore. „Leute, was treibt ihr hier? Es ist nicht auszuhalten
in der Halle. Und Fred weigert sich, sich lustig zu machen. Ich glaube, er
hatte es auf Rumer abgesehen und jetzt ist er beleidigt.“ Louis stellte sich
neben sie, und Rose vergaß langsam aber sicher ihre düstere Stimmung. „Kannst
du deine Freundin nicht unter Kontrolle kriegen, Weasley?“, wollte Louis
schlecht gelaunt von ihr wissen, aber Rose zuckte teilnahmslos die Achseln.
„Ich
habe es versucht, Weasley“, imitierte sie Louis, und dieser musste lächeln.
Dann seufzte er lange.
„Ich
hätte sie einfach nehmen sollen, dann hätte sie so einen Unsinn gar nicht erst
gemacht.“ Rose schüttelte bloß den Kopf.
„Ihr
denkt, ihr würdet Rumer einfach so bekommen, ja?“ Sie sah beide verständnislos
an. Aber Alby nickte selbstüberzeugt.
„Wie hoch kann ihr Selbstwertgefühl schon sein, wenn sie James uns vorzieht,
hm?“ Und Rose musste fast lachen, beherrschte sich aber. Wieder schwang die Tür
auf, und Fred wirkte ernsthaft sauer. Er war dunkel, aber seine krausen Haare
zeigten die Idee von Rot, wenn das Licht auf sie schien. Und Rose hatte echtes
Mitleid mit ihm.
„Was
steht ihr hier so rum? Lasst uns Quidditch spielen!“, befahl er dumpf, und kurz
warfen sie alle einen Blick in den erbarmungslosen Regen, aber es war Rose, die
ihren Schweinehund überwand.
„Lasst
uns spielen!“, rief sie motiviert, und ohne Ausrüstung, ohne irgendwas, liefen
sie hinaus auf den Burghof, und der Regen durchnässte sie innerhalb von
Sekunden. Fred schrie befreit, und Louis war der beste Zauberer von ihnen, und
rief mit dem Accio nach ihren Besen.
Rose freute sich fast. Es wäre genau das richtige, um sie abzulenken!
***
Pünktlich
zum Mittagsessen stürmten sie siegessicher die Halle, tropfnass, aber absolut
zufrieden. Mit dem klatschnassen Ärmel ihrer Strickjacke rieb sie sich über die
Nase. Sie waren spät dran, und hätten sie sich umgezogen, hätten sie das Essen
auch noch verpasst. Alby schlug vor, am Slytherintisch zu essen, und Rose
willigte als erste ein, denn Scorpius saß neben Dom am Gryffindortisch, wie sie
unschwer erkannte, denn seine Haare waren noch heller als Doms. Sie waren ein
lächerliches Pärchen.
Und
sehr kurz erlaubte sie es sich, nach Rumer Ausschau zu halten. Und tatsächlich
erwiderte ihre Freundin ihren Blick. Sie saß neben James, dieser erzählte ihr
gerade etwas, und eigentlich wusste sie, wäre es wohl ihre Pflicht als beste
Freundin gewesen, in den Drei Besen gewesen zu sein, um die Anfänge mitzuerleben,
von diesem verdammten Unglück, was James Potter hieß.
Und
sehr kurz hasste sie sich dafür, nicht da gewesen zu sein.
Denn
das war es jetzt gerade, was Rumer wollte. Und sie hatte ihn auch bekommen, wie
es aussah. Und Rose war nicht da gewesen, hatte den verhängnisvollen ersten
Kuss nicht miterlebt, und… es tat ihr tatsächlich leid. Wenn man bedachte, dass
sie ihren Nachmittag damit verschwendet hatte, mit Scorpius Malfoy in der
Blutigen Schenke erwischt zu werden – da hätte sie lieber hundertmal zugesehen,
wie James und Rumer knutschten. Vielleicht nicht hundertmal….
„Kommst
du?“ Albys Stimme holte sie in die Realität zurück und sie folgte ihm.
„Rose!“
Sie hielt inne, und tatsächlich befiel sie ein eiskaltes Gefühl. Sie wandte
sich langsam um. Hugo kam mit langen Schritten vom Ravenclawtisch auf sie zu.
Sie fasste ihn ins Auge und konnte sich nicht vorstellen, dass er es wusste.
Aber… es musste so sein. Sonst hätte Scorpius niemals… solche Längen auf sich
genommen. Und als er sie erreicht hatte, hatte Rose Angst, dass er es plötzlich
durch die Halle schreien würde. Dass er sie gesehen hatte! Am Strand, wie sie
Scorpius Malfoy geküsst hätte, als… hätte es keine Regeln gegeben. Als…-
„-hier“,
sagte er knapp. Stumm führte er den Trockenzauber aus, und die klamme Kälte
verschwand augenblicklich. Faltig und flusig hing ihre Jacke an ihr, und sie
konnte nur hoffen, dass Grannie Weasley ihr dieses Weihnachten eine neue
stricken würde. Aber sie wurde ohnehin um die Brust etwas eng, hatte Rose
lästigerweise festgestellt. Merlin, wie konnte sie annehmen, dass ihr Bruder
ihr Geheimnis durch die Große Halle posaunen würde? Sie wurde langsam paranoid.
Dann schüttelte er den Kopf. „Und ich mache es nicht, weil du die Erkältung
nicht verdienst“, maßregelte er sie. „Ich mache es, damit du keinen Unterricht
versäumst.“ Aber sie konnte über seine Kälte nur lächeln. Denn wenn jemand
etwas für sich behalten konnte, dann wohl Hugo nahm sie an. Eine lächerliche Erleichterung
überkam sie.
„Danke,
Hugh“, murmelte sie fast liebevoll. Er runzelte die Stirn über sie. Dann
verdrehte er die Augen, um wieder zu seinem Tisch zurückzukehren. Sie machte
Kehrt und setzte sich auf den freien Platz neben Alby.
„Wow“,
bemerkte Presley Ford, der ihr gegenüber saß, anerkennend und nickte ihrer
Erscheinung zu. Roses Blick fiel auf ihre Kleidung, und sie sah einfach richtig
scheiße aus. Aber sie musste grinsen.
„Sexy,
hm?“, entgegnete sie frech, und Presleys Mundwinkel hoben sich.
„Deine
Haare sehen super aus“, bestätigte er dann, und fast wurde sie rot. Meinte er
das ernst? Wenn sie ihre nassen Haare trocknete, ohne Bürste, ohne alles, dann
drehten sie sich noch stärker zu noch wilderen Locken, und sie konnte sich
nicht vorstellen, dass es irgendwem gefiel.
„Schleimer“,
bemerkte Alby neben ihr, aber Presley ließ sich nicht beirren.
„Sie
hat immerhin einen Bruder, der den Trockenzauber beherrscht, ohne sich in Brand
zu setzen“, schloss er eindeutig. Alby schenkte ihm einen säuerlichen Blick.
„Schon mal dran gedacht, dass das Absicht war?“, erkundigte er sich, und
Presley dachte darüber nach.
„Und…
dass du geschrien hast, wie eine Erstklässlerin – das war auch Absicht, nehme
ich an?“
„Absolut“,
bestätigte Alby eiskalt. „Meine Taktik“, schloss Alby feierlich, und Rose
musste lachen. Es war besser, über Albys dumme Witze zu lachen, als sich
tatsächlich fragen zu müssen, ob Presley Ford ihr ein Kompliment gemacht hatte.
Sie hatte genug damit zu tun, die Röte in ihrem Gesicht zu kontrollieren. Und
höchstwahrscheinlich war er nur nett zu ihr, weil sie so haushoch im Armdrücken
gegen ihn verloren hatte – ohne James‘ Hilfe. Sie fing ab und an seinen Blick
auf, und jedes Mal lächelte er.
Er
war ganz einfach zu gutaussehend. Das hatten sie und Rumer schon vor Ewigkeiten
beschlossen. Rumer hatte sogar die Vermutung angestellt, dass Presley schwul
sein könnte, weil er so gut aussah. Aber Rose glaubte es nicht.
Nicht
wirklich zumindest.
„Hast
du Lust, heute Abend vorbeizuschauen?“, fragte Alby sie, und für gewöhnlich
trafen sie sich Sonntagabends sowieso. Aber… heute konnte sie nicht. Und
scheinbar hatte es Scorpius Alby nicht erzählt. Sonst wüsste Alby ja Bescheid.
„Sorry,
ich kann nicht. Ich… muss noch lernen.“
„Lernen?“,
wiederholte Alby entgeistert. „Merlin, was ist los mit dir? Hast du das nicht
gestern schon getan? Was willst du denn alles lernen? Du machst mir noch Angst,
Weasley“, bemerkte er kopfschüttelnd. „Nachher besuchst du sonntags noch deinen
Bruder im Ravenclawgemeinschaftsraum“, ergänzte er mit erhobener Braue.
„Ja,
wenn ich das Passwort wüsste…“, erwiderte sie grinsend. Es war bedenklich, wie
leicht es ihr fiel, zu lügen. Und es versetzte ihr einen kurzen Stich, dass sie
ihre Zeit nicht mit den Schulbüchern verbrachte, sondern Strafarbeiten absaß.
Gerne hätte sie heute tatsächlich gelernt, aber… das Schicksal ließ es einfach
nicht zu.
Sie
könnte es heute Nachmittag versuchen? Die Jungen würden ohnehin nur im
Gemeinschaftsraum sitzen und Karten spielen, alberne Zauber ausprobieren und
Fred war gestern noch im Scherzartikelladen gewesen und hatte die neuen
Knallbohnen gekauft. Die schwarze Edition sei noch explosiver, hatte Onkel
George versichert.
Und Rose
wäre für so einen Spaß natürlich zu haben gewesen, aber… Rumer und James wären
da. Scorpius und Dom wären da. Es wäre… unangenehm.
Ganz
einfach.
Nach
dem Essen trennten sich ihre Wege. Die Jungen wollten sich duschen und umziehen
und Rose würde… ihre Sachen holen. Sie würde… in die Bibliothek gehen. Es wäre
ein Plan. Sie war sich nicht sicher, ob es funktionieren würde, aber… sie
könnte den verdammten Büchern ja mal eine Chance geben. Die Zags bestanden sich
nicht von selbst, wie Hugo ihr hundertmal versichert hatte.
Sie
hatte sich in einen weiten, gemütlichen Pullover geflüchtet, trug ihre schwarze
Lieblingshose, die zwar einen Riss überm Knie hatte, aber sie saß angenehm und
war an den Beinen einigermaßen eng. Die Haare hatte sie nicht gekämmt, aber sie
hatte sie in einen hohen Zopf gebunden, so dass einzelne Korkenzieherlocken
immer wieder in ihre Stirn fielen. Sie war ihre Haare selten so wild gewöhnt.
Sie kämmte alle massiven Locken für gewöhnlich aus, so dass es lediglich wilde
Wellen waren, aber wenn sie heute schon so tat, als wäre sie ihre Mum, könnte
sie zur Abwechslung auch mal so aussehen.
Sie
schulterte die Tasche, die schwerer war, als sonst, und alleine auf dem Weg zur
Bibliothek kam sie sich schlauer vor.
Dort
angekommen zog sie sich allerdings in einen der schmalen Gänge zurück, lernte
nicht an den Gruppentischen oder in einem privaten Raum. Sie saß mitten in den
Büchern, an den kleinen Arbeitstischen. Petroleumlampen reihten sich in grün
aneinander, und sie fühlte sich nicht unwohl.
Alle
Utensilien stellte sie ordentlich vor sich und kaute auf ihrer Lippe, als sie
das Tintenfass aufschraubte.
Aus
ihren Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr, aber als sie den Kopf wandte,
war der Schatten bereits verschwunden. Sie blinzelte, aber niemand war zusehen.
Sie war nicht alleine in der Bibliothek, aber dass hier Schatten umher
schlichen war doch nicht normal, oder?
Kopfschüttelnd
schlug sie das leidige Verwandlungsbuch auf. Sie las die erste Seite des
sechsten Kapitels, bevor sie die Bewegung erkannte. Diesmal hob sie den Blick
schneller, und sah gerade noch, wie der Geist zur nächsten Regalreihe
schlenderte.
Ein
Gespenst. Ein Bibliotheksgespenst. Aber sie glaubte, ihn erkannt zu haben.
Erneut
senkte sie den Blick, las aber keines der Worte, sondern verharrte starr. Und
tatsächlich! Der Geist kam wieder in ihren Gang geschwebt.
Snapes
Bewegungen waren fließend, er schien vor diesem Buch innzuhalten, dann vor dem
nächsten, aber dieses Mal sah Rose nicht auf.
Dann
kam er näher, bis sie die dunklen, milchigen Knöpfe seines Gehrocks erkennen
konnte. Sie verharrte, obwohl es unangenehm war.
Er
blieb in ihrem Gang, schwebte mal nach links, nach rechts, bis er schließlich
zum Fenster flog, ganz durch den Gang, und hinaus blickte, als interessiere ihn
die Landschaft.
Rose
beruhigte sich wieder, arbeitete sich durch das Kapitel, während sie den Geist
völlig ausblendete. Am Ende des Kapitels bekam sie schließlich drei Fragen
vorgesetzt: Aus welcher Bewegung aktiviert sich der Drei-Basen-Zauber und
warum? Welcher Status ist erforderlich? Welcher Status verursacht eine
gegenteilige Reaktion?
Natürlich
erschlossen sich diese Fragen leider nicht nur durch das Lesen des einen
Kapitels. Dennoch tauchte sie ihre alte Feder in das Fass, ließ die Tinte
vorsichtig zurücktropfen, verharrte unschlüssig, ehe sie die Feder über das
Pergament wandern ließ.
Mit
einem lauten Klonk fiel eines der Bücher aus dem Regal hinter ihr. Sie zuckte
zusammen, und der erste Tropfen blauer Tinte fiel auf ihr leeres Blatt. Hastig
legte sie die Feder ab, um sich umzusehen. Snapes Geist schwebte immer noch
reglos vor dem Fenster, aber keine zwei Meter hinter ihm war ein Wälzer zu
Boden gestürzt. Aber es war ziemlich unwahrscheinlich nahm sie an. Die großen
Bücher fielen nicht mir nichts dir nichts aus den Regalen in
Selbstmordversuchen. Sie erhob sich langsam, behielt den Geist im Auge, der
nicht gleichgültiger vor dem Fenster schweben konnte, und griff sich das
schwere Buch vom Boden. Der Einband war abgegriffen und gelblich, aber der
Titel war ziemlich deutlich.
‚Der
Basenzauber‘ von Emilia Grain. Rose hob die Augenbraue in sanfter Überraschung.
Sie glaubte nicht, dass es Zufall war. Aber sie glaubte auch nicht, dass Snape
sich tatsächlich die Mühe machte und Bücher aus den Regalen fallen ließ. Sie
setzte sich wieder, schlug den Wälzer auf und fing an zu blättern.
Fünf-Basen,
Sechs-Basen – ah! Hauptzauber – Drei-Basen!
Die
drei Basen waren Blut, Magie und Bewegung, aber das wusste sie bereits aus dem
Kapitel. Zur Anwendung kommt der Zauber bei jeder angehenden Wandlung oder
Morphmose. Sie notierte sich unordentlich die Antwort.
Welche
Bewegung aktiviert den Zauber…? Sie las weiter, blätterte sich durch die Kapitel,
bis ihr Finger die Stelle fand. Erdbewegung! Sie überlegte kurz. Also nach
unten, nahm sie an. Sie rief sich den Morphmosenzauber für simple Photosynthese
ins Gedächtnis. Da war die Nachuntenbewegung – oder die Erdbewegung, wie sie
jetzt gelernt hatte – wichtig, weil Blut nach unten floss! Und das brachte sie
zur zweiten Frage.
Sie
wusste, es gab einfachen Blutstatus, doppelten Blutstatus – und sie nahm an…
dreifachen? Gab es dreifachen? Hier fand sie keine schlaue Antwort im Buch.
Zwar wurde Blutstatus in mehrfacher Ausführung weiter hinten erklärt, aber
nicht im Zusammenhang mit den Basenzaubern.
Viel
zu kompliziertes Buch.
Klatsch!
Der
Wälzer sank in ihrer Hand. Das nächste Buch war gefallen, aber es war eine sehr
schmale Ausgabe. Und dieses Mal hatte der Geist sich tatsächlich umgewandt. Sie
sah ihn an, aber sein Ausdruck war undeutbar. Sie erhob sich, und mit
demonstrativer Ruhe schritt sie zum schmalen Hefter auf dem Boden. Er war
wesentlich jünger, und es schien eine der Ausarbeitungen zu sein, die sich
häufiger finden ließen, wenn Studenten langweilige Arbeiten über ein bestimmtes
langweiliges Thema schrieben. Hugo schwor auf diese extraanstrengenden
Aufzeichnungen, deswegen wusste Rose überhaupt, was sie da vor sich hatte.
Wahrscheinlich
irgendeinen langweiligen-
Hermine
Granger – Blutstatus im Wandel
(Korrektur:
Astoria Greengrass)
Sie
vergaß, Snape herausfordernd anzusehen und setzte sich perplex zurück auf ihren
Stuhl. Sie schlug die erste Seite zurück und konnte sagen, dieses Buch war noch
nicht sonderlich häufig aus dem Regal genommen worden.
Das
Erscheinungsdatum lag sechzehn Jahre zurück. Und Roses Mund öffnete sich
überrascht, als sie die Widmung las.
‚Meiner
Tochter‘.
Es
war… tatsächlich was sie suchte. Unfassbar! Sie hob den Blick, wollte
irgendetwas sagen, aber der Gang war leer, das Fenster freigegeben. Snape war
verschwunden. Ihre Schultern sanken. Was trieb der Geist? Wartete er nur
darauf, dummen Schülern wie ihr zu helfen? Sie konnte es sich fast nicht
vorstellen.
Und
gegen ihre Erfahrung blätterte sie weiter, um zum Vorwort zu gelangen.
‚Das
Thema meiner Abschlussthese befasst sich mit dem unterschiedlichen Blutstatus,
welcher zur Basenbestimmung ausschlaggebend ist.
Gewundert
hatte mich persönlich, dass der medizinische Blutstatus denselben Titel trägt
wie auch der gesellschaftliche Blutstatus. In der Gesellschaft gibt es
Reinblüter, Halbblüter sowie Muggel. Auch scheint sich aus medizinischer Sicht
eine ähnliche Struktur finden zu lassen, wobei der Mehrfach-Blutstatus ähnliche
Geltungsmotive besitzt, wie der reine Blutstatus in der magischen Gesellschaft.
Der doppelte Blutstatus befähigt schwächere Basenzauber, wohingegen der simple
oder der einfach Blutstatus grundlegende Energiezauber ermöglicht.
Eigenartig,
nicht wahr? Zur Einfachheit und zur Demontierung dieser veralteten Begriffe,
möchte ich das Wort Blutstatus ändern und durch die Terminologie ‚Ausführung
ohne Zauberstab‘, Ausführung mit Zauberstab‘ und ‚Ausführung mit Zauberstab und
weiteren Zutaten‘ ersetzen. Blutstatus scheint mir irreführend und unpassend zu
sein.
Verabschieden
Sie sich also von der alten Struktur. Und somit beginne ich mit
Wandlungszaubern ohne Zauberstab!‘
Rose
ließ den Hefter sinken. Das war… absolut großartig! Sie konnte nicht fassen,
dass tatsächlich ihre Mutter ihr gerade half, das leidige Thema der Basenzauber
und ihrem Blutstatus zu begreifen! Merlin, es waren einfach nur Wandlungszauber
mit Zauberstab oder ohne Zauberstab!
Sie
kannte sich nicht sonderlich gut mit Aha-Momenten aus – aber… das schien einer
davon zu sein! Ihre Mum war… genial!
Fast
hatte sie wohl ihrer leidigen Situation zu danken, dass sie gerade nicht
schwarze Knallbohnen ausprobierte, dachte sie belustigt, als sie sich ein
zweites Pergament zurechtlegte, um sich die vereinfachten Namen aufzuschreiben.
Und
zum ersten Mal bemerkte sie nicht, wie die Zeit in der Bibliothek verging.
Er
schloss die Augen, als sie ihn auf die Kissen zurückdrückte und ihn küsste. Seine
Hände legten sich auf ihre Taille, und er mochte, wenn sie über ihm war. Zwar
waren sie noch komplett angezogen, aber schon jetzt war es ein unglaubliches
Gefühl. Ihr Körper rieb sich an seinem, und er atmete ihr Parfüm ein. Sie roch
blumig und frisch, und ihre Lippen öffneten sich über seinen. Er vertiefte den
Kuss, ließ sich gänzlich fallen und spürte, wie sie die Knöpfe seines Hemds
öffnete. Seine Hände wanderten tiefer unter ihren Rock, und er spürte seine
Erregung deutlicher. Er wurde härter und härter und überlegte sehr kurz, ob er
die Tür zum Schlafsaal verschlossen hatte… - hatte er! Es fiel ihm wieder ein.
Ungefähr
überschlug er in seinem Kopf, wie viel Uhr es war, denn wenn er das Abendessen
verpasste, müsste er trotzdem im Kopf behalten, wann er an der Hütte zu sein
hatte.
Sie
hatte die Knopfleiste abgearbeitet und sanft strichen ihre Finger über seine
Haut. Ihre manikürten Nägel kratzten spielerisch über seinen Körper, und er
bäumte sich auf. Er zog den Saum ihres dünnen Pullovers über ihren Kopf, und
ihr BH war pink. Sie sah fantastisch aus. Ihre Lippen waren durch die Küsse
schon geschwollen und rot, und er liebte es einfach, sie zu küssen. Seine
Finger schoben die Träger ihres BHs ihre Schultern hinab, und er verteilte
sanfte Küsse auf ihrer Schulter, bis er ihren Busen hinab küsste.
Er
hatte so ein verdammtes Glück! Er war der glücklichste Junge der Schule, so
viel stand fest. Er zog den Stoff tiefer, bis er einer ihrer Brustwarzen
verlangend in seinen Mund saugen konnte und warf sie um, so dass er über ihr
lag.
Sie
stöhnte unter ihm, und es machte ihn wild. Ungestüm schob er ihren kurzen Rock
höher, öffnete seine Hose, und wusste, er musste den Verhütungszauber noch
anwenden, bevor… bevor….
Er
verharrte in der Bewegung. Scheiße.
Sie
reagierte unter ihm. „Scorpius? Alles ok?“ Ihre Stimme war verschleiert vor
Lust, und er hasste sich gerade selbst.
„Ich…“
Aber sie merkte es.
„Oh“, flüsterte sie knapp. „Soll ich…?“, bot sie direkt an, und ihre Hand griff
in seine Hose, schloss sich um seinen plötzlich schlaffen Penis, aber er hielt
sie auf. Betroffen zog sie die Hand zurück, und er setzte sich neben sie auf
das Bett.
„Tut mir leid“, entfuhr es ihm rau. Sie setzte sich ebenfalls auf, kämmte sich
mit den Fingern durch die seidigen Haare und wirkte ein wenig atemlos.
„Kein…
Problem“, erwiderte sie, aber ganz klar war es ein Problem.
„Hey,
ich… kann mich um dich kümmern, und-“
„-schon
gut“, entfuhr es ihr. Und er hörte es. Sie war beleidigt. „Du musst mir sagen,
wenn ich dich nicht mehr errege, Scorpius.“ Seine Augen weiteten sich.
„Dominique,
was redest du für einen Unsinn?“, entfuhr es ihm verzweifelt. „Ich liebe dich,
du bist das Wunderschönste in meinem Leben.“ Und kurz verlor sich der
enttäuschte Zug auf ihrem Gesicht.
„Wirklich?“,
flüsterte sie, und er verdrehte die Augen. Sie mochte, wenn er ihr erzählte,
sie wäre wunderschön. Was sie auch war, keine Frage!
„Du bist alles, wovon ich träume, das weißt du“, versprach er blind, und wenn
er sehr ehrlich war, dann hatte er tatsächlich schon lange nicht mehr von ihr
geträumt – aber das hieß nicht, dass sie nicht trotzdem das Mädchen seiner
Träume war.
„Danke.
Ich… habe nur Angst, dass-“
„-keine
Sorge. Ich…- das wird sich einrenken.“ Es war nämlich nicht das erste Mal, dass
er schlapp machte. Es passierte ihm viel zu häufig in letzter Zeit. Er hasste
es. Und er hasste vielmehr, dass er eine Ausrede erfunden hatte. Eine billige,
schäbige und gelogene Ausrede.
„Kein
Problem“, sagte sie sofort. „Wenn du noch mit deiner Trauer zu kämpfen hast,
Scor, ich bin immer für dich da“, versprach sie ihm sanftmütig, legte die Hand
über seine Wange, und er schämte sich noch mehr. Er hatte den Tod seiner Mutter
vorgeschoben, denn ihm war nichts Besseres eingefallen.
Er
nahm an, sein krankes Hirn drehte ihm einen Strick durch die Rechnung, weil er
Dominique insgeheim ungerne wehtat und er wusste, wüsste sie Bescheid über
Rose, dann würde sie ihn verteufeln und hassen und weinen und… Schluss machen.
Und anstatt keinen Sex mehr mit ihr zu haben, weil er ihr die Wahrheit sagte,
hatte er einfach keinen Sex mehr mit ihr, weil er sie anlog.
Er
war sechzehn! Er sollte nicht das geringste Problem mit seiner Erektion haben.
Schön, dass das wieder etwas war, worüber er nicht mit seinem Vater reden konnte.
Mit niemanden, tatsächlich.
Denn
Al ekelte sich vor Dominique, was Scorpius ebenso seltsam fand, bedachte man,
dass er sich vor Rose nicht ekelte.
Zu
viel! Selbst jetzt dachte er zu viel an Rose Weasley – dabei hatte sie nichts
in seinem Kopf zu suchen.
„Woran denkst du?“, fragte sie ihn vorsichtig.
„An
meine Mum“, log er sofort, und das schlechte Gewissen stach heftig zu, so dass
ihm schlecht wurde. Er war ein Arschloch. Rose hatte vollkommen recht. Fuck.
Hör auf, an sie zu denken! Er konnte sich nur mental maßregeln. Nicht, dass es
half.
Nicht,
dass es wirklich half, verdammt noch mal.
Sein
Blick fiel auf seine Uhr. Scheiße. Es war nach sieben! „Hör zu, ich… werde noch
eine Runde joggen gehen, ok?“ Er knöpfte sein Hemd wieder zu, und Dominique
wirkte ein wenig vor den Kopf gestoßen. „Ich… will meinen Kopf wieder
freikriegen. Wir sehen uns morgen, ja?“ Sie nickte bloß, und er drückte ihr
einen Kuss auf die Lippen. „Ich ziehe mich um“, verabschiedete er sich und nahm
die Trainingsklamotten mit ins Bad.
Er
hoffte, Trainingsklamotten wären angemessen für die bevorstehende Aufgabe, denn
jetzt hatte er ihr erzählt, er würde joggen. Und wenn sie gleich noch im Zimmer
war, hatte er besser die passenden Klamotten für seine neueste Ausrede an. Es
machte ihn fertig. Diese ganze Situation. Und er war sich nicht einmal sicher,
warum. Er hatte nicht gewusst, dass er doch so ein aktives Gewissen besaß. Er
musste Dominique wirklich lieben. Mehr, als er jemals gedacht hatte.
Als
er umgezogen war, war sie nicht mehr im Schlafsaal. Und er nahm an, sie würde
noch eine ganze Weile beleidigt sein. Zeit, wieder Schmuck zu kaufen.
Al
machte sich offen und gerne über ihn lustig, aber Scorpius hatte festgestellt,
dass sich Dominique erfolgreich mit Schmuck besänftigen ließ, und deshalb würde
er an dieser Taktik festhalten.
Hastig
stieg er in seine Schuhe. Er hatte niemandem von der Strafe erzählt, und so
würde er es auch gerne beibehalten. Jetzt musste er seinen Hintern bewegen, um
Al zu entgehen, bevor dieser vom Abendessen wiederkam.
Sein
Leben war verdammt stressig geworden.
Six
Es
war nicht so, dass sie zwingend Angst im Dunkeln hatte – es war lediglich so,
dass sie nicht gerne nach Einbruch der Dämmerung draußen war. Ja. Technisch gesehen,
fühlte sie sich nicht sonderlich wohl im Dunkeln. Sie hörte die Käuze und Eulen
aus der Eulerei rufen, denn sie schliefen natürlich nicht. Mit dem Zauberstab
leuchtete sie den Weg, und immerhin war sie in ihren Gedanken immer noch
abgelenkt durch ihren Fund. Oder Snapes Fund.
Es
war wirklich ungewöhnlich gewesen, und sie hatte nicht gewusst, dass ihre
Mutter eine These veröffentlich hatte, und dass sie ausgerechnet ihr gewidmet
worden war. Wahrscheinlich wäre eine Widmung an Hugo eine bessere Entscheidung
gewesen, aber insgeheim war Rose recht stolz darauf.
Immerhin
braucht sie nicht auch noch zu warten, denn sie erkannte Professor Longbottom
schon von weitem. Er befüllte gerade einen Sack, und Rose verzog die Nase, als
der scharfe Geruch sie traf.
„Was
ist das?“, entfuhr es ihr angewidert, aber der strenge Blick des Lehrers, ließ
sie schlucken. „Äh, guten Abend, Professor“, ergänzte sie eilig. Es war
derselbe Geruch, den sie in Hogsmeade wahrgenommen hatte.
„Guten
Abend, Rose“, begrüßte er sie, und er nannte sie Rose, was er sonst nur
außerhalb der Schule tat. Für gewöhnlich würde sie es Rumer erzählen. Aber…
eben nicht im Moment. „Das hier ist Drachendung. Charlie war so nett, mir was
nach Hogsmeade zu liefern“, erklärte er offen, und Rose würde nicht begreifen,
wie man sich ernsthaft für Kräuterkunde interessieren konnte. Niemals. Sie
verzog den Mund. Ihr Onkel Charlie war der einzige Weasley aus ihrer Familie,
der keine Kinder hatte. Er lebte in Rumänien und war ziemlich zufrieden damit,
geschützte Drachenarten zu züchten. Manchmal beneidete sie ihn um seine
Einsamkeit. Aber meistens eher nicht. Sie war zu sehr an ihre riesige Familie
gewöhnt.
„Oh“,
entkam es ihr.
„Drachendung
ist äußerst hilfreich bei magischen Nachtschattengewächsen. Und diese magischen
Nachtschattengewächsen sind Hauptnahrung der Einhörner im Wald – also… dient es
einem guten Zweck.“ Er hob noch eine große Schaufel in den Sack, und dann hörte
sie weitere Schritte. Malfoy erreichte sie im Laufschritt, und sie war froh,
dass es dunkel war. Auch er verzog hörbar die Nase. Er trug Sportkleidung,
stellte sie ein wenig entgeistert fest. Was dachte er, was sie hier
veranstalteten? Aber sie war weit davon entfernt, überhaupt mit ihm zu reden.
Mit Glück, durften sie getrennt arbeiten.
„Abend,
Professor“, begrüßte er ihn außer Atem. „Drachendung?“, stellte er die
entsprechende Frage, und natürlich wusste der Vertrauensschüler, was es war. Es
nervte sie fast ein wenig. Aber Rose war dennoch sehr beruhigt, dass Scorpius
trotz seines Wissens keine Chance auf den Posten als Schulsprecher haben würde.
Merlin sei Dank ging diese Stelle bereits an ihren superschlauen Bruder. Der
auf ewig etwas gegen sie in der Hand haben würde, dachte sie im selben Atemzug,
und empfand wieder den bitteren Stich. Scorpius ignorierte sie ebenfalls, sah
sie nicht an, und Rose fand das wirklich in Ordnung.
„Ja,
das stimmt“, bestätigte Professor Longbottom knapp, ohne Scorpius‘ Wissen
weiter zu würdigen. „Ich habe euch einen Sack fertig gemacht. Wir werden
getrennt arbeiten, dann geht es schneller. Ihr zusammen, ich allein“, ergänzte
er eindeutig, und Rose wollte protestieren, aber ihr ging auf, was sie
tatsächlich zu tun hatten. Sie würden in den Wald müssen. Kurz wog sie ab,
Longbottom zu bitten, dass er sie begleitete, aber dann rebellierte ihr Stolz.
Sie war kein feiger Jammerlappen. Nur die Dunkelheit machte ihr zu schaffen.
Und natürlich die Anwesenheit von Scorpius Malfoy. Professor Longbottom
vollführte einen recht komplizierten Zauber, griff in eine Samentüte und warf
sie in den Wald, nachdem er zum Waldrand gegangen war. Die Samen begannen zu
leuchten, schimmerten auf dem Waldboden und schienen einen Weg anzuzeigen. Es
lenkte Rose von ihren Gedanken ab.
„Eine
halbe Stunde sollte ausreichen. Die Samen glühen noch etwas länger, dann
allerdings ist der Leuchtstoff aufgebracht. Folgt also den Samen, dann findet
ihr die Gewächse. Kräftig Düngen, keine Blätter abreißen und nicht die Ruhe des
Waldes stören. Verstanden? Wenn ihr Probleme haben solltet, einfach Funken in
die Luft hexen, dann komme ich. Apparieren dürft ihr nicht, also… viel Spaß.“
Er zog zwei Paar Handschuhe aus den Tiefen seiner Jacke, warf sie auf den Boden
vor ihnen, schulterte er den einen Sack und ließ den anderen für sie zurück. Er
wirkte schwer.
Es
verging ein stiller Moment, nachdem Professor Longbottom verschwunden war, und
Rose hatte kein gutes Gefühl, mit Scorpius in den Wald gehen zu müssen.
Sie
hatte kein gutes Gefühl, überhaupt in den verdammten Wald zu müssen, aber sie
wusste keine andere Lösung.
Wie
würden sie den Sack transportieren? Würde der Wingardium-
Aber
Scorpius hatte sich schließlich resignierend gebückt, und mit einiger
Kraftanstrengung schulterte er den stinkenden Beutel. Er verzog den Mund,
drehte den Kopf zur Seite und ging dann, ohne ein Wort voran. Rose folgte ihm
unschlüssig, denn ihr Stolz erlaubte es nicht, einfach hier zu bleiben. Sie
klaubte die Handschuhe vom Boden und fand, es war faire Arbeitsteilung. Sie
folgte ihm auch in sicherem Abstand, so dass der Geruch nicht zu schlimm war,
und gönnte ihm, von dem Gestank umnebelt zu sein.
Der
Wald lag ruhig vor ihnen. Die nächtlichen Geräusche waren anders als die vom
helllichten Tag. Kein Vogel sang sein Lied, und das Unterholz knackte und
knisterte leise unter den Pfoten kleiner Tiere, die nur nachts ihrem Rhythmus
nachgingen.
Ab
und an schreckte ein kleines Tier im Dickicht zurück, wenn es ihre Schritte
vernahm, und Rose hatte das Gefühl, die Leuchtsamen zogen sich in endlose
Längen. Scorpius schien unter dem Gewicht nicht müde zu werden, oder er tat
zumindest so. Sie schauderte kurz, als der Schatten einer Eule über ihnen
hinweg sauste und schuhute. Es erinnerte sie an Hänsel und Gretel, mit den
Samen am Boden. Eine Geschichte, die ihre Mutter ihr immer wieder hatte vorlesen
müssen, und Rose waren immer neue Ideen gekommen, wie Hänsel und Gretel die
böse Hexe im Lebkuchenhaus hätten überlisten können. Sie mochte, dass es in
Muggelgeschichten keine Magie gab – und wenn, dann nur böse. Sie mochte, wenn
die Leute auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen waren.
Sie
hoffte nur, dass sie heute nicht in eine Lebkuchenhaus-Situation geraten
würden. Mit Absicht beschäftigte sie sich mit diesen albernen Gedanken, weil
sie wusste, dass die Dunkelheit ihre Atmung beschleunigte. Sie vermied es, sich
alle paar Meter umzudrehen, nur um sich zu vergewissern, dass sie alleine
waren. Scorpius brauchte nichts von ihrer kleinen Schwäche zu wissen.
Merlin,
endlich sammelten sich die Leuchtsamen ein wenig abseits von ihrem Pfad, und
sie betraten das weiche Moos. Nach wenigen Metern erreichten sie einen Baum,
breit und wuchtig, mit bestimmt hundert Auswüchsen. Es mangelte ihm an den
kleinen Blättern, die nicht überall wuchsen, und wahrscheinlich mussten sie ihn
deshalb düngen. Ohne die Leuchtsamen, würden sie die Hand vor Augen nicht
erkennen, nahm sie an. Hier im Verbotenen Wald herrschte eine absolute
Finsternis. Wieder vernahm sie Geräusche, und sie schauderte ein wenig. Sie
würde hiervon träumen, nahm sie an. Scorpius ließ den Sack auf die Erde
plumpsen, und sie warf die Handschuhe daneben.
Beinahe
stoisch griff er sich ein Paar, zog sie mit ernster Miene über und ignorierte
sie immer noch. Still zog er den Sack auf, griff fast beherzt hinein, musste aber
husten, als er die Hand voll Drachendung heraus zog. Rose verzog ebenfalls den
Mund, hielt sich die Nase zu, und kraftvoll schleuderte er den Dung zum Fuße
des Stamms, wo er feucht und glänzend liegen blieb.
Er
schüttelte die Hand und betrachtete voller Verachtung den Sack.
Es
half nichts. Absolut gar nichts. Also zog sie sich ebenfalls die Handschuhe
über, hielt die Luft an und griff in den Sack. Sie zog zwei volle Hände zurück
und warf den Dung hastig zu Boden. Der Sack schien endlos zu sein, wie der Weg
hierhin. Es war müßige Arbeit, denn nach jeder Handvoll mussten sie ein paar
Schritte zurücktreten, um wieder nach Luft zu schnappen.
Und
gerade als sie sich bückte, sah sie einen großen Schatten durch die Bäume
huschen. Hastig streckte sie den Rücken durch, und wirklich mehr unbewusst
rückte sie näher an seine Seite.
Er
hatte es auch gesehen, sah sich aufmerksam um, und sie war kurz davor, die
Handschuhe abzuschütteln und ihren Zauberstab zu ziehen.
Longbottom
hatte gesagt, sie durften die Ruhe hier nicht stören, aber was, wenn sie
angegriffen wurden?
Sie
überlegte, welche Riesentiere hier lebten? Riesenspinnen? Ihr Dad hatte ihr von
den Spinnen erzählt, und Rose hasste Spinnen. Wirklich! Es war echter Hass, und
sie würde schreien, wenn gleich eine Riesenspinne aus dem Gebüsch sprang.
Still
standen sie nahe nebeneinander, beäugten die nahen, dunklen Bäume voller
Spannung, aber nichts rührte sich.
Ihre
Atmung war abgeflacht, und ihretwegen konnten sie gerne wieder gehen! Sie hatte
genug. Gerade als sie sich zwingen wollte, sich von ihm zu entfernen, weil sie
einfach nicht in seiner Nähe sein wollte, schlich der nächste große Schatten
durch das Dickicht – und sie sprang praktisch in seine Arme!
Zumindest
rempelte sie ihn jetzt an.
„Ha-hast
du das gesehen?“, zischte sie, ohne sich halten zu können, und diesmal
schüttelte er die Handschuhe ab und zog den Zauberstab. Stumm entfachte er den Lumos, und sie wünschte, sie hätte den
Mund gehalten, und selber den Zauberstab gezogen. Aber tatsächlich sprach er.
Ob mit ihr oder mit sich selbst, wusste sie nicht zu sagen.
„Wahrscheinlich
nur Zentauren“, murmelte er wachsam. Wahrscheinlich nur…? Wie viele Zentauren
hatte er schon gesehen? Und waren sie überhaupt friedlich? Sie kannte lediglich
Firenze, der sehr nett war und noch immer Wahrsagen unterrichte – was sie auch
nicht belegte. Er sah jung aus, obwohl er schon unterrichtet hatte, als ihre
Eltern zur Schule gegangen waren. Und sie wusste, die anderen Zentauren
verachteten Firenze, weil er mit Menschen sozialisierte.
Was
sagte das bitteschön über Zentauren aus? Und sie und Scorpius waren vom Pfad
abgewichen und bewarfen den Einhornbaum mit Dung! War das bereits ein
Verbrechen in den Augen der Zentauren?
„Wir
sollten Funken schicken“, flüsterte sie, als einer der Schatten innehielt. Aber
es war zu dunkel, als dass sie etwas erkennen konnte. Sie sah nur, es war ein
großer Schatten! Und dann erntete sie Scorpius‘ Blick. Kühl und ein wenig
spöttisch.
„Angst?“,
wollte er glatt von ihr wissen, und mit aller Macht, rückte sie wieder von ihm
ab.
„Nein“,
behauptete sie kleinlaut. „Aber-“
„-aber?“,
erkundigte er sich nahtlos, und sie hasste, dass er scheinbar keine Spur Angst
verspürte. Und dabei war sie die Gryffindor! Er war nur die elende Schlange aus
Slytherin. Merlin, selten dachte sie so. Aber heute hatte sie Angst und
verteufelte die Slytherins. Der Spott verließ sein Gesicht, als er sie
betrachtete. Sie schienen sich beide wieder an ihre missliche Lage zu erinnern,
die nichts mit dem Verbotenen Wald und möglichen Zentauren zu tun hatte. Die
missliche Lage, die sie überhaupt hierher gebracht hatte.
Und
sie überraschte sich selbst, als ihre Beine sich in Bewegung setzten, dem
Schatten entgegen.
„Wir
düngen den Baum. Für die Einhören. Nichts weiter, ok? Niemand muss uns
angreifen, verstanden? Wir wollen nichts Böses!“ Sie wusste nicht, ob die Wesen
ihre Sprache verstanden. Noch immer stand der riesige Schatten ruhig zwischen
den Bäumen, verharrte reglos, und Rose ballte die Hände zu Fäusten. Ihr Herz
schlug schnell, und sie hoffte, sie hatte niemanden beleidigt oder zum Angriff
angeregt. Aber nach einem kleinen Moment löste sich der Schatten aus seiner
Starre – und verschwand in der Nacht, zog sich tiefer in den Wald zurück.
Stoßweise
verließ die Luft ihre angespannten Lungen. Merlin. Sie war erleichtert!
Stumm
kehrte sie zurück, griff mechanisch in den Sack zurück und zwang sich,
schneller zu arbeiten. Schließlich steckte auch er den Zauberstab wieder ein
und half ihr wieder. Sie sprachen nicht mehr. Aus den Augenwinkeln achtete sie
auf die Umgebung, konnte aber keine Schatten mehr entdecken.
Es
vergingen weitere fünfzehn Minuten, so schätzte sie, und endlich hatten sie den
ganzen Fuß des Stamms bedeckt, und nur noch letzte Krümel waren im Sack
zurückgeblieben.
Zufrieden
und ein wenig geschwitzt schüttelte sie die Handschuhe ab, warf sie in den
leeren Sack, und Scorpius tat es ihr gleich. Er fuhr sich über die Stirn, und
scheinbar… hatte sie sich verschätzt.
Die
Samen zu ihren Füßen glühten flackernd, bevor der Leuchtstoff scheinbar
verbraucht war. Klanglos, innerhalb einer Sekunde, war die Lichtung in absolute
Schwärze getaucht, und Panik stieg ihre Kehle hinauf.
„Scheiße“,
hörte sie ihn murmeln, und gleichzeitig zogen sie die Zauberstäbe. Das Licht
des Lumos‘ war kalt und reichte nicht
sonderlich weit, in der satten Dunkelheit des Waldes. Also hatten sie länger
als eine halbe Stunde gebraucht. Sie beleuchtete die Umgebung, während Scorpius
hastig den Sack vom Boden nahm. Ohne Worte ging er voran, verließ die Lichtung,
aber Rose hielt inne.
„Das
ist der falsche Weg“, rief sie ihm gepresst nach, und gereizt wandte er den
Blick.
„Das
ist genau der Weg, von dem wir gekommen sind!“, knurrte er praktisch, aber Rose
war sich sicher, das stimmte nicht.
„Nein,
die Samen liegen weiter östlich, siehst du?“, beharrte sie und zeigte knapp auf
den moosigen Boden. Die Samen waren kaum noch auszumachen, schrumpften
tatsächlich in sich zusammen.
„Da
ist doch der Weg, Merlin noch mal! Komm endlich, oder ich gehe ohne dich zurück“,
warnte er sie jetzt, und sie hasste, dass sie den Kürzeren zog – obwohl sie
recht hatte! Sie folgte ihm, achtete auf den Weg, und war sich sicher, er
machte einen Fehler.
„Wo
ist hier der Weg?“, schnappte sie wütend, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte,
und sein Kiefer spannte sich sichtbar an.
„Es
dauert ein paar Schritte, ok?“, gab er gepresst zurück, aber… nach fünfzig
Schritten hatten sie den Pfad noch immer nicht erreicht, und so lange hatte es
vom Pfad aus nicht gedauert. Sie war sich absolut sicher.
„Siehst
du jetzt ein, dass du dich irrst, oder müssen wir erst auf der anderen Seite
rauskommen?“, wollte sie böse wissen, und tatsächlich atmete er aus.
„Der
Weg muss hier sein. Ich bin mir absolut sicher“, behauptete er in die
Dunkelheit hinein, und Rose leuchtete hinter sich. Sie konnte nicht mal mehr
den wuchtigen Baum ausmachen, den sie gedüngt hatten.
„Wir
haben uns verlaufen“, entkam es ihr dumpf. Er lachte neben ihr auf.
„Ernsthaft?
Du denkst, nach ein paar Schritten haben…“ Aber er schwieg, als auch er sich
umwandte, den Zauberstab höher hielt und wohl selber nicht mehr den Baum finden
konnte. „Fuck“, entkam es ihm zornig. Etwas huschte durchs Dickicht, und Rose
sprang wieder an seine Seite. „Du hast Angst im Dunkeln“, stellte er bitter
fest, aber sie schüttelte den Kopf.
„Habe
ich nicht“, erwiderte sie böse.
„Warum
rückst du mir dann auf die Pelle?“, wollte er kalt wissen, und sie machte einen
Schritt weg von ihm. Aus den Augenwinkeln erkannte sie etwas und wandte den
Blick.
„Da!“,
rief sie heiser. In der Ferne sah sie noch dumpf glimmende Samenkörner, aber er
folgte ihr nicht, als sie die Verfolgung aufnahm.
„Warte“,
rief er ihr nach, und widerwillig drehte sie sich um.
„Was
ist? Da hinten ist der Weg!“, sagte sie ungeduldig, aber sie sah, wie er den
Kopf bewegte.
„Es
könnten Irrteufel sein, die mit uns spielen“, warnte er sie jetzt. Sie hatte
keine Ahnung, von was er sprach, aber es klang nicht gut. Wusste er, was für
Wesen hier lebten? Sie zögerte. Seufzend kehrte sie zu ihm zurück.
„Was
dann?“ Fragend blickte sie auf in sein Gesicht. Schließlich atmete er aus,
richtete den Zauberstab nach oben und schoss stumm rote Funken in den Himmel.
Sie stiegen höher, brachen stumm durch die Baumwipfel, und sie hoffte,
Professor Longbottom konnte sie sehen. Und sie hoffte, er käme schnell. Obwohl
sie sich schämte, dass sie beide so dumm waren.
„Und
jetzt?“, wollte sie mit verschränkten Armen wissen, während ihre Schuhe im
moosigen Boden einsackten.
„Jetzt
warten wir“, entgegnete er ebenso mürrisch. Resignierend atmete sie aus und gab
sich größte Mühe, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen, wann auch immer
das leiseste Geräusch an ihre Ohren drang. Es verging eine stille Minute. Noch
immer schwebten hoch über ihnen die glimmenden Funken, so dass Longbottom sich
an ihnen orientieren konnte. Und dann hörte sie praktisch, wie er sich
wappnete, wie er die nötige Luft einatmete, wie sie erheblich seine Lungen
füllte, und dann sprach er. „Auf die Gefahr hin, von dir angeschrien zu werden“,
begann er mit unheilschwangeren Worten, und sie hielt unbewusst den Atem an,
„wieso willst du nicht mit Hugo reden?“
Schon
wieder. Er fing schon wieder an. Und sie hatte eine ganze Reihe an Antworten,
die sie ihm überhaupt nicht gönnte! Aber ihr Herz schlug schneller, und für
eine Sekunde vergaß sie ihre elementare Furcht hier im Wald. Sie sagte zunächst
gar nichts, denn sie wurde wieder wütend. Sie sah ihn nicht mal an, und der
glühende Zauberstab zeigte in ihrer verschränkten Armhaltung stur nach unten
auf den Waldboden. Aber er beleuchtete schließlich ihr Gesicht, und langsam
hoben sich ihre Augen. „Ich verstehe es nicht“, fuhr er stiller fort, und das
erste, was sie an ihm nicht leiden konnte, war, seine verständnislose Art. Mit
Hugo zu sprechen, garantierte gar nichts! Es zeigte Hugo lediglich, dass sie
unsicher war! Und es zeigte ihm, dass sie unterlegen war. Es waren Dinge, mit
denen sie nicht gut umgehen konnte. Als wäre es ihre Aufgabe! Als wäre es ihr
Fehler, den er ihr aufbürdete! „Rose“, sagte er schließlich, mit mehr
Nachdruck, und er klang so enttäuscht wie ihre Mum, wenn sie ihr mal wieder ein
knappes ‚Annehmbar‘ unter die Nase halten musste. Merlin, er war so – ahrg!
„Du
machst das hier, weil wir nicht weg können“, beschwerte sie sich gepresst, aber
er schüttelte den Kopf.
„Ich
will nicht weg“, sagte er sofort. „Ich will es klären. Ich will sichergehen,
dass diese-“, er zögerte die leiseste Sekunde, „-Sache“, fuhr er etwas
distanzierter fort, als spräche er von magischen Portfolios, oder etwas, was
emotional nicht weiter entfernt sein könnte, „aus der Welt ist.“
„Es
ist niemals ‚aus der Welt‘, ok?“, entfuhr es ihr schneller, als sie nachgedacht
hatte, und diesmal schwieg er knapp. Sie biss sich auf die Lippe. Solange er
Sex mit ihrer Cousine hatte, war es nicht aus der verdammten Welt!
„Ok“,
schloss er nach einer kleinen Weile. „Aber…“ Er zögerte wieder.
„Aber
was?“ Sie konnte nicht anders. Sie wusste, sie verhielt sich defensiv, gab
nichts preis, aber sie hasste – wirklich hasste – es, mit ihm darüber zu reden.
Sie hasste es, sich Fehler eingestehen zu müssen, weil sie nicht zu ändern
waren.
„Aber
für uns bedeutet es nichts. Und ich will, dass Hugo das begreift.“ Und sie
musterte ihn knapp. Es bedeutete eine Menge. Eine Menge mehr, als er sich wohl
eingestehen wollte, dachte sie bitter. Es bedeutete immerhin, dass er sie
aufsuchte und… reden wollte!
„Meinen
Bruder zu suchen und… ihm zu drohen – oder was auch immer du von mir willst – klingt
nicht direkt danach, als… bedeute es nichts“, sagte sie sehr vorsichtige Worte.
„Merlin,
du sollst ihm nicht drohen“, knurrte er praktisch, fing sich aber wieder. „Ich…
will einfach nur sichergehen, dass-“ Und diesmal konnte sie sich nicht halten.
„-dass
Dom deinen Fehler nicht rausfindet?“, beendete sie kalt seinen Satz. Sein Blick
war stechend und unangenehm.
„Und
das ist mein Fehler alleine, richtig?“, entkam es ihm prüfend, und sein Blick
war nichts, dem sie gewachsen war. „Ich war ganz alleine da, habe mich ganz
alleine zwischen den Felsen-“
„hör
auf!“, entkam es ihr atemloser, denn… es in Worte zu fassen, machte es nur
eigenartig real. Sie hatte das Gefühl, als wurde ihr schwindeliger. Dann atmete
er zornig aus.
„Meinetwegen,
Weasley“, sagte er rau. „Meinetwegen nehme ich die Schuld auf mich. Meinetwegen
war es mein Fehler allein.“ Aber es störte sie, dass er es auf seine Kappe
nehmen wollte. Dass er… der gequälte Märtyrer war.
„Oh
bitte“, entfuhr es ihr dann, „das war nicht nur dein Fehler. Aber mit ihr am
selben Abend Sex zu haben, das war dein Fehler.“ Und kurz blinzelte er. Ja, sie
wusste Sachen. Sein Blick war unbezahlbar. Sie sah, dass er hin und her
gerissen war. Er war kurz davor, sie anzuschreien, es abzustreiten, bevor er nachgab.
„Ich
hatte Angst“, sagte er dann. Ganz einfach, ganz offen. Aber sie verstand nicht.
„Vor
was genau?“ Denn es interessierte sie mehr oder weniger, auch wenn sie es gar
nicht hören wollte. Und diesmal lachte er trocken auf.
„Vor
was? Dass du… es ihr sagst, dass du…- ich meine, du bist weggelaufen! Was
sollte ich, Salazar noch mal, denken?“
„Du
dachtest, ich renne zu Dom? Ernsthaft?“ Sie konnte nicht fassen, dass er das
gedacht hätte. Aber es zeigte einfach, wie schlecht er sie kannte! Und das war
nicht verwunderlich, denn sie kannten sich auch nicht. Sie hasste sich selber.
Wieso ihn? Wieso ausgerechnet ihn?!
„Ja!
Oder… zu deinem Vater, oder-“ Ihr wurde übergangslos schlecht.
„-bist
du völlig wahnsinnig? Denkst du, das ist das erste, was ich ausgerechnet meinem
Vater erzählen will? Der würde kein Wort mehr mit mir reden!“, entfuhr es ihr
so schockiert, dass ihr sein verletzter Blick beinahe entging.
„Weil
ich ein Malfoy bin“, schloss er fast lauernd, aber sie begriff nicht schnell
genug.
„Ja!“,
entkam es ihr fast als ungläubige Frage, und kaum hatte sie es gesagt, bereute
sie es. Ihr Blick fiel. Es war so unnötig kompliziert. „Nein“, rang sie sich
schließlich ab. „Ich…“
„Schon
ok“, räumte er achselzuckend ein.
„Das…
das ist überhaupt nicht der Punkt!“, entrüstete sie sich aufgebracht. „Tut mir
leid, dass mein Dad dich nicht leiden kann. Aber weißt du was, das muss er ja
auch gar nicht! Punkt ist, dass ich es garantiert niemandem erzählt hätte! Es
ist nichts, worauf ich stolz bin. Ehrlich gesagt, habe ich Albträume, seitdem
es passiert ist. Es belastet mich so sehr, dass ich am liebsten einen
Vergessenszauber benutzen würde, aber ich bin leider zu dumm dafür. Das wäre
das einzige, worum ich Hugo in Bezug auf diese Sache bitten würde.“ Sie hatte
viele Worte gesagt. Unnötige Worte. Sie hatte nicht gewusst, dass sie ehrlich
das Bedürfnis hatte, sich Luft zu machen. Schließlich nickte er.
„Hugo
mag mich nicht. Und… diese Sache – dieser… Kuss – wäre ein Mittel, mich…
loszuwerden“, schloss er stiller. Sie runzelte die Stirn. Es klang ein wenig zu
dramatisch, oder nicht? Ihr Herz hatte einen bösen Satz gemacht, als er das
Wort ‚Kuss‘ tatsächlich benutzt hatte. Vor allem glaubte sie kaum, dass Hugo
ein Interesse daran hatte. Ihm musste ihre gerunzelte Stirn aufgefallen sein.
„Ja, ich bin selber schuld, ich weiß!“, deutete er zornig ihren Blick. „Und ich
weiß, du musst mir nicht helfen. Wahrscheinlich wäre es dir ohnehin recht, mich
loszuwerden aus eurer… Gruppe“, schloss er bitter. Fast lachte sie auf.
„Dich
loswerden? Und wie soll das passieren? Dom findet es raus, trennt sich von dir,
und dann?“, zeigte sie ihm verständnislos auf. „Alby wäre es egal. Eigentlich
allen wäre es egal, außer vielleicht Louis. Und Onkel Bill“, ergänzte sie mit
Bedacht. Aber sein Blick war… sie konnte es nicht benennen.
„Albus
wäre es nicht egal“, sagte er schließlich, und das schien ihn tatsächlich zu
belasten.
„Ich
glaube, du unterschätzt, wie egal Dom ihm wirklich ist“, widersprach sie ihm
behutsam, und erkannte in derselben Sekunde, dass er das gar nicht gemeint
hatte.
„Ich
spreche nicht von Dominique“, machte er es deutlicher, und Röte stieg in ihre
Wangen. Oh nein!
„Du
nicht auch“, knurrte sie jetzt. „Es reicht damit!“, entfuhr es ihr peinlich
berührt, und sie wollte es nicht mehr hören! Konnte damit nicht umgehen, und
wollte es nicht wissen!
„Was
ich meine, ist-“
„-ich
weiß, was du meinst, Merlin noch mal!“, schnitt sie ihm mit zorniger Stimme die
Worte ab. Ihre Worte schienen in der Stille nachzuhallen, oder es kam zumindest
ihr so vor. Diese Andeutungen! Sie hasste es, wenn Rumer es ihr sagte – und sie
musste es nicht auch noch von Scorpius hören!
„Mich
loszuwerden ist einfacher als du denkst“, schloss er schließlich, grimmiger als
zuvor.
„Wieso
hast du es dann überhaupt gemacht?“, wollte sie gereizt wissen, und er hob eine
Augenbraue. Und sie wollte es gar nicht wissen! Sie hatte wieder mal dumme
Worte laut gesagt.
„Ich
weiß es nicht, ok? Glaub bloß nicht, dass ich so was geplant hatte!“, entkam es
ihm eilig. Wieder wurde sie rot. „Ich – keine Ahnung! Es war ein scheiß
Fehler.“ Es belastete ihn. Sie fragte sich unwillkürlich, ob es ihn mehr
belastete als sie. Sie wäre nicht loszuwerden, dachte sie mit seinen Worten.
Sie wäre immer eine Weasley, egal, welche dumme Entscheidung sie traf. Und sie
seufzte auf. Sie war eine Gryffindor. Und Menschen leiden zu sehen, ging ihr
gegen den Strich. Selbst wenn es ein dummer, arroganter Slytherin war. Selbst
wenn es eine Sache war, die über ihre Kompetenzen hinausging. Ganz einfach,
weil sie überhaupt keine Erfahrung hatte!
„Du
magst Dom“, fasste sie seine Misere zusammen. Sein Blick hob sich gequält.
„Ich
liebe sie“, korrigierte er sie still. „Aber… hätte ich es ihr gesagt, dann… sie
hätte es mich nicht erklären lassen.“ Und Rose verstand. Nein, Dom hielt nichts
von Worten, von Erklärungen, von Entschuldigungen. Es wäre das Aus gewesen. Und
nur, weil Rose beteiligt gewesen war, glaubte sie, dass Scorpius ein Fehler
passiert war, wie ihr auch ein Fehler passiert war. Sie hatten niemandem wehtun
wollen. Sie waren einfach… dumm gewesen. „Und… ich habe nicht mit ihr
geschlafen, weil… ich so was tue. Weil ich… Mädchen küsse und mit anderen
schlafe – so bin ich nicht!“, versicherte er ihr scheinbar aus einer
Erklärungsnot heraus, die sie in keinster Weise beschwört hatte.
„Dann
glaube mir, wenn ich dir sage, dass Hugo kein Interesse daran hat, mehr Kontakt
mit der Familie als nötig zu haben. Wahrscheinlich will er verhindern, dass ich
Kontakt mit dir habe, und glaub mir, daran habe ich auch kein Interesse! Also…“
Sie dachte kurz nach, während sie seinen Blick auf sich spürte. „Wenn Hugo
tatsächlich… irgendwas sagen sollte, dann… dann streite ich es einfach ab“,
schloss sie, ohne ihn anzusehen.
„Du
streitest es ab?“, wiederholte er ungläubig. Sie zuckte die Achseln.
„Warum
nicht? Es würde doch sowieso keiner glauben“, entfuhr es ihr etwas unbedacht,
mit gewissem Trotz. Seine Stirn runzelte sich.
„Was
hätte Hugo für eine Motivation, so eine Lüge zu erfinden?“, wollte er nicht
überzeugt wissen, aber sie zuckte die Achseln.
„Was
weiß ich? Und zu deinem Glück, können die übrigen Weasleys Hugo auch nicht
sonderlich leiden. Ob sie ihm überhaupt zuhören würden, wäre also fraglich.“ Es
war harsch, so über ihren Bruder zu reden, aber es tat gut, eine Art
Schlachtplan zu haben. Irgendeine Lösung, auch wenn es, mit aller
Wahrscheinlichkeit, die falsche Entscheidung war. Das nagende Gewissen sagte
ihr, dass es vielleicht nicht ganz Gryffindor war, die Wahrheit zu verbergen.
Aber vielleicht musste man in gewissen Fällen, die Wahrheit beugen? Zum
größeren Wohl?
„Könntest
du das?“, fragte er, ganz Slytherin. Natürlich zog er die Lüge vor. Es wunderte
sie nicht. Überhaupt nicht. Aber er wirkte nicht sonderlich überzeugt.
„Was?
Lügen? Ich denke schon“, entkam es ihr spöttisch.
„Wirklich? Wenn Dominique dich fragt, unter Tränen, mit… mit diesem Blick – ob
du mich im Urlaub geküsst hättest, obwohl du wüsstest, wie weh du ihr mit einer
Lüge tust – dann würdest du lügen?“ Er war dramatisch. Er unterschätzte ihren
eigenen Überlebensinstinkt. Denn ja, Dom konnte überzeugend sein. Sie konnte
die Jungfrau in Nöten hervorragend spielen, aber… das Nachspiel wäre grausam.
Denn nur zu schnell würde ihre verwundbare Fassade fallen, und Rose wusste,
dass ihre Cousine erbarmungslos sein konnte.
„Ja.
Wenn wir vierzig wären, dann würde ich es ihr sagen“, erwiderte sie nickend.
„Vielleicht.“
„Und
damit könntest du leben?“ Er trieb es auf die Spitze fand sie, und tatsächlich
spürte sie, wie sich ihre Mundwinkel hoben.
„Was?
Zu verheimlichen, dass ich den großen Scorpius Malfoy geküsst habe? Ja, es ist
ein großes Opfer, aber… ich werde es überleben“, schloss sie, und musste fast
lachen. Und es war, als löse sich die angespannte Stimmung mit einem Mal. Sie
konnte regelrecht sehen, wie sich seine Schultern entspannten.
„Es
wäre unser Geheimnis. Für immer“, sagte er warnend. „Es würde uns für immer
verbinden. Auch wenn wir vierzig sind, und ich Dominique geheiratet habe“, malte
er ein hartes Bild für die Zukunft. Rose verzog den Mund.
„Es
wäre mein Hochzeitsgeschenk für euch“, entgegnete sie kopfschüttelnd. „Du
willst sie heiraten?“, wollte sie dann ein wenig angewidert wissen, und diesmal
lachte er. Es klang… eigenartig. Sie hatte es noch nie gehört.
„Schön,
wie du deine eigene Cousine leiden kannst“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und
Rose hob die Hände.
„Ich…
mag sie. Wirklich“, beteuerte sie halbherzig. „Aber… sie ist… anstrengend“, entkam
es ihr vorsichtig, und er musste grinsen. Und es war ihr so fremd. Und zu
denken, dass in ihrem Alter bereits jemand davon sprach, wen zu heiraten – es
war etwas, was sie nur Dom und Vic zutrauen konnte, nahm sie an. Sie war so
weit davon entfernt, überhaupt nur die Aussicht auf einen festen Freund zu
haben, dass ihr seine Worte Angst einjagten.
„Ja.
Aber ich mag die Anstrengung. Es ist der Weasley-Charme“, ergänzte er mit einem
schiefen Lächeln.
„Ah
ja…“, entkam es ihr stirnrunzelnd. „Ich denke, wir werden nicht viel
voneinander sehen, wenn Hogwarts vorbei ist“, vermutete sie dann. Sie hatte
schon jetzt nicht viel mit Vic und Dom zu tun. Und sie glaubte nicht, dass es
sich groß ändern würde, sollten sie Hogwarts verlassen haben. Sie waren auf verschiedenen
Wellenlängen.
„Das
stimmt nicht“, sagte er fast sanft. „Ihr seht euch immer. Zu den Feiertagen, zu
den Ferien, jedes andere Wochenende. Ihr… seid eine richtige Familie.“ Sie sah
ihn an. Erst jetzt schien er zu begreifen, was er gesagt hatte. „Ich meine… ihr
seid eine Front. Ihr haltet zusammen, und… das ist… beeindruckend.“ Sie seufzte
auf.
„Ich
könnte ab und an mal auf die Familie verzichten. Ohne Probleme“, gestand sie
stiller ein. Er runzelte die Stirn.
„Ich
glaube dir nicht“, sagte er schlicht.
„Es…
ist anstrengend“, entfuhr es ihr ohne Bedacht. „Seine… Rolle zu spielen“,
ergänzte sie, ein wenig nachdenklich. Aber er ging auf ihre Worte ein.
„Ach ja? Und welche Rolle spielst du, Rose Weasley?“ Er klang belustigt. Kurz
dachte sie nach und vergaß beinahe, dass er vor ihr stand.
„Eine…
unwichtige Nebenrolle. Keine Potter, nicht wunderhübsch, nicht superschlau“,
entkam es ihr fast tonlos. Und beschämt fiel ihr Blick, denn es waren Worte,
die garantiert nicht für seine Ohren – oder irgendwelche Ohren – bestimmt
waren. Sie sah seinen Blick nicht, aber sie spürte ihn deutlich. „Vergiss es“,
wiegelte sie unwirsch ihre Worte ab. Sie konnte nicht fassen, dass sie ihm das
gesagt hatte.
Das
Unterholz brach, und schwere Schritte kamen näher.
„Das
nächste Mal, lasse ich euch einfach den Sand auf dem Quidditchfeld harken“,
beschwerte sich Professor Longbottom kopfschüttelnd. Sie sagte gar nichts mehr.
„Ab ins Schloss mit euch. Es ist gleich zehn“, entfuhr es ihm mahnend, und er
trieb sie voran, den Zauberstab hoch über ihre Köpfe gerichtet. „Irgendwas
vorgefallen?“, erkundigte er sich knapp, und Scorpius schüttelte den Kopf.
„Gar
nichts, Sir“, erwiderte er neutral. Es war eine Menge vorgefallen. Sie konnte
nicht erwarten, von ihm wegzukommen. Es war unangenehm gewesen, wie einfach es
war, mit ihm zu reden. Und sie glaubte ihm, dass er ihre Cousine liebte. Und
noch viel mehr glaubte sie, dass ihnen einfach ein Fehler passiert war, über
den man nie wieder reden müsste. Sie hatte ihm viel zu viel gesagt. Er wusste
jetzt mehr, als Alby über sie wusste. Und das durfte eigentlich nicht sein.
Sie
musste wieder ihre Rolle spielen. Musste sich mit Lautstärke und Kraft
gegenüber ihren hübschen, zierlichen Cousinen beweisen, und mit
Gleichgültigkeit wettmachen, was ihr an Hirnmasse fehlte.
Das
war ihr Job. Und jetzt musste sie noch eine kleine Lüge für sich behalten. Wie
schwer könnte das sein? Nicht wirklich schwer, nahm sie an, da sie sowieso nie
über ihre Gefühle sprach.
Keine
große Sache.
Er
hatte sie aus den Augenwinkeln bemerkt, lange bevor sie den Weg zu ihm gemacht
hatte. Aus Trotz und mäßiger Berechnung, schrieb er allerdings unbeirrt weiter,
notierte sich alle Details aus der Unterrichtsstunde sauber und ordentlich auf
seine Karteikarten.
„Hey“,
machte sie leise auf sich aufmerksam und betont langsam hob sich sein Blick,
glitt über ihre bloßen Oberschenkel, über den Rock in den rotgoldenen Farben,
hoch über die Bluse, wo er die Wölbung ihrer Brüste ignorierte, bis er ihr
Gesicht erreichte. Hübsch und hell, während ihn ihre grünen Augen versöhnlich
betrachteten. „Ich könnte Hilfe brauchen“, flüsterte Rumer mit fragender
Vorsicht, und Hugo hatte nie sonderlich viel Kontakt mit ihr gehabt. Außerhalb
der Schule sah er sie nur, wenn sie alle paar Wochenenden zu ihnen nach Hause
kam, und dann begnügte er sich damit, ihre Stimme dumpf durch die Zimmerwand zu
vernehmen. Er hob die Augenbraue.
„Wobei?“,
wollte er ohne jede Begrüßung wissen, obwohl er ihre Aufmerksamkeit wirklich
nicht gewöhnt war.
„Arithmantik“,
räumte sie ein. „Ich weiß, du belegst den Kurs ebenfalls?“, ergänzte sie.
„Hättest du Zeit für Nachhilfe? Ich würde dich natürlich bezahlen“, fuhr sie
eilig fort. Er betrachtete sie. Er sah sie häufig an, aber nicht aus dieser
Nähe.
„Ich
nehme an, James ist keine große Hilfe?“, vermutete er schlicht, denn er hatte
die neueste Entwicklung schon bemerkt, und wenn er ehrlich war, hätte er
geglaubt, Rumer benötigte seine Hilfe, damit Rose wieder mit ihr sprach. Denn
auch diese Distanz war ihm aufgefallen. Rumer verdrehte die Augen.
„Ich
habe ihn ehrlich gesagt nicht gefragt, Hugh“, benutzte sie den Spitznamen, den
sie von Rose gehört haben musste. Er mochte ihn nicht sonderlich, aber aus
Rumers Mund… war er zu ertragen. Und fast war es lustig, dass sie sich nicht
mal die Mühe machte, ihren neuen Freund um Hilfe zu bitten, sondern direkt zu
ihm kam.
„Gold
brauche ich nicht. Samstags ok?“, vergewisserte er sich kurz angebunden, denn
auf keinen Fall wollte er aufgeregt oder begeistert klingen. Er wusste, Rumer
betrachtete ihn als eine Art Bruder, als… kleinen Jungen. Der er nicht war. Und
der er in ihren Augen auch nicht sein wollte. Er wusste, dass er überhaupt in
Konkurrenz zu James stehen konnte, war… mehr als gering. Schwindend gering,
wenn überhaupt existent. Aber… hier war seine Chance. Bei dem einzigen Mädchen,
dessen Aufmerksamkeit er nicht gleichmütig abtun wollte. Aber es war sei
Geheimnis. Eines von vielen, aber eines, was er lieber für sich behalten würde.
„Perfekt“,
erwiderte sie und schenkte ihm ein Lächeln. Sie war wirklich hübsch. „Zehn Uhr,
nach dem Frühstück? Ravenclawgemeinschaftsraum?“, schlug sie lächelnd vor, und
er schürzte die Lippen.
„Wenn
du das Passwort erraten kannst“, bemerkte er spöttisch, aber sie winkte ab.
„Ich
habe Probleme mit der komplexen magischen Zahlzuordnung, ansonsten bin ich
Vertrauensschülerin, aber danke für deine Fürsorge“, entgegnete sie, und ihre
Worte waren frech. Er nickte wohlwollend.
„Dann
bis Samstag“, verabschiedete er sich von ihr, und ihr Zopf flog elegant über
ihre Schulter, als sie sich zwinkernd von ihm abgewandt hatte. Er wusste, er
wurde ausgenutzt für seinen Verstand, aber es machte ihm nicht viel aus. Nicht
bei der Aussicht, Rumer MacLeod Nachhilfe zu geben.
Nur
hatte er nicht wirklich Ahnung, wie er diese Nachhilfe zu seinem Vorteil nutzen
konnte. Wie er sie dazu bringen konnte, zu sehen, dass er die bessere Wahl war,
als… James Potter.
„Was
wollte sie?“ Lorcan kam mit einem schweren Buch zurück und setzte sich an
seinen Platz neben ihm zurück. Er schob die Brille seinen Nasenrücken empor,
aber sie rutschte sowieso wieder runter. Seine feinen, hellblonden Haare hatten
die Angewohnheit, sich vor allem in der Bibliothek statisch aufzuladen.
„Nachhilfe“,
bemerkte Hugo, ohne den Blick zu heben.
„Muss
ja wirklich nett sein, superschlau zu sein“, erwiderte Lorcan still, mit einem
mehr als spöttischen Lächeln auf den Lippen. Lorcan Scamander war ein Jahr
jünger als Hugo, hatte aber bereits in der ersten Klasse ein Jahr übersprungen
und würde höchstwahrscheinlich sein fünftes Jahr ebenfalls noch überspringen.
McGonagall hatte ihn noch zurückgehalten, einfach weil er so jung war, und
Hogwarts nicht mit fünfzehn Jahren beenden sollte. Aber wenn jemand superschlau
war, dann war es wohl Lorcan und nicht er selbst.
„Hat
seine Vorteile“, murmelte Hugo, und seine Mundwinkel zuckten.
„Hat
es nicht“, gab Lorcan ebenfalls lächelnd zurück, während er wesentlich eifriger
und effektiver seine Karteikarten füllte, als Hugo. Und Hugo wusste, Lorcan
interessierte sich nicht für Mädchen. Er interessierte sich für Jungen. Und für
einen Jungen besonders, aber es war vergebene Mühe, da dieser Junge ziemlich
offensichtlich mit seiner Cousine Dominique zusammen war. Lorcan war ziemlich
aufgeklärt über seine Sexualität und machte keinen Hehl daraus – wenn man ihn
denn fragte, was Hugo nie getan hatte. Allerdings hatte Lorcan es ihm früh in
ihrer Freundschaft gestanden, um unangenehme Fragen direkt aus dem Weg zu
räumen. Es war einigermaßen rücksichtsvoll, nahm Hugo an. Aber er war nicht
engstirnig oder vorurteilsbelastet – wie auch? Das konnte er sich mit seinem
Namen und seiner Geschichte wohl kaum leisten.
Allerdings
wusste Sutter nichts von Lorcans Orientierung, was wohl auch besser war.
Lorcans Zwilling Lysander war weder superschlau, noch homosexuell. Zwar
ähnelten sich die Brüder wie ein Ei dem anderen, aber innerlich konnten sie
nicht verschiedener sein. Seltsam, wie es manchmal war.
Lorcan
war Hugos einziger Freund in Ravenclaw. Ob er sein bester war, wusste Hugo
nicht. Sie lernten zusammen, aßen zusammen, sprachen in ihrer Freizeit, aber
Hugo hatte ihn noch nicht zu sich nach Hause eingeladen, genauso wenig wie
Lorcan jemals eine Einladung ausgesprochen hatte.
Sie verstanden sich in der Schule gut, und das reichte aus. Ihm zumindest. Er
hatte ständig genug Leute um sich herum. Seine Familie war unerträglich groß
und unerträglich laut.
„Sie
ist Roses Freundin?“, erkundigte sich Lorcan bei ihm, ohne aufzusehen, und Hugo
legte die Feder beiseite, um das Geschriebene zu überprüfen.
„Bisher,
ja“, erwiderte Hugo bloß. „Sie ist mit James zusammen“, ergänzte er dann.
Lorcan unterdrückte ein trockenes Lachen.
„Na
dann“, bemerkte er bloß. Manchmal wollte Hugo ihn fragen, was Scorpius Malfoy
an sich hatte, und warum Lorcan nicht eher jemanden wie James oder Albus
bevorzugte, aber dann wiederum interessierte es ihn auch nicht allzu sehr. Vor
allem hatte er kein Interesse, mehr als nötig über Scorpius zu erfahren. Es
reichte ihm, was er im Sommer gesehen hatte, und er hatte die große Sorge, dass
daraus mehr werden würde. Unnötig mehr. Seine Schwester war eher der
mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Typ. Garantiert nicht die Sorte Mädchen, die man
selbstvergessen, engumschlugen in promiskuitiven Situationen gegen Wände
gepresst fand. Deshalb war es so verstörend gewesen, und deshalb war Hugo
überstürzt geflohen, anstatt Scorpius Malfoy von seiner Schwester wegzuziehen
und ihm ins Gesicht zu schlagen – was er hätte tun sollen! Aus mehreren Gründen!
Er
kannte nicht, dass seine Schwester sich mit Jungen abgab – auf diese Weise. Er
war davon ausgegangen, dass Rose kein Interesse an Jungen hatte, oder er hatte
es gehofft. Und auch aus sehr selbstsüchtigen Gründen fand er eine Verbindung
zu Scorpius Malfoy unpassend. Denn sein Vater war nicht gut auf die Malfoys zu
sprechen, und auch die MacLeods waren keine wöchentlichen Gäste im Haus ihrer
Eltern, denn zumindest mit Rumers Mutter verstanden sich weder seine Mum, noch
sein Dad. Aber wenn Hugo eine Zukunft plante, die unter Umständen Rumer
beinhielt, dann wäre es absolut ungünstig, wenn Rose zu allem Übel auch noch
Scorpius Malfoy nach Hause brachte.
Es
machte den Anschein, als wollten er und seine Schwester ihren Eltern sehr
schnell viele graue Haare bereiten. Natürlich war nichts in Stein gemeißelt.
Rumer
war mit James zusammen und Scorpius anscheinend mit Dominique. Vielleicht die
bessere Wahl, die offensichtlichere Wahl. Und Hugo wäre bereit, den Zorn seiner
Schwester auf sich zu ziehen, obwohl er annahm, dass sie ihn in einer
Auseinandersetzung durchaus besiegen könnte. Er würde ganz einfach Albus von
der Verbindung mit Scorpius erzählen, denn auch Albus schien es auf eine sehr
ungesunde Art auf Rose abgesehen zu haben.
Es
war Hugo schon vor fünf Jahren aufgefallen. Nicht, dass er sich damals einen
großen Reim darauf gemacht hatte, aber mit den Jahren war es offensichtlicher
geworden. Für ihn. Er wusste nicht, ob Rose es wusste. Aber er war sich sicher,
würde er Albus von diesem Kuss erzählen – er würde ausrasten vor Eifersucht und
Scorpius im Idealfall umbringen. Es waren düstere Gedanken. Und wahrscheinlich
waren sie übertrieben. Und er sollte die angehende Inzest seines Cousins nicht
zu seinem Vorteil ausnutzen, aber… Hugo war auch nur ein Mensch. Ein kluger
Mensch, aber auch kluge Menschen hatten dumme Bedürfnisse.
„Das
willst du doch wohl nicht so stehen lassen?“, unterbrach Lorcan scharf seine
Gedanken, während er seine Karteikarte zur Kontrolle las. Hugos Blick fiel. Er
fand sie ausreichend, aber Lorcans gehobene Augenbrauen, ließen ihn die Augen
verdrehen und er zerriss das harte Pergament.
„Natürlich
nicht“, gab er gereizt zurück und zermarterte sich das Hirn nach treffenderen
Worten. Er ließ sich zu leicht ablenken. Deswegen würde Lorcan ihn noch
überholen, nahm er an. Vielleicht bestand die Gefahr, dass Lorcan ihm doch noch
das Schulsprecheramt streitig machte. Das durfte nicht passieren! Hugo zwang
die trivialen Gedanken aus seinem Kopf. Zeit, den Verstand wieder
einzuschalten.
Er
lag auf dem kühlen Stein der Hofbank. Sie war noch eine Idee feucht, aber es
störte ihn nicht wirklich. „Was wollen wir machen?“, fragte er gelangweilt.
„Wir
könnten trainieren?“ Er hatte das Gefühl, er und Fred waren übrig geblieben. Albus
verzog den Mund.
„Zu
zweit?“, erkundigte er sich bitter, und Freds Schultern sanken.
„Wir...
könnten Louis nerven?“, kam der nächste Vorschlag, und obwohl es nach Spaß
klang, Chaos im Gewächshaus zu veranstalten, wo ihr Cousin gerade seine Freizeit
verbrachte, um Extrapunkte in Kräuterkunde zu sammeln, fehlte Albus die rechte
Lust. James war irgendwo mit Rumer, versuchte wahrscheinlich, ihr Höschen
auszuziehen, und Scorpius tat dasselbe mit Dominique. Und er nahm an, Fred
fühlte sich ähnlich vernachlässigt, wie Albus es tat. Er war von Scor nichts
anderes gewöhnt, musste er doch schon seit Monaten mit dieser Beziehung leben.
Aber bisher war zumindest auf James Verlass gewesen. Aber jetzt, wo Rumer ihn
hatte, würde sie ihn garantiert erstmal unter Verschlag halten. Schlecht
gelaunt setzte sich Albus auf.
„Wo
bleibt Rose?“, entfuhr es ihm, während er missmutig die schweren Eingangstüren
des Schlosses fixierte, als könne er Rose mit Geisteskraft bewegen,
rauszukommen.
„Zu
dritt könnten wir spielen?“, bemerkte Fred hoffnungsvoll, und tatsächlich war
Quidditch wohl die einzige vernünftige Alternative.
„Hm“,
machte Albus unverbindlich.
„Ich
hasse das“, murrte Fred. „Wieso kann James nicht einen Monat ohne ein Mädchen
auskommen, Merlin noch mal“, knurrte er schließlich und trat lustlos gegen die
Bank.
„Du
bist nur neidisch, weil du kein Mädchen hast“, entgegnete Albus spöttisch.
„Fick dich! Bin ich nicht!“, entfuhr es Fred zornig, aber sein Zorn war
durchschaubar.
„Frag
einfach eine, Salazar noch mal“, bemerkte Albus achselzuckend.
„Ich
will keine fragen. Darum geht es nicht“, beharrte Fred wütend, und Albus nahm
an, er würde jetzt rot werden, wäre seine Haut nicht so dunkel.
„Hast
du Angst?“ Albus hatte keine Angst, diese Fragen zu stellen, und Freds Blick
war mittlerweile so zornig, dass Albus ernsthaft glaubte, sich gleich in eine
Prügelei mit seinem Cousin zu verwickeln.
„Wieso
hältst du nicht einfach deinen Mund, Al?“, wollte Fred ernsthaft sauer wissen.
„Hey
– ich rege mich nicht darüber auf, dass mein bester Freund sich um seine
sexuellen Zwänge kümmert, Mann!“
„Du
bist ekelhaft“, entfuhr es Fred zischend.
„Du
bist so eine Jungfrau“, bemerkte Albus grinsend, und Fred schloss den Abstand. Bevor
Albus vorsintflutlich aufstehen konnte, um den kommenden Schlag abzuwehren,
schob sich das Schlosstor auf und sie trat nach draußen. Die Haare lockig und
wild, ein Lächeln auf den Lippen, und er vergaß jeden Konflikt, alle bösen
Worte und ignorierte Fred praktisch sofort. Freds Faust sank ebenfalls, und vor
Rose wollte er sich scheinbar nicht die Blöße geben.
„Na?“,
begrüßte Albus sie feixend. „Fertig gelernt, Streberin?“, erkundigte er sich,
und er konnte nicht anders, als sie anzulächeln. Sie erwiderte das Lächeln
scheu, mied seinen Blick wie so häufig, aber sie nickte schließlich.
„Was
tut man nicht alles, um nicht durchzufallen. Vielleicht solltest du dieses neue
Konzept auch mal ausprobieren, Alby?“ Er mochte es, wie sie seinen Namen sagte.
„Lernen?“,
wiederholte er ein wenig angeekelt. „Niemals. Bevor der Tag kommt, müssen sie
mir meinen freien Willen und jede Lebenslust nehmen“, behauptete er, dabei
hatte sie nicht unrecht. Ein paar Stunden mit seinen Büchern, würden definitiv
nicht schaden.
„Also?“,
wollte sie wissen. „Trainieren wir, oder was?“ Es lockte die Herausforderung in
ihrer melodischen Stimme, und er war dabei. Und wenn sie in Hagrids alte Hütte
einbrechen wollte – er wäre dabei. Es wäre egal.
„Ja“,
antwortete Fred dankbar.
„James
wird wiederkommen“, versprach ihm Rose zwinkernd. „Spätestens in zwei Wochen“,
schloss sie. Fred zuckte die Achseln.
„Mir
egal“, log er bloß, und Rose legte grinsend den Arm um Freds Schulter. Albus
beobachtete sie dabei, ohne dass es ihm selbst groß auffiel.
„Genug
geschmollt“, kürzte er die Gefühlsduselei ab. „Lasst uns fliegen!“
„Könnt
ihr noch einen vierten Mann gebrauchen?“ Er wandte den Blick, nur um Presley zu
erkennen, der ebenfalls das Schloss verließ. Albus fühlte die knappe
Enttäuschung, aber er verbarg sie gekonnt.
„Immer,
Pres“, bestätigte er bloß.
„Super“,
erwiderte ihr Kapitän lächelnd, und er kam näher. „Hey, ich hab dich oben
gesehen. Hast du dich verlaufen oder warst du mit Absicht in der Bibliothek?“,
fragte er Rose direkt, und Albus zog die Stirn in Falten. Er hatte sie zufällig
dort gesehen? Er glaubte Presley nicht. Und ihm gefiel es nicht, wie er mit
Rose sprach. Vielleicht war es nicht gut, wenn sich die Teams vermischten.
Zumindest nicht, wenn die Kapitäne aus fremden Teams dabei waren. Seine Wut war
unsachlich, er wusste das. Aber es gefiel ihm nicht.
Aus
was für Gründen auch immer.
„Ha
ha. Nein, das war Absicht, Presley“, entgegnete Rose schnippisch. Albus
beobachtete sie wieder, und wie selbstverständlich hatte sich Presley
vorgedrängt und lief neben Rose, er und Fred hinterher. Sofort schloss er auf
an ihre andere Seite.
„Ich
nehme an, sie will die Klügste werden, damit sie sich nicht mehr mit uns
abgeben muss“, sagte er laut, und Rose musste lachen. Er mochte, wenn er sie
zum Lachen brachte. Es beruhigte ihn innerlich.
„Du
bist ein Idiot“, bemerkte sie kopfschüttelnd in seine Richtung, stieß ihn in
die Seite, und er musste breiter grinsen und legte den Arm um ihre Schulter. Er
sah ihr schmales Lächeln, und kurz presste er sie an sich, nur um die
vertrauensvolle Geste wieder zu lösen und direkt ihre Seite zu kitzeln. Sie
lief ein paar Schritte vor, um ihm zu entgehen und schenkte ihm ein
Kopfschütteln.
Er
spürte Freds Blick, selbst durch seinen Hinterkopf. Und mit dem Hochgefühl, was
er bekam, immer wenn Rose in der Nähe war, überkam ihn Übelkeit. Wilde,
mächtige Übelkeit, die nur die Blicke seiner Cousins auslösen konnten.
Er
vergrub die Hände in den Taschen seiner Trainingshose und verdrängte alle
Übelkeit. Er verdrängte alles. Das konnte er gut.
„Wo
ist Rumer?“, wollte Presley wissen, der sich Freds Blick nicht so gewahr war,
wie Albus. Aber Rose zuckte nur die Achseln, als wisse sie es nicht oder als
interessiere sie es nicht.
„Irgendwo
mit James“, bemerkte Fred missgelaunt hinter ihnen, und lächelnd wandte sich
Presley an ihren hochgewachsenen, dunklen Cousin, mit sanfterem Verständnis im
Blick.
„Gönn
ihm den Spaß, Weasley“, sagte Presley achselzuckend. Fred ruckte mit dem Kopf.
Presley ging Dinge anders an als er. Nicht direkt. Eher… subtil. „Wie wäre es,
wenn wir Teams bilden? Gemischt? Potter, du kannst mit deinem Cousin spielen,
und ich spiele mit dem begabten Schatten aus Gryffindor?“
Rose
fühlte sich offensichtlich geschmeichelt, während Albus‘ Zähne kurz aufeinander
mahlten. Sehr subtil. Wirklich.
„Ok“,
sagte er schlicht. Presley war arrogant. Und Rose sah es nicht mal, unschuldig,
wie sie war. Albus‘ Blick fiel auf den feuchten Boden, und still überwanden sie
den Weg zum Quidditchfeld. Presley sprach unentwegt mit Rose über belanglose
Kleinigkeiten, irgendwelche Ergebnisse von irgendwelchen langweiligen
regionalen Teams, und er war zurückgefallen, ging gleichauf mit Fred, und
lästigerweise spürte er immer noch Freds Blick.
„Siehst
du irgendwas Spannendes?“, knurrte er tonlos in seine Richtung, hörte Fred
ausatmen, bevor dieser den Blick wieder nach vorne wandte. Er war sich nicht
sicher, aber dieser Tag war doch sehr schnell anstrengend geworden. Es störte
ihn. Presley störte ihn.
Sie
erreichten das Feld, holten sich die Besen aus dem Zelt, wo sie sie gelagert
hatten, und immerhin regnete es heute nicht. Sie würden nicht bis auf die
Knochen nass sein, heute Abend.
Fred
war zunächst Torhüter, denn… das war es, was er am besten konnte. Auch Presley
nahm diese Rolle ein, und wieder huschte ein Lächeln über Albus‘ Züge, als er
auf gleicher Höhe mit Rose flog. Jetzt bekam er wieder ihre Aufmerksamkeit. Und
ihm war bewusst, dass es krank war, was er tat. Es war ihm verdammt noch mal
bewusst, aber er konnte es nicht ändern, auch wenn er es wollte. Er brauchte
die verdammten Blicke der anderen nicht.
„Zieh
dich warm an“, warnte er sie, aber sie hielt seinem Blick stand.
„Gleichfalls,
Potter“, gab sie frech zurück, und wieder erfüllte ihn das angenehme Kribbeln.
Sie warf den Übungsquaffel hoch in die Luft, und sie sausten in die Höhe.
Ab
dann spielten sie. Er rammte sie öfters als nötig, spielte ein wenig unfair,
nutzte seine körperlichen Stärken aus, aber sobald sie die Positionen
wechselten, bekam er nur zu oft von Presley ebenfalls raue Anrempler zu spüren,
und Rose haute bei nächster Gelegenheit Fred gänzlich vom Besen, was bei seiner
Größe beachtlich war.
Sie
lachten viel, hatten Spaß, vergaßen ihre Cousins und Freunde mit lästigen
Beziehungen, und Albus fühlte sich wieder leichter. Erst als seine Arme lahm
wurden und die Sonne hinter den dunklen Wolken verschwand, landeten sie. Sie
hatten gut drei Stunden hier zugebracht, und es tat gut, sich sportlich zu
betätigen. Es verscheuchte die tristen Gedanken.
Presley
landete neben Rose, wischte sich über das erhitzte Gesicht, und dann hielt er
sie tatsächlich zurück.
„Du
fliegst wirklich gut“, rief er ihr zu, und Rose schien mit dem Kompliment nicht
gut umgehen zu können.
„Äh…
danke?“, gab sie unsicher zurück, und Albus wollte fast lächeln über Presleys
schlechte Versuche.
„Hör
mal, hast du… vielleicht Lust, nächstes Wochenende mit mir nach Hogsmeade zu
kommen? Also… zu zweit?“ Und auch Fred hielt in nächster Nähe inne. Albus‘
Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Rose mied ihre Blicke, fuhr
sich verlegen durch die unordentlichen Locken, und Albus war kurz davor für sie
zu sprechen, diese Verbindung zu verbieten und Presley dahin zurückzuschicken,
wo er verdammt noch mal hergekommen war. Aber etwas in ihm war sehr still
geworden. Kurz flackerte Roses Blick, als wolle sie ihn ansehen, aber… sie tat
es doch nicht.
„Ahem…
ok?“, sagte sie schließlich, tiefe Röte in den Wangen. Ob vor Anstrengung oder
Scham war nicht zu sagen.
„Ok“,
erwiderte Presley zufrieden, und Albus glaubte, diese ganze Show, diese ganze
Freundlichkeit war von Presley nur vorgetäuscht gewesen. Zorn verhärtete Albus‘
Züge, als Presley sich erleichtert an ihn und Fred wandte. „Ich hoffe, die
Familie hat nichts dagegen?“
„Vielleicht
hättest du uns zuerst fragen müssen“, überlegte Fred, aber Albs hörte, er
meinte es nicht ernst.
„Tut
mir leid“, entschuldigte sich Presley auf widerlich unschuldige Art, aber Fred
winkte ab.
„Hey,
vielleicht könntest du unserem Team ein paar Steine aus dem Weg räumen und Al
öfter die Bank drücken lassen?“, schlug Fred grinsend vor, und Presley schien
darüber nachzudenken, bevor er mit Grabesmiene ablehnte.
„Sorry, auf den besten Mann kann ich nicht verzichten“, erklärte er gönnerhaft,
mit fast väterlichem Blick in seine Richtung. Albus wollte ihn schlagen. Fick
dich, Presley Ford, dachte er zornig, aber er sagte gar nichts.
Stumm
brachte er seinen Besen zurück ins Zelt. Die anderen folgten ihm, aber er hatte
keine Lust zu warten.
„Ich
gehe schon mal vor. Muss noch was erledigen“, log er blind, tonlos, ohne Rose
anzusehen.
„Bis
später!“, verabschiedete sich der ahnungslose Presley von ihm, aber Albus
ignorierte seine Worte. Er spürte Roses Blick, aber er hatte keine Lust, zu
reagieren. Scheiße. Er hatte ein scheiß Problem.
Er
musste sich ablenken. Er musste dieses Problem verdrängen.
Sehr
schnell. Irgendwie.
Sie
war nervös. Es war… eine absolute Kurzschlussreaktion gewesen! Hatte Presley
sie wirklich um ein Date gebeten? Sie hatte kaum nachgedacht, hatte einfach
eingewilligt! Einfach, um das furchtbare Gespräch mit Scorpius zu verdrängen,
was sie gehabt hatte. Einfach, um dem schlechten Gefühl zu entgehen, was Alby
mittlerweile in ihr auslöste, wenn er sie ansah, und sie bemerkte, dass der
Blick viel zu intensiv war. Sie saß im Sessel abseits der anderen, und ihre
Gedanken waren wirr.
Scorpius
und Dom saßen zu zweit auf der Couch, genauso ekelhaft glücklich wie immer. Ab
und an traf sie Scorpius‘ Blick, aber sie nahm ihn gar nicht richtig wahr. Sie
dachte an Alby und wie er nach dem Spiel einfach abgehauen war, wie er sie
nicht mehr angesehen hatte!
Als
dürfe sie es nicht! Als dürfe sie nicht Ja zu Presley Ford sagen. Und… durfte
sie es überhaupt? Er war ein Slytherin. Im siebten Jahr. Er war sogar Kapitän
der Mannschaft, Torhüter, gutaussehend – Merlin, sie war überfordert.
Sie
hatte nicht gewusst, dass irgendwer Interesse an ihr hatte, und plötzlich
fragte sie ausgerechnet der schöne Presley Ford? War er nett? War er falsch?
Sie wusste es nicht, dabei kannte sie ihn schon so lange!
Sie
erhob sich unwillkürlich, um in den Schlafsaal zu gehen. James und Rumer machten
sie aus den Augenwinkeln nervös, während sie Händchenhielten und ebenfalls
glücklich waren. Sie sprach noch immer nicht mit ihr, und jetzt gerade bräuchte
sie dringend den Rat ihrer besten Freundin. Nur blöderweise ging es um ein
Thema, weswegen sie überhaupt erst Streit hatten! Rose wollte kein dummes
Mädchen sein. Sie wollte Rumer nicht fragen müssen, was sie anziehen sollte,
was sie für Makeup brauchte und wie man vielleicht doch seine Haare glättete.
Sie wollte sich mit diesen Dingen nicht befassen, und war kurz davor, das Date
wieder abzusagen.
Natürlich
per Eule – denn sie wollte nicht persönlich vor Presleys einnehmender Gestalt
stehen.
Sie
stieg die Stufen empor, und sie hatte ein eigenartiges Gefühl in ihrem Magen.
Kein sonderlich Gutes. Einfach nur ein wildes Gefühl. Sie war nervös.
Aber…
alles war besser, als Scorpius Malfoy. Alles, was sie so weit wie möglich von
der Tatsache entfernte, dass sie Scorpius geküsst hatte – war gut!
Unbewusst
packte sie bereits ihre Tasche, stopfte Bücher und Pergament hinein, und hatte
sich schon damit abgefunden, in die Bibliothek zu gehen.
Das
tat sie jetzt scheinbar. Auch wenn Snape das letzte Mal nicht wieder
aufgetaucht war.
Sie
hatte sich wieder umgedreht, wollte den Schlafsaal verlassen, aber sie erkannte
Rumer in der Tür. Kurz verharrte sie. Anscheinend wollte Rumer ihre Jacke
holen.
Roses
Blick fiel. Merlin, sie war so stur, dass ihr nicht mal ansatzweise einfiel,
wie sie ein Gespräch beginnen sollte. Schon betrat Rumer mit zielstrebigen
Schritten den Schlafsaal, um zu ihrem Bett zu gehen, und sich die
Trainingsjacke zu schnappen. Schon hatte sie sich wieder abgewandt.
„Rumer“,
hielt Rose sie tonlos auf, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. Ohne sich
umzudrehen, hielt Rumer im Türrahmen inne.
„Was?“,
wollte ihre beste Freundin ein wenig gereizt von ihr wissen, und Rose biss sich
auf die Lippe. Und jetzt… jetzt würde Rose nachholen, was sie Rumer nicht hatte
erzählen können. Und sie würde so tun, als wäre das ihr erster Kontakt mit dem
anderen Geschlecht. Sie würde Scorpius einfach verdrängen und aus ihren
Gedanken löschen.
„Presley
hat mich um ein Date gebeten“, fielen die Worte aus ihrem Mund, und Rumer
drehte sich langsam um. Kurz wirkte sie unschlüssig, bevor sich ihre Stirn
runzelte.
„Was?“,
entkam es ihr, als hätte sie nicht richtig gehört.
„Es…
es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Und… Presley hat mich zum
Wochenende um ein Date gebeten!“, sagte sie sehr schnell. Rumers Augen wurden
groß, und es war eine eigenartige Einstimmigkeit, aber kaum machte Rumer den
Mund auf, um zu schreien, schrie Rose mit ihr. Die beiden stürmten aufeinander
zu, schrien noch immer vor Aufregung, und Rumer zog Rose fest in ihre Arme. Die
Tasche rutschte ihre Schulter hinab und Rose erwiderte die Umarmung. Sie hörten
eilige Schritte auf der Treppe.
Ihr
kollektiver Schrei der Freude verebbte, und Lily hielt außer Atem inne.
„Seid
ihr verrückt? Alles ok mit euch?“ Sie wirkte verstört, aber Rumer wandte sich
strahlend um.
„Presley
Ford hat Rosie um ein Date gebeten? Ist das nicht absoluter Wahnsinn?“ Und Rose
spürte die Röte in den Wangen und wollte Rumer schubsen, wegen dem furchtbaren
Spitznamen, aber… sie fühlte ein wenig Stolz in ihrer Brust anschwellen, denn…
es waren gute Neuigkeiten. Viele Mädchen warteten bestimmt nur auf eine solche
Gelegenheit. Und Presley hatte sie gefragt! Rose wusste nicht, wie sich
Verliebtheit anfühlte – aber sie nahm an… vielleicht ungefähr so? Und
gleichzeitig wäre sie gerne cooler. Gleichzeitig wäre sie gerne die alte
Version von sich selbst, die sich nicht den leisesten Dunst um ein Date scheren
könnte. Aber irgendwann in den letzten Wochen war diese Version verpufft.
Tatsächlich
war Lilys Blick eher sparsam.
„Oh…
wirklich?“, wollte Lily ein wenig tonlos wissen, und Rose nickte stumm, mit
heißen Wangen.
„Ja.
Gestern beim… Quidditchspielen“, brachte sie kurzatmig hervor und wurde von
Rumer wieder angequietscht.
„Oh
Merlin! Stell dir vor, wir daten die beiden Kapitäne! Es wäre zu cool!“,
wisperte Rumer mit belegter Stimme, und Rose wollte wirklich nicht so ein
Mädchen sein, aber es war gerade viel zu verlockend, albern zu sein! Und beide
merkten gar nicht, dass Lily wieder verschwunden war, als sie sich zurück in
die Arme fielen, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.
Und
den Rest des Tages verbrachten sie auf Roses Bett, während Rumer ihr im
kleinsten Detail erzählte, wie gut James küssen konnte – und Rose versuchte,
den Ekel zu unterdrücken und freute sich halbherzig für ihre beste Freundin.
Und
Rose musste haarklein erzählen, was Presley wie gesagt hatte.
Rose
konnte sich kaum noch erinnern, und dann plante Rumer ihr Outfit. Denn auf
jeden Fall musste Rose einen Kuss bekommen! Ihren ersten, wie Rumer ergänzte!
Und sie gab Rose jeden möglichen Ratschlag, den es gab, erklärte ihr, was
Zungenküsse waren, und Rose hörte ihr zu und tat so, als hätte sie keine
Ahnung. Und fast glaubte sie es selbst! Fast hatte sie sich überzeugt, dass ihr
Stranderlebnis nur ein Traum war.
Ein
schrecklicher Albtraum, der nun endlich sein Ende fand! Presley Ford wäre der
erste wichtige Junge in ihrem Leben.
***
Verwandlung
mit den Ravenclaws war anstrengend. Nicht nur, weil fast alle fünfzehn Hände
des fremden Hauses eigentlich zu jeder Frage simultan in die Höhe schossen,
während sich die Slytherins nur vereinzelt meldeten, sondern auch, weil es eben
Ravenclaws waren, und seine Aufmerksamkeit auf Hugo Weasley ruhte. Hugos Hand
fand immer den Weg nach oben. Und er war bestimmt schon zwanzig Mal
drangenommen worden. Es war das einzige Fach, was McGonagall selber
unterrichtete, und sie bestand darauf.
Es
war das schwierigste Fach in seinem Stundenplan. Al neben ihm wirkte
unausgeschlafen und abwesend. Auf seine Hände gestützt starrte sein Kopf blind
nach vorne, ohne wirklich wahrzunehmen, was er sah, nahm Scorpius an.
Und
er glaubte, es hatte mit Presley zu tun. Mit was sonst?
Ehrlich
gesagt, wusste er nicht, was sich Al daraus machte. Ob er vorhatte… aktiv zu
werden. Wie auch immer das aussehen sollte.
Scorpius
wusste nicht, ob es klug war, dass Rose mit Presley ausging, allerding aus
völlig anderen Gründen. Er war der Kapitän ihres Teams. Er war Torhüter. Was,
wenn es das Spiel beeinflusste? Sollten Schüler aus Quidditchteams überhaupt
daten? Und war Presley nicht zu alt? Für Rose?
Gleichzeitig
fragte er sich, ob er glaubte, dass James zu alt für Rumer war und fand keine
zufriedenstellende Antwort darauf. Aber das interessierte ihn nicht sonderlich,
denn Rumer und James behielten ihre Übergriffigkeiten im eigenen Team. Scorpius
wusste es auch nur von Dominique, die es ihm mit großen Augen und sanftem
Unglauben erzählt hatte.
Und
fand Hugo es gut? War Presley besser als er? Seine Gedanken waren noch
einigermaßen müde, aber in der Hinsicht, dass seine Zukunft auf dem Spiel
stand, war es wichtig, dass er sich diese Fragen stellte. Wenn Hugo es guthieß,
dass Rose mit Presley ausging, dann… war Scorpius wohl dafür.
Wie
albern es war, seine Zukunft von dieser Speiche abhängig zu machen. Wieder
beantwortete Hugo tadellos eine Frage, und Scorpius spürte, wie er gereizt den
Mund verzog. Was wusste der Junge eigentlich nicht?
Scorpius
dachte manchmal an das Schulsprecheramt. Er glaubte nicht wirklich, dass er
eine Chance hatte, nächstes Jahr. Dafür war er wohl zu schlecht, aber manchmal
stellte er sich vor, wie es wäre. Die vorsitzende Schülervertretung. Es hatte
einen netten Klang. Und vielleicht zum dritten Mal heute fing er Hugos Blick
auf. Das war es auch, was ihn so nervös machte.
Schon
wandte der Junge den Blick wieder nach vorne, aber Scorpius fixierte seinen
dunkelhaarigen Hinterkopf.
Spielte
er Spiele mit ihm? Was sollte das?
Nur
schwer konnte er McGonagall überhaupt folgen, und seine Gedanken kreisten um verschiedene
Dinge. Roses Worte gingen ihm auch nicht unbedingt aus dem Kopf – dass jeder
der Weasleys eine Rolle spielte.
Und
auch Dominiques Verhalten war ihm aufgefallen. Als hielte sie es für kaum
möglich, dass Rose von Presley beachtet wurde.
Rose
war nicht sein Typ, aber sie war nicht unattraktiv. So viel gestand er sich
ein.
Und
er persönlich war dankbar, dass sie dieses Gespräch geführt hatten, dass sie
auf derselben Seite standen, ungefähr.
Zäh
verging diese Stunde, und er kam sich nur dümmer vor als vorher. Al erhob sich
mürrisch und packte stoisch seine Tasche.
„Wo
willst du hin?“, beschwerte sich Scorpius, aber Al sah ihn nicht mal an.
„Hab
was zu erledigen“, brummte er bloß, und Scorpius verzog den Mund. Super. Was
sollte das jetzt? Musste er hinterher? Erwartete Al so etwas von ihm? Scorpius
hoffte nicht.
„Malfoy“,
hörte er die Stimme des hochgewachsenen Jungen, mit dem er nicht reden wollte.
Die Nackenhaare standen ihm zu Berge, und mit höchster Skepsis im Blick wartete
er. Hugo schien sich Zeit zu lassen, mit voller Absicht. Er kassierte noch ein
Lob von der Schulleiterin und wartete tatsächlich bis die meisten den
Klassenraum verlassen hatten.
„Ja?“
Scorpius‘ Ton war vorsichtig. Er erinnerte sich an das letzte Gespräch mit Hugo
und konnte sich nicht vorstellen, dass dieses besser werden sollte. Sie hatten
nichts zu besprechen. Es gab nichts zu sagen. Kurz zögerte der Junge vor ihm,
bevor er ihn mit messerscharfem Blick ins Visier nahm.
„Ich
bräuchte einen Gefallen“, sagte er dann schlicht.
„Von
mir?“, entkam es Scorpius prüfend und mehr oder weniger ablehnend.
„Ja“,
bestätigte Hugo, ohne Zögern, ohne Ausreden. Scorpius atmete knapp aus. Er nahm
an, Hugo kam zu ihm, weil er davon ausging, dass er nicht ablehnen würde. Oder
könnte.
„Wieso
sollte ich dir einen Gefallen tun?“, fragte Scorpius ihn still, denn noch waren
sie nicht allein. Das schien den jungen Weasley doch zu überraschen.
„Vielleicht
ist es dir entgangen, aber ich habe etwas gegen dich in der Hand“, erinnerte
ihn Hugo mit Nachdruck, aber Scorpius zuckte die Achseln.
„Und?“,
provozierte er den Jungen, und Hugo legte den Kopf leicht zurück, betrachtete
ihn aus verengten Augen.
„Und
ich habe kein Problem damit, es Albus zu erzählen. Dem Armen geht es ohnehin
nicht so gut, nicht wahr?“ Hugo machte ihm Angst. Wie egal ihm seine Familie
und alle Konsequenzen waren. Und… auch Hugo war wohl aufgefallen, dass Al… eine
Schwäche für Rose hatte. Aber das überraschte ihn nicht sonderlich. Hugo schien
alles zu wissen. Und vielleicht könnte Scorpius es darauf ankommen lassen.
Vielleicht könnte er Hugo herausfordern, und dann würde Hugo es Al sagen, und
dann…- tja, dann würde Al wohl nicht mehr mit ihm reden. Im besten Fall.
Scorpius atmete resignierend aus.
Zu
kompliziert. Er entschied sich für das kleinere Übel.
„Was
für einen Gefallen?“, knurrte er praktisch, und Hugos Mundwinkel hoben sich nur
minimal, Siegessicherheit lag in seinem Blick.
„Nicht
hier“, sagte Hugo dann kopfschüttelnd. „Triff mich in der Verbotenen Abteilung
in der Bibliothek. Du bist doch Vertrauensschüler?“ Es war mehr eine Frage, als
eine Feststellung. „Auch wenn ich diese Entscheidung nicht ganz nachvollziehen
kann“, ergänzte der dunkelhaarige Weasley, der sich so massiv von seinen
Verwandten unterschied, mit einem kühlen Unterton. Scorpius‘ Kiefer spannte
sich an, aber er sagte gar nichts. „Heute nach dem Mittagessen. Vierzehn Uhr.“
Damit wandte sich der Junge von ihm ab, und Scorpius war nicht schlauer. Er war
nur nervöser. Was wollte diese Ratte von ihm?
Er
war eher in der Bibliothek, denn er hatte gerne die Kontrolle. Egal, um was es
ging. Lorcan hatte er dieses Treffen verschwiegen, denn zu einem großen Teil
schämte er sich. Ihm war auch das Risiko bewusst, was es bedeutete, gegen James
vorzugehen. Und er war überzeugt, es könnte auch massiv nach hinten losgehen.
Es gab eigentlich nur zwei Szenarien, aber die Konsequenzen des jeweiligen
wären… interessant zu sehen.
Im
ersten Szenario hätte er absolutes Pech. Rumer würde James nicht für ihn
verlassen, und er stünde da wie ein Vollidiot, und wenn er ehrlich war – so
stand er selten da. Er vermied solche Situationen. Dann aber würde James
Langeweile bekommen, wie es eben mit ihm war, so viel wusste Hugo, und Rumer
wäre verletzlich, schwach und auf der Suche nach einer Schulter zum Ausheulen –
dem Trostpreis quasi. Das wäre er, Hugo Weasley, auch wenn der Gedanke bitter
schmeckte.
Szenario
Nummer zwei wäre überraschend und ein wenig mehr verlockend. Rumer würde James
verlassen, würde seine Freundin werden – und James würde höchstwahrscheinlich
einen Familienkrieg erklären, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde Rumer ihn
dann ohnehin wieder verlassen.
Oder
er gewann tatsächlich gegen James Potter. Aber immerhin käme er in den kurzen
Genuss eines unwahrscheinlichen Sieges.
Es
klang unwahrscheinlich. Beide Szenarien implizierten eine ohnehin geringe
Erfolgsrate. Er vernahm die Schritte sofort, denn in die Verbotene Abteilung
kam niemand ohne guten Grund. Die Bücher hier gehörten nicht zum Lernstoff, und
die Chancen standen sehr hoch, dass es Malfoy war.
Hugo
wartete, äußerlich gelassen, denn ausgerechnet Scorpius Malfoy um Hilfe zu
bitten, war… erbärmlich genug. Ihn praktisch zu erpressen, damit Hugo die
Chance hatte, möglicherweise Rumer zu beeindrucken, war… nichts, was er stolz
seiner Mutter berichten würde. Oder Lorcan.
Und
er behielt recht. Mit missmutigem Ausdruck bog Scorpius um die Ecke. Das
Gesicht verschlossen, den Blick ablehnend auf ihn gerichtet, und wahrscheinlich
war die einzige Tatsache, die Hugo von einer blutigen Nase verschonte,
tatsächlich, dass er etwas gegen ihn in der Hand hatte. Beunruhigende Gedanken,
aber er hatte gelernt, wie die Welt funktionierte, wenn man etwas haben wollte.
Auf die saubere Art klappte es meist nicht.
„Also?“
Scorpius blieb vor ihm stehen, abwartend, lauernd, und Hugo sammelte sich,
atmete lange aus, und beschloss, nicht zu zögern, keine Ausreden zu erfinden.
Wenn man etwas wollte, sollte man direkt sein. Es war ganz einfach. Und ja, er
wollte etwas Lächerliches, aber er wollte es. Also würde er diese Sache mit der
gleichen Ernsthaftigkeit behandeln, wie die Zags.
„Du
bist erfolgreich bei den Mädchen“, stellte Hugo fest, denn er brauchte Scorpius
nicht fragen. Es war offensichtlich. Und Scorpius bösartige Fassade geriet
etwas schief. „Und meine Cousins will ich in dieser Hinsicht nicht um Hilfe
bitten, also… wie bekomme ich ein Mädchen?“, schloss er, ohne ihn aus dem Blick
zu lassen. Scorpius‘ graue Augen weiteten sich, und bevor er noch in
unpassendes Gelächter ausbrechen würde, sprach Hugo schnell weiter. „Erklär es
mir erfolgreich, und ich vergesse, was ich über dich und Rose weiß.“ Es war
schlichte Erpressung. Simpel, aber zielführend. Scorpius‘ Kiefer arbeitete
angespannt. Und er lachte nicht. Tatsächlich sagte er eine ganze Weile gar
nichts, bevor er resignierend ausatmete.
„Ist
das dein Ernst? Du willst, dass ich dir erkläre, wie man Mädchen bekommt?“ Es
klang tatsächlich so erbärmlich, wie Hugo es sich ausgemalt hatte. Aber er
verzog lediglich den Mund und zuckte die Achseln.
„Ich
mache mich auch nicht lustig, wenn ihr tatsächlich Mühe habt, den
Apparierzauber auszuführen, oder?“, konterte er kühl, und Scorpius runzelte die
Stirn. Vielleicht hinkte der Vergleich für Scorpius, aber nicht für ihn.
„Es…
es ist keine… Fähigkeit“, sagte Scorpius schließlich, tatsächlich etwas ratlos.
„Ich
denke, niemand wird mit der Gabe geboren, Mädchen zu beeindrucken, also… ist es
demnach eine Fähigkeit, die man erlernen kann.“ Hugo war überzeugt, dass es
erlernbar war, denn selbst James würde nicht auf Anhieb immer nur erfolgreich
gewesen sein. Hoffte Hugo zumindest. Scorpius schüttelte daraufhin den Kopf.
„Man hat
es im Gefühl, oder man hat es nicht“, widersprach er abwehrend, mit
unzulänglicher Begründung. „Um wen geht es überhaupt?“, wollte er dann
ungläubig wissen, aber Hugo würgte ihn direkt ab.
„Unwichtig. Mir geht es um die Theorie.“ Scorpius stöhnte verhalten, und es
reizte Hugo ungemein. Der Junge vor ihm war doch angeblich Vertrauensschüler,
stand mit ihm augenscheinlich auf gleicher Ebene, und Hugo hasste, wenn er die
Leute zwingen musste, ihr Gehirn einzuschalten. Dass er ihn überhaupt dazu
bewegen musste, zu reden. Scorpius sollte es einfach ausspucken, dann könnte er
seinem langweiligen Tagesrhythmus nachgehen.
„Es
gibt kein Lehrbuch darüber, ok?“
„Bedauerlicherweise
nicht“, murmelte Hugo beinahe, denn er hatte darüber nachgedacht. Ein Buch wäre
tausendmal hilfreicher als Scorpius Malfoy in seinem lichtesten Moment.
„Ich
weiß nicht genau, was du von mir hören willst“, entgegnete Scorpius
verschlossen, und Hugo ermahnte sich mental zur Ruhe. Malfoy war ein Idiot, und
man musste Idioten da abholen, wo sie einen verstanden.
„Nehmen
wir meine Schwester als Beispiel“, begann er mit Nachsicht, und Scorpius
reagierte sofort.
„Warum
sollten wir?“, spuckte er ihm fast entgegen, und Hugo konnte es nicht leiden,
wenn Leute überemotional an Sachen rangingen. Es war ein handfestes Beispiel.
Das einzige, was Hugo einfiel.
„Merlin,
Malfoy, krieg dich ein!“, fuhr er ihn an. „Es ist mir egal, ob Doxychöre im
Hintergund gesungen haben oder du die Erektion deines Lebens hattest“,
informierte er ihn gepresst. „Ich interessiere mich lediglich für die harten
Fakten. Für die Theorie und nicht für deinen emotionalen Zusammenbruch, ok?“
„Du
bist absolut krank, und-“
„-ich
bin so viel intelligenter als du, dass du bei klarem Verstand nicht eines
meiner Worte anzweifeln bräuchtest. Ich weiß, es ist dir unangenehm. Ich
verstehe, dass es in deinen Augen ein Unglück, ein Zufall – ein unfassbarer
Fehler war! Das will ich nicht bestreiten – das interessiert mich aber
verflucht noch mal nicht! Könntest du einfach mal deine scheiß Emotionen unter
Kontrolle kriegen, und bitte zu meinem Niveau hinaufstiegen? Bitte?“,
wiederholte er gepresster, und Scorpius atmete mit geöffnetem Mund, starrte ihn
an, und Hugo war fast überzeugt, er würde ihm den Gefallen nicht tun, sein
Gehirn anzuschalten, aber… - mit mehr als Widerwillen im Blick – schien
Scorpius Malfoy sich zu bemühen.
„Wärst
du nicht so ein absoluter Freak, dann wüsstest du, dass man solche Dinge
niemals objektiv betrachten kann“, knurrte er scharf. „Dass du absolut instinktive
Gefühle und Rationalität so klar trennen kannst, bedeutet alleine, dass du
nicht normal bist, ok? Ich bin normal. Und deshalb fällt es mir schwer, darüber
zu reden, verstehst du das? Geht das in deinen hyper-intelligenten Schädel,
Weasley? Oder brauchst du Karteikarten? Eine Präsentation?“ Hugo atmete aus.
Ok. Vielleicht war es üblicher, seine Emotionen nicht unterdrücken zu können,
aber das half ihm jetzt gerade nicht.
„Dann
tu so, als wärst du ein Freak, Malfoy“, entgegnete Hugo mehr als herablassend,
denn er beleidigte sich nicht gerne. Vor allem, wenn es nicht stimmte.
Scorpius‘ Oberlippe kräuselte sich, aber Hugo fuhr fort. „Woher wusstest du,
dass… sie dich nicht verfluchen würde, als du sie geküsst hast?“ Und kurz
glaubte er, Scorpius würde nicht antworten. Kurz schien es so, als wäre
Scorpius meilenweit davon entfernt, das Ereignis überhaupt reflektieren zu
können. Und Hugo hatte recht.
„Es
war nicht geplant, ok?“, blaffte Scorpius.
„Malfoy“,
sagte Hugo gereizt, und Scorpius schloss die Augen, legte den Kopf in den
Nacken und schien darüber nachzudenken, zu gehen. Seine ganze Körpersprache
schien sich nach der Flucht aus der Bibliothek zu sehnen.
„Was,
verflucht noch mal?“ Es war ein Rückzug. Sehr eindeutig, denn Malfoys Haltung
war ablehnend, die Arme waren verschränkt, und defensiver könnte er sich nicht
verhalten.
„Ich
meine das Ernst“, warnte ihn Hugo jetzt ruhig, und Scorpius verdrehte die
Augen, stand sich selber zu sehr im Weg. Es war immer dasselbe Problem mit den Slytherins.
„Hör auf, dich zu rechtfertigen. Diese Show brauche ich nicht“, erinnerte Hugo
ihn stiller, und irgendwann… nach endlosen Sekunden, klärte sich Scorpius‘
Blick und er sah ihn nicht mehr an. Sanft schüttelte er den Kopf, als könne er
nicht fassen, dass sie darüber sprachen. Oder dass er es tat.
„Ich
weiß es nicht mehr. Du… siehst das Mädchen an, und… weißt, dass sie es auch
will“, erwiderte er unwirsch, und Hugo verschränkte nun ebenfalls die Arme vor
der Brust.
„Du
siehst sie an und weißt, dass sie es auch will?“, wiederholte er ungläubig.
„Das ist deine forensische Hilfe?“ Scorpius fuhr sich durch die hellen Haare.
„Weasley,
ich kann es nicht anders erklären. Die Chemie stimmt, oder sie stimmt nicht.“
Phrasen, leere Worte. Es war so absolut nutzlos, was Scorpius von sich gab.
„Bei
meiner Schwester hat… die Chemie also gestimmt?“, wollte er ungläubig wissen.
Er konnte nicht anders, als spöttisch zu klingen.
„Nein!“,
war seine erste Reaktion. Es war die reflexartige Abwehr, die Hugo von ihm
schon kannte, und Hugo begriff, dass die Rechtfertigung nötig war. Für Scorpius
schien sie zumindest nötig zu sein. Alles abzustreiten, machte es aber nicht
unwahr, machte es nicht immer noch ekelhaft. Und vor allem änderte es scheinbar
nichts an der Tatsache, dass zwischen beiden etwas gewesen war.
„Nein?“,
wiederholte Hugo spöttisch. Und tatsächlich verdrehte Scorpius die Augen. „Sag
mir einfach, wie es sein kann, dass zwei Menschen, die nicht zusammen passen,
zusammenkommen“, verlangte er fast erschöpft.
„Das
weiß ich nicht“, fuhr Scorpius ihn an. Sie kamen nicht weiter, erkannte Hugo
schließlich. Es funktionierte nicht. Und er begriff, die spielten beide ein
Spiel, bei dem keiner irgendetwas preisgab. Wahrscheinlich müsste er mal wieder
der Erwachsene sein. Wie eigentlich immer. Gut, er würde dem Arschloch entgegen
kommen.
„Ich
interessiere mich für ein Mädchen, aber sie ist… wohl außerhalb meiner Liga,
wenn man es so sagen will“, begann er behutsam. Scorpius verengte die Augen.
Hugo hasste, dass er es buchstabieren musste.
„Warum?“, fragte Scorpius tatsächlich. Als könne er sich nicht vorstellen, dass
es irgendetwas gab, was man nicht bekommen konnte. Als wäre das Leben eines von
diesen Märchen, in denen der Held loszog, und alles erreichen konnte, wenn er
sich nur die richtige Mühe gab. Hugo hasste arrogante Sportler.
„Sie
ist älter als ich. Sie… interessiert sich für… Quidditchspieler“, fasste er
sein Leid zusammen und hasste, dass Scorpius tatsächlich grinsen musste. Er
hasste, dass er sich mit Kleinigkeiten wie Quidditchspielern überhaupt
beschäftigen musste. Dass es überhaupt ein Problem darstellte.
„Dann spiel Quidditch“, schlug sein Gegenüber spöttisch vor, und Hugo hasste,
dass er diese Information preisgegeben hatte. Als würde es Scorpius plötzlich
ein Druckmittel geben. Als läge die Lösung nun greifbarer. Hugo wurde wieder
sehr ernst.
„Wie
wichtig ist dir Albus‘ Freundschaft wirklich, Malfoy?“, fragte er ihn direkt,
und Scorpius verdrehte erneut die Augen. Aber scheinbar hatte Hugos kleines
Entgegenkommen, eine Tür geöffnet. Zumindest einen Spalt breit.
„Sei…
spontan“, schlug er ihm dann achselzuckend vor. „Mach was, was du sonst nicht
machen würdest. Verlass deine gewohnte Umgebung, triff sie draußen. Irgendwas“,
schloss Scorpius ratlos.
„Musstest
du dich um Dominique bemühen?“, wollte Hugo aus Interesse wissen, und scheinbar
antwortete Scorpius schneller, als er es selber wollte.
„Nein“,
sagte er schlicht, und Hugo runzelte die Stirn. Scorpius schien seine Worte jetzt
selber zu begreifen und ruderte zurück. „Sicher musste ich das. Aber-“
„-aber?“,
unterbrach Hugo ihn interessiert. Und dann fasste Scorpius ihn sehr genau ins
Auge.
„Rose und Dominique sind nicht sonderlich verschieden“, sagte er schließlich.
Hugo hob eine Augenbraue. „Dominique mag umgänglicher sein und zeigt, was oder
wen sie will und ist bereit, für ihre Ziele etwas zu tun. Das heißt aber nicht,
dass Beziehungen einfach sind, nur weil gute Voraussetzungen gegeben waren.“
„Soll
bedeuten, ihr seid beide mäßig attraktiv, und das machte es einfacher, die
lästigen Oberflächlichkeiten schnell zu überwinden?“
„Nein,
das heißt es nicht“, fuhr Scorpius ihm scharf über den Mund, aber Hugo glaubte
ihm nicht. „Selbst wenn!“, ergänzte Scorpius kalt. „Selbst wenn es nur an
Äußerlichkeiten gelegen hätte, nach einem Monat sind Äußerlichkeiten absolut
egal. Das ist der Grund, warum James‘ Beziehungen immer in die Brüche gehen.
Irgendwann reicht das äußerliche nicht mehr.“ Hugo musste kurz darüber
nachdenken.
„Meine
Cousine ist der oberflächlichste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Und
dein Reflex, mir zu sagen, dass es keine Mühe war, ist lediglich ein Indikator
dafür, dass es nicht viel benötigt, um Dominique zu beeindrucken. Und sie ist
garantiert nicht umgänglich. Sie ist verzogen, verwöhnt und ehrlich gesagt…“
Aber er unterbrach sich. Scorpius wirkte wieder sehr kurz davor, ihn verprügeln
zu wollen.
„Was?“,
wollte Scorpius knurrend wissen.
„Nichts“,
schloss Hugo dann.
„Oh
komm schon, du bist doch die ganze Zeit zum Erbrechen ehrlich! Großer Fehler,
würde ich meinen. Und bald ist es mir ziemlich egal, was du in der Hand hast.
Du wirst Dominique nicht weiter beleidigen, Freak“, spuckte er ihm entgegen,
und Hugo verzog knapp den Mund.
„Ehrlich
gesagt, könntest du bessere Mädchen für weniger Aufwand bekommen, war, was ich
sagen wollte“, schloss Hugo seine anfänglichen Gedanken ab. Und tatsächlich
verlor Scorpius‘ Ausdruck kurz an Härte. „Aber Oberflächlichkeit ist eine
lästige Sache, Malfoy. Und zweispurig noch dazu“, ergänzte er kühl. „Und
deshalb hat es mich marginal interessiert, was zwischen dir und Rose
vorgefallen ist, denn Rose mag vieles sein – dumm allem voran, weil mir
unbegreiflich ist, weshalb sie sich an diesem Tag für dich entschieden hat,
aber sie ist nicht oberflächlich. Sie ist so ziemlich das absolute Gegenteil
davon. Und das macht es interessant. Nicht, dass du in einer stumpfsinnigen
Beziehung bist, die ohnehin nirgendwohin führen wird.“
„Wieso,
Salazar noch mal, sagst du das?“ Zorn flackerte im Blick des blonden Slytherin.
Wieder übernahmen die Emotionen. Deshalb war Hugo mit ihnen allen nicht
befreundet. Es machte keinen Spaß. Es war müßig. Es war anstrengend.
„Rein
statistisch“, antwortete Hugo. „Es ist unwahrscheinlich, dass man die erste
Freundin behält.“ Das war einer der Gründe. Lediglich einer, denn er wollte
nicht riskieren, ausgerechnet wegen der dummen Dominique ein blaues Auge zu
kassieren.
„Ja?
Warum, willst du dann unbedingt ein Mädchen haben?“, griff Scorpius seine Worte
auf. „Warum die Mühe, Weasley? Wenn du sie sowieso nicht behalten wirst? Oder
ist es bei dir alles anders, weil du ein aufgeblasenes, selbstverliebtes
Arschloch bist, der ja soweit über allen anderen steht?“ Tatsächlich befand
sich ein Funken Wahrheit in Scorpius‘ sonst völlig sinnbefreiten Worten. Und
tatsächlich sprach er weiter. „Und deine Eltern, Albus‘ Eltern – kennen sie
sich nicht auch seit der Schulzeit? Waren es nicht auch die ersten Beziehungen
für sie gewesen? Scheinbar hat es da geklappt, oder nicht? Oder war das die
Ausnahme der Regel?“
„Es
hat Krieg geherrscht“, entgegnete Hugo bitter. Scorpius blinzelte daraufhin.
„Ja,
perfekte Basis für langhaltende Beziehungen, hm?“, entfuhr es ihm kalt, und
Hugo verdrehte jetzt tatsächlich die Augen.
„Es
war anders!“, fuhr Hugo ihn an. „Merlin, meine Eltern haben sieben Jahre
gebraucht, um zusammenzukommen. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es war
alles andere als das!“ Er bereute, überhaupt etwas gesagt zu haben. Und Scorpius
schien sich ebenfalls wieder zu beruhigen.
„Wieso
machst du dir dann die Mühe? Wieso willst du ein Mädchen, was ganz klar andere
Jungen bevorzugt?“ Und es war eine gute Frage. Und Hugo hatte nur eine lahme
Antwort darauf.
„Weil
ich sie will“, sagte er stiller. Scorpius atmete lange aus. Dann verzog Hugo
den Mund. „Außerdem“, fuhr er bitter fort, „bin ich nicht aus Stein, Malfoy.
Ich habe Bedürfnisse, auch wenn ich sie nicht wie sinnlose Trophäen vor mir
hertrage und mein Leid jedem kundtue! Und wenn ich mich nicht bemühe, um
irgendwen – egal wen – dann bleibe ich alleine. Niemand will alleine sein.
Niemand entscheidet sich dafür, alleine zu sein. Andere entscheiden, wie
beliebt man ist und wie hoch die Chancen für einen sind, zu bekommen, was man
will. Ich habe keine Zweifel, dass ich beruflich jede Tür geöffnet bekomme, die
es wert ist, geöffnet zu werden. Aber meine Familie hat hier klar und deutlich
die Grenzen für mich und mein Privatleben gezogen. Auf dieser Schule bin ich
ein Freak, ein Streber, und anscheinend niemand, den man mehr als einmal
anzusehen braucht, um zu wissen, dass immer James oder Albus oder Louis oder
Fred mir vorzuziehen sind!“
Malfoy
schwieg daraufhin, starrte ihn praktisch an, aber Hugo schämte sich nicht für
seine Worte. Sie zerstörten ihn emotional nicht mehr. Sie machten ihn lediglich
wütend. „Und glaub mir, dich zu erpressen, für einen erbärmlichen Ratschlag,
ist tiefer, als ich jemals hatte sinken wollen, Malfoy. Aber man bekommt leider
nicht alles, nur weil man es verdient. Weil man klüger ist als die anderen.
Weil man sich mehr Mühe gibt. Und ich verstehe nicht, was man tun muss. Und
deshalb hatte ich geglaubt, du könntest mir ansatzweise helfen.“
Und
tatsächlich sank die Deckung. Scorpius angespannte Haltung löste sich minimal.
Seine Arme sanken zu seinen Seiten. Hugo hatte mehr zu ihm gesagt, als jemals
zu irgendwem. Als jemals zu seinen Eltern oder zu Rose oder gar zu Lorcan. Er
wusste nicht, ob Ehrlichkeit sich auszahlte. Theoretisch tat es das. Aber in
der Praxis hatte er nur gegenteilige Erfahrungen gemacht. Er hatte besseres zu
tun, als sich auslachen zu lassen. Und Scorpius schien eine Entscheidung für
sich zu treffen, schien über seinen Schatten zu springen.
„Ich…
wollte es“, entfuhr es Scorpius still, während sein Blick abwesend über die
alten Buchrücken wanderte. Er schien seinen Blick nicht mehr erwidern zu
wollen. „In diesem Moment. Ich… konnte nicht anders.“ Und fast war es ein
erschreckendes Geständnis. Eine Machtlosigkeit ging von Scorpius aus, die für
Hugo fast greifbar war. „Und ich kann dir nicht sagen, was es war. Ich kann dir
nur sagen, dass es absolut dämlich war. Als meine Mutter starb, war Dominique
für mich da. Und nicht auf oberflächliche Weise. Es war nicht so, wie du
vielleicht denkst. Dominique ist ein warmer, gutherziger und selbstloser
Mensch, wenn sie es will. Und es hatte keinen guten Grund für mich gegeben, ihr
Vertrauen zu missbrauchen. Absolut keinen! Nicht einen! Und trotzdem“, fuhr er
in Gedanken fort, „war das an diesem einen Tag am Strand so völlig egal. Ich
weiß nicht, was es war. Ich wusste nur…, ich… wollte Rose. Ich… musste sie
haben. Musste sie küssen, und… es gab keine Konsequenz. Und selbst wenn, wäre
es mir egal gewesen.“ Und dann schnappten seine grauen Augen hoch, und Hugo sah
sehr deutlich, dass Scorpius seine Worte sofort bereute, so wie Hugo seine
eigenen bereute. „Ein Wort, und ich breche dir beide Arme“, versprach Scorpius
dunkel, und Hugo glaubte ihm tatsächlich. Und er verstand. Er versuchte, seine
Emotionen auszublenden, versuchte, sich einzureden, dass Scorpius nicht über
seine Schwester sprach, versuchte, die Gefahr, die eindeutig aus diesen Worten
zu hören war, zu ignorieren.
„Mut“,
schloss Hugo didaktisch kurz. Das schien es zu sein, was diese Vollidioten antrieb.
Scorpius runzelte die Stirn. „Was du beschreibst. Es scheint eine Art von Mut
zu sein. Eine dumme, waghalsige Art von Mut, aber Mut nichtsdestotrotz. Du
vergisst deinen Platz, deine Verantwortung, und du begibst dich in eine
Situation, die dich emotional komplett zerstören könnte – aber… es ist dir
egal. Du opferst deinen Stolz und riskierst alles, was dich ausmacht.“ Warum
Scorpius all das für Rose riskiert hatte, wollte Hugo nicht wissen. Er wollte
es nicht äußern, nicht ansprechen und wollte Scorpius nicht im Ansatz
unterstellen, dass… es vielleicht mehr war, als eine fixe Entscheidung an einem
willkürlichen Tag am Strand. Er war nicht so dumm, das zu tun. Er wollte dem
Slytherin keine verdammten Ideen in den Kopf setzen. Er hatte genug eigene Sorgen.
Scorpius
starrte ihn nun an, und Hugo sagte, was ihm dieses Gespräch gebracht hatte. „Es
heißt, wenn ich ein Mädchen bekommen will, muss ich alles aufs Spiel setzen?“,
schloss er, formulierte es aber als Frage. Vielleicht würde sein Gegenüber ja
antworten.
„Im
Idealfall nicht“, behauptete Scorpius verschlossen. Hugo hob die Augenbraue.
„Du
würdest für Dominique nicht alles aufs Spiel setzen?“, fragte er, ohne groß
nachzudenken. Tatsächlich hielt Scorpius seinem Blick stand, schien ernsthaft
darüber nachzudenken. Und dann atmete der Junge, mit den silberhellen Haaren,
dem markanten Kinn und offensichtlich keinen größeren Problemen in seinem
Reinblüterleben, lange aus.
„Wahrscheinlich“,
räumte Scorpius langsam ein. „Wahrscheinlich würde ich das, soweit ich die
perfekte Beziehung beurteilen kann. Für Albus würde ich es mit Sicherheit tun.
Für Albus allein, rede ich hier und heute mit dir.“ Hugo wusste kurz keine
Antwort. Und erst jetzt wurde ihm klar, dass er so eine Freundschaft nicht
hatte. Er hatte keinen… besten Freund, für den er alles aufs Spiel setzen
würde, der so massiv wichtig wäre, dass er jede Konsequenz in Kauf nahm. Für
eine Sekunde betrübte es ihn, aber dann verscheuchte er diese Gedanken.
Scorpius
hatte ihm alle Informationen gegeben, über die seine Hirnkapazität verfügte.
Und das für Albus Potter, dem Jungen, der Scorpius wahrscheinlich sofort in den
Rücken fallen würde – vor allem, wenn es um Rose ging. Fast war es traurig und
ironisch zugleich. Aber das war nicht Hugos Problem.
„Danke“,
sagte er nickend, fast verblüfft, aber Scorpius hatte ihm tatsächlich geholfen.
Aber Scorpius fixierte ihn scharf.
„Das
war es dann?“, wollte er wissen. „Du hast, was du wolltest, und diese Sache am
Strand ist vergessen?“ Und kurz war Hugo versucht, zu fragen, warum es so
wichtig war. Warum Scorpius so sicher gehen musste, dass er, Hugo, den Mund
hielt. Aber er befürchtete, die Antwort zu wissen. Allein die Tatsache, dass
seine Schwester Scorpius Malfoy geküsst hatte, bedeutete wenig. Ja, es würde
Ärger geben, es würde eigenartig sein, aber… es wäre auf lange Sicht
uninteressant, absolut unwichtig.
Allerdings
nicht, wenn es mehr bedeutete. Und war das das Problem? Ging es weniger um
Dominique als Person, als die Tatsache, dass Dominique und Albus die einzigen
Hindernisse im Weg waren? War es deshalb wichtig, sie zu schützen? Brauchte
Scorpius Malfoy diese Hindernisse? Diese Barrieren? Wären sie fort, würde es
dann… anders sein? Hätte Malfoy dann ausgiebig Zeit, über dieses Ereignis
nachzudenken, und würde er dann vielleicht sogar zu dem Schluss kommen, dass
Rose den Aufwand wert wäre, selbst wenn es bedeutete, gegen die Ablehnung ihres
Vaters vorgehen zu müssen? Hugo wusste nicht, ob Scorpius so dachte. Er hoffte,
nicht. Und zum ersten Mal nahm sich Hugo die Zeit seinen Gegenüber anzusehen.
Wirklich anzusehen. Scorpius‘ Körpersprache verbarg selten seine Gefühle. In
dieser Hinsicht war er nicht unehrlich. Das Gespräch hatte Hugo deutlich
gezeigt, dass Scorpius wenige Kompromisse wirklich einging. Er war seiner
Schwester erstaunlich ähnlich, denn auch Scorpius rannte wohl lieber mit dem
Kopf durch die Wand, als wirklich nachzudenken. Sturheit lag deutlich in seinem
eisgrauen Blick. Und eine gewisse Betriebsblindheit, wenn man so wollte. Hugo
glaubte nicht, dass Scorpius auf lange Sicht plante, dass er tatsächlich weit
genug dachte, um Konsequenzen richtig einschätzen zu können. Dass er zum
eigenen Wohl auf etwas verzichtete, was er wirklich haben wollte. Reinblüter
verzichteten selten auf irgendetwas.
Das
alles waren schlechte Zeichen. Hoffentlich kam es nicht dazu, dass die
Hindernisse jemals aus dem Weg geräumt wurden. Hugo streckte den Rücken durch,
ohne Zuversicht zu empfinden.
„Die Sache
ist vergessen. Ich denke, dieses Missgeschick gehört der Vergangenheit an,
jetzt wo Rose offensichtlich Interesse an Presley Ford gefunden hat“, schloss
er, mit derselben Ablehnung, die er Scorpius gegenüber pflegte. Besser Presley,
als Scorpius. Die Rechnung war sehr einfach zu lösen. Hugo hatte schon viel zu
viel Zeit mit Scorpius Malfoy verbracht. Und er wollte es nie wieder tun
müssen.
Dann
hob der Slytherin jedoch die Augenbraue, und der sanfte Spott, den Hugo so
verabscheute, kehrte in sein Gesicht zurück.
„Ich
hoffe, James bricht dir nicht das Genick“, sagte er, fast mit einem Lächeln.
Hugo wusste nicht, ob man ihm die Überraschung kurz ansehen konnte, aber
innerlich versuchte er, gelassen zu bleiben.
„Das
wäre alles“, verabschiedete sich Hugo gepresst von ihm und fand es unerhört,
dass Scorpius Malfoy ihn durchschaut hatte.
„Jaah.
Absolut“, bestätigte der Slytherin und wandte sich lässig von ihm ab. Bastard.
Arroganter Bastard, dachte Hugo mit kurzer blinder Wut. War es so
offensichtlich? War er so transparent? Es war egal. Hugo würde es versuchen und
ignorieren, dass Scorpius Malfoy überhaupt existierte. Und er hatte gelogen. Er
hatte verstanden, was Scorpius mit der Chemie meinte. Denn, was auch immer
Scorpius sich einredete – die Chemie stimmte zwischen ihm und Rose. Am besten
strengte sich Presley Ford ein wenig an. Und über ihn wollte Hugo auch nicht
viel länger nachdenken. Noch so ein quidditchspielender Vollidiot. Seine
Schwester war geschmacklos.
Absolut
geschmacklos.
Es
war das erste richtige Treffen mit Hugo, seitdem sie wusste, dass er sie und
Scorpius beobachtet hatte. Und sie war kurz versucht gewesen, nicht zu kommen.
Kurz hatte sie die Nachhilfe in den Wind schießen wollen.
Aber
es hatte wohl mit ihrem verdammten Stolz zu tun und dass sie ihrem kleinen
Bruder nicht die Oberhand lassen wollte.
Mit
zielstrebigen Schritten betrat sie die Bibliothek und ging fast herausfordernd
in den offenen Arbeitsraum. Hugo war schon da, wie immer. Seine Unterlagen vor
sich ausgebreitet, ihr Platz neben ihm wie immer frei.
Sein
Blick hob sich unverfänglich, aber seine Konzentration ruhte auf seinen
Unterlagen.
„Willst
du da stehen bleiben?“, wollte er von ihr wissen, während seine Augen schon
wieder ins Lehrbuch gefallen waren. Es war wie sonst. Ihr Herzschlag beruhigte
sich minimal.
„Nein“,
entfuhr es ihr kopfschüttelnd. Sie setzte sich neben ihn, und selten war sie
sich seiner Anwesenheit so bewusst. Aus den Augenwinkeln musterte sie ihn, bis
sich sein Blick hob. Kurz machte ihr Herz einen erschrockenen Satz.
„Was?“,
wollte er wissen, jetzt mit gesamter Aufmerksamkeit. Sie schüttelte schließlich
den Kopf. Was hatte sie gedacht? Dass er mit ihr reden würde? Über wichtige
Dinge?
„Nichts“,
verneinte sie knapp. Und sie konnte nicht fassen, dass er gänzlich
unbeeindruckt war. Von absolut allem. Sie war fast sauer, dass er von dem Kuss
wusste und nichts gesagt hatte! Und aus Trotz sprach sie. „Ich gehe morgen mit
Presley Ford aus“, schloss sie, und sie lauerte auf seine Reaktion. Aber er hob
lediglich den ablehnenden Blick und musterte sie kurz.
„Super“,
erwiderte er mit falschem Lächeln, und Rose verzog den Mund. „Dad wird
begeistert sein“, ergänzte er bloß, bevor er wieder auf seine Unterlagen starrte.
Rose verkniff sich jeden Kommentar. Ja, ihr Vater würde es nicht gut heißen.
Aber ihr Vater hatte keine Ahnung. Sie atmete aus, und ihre Aufregung flachte
ab. Er war immer noch Hugo, immer noch ihr nervtötender Bruder.
„Also?“,
wollte sie schon jetzt gereizt wissen.
„Zaubertränke“,
erklärte er ungerührt, und sie stöhnte innerlich auf. Vielleicht würde sie ihn
mit ihrem Verwandlungswissen beeindrucken können, aber… dafür würde
Zaubertränke einen bleibenden, schlechten Eindruck bei ihm hinterlassen. Sie
war grottig in Zaubertränke. Wie konnte man in jedem Fach so gut sein?
Und
nach und nach verlor sich ihre leise Panik. Hugo war wie immer. Und dass er
nicht mit ihr über diese Sache sprechen wollte, war… vielleicht sogar eine gute
Sache. Sie wusste es nicht mit Sicherheit.
Und
es war bestimmt eine gute Stunde vergangen, als Hugo plötzlich das Thema
wechselte. Rose war kurz davor, zu verzweifeln, weil die Rezeptangaben ihr
persönlich keinen Aufschluss über die Reaktion des Trankes gaben. Aber Hugo war
nicht mal sauer. Er sah sie unverwandt an und sprach schließlich.
„Ich
würde morgen mit ins Dorf kommen“, sagte er, ohne jede Vorwarnung. Und Roses
Blick gefror und hob sich langsam.
„Was?“,
entkam es ihr ungläubig, als hätte sie sich verhört.
„Morgen.
Ihr geht nach Hogsmeade?“ Rose blinzelte verblüfft.
„Und…
und du willst mitkommen?“, vergewisserte sie sich ein wenig schockiert, und er
runzelte die Stirn.
„Darf
ich das nicht? Ich gehöre zur Familie, wie alle anderen auch?“, bemerkte er
spitz, und sofort tat ihr ihre Reaktion leid. Zumindest etwas. Ihr ganzes
Mitleid verdiente ihr geheimniskrämerischer kleiner Bruder nicht.
„Schon“,
räumte sie vorsichtig ein. „Nur die letzten fünf Jahren hattest du auch kein
Interesse an uns oder Hogsmeade.“ Und tatsächlich sah sie zum ersten Mal so
etwas wie Unsicherheit auf den Zügen ihres Bruders.
„Vielleicht
will ich auf dich aufpassen?“, entgegnete er, und fast hätte Rose laut gelacht.
„Ach
ja? Weil du Presley Ford bei einem Duell besiegen würdest?“, vermutete sie, und
tatsächlich hob sich seine Augenbraue.
„Wahrscheinlich
sogar bewusstlos, ja“, bestätigte er. Sie musste kurz grinsen.
„Und
bei einem Faustkampf?“, wollte sie dann wissen, und Hugo atmete gereizt aus.
„Wann
geht ihr immer?“, vermied er eine Antwort auf ihre kindische Frage, und Rose
gönnte ihm die Antwort.
„Neunzehn
Uhr wollen wir los“, erwiderte sie, und fast konnte sie seinen missfallenden
Ton erahnen, als er den Mund aufmachen wollte. Sie nahm an, er rechnete sich
aus, wie spät sie dann ins Bett kämen, und dass es wahrscheinlich nicht mal
erlaubt war, so lange wegzubleiben, aber er beherrschte sich. Er nickte mit
einiger Überwindung.
„Ok.
Ich… treffe euch… dort?“ Es war ein sehr unangenehmes Gespräch. Und Rose nickte
langsam.
„Wir…
können auch alle zusammen gehen?“, schlug sie vor, wusste aber die Antwort
darauf schon.
„Nein,
schon gut. Drei Besen, richtig?“, fragte er zu Sicherheit, und Rose nickte
wieder.
„Ja.“
Und kurz wollte sie ihn fragen, warum er mit wollte. Aber sie tat es nicht. Ihr
Bruder hatte jedes Recht, dort zu sein. Und fast war sie ein wenig aufgeregt.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Hugo Weasley einfach mal Spaß hatte? An
einem Samstagabend?
Fast
klang es unmöglich. Sie wünschte sich schon lange, einen ganz normalen Bruder
zu haben! Stille Vorfreude durchfuhr sie. Vielleicht könnte sie mit Hugo
irgendwann über ihr Geheimnis sprechen? Wie es Geschwister vielleicht taten?
Als wären sie… Freunde? Vielleicht…. Sie machten auf jeden Fall Schritte in
eine richtige Richtung.
***
Sie
war pünktlich, und er war noch nicht ganz vorbereitet. Er hasste es, nicht
vorbereitet zu sein. Eilig räumte er noch die restlichen Sachen zum Tisch, der
im Erker des Gemeinschaftsraums stand. Heute lernten sie am besten Tisch. Rumer
kam grinsend näher und warf ihre Tasche auf einen freien Stuhl.
„Hey“,
begrüßte sie ihn lächelnd, und kurz überlegte er, ihr die Hand zu geben. Aber
das war eine absolut bescheuerte Idee. Dann überlegte er, ob er sie umarmen
sollte – einfach, weil er so etwas niemals tun würde. Und Malfoy hatte gesagt,
er musste neue Dinge ausprobieren – aber… er konnte nicht. Er ging nach
Hogsmeade. Mehr als das, brachte er nicht zustande.
„Hey“,
erwiderte er lahm die Begrüßung und bedeutete ihr lediglich, sich zu setzen.
„Nett
hier“, bemerkte sie anerkennend, als sie sich im stillen Gemeinschaftsraum
umsah. Er nickte bloß.
„Hm“,
machte er, und wusste, dafür, dass er so wahnsinnig intelligent war, sagte er
verdammt wenig heute.
„Ich habe
gehört, du kommst heute Abend mit?“, erkundigte sie sich, als sie sich neben
ihn setzte, und er hatte gehofft, dass Rose es ihr sagen würde. Denn
anscheinend sprachen sie wieder miteinander. Aber er wusste nicht, ob seine
Schwester ihr Strand-Geheimnis Rumer verraten hatte. Wahrscheinlich nicht, nahm
er an. Es war aber nur eine Vermutung. Er war ehrlich gesagt froh gewesen, dass
Rose ihn nicht direkt in die Mangel genommen hatte. Aber… Rose war scheu, was
solche Dinge anging. Dinge, die nichts mit Besen, Klatschern oder Faustkämpfen
zu tun hatten. Sie war wie Dad, der lieber drei Stunden mit dem Zauberstab den
Rasen stutzte, als auch nur ein Gefühl rational diskutieren zu müssen.
„Ja“,
rang er sich eine dumme, einsilbige Antwort ab. Merlin, Hugo. Sag irgendwas,
zwang er sich harsch. „Ich dachte, ich versuche… mal was anderes“, ergänzte er
achselzuckend.
„Ich
find’s klasse!“, sagte sie sofort. „Bringst du Freunde mit?“ Ha ha. Welche Freunde
sollte er wohl mitbringen? Lorcan würde sich noch bis nächstes Jahr über ihn
lustig machen. Aber er ließ sich nicht beirren und schüttelte den Kopf.
„Man
glaubt es vielleicht nicht, aber ich kenne die Weasleys“, bemerkte er, und
seine Mundwinkel zuckten spöttisch. Rumers Augen wurden groß.
„Oh,
ich… na klar. So hatte ich es nicht-“
„-ich
weiß“, schloss er bloß. Er wollte sie noch irgendetwas fragen, noch irgendetwas
sagen, was nicht mit Arithmantik zu tun hatte. Denn sie sah hübsch aus. Ihr Zopf
wippte, ihre Augen strahlten. Sie sah… wirklich schön aus. Er würde nicht fähig
sein, ihr ein Kompliment zu machen. Aber er wollte auch nicht von James hören.
Absolut nicht. „Du und Rose, ihr… habt euch vertragen?“, beschloss er zu
fragen, und Rumer nickte.
„Du
bist nicht dumm, Hugo“, erwiderte sie anerkennend.
„Anscheinend nicht“, schloss er lächelnd. Und ihr fiel auf, was er gehofft
hatte, dass ihr auffallen würde. Es war alles säuberlich geplant.
„Du trägst dein Abzeichen nicht“, sagte sie verblüfft, aber er zuckte die
Achseln.
„Keine
Lust heute“, log er. Er hatte immer Lust auf sein Abzeichen. Es unterschied ihn
von den anderen Vollidioten. Aber er sagte etwas anderes. „Man muss ja nicht
immer negativ auffallen.“ Und tatsächlich zwinkerte er ihr zu. Sein Herz schlug
laut in seiner Brust, und seine Mundwinkel hoben sich, als Rumer tatsächlich
lachen musste. Er hatte überlegt, was James tun würde, unter der abwegigen
Prämisse, dass er Vertrauensschüler wäre. Und Hugo nahm an, James würde sich schämen,
das Abzeichen zu tragen. Also tat Hugo so, als täte er das auch.
„Ich
erkenn dich gar nicht wieder“, bemerkte sie lächelnd. Und ihre leuchtenden
Augen machten ihn nervös. Sein Blick fiel auf seine steifen Hände.
„Wollen
wir anfangen?“, fragte er, und er wusste wirklich nichts Besseres.
„Klar“,
erwiderte sie.
Und
dann schlugen sie ihre Bücher auf, und Hugo musste sagen, Rumer brauchte
wesentlich weniger Hilfe und Denkanstöße als Rose. Seine Schwester verschloss
sich allen Übungsaufgaben und Lerntheorien, wohingegen Rumer… einfach begriff,
was er erklärte. Fast war es eine erfrischende Abwechslung. Und sie sah gut
aus, roch verlockend – ganz anders als Lorcan. Vollkommen anders!
„-…Fehler
gemacht“, schnappte er Rumers letzte Worte auf, denn er war in Gedanken
versunken gewesen, hatte die letzten fünf Minuten immer wieder heimlich den
Blick gehoben, um ihr dabei zuzusehen, wie sie ihren Zopf um ihren Finger
wickelte. Es hypnotisierte ihn, aus irgendeinem Grund. Und in seinen
Tagträumen, waren sie im siebten Jahr, James wäre längst verschwunden, sie
teilten sich die Räume der Schulsprecher, und in einer stürmischen
Gewitternacht, würde Rumer Angst haben, zu ihm kommen, in sein Bett steigen-
„-hm?“,
entfuhr es ihm abwesend, hob blinzelnd den Blick, aber sie musste lächeln.
„Du hast da einen Fehler gemacht“, wiederholte sie fast zufrieden. Sein Stolz
und sein Intellekt schlugen Alarm.
„Kann
nicht sein“, war seine sofortige Reaktion, denn… er machte keine Fehler. Und
garantiert nicht, was Zahlen anging. Rumer musste lachen. Es klang wunderschön.
„Wow.
An Arroganz mangelt es dir nicht, was?“ Und dann stand sie auf, stellte sich
dicht neben ihn und lehnte sich hinab. Er hielt sie Luft an, denn ihr Busen berührte
minimal seine Schulter. Ihm wurde übergangslos heiß, und sein Tagtraum ging
nahtlos weiter. Er würde ihre Wärme spüren, in dieser Gewitternacht im siebten
Jahr. Sie würde sich an ihn drängen.
Ihr
Zopf rutschte über ihre Schulter und kitzelte seinen Nacken. Merlin. „Da“,
behauptete sie, und ihr Finger stach nach unten auf sein Pergament. Er sah gar
nichts, folgte ihrer Geste nicht, denn ihre andere Hand stützte sich auf seiner
Schulter ab. „Siehst du?“, fragte sie ihn, und blank starrte er nach vorne. Er
roch ihr Parfüm. Es stieg betörend in seine Nase. Sie war so nahe, dass er ihre
Wärme spüren konnte. Sein Gehirn funktionierte nicht mehr. Sein fabelhaftes
Gehirn.
„Ja“,
log er rau. „Du hast Recht“, brachte er knapp hervor, ohne zu sehen, was sie ihm
zeigte. Lachend stieß sie sich wieder von ihm ab und schritt zu ihrem Platz
zurück. Ok. Sie war es wert. Sie war es wert, dass er sich zum Affen machte,
dass er log, dass er sein geliebtes Abzeichen ablegte, dass er Fehler
zugestand, die er nicht machte. Sie war es absolut wert, dass er Scorpius
Malfoys Ratschläge beherzigte.
Es
war gut, dass sie die mathematischen Prinzipen verstanden hatte, und ohne seine
Hilfe durch die Aufgaben kam, denn er konnte sich auf gar nichts mehr
konzentrieren.
Alles
Schöne ging irgendwann vorbei, und sie blickte auf die Uhr an der Wand. Sie
stellte fest, wie spät es schon war, und dass sie sich fertigmachen musste. Sie
sah jetzt schon perfekt aus, und Hugo wusste nicht, wie sie noch perfekter
aussehen sollte. Aber er verabschiedete sich steif, vereinbarte mit ihr direkt
einen Termin für nächste Woche, und spürte ihren kurzen Schulterdruck noch, als
sie gegangen war. Er war verliebt in Rumer MacLeod. Die beste Freundin seiner
Schwester. War es ein Klischee? Selbst wenn. Es störte ihn nicht. Fast glaubte
er, dass er vielleicht doch eine Chance hatte. Vielleicht geschahen solche
Wunder manchmal?
Rumer
stand mehr als beleidigt gegen die Wand gelehnt, während Dom einfach ungefragt
das Kommando übernommen hatte, und Rose hatte zu lange gezögert. Sie hatte zu
spät abgelehnt. Selten war sie ihrer Cousine so nah. Dom saß vor ihr, sehr nahe
vor ihrem Gesicht, während auf dem Bett zigtausend Schachteln und Pinsel und
Farbpaletten ausgebreitet waren.
„Fast
möchte ich gar nicht über deine Sommersprossen schminken“, entfuhr es Dom hoch
konzentriert. „Sie sind so niedlich“, fuhr sie fort, aber Rose verzog kurz den
Mund.
„Mal
sie alle über“, befahl sie durch nahezu geschlossene Lippen.
„Das
hätte ich auch gekonnt“, bemerkte Rumer, eine Spur bitter.
„Ja,
aber ich habe mehr Produkte. Und bessere“, ergänzte Dominique, ohne den Blick
zu heben, ohne auch nur im Ansatz entschuldigend zu klingen. Rose spürte Rumer
auch aus dieser Entfernung kochen. Rose durfte die Augen wieder öffnen, und der
starke Geruch von Puder und Makeup war ekelerregend. „Wow“, murmelte Dom
lächelnd. „Gar nicht schlecht“, schloss sie nickend. Sie hielt Rose einen
Handspiegel vors Gesicht, und kurz vergaß Rose die Nähe zu Dom und starrte
ihrem Spiegelbild entgegen. Sie kam sich so anders vor. Das Makeup schaffte es
tatsächlich, ihre Sommersprossen verschwinden zu lassen.
„Oh“,
entfuhr es Rose unbeabsichtigt.
„Nicht
gut?“, erkundigte sich Dom eine Spur beleidigt.
„Nein“,
flüsterte Rose kopfschüttelnd. „Viel besser als vorher.“ Sie hasste ihre vielen
Sommersprossen. Jetzt sah sie endlich mal nicht so eigenartig aus. Und… ihre
Haare! Sie… waren glatt! Sie sah es erst jetzt wirklich. Sie sah vollkommen
anders aus. Fast glich sie Lily und Dom ein wenig mehr. Makellose Haut war
etwas, was sie überhaupt nicht kannte. Haare, die sich ihrem Willen beugten,
umso weniger.
Und
sehr überraschend fuhr Doms Hand fast zärtlich über ihre Haare.
„Du
bist wirklich schön, Rose“, sagte sie, als wäre es etwas, was ihr vorher nie aufgefallen
wäre. Aber auch an Rose gingen diese oberflächlichen Dinge vorbei. Aber jetzt
konnte sie es auf einmal sehen. Sie sah aus, wie ihre Mum. Das war… eigenartig,
denn ihre Mutter war ein anderer Typ, aber… ihre Gesichtszüge. Sie sah es heute
so deutlich, wie noch nie.
„Ich
mag ihre Locken lieber“, sagte Rumer fast bissig. Rose unterbrach ihre
Gedanken.
„Ich
nicht“, behauptete sie lächelnd.
„Presley
wird ausflippen. Und weißt du was?“ Dom sah sie strahlend an. „Ich leihe dir
meinen neuen grünen Pulli!“, versprach sie ihr zwinkernd. „Der Ausschnitt ist
etwas tief, aber… es ist genau das richtige für heute!“ Und Roses Augen
weiteten sich. Der grüne Pulli, den sie in Hogsmeade gekauft hatte, als Rose
mit Scorpius in die Blutige Schenke verschwunden war? Dieser Pulli? „Er wird
dir vielleicht besser stehen als mir“, vermutete sie abwesend und zuckte dann
die Achseln. „Wenn er dir besser steht, kannst du ihn behalten“, sagte sie
gönnerhaft. Rose konnte es kaum fassen. Dom kam ziemlich schnell wieder, und
Rose roch den letzten Ansatz von Doms Parfüm an dem weichen Stoff. „Ich hatte
ihn einmal an, aber nicht sonderlich lange. Er… stand mir nicht richtig“,
schloss Dom. Das konnte sich Rose nicht vorstellen. Alles stand ihrer
zierlichen, hübschen Cousine. Alles.
„Er
ist bestimmt zu eng“, vermutete Rose kopfschüttelnd.
„Er
muss eng sein. Nicht alles ist Quidditch-komfortabel, Rose“, entgegnete Dom und
schnalzte mit der Zunge, wie Vic es sonst tat. „Zieh ihn an. Dann machen wir
deine Augen und suchen den perfekten Lippenstift aus.“ Sie waren noch nicht
fertig? Rose war überfordert. Ihr Gesicht zu übermalen hatte schon Stunden
gedauert, so kam es ihr vor. „Es geht schnell“, versprach Dom, die ihre Sorge
vielleicht erkennen konnte.
„Wisst
ihr was, ich warte unten. Ihr braucht mich nicht, oder?“ Rumers Stimme klang
kühl.
„Rumer!“,
Rose eilig, die sich nicht schon wieder mit ihr streiten wollte, aber Rumers
Ausdruck wurde weicher.
„Schon
gut“, versprach sie Rose. „Ich… vermisse James sowieso“, ergänzte sie zwinkernd.
Rose verdrehte erleichtert die Augen.
„Na
los, zieh dich um“, befahl Dom grinsend. Rose zog sich nicht sonderlich gerne
vor anderen aus, aber durch das Quidditchspielen war sie es schon gewöhnt. Sie
schälte sich vorsichtig aus dem Shirt, um ihre Haare nicht zu ruinieren.
„Warte!“, rief Dom dann und kramte wieder in ihre Schublade. „Ich habe einen
super Pushup-BH“, rief sie und zog ihn aus den Tiefen ihrer Kommode hervor.
„Ist das nötig?“, entfuhr es Rose skeptisch, denn sie wollte nicht den pinken
BH ihrer Cousine anziehen, aber diese machte eine eindeutige Handbewegung.
„Oh
Rose, komm schon! Natürlich ist es nötig. Du wirst umwerfend aussehen. Und
alles, was Presley bekommen wird, ist ein keuscher Gutenachtkuss. Er wird jede
Nacht von dir träumen!“, prophezeite Dom verschwörerisch, und Rose wurde eine
Spur rot. Aber… das Makeup verbarg diese Gefühlsregung erfolgreich, stellte sie
mit einem Blick in den Spiegel fest. Dann wurde Dom ernster.
„Weißt
du, ich finde es gut, dass du mit Presley ausgehst“, sagte sie dann. „Ich
meine, ich freue mich für Rumer, aber… James ist unser Cousin. Es macht keinen
Spaß über unsere Cousins zu reden“, schloss sie. Rose nickte, denn sie
verstand. „Und… jetzt datest du einen Slytherin und… ich auch, und… es ist spannend,
nicht?“ Und fast kam es Rose so vor, als begann Dom, sich mit Scorpius zu
langweilen. Als bräuchte sie… ein wenig Ablenkung und neuen Nervenkitzel, und
sei es nur dadurch, dass Rose nun mit einem Jungen ausging, mit dem sie nicht
verwandt waren.
„Ich
denke schon“, räumte Rose ratlos ein. Dom drehte sich um, damit Rose den BH
anziehen konnte, und sie beeilte sich. Es war ihr mehr als unangenehm. Kaum
hatte sie den Verschluss mit Mühe geschlossen, wandte sich Dom wieder um – und
strahlte.
„Wahnsinn!“,
behauptete sie. Rose zog eilig den Pulli über, denn Dom betrachtete zufrieden
ihren Busen – und Rose hatte damit keine Erfahrung. „Perfekt!“, ergänzte Dom,
als Rose den sehr engen Pullover zurechtgezogen hatte. Sie drehte sich ihrem
Spiegelbild zu. Und es war nicht mehr Rose Weasley. Es war… irgendjemand
anders, den Rose kaum wiedererkannte. Sie trug keine engen Sachen. Sie trug…
bequeme Sachen. Aber das hier… sah nicht schlecht aus.
„Nur
deine Hose müssen wir loswerden. Ich habe einen braunen Minirock. Und eine
dunkle Strumpfhose!“, schien Dom einzufallen. „Das wird klasse aussehen.“
„Dom-“,
wandte Rose ein, aber ihre Cousine war kaum aufzuhalten.
„-weißt
du, eigentlich… mag ich den Pulli, aber…“ Sie reichte Rose den Rock und die Strumpfhose.
Rose trug nie Röcke, wenn sie es nicht musste. Nie.
„Aber?“,
griff sie die Worte ihrer Cousine auf, denn es war ihr wieder einmal
unangenehm, sich zu entblößen. Wie konnte es Dom so egal sein?!
„Aber
Scorpius hat gesagt, er gefalle ihm nicht sonderlich gut“, schloss sie
achselzuckend. Roses Blick fiel wieder auf den traumhaften Pulli.
„Ja?“,
entgegnete sie. „Dann hat er einen absoluten Dachschaden, denn der Pulli ist
toll“, widersprach sie spöttisch.
„Du
magst ihn nicht wirklich, oder?“, fragte Dom plötzlich, und Roses Blick gefror.
„Scorpius“, ergänzte Dom, falls Rose es nicht wüsste.
„Ahem…“,
begann Rose unschlüssig. „Keine Ahnung. Ich… kenne ihn nicht wirklich“,
wiegelte sie eilig ab.
„Du
solltest ihn kennenlernen. Er ist… sensibel und nett und ein wahnsinnig lieber
Kerl“, schwärmte Dom jetzt. „Ihr würdet euch verstehen, garantiert. Ihr habt
beide… so einen komischen Humor“, schloss sie achselzuckend. Rose hob die
Augenbraue.
„Danke?“,
entgegnete sie beleidigt, aber Dom lächelte ein schönes Lächeln.
„Ach,
du weißt, was ich meine“, winkte ihre Cousine ab. „Ich finde, wenn es mit
Presley was wird, könnten wir doch… alle zu viert ausgehen, oder?“ Rose stellte
es sich wahnsinnig unangenehm vor. Und so leicht, wie sie tat, fiel ihr die Zweisamkeit
mit Dom nicht.
„Ja“,
sagte Rose, aber… sie meinte es nicht ernst. Sie würde wenn überhaupt mit Rumer
und James was unternehmen. Wenn überhaupt! Noch war sie nicht mit Presley aus
gewesen, und sie hatte unheimliche Angst vor diesem heutigen Abend.
„Na
los, wir beenden das Meisterwerk“, sagte Dom, nachdem sich Rose endlich
umgezogen hatte, und direkt das Bedürfnis verspürte, ihre bequeme Hose wieder
anzuziehen. „Du wirst die schönste Weasley sein, heute.“
„Ha
ha“, entfuhr es Rose lakonisch.
„Was?“
Dom wirkt ehrlich verblüfft. Rose atmete lange aus.
„Dom“,
begann Rose eindeutig, aber Dom sah sie mit großen Augen an. Aber Rose hatte
keine Lust, Dom ein offensichtliches Kompliment zu machen. Scheinbar legte es ihre
Cousine darauf gar nicht an. Es war schwer, Dom anzulügen, wenn sie tatsächlich
nett zu ihr war. „Danke. Für alles“, schloss Rose beschämt, aber Dom strahlte
mit einem betörend schönen Lächeln.
„Unsinn.
Ich mache es gerne. Wir sind doch Cousinen! Wir sind für einander da, richtig?“
Sie zwinkerte Rose zu, ehe sie ihr befahl, die Augen zu schließen. Rose sagte
gar nichts dazu. Mist. Mist. Dreifacher Mist.
„Wir
werden niemals hier wegkommen“, knurrte Al kopfschüttelnd. „Es ist viertel nach
sieben!“, rief er Richtung des Schlafsaals. Er war gereizt, stellte Scorpius
fest. Das war er seit Tagen nur noch. Und heute war es besonders schlimm.
Scorpius hatte ihm schon vorschlagen wollen, heute vielleicht nichts zu
trinken, aber Al hatte sich bereits mit einigen Ravenclaws kurzgeschlossen, die
harten Alkohol in die Drei Besen schmuggeln würden. Ab und an taten sie das,
denn… von Butterbier alleine wurde man nicht glücklich – sagte Al. Es war eine
dumme Idee, aber Scorpius sah sich außerstande, Al von irgendetwas abzuhalten.
Zumindest im Moment.
„Krieg
dich ein“, entgegnete James lächelnd, während er schon wieder den Kopf senkte,
um Rumer zu küssen. Scorpius war ein wenig überrascht, dass sich James noch
nicht zu langweilen schien. Rumer flüsterte ihm etwas ins Ohr, und James musste
lächeln. Kurz dachte Scorpius an das Gespräch mit Hugo und wie schlecht sie
beide über James gesprochen hatten. Es tat Scorpius beinahe wirklich leid. Und
vielleicht veränderte sich James? Mit Rumer auszugehen… war schon etwas Neues.
Sie war nicht irgendein Mädchen. Rumer war seit Jahren mit dabei. Sie gehörte
dazu, und sie loszuwerden, wäre nicht möglich, glaubte er. Hätte er mehr Zeit
mit dem älteren Potter verbringen sollen? Es kam ihm so abwegig vor. Aber im
Moment war es mehr als anstrengend mit Al. Scorpius erkannte ihn nicht mehr
wieder. Und schon stieß Al ein herablassendes Geräusch neben ihm aus, als Louis
die Treppe zum Schlafsaal runter kam. Louis fertig zu machen, war etwas, das Al
seit Jahren tat, und Scorpius hatte nie begriffen, warum Al ihm so feindlich
gesinnt war. Nie. Louis war anders, als Fred oder James, aber Scorpius hatte
ihn immer als angenehm unauffällig empfunden. Und natürlich ließ sich Louis
selten irgendetwas von Al bieten.
„Ein
Wunder, dass du keinen kompletten Anzug angezogen hast“, machte Al sich über
Louis‘ Hemd lustig, aber dieser hob lediglich die Augenbraue.
„Fick
dich, Al“, entgegnete er gleichmütig, und Louis ließ sich eigentlich nie von Al
aus der Ruhe bringen. Scorpius hätte längst öfters und eindeutiger seine
Meinung gesagt, würde Al ihn jedes Mal so nerven. Aber eigentlich wagte das nur
James. Und Scorpius fiel wirklich erst in diesen letzten Wochen auf, wie
schwierig Albus sein konnte. Wie eigensinnig und absolut nicht umgänglich er
war. Dass Scorpius sein bester Freund war, hatte ihn wohl ein wenig geblendet.
Er wusste, einige hatten Angst vor Al, viele mieden sogar den direkten
Blickkontakt, aber Scorpius hatte Albus immer faszinierend gefunden. Immer
schon! Und das war er auch, aber… gleichzeitig war er so unberechenbar und
konnte wirklich bösartig sein. Er war… tatsächlich eine Zeitbombe. Und seit
neuestem kam Scorpius in den unerwünschten Genuss, ebenfalls von Al ignoriert
zu werden, nicht mehr teilzuhaben, an Als Problemen. Al schätzte ihn nicht mehr
so wert, wie er es getan hatte. Und er wusste nicht, wie er das ändern sollte.
Und er wusste nicht, wie es ihn nicht belasten sollte, dass Al ihn verstieß,
dass er seine Meinung nicht mehr wertschätzte. Es war nervig und anstrengend.
Dann
hörte er Dominiques Stimme. Er hob den Blick. Er merkte erst jetzt, dass er
selber merklich angespannt war. Wesentlich angespannter als sonst. Und
garantiert viel zu angespannt, für einen gemütlichen Samstagabend. Und fast war
er sich sicher – gemütlich würde es auch nicht werden. Zwar sprachen sie nicht
darüber, aber dass Presley Ford heute mit dabei wäre, aus dem simplen Grund,
mit Rose auszugehen… - war nicht unerheblich. Und sei es nur, weil es um
Quidditch ging. Sei es nur, weil er und James natürliche Konkurrenten waren.
Sei es nur, weil den Weasleys allen klar war, dass diese neue Entwicklung einen
Eulenhagel an Briefen auslösen konnte, sollten es die Eltern erfahren. Scorpius
interessierte sich nicht sonderlich für die magische Innenpolitik des Landes,
denn es war ein Mikrokosmos, im Vergleich zum nichtmagischen Rest der Welt,
aber… er wusste, Emory Ford, Presleys Vater, war Vertreter der Konservativen
Vereinigung, und Vorgesetzter seines eigenen Vaters. Und zumindest Mrs Weasley
dürfte ihn nicht sonderlich gut leiden können, denn sie war kandidierende
Ministerkandidatin der Liberalen. Der Tagesprophet
berichtete nie über irgendwelche Eklats zwischen Liberalen und Konservativen,
denn es war ein ereignislos ruhiger Wahlkampf, wie immer. Sowieso hatte die
Ministerposition in den letzten Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle
gehabt. Aber das war langweilige Magische Rechtsgeschichte – ein Fach, was er
abgewählt hatte, als er die Möglichkeit gehabt hatte, denn die unzähligen
pazifistischen Nachkriegsgesetze waren allesamt einschläfernd und setzten auf
Passivität. Deshalb wunderte es ihn nicht, dass die Neuwahlen für das
Ministeramt keine Aufmerksamkeit mehr erregten. Und wahrscheinlich war es
deshalb auch absolut egal, wer mit wem ausging. Theoretisch zumindest. Und Rose
Weasley dürfte es erst recht nicht interessieren, nahm er an.
„Rose,
warte“, vernahm er Dominiques Stimme deutlicher, und eilig kam sie die Stufen
runter. Es überraschte ihn nicht, dass seine Freundin wunderschön aussah. Heute
trug sie Jeans, ein blaues Top, und die Haare saßen in einem hohen
Pferdeschwanz, der glatt und glänzend über ihre Schulter fiel. Ihre Makeup war
dunkler, ließ sie verruchter aussehen als sonst, aber dann sprach sie wieder,
lenkte seine Gedanken ab. „Jetzt kannst du kommen!“, rief sie nach oben. Dann
wandte sie sich um. „Ladies und Gentlemen, die neue, verbesserte Rose Weasley“,
verkündete sie stolz, und Scorpius runzelte die Stirn. Es war ein wenig
übertrieben, oder nicht? Al verschränkte fast zornig die Arme vor der Brust.
Und er hörte die Schritte auf den Stufen. Sie musste höhere Schuhe als sonst
tragen, nahm er dumpf an.
„Dom,
du hast einen Schaden, echt“, vernahm er Roses Stimme, und das klang sehr
eindeutig nach der normalen Rose Weasley. An ihrem Charakter schien Dominique
nichts verbessert zu haben, vermutete er spöttisch.
„Komm
schon, du brauchst einen guten Auftritt“, behauptete seine Freundin lachend.
Und dann kam Rose den Rest der Wendeltreppe hinab, erschien in ihrem Sichtfeld,
und es war Fred, der einen anerkennenden Pfiff ausstieß.
„Unfassbar,
wer hätte gedacht, dass sich unter der Quidditchuniform echtes Potential
verbirgt?“, stellte Fred grinsend fest und tauschte einen Blick mit James.
„Wir
sollten dich nicht mehr Schatten nennen, sondern das Chamäleon von Gryffindor“,
beschloss James zustimmend, und ein wütender, wenn auch gleichzeitig verlegener
Ausdruck, huschte über Roses Gesicht. Und kurz verfing sich sein Blick
tatsächlich an ihr. Aber sie trug einfach nur Dominiques Kleidung, stellte Scorpius
fest. Und alles, was anders war – gefiel ihm nicht sonderlich. Ihre Locken
waren verschwunden. Lang und glatt fielen ihre Haare über ihre Schultern, und
auch das Fehlen ihrer Sommersprossen hatte einen eigenartigen Effekt. Sie sah
nicht schlecht aus, aber… alles, was Scorpius plötzlich bemerkte, war, wie
künstlich Dominique tatschlich aussah, jetzt wo Rose ihm so ähnlich künstlich
vorkam. Und noch nie hatte es ihm tatsächlich nicht gefallen, aber… heute Abend
fand er es fast erschreckend auffällig. Nein, Rose sah nicht besser aus als
sonst.
Dann
wiederum – ihm musste es nicht gefallen, ermahnte er sich. Vielleicht würde es
Dominique nicht schaden, ab und an weniger Makeup zu tragen. Er würde sich aber
hüten, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten.
Roses
Blick traf ihn, fast ein wenig verunsichert, und automatisch wich er ihren
Augen aus, die so provozierend dunkel geschminkt waren. Er war sich nicht
sicher, warum, aber er konnte sie nicht direkt ansehen.
Wenn
Presley diese Aufmachung gefiel, dann… dann… - Scorpius wusste nicht, wie
dieser Gedanke enden sollte. Und er zwang sich, nicht mehr darüber
nachzudenken.
„Und
für diesen Quatsch haben wir fünfzehn Minuten länger warten müssen?“, brachte
Al es auf den Punkt, den Scorpius nicht wagte, laut zu äußern. Und für eine
Sekunde schien Dominiques Wut den Gemeinschaftraum komplett zu füllen. Es war
ein sehr unangenehmer Moment.
„Deine Meinung interessiert absolut überhaupt niemanden!“, fuhr sie Albus ohne
Freundlichkeit an. „Rose sieht umwerfend aus, und darum ging es an diesem
Abend. Garantiert nicht darum, dass du dich noch schneller als sonst betrinken
kannst! Für dich wurde der Aufwand nicht betrieben, aber es würde nicht
schaden, wenn du einfach mal deinen Mund halten würdest – vor allem, wenn dich
niemand nach deiner verdammten Meinung fragt!“
Wow.
Das war… ziemlich eindeutig, und kurz sah Al so aus, als wolle er erwidern, als
wolle er sich ernsthaft auf diesen Streit einlassen. Und Scorpius hielt kurz
den Atem an. Dann aber… schloss sich Als Mund, sein Blick jedoch war eiskalt.
„Lasst
und einfach gehen“, beschloss James kopfschüttelnd. Ihm schien es mäßig egal zu
sein, was wer dachte, und Scorpius war fast dankbar. Und in gruseliger
Geschwindigkeit zauberte Dominique ein Lächeln auf ihre Lippen, schloss den
Abstand zu ihm und begrüßte ihn vollkommen ausgeglichen. Al wandte sich direkt
ab und verließ mit Fred und James bereits den Gemeinschaftsraum.
Automatisch
senkte sich Scorpius‘ Kopf, automatisch küsste er ihren Mund, atmete unbewusst
ihren vertrauten Duft ein, und er wusste, sie gab sich Mühe mit Rose. Warum
auch immer sie es tat.
Neben
ihm hatte sich Rumer bei Rose untergehakt, und er glaubte, er hörte sie über Al
lästern. Sein Blick hob sich wieder, und er erkannte, Rose lächelte nicht mehr.
Ihre Laune schien… mäßig schlecht zu sein. Es würde ein anstrengender Abend
werden. Und Al war mehr als nur überwiegend Schuld daran.
Scorpius
beobachtete bloß, wie Presley sie unten empfing. Er trug ein weißes Hemd, hatte
den obersten Knopf offen gelassen und dazu eine dunkle Jeans. Durchaus
angemessen für ein Date, nahm er an. Ihr ganzer Trupp hielt an, und kurz sprach
James mit ihm, begrüßte ihn, tauschte bedeutungslose Floskeln aus, die unter
Kapitänen wohl nötig waren, ehe Presleys Aufmerksamkeit sich komplett
verlagerte.
„Hi“,
begrüßte er Rose, aber Scorpius konnte nichts weiter verstehen, denn vehement
schob ihn Dominique weiter, mit einem Wolfslächeln im Gesicht, als wäre ihr
kleiner Plan bereits aufgegangen. Als wäre etwas Makeup alles, was eine gute
Beziehung benötigte. Aber tatsächlich wirkte Presley sehr angetan von Rose. Al
überholte sie alle, trat fast mit Gewalt die Schlosstore auf, und Scorpius
verspürte beinahe das Bedürfnis, nicht wegzugehen. Einfach hier zu bleiben.
Aber…
vielleicht war es, wie Rose sagte. Sie hatten alle ihre Rolle zu spielen. Und
Scorpius hatte schon jetzt keine Lust mehr.
Vic
war heute nicht mit dabei. Und James apparierte mit Rumer. Auch Presley war
längst mit Rose verschwunden. Fred bot Dominique an, sie ins Dorf mitzunehmen,
und Scorpius gestattete es, natürlich wäre Dominique so oder so mit Fred
appariert, und er verblieb mit Louis und Al, aber Al marschierte drei Meter vor
ihnen ins Dorf hinab.
Louis
war nicht sein liebster Weasley, das gab er zu. Aber er war um einiges besser
zu ertragen, als Al in den letzten Tagen. Sie sprachen nicht, gingen schweigend
nebeneinander, bis Louis seufzte.
„Apparieren
müsste man können“, beschwerte er sich dumpf.
„Mhm“,
erwiderte Scorpius bloß.
„Albus‘
Laune ist unerträglich“, fuhr Louis stiller fort.
„Wird
sich legen“, behauptete Scorpius knapp. Er spürte Louis‘ Blick deutlich.
„Ja?“,
erwiderte dieser ungläubig. „Wann?“ Scorpius antwortete nicht, zuckte lediglich
die Achseln. „Hast du mal mit ihm geredet?“, wollte er dann wissen. Scorpius
hob den Blick. „Du bist sein bester Freund, oder?“ Betroffen schwieg er, denn…
was meinte Louis damit? „Ich meine, keine Ahnung“, druckste der Blonde neben
ihm achselzuckend herum. „Normal ist das nicht.“
„Was
konkret?“, wollte Scorpius fast tonlos wissen, aber Louis tauschte einen sehr
eindeutigen Blick mit ihm.
„Ich
werd’s dir nicht buchstabieren“, entgegnete Louis schließlich, und Scorpius
wandte wieder den Blick nach vorne, betrachtete Als schemenhafte Gestalt, die
mit zornigen Schritten voranmarschierte, und er seufzte schließlich.
„Darüber
kann ich nicht mit ihm reden“, schloss Scorpius dann.
„Irgendjemand
wird es tun müssen, denn… das wird ihn noch zerstören.“ So viel Weitsicht hatte
er Louis kaum unterstellt. „Vielleicht muss Rose es machen. Sie weiß es auch,
ist aber zu feige, irgendwas zu unternehmen.“ Und tatsächlich sah Scorpius es
ähnlich.
„Aber
wie deutlich soll sie noch werden? Sie geht mit Presley aus“, schloss Scorpius.
Louis pfiff durch die Zähne.
„Presley
ist ein Player. Alles, was sie damit beweist, ist schlechten Geschmack.“
Scorpius‘ Blick hob sich wieder.
„Vielleicht
meint Presley es ernst“, sagte er lediglich. Aber Louis Blick war eindeutig.
„Keine
Ahnung, warum er es ausgerechnet auf Rose abgesehen hat, aber… sie ist dumm
genug auf seine Masche reinzufallen.“ Scorpius hatte ein schlechtes Gefühl bei
diesem Gespräch.
„Willst du ihr das sagen?“, fragte er dann, aber Louis zuckte die Achseln.
„Ich
bin doch nicht lebensmüde. Ich renne auch nicht zu Rumer, um ihr den massiven
Fehler aufzuzeigen, den sie begeht, wenn sie sich mit James Potter einlässt.
Ich meine, sieh es einfach ein – unsere Treiberinnen sind genauso dumm wie alle
anderen Mädchen“, schloss er unbekümmert. „Und Rose würde nicht auf mich hören.
Guck dir Presley an“, schloss er gleichmütig. „Und wer bin ich schon? Ich bin
nicht besser als James.“
„Sie ist deine Cousine“, entfuhr es Scorpius schlicht. Louis zuckte die
Achseln.
„Vielleicht
klappt es auch“, behauptete er dann achselzuckend. „Wie bei dir und Dom. Das
hätte auch keiner geglaubt“, schloss Louis lediglich, und Scorpius fühlte sich
schlecht. Es war nicht direkt ein Kompliment, aber Louis verschenkte auch keine
Komplimente, soweit Scorpius wusste.
„Wir
sind alle scheiße, wenn wir nichts unternehmen“, sagte Scorpius missmutig.
„Tja,
alles Heldenkinder, aber doch keine Helden, nicht?“ Scorpius verstand Louis
nicht wirklich. Dieser blickte lächelnd gen Boden und schien sich nicht
großartig an den Entwicklungen zu stören. Das Schicksal der anderen schien ihm
mäßig gleichgültig zu sein. Louis erinnerte ihn manchmal an Hugo. Ein wenig
abwesend, obwohl Louis immer noch dazu gehörte. Scorpius wusste darauf nichts
zu sagen, und war froh, dass sie endlich angekommen waren. Er wusste, ihm stand
garantiert nicht zu, zu urteilen, wer mit wem zu verkehren hatte, aber seine
Gedanken machte er sich so oder so.
Sie
betraten die Drei Besen, und die wohlige Wärme umfing ihn sofort. Die anderen saßen
bereits am großen Tisch, und zu seiner Überraschung erkannte er eine neue
Gestalt. Hugo Weasley saß ein wenig verloren am Tisch, neben seiner Schwester.
Und er erkannte die Ravenclawschüler, die bereits mit Al ins Gespräch vertieft
waren. Fast war Scorpius wirklich überrascht, dass Hugo solche Anstrengungen
auf sich nahm, allein für Rumer. Und tatsächlich fände Scorpius es verdammt
amüsant, sollte Rumer James für Hugo verlassen. Es wäre ein richtiges Wunder.
Presley
war aufgestanden und holte bereits Getränke.
Der
Abend ging los, und Scorpius schälte sich aus seiner Jacke, um sich neben
Dominique zu setzen, die ihn lächelnd empfing.
Zeit,
seine Rolle zu spielen. Hoffentlich war Al klug genug, das ebenfalls zu tun.
Die
anderen mussten denken, sie hatte eine Blasenschwäche, nahm sie dumpf an, als
sie zum sechsten Mal den Weg zu den Toiletten auf sich nahm. Doms Schuhe waren
nicht sonderlich hoch, aber Rose war Absätze und Makeup und Miniröcke nicht
gewöhnt, genauso wenig wie Presley Fords Hand, die immer wieder den Weg auf ihr
Knie fand. Sie war überfordert, hatte nicht mal ihr Butterbier geleert und war
überrascht, dass Hugo tatsächlich aufgetaucht war.
Im
Spiegel vergewisserte sie sich, dass ihr Makeup noch saß, ihre Haare ordentlich
lagen, und sie brauchte noch immer eine Sekunde, um sich überhaupt zu erkennen.
Albys Worte hatten sie böse getroffen.
Er
fand, sie sah nicht gut aus, dabei fand Rose, hatte sie noch nie besser
ausgesehen. Sie sah nicht mehr aus, wie sie selbst. Sie sah besser aus als je
zuvor. Und ihr Busen wirkte doppelt so groß wie sonst!
Sie
war aufgeregt und gleichzeitig hatte sie Angst. Schreckliche Angst.
Die
Tür schwang auf und eine Schülerin aus Hufflepuff betrat die Toiletten. Rose
schenkte ihr ein nichtssagendes Lächeln, senkte dann den Blick und zwang sich,
den Raum wieder zu verlassen.
Sie
trat nach draußen und stieß fast mit ihm zusammen.
Sofort
fuhr er sich durch die hellen Haare. Er schien ihren Blick zu meiden. Und sie
mochte nicht, dass es ihr auffiel. Sie mochte nicht, dass sie ihm überhaupt
irgendeine Aufmerksamkeit schenkte.
„Hey“, begrüßte Scorpius sie schließlich. Es waren die erste Worte, die sie
heute sprachen und sie klangen gezwungen.
„Hey“,
erwiderte sie die Begrüßung leer. Sie zog den grünen Pulli tiefer, biss sich
kurz auf die Lippe und bedeutete ihm, vorzugehen.
„Nach
dir“, bediente er sich ausdruckslos irgendwelchen semi-höflichen Floskeln, auf
die sie beim besten Willen verzichten konnte. Garantiert in Bezug auf ihn und
garantiert heute Abend, wo sie sich sowieso nicht so selbstbewusst fühlte, wie
sonst.
Auf
diesen Schuhen wäre sie ohnehin viel zu langsam. Aber sie sagte, nicht, was sie
dachte. Sie sagte, was sie immer sagen würde.
„Ich
brauche keinen Vortritt.“ Es klang defensiver, als sie beabsichtigt hatte. Sie
konnte es nicht verhindern. Sein Blick hob sich kurz, streifte ihren, und er
wirkte genervt. Für einen Moment fragte sie sich, warum sie es einfach nicht
schaffte, nett zu sein. Oder wenigstens netter. Aber ihm gegenüber fiel es ihr
besonders schwer. Sie wollte einfach nicht.
„Ok?“,
entgegnete er gereizt. „Dann nicht“, schloss er kurz angebunden, zuckte die
Schultern und ging voran. Was hatte sie ernsthaft gedacht? Dass er zu ihr käme,
um ihr sagen, dass sie gut aussah? Dass er es gut fand, dass sie mit Presley
ausging? Nein! Natürlich nicht. Ihr Atem ging unkontrolliert. Sie war viel zu
aufgeregt. Das Hufflepuffmädchen verließ die Toilette schon wieder, schob sich
an Rose vorbei, aber nicht, ohne ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen. Wieder
beschränkte sich Rose auf ein Lächeln, bevor sie Kehrt machte und wieder auf
den Toiletten verschwand. Sie wusste nicht mal, worüber sie mit Presley reden
sollte. Sie hatten keine echten Gemeinsamkeiten. Und jedes Mal, wenn er ihr
Knie berührte, wollte sie aufspringen und weglaufen. Sie hatte geglaubt, sie
wäre bereit für so etwas, aber… sie fühlte sich so unwohl. Al hatte sie
beleidigt, Scorpius sah sie nicht mal an – nicht, dass sie angesehen werden
wollte, aber… sie fühlte sich nicht erhaben oder überlegen, wie Dom ihr
versichert hatte.
Sie
fühlte sich einfach nur-
„-oh,
hey.“ Ihr Blick hob sich. Lily hatte sich ins Innere der Toiletten geschoben.
Roses Mund öffnete sich verblüfft.
„Hey“,
erwiderte sie, denn sie hatte gar nicht mehr an Lily gedacht! Sie musste mit
ihren Bekannten schon eher losgegangen sein, nahm sie plötzlich an. Wie
unhöflich von ihr, Lily vergessen zu haben. Schon war Lily in einer der Kabinen
verschwunden und fragte sie nicht, was sie zum sechsten Mal hier unten tat.
Jetzt erst fiel Rose auf, dass Lily nicht mal an ihrem Tisch saß. Merlin, war
sie heute selbstbezogen!
Dumpf
vernahm sie die lauten Gespräche, die verhaltene Musik. Und für eine Sekunde
glaubte sie, absolut hässlich zu sein. Ihr Blick fiel. Plötzlich wollte sie
weg. Sie war überfordert, fühlte sich schrecklich – und sie wollte einfach nur
noch weg. Vielleicht versteckte sie sich deshalb hier unten. Sie konnte kaum
noch atmen, wenn sie daran dachte, die Treppe zum Schankraum wieder hochgehen
zu müssen, zurück zu ihrem Tisch zu staksen, wo ihr kleiner Bruder sich bestens
mit Sutter Huxley verstand, was an sich schon äußerst fragwürdig war, und wo
Presley Ford darauf wartete, dass sie seine Avancen zuließ. Plötzlich wünschte
sie sich, Verwandlung besser zu beherrschen, Desillusionierungszauber zu
kennen, zu verschmelzen mit ihrer Umgebung, und einfach abzuhauen. Unsichtbar
sein, wäre wunderbar. Jetzt gerade. Oder einfach apparieren zu können!
Lily
betätigte die Spülung, kam wieder raus und wusch ihre Hände neben ihr. Rose
betrachtete ihr fremdes Spiegelbild und Lily trocknete ihre Hände. Die junge
Potter beachtete sich selber nicht, fiel Rose auf. Sie schien kein Interesse an
ihrem eigenen Spiegelbild zu haben und wandte sich schließlich ab. „Alles ok?“,
entfuhr es Rose tatsächlich, und Lily antwortete, ohne innezuhalten, als sie
die Tür öffnete.
„Alles
bestens“, erwiderte sie gleichmütig, und schon schwang die Schwingtür wieder
zu, als Lily verschwunden war. Rose runzelte die Stirn. Es klang… nicht so, als
wäre alles bestens. Aber Rose glaubte, sie würde sich darum heute nicht sorgen
können. Sie würde nicht für immer hier unten bleiben können. Nachher dachte
noch jemand, sie vertrüge keinen Alkohol oder wäre feige. Sie wusste nicht, was
schlimmer war. Sie atmete aus und dachte kurz noch an Lilys einsilbige
Antworten und wie sie ihren Blick gemieden hatte, aber schon vergaß sie ihre
Cousine, als sie auf dem Flur stand. Erneute Sorge überkam sie mit einem Mal. Er
hatte sie gefunden…!
„Hier
bist du“, begrüßte Presley sie mit einem Grinsen. „Ich habe dich schon
vermisst“, bemerkte er und schlenderte die Stufen runter. Rose spürte, wie ihre
Arme taub wurden, vor Angst. Sie erkannte seine Muskeln deutlich, roch seinen
Duft schon aus dieser Entfernung, und sie fragte sich verzweifelt, was ein
erfahrener Kapitän aus Slytherin mit ihr wollte? Konnte er nicht jede andere
haben? Sie musste sich zwingen, zu sprechen.
„Oh,
ich… tut mir… leid“, würgte sie hervor.
„Dein
Bruder hat ordentlich Spaß. Er trinkt mit Sutter“, schloss Presley vielsagend,
und Roses Augen wurden groß. Das lenkte sie von ihrer Angst ab. Wie konnte
Sutter wagen, ihrem kleinen Bruder Alkohol einzuflößen? Und seit wann machte
Hugo so etwas? Hatte er sein Gehirn im Gemeinschaftsraum gelassen?!
„Was?“,
entfuhr es ihr ungläubig, und Presley grinste.
„Oh
ja! Ich meine, dass Al Spaß an Sutters geheimen Alkoholvorräten hat, ist uns
allen bekannt, aber dein Bruder… hat verborgene Qualitäten“, schloss er lächelnd.
Es war keine Qualität. Es war ein verdammter Fehler. Aber sie sah sich gerade
außer Stande, Sutter die Meinung zu sagen. Sie wusste nicht mal, wie sie an
Presley vorbei sollte.
„Scheint so“, murmelte sie stattdessen. Plötzlich merkte sie, wie Presley den
Abstand zu ihr schloss. Sofort beschleunigte sich ihr Atem um das Dreifache.
„Geht’s
dir gut?“, fragte er sie, sanfte Sorge im Blick. Sie musste den Kopf heben, um
in seine Augen zu sehen. Sie waren blau, wie ihre eigenen. Scorpius‘ Augen
waren heller. Der Gedanke kam ihr sehr plötzlich und war so unpassend und
dämlich. Presley griff zaghaft nach ihren kühlen Händen. „Ist dir kalt?“,
wollte er sanft wissen, und Rose schluckte schwer. Ihr Herz raste mittlerweile.
Er würde sie küssen! Er würde sie küssen! Und sie wollte nicht. Sie wollte es
wirklich nicht! Sie hatte nicht das Gefühl, was sie am Strand gehabt hatte.
Nichts war vertraut, nichts war gut. Sie wollte nicht!
„N-nein.
Alles… gut“, erwiderte sie nervös.
„Ok“,
sagte er, und sein Gesicht näherte sich unweigerlich. „Du… siehst umwerfend
aus, heute“, flüsterte er, denn er war nahe genug, dass sie jedes Wort genau
verstehen konnte.
„D-danke“, wisperte sie ebenfalls, obwohl sie rennen wollte. Obwohl sie
schreien wollte. Sie wollte nicht! Es ging viel zu schnell, sie war nicht
vorbereitet. Überhaupt nicht! Dom und Rumer waren nutzlos, hatten ihr nicht
geholfen, hatten sie nicht vorbereitet, und es war nicht wie mit Scorpius! Sie
fühlte gar nichts! Und seine Augen schienen zu fragen. Sein Blick war eindeutig,
fiel immer wieder auf ihren Mund, und sie wusste, würde sie ihn nicht von sich
schieben, gab sie ihm die Erlaubnis. Und sie fand es furchtbar. Das waren die
Toiletten der Drei Besen. Hier auf dem Flur würde es niemals so magisch sein,
wie zwischen den Felsen am Strand. Sie war so verzweifelt. Wie entkam sie bloß
dieser Situation? Sie würde niemals-
„-ihr
steht verdammt noch mal im Weg“, unterbrach Albys raue Stimme die schrecklich
unangenehme Situation, und sie fuhren auseinander. Roses Herz schlug wild in
ihrer Brust. Direkte Röte trat in ihre Wangen. Presley lachte laut auf.
„Ach,
komm schon, Potter. Sei nicht so unromantisch“, entgegnete Presley. Alby war
betrunken. Rose sah es sofort. Und nicht auf die Art und Weise, wie sie es war.
Er war nicht leicht benebelt und musste aufpassen, nicht umzuknicken, nein.
Alby war… sternhagelvoll. Sein Blick ging nicht mehr völlig gerade, und blanke
Ablehnung stand auf seinen angespannten Zügen. Er machte ihr Angst. Und er sah
sie… so abschätzend an. Völlige Herablassung war deutlich in seinen Augen zu
lesen.
„Lass
mich in Ruhe mit der Scheiße, und verpisst euch einfach!“, fuhr er Presley
ungerührt an, und mit einem Mal war jede Freundlichkeit aus Presleys Worten
verschwunden.
„Hey!
Vielleicht hast du genug getrunken, was meinst du?“, fragte er Alby direkt,
aber es war nicht wirklich eine Frage.
„Geht
dich einen verdammten Scheißdreck an“, knurrte Alby und tatsächlich schubste er
Presley ziemlich grob beiseite und sah sie gar nicht mehr an. Er wollte auf die
Herrentoilette, aber Presley hielt ihn entrüstet auf. Rose wünschte, er würde
es nicht tun. Sie wünschte, er würde ihn gehen lassen, bevor…- bevor was? Bevor
Alby etwas Unpassendes sagen würde, was er morgen bereute? So ungefähr.
„Wieso
redest du so mit mir? Was habe ich dir getan, verdammt?“ Geduld gab es in
angetrunkenen Köpfen nicht wirklich. Und Alby schien kein Gespräch zu suchen.
Er suchte den Streit. Es lag auf der Hand. Und vielleicht war er nur deshalb
hier runter gekommen.
„Leg
dich nicht mit mir an, ja?“, warnte Alby ihn schroff, und Presleys Augen wurden
groß.
„Ich
lege mich nicht an! Du benimmst dich wie ein dummes Arschloch!“, entgegnete er
grimmig.
„Oh,
ich bin das Arschloch, ja?“ Absolut gewaltbereit standen die Jungen voreinander.
Und Presleys Größe und Gewicht überstiegen Albys um einiges.
„Hört
auf“, hörte Rose sich sagen, aber ihre Stimme klang schwach. Es überforderte
sie so sehr. Sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte.
„Halt
dich da raus!“, würgte Alby sie ab, ohne sie anzusehen. Und dann überschritt er
die Grenze und hart schubste er Presley, stieß ihm die Hände vor die Brust, und
Presley taumelte zurück.
„Das
machst du nicht noch mal!“, warnte Presley ihn jetzt, die Fäuste geballt. Alles
geriet außer Kontrolle. Rose konnte kaum noch atmen.
„Alby!“,
fuhr Rose ihn zitternd an, aber Albys Blick war weit entfernt.
„Na
los, Ford! Ich warte!“, provozierte er ihn, aber bevor Presley zuschlagen
konnte, trat Rose panisch dazwischen.
„Nicht!“, entfuhr es ihr atemlos. „Presley, nicht“, wiederholte sie
verzweifelt, und spürte die Wärme beider Jungen.
„Geh
weg, Rose!“, knurrte Alby hinter ihr, aber sie wandte sich zu ihm um.
„Bist
du wahnsinnig geworden?“, flüsterte sie praktisch und mit weiten Augen starrte
sie in sein Gesicht.
„Ich
lasse mich nicht scheiße behandeln“, sagte Alby kalt.
„Ich
behandel dich scheiße? Du hast sie nicht mehr alle!“, rief Presley wütend. „Du
legst es immer auf die Auseinandersetzungen an! Ich halte ständig Leute davon
ab, dich zu verprügeln, Potter!“, informierte Presley ihn zornig, aber Alby
lachte kalt auf.
„Kann
ich drauf verzichten, Presley! Du kannst dir deine scheiß Hilfe sparen!“
„Oh,
glaub mir, das werde ich!“, knurrte Presley zornig, und Rose musste Alby nun
mit beiden Händen zurückhalten.
„Albus, hör auf!“, flehte sie, aber Albys Blick war mittlerweile verzerrt vor
Wut.
„Fass
mich nicht an, du dummes Miststück!“, fuhr er sie zornig an und schlug ihre
Hände beiseite. Rose war mehr von der Wucht der Worte betroffen, als von seiner
physischen Reaktion, aber sie wich zurück. Hatte er das wirklich zu ihr gesagt?
Ihr Herz tat schwere Schläge in ihrer Brust.
Und
ihn nahm sie nur am Rande ihrer Wahrnehmung wahr, aber er war da! Zügig kam er
die Stufen zu ihnen hinunter. Sie wusste nicht mal, warum die unbewusste
Erleichterung sie erfasste, aber ihre Hände zitterten mit einem Mal weniger.
„Das
reicht!“, hörte sie seine aufgebrachte Stimme. „Verdammt, es reicht, Al!“
Scorpius war unten angekommen, und er konnte nicht entnervter aussehen.
Aber
auch Presley schien fast dankbar zu sein, dass Scorpius da war.
„Bring
ihn raus hier, bevor ich ihn aus dem Team werfe!“, knurrte Presley haltlos, und
Rose war sich nicht sicher, ob Presley diese Drohung ernstmeinte. Ehrlich
gesagt, war es ihr gerade auch egal. Alby hatte sie beleidigt. Schon wieder
heute. Und es tat einfach weh. Es tat schrecklich weh! Weil er ihr bester
Freund war. Und heute setzte er alles daran, es nicht mehr zu sein.
„Jetzt
habe ich aber Angst! Arschloch“, ergänzte Alby bitter, und Rose konnte ihn nur
ungläubig anstarren. Was… was passierte hier? Es kam ihr alles so unwirklich
vor.
„Bist
du ok?“ Scorpius fragte sie, und sein besorgter Blick überflog ihr Gesicht,
traf ihre Augen, und erst jetzt sah er sie tatsächlich an. Und sie wusste
nicht, warum, aber erst jetzt kamen die Tränen tatsächlich an die Oberfläche.
Hastig wischte sie sich über die Wangen, wollte nicht, dass ihr Makeup verschmierte,
und wollte auch nicht, dass die Jungen sahen, dass es sie mitnahm. Dass sie…
schwächer war, als sonst. Aber für Scorpius schien es eindeutig zu sein, dass
die Grenze überschritten war.
„Albus-!“,
begann er warnend, aber Alby winkte in betrunkener Manie einfach ab.
„-ihr geht es bestens!“, unterbrach Alby ihn, aber er sah sie an, als kenne er
sie nicht mehr, als… würde er sie mehr als nur verabscheuen. „Rosie ist doch
heute auf ihrem allerersten Date“, ergänzte er mit ätzender Tonlage und machte
sich tatsächlich lustig über sie. Kurz stockte ihr der Atem über so viel
Boshaftigkeit.
„Was ist dein Problem?“, fuhr sie ihn heiser an und vergaß, dass sie weinte.
Sie vergaß, sich zu schämen, denn noch niemals hatte sich Alby ihr gegenüber so
verhalten! Sie erkannte ihn nicht. Sie erkannte ihren besten Freund nicht mehr!
Er verhielt sich wie das letzte Arschloch.
„Habe
keins!“, behauptete er, und seine Oberlippe kräuselte sich. „Na los“, forderte er
sie auf. „Wirf dich in seine Arme! Obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass
der große Presley Lust auf eine dumme Jungfrau hat“, spuckte er ihr entgegen,
und Rose wusste nicht, ob sie ihre Verletzung und den Scham so gekonnt
verbergen konnte, wie sie wollte. Aber Merlin sei Dank, erwachten ihre
Instinkte und ihr grenzenloser Stolz war noch nicht völlig verpufft.
„So
redest du nicht mit mir, Albus Potter!“, fuhr sie ihn jetzt an, und er bewegte
sich auf verdammt dünnem Eis.
„Ich
rede mit dir, wie es mir passt, Rosie“, benutzte er ihren Spitznamen widerlich
abwertend, und sie wollte ihn schlagen! Wirklich! „Denkst du, du siehst heute
gut aus? Denkst du das? Denkst du, du kannst irgendwen täuschen, mit deinem
schlampigen Outfit? Wahrscheinlich möchtest du, dass sie dich anfassen? Presley
und Scorpius zusammen? Vielleicht sogar direkt hier auf den Toiletten? Träumst
du davon, Rose?“, wollte er wissen, und es waren giftige Worte, so furchtbar
böse Worte, und Hitze brannte in ihren Wangen. Sie sah nur am Rande, dass
Scorpius Presley aufhielt, und Rose konnte sich nicht halten. Sie konnte nicht
mehr.
„Oh,
ich möchte lieber, dass sie mich anfassen, als auch nur noch einen ekelhaften
Blick aus deinen Augen ertragen zu müssen! Du bist krank, Albus!“, entkam es ihr
zitternd, und wilder Zorn flackerte in Albys grünen Augen. Sie war zu weit
gegangen! Sie waren beide zu weit gegangen, aber jede Vernunft verließ ihren
Cousin. Jede Freundlichkeit war längst zwischen Alkohol und Zorn verloren
gegangen. Und fast war es, als hätte sie die unsichtbare Grenze überschritten,
den unausgesprochenen Pakt gebrochen, wo sie seine Gefühle ignorierte, seine
Blicke und Gesten. Und fast wirkte er… ertappt. Aber nur sehr kurz. Und dann
erkannte sie die Abwehr. Und die Wut.
„Mach
dich nicht lächerlich“, wisperte er beinahe durch zusammengebissene Zähne. Kurz
zögerte er. Sehr kurz! Einen Wimpernschlag, bevor alles Schlechte in ihm die
Oberhand gewann. „Als ob ich die Tochter eines Schlammbluts anrühren würde!“
Es
war… als träfe sie eisige Kälte. Es war… als könne sie plötzlich nicht mehr
atmen. Albus‘ Blick war eiskalt. Die grünen Augen glasig, und Roses Lippen
teilten sich. Es war, als wäre ihr Herz erfroren, in nur einer Sekunde.
Tränen
rangen sich aus ihren Augen, und gleichzeitig erfasste sie eine so bodenlose
Wut, eine Verzweiflung, ein uralter Zorn, von dem sie nicht wusste, dass er in
ihr schlummerte.
Und
bevor die Jungen reagieren konnten – bevor Presley oder Scorpius auch nur ein
Wort hätten sagen können, hatte Rose ausgeholt. Und alles Böse, alles Dunkle
lag in diesem Schlag. Ihre Faust war hart wie Stein, so kam es ihr vor, und
alle Gedanken hatten gleichzeitig ausgesetzt. Und alles, was sie vor sich sah,
war ihre Mum. Alles, was sie über dieses Wort wusste, hatte mit ihrer Mum zu
tun. Mit den Dingen, die sie ihr erzählt hatte. Und sie wusste nur, wie
bösartig und ekelhaft und verabscheuungswürdig dieses Wort war! Es beleidigte
nicht sie, es beleidigte ihre Mum! Und das war etwas, was Rose niemals
durchgehen lassen würde! Niemals!
Sie
schlug zu und hatte das Gefühl, ihre Faust wäre zersplittert. Albys Kopf flog
zurück und Blut spritzte praktisch direkt aus seiner Nase, lief ungehindert
über sein Gesicht, und er taumelte gegen die Wand, sackte fluchend zusammen und
sie machte einen Schritt auf ihn zu. Ihr gesamter Körper zitterte. Sie hatte
keine Angst mehr. Sie spürte gar nichts mehr. Alles war nur noch rote Wut und
ihr Mitleid war ausgeblendet.
„Du
bist ein Arschloch, Albus Potter“, flüsterte sie zitternd. „Ich will nichts mehr
mit dir zu tun haben. Nichts mehr! Solange ich lebe, hast du das verstanden?“,
spuckte sie ihm entgegen und wartete zornig, bis sich sein glasiger Blick hob.
Er weinte Tränen des Schmerzes, und sie gönnte es ihm! Ihre Faust war taub und
pochte, pulsierte regelrecht, vor Schmerz. Und sie glaubte, den Horror in
seinem Blick zu erkennen, aber sie war zu weit entfernt, auch nur den Ansatz
von Mitleid mit ihm zu haben. Ihr Mund verzog sich voller Abscheu. „Meine Mum
könnte einen möchtegern-Todesser wie dich in tausend Stücke fluchen!“, zischte
sie, ehe sie sich zitternd abwandte.
Und
es war Presley, der ihr hastig folgte.
„Rose“,
entkam es ihm flach, aber sie schritt weiter voran, die Stufen hoch, und sie
wollte hier weg. Sie musste raus hier! Die Blicke wandten sich, als sie oben
angekommen war. Einige Leute beobachteten sie, aber sie sah gar nichts. Rumer
war die erste, die zu ihr kam.
„Ihre
Hand!“, fuhr Rumer Presley an, und Presley sagte etwas, aber Rose hörte nichts
mehr. Gar nichts mehr. Sie schritt zu den Türen, griff sich ihre Jacke von der
Garderobe, und kalte Nachtluft schlug ihr entgegen, als sie die Türen aufzog.
Fast wollte sie aufschreien vor Schmerz, denn ihre Hand schickte ein unfassbar
betäubend widerliches Gefühl durch ihren Körper, als sie sie benutzte. Etwas
war gar nicht in Ordnung damit!
„Rose!“
Presley folgte ihr nach draußen. „Warte!“, rief er, und versperrte ihr den Weg.
„Lass
mich gehen“, sagte sie dumpf und wollte nur noch weg. Einfach weg.
„Nein“,
entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und seine Augen waren weit und er wirkte
vollkommen überfordert. „Es… es tut mir leid. Albus ist… so ein Arschloch.
Ich…- aber wir… müssen dich zum Krankenflügel bringen!“, sagte er sachlich. „Du
kannst nicht einfach-“
„-ich
brauche deine Hilfe nicht.“ Zwar hatte sie keine genaue Ahnung, was sie tun
sollte, aber sie würde schon zurechtkommen. Presley wirkte mäßig verzweifelt,
und wieder stob die Tür auf.
„Was…
was ist passiert?“ James kam die letzten Meter gelaufen. Sofort fiel sein Blick
auf ihre steife Hand, und seine Augen wurden groß. „Merlin, du blutest!“,
entfuhr es ihm. Rose entzog ihm ihren Arm, als er ihn untersuchen wollte.
„Nein,
das… das ist Albus‘ Blut“, korrigierte Presley ihn kopfschüttelnd, und Rose
musste wieder an Albys Worte denken. Wie konnte er! Wie konnte er wagen, so
etwas zu sagen?! Wie?!
„Albus?“,
entkam es James ungläubig, und Presley erzählte etwas wirr, dass es ein Problem
unten gegeben hatte, dass es… zu einer Auseinandersetzung gekommen war, aber…
er erzählte nicht alles. Bei Merlin nicht alles!
„Ich
bringe sie hoch. Ich habe nicht getrunken!“, behauptete James, und er klang
einigermaßen nüchtern.
„Kannst du apparieren?“ Presley wirkte nicht überzeugt.
„Ja,
kann ich“, versprach James sofort. „Rose, ich bringe dich. Keine Sorge, ok? Es
ist noch nicht mal halb elf. Madame Pomfrey ist vielleicht noch wach.“ Rose
wollte protestieren, aber Presley nickte.
„Ok. Danke“, sagte er rau. James hakte ihren gesunden Arm unter, und Rose
wollte protestieren, aber James bedeutete ihr, ruhig zu bleiben, und schon
spürte sie das Reißen hinter ihrem Nabel. Sie sausten durch die Schwärze, und
keine Sekunde später landeten sie vor den Grenzmauern Hogwarts. James hielt
weiterhin ihren Arm, schien sie zu stützten, obwohl sie sich erfolglos wehrte,
und sie hasteten durch die Nacht, über das Gelände, zum erleuchteten Schloss
empor.
Es
war eine halbe Stunde nach Sperrschicht, aber McGonagall nahm es mit der
Nachtruhe am Wochenende nie so genau. Roses Gedanken drifteten immer wieder ab,
und im Schloss angekommen, apparierte James mit ihr in den vierten Stock. Es
brannten bereits die Nachtlichter. Im Türrahmen ließ James sie stehen.
„Madame
Pomfrey!“, rief er laut und lief voran. Rose merkte erst jetzt, dass sie zitterte,
dass ihr schrecklich kalt war. Und dann wurde das Deckenlicht entfacht.
Sie
blinzelte erschrocken, und dann kamen beide zurück. James und die uralte
Krankenschwester. Ihre Schritte waren langsam, und sie schien bereits
geschlafen zu haben, denn ihr Morgenmantel hing halboffen über ihrem Nachthemd.
Die grauen Haare schälten sich in zauseligen Locken aus ihrem Dutt. Aber kaum
war sie keinen Meter mehr entfernt, trat Wachsamkeit in ihre alten Augen.
„Ach
du großer Merlin“, entfuhr es ihr. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen, und
die alten Hände griffen nach ihrem Arm.
„Es
gab… eine Auseinandersetzung“, erklärte James vage.
„Sie
haben sich geprügelt?“, vermutete Mamdame Pomfrey, aber Rose sagte nichts,
zuckte nur vor Schmerz zusammen, als sie Roses Handgelenk bewegte. „Zeige- und
Mittelfinger sind gebrochen“, stellte die Krankenschwester geschäftig fest und
bugsierte Rose zu einem der Betten. „Mr. Potter, Sie müssen nicht-“
„-ich
bleibe“, widersprach James im selben Atemzug, und Madame Pomfrey atmete aus.
James‘ Blick war eindeutig.
„Meinetwegen“,
entgegnete die Krankenschwester, und Rose glaubte nicht, dass sie jemals
alleine mit James gewesen war. Irgendwo. Aber sie fokussierte wieder, als
Madame Pomfrey den Zauberstab zog. Sie reinigte ihre Hand, und das fremde But
verschwand. Albys Blut. Wieder dachte sie an seine Worte. Seine absurden,
widerlichen Worte. Fast brachte es die übelkeiterregenden Tränen zurück.
Und
jetzt erkannte sie, dass ihre Finger blau und geschwollen waren. Ihr Zeigefinger
stand in einem seltsamen Winkel ab. Er war schon einmal gebrochen gewesen,
erinnerte sie sich dumpf. Letztes Jahr hatte sie Scorpius‘ Klatscher schlecht
abgewehrt und war auch hier gelandet. „Das wird wehtun, aber das kennen Sie ja
schon.“ Madame Pomfrey schien sich ebenfalls zu erinnern. Und sehr erfahren
arbeiteten die alten Hände der Krankenschwester. Fest hielt sie ihre Hand in
ihrer, bewegte den Zauberstab stumm, und mit einem knirschenden Geräusch fanden
ihre Knochen wieder zusammen.
Rose
unterdrückte den Schrei, und die Tränen schossen in ihre Augen. Sie schloss sie
krampfhaft und spürte den Linderungszauber direkt durch ihre Glieder fließen.
Heiß strömten die Tränen über ihre kühlen Wangen, und fast tat es gut, zu
weinen. Aus so vielen Gründen. Der Schmerz ebbte ab und verblieb als dumpfes
Pochen in ihrem Arm. „Sie bleiben die Nacht hier. Ich bringe Ihnen ein frisches
Nachthemd“, sagte die Krankenschwester, tätschelte kurz ihre Schulter, und Rose
atmete mit offenem Mund und hielt die Augen geschlossen.
„Was hat er gemacht?“, wollte James merklich abgeklärt wissen. Rose wusste,
James war schon hier gewesen, wegen zertrümmerten Kniescheiben, gebrochenen
Schultern, mehrfachen Gehirnerschütterungen und sogar einem Rückenbruch. Onkel
Harry war öfter hier aufgetaucht, als der Schulrat. Und sie nahm an, James
schockierten oberflächliche Verletzungen nicht mehr sonderlich. Sie öffnete
blinzelnd die Augen. Sie fühlte sich elend und schlapp.
„Nichts“,
murmelte sie rau, wollte nicht darüber reden, aber James‘ Blick war stechend.
So kompromisslos wie Onkel Harrys Blick es manchmal war.
„Nichts,
hm?“, wollte er dann ernst wissen. „Und du schlägst ihn so hart, dass deine
Finger brechen für gar nichts, ja?“ Er klang nicht so, als würde er es gut sein
lassen. Er klang nicht danach, als würde er gleich gehen. Sie hatte nie eine
gute Verbindung zu James gehabt. Verstand sich mit ihm, wie sie sich mit Fred
verstand. Nichts Besonderes. Es war nie etwas Besonderes gewesen. Nur mit Alby
hatte sie eine echte Verbindung. Zumindest war es bisher so gewesen. Vielleicht
war es auch nie so gewesen! Sie wusste es nicht mehr, und nur noch mehr Tränen
fielen auf ihre Wange. Es störte sie kaum noch.
„Ich
bin müde“, wisperte sie, mit geschlossenen Augen, aber James schien sich nicht
zu rühren.
„Rose,
was hat er gemacht? Hat… hat er dich angerührt?“ James fragte das tatsächlich.
Ihre Augen öffneten sich wieder. Sie blinzelte. Einmal, zweimal.
„Mich…?“,
wiederholte sie, konnte aber nicht weitersprechen. James nickte schroff.
„Das
ist jetzt vorbei! Es endet heute. Ich… habe zu lange zugesehen. Und es reicht.
Ein für allemal! Hat er irgendwas getan? Hat er dich-“
„-nein!“,
unterbrach sie ihn, und spürte die Hitze in den Wangen. „Hat er nicht“,
flüsterte sie praktisch. Aber James‘ Ausdruck blieb eisern und ernst.
„Rose,
was hat er getan?“ Und James schien zu wissen, dass etwas Schlimmes vorgefallen
war. Er schien es zu ahnen, schien es zu spüren, und Rose atmete schließlich
aus.
„Er…
hat etwas gesagt“, schloss sie stiller.
„Ja?“,
vergewisserte sich James, und er tat es nicht ab. Sein Gesicht hatte keinen
spöttischen Ausdruck, wie sonst. Und er schien sich sehr bewusst zu sein, wie
sein Bruder sein konnte. Er schien viele Dinge zu wissen, sie längst erkannt zu
haben. Und es ängstigte Rose ungemein, denn sie unterstellte James selten
irgendeine Form der Intelligenz, irgendeine Verbundenheit.
„Ja“,
wiederholte sie dumpf. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Hat
er dich beleidigt?“, wollte er wissen, und Rose hob den Blick. Erschöpft, müde.
Völlig fertig.
„Er
hat meine Mum beleidigt“, flüsterte sie, und spürte die Tränen nur erneut in
sich aufsteigen. „Er… hat…“ James wartete, aber sie brach den Blickkontakt.
„Rose,
ich verstehe nicht, was-“
„-er sagte,
er würde die Tochter eines Schlammbluts nicht anrühren“, wiederholte sie tonlos
die widerlichen Worte. Und James schwieg. Rose starrte auf ihre geheilte Hand,
die sich nicht sonderlich geheilt anfühlte. Sie war geschwollen, immer noch
etwas dunkel verfärbt, und dann seufzte sie. „Deshalb musste ich ihn schlagen.“
„Wie
kann er so etwas sagen? Wie kann er so etwas auch nur denken?“, entfuhr es
James gepresst. „Selbst aus Eifersucht!“, fuhr er wütend fort.
„James-“,
begann sie, aber er schüttelte den Kopf.
„-ich
werde es Dad sagen.“ Und Rose spürte Panik in sich aufsteigen. Jede Wut war
berechtigt, aber es gab Dinge, die verließen ihren Kreis besser nicht!
„Nein,
bitte!“, bat sie ihn, aber er schüttelte wieder den Kopf.
„Ich muss. Es geht so nicht. Alle wissen es, Rose. Alle!“ Sie fühlte sich so
elend.
„Onkel
Harry wird es meinem Dad sagen“, flüsterte sie, und es würde ein Donnerwetter
geben – mehr als das!
„Das
hoffe ich doch! Rose, das geht zu weit. Das muss geklärt werden. Albus ist in
dich verliebt, und es ist krank“, schloss er. „Und dass er dich nicht anrührt,
sondern dich und Tante Hermine beleidigt, ist genauso schlimm!“ Rose spürte die
Tränen in sich aufsteigen.
„James,
bitte-“
„-ich
muss das tun. Das ist das richtige, Rose.“ James wirkte so ernst. So traurig
und ernst. Er wirkte plötzlich so viel älter als sie. Und Tränen fielen wieder
auf ihre Wangen. Und dieses Mal rückte er näher, und nichts Unbeholfenes sprach
aus seinen Gesten. Absolut gar nichts. Er zog sie in eine feste Umarmung und
war vorsichtig, nicht ihre geheilte Hand zu berühren. Zuerst wollte sie sich
wehren, wollte weg von ihm, aber er hielt sie fest. Irgendwann gab sie auf, und
erschöpft sank ihr Kopf an seine Schulter. Sie glaubte, noch nie von James
gehalten worden zu sein. „Schon ok“, murmelte er ruhig gegen ihren Haaransatz.
„Ich kümmere mich“, versprach James, sprach beruhigende Worte, die sie nur von
ihrem Dad kannte, und für eine kurze Sekunde glaubte sie James. Kurz nahm er
ihr die Panik, nahm ihr die Angst, und dass Madame Pomfrey wiederkam, merkte
sie nicht mal mehr.
An
seiner Schulter war sie völlig erschöpft eingeschlafen.
Der
Morgen graute. Es war beinahe noch dunkel draußen, als sie die schweren Lider öffnete.
Nicht, weil sie unbedingt schon wach war, sondern einfach, weil sie den warmen
Druck spürte, der um ihre gesunde Hand lag. Und sie war sich nicht mal sicher,
ob es nicht vielleicht doch ein Traum war, den sie träumte. Sie blinzelte gegen
den schemenhaften Umriss, den sie erkannte. Aber sie war sich sicher, sie
spürte das fremde Gewicht auf dem Bett.
„Es…
tut mir so leid“, murmelte er, und seine Stimme klang… furchtbar. „Rose, es tut
mir so unfassbar leid“, wiederholte er wieder, kaum lauter als der scharfe
Wind, der draußen die herbstlichen Blätter um das Schloss trieb.
„Mh?“,
machte sie heiser, denn sie glaubte, sie war sich nicht völlig sicher, wer mit
ihr sprach – oder ob sie nicht doch träumte. Der Linderungstrank war mächtig
gewesen, erlaubte ihrem Körper noch nicht völlig, Herr ihrer Sinne zu sein.
„Ich
weiß nicht, was passiert ist. Ich… habe dich mit ihm gesehen, und…“ Er zögerte,
drückte kurz ihre Hand fester, und sie blinzelte wieder. Kurz wurde Albys
Umriss schärfer, und sie war sich sicher, es war Alby. Seine Stimme war
nüchtern und klang so schrecklich schuldbewusst. Sie hörte, er hatte geweint.
Sie hörte es so deutlich! Sein Kopf sank. Er blickte hinab auf ihre Hände. „Es
gibt keine Entschuldigung dafür, Rose. Ich hab’s versaut“, flüsterte er.
„Alby?“,
krächzte sie bloß, und sein Blick hob sich wieder. Die grünen Augen unerkennbar
durch die Schatten der Morgendämmerung verborgen. Die Nachtlichter im
Krankenflügel waren bereits heruntergebrannt, und sie hatte Mühe, sein Gesicht
zu erkennen. Aber sie glaubte, sie erkannte dunkle Umrisse über seiner Nase und
seinem linkem Auge. Dort, wo sie ihn getroffen hatte. Irgendwer hatte ihn
geheilt, nahm sie dumpf an.
„Rose,
ich weiß, du kannst mir nicht verzeihen, und das musst du auch nicht“, sagte er
sofort, immer noch so still, dass sie fast vermied zu atmen, um ihn zu
verstehen. „Und… Presley kann nichts dafür“, ergänzte er kopfschüttelnd. „Es
ist alleine mein Problem. Glaub mir, ich… wollte dich niemals beleidigen! Oder
Tante Hermine“, versicherte er ihr. „Ich liebe Tante Hermine! Über alles! Das
war nicht ok von mir. Meine… Gefühle sind nicht dein Problem“, brachte er
verloren hervor.
„Alby“,
sagte sie wieder, aber ihre Stimme klang noch immer schwer und müde.
„Ich
hätte verdient, dass du mir das Genick brichst, Rose. Du bist meine beste
Freundin, und… im Moment… weiß ich nicht, wie es wieder gut werden soll“, sagte
er tonlos. Sie sah ihn blinzelnd an. Die Müdigkeit kam wieder zurück. Ihr
Körper war noch nicht bereit, wach zu sein. „Ich… werde gehen, Rose. Ich… liebe
dich immer, aber ich weiß, dass ich Abstand brauche, um das alles in den Griff
zu kriegen. Und es tut mir leid. Wirklich.“ Und sie wusste, irgendwo in dem
Gewirr an Worten, waren wichtige Informationen, die sie nur jetzt nicht greifen
konnte. Und dann lehnte er sich tiefer zu ihr, und zum ersten Mal erkannte sie
sein blaugeschlagenes Gesicht, den dunklen Ring um sein Auge, und fast
erschütterte es sie mehr, als seine Beleidigung gestern. Sie hatte ihm das
angetan. Sie hatten sich beide schlimm verletzt. „Und das hier ist die letzte
Aktion, für die du mich hassen musst, versprochen“, wisperte er plötzlich. „Die
letzte Sache. Und dann bin ich weg“, versprach er sanft. Und fast erweckte das
Adrenalin sie gänzlich, als er den Abstand überwand, und sich seine warmen
Lippen auf ihre legten. Und der Ekel blieb aus. Der Schock gefror in seinen
Anfängen und klang ab. Es war ein sanfter Kuss, und kurz schlossen sich ihre
Augen. Und dann war es vorbei. Alby zog den Kopf zurück, und kurz sahen sie
einander in die Augen. Sie erkannte die Aufregung in seinen und das schlechte
Gewissen. „Mach’s gut, Rose. Ich werde dich nie mehr verletzen, ok?“ Er drückte
ihre Hand ein letztes Mal, und ihre Lippen teilten sich, ohne dass auch nur ein
Ton rauskam. Dann löste sich der Druck um ihre Finger, das Gewicht verschwand
vom Bett, und wie ein Geist, wurde seine Erscheinung von der Dämmerung
verschluckt. Sie hörte das Klicken der Türen zum Krankenflügel, und sie wusste,
sie war wieder allein.
Was
hatte er gesagt? Sie versuchte, sich an seine Worte zu erinnern, aber… es fiel
ihr schwerer und schwerer. Aber sie fühlte sich plötzlich leichter, fühlte sich
nicht mehr so elend, und dann war sie gegen ihren Willen wieder eingeschlafen.
Tiefer als vorher.
Es
ging ihm nicht gut. Absolut nicht gut. Er konnte sich kaum bewegen. Er glaubte,
er müsse sich sofort übergeben, wenn er auch nur einen Finger rührte. Hugo lag
flach auf dem Rücken, und schlimmer war, dass er nicht die geringste Ahnung
hatte, wie er in seinen Schlafsaal gekommen war. Nicht die leiseste! Er wusste
nur, es war eine dumme Idee gewesen, mitzugehen. Und all die Aufregung hatte er
nur am Rande mitbekommen. Er hatte irgendwann Albys blutüberströmtes Gesicht
gesehen, und das war der Punkt gewesen, wo sie aus den Drei Besen geflogen
waren. Aber er war sich sicher, das war noch nicht der Zeitpunkt gewesen, an
dem er zurück zum Schloss gegangen war.
Aber
er wusste nicht mehr, was dann passiert war.
Ihm
wurde plötzlich so unfassbar schlecht, dass er sich unter größtem Schwindel
aufsetzen musste. Die übrigen Jungen im Schlafsaal zogen sich bereits an oder
waren längst ausgeflogen. Er sah doppelt, hielt sich die Stirn und erntete
fragende Blicke. Er ignorierte die anderen, kam stolpernd auf die Beine, quälte
sich durch den Flur, stürmte praktisch ins Badezimmer, und nur in der
allerletzten Sekunde fiel er vor der Kloschüssel auf die Knie, schlug die
Kabinentür hinter sich zu und erbrach sich geräuschvoll in die Keramik.
Es
war der absolute Tiefpunkt, und aus irgendeinem Grund hasste er Scorpius
Malfoy.
Er
hatte das Gefühl, er lag hier seit Stunden. Sein Rücken lehnte an der
unbequemen Seitenwand der Kabine, und seine Augen waren geschlossen. Der
Schwindel war nicht abgeklungen. Und sein Magen war so leer, dass er nur noch
Gedärme erbrechen könnte, nahm er an.
„Weasley?“,
hörte er eine Stimme, und schlecht gelaunt öffnete er die Augen. Er konnte
nicht antworten. Nicht direkt. „Bist du hier?“ Und jetzt erkannte er die Stimme.
Sutter Huxley. Und plötzlich erinnerte er sich dunkel, mit Sutter angestoßen zu
haben. Und es war kein Butterbier gewesen, so viel stand fest.
„Hm“,
machte Hugo rau, und Sutter betrat geräuschvoll das Badezimmer.
„McGonagall
schickt nach dir“, vernahm er die Stimme des Schulsprechers. Und er klang
einigermaßen beunruhigt. Sutter öffnete die Kabinentür, ohne zu klopfen, und
sein missbilligender Blick fiel auf ihn. „Scheiße“, entfuhr es Sutter. „Hör
zu“, begann er, und bückte sich zu ihm herunter, „die Schulleiterin braucht
nicht zu wissen, dass ich die unteren Jahrgänge mit Alkohol versorge, ok?“ Er
zog den Zauberstab. „Es ist ein Entgiftungszauber, aber er hält nur kurze Zeit.
Eine Stunde, vielleicht zwei. Und dann geht es dir genauso schlecht wie vorher,
aber ich kann nicht riskieren, die Position zu verlieren, verstanden?“ Sutter
vollführte den Zauber recht gekonnt. Hugo nahm an, er tat das häufiger. Sofort
klärte sich sein Verstand. Ein massives Hungergefühl kehrte zurück und sein
Magen knurrte. Sutter hörte es, und schüttelte direkt den Kopf. „Alles, was du
jetzt isst, kommt später sowieso wieder raus, also mach es nicht. Glaub mir“,
versicherte er ihm. „Komm schon!“, sagte er dann, griff Hugo unter die
schlappen Arme und zerrte ihn hoch. Kurz glaubte Hugo, der Schwindel käme
wieder, aber… es ging ihm wieder gut. Es war ein starker Zell-Zauber, und Hugo
nahm an, dafür würde er später bezahlen. Gut, dass Sonntag war.
„Was…
was will McGonagall?“, entfuhr es ihm rau.
„Keine
Ahnung“, erwiderte Sutter, stellte den Wasserhahn an, griff sich ein Paar
Papiertücher, durchnässte sie, nur um wiederzukommen und ungefragt durch Hugos
Gesicht zu reiben. Fast wollte Hugo protestieren, aber sein Gehirn war noch zu
weich und träge, um zu begreifen. „Aber sie steht unten, und du siehst… scheiße
aus“, schloss Sutter, während er grob Hugos Gesicht säuberte. „Und mein Ruf
steht auf dem Spiel. Ich glaube, niemand hat uns zurückkommen sehen. Also
sollte es kein Problem sein. Ich war vorsichtig.“ Hugo begriff, dass Sutter ihn
zurückgebracht hatte. Und er wusste, der Schulsprecher säße in der verdammten
Tinte, wenn McGonagall von der Sauferei wüsste.
Und
auch Hugo konnte keine Standpauke diesbezüglich gebrauchen. „Ok. So sollte es
gehen. Zieh dich um. Zügig“, befahl Sutter streng, und Hugo gehorchte
tatsächlich, ging vorsichtig zurück in den Schlafsaal, und brauchte trotzdem
fast zehn Minuten, um sich anzuziehen.
Dann
wagte er den Weg nach unten. Im Spiegel hatte er festgestellt, dass seine
gesunde Hautfarbe einem aschgrauen Ton gewichen war. Nein, topfit war er trotz
Zauber nicht. Die Schulleiterin stand am Fenster, betrachtete das Gelände, und
Hugo näherte sich, angsterfüllt.
„Professor?“,
machte er sich bemerkbar, und hoffte, seine Stimme klang nicht versoffen. Sie
klang jedoch rauer als sonst.
„Mr.
Weasley, begrüßte ihn McGonagall mit prüfendem Ausdruck. Sorge stand in dem
sonst so gutmütigen Gesicht, was er von ihr kannte. „Ich hätte ein Paar
Fragen“, begann sie unheilschwanger. Hugo wappnete sich innerlich.
„Fragen?“
„Wegen
gestern Abend. Sie waren auch in Hogsmeade, nehme ich an?“ Hugo wusste nicht,
ob das bereits eine Fangfrage war, und er ruckte unverbindlich mit dem Kopf.
„James Potter hat Ihre Schwester nach Sperrzeit in den Krankenflügel gebracht,
und-“
„-was?“
Er blinzelte erschrocken. „Meine-? Rose?“, vergewisserte er sich entgeistert,
und McGonagall runzelte die Stirn.
„Davon
wissen Sie nichts?“ Ihre Stimme klang scharf.
„Äh…?“
Er musste recht verloren aussehen.
„Ihren
Eltern habe ich bereits Bescheid gegeben, weil, nun… weil jeder
Krankenflügelvorfall den Eltern gemeldet werden muss.“
„Was
ist passiert? Geht es ihr gut? Kann ich… kann…?“ Er wusste nicht, ob er es von
McGonagall verlangen konnte.
„Natürlich
können Sie zu ihr. Sie hat sich zwei Finger gebrochen. Soweit ist alles in
Ordnung. Madame Pomfrey hat sie gestern ein wenig sediert, um die Schmerzen zu
lindern. Sie ist bereits geheilt und kann heute wieder entlassen werden.
Allerdings hätte ich einige Fragen, bezüglich Albus Potter, aber… wenn Sie
keine Ahnung hatten, dass Ihre Schwester im Krankenflügel liegt, dann werden
Sie wohl keine Antwort auf meine Frage wissen“, schloss die Schulleiterin
knapp.
„Was…
was ist mit ihm?“ Hugo hatte Albus‘ Gesicht wohl gesehen. Er wusste, Scorpius
hatte ihn geheilt. Das wusste er alles. Er hatte nur nicht gewusst, dass es mit
Rose zutun hatte! Er hatte nicht mehr viel mitbekommen. Verdammt noch mal!
Elender Alkohol!
„Er
ist weg“, sagte McGonagall.
„Weg?“,
wiederholte Hugo entgeistert, und McGonagall nickte lediglich. Ihr altes
Gesicht zeigte mehrere Sorgenfalten. Bestimmt aus verschiedenen Jahrzehnten.
Aber heute waren sie alle zu deutlich zu erkennen.
„Ja.
Er ist nicht im Schloss, nicht auf dem Gelände, soweit wir es einschätzen
konnten. Und bevor ich seinem Vater eine Eule schicke, wollte ich die Familie
fragen, ob nicht irgendwer weiß, wo er abgeblieben ist. Unter Umständen ist es
möglich, die Potters da rauszuhalten, was mir lieber wäre. Aber dafür bräuchte
ich einen Hinweis darauf, wo Albus Potter tatsächlich ist. Scorpius Malfoy
sagt, er ist mit ihm gestern Abend zurückgekommen, allerdings ist sein Bett
unbenutzt. Ich nehme also an, er ist in der Mitte der Nacht wieder…
verschwunden.“ Hugo konnte nur starren. „Und ich gehe davon aus, dass Roses
Verletzung mit Albus Potter in Verbindung steht?“ Es war eine direkte Frage,
aber Hugo hatte keine Antwort darauf.
„Äh…
ich… ich weiß es nicht, Professor“, sagte er dann. „Woher… wissen Sie, dass
Albus-?“
„-Bridget
aus den Drei Besen hat mir noch gestern Nacht einen Kauz geschickt. Die
Nachricht las ich allerdings erst heute Morgen. Und identifizieren konnte sie
lediglich… die Potters, wobei davon auszugehen ist, dass natürlich ein Großteil
der Schülerschaft mein großzügiges Angebot des Samstagsausgangs ausgenutzt
haben wird. Die Weasleys eingeschlossen“, offenbarte sie ihm sehr ehrlich.
„Mein Weg führte mich also recht früh in den Gemeinschaftsraum der Slytherins,
aber Albus war nicht in seinem Bett.“
„Oh“,
entfuhr es ihm, und sein Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Hauptsache Rose
ging es gut!
„Besuchen
Sie Ihre Schwester“, schloss McGonagall nickend. „Wenn Sie James Potter über
den Weg laufen, schicken Sie ihn bitte sofort in mein Büro. Ich kann bis heute
Mittag warten, bevor ich die Eule schicke, allerdings keine Stunde länger als
das.“ Es war eine klare Deadline. Es war eine klare Warnung. Und Hugo hatte
verstanden. Sie fanden Alby bis mittags, oder Onkel Harry würde einen
Herzinfarkt bekommen. Scheiße. Und Hugo ließ sich nicht zweimal bitten und
machte direkt Kehrt.
Die
Schritte waren laut und näherten sich zügig. Die Blicke hoben sich, denn sie
rechneten alle mit der Schulleiterin, aber… die Schritte waren zu schnell
dafür. So schnell war McGonagall nicht mehr. Und es war Hugo, der schließlich
den Krankenflügel betrat, bleich wie die Nacht, Ringe um die Augen, aber er
beachtete keinen von ihnen, stürmte nach vorne, und Roses Blick hatte sich
gehoben.
„Rose!“,
entfuhr es ihm rau, blinde Panik im Blick, und er kam zu ihr, setzte sich
sofort an ihre Seite, während Rumer sich erhob. Er inspizierte sie genau,
betrachtete ihre straff verbundene Hand, legte die Handfläche auf ihre Wange,
fasste sie genau ins Auge, ehe er sie in eine Umarmung zog. Rose wirkte ein
wenig überrascht, aber sie ließ ihren Bruder gewähren. „Bist du ok? Was ist
passiert?“, wollte Hugo wissen, schien wütend und verzweifelt zu sein.
„Hugh-“,
begann sie abwehrend, aber er schüttelte den Kopf.
„-was
hat Albus gemacht?“
Scorpius
Blick fiel. Hugo wusste es nicht. Vielleicht besser so. Aber er schien genug
Misstrauen zu haben, Al das Schlechteste zu unterstellen. Scorpius hatte
schlecht geschlafen, und war bereits in den frühen Morgenstunden in McGonagalls
Kreuzverhör gezogen worden. Und es hatte nicht geholfen, dass an seinen Händen
noch immer getrocknetes Blut geklebt hatte. Albus‘ Blut. Und weil Scorpius
nicht wirklich kooperativ geworden war, hatte McGonagall mit einer Eule an
seinen Vater gedroht. Und das wäre wirklich unangenehm. Für gewöhnlich bekam
Scorpius keinen Ärger. Er hielt sich überall raus – so gut er konnte. Und wenn
er es mal nicht schaffte, wurde er trotzdem nicht erwischt.
„Beruhige
dich“, bat Rose ihn, aber Hugo schüttelte den Kopf.
„McGonagall
kommt zu mir, erzählt mir, du liegst im Krankenflügel, was ich irgendwie
verpasst habe – und Albus ist verschwunden? Was hat er gemacht? Hat er dich
angerührt?“ Und ein defensiver Ausdruck huschte über Roses Gesicht. Es war
unangenehm. All das war so unangenehm. Und dass sie alle hier waren, machte es
nicht besser. Dass sie alle wussten, was Al für Rose empfand, machte es nicht
besser. Fast war es, als ginge es sie alle überhaupt nichts an, und doch
sprachen alle darüber.
„Hat
er nicht“, knurrte Rose praktisch.
„Ich
hab sie schon gefragt“, mischte sich James kleinlaut ein. Hugos Blick hob sich.
„McGonagall
will dich in ihrem Büro sehen“, informierte Hugo seinen Cousin distanziert.
„Und bis mittags muss Albus wieder da sein, oder dein Dad kriegt eine Eule.“
James wirkte gequält.
„Scheiße“,
entfuhr es ihm. „Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Scorpius sagt, er war im
Schlafsaal.“ Jetzt bekam Scorpius Hugos Aufmerksamkeit, und das war nichts
Angenehmes. Dominiques Hand lag kalt in seiner. Er wusste, er musste etwas
sagen.
„War
er auch. Ich… keine Ahnung, wohin er gegangen ist. Wahrscheinlich… ist er
abgehauen.“
„Aber
wo soll er sein? Er ist minderjährig! Er kann nirgendwo sein.“ Hugo wirkte so
unfassbar zornig, dabei wusste er nicht mal, was passiert war. Und Hugos Blick
fiel wieder auf seine Schwester. „McGonagall sagt, sie hat Mum schon eine Eule
geschickt.“ Und Rose atmete resignierend aus. Scheinbar hatte sie damit bereits
gerechnet. „Also, was hat er gemacht?“, wollte Hugo wieder wissen, und er ließ
Rose nicht aus den Augen. Sie wirkte fast verzweifelt, als sie ihn wieder
ansah. „Sag es mir“, verlangte Hugo, und Rose atmete aus.
„Es
ist nicht mehr wichtig“, flüsterte sie schließlich.
„Wichtig genug, dass du ihm anscheinend eine reingehauen hast, oder?“, schloss
Hugo messerscharf, und Rose blickte angespannt zur Seite.
„Ich… war betrunken“, rechtfertigte sie sich, aber Hugo stieß die Luft aus.
„Nein,
Rose. Ich war betrunken, ok? Und niemand von diesen Vollidioten hier hat es für
nötig befunden, mich zu informieren, dass meine eigene Schwester im
Krankenflügel ist!“, knurrte er böse, aber Rumer meldete sich jetzt zu Wort.
„Wenn
du deine Zeit mit Sutter und seinen fragwürdigen Freunden verbringst, ist es
wohl nicht unser Fehler, oder?“, fuhr sie ihn an, und Hugo schenkte ihr einen
zornigen Blick. Sanfter Unglaube flackerte in seinen dunklen Augen auf, und
Scorpius sah deutlich, wie sein Blick kurz über Rumer und James glitt. Sehr
kurz. Scorpius hatte selber gesehen, dass Hugo am Ravenclawtisch gesessen
hatte. Eigentlich ausschließlich überwiegend. Und entgegen seiner Vermutung,
hatte sich Hugo mit anderen Personen beschäftigt, als mit Rumer. Vor allem auch
mit anderen Mädchen.
„Es
macht keinen Unterschied, ob ich Zeit mit Sutter oder mit euch verbringe!“, fuhr
er sie wütend an. „Von Sutter wurde ich immerhin nicht ignoriert. Zur
Abwechslung mal ein netter Unterschied!“, ergänzte Hugo ohne den Hauch von
Furcht. Und Scorpius spürte die Betroffenheit der Familie praktisch selbst.
„Und ihr könnt euch eure dämlichen Ausreden sparen! Mich interessieren eure
Rechtfertigungen nicht. Ich will wissen, was er gemacht hat, Rose!“, wandte er
sich sofort wieder an seine Schwester, aber die schien nicht sonderlich erpicht
darauf, die Wahrheit zu sagen.
„Hugh,
es ist einfach außer Kontrolle geraten, und… jetzt-“
„-wegen
Presley Ford?“, wollte Hugo zornig wissen. „Das ist doch keine
Entschuldigung!“, fuhr er sie an. „Albus rastet aus, weil du mit einem Jungen
ausgehst, stellt Merlin was an, und du verprügelst ihn – und dann haut er ab?
Von mir aus, kann McGonagall Onkel Harry Bescheid geben. Von mir aus können sie
Albus von der Schule werfen!“, blaffte er.
„Hugo!“, sagte sie entgeistert, aber Hugo schüttelte den Kopf, ließ sich nicht
abfertigen oder beschwichtigen. Scorpius nahm an, Hugo unterlag dem
Entgiftungszauber, denn dieser resultierte jedes Mal in überausgeprägter
Gereiztheit. Er kannte es von Al.
„Es
ist krank, Rose!“, stieß Hugo angewidert aus. Ihr Blick fiel wieder. Und es
störte ihn ungemein, dass Hugo es übertrieb, dass er sich aufspielte und dass
Rose so verdammt hilflos aussah!
„Lass
sie doch einfach in Ruhe, verdammt!“ Scorpius hatte nichts sagen wollen, aber
jetzt konnte er sich nicht zurückhalten, und Hugos Blick war so tödlich, dass
er es direkt bereute. Er hatte es gestern schon bereut, hatte bereut, dass er
eingeschritten war, dass er alles mitbekommen hatte – und es ging ihn nichts
an. Und das machte Hugo jetzt auch ziemlich deutlich. Zu deutlich.
„Ich
habe wirklich keine Lust, darüber ausgerechnet mit dir zu reden, Malfoy.
Ausgerechnet du kannst einfach mal dein Maul halten!“, erwiderte Hugo so
eindeutig ablehnend, dass Scorpius die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht
laut zu werden. Und zumindest von Fred und James erntete er einen fragenden Blick.
Denn es klag… ja. Es klang so, als hätten er und Hugo Probleme. Was sie auch
hatten. Was Hugo aber nicht der Welt erzählen müsste! Er spürte Roses Blick
ebenfalls, aber er vermied es, sie anzusehen.
„Es
war eine scheiß Situation, ok?“, räumte Scorpius gepresst ein, ging nicht auf
Hugos Nievau, und es war mal interessant, dass Hugos Niveau so weit unter
seinem eigenen lag. „Und Al hat übertrieben, aber-“
„-aber
was?“, wolle Hugo sofort wissen. „Du rechtfertigst sein Verhalten? Ist das dein
verfluchter Ernst?“ Irgendwie stand Hugo auf beiden Beinen und Scorpius merkte,
wie er ebenfalls reagierte, wie er sich erhob, um Balance zu schaffen, um
gleichauf zu sein. Er merkte nicht mal, dass er Dominiques Hand losließ.
„Nein!“,
entfuhr es Scorpius sofort, und er hob abwehrend die Hände. „Absolut nicht!
Garantiert nicht!“, sagte er kopfschüttelnd. Und es wurde nicht wirklich
besser. Die Kontrolle entglitt ihnen schneller und schneller.
„Hör
auf, ihn anzuschreien“, mischte sich Rose jetzt lauter ein, aber es war nicht
besser. Hugos Blick war so eindeutig. Es war so schrecklich eindeutig, fand
Scorpius.
„Oh,
hör auf, ihn zu verteidigen, Rose“, fuhr Hugo sie finster an, fast schon ruhig,
fast… war es eine Warnung.
„Ich
verteidige ihn nicht!“, erwiderte Rose zornig, aber Scorpius merkte, dass war
es, was sie taten. Sie verteidigten sich gegenseitig. „Merlin, es geht dich
nichts an, Hugo!“, schloss sie gepresst, und ihr Bruder stockte. Er tat einen
weiteren Schritt zurück, wahrscheinlich nur der emotionalen Distanz wegen.
„Es
geht also alle etwas an, nur mich nicht?“, wollte er stiller wissen, und
Scorpius konnte sehen, wie unangenehm es Rose war. Ihr Blick fiel. „Ok“,
schloss Hugo dann und Kälte kroch in seinen Blick. „Wahrscheinlich hast du
recht. Es ist eine Familiensache, die mich nichts angeht, aber immerhin darf
Scorpius Malfoy dabei sein, richtig?“ Scorpius‘ Mundwinkel sanken. Hugo war
scheiße. Heute besonders.
„Hugh-“,
flüsterte Rose schwach, aber ihr Bruder hob steif die Hände.
„-lass
es, Rose“, unterbrach er sie stiller. „Du brauchst mich nicht? Das ist wirklich
gut. Dann kann ich mich mit wichtigeren Dingen beschäftigen, als mit den
unzähligen Arschlöchern, die versuchen, meine Schwester flachzulegen“, knurrte
er praktisch, und Scorpius wusste nicht warum, aber immense Erleichterung
durchflutete ihn, als Hugo den Blick nicht mehr hob, ihn nicht auch noch ansah.
Es waren dumme Gedanken, aber dankbar war er trotzdem. Roses Wangen mussten
heiß sein, denn sie glühten praktisch. Scorpius versuchte, aus Hugos
Körperhaltung irgendetwas lesen zu können, aber es gelang ihm nicht. Sehr ernst
hatte sich Hugo abgewandt, und der große Junge verließ mit langen Schritten den
Krankenflügel, ohne sich noch einmal umzudrehen. Rose schloss die Augen.
„Wow“,
etnfuhr es Louis, der bisher stumm geblieben war. „Das war… eindrucksvoll“,
murmelte er kopfschüttelnd.
„Er
wird sich beruhigen“, sagte Rumer jetzt, fast zweifelnd, und noch immer starrte
sie auf die Tür, durch die Hugo längst verschwunden war. Es entstand eine
unangenehme Stille, und Fred schien es auch nicht mehr ertragen zu können, denn
er räusperte sich.
„Vielleicht…
vielleicht ist Al in Hogsmeade?“, schlug er vor, wandte sich hilfesuchend an
James, und dieser zuckte irgendwann die Achseln.
„Keine Ahnung. Scor?“ Er wandte sich an ihn, und Scorpius zermarterte sich das
Gehirn. Er wollte diese scheiß unangenehme Situation ebenfalls überspielen. Er
überlegte, ob er irgendwie mitbekommen hatte, dass Al aufgestanden war, aber…
er konnte sich nicht entsinnen.
„Ich…
weiß es nicht.“ Endlich setzte er sich wieder neben Dominique. Diese kaute
abwesend auf ihrer Lippe, sah ihn nicht an, und für eine Sekunde fragte sich
Scorpius, ob Dominique ebenfalls schuld an diesem Abend trug. Aber… wie viel
Schuld konnte Makeup alleine schon ausmachen? Nein, es war nicht Dominiques
Schuld. Es war alleine Als Schuld.
„Meinst
du, er ist bei Onkel George?“ James wandte sich wieder an Fred, und dieser
kaute ratlos auf seiner Lippe.
„Wie
soll er in die Winkelgasse kommen? Jeder Apparierzauber würde im Ministerium
Alarm schlagen, wenn er ihn versucht.“ Es stimmte. Es war unwahrscheinlich,
dass Al das riskierte, dachte Scorpius.
„Und
wenn er den Besen genommen hat?“ Wieder fixierte James ihn. Und seine Augen
weiteten sich. Natürlich! Der Besen! Und es gab ihm die lang ersehnte Ausrede,
endlich zu gehen! Fast war Scorpius dankbar.
„Ich sehe nach!“, versprach er sofort blind, denn er wollte hier raus. James
erhob sich ebenfalls.
„Ich
komme mit. Ich muss sowieso zu McGonagall.“ Dass dieser Abend so eskalieren
würde, hatte Scorpius nicht kommen sehen. Und er wusste nicht, ob es vielleicht
nicht besser wäre, wenn Al eine zeitlang untertauchen würde. Aber dann würde er
der Schule verwiesen werden, oder nicht? War es das überhaupt wert?
„Hugo
ist… wirklich sauer“, stellte James still fest, als sie eilig die vielen Stufen
runtergingen. Scorpius hatte keine Ahnung, ob James nun tatsächlich über Hugo
sprechen wollte. Denn er wollte es nicht. Garantiert nicht.
„Mh“,
entkam es Scorpius unverbindlich, und er hoffte, es klang einsilbig genug, dass
James nicht weiter darüber sprechen wollte.
„Hast
du persönlich Probleme mit ihm?“, wollte James nun stiller wissen, und
Scorpius‘ Blick gefror, während sie weiter gingen. Scheinbar nicht. Scheinbar
wollte James reden. Und wenn es James auffiel, dann…- dann war es wohl
offensichtlich, oder nicht?
„Nein,
warum?“, log er steif, aber James runzelte die Stirn. „Nicht mehr als die
anderen“, ergänzte Scorpius knapp, und James schien nachzudenken.
„Es
kam mir so angespannt zwischen euch vor.“
„Heute
ist ein angespannter Tag“, wich Scorpius ihm schlicht aus, denn was sollte er
sagen? Dass er und Hugo allerlei Geheimnisse unter Verschlag hielten? Dass Scorpius
wusste, dass Hugo es auf Rumer abgesehen hatte und James im Weg stand? Aber er
beschloss, James irgendetwas zu sagen. „Ich verstehe mich mit ihm nicht
sonderlich, das ist alles.“ Und schließlich nickte James, und Scorpius wusste
nicht, ob er es nachvollziehen konnte. Vielleicht. Dann wechselte James das Thema, und es war
Scorpius nur recht.
„Ich…
ich habe Rose versprochen, Dad einen Brief zu schicken“, begann James
plötzlich. „Also… Rose wollte es nicht wirklich, aber… ich habe gesagt, dass
ich es tun würde.“ James schien herumzudrucksen. Scorpius verstand nicht
wirklich.
„Ok?“,
entfuhr es ihm ratlos. Es klang ernst.
„Ich…
konnte nicht“, entfuhr es James dann hilflos. „Ich wollte Dad schreiben, dass…
dass Al auf Rose steht, aber… wie schreibt man so was?“ James sah ihn wieder
an, die dunklen Augen weit und fragend. „Ich meine – was soll ich sagen? Es ist
so… unangenehm“, schloss er lahm. „Und Dad würde es Onkel Ron sagen. Und… keine
Ahnung…“, brach James verzweifelt ab. „Ich hätte es tun sollen. Und jetzt…
jetzt ist Al abgehauen. Scheiße“, entfuhr es James überfordert.
„Er
wird wieder auftauchen“, versprach Scorpius blind, ohne es zu wissen. James‘
Blick hob sich.
„Ich
meine, wir streiten viel, aber… er ist mein Bruder. Und nach gestern… Merlin!
Ich… hatte plötzlich das Bedürfnis, Rose zu beschützen, mich zu… kümmern.
Verstehst du?“
„Ja“,
sagte er, ohne nachzudenken, denn er hatte gestern dasselbe Bedürfnis verspürt,
ohne es verhindern zu können. Und gleichzeitig bereute es das unüberlegte Wort,
denn James griff es auf.
„Ja?“,
vergewisserte sich James prüfend. „Ich meine, du kannst sie nicht wirklich
leiden, oder? Aber sie ist nicht wie Hugo, sie ist-“
„-ich
weiß“, bestätigte Scorpius wieder, ohne sich aufhalten zu können. Merlin, er
sollte seine Klappe halten. Wirklich.
„Ich
meine, sie ist garantiert nicht der Mensch, der es verdient von Al beleidigt zu
werden!“ James hörte ihm nicht wirklich zu, und Scorpius reizte es.
„Ich
weiß das, James!“, machte er es deutlicher. „Ich verteidige Al garantiert
nicht! Rose kann ausgehen, mit wem sie will, und Al sollte erwachsen werden und
das begreifen.“
„Was,
wenn ihm was passiert ist?“ James flüsterte die Worte bloß. Scorpius befiel ein
unangenehmes Gefühl. Er hatte kaum darüber nachgedacht, einfach weil er es sich
nicht vorstellen konnte. Und dann wiederum…- er glaubte es auch nicht.
„Ihm
wird nichts passieren. Wer weiß, wo er hin ist. Es würde zu ihm passen.
Abzuhauen, unterzutauchen. Er wüsste schon Orte, wo er bleiben könnte. Er ist
nicht dumm.“
„Er
war sehr betrunken gestern“, fiel James wieder ein. „Was, wenn er abgestürzt
ist? Das Wetter ist nicht mehr-“
„-James!“, unterbrach Scorpius ihn scharf. „Es wird alles in Ordnung sein. Al
ist nicht wahnsinnig“, sagte er, aber er war sich nicht sicher, ob er sich
selber glaubte.
„Mh“,
machte James dann und atmete aus. Sie waren unten angekommen und ihre Wege
trennten sich. „Noch eine Stunde. Wird er in einer Stunde auftauchen?“ James schien
ihn tatsächlich zu fragen. Als wüsste Scorpius die Antwort auf diese Frage.
Aber… wahrscheinlich tat er das. Er kannte Al. Und solche Sachen klärten sich
nicht innerhalb von Stunden.
„Nein. Wird er nicht“, sagte Scorpius kopfschüttelnd. Er konnte es sich nicht
vorstellen.
„Sag
Bescheid, wenn du den Besen findest“, bat James ihn, und ihre Wege trennten
sich. Aber Scorpius nahm an, er müsste gar nicht den beschwerlichen Weg zum
Quidditchfeld auf sich nehmen, um sagen zu können, dass Als Besen nicht mehr im
Zelt stehen würde. Er war sich ziemlich sicher, dass das der einzige Weg war,
den Al genommen hätte. Und er könnte sonst wo sein. Es war fast Mittag. Aber…
wohin könnte ein Sohn von Harry Potter schon auf Dauer unbemerkt verschwinden?
Sie
warteten zu viert. Es war ein kühler Nachmittag, und auch im Schloss auf dem
steinernen Gang vor McGonagalls Büro war es kalt. Rose hatte sich in ihre
gefütterte Trainingsjacke geschmiegt, hatte ihre mittlerweile wieder welligen
Haare hoch gebunden, während Hugo nicht mehr aufgetaucht war. Sie nahm an, der
Entgiftungszauber gegen seinen Kater hatte an Wirkung verloren. Sie wusste
nicht, was sie ihren Eltern sagen sollte, wegen Hugo. Es war wohl auch im
Moment egal, nahm sie finster an. Und scheinbar hatte Hugo von McGonagall keine
Nachricht bekommen, hier aufzutauchen. Und sie glaubte, ihre Mum hätte Hugo
schneller durchschaut als jeder andere. Sie war so. Es war… ihre Fähigkeit,
glaubte Rose. Und sie hoffte, Rumer behielt Recht, und Hugo würde sich wieder
beruhigen. Sie wollte nicht mit ihm streiten, aber… sie wollte sich auch nicht
vertragen, denn er war so… selbstgerecht und verurteilte sie sowieso nur.
Mit
Scorpius hatte sie sich auch kurz angelegt, als sie Orte durchgegangen waren,
an denen Alby sein könnte. Rose wusste nicht, warum sie sich gestritten hatten,
über Wahrscheinlichkeiten oder Unwahrscheinlichkeiten, aber es lag wohl an der
allgemeinen Anspannung. Jetzt starrten sie beide blind nach vorne den Gang
entlang, und sogar Scorpius‘ Vater würde herkommen müssen, denn McGonagall
hatte ihm nicht geglaubt, dass er nicht wisse, wo Alby war.
Es
war alles in allem ein wirklich beschissener Tag. Der letzte Abend steckte ihr
in den Knochen, und der Linderungszauber lag noch immer schwer auf ihr.
Lily
und James warteten neben ihnen, ganz in ihre eigenen Gedanken versunken, und
Lily sprach gar nicht mehr mit ihr. Sie war zwar da, sie hatte sie im
Krankenflügel besucht, aber sie sagte nichts mehr. Sah sie nicht mal mehr an.
Es nervte Rose, aber… jetzt gerade war Alby verschwunden, und das war wohl
wichtiger.
Die
Anspannung war nahezu greifbar. Und dann vernahmen sie Schritte. Viele
Schritte. Mehrere Leute kamen den Gang entlang, und zu McGonagalls Büro
verirrten sich die wenigstens Schüler freiwillig. Sie hielt beinahe die Luft
an.
Und
tatsächlich war ihre Mutter ganz vorne.
Es
war eigenartig, die eigenen Eltern in Hogwarts zu sehen. Und es war unangenehm.
Immerhin hatte James ihr gestanden, dass er den Brief nicht abgeschickt hatte,
und das beruhigte Rose ungemein. Sie war so absolut dankbar dafür! Vielleicht
konnten sie diese Sache einfach von ihren Eltern fernhalten und mussten niemals
darüber reden. Das wäre das Beste.
Noch
hatten sie sich alle auf keine Geschichte einigen können, und James hatte
gesagt, ihnen würde spontan etwas einfallen müssen, denn Rose war ganz und gar
dagegen, die Wahrheit zu sagen. Absolut dagegen! Ihr war nur noch keine bessere
Geschichte eingefallen. Albus‘ Besen war verschwunden. So viel wussten sie
jetzt. Und sie waren sich sicher, er war damit abgehauen, wohin auch immer. Sie
kaute auf ihrer Unterlippe, und musste an den Morgen denken, von dem sie
niemandem erzählt hatte. Warum auch? Es brachte niemanden weiter. Zu erzählen,
Alby hätte ihr gesagt, er wolle weg, war sowieso offensichtlich. Und von dem
Kuss wollte sie niemandem erzählen. Es war nicht so dramatisch, wie es sich die
anderen ausmalen würden. Rose hatte nichts dabei empfunden, und sie glaubte,
Alby würde darüber kein Wort mehr verlieren, käme er wieder. Sie war überzeugt,
er würde wiederkommen.
Und
er hatte sich entschuldigt. Ein halber Tag war vergangen, und auch wenn sie ihm
nicht hatte verzeihen wollen… konnte sie kaum anders. Für sich selber, ganz
still, hatte sie ihm bereits verziehen. Auch… wenn sie ihm das vielleicht nicht
direkt ins Gesicht sagen würde, würde dieser Idiot endlich wiederkommen. Und
sie spürte, ihm war nichts passiert. Er war Alby. Er war einfach… abgehauen.
Schon
hatte ihre Mum sie erreicht, ihre welligen Haare wippten heftig. Sie sah aus,
als käme sie direkt von irgendeiner wichtigen Sitzung, während Onkel Harry und
ihr Dad in den Aurorenuniformen steckten. Fest zog ihre Mutter sie in die Arme,
als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.
„Oh
Rose, ist alles in Ordnung?“, fragte ihre Mum außer Atem, und Rose nickte in
der festen Umarmung. „Was ist denn passiert? Wo ist Albus?“ Ihre Mum ließ von
ihr ab, fuhr ihr vergessen über die Haare, über die Wange, zog sie wieder an
sich, und Rose atmete das Parfüm ihrer Mutter ein.
„Rosie!“, rief ihr Dad, umarmte sie gleichzeitig mit ihrer Mum, und dann griff
er vorsichtig nach ihrem Arm. „Merlin, was ist passiert?“, fragte auch er. „Was
für ein Unfall war es, Rose?“
Onkel
Harry und Tante Ginny begrüßten James und Lily, begrüßten auch Scorpius, bevor
sie auch zu ihr kamen.
„Alles ok?“, wollte Onkel Harry wissen, und Tante Ginny umarmte sie ebenfalls.
„Ja“,
sagte Rose mit schwachem Lächeln, und sie sah, Tante Ginny hatte geweint. „Wir wissen
nicht, wo er ist. Wirklich nicht. Wir… haben alles abgesucht, und-“
„-die
Einheit weiß Bescheid. Sie überwacht Hogsmeade, die Gaststuben, die Kneipen.
Wenn er auftaucht, geben sie uns Bescheid“, sagte Onkel Harry sofort. Auch er
wirkte so viel ernster als sonst. „Was ist vorgefallen?“ Und ihre Eltern
anzulügen, war etwas, was Rose schon schwer fiel, aber… ihren Patenonkel… - das
war schwieriger.
„Ich…“,
begann Rose, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Beruhigend legte ihre
Mum die Hände auf ihre Schultern.
Erst
jetzt fiel ihr der fremde Mann auf. Sie glaubte nicht, dass sie ihn überhaupt
schon mal aus der Nähe gesehen hatte. Mr. Malfoy stand etwas abseits und sprach
leise mit Scorpius. Er trug einen dunkeln Anzug, darüber einen nachtschwarzen
Gehrock, und er sah sehr wichtig aus. Die hellblonden Haare hatte er
zurückgekämmt, trug sie ganz anders, als sein Sohn es tat, und der blonde
Vollbart, der die untere Partie seines Gesichts bedeckte, war einige Nuancen
dunkler, als seine hellen Haare. Sein Blick traf sie überraschend, und fast
hielt sie die Luft an.
Es
waren Scorpius’s Augen. Und für eine schmale Sekunde, konnte sie erahnen, wie
Scorpius in zwanzig Jahren aussehen würde, würde er sich für einen Vollbart
entscheiden.
Und
auch Scorpius‘ Vater legte die Hand auf die Schulter seines Sohnes. Ihr Blick
fiel auf sein Gesicht, und tatsächlich erwiderte Scorpius ihren Blick. Die
Hände ihrer Mutter wogen schwer auf ihren Schultern, und sie fragte sich
unwillkürlich, ob es Scorpius ähnlich ging. Sie tauschten einen ausdruckslosen
Blick, und die Distanz zwischen ihnen, war Rose noch nie so greifbar
vorgekommen. Zwar wusste sie, ihre Familien verkehrten nicht miteinander, aber
das war alles so theoretisch, denn in Hogwarts verkehrte sie fast täglich mit
Scorpius. Aber jetzt… wurde ihr klar, dass es außerhalb jeder vernünftigen
Wahrscheinlichkeit lag, dass sie und Scorpius jemals großartig Kontakt haben
würden. Nach Hogswarts. Oder überhaupt, wenn sie erwachsen wären. Es war ein
ernüchternder Gedanke.
Der
Wasserspeier bewegte sich auf dem Podest, rotierte, und wenige Sekunden später
gab er die Treppe frei. McGonagall kam die Stufen hinunter.
„Hallo,
meine Lieben“, begrüßte die Schulleiterin die Eltern, und es begann ein großes
Händeschütteln. „Die Kollegen suchen noch immer das Gelände ab“, versprach sie
Onkel Harry und Tante Ginny im selben Atemzug.
„Er wird wieder auftauchen, wir sind überzeugt“, entgegnete Onkel Harry
schließlich.
„Was
genau ist passiert?“, wollte ihr Dad jetzt wissen, und McGonagall wandte sich
an sie.
„Ich
denke, da müssen uns Rose und Scorpius weiterhelfen. Würdet ihr zwei uns
begleiten?“, fragte die Schulleiterin, aber Rose musste nicht groß nachdenken,
um zu erkennen, dass es keine Bitte war. Sie hatten keine Wahl. Sie tauschte
einen Blick mit James, aber er wirkte ähnlich hilflos. Lily mied ihren Blick,
und Rose hatte nichts anderes erwartet.
„Ok“,
räumte Rose resignierend ein, und wieder hob sich ihr Blick, um Mr. Malfoy zu
betrachten, aber sie versuchte, nicht zu genau hinzusehen. Sie folgten der
Schulleiterin, und Rose hatte keine Ahnung, was dieses Gespräch ergeben würde.
Es
war genug Platz in McGonagalls Büro. Sie bot ihnen Stühle an, aber ihre Eltern
und die anderen Erwachsenen lehnten ab. Niemand wollte sitzen. McGonagall
lehnte sich an ihren Schreibtisch, so wie sie es auch im Unterricht tat.
„Scorpius,
du hast Albus geheilt, nicht wahr?“, vergewisserte sich McGonagall mit ruhigem
Ton, bevor sie sich an Onkel Harry und Tante Ginny wandte. „Wie ich schrieb,
war Albus verletzt, auch wenn ich nicht weiß, in welchem Ausmaß.“
Scorpius
schwieg unschlüssig. „Du hast seine Verletzung gesehen, nicht wahr?“, fragte
McGonagall wieder. Rose sah Scorpius daraufhin an, aber er blickte angestrengt
nach vorne, schien nachzudenken.
„Scorpius“, ermahnte ihn sein Vater jetzt, und seine Stimme klang dunkler als
die von Scorpius, stellte Rose fest.
„Ja,
ich habe ihn geheilt“, bestätigte Scorpius widerwillig.
„Was… was hatte er? War er schlimm verletzt? Wieso war Rose verletzt? Was ist
passiert, Merlin noch mal?“ Tante Ginny hatte weitaus weniger Geduld als
McGonagall. „Hattet ihr Streit?“, wollte sie wissen. „Du und Albus?“ Scorpius
sah sie an.
„Nein“,
sagte er stiller. Es war so offensichtlich gelogen, dass Tante Ginny wütender
wurde.
„Ich
erwarte eine Antwort von euch. Rose, warum waren deine Finger gebrochen? Hast
du Albus verletzt?“ Es klang so absurd. Heute, im Licht des Tages klang es mehr
als absurd. Und ihr fiel keine gute Geschichte ein.
„Rose!“,
sagte auch ihre Mutter jetzt. „Hast du ihn verletzt?“ Und ihre Mutter fixierte
sie streng.
„Ja“,
entfuhr es Rose schließlich, und sie spürte Scorpius‘ Blick auf sich.
„Warum?“
Es war Tante Ginny, und Rose hörte sehr genau, sie schien sich nicht vorstellen
zu können, warum Albus so etwas verdiente. Tante Ginny war manchmal naiv, fand
Rose. Sie ließ Alby immer alles durchgehen.
„Was
hat er gemacht?“ Onkel Harry hingegen war nicht halb so naiv wie seine Frau.
„Seit
wann prügelt ihr euch überhaupt?“, wollte ihre Mutter gereizt wissen.
„Ich…“
Rose zögerte. Mit jeder Antwort würde eine neue Frage gestellt werden.
Unweigerlich. Jedes Wort würde sie weiter in die Klemme bringen. Sie wusste
nicht, was sie sagen sollte.
„Er
war betrunken“, sagte Scorpius jetzt, und Rose wusste nicht, ob das eine
Rechtfertigung sein sollte. Sie wusste nicht, was Scorpius vorhatte. Aber die
Eltern tauschten einen besorgten Blick.
„Seit
wann gibt es in den Drei Besen mehr als Butterbier für euch?“, wollte Tante
Ginny jetzt streng wissen, und wieder war es eine neue Frage. Weil Sutter
regelmäßig harten Alkohol mitbrachte. Aber das sagte Scorpius nicht. Merlin sei
Dank.
„Ist
das jetzt sonderlich wichtig, Gin?“, wollte Onkel Harry gereizt wissen, aber
Tante Ginny sah ihn aufgelöst an.
„Unser Sohn war betrunken und hat sich mit seiner Cousine geprügelt! Ich nehme
an, es ist wichtig, Harry!“
„Wir…
haben uns nicht geprügelt“, entfuhr es Rose gereizt.
„Dann
was?“, wollte ihr Vater mit verschränkten Armen wissen. Wieder sahen sich Rose
und Scorpius an, aber wieder sprach ihr Vater. „Hör auf, ihn anzusehen, Rose.
Sag uns einfach, was passiert ist.“
„Es
gab Streit!“, sagte sie mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Ok. Und
dann?“ Ihr Vater schien nicht locker zu lassen.
„Es…
ist irgendwie außer Kontrolle geraten, und… dann habe ich ihn geschlagen“,
schloss sie. Es klang erbärmlich.
„Warst
du auch betrunken?“, wollte ihr Dad bitter wissen, und Rose öffnete den Mund.
„Nein,
war ich nicht!“, behauptete sie. War sie auch nicht. Sie hatte einige
Butterbier getrunken, hatte einmal an Presleys Cocktail genippt, aber Hugo war
wohl eher derjenige, der den Zorn ihres Vaters verdiente, nicht sie. Aber Hugo
war so clever gewesen, hier nicht aufzutauchen.
„Und
Scorpius war dabei?“, wollte Onkel Harry wissen.
„Was?“,
entkam es ihr, und Onkel Harry fixierte sie.
„Scorpius.
Er war bei euch?“ Wieder wagte sie, Scorpius anzusehen, aber sein Ausdruck half
ihr nicht.
„Merlin,
Rose! War er dabei, oder nicht?“ Ihr Vater schien die Nerven zu verlieren.
„Ja,
ich war dabei!“, mischte sich Scorpius ein wenig zu laut ein, und Rose hasste,
wie ihr Vater Scorpius beäugte. Sie hasste, wie sich beide ansahen. „Ich… habe
ihn anschließend geheilt“, schloss Scorpius stiller.
„Anschließend?
Anschließend an was?“, wollte ihr Vater gepresst wissen, und Scorpius‘ Mund
öffnete sich, bevor er sich widerwillig schloss.
„Grundgütiger
Merlin, ich will wissen, was passiert ist!“, rief Tante Ginny verzweifelt aus.
„Ihr habt euch gestritten, du hast ihn geschlagen – und dann ist er abgehauen?
Ist das, was passiert ist?“
„So
ungefähr“, schloss Rose.
„So ungefähr?“, wiederholte ihr Vater wieder. „Rose, was soll das heißen?“
„Es
ist kompliziert, Dad!“, entfuhr es ihr wütend. Nicht, dass das half! Und kurz
fokussierte der Blick ihres Vaters. Alle schlimmen Sorgen sahen sich in seinen
Augen bestätigt. Warum auch immer! Sie sah die nächste Frage schon kommen.
„Was
soll das heißen?“ Ihm schien Übles zu schwanen, und Roses Mund öffnete sich,
aber ihr Dad sprach. „Hat das irgendwas mit ihm zu tun?“, wollte er wissen und
ruckte mit dem Kopf in Scorpius‘ Richtung. „Mit… mit ihm?“, wiederholte er
angespannt, schien nicht mal seinen Namen sagen zu wollen, und immerhin musste
Rose nicht lügen, als sie heftig widersprach.
„Mit Scorpius?“ Sie klang fast schon hitzig. „Nein! Warum sollte es? Es ging
nur um Alby und mich, Dad!“, zischte sie gepresst. Er wirkte nicht sonderlich
überzeugt, was sie noch mehr nervte.
„Und
wo ist es überhaupt passiert, dass absolut niemand irgendetwas mitbekommen
hat?“, wollte er weiter wissen, und Rose verdrehte die Augen.
„Oh
Merlin“, entfuhr es Rose, und sie schloss die Augen.
„Ich
meine das Ernst, Rose“, ermahnte ihr Vater sie ungeduldig. Sie öffnete die Augen wieder.
„Mir
ist das klar, ok? Ich weiß nicht, warum Alby abgehauen ist. Ich hätte nie
gedacht, dass er abhauen würde!“, sagte sie mit mehr Nachdruck.
„Hast
du ihm gedroht?“, wandte sich ihr Vater beinahe nahtlos an Scorpius, und dieser
öffnete verblüfft den Mund.
„Ich – was?“ Scorpius wirkte gänzlich überfordert mit dieser Unterstellung und
blinzelte verblüfft.
„Wieso
sollte er?“, mischte sich Mr. Malfoy jetzt dunkel ein, machte sogar einen
Schritt auf ihren Vater zu, aber irgendwie kam es Rose nicht fremd vor. Dieses
eigenartig aggressive Verhalten zwischen… ihrem Dad und Mr. Malfoy.
„Oh, ich weiß es nicht, Malfoy! Ich weiß nicht, was dein Sohn angestellt hat!“
Sie duzten sich. Selten duzte ihr Vater fremde Erwachsene. Dann wiederum…
wirklich fremd schienen sie sich nicht zu sein.
„Mein Sohn?“, wiederholte Mr. Malfoy
aufgebracht. „Wie es aussieht, hat deine Tochter Albus verprügelt, also weiß
ich nicht, weshalb du annimmst, dass mein Sohn überhaupt etwas damit zu tun
hat!“ Auch Mr. Malfoy duzte ihren Dad. Sie sprachen miteinander, als wäre es
nicht das erste Gespräch. Nicht der erste Streit. Rose fand es eigenartig.
„Vielleicht
hat er sie bedrängt? In irgendeiner dunklen Ecke? In irgendeinem Korridor, und
vielleicht hatte Albus den Sinn und den Verstand, deinen Sohn davon
abzuhalten-“
„-Dad!“,
rief Rose beinahe hysterisch, und brennende Hitze stieg in ihre Wangen. „Hör
auf! Hör auf zu reden, Merlin!“, entkam es ihr stockend. „Scorpius war zufällig
da!“, ergänzte sie so peinlich berührt, dass sie im Boden versinken wollte.
„Sie
war nicht mit mir dort, sie hatte ein Date!“, mischte sich Scorpius ebenfalls
ein, und es half nicht. Überhaupt nicht. Die nächste Frage kam sehr schnell,
bevor Rose sich dazu hinreißen lassen konnte, vielleicht auch noch Scorpius zu
verprügeln! Dämlicher Idiot! Was wollte er damit überhaupt aussagen,
verflucht?!
„Ein
Date?“ Ihr Vater fixierte sie wieder. „Du hattest ein Date?“ Er wiederholte es, wie etwas über alle Maßen
unanständiges. Es war peinlich. Absolut peinlich!
„Es
tut nichts zu Sache. Wirklich! Es ist so unfassbar unwichtig, Dad!“ Sie würde
weinen. Sie würde wieder weinen. Es war so unwirklich und unnötig.
„Mit wem?“, wollte er wissen, ignorierte ihre Worte, und sein Blick war
unfassbar kompromisslos. Sonst sprühte die Freude aus seinen blauen Augen,
sonst war er immer zum Scherzen aufgelegt, und heute… erkannte sie ihn
überhaupt nicht mehr!
„Dad, Albus ist verschwunden, und du interessiert dich für absolut unwichtige
Details!“, schnauzte sie ihn an.
„Ron“,
beruhigte Onkel Harry ihren Dad, aber ihr Dad entzog ihm den Arm.
„Sie hat Dates, Harry!“, fuhr Ron ihn an. „Was, wenn irgendein schmieriger
halbstarker Slytherin sie anrührt, und Albus wollte sie verteidigen?“
„Was genau
soll das heißen?“, mischte sich Mr. Malfoy äußerst kalt ein, aber Rose reichte
es. Genau jetzt!
„Albus
hat mich nicht verteidigt!“, entfuhr es ihr zornig. „Albus hat mich beleidigt!“
Sie hatte es nicht sagen wollen. Sie hatte gar nichts sagen wollen.
„Mr. Weasley“, wagte Scorpius tatsächlich zu sagen, aber ihr Vater fuhr zu ihm
herum, bevor Rose sich wieder einmischen konnte.
„Ich will nicht wirklich hören, was du zu sagen hast!“, knurrte er, und
Scorpius schwieg abrupt, Zorn flackerte über sein Gesicht. Es war alles nicht
gut. Wirklich nicht. Kurz erinnerte ihr Dad sie an Hugo. Hatte er heute Morgen
nicht sehr ähnlich reagiert?
„Vielleicht
solltest du dich abregen und draußen warten?“, schlug Mr. Malfoy vor, aber ihr
Dad schenkte ihm einen eisigen Blick.
„Es
ist dein Sohn, der Probleme macht!“
„Eigentlich
ist es Harrys Sohn“, korrigierte Mr. Malfoy ihren Vater, und Rose befürchtete,
gleich würde ihr Dad einen handfesten Streit anfangen. Und jetzt zog ihre Mum
ihn zurück.
„Ron, genug“, sagte sie stiller, und ihr Vater biss die Zähne zusammen. Er sah
ihre Mum an.
„Es gefällt mir nicht. All das gefällt mir nicht“, sagte er wieder, und ihre
Mum nickte stumm.
„Ich
weiß. Aber es hilft uns nicht, ok? Wir wollen wissen, wo Albus ist. Wir wollen
ihn finden und zurück bringen. Und alles andere… ist jetzt nebensächlich“,
entschied sie diplomatisch zu sagen, und Rose war dankbar. Wirklich. Und
gleichzeitig wusste sie aber keine Antwort auf das Problem.
„Wir
wissen nicht, wo er ist!“, beteuerte Rose jetzt verzweifelt. „Er… er ist
einfach ausgerastet! Und… ich weiß, ich… habe falsch reagiert, aber ich habe
nicht gewollt, dass er verschwindet! Ich… habe ihn geschlagen und dann… wollte
ich gehen, ich… konnte ihn nicht mehr ertragen, und… James hat mich zum
Krankenflügel gebracht. Und…“ Sie wollte nicht weinen, aber die Tränen kamen
unweigerlich. Ach verdammt. Sofort kam ihre Mum zu ihr. Sie spürte die warme
Umarmung, und sie hasste, dass alles so furchtbar war.
„Die
Kinder wissen nicht, wo er ist. Ich denke, das können wir festhalten“, schloss
McGonagall langsam. Rose löste sich wieder von ihrer Mum und wischte sich die
nassen Wangen trocken. Scorpius‘ Blick war auf den Boden gefallen. Und es war
Onkel Harry, der sprach.
„Rose“, begann er ruhig, und sie hob den Blick, „warum hat er dich beleidigt?
Vielleicht gibt uns das Aufschluss über seine Reaktion? Über sein
Verschwinden?“, wollte er fast sanft wissen, und Rose konnte es nicht sagen.
Sie konnte nicht.
„Ich
weiß es nicht“, flüsterte sie.
„Was
hat er gesagt?“, fragte Onkel Harry sanft, und Rose schüttelte den Kopf.
„Es… es ist wirklich unwichtig“, wisperte sie erschöpft.
„Rose“,
sagte Scorpius jetzt kopfschüttelnd, aber ihr Blick schoss zu ihm herum.
„Nein!“, warnte sie ihn bitter. Ungläubig sah er sie an.
„Als
ob es irgendeinen Unterschied macht“, knurrte er jetzt, und sie sah sehr
deutlich, dass er genug hatte. Er hatte genug davon, wegen ihr und Albus hier
zu sein, wegen ihr und Albus von ihrem Vater bedrängt zu werden, und sie
verstand das, aber was er tat, half nicht! Es half weder ihm, noch Albus!
„Es
hat nichts damit zu tun“, erwiderte sie gepresst. „Also, lass es sein!“
„Es hat so ziemlich alles damit zu tun“, widersprach er, und sie bemerkte wie
vor allem ihr Vater wieder unruhig wurde. Sie wünschte, er würde aufhören, zu
reden!
„Was
hat mit was zu tun?“ Sofort klang ihr Vater wieder alarmiert, und Scorpius
konnte ihren Vater wirklich nicht leiden. Rose erkannte es mit einem Mal. Trotz
sprach aus Scorpius‘ Blick. Sie öffnete den Mund, um ihn aufzuhalten, aber
Scorpius schien keine Konsequenzen mehr zu fürchten.
„Albus
steht auf Rose“, entfuhr es ihm gereizt, während er ihren Vater fixierte. „Und
das seit Ewigkeiten!“ Es war als detonierte eine stille Bombe im Büro der
Schulleiterin. Kurz sagte keiner etwas, bevor ihr Vater den Mund überfordert
öffnete. Roses Herzschlag hatte kurz ausgesetzt.
„Was?“
Ihr Vater wirkte verwirrt.
„Er
kam damit nicht zurecht, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er vollkommen
ausrastet. Und mir ist es egal gewesen! Mich hat es alles nicht betroffen –
aber gestern… ist er zu weit gegangen! Er hat Presley bedroht, er hat Rose-“
„-Presley?“,
unterbrach ihn ihr Vater scharf. „Presley wer? Presley-“ Er unterbrach sich
selbst, als er wohl verstand. „Presley Ford?!“, entkam es ihm absolut
ungläubig. Aber Scorpius störte es nicht weiter, nein, es schien ihm
zugefallen, ihren Vater in den Wahnsinn zu treiben. Auch ihre Mutter wirkte
kurz mehr als empört.
„Scorpius!“, rief sie vollkommen ungläubig, aber es schien ihm nichts mehr
auszumachen.
„Er
hat sie beleidigt, wollte Presley schlagen, ich habe versucht, ihn aufzuhalten,
und dann… hat Rose die Situation gelöst, hat ihm erklärt, dass sein Verhalten
krank ist – und…“ Er zögerte. Sie starrte ihn an, und er erwiderte ihren Blick.
„Es reicht“, flüsterte sie heiser. „Halt einfach deinen Mund, verdammt noch
mal! Was ist in dich gefahren?“ Sie flüsterte beinahe, konnte nicht fassen,
dass er das getan hatte, und er wirkte auch noch beleidigt!
„Was
in mich gefahren ist?“, wiederholte er ernsthaft wütend. „Vielleicht ist es dir
entgangen, aber wegen Al sind wir hier! Wegen Al und seiner scheiß Aktionen,
Rose!“
„Du
hilfst überhaupt nicht!“, fuhr sie ihn verzweifelt an.
„Es
ist alles egal, oder nicht? Und wenn James nicht fertigbringt, es seinen Eltern
zu sagen, dann werde ich es wohl tun müssen! Merlin, ich habe nicht gewusst,
dass ich Al gestern Nacht hätte festbinden müssen, damit er nicht auch noch
abhaut! Es wird Zeit, dass es geklärt wird! Du hättest vor Jahren schon längst
mit ihm reden müssen!“, fuhr er sie an.
„Jetzt
ist es meine Schuld? Ist das dein Ernst?“, knurrte sie und vergaß beinahe, dass
sie nicht alleine waren. Sie hatte gewusst, dass so etwas in Scorpius‘ Kopf
rumschwirrte, deswegen war er so furchtbar drauf gewesen heute. Sie waren alle
angespannt, aber Scorpius hatte übertrieben!
„Merlin,
es geht nicht um Schuld! Es geht darum, dass du deinen Mund nicht
aufbekommst!“, fuhr er sie an.
„Oh ja?
Was genau hätte ich tun können? Man kann mit Alby nicht einfach reden!“, entkam
es ihr hysterisch. „Und garantiert nicht darüber!“ Kopfschüttelnd starrte sie
ihn an. Zorn floss durch ihre Adern. Wie konnte er wagen, all das zu sagen und
ihr die Schuld zu geben? Aber er schien nicht fertig zu sein. Es war unfassbar!
Er war derjenige, der nie seinen Mund aufbekam, und ausgerechnet jetzt, fing er
damit an.
„Aber
vor seinen Augen mit Presley Ford ausgehen, das war die richtige
Therapie-Methode, ja? Ausgerechnet dieses Outfit zu tragen, hat geholfen, oder
was?“ Sie starrten sich an. Sie ballte ihre gesunde Hand zur Faust und Röte
schoss ungehindert in ihre Wangen.
„Es
geht dich nichts an, Malfoy! Erlaub dir verdammt noch mal kein Urteil! Als ob
du in der Position wärst, das zu tun“, zischte sie atemlos, und sie konnte
nicht mehr ertragen, in sein selbstgerechtes Gesicht zu sehen. Wütend wandte
sie sich ab, und jetzt gerade konnte sie keinen von ihnen mehr ertragen. Sie
stürmte aus dem Büro.
„Rose“,
rief ihre Mutter ihr nach.
„Rose,
warte!“, rief auch ihr Vater, aber sie schlug die Bürotür hinter sich zu und
sauste die Wendeltreppe hinab.
„Was
war das für ein Geschrei?“ James versuchte, sie abzufangen, aber Rose hielt
nicht inne. Sie wandte lediglich den Kopf über die Schulter, als sie den Flur
hinablief.
„Malfoy
hat es für eine gute Idee gehalten, Onkel Harry die Wahrheit über Alby zu
sagen!“, rief sie zornig zurück, und wartete James‘ Antwort gar nicht erst ab.
Sie
kochte vor Wut! Und sie wollte im Erdboden versinken! Was hatte Scorpius noch
alles zu sagen? Wollte er einfach alles erzählen?! Wie peinlich es gewesen war!
Und sie schämte sich, dass sie nicht in der Lage gewesen war, einfach den Mund
zu halten. Verdammt. Denn wie sah das jetzt bitteschön aus?!
Sie
gingen nebeneinander, und ab und verlor sich Scorpius‘ Blick in den Weiten des
Geländes. Wo war Al, verflucht? Sein Vater blieb stehen, wandte sich dem
Burghof zu, und über ihnen fiel der Regen, tauchte den Tag in einen matten
Schleier. „Ich hatte den Eindruck, du wärst mit… der anderen Weasley zusammen“,
sagte sein Vater nach einer ganzen Weile. Scorpius spürte, wie seine Mundwinkel
sanken.
„Ich
bin mit Dominique zusammen“, bestätigte er knapp. Sein Vater benutzte nicht
sonderlich gerne die Vornamen der Weasleys. Und er klang immer äußerst
zurückhaltend, wenn es um seine Beziehungen ging.
„Und
was ist das für eine Verbindung zu… diesem anderen Mädchen?“ Schon wieder.
Wieder verzichtete er auf den Namen.
„Rose?“,
half ihm Scorpius genervt auf die Sprünge, aber sein Vater sah ihn nicht an,
blickte hinaus ins Grün, was sich immer schneller verfärbte. Und bald hingen
nicht mal mehr die herbstlichen Blätter an den Bäumen.
„Rose“,
wiederholte sein Vater tatsächlich ihren Namen und klang sehr nachdenklich.
„Ja, was ist mit ihr?“, wollte er dann wissen.
„Gar
nichts ist mit ihr!“ Scorpius klang defensiver, als er eigentlich klingen
wollte.
„Ziemlich
viele Probleme für gar nichts, oder?“ Sein Vater klang nicht begeistert.
„Es
liegt nicht an ihr. Es liegt an-“
„-mir
ist vollkommen klar, an wem es liegt, aber scheinbar ist er immer noch dein
bester Freund?“ Scorpius verfolgte andere Gedanken. Es belastete ihn. Sehr.
„Er
hat sie Schlammblut genannt“, entfuhr es ihm stiller als zuvor. Und diesmal
regte sich sein Vater. Diesmal wandte er den Kopf und sein Blick fiel auf ihn.
„Wer?“,
entgegnete er ein wenig verblüfft.
„Al. Al hat… na ja. Er hat Roses Mutter beleidigt.“ Sein Vater schien darüber
kurz nachzudenken. Dann zuckten seine Mundwinkel.
„Al
ist ein dummer Junge. Wirklich dumm“, wiederholte sein Vater kopfschüttelnd.
„Ich
habe sie nie beleidigt! Ich… habe noch nie jemanden beleidigt“, rechtfertigte
sich Scorpius, ohne genau zu wissen, warum er es eigentlich tat.
„Gut.
Das… ist gut so“, murmelte sein Vater, wieder einigermaßen in Gedanken
versunken.
„Das
war nicht ok“, sagte Scorpius angespannt. „Es war… wirklich schlimm“,
wiederholte er tonlos. Sen Vater drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken an
die Steinbalustrade und schien ernsthaft nachzudenken.
„Ich glaube, ich kann nicht mal mehr zählen, wie oft ich… Mrs Weasley so
genannt habe. Damals“, entfuhr es ihm mit Bedacht, und Scorpius‘ Augen wurden
groß. Er wusste, dass sein Dad mit den anderen zur Schule gegangen war, und er
wusste auch, dass sie alle nicht befreundet gewesen waren. Aber sein Vater
sprach so gut wie nie über die Schulzeit. Über gar nichts aus dieser Zeit. „Und
für gewöhnlich, war… Harry einer der ersten, der mich dafür hat büßen lassen. Deshalb
ist es so… eigenartig“, schloss er still.
„Hast
du das ernstgemeint?“, wollte Scorpius kleinlaut wissen. Der Blick seines
Vaters fiel.
„Was?“
„Das
Wort, Dad“, sagte Scorpius, und sein Herz schlug schneller. Sein Vater
verdrehte die Augen.
„Nein“,
sagte er schließlich. „Es ist ein dummes Wort. Deine Mutter hat es verabscheut.
Jedes Mal, wenn dein Großvater sich hat hinreißen lassen, Muggel und andere
Geschöpfe zu verteufeln, mussten wir gehen. Noch bevor das Essen begonnen
hatte, bevor die Feiern zu Ende waren – und wir sind oft gegangen. Astoria ist
nie leichtfertig mit Beleidigungen umgegangen.“ Selten sprach er von seiner
Mum, seitdem sie tot war. „Und dein Großvater hat sich nie die Mühe gemacht,
deine Mutter zu respektieren.“ Es war ein seltsamer Themenwechsel, aber
Scorpius konnte es beinahe nachvollziehen.
„Ja?
Sowie du Dominique nicht respektierst?“ Sein Vater seufzte auf.
„Ich
respekteire sie. Aber ihr seid jung“, war alles, was sein Vater sagte. „Und
glaub mir, ich… bin der letzte, der in deinem Weg stehen wird, solltest du
einem dieser Heldenkinder einen Antrag machen wollen“, schloss er spöttisch.
„Nenn
sie nicht so“, entfuhr es Scorpius gepresst, aber sein Vater musste lächeln.
„Solange
du deinen Namen behältst – kein Problem für mich“, entgegnete er lächelnd.
Scorpius verdrehte die Augen. „Eine Weasley-Hochzeit tut unserem Ruf mehr als
gut“, fuhr er spöttisch fort.
„Unheimlich
witzig, Dad.“ Das Lächeln seines Vaters vertiefte sich.
„Mein Sohn, der Gutmensch“, zog er ihn auf.
„Du bist so blöd“, entfuhr es Scorpius beleidigt. Sein Vater legte den Arm um
seine Schulter, und Scorpius erinnerte sich direkt an die letzten Tage im Haus.
Als seine Mutter zu schwach gewesen war, um aufzustehen. Er roch praktisch den
zu süßen Duft des Jasmins, der überall in der Luft gehangen hatte. Niemals
wieder würde er den Sommeranfang mit etwas Positivem in Verbindung bringen
können, denn da war seine Mum gestorben. Und sein Vater hatte Probleme damit,
Gefühle zu zeigen, und deshalb erinnerte ihn jede körperliche Zuwendung einfach
nur an die schlimme Zeit. Denn da hatte sein Vater etwas tun müssen. Er hatte
sich um ihn kümmern müssen, hatte ihm Zuneigung zeigen müssen – einfach, weil
es sonst nicht gegangen wäre.
Und
plötzlich fühlte sich Scorpius sehr allein. Ohne Al, ohne irgendwen hier. Und
das mit Al belastete ihn seit Wochen, denn es war immer schlimmer geworden. Er
war gar nicht mehr sein bester Freund. Und Scorpius hatte nichts tun können, um
das zu ändern. Sein Vater versteifte sich sehr kurz, als er ihn fest umarmte.
Dann aber atmete er aus und legte die Arme um seinen Oberkörper.
„Alles
ok?“, fragte er ihn knapp, und Scorpius nickte gegen den kratzigen Stoff des
Gehrocks. Es war nichts ok, aber daran konnte sein Vater wenig ändern. „Er wird
schon wieder auftauchen“, schien sein Vater seine Gedanken zu lesen. Dann fuhr
er ihm durch die Haare, beinahe liebevoll. „Und unter Reinblütern ist Inzest
nun wahrlich verbreiteter, als es die Pockenpest gewesen war“, fuhr er fort,
und Scorpius hörte das Lächeln in seiner Stimme.
„Du
bist eklig, Dad“, murmelte er bloß und hörte das tiefe Lachen, das durch die
Brust seines Vaters drang, und es klang angenehm in seinen Ohren.
„Der
Stammbaum deiner Großmutter ist eklig, glaub mir, ich bin normal“, versprach er
versöhnlicher, und Scorpius löste sich von ihm.
„Es
tut mir leid, dass du kommen musstest.“ Sein Vater hob eine blonde Augenbraue.
„Was wärst du für ein Slytherin, wenn ich nicht wenigstens einmal alle paar
Jahre hier auftauchen müsste? Mein Vater war im Schlurat. Er war jede Woche
hier, um mich beim Versagen im Quidditch zu beobachten“, fuhr er bitter fort.
Scorpius musste fast grinsen. „Sei froh, dass ihr den guten Potter im Team
habt. Merlin, wäre das Leben entspannter gewesen, wäre Harry Potter nach
Slytherin gekommen“, ergänzte er, beinahe gedankenverloren. Dann wurde er
ernst. „Eigentlich trifft es sich ganz gut“, sagte er plötzlich. „Nächstes
Wochenende haben wir einen Termin am Haus. Vielleicht könnte ich dich abholen,
dann schaust du es dir an?“, schlug er vor, aber Scorpius blockierte, wie er es
immer tat.
„Ich
will es nicht.“
„Du
solltest es dir ansehen“, beharrte sein Vater strenger.
„Du
und Großvater könnt es euch ansehen, ihr könnt es schätzen lassen, verkaufen – mir
egal“, behauptete Scorpius blind, und sein Vater seufzte resignierend.
„Ich
weiß, du magst deinen Großvater nicht – Merlin, niemand tut das, aber das ist
dein Erbe, und du solltest es mit der Ernsthaftigkeit behandeln, die deine
Mutter an den Tag gelegt hat, als sie es dir vermachte“, sagte er schwere
Worte, und Scorpius hasste, wenn er das tat. „Es schadet nicht, ab und an mal
erwachsener sein zu müssen, als man will.“ Scorpius verdrehte genervt die
Augen.
„Meinetwegen“,
entfuhr es ihm. „Aber es wird ohnehin verkauft.“
„Es
ist ein großes Anwesen. Du könntest es bewirtschaften. Du könntest mit Miss
Weasley dort einziehen“, schlug er achselzuckend vor.
„Sie heißt Dominique, Dad, und ich glaube, das will sie nicht. Und ich auch
nicht“, behauptete er grimmig.
„Das
wird deinen Großvater freuen. Dann kannst du Malfoy Manor übernehmen.“ Scorpius
verzog gequält den Mund. Er hasste Malfoy Manor. Er hasste, dass das Haus ihren
Namen trug, und er hasste die düsteren Kammern, den modrigen Grusel-Keller und die
uralten Hauselfen, die durch die Gänge schlichen und die Malfoys flüsternd
verteufelten. Sein Vater hatte es schon nicht haben wollen. Und das aus gutem
Grund.
„Super,
danke“, entfuhr es ihm gereizt. Sein Vater lächelte wieder, zerstrubbelte seine
Haare, wie er es manchmal tat, und sofort schüttelte Scorpius sie zurück in die
Stirn.
„Tante
Daphne würde sich freuen, dich zu sehen“, behauptete sein Vater, aber Tante
Daphne war die Schwester seiner Mum und sehr anstrengend. Und sehr
dramatisch.
„Mh“,
machte Scorpius abweisend, aber er würde wohl oder übel dort auftauchen. Sein
Vater erpresste ihn mit dem Erbe seiner Mutter. Klassisch, wirklich.
„Irgendwas
Neues?“, erkundigte sich sein Vater, als sie sich wieder in Bewegung setzten.
„Mehr als das?“, wollte Scorpius ungläubig wissen. Sein Vater zuckte die
Achseln, und Scorpius fiel tatsächlich noch etwas ein.
„Rumer ist mit James zusammen“, sagte er dann lächelnd.
„James Potter?“, vergewisserte sich sein Vater, bevor sich seine Mundwinkel
wieder hoben. „Pansy wird begeistert sein“, ergänzte er grinsend. Scorpius
verkniff sich das Grinsen geradeso. Und er verkniff sich, zu erwähnen, dass
auch Hugo versuchte, bei Rumer zu laden.
„Erzähl
es ihr nicht“, bat er ihn, aber sein Vater schüttelte den Kopf.
„Ich
kann nicht anders“, entschuldigte sich sein Vater spöttisch. „Heute Abend ist
wieder eine ihrer langweiligen Vorstandsfeiern, und ihr Ausdruck wird
unbezahlbar sein.“ Scorpius verbarg das Lächeln mit Mühe. Tante Pansy war noch
schlimmer als sein Vater. Sie ignorierte, dass es die Weasleys gab – und die
Potters dazu. Sie hatte schon damals einen depressiven Anfall bekommen, als
Rumer nach Gryffindor gekommen war. Aber Tante Pansy war eine gute
Schauspielerin, und Scorpius glaubte auch, sie fand es gar nicht so tragisch,
dass Rose Rumers beste Freundin war. Sie war immer ausgewählt höflich zu ihr,
wie Rumer es sagte. Tante Pansy übertrieb immer gerne.
„Ich
sehe dich nächste Woche, ja?“, drohte ihm sein Vater praktisch, aber Scorpius
gab seufzend nach.
„Ja“,
sagte er bloß.
„Stell
nichts an, und schreib mir, wenn der kleine Potter wieder auftaucht.“ Sein
Vater hatte nichts gegen Albus. Scorpius glaubte, sein Dad fand ihn sogar amüsant.
Wahrscheinlich nur, weil er freiwillig in Slytherin war. Aber er nickte.
„Werde ich tun“, versprach er gleichmütig. Er begleitete seinen Vater ein
Stück, bevor dieser den Zauberstab zog, und einen Regenschutzzauber sprach. Er
hielt den Zauberstab hoch und trat auf den Kiesweg, der hinab zu den Toren
führte. Im Gehen wandte er sich noch mal zu ihm um und hob die Hand zum
Abschied. Scorpius erwiderte die Geste, und dann verschwand sein Dad mit
zügigen Schritten. Scorpius vermisste ihn fast. Es war mal eine nette
Abwechslung, ihn zu sehen. Früher hatte er selten so gedacht, aber… die
Beziehung zu seinem Vater war besser geworden. Aber er erinnerte ihn sehr an
seine Mum. Und er vermisste sie heute gleich doppelt so sehr, wie sonst.
Wieder
glitt sein Blick in die Ferne und verfing sich an den Bergen, die in tiefem
Nebel hingen. Und dann gefror sein Blick.
Er
hatte eine Idee, wo Al sein könnte!
Sie
nahm an, sie konnte mit garantierter Sicherheit, eine Eule ihrer Mutter
erwarten. Rose hatte sich nicht verabschiedet, hatte mit keinem von ihnen noch
mal gesprochen, und es nervte sie jetzt schon. Sie war wirklich sauer auf
Scorpius. Richtig sauer! Kurz hatte Presley mit ihr gesprochen, aber Rose hatte
nicht wirklich der Sinn danach gestanden, und sie hatte ihm versprechen müssen,
dass sie ein Gespräch nachholten. Immerhin war er nicht so von ihr verschreckt,
dass er gar nicht mehr mit ihr sprach.
Wie
ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht verbreitet, dass Rose Albus
krankenhausreif geschlagen hatte, und dass er tatsächlich im Mungo lag. Und vor
allem den Slytherins gefiel diese Geschichte nicht, denn dann hatten sie keinen
Quidditch-König mehr. Es war bereits düster draußen, und ihre Sorge steigerte
sich langsam ins Unermessliche. Was ihr recht war, war, dass alle übrigen
Schüler ihre Nähe mieden, da sie glaubten, sie sei gefährlich.
Hugo
war den Rest des Tages über nicht aufgetaucht, und immerhin würde auch er eine
böse Eule ihrer Mum bekommen. Auch Scorpius saß nicht am Slytherintisch. Dieser
Mistkerl. Es war so unglaublich peinlich gewesen. So absolut furchtbar. Sie war
froh und dankbar, dass niemand sonst mit im Büro gewesen war. Aber sie glaubte
nicht, dass das schon das Ende wäre.
Aber
im Moment wollte sie einfach nur, dass Albus wieder auftauchte. Sie hatte sich
bisher wenig Sorgen gemacht, aber mit Einbruch der Dunkelheit waren ihre Ängste
gekommen.
Was,
wenn er einen Unfall gehabt hatte? Das Wetter war wirklich nicht gut. Und wenn
Onkel Harry sämtliche Gasthöfe und Kneipen überwachen ließ – warum war er dann
noch nicht aufgetaucht? Es herrschte gedrückte Stimmung am Gryffindortisch,
niemand sprach wirklich, und nur von Lily bekam sie ab und an den
obligatorischen zornigen Blick. Aber Rose hatte gerade keine Lust und keine
Muße, ihre Cousine anzusprechen. Sie glaubte doch wohl nicht, dass sie Alby
krankenhausreif geschlagen hatte? Hatte sie nicht. Hoffte sie. Er hatte heute
Morgen nicht gut ausgesehen, aber… es war ihm gut genug gegangen, dass er sie
im Krankenflügel besucht hatte. Außerdem war Lily schon seit Tagen schlecht auf
sie zu sprechen. Sie hatte überlegt, Rumer zu erzählen, dass Alby sie besucht
hatte, aber Rumer wäre wohl emotional verpflichtet, es James zu sagen. Und… es
war Rose unangenehm. Es war alles unangenehm. Aber nichts war es wert, dass
Alby einfach abhaute. Verdammter Potter!
Sie
erhob sich abrupt. Die Köpfe wandten sich in ihre Richtung.
„Ich…
hab keinen Hunger mehr“, erklärte sie sich kleinlaut, aber niemand widersprach.
Einige nickten – außer Lily – und sie stieg über die Bank, um die Halle zu
verlassen. Sie hörte die übrigen Schüler tuscheln, und am liebsten würde sie
drohend die Fäuste schwingen. Aber sie war zu erschöpft heute. Ihre Hand war
straff verbunden, und die Schmerzen waren längst abgeklungen. Madame Pomfrey
hatte gesagt, sie müsse den Verband noch tragen, um sicher zu gehen, dass die
schwachen Knochen nicht aus Versehen erneut brachen, denn frisch geflickte
Knochen waren noch nicht sonderlich belastbar, solange die Magie noch wirkte.
Sie
ließ die Geräusche der Halle hinter sich und trat auf den kühleren Flur. Sie
erkannte ihn, gerade als er nach draußen verschwinden wollte. Schnell trugen
sie ihre Beine.
„Hey!“, rief sie, noch immer absolut wütend. Scorpius hielt inne. Mehr oder
weniger freundlich, und sah sie an. Am liebsten würde sie ihm seinen
selbstgerechten, arroganten Blick aus dem Gesicht schlagen! Er regte sie auf!
Jeden Tag, nur noch mehr!
„Was?“,
entkam es ihm bitter – als hätte er jedes Recht dazu. Als hätte er das Recht,
beleidigt zu sein! Er! Ausgerechnet!
„Was?!“,
wiederholte sie gepresst. „Denkst du ernsthaft, das ist vorbei? Denkst du, du
blamierst mich vor meiner Familie – und sechs Stunden später ist es vergeben und
vergessen?“, fuhr sie ihn zitternd an, aber lediglich sein Kiefer spannte sich
bei ihren Worten an. Sie wusste nicht, was er zurückhielt, aber es schien ihn
Beherrschung zu kosten. Fast wünschte sie, dass er schreien würde. Aber das tat
er nicht.
„Ich
habe heute keine Lust mehr, Rose“, sagte er mit Bedacht, und fast hätte sie
aufgelacht.
„Oh
wow! Dann halte ich besser meine Klappe, hm? Der große Malfoy hat heute keine
Lust mehr!“ Und fast dachte sie, er würde sie schütteln. Kurz regte sich etwas
in seiner Haltung, aber wieder gewann seine ätzende Beherrschung.
„Hast
du nicht irgendwo zu sein? Haare glätten? Miniröcke anziehen?“, erkundigte er
sich abwesend, und sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich
habe jedes Recht hier zu sein!“, entgegnete sie. „Und dich muss es nicht
interessieren, was ich anhabe!“, ergänzte sie böser.
„Es
interessiert mich auch nicht“, gab er gereizt zurück und wollte sich abwenden.
„Wo
gehst du hin?“ Sie fragte ihn, einfach so. Es interessierte sie nicht mal! Sie wollte
ihn einfach nur nerven, so wie er sie nervte.
„Nirgendwohin“,
log er schlicht, aber sie verschränkte so gut es ging die Arme vor der Brust,
so dass es nicht schmerzte. Er sah, wie sie den Mund verzog. Kurz wanderte sein
Blick über ihren Verband. „Tut es weh?“, fragte er tatsächlich, aber sie hatte
keine Lust, es zu diskutieren.
„Interessiert es dich?“, konterte sie ungläubig, und die Abwehr trat aus seinem
kühlen Blick.
„Das
heute - es wäre so oder so rausgekommen“, informierte er sie ruhiger und ihre
Auge verengten sich knapp.
„Da
bin ich mir nicht sicher. Aber vor allem garantiert nicht vor meinen Eltern!
Oder Albys Eltern!“, entrüstete sie sich. „Oder deinem Vater!“, ergänzte sie
atemlos. Seine Mundwinkel zuckten kurz.
„Meinen Vater interessiert es nicht. Er sagte mir heute, dass Inzest unter
Reinblütern sehr gewöhnlich ist“, sagte er, und vor Ekel verzog sich ihr Mund.
Und fast widerwillig antwortete sie.
„Ich bin kein Reinblut, also betrifft es mich nicht.“ Scorpius antwortete
nicht, stattdessen atmete er sehr lange aus. Und sie wollte diese Stille nicht
länger ertragen, also sprach sie weiter. „Mich belastet das, ok? Du… du hattest
einfach nicht das Recht, diese Dinge zu sagen, nur weil dir gerade danach war“,
informierte sie ihn, wesentlich ruhiger als vorher.
„Dein
Vater hat mich beleidigt.“ Sie wusste nicht, ob es eine Rechtfertigung sein
sollte, aber es klang fast so.
„Ich weiß. Und… das war nicht in Ordnung, aber-“
„-es
belastet mich auch, Rose“, unterbrach er sie und fuhr sich resignierend durch
die hellen Haare. „Auch wenn du es nicht glaubst“, ergänzte er, aber sie
glaubte ihm. „Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt. Du hast Albus nicht
gepachtet, er ist mein bester Freund, ok?“ Seine Worte trafen sie überraschend,
und Röte trat in ihre Wangen.
„Ich
wollte nie in irgendeinem Mittelpunkt stehen! Das… das ist nicht fair“,
erwiderte sie, fast kleinlaut und schüttelte den Kopf. „Er ist auch mein bester
Freund.“ Scorpius verdrehte die Augen.
„Weil
er auf dich steht“, widersprach er bitter. Aber ihr Blick hob sich zornig.
„Nur weil du nicht nachvollziehen kannst, warum jemand mit mir befreundet ist,
heißt es nicht, dass es für alle gilt! Mädchen können auch noch etwas anderes,
als Klamotten kaufen und Haare glätten!“, zischte sie. „Und Alby und ich waren
echte Freunde. Ohne… ohne all das andere! Schon immer!“ Er machte sie wütend.
Schließlich schwiegen sie beide.
„Es
ist nicht meine Schuld, dass das passiert ist“, sagte er irgendwann, ohne sie
anzusehen.
„Aber
es ist meine Schuld?“, wollte sie fast empört wissen, und er stöhnte gereizt
auf.
„Nein, das habe ich nicht gesagt! Es… es ist Als Schuld“, kam er bitter zu dem
offensichtlichen Schluss. Und mental pflichtete sie ihm bei.
„Du…
hättest es Onkel Harry trotzdem nicht ins Gesicht sagen müssen.“ Und zuerst
dachte sie, den Zorn in seine Augen zurückkehren zu sehen, aber müde sah er sie
schließlich an.
„Ich
weiß“, räumte er tatsächlich ein. „Ich… weiß das.“ Und ihre Wut verrauchte sehr
plötzlich. Sie hatte… alles gesagt, was sie störte. Und er hatte es eingesehen.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich war sauer auf Al“, sagte er offen.
Und
sie versuchte ihr Glück erneut. „Was willst du draußen?“, fragte sie ihn
ruhiger, und er mied ihren Blick. „Es ist dunkel, es regnet – willst… willst
du… ihn suchen?“, fragte sie fast tonlos, denn danach sah es aus! „Scorpius?“,
drängte sie ihn fast, und er blickte gedankenverloren zur Seite. „Ich will ihn
auch finden“, beteuerte sie still. „Wir haben Probleme, aber… ich will einfach
nur, dass er wiederkommt.“
Scorpius
atmete lange aus, bevor er sich kurz umsah, aber sie waren allein. „Du kannst
nicht mitkommen“, sagte er bestimmt.
„Wohin
willst du?“, flüsterte sie praktisch, aber er schüttelte entschuldigend den
Kopf.
„Geh
wieder rein. Ruh dich aus“, bemerkte er mit Blick auf ihren Verband. „Wir sehen
uns“, verabschiedete er sich sehr kurz angebunden, und dann ließ er sie stehen
und schlüpfte nach draußen. Allerdings war es ihr gleichgültig und sie folgte
ihm. Draußen wehte ein scharfer Wind.
„Warte!“,
rief sie ihm nach, und der Wind schluckte ihre Stimme. Er wandte sich um, und
der Wind zerrte an seinen hellen Strähnen, sie sah es auch in der Dämmerung.
Regen durchnässte sie ziemlich schnell.
„Geh
wieder rein, ich meine das ernst!“, rief er, aber sie lief ihm nach. Er zog
sich die Kapuze seiner Jacke über den Kopf, und sie tat dasselbe mit ihrer
dicken Trainingsjacke. „Rose!“, ermahnte er sie zornig, aber sie ignorierte
ihn, lief neben ihm den dunklen Weg entlang und erkannte, er war unterwegs zu
den Quidditchzelten. Schweigend rannten sie die letzten Meter und stoben durch
den Eingang. Sie waren komplett durchnässt.
„Was
hast du vor?“, entkam es ihr atemlos und sie zog sich die nasse Kapuze vom
Kopf. Gereizt sah er sie an.
„Geh
wieder zurück, Rose!“ Er klang nicht sonderlich in der Stimmung, um weiter zu
diskutieren, aber sie wollte es wissen.
„Wieso
sagst du es mir nicht?“, fuhr sie ihn wütend an. Und diesmal war er genauso
zornig.
„Ich
werde dich garantiert nicht mitnehmen, ok?“ Er war wütend, er wirkte so…
verzweifelt.
„Mitnehmen
wohin?“ Sie wusste, dass sie übertrieb. Sie wusste das. Aber sie konnte nicht
einfach hier bleiben und gar nichts tun! Wasser perlte über sein Gesicht, und er
wischte sich aggressiv die hellen, nassen Strähnen aus der Stirn.
„Du
bist so absolut-!“, begann er zornig, aber sie unterbrach ihn ebenso laut.
„-du
bist selber schuld!“, fuhr sie ihn an. „Du redest mit keinem, sagst keinem
wohin du verschwindest – nicht mal Dom! Und dann was? Du willst mitten in der
Dunkelheit losfliegen? Es ist gefährlich, Scorpius! Und ich will helfen! Ich
will… irgendetwas tun!“ Sie klang so verzweifelt, dass es sie selber ankotzte.
Und er atmete zornig aus.
„Ab
und zu… sind wir hoch geflogen. Ins Gebirge. Da… ist eine Höhle. Nicht
wirklich, aber… sie ist groß genug, um unterzukommen“, schloss er gereizt. „Und
du“, fuhr er fort und deutete auf ihre Hand, „kannst keinen Besen fliegen,
verdammt!“
„Denkst
du, er ist oben im Gebirge?“, entkam es ihr atemlos. „Bei diesem Wetter?“
„Ich
weiß es nicht!“, blaffte er zornig, aber… es war kaum Sorge, als eher
Verzweiflung. Dieselbe Verzweiflung, die sie auch verspürte. „Und ehrlich
gesagt, will ich nicht darüber reden. Ich will nicht ausdiskutieren, ob es eine
gute oder eine scheiß Idee ist. Ich will einfach… weg“, schloss er fast tonlos.
„Und du kannst nicht mit“, ergänzte er wieder. „Du darfst überhaupt nicht hier
sein!“, schloss er rau. „Du kannst es nicht rechtfertigen – ich kann es nicht
rechtfertigen, und am besten gehst du zurück ins Schloss.“ Wieder sah er sich
beinahe schuldbewusst um, als könne sie hier irgendjemand hören, als wären sie…
nicht alleine.
„Ich
kann es rechtfertigen, verflucht!“, widersprach sie sofort. „Nicht alles, was
wir tun ist verboten oder romantisch, verdammt noch mal! Eigentlich nichts ist
romantisch“, entfuhr es ihr wütend. „Deine Angst ist in deinem verdammten
Kopf!“, knurrte sie ungehalten. Sein Blick fiel, und er begann durch das Zelt
zu wandern.
„Ich…
ich hätte mit ihm reden müssen“, knurrte er, ohne sie wirklich anzusehen.
„Schon längst. Schon seit… seit dem Urlaub“, entkam es ihm. „Aber ich habe mich
geschämt und… ich wusste nicht, was richtig war. Und ich… bin so ein Arschloch
und habe es soweit kommen lassen, weil ich Angst hatte, er kündigt mir die
Freundschaft, wenn ich ihm das mit dir erzähle“, entfuhr es ihm. Rose blinzelte
verblüfft. Dann hob sich sein Blick. „Und jetzt… ist er weg.“ Mit einem Mal
wirkte er so verzweifelt, so ehrlich überfordert, dass es sie kurz lähmte.
Innerlich und äußerlich. „Und ich brauche meinen besten Freund. Ich… muss mit
ihm reden, und… diese ganze Scheiße soll aufhören. Ich verstehe nicht, seit
wann Mädchen so wichtig sind. Seit wann das, was wir fühlen, uns tatsächlich
auseinanderbringt!“ Sie hatte darauf keine Antwort, sie wusste nur – sie
empfand genauso. Genauso!
„Ich
weiß“, flüsterte sie, aber er hörte ihr nicht wirklich zu.
„Und
heute…- ich habe es gesagt, weil… ich wollte, dass es aufhört! Dass es die
Erwachsenen regeln, denn… wofür sind sie sonst gut? Ich wollte… dir nicht
wehtun oder ihm oder – irgendwem! Ich wollte einfach nur-“
„-ich
weiß“, unterbrach sie ihn wieder.
„Tust
du das?“, wollte er ungläubig wissen und wandte sich ihr zu. „Verstehst du
überhaupt, wie es ist?“ Er glaubte ihr nicht.
„Denkst
du, für mich ist das einfach?“, flüsterte sie. „Ich habe nicht darum gebeten,
dass Alby… mich so sieht. Dass er so empfindet. Merlin, ich bereue diesen Sommer
so sehr, denn für mich hat sich alles geändert! Und ich kann es niemandem
sagen. Es fühlt sich so furchtbar an, Scorpius“, entkam es ihr verzweifelt.
„Und – keine Ahnung! Ich will, dass es so ist wie vorher. Ich… weiß, es ist
egoistisch und dumm, aber…“ Und wieder spürte sie die Tränen. „Scheiße“,
fluchte sie unterdrückt und wischte sich über die Augen. Unschlüssig standen
sie voreinander. Trotzig hob sich ihr Blick. „Und ich will verdammt noch mal
nicht darüber nachdenken müssen, ob es verboten ist, mit irgendwem meine Zeit
zu verbringen. Wenn ich hier bei dir sein will, dann will ich verflucht noch
mal hier sein, und mich nicht fragen, ob ich es darf!“ Es störte sie. All diese
ungeschriebenen Regeln und Gebote der Höflichkeit zerrten an ihr.
„Du willst
hier sein?“, wiederholte er ausdruckslos.
„Wo
soll ich sonst sein?“, entkam es ihr schniefend. „Du bist der einzige, der sich
genug Sorgen macht und in der Dunkelheit losziehen will, um Alby zu suchen! Und
ich soll… im Schloss bleiben, nicht darüber reden und einfach abwarten? Nein,
das mache ich nicht!“ Sie verschränkte vorsichtig die Arme vor der Brust. „Und
nein, ich möchte meine Zeit nicht mit dir verbringen, aber… du bist… der
einzige, mit dem es… Sinn macht. Der einzige, mit dem ich-“ Sie schwieg abrupt.
Was redete sie denn da? Was genau faselte sie da eigentlich? Sie war
entsetzlich erschöpft.
„Was?“,
entkam es ihm nahezu tonlos.
„Ich
meine… was anderes! Es klingt...- ich meine was anderes, verdammt!“, fuhr sie
ihn heiser an.
„Was
meinst du?“, wollte er plötzlich wissen und fixierte sie. Unbewusst kam sie ihn
näher, und instinktiv eigentlich nur, weil er sie wieder aufregte, weil sie
ihn… schubsen wollte… weil sie ihm deutlich machen wollte, dass sie garantiert
nichts Verwerfliches meinte, dass sie…- sie wusste es nicht!
„Ich…
ich meine, dass…!“ Sie sah zu ihm auf, hatte die Arme in Ermangelung besserer
Worte verzweifelt gehoben. „Wir…- du-!“ Ihr Magen schmerzte sehr plötzlich, als
dieses seltsame Gefühl sie durchzog. Sie war ihm zu nahe, und erst jetzt fiel
es ihr wirklich auf. Kurz war das Geräusch des Regens auf dem Zelt unwirklich
laut. Und plötzlich verstand sie, was er meinte. Mit einem Mal sah sie es so
klar, dass es fast innerlich schmerzte.
Es
war falsch. Er hatte Recht. Und sie war einfach nur bockig und handelte so dumm
und unüberlegt, wie sie es immer getan hatte.
Wieso
tat sie immer das Falsche? Wieso merkte sie es nicht mal? Sie hatte es gestern
nicht gemerkt, als Dom sie wie eine Puppe geschminkt und angezogen hatte, sie
hatte es im Sommer nicht gemerkt, als sie bewusst und offensichtlich einfach
nur getan hatte, was sie selber für richtig empfand. So viele Dinge kamen ihr
plötzlich in den Sinn. So viele Fragen. Fragte sich Dom wohl, wo er war? War es
aufgefallen, dass sie beide fehlten? Und seit wann bedeutete das mehr, als es
sonst bedeutet hatte? Und das Gefühl, was sich gestern bei Presley nicht hatte
einstellen wollen, kam mit einem Mal zurück. Es war kalter Herbst, und sie
standen vollkommen durchnässt im Quidditchzelt der Slytherins, und doch war es
das Gefühl, was sie erst einmal inmitten der Fluten der Nordsee verspürt hatte.
Sie blickte hoch in seine grauen Augen, und es war übermächtig. Dieses…
verdammte Gefühl! Seine Augen flogen über ihr Gesicht, und… sie hielt es nicht
mehr aus.
Es
ging nicht mehr.
Sie
schloss den Abstand – er schloss den Abstand! Irgendwie bewegten sie sich
gleichzeitig. Irgendwie war es egal! Immense Ungeduld trieb sie, und ihre Hände
griffen in seinen Nacken, fanden irgendwie den Weg nach oben, und die Luft
zwischen ihnen verschwand. Es übertraf jede ihrer Erwartungen an diesen Tag, es
überforderte sie, und gleichzeitig – fühlte es sich so richtig an! Ihre Lippen
waren heiß, im Gegensatz zu seinen, und unbeholfen presste sie sie gegen seinen
Mund. Sie spürte, wie er zunächst nicht reagierte, wie er sich praktisch
versteifte, wie die unerwarteten Wellen ihn erst erfassten, und fast wollte sie
wieder weinen, weil es so falsch war. Kurz dachte sie an die Distanz, die sie
erst heute so deutlich gespürt hatte, an den offensichtlichen Hass ihres
Vaters, den Streit, den sie immer wieder hatten, einfach weil sie sich nicht
verstanden – und dann zog er sie an sich!
In
einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Seine Hand schlang sich um ihren Nacken,
und innerhalb einer Sekunde wandelte sich diese unüberlegte, kindische Aktion
in etwas absolut Sinnliches, und es verschlug ihr den Atem, als seine Erfahrung
ihre Unbeholfenheit ablöste, und ungeduldige Hitze stieg in ihre Wangen. Seine
Lippen bewegten sich gegen ihre, und von Erregung getrieben öffnete sie den
Mund, presste sich enger an ihn, und sein Kopf fand einen anderen Winkel, und
heiß stieß seine Zuge nach vorne. Schwarze Punkte tanzten vor ihren
geschlossenen Augen, und sie reagierte so schamlos.
So
viele Nächte hatte sie von diesem Kuss geträumt, und niemals hätte sie
geglaubt, dass dieser Kuss eine Wiederholung finden würde, und unfassbarerweise
fühlte es sich genauso fantastisch an, wie das erste Mal! Niemals hätte sie
sich eingestanden, dass sie es noch mal wollte! Niemals hätte sie es zugegeben!
Es zog in ihrer Mitte, schickte direkte Erregung zwischen ihre Beine, und als
er sich sehr plötzlich von ihr löste, den Kuss fast abrupt beendete, wäre sie
fast nach vorne gestolpert, so überraschend passiert es.
Ihre
Lider flatterten auf. Seine Augen waren fast silbern, so intensiv war der
Glanz, und seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Seine Hände fielen von
ihrem Körper, und nur zu schnell erfasste sie dieses Mal das Schamgefühl, das
schlechte Gewissen, aber dieses Mal rannte sie nicht weg. Sie blieb genau hier
stehen. Es war so vertraut, und doch war es dieses Mal alles anders.
„Geh“,
entfuhr es ihm rau, so vollkommen ausdruckslos, und sein Blick war… nicht zu
deuten. Was? Sie atmete stockend, und ihr Herz pochte laut in ihrer Brust.
„Was?“,
wisperte sie heiser, aber unwirsch schüttelte er den Kopf.
„Geh, Rose!“, wiederholte er gepresst, und ein Glanz legte sich über seinen
Blick. Tränen füllten seine Augen. „Ich… ich will das nicht!“, entfuhr es ihm
verzweifelt. Und fast glaubte sie ihm. Fast. Aber nicht ganz. Und es war ihr
elender Stolz, der ihm nicht glaubte. Und noch war sie zu benebelt, noch fühlte
sie sich zu erregt, um durch seine Worte verletzt zu sein. Und sie wusste, es
ließ ihn nicht kalt! Nichts hiervon! Und sie konnte nicht gehen. Sie wollte…
ihn berühren. So furchtbar diese Tatsache auch war. Niemand hatte sie dieses
Mal beobachtet. Es bedeutete gar nichts, wenn sie niemand sah, oder? War es
nicht so? Wieder sprach er, störte ihre Gedanken. „Ich… kann es Dominique nicht
antun“, entkam es ihm verzweifelt, und sie hörte seine Worte kaum, ließ ihn
nicht aus den Augen, wollte den Blick nicht mal senken. Und… ihr war Dom egal.
Zum zweiten Mal in ihrem Leben, war ihre Cousine ihr egal. Sie wollte… ihn
einfach spüren. Und sie handelte, griff nach seinen Händen und legte sie, trotz
seines Widerwillens auf ihre Hüften, rückte näher an ihn, und er blinzelte
überrascht. Sein Mund öffnete sich verzweifelt, und sie sah die Abwägung, sah
wie seine Mauer bröckelte.
„Sie…
war immer für mich da!“, fielen die nächsten Worte wenig überzeugend aus seinem
Mund, und seine Entschlossenheit schwand schneller. Unter ihren Wimpern sah sie
zu ihm auf und fasziniert legten sich ihre Hände wieder auf die nasse Kleidung
über seiner Brust. Seine Hände blieben unbewegt auf ihren Hüften liegen. „Ich…
liebe sie“, wisperte er mit glasigen Augen, es fiel ihm schwer zu sprechen, und
sie wusste nicht, was mit ihr los war. Diese Worte sollten mehr in ihr auslösen
– vor allem Schock über ihr unfassbares Verhalten, aber… das passierte nicht.
Vielleicht war sie anders erzogen worden. Vielleicht war es so, dass man seine
eigenen Bedürfnisse niemals vor das Recht eines anderen stellen sollte. Das
Schlimme war, dass sie seine Worte erregten, obwohl sie das genaue Gegenteil
bewirken sollten. Ihr Herzschlag pochte in ihrem Hals, und alleine das
eigenartige Gefühl von Macht ließ sie sprechen, denn der Effekt, den sie auf
ihn zu haben schien, alleine durch ihre Nähe, berauschte sie.
„Berühr
mich, Malfoy“, flüsterte sie mit klopfendem Herzen, und sein Mund fiel
praktisch auf. Seine Pupillen weiteten sich automatisch, seine Atmung flachte
ab, und es war einfach schmerzhaftes Verlangen, was sie so vollkommen
rücksichtslos handeln ließ. Es hatte nichts mehr mit Moral zu tun. All die
seltsam angestaute sexuelle Energie hatte ein Ventil gefunden. Ausgerechnet
jetzt. Ausgerechnet heute! „Bitte“, entkam es ihr, und obwohl sie sich schämte,
konnte sie nicht anders. Geschockt atmete er aus, und sein heißer Atem traf ihr
Gesicht. Sein ganzer Körper schien die nächste Entscheidung zu treffen, und sie
fühlte sich kurz sehr schlecht, weil ihr Körper seinen manipulieren konnte,
aber es war ein unglaubliches Gefühl. Absolut überwältigend.
„Fuck“, knurrte er ungehalten, und sie sah, wie er alle seine Prinzipien, seine
Argumente über den Haufen warf, wie sein Körper seine Worte Lügen strafte.
„Scheiß drauf!“, kam es noch rau über seine Lippen, und es zog in ihrer Mitte.
Diese… Fassade der guten Vorsätze verschwand, zerfiel innerhalb von Sekunden,
und der nächste Kuss war anders! Grollend küsste er sie, verschlang ihre
Lippen, und seine Zurückhaltung war verschwunden. Nichts davon war mehr da, und
sie wusste, es war die Neugierde, gepaart mit der Verzweiflung, die sie
empfand. Sie wollte diesen furchtbaren Tag vergessen. Sie erkannte sich selbst
nicht mehr, wusste nicht mehr, wer sie war – und fast tat es ihr leid wegen
Dom, aber… nicht mal wirklich! Das war falsch, ja. Das wusste sie, aber sie
konnte sich gerade nicht dafür erwärmen, sich darum zu scheren. Ungeduldig
bewegten sich seine Hände, griffen in ihre Jacke und zerrten sie ihre Arme
hinab. Kurz stöhnte sie schmerzhaft auf, denn der Ärmel verfing sich an ihrem
Handgelenk, und er unterbrach den Kuss.
„Tut…
mir leid“, entfuhr es ihm atemlos, aber sie schüttelte ablehnend und ungeduldig
den Kopf, wollte nicht reden und zog sich den Ärmel selber aus, bevor sie sich
wieder an ihn presste. Es war kühl im Zelt, und unwillkürlich zitterte sie in
seinen Armen. Wieder löste er sich von ihren Lippen und schlotternd hob sich
ihr Blick. Resignierend atmete er aus. „Was machen wir hier?“, wollte er unter
schweren Atemzügen wissen.
Ihr
Mund öffnete sich. Ihre Lippen waren mittlerweile geschwollen, und erschöpft atmete
sie aus.
„Ich…-
keine Ahnung“, flüsterte sie schließlich, und allein die unsägliche Kälte
brachte ein wenig Sauerstoff und einen Hauch von Vernunft in ihren nutzlosen
Verstand.
„Das
ist eine… richtig dumme Idee“, sagte er überfordert, presste sich die
Handflächen vor die Augen, und sie biss sich auf die Lippe. „Hör zu“, sagte er
gequält, als seine Hände wieder sanken, „ich… will das, aber…“ Ihr Herz machte
sehr kurz einen Satz. „Ganz klar, will ich das“, wiederholte er verzweifelt,
„aber… es ist falsch“, schloss er stiller. „Und hier in diesem scheiß Zelt,
während du erfrierst – es ist… einfach falsch.“ Und sie wusste, er hatte Recht.
„Rose-“
-schon
gut“, unterbrach sie ihn beschämt, bückte sich nach ihrer nassen Jacke, und
quälte sich wieder in die nassen Ärmel. Was tat sie bloß?! „Ich…- das war…. Du
und Dom-“
„-nicht“,
sagte er sofort, und klang bitter. „Das… das mit Dominique ist… vorbei“,
entfuhr es ihm tonlos. Sie blinzelte. Meinte… er das ernst? Hatte er nicht
gerade vollkommen anders reagiert?
„Was?“,
entfuhr es ihr mit großen Augen, und tatsächlich erntete sie seinen ungläubigen
Blick.
„Denkst
du, ich kann ihr noch in die Augen sehen? Denkst du ernsthaft, ich kann… noch
mit ihr… schlafen, wenn… ich hier in diesem Zelt, ohne Skrupel mit dir
rumknutsche? Wenn ich… mich kaum davon abhalten kann?“, wollte er aufgebracht
wissen, und ihr Blick fiel. Sie hatte darüber nicht nachgedacht, hatte
überhaupt nicht daran denken wollen.
„Das…
das wollte ich nicht“, entfuhr es ihr leise. Fast lachte er auf.
„Nein?“,
wollte er erschöpft von ihr wissen, und ihr Blick hob sich wieder.
„Ich
wollte nur…“
„Was?“,
fragte er sie, und unglücklich verzog sie den Mund.
„Ich
weiß nicht, warum ich es will“, wisperte sie. „Ich… will es einfach.“ Sie klang
wie ein Kind. Und dann sah er ihr direkt in die Augen.
„Willst
du… das nächste Woche auch noch?“, fragte er sie, und ihr Mund öffnete sich
perplex.
„Was
willst du damit sagen?“ Dumpfe Schläge tat ihr Herz. Was… meinte er damit?! Er
schluckte schwer.
„Wenn…
ich sie verlasse“, begann er, und sie öffnete überfordert den Mund, aber er hob
die Hände. „Nicht, dass es Zukunft hätte! Das hier! Das hätte es nicht! Es
würde… niemals gutgehen und… Dominique würde… absolut unglücklich sein- und…
dein Vater…-“ Er führte den Gedanken nicht zu Ende, schloss kurz die Augen und
schüttelte den Kopf. „Aber… unter uns…?“ Sie starrte ihn an. Bot er ihr an,
dass sie heimlich… Sachen tun konnten? Seine Unsicherheit trat deutlich auf
seine Züge.
„Du
würdest sie verlassen, um…?“
„Ja“,
beantwortete er ihre offene Frage beinahe ruhig, beinahe gefasst. Gefasster,
als sie bei dieser Aussicht war. Sie dachte in verbotenen Momenten, kurzen
Phasen. Sie dachte nicht an… langwierige Sachen. Aber… er schien es zu tun.
Weil er mehr Erfahrung hatte, als sie. Sie war… unentschlossen. „Du willst
Dinge, und… ich will auch gewisse Dinge“, schloss er dunkel. Sie ging sehr
stark davon aus, dass ihr moralischer Kompass irgendwann wieder funktionieren
würde, und sie wusste nicht, ob sie dann noch objektiv über so ein Angebot
nachdenken konnte. „Mir ist seit Wochen klar, dass es mit Dominique nicht… mehr
funktioniert. Und… das hier“, er deutete auf sich und sie, „scheint einer der
Gründe zu sein. Und vielleicht… lohnt es sich, das zu… hinterfragen?“ Roses
Herz schlug wieder verräterisch schnell. Er wollte eine Basis schaffen. Eine…
geheime Basis, die ihnen erlaubte, diese Sache zu ergründen, zu hinterfragen.
Und es klang… verlockend. Und es schickte erneute Erregung in ihren
unterkühlten Körper.
„Und…
und dann?“, wollte sie unsicher wissen. „Ich meine… wie lange wollen wir…?“ Sie
konnte es sich nicht wirklich vorstellen, hatte keine Ahnung, wie es
funktionieren sollte, aber so konkret schien er es selber nicht zu wissen.
„Keine
Ahnung“, entkam es ihm, aber sein Blick war stechend, ließ ihr Herz wieder
schneller schlagen.
„Was…
was ist mit Presley?“ Fast wollte sie nicht fragen, fast… wollte sie lieber
rennen, aber sie tat es nicht.
„Was
ist mit ihm?“, wiederholte er offen die Frage. Sie blinzelte knapp. „Du bist
hier. Nicht bei Presley, oder?“, ergänzte er eindeutiger, und ihre Lippen
teilten sich. Es stimmte. Sie vertröstete Presley, wollte nicht mit ihm reden,
hatte erst gestern massive Panik gehabt, dabei… war Presley derjenige, der
besser geeignet wäre! Der nicht mit ihrer Cousine zusammen war, der… ihr eine
Zukunft bieten könnte. Aber… Presley war nicht derjenige, den sie jetzt gerade
berühren wollte. Scheiße. Das war doch einfach scheiße. „Das hier“, begann er
wieder, „wäre niemals offiziell!“, beteuerte er kopfschüttelnd. „Du kannst
Presley immer noch… haben, wenn du willst. Das ist mir egal.“
Was?
Sie begriff nicht wirklich. „Es ist dir egal?“, wiederholte sie verständnislos.
„Auf
lange Sicht“, bestätigte er. Auf lange Sicht war es ihm egal. Kurz begriff sie,
dass das hier eine Nutzen-Zweck-Beziehung sein könnte. Und kurz wusste sie
nicht, was das heißen sollte. „Mach es nicht kompliziert, Rose“, warnte er sie
plötzlich, denn vielleicht konnte er sehen, wie sie nachdachte. „Ich habe keine
Antworten für dich. Scheiße, ich weiß nicht mal, was ich wirklich will!“,
entfuhr es ihm. „Ich weiß, dass ich Dominique dieses Scheißverhalten nicht
antun kann! Dass ich nicht mir ihr zusammen sein kann, wenn ich… dich berühren
will“, schloss er atemloser, und wieder durchflutete die Erregung sie. „Und du…
kannst es niemandem sagen. Al nicht, deinen Eltern nicht – Merlin, Hugo auf
keinen Fall!“, fiel ihm spontan ein, und sie nickte, während sie abwesend auf
ihrer Lippe kaute.
Für
eine Sekunde begriff sie, wie weit sie gekommen waren. Wie absurd es war, dass…
sie tatsächlich hier voreinander standen und überlegten, ihre Familien zu
hintergehen. Scorpius Malfoy. Es war Scorpius Malfoy, der vor ihr stand! Ihre
Eltern würden sie umbringen. Umbringen!
Und das
allein… erregte sie schon wieder. Sie nahm an, sie war krank. Wirklich krank.
Denn sie hörte zwischen den Zeilen. Scorpius wollte sich Dom gegenüber nicht
scheiße verhalten – ihr gegenüber schon. Er hasste ihre Familie, wollte nichts
mit Albus versauen, aber… ihr gegenüber war es scheiß egal. Und es sollte sie
schockieren, es sollte sie verletzen, aber… sie dachte genauso! Es war… keine
Zuneigung. Es war keine Liebe, soweit sie davon überhaupt Ahnung hatte. Es war…
einfach Lust. Sie hatte Lust darauf! Auf diese verbotene Scheiße. Wirklich
Lust. Unfassbare Lust. Und sie wusste, auf lange Sicht… war es zerstörerisch
und furchtbar und…- leider konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie konnte sich
nicht vorstellen, dass es furchtbar werden würde. Jetzt gerade nicht.
Aber
plötzlich überkam sie das schlechte Gewissen.
„Wir…
sind so scheiße“, flüsterte sie plötzlich. „Alby ist verschwunden und wir… sind
einfach nur egoistisch.“ Denn das war eine unumstößliche Sache. Und sie wusste,
Dom sollte ihr leidtun! Die arme Dom sollte ihr leidtun, und garantiert nicht
Alby, der sie beleidigte und freiwillig abgehauen war. Aber… so krank war sie
eben! Dom tat ihr nicht leid.
„Er…
wird wieder auftauchen. Garantiert“, sagte Scorpius fast kalt.
„Sollten…
sollten wir darüber nachdenken? Ich meine… darüber schlafen, oder-?“
„-das
mit Dominique ist vorbei. Ich… habe sie ziemlich offiziell betrogen, und… sie
verdient besseres als das“, stellte er lediglich fest. „Das hier… wenn du
darüber schlafen musst, dann tu das.“ Abwehr huschte kurz über seine Züge. Er
würde Schluss mit Dom machen. Wow. Das war… erheblich. Er war schon solange mit
Dom zusammen, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, wie… er es nicht mehr
war. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er es tun würde.
„Falls
du mit ihr Schluss machst…“, begann sie, unsicher, tonlos, und er hielt ihrem
Blick stand.
„So
oder so“, entgegnete er still. Sie sah den Schmerz auf seinen Zügen, seine
grenzenlose Unsicherheit. Und ihr Körper trieb sie. Ihr Verstand wachte langsam
auf, aber ihr Körper gewann diesen Kampf jetzt gerade. Sie schloss den Abstand,
ohne nachzudenken, und alleine seine Körpersprache ließ sie ahnen, wie sehr er
es wollte. Alleine, weil sie es spüren konnte, handelte sie überhaupt. Fast ging
sie auf die Zehenspitzen, aber er kam ihr entgegen, schlang die Hand um ihren
Nacken, bog ihren Kopf nach hinten, und sie spürte seine Ungeduld, spürte seine
Lust, und so falsch es war… so verdammt richtig fühlte es sich jetzt gerade an.
Und
als ihre Lippen sich zu einem letzten Kuss trafen, erkannte Rose zum ersten
Mal, dass sie ein Arschloch war.
Er
hatte nicht geschlafen. Ab und an hatten ihn Albträume heimgesucht, aber nicht
lange. Die meiste Zeit hatte er wach gelegen, nichts wahrgenommen und blind an
die Decke gestarrt. Das Mondlicht hatte sich über dem unruhigen Wasser des Sees
bewegt, und er hatte keinen klaren Gedanken fassen können.
Es
war früher Morgen, er hatte sich stoisch angezogen, und Hunger verspürte er
nicht. Nur Angst. Hundert Mal war in seinem Kopf durchgegangen, was er tun
sollte. Was er sagen sollte. Ob es ein Fehler war.
Hundert
Mal hatte er Dominiques Gesicht vor sich gesehen – ihr wunderschönes Gesicht!
Sie war schöner als Rose! Aber selbst, wenn er sich versuchte einzureden, dass
sie schöner war – dann überkam ihn die Erregung dennoch nur, wenn er an Rose
dachte.
Es
war egal. Er hatte Dominique betrogen. Er konnte ihr nicht mehr in die Augen
sehen. Es war egal, wer schöner war. So was von scheiß egal! Es war vorbei. Ob
er Schluss machte oder nicht – in seinem Kopf war es vorbei.
Was
er gestern gefühlt hatte, war fast unwirklich gewesen. Merlin, hatte er sie
gewollt! So ein Verlangen war unmenschlich gewesen! Und er war sich nicht mal
sicher, was er alles gesagt hatte.
Es
war ein immenses Risiko! Und das für Rose Weasley. Und er hatte gar nicht
gewusst, wie weit er überhaupt bereit war, zu gehen – bis er es sich hatte
sagen hören. Und ihr Blick… wie sie ihn angesehen hatte! Fast wäre er in seiner
Hose gekommen. Merlin, dieses Mädchen regte etwas in ihm, was er nicht kannte.
Hatte
er nicht gestern noch seinem Vater versichert, da wäre nichts? Hatte er sich
nicht gestern noch mit ihrem Vater angelegt?
Und
war es das? War es verlockend, dass sie ihn wollte – gerade weil ihre Familie
so sehr dagegen war? Merlin, es war lächerlich, oder? Sein Herz schlug schwer
und schnell, und ihm war so übel, als stünde er vor einer Prüfung, für die er
nicht gelernt hatte. Es konnte nur schiefgehen.
Er
dachte an Hugos Worte – an all seine Beteuerungen! Er liebte Dominique. Oder
tat er das schon lange nicht mehr? Nicht, dass es zählte. Es war vorbei, so
oder so.
So
oder so. Das hatte er gesagt. Es hatte ihn verletzt, als sie sagte, dass sie darüber
schlafen wollte. Und er wusste nicht mal, warum. Er wusste nicht, warum es
seinen Stolz verletzte, dass sie darüber nachdenken wollte. Dass sie überhaupt
Presley angesprochen hatte. Es hatte ihn verletzt! Und er hatte sie mehr
gewollt danach. Und es war krank und falsch – und er wusste nicht weiter.
Er
wusste nur, er musste Schluss machen. Und diese Dinge lenkten ihn davon ab,
dass das Bett seines besten Freundes diese Nacht leer geblieben war.
Und
garantiert wäre Al niemals hoch ins Gebirge geflogen. Niemals. Er würde
irgendwo untergekommen sein – wenn nicht in Hogsmeade, dann vielleicht in der
Stadt! Denn Al war viel zu bequem, um irgendwelche Strapazen auf sich zu
nehmen. Und er musste gestehen, Al war ihm gerade fast nicht so wichtig.
Er
war so scheiße. Er war so ein schlechter Freund – aber Al war auch ein
schlechter Freund!
Er
sparte sich das Frühstück, quälte sich mit Mühe zum Unterricht mit den
Hufflepuffs, sprach mit keinem, meldete sich nicht, schrieb nicht einmal mit,
was Professor Binns‘ monotone Stimme von sich gab, und die Zeit bis zum
Mittagessen, verging in einem zähflüssigen Wachtraum, so kam es ihm vor.
Und
als er den anderen folgte, als er die Große Halle zum Mittag betrat, befiel ihn
Angst und Panik und seine Arme wurden taub, als er Dominique sah, die nach ihm
Ausschau hielt. Er erkannte sofort, dass Rose nicht da war. Sie war nicht in
der Halle. Und vielleicht ging es ihr genauso schlecht? Er würde niemals mehr
in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors dürfen, ging ihm auf. Er wäre…
ausgestoßen. Er wäre… ein gewöhnlicher Slytherin. Egal, ob er heimlich Dinge
mit Rose tat.
Rose….
Immer wieder dachte er an sie. Fast wollte er sie sehen, um zu wissen, dass er
nicht geträumt hatte. Er musste furchtbar aussehen, denn kaum hatte Dominique
ihn erreicht, weiteten sich ihre Augen.
„Scorpius!
Was ist los? Du siehst schlecht aus. Alles in Ordnung?“ Sie machte sich Sorgen.
Ehrliche Sorgen. „Wo warst du gestern Abend? Und heute Morgen? Ich habe mir
Sorgen gemacht!“
Oh
Merlin. Und er musste die Tränen aus den Augen blinzeln, als er mit sanfter
Gewalt ihre Hände von seinen Armen löste. Alles passierte wie in Schaum und
Watte um ihn herum. Er nahm gar nichts wahr, hörte das Treiben um ihn nicht.
„Dominique“,
sagte er tonlos, konnte sich nur auf ihr Gesicht konzentrieren. Ihr schönes
Gesicht, was er nicht mehr in seinen Händen halten würde, was ihn niemals
wieder anlächeln würde.
„Scor,
was ist denn?“ Angst zuckte über ihre Züge. Und er hielt es nicht länger aus.
Er konnte nicht länger warten. Jede weitere Sekunde machte es nur schlimmer,
tat ihr nur noch mehr weh, und er begriff – er hätte es vor Wochen schon tun
müssen.
„Es
ist vorbei“, flüsterte er mit weiten Augen. Eine Träne fiel auf seine Wange.
Ihr Mund öffnete sich. Sein Puls dröhnte in seinen Ohren.
„Was?
Was ist vorbei?“ Sie begriff nicht mal, bezog es nicht mal auf sich, und er
machte einen Schritt zurück. Er musste das tun. Er musste, auch wenn es ihm
falsch vorkam! Er musste! Er wollte nicht, sein Körper rebellierte stark, er zitterte
plötzlich. Aber er musste Abstand zwischen sich und sie bringen. Er konnte es
sonst nicht.
„Das“,
wisperte er. „Mit uns. Es ist vorbei“, wiederholte er, beinahe ungläubig.
Niemals hätte er geglaubt, diese Worte zu sagen. Und kurz – sehr kurz – hatte
er eine eigenartige Epiphanie. Fast war er plötzlich überzeugt, dass es ein
Trick war. Dass Rose Weasley ihn nur benutzt und ausgetrickst hatte – dass sie
es zusammen mit ihrem Bruder so geplant hatte, um ihn aus dem Weasley-Clan zu
werfen, und dass, wenn er zu ihr ging, zu Rose, dann würde sie ihn auslachen,
ihn dumm schimpfen und sie würde Dominique sagen, was für ein Schwein er war.
Kurz glaubte er, ohnmächtig zu werden.
Und
dann stellte sich sein Gehör wieder ein, sein Instinkt riss ihn zurück ins Hier
und Jetzt.
„Was?!“ Dominiques Stimme war schrill, und ungläubig starrte sie ihn aus den
hellblauen Augen an. „Was hast du gesagt? Ist das dein verdammter ernst,
Scorpius Malfoy?“, schrie sie praktisch, und nun wich er instinktiv einen
Schritt vor ihr zurück. „Das… das meinst du nicht ernst!“, behauptete sie außer
sich. „Es ist, weil Albus weg ist! Es ist, weil alles gerade kompliziert ist!
Liegt es am Sex?“, fuhr sie ihn blind an, und er war sich bewusst, dass die
Tische ihre Unterhaltungen unterbrochen hatten, und wütend stach sie den Finger
in seine Brust. „Sag mir ja nicht, dass es deshalb ist! Dass wir Probleme im
Bett haben, und du wen anderes hast! Wehe, du sagst mir so etwas, Scorpius!“,
knurrte sie wild, und sein Mund öffnete sich überfordert. Kurzatmig atmete er
aus, blinzelte überfordert, bevor er den Kopf schüttelte.
„Ich…
ich kann es nicht erklären“, erwiderte er gepresst – und vor allem wollte er es
auch nicht. Aber er war selber schuld, dass er so etwas in der verdammten Halle
ansprach – damit es auch ja jeder mitbekam! Er war so unglaublich dämlich.
„Was?“,
entfuhr es ihr wieder zu laut, und er bereute es. Massiv! Er hätte eine Eule
schicken sollen. „Du kannst es nicht erklären? Das ist es, was du zu mir sagst?
Nach all der Zeit? Du entscheidest dich, dass unsere Beziehung es nicht wert
ist, dass es vorbei ist – und du kannst es nicht erklären? Du bist ein feiges
Arschloch, Scorpius! Das hätte ich niemals von dir gedacht! Niemals!“ Und sie
wusste nicht mal, warum er es tat. Sie schrie ihn zusammen, einfach – weil!
Einfach so! Merlin, wenn er ihr sagen würde, dass… dass…- nein. Das konnte er
niemals tun. „Und dass du es so machst! Hier in der Halle! Wie kannst du es
wagen?“, knurrte sie so zornig, dass ihre Augen praktisch Funken sprühten. „Ich
war immer für dich da! Die ganze Zeit über! Ich habe mich gekümmert, ich habe
dich geliebt – jetzt verschwindet mein Cousin, und du denkst, dass ist die
geeignete Zeit, mit mir Schluss zu machen?! Oh, ich hasse dich!“, schrie sie
jetzt. „Ich hasse dich!“ Die letzten Worte hatte sie praktisch geschrien, und
die Halle tat keinen Mucks. Die Zeit stand einfach still, während sein Puls
träge in seinen Ohren hämmerte.
Dann
stieß sie ihm die Hände vor die Brust, und fast… war es übertrieben. Fast
grenzte es schon… an unfassbare Dramatik. Aber das würde er erst recht nicht
laut sagen. Er taumelte zurück, so viel Wucht hatte in ihrem Stoß gelegen.
„Ich
hoffe, das ist es, was du willst!“, fuhr sie ihn bitter an. „Ich hoffe, du hast
dir das gut überlegt. Und du kannst dir mein Gesicht jetzt sehr genau ansehen
und es dir verdammt gut einprägen – denn du wirst niemals wieder erleben, dass
ich dir auch nur noch ein einziges Mal meine Aufmerksamkeit schenke, du elender
Mistkerl!“, donnerte sie, bevor mit zornigen Schritten an ihm vorbei stürmte
und die Halle verließ.
Die
Stille war absolut erdrückend, und er nahm an, dass war jetzt die Show des
Jahres gewesen. Alle starrten ihn an. Absolut alle starrten ihn an! Selbst der
Lehrertisch starrte ihn an. Sein Mund war geöffnet, sein Atem ging flach, und
er blinzelte, nahm nichts Bestimmtes war, bevor seine Augen beinahe blind über
den Gryffindortisch wanderten, wo ihn Fred mit offenem Mund anstarrte, als auch
James mit ungläubigem Blick. Louis‘ Augen wirkten verengt und fast schien er zu
hadern, ob er aufstehen müsse, um Scorpius den obligatorischen Faustschlag zu
verpassen, und bevor es an dieser Front zu einer Entscheidung kam, machte
Scorpius kehrt. Er musste raus hier! Er musste so schnell wie möglich raus
hier!
Immer
wieder dehnte sie ihre Finger und war sehr dankbar, dass sie den Verband los
war. Der Tag war zäh vergangen, und sie hatte in Zauberkunst nicht wirklich
aufpassen können. Sie hatte an gestern gedacht, an Alby gedacht, und zum Mittag
hatte sie keinen Hunger verspürt, war lieber in den Krankflügel gegangen und
war ihren Verband losgeworden.
Alby
hatte sich nicht gemeldet, dafür aber hatte sie direkt drei Briefe erhalten.
Einen von ihrer Mum - natürlich -, einen von Tante Ginny, und ein wenig später
noch einen von ihrer Mum. Ein Brief reichte nämlich nicht. Den von Tante Ginny
hatte sie geöffnet, und Tante Ginny hatte ihr versichert, dass Alby wohl nur
eine Phase durchlebte, und dass es sich klären würde, und dass sie, sollte sich
Alby melden, sofort Bescheid sagen würde, und dass vielleicht ein persönliches
Gespräch angebracht wäre, und dass es keinen Keil zwischen ihren Freundschaft
treiben sollte.
All
das berührte sie nur teilweise. Denn ihre Gedanken kreisten um andere Dinge. Um
wesentlich andere Dinge. Und die Realität holte sie sehr schnell ein, als sie
den Gemeinschaftsraum betrat. Es klang wie…- uh oh. Sie blieb direkt stehen.
Die Blicke wandten sich ihr zu, und Rumer sprang praktisch von der Couch.
„Oh Merlin! Oh Merlin, oh Merlin, oh Merlin!“, rief sie aufgeregt. „Ich habe
dich schon gesucht! Oh Merlin, Rose, du hast alles verpasst!“, entfuhr es ihr
mit weiten Augen. Wieder vernahm Rose einen Schrei von oben dem anschließend
lautes Wehklagen folgte.
„Was
verpasst?“, wollte sie still wissen, und Rumer ergriff ihre Hände, konnte wohl
nicht anders.
„Scorpius
hat Schluss gemacht. Mit Dom! In der Halle! Vor allen – vor absolut allen!“,
entfuhr es ihr, und ihre Stimme überschlug sich fast. Oh Merlin! Er hatte es
tatsächlich getan?! Fast war Rose überrascht. Grenzenlos überrascht, und
begriff, dass sie Rumer nicht die richtige Reaktion lieferte. „Hast du gehört,
was ich gesagt habe?“, ergänzte Rumer ungläubig, und Rose zwang sich, zu
reagieren.
„Ach
du… großer Mist“, entfuhr es ihr, nicht sonderlicher überzeugend, aber es
reichte aus. Für Rumer schien es zu reichen.
„Oh
ja! Es war unglaublich! Dom ist vollkommen ausgeflippt, hat ihn angeschrien,
ihn geschubst – und wir vermuten, er hat eine andere!“, flüsterte sie praktisch,
und nickte verschwörerisch. Roses Mund öffnete sich und schloss sich wieder.
„Meinst
du?“, vergewisserte sie sich kleinlaut.
„Garantiert!
Ich meine, weshalb sollte er sonst Schluss machen! Und viel wichtiger – wen hat
er jetzt? Mal unter uns, hübscher als Dom ist keine! Vielleicht ist sie älter?
Oder…- keine Ahnung! Er muss einen verdammt guten Grund haben, jetzt Schluss zu
machen!“, wisperte Rumer kopfschüttelnd. „Oder er ist wahnsinnig geworden!“,
schloss sie und wartete wieder auf Roses Reaktion.
„Ich…
wow“, sagte Rose nur.
„Ja!
Ganz genau! Es war so krass, Rose! Es war so dramatisch! Typisch Dom. Jetzt
liegt sie oben, weint sich die Augen aus, und nur Vic darf zu ihr, zum Trösten.
Noch keiner der Jungs hat mit ihm gesprochen, und ich bin mir nicht mal sicher,
ob sie das wollen. Oder dürfen“, ergänzte sie stiller. „Dom ist völlig fertig.
Sie weint seit zwei Stunden. Hoffentlich können wir heute Abend überhaupt
einschlafen. Ist das nicht heftig?“ Wieder wartete sie auf Roses Reaktion.
Wieder zwang sie sich zu reagieren.
„Ja,
ich…- das ist wirklich hart. Damit hätte ich nie gerechnet“, erwiderte sie, und
es war teilweise die Wahrheit. Teilweise.
„Ich
glaube, keiner hat damit gerechnet! Ich meine, was soll noch alles passieren?“,
entfuhr es Rumer übermütig. „Erst verschwindet Alby, nachdem du ihn geschlagen
hast, dann macht Scorpius Schluss mit Dom! Es ist so dramatisch!“ Und fast
klang es so, als würde es Rumer gefallen. Rose runzelte die Stirn. „Ich meine,
natürlich ist das schrecklich! Aber… wir wissen doch, dass Alby
höchstwahrscheinlich nur eine Show abzieht, und ich denke, ich glaube erst,
dass Dom und Scorpius nicht mehr zusammen sind, wenn sie sich heute nicht
direkt wieder vertragen! Ich meine, es war doch am Anfang auch so? Sie hat
Schluss mit ihm gemacht, sie haben sich nur gestritten – also… was meinst du?“
Sie wartete ungeduldig.
„Also…
ich… keine Ahnung“, entfuhr es Rose ausweichend. „Ich – du denkst, sie kommen
wieder zusammen?“, fragte sie, bemüht um Gleichgültigkeit.
„Na
ja, keine Ahnung. Du kennst doch Dom. Wenn sie erst mal mit schreien fertig
ist, vielleicht fleht sie ihn dann an? Und ob er dann noch immer nein sagt?“,
vermutete Rumer achselzuckend. „Und hast du noch mit Presley gesprochen? Ich
meine, das läuft doch noch, oder?“ Roses Mund öffnete sich unschlüssig.
„Ich…
äh… denke, Alby ist zurzeit wichtiger?“, entgegnete sie, und Rumer seufzte auf.
„Mann,
Alby ist so scheiße“, murmelte sie. „Ob er es mit Absicht getan hat, um
Aufmerksamkeit zu bekommen?“, wollte sie wissen, und Rose zuckte die Achseln.
„Ich
weiß es nicht. Ich…“ Sie schwieg. Es waren so viele Informationen.
„Vielleicht
war es auch nur eine Kurzschlussreaktion von Scorpius! Vielleicht hat es ihn
völlig fertig gemacht, dass Alby abgehauen ist?“
„Bestimmt“,
murmelte Rose abwesend.
„Aber
keine Ahnung, ob Dom ihn dann auch noch zurücknimmt. Ach, es ist absolut
spannend! Zu spannend für einen Montag!“, ergänzte Rumer und hielt sich mit
Mühe von einem Grinsen ab. „Hast du noch eine Eule bekommen? Hat Alby
vielleicht heimlich geschrieben?“, wollte sie dann wissen, und Rose schüttelte
den Kopf.
„Nein.
Hat er nicht.“
„Bist
du… noch sauer auf ihn?“, wollte Rumer dann stiller wissen, und ihr Grinsen
verschwand. Rose senkte den Blick.
„Ich…
weiß, er… hat es nicht so gemeint, das weiß ich. Und… ich hoffe, er weiß, dass
ich es auch nicht so gemeint habe. Aber… ja, ich glaube, ich bin noch etwas
sauer. Aber… er soll wieder kommen. Ganz einfach.“
„Aber…
du stehst nicht auf ihn, oder?“ Rumer klang so, als wäre sie sich nicht ganz
sicher, und Roses Augen weiteten sich.
„Was? Nein! Natürlich nicht!“, fuhr Rose sie an.
„Ok.
Schon gut. Ich dachte, ich frage. Nur zur Sicherheit.“ Wieder weinte Dom sehr laut
und schrie, und sie hörte, wie Vics Stimme laut und beruhigend auf sie
einredete.
„Und
hast du gehört, was Scorpius gesagt hat?“, erkundigte sie sich möglichst
unverfänglich, aber Rumer zuckte die Achseln.
„Nein,
nicht wirklich. Nur Dom hat geschrien. Aber viel hat er nicht gesagt“, schloss
sie enttäuscht. „Bin gespannt, was jetzt weiter passiert.“
„Jaah“,
antwortete Rose tatsächlich aufrichtig, denn… sie war ziemlich gespannt, was
jetzt passierte. „Warst du schon bei
ihr?“, fragte sie Rumer dann, und Rose hatte tatsächlich Angst, zu Dom zu
gehen. Sie fürchtete, dass ihre Cousine sie möglicherweise durchschauen könnte.
Dass sie praktisch riechen würde, dass Rose etwas damit zu tun hatte, auch wenn
es unwahrscheinlich war.
„Nein.
Ich… wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Außerdem bin ich in einer
glücklichen Beziehung“, ergänzte Rumer vielsagend, und Rose hütete sich davor,
zu widersprechen. „Und ich dachte mir, das will Dom gerade garantiert nicht
sehen.“ Rose verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wollen
wir… eine Runde drehen?“, fragte Rose schließlich, und Rumer sah sie
entschuldigend an.
„Sorry,
ich… wollte mit James raus“, entgegnete sie. „Luft schnappen, und…“ Sie
zögerte, suchte nach Worten, aber Rose unterbrach sie nickend.
„Romantisch
sein. Verstehe schon“, schloss sie mit einem gezwungen Lächeln.
„Vielleicht
können wir später was machen?“, schlug Rumer ehrlich betroffen vor, aber Rose
winkte ab.
„Es
ist ok, Rumer, wirklich. Du bist ein ekliges Pärchen mit meinem Cousin, also…
viel Spaß dabei“, erwiderte sie achselzuckend. Rumer schüttelte genervt den
Kopf über sie.
„Ich…
möchte für ihn da sein, wo sein Bruder verschwunden ist.“ Rose hielt sich davon
ab, mit den Zähnen zu knirschen.
„Alby
ist abgehauen. Er ist nicht verschwunden“, korrigierte sie Rumer, denn… dass er
verschwunden war, implizierte eine gewisse Machtlosigkeit, und dass er
vielleicht nicht mehr auftauchen würde. Und Rose wollte so nicht denken.
Bibliothek,
dachte sie dann dumpf. Dort könnte sie die furchtbaren Briefe ihrer Mutter
lesen und sie könnte lernen. Könnte sich ablenken, und vielleicht endlich das
Kapitel in Verwandlung abschließen. Es wäre eine Ablenkung. Und Doms
jammervolles Wehklagen würde das schlechte Gewissen nicht alle paar Sekunden
durch ihren Körper jagen. Es war ein Plan.
Vor
allem musste sie sich davon ablenken, sich zu fragen, wann sie Scorpius
wiedersehen würde. Sie war ein furchtbarer Mensch. Absolut furchtbar.
Er
beobachtete sie, ohne sich zu rühren. Er war beinahe ernsthaft überrascht, sie
zu sehen. Immer wieder musste sie die Feder zur Seite legen, und es war nicht
mal wirklich, dass es eigenartig war, sie lernen zu sehen, es war eher die
Tatsache, dass der Geist von Severus Snape mit voller Absicht um ihren Platz
schlich, ihr ab und an über die Schulter blickte und ebenfalls zur Kenntnis
nahm, dass sie ihre Hand noch nicht einwandfrei benutzen konnte.
Hugo
drückte sich in den Schatten rum, drehte das Buch, was er vor etlichen Minuten
geholt hatte abwesend in den Händen und erkannte auch neben seiner Schwester
einen prallen Brief, denselben, den er heute erhalten hatte.
Und
nachdem, was er gehört – oder nicht gehört – hatte, war das Gespräch mit den
Eltern nicht gerade rosig verlaufen.
Seine
Mutter hatte ihn in Kenntnis gesetzt, und tatsächlich darauf bestanden, dass er
sich um Rose kümmerte, mit ihr sprach, ihr erklärte, dass Albus
höchstwahrscheinlich eine Phase durchlebte, und all solche Sachen. Ehrlich
gesagt, wollte er nicht mit Rose darüber reden, und er war sich sicher, seine
Schwester hegte gleichartige Gefühle, was dieses Thema betraf.
Und
außerdem sprachen sie zurzeit ohnehin nicht miteinander.
Er
dachte an Albus. Natürlich tat er das. Jedoch hielt er es für äußerst
unwahrscheinlich, dass sein Cousin tatsächlich verschollen war, oder in einer
Situation, aus der er sich alleine nicht befreien konnte. Sehr
unwahrscheinlich. Hugo vermutete, dass er im Haus der Blacks untergekommen war.
Es war naheliegend, und es würde ihm Unterschlupf bieten, fernab von der
Überwachung seines Vaters. Er wusste, die Potters versuchten seit Jahren, das
Haus gewinnbringend zu verkaufen, aber kein Käufer hatte Interesse an dieser
Schreckhütte.
Was
ihn wesentlich dringender interessierte, waren die heutigen Ereignisse. Denn
anscheinend hatte Scorpius das Unaussprechliche getan – er hatte Dominique
verlassen. Und das doch ziemlich spontan. Und war Hugo der einzige, dem es
gestern aufgefallen war? War er tatsächlich der einzige, der bemerkt hatte,
dass weder seine Schwester, noch Scorpius zum Abendessen in der Halle gewesen
waren? Er wusste, es hatte allerlei Aufregung gegeben, wegen Albus‘
Verschwinden, aber ihm war es aufgefallen. Und er nahm an, auch Dominique würde
es aufgefallen sein. Zumindest, dass Scorpius nicht da gewesen war.
Für
Hugo lagen die Dinge offensichtlicher. Allerdings nur, weil er die
Vorgeschichte kannte. Nur, weil er wusste, welche Fragen er sich zu stellen
hatte.
Was
bedeutete es jetzt? War es wirklich so, wie er vermutete? Musste er seiner
Schwester folgen, sollte sie gehen? Musste er ihr ins Gewissen reden? Oder
irrte er sich – und das kam selten vor.
War
es ein unglaublicher Zufall, dass Scorpius Malfoy seine scheinbare
Seelenverwandte verließ, einfach… weil er doch keine Lust mehr hatte? Hugo
hatte im Moment selber genug Sorgen, hatte er Rumer doch erst gestern
angeschrien, weil er sich ausgeschlossen gefühlt hatte.
Er
seufzte auf. Und was genau passierte jetzt mit Presley Ford? Darauf hatte seine
Mutter ihn ebenfalls angesprochen. Ob Rose bewusst wäre, dass sie in direkter
Konkurrenz zu Presleys Vater stehen würde, und ob Rose über diesen Konflikt
schon mal nachgedacht hätte, und Hugo wusste nicht mal, was er dazu sagen
sollte. Wahrscheinlich gar nichts. Nein, Rose würde sich keine Gedanken gemacht
haben. Er bezweifelte, dass Rose überhaupt wusste, dass ihre Mum in direktem
Wahlkampf zu Emory Ford stand. Dass überhaupt die Aussicht bestand, dass ihre
Mum die nächste Ministerin werden würde – er glaubte, es waren Dinge, die an
Rose vorbeigingen. Die sie nicht mal interessieren würden, selbst wenn sie das
Ausmaß dahinter begreifen würde. Das war seine Schwester. Das einzige, was er
nicht ganz glauben konnte, war, dass Rose Dominique ernsthaft verletzen würde.
So war Rose nicht. So kannte er seine Schwester nicht. Dass sie sich überhaupt
mit Jungen abgab. Und das war es, was es so schwer zu verdauen machte. Rose war
nicht so. Und ehrlich gesagt glaubte er nicht an eine Verbindung zu Scorpius
Malfoy – die seine Mutter ebenfalls angesprochen hatte. Was waren ihre Worte
gewesen? Roses Verhalten wäre besorgniserregend gewesen. Sie hätte sich so
offensichtlich feindselig Scorpius gegenüber verhalten. Das wiederum fand Hugo
äußerst beruhigend.
Aber
was wusste er wirklich? Wusste er, was in ihrem Kopf vor sich ging? Und wenn
überhaupt, gab er Scorpius die alleinige Schuld, überhaupt solche Gedanken in
Roses Kopf gepflanzt zu haben. Es wäre seine Schuld allein. Und ihm würde Hugo
es zutrauen. Absolut.
Er
hörte, wie sich der Geist von Snape lautstark räusperte, während Rose
irgendwelche Worte niederschrieb, nur um sie direkt zu korrigieren. Anscheinend
machte Snapes Geist sie subtil auf Fehler aufmerksam. Mehr oder weniger subtil.
Was war das für eine eigenartige Verbindung? Hugo fürchtete sich nicht vor
Snape. Er konnte all seine Fragen mühelos beantworten, nur beachtete Snape ihn
nicht mal. Es war, als existiere er nicht. Ärgerlicherweise. Hugo würde nur zu
gerne alle Fragen, des ehemaligen Zaubertränke-Genies beantworten. Zaubertränke
war sein geheimes Lieblingsfach. Aber scheinbar… bevorzugte Snapes Geist Roses
Gegenwart. Dabei war seine Schwester nicht mal schlau. Er verschränkte die Arme
vor der Brust, das unbequeme Buch noch immer zwischen den Fingern.
Er
wollte nicht mit ihr reden, denn er wollte gar nicht wissen, ob sie ihn anlog.
Egal in welchem Bezug – auf Albus oder auf Scorpius. Er wollte einfach nur…
dass alles wieder normal wäre. Und er wünschte, er würde nicht immer an Rumer
denken müssen.
Und
manchmal – sehr selten – war es so, dass hochintelligente, blinde Hühner ein
Korn fanden, was sie gar nicht gesucht hatten. So war es jetzt.
„Es
ist so gruselig, oder?“ Ein Mädchen hatte sich ungefragt neben ihn gestellt.
„Ich finde Snapes Geist so unangenehm. Und er steht immer hinter ihr, wenn sie
hier ist“, fuhr sie kopfschüttelnd fort. Cara Lockhart-Grey hob den blauäugigen
Blick. Hugo war es nicht gewöhnt, von Mädchen angesprochen zu werden. Von
herkömmlich betrachtet gutaussehenden Mädchen schon gar nicht. Sie war in
seinem Jahrgang, und er kannte sie nur vom Sehen. Sie war eine Ravenclaw und
das einzige Mädchen, was dem großen James Potter eine Abfuhr erteilt hatte.
Deshalb kannte er sie. Deshalb war sie interessant. Ansonsten spielte sie
Quidditch in ihrem Team – Hugo wusste die Position nicht mal, und sie war die
Vertrauensschülerin aus Ravenclaw des sechsten Jahrgangs. „Deine Schwester ist
mutig“, schloss sie flüsternd und nickte anerkennend. Kurz hatte sich Hugo
gefragt, ob Cara überhaupt wusste, wer er war, aber… anscheinend schon.
„Gryffindors
glauben immer, sie wären mutig“, erwiderte er still und konnte nicht anders,
als das fremde Mädchen zu betrachten. Wieso sprach sie mit ihm? Niemand sprach
mit ihm einfach so. Und er runzelte die Stirn. „Falls du wissen willst, wo mein
Cousin Albus ist – ich habe keine Ahnung“, ergänzte er vorsintflutlich, denn
höchstwahrscheinlich war das alles, woran dieses Mädchen Interesse hatte. An
Albus Potter und seiner elenden Flucht.
„Mich
interessieren die Potters allesamt eher wenig“, entgegnete sie achselzuckend,
und Hugo runzelte die Stirn. Tatsächlich? Und dann seufzte sie auf. „Du
erinnerst dich nicht mehr an mich, hm?“ Und sofort öffnete sich sein Mund. Was?
Was meinte sie damit. „Die Drei Besen? Du warst… einigermaßen betrunken?“ Sein
Kiefer lockerte sich. Er konnte sich nicht erinnern, irgendetwas getan zu
haben, was außerhalb der Norm gewesen war – außer dass er mehrfach mit Sutter
angestoßen hatte. Gut, er wusste nicht mehr jede Sekunde dieses Abends, aber…
an ein Mädchen hätte er sich erinnert! „Wir haben angestoßen?“, half sie ihm
eindeutig auf die Sprünge. „Du… hast gesagt, ich wäre das schönste Mädchen, was
du je gesehen hättest, und du würdest mich gerne um ein Date bitten, sobald du
nüchtern genug bist?“ Hugo starrte sie an.
„Ich
– was?“ Und er spürte die Röte in seinen Wangen. Nahezu sofort. „Ich habe…-
was?“ Merlin! Das… konnte nicht sein! Es klang nicht nach ihm! Ganz und gar
nicht! Langsam hoben sich ihre Mundwinkel und ihm wurde schrecklich heiß.
„Davon… weiß ich nichts mehr. Es tut mir… wirklich leid“, flüsterte er mit
knallroten Wangen. Er konnte die Hitze regelrecht spüren. „Ich erinnere mich
nicht, so was gesagt zu haben“, entfuhr es ihm entschuldigend. Und Cara zuckte
die Achseln.
„Hast
du auch nicht“, sagte sie dann schnippisch, und sein Mund schloss sich perplex.
„Aber… es wäre nett gewesen, hättest du es getan, Hugo Weasley“, ergänzte sie
mit sehr eindeutig erhobener Augenbraue. Er starrte sie an. Er kam sich dümmer
vor, als gewöhnlich. Was?! „Also…“, schloss sie langsam, als sie sich abwandte.
„Falls du…irgendwann auf die Idee kommen solltest, mich um ein Date zu bitten“,
fuhr sie mit frechem Grinsen fort, „die Antwort wäre Ja“, schloss sie zwinkernd
und verschwand um das nächste Regal. Seine Stirn legte sich in Falten, und sein
Herz schlug schneller. Er war sich nicht völlig sicher, aber… hatte ihm gerade
ein hübsches Mädchen klargemacht, dass er sie um eine Verabredung bitten
sollte?! Er hätte gerne Publikum gehabt, oder einen Augenzeugen, den er
befragen könnte. Sein Gehirn gab ihm da keine klare Antwort. Sein Gefühl jedoch
war sich ziemlich sicher. Er hatte Chancen bei Cara Lockhart-Grey? Absolut neue
Informationen für ihn! Allerdings war er verliebt in Rumer MacLeod. Er
verrenkte sich praktisch den Hals, um Cara durch die Regale noch sehen zu
können. Wahrscheinlich schadete es aber nicht, sicher vorher ein wenig…
umzusehen?
Und
wie lange genau musste er warten, um Cara tatsächlich auszubitten?
Eine
Sache war ihr ziemlich schnell klar geworden. Die Chance, Scorpius irgendwo
alleine zu treffen, war nahezu unmöglich geworden. Dom hatte ihnen allen
ziemlich deutlich klar gemacht, auf welcher Seite sie zu stehen hatten, und
dass Scorpius Staatsfeind Nummer eins geworden war. Allerdings war es ein wenig
zu durchschaubar, fand Rose. Und es war traurig. Dom litt schwer unter der
Trennung, und Rose war sich sicher, würde Scorpius seine Meinung ändern, würde
er sich entschuldigen, dann würde Dom zurück in seine Arme fallen. Sie war sich
sicher, denn in jeder Pause weinte ihre Cousine heimlich auf den Toiletten.
Und
es war… mitleidserregend. Dom versuchte, viel zu verbergen, durch bösartige
Worte, kaltes Verhalten, aber… Rose wusste, es war nur Show. Wahrscheinlich
liebte Dom Scorpius noch immer.
Sie
hatten bisher einige Fächer mit den Slytherins gehabt, und jetzt, wo Alby immer
noch erfolgreich versteckt war, hatte Scorpius keine Verbindung mehr zu ihrer
Familie. Er begnügte sich mit den Slytherins, mehr oder weniger halbherzig. Und
sie sah, wie er Dom immer wieder Blicke zuwarf. Ihr selber nicht. Ihr nicht
einen einzigen Blick! Aber dann wiederum versuchte sie auch gar nicht erst,
seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte Angst, dass Dom es merken würde.
Dass sie es hinterfragen würde.
Und
sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie Scorpius treffen sollte, ohne
dass es irgendjemand merkte. Oder ob sie es noch sollte. Jetzt wo Dom Single
war, musste Rose herhalten. Und ihr schlechtes Gewissen machte es nicht besser.
Sie verbrachte ihre Zeit mit Dom. Ungerne, aber sie tat es, einfach weil ihre
Cousine ihr leid tat. Was hatte sie gedacht? Dass es einfach wäre? Dass die
Beziehung endete, dass sich Dom zurücklehnte und entspannte?
Und
dann hatte sie Angst, dass Scorpius wieder zu Dom zurückkehrte, dass er sich
tatsächlich entschuldigte. Aber bisher war das nicht passiert.
Dom
schaffte es gerade so durch die gemeinsamen Stunden mit den Slytherins, nur um
sich danach eine Stunde auf irgendeinem Klo einzuschließen. Seit der Trennung
waren drei Tage vergangen, und Rose wurde langsam unruhig. Sie bekam täglich
Briefe von ihrer Mutter, die sie nicht beantwortete, aber sie nahm an, Hugo gab
sich die größte Mühe.
In
der Schule hingen ab und an Plakate, auf denen Albys Gesicht prankte,
McGonagall bestand darauf. Solche hingen auch in Hogsmeade, aber Rose wusste,
Onkel Harry glaubte nicht daran, dass Alby wirklich verschwunden war, sondern
dass er sich einfach nur versteckt hielt. Denn tatsächlich hatte sie durch ihre
Mum erfahren, dass Alby Gold aus seinem Sparverlies abgehoben hatte. Und davon
hatte Harry nur zufällig erfahren, da ihm die Kobolde von Gringotts den
Genehmigungsschein für seine Unterlagen zugeschickt hatten, auf dem Alby Onkel
Harrys Unterschrift gefälscht hatte. Es war also alles eher ein Spaß, als
echter Ernst. Aber Alby würde verdammt viel Ärger bekommen, sobald Onkel Harry
ihn fand. So viel stand fest.
Und
jetzt gerade war Rose zusammen mit Dom und Rumer auf dem Weg zur
Apparier-Stunde in der Halle. Die Tische waren alle an der Wand gestapelt, und
die meisten Sechstklässler waren bereits hier. Das Abendessen wurde an diesen
Tagen immer nach hinten verschoben, da der Ministeriumsbeamte auf keinen Fall
eher kommen konnte – eine Lüge, wie ihr Vater ihr zu Beginn des Schuljahres
versichert hatte, aber Hunger hatte Rose im Moment sowieso eher nicht.
„Rose?“
Die Stimme hielt sie auf. In der Tür zu Halle hielt sie inne, und die Mädchen
wandten ebenfalls den Blick. Und als wäre es Doms Entscheidung, nickte sie ihr
gönnerhaft zu.
„Na
los, geh schon“, munterte Dom sie scheinbar auf. „Ich meine, du sollst nicht
auch unglücklich alleine sein, nur weil ich es bin. Wir sehen uns gleich, ja?“,
setzte sie aber fast angstvoll hinterher, und Rose ersparte sich, zornig den
Mund zu verziehen.
„Mhm“,
machte sie, tauschte einen kurzen Blick mit Rumer, und diese verdrehte die
Augen, als Dom nicht hinsah. Dann wandte sich Rose unbehaglich an Presley, der
höflich wartete, bis Dom und Rumer in der Halle verschwunden waren.
„Hey…
das… sind aufregende Zeiten bei euch“, rang er sich mühsam freundlich ab. Sein
Lächeln sah seltsam aus. „Ist… ist es ok, wenn wir reden?“, fragte er sie
sofort, und… natürlich war es ok. Presley war sehr nett. Wirklich.
„Ja,
klar“, bestätigte sie.
„Hör
zu, Scorpius hat mir gesagt, du würdest mich gerne sehen? Alleine? Und… ohne,
dass es deine Familie mitbekommt?“ Sie blinzelte. Was?!
„Ich…?“
Sie starrte Presley überfordert an. Scorpius hatte das gesagt?! Was sollte das
bedeuten?
„Hättest
du vielleicht heute Lust? Nach deinem Kurs?“ Und was wie Scheu ausgesehen
hatte, wandelte sich auf Presleys hübschen Gesicht sehr schnell in Ungeduld.
Scorpius hatte ihr also ein Date verschafft. Wie nett von ihm. War das sein
kleiner Plan, damit er wieder mit Dom zusammen kommen konnte und sie
beschwichtigt war? Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ich meine, wir…
könnten in Gintys alte Unterkünfte? Es ist… nicht super romantisch, aber wir
wären ungestört und könnten reden? Über… alles?“ Er wirkte so aufrichtig. So
hoffnungsvoll. Und immerhin war Scorpius so freundlich gewesen, dieses Date zu
organisieren. Zorn schoss durch ihren Körper.
„Ok“,
hörte sie sich fast herausfordernd sagen. „Dann treffen wir uns um Acht“,
verabschiedete sie sich von Presley. Er schenkte ihr ein Lächeln, reckte den
Daumen in die Höhe, und schon jetzt überkam sie die Angst. Mit bitterem Gefühl
wandte sie sich ab, betrat die Halle und schloss den Abstand zu Rumer und Dom.
„Und?“
Dom sah sie mit verweinten Augen an, versuchte es zu überspielen, und Rose
zwang sich, freundlich zu sein.
„Ich
habe heute ein Date mit Presley.“ Absoluter Trotz schwang in ihren Worten mit.
„Oh,
das ist so schön!“, flüsterte Dom, und Tränen rollten über ihre Wange. Merlin.
Rose sah sich gezwungen, ihre Cousine unbeholfen zu umarmen, während Rumer ihr
einen eindeutig gereizten Blick zuwarf.
„Wir
fangen an!“, tönte die Stimme des Ministeriumsbeamten über ihre Köpfe, und Rose
konnte sich angenehmere Dinge vorstellen. Wesentlich angenehmere, als jetzt
Apparieren zu lernen, und wesentlich angenehmere, als Dom zu umarmen, bis sie
sich beruhigt hatte. Sie hatte wirklich nicht ausreichend über die Konsequenzen
nachgedacht.
„Sieh
dir das an!“, wisperte Rumer plötzlich und ihr Kopf ruckte nach links. Rose
folgte ihrem Blick, und was sie sah, lenkte sie von ihrer Wut ab. Es war Hugo.
Aber… er war nicht allein, wie sonst. Er hatte die Halle mit einem Mädchen
betreten. Rose kannte sie nicht.
„Wer
ist das?“, wollte sie still von Rumer wissen, die es zu wissen schien.
„Cara
Lockhart-Grey“, entkam es Rumer kopfschüttelnd. „Sie ist Vertrauensschülerin in
Hugos Jahrgang“, fuhr sie leiser fort. „Sie war am Samstag an Hugos Tisch
gewesen. Meinst du, die beiden verstehen sich?“ Rumer wirkte ernsthaft
interessiert, während Rose es kaum glauben konnte.
„Vielleicht
hat er ihr lediglich die Richtung zur Halle gezeigt?“, vermutete sie, denn Hugo
war nicht der Typ Junge, der einem Mädchen-
-und Hugo
lachte über etwas, das Cara gesagt hatte, sprach ebenfalls, und jetzt lachte
Cara über seine Worte. Oh. Anscheinend… verstanden sie sich?
„Aha“,
machte Rumer eindeutig. „Ziemlich spannend, oder?“, wollte sie von Rose wissen.
„Vielleicht kannst du ihn bei der Nachhilfe fragen?“, erkundigte sie sich, aber
Rose schüttelte sofort den Kopf.
„Oh
nein. Ich mache das nicht mehr! Ich habe erst mal keine Lust auf Hugos
Nachhilfe.“ Rumer zuckte die Achseln.
„Oh,
ich werde am Samstag zu seiner Nachhilfe gehen. Und ich werde ihn fragen. Unser
kleiner Hugo wird erwachsen, Rose“, erwiderte sie lächelnd. Rose verzog nur den
Mund. Hugo sollte einfach mal wieder seinen so berühmten Verstand einschalten
und sich nicht ständig mit ihr anlegen. Das wäre besser. Noch immer schluchzte
Dom an ihrer Brust, und Rose strich ihr unbeholfen über den Rücken.
Merlin,
was für ein anstrengender Tag.
„Aufstellen!“,
bellte die Stimme des Beamten lautstark, und Rose hatte schon jetzt keine Lust
mehr.
Zäh
vergingen die eineinhalb Stunden, und Rose hatte nicht ein einziges Mal
geschafft, zu verschwinden. Rumer hingegen war drei Meter appariert. Immerhin
war es Dom auch nicht geglückt, aber Dom hatte es nicht mal versucht. Der
Beamte war zu ihnen gekommen, hatte in Doms hübsches, verweintes Gesicht
geblickt, sie gefragt, was denn los sei, und sie anschließend früher gehen
lassen. Diese Chance hatte Dom auch sofort genutzt, natürlich nicht ohne
Scorpius noch einen schmachtenden Blick zuzuwerfen. Rose und Rumer blieben noch
zurück, während die übrigen Sechstklässler bereits verschwanden. Die Slytherins
gingen als erstes, und grimmig betrachtete Rose Scorpius‘ Hinterkopf, der in
der Menge wunderbar auszumachen war. Arschloch. Elender Mistkerl! Wie konnte
er?!
„Hey“,
unterbrach Louis ihre Gedanken.
„Hey,
du warst erfolgreich heute!“, stellte Rumer anerkennend fest, denn tatsächlich
war Louis quer durch die Halle appariert, aber Louis zuckte die Achseln.
„So
schwer ist es nicht“, behauptete er, und Rose schoss ihm einen wütenden Blick
zu.
„Halt
die Klappe, Louis“, sagte sie beleidigt. Kurz schenkte er ihr ein Lächeln,
bevor er wieder ernst wurde.
„Wie geht es Dom?“, fragte er stiller, und Rose und Rumer tauschten einen
Blick.
„Es
geht“, sagte Rumer dann. „Frag sie doch einfach“, ergänzte sie.
„Ich
glaube, sie will das nicht von mir gefragt werden. Ich würde ihr ohnehin nur
sagen, dass Scorpius ein dämlicher Vollidiot ist, auf den sie sich niemals
hätte einlassen sollen. Oh, übrigens“, er wandte sich direkt an Rumer, „James
ist ein dämlicher Vollidiot. Dir sage ich es nur vorher, damit du Bescheid
weißt“, ergänzte er, und Rumer fixierte ihn böse. Dann wandte er sich
tatsächlich an sie. „Rose, auch dir muss ich sagen, Presley Ford ist-“
„-schon
gut. Danke, Louis“, unterbrach Rose ihn barsch. Louis zuckte die Achseln.
„Ok.
Wie ihr wollt. Wir sehen uns später“, verabschiedete er sich von ihnen und
schlenderte aus der Halle.
„Denkst
du, er verflucht Scorpius noch?“, wollte Rumer beinahe besorgt wissen.
„Es wäre
nett“, entgegnete Rose bitter. Dann spürte sie Rumers Blick auf sich.
„Rose?“, sagte sie, und Rose wandte den Blick. Rumers Augen waren weit. „Am
Wochenende will ich es tun“, schloss sie stiller, und Rose runzelte die Stirn.
Fragend schob sich ihre Augenbraue in die Höhe.
„Was tun?“, erkundigte sie sich ratlos, aber Rumer verdrehte die Augen.
„Du
weißt schon“, sagte sie mit mehr Nachdruck. „Es! Mit James“, ergänzte sie
eindeutig, und Rose verzog den Mund.
„Oh.
Echt? Hast… hast du dir das gut überlegt?“ Rumer sah sie entsprechend empört
an.
„Dass
ich überhaupt solange gewartet habe! Ich kann froh sein, dass er noch nicht
Schluss gemacht hat, weil ich so prüde bin“, erwiderte Rumer gepresst, aber
Rose atmete lange aus.
„Das…
ist eine wichtige Entscheidung. Und… ich glaube nicht, dass James dich drängen
würde“, ergänzte sie, und tatsächlich glaubte sie es. Sie hatte eine neue Seite
von James kennengelernt. Eine neue gute Seite.
„Nein,
würde er nicht, aber… ich… will es. Verstehst du? Ich… will ihn!“, sagte Rumer
mit leuchtenden Augen, und Rose verstand. Nicht in Bezug auf James, aber… sie
verstand – und wurde direkt wieder wütend.
„Ok“,
sagte sie bloß. „Dann… viel Glück dabei“, entkam es ihr mit einem gezwungen
schiefen Lächeln. Rumer schüttelte lächelnd den Kopf.
„Ich
bin aufgeregt. Denkst du… du wirst es mit Presley tun wollen?“ Ihre beste
Freundin wirkte so aufrichtig neugierig. Und Rose tat es beinahe weh, dass sie
nicht ehrlich sein konnte. Denn nein. Sie hatte kein Interesse an Presley.
Nicht wirklich. Es war… eine trotzige Notlösung.
„Vielleicht“,
erwiderte Rose ausweichend.
„Aber nicht heute, oder?“ Rumer wirkte besorgt. Und Rose hatte ihr vorhin kurz
erzählt, dass sie Presley gleich treffen würde. Nur kurz, damit Dom nicht noch
einen eifersüchtigen Zusammenbruch bekam.
„Nein!
Garantiert nicht!“, entfuhr es ihr bestimmt. „Ich werde mich nicht mal umziehen
und werde sogar in meinen alten Klamotten dahin gehen“, informierte Rose sie
eindeutig und deutete an sich hinab. „Wir werden bloß reden. Nichts weiter“,
schloss sie achselzuckend.
„Gar
nichts weiter? Ich habe gehört, er ist ein sehr guter Küsser“, murmelte Rumer
grinsend.
„Ach
ja? Von wem?“, wollte Rose sofort wissen.
„Zum Beispiel
von Hugos kleiner Freundin Cara“, entgegnete Rumer lächelnd. „Denn sie hat
darüber vor einigen Wochen beim Vertrauensschülertreffen mit ihren Freundinnen
gesprochen.“
„Sie
ist die Exfreundin von Presley?“, erkundigte sich Rose, und Rumer nickte bloß.
„Oh
ja. Er steht auf Quidditch-Mädchen“, erwiderte Rumer vielsagend.
„Was
für ein Glück“, gab Rose lächelnd zurück.
„Ich
wünsch dir viel Spaß später. Ich… muss los“, verabschiedete sich Rumer
schließlich, und Rose wandte den Blick. James winkte ihnen von der Hallentür
aus zu. Er holte Rumer ab. Das war… nett, nahm Rose an. Sie war ernsthaft
gespannt, wie lange es mit James halten würde. Louis war gerade nicht hilfreich
gewesen, aber er hatte nicht unrecht. James war ein Player. Und Presley war das
auch. Und Scorpius? Ja, der war einfach nur scheiße. Und einfach nur, um
Scorpius eins auszuwischen, würde sich Rose gleich mit Presley treffen. Und sie
würde keine Angst haben. Sie würde einfach… klare Grenzen ziehen. Vielleicht
könnte sie Presley locker daten. Was wäre so schlimm daran? Gar nichts. Absolut
gar nichts. Nicht, dass Rose auch nur die geringste Ahnung vom Daten hatte, und
locker würde das Ganze auch nicht sein, aber sie war gerade bockig.
Und
dass sie genauso blieb, wie sie aussah, lag daran, dass sie auf keinen Fall
noch mal nach oben wollte, um von Dom vollgeheult zu werden. Sie hatte gestern
schon zwei Stunden lang zuhören müssen, wie arm Dom dran war, und wie
ausgenutzt sie sich fühlte. Sollte Vic heute übernehmen. Rose hatte genug. Wirklich!
Und
sie wartete noch eine Weile, bis alle verschwunden waren. Wartete, bis es
ungefährlich war, nach unten zu gehen, ohne dumme Fragen beantworten zu müssen.
Und sie wusste, eigentlich war es dumm. Sie wusste, dass es gefährlich wäre,
einfach zu gehen. Presley einfach zu sehen. Er würde sie bestimmt küssen
wollen, aber… vielleicht wäre es gar nicht so schlimm? Immerhin hatte Scorpius
dieses Treffen veranlasst! Merlin, machte sie das wütend!
Sie
lief die Stufen hinab. Es war noch etwas zu früh, aber es wäre nicht schlimm.
Sie würde warten. Der Korridor lag wie ausgestorben, und die Tür zu Gintys
Klassenraum stand angelehnt wie immer. Sie konnte sich romantischere Dinge
vorstellen, als den Zaubertränkeklassenraum oder Gintys alte Unterkünfte, aber es
wäre besser als der Gemeinschaftsraum. Tausendmal besser. Sie dachte an Rumer
und ihre Pläne, und sie glaubte nicht, dass sie jemals bereit wäre, mit Presley
zu schlafen. Sie konnte sich ja kaum vorstellen, überhaupt intim mit ihm zu
sein.
Und
vielleicht sollte sie ihm das sagen. Vielleicht sollte sie Presley sagen, dass
es zu schnell ging? Dass sie Zeit brauchte? Oder… das sie ihn eigentlich gar
nicht wirklich wollte…?
Rumer
entwickelte sich weiter, und sie… sie stand still. So kam es ihr vor. Sie traf schlechte
Entscheidungen, und Rose wusste nicht, was in sie gefahren war. Wie hatte sie
annehmen können, das mit Scorpius wäre eine gute Idee gewesen? Fairerweise
hatte sie das zwar nicht gedacht, aber… sie hatte es sich leichter vorgestellt.
Sie
betrat das dunkle Klassenzimmer und entzündete das Petroleum mit ihrem
Zauberstab. Die meisten Klassenzimmer blieben über Nacht auf. Natürlich nicht
die, an die bewohnten Unterkünfte grenzten, aber hier… war es nun eine
Ausnahme. Kurz überlegte sie, ob Snapes Geist auftauchen würde, aber… warum
sollte er? Es war ja niemand hier, dem er Fragen stellen konnte. Und sie
fürchtete sich nicht mehr vor ihm. Er hatte ihr wieder geholfen, war wieder
aufgetaucht. Und er näherte sich mittlerweile auf einen halben Meter. Sie hatte
überlegt, mit Snape zu reden. Einfach mal… Kontakt aufzunehmen. Aber vielleicht
würde er dann einfach verschwinden. Sie musste sich da mal ein Konzept
überlegen.
Sie
schlenderte nach vorne und setzte sich auf das Lehrerpult. Selbst der düstere
Zaubertränkeraum kam ihr weniger bedrohlich vor, wenn sie hier keinen
Unterricht hatten. Auf den großen Gruppentischen erkannte sie die Macken durch
Messer und Mörser, die Brandflecken, wo die Kessel sonst standen, auch
schlichte Holzverformungen, wo ein Trank mal eine gefährliche Wirkung
angenommen hatte. Auch hing der Duft verschiedener Kräuter und Pflanzen in der
Luft, vermischt zu einem ganz eigenen Aroma.
Draußen
hörte sie kein Geräusch. Es näherten sich keine Schritte, und sie war sich
nicht sicher, wie lange sie warten sollte. Es war schon eigenartig. Es gab noch
andere Orte, wo man sich hätte treffen können, nahm sie an.
Und
sie würde Presley fragen, ob Scorpius sonst noch was gesagt hatte. Ob er ihm
vielleicht verraten hatte, dass er vorhatte, zurück zu Dom zu gehen. Es hätte
ein gutes, denn dann würde Dom sie endlich wieder in Ruhe lassen. Rose mochte
sie, aber… eher aus der Ferne, wenn sie nicht viel mit ihr zu tun hatte. Eher
dann.
Seufzend
blickte sie auf den Steinboden, ließ die Beine baumeln und wartete. Sie dachte
irgendwann wieder an Alby. Wo war er wohl? Wann käme er wieder? Und wie groß
wäre der Ärger, den er bekommen würde? Massiv groß, nahm sie angstvoll an. Und
sie dachte an Hugo, und warum alles so schwer geworden war.
Dann aber
vernahm sie Schritte aus der Entfernung, die zügig näher kamen. Sie wappnete
sich. Ob Presley erwartet hatte, dass sie sich umzog? Dass sie so aussah wie am
Samstag? Sie biss sich auf die Lippe. Dann wurde die Türklinke runtergedrückt,
und sie glaubte plötzlich, dass es eine absolut dumme Idee von ihr gewesen war.
Sie hatte nicht nachgedacht. Kurz beschleunigte ihr Atem und Panik befiel sie –
wieso war sie so trotzig? Wieso brachte sie sich in diese Situationen?!
Die
Tür öffnete sich – und… Scorpius schob sich ins Innere.
Kurz
glaubte sie, zu träumen. Sie blinzelter heftig, aber… das Bild blieb dasselbe.
Nicht Presley. Es war… nicht Presley?
Eilig
verschloss er die Tür, legte sogar den Sperrzauber auf das Schloss, und ihr
Herz machte mehrere Sätze, als er sich umwandte. Ihr Kiefer hatte nachgegeben.
Was zur…?
„Hey“,
begrüßte er sie, etwas außer Atem. „Es hat länger gedauert“, schien er sich zu
entschuldigen und näherte sich etwas unschlüssig. „Was? Warum siehst du mich so
an?“, fragte er ehrlich verwundert, und sie blinzelte kurz, rutschte hastig von
der Tischkante und starte ihn weiterhin an.
„Aber…
Presley…?“, begann sie verwirrt, und kurz verengten sich seine Augen.
„Presley
kommt nicht?“, erwiderte er fast ungläubig und blieb vor ihr stehen. Ihr Puls
beschleunigte sich rapide.
„Aber…
ich war mit ihm- du hast ihm doch gesagt, dass ich ihn sehen will!“, fuhr sie
ihn schließlich an, aber tatsächlich hob sich seine Augenbraue. Und was war es?
War es… Nachsicht? Sie kannte den Blick sonst nur von Hugo.
„Ja?
Damit du einen Grund hast, abzuhauen?“ Dann schien er zu begreifen. „Rose, das
war ein Vorwand. Ich dachte, das wäre klar? Dass Presley dumm genug ist, ihn zu
nutzen…- ist lediglich von Vorteil. Warum denkst du, habe ich ihm diesen Raum
vorgeschlagen?“, schloss er eindeutig, und ihr Mund klappte auf. „Du hast
gedacht, ich schicke Presley, weil ich nicht mehr will?“, vermutete er dann und
legte den Kopf schräg, und sie spürte, wie sie etwas rot wurde. Hitze stieg
langsam in ihre Wangen. Oh verdammt! Dieser Slytherin! Kurz wusste sie nichts
zu sagen. Aber dann dachte sie weiter.
„Und…
und wo ist er jetzt?“ Sie senkte hastig den Blick. Merlin, sie kam sich fast
dumm vor. Aber… woher hätte sie das wissen sollen?!
„Ich
habe den anderen klar gemacht, dass wir ein Notfall-Team-Treffen brauchen, weil
Al jetzt ja nicht da ist. Und… weil Al zurzeit fehlt, und es mich zu sehr
belastet, habe ich frei bekommen… um dir zu sagen, dass Presley es heute leider
doch nicht schafft“, schloss er, beinahe schnippisch. Wow. Er war so ein
Slytherin. Dann aber hob sich sein Blick und Abwägung trat auf seine markanten
Züge. „Aber… du dachtest, er würde tatsächlich kommen? Du… wolltest Presley
sehen?“, vergewisserte er sich plötzlich und fixierte sie prüfend. Ihr Mund klappte
wieder zu. Hastig schüttelte sie den Kopf.
„Nein, ich…- nein, wollte ich nicht!“, entfuhr es ihr vorschnell. „Aber… er
sagte, du…“ Sie schwieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war
vollkommen überwältigt, dass sie jetzt tatsächlich alleine mit ihm war, und…
teilweise eine Ausrede hatte. Rumer würde Dom sagen, sie träfe sich mit
Presley, Presley würde denken, Scorpius hätte das Treffen abgesagt, und… zur
Not würde sie morgen sagen, sie wäre noch durchs Schloss spaziert, hätte sonst
was gemacht! Wäre in die Bibliothek gegangen. Sie hatte… eine Ausrede.
Und
jetzt… waren sie hier. Und eigentlich sollte sie noch wütend sein. Das war ein
riskanter Plan von ihm gewesen. Und es war nicht nett gewesen, sie nicht
einzuweihen, einfach anzunehmen, sie verstünde seine Beweggründe. Aber leider…
war sie nicht mehr so wütend, wie sie sein sollte. Leider. Ein Hauch
Unsicherheit stahl sich auf seine Züge.
„Hi“,
begrüßte er sie fast kleinlaut, stand nahe vor ihr, und sie hatte das Gefühl,
ihr Körper vibrierte vor Aufregung, so nahe vor seinem.
„Hi“,
erwiderte sie die Begrüßung tonlos, aber… sie wusste, sie hatten… Dinge zu
besprechen. Sie… musste ihn Sachen fragen. „Du… hast mit… Dom Schluss gemacht?“
Zwar wusste sie es, aber sie musste doch fragen. Ein Schatten legte sich über
seine Züge. Seine Hand fand den Weg zu seinen Haaren, kämmte sie nach hinten,
und fast war ihr schon egal, was sie zu besprechen hatten. Fast wollte sie
selber mit ihren Finger durch seine Haare fahren.
Dämliche
Gedanken.
„Ja“,
bestätigte er.
„Es…
geht ihr… wirklich schlecht“, erwiderte sie und musste den Blick senken. Sein
Blick aus seinen grauen Augen war zu intensiv, als dass sie standhalten konnte.
„Ich
weiß“, entkam es ihm still.
„Ich
meine…, bist du wirklich sicher, dass… dass- sie würde dich zurücknehmen“,
sagte Rose schnell und sah, wie seine Hand sich langsam hob, wie er den
Zeigefinger unter ihr Kinn legte, und der Körperkontakt alleine jagte Schauer
durch ihren Körper.
„Gut
zu wissen“, murmelte er, kam noch einen letzten Schritt näher, und hob sanft
ihren Kopf, damit sie ihn ansah. Sie schluckte schwer. Aus den Augenwinkeln
hatte sie ihn heute beobachtet. Er trug noch immer den dunklen Pullover, die
Jeans, die ihm sehr gut stand, und ihr Herz brach neue Rekorde. Hätte sie sich
tatsächlich umziehen sollen? Wie sah sie überhaupt aus? Sie hatte nicht mal
mehr ihre Haare-
Er
senkte den Kopf, überwand die letzten Zentimeter, und ihre Augen flatterten zu,
als seine Lippen auf ihre fielen. Tausend Schmetterlinge schwirrten durch ihren
Bauch, und das Gefühl war so berauschend wie das letzte Mal! Sie atmete ihn
ein, drängte sich näher, und schon schlang sich seine Hand um ihren Hals. Er
öffnete ihre Lippen mit seinen, und fast lautlos stöhnte sie in seinen Mund,
als er seine Zunge tiefer voranschob. Sie reagierte sofort, und ihre Hände
griffen in den weichen Stoff des Pullovers um ihn enger an sich zu ziehen.
Sie
bewegten sich unbewusst, stießen gegen das Pult, und sie hasste, dass sie
standen. Sie hasste, wie planlos es war. Schwer atmend löste sie sich von
seinen Lippen, um sich umzusehen. Ihr Blick fiel auf die angelehnte Tür zu den
Unterkünften, und auffordernd sah sie Scorpius an.
Sein
Blick war dunkler geworden. Schroff nickte er, griff nach ihrer Hand, und mit
weichen Knien ließ sie sich von ihm mitziehen. Ob er mit Absicht ihre gesunde
Hand ergriffen hatte? Sie wusste es nicht. Es war egal.
Er
stieß die Tür auf, entfachte auch hier die Lampen, und es war kein großes
Zimmer. Es besaß einen Waschschrank, einen Kamin, einen Kleiderschrank und… ein
recht schmales Bett. Die Bettwäsche war abgezogen, aber… es reichte völlig aus.
Gleichzeitig bewegten sie sich, und Rose hielt es nicht mehr aus. Sie griff in
seinen Nacken, und er kam ihr entgegen, küsste sie hart, schob sie zum schmalen
Bett, bis es in ihre Kniekehlen stieß und sie knickte ein. Sie unterbrachen den
Kuss nicht mal, als sie sich setzten, als er näher rückte, als seine Hände über
ihr Gesicht wanderten, über ihren Hals, ihre Schultern, als sie auf ihrer Taille
liegen blieben, und sie wollte ihm näher sein. Noch näher.
Ihre
Zunge stieß gegen seine, und der Druck seiner Hände wurde fordernder. Langsam
bewegten sie sich, glitten höher, und kurz wünschte sie sich, keinen bequemen
Pulli zu tragen. Sie schnappte unbewusst nach Luft, als er den Ansatz ihrer
Brüste berührte, und sofort unterbrach er den Kuss.
„Zu
schnell, oder? Das… ist viel zu schnell-“ Aber sie hörte ihm gar nicht zu,
nutzte einfach die Gelegenheit und zog sich, mutiger als sie war, den Pulli
über den Kopf Sie trug ein enges Trägershirt darunter, und sein Mund öffnete
sich kurz, aber sie sah ihm einfach in die Augen, und hoffte, er konnte sehen,
dass es nicht zu schnell ging. Dass sie ihn spüren wollte. Dass… er sich jetzt
gerade einfach keine Gedanken machen brauchte. Sie trug nicht mal einen BH,
hatte sich nicht mal Gedanken gemacht. Sie hatte nicht damit gerechnet, heute
in so eine Situation zu kommen. Er reagierte nicht wirklich, und sie biss sich
auf die Lippe, als sie einfach aufstand und sich sehr vorsichtig rittlings auf
seinen Schoß setzte.
„Ist…
ist das ok?“, fragte sie ihn beschämt, als er hoch in ihr Gesicht blickte, und
er nickte stumm, sah sie noch immer mit diesen hypnotischen Augen an, und sie
stütze sich auf seine Schultern, als sie den Abstand schloss, den Kopf senkte
und ihn erneut küsste. Sofort griffen seine Hände in ihre Hüften, pressten sie
an sich, und es fühlte sich unbeschreiblich an.
Sie
erinnerte sich an den Tag am Strand. Lebhaft, andauernd, aber… sie wusste auch,
dass sie abgehauen war. Dass sie nicht mit ihm gesprochen hatte, dass… seine
Hände ihr Kleid geöffnet hatten – und sie hatte Angst bekommen. Es war zu
schnell gegangen, und sie wusste noch immer nicht, wie weit sie gehen konnte –
oder sollte, oder… überhaupt! Aber jetzt gerade fürchtete sie sich nicht.
Und
unter ihrem Schoß spürte sie seine Reaktion deutlich. Es ließ ihn nicht kalt.
Seine Erektion war steinhart. Sie spürte es so deutlich, und das wiederum jagte
ihr etwas Angst ein.
Dieses
Mal strichen seine Hände sanft über ihren Busen, und ihr Herz raste. Irgendwie
schienen seine Daumen ihre Brustwarzen unter dem Stoff zu erahnen, und
provozierend rieb er über den Stoff. Instinktiv presste sie sich in seinen
Schritt, und er stöhnte grollend in ihren Mund. Bevor sie die Sensation
begreifen konnte, warf er sie zur Seite um, lag über ihr zwischen ihren Beinen,
küsste sie hungrig, und langsam schoben seine Hände ihr Shirt nach oben über
ihren Bauch. Ihr Atem ging flacher, und dann löste er sich von ihren Lippen,
küsste ihren Hals, nur um tiefer zu verschwinden, nur um plötzlich mit der
Zunge um ihren Bauchnabel zu fahren, und sie biss sich stöhnend auf die
Unterlippe. Merlin! Er schob das Top höher, bis zu ihren Brüsten, küsste eine
Spur über ihren Bauchnabel hinauf, und dann hob sich sein Blick.
Seine
hellen Strähnen hingen ihm dicht in die Augen, und für sie war es ein unfassbar
erotischer Moment.
„Wir…
wir sollten über ein paar Dinge reden?“, brachte er hervor, aber seine Augen
sagten andere Dinge. Reden schien nicht ganz oben auf seiner Liste zu stehen.
„Ok?“, vergewisserte er sich atemlos, kletterte von ihr runter, und sie stützte
sich auf die Ellbogen, setzte sich ein wenig benebelt auf und zog beschämt ihr
Oberteil zurecht. Sie nickte bloß, traute ihrer Stimme nicht.
„Wie…
weit willst du… gehen? Ich meine…“ Er sah sie an, suchte nach Antworten in
ihrem Gesicht, und sie wusste es nicht. „Bist du…? Hast du schon…?“ Es war eine
furchtbare Frage. Es fühlte sich bloßstellend an, und sie senkte den Blick, um
den Kopf sachte zu schütteln. Nein, sie hatte noch nie irgendetwas. Das hier
war… so unglaublich! Noch niemand hatte sie so berührt. Und das jetzt gerade…
war das erotischste, was sie jemals erlebt hatte.
„Ok“,
sagte er wieder, fuhr sich durch die Haare. „Ich… weiß nicht, was… du willst,
ok?“, murmelte er, versuchte, sie anzusehen. „Was dir angenehm ist? Oder…-
Rose?“ Er wartete, bis sie den Blick hob. Sie hasste es, in diesen Dingen
unerfahren zu sein.
„Tut
mir… leid, dass ich… keine Erfahrung habe“, brachte sie angespannt hervor, aber
seine Augen weiteten sich.
„Was?
Was redest du für einen… absoluten Blödsinn?“, wollte er rau von ihr wissen.
„Mir gefällt, dass du… dass…- du anders bist. Dass… Dinge neu sind, und… ich
will dir einfach… nicht wehtun“, entfuhr es ihm. „Und… ich weiß, dass… du
vielleicht mehr Zeit brauchst. Und… es tut mir leid, wenn ich ungeduldig bin,
oder… es so wirkt. Und… wahrscheinlich wäre es ohnehin besser, zu warten. Bis…
bis sich Dinge beruhigt haben, aber… ich konnte nicht warten“, sagte er
plötzlich, und sie sahen sich an. „Ich… wollte nicht mehr warten.“
Und
sie fühlte genauso. Sie wollte auf gar nichts warten. Wer wusste schon, wann
sie die Gelegenheit haben würde, ihn wiederzusehen? Ihre Angst war, dass er
zurück zu ihrer Cousine ging. Dass er es nicht aushalten würde, denn… wer war
sie schon? Sie war Rose Weasley. Nicht hübsch, nicht erfahren und ziemlich
scheiße, weil sie ihre Cousine hinterging. Das war alles, was sie war.
Und sie
wusste, er wollte wahrscheinlich mit ihr schlafen. Der Gedanke alleine reichte,
um sie knallrot werden zu lassen. Und wahrscheinlich war es nicht
schmeichelhaft. Wahrscheinlich benutzte er sie bloß, und sie ließ es zu. Sie
dachte an Rumers Worte, daran, dass ihre beste Freundin in wenigen Tagen mit
James schlafen würde. Sie dachte daran, dass sie immer ein Spätzünder war, und…
dass sie hasste, nicht offener zu sein.
„Wir…
können das langsamer angehen.“
Sie
biss sich auf die Lippe. „Was heißt, langsamer?“, fragte sie ihn scheu. Und
seine Mundwinkel hoben sich.
„Alles,
was du willst“, erwiderte er rau. Und eigentlich wollte sie nicht reden. Sie
wollte, dass er sie küsste. Das wollte sie. Deshalb beugte sie sich vor,
überwand den Abstand und… küsste ihn. Das konnte sie mittlerweile. Er atmete
sie ein, erwiderte den Kuss sanft, aber… sie wollte ihn wieder auf sich spüren.
Es hatte ihr gefallen, was er mit ihr getan hatte, dass er ihren Körper geküsst
hatte. Es war… was sie jetzt gerade wollte, egal, ob es falsch war. Sie zog ihn
mit sich zurück, ließ sich auf die alte Matratze fallen, und er grinste gegen
ihre Lippen.
Und
sie wusste nicht, wie viel Zeit verging. Wie lange sie einfach auf dem Bett
lagen und wie lange sie sich küssten. Es kam ihr endlos vor und ihr wurde immer
heißer, es staute sich immer mehr in ihrer Mitte zusammen, und irgendwann glitt
seine Hand tiefer, über den Saum ihrer Hose, fuhr zwischen ihre Beine, und
gegen seine Lippen schnappte sie nach Luft.
Sofort
löste er sich einen Zentimeter von ihr, um sie anzusehen. Seine Hand lag noch
immer zwischen ihren Beinen. Röte sprengte ihr Gesicht.
„Was
das… ok?“, flüsterte er atemlos, und sie nickte überfordert und voller
Verlangen. Wieder rieb seine Hand über die Stelle zwischen ihren Beinen, und
ihm dabei in die Augen zu sehen, zu sehen, wie es ihn selber erregte, ließ
ihren Kopf zurückfallen. Sie musste die Augen schließen. Es fühlte sich
unglaublich an! Er wiederholte die Bewegung, und selbst durch den Stoff der
Jeans war es unglaublich! Dann hörte er auf, und seine Hand glitt wieder höher,
nur um den Knopf der Jeans zu öffnen. Ihr Kopf flog zurück und panisch weiteten
sich ihre Augen.
„Keine
Angst“, sagte er dann, und sanfter Schweiß stand auf seiner Stirn. Was tat er?
Sie lag unter ihm, hielt die Luft an, und dann öffnete er ihren Reißverschluss,
ließ sie nicht aus dem Blick, und sie wollte protestieren, als er die Hand
langsam in ihre Hose gleiten ließ, absolute Anspannung und Beherrschung auf den
Zügen. Sie wollte ihm sagen, dass sie es nicht wollte, dass sie sich schämte,
weil sie wusste, dass… dass Mädchen sich dort unten… frisieren konnten – und
dass sie sich nie um so etwas geschert hatte! All die albernen Gespräche mit
Rumer kamen ihr in den Sinn, all die Geschichten von Mädchen, die Zauber
ausprobiert hatten, und bei denen irgendwelche Frisuren und Symbole nach hinten
losgegangen waren, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ob er anderes
gewöhnt war – bei Dom garantiert! Und es war ihr peinlich, dass sie… dass sie…-
Oh Merlin!
Seine
Hand glitt über ihren Slip, tiefer, und er musste jetzt spüren, wie nass ihr
Slip bereits war – wie unfassbar erregend es war! Es musste ekelhaft für ihn
sein, aber…- stattdessen schlossen sich seine Augen angestrengt, und ihr Atem
beschleunigte sich. Sie hielt ihn nicht auf, als seine Finger über ihre Mitte
fuhren, als er sich nicht beherrschen konnte, den Stoff mühsam beiseiteschob,
und sie schnappte nach Luft, als er sie tatsächlich berührte – ohne irgendeinen
Stoff dazwischen, und ihr Mund öffnete sich tonlos, als er ihren Eingang fand –
und zwei seiner Finger einfach in sie glitten.
Sie
stöhnte unterdrückt auf, ihre Augen schlossen sich, und schon spürte sie seine
Lippen, spürte den hungrigen Kuss, und seine Zunge schob sich verlangend vor, stieß
gegen ihre, und träge begann der Kampf. Er zog die Finger zurück, und sie
zitterte praktisch unter ihm. Er küsste sie verlangender, wiederholte die
Bewegung, stieß die Finger wieder in sie, und es fühlte sich unfassbar verboten
gut an. Auch sein Atem ging schneller. Sie bewegte unbewusst ihr Becken,
stöhnte ungehalten in seinen Mund, und dann benutzte er seinen Daumen, traf
ihren empfindlichen Punkt, rieb in schmerzhaften Kreisen darüber, und sie
glaubte, den Verstand zu verlieren. Ihr Atem ging übergangslos schneller, und
etwas Mächtiges erfasste sie, und sie musste sich von seinen Lippen lösen.
Erlösend
fiel ihr Kopf zurück und ein kehliger Laut entrang sich ihrer Kehle, ein Laut,
den sie noch nie gehört hatte, und ihr erster Orgasmus zerschmetterte praktisch
ihr Gehirn, so kam es ihr vor!
Ihr
Becken presste sich gegen seine verdammten Finger, die sie noch weiter reizten,
und ihr Rücken bog sich verlangend durch. Punkte tanzten vor ihren
geschlossenen Augen, und dann ebbten die Wellen langsam ab. Ihr Atem beruhigte
sich langsam und kurz spürte sie seine Lippen auf den ihren. Es war nur ein
kurzer Kuss, und irgendwann flatterten ihre Lider auf. Seine Finger waren nicht
mehr in ihre, seine Hand nicht mehr in ihrer Hose, und er betrachtete sie
nahezu abwartend. Sie fühlte sich unheimlich zufrieden, absolut befriedigt.
Wow!
„Spaß
gehabt?“, fragte er sie rau, und sie konnte nur annehmen, wie frustrierend es
für ihn sein musste. Aber sie konnte nicht anders, als zu lächeln.
„Mhm“,
bestätigte sie frech, und seine ebenmäßigen Mundwinkel hoben sich.
„Gut“,
entgegnete er, und für eine Sekunde kam es ihr absolut absurd vor, dass sie so
etwas mit Scorpius Malfoy erlebte. Sie hatte es vorher nie wirklich gesehen,
aber… er sah unverschämt gut aus. Vor allem jetzt, kurz nachdem er sie zum
Kommen gebracht hatte. Wirklich verdammt gut. Sie setzte sich langsam auf,
während er neben ihr bäuchlings auf dem Bett lag, sich mit dem linken Ellbogen
abstützte und zu ihr aufsah.
„Kann…
kann ich was für dich tun? Ich meine…“, begann sie unschlüssig, und sein
Grinsen verebbte langsam. „Wenn du mir sagst, was ich tun soll-“, fuhr sie
unschlüssig fort, und er schüttelte den Kopf.
„Du musst gar nichts tun, Rose“, sagte er kopfschüttelnd.
„Ich…
würde gern“, flüsterte sie praktisch, und sie sah ihn schlucken. Seine Hand hob
sich, spielte kurz mit einer ihrer Locken, bevor er fast zärtlich über ihre
Wange strich. Sie hielt praktisch den Atem an.
„Vielleicht…
sollten wir es langsam angehen, und-“
„-ich
kann dich anfassen, Scorpius“, unterbrach sie ihn ruhig, und alleine durch ihre
Worte schien er schon die Fassung zu verlieren. Überrascht fiel seine Hand von
ihrem Gesicht. Sie wollte es. Sie wollte… sich revanchieren. Sie… wollte, dass
er so fühlte, wie sie. Das war es doch, was sie hier taten, oder nicht? Es war…
keine Zuneigung, es war… Nutzen. Und… nur weil sie unerfahren war, musste es
doch nicht so bleiben. Sie wusste sehr genau, zu was sie da zugestimmt hatte.
Und sie wollte es. Sie wollte ihn.
„Rose-“
„-zeig
es mir“, bat sie ihn schlicht. Er reagierte zunächst nicht, sanfte Abwägung im
Blick. „Zeig es mir, oder ich ziehe deine Hose einfach aus“, beschloss sie, und
kurz musste er wieder lächeln.
„Du
bist so verdammt stur“, entkam es ihm kopfschüttelnd. Er zögerte, während sie
wartete. „Sicher?“, erkundigte er sich, und sie glaubte, sie könnte sich nicht
sonderlich mehr schämen. Er hatte… sie dort unten berührt! Merlin!
„Ja“,
bestätigte sie, und dann öffnete er seine Jeans. Langsam, unsicher, und sie sah
die Beule in seiner Hose deutlich. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er zog
die Hose tiefer, und in seiner dunklen Shorts pulsierte es verheißungsvoll. Sie
biss sich auf die Lippe. Dann zog er die Shorts ebenfalls tiefer. Unbewusst
hielt sie die Luft an. Sein Penis war groß, zumindest kam es ihr so vor. Nicht,
dass sie irgendeinen Vergleich hätte! Alles, was ihr einfiel, war, dass sie im
Planschbecken mit Hugo gesessen hatte – und das war wirklich ein erbärmlicher
Vergleich! Merlin, was für ein absolut dämlicher Gedanke.
„Alles
ok?“, fragte er sie rau, und sie nickte, verscheuchte diesen Gedanken hastig
und riss den Blick von seinem Penis.
„Was
muss ich tun?“, fragte sie ihn tonlos, und er grinste ein schiefes Grinsen.
„Du
musst gar nichts tun“, erinnerte er sie kopfschüttelnd.
„Malfoy-“,
warnte sie ihn, und lächelnd griff er nach ihrer Hand, und sie schwieg. Er
legte ihre Handfläche um seinen Schaft, und es war weicher, als sie jemals
vermutet hätte. Seine Augen schlossen sich übergangslos, und er zog scharf die
Luft ein.
„Nicht…
so fest“, brachte er abgehackt über die Lippen, und seine Hand legte sich über
ihre, führte ihre Finger, und sie ahmte die Auf- und Abbewegung nach.
Fasziniert beobachtete sie seine Reaktion, und irgendwann fiel seine Hand von
ihrer, und sie pumpte eigenständig an seiner Länge auf und ab. Längst war sein
Kopf zurückgefallen und mit wachsendem Interesse beobachtete sie, was
passierte, wie sich seine Vorhaut bewegte, wie jede schnellere Bewegung, jede
festere Bewegung, eine andere Reaktion, einen anderen Laut aus seiner Kehle
lockte. Sie bemerkte, wie es tatsächlich auf die Muskeln, ging, wie ihr Arm
lahm wurde, aber sie beschleunigte das Tempo trotzdem, bewegte ihre Hand
schneller, und dann bockte er hoch, drehte sich geistesgegenwärtig zur Seite,
und sein Samen ergoss sich auf der Matratze. Hastig griff er sich den
Zauberstab, säuberte die Matratze stumm, und sie sah, wie sein Penis schlaffer
wurde. Mühsam zog er sich die Shorts und die Hose wieder hoch, und immerhin
wirkte er nun ebenso benebelt wie sie. Erschöpft fiel sein Oberkörper zurück
auf die Matratze und sie legte sich zurück neben ihn.
„Ok“,
entkam es ihm heiser. „Ich denke… das war ein guter Abend.“ Sie starrten beide
an die Decke, und irgendwie kam sie sich schrecklich erwachsen vor. „Sowas
dürfte in diesem Raum noch niemals vorgefallen sein“, ergänzte er mit einem
schwachen Lächeln. Kurz zuckten auch ihre Mundwinkel. Nein, wahrscheinlich
hatte er Recht.
„Ich
bin froh, dass du nicht Presley warst“, sagte sie irgendwann und drehte den
Kopf zur Seite. Er drehte den Kopf ebenfalls nach links, und sah sie mit
erhobener Braue an.
„Mh,
ich auch“, bestätigte er spöttisch.
„Malfoy?“
Er sah sie an, und der Spott verschwand aus seinen grauen Augen.
„Ja?“
„Wie…
wie geht es jetzt weiter?“ Sie hasste diese Frage. Sie hasste, dass es
kompliziert war. Sein Blick war so ernst, und sie glaubte, er würde gar nichts
mehr sagen. Aber irgendwann atmete er aus.
„Was
möchtest du hören? Einen… Zeitplan, oder-?“
„-nein,
ich…“ Sie wusste es ehrlich gesagt nicht. Natürlich gab es keinen Zeitplan.
„Ich meine, wie oft würde so ein Trick mit Presley noch klappen? Es… ist doch
irgendwie absolut unmöglich, dass… dass wir…“ Sie sah ihn hilflos an.
„Morgen
ist Training“, sagte er schließlich. Sie blinzelte knapp. „Gryffindor hat
Training, richtig?“ Er wartete, und dann nickte sie. Ja, richtig. Morgen war
Training.
„Ja?“,
bestätigte sie mit gerunzelter Stirn.
„Ich
habe ein Vertrauensschülertreffen. Ich könnte danach zum Feld kommen.“ Er
überlegte er laut, denn er sah sie nicht an.
„Und
dann was?“
„Dann
treffen wir uns im Zelt“, schlug er vor. Sie verzog den Mund.
„Es
ist zu kalt im Zelt“, sagte sie dann. Er atmete aus.
„Jaah“,
bestätigte er. „Was ist mit Hagrids Hütte?“, wollte er dann wissen, und sie
schüttelte wieder den Kopf.
„Professor
Longbottom sieht dort ab und zu nach dem Rechten. Das… wäre zu gefährlich.“ Er
wandte den Blick, blickte wieder zur Decke und seufzte dann auf.
„Ich
denke, dann müssen wir wohl oder übel hier bleiben“, entschied er, aber sie
fand es nicht witzig.
„Was
ist mit dem Wochenende?“, fragte sie ihn, denn sie wusste nicht, wann sie sich
unverfänglich unter der Woche treffen sollten. Aber er schwieg. „Scorpius?“
Irgendwann atmete er aus.
„Das
Wochenende ist schlecht.“
„Das
ganze?“, vergewisserte sie sich, denn sie wusste zwar, dass er lernte, aber…
doch wohl nicht das ganze Wochenende?!
„Ja“,
bestätigte er. Es gefiel ihr nicht. Es war keine gute Antwort. Seufzend sah er
sie an. „Mein… Vater holt mich ab“, beschloss er, zu erzählen. Ihre Augen
weiteten sich.
„Als
Strafe?“, wollte sie wissen, und tatsächlich lächelte er freudlos.
„Nein,
ich…- meine Mum hat mir ein Haus vererbt, und das muss ich mir ansehen“,
schloss er bitter. Sie schwieg daraufhin. Richtig. Sie vergaß es wieder und
wieder. Er hatte keine Mum mehr. Sie war so dumm. Wieso entfiel es ihr immer?
Es war wirklich egoistisch von ihr.
„Oh“,
sagte sie also. „Ich…- es tut mir wirklich leid wegen… wegen deiner Mum“,
schloss sie beschämt und er wandte den Blick wieder.
„Muss
es nicht“, tat er ihre Worte achselzuckend ab, aber sie runzelte die Stirn.
„Doch,
das muss es“, widersprach sie kopfschüttelnd. „Du… hast deine Mum verloren.
Ich… könnte mir nicht vorstellen, wie es ohne meine Mum wäre“, sagte sie leise.
„Es
ist scheiße. Aber… es ist nicht zu ändern.“ Sie nahm an, es war seine Art damit
umzugehen.
„Es
tut mir wirklich leid, Scorpius“, wiederholte sie ernster. Dieses Mal atmete er
aus.
„Ok“,
sagte er nickend. „Danke“, ergänzte er knapp.
„Wenn
du… darüber reden willst-“
„-dann
nerve ich Al“, unterbrach er sie, aber sein Lächeln schwand sehr plötzlich. „Sobald
er wieder da ist“, ergänzte er stiller, und sie schluckte schwer. Richtig. Es
gab noch andere Dinge in ihrem Leben, neben dieser verbotenen Affäre, die sie
hier unterhielten.
„Jaah“,
erwiderte sie gedankenverloren. „Muss nett sein, Häuser zu erben.“
„Als
ob ihr arm wert“, griff er fast dankbar ihre Worte auf, und der Spott kehrte
zurück.
„Ich
glaube, man kann es nicht vergleichen“, wagte sie, zu sagen. „Der Malfoy-Stammbaum ist doch garantiert
zweihundert Generationen lang?“
„Und
der Weasley-Stammbaum nicht?“, konterte er mit erhobener Braue.
„Ja,
aber wir sind arm. Ihr seid reich.“ Er schüttelte seufzend den Kopf.
„Ich
hasse das Gold“, sagte er plötzlich. Rose runzelte die Stirn.
„Hätte
ich so viel Gold, würde ich mir irgendwann ein Haus am Strand kaufen und für
immer dort bleiben“, entkam es ihr fast tonlos.
„Alleine?“
Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme.
„Vielleicht
nehme ich Presley mit“, entgegnete sie doch schlagfertiger, als sie angenommen
hatte. Und sie sah aus den Augenwinkeln, wie er sich aufrichtete.
„Ach
ja?“, erkundigte er sich rau, während er näher kam und sich über sie beugte.
„Vielleicht kannst du ihm ja beschreiben, wie man ein Mädchen anzufassen hat“,
murmelte er, kurz vor ihren Lippen, ehe sein Kopf sich senkte, und ihre Augen
schlossen sich automatisch. Fast hatte sie seine Lippen schon vermisst. Der
Kuss war sinnlich und sanft, und sie erwiderte ihn absolut willig. Ihre Arme
legten sich um seinen Nacken, und nur zu schnell löste er sich wieder. „Es…
wird spät“, murmelte er, küsste sie noch einmal, und sie wollte nicht gehen.
Er
hatte die Frage nicht beantwortet. „Wann sehen wir uns wieder?“, wiederholte
sie, mit mehr Nachdruck, mit etwas zu viel Sehnsucht, nahm sie an, denn ein
Lächeln erhellte seine Züge.
„Vermisst
du mich?“, wollte er wissen, und sie verdrehte die Augen.
„Nicht
wirklich“, behauptete sie, ließ aber die Arme immer noch um seinen Nacken
liegen.
„Morgen
nach dem Training“, versprach er ihr rau, und sie verengte die Augen.
„Und
wie? Und wo?“
„Ich
lass mir was einfallen“, murmelte er bloß, bevor er sie wieder küsste.
„Malfoy-“,
protestierte sie gegen seine Lippen, aber nicht zu ernsthaft. Sie spürte sein
Lächeln.
„-hey,
ich bin ein Slytherin, mir fällt schon was ein“, flüsterte er, und ihre Augen
schlossen sich resignierend und wieder küsste sie ihn, konnte gar nicht anders.
Und sie hatte keine Ahnung, wie Affären funktionierten, aber sie glaubte, sie
war wirklich schlecht darin, denn… sie glaubte nicht, dass sie gleichzeitig
auch mit Presley ausgehen konnte, wie er vorgeschlagen hatte. Aber das war erst
mal egal.
Das
Wichtigste war, dass sie es geheim hielten.
Und
dass er nicht aufhörte, sie zu küssen….
Es
war einsam ohne Al. Es war… nicht dasselbe. Aber er wusste, dass er
wiederkommen würde. Er wusste es einfach. Und bis dahin hatte er… Ablenkungen.
Sein Blick hob sich, um sie anzusehen. Sie war… so anders als Dominique. Er
mochte, wie schnell sie rot wurde. Er mochte all die unzähligen Sommersprossen.
Er mochte, wie unglaublich es war, sie zu berühren, und er mochte, wie verdammt
eng sie sich angefühlt hatte. Ihr Körper war fester als Dominiques Körper war,
alleine deshalb, weil Rose sportlich war. Unfassbar sportlich. Unter den
Schichten an Kleidung verbarg sich eine ungeahnte Erotik, und ihm gefiel, dass
sie es niemals darauf anlegte, ihren Körper einzusetzen, um etwas zu bekommen.
Er war es anders gewöhnt. Sie war so… ehrlich, hatte nicht mal einen BH
getragen, was ihn wahnsinnig gemacht hatte! Und sie war… nicht glatt gewesen
unten, nicht künstlich. Es hatte… unfassbaren Spaß gemacht.
Er
hatte keine Ahnung, ob sein Blick zu intensiv geworden war, aber plötzlich hob
sich ihr Kopf, wandte sich halb in seine Richtung, und ihre welligen Haare
rutschten über ihre Schulter. Er mochte ihre Haare. Ganz entgegen seiner
anfänglichen Überzeugung, waren rote Haare absolut sein Fall. Er hatte von ihr
geträumt. Und es war… nichts Versautes gewesen. Er hatte einfach nur von ihr
geträumt, von… ihrem Gesicht, ihrem Lächeln. Es war beinahe lächerlich, und er
würde es auch keinem erzählen.
Ihre
Blicke trafen sich, und er konnte nicht anders, als sich an ihr Gesicht zu
erinnern, als sie seinen Schwanz angefasst hatte. Fast erahnte er die Röte auf
ihren Wangen wieder, und ihr Blick fiel hastig zurück in ihren Kessel.
Er
saß nicht mehr am Gryffindortisch. Das war vorbei. Dominique war heute wieder
nicht da. Sie mied die Fächer, die sie zusammen belegten, und er konnte nicht
sagen, dass es ihn störte. Es war ihm sogar recht. Dann zerstörte ihn das
Gewissen immerhin nicht die gesamte Zeit über.
Er
wusste, wie scheiße es war. Er machte mit der einen Cousine Schluss, um die
nächste zu nehmen. So sah es aus, nahm er an.
„Wird
das noch was, Mr. Malfoy?“ Er hatte Professor Longbottom nicht mal kommen
hören. Wieder hatte der Kräuterkundeprofessor Zaubertränke übernommen, und
Scorpius riss sich zusammen, richtete die Aufmerksamkeit auf seinen verdammten
Kessel und warf die restlichen Zutaten hinein. Missbilligend beobachtete
Longbottom ihn und notierte sich etwas auf Pergament. Durchfallen lassen würde
er ihn nicht können, nahm Scorpius dumpf an. Immerhin etwas. Er konzentrierte
sich auf die Zutaten, denn er konnte Louis‘ Blick spüren. Noch immer hatte er
Sorge, dass Dominiques Bruder einfach nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete,
ihn anzugreifen, und… sehr wahrscheinlich würde Scorpius ihn gewähren lassen.
Er
wusste nicht, wie lange Dominique brauchen würde, um… zu vergessen. Um weiterzumachen,
ohne ihn. Er hatte nicht vergessen, was Rose gesagt hatte. Merlin, er konnte es
selber sehen, wusste, dass Dominique im Moment schwach war und ihn
wahrscheinlich zurücknehmen würde, würde er nur wollen.
Und
er dachte an sie. Sehr häufig, aber… fast nur aus Schuld heraus, nicht weil er
sie wirklich vermisste.
Er
musste sich mit diesen Gedanken ablenken, weil er sonst nur traurig werden
würde, dass er bei den Gryffindors nichts mehr zu suchen hatte. Es war ein
Club. Und aus diesem Club war er rausgeflogen. Es betrübte ihn, aber er hatte
es so gewählt, und bisher… konnte er nicht anders, als es kaum zu bedauern.
Vielleicht käme das noch. Aber er würde auf Al warten, und er wusste, dieses
Mal würde er ihm die Wahrheit sagen. Und ja, es bestand die Gefahr, dass Al es
erzählte, aber… dann würde er das eben tun. Nur war sich Scorpius noch nicht
sicher, wann er das tun würde. Vielleicht wenn es vorbei wäre? Wieder hob sich
sein Blick verstohlen, um Rose zu betrachten.
Wenn
es vorbei wäre, könnte er es Al erzählen. Es war gerade erst der Anfang, und er
dachte schon über das Ende nach. Es war wichtig, sagte er sich. Es war nur der
reine Nutzen. Er könnte nicht mit ihr zusammen sein. Nicht, wie er es mit
Dominique gekonnt hatte. Und das stand einfach fest. Egal, was passierte. Sie
würden es beenden müssen. Noch nicht jetzt, noch nicht morgen. Aber irgendwann.
Er glaubte auch, dass Rose nicht stark genug wäre. Sie könnte sich nicht mit
ihrer Familie anlegen, diese ‚Sache‘ rechtfertigen und dafür gerade stehen.
Scorpius traute es ihr nicht zu. Sie wirkte so unbedarft in diesen Dingen,
hatte keinerlei Erfahrungen mit Auseinandersetzungen dieser Art.
Und
vielleicht war es gut. Es würde es einfacher machen, zu gehen, denn sie würde
ihm keine Alternative bieten können. Sie würde ihn wahrscheinlich nicht mal
aufhalten wollen. Und er wusste, Presley wäre eine bessere Wahl.
Sie
würden jetzt einfach ihren Spaß haben, und dann… würden sie diese Sache genauso
heimlich beenden, wie sie sie begonnen hatten. Das war der Plan. Und er hoffte
wirklich, dass es so funktionieren würde.
Endlich
ertönte irgendwann der Gong dumpf durch die Schlossmauern. Er packte die Sachen
zusammen, während Collin auf ihn einredete, aber Scorpius hörte kaum zu. Rose
brachte den Kessel zurück in den Schrank, und unfassbarerweise hatten sie erst
gestern im Nebenraum im Bett gelegen und verbotene Dinge getan. Er fragte sich,
was sie fühlte, ob es ihr unangenehm war, ob es sie erregte? Er wusste es
nicht, und er konnte sie nicht fragen.
Sie
beachtete ihn nicht mehr, sprach mit Rumer, und Scorpius zwang sich, nicht mehr
zu denken. Zumindest nicht mehr daran. Er musste durch den Rest des Tages
kommen, und zumindest Collin freute sich, dass er nun Zeit mit ihm verbrachte,
wo Al nicht da war.
Aber
größtenteils wollte der andere Treiber von ihm lediglich Theorien durchgehen,
wo Al war, was er wohl gerade tat und ob er jemals wiederkommen würde.
Scheinbar hatte Collin eigenartige Sehnsüchte, würde wohl selber gerne mal
abhauen, untertauchen, Menschen kennenlernen und… irgendwie überleben.
Menschen
waren alle irgendwie eigenartig.
Flüsternd
sprach Collin jetzt auf ihn ein, und sie verließen den verruchten Klassenraum,
den Scorpius nie mehr unbefangen als Zaubertränkeraum wahrnehmen würde.
Er tat es aus verschiedenen Gründen. Er
wollte Antworten, und er wollte sie jetzt. Hugo schritt durch den Raum und
verzichtete zum ersten Mal in seinem Leben auf den Platz in der ersten Reihe.
Und heute würde er es tun. Heute würde er Cara um eine Verabredung bitten. Aber
er würde bei diesem Treffen nicht neben ihr sitzen. Es war Taktik. Und Scorpius
saß ohnehin alleine, hatte keine Freunde mehr und war ausgestoßen. Hugo war
sauer auf ihn, keine Frage. Nicht nur, weil Scorpius einen höheren Rangplatz in
der Familie belegt hatte, als er, aber das war ja nun auch vorbei.
Aber
eigentlich ging es eher darum, dass er annahm, dass Scorpius besser wüsste, wie
es Rose ging, als Hugo es erahnen konnte. Und ihn könnte er jetzt fragen, was
ihm auf der Seele brannte, so sehr er nach außen auch vorgab, dass es ihn nicht
kümmerte.
Er
ging sehr stark davon aus, dass sich etwas Ekliges zwischen ihm und seiner
Schwester angebahnt hatte. Sehr stark. Und offener Schock stand praktisch in
Scorpius‘ Gesicht, als Hugo vor seinem Doppeltisch innehielt.
„Ist
hier frei?“, wollte er also wissen, fixierte ihn genau, und Scorpius starrte
ihn an.
„Wieso?“,
entkam es ihm defensiv, aber Hugo atmete ruhig aus.
„Ja
oder nein?“, wiederholte er schlicht, und Scorpius gab nach, verdrehte die Augen
und rückte ein Stück zur Seite.
„Mach,
was du willst“, knurrte Scorpius abweisend, und Hugo setzte sich kopfschüttelnd
neben ihn.
„Ich
habe dir nichts getan. Ich bin tatsächlich der einzige, der noch mit dir
redet“, fiel Hugo spöttisch auf. „Abgesehen von…“ Er zögerte, wollte es nicht
sagen, aber Scorpius‘ Blick hob sich langsam. „Auch egal“, schloss Hugo
achselzuckend.
„Was
wird das?“, wollte Scorpius kalt wissen. „Willst du mir ins Gewissen reden?
Willst du mich nerven? Oder willst du mir drohen?“ Wow. Der Slytherin war ganz
klar auf Offensive gepolt.
„Habe
ich kein Interesse dran“, gab Hugo zurück. „Ehrlich. Zurzeit reden Rose und
nicht mehr – nicht, dass wir jemals viel gesprochen hätten, aber wenn sie ein
selbstzerstörerisches Techtelmechtel mit dir glücklich macht, dann…
meinetwegen“, erklärte er offen, schaffte sogar ein nonchalantes Lächeln.
Merlin, dieser Junge war sehr leicht zu durchschauen. Hugo hatte sogar das
Gefühl, der blasse Slytherin wurde noch etwas bleicher um die Nase.
„Du
hast keine Ahnung wovon du redest, Weasley“, brachte Scorpius gepresst hervor.
Hugos Augenbraue hob sich entsprechen ungläubig.
„Das
wäre mal was neues“, erwiderte er lächelnd. Scorpius schüttelte angewidert den
Kopf. Aber tatsächlich stimmte es alles nicht so ganz. Tatsächlich sorgte sich
Hugo um Rose. Tatsächlich glaubte er nicht, dass Rose irgendeine Verbindung zu
Scorpius glücklich machen würde. In keiner Hinsicht. „Überleg dir einfach, was
du tust“, schloss Hugo stiller. Wieder spürte er Scorpius‘ Blick auf sich
„Das
geht dich alles überhaupt nichts an“, knurrte Scorpius, aber Hugo streckte den
Rücken durch.
„Natürlich
geht es mich was an. Das weißt du, das weiß Rose. Auch wenn… mich keiner dabei
haben will. Es ändert nichts. Und jetzt… fühlst du dich so, wie ich mich immer
fühle. Ausgrenzung macht keinen Spaß, auch wenn ich sie, in meinem Fall, nicht
heraufbeschworen habe, wie du.“ Die Abweisung verschwand langsam aus Scorpius‘
Blick, und Hugo mochte nicht wirklich, dass er mit Scorpius besser reden konnte
als mit James oder mit Albus oder mit Louis.
„Wie
läuft’s mit Rumer?“, wechselte der Slytherin glatt das Thema, und die
Feindseligkeit kehrte zurück.
„Ist
pausiert“, erwiderte Hugo tatsächlich offen. „Danke der Nachfrage.“
„Kein
Ding. Alles, was dich nervös macht, frage ich gerne“, bemerkte Scorpius,
verschränkte die Arme vor der Brust und starrte nach vorne, wartete, dass die
unfähigen Schulsprecher antanzten, obwohl Hugo Sutter dankbar war. Zwar war
Sutter schuld gewesen, an dem Kater seines Lebens, aber immerhin hatte Sutter
ihn wieder zurückgebracht. Und dann atmete Hugo aus.
„Warum
ist Albus abgehauen?“, fragte er Scorpius leise, denn deshalb war er hier.
Deshalb machte er sich die Mühe. Denn jetzt gerade hatte Scorpius nirgendwo zu
sein. Er war nirgendwo willkommen, und vielleicht bestand die Chance, dass der
blonde Wichtigtuer ihm die Wahrheit sagte. Hugo wusste nicht, warum es ihm so
wichtig war. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er Dinge wissen
wollte. Eigentlich alle Dinge. Es war eine Krankheit. Scorpius schien entnervt
auszuatmen.
„Denkst
du, das weiß ich?“, fuhr Scorpius ihn still an, und Hugo zuckte die Achseln.
„Du
weißt, was passiert ist“, bemerkte Hugo dann. Scorpius verdrehte die Augen über
ihn.
„Du
weißt doch sonst auch alles, Weasley. Also, wieso jetzt nicht?“, wollte
Scorpius bitter wissen, und Hugo zuckte die Achseln.
„Ich
weiß, dass er wohl kaum Rose beleidigt haben wird. Oder vielleicht schon, aber
für gewöhnlich treffen Rose Beleidigungen nicht wirklich. Es wäre kein Grund
für sie gewesen, ihn zu schlagen. Also… geht es tiefer als das. Entweder wusste
Albus, dass sie in dich verknallt ist oder… es ging um jemand anderen. Unsere
Eltern?“, schlug Hugo nachdenklich vor, aber Scorpius‘ Gesicht hatte einen
seltsamen Ausdruck angenommen. „Was?“, entfuhr es Hugo mit gerunzelter Stirn.
„Nichts“,
entgegnete Scorpius schroff. Und dann sah er ihn wieder an. „Sie ist nicht in
mich verknallt“, ergänzte er durch zusammengebissene Zähne. Hugo atmete lange
aus.
„Ich
bitte dich“, war alles, was er sagte.
„Ist
sie nicht!“, wiederholte er beinahe angriffslustig. Aber es amüsierte Hugo
fast. Der Junge vor ihm musste blind sein. Hugo war überzeugt, Rose war in
Scorpius verschossen, seit diesem verhängnisvollen Sommer, und jetzt… na ja,
jetzt hatte seine Schwester bekommen, was sie wollte. Merlin, Scorpius hatte
mit Dominique Schluss gemacht. Für Rose! Und man musste kein Genie sein, um diese
Verbindung zu erahnen. Für Hugo lag es glasklar auf der Hand. Und anscheinend
investierte seine arme Schwester wesentlich mehr in diese Sache, als Scorpius
Malfoy es tat. Aber das wunderte ihn nicht.
„Nein?“,
wiederholte Hugo spöttisch. „Warum nicht? Habt ihr das so abgemacht?“, entkam
es ihm abschätzend, und kurz weiteten sich Scorpius‘ Augen. So leicht zu
durchschauen, wirklich.
„Halt’s
Maul, Weasley“, zischte Scorpius jetzt, und Hugo sah, es kostete den Slytherin
einiges, jetzt ruhig sitzen zu bleiben.
„Mh.
Tja, es wird bitter enden, nehme ich an“, stellte er lächelnd fest. „Und damit
wir uns verstehen – auf meine Fäuste ist kein Verlass, wie es bei meiner
Schwester der Fall ist, aber glaub ja nicht, dass ich so elegisch wie Louis
bleiben werde, nachdem du meine Schwester abserviert hast. Ich kenne Zauber,
die lassen deine Eingeweide innerhalb von zwei Minuten vertrocknen, und das ist
nicht mal der schlimmste Zauber, der mir auf die Schnelle einfallen würde,
Malfoy. Ich erinnere mich, dass ich dich gewarnt hatte. Das hat scheinbar nicht
gezogen, aber ich beobachte dich. Und du schaufelst dein Grab
höchstwahrscheinlich selbst, ganz ohne meine Hilfe.“
„Bist
du fertig?“, wollte er ungerührt wissen, und Hugo nickte langsam.
„So
gut wie. Warum ist Albus abgehauen?“, wiederholte er schlicht seine Frage, und
kurz spannte sich Scoprius‘ Kiefer an. Und er sagte es aus Trotz. Es wirkte
nicht überlegt.
„Er
hat deine Mum beleidigt.“ Und das war alles. Und nur für wenige Sekunden musste
Hugo überlegen. Nur für den Bruchteil eines Atemzuges konnte er sich nicht
vorstellen, was Albus gesagt hatte.
Aber…
dann war es offensichtlich. Und gleichzeitig war es… einfach nur absurd. Es gab
nur ein Wort, mit dem man seine Mutter beleidigen konnte, was Rose derart zur
Weißglut gebracht hätte.
Hugos
Blick fiel. Dieses Bekenntnis hatte etwas Ohnmächtiges an sich.
Es
zerriss etwas in ihm, denn er liebte seine Mum. Mehr als er Albus Potter jemals
lieben könnte.
Und
wie hatte Rose es ihm vorenthalten können? Scorpius sagte irgendetwas, aber
Hugo hörte es gar nicht. Er empfand tiefe Wut auf Albus Potter, und er empfand
Wut, dass sich dieser Wichser solange versteckt hielt, weil er feige war.
Hugo
Weasley hatte genug. Vielleicht war er nicht der klügste Junge dieser Schule,
aber der klügste aus seiner Familie war er alle mal. Und er tat etwas, was er
bis vor einer Woche niemals im Ansatz hätte tun wollen. Aber… Dinge änderten
sich scheinbar laufend.
„Entschuldige
mich“, entfuhr es ihm abwesend, und er erhob sich.
„Weasley!“,
rief Scorpius ihm tatsächlich nach, aber es störte ihn nicht. Cara hatte sich
gerade an einen Doppeltisch gesetzt, und er ergriff die Chance, wo er gerade
vollkommen losgelöst von Scham und Ängsten war. Im Gehen wandte er sich ihr zu.
„Cara,
geh mit mir aus!“, sagte er fast tonlos, sah das hübsche Mädchen an, und ihre
Augen weiteten sich verblüfft. Im Türrahmen hielt er kurz inne.
„Wo gehst du hin?“, wollte sie verblüfft von ihm wissen, und Hugo hielt sich
knapp am Türrahmen fest.
„War
das ein Ja?“, fragte er sie atemlos, und langsam hoben sich ihre Mundwinkel.
„Ja!“,
bestätigte sie grinsend, und Hugo stieß sich vom Türrahmen ab und verschwand
mit klopfendem Herzen.
Er
fühlte sich gut. Er fühlte sich scheiße.
Zeit,
die Regeln zu brechen. Zeit, Albus die Meinung zu sagen.
Es war bereits dunkel, als James ihnen
erlaubte, endlich zu landen. Heute hatte er es besonders auf Rumer abgesehen
gehabt. Er hatte sie gescheucht, hatte sie kritisiert, und Rose war sich nicht
sicher, ob er es tat, weil er dem Team beweisen wollte, dass er sie nicht
bevorzugte, aber trotzdem war es… etwas viel gewesen. So viel Ärger hatte sie
noch nie von James bekommen. Sie fuhr sich über das schweißnasse Gesicht. Der
kühle Herbstwind tat sehr gut.
Rumer
landete wütend neben ihr, zog sich den Schutzhelm vom Kopf und fuhr zu James
herum.
„Sonst
noch irgendwas? Wieso bin ich überhaupt im Team, wenn ich alles falsch mache?“,
fuhr sie ihn ohne das geringste Zögern an, gab sich nicht einmal die Mühe, die
Stimme zu senken.
„Was?“,
entkam es James, der sich ebenfalls den Helm vom Kopf zog. „So läuft das
Training, Rumer. Wir verbessern uns. Und das geht nicht, ohne Kritik.“
„Kritik?“,
entfuhr es ihr wütend. „Rose hat ihren Schläger bestimmt achtmal fallen
gelassen – und nicht ein Wort der verdammten Kritik!“, schnauzte ihre
liebevolle beste Freundin, von der sie gerade praktisch vor den Hogwartsexpress
gestoßen worden war! Und es waren keine achtmal gewesen, dachte Rose beschämt.
„Und Louis ist erst gar nicht aus dem Versuchsstadium rausgekommen! Nicht ein
Tor! Nicht eins! Aber das war auch besser, oder?“, zischte sie, als sie sich
nahtlos an Fred wandte, der mäßig schockiert wirkte. „Denn sonst wäre die
Unfähigkeit unseres Torhüters aufgefallen! Es war nicht alles meine Schuld,
James!“, schloss sie aufgebracht.
„Ich
habe nicht gesagt-“
„-doch,
hast du!“, unterbrach sie ihn zornig. „Es war mein Problem, meine Steilflüge,
meine Stöße – es war immer nur mein Fehler!“ Und tatsächlich… hatte sie nicht
unrecht. Und es war ausgerechnet Nora, die sich räusperte.
„Das
ist vielleicht der Grund, warum man innerhalb des Teams nicht daten sollte?“,
schlug sie fast vorsichtig vor, und Rumer kochte neben ihr.
„Ja,
wahrscheinlich!“, bestätigte Rumer wütend. „Wenn du damit nicht klar kommst,
James, dann sag es mir einfach. Versteck dich nicht hinter irgendeiner
dämlichen Kritik – die völlig unbegründet ist! Wenn du keine Lust mehr auf mich
hast, dann-“
„-bist
du verrückt geworden?“ James wurde selten laut, war immer ziemlich
ausgeglichen, aber jetzt reichte es ihm. „Ich bin der Kapitän dieser Mannschaft
und ich korrigiere euch, wenn es mir passt! Das hat nichts mit dir zu tun oder
unserer Beziehung! Wenn man das überhaupt schon so nennen kann! Es gibt keinen
doppelten Standard, es gibt keine Sonderbehandlung für dich, weil du mit mir
zusammen bist – sorry, wenn du das erwartet hast!“, fuhr er sie an, und Rumers
Besen knallte auf den feuchten Boden, bevor sie wütend die Hände in die Hüften
stemmte.
„Ich
habe gare nichts erwartet, Potter! Ich erwarte lediglich eine scheiß
Gleichbehandlung in diesem Team!“
„Was
soll das jetzt?“, rief er zornig. „Ich habe dich genauso behandelt, wie immer,
verflucht!“, entfuhr es ihm wütend, aber… es stimmte nicht. Rose sah es wie
Rumer. Und sie begriff nicht, was James tat. Oder warum er es tat. War es schon
jetzt soweit, dass sich James selber sabotierte? Tat er es, ohne dass er es
überhaupt merkte?
„Das
denkst du? Schön!“, knurrte sie. „Dann kannst du heute Abend mit dir selber
ausgehen. Arschloch! Und weißt du was? Wenn du es nicht mal Beziehung nennen
willst – wie wäre es, wenn wir es dann als gar nichts bezeichnen? Wie wäre es,
wenn ich einfach abhauen würde? Das sollte es verdammt einfach machen!“,
fauchte sie zornig, ließ ihren Besen zurück und verließ mit zornigen Schritten
das Feld.
„Rumer!“,
rief James ihr wütend nach, aber sie blieb nicht mehr stehen. „Scheiße“,
entfuhr es ihm, und ausnahmslos alle starrten mittlerweile auf den Boden. Es
war verdammt unangenehm. „Packt die Ausrüstung ein und zieht euch um“, sagte
James schließlich gepresst, drückte Fred seinen Besen in die Hand, und dann
folgte er Rumer. Zumindest hoffte Rose das.
„Merlin,
was ist los mit den Leuten?“, hörte sie Fred überfordert fragen. „Was, wenn die
jetzt auch noch Schluss machen?“ Er fragte er niemanden bestimmten. Die
Stimmung war drückend, und schweigend packten sie ein, verschwanden im kühlen
Zelt und zogen sich still um. Rose trödelte ein wenig. Sie hatte nicht
vergessen, dass Scorpius sie treffen wollte, auch wenn die verbotene Freude sie
heute nicht wirklich erfüllte. Eigentlich müsste sie Rumer suchen, aber sie
nahm wirklich an, dass James sich kümmerte. Und… sie wusste nicht, ob sie ihr
hätte nachlaufen müssen? Ehrlich gesagt, wollte sie nicht. Sie… wollte Scorpius
sehen. Wieder befiel sie der Verdacht, dass sie nicht nur eine schreckliche
Cousine war, sondern auch eine grottige beste Freundin.
Letztendlich
war sie die letzte, die das Zelt verließ. Das Feld lag dämmrig vor ihr, der
Wind wehte scharf, und das Wetter war absolut unangenehm. Sie schulterte die
Tasche neu und atmete aus.
Fast
glaubte sie, Scorpius würde bei so einem Wetter garantiert nicht aufs Gelände
kommen, aber dann hörte sie etwas. In der Dämmerung erkannte sie lediglich
seine hellen Haare, die sich matt gegen die Dunkelheit absetzten.
„Allein?“,
flüsterte er, und sie nickte, begriff aber, dass er es wohl kaum sehen konnte.
„Ja“,
bestätigte sie dann, und ihr Herz schlug minimal schneller.
„Euer
Training ist wesentlich aufregender als unseres“, behauptete er rau, schloss
den Abstand, und Rose kam ihm entgegen, schlang die Hände um seinen Nacken, und
trotz der Dunkelheit trafen sich ihre Lippen mit absoluter Sicherheit. Sie
hatte ihn vermisst. Die Lust kribbelte in ihrem Innern, und seine Finger
griffen hart in den Stoff ihrer Jacke, zogen sie enger an seinen Körper, und
sein Mund öffnete sich unter ihren Lippen, und nur zu willig begegnete sie
seiner Zunge. Er zog sie blind mit in den Schatten der Zelte, lehnte sie gegen
die raue Zeltwand, und ihre Finger griffen in seine Haare.
Als
sie dringend atmen mussten, löste er sich von ihr, lehnte seine Stirn gegen
ihre, und fast konnte sie seine Augen ausmachen. Er hatte den Streit also
mitbekommen, dachte sie dumpf. Ob er auch von ihr erwartet hätte, dass sie
Rumer folgte? Aber das sagte er nicht.
„Dein…
Bruder hat mit mir gesprochen“, murmelte er rau. Sie blinzelte überrascht und
vergaß kurz über ihre beste Freundin zu grübeln.
„Wann?
Gerade?“
„Ja“,
bestätigte er still. „Und… er weiß das. Mit uns. Oder… er glaubt, dass er es
weiß“, korrigierte er sich, und Rose biss sich auf die Lippe. Sie war fast
davon ausgegangen. Denn… Hugo wusste eigentlich immer alles. „Und noch was…“, sagte
er, und Rose wollte gar nicht mehr schlimme Neuigkeiten hören. Es reichte erst
mal.
„Was?“,
flüsterte sie angstvoll.
„Ich
habe ihm gesagt, Albus hat eure Mum beleidigt“, ergänzte er vorsichtig, hielt
sie weiter in seinem Griff, und sie atmete aus.
„Oh“,
entfuhr es ihr. Wahrscheinlich war es gut, dass irgendwer Hugo die Wahrheit
sagte. Sie wunderte sich nur, dass es ausgerechnet Scorpius war. Was für eine
Verbindung bestand da überhaupt zu ihrem Bruder? Es war seltsam. Aber es
interessierte sie brennend. „Und?“, wollte sie tonlos wissen.
„Er… hat das Treffen verlassen, bevor die Schulsprecher überhaupt da waren.“
Das überraschte Rose beinahe. Scheinbar hatte sich Hugo erschließen können, mit
welchem Wort Alby ihre Mum beleidigt hatte. Und Hugo reagierte äußerst sensibel
auf solche Beleidigungen, die in Kriegsbezug standen. Er war da ähnlich wie sie
gestrickt. Es war einfach so.
„Mist“,
murmelte sie kopfschüttelnd. „Ich… hätte es ihm sagen müssen.“ Kurz schwieg sie
in seinen Armen. Kurz erfüllte sie der Drang, diese ganz Situation hier zu
verlassen, um die anderen Dinge in ihrem Leben zu regeln, und vielleicht spürte
er das auch.
„Willst
du… mit ihm reden? Willst du zu ihm?“ Fast spürte sie aber auch, wie seine
Finger sich unbewusst fester in den Stoff ihrer Jacke gruben. Und kaum hatte
sie gerade noch ernste Zweifel gehegt, verpufften sie langsam aber sicher
wieder. Denn… nein. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte Hugo jetzt gerade nicht
wirklich finden, genauso wenig, wie sie Rumer finden wollte.
„Nicht…
wirklich“, räumte sie fast beschämt ein. „Ich… kann morgen mit ihm reden“,
wiegelte sie ab. „Aber… wollen will ich das auch nicht wirklich“, schloss sie
stiller. Denn sie wollte nicht wirklich in sein Gesicht sehen, während er
überzeugt davon war, dass sie was mit Scorpius hatte – was auch noch stimmte.
Und wieso sagte Hugo nichts? Wieso verriet er es nicht Louis, oder irgendwem?
Wieso behielt er dieses Geheimnis? Nein, sie wollte ihrem Bruder nicht in die
Augen sehen müssen.
„Gut“,
erwiderte er eilig. „Das… ist wirklich gut.“ Und langsam schloss sich der
Abstand wieder. Seine Lippen erreichten ihren Mund, und sanft erwiderte sie
diesen Kuss. Er beendete ihn ziemlich schnell. „Bist du… erschöpft?“, wollte er
dann wissen, und sie zuckte die Achseln.
„Eigentlich hat heute nur Rumer Ärger bekommen. Aber… duschen wäre nicht
schlecht“, brachte sie schließlich hervor. Sie fühlte sich ziemlich widerlich,
wenn sie darüber nachdachte. Gut, dass es dunkel war. Gut, dass er sie nicht
genau sehen könnte. Dom wäre jetzt wahrscheinlich eine tausendmal attraktivere
Alternative….
„Das…
ließe sich einrichten“, sagte seine Stimme, und sie hörte das Lächeln deutlich.
Was meinte er jetzt damit?
„Ach
ja?“, entkam es ihr verwirrt, und mit seinen Daumen zeichnete er schwache
Kreise über dem Stoff ihrer Jacke.
„Wenn
du… Lust hast… können wir in das Badezimmer der Vertrauensschüler. Ich habe
mich für heute Abend eingetragen, es würde also sonst niemand reinkommen.“ Er
wartete, und sie schwieg überfordert.
„Ich…-
wir-?“
„-wir
müssen auch nicht“, sagte er eilig. „Absolut nicht“, ergänzte er.
„Ich
weiß nur nicht, ob… ob ich…“ Sie wusste nicht, was sie sagen wollte.
„Rose,
wir müssen gar nichts tun. Wenn du willst, dann geh alleine. Entspann dich
einfach in der Wanne! Ich hatte nichts… Versautes geplant. Echt nicht!“,
rechtfertige er sich sofort. Hatte er nicht?
„Nein?“,
wollte sie mit einem müden Lächeln wissen, was er nicht sehen konnte. „Wirklich
schade“, ergänzte sie leise, hörte ihn lachen, und es zog in ihrer Mitte, als
er den Abstand schloss. Kurz küsste er sie noch mal, bevor er einen Schritt
zurückmachte.
„Ich
dachte… es könnte so sein wie im Sommer? Wir… sind im Wasser, tun so, als wäre
alles gut?“ Sie hörte, er versuchte, munter zu klingen. Und tatsächlich klang
es verlockend.
„Ich…
brauche einen Badeanzug“, sagte sie, mehr zu sich selbst.
„Besser
wäre das“, hörte sie seine verruchte Stimme. Sie wurde knallrot und war froh,
dass er sie nicht sehen konnte.
„Du
gibst dir verdammt viel Mühe, Malfoy“, bemerkte sie lächelnd, als sie sich von
der Zeltwand abstieß und die runtergefallene Trainingstasche wieder schulterte.
Er trat neben sie, legte ihr den Arm um die Schultern und sie marschierten
durch die Dämmerung nach oben.
„Ich
will dich einfach sehen, das ist alles“, schloss er nonchalant, aber neben
seinem Charme hörte sie tatsächlich, dass er es ehrlich meinte. Sie wollte ihn
auch sehen. Auch wenn es blöd war. Jetzt gerade. Aber sie wollte einfach.
Sie
dachte darüber nach, wusste nicht, wie sie es ungesehen schaffen sollte, aber
sie hatte eine Idee. Eine verrückte Idee, die ein bisschen gefährlich war.
Das
Schloss tat sich leuchtend und groß vor ihnen auf.
„Wir
sollten getrennt rein. Was ist das Passwort für das Badezimmer?“, wollte sie
wissen und löste sich aus seiner Umarmung.
„Feigenwein“,
entgegnete er. „Dann warte ich da“, schloss er, und er ließ ihr den
Vortritt.
Sie
drehte sich im Gehen um. Er wurde von den Lichtern des Schlosses beleuchtet.
Wow. Ihr Herz schlug verdammt schnell. Und fast beruhigte sie, dass Scorpius
ihr die Sache mit Hugo erzählt hatte. Denn selbst, dass Hugo es wusste,
schreckte Scorpius nicht ab. Das war… bemerkenswert. Ein Lächeln stahl sich auf
ihre Lippen, auch wenn sie glaubte, dass er es nicht sehen konnte. Sie hob
winkend die Hand und musste sich beeilen.
Sie fürchtete sich vor dem
Gemeinschaftsraum. Denn, um ihren Bikini zu holen, musste sie wohl oder übel da
durch. Das einzig Gute war, dass die gesamte Schule gerade in der Halle zu
Abend aß. Die Gänge lagen wie ausgestorben, und mit ihrer Trainingstasche über
der Schulter, joggte sie praktisch höher und höher, bis sie keuchend vor der
Fetten Dame innehielt. Kurz musste sie nach Luft schnappen, und mit dem
leisesten Korn an Interesse musterte die Dame sie.
„Passwort?“,
fragte sie, nicht ganz so herablassend wie sonst.
„Herbstgewitter“,
erwiderte Rose atemlos.
„Sehr
richtig. Sehr richtig, Kind“, sagte die Dame, ehe sie, mit wehmütigen Blick
nach draußen durchs gegenüberliegende Fenster in die aufkommende Dunkelheit,
nach außen schwang. Rose hielt die Luft an, trat in das Portraitloch, verharrte
in der dunklen Schwelle – und es war, als bliebe das Glück ihr hold. Nicht mal
ein Erstklässler hockte im Gemeinschaftsraum. Alle waren ausgeflogen. Sie
musste nur darauf hoffen, dass Dom nicht im Schlafsaal lag und nur auf ein
armes Opfer wartete, dem sie ihr endloses Leid klagen konnte.
Noch
nie hatte sich Rose wirklich bemüht, die Stufen lautlos zu erklimmen, aber
heute tat sie es. Nur leise ächzte das alte Holz unter ihren Trainingsschuhen,
und sie fand, sie meisterte es nicht schlecht.
Sie
spähte in den Schlafsaal und hatte noch mal endloses Glück. Niemand da!
Jetzt
gab sie die Deckung auf, sprintet zu ihrer Kommode zerrte die Schublade auf,
entlud ihre Sportsachen unordentlich auf dem Bett und stopfte frische Wäsche
und den gelben Bikini in die Tasche. Sie hatte sich zwei Paar Socken gegriffen,
aber es war egal! Absolut egal! Das hier ging auf Zeit! Sie zog den
Reißverschluss wieder zu, schulterte die Tasche und machte Kehrt. Jetzt kam der
schwierige Teil ihres Plans.
Sie
lief über den Flur und hörte von unten Geräusche, aber wenn alles gut ging,
wäre egal, dass jetzt jemand da wäre. Über den schmalen Gang erreichte sie das
Treppenhaus zu den Schlafsälen der siebten Jahrgänge und hielt sich links, denn
sie wollte zu den Jungen. Sie begegnete niemanden und stahl sich in den
unordentlichsten aller Schlafsäle.
Es
stank etwas nach alten Schuhen und trotz emsiger Arbeit der Hauselfen, waren
die Betten ungemacht und die Schubladen standen teilweise weit offen. Sie
kannte James' Bett. Es war das in der Mitte! Das unordentlichste.
Sie
ließ ihre Tasche fallen und warf sich bäuchlings auf den Holzboden. Es war
düster unter dem Bett und mit spitzen Fingern schob sie alte Socken und Schuhe
beiseite, griff blind durch alte Pergamentblätter schob leere Tintenfässer
zurück, bis ihre Finger das Holz spürten.
Triumphierend
zog sie die Kiste hervor, kramte ihren Zauberstab aus der Tasche und hoffte,
ihr Cousin wäre nicht über die Jahre paranoid geworden.
Die
schmale Kiste war mit einem Antimuggel-Schloss gesichert. Sie tippte es mit dem
Zauberstab an, und dann offenbarte sich das Zifferblatt. 0107 war der Code, und
sie wartete ungeduldig. Das Schloss klickte verheißungsvoll! James hatte den
Code nicht geändert! Sein Geburtstag war immer noch der Schlüssel! Sie öffnete
die Kiste eilig und ein bodenlose Gefühl überkam sie. Ihr Herz sank in ihren
Magen.
Die
Kiste war leer. Nicht ganz. Ein Zettel lag darin. Sie erkannte die Handschrift,
ohne nachdenken zu müssen. Albys Handschrift. ‚Sorry, Jamie! Nur geborgt!‘
Mist!
Alby war schneller gewesen, und James schien nicht mal gemerkt zu haben, dass
der Tarnumhang fehlte! Verdammt! Rose hatte ihn sich ebenfalls borgen wollen!
Wieso bräuchte Alby überhaupt-?
„Rose?“
James' Stimme ließ sie erschrocken zusammen fahren. Ertappt hob sich ihr Blick
aus dem Chaos, dass sie veranstaltet hatte.
„Hey“,
entkam es ihr gedehnt. Seine Augen verengen sich.
„Suchst
du was bestimmtes?“, erkundigte er sich mit erhobenen Augenbrauen bei ihr und
sie wurde rot.
„Ich
wollte ihn nur ausleihen, wirklich!“, beteuerte sie eilig. James trug auch noch
immer seine Trainingsklamotten und sehr schnell begriff sie, er hatte Rumer
wohl nicht gefunden. Nutzlos hockte sie vor seinem Bett und hatte einfach keine
gute Ausrede parat.
„Wieso
fragst du nicht einfach, anstatt ihn zu stehlen?“, wollte er verständnislos von
ihr wissen, und Röte stieg in ihre Wangen. „Wieso brauchst du ihn überhaupt?“,
fuhr er direkt fort. Ihr Mund öffnete sich unschlüssig. Ja, das war so ungefähr
das Problem. Ihr fiel keine gute Lüge ein. „Rose?“ Abwartend betrachtete er
sie, keine Freundlichkeit auf den ernsten Zügen.
„Ich
kann es gerade nicht erklären“, murmelte sie ausweichend.
„Was
soll das heißen?“ Ungeduld zuckte über sein Gesicht. „Steh endlich auf, Merlin
noch mal“, knirscht er jetzt und sie erhob sich.
„Es
ist egal, denn Alby hat ihn ohnehin bereits genommen“, rechtfertigte sie sich
defensiv und James blinzelte verblüfft. Er kam zu ihr, bückte sich zur Kiste
und holte den Zettel hervor.
„Dieser
verdammte...“, begann James finster, beendete den Satz aber nicht. Dann wurde
er wieder wütend. „Hört einfach auf, meine Sachen zu klauen!“, fuhr er sie
haltlos an. Rose senkte den Blick, ein wenig betroffen. Er fuhr sich durch die
Haare und er wirkte nicht glücklich.
„Du...
Du hast Rumer nicht gefunden?“, erkundigte sie sich kleinlaut bei ihm und
sofort schoss sein dunkler Blick wieder hoch.
„Lass
es, Rose“, warnte er sie scharf. Sie hob abwehrend die Hände.
„Ich
frage bloß, Merlin noch mal“, entkam es ihr zorniger als vorher.
„Es
geht dich nichts an!“, beschuldigte er sie ungläubig.
„Sie
ist meine beste Freundin!“, erwiderte sie wütend.
„Wieso
suchst du sie dann nicht, anstatt meine Sachen zu durchwühlen?“, wollte er kalt
von ihr wissen, und wieder wurde ihr heiß.
„Hör
auf, mich anzuschreien!“, beschwerte sie sich gereizt. Und es wurde Zeit, dass
sie ging. Langsam wurde es unten wieder lauter. „Ich gehe schon“, schloss sie
beschämt.
„Wow!
Zuerst bringst du alles durcheinander und jetzt darf ich es aufräumen?“,
blaffte er hinter ihrem Rücken, als sie bereits Kehrt gemacht hatte. Und ihr
Respekt gegenüber ihrem Cousin ging bis zu einem gewissen Grad. Und nicht
weiter. Jetzt schämte sie sich nicht mehr. Zornig wandte sie sich um
„Was
ist dein verdammtes Problem, James?“, wollte sie angriffslustig von ihm wissen,
denn er nervte sie mit seiner Art. Als er sie in den Krankenflügel gebracht
hatte, war er ganz anders gewesen.
„Mein
Problem?“, knurrte er. „Ist das dein Ernst, Rose?“, wollte er wütend wissen.
„Ich komme hier rauf, finde dich in meinen Sachen und du willst, dass ich mich
rechtfertige?“ Aber sie würde darauf nicht eingehen.
„Ich
bitte dich! Du hast nicht mal gemerkt, dass der Tarnumhang nicht da ist! Es ist
dir absolut egal, ob-“
„-darum
geht es verdammt noch mal nicht! Es ist meiner und ich muss nicht hinnehmen,
dass du oder Alby euch an meinen Sachen vergreift!“, unterbrach er sie
ungehalten.
„Es
tut mir leid, ok? Krieg dich wieder ein, Merlin noch mal!“, entgegnete sie
bitter. Sie starrten sich an. Und sie konnte nicht anders, musste ihn noch mal
fragen. „Hast du nach Rumer gesucht?“ Wieder war sein Blick tödlich. „Kann ich
das nicht fragen? Wart ihr bis vor einer halben Stunde nicht noch zusammen?“
Und dann verschränkte er die Arme vor der Brust und wandte sich ab
„Keine
Ahnung.“ Seine ganze Körperhaltung suggerierte Widerwillen und Trotz.
„Wieso
machst du das immer?“, fragte sie fast kleinlaut. „James?“ Sie wartete auf
seine Antwort. Dann atmete er aus.
„Du
verstehst das nicht, Rose. Du hattest noch nie eine Beziehung. Du begreifst die
Zusammenhänge nicht. Es ist komplizierter als Quidditch spielen oder seine
Fäuste einsetzen.“ Und kurz fühlte es sich an, wie ein Schlag in die
Magengrube. Und es verletzte sie. Seine Worte taten weh.
„Ich
muss nicht mit jedem Jungen hier geschlafen haben, um zu wissen, dass dein
Verhalten Rumer verletzt. Und ich muss auch kein Genie sein, um zu begreifen,
dass du einfach nur scheiße bist! Du hast Angst vor dieser Beziehung? Du weißt
nicht, ob du es packst? Schön! Dann sag das, aber hör auf, die Leute zu
verletzen, die eigentlich hinter dir stehen. Und ich weiß, dass du Alby
vermisst! Ich weiß, dass du dich verantwortlich fühlst. Aber vielleicht
solltest du darüber reden, anstatt alle einfach nur abzuschieben, die sich
irgendwie um dich kümmern wollen.“ Sie war ein wenig außer Atem, und James sah
sie immer noch nicht an. Wahrscheinlich war es sinnlos. Sie wandte sich
kopfschüttelnd ab.
„Er
kommt immer mit allem durch!“, flüsterte James praktisch. „Es ist nie irgendein
Problem!“, entfuhr es ihm bitter, und verwundert wandte sich Rose wieder um.
Stur blickte James gegen die Wand. „Und sogar jetzt! Selbst jetzt wird er nicht
mal von der Schule fliegen! Dad wird ihm eine winzige Vorhaltung machen und
dann ist alles gegessen. Kein Problem für Albus Potter, Dads Liebling!“ Rose
blinzelte verblüfft. So hatte sie James noch nie reden gehört. Dann trat er
wütend vor die Kiste, in der Albys verdammte Notiz lag, anstatt der rettende
Tarnumhang. Rose zuckte zusammen. „Weißt du, nicht mal Slytherin war ein
Problem!“, knurrte James mit zitternder Stimme. „Al geht nach Slytherin – na
und? Weißt du, was Dad gesagt hat?“, integrierte er sie plötzlich wieder in
seinen Monolog, und sein Blick hob sich zornig. Sie machte eine unverbindliche
Kopfbewegung, denn sie wusste nicht, ob sie überhaupt reagieren sollte. „Er
hätte sich eben reflektierte Gedanken gemacht!“, entfuhr es ihm. „Reflektierte
Gedanken? Mit zehn Jahren?“, zischte James. „Wäre ich nach Slytherin gekommen –
Dad hätte mich enterbt! Es wäre jeden verdammten Tag ein verdammtes Problem
gewesen! Jeden Tag eine Eule. Und ich bin Kapitän, Rose! Ich bin Kapitän. Al
ist lediglich…- er ist kein Kapitän! Aber das ist scheiß egal, weil er sowieso
besser ist, nicht wahr?“ Seine Hände legten sich erschöpft über sein Gesicht,
und er atmete angespannt aus. Er sprach durch seine Finger, absolut
resignierend. „Und jetzt ist er verschwunden, und Dad sagt, es sei meine
Schuld. Weil ich nicht aufgepasst habe. Weil ich seine Sorgen nicht erkannt
habe. Weil ich mich nicht wie ein großer Bruder verhalten habe.“
„Das
hat er nicht“, flüsterte Rose ungläubig, denn das konnte sie sich von Onkel
Harry nicht vorstellen. James‘ Hände fielen zu seinen Seiten.
„Zwischen
den Zeilen hat er das“, korrigierte er sie bitter. „Ich kenne meinen Vater,
Rose.“
„Er
bevorzugt Alby nicht“, entgegnete sie kopfschüttelnd.
„Alle bevorzugen ihn“, entkam es James besiegt. „Du bevorzugst ihn, oder
nicht?“ Es war eine direkte Frage, und kurz schloss sich ihr Mund.
„James-“,
begann sie vorsichtig, aber er hob die Hände.
„-schon gut, wirklich. Ich meine, er steht auf dich, und trotzdem! Trotzdem ist
er… dein bester Freund, nicht wahr? Er beleidigt deine Mum, aber trotzdem…“, schloss
er finster.
„Er…
er hat es nicht so gemeint“, nahm sie Alby mit tauben Worten in Schutz, und
James lächelte plötzlich.
„Jaah.
Richtig“, entfuhr es ihm grimmig. „Und was, wenn doch? Was, wenn Albus alle
Dinge genauso meint, wie er sagt? Was, wenn Leute einfach mal zugeben würden,
dass er scheiße ist?“ Er verschränkte seufzend die Arme vor der Brust, und Rose
wusste darauf keine Antwort. Und sie glaubte es auch nicht. Sie hatte nicht
gewusst, dass es so eine Konkurrenz zwischen den Brüdern gab. Dass James
überhaupt so fühlte! Sie hatte immer geglaubt, James liebte seinen jüngeren
Bruder. James würde alles befürworten, was Alby tat. James würde…- aber wenn
sie darüber nachdachte, dann… wäre James praktisch heilig, wenn er seinen
Bruder immer nur vor sich selber stellen würde.
Aber
James sah manche Dinge ebenfalls nicht. Zumindest nicht völlig klar.
„Du
bist unser Anführer, James“, entkam es Rose kleinlaut. Belustigt hob er den
Blick.
„Ja,
sicher“, tat er ihre Worte ab.
„Doch,
bist du. Dein Wort gilt. Und ohne dich, hätte Albus keine Möglichkeit,
überhaupt… so zu existieren. Du bist… der König der Gryffindors“, sagte sie,
ein wenig theatralisch. „Du bist der älteste, du… hältst deine Familie hoch,
und du liebst Alby und Lily… und… uns. Und ohne dich… wäre Hogwarts nur halb so
lustig, wenn überhaupt“, griff sie tief in die Trickkiste – auch wenn sie
teilweise wirklich so empfand. James war… Hauptbestandteil ihrer Gruppe. James
Potter war der Name, der aus ihrer Gruppe hervorstach. Er war es, dem die
Mädchen nachliefen – und James sah es überhaupt nicht! Alles, was er sah, war
sein Bruder. Und dass er scheinbar nicht gleichauf mit ihm war. Dabei war er
meilenweit über Alby. „Die Mädchen stehen auf dich, nicht auf Alby. Fred und Louis
folgen dir, garantiert nicht Alby. Und ich denke, dein Dad ist unheimlich froh,
dass sein ältester Sohn nach Gryffindor geht. Dass du… genauso bist wie er.“
„Ich
bin kein Held“, entfuhr es James sofort.
„Du
bist… mein Held. Du hast mich in den Krankenflügel gebracht. Du bist Rumers
Held – zumindest, wenn du kein Arschloch bist“, ergänzte sie sachte, und seine
Züge wurden weicher. Sein Kopf sank und er starrte unglücklich auf den Boden.
„Und du bist Albys Held, auch wenn er es nicht sagt. James, es ist nicht
einfach, der große Bruder zu sein. Vor allem nicht, wenn du das Gefühl hast,
deine Eltern mögen deinen jüngeren Bruder lieber“, entfuhr es ihr leiser, und
langsam hob sich sein Blick wieder. Denn er hatte verstanden.
„Deine
Eltern mögen Hugo nicht lieber. Niemand mag Hugo lieber als dich, Rose“,
versicherte er ihr sofort, aber sie lächelte traurig.
„Ja?“,
entfuhr es ihr demonstrativ, denn sie hatte da Zweifel. „Deine Eltern mögen
Alby auch nicht lieber als dich, James.“ Sie war sich bei ihr und Hugo nicht
sicher. Wenn sie ehrlich war, mochte sie Hugo auch lieber als sich selbst.
Manchmal wäre sie gerne etwas mehr wie Hugo, und weniger wie sie selbst.
„Wieso
kommt er nicht wieder?“, fragte James sie jetzt unglücklich.
„Weil
er feige ist“, beantwortete Rose die Frage ehrlicher, als sie gedacht hatte.
„Er ist ein feiger Slytherin, James“, ergänzte sie, und langsam hoben sich
James‘ Mundwinkel wieder.
„Richtig. Im Herzen ist er also feige, und deshalb ist er ein Slytherin?“,
fasste James zusammen, und auch wenn es nur halb ernstgemeint war, grinste
Rose.
„Ja.
Er war nie etwas anderes.“ Und dann atmete James lange aus.
„Ich…
sollte Rumer finden“, entfuhr es ihm, und er merkte schon wieder nicht, dass er
andere vor sich stellte. Dass er eigentlich… viel besser war, als Alby. Und
Rose wusste nicht, warum James nicht ihr bester Freund war. Vielleicht war das
die Last, die er zu tragen hatte. Er war der älteste, und… er hatte die
Verantwortung zu übernehmen, ob er eben wollte oder nicht. Und deshalb war er
vielleicht… allein. Zumindest mit diesen Sorgen und Gedanken. Aber sie nickte.
„Ja.
Rumer mag dich. Sehr. Warum auch immer“, ergänzte Rose beinahe scherzhaft.
James hob die Augenbraue.
„Weil
ich James Potter bin“, bemerkte er, aber es klang mäßig halbherzig. Aber den
größten Schmerz, schien er überwunden zu haben. Und dann legte sich sein Kopf
ein wenig schräg. „Wofür brauchst du den Tarnumhang?“ Er fragte wieder, aber
sie wusste, sie könnte ihm keine ehrliche Antwort geben. Aber… sie könnte es versuchen.
Sie hatte das Gefühl, sie schuldete es ihrem Cousin.
„Ich
wünschte, ich könnte es dir sagen. Aber leider kann ich nicht, ok?“, erwiderte
sie entschuldigend, und er atmete lange aus.
„Gibt
es Probleme, Rose?“, erkundigte er sich ernsthaft bei ihr, und sie war sich
nicht sicher. Sie nahm an, es würde sehr viele Probleme geben.
„Nein“,
log sie halbwegs sicher. „Es ist… einfach… privat. Etwas, was keinen Weasley
und keinen Potter etwas angeht“, schloss sie achselzuckend.
„Ein
Geheimnis, also?“, schloss er mit gerunzelter Stirn, und vage nickte sie.
„Schätze
schon“, bestätigte sie stiller.
„Dann…
sei vorsichtig“, war alles, was er noch sagte, bevor er zu ihr kam. „Ist das…
so ein Moment, wo wir uns umarmen?“, fragte er, ehrlich unsicher. Sie musste
grinsen.
„Wir
sind nass geschwitzt und tragen noch unsere Trikots. Ich würde hoffen, wir
umarmen uns nicht“, bemerkte sie mit leicht angewidertem Ausdruck, und James
musste tatsächlich lachen. Und es klang schön. Sie mochte es, wenn er lachte.
Dann sah er aus, wie Onkel Harry. Und er ignorierte sie, nahm sie in eine
schraubstockartige Umarmung und drückte sie an sich. Und so sehr, wie sie
geglaubt hatte, dass er stinken würde, stank er nicht. Sie atmete resignierend
aus, drückte ihn ebenfalls kurz und machte sich dann von ihm los.
„Geh
und finde Rumer, du Drama-Queen“, fuhr sie ihn lächelnd an.
„Oh
bitte!“, erwiderte er grinsend. „Immerhin laufe ich nicht weg, klaue den
Tarnumhang und fälsche Dads Unterschrift!“, bemerkte er spöttisch. Dann
erhellten sich seine hübschen Züge. „Aber dafür wird er verdammten Ärger
kriegen“, schien ihm aufzufallen. „Ich freue mich schon“, schloss er, drückte
kurz ihre Schulter, bevor er den Schlafsaal verließ.
Und
Rose musste sich beeilen. Denn jetzt klang der Gemeinschaftsraum ziemlich voll.
Es wäre ein Wunder, würde sie nun unbemerkt hier raus kommen.
Man
konnte nur hoffen….
Er fragte sich, was passiert war. Auch
nach einer halben Stunde, war sie nicht aufgetaucht. Vielleicht war der Plan
schief gegangen. Vielleicht war der Gemeinschaftsraum voll gewesen. Vielleicht
musste sie Dominique trösten – oder Rumer. Er hatte mitbekommen, wie James sie
angefahren hatte. Ob das nun auch das Ende dieser Beziehung war, fragte sich
Scorpius dumpf, während er wie ein Idiot auf der Holzbank saß, bereits in
seiner Badeshorts, und feine Schweißperlen seine Stirn hinabliefen, denn die
Wanne hatte er bereits gefüllt.
Er
kam sich scheiße vor. Vielleicht war es auch so, dass sie Angst bekommen hatte.
Dass sie noch mal nachgedacht hatte, und dass sie sich nicht vorstellen konnte,
einfach so mit ihm zu baden. Er hatte nicht richtig nachgedacht. Immerhin war
sie unerfahren. Unerfahrener als er es war.
Und
fast schrak er zusammen, als sich die Tür endlich öffnete. Er hatte sie noch
nicht verriegelt, sprang praktisch in die Senkrechte, aber es war Rose! Ihr
Atem ging schnell, und sie schloss die Tür hinter sich. Und sie war es auch,
die das Schloss sofort verriegelte. Dann warf sie ihre volle Trainingstasche
auf die Fliesen und sah sich schließlich beeindruckt um.
„Wow!“,
entfuhr es ihr. „Das ist euer Badezimmer?“, wollte sie entgeistert wissen.
„Wofür? Weil ihr alle ein Ohnegleichen in Zaubertränke hattet?“, fuhr sie
kopfschüttelnd fort. „Das ist… so ungerecht! Hugo hat nie davon erzählt!“,
flüsterte sie, während ihre Finger über die bunten Mosaikfliesen an der Wand
fuhren und sie lächelnd die Meerjungfrau beobachtete, die sich ihre blonden
Mosaikhaare kämmte und ihr keinerlei Beachtung schenkte. Scorpius erinnerte
sich, dass die Meerjungfrau Dominique immer wachsam betrachtet hatte, sich von
Dominuques Schönheit praktisch herausgefordert gefühlt hatte, und erst jetzt
begriff er, dass er mit Dominique hier auch mehr als einmal gewesen war. Fast
hatte er ein schlechtes Gewissen, dass er diese Tradition mit Rose fortsetzte,
als… als bedeute es irgendetwas. Und sofort dachte er an Hugos Worte, die
irgendetwas Seltsames in seinem Magen auslösten. War sie in ihn verliebt?
Er
ging nicht auf ihre Worte ein, denn er wusste nicht genau, was er dazu sagen
sollte. „Gab’s Probleme?“, wollte er von ihr wissen und kam näher. Sie
reagierte sofort, wirkte fast verschlossener als vorhin, schien erst jetzt zu
bemerken, dass er nicht viel mehr trug als Shorts, und er sah die Röte in ihren
Wangen sofort.
„Nichts
Besonderes“, erwiderte sie kleinlaut. Sie log, dachte er sofort. Er konnte es
hören. „War nur voll“, schloss sie.
„Hast
du… mit irgendwem gesprochen?“, fragte er sie, denn ihn interessierten die
Probleme. Er war schon Tage lang kein Teil mehr der Probleme in Gryffindor,
hatte mit keinem von ihnen mehr gesprochen, und fast wünschte er sich, dass sie
ein wenig mehr erzählen würde, aber sie gönnte es ihm nicht, zuckte lediglich
die Achseln.
„Nein,
es hat… einfach nur länger gedauert“, schloss sie knapp und sah überall hin,
nur nicht auf seinen Oberkörper.
„Ok“,
entgegnete er. Irgendetwas war anders, als noch vor einer Stunde, als er sie
draußen getroffen hatte. Sie sah ihn nicht wirklich an. Hatte sie doch Zweifel?
Ging es zu schnell. Steif stand sie vor ihm, die Arme verschränkt. Ihr Trikot
so anders als seins. Ihre Haare steckten hoch in dem unordentlichen Zopf und
Dreck klebte über ihrer Stirn. Sie bemerkte solche Dinge nicht. Sie störten
solche Dinge nicht. Dominique hatte immer einen Handspiegel in ihrer Tasche
gehabt. „Alles ok?“, wollte er dann wissen, obwohl er annahm, es war wenig ok.
Vielleicht hatte sie Zeit zum Nachdenken gehabt. Vielleicht war sie in ihrem
Gemeinschaftsraum gewesen und wollte auch lieber dort sein. Bei ihren
Verwandten, ihren Freunden, anstatt irgendwelche verbotene Scheiße mit einem
Slytherin zu treiben, der nicht mehr dazu gehörte. Was bei Merlin war los mit
ihm, dachte er unwillkürlich. Wieso machte er sich solche Gedanken?
„Ja“,
bestätigte sie blind, ohne nachzudenken. „Alles ok“, wiederholte sie nickend.
„Wir…
können das auch lassen“, sagte er schließlich. Jetzt hob sich ihr abwesender
Blick. Irgendetwas flackerte über ihr Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wieso er
beleidigt klang.
„Was?“,
entfuhr es ihr tatsächlich verblüfft.
„Das…
hier“, ergänzte er, deutete auf das runde Badezimmer, und sie folgte seiner
Geste. Jetzt erst schien sie sich zu besinnen. Ihr Kopf schüttelte sich
automatisch.
„Nein. Sorry, ich war… abgelenkt. Alby, Rumer… diese Sachen“, räumte sie ein
und sah ihm direkt ins Gesicht.
„Dann
erzähl mir davon“, bat er sie tatsächlich, ohne es verhindern zu können. Sie
blinzelte überrascht. Sein Herz schlug etwas schneller.
„Ich glaube, dass… gehört hier nicht hin?“, entkam es ihr als Frage, ernsthaft
unsicher. Und fast störte es ihn. Es störte ihn, dass sie ihn ausgrenzte, und
es störte ihn, dass… sie vollkommen Recht hatte. Sie trennte es. Und das tat
sie wesentlich konsequenter als er es wohl tat. Es gab… ihre Welt. Ihre Familie
und Freunde, und… dann gab es ihn. Sie waren keine Freunde. Sie erzählte ihm
diese Dinge nicht. Tatsächlich vergaß er es immer wieder. Ihre Stirn runzelte
sich langsam. „Richtig?“, ergänzte sie, immer noch unsicher, und er wusste, er beging
einen großen Fehler, wenn er die Parameter dieser Beziehung ändern wollte. Wenn
Hugo Recht hatte, dann durfte er ihre Gefühle nicht unterstützen, indem alles
viel persönlicher würde, als es sein sollte. Er wusste nicht, warum er so viel
darüber nachdachte, warum es ihn praktisch jagte, dass sie in ihn verliebt sein
könnte. Er war sich nicht mal sicher, ob es ihm gefiel. Oder ob es ihn
verängstigte.
„Richtig“,
antwortete er schließlich. Und wieso machte er es sich selber so schwer. Sie
war hier. Und sie war nicht hier, um zu reden. Das hatte sie ziemlich deutlich
gemacht. Er zwang sich, nicht mehr an die Weasleys zu denken. Nicht mehr an die
Potters. Nicht an Al. „Hast du Lust auf ein Bad?“, fragte er also, und
gleichzeitig mochte er nicht, dass sie rot wurde. Es kam ihm so vor, als zwinge
er sie zu diesen Dingen, und sie machte mit, weil… er ihr es auferlegte.
„Klar“,
sagte sie dann, und Rose war eine schlechte Schauspielerin. Er sah genau, was
sie dachte. Sie hatte Angst. Sie hatte Sorge. Sie schämte sich. Aber ihr Trotz
und ihre Sturheit erlaubten diese Ehrlichkeit nicht. Er kam sich vor, wie eine
dumme Herausforderung, die sie konstant anzunehmen hatte. Aber bevor er
irgendetwas sagen konnte, hatte sie ihre Sporttasche ergriffen, schritt an ihm
vorbei und inspizierte das Bad, erkannte die Nischen in der Ecke, in der man
sich umziehen konnte. Sie zog den hellen Vorhang aus Leinen zu, und er sah nur
noch ihre Füße. Fast wünschte er sich, dass sie ehrlicher war, aber…
ironischerweise baute diese ganze Affäre auf Unehrlichkeiten auf, oder nicht?
Was
war los mit ihm?!
Seufzend
schritt er zur Wanne und wusste nicht, warum er sich plötzlich so fühlte. Warum
er plötzlich dachte, es wäre alles ein Fehler. Er musste damit aufhören. Denn
er wollte sie. Noch immer. Er betrat die Wanne über die schmalen eingelassenen
Stufen. Das warme Wasser umspülte seine Füße und nachdenklich schritt er
weiter, bis das Wasser ihm bis zur Brust ging. Er watete an den Rand, setzte
sich auf die eingelassene Steinbank legte seine Arme links und rechts neben
sich ab, und wartete. So wie schon eine halbe Stunde zuvor. Unbeeindruckt
kämmte die Meerjungfrau weiter ihre Haare, warf ihm ab und an einen kurzen
Blick zu, und die vielen Hähne tropften unregelmäßig. Die Geräusche hallten von
den hübschen runden Wänden wider, aber die rechte Stimmung wollte ihn nicht
erfassen. Er konnte die Gedanken nicht gut sortieren, und immer wieder nagte
die Tatsache an ihm, dass Hugo Bescheid wusste. Was dachte sie darüber? War es
ihr egal? Ließ sie es darauf ankommen? Weil sie in ihn verliebt war? Wieder
diese Gedanken. Und dass er wusste, dass all das ein Fehler sein würde, half
nicht.
Wirklich
nicht. Dass er die Weitsicht hatte, diese Dinge einzuschätzen, half absolut
nicht.
Sie
zog den Vorhang zur Seite. Fast automatisch richtete er sich auf, saß plötzlich
aufrechter als vorher. Bilder zuckten durch seine Erinnerung. Sie trug den
gelben Bikini. Sie war nicht mehr so gebräunt, wie sie es im Sommer gewesen
war. Ihre Taille war so schmal, die Hüften aber wunderbar rund geschwungen. Und
sie hatte den Zopf gelöst. In wilden Wellen fielen ihre satten Haare über ihre
Schultern, und ihr Gesicht zeigte Scheu, aber auch Neugierde. Er konnte… nicht
erwarten, sie zu berühren. Seine Finger kribbelten praktisch. Und es war, wie
im Sommer, nur jetzt… durfte er sie anfassen. Selbst die Meerjungfrau vergaß
für ein paar Sekunden, ihre Haare zu kämmen, beobachtete Rose mit kurzer
Eifersucht, ehe sie sich komplett abwandte, ihnen den Mosaikrücken zukehrte,
und seine Aufmerksamkeit widmete sich dem sphärisch schönen Mädchen, was die
Wanne betrat. Unsicher steckte sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr, und er
wusste nicht, warum sie jetzt so viel sinnlicher und erwachsener wirkte. Es war
einfach verrückt. All seine vorherigen Gedanken, die von Zweifel getrieben
worden waren, verpufften einer nach dem anderen, je näher sie kam. Das Gefühl
war wieder da. Vielleicht hatte sie Recht. Sie brauchten nicht reden! Über
absolut gar nichts!
Er
musste sie berühren. Er musste sie spüren. Am liebsten wollte er jede Stelle
ihres Körpers spüren! Er wusste nicht, ob es ihm anzusehen war, aber als sie
keine zwei Schritte von ihm entfernt war, färbten sich ihre Wangen wieder. Zwar
war es heiß hier, aber er erkannte den Unterschied zwischen Hitze und Scham.
Und dieses Mal störte es ihn nicht. Gar nichts mehr störte ihn. Seine Hormone
übernahmen.
„Hey“,
sagte er sinnbefreit, hatte das Bedürfnis, sie noch mal zu begrüßen, ihr…
irgendwie zu versichern, dass er ihr nichts tun würde, dass er nichts machen
würde, was sie nicht auch wollte, und es war ihrer Unerfahrenheit
zuzuschreiben, dass sie einfach nicht begriff, dass ihre Anwesenheit ihn zu
einem sabbernden Vollidioten machte. Sie konnte ihn scheinbar nicht gut lesen.
Besser so.
Dann
stand sie vor ihm. Und jetzt gerade würde er jedes Versprechen vor ihr ablegen,
jeden Schwur. Wow. Sie war… unfassbar schön. Ihr Gesicht, ihre Konturen. Er
hatte sich das Gesicht ihrer Mum nicht eingeprägt, als sie nach Hogwarts gekommen
war, aber… sie besaß etwas, dass ganz und gar nicht Weasley war. Etwas
Feineres, etwas… Dekadenteres als das.
„Hey“,
wiederholte sie atemlos. Und er hatte sich geschworen, er würde sie nicht
drängen, würde vielleicht eher versuchen, ein Gespräch mit ihr zu führen – aber
wie dumm von ihm. Er konnte sich kaum abhalten. Längst war er aufgestanden, war
ihr den letzten Schritt entgegen gekommen. Mit aller Macht, versuchte er die
Ungeduld zu unterdrücken, als er die Hand hob, als er ihr Gesicht einfach berühren
musste. Noch immer waren winzige Spuren von Dreck auf ihrem hübschen Gesicht
verteilt, verdeckten die perfekten Sommersprossen, und sein Daumen fuhr über
ihre cremig weiche Wange. Wow…. Er musste. Er konnte nicht anders.
Er
schloss den Abstand, senkte den Kopf, atmete sie gleichzeitig ein, schmeckte
ihre Wildheit bereits auf den Lippen, und dann küsste er sie, verschloss ihre
Lippen, und sie lehnte sich in den Kuss, schmiegte ihren Körper an seinen, und
ihre Haut zu spüren, brachte ihn praktisch um. Seine andere Hand hob sich
ebenfalls, griff um ihren Nacken, und er vertiefte den Kuss automatisch,
stöhnte in ihren halbgeöffneten Mund, bevor sich seine Zunge instinktiv und
besitzergreifend zwischen ihre Lippen schob. Und ihre Fingerspitzen lagen auf seinen
Schultern und schickten elektrische Stöße durch seinen Körper. Seine Hand fuhr
durch ihre wilden Haare, wollte alles an ihr spüren, und sie war es, die ihn
zurückdrängte, sich mit ihm weiterschob, bis sie die Bank wieder erreicht
hatten, und blind setzte er sich, und ohne Zögern kletterte sie über ihn,
setzte sich rittlings auf ihn, senkte den Kopf wieder und küsste verlangend
seine Lippen.
Wie
schnell sie das gelernt hatte, wie leicht ihr das zu fallen schien. Worte waren
nicht wirklich ihre Stärke, aber alles andere – alles Sinnliche – fiel ihr viel
zu leicht, dachte er atemlos. Ihren Körper zu spüren, ihren festen Körper, ihre
feinen Muskeln, ihre perfekte Haut! Sein Kopf lehnte sich zurück, seine Zunge
begegnete ihrer entschlossen und ohne Zögern, und seine Erektion war bereits
steinhart.
Er
war hart, seitdem sie die Kabine verlassen hatte.
Er
wollte sie spüren! Er wollte es unbedingt. Er wollte mit ihr schlafen, und
dieser Gedanke zerschoss alle Ängste und Sorgen, die er empfand. Er wollte es!
Es war
so dumm von ihm gewesen. Zu glauben, sie kämen hier her, um… zu schwimmen?
Wirklich? Hatte er gedacht, das könnte er? Dazu wäre er fähig?
Fast
schmerzte es ihn, aber bevor er nicht mehr denken konnte, schob er sie von
sich. Sanft, aber bestimmt. Und fast ärgerlich sah sie auf ihn hinab. Mit
fragender Ungeduld.
„Alles…
alles ok?“, wisperte sie, die Lippen verlockend geschwollen, die Wangen rot und
ihr Körper so willig über seinem.
„Mhm“,
machte er angestrengt, und lächelnd runzelte sich ihre Stirn.
„Willst…
willst du nicht-?“, begann sie zaghaft, aber er konnte sie nicht mal
aussprechen lassen.
„-ich
will“, entfuhr es ihm hastig, rau, hungrig. „Ich will, aber…“ Er konnte nicht.
Er wollte ihr keine Angst machen.
„Aber?“,
wagte sie zu fragen, und absolute Unsicherheit schoss über ihre schönen Zügen.
Unbewegt schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht. „Mache… ich was falsch?“,
entfuhr es ihr erschrocken, und wieder schüttelte er den Kopf.
„Nein,
du… machst gar nichts falsch. Ich… ich kann einfach…“ Er wusste nicht, was er
sagte. Sie wollte von ihm klettern, aber sofort griffen seine Hände in ihre
bloßen Hüften. „Nicht“, flüsterte er verzweifelt, schüttelte den Kopf, brachte
sie näher an sich, überwand den Abstand und küsste hungrig ihre Lippen. Schmerzhaft
erregend presste sie ihren Schoß in seine Erektion, und er stöhnte grollend in
ihren Mund.
Scheiß
egal!
Absolut
egal!
Seine
Finger zogen die Träger ihres Bikinis über ihre Schultern, tiefer, und sein
Mund löste sich von ihren Lippen. Bevor sie protestierend konnte – bevor sie
irgendetwas tun konnte – zog er den Stoff tiefer. Seine Lippen fielen auf ihre
Haut, er atmete sie ein, und seine Hand griff um ihre Brust. Gierig leckte er
über ihre erhobene Brustwarze, saugte sie in seinen Mund, ließ seine Zunge
provozierend im Kreis wandern, und ihre erstickten Geräusche der Erregung
ließen jedes Blut aus seinem Gehirn tiefer wandern. Ihre Fingernägel kratzten
unbewusst über seine Kopfhaut und sie lehnte sich ihm entgegen. Er widmete sich
ihrer anderen Brust, und ihr Atem ging unregelmäßig. Ihre Bewegungen wurden
ungeduldiger, und er wusste nicht, wie er vorsichtiger oder langsamer sein
sollte, wenn er nicht anders konnte. Wenn sie ihn nicht mal ließ.
Und
dann griff sie in seinen Nacken, zog seinen Kopf höher, küsste ihn voller Lust,
und seine Hand wanderte zwischen ihre Körper, verschwand in ihrem Höschen, und
keuchend schnappte sie nach Luft, während er zeitgleich seine Zunge zwischen
ihre Lippen schob, und zwei Finger tief in sie stieß.
Ihre
Atmung beschleunigte sich, wurde flacher, aber sie ließ ihn nicht einfach
gewähren. Nein! Ihre Hand glitt ebenfalls tiefer, griff mühelos in seine
Shorts, und fast wurde ihm schwarz vor Augen, als sich ihre Finger um seinen Schwanz
schlossen.
Er
wusste, wenn er jetzt nicht den Willen fand, aufzuhören, würde er zwischen
ihren Finger kommen, und dann… würde es eklig in der Wanne werden. Mit aller
Macht löste er sich von ihr, entfernte seine Finger aus ihr. „Rose“, brachte er
zwischen den Zähnen hervor, umfing ihr Handgelenk, und sie schien nicht zu
verstehen. Abwehr huschte über ihre geröteten Züge, und sie schien zu glauben,
sie mache etwas falsch. „Wenn du weiter machst, komme ich“, brachte er schwer
atmend hervor, und dann hoben sich ihre Mundwinkel.
„Ist
das nicht der Plan?“, wisperte sie über ihm, und sie schien nicht zu wissen,
wie unglaublich perfekt sie aussah, auf seinem Schoß, mit ihren offenbarten
Brüsten und dem frechen Ausdruck auf den Lippen.
„Nicht…
hier. Nicht im Wasser. Noch… nicht“, ergänzte er schwer atmend. Sie biss sich
auf die Unterlippe, und dann ließ sie widerwillig von ihm ab. Sie zog sogar die
Träger ihres Bikinis wieder über die Schultern, verpackte ihre Brüste, auch
wenn ihm das nicht gefiel. „Lass uns das nicht überstürzen. Wir haben den
ganzen Abend“, erklärte er, zauberte ein schiefes Lächeln auf seine Lippen, und
sie kletterte von seinem Schoß, setzte sich auf die Steinbank und betrachtete
ihn.
„Wieso…
kommst du so schnell?“ Sie fragte ihn mit echtem Interesse und leuchtend roten
Wangen, und seine Augenbrauen hoben sich. Fast amüsiert betrachtete er sie und
schüttelte den Kopf. Sie war… zu niedlich.
„Weil
du mich erregst“, beantwortete er ihre Frage rau, um Ernsthaftigkeit bemüht.
„Wirklich?“,
vergewisserte sie sich eine Spur ungläubig, und er rückte näher, legte den
Zeigefinger unter ihr Kinn und nickte, als er den Kopf senkte. Sie wusste es
nicht. Es machte sie noch unwiderstehlicher in seinen Augen. Wie konnte sie es
nicht wissen? Wie konnte sie es nicht sehen?! Sah sie nicht, was er sah?
„Wirklich“,
bestätigte er tonlos, überwand den Abstand und hauchte einen Kuss auf ihre
Lippen. Sie löste sich schnell wieder von ihm. Und diesmal wirkte sie recht
ernst.
„Scorpius“,
begann sie, und er runzelte die Stirn.
„Ja?“,
erwiderte er, und er versuchte, seine Gedanken in irgendeine Richtung zu
drängen, damit seine Erektion nicht so unerträglich schmerzhaft blieb. Sie
machte ihn fertig.
„Wann…
wann haben wir Sex?“
Sie
fragte das tatsächlich. Fast sogar… ein wenig vorwurfsvoll? Fast verschluckte
er sich am Badewasser, so überrascht wich er vor ihr zurück. Und diese Frage
half seiner Erektion gar nicht! Merlin, sie musste damit aufhören! Und sein
Herzschlag beschleunigte sich. Rapide. Allein, dass sie das Wort sagte!
„Hast
du es… irgendwie eilig?“, rang er sich mühsam ab, und konnte nicht begreifen,
wie sie es kaum schaffte, sich nicht ohne Erröten vor ihm umzuziehen, aber bei
solchen Fragen, schaffte sie, ein verdammtes Pokerface zu behalten.
„Du…
nicht?“, wisperte sie fast, und immerhin, die lächerliche Aussicht, dass er
vielleicht nicht wollte, brachte ihren Scham zurück.
Und
dann wollte er sprechen. Er wusste genau, was er sagen wollte. Er wollte ihr
sagen, dass sie es sich gut überlegen musste, dass sie vielleicht darüber
nachdenken sollte, ihr erstes Mal mit jemandem zu haben, mit dem sie in einer
Beziehung war. Er wollte sie warnen, dass sie keinen Fehler begehen sollte, der
nicht rückgängig zu machen war. Dass er besser sein wollte, als ein scheiß
Idiot, der sie einfach nur vögeln wollte, dass er… sich scherte. Es war keine
Beziehung, und dass sie das verstehen musste. Dass es… zu Ende gehen würde. Und
fast konnte er erahnen, was sie dazu sagen würde. Sie würde denken, er glaube,
sie könne es nicht trennen, so wie es kein Mädchen trennen konnte. Vielleicht
würde sie wütend werden. Und er wollte das hier nicht bereuen und wollte, dass
sie es nicht bereute! Dass sie nicht irgendwann einen Vollidioten fand, den sie
heiraten konnte, den ihr Dad nicht verabscheute, so wie ihn, und diesen Abend
hier bereute!
Aber
bevor er den Mund öffnen konnte, bevor er all diese Worte sagte – schaltete
sich sein Gehirn ein. Es war, als kippte der verdammte Schalter, als wäre das,
was vorher in nicht greifbarer Dunkelheit gelegen hatte, in plötzlich grelles
Licht getaucht.
Er
konnte das nicht. Sie war nicht das Problem. Er war das Problem! Wie hatte ihm
das entgehen können? Er spürte, er wollte keine Affäre. So eine Scheiße.
„Scorpius?“
Er hatte zu lange geschwiegen. Fuck.
„Nicht…
heute“, entkam es ihm tonlos. „Ok?“, setzte er hinterher, versuchte irgendeine
Ruhe in seine Stimmung zu legen, aber es misslang ihm kläglich. Er wollte nicht
mit ihr schlafen, wenn es nichts bedeutete. Es schien, als wäre das Konzept
einer Affäre an ihm vorbei gegangen. Als wäre er das Mädchen. Und er verstand
nicht. Was war los mit ihm? Er wusste, dass es keine Zukunft hatte. Warum war
er so scheiße? Merlin, fast wirkte sie enttäuscht. Als wäre Sex etwas, das
keine Schäden verursachte, keine Konsequenzen mit sich brachte.
Und
fast glaubte er, Hugo irrte sich. Rose ließ ihn nicht an sich ran. Sie gab ihm
physische Zuneigung, aber er glaubte nicht, dass sie irgendein Interesse daran
hatte, dass er sonst Teil ihres Lebens wurde. Und genau das hatten sie
abgemacht.
„Oh“,
flüsterte sie.
Immerhin.
Er hatte keine Erektion mehr. Großartig.
„Ich…
enttäusche dich, oder? Ich meine, physisch? Weil ich nicht genau weiß, wie ich
mich verhalten soll? Wie ich dich berühren soll?“ Sie klang so verloren, und er
hasste das. Er hasste jedes ihrer Worte, denn es war so falsch.
„Rose“,
entfuhr es ihm gepresst, denn sie sollte aufhören zu reden. Sie sollte
aufhören, so einen Unsinn zu erzählen.
„Wenn
du mir zeigst, was ich-“
„-halt
den Mund!“, knurrte er, beinahe zornig, und beinahe war es unpassend. Die Wut
hinter seinen Worten, aber es ärgerte ihn. Und seine Hand schlang sich um ihren
Nacken, und beinahe grob zog er ihren Kopf zur sich. Beinahe zornig küsste er
sie, und nicht, weil er sauer auf sie war. Er war sauer auf sich, er war sauer
auf Presley Ford – er war sauer, dass er ein Malfoy war. Es war irrational, und
doch war es vollkommen logisch. Überrascht keuchte sie auf, hatte nicht mit
diesem Überfall gerechnet.
Seine
Erektion erwachte schlagartig wieder. Er atmete sie ein, genoss ihren Duft und
verschlang ihre sinnlichen Lippen. Das hier… konnte er haben. Das war alles,
was er kriegen konnte. Und im Moment war es alles, was er brauchte. Und er
wollte mit ihr schlafen – es war alles, woran er seit Monaten dachte! Aber… er
durfte nicht. Es gäbe kein Zurück danach. Er war sich sicher. Und die anderen
Dinge, die sie tun konnten…, müssten reichen. Er war so egoistisch. Er wollte
mehr von ihr, als er haben konnte.
Schwer
atmend löste er sich von ihr, und ihr Blick war benebelt. Er hob die Hand,
seine Knöchel fuhren über die Linie ihres Kiefers. Halb war ihr Mund geöffnet,
und sein Daumen rieb über ihre geschwollene Unterlippe. „Wir… können anderen
Dinge tun“, sagte er rau, rauer als beabsichtigt, und sie blinzelte ein wenig
abwesend. „Vertraust du mir?“, fragte er sie, und dunkel färbten sich ihre
Wangen. Er spürte, dass ihr Atem abflachte. Wortlos nickte sie schließlich.
Seine Erektion pulsierte mittlerweile. Dann erhob er sich, ergriff ihre Hand
und zog sie mit sich. Sie folgte ihm, absolut freiwillig, ein wenig ungeduldig,
und sie verließen die Wanne. Er wollte sie spüren. Er wollte… sie schmecken.
Er
bugsierte sie zu einer der Duschkabinen, zog den Vorhang zur Seite und wandte
sich wieder um. Er überragte sie, und verlangend fuhren seine Hände über ihre
Seiten. Ihr fester Körper war ein absoluter Traum. Es half wirklich nicht, dass
sie so gut aussah unter den Schichten Trainingsklamotten und frechen Sprüchen.
Wirklich nicht. Seine Finger hakten sich in die Seiten ihres Höschens, und ihr
Blick flog praktisch hoch zu seinem Gesicht.
„Es…
wird dir gefallen“, murmelte er dunkel, und sie schluckte schwer. Er sah es
genau. Und er wusste, er hatte Recht. Sie würde es lieben. Langsam zog er ihr
Höschen tiefer, über ihre Hüften, und mit flachen Atemzügen, biss sie sich auf
die Lippe, und dass sie den Blick nicht von ihm abwandte, machte ihn
wahnsinnig. Er war so absolut krank, denn schon jetzt wusste er, dass er nicht
mit der Aussicht leben konnte, dass ein Arschloch wie Presley Ford sie so
berührte. Er konnte nicht.
Es
war ein deutliches Warnsignal, das er jetzt gerade leider ignorieren musste.
Sein Körper handelte bereits instinktiv. Er konnte gar nicht anders.
Und während
er das Höschen tiefer zog, ging er auf die Knie. Ihr Blick fiel, und sie
schnappte nach Luft. Sie schämte sich, versuchte, ihre Beine zusammenzuhalten,
aber er griff um ihre Kniekehle, hob ihr Bein hoch und legte es sich über die
Schulter. Ihre flachen Hände stützten sich hastig gegen die Fliesen hinter
sich.
„Scorpius“, flüsterte sie panisch, aber er hob den Blick, sah sie von unten
herauf an, und er hoffte lediglich, dass die Dinge, die er mit ihr tat, ihr
Bewusstsein ändern würden, dass sie zu dem Schluss käme, diese Dinge nur mit
ihm erleben zu wollen, und auch wenn er sie damit beide verdammte. Jetzt gerade
kümmerte es ihn einen Scheißdreck.
Seine
Erektion pulsierte schmerzhaft in seiner Hose. Merlin, sie war so verdammt
perfekt, dass es wehtat. „Keine Angst“, flüsterte er kopfschüttelnd, und ohne
Zögern lehnte er sich vor. Sie roch so frisch, und es war so verdammt
aufregend, weil es so neu für sie war. Er war der Erste, der sie so berührte,
der sie… schmecken würde. Es putschte seine Nerven fast bis an die Grenzen. Er
musste die Augen schließen, als er ihren Schenkel weiter spreizte, und seine
Zunge über ihre feuchte Mitte leckte. Er hörte sie schockiert nach Luft
schnappen, und sofort nutzte er seinen linken Daumen, um ihre Klitoris zu reiben.
Mit der Zunge leckte er erneut über ihren Eingang, und unkontrollierte Laute
verließen ihren Mund. Kurz setzte sein Daumen aus, und seine Zunge fuhr höher.
„Merlin!“,
flüsterte sie keuchend, und er musste lächeln. Jetzt beschrieb er harte Kreise,
und sie stöhnte ungehalten. Dann ließ er die Zunge tiefer wandern, denn er
wusste, es gefiel ihr. Sein Daumen übernahm wieder, und dann ließ er langsam
seine Zunge in sie gleiten. Nicht tief, nicht lange, aber sie keuchte lauter
auf, als vorher. Ihr Atem ging schneller. Sein Daumen übte mehr Druck aus, und
fast wimmerte sie jetzt. Erneut glitt seine Zunge in sie, und dieses Mal dachte
er, würden ihre zitternde Knie einknicken. Ihre Finger krallten sich praktisch
in die Fliesen hinter ihr, erkannte er, als er kurz die Augen öffnete, und er
konnte nicht aufhören. Er spreizte ihren Schenkel weiter, und dieses Mal glitt
seine Zunge noch tiefer, und zitternd rief sie seinen Namen.
Sie
kam schnell und heftig. Er hatte den Kopf zurückgezogen, aber sein Daumen rieb
noch einige Sekunden über ihre harte Klitoris und betrachtete ihr verzücktes
Gesicht, während ihre Augen geschlossen waren. Ihre Knie zitterten noch immer,
und langsam kam er wieder auf die Beine. Er drehte den Hahn auf, nahm zwei
Händevoll Wasser in die hohle Hand, spülte seinen Mund aus, und sie sah ihm
fasziniert und ein wenig benebelt zu. Kaum hatte er das Wasser wieder
ausgestellt, griff sie in seinen Nacken und zog ihn eng an sich. Ohne Worte
küsste sie ihn hart, und im Nebel seiner eigenen Erregung, schlangen sich seine
Arme um ihren Körper. Merlin, würde er nur seine Shorts ein wenig tiefer
ziehen, würde dieser Millimeter Stoff verschwinden, könnte er sich in ihre
vergraben. In ihrer Enge, ihrer Hitze, die nur auf ihn wartete.
Er
spürte ihre Hand, spürte, wie sie tiefer wanderte, wie sie einfach in seine
Shorts griff, und fest und ungeduldig schloss sie sich um seinen steinharten
Schwanz, und grollend stöhnte er in ihren Mund. Hart umfasste sie seinen Schaft
und begann, ihre Hand zu bewegen. Er presste sie übergangslos fester gegen die
Fliesen, aber sie hielt ihn weiter fest umschlossen. Sie pumpte abgehackt auf
und ab, denn fast war es nicht möglich, so eng befand er sich gegen sie, und
die Lichter gingen an, in seinem Kopf. Seine Zunge glitt tief in ihren Mund,
während ihr Atem sich beschleunigte, und dieses Mal war er nicht höflich genug,
sich abzuwenden, dieses Mal nicht. Er bockte gegen sie, bockte auf in ihrer
schmalen Hand, und sein Kopf fiel grollend zurück, beendete den hungrigen Kuss
abrupt, während sich seine Hände blind und hart gegen die Fliesen pressten. Er
kam in zähen Stößen und er wusste, er traf ihren Bauch, aber hart schlossen
sich seine Augen, und schmerzhaft biss er sich auf die Lippe.
Seine
Atemzüge zitterten praktisch, und dann sank seine Stirn erschöpft gegen ihre.
Seine Erektion schlaffte ab, und er atmete mit offenem Mund. Sein heißer Atem
musste ihre Gesicht treffen, und anstatt ihn von sich zu schieben, anstatt das
Wasser anzustellen, anstatt sich sauber zu machen, griff ihre Hand wieder in
seinen Nacken und zog ihn an sich. Dieser Kuss war so anders. Seine Hände
lösten sich von den Fliesen, griffen wieder in ihre bloßen Hüften, und träge
kämpfte ihre Zunge mit seiner. Er glaubte, sie musste es spüren. Sie musste
sein Verlangen so deutlich spüren. Es war nicht normal, was er fühlte. Sie
musste jetzt gerade spüren, dass sie die Grenzen überschritten.
Er
war dumm gewesen. Für ihn war es plötzlich ernst geworden. Er verschlang ihren
Mund. Vielleicht war sie nicht in ihn verliebt. Aber das war egal. Denn… er war
es. Fast schmerzte diese Erkenntnis mehr, als die härteste Erektion, denn…
dafür gab es keine Erlösung.
Er
war ein absoluter Idiot.
Scheiße.
Sie spürte die dumpfen Schläge ihres
Herzens. Starr fixierte ihr Blick die Karte. Und ein winziger Teil in ihr
wünschte sich, dass sie die Karte niemals gestohlen hätte. Dass sie nicht so
zeitig vom Essen zurückkehrt wäre. Dass sie nicht nach oben geschlichen wäre,
wo sie die laute Stimme ihres Bruders vernommen hatte. Dass sie nicht
mitbekommen hätte, wie Rose versucht hatte, James‘ Tarnumhang zu stehlen. Und
sie wünschte sich, dass es sie einfach nicht interessiert hätte! Dass sie nicht
an ihre Kommode gegangen wäre, wo sie die Karte der Rumtreiber hervorgeholt
hatte, die sie Albus vor einem halben Jahr heimlich gestohlen hatte, weil sie
sauer gewesen war, dass nur James und Albus Erbstücke ihres Vaters bekommen
hatten – und sie wünschte, sie hätte sich dann nicht im Badezimmer
eingeschlossen.
Und
lange hatte sie ausgehalten. Bestimmt eine Dreiviertelstunde lang hatte sie
sich davon überzeugt, dass sie gar nicht wissen wollte, weshalb Rose einen
Tarnumhang brauchte. Sie hatte es nicht wissen wollen! Und dann… hatte die
dumme Eifersucht sie einfach überkommen. Sie hatte nicht anders gekonnt, denn
sie wusste, Rose datete Presley, hatte ihn erst vor wenigen Tagen getroffen.
Sie wusste das, und sie war eifersüchtig gewesen. Und sie hatte… einfach nur
sehen wollen, wo er war. Es war dumm gewesen. Und dann hatte sie die Karte
aktiviert, nur um den Slytheringemeinschaftsraum zu finden, nur um zu sehen, wo
sie waren. Und… sie hatte Presley gefunden. Aber er war allein. Rose hatte sich
nicht zu ihm geschlichen.
Und
dann hatte sie… einfach weitergesucht. Hatte den anderen Jungen ihrer Träume
finden wollen, weil es sie unterm Strich nicht interessierte, was Rose dann
tat, wo sie dann war. Und sehr schnell hatte sie eine grauenhafte Erkenntnis
gemacht. Denn irgendwann hatte sie den schmalen Punkt gefunden, der Scorpius
Malfoy war. Er war im Badezimmer der Vertrauensschüler. Und schwarz auf weiß
trat ein Name direkt neben seinem hervor. Rose Weasley.
Und
Lily hatte eine ganze Weile auf die Karte gestarrt, hatte versucht, zu begreifen,
was es bedeuten sollte, ob einfach mehrere Stockwerke übereinander lagen, ob
die Karte log, ob sie es einfach falsch darstellte, aber… alle Stockwerke waren
einzeln verzeichnet. Eine Überlagerung war gar nicht möglich, und… irgendwann
in den letzten fünf Minuten, war sie zu der einzig sinnvollen Erkenntnis
gelangt – die absolut keinen Sinn ergab.
Rose
und Scorpius waren zusammen im Badezimmer der Vertrauensschüler. Zusammen. Was
taten sie dort? Es war unbegreiflich. Lily verstand nicht wirklich, was es
bedeutete. Und doch gab es eigentlich nur eine einzige Erklärung. Und sie war
nicht schön. Nein, sie war… absolut furchtbar.
Denn
sie nahm nicht an, dass Rose und Scorpius Hausaufgaben im Badezimmer der
Vertrauensschüler erledigten. Sie nahm auch nicht an, dass sie sich dort
zufällig getroffen hatten.
Und
Lily erinnerte sich, dass Rose und Scorpius am Abend nach Albus‘ Verschwinden
beide nicht da gewesen waren. So viele Dinge ergaben Sinn, die eigentlich…
überhaupt nicht stimmen konnten!
Und
sollten beide aus Versehen dort aufeinander getroffen sein – wieso blieben sie
dann da? Wieso gingen sie nicht?
Und
Lily wartete. Steif stand sie im dunklen Badezimmer, den Zauberstab über die
Karte erhoben, und sie wartete, dass sich die Punkte Rose Weasley und Scorpius
Malfoy endlich trennten, endlich das Badezimmer verließen.
Aber…
sie hatte keine Ahnung, was sie dann tun sollte.
Es
war spät. Ziemlich spät. Er hatte sich in der Bibliothek verborgen, bis diese
geschlossen hatte. Dann war er noch eine Weile durchs Schloss gewandert, war
nicht in seinen Schlafsaal zurückgekehrt, und keinen schien es wirklich zu
stören. Es wunderte ihn nicht, und dieses Mal war es von Vorteil, dass er nicht
viele Freunde besaß. Dass sich nicht viele darum scherten, wo er war und was er
tat. Abgesehen von Lorcan, denn diesen hatte er teilweise eingeweiht. Nur
teilweise. Er hatte so lange gewartet, damit es ziemlich schwierig wäre, für
das Ministerium, denn nachts arbeitete niemand gerne. Mittlerweile war es nach
zehn, und er beschloss, keine Zeit mehr zu verlieren.
Hugo
verließ das Gelände des Schlosses. Als Vertrauensschüler kannte er die Losung
der Tore, die unterhalb der Woche stets verschlossen blieben. Noch würde er
keinen Alarm auslösen. Mit dem fremden Zauberstab voran beleuchtete er seinen
Weg und wusste, es bestand das geringe Risiko, dass er einfach zersplintern
würde, wie auch Lorcan spöttisch prophezeit hatte. Mitten in der Luft, auf
halbem Weg. Wenn es so war, dann… hatte er verdammtes Pech gehabt. Aber er
verließ sich auf seinen Verstand. So wie immer.
Er
wusste, wohin er wollte. Er war ein paar Mal da gewesen, und es würde reichen
müssen. Er blieb mitten auf dem Abhang stehen, der nach Hogsmeade führte. Und
dann schwang er den Zauberstab, vollführte die Bewegung und sprang praktisch in
die Drehung. Etwas unsauber, nicht ganz exakt, aber vor seinem Auge sah er
genau, wohin er wollte. Er wollte in die Stadt, weit außerhalb der Winkelgasse,
weit weg von Hogwarts! Seine Gedanken klammerten sich an den Ort! Grimmauld
Place! Grimmauld Place! Grimmauld Place!
Und
dann schlugen seine Knie auf das Kopfsteinpflaster. Hart und erbarmungslos.
Dieser Schmerz löste immerhin das Verlangen ab, sich einfach zu übergeben, ob
des verdammten Schwindels. Er schrie unterdrückt auf. Der Zauberstab
schlitterte davon, blieb einige Meter vor ihm liegen, und kurz kontrollierte er
seinen Körper. Alles noch dran? Zwei Beine, zwei Arme. Er blinzelte – ja, sein
Kopf war auch noch da! Schmerzhaft kam er auf die Beine. Es war dunkel auf der
Straße, die Laternen spendeten wenig Licht, niemand war mehr unterwegs, Merlin
sei Dank. Er nahm an, mittlerweile hatte sein Zauber im Ministerium Alarm
geschlagen. Mit Glück würde der Nachtwächter heute kein Interesse mehr daran
haben. Und wenn doch, dann würden bestimmt noch zwei Stunden vergehen, bis sie
den Fehler bemerkten. Denn zunächst würden sie den Scamanders Bescheid geben,
annehmen, dass Lorcan gezaubert hatte – nicht er. Denn unter massiven
Verhandlungen und Versprechungen hatte Hugo Lorcan überzeugt, ihm seinen
Zauberstab auszuleihen. Und dann würden sie in Hogwarts über Floh anrufen,
vielleicht McGonagall wecken. Und dann würde sie sehen, dass Lorcan in seinem
Bett schlief. Vielleicht würde sie es als Missverständnis abtun. Mit Pech würde
sie durch die restlichen Schlafsäle wandern, weil sie nicht dumm war, und dann
würde sie noch vorm Morgengrauen seinen Eltern Bescheid geben. Aber das war die
Theorie. Und bis dahin hatte er noch einige Stunden Zeit. Er klaubte Lorcans
Zauberstab vom Boden und war dankbar, dass er nicht zerbrochen war. Lorcan
hätte ihn umgebracht.
Er
war in der richtigen Straße. Und mit zügigen Schritten näherte er sich dem
Haus. Es schimmerte in sein Sichtfeld, denn der Zauberstab brach den
Muggelschutz, der auf dem Haus lag. Seine Mutter hatte ihm mal erzählt, das
Haus wäre mit einem Fidelius-Zauber geschützt gewesen. Heutzutage nicht mehr,
es reichte der Muggel-Schutz, denn das Haus diente keiner magischen Elite mehr,
die sich gegen Voldemort stellen wollte. Jetzt war es nur noch ein gruseliges,
altes Haus, was sein Onkel Harry auch mit größten Anstrengungen nicht verkaufen
konnte. Trotz aufwendiger Renovierungen.
Hugo
gab sich nicht die Mühe, anzuklopfen. Aus Spaß versuchte er den Alohomora, erwartete aber nicht viel. So
dumm würde Albus auch nicht sein. Er behielt Recht. Die Tür bewegte sich nicht.
Aber Hugo war findig. Und fast überkam ihn eine stille Vorfreude, mit jedem
weiteren Zauber. Denn es war ein absolut großartiges Gefühl, außerhalb von
Hogwarts zu zaubern – auch wenn er es nicht durfte. Denn er beherrschte jeden
Zauber perfekt, den er bisher gelernt hatte. Schade, dass dem Ministerium nicht
direkt angezeigt wurde, wie gut ein minderjähriger Zauberer, die Zauber
ausführte. Wirklich schade. Und er hoffte, dass die Ortung eine Weile dauern
würde.
„Resero!“, sprach er behutsam, setzte
noch eine überdynamische Zauberstabbewegung hinterher, und der Sperrzauber
zerbarst in hellen Funken. Es war ein innerer Zauber gewesen. Jemand hatte von
innen verriegelt, und genau davon war Hugo ausgegangen. Er drehte den Türknauf
und die alte Tür sprang auf. Hell erstreckte sich der schmale Flur, denn sein
Onkel hatte alle dunklen Farben gegen freundliche Töne austauschen lassen. Und
trotzdem haftete auf diesem Haus ein düsteres Gefühl. Etwas altes, dass sich
mit Pastellfarben nicht verscheuchen ließ. Er hielt Lorcans Zauberstab hoch
über den Kopf beleuchtete den Flur, aber es herrschte Dunkelheit. Auch weiter
vorne.
Er
betrat das Haus. Er nahm an, Albus hatte bereits begriffen, dass jemand das
Haus betreten hatte, und Hugo ging davon aus, er würde sich verbergen. Onkel
Harry hatte bestimmt schon hier nachgesehen, aber nie so still und leise, dass
er Albus überrascht hätte. Und Hugo löschte den Lumos-Zauber, wollte nicht entdeckt werden und belegte sich selbst
mit einer schwachen Desillusionierung. Im Dunkeln würde es reichen. Und als er
sich weiter durch den Flur schob, hörte er es. Das leise Klicken einer Tür. Es
war nicht weit von hier. Wahrscheinlich die Verandatür. Albus würde sich
draußen verbergen. Und wahrscheinlich – aber hier musste Hugo raten – war er im
Besitz von James‘ Tarnumhang. Davon ging Hugo aus, denn er glaubte nicht, dass
Albus eine gute Desillusionierung zustande brachte. Und wahrscheinlich
riskierte Albus ohnehin keine Zauber. Dann wäre er längst aufgeflogen!
Deshalb
schlich Hugo voran, durch das Wohnzimmer, was freundlich in Beige getaucht war.
Laken lagen über den Möbeln, und Hugo schritt weiter. Er erreichte den Flur, der
zur Küche führte, und von dort führte eine Tür hinaus in den schmalen Garten.
Dort wucherte bereits das Unkraut, wuchs über die Platten hinaus, die der Mond
beschien, und Hugo ließ seinen Blick durch das Glas der Tür wandernd. Aber er
konnte niemanden entdecken. Tarnumhang, nahm er grimmig an.
Dann
griff er entschlossen nach der Klinke, drückte die Tür auf und wich hastig
zurück ins Innere, für den Fall, dass Albus nur zu bereit wäre, ihn zu
verfluchen. Aber nichts geschah. Sein Atem ging schneller. Dann lehnte er den
Zauberstab gegen seine Schläfe. „Caldario!“,
murmelte er, blinzelte den Schleier weg, und seine Augen unterlagen für einer
kurzen Zeit einem Wärmesensor-Zauber, der ihm Anomalien zeigen würde. Kurz war
ihm schwindelig, denn er sah nicht mehr optisch, sondern nur sensorisch. In den
Büschen bewegten sich kleine Tiere, aber kaum ließ er seinen sensorischen Blick
wandern, erkannte er eine schlanke Gestalt im Garten, direkt an der Mauer. Er
hatte nicht mehr viel Zeit, denn der Sensor-Zauber würde gleich schon wieder an
Kraft verbraucht haben. Er schlich zur offenen Tür, hob den Zauberstab schnell
und zielte auf die rote sensorische Gestalt.
„Petrificus Totalus!“, rief er, und er
traf! Mit einem dumpfen Geräusch, brach die rote Gestalt zusammen, und schon
endete der Sensor-Zauber, und Hugo sah keine Wärmebilder mehr. Dunkel lag der
Garten vor ihm und er entfachte den Lumos.
Er schritt zu der Stelle, auf die er gezielt hatte, bis sein Fuß gegen einen
Widerstand stieß. Er bückte sich, und seine Finger fanden den feinen Stoff des
kühlen Tarnumhangs. Er griff beherzt zu und zog ihn zur Seite. Albus blinzelte
lichtempfindlich gegen seinen Zauberstab und lag recht unspektakulär auf dem
kühlen Gras. Er trug seine Trainingsklamotten, sah ziemlich unordentlich aus
und nicht so, als wäre er in naher Zukunft bereit, zurück nach Hogwarts zu
gehen. Aber das würde sich heute ändern. Hugo hob die eigene Desillusionierung
auf, und kurz weiteten sich Albus‘ Augen. Ja. Mit ihm hatte er nicht gerechnet.
„Hey“,
begrüßte Hugo seinen Cousin beinahe unschlüssig. Neben der grenzenlosen
Überforderung, flackerte Zorn in Albus‘ grünen Augen. Und bis zu diesem Punkt,
war Hugo nicht mal vollkommen sicher gewesen, was ihn trieb. Ja, er war
überwiegend wütend. Er hatte genug davon, dass Albus sich verstecken konnte, um
jeder Konsequenz zu entgehen. Und er fühlte sich verdammt selbstbewusst, weil
anscheinend nur er in der Lage dazu war, seinen dämlichen Cousin zu finden.
Aber… es war nicht alles. Er war auch wütend auf Scorpius Malfoy. Wenn nicht
sogar genauso wütend, wie er auf Albus war. Teilweise, weil ausgerechnet Malfoy
es war, der ihm Dinge erzählte – und nicht Rose selbst! Er erfuhr alles aus
zweiter Hand, weil seine Familie einfach nur scheiße war. Und dann verfügte er nicht
über genug Mut, um Malfoy zur Rede zu stellen, ihm ordentlich zu drohen, ihn…
vielleicht sogar dazu zu bringen, nie mehr mit Rose zu sprechen. Und manchmal –
sehr selten – war er neidisch. Auf all die anderen, die glaubten, die Welt läge
ihnen zu Füßen, ohne je etwas anderes getan zu haben, als unfassbar dreist zu
sein.
Und
jetzt gab es jemandem, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Seinen frischen,
untypischen Zorn. Jetzt, wo er ihn vor sich liegen hatte, sah Hugo die
Möglichkeiten, die sich ihm boten.
Er
musste sich nicht mit Scorpius Malfoy rumärgern. Er musste es zumindest nicht
persönlich tun. Und Albus bedeutete ihm nichts. Was Albus dachte, was ihn
trieb, interessierte Hugo nicht im Geringsten. Aber Albus schuldete ihm etwas.
Dafür, dass er seine Mutter beleidigte. Dafür, dass er auf seine Schwester
stand. Hugo sah es als Entschädigung. Und vielleicht war es ein kleiner Bonus,
dass Hugo in der überlegenen Position war und über dieses Wissen verfügte, was
Rose und Malfoy betraf. Und ja, vielleicht schadete er seiner Schwester. Aber
letztendlich… tat er ihr einen Gefallen. Nein. Albus würde ihr diesen Gefallen
tun. Und er war überzeugt, tief in seinem Bauch, dass es die richtige
Entscheidung war. Dass er jetzt und hier die einzige Möglichkeit hatte, endlich
Gerechtigkeit walten zu lassen. Es war seine Chance, seinen Intellekt zu
beweisen, vielleicht etwas emotionalen Druck auszuüben, und seinen Cousin zu
manipulieren – so wie es seine Verwandten stets und ständig taten.
Und
vielleicht war es riskant. Aber das war die Sache mit der Wut. Seine natürliche
Vorsicht war im Moment ausgehebelt. Und vielleicht war das ein Fehler. Aber er
sah ihn nicht. Im Moment sah er gar nichts. Nur die günstige Gelegenheit, Albus
Potter von seinem verdammten Thron zu stoßen.
Und
das wog mehr als jede kluge Entscheidung.
Hugos
Mundwinkel zuckten fast. „Wir sollten reden“, sagte er schlicht, als er die
Lähmung stumm aufhob, und Albus stöhnend seinen Knöchel rieb.
Er hätte nicht damit gerechnet, hier
überfallen zu werden. Und garantiert nicht von seinem bescheuerten Cousin. Hugo
hatte den Lähmungszauber gelöst und mittlerweile saßen sie in der renovierten
Küche. Albus konnte nicht behaupten, eine enge Verbindung zu Hugo zu haben. So
wie eigentlich niemand aus ihrer Familie. Und nur, weil Hugo ihn offen mit dem
Zauberstab bedroht hatte, hatte er noch nicht geschrien. War noch nicht
ausgrastet – denn, was dachte sich Hugo eigentlich?! Hugo hatte sich geweigert,
Limonade zu trinken und zähneknirschend hatte Albus Tee gekocht. Hugo saß
mittlerweile auf dem Hocker am hohen Tresen in der Küche, und Albus stand mit
verschränkten Armen auf der anderen Seite des Tresens, während er ihn mit
verengten Augen fixierte. Es war so verdammt eigenartig. Hugo trug sogar seine
scheiß Uniform – samt Vertrauensschülerabzeichen. Es war so ironisch, oder
nicht? Garantiert war längst aufgefallen, dass sein Streber von Cousin fehlte.
Und tatsächlich überraschte ihn, dass sich Hugo nicht viel daraus zu machen
schien, dass das Ministerium wusste, dass er gezaubert hatte – außerhalb der
Schule. Albus‘ Zähne mahlten aufeinander, und er begriff nicht, was das sollte.
Hoffentlich waren die Ortungszauber im Ministerium immer noch so grottig, dass
nicht gleich irgendwelche Auroren der Bereitschaft - im schlimmsten Fall sein
Vater - die Tür einrannten.
Er
verabscheute Hugos Blick. Seine Augen waren nicht nur verdammt dunkel und
schwer zu lesen, sondern auch ätzend selbstgerecht. Hugo war ein Mensch, den
man nur schwer belügen konnte, dem man nur schwer ausweichen konnte, wenn er
einen ansah.
Und
Albus sprach nicht mit seinem Cousin, aus genau diesen Gründen. Hugos dunkle
Haare lagen im selben tiefen Seitenscheitel, wie immer. Ordentlich, gestriegelt
und so anders als seine. Hugo sah immer aufgeräumt und vorbereitet aus – auf
was auch immer. Selbst jetzt! Er war wesentlich größer, als er es war. Schon
früher waren auch seine Hände immer sauber gewesen, nie ein Fleck auf seiner
Hose. Er war der Liebling seiner eigenen Mum gewesen, weil der kleine Hugo niemals
auf Bäume kletterte, niemals vom Kinderbesen fiel – denn Hugo flog nicht!
Hugo
tat nichts, was er oder seine Cousins taten! Hugo war… keiner von ihnen! Und
doch… sprach vor allem heute Abend einiges dafür, dass er… zur Familie gehörte.
So leichtsinnig, wie sein Verhalten war. Und seine Gesichtsform… ähnelte seiner
eigenen, dachte Albus dumpf. Hugo sah Onkel Ron sehr ähnlich. Aber… er war bei
weitem nicht so witzig!
Albus
wusste, Hugo betrachtete den Berg an Fastfood-Kartons und den sonstigen Müll
abschätzend, verurteilte ihn, und Albus verzog gereizt den Mund. Er würde sich
für gar nichts rechtfertigen. Und er hasste, dass er bereits jetzt ein scheiß
schlechtes Gewissen hatte, denn… wahrscheinlich hatte Hugo jedes Recht wütend
zu sein, aus… sehr vielen verschiedenen Gründen.
Vor
Hugo ließ sich nichts verbergen. Nicht einmal er selbst hatte sich verbergen
können. Es war verdammt bezeichnend.
Und
Hugo war der letzte, mit dem Albus ein Gespräch führen wollte, aber
gleichzeitig nervte es ihn, dass sein verdammter Cousin noch kein weiteres Wort
gesagt hatte. Denn gelinde gesagt, war Albus fast schon interessiert.
Sein
Knöchel schmerzte noch immer, vom Fall im Garten, als Hugo ihn feige und gemein
außer Gefecht gesetzt hatte, und Albus erwartete kein lustiges Familientreffen.
Fast hatte er geglaubt, Hugo würde ihn verprügeln, als er die unfaire Chance
gehabt hatte, aber… es war nicht Hugos Art. Auseinandersetzungen waren generell
nicht Hugos Art. Soweit Albus es beurteilen konnte. Und ehrlich gesagt, hatte er
nicht geglaubt, dass es Hugo überhaupt stören würde, dass er fort war. Genau
das Gegenteil hatte er vermutet.
„Hast
du noch vor, irgendwas zu mir zu sagen?“, wollte Albus unwirsch von ihm wissen,
und Hugos Ausdruck wurde kälter. Er wirkte manchmal so viel älter als fünfzehn.
Es war gruselig. Aber er hatte keine Angst vor Hugo. Zumindest versuchte er,
sich das einzureden.
„Ich
würde dir gerne deine Zunge aus dem Hals fluchen“, entgegnete sein Cousin sehr
aufgeräumt, und Albus blinzelte überrascht. Er hatte kaum mit einer Antwort
gerechnet. Aber Hugo fuhr fort. „Vielleicht würde ich noch deinen Schädel
rasieren und dich nackt auf die Straße werfen. Irgendwas in der Richtung“,
schloss er, und Albus schluckte tatsächlich. Es konnte nur bedeuten, dass Hugo
es wusste. Und es machte Sinn, denn sein Vorbild von Cousin brach die Regeln
bestimmt nicht einfach so, aus Spaß. Aus Langeweile. Scheiße. „Du hast meine
Mutter beleidigt“, sagte Hugo überflüssigerweise. Albus‘ Blick fiel
automatisch, konnte ihn nicht mehr ansehen, und sein Körper versteifte sich.
Dann sammelte er sich und öffnete den Mund.
„Hugo-“,
begann er unwillig, aber sein Cousin schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
„-lass es einfach“, unterbrach er ihn reserviert. „Ich... will damit nicht
anfangen. Ich nehme an, du wirst irgendeine bescheuerte Ausrede haben und in
zwei Monaten werden es ohnehin alle wieder vergessen haben. Passenderweise“,
schloss Hugo überraschend bitter, und Albus gefiel diese Unterstellung gar
nicht.
„Wir
sollten darüber reden“, widersprach Alby unschlüssig, denn es war nichts, was
man einfach abtun sollte, egal, ob Hugo ihm unterstellte, dass es alle sowieso
vergessen würden, was Albus auch nicht glaubte. Kurz wirkte Hugo erschöpft,
vielleicht unzufrieden. Eine Spur gehetzt, und Albus konnte es nicht ganz
nachvollziehen.
„Wieso
hat dein Vater dich noch nicht gefunden?“, wechselte Hugo beinahe barsch das
Thema, als gefiele ihm nicht, dass Albus tatsächlich über die Beleidigung reden
wollte. Als hätte Albus kein Recht eine Entschuldigung zu äußern. „War er nicht
hier? So viel Verstand kostet es einen nicht, zu erraten, wo du bist“, ergänzte
er kopfschüttelnd, beinahe missbilligend. Fast kam es Albus so vor, als wolle
Hugo das Thema bewusst auf etwas anderes lenken. Es gefiel ihm nicht. Aber er
antwortete.
„Er
war hier, aber… wahrscheinlich wollte er mich nicht so dringend finden. Aber es
braucht auch ein krankes Hirn, um einen Sensor-Zauber zu benutzen“, ergänzte er
bitter. Hugo ließ sich nicht von seinen Worten beeindrucken.
„Selbstmitleid?“,
entfuhr es ihm stattdessen, und Albus‘ Augen verengten sich wütend.
„Ich
habe kein Selbstmitleid!“, erwiderte er schnell.
„Nein.
Du wartest nur darauf, dass sich irgendwer erbarmt und dich findet“, murmelte
sein Cousin leise. „Und dann bin ausgerechnet ich der einzige. Wirklich schade,
oder? Ich nehme an, du hättest wen Besseres erwartet.“ Es war eine eigenartige
Feststellung, aber Albus‘ Eingeweide zogen sich zusammen, in der unausgesprochenen
Konklusion. Denn dass er Hugos Mutter beleidigt hatte, war schließlich nicht
wirklich alles. Und er ging davon aus, es würde nicht mehr viel Zeit vergehen,
bis Hugo über Rose sprechen wollte. Oder nicht wollte! Wusste Merlin, was Hugo
tatsächlich von ihm wollte! Und er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht. Er
wollte nicht gefunden werden, aber… vielleicht hatte er sich wirklich nicht
viel Mühe gegeben, mit diesem Versteck. Und vielleicht nahm er es in Kauf, dass
selbst Rose ihn finden könnte, wenn sie denn wollte – was offensichtlich nicht
so war. Emotional war er dieses Problem noch gar nicht angegangen, und Hugo war
die letzte Person, mit der er das besprechen wollte. „Und du brauchst nicht rot
werden“, sagte Hugo mit sanftem Ekel in der Stimme. „Ich hatte angenommen, du
würdest die Anwesenheit von deinem Freund Malfoy bevorzugen. Ich hatte
garantiert nicht meine Schwester gemeint“, durchschaute er seine Gedanken, und
Albus hatte keine Ahnung, wie er das konnte. Vielleicht lag es auf der Hand,
aber vielleicht… war Hugo einfach zu klug. Die Erwähnung von Scorpius schickte
sofort Schmerz durch Albus' Körper.
„Weiß
Scorpius, dass du-?“, entfuhr es Albus, um mit aller Macht das Thema zu
wechseln, aber Abwehr huschte über Hugos Gesicht.
„-nein“,
unterbrach er ihn glatt. Sein Ton änderte sich sehr plötzlich. „Das hier ist...
keine selbstlose Mission“, fuhr Hugo bitter fort, und es bestätigte Albus‘
Theorie. „Wir… sollten über ein paar Dinge reden“, begann Hugo schließlich und
bewegte sich unbewusst auf dem Hocker.
„Ach
ja?“ Die Worte verließen defensiv Albus‘ Lippen, denn… er wollte nicht. Nicht
mit Hugo. Oder irgendwem.
„Unsere
Eltern waren in der Schule. Vielleicht konntest du dir das erschließen? Aber
wahrscheinlich ziehst du deine Scheuklappen vor“, bemerkte Hugo kühl, und Albus
verschränkte die Arme vor der Brust. Er war davon ausgegangen. McGonagall ließ
keine Gelegenheit verstreichen, ihn zu maßregeln. Selbst wenn er nicht da war.
„Sie… haben Rose und Malfoy verhört“, fuhr er fort, und sein Tonfall bestätigte
ihm, was er befürchtete. McGonagall war bestimmt über den Ausgang des Abends
informiert. Und wenn McGonagall es war - dann bestimmt auch die übrigen
Erwachsenen.
„Haben
sie es gesagt? Was… was hat Tante Hermine gesagt?“, entfuhr es ihm tonlos, denn
es war seine größte Angst. Zumindest eine davon. Hugos Blick war so abweisend,
so furchtbar kalt. Aber lange atmete er aus.
„Sie
weiß nicht, dass du sie beleidigt hast“, räumte Hugo schließlich ein, und sein Blick
hob sich überrascht.
„Nicht?“,
entkam es ihm heiser.
„Nein“,
bestätigte Hugo. „Aber…“
„Aber?“
Nervosität befiel ihn stärker, als zuvor.
„Aber
wir sollten über deinen Freund reden“, fuhr Hugo strenger fort. Albus runzelte
die Stirn. Wieso sollten sie? Wieso war Hugo so verdammt kryptisch?
„Was
hat Scorpius gesagt?“ Und fast hasste er, dass er überrascht klang. Als… als
könne er verlangen, dass Scorpius ihn deckte, egal, was er tat. Er wusste, dass
war unrealistisch. Und so wie Hugo herumdruckste, ihn mit Absicht folterte,
nahm Albus an, dass Scorpius nicht unbedingt seinen Rücken freigehalten hatte.
Vielleicht könnte Albus das auch nicht wirklich verlangen. Und tatsächlich
schienen sie jetzt das Ende des unangenehmen Vorgeplänkels erreicht zu haben.
Fast kam es ihm so vor, als käme jetzt der Teil dieses Zusammentreffens, auf
den Hugo tatsächlich vorbereitet war, denn plötzliche Entschlossenheit trat auf
seine Züge. Albus kannte ihn im Unterricht aus Zauberkunst - und genau diesen
punkteversessenen Blick hatte sein Cousin jetzt drauf.
„Du
stehst auf meine Schwester.“ Die Worte klangen ein wenig hohl, und… Albus
reagierte zunächst gar nicht. Es war wie ein dumpfer Schlag, und dass Hugo es
aussprach, machte es nicht angenehmer. Er öffnete den Mund, aber Hugo
blockierte sofort, wie schon zuvor, und Albus begriff, es ging Hugo nicht um
das Gespräch, nicht um die Erklärung dahinter, aber noch verstand er nicht, was
der Junge wirklich wollte. „Nein! Wag... es ja nicht, irgendetwas zu erklären“,
warnte er ihn tatsächlich, und Albus stockte. „Sie will dich nicht“, ergänzte
er, als wäre es nötig! Als wisse es Albus nicht auch so, ohne diesen
freundlichen Hinweis.
„Ich
weiß das!“, sagte er endlich und konnte seinen Zorn nicht unterdrücken.
„Gut!“,
fuhr Hugo ihn scharf an. „Ich hoffe, du weißt das!“ Jetzt gerade schien Hugo
sein Konzept wieder zu vergessen, denn er wirkte schrecklich aufgewühlt. Röte
stieg in die blassen Wangen seines Cousins.
„Merlin,
Hugo! Denkst du, ich habe es mir so ausgesucht? Denkst du, ich renne durch das
Schloss und freue mich darüber? Denkst du, ich habe darauf gewartet, dass du
mich hier findest, weil ich nicht erwarten kann, ausgerechnet mit meinem Freak
von Cousin darüber zu reden?“, platzte es Albus raus, und kurz wirkte Hugo aus
der Fassung gebracht. „Denn nein!“, beantwortete Albus etwas gefasster seine
rhetorischen Fragen, und sein Atem ging flacher. „Das ist kein Spaß für mich.
Und es ist nichts, was ich tue, um zu polarisieren oder um andere wütend zu
machen, verdammt noch mal!“, knurrte er verzweifelt. Aber Hugo schien sich
wieder zu besinnen. Ablehnung trat wieder hart auf seine Züge. Und die nächsten
Worte folgten mit absoluter Berechnung.
„Sie
wissen es“, entkam es Hugos Lippen fast eilig. „Deine Eltern, meine Eltern.“
Und fast hatte Albus es befürchtet. Er hatte es geahnt. Und er fand es abartig,
dass Hugo beinahe Freude zu empfinden schien. „Dein Freund hat es ihnen
verraten“, ergänzte Hugo mit einiger Berechnung, und kurz durchfuhr Albus ein
bodenlose Gefühl. Er spürte, seine Kontenance verließ ihn schwindend schnell.
Er wollte fragen, und gleichzeitig wollte er nicht. Er hatte angenommen, dass
Scorpius nicht blind war. Trotzdem fühlte er sich verraten. Hugo wirkte fast
enttäuscht. Wahrscheinlich hatte er erwartet, dass Albus schreien würde. Oder
sonst etwas. Aber Albus war gerade wie erstarrt. Fast wünschte er sich, seine
Eltern wüssten eher, dass er Tante Hermine beleidigt hatte, als dass er auf
ihre Tochter stand. Scheiße.
Und
doch wirkte Hugo noch immer angespannt, aufgeregt, als wäre es noch nicht
alles. Als gäbe es noch eine grauenvolle Sache, die seinem Cousin wesentlich
mehr Genugtuung brachte, als es angebracht wäre.
„Wieso
siehst du mich so an?“, entfuhr es Albus zornig. „Wieso empfindest du so viele
Freude, du kranker Bastard? Du musst mich sehr hassen, Hugo, wenn-“, knurrte
er, aber Hugos Stimme unterbrach ihn zornig.
„-es
geht hier um meine Schwester, du Arschloch!“,
unterbrach er ihn, zum ersten Mal ehrlich außer sich. „Und nichts
hiervon gefällt mir! Glaub mir, Al! Nichts davon ist irgendwas, mit dem ich
meine Zeit verschwenden will! Aber ich werde dir eine weitere Sache sagen. Und
garantiert nicht, weil es mir Spaß macht!“, fuhr er ihn an, und Albus wünschte
sich schon jetzt, Hugo würde es nicht tun. Egal, was es war – Albus wollte es nicht wissen.
„Hugo,
ich-!“
„-er
hat was mit Rose!“, schien Hugo sich nicht mehr halten zu können, und Albus
verstummte. So abrupt, dass die Stille plötzlich eigenartig war. Nur Hugos schneller
Atem erfüllte die Küche, die noch immer nach frischer Farbe roch. Albus wusste
nicht, warum er ausgerechnet jetzt diesen Geruch deutlicher wahrnahm, aber
seine Sinne schienen plötzlich schärfer als vorher.
„Wer?“
Das Wort entkam ihm still und voller Unglaube, denn sein Gehirn verstand nicht.
Wollte nicht verstehen.
„Wer?“,
wiederholte Hugo tonlos. „Wer denkst du wohl?“, entfuhr es ihm gepresst, und
ganz ehrlich dachte Albus an Presley. Aber sein Gehirn wusste bereits - es ging
wohl nicht um Presley. Aber… das konnte nicht sein. Etwas anderes konnte nicht
sein.
„Scorpius?“,
entkam es ihm rau. „Du sagst, Scorpius hat was mit Rose?“ Es war völlig absurd!
Völlig unmöglich! „Das ist… nicht möglich“, sagte er, was die Vernunft ihm
diktierte. Hugo musste verrückt geworden sein. Ungeduldig sah Hugo ihn an, ein
wenig aufgekratzt. Und Albus brauchte hier Bestätigung. Hugo sollte seinen Mund
aufmachen! „Hugo“, sagte er wütend. „Das ist unmöglich“, wiederholte er mit
Nachdruck. Aber Hugo erklärte es nicht, wartete einfach, und Albus schüttelte
wieder und wieder den Kopf. „Du redest Scheiße!“, fuhr Albus ihn jetzt an. Er
begriff die Worte nicht.
„Ich
werde es nicht diskutieren. Ich will nicht hören, wie abwegig und
unwahrscheinlich es ist.“ Hugo klang wieder erschöpft. Nicht so, als ob er sich
gerade eine Lüge aus den Fingern sog. Er klang, als hätte er bereits einige
Gedanken zu diesem Thema gehabt. Und es schockierte Albus nur noch mehr. „Ich
habe sie im Urlaub erwischt “, fuhr er unnötigerweise fort, denn Albus wollte
gar nicht mehr hören! Kein Wort mehr davon! Aber Hugo sprach weiter. „Er hat
mit Dominique Schluss gemacht. Und-“
„-was?!“,
platzte er aus Albus heraus, denn er konnte sich nicht mehr zurück halten. Seit
wann ging das bitteschön?! Was bei Salazar…?!
„Für
den Fall, dass du geglaubt hast, meine Schwester liegt auf ihrem Bett und weint
sich die Augen nach dir aus, muss ich dich enttäuschen. Oder falls du dachtest,
Malfoy ist krank vor Sorge und sucht nach dir“, ergänzte er kälter.
„Woher…
weißt du das? Das sie... was haben?“, flüsterte er ungläubig, beinahe
angewidert. Noch glaubte er gar nichts!
„Ich
habe mit Malfoy gesprochen“, erwiderte Hugo, fast etwas unüberlegt. Fast etwas
zu hastig. Und auch Hugo schien das aufzufallen, denn er atmete schneller.
Albus‘ Gesicht verlor jeden Ausdruck. Hugo hatte was…?
„Und
er hat dir das einfach so gesagt?“, entfuhr es ihm beinahe ruhig, aber Hugo
verdrehte die Augen, bemerkte den feinen Umschwung diesmal nicht.
„Nein.
Er droht mir mit seinen Fäusten und ist ein verdammtes Arschloch, aber so
sicher ich wusste, dich hier zu finden, genauso sicher weiß ich, dass er meine
Schwester mit seinen verdammten Händen anfasst“, entkam es Hugo atemlos,
vielleicht auch etwas stolz, darüber, dass er tatsächlich so viel zu wissen
schien. Und diese Worte… lösten weit mehr in Albus aus, als er fassen konnte.
Irgendwas in Albus‘ Innerem reagierte auf diese Anschuldigung, und irgendetwas
sagte ihm, Hugo log nicht. Und wieso – Merlin, wieso – fiel es ihm überhaupt
nicht schwer, das zu glauben?! Wieso? Es hatte nie in Scorpius‘ Körpersprache
gelegen! Er hatte Rose nie attraktiv gefunden! Es war nie… ein Problem gewesen!
Ja, sie stritten, Rose hasste Scorpius – aber… war es Show? War es… nicht echt?
Hatte sein bester Freund ihn tatsächlich hintergangen und hatte seinen Eltern
gesteckt, dass er, Albus, auf Rose stand? Aus welchem Grund? Aus welchem
verdammten Grund?
Und
plötzlich brannte irgendetwas in seinem Innern durch. Irgendetwas, was vorher
rational gewesen war, schlug plötzlich um. Und neben all diesen schrecklichen
Gedanken – neben dem widerlichen Gefühl, dass Scorpius ihre Freundschaft
zerstört hatte – hatte sich noch etwas vollkommen anderes für ihn heraus
kristallisiert.
Denn…
Hugo wusste es.
„Haben
sie Sex?“ Seine Stimme war so hörbar lauter geworden, so hörbar wütender, und
er wusste, warum es ihn mit so viel Zorn erfasste. Hugo wirkte kurz
überfordert. Albus wusste, warum er es fragen musste. Und jetzt war sein Cousin
wieder fünfzehn jungfräuliche Jahre alt, während Albus‘ Hände sich zu harten
Fäusten ballten. Denn eine Sache war wesentlich wichtiger. Noch wichtiger als
die Antwort auf seine vorherige Frage. Und allmählich schien Hugo etwas zu
dämmern, was er vorher ignoriert hatte. „Hast du es Onkel Ron gesagt?“, fragte
er Hugo also jetzt, und seine Stimme könnte Butterbier zum Frieren bringen.
Denn genau jetzt wurde ihm klar, warum er Hugo Weasley nicht leiden konnte.
Warum diese unangenehme Intelligenzbestie überhaupt hier war!
„Ich
–!“, begann sein Cousin aufgebracht. „Nein. Ich habe es ihm nicht gesagt.“ Und
Hugos Stimme hatte den nervig überheblichen Ton verloren. Sehr plötzlich. Von
einer Sekunde auf die nächste. Denn jetzt schien dem kleinen Hugo der verdammte
Fehler aufzugehen.
„Und warum
nicht?“ Albus hatte sich in Bewegung gesetzt. „Scheinbar wird unseren Eltern
doch sonst alles erzählt?“, fuhr er Hugo bitter an. „Bin ich wirklich das
scheiß Problem, wenn Scorpius Malfoy deine Schwester vögelt?“, donnerte er
längst über den Rand seiner Beherrschung hinaus, und Hugo zuckte ängstlich
zusammen. „Und wie kann es sein, dass du das zulässt?“ Sehr schnell war seine
Stimme wieder leise geworden, aber die Boshaftigkeit blieb zurück.
„Ich
lasse gar nichts zu, ok? Ich kann überhaupt nichts tun! Ich habe-!“
„-ach
nein?“, unterbrach er ihn glatt. „Du scheinst ohne weiteres Gesetze brechen zu
können, Hausfriedensbruch zu begehen – mich verdammt noch mal zu verfluchen!
Und ich würde Rose niemals anrühren, Merlin noch mal! Weil ich weiß, dass es falsch
ist! Aber du… du – wie läuft das? Habt ihr euch zu Keksen und Gebäck getroffen,
und Scorpius hat erörtert, dass Rose über ein Pult zu werfen, und sie von
hinten zu nehmen, eine fantastische Idee wäre – und alles, was du tust, ist
absolut gar nichts?!“, schrie er ihn an, und Hugos Mund öffnete und schloss
sich überfordert. „Du kommst hier her, schreist mich an – und erwähnst
nebenbei, dass unsere Eltern die einzige Sache wissen, die mich umbringt,
während mein bester Freund deine Schwester fickt?“ Er hatte den Tresen umrundet
und war so kurz davor, Hugo die Prügelei seines Lebens zu verpassen, aber er
wollte die Antwort darauf hören – obwohl er die Antwort bereits wusste! Seine
Fäuste zitterten. Fast fiel Hugo vom Hocker, als er hastig auf die Beine kam.
Angst war deutlich auf Hugos Zügen zu erkennen. Er wich vor ihm zurück und zog
den Zauberstab, aber selbst seine große Waffe zitterte zwischen seinen Fingern.
„Ja“,
knurrte Albus zornig. „Super Idee, Hugo. Denn ich bin das Problem, richtig?“
Hugos Blick ging wild und er wich noch weiter zurück.
„Ich…-
ich kann nicht!-“, begann Hugo wieder heiser, aber Albus lachte freudlos auf,
denn das war die Antwort, oder nicht? Das war der Grund, weshalb Hugo überhaupt
hier aufgetaucht war! Elender Wichser!
„-aber
ich soll es machen?“, beendete er den scheiß Satz kalt und fixierte Hugo voller
Wut. Und er sah genau, dass Hugo mit einem gänzlich anderen Ausgang gerechnet
hatte. All die Überlegenheit, mit der sein Cousin hier aufgetaucht war, war
verpufft. Nichts war mehr übrig. „Ist es das?“, fuhr Albus eisig fort. „Du
kommst hier her, konfrontierst mich – ohne den Hauch von Empathie, ohne jedes
Interesse, wie es mir geht, was ich fühle – damit ich die Drecksarbeit
erledige? Weil es um mich nicht schade ist? Ist es das, was du denkst, Hugo?
Ist es das?!“, schrie er seinen Cousin an, und dieser wirkte so absolut fertig,
so… ehrlich durchschaut und in die Ecke gedrängt, dass es Albus nur noch mehr
aufregte. „Antworte mir, verdammt noch mal!“, brüllte er praktisch, und jetzt
schluchzte Hugo auf.
„Hör
auf!“, schrie Hugo jetzt mit gebrochener Stimme, und seine Augen glänzten
verdächtig hell. „Halt den Mund!“ Er würde weinen. Sein scheiß Cousin, der
genug Courage hatte ihn bloßzustellen, ihn zu bedrohen, ihn anzuschreien, würde
gleich heulen wie ein kleines Kind. Und dann zog Albus den Zauberstab aus
seiner Tasche.
„Denkst
du, du bist der einzige mit einem scheiß Zauberstab?“ Und dann war es Albus
egal. Absolut egal. „Expelliarmus!“,
knurrte er, und mit einem überraschten Laut, flog der Zauberstab aus Hugos
Hand. Jetzt trat echte Panik in Hugos Blick. Und jetzt war es Hugo, der
zurückwich, immer weiter, bis er unsanft gegen den Tresen stieß. Er hatte all
die Tage nicht gezaubert, aber sollte das Ministerium ruhig kommen! Scheiß
egal. „Beantworte meine Frage, Hugo“, verlangte Albus bitter. Wie ein gehetztes
Tier stand Hugo vor ihm. „Na los“, wiederholte Albus dunkel. Aber Hugo sagte
gar nichts, starrte ihn lediglich schwer atmend an. „Sag mir, dass du mich
ausnutzen willst, weil ich deine Mutter beleidigt habe. Sag mir, dass du meine
Gefühle für Rose nutzen möchtest, um sie gegen Scorpius auszuspielen! Deshalb
machst du dir die Mühe, oder nicht? Deshalb bist du hier. Und wieso? Was hast
du davon?“
Hart
stach Albus ihm die Spitze des Zauberstabs in die Brust. Er kannte nicht so
viele Sprüche, wie Hugo es höchstwahrscheinlich tat. Aber er kannte genug, um
Dinge schmerzhaft werden zu lassen. „Was hast du erwartet? Dass ich dir
gehorche? Dass ich dir folge? Dass ich so krankhaft besessen bin?“
„Du
schuldest es mir“, sagte Hugo zitternd, und Albus zog die Augenbraue in die
Höhe.
„Was
schulde ich dir?“, entkam es Albus beinahe höhnisch. Wie konnte dieser kleine
Mistkerl es überhaupt wagen, so etwas zu sagen?
„Du
bist nicht besser“, flüsterte Hugo, und tatsächlich fiel eine Träne auf seine
blasse Wange. „Nur weil du Potter heißt, bist du nicht besser.“
„Du
bist so ein-“
„-ich
habe Recht!“, unterbrach Hugo ihn heiser. „Und du bist…“ Er zögerte, wischte
sich die verräterisch feuchten Wangen wieder trocken, und sein Cousin wirkte
gebrochen und erschöpft. „Du bist so selbstgerecht. Und gedankenlos. Du bist…
ein schlechter Cousin! Du bist eine Beleidigung für unsere Familie!“, wisperte
Hugo fast. „Und ich… erwarte von dieser Familie nicht viel. Ich will nicht… in
euren ‚Club‘! In eure Quidditch-Gang! Es interessiert mich nicht!“, krächzte
Hugo zitternd.
„Was
zur-?“, entfuhr es Albus ungeduldig, aber Hugo ignorierte ihn.
„-für
Rose!“, sagte Hugo fester. „Du schuldest es mir, für Rose! Und wenn ich mein
ganzes Leben ausgegrenzt bin, nicht dazu gehöre – dann meinetwegen. Aber dieses
eine Mal muss irgendwer von euch erwachsen sein! Und du kannst Rose nicht
haben“, schloss er stiller. „Genauso wenig wie Scorpius Malfoy. Also… ist das
keine Bitte von mir. Es ist deine Pflicht.“ Albus starrte ihn an, schwieg
tatsächlich, und Hugo schniefte laut. „Wenn mein Vater es wüsste – ich weiß, du
verstehst das nicht. Onkel Harry ist anders. Onkel Harry… ist nicht
nachtragend, aber mein Vater….“ Hugo sprach nicht weiter. „Es ist schwieriger
für uns. Also, bitte“, flüsterte Hugo jetzt, „kümmer dich darum. Kümmer dich
ein einziges Mal nicht nur um dich selbst, sondern auch um jemand anderen!“
Noch immer
stach Albus Hugo den Zauberstab direkt in die Brust, unschlüssig, teilweise
sehr zornig, aber zu einem anderen Teil… war jedes Gefühl verebbt. „Und die
Antwort… ist Ja“, schloss Hugo, die Stimme bereits viel ruhiger, als vorher.
„Ich will, dass du die Drecksarbeit erledigst.“
Es
vergingen stille Sekunden, und mit einer unterdrückten Beleidigung auf den
Lippen, ließ Albus den Zauberstab erschöpft sinken. „Ich sollte dich verfluchen
und hier liegen lassen“, entfuhr es ihm gepresst. Hugo musste ihn so sehr
hassen. Wirklich verabscheuen. Und vielleicht… am Ende, unterm Strich – hatte
Hugo Recht. Nicht mit allem – bei Merlin, mit dem allerwenigstens! Aber…
vielleicht mit einem einzigem Korn Wahrheit, hatte Hugo Recht. Aber Albus war
nicht James! Er war… nicht der gute Potter! Er… war nicht derjenige, der
zurücksteckte, der… sich kümmerte. Er kam kaum mit sich selbst zurecht. Und
jetzt gerade war es alleine dem Umstand geschuldet, dass es dreitausend Dinge
auf einmal waren, die Albus fertig machten. Es war so viel Input – hätte er
genügend Zeit, über alles nachzudenken, wäre er längst zusammengebrochen.
Wortlos reichte er Hugo den Zauberstab, den er ihm abgenommen hatte, und es war
bezeichnend, wie stark Hugos Finger zitterten, als er ihn wieder an sich nahm.
Und
sie beide zuckten zusammen, als die Haustür vorne praktisch aus den Angeln
explodierte.
Hugos
Ausdruck wirkte so gehetzt, so absolut überfordert, und Albus atmete
resignierend aus. Wahrscheinlich war sein Zauberstab seit seinem Verschwinden
längst im Ministerium registriert, und die Auroren warteten nur darauf, dass er
einen Fehler beging. Schwere Tritte näherten sich. Fast kam es Albus vor wie
ein eigenartiges Ende. Als wäre es alles vorbei. Er war sich nicht sicher, was
passieren würde, aber er tauschte einen knappen Blick mit Hugo. Er hatte keine
Ahnung, was Hugo tun würde. Unter Druck funktionierte sein Cousin nämlich
nicht.
Und
Albus riss sich zusammen, schnappte aus der Schockstarre und tat das einzige,
was ansatzweise Sinn ergab. Jetzt gerade. Für ihn. Sollte denn der seltsame
Fall tatsächlich eintreten, dass er auch nur im Ansatz versuchte, so zu sein,
wie sein scheiß Bruder. Er umrundete den Tresen, griff sich den
silberglänzenden Stoff vom Boden, kam zurück, und absolut keine Sekunde zu früh
breitete er den Tarnumhang wortlos aus, warf ihn über seinen Cousin, und das
letzte, was er sah, war Hugos ungläubiger Blick, ehe der Umhang ihn
verschluckte.
Und
dann flog die Tür zur Küche auf. Albus zuckte zusammen, wich zurück, denn die
Auroren standen in voller Montur und fluchsicherem Visier über dem Kopf im
Türrahmen, zwängten sich ins Innere, mit erhobenem Zauberstab, und Albus
spürte, wie der kühle Tarnumhang ihn streifte, als Hugo vor ihm schwand, weiter
ins Zimmer flüchtete, und mit Glück würde er sogar unbemerkt hier raus kommen.
Immerhin,
dachte Albus bitter.
Der
Auror ganz vorne zerrte sich schließlich das Vsier vom Kopf. Verdammter Mist,
dachte Albus dumpf.
Das
Gesicht seines Vaters war wutverzerrt, seine Haare unordentlich, wie immer.
„Hast du vor, irgendeine Art der Gegenwehr zu leisten?“, fragte ihn sein Vater
hasserfüllt, und demonstrativ – mit nervöser Angst erfüllt – ließ Albus seinen
Zauberstab auf die Fliesen fallen. Es war das Protokoll, wusste Albus. Sein Dad
musste fragen. „Das dachte ich mir“, knurrte sein Vater ungehalten. Dann warf
er den Blick zurück. „Ihr könnt wieder zurück. Es tut mir wirklich leid, dass
ihr um die Zeit losmusstet. Auch mein Sohn entschuldigt sich dafür, ein
Kleinkind zu sein, was selbst mit sechzehn Jahren immer nur Probleme macht,
egal, was er tut.“ Die letzten Worte galten ihm, und Albus schluckte schwer.
Und der Blick seines Vaters war so eindeutig und spürbar schmerzhaft, dass
Albus eingeschüchtert nickte.
„Tut…
tut mir leid“, würgte er heiser hervor, und kam sich auf allen Ebenen
gedemütigt vor. Die Auroren, die er hinter den Visieren nicht erkennen konnte,
murmelten irgendwelche Worte, halb gereizt, halb kopfschüttelnd, bevor sie die
Küche gesammelt wieder verließen. Er wandte sich an seinen Vater, denn er
wusste, er musste es erklären. „Dad-“, begann er, aber neuer Zorn flackerte in
den grünen Augen seines Vaters. Allein sein Blick ließ ihn verstummen.
Erst
als die kaputte Haustür wieder magisch ins Schloss gesetzt und mit einem lauten
Rumms wieder zugefallen war, atmete sein Vater aus. Albus hatte keine Ahnung,
ob Hugo noch im Haus war. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Und die verrückte
Aussage, sein Vater wäre nicht nachtragend? Sein Vater gehörte zu den Menschen,
die nie irgendetwas vergaßen. Und Albus nahm an, an diese Aktion würde er sich
noch in fünfzig Jahren erinnern.
„Deine
Mutter und ich waren krank vor Sorge“, informierte ihn sein Vater gepresst, und
Albus‘ Blick fiel automatisch. „Wegzulaufen war eine grenzenlos dumme Idee“, fuhr
er nahtlos fort, und Wut tränkte jedes Wort. „Du verpasst den Unterricht,
begibst dich in sinnlose Gefahren – und ich kann es verstehen.“
Moment
– was?!
Albus‘
Blick schoss entgeistert wieder hoch, sah seinem Vater direkt ins Gesicht. Er
tat was?! Seine Augen mussten ihm praktisch aus dem Kopf fallen, und sein Vater
schritt zu dem Hocker, auf dem Hugo vor wenigen Minuten noch gesessen hatte.
Taub folgte Albus ihm, konnte immer noch nicht viel mehr tun, als ihn verwirrt
anzusehen, und sein Vater fuhr sich abwesend durch die Haare. Er war so absolut
James, wenn er das tat. Oder umgekehrt. „Es muss schwer sein“, schloss sein Dad
schließlich. „Aber du kannst nicht weglaufen, Al“, ergänzte er kopfschüttelnd.
„Ich weiß“,
entkam es ihm still, und fast erschrak er über seine eigene Stimme.
„Rose
wird dich nicht für immer hassen. Wenn sie es überhaupt tut“, sagte sein Vater
dann, und es war so peinlich. So verdammt peinlich, dass sein Dad es wusste.
Und dass er darüber sprach. „Willst du drüber reden?“, erkundigte er sich, und
sofort schüttelte sich sein Kopf.
„Nein“, murmelte er hastig. „Auf keinen Fall“, ergänzte er rau.
„Es
ist eine Phase, und die wird vergehen, ok?“ Immerhin tat sich sein Dad auch
etwas schwer damit. Und Albus wünschte sich, er würde aufhören. Immerhin wurde
er nicht angeschrien. Das war positiv.
„Ok“,
bestätigte er hastig, denn er wollte, dass dieses Gespräch endete. Sehr
schnell.
„Ok“,
wiederholte sein Vater, und dann wurde sein Ausdruck kälter. „Und was fällt dir
ein, fünfhundert Galleonen abzuheben?“, bekam er die nahtlose Anfuhr für die
nächste Aktion. Er verzog ratlos den Mund.
„Ich…
hatte Angst?“, schlug er vorsichtig vor, aber sein Dad kaufte es ihm nicht ab.
„Ach
ja? Hier ist was, um deine Angst zu schüren, Al“, erwiderte er glatt. „Wie wäre
es, wenn wir dieses Jahr auf deine Weihnachtsgeschenke verzichten?“ Aber Albus
nahm an, das wäre eine sehr glimpfliche Strafe.
„Das
wäre hart“, entgegnete er still.
„Gut. Und du kannst Onkel Ron und Tante Hermine einen hübschen Brief schreiben.
Und lass dir was Besseres einfallen, als dass es dir leid tut“, warnte sein
Vater ihn. Albus verzog den Mund. Und er nahm an, wüsste sein Dad, dass er
seine Tante beleidigt hatte, würde dieses Gespräch wesentlich anders aussehen.
Wahrscheinlich war er noch mal davon gekommen. Und bei diesem Gedanken wurde
seine Brust plötzlich sehr eng. Er kam davon. Hugo hatte… Recht. Er hatte
tatsächlich Glück. Vielleicht mehr Glück als andere. Er fühlte sich absolut
scheiße.
Und
dann tat sein Dad etwas Seltsames. „Wie wäre es, wenn wir hier bleiben? Heute?
Es ist spät, Hogwarts ist weit weg. Vielleicht… wäre es nicht schlecht.“ Albus
war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Es würde ihn ablenken nahm
er an. Von… allen Dingen. Von… ihr. Und… ihm. Mit aller Macht sah er Scorpius
vor sich. Wie konnte er? Wie konnte Scorpius so etwas tun?
Und
erst jetzt schlug diese Information ein, erreichte sein Gehirn, und Tränen
schossen in seine Augen.
Sein
Vater reagierte nahezu sofort. „Al?“ Er hatte sich erhoben, schloss den
Abstand, und heiße Tränen fielen auf Albus’ Wange, als er begriff, dass er
seinen besten Freund verloren hatte. Sein Dad umarmte ihn ohne Worte, und wie
ein Kind hielt sich Albus an ihm fest, schloss die Augen fest und wollte nicht
mehr nachdenken. Über gar nichts mehr.
Es war ein eigenartiges Gefühl gewesen.
Zum ersten Mal in der Geschichte ihrer schulischen Karriere war es passiert,
dass ihre Hand schneller oben gewesen war. Ihr war aufgefallen, dass ihr Bruder
heute müder wirkte als sonst – erschöpft regelrecht, und noch kein Mal hatte er
die Hand gehoben, um sein Wissen zu beweisen. Und das hier war eine definitive
Hugo-Weasley-Frage gewesen. Aber Rose hatte die Antwort gewusst, bevor
McGonagall ihre Frage überhaupt beendet hatte. Von Rumer erntete sie einen
ungläubigen Seitenblick, als ihre Hand nach oben geschossen war, und fast saß
sie auf der Kante des Stuhls, so dringend wollte sie sich beweisen. Zum ersten
Mal in ihrem Leben. Es ging ums Prinzip. Und um die Tatsache, dass sie noch
immer nicht mit ihrem Bruder sprach.
„Miss
Weasley?“ Überraschung klang in McGonagalls Stimme mit, und eine Frage von
McGonagall zu beantworten, war… erheblicher, als Kräuterkunde zu bestehen. Es war
eine andere Liga. Und sie spürte Hugos Blick auf sich, als sie antwortete. Fast
zitterte ihre Stimme, denn das war nicht ihr Terrain. Es war Hugos Terrain.
Rose war gut auf dem Besen, aber nicht im Klassenzimmer.
„Der
Crinus Muto Zauber ist ein Basenaffekt-Zauber und gehört zum ersten Status, da
er ohne Trank, nur durch Transformation mit Zauberstab ausgeführt wird. Der
Farbwechsel der Haare ist nur zu konventionellen Farben möglich“, schloss sie,
ein wenig atemlos, und von sich selber gänzlich überrascht.
„Das…
ist völlig korrekt. Nehmen Sie fünf Punkte, Miss Weasley“, entgegnete
McGonagall äußerst wohlwollend, und Rose konnte nicht anders, als zu lächeln.
Automatisch, ohne es verhindern zu können, hob sich ihr Blick, und sie hatte
schon gespürt, dass Hugo sie anstarrte. Tatsächlich sah ihr Bruder so aus, als
hätte er in etwas Saures gebissen. Roses Mundwinkel zuckten, und eilig fiel ihr
Blick zurück auf ihre Unterlagen.
„Was
war das denn?“, zischte Rumer neben ihr. „Woher weißt du sowas?“, wisperte sie
ungläubig, und Rose zuckte bescheiden die Achseln.
„Keine
Ahnung“, flüsterte sie, dabei hatte sie erst vorgestern das schwierige Kapitel
über Basenaffekte mit Snape im Rücken durchgearbeitet. Sie war selber
überrascht, dass sie sich die komplizierten Erklärungen hatte merken können.
Und tatsächlich war der Crinus Muto Zauber einer der ersten, der überhaupt
beschrieben wurde. Glück gehabt, dachte sie mit klopfendem Herzen. Was für ein
verdammt großartiges Gefühl. Sie hatte zum ersten Mal Punkte für irgendetwas
bekommen!
„Hugo
sieht aus, als hättest du ihm den Pudding versalzen“, murmelte Rumer, während
sie ihren Bruder betrachtete, und Rose tat es lächelnd ab. Sie hatte das
Gefühl, den Rest der Stunde über aufmerksamer zu sein und notierte sich sogar
die Extraaufsätze, die McGonagall beiläufig erwähnte.
Und
tatsächlich hob sich ihre Hand ein zweites Mal. Diesmal erntete sie sogar Doms
fragenden Blick.
„Miss
Weasley?“, reagierte McGonagall positiv überrascht, und wieder schämte sich
Rose beinahe, als sie sprach.
„Ich kann zu diesem Thema ebenfalls den Aufsatz von… Hermine Granger über den
Blutstatus und seine Regelmäßigkeiten empfehlen. Einige Auszüge befassen sich
ausschließlich mit Basenaffekten“, endete sie stiller, und McGonagall wirkte
beeindruckt.
„Mir
ist dieser Aufsatz durchaus bekannt“, bemerkte die Schulleiterin mit dem
schmalsten aller Lächeln. „Und das war ein sehr guter Hinweis. Danke, Miss
Weasley. Klasse, ich finde, bis zum nächsten Mal dürfen alle den Aufsatz von
Hermine Granger lesen. Sie finden ihn in der Bibliothek. Die Stunde ist vorbei.
Guten Hunger, wünsche ich.“ Laut wurden die Taschen gepackt, und tatsächlich
beschwerten sich Schüler verhalten über sie. Rose wusste, es war wahrscheinlich
unfassbar streberhaft einen Aufsatz der eigenen Mutter zu empfehlen, aber… sie
hatte gar nicht anders gekonnt. Das kannte sie von sich nicht. Für gewöhnlich
hielt sie den Mund und zwang Leuten nicht ihre Meinung auf!
„Wegen
dir haben wir Extrahausaufgaben. Danke“, bemerkte Rumer kopfschüttelnd.
„Wahrscheinlich
hat sie jetzt mehr Zeit, ihr Gehirn zu benutzen, wo du in einer anstrengenden
Beziehung steckst“, entgegnete Dom überraschend kühl. Rose war schon
aufgefallen, dass Dom deutlich weniger weinte. Sie war dazu übergegangen,
bissig zu sein.
„Besser,
Rose benutzt ihr Gehirn, als dass sie es gänzlich abschaltet, nicht wahr,
Dom?“, erwiderte Rumer mit zuckersüßem Lächeln, und Dom schien sich nicht
sicher zu sein, ob das gerade eine Beleidigung war. Rose bemerkte, dass Hugo
das Klassenzimmer sehr schnell verließ, als hätte er es eilig. Oder als hätte
er Angst.
Ihr
Blick folgte ihm, und sie hörte Dom und Rumer gar nicht mehr zu. Und nein, sie
benutzte ihr Gehirn nicht wirklich. Nicht in Bezug auf gewisse Dinge. Sie
hinterging ihre Cousine, mit jedem weiteren Tag. Es trieb die Röte in ihre
Wangen, überhaupt über gestern nachzudenken. Es war ein perfekter Abend
gewesen, zu perfekt. Fast wusste sie nicht mal mehr, wie sie jemals aus der
Sache mit Scorpius unbeschadet rauskommen sollte. Sie hatte keine Ahnung von
Affären, aber gestern war es gefährlich gewesen, oder? Und vielleicht war es
gut, dass er nicht mit ihr geschlafen hatte, denn… sie war sich nicht sicher,
was es alles bedeuten würde. Es wäre nicht für immer, und langsam aber sich
wurde sie süchtig nach seinem Körper. Und sie hatte auch Angst davor. Er hatte
ihren Horizont erweitert, definitiv. Und sie sehnte sich nach mehr. Aber… sie
würde den den nächsten Schritt nicht initiieren können. Denn sie wusste gar
nicht, wie sie es beginnen sollte. Oder ob sie überhaupt die Macht hatte, ihn
von irgendetwas zu überzeugen.
„Lasst
uns einfach gehen“, vernahm sie Rumers gereizte Stimme wieder, aber Rose wusste
ziemlich genau, dass James und Rumer sich vertragen hatten. Sie hatte es ihr
nach dem Frühstück hinter vorgehaltener Hand berichtet. Laut Rumer hatten sie
die Differenzen geklärt, aber es war noch nicht zum Äußersten gekommen, denn
sie ließ ihn noch etwas schmoren, so ihre Worte.
Auf
dem Weg in die Halle entdeckte sie ihren Bruder wieder. Er war in ein sehr
stilles Gespräch mit seinem kleinen Freund vertieft. Einer der Scamanders,
wusste Rose, aber sie konnte beide nicht auseinanderhalten. Einer war clever,
der andere nicht. Das war alles, was sie wusste, denn natürlich sprach Hugo nie
darüber. Und sie sah, ihr Bruder wirkte besorgt. Merlin, sie hatte Hugo noch
nie so erlebt, wenn sie ehrlich war. Er schien so selbstvergessen. Für
gewöhnlich konnte sie ihn nie lange beobachten, denn er merkte es zu schnell.
Aber heute…? Irgendwas Eigenartiges umgab ihn. Auch als James gähnend zu ihnen
stieß, Rumer umarmte, ruhte ihre Aufmerksamkeit auf Hugo. Vielleicht war es
etwas Schwesterliches. Sie wusste es nicht. Aber sie hatte ein seltsames
Gefühl.
„-nicht
wahr, Rose?“ Louis hatte sie aus ihren Gedanken gerissen. Abrupt wandte sich
ihr Blick.
„Hm?“,
entfuhr es ihr abwesend, und Luis grinste frech.
„Ich
sagte, du kommst immer mehr auf deinen Bruder. Punkte sammeln für krankes
Zusatzwissen?“, schien er zu wiederholen, und immerhin heuchelte James
Interesse. Denn eigentlich interessierten sie sich alle nicht sonderlich für
schulische Leistung.
„Ich
hatte auch mal so eine Phase“, mischte sich Fred fast versonnen ein, tiefe
Grübchen auf den dunklen Wangen.
„Ja,
ja. Um Ginnifer zu beeindrucken“, warf James nickend ein, mit vielsagendem
Blick, während er den Arm um Rumers Schulter legte.
„Tja“,
entgegnete Fred, eine Spur bitter. „Aber Rose, glaub mir – selbst wenn du
superschlau bist – die heißen Mädchen nehmen den dümmsten Vollidioten“, warnte
er sie.
„Hey!“, entfuhr es James. Aber Fred hatte nicht unrecht, dachte Rose. Auch wenn
James nicht unbedingt der dümmste Vollidiot war.
„Halt
die Klappe, Fred!“, beschwerte sich auch Rumer, und Rose musste fast lachen.
„Hätte
Ginnifer dann nicht eigentlich Sutter nehmen müssen?“, wollte Rose ratlos
wissen, und James nickte grinsend. Dann wandte er sich an Rumer.
„Das war damals, Baby“, entschuldigte er sich, und Rose sah deutlich, Rumer
hasste diesen Spitznamen. Rumer konnte auch die Erwähnung von Ginnifer
offenkundig nicht leiden.
„Du
bist auf Bewährung. Also spar dir dein ‚Baby‘“, erinnerte sie ihn finster.
„Ginnifer
hätte dann doch eigentlich Scorpius nehmen müssen“, entfuhr es Dom fast
selbstvergessen, und äußerst abwertend. „Wenn es schon der dümmste Vollidiot
sein muss“, ergänzte sie bitter. Und dieses Mal seufzte Louis tatsächlich auf,
wo er sich sonst nie einmischte.
„Wir
haben’s verstanden, Dom“, versicherte er ihr gepresst. „Malfoy ist ein Arschloch,
du bist für immer sauer für ihn – alle haben’s begriffen“, schloss er
eindeutig. Dom schoss ihm einen wütenden Blick zu.
„Entschuldige,
wenn dich meine Gefühle nerven, Louis. Entschuldige, dass ich das Bedürfnis
habe, darüber zu sprechen und nicht wie du, jede kleinste Regung in meinem
Körper mit dämlichen Sprüchen unterdrücken muss! Du schläfst doch mit jedem
Mädchen im Besenschrank und bleibst keiner treu, nur um dich nicht
festzulegen!“
„Hey!
Mein Leben geht dich überhaupt nicht an, Dominique!“, fuhr Louis seine
Schwester plötzlich ziemlich scharf an. „Immerhin bin ich nicht so dumm zu
glauben, dass sich jedes Mädchen ihr linkes Bein ausreißen würde, um mir zu
gefallen. Ich verlasse mich nicht auf mein Aussehen, und ich investiere eben
nicht mein Herz. Vielleicht hättest du dir vorher ein paar Gedanken machen
sollen, du oberflächliche Ziege!“, knurrte er, und Dom schwieg verblüfft. Sie
alle schwiegen verblüfft.
Dom
setzte zum Konter an, Rose sah es sehr genau, und sehr schnell war das alles hier
sehr unangenehm geworden. Und fast war es eigenartig, das Vic manchmal sehr
gutes Timing hatte. „Na, streiten sich die kleinen Geschwister? Louis, lass es
einfach. Und Dom? Du weißt doch, dass man ihn besser ignoriert. Ich würde
vorschlagen, wir essen, und ihr blamiert mich nicht weiter?“ Der letzte Satz
galt der gesamten Familie, und ihr unfassbar schönes Lächeln, ließ sie allesamt
verstummen. Ja, Vic war anders. Vic schien hier schon lange nicht mehr
hinzugehören. Eigenartig, wirklich. Damals hatte Rose geglaubt, Vic würde
niemals erwachsen werden, und mittlerweile… war alles anders. Es war
beunruhigend, aber scheinbar nicht aufzuhalten. Auch Roses eigene Veränderungen
überraschten sie, aber sie geschahen so zunehmend und unaufhaltsam, dass es…
normal sein musste?
Und
es war angespannt, als sie längst am langen Tisch saßen, einige schlechter
gelaunt als andere, und Rose hing den trüben Gedanken nach, wagte nicht mal,
sich umzudrehen, um vielleicht einen Blick auf den Slytherintisch zu werfen,
denn jetzt gerade hütete sie sich davor. Dom kochte neben ihr, und selbst Rumer
schwieg verbissen, dachte vielleicht über Ginnifer und James nach. Louis hatte
sich ziemlich weit weg gesetzt, und heute saß Lily ihr direkt gegenüber. Schon
ein paar Mal war Rose aufgefallen, dass Lily sie öfters anstarrte. Aber immer,
wenn Rose den Blick gehoben hatte, war Lilys Blick hastig auf ihren Teller
zurück gefallen.
Ok.
Dieses Problem musste sie angehen. Sie fühlte sich durch Vic inspiriert. Was
war Lilys verdammtes Problem? Es nervte sie schon seit Tagen. Ihre Cousine war
schwierig und seltsam, aber jetzt reichte es einfach.
Nach
dem Essen würde sich Rose darum kümmern. Sie hatten beide eine Freistunde, das
wusste sie, und vielleicht musste sie diese unangenehmen Dinge endlich mal
ansprechen, um sie zu lösen. Noch so eine lästige erwachsene Sache. Man konnte
nicht entkommen.
Es
brach plötzlich unterdrücktes Gemurmel aus. Und sie erkannte an James‘ Haltung,
dass irgendetwas geschah. Denn sein Löffel sank sehr plötzlich, und sein
Gesicht verlor jeden Ausdruck. Rose wandte sich direkt um.
McGonagall
hatte die Halle betreten – und… ihr Arm lag um Albys Schulter! Es war Alby!
Merlin! Die Schüler verrenkten sich an den Tischen die Hälse, und kurz
flackerte ihr Blick zu Scorpius. Wie gebannt sah der blonde Slytherin zur Tür,
aber er regte sich nicht, sprang nicht auf, und Rose wusste nicht, was
passieren würde. Es war tatsächlich das erste, was sie dachte. Sie dachte kaum
daran, dass sie glücklich war, Alby wiederzusehen. Nein, sie… dachte an
Scorpius. An die Probleme, die jetzt auftreten würden.
Und
sie befiel das schlechte Gefühl. Mit Alby war nichts geklärt, sie hatte ihre
Gefühle allesamt ignoriert, und jetzt… kamen sie mit aller Macht zurück.
Unter
den Blicken aller, schritt ihr Cousin weiter. Er trug die Uniform von
Slytherin, aber er ging nicht in Richtung seines Haustisches. Er steuerte
direkt zu ihnen. Roses Kiefer gab nach, als sie seinen Blick auffing. Ihr Herz
schlug schneller. Es war so viel passiert. So schrecklich viel.
Und
dann… war die Zeit vorbei, die Sekunden schmerzlich abgelaufen, und er stand
direkt vor ihr. Ihr Kopf lag in ihrem Nacken.
„Hey“,
begrüßte er sie als erste, und Rose schluckte schwer. Ihr Herz raste. Es lag
keine Versöhnung in seinem Gesicht. Das war, was sie eigenartigerweise zuerst
erkannte. Fast überraschte es sie. Fast hatte sie erwartet, dass er auf die
Knie fallen würde, um sie vor der gesamten Halle um Vergebung zu bitten.
Schließlich… war er sie in verliebt, nicht wahr? Dumme Gedanken. Egoistische,
arrogante Gedanken. Die gesamte Familie schwieg.
„Du
bist wieder da“, brach James nach einer ganzen Weile die Stille, und Albys
Blick löste sich unwillig von ihrem Gesicht. Rose konnte wieder atmen.
„Ja“,
bestätigte er ernst.
„Weiß
Dad Bescheid?“ Auch in James‘ Stimme fehlte einfach die Wiedersehensfreude, und
Alby vergrub die Hände in seinen Taschen, so wie Rose es von ihm gewöhnt war.
„Ja,
weiß er“, bestätigte Hugo knapp. Und plötzlich konnte sie nicht mehr sitzen,
kam abrupt auf die Beine, und Albys Blick ruhte wieder auf ihr. Umständlich
kletterte sie über die Bank, stand nervös vor ihrem Cousin, und sie wusste
nicht, ob sie irgendetwas sagen sollte. Sie hatte es sich anders vorgestellt.
Nicht so… angespannt?
„Rose?“
Es war Rumers vorsichtige Stimme. Ihr Herzschlag ging schneller. Und sie hatte
das komische Gefühl, dass es nicht mehr ihr bester Freund war, der vor ihr
stand. Nicht der Junge, der still und heimlich verschwunden war, sie um
Vergebung gebeten hatte, sie… geküsst hatte. Sein Blick war beinahe feindselig.
Und es war so vollkommen abwegig, so absolut unwahrscheinlich, aber plötzlich
hatte sie den merkwürdigen Verdacht – dass nagende Gefühl – dass… er es wusste.
Aber es konnte gar nicht sein. Es konnte nicht! Denn woher sollte er?!
„Und?“,
sprach er das erste Wort, direkt in ihr Gesicht. „Irgendwas passiert, während
ich weg war?“ Seine Stimme war neutral, sein Tonfall lauernd, und Rose musste
wieder schlucken. „Irgendwas spannendes?“, ergänzte er. Und kurz teilten sich
ihre Lippen, aber sie sagte kein Wort. Kurz flackerte ein Schatten des alten
Albys über sein Gesicht, kurz erkannte sie ihn. „Ich… möchte mich in aller Form
bei dir entschuldigen, Rose“, kam es anschließend über seine Lippen, aber die
aufrichtigen Worte erreichten seine kühlen, grünen Augen nicht. „Wirklich. Ich…
habe dir wehgetan, aber… ich hatte Zeit, mich zu besinnen. Meine… Gefühle zu
ordnen.“ Sie wusste, der halbe Tisch hörte zu, die restliche Halle starrte zu
ihnen hinüber, und die Worte, die er sagte, waren ganz und gar nicht, was er
meinte. „Und… keine Sorge“, schloss er mit einem sehr intensiven Blick, der ihr
Schauer über den Rücken jagte, „ich bin drüber weg.“ Kälte kroch wieder in
seine Haltung. Und sie hatte keine Ahnung, ob er log oder die kalte Wahrheit
sagte. „Ich hoffe, wir lassen diese Sache hinter uns.“ Sein ununterbrochener
Augenkontakt beschleunigte ihre Atmung. Und es war keine Frage, die er äußerte,
keine echte Bitte. „Wir wollten uns nicht wehtun, richtig?“ Seine Oberlippe
kräuselte sich sehr kurz, und sie hatte keine Ahnung, wie es sein konnte, aber…
sie fühlte sich komplett nackt unter seinem Blick. Komplett durchschaut.
„Ich
muss gehen“, flüsterte sie, sah ihm nicht mehr in die Augen, wandte sich ab,
und fast rannte sie aus der Halle. Sie wusste, sie erregte Aufmerksamkeit, aber
sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, würde sie noch länger dort
stehen bleiben. Rumer rief ihr nach, aber Rose hielt nicht inne, rannte einfach
weiter.
Alby
war wieder da, und… er war komplett anders! Er jagte ihr Angst ein.
Schreckliche Angst.
Er wartete ungeduldig. Es musste ihm
auffallen. Es musste Al auffallen, dass er nicht unten war. Nicht im
Gemeinschaftsraum. Er nahm an, McGonagalls Standpauke hatte eine ganze Weile gedauert,
und alle fragten ihn jetzt bestimmt eintausend Fragen unten. Und gleichzeitig
fürchtete sich Scorpius. Er war nicht dumm. Er hatte gesehen, wie Rose und
Albus gesprochen hatten, es war ihm nicht entgangen, dass sie sich nicht umarmt
hatten, dass Rose irgendwann geflüchtet war. Und Scorpius nahm an, es war kein
gutes Zeichen. Er hatte sich davon abgehalten, Rose nachzulaufen. Es war ein
Gefühl, tief in seinen Eingeweiden, weswegen er sich zurückhielt, sich
praktisch versteckte. Warum war Al wiedergekommen? Scheinbar einfach so?
Ein
instinktives Gefühl sagte ihm, Hugo war daran nicht unschuldig.
Und
tatsächlich freute er sich nicht. Er war dumm gewesen, hatte sich nicht darauf
vorbereitet, Al wiederzusehen, und jetzt… passierte alles viel zu schnell.
Und
er hatte bereits Collin aus dem Schlafsaal geworfen, als dieser sich auf sein
Bett hatte fläzen wollen, um in einer Quidditchzeitschrift zu schmökern. Nur
unter Protest und Androhung von Gewalt seitens Scorpius hatte sich Collin
verpisst, und seitdem tigerte Scorpius durch den Schlafsaal. Dass Al sich so
viel Zeit ließ, bedeutete nichts Gutes. Es war ganz einfach.
Vielleicht
war Scorpius paranoid geworden, aber seine Eingeweide signalisierten ihm
deutlich, dass von jetzt an nichts Gutes passieren würde. Zwischen ihm und Al.
Er war sich so absolut sicher!
Und
dann passierte es. Er hörte die Schritte. Sein Körper spannte sich an. Er
verharrte in der Mitte des Schlafsaals. Seine Finger dehnten und spannten sich
wieder und wieder, versuchten, durch kompulsive Wiederholung, Ruhe in seinen
Körper zu bringen, leider vergebens. Der Schatten fiel in den Türrahmen, und
Scorpius‘ Blick fokussierte, blind für alles andere. Er erkannte Albus Gestalt
sofort. Seine Umrisse, seine typischen Bewegungen. Seine Augen suchten sein
vertrautes Gesicht, und selbst im Schatten, selbst unter diesen Bedingungen,
dauerte es weniger als eine Sekunde. Mehr brauchte es nicht. So gut kannte
Scorpius ihn. Sein Herz fiel in seinen Magen, und fast überraschte es ihn, wie
schnell er sich abfand. Sich wappnete. Wie sich sein Körper instinktiv auf die
Auseinandersetzung vorbereitete. Denn Als Ausdruck sagte ihm eine Sache mit
schreiender Deutlichkeit: Sein Geheimnis war kein Geheimnis mehr. Es war
vorbei.
Al
Potter war ein wenig kleiner als er. Nicht der Rede wert. In einem Kampf wäre
es absolut unwichtig. Sein Ausdruck war erschreckend kalt, und Scorpius hatte
geglaubt, Als Gesicht vergessen zu haben, aber es war, als hätte er ihn erst
gestern gesehen. Aber nicht wie sonst, lachte sein bester Freund, scherzte mit
ihm, alberte mit ihm, unterstützte ihn, denn jetzt… jetzt kam der Weasley in
ihm durch. Die Person, die ihn ganz und gar nicht leiden konnte. Ablehnung
füllte das Grün seiner Augen, und Scorpius streckte den Rücken durch.
„Schließ die Tür“, war das erste, was Scorpius zu seinem Freund sagte. Absolut
ruhig, ohne jede Aggression. Und Al betrat ihren Schlafsaal, während er
langsam, mit demonstrativer Ruhe, die Tür hinter sich schloss. Sie waren
allein. Kein Geräusch drang mehr von unten nach oben.
„Angst?“,
erkundigte sich Al sehr ruhig bei ihm, enttarnte ihn sofort, und Scorpius Augen
sogen seinen Anblick auf. Ringe lagen um Als Augen, sein Gesicht wirkte
deutlich eingefallen. Er sah nicht schlecht aus – tat er nie, aber… er wirkte
auch nicht gerade ausgeschlafen und gesund.
„Warum
sollte ich?“, entfuhr es Scorpius argwöhnisch, aber… nicht überzeugend genug,
denn Merlin! Er hatte Al bereits gebeten, die Tür zu schließen. Sie fixierten
einander wie Platzhirsche, beäugten einander wie Alphatiere, die kurz vor dem
Ausbruch standen. Es war… offensichtlich. Und ja. Scorpius hatte eine scheiß
Angst. Sie hatten sich noch nicht einmal begrüßt, und er starb innerlich. Noch
nie war es zu einer physischen Auseinandersetzung zwischen ihnen gekommen, und
Scorpius sehnte sich auch nicht danach. Ganz und gar nicht. Es zerstörte ihn
schon jetzt, dass Al ihn so hasserfüllt betrachtete.
„Hm“,
machte Al nachdenklich, ließ ihn nicht aus dem Blick. „Aus verschiedenen
Gründen, nehme ich an“, beantwortete er seine Frage mit sanftem Interesse. „Du
glaubst ja nicht, wer mich gestern besucht hat“, entfuhr es ihm gedehnt, und
Scorpius Finger zuckten unbewusst. Er war sich nur zu gewahr, dass sein
Zauberstab in seiner Hintertasche steckte. Er hasste, dass er darüber
nachdachte, ihn zu benutzen. Er hasste, dass er tatsächlich den Hauch von Panik
verspürte. Er würde es gegenüber Al nicht zugeben.
„Wer?“,
ging Scorpius ungeduldig auf Als Spiel ein, obwohl er nicht wollte. Obwohl er
es bereits ahnte.
„Oh,
rate einfach. Tu mir den Gefallen, Scor“, erwiderte Al mit einem freudlosen
Lächeln. Scorpius schluckte schwer. Er ruckte unwirsch mit dem Kopf, weigerte
sich, zu antworten, und dann wechselte Al das Thema, während sein Lächeln
langsam verblasste. „Dann sag mir, warum ich die Tür schließen sollte“, wollte
Al schließlich von ihm wissen, während er lauernd näher kam. Scorpius wich zur
Seite aus, bis sie in einen seltsam lächerlichen Tanz fielen, und den Raum in
exakt gleicher Distanz zu einander umrundeten. Scorpius‘ Mund öffnete sich
knapp.
„Weil…
eil es niemanden etwas angeht“, entfuhr es ihm beherrscht. Als grüne Augen
blitzten gefährlich auf.
„Ja?
Ich kann mir vorstellen, die anderen würde es brennend interessieren“, fuhr Al
verbissen fort.
„Al-“,
begann Scorpius langsam, hob die Hände, aber sein bester Freund schüttelte den
Kopf. Noch immer blieben sie in Bewegung. Scorpius‘ Atem flachte ab.
„-wie
fühlt es sich an, Malfoy?“, unterbrach Al ihn ruhiger. „Fühlt es sich gut an?“,
fuhr er rauer fort. „Waren meine Gefühle irgendein Faktor, oder… ging es nur um
dich?“ Er fragte ihn ehrlich, sah ihn durchdringend an, und Scorpius biss die
Zähne zusammen. „Nicht, dass es noch sonderlich wichtig wäre. Rein
interessehalber.“ Al beschritt weiterhin ruhige Kreise. Scorpius antizipierte
einen Angriff jede Sekunde. Er kannte Al. Er kannte ihn zu gut. Kannte ihn,
wenn er auf andere wütend war, und niemals hatte er geglaubt, mal der Fokus von
Als Wut zu sein. Es fühlte sich beschissen an. „Ich hatte geglaubt, rote Haare
wären nicht dein Fall“, fuhr er dunkler fort, riss ihn aus seinen Gedanken.
„Albus-!“
„-mir
war so, als hättest du mir versichert, Dom wäre die eine?“, ignorierte er ihn
mit verengten Augen, und seine gespielte Unschuld klang widerwärtig. Dass er Dom
erwähnte, jagte Schmerz durch Scorpius‘ Körper.
„Albus,
lass es mich erklären-!“, machte Scorpius den letzten Versuch, aber Al lachte
hart auf.
„-bitte,
ich kann’s kaum erwarten!“, knurrte Al unfassbar zornig, die gemimte
Überraschung scheiterte kläglich in seiner Stimme. „Erklär mir, warum du Rose
Weasley vögelst!“
Und
dann hielten sie an. Der Tanz vorbei. Sein bester Freund kam näher, und
Scorpius hielt ihn nicht auf.
„Seit
Sommer, hm?“, fuhr Al nickend fort, eine Ader zuckte auf seiner Stirn. „Wow.
Wirklich beeindruckend. So absolut Slytherin von dir“, ergänzte er kalt.
„Musste verdammt perfekt sein, dass ich ausgerastet bin, wegen Presley!“,
entkam es ihm freudlos. „Dass ich abgehauen bin! Freie Bahn für Scorpius
Malfoy!“, rief er mit schnarrender Stimme und ausgestreckten Armen, als
präsentiere er seine Erkenntnis einem unsichtbaren Publikum. Und jetzt sah
Scorpius es mehr als deutlich. Schmerz. Es war absoluter Schmerz, der Al
zeichnete. Alles an ihm wirkte verletzt und zerstört. „Du elender Feigling, sag
irgendwas!“, fuhr Al ihn schließlich an, und seine Stimme zitterte vor
grenzenlosem Zorn. Scorpius‘ Mund öffnete sich, aber kein Ton kam raus. „Sag
mir, dass es nicht stimmt! Sag mir, dass das Arschloch Hugo gelogen hat, und
mein bester Freund mich nicht ausgeliefert hat! Sag mir, dass du es nicht
gewesen bist!“, donnerte seine Stimme beinahe hilflos, beinahe absolute
verzweifelt, während Tränen in Als Augen traten. „Sag mir, dass du Rose nicht
angerührt hast, weil du genau gewusst hast, dass es mich zerstören würde!
Selbst wenn es krank von mir ist! Sag mir, dass ich mich auf dich verlassen
konnte, auch wenn ich nicht hier war! Auch wenn ich scheiße war! Denn du
konntest dich auf mich verlassen, Scorpius! Denn ich war da, als deine Mum so
krank wurde, dass sie nicht mehr aufstehen konnte! Ich war da, als alles
furchtbar war! Jeden Tag, verdammt!“, brüllte er praktisch, bevor seine Stimme
brach, bevor die ersten Tränen fielen, bevor Als Fäuste kraftlos an seine
Seiten sanken. „Ich war jeden Tag da“, wisperte er beinahe, die Augen groß,
voller Schmerz, und es zerriss Scorpius innerlich. Scheiße, es tat so verflucht
weh. Er blinzelte die Tränen zurück
„Al-!“,
flüsterte er zitternd, und Al wischte sich zornig über die Wange.
„-streite
es ab“, entfuhr es Al erschöpft. „Verdammt noch mal, Scorpius! Streite es ab!“,
verlangte er verzweifelte, aber Scorpius konnte nicht. Selbst, wenn nicht alles
stimmte. Selbst, wenn es nur teilweise der Wahrheit entsprach - unterm Strich
änderte es gar nichts. „Streite es ab, oder es ist alles vorbei“, flüsterte er
Al kopfschüttelnd.
„Es
tut mir leid“, entkamen ihm die Worte schwer, und abgehackt entwich Al ein
schmerzhafter Atemzug. Freudlos lächelte er, während seine Augen wieder glasig
wurden.
„Wow“,
flüsterte er kopfschüttelnd. „Ich… war so einfältig und naiv zu glauben, dass
du mich suchst. Wie… konnte ich so dumm sein?“, flüsterte er ungläubig. Und
dann kam der Schmerz zurück. „Wieso ausgerechnet Rose?“ Es war eine echte
Frage, eine direkte Frage – eine verdammt gute Frage.
„Ich
weiß es nicht!“, entfuhr es Scorpius unter zornigen Tränen, und Al schüttelte
nur den Kopf.
„Nicht
gut genug, Scor“, widersprach er bitter.
„Es
ist einfach passiert!“, rief er wütend.
„Immer
noch nicht gut genug, du scheiß Bastard!“, schrie er jetzt außer Atem.
„Es
tut mir leid!“, donnerte seine eigene Stimme so unfassbar laut, dass seine
Kehle schmerzte.
„Wenn
du dich noch einmal entschuldigst“, warnte Al ihn zitternd, „schlage ich dir
ins Gesicht, du Dreckssack!“, knurrte er, und Scorpius konnte nicht anders.
„Es
tut mir leid“, wiederholte er rau, und mit Tränen auf den Wangen stieß Al ihm
hart vor die Brust, dass er zurücktaumelte.
„Ich
meine das ernst!“, brachte Al gepresst hervor.
„Es
tut mir leid“, flüsterte Scorpius wieder, und Als Schmerz war so betäubend
echt, und fast antizipierte Scorpius die nächsten Sekunden. Fast brauchte er
es. Es war eine kranke Mischung.
Grenzenlose
Wut überschattete plötzlich jedes andere Gefühl. Und Als Faust holte aus, und
Scorpius tat gar nichts. Absolut gar nichts. Mit voller Wucht traf ihn die
Faust seines besten Freundes, und kurz glaubte er, sein Genick würde brechen,
als sein Kopf zur Seite flog. Sterne tanzten vor seinem Blickfeld, er verlor die
Orientierung und ging zu Boden. Er hielt sich fluchend sein Auge, und Al stand
über ihm. Sein Atem ging schwer, unregelmäßig, und tatsächlich sagte er es noch
einmal. Weil es stimmte. Weil er es wollte.
„Es…
tut mir leid“, flüsterte er zitternd, und Al wurde nur noch wütender. Scorpius
sah seinen Fuß kommen, wappnete sich nur halbherzig, und schon trat Al ihm in
die Mitte. Nicht sonderlich hart, aber hart genug, dass es verdammt noch mal
neue Tränen in seine Augen trieb.
„Mir
nicht!“, zischte Al, aber… es stimmte nicht. Er hörte es. Scorpius fiel auf den
Rücken, gab sich den verdammten Schmerzen hin, und dann ging Al neben ihm auf
den Boden. Zornig griff er sich eine Handvoll seines Pullunders und zerrte ihn
näher an sein Gesicht. Blinzelnd nahm Scorpius seine Umrisse verschwommen war.
„Mir
nicht, Malfoy!“, wiederholte er bitter. „Das… das war’s“, verkündete Al mit
eigenartig hohler Stimme, als überraschten ihn seine Worte selbst. „Wir… wir
sind keine… Freunde mehr“, flüsterte er voller Schmerz, und Scorpius schluckte
schwer. „Du wirst deine dreckigen Hände von meiner Cousine lassen, du
Malfoy-Missgeburt! Du…“ Er zögerte. Kurz. Und es war, als zwang er sich dazu,
weiterzusprechen. „Du elender Sohn eines Todessers!“ Und dann fiel eine Träne
auf seine Wange. Scorpius sah es genau, blinzelte heftig gegen den Schmerz.
„Gut, dass deine scheiß Mutter tot ist“, brachte Albus über die trockenen
Lippen. „Dann muss sie nicht erleben, was für ein unfassbares Arschloch du
bist!“
Scorpius
ließ es zu. Er ließ ihn diese Worte sagen. Es tat so unendlich weh.
„Das
ist meine Warnung an dich! Es ist das letzte Mal, dass ich mit dir rede! Dass
ich dir meine Aufmerksamkeit gönne! Und rührst du sie an, sehe ich dich noch
einmal näher als nötig bei ihr – dann… sage ich es Ron!“, flüstert er heiser.
Ron Weasley… der Name schickte kalte Schauer durch seinen tauben Körper. „Ich
sage ihm, dass du auf seine Tochter stehst, so wie du es bei mir getan hast!
Ich sage ihm, dass du deine schmutzigen Hände nicht von ihr lassen kannst – und
es ist mir scheiß egal, wenn Rose mit dir untergeht!“, warnte er ihn dunkel.
Und Scorpius verstand. Er verstand es alles. „Ich bin fertig mit euch.“
Und
dann ließ er ihn los. Scorpius‘ Oberkörper fiel zurück auf den harten Boden.
Seine Augen schlossen sich. Die Bewusstlosigkeit näherte sich zügig.
Ihm
war schrecklich schlecht.
Hugo
Weasley hatte sich einen eigenartigen Handlanger geholt. Einen effektiven
Handlanger. Tränen rangen sich aus Scorpius‘ Augen, während er das Gefühl hatte,
die Zeit stand still.
Der
Brief in ihrer Hand wog schwer, und der Weg hoch in die Eulerei kam ihr endlos
vor. Eiskalter Wind zerrte an ihren dunklen Haaren, zog sie fast aus dem
lockeren Zopf, und egal, wie fest sie ihren Mantel um sich schlang, die Kälte
kam hindurch. Sie wusste nicht, was vor sich ging, wieso Rose seit einer Weile
eigenartig war, aber sie hatte verstanden, dass Rose nicht mit Albus reden
wollte. Merlin, Rumer verstand nicht mal, warum sie ihn nicht verflucht hatte!
Auf der Stelle! Rose war nicht im Gemeinschaftsraum gewesen. Rumer nahm an, sie
hatte sich in die Bibliothek geflüchtet. Es war neu und eigenartig, Rose so zu
erleben. Als jemanden, der sich tatsächlich um Noten und Leistungen scherte.
Es
hatte sie einigermaßen von ihren eigenen Sorgen abgelenkt, all die Aufregung um
Albus. Seit einigen Tagen schlief sie schon mit dem Brief ihrer Mutter unter
dem Kopfkissen, mit ihren eigenen Sorgen. Und bisher hatte sie nicht die
richtigen Worte gefunden gehabt, hatte nicht gewusst, was sie hätte sagen
sollen.
Ihre
Mutter hatte von ihrer Beziehung erfahren, und das aller erste, was ihre Mutter
ihr nahelegte, war, sich besser in Slytherin umzusehen. Nach geeigneteren
Partien. Nach… - wie hatte sie es genannt? Kulturell gleichgesinnten? Rumer
hatte nicht mal begriffen, was das heißen sollte! Was ihre Mutter damit
überhaupt meinte! Sie nahm an, Scorpius Malfoy wäre ihrer Mutter nach die beste
Option. Sie wusste, was ihre Mutter dachte. Sie nahm ihr noch immer übel, nach
Gryffindor gekommen zu sein. Sie nahm ihr übel, dass sie dem Sprechenden Hut
damals nicht widersprochen hatte. Aber Rumer war nicht so. Nicht im Ansatz! Sie
hatte nach Gryffindor gewollt. Es entsprach ihrem Charakter, und seitdem sie
denken konnte, war sie in James Potter verliebt gewesen!
Seit
dem ersten Tag! Ob die Freundschaft mit Rose nun Zufall gewesen war… wer wusste
das schon noch zu sagen? Aber es war ein glücklicher Zufall gewesen. Sie hatte
immer mit dazu gehört, war immer in James‘ Gesellschaft gewesen, und dass sich
ihr Traum endlich erfüllt hatte – war unfassbar! Und dass ihre Mutter ihr
direkt nahelegte, Schluss zu machen, tat einfach weh.
Und
ja, es war anders, als sie geglaubt hatte. Sie wusste, was alle über James
Potter sagten, und Rumer gab sich die größte Mühe, seine übliche Haltwertzeit
was Mädchen anging, zu überschreiten, sich nicht von ihm abschieben zu lassen,
ihm zu zeigen, dass sie besser war, als all die anderen dummen Mädchen, die er
an seiner Seite gehabt hatte. Und vielleicht… war sie das nicht.
Vielleicht
hatte ihre Mutter recht, wenn sie behauptete, die Potter-Jungen wären nicht der
richtige Umgang, würden ihr Herz brechen und wären die schlechteste Wahl, die
sie treffen könnte – aber Rumer glaubte ihr nicht.
Sie
glaubte ihrer Mutter nie.
Ja,
ihre Mutter mochte Rose nicht leiden. Weil sie eine Weasley war! War das zu
fassen? Das war der einzige, dumme Grund, den ihre Mutter finden konnte!
Sie
erreichte den windigen Absatz und verharrte verblüfft. Bei diesem scheiß Wetter
war sie nicht die einzige hier oben. Ihre Augen erfassten ihn, und abwesend
strich sie eine Strähne hinter ihr Ohr, die bereits aus ihrem Zopf gefallen
war. Er lehnte an der Mauer, den Kopf in den Händen vergraben, und er trug
nicht mal einen Mantel. Er trug nur seine Uniform. Er war alleine, und er
wirkte so selbstvergessen, so… schmerzerfüllt. Es war… so eigenartig.
Heute
Morgen hatte sie ihn beobachtet. Sie tat es in letzter Zeit, denn Rose weigerte
sich. Und Rumer hatte das Gefühl, irgendwer… musste es tun. Er hatte sich stark
verändert. In den letzten Wochen war es ihr aufgefallen, und sie wusste nicht
mal genau, was es war. Unschlüssig stand sie auf dem Absatz, hielt den Brief an
ihre Mutter vergessen gegen ihre Brust gepresst und betrachtete Hugo Weasley stumm.
Er
war groß geworden, war längst größer als sie. Sein Pullover war hochgekrempelt,
und seine Unterarme, die sich auf die Balustrade stützten, um seinen Kopf zu
halten, waren nicht mehr die eines Jungen. Letzte Woche beim Lernen war es ihr
schon aufgefallen. Hugo wuchs in einen eigenartig männlichen Körper. Kein
direkter Quidditchkörper, nein, Hugo würde nicht mal wissen, wie man Quidditch
buchstabierte, aber… Rume fiel es auf. Und es war absolut unfassbar, dass Cara
Lockhart-Grey so oft an seiner Seite zu sehen war. Fand Rumer. Rose beachtete
es nicht – Rose interessierte es nicht, dabei war es… spannend. Sie wusste, er
hatte Cara um ein Date gebeten. Sie wusste, Hugo hatte eine seltsame Verbindung
zu Scorpius Malfoy. Und sie wusste, er hatte das Treffen eher verlassen. Sie
wusste das. Sie war da gewesen. Auch nicht bis zum Ende, aber sie hatte Hugo
erlebt in den letzten Tagen. Und sie hatte es Rose gar nicht erst gesagt. Und
jetzt? Jetzt war er hier oben, alleine, unglücklich, und fast überkam sie die Fürsorge
einer großen Schwester, denn immerhin kannte sie Hugo, seitdem er hier
angefangen hatte.
Und
sie fasste sich ein Herz. Auch wenn sie nicht viel Kontakt hatten. Auch wenn
sie wusste, dass er eigenartig war, zurückgezogen existierte und sie alle nicht
ausstehen konnte. Sie trat neben ihn, und es zeigte ihr, wie versunken er
tatsächlich war. Er bemerkte sie nicht.
Und
dann löste sich ihre Hand von dem Umschlag, den sie hielt, und zögernd legte
sie sie auf Hugos hohen Rücken, auf sein langsam breiter werdendes Kreuz.
Verdammt, war er in die Höhe geschossen. Und fast erschrak sie, als er
ebenfalls zusammenzuckte. Sofort hob sich sein Kopf aus seinen Händen, und zum
ersten Mal wirkte er nicht so glatt, so ordentlich. Seine Haare lagen wild und
dunkel, ragten in seine Stirn, und seine dunklen Augen erfassten sie,
verarbeiteten die Information und verengten sich ungläubig.
„Hey“,
begrüßte sie ihn besorgt, und fast schluckte der Wind ihre Stimme. Ihre Hand
fiel beschämt von seinem Rücken. „Alles ok?“, fragte sie, sprach lauter, und er
richtete sich auf, streckte den Rücken durch, als schäme er sich. Schroff
nickte er.
„Ja“,
log er. Sie sah es genau. Er hatte geweint. Seine Stimme klang so rau.
„Wirklich?“,
vergewisserte sie sich mit gerunzelter Stirn, und kurz flogen seine dunklen
Augen über ihr Gesicht.
„Ja“,
bestätigte er bloß, ehe er den Blick abwandte. „Ich wäre gerne allein“,
informierte er sie tatsächlich, und es überraschte sie nicht, dass er verschlossen
war. Er war immer so.
„Kann
ich… irgendetwas tun?“, fragte sie ihn erschüttert, und fast grimmig hob sich
sein Blick.
„Nein“,
erwiderte er bloß, und sie hatte das sichere Gefühl, er konnte sie nicht
leiden. Bisher hatte sie immer geglaubt, er hätte neutrale Gefühle ihr
gegenüber, aber… seit einer Weile war es irgendwie anders geworden. Als hätte
sie ihm irgendwas getan. Es brachte nichts. Sie käme nicht zu ihm durch. Er
wollte das nicht. Sie ließ ihn stehen, wandte sich den Eulen zu, pfiff eine zu
sich hinab, und mit kalten, steifen Fingern, band sie den verdammten Brief an
ihr Bein. Einige Male fluchte sie unterdrückt, einfach weil ihre Finger
zitterten, denn es war kein netter Brief, den sie verfasst hatte. Sie hatte
ihrer Mutter gesagt, sie in Ruhe zu lassen, und dass es sie nicht anging, mit
wem sie zusammen war, und dass sie kein Interesse an irgendeinem Slytherin
hatte.
Dass
sie eine Gryffindor war, und dass ihre Mum sich damit abfinden musste!
Aus
den Augenwinkeln hatte er ihr zugesehen. Sie trat, mit der schmalen Eule in den
Händen, zurück an die Mauer. Der kleine Vogel schien keine besondere Lust zu
haben, ihren Brief zu überbringen, pickte ihr nicht mal in die Finger, ließ
sich einfach halten, und dann setzte sie den Vogel auf die Mauer. Das
zusammengerollte Pergament flatterte im Wind, und beleidigt schuhte die Eule,
schüttelte die Federn, die der Wind zerzauste, bevor sie die Flügel ausbreitete
und in den diesigen Nachmittag davon flatterte. Rumer sah dem Vogel nach, biss
auf ihre Unterlippe und spürte wieder seinen Blick auf sich.
„Bist
du fertig?“, erkundigte er sich gereizt bei ihr, und sie wandte sich ihm wieder
zu. Kurz überlegte sie, ihm zu sagen, dass er so gar nicht erst mit ihr reden
brauchte, aber sie beherrschte sich. Sie wollte nicht mit Hugo streiten. Er war
der kleine Bruder ihrer besten Freundin.
Und
dann zog sie sich den Mantel aus. Sie erkannte die Gänsehaut auf seinen
Unterarmen. Überrascht weiteten sich seine Augen. „Was tust du?“, entfuhr es
ihm sofort. Sein Blick flog über ihre zitternde Gestalt.
„Keine
Ahnung, wie lange du vorhast, hier oben zu schmollen, aber es ist zu kalt, ohne
Mantel, Hugh“, informierte sie ihn kopfschüttelnd, und er fing ihre Hände ab,
bevor sie ihren Mantel um seine Schultern legen konnte.
„Bist
du verrückt? Du holst dir den Tod!“, erwiderte er ungläubig, aber sie lachte
zitternd auf.
„Ich bin gleich wieder drin. Wenn du hier länger oben bleibst, holst du dir
höchstens den Tod. Oder wirst weggeweht“, ergänzte sie. Er ließ ihre Hände los und
zog gereizt seinen Zauberstab aus seiner hinteren Hosentasche. Sie beobachtete
ihn, während sie heftig zitterte. Stumm beschrieb er einen Kreis in der Luft,
ohne sie aus den Augen zu lassen. Und sie spürte, wie der Wind erstarb. Nicht
nur das! Wärme erfüllte sie augenblicklich. Echte Hitze stieg in ihre kalten
Glieder. Es war ein Zauber, den er noch gar nicht beherrschen konnte, dachte
sie mit geöffneten Lippen. Sie beherrschte ihn nicht mal! Er hatte eine
Schutzblase um sie beide gebildet. Aktive Wärmezauber lernten sie erst im
siebten Jahr!
„Und
darauf kommst du erst jetzt?“, entfuhr es ihr, und ihre Stimme klang plötzlich
viel zu laut, im Schutz der Wärmekapsel. Beschämt klappte ihr Mund zu.
„Mir
war nicht kalt“, erwiderte er ruhig, sah sie an, und die Hände, mit denen sie
ihren Mantel hielt, sanken schließlich. Würde sie solche Zauber beherrschen,
bräuchte sie gar keine Mäntel mehr. Sie würde nur noch damit rumlaufen.
„Du…
bist ziemlich begabt“, bemerkte sie anerkennend, aber seine Stirn runzelte sich
lediglich. Er bedankte sich nicht für Komplimente, nahm sie nicht mal wirklich
wahr, hatte sie das Gefühl. Er war es so sehr gewöhnt, alles zu können, dass
sie es fast nachvollziehen konnte. Er tat es nicht für die Anerkennung. Er
konnte alles, weil… er einfach alles konnte. Ihre Gedanken waren so sinnlos und
redundant. „Warum… bist du hier oben?“ Sie wusste, er wollte nicht reden,
wollte alleine sein, aber gerade genoss sie den Wärmezauber zu sehr, um seine
Nähe zu verlassen. Er atmete lange aus.
„Ich
will wirklich nicht darüber reden, Rumer“, erinnerte er sie, klang aber nicht
mehr völlig ablehnend. „Ich könnte dich auch fragen, was es für ein Brief war,
den du mitten am Tag abschickst, und bei dem du nicht bis Morgenfrüh warten
kannst, bis die Eulen sowieso an den Tisch kommen“, ergänzte er schlicht,
sanfte Aufmerksamkeit im Blick. Fast kroch die Röte in ihre Wangen. Ja, er war
intelligent. Sie hatte das begriffen. Und sie schämte sich aber nicht, ihm zu
antworten.
„Ich habe
meiner Mutter geschrieben“, eröffnete sie ihm furchtlos. Sie war eine
Gryffindor. Sie hatte keine Angst.
„Irgendwas
Nettes?“, wollte er beiläufig wissen, schien aber die Antwort zu erahnen.
„Nein“,
erwiderte sie mit einem traurigen Lächeln.
„Tut
mir leid“, sagte er ehrlich, und fast überraschte es sie. Es war so eigenartig,
dass er an irgendetwas Anteil nahm.
„Muss
es nicht. Meine Mutter ist… schwierig.“
„Hm“,
macht er. „Kenne ich“, bestätigte er dann. Sie runzelte die Stirn. „Mein Dad
ist schwierig“, erläuterte er knapp, denn sie wusste, sein Mum war einfach nur
großartig. „Musst du nirgendwo sein?“, fragte er dann, fuhr sich durch die
Haare, und danach lagen sie nur noch unordentlicher. Fast musste sie darüber
schmunzeln. „Was?“, entfuhr es ihm sofort, denn der Ansatz ihres Lächelns war
ihm nicht entgangen. Und dann hob sich ihre Hand, völlig gedankenverloren. Sie
musste sich ein wenig strecken, um seinen Haaransatz zu erreichen, und mit
sanfter Gewalt, sortierte sie seine Haare, legte sie dem Wirbel nach, auf seine
bevorzugte Seite, und jetzt erkannte sie ihn fast schon wieder. Mit wachsamen
Blick musterte er sie, hatte den Kopf automatisch tiefer geneigt, damit sie
seine Haare erreichen konnte, und fast erschrocken verharrte sie, zog schließlich
die Hand zurück und schenkte ihm ein schmales Lächeln.
„Viel
besser so“, sagte sie kleinlaut. Sein Blick war eigenartig.
„Ja?“,
erkundigte er sich rau, und bevor sie über die satte Farbe seiner Augen
nachdenken konnte, über die Wärme, die das dunkle Braun in ihr auslöste, über
seine blassen Sommersprossen, die sie noch nie gesehen hatte, über seine
Lippen, die sie doch sehr stark an Roses Lippen erinnerten, senkte sich sein
Kopf tiefer.
Fast
tat ihr Herz einen erschrockenen Satz, stürzte praktisch in ihre Magengrube,
und dann lagen seine Lippen auf ihren!
Weit
waren ihre Augen aufgerissen, begriffen kaum, was geschah, und nach einer
Sekunde hatte sie steif den Kopf zurückgezogen. Ihr Mund stand einen Spalt
offen und absolut panisch sah sie ihn an. Hitze war in ihre Wangen geschossen –
und… was?!
Hugo
hatte sie geküsst! Der kleine Hugo hatte sie geküsst! Nur… war er nicht mehr
wirklich klein. Echte Verblüffung stand in seinem Blick, und plötzlich brannte
ihre Seite, als sich seine Hand zögernd auf ihre Hüfte legte. Scharf zog sie
die Luft ein, die sie angehalten hatte, blinzelte überfordert, und der sanfte
Druck seiner langen Finger, brachte sie wieder näher an ihn. Die Wärme des
Zaubers benebelte sie, und ihre Finger hatten sich in ihren Mantel gekrallt.
Sie musste… weg hier! Sie…-
Und
vorsichtig lehnte er den Kopf tiefer – und sie tat absolut gar nichts! Sie
hatte nicht die geringste Ahnung, warum dieser stille, nachdenkliche, gequälte
Hugo etwas anderes in ihr auslöste, als der Hugo den sie sonst kannte, aber ihr
Innerstes kribbelte so heftig, dass sie kaum denken konnte! Fest lagen seine
Lippen erneut über ihren, und ihr Mantel entglitt ihren Fingern. Er schloss den
Abstand, und ehe sie ernsthaft darüber nachdenken konnte, hatten sich ihre Hände
gehoben und in seinen Nacken gegriffen. Sie hörte ihn überrascht nach Luft
schnappen und presste ihre Lippen gegen seine. Sie hatte keine Ahnung, was
gerade passierte, aber das Gefühl war zu gut. Ihre Zunge schob sich zwischen
seine halbgeöffneten Lippen, und unbeherrscht stöhnte er in ihren Mund, als
ihre Zungenspitze seine berührte.
Sie
drückte sich näher an ihn, denn ihr Magen schlug Saltos, ihr war vollkommen
schwindelig bei dem verbotenen Gefühl, dass durch ihren Körper jagte, und er
ging leicht in die Knie, schlang die Arme um ihren Körper, und sie fühlte sich
komplett von ihm aufgefangen.
Er
küsste so viel besser als…-
-wie
geschockt zog sie den Kopf zurück! Enttäuschung brannte in seinem trägen Blick,
als er die Augen öffnete, und sie wich so weit zurück, dass sie die Wärmekapsel
beinahe verließ und die beißende Kälte bereits an ihren Waden leckte. Ihr Atem
ging schnell und ungläubig schüttelte sie den Kopf.
„Ich…
ich kann nicht!“, wisperte sie mit klopfendem Herzen. „Tut mir leid!“, piepste
sie überfordert, schüttelte wieder den Kopf, bückte sich mit hochroten Wangen
nach ihrem Mantel, und ignorierte sein enttäuschtes Gesicht, seinen geöffneten
Mund, und hasste, dass sie seine Berührung noch immer spüren konnte, dass ihr
Herz jagte, als hätte sie noch nie einen Jungen geküsst! Merlin, was war das
für ein Gefühl?! Mit Panik wandte sie sich ab, rannte zur Treppe und flog
praktisch die Stufen hinab. Ihre tauben Beine eilten die vielen Stufen
hinunter, und ihr Herz schlug viel zu schnell! So eine Scheiße! Was war los mit
ihr? War sie verrückt geworden? Was war in sie gefahren? Sie konnte doch nicht
Hugo küssen! Sie war mit James zusammen! Sie… hatte ihrer Mutter gerade einen
sehr eindeutigen Brief geschickt, der ihr klar machte, dass sie auch für immer
bis in alle Zeit mit James zusammen sein würde!
Was
hatte sie getan?! Oh Merlin!
„Und?“, wollte James wissen, während er
die Hände in seinen Hosentaschen vergraben hatte. „Was hat Dad gesagt?“
Gespannt wartete er. Albus war erschöpft. Er fühlte sich abscheulich. Und als
er den Schlafsaal verlassen hatte, um zu verschwinden, hatte er Presley
Bescheid gegeben. Er hatte ihm gesagt, er wäre ausgerastet, weil Scorpius ihn
auf Rose angesprochen hatte, er hätte überreagiert, und er hätte Scorpius
niedergeschlagen, ob Presley ihn vielleicht ohne großes Aufsehen heilen könnte.
Sofort hatte Presley zugesagt, und Albus war abgehauen. Zu den Gryffindors. Zu
seinem Bruder, den er tatsächlich um einen Spaziergang gebeten hatte. Es hatte
ihn viel Stolz gekostet, aber… Albus hatte Angst bekommen, hatte nicht mehr
gewusst, was richtig war und was nicht. Und James hatte Zeit. Rumer war hoch
zur Eulerei, einen wichtigen Brief abschicken – oder was auch immer. Albus
hatte es kaum interessiert. Und jetzt liefen sie über die nasskalten
Ländereien, und Albus könnte sich übergeben vor Scham und Ekel.
„Nicht
viel“, rang er sich also eine Antwort ab. „Keine Weihnachtsgeschenke dieses
Jahr.“ James lächelte plötzlich.
„Finde
ich gut“, sagte er nickend. Albus brachte kein Lächeln zustande. „Ich denke,
Rose braucht noch eine Weile“, fuhr James schließlich fort, und Albus wollte
nicht über sie reden. Wenn er nur an sie dachte, überkam ihn die Wut. Und es
stand ihm nicht mal zu. Nicht mal das. Es war nicht so, dass er erwartet hatte,
dass sie seine Gefühle erwiderte – nein. So funktionierte das echte Leben
nicht. Aber er war nicht davon ausgegangen, dass sie seine Abwesenheit nutzte,
um mit Scorpius…- er zwang seine Gedanken in eine andere Richtung.
„Jaah“,
bestätigte er sparsam, und James atmete aus.
„Ich
bin froh, dass du wieder da bist“, sagte sein Bruder nach einer Weile. Fast
überraschte es ihn.
„Wieso?“
Es war eine ehrliche Frage, und James sah ihn ungläubig an.
„Ist
das dein Ernst?“, wollte er kopfschüttelnd wissen, und Albus runzelte müde die
Stirn.
„Ich
bin ein Arschloch, James“, wagte er zu sagen, und James verdrehte die Augen.
„Ich habe schlimme Sachen gesagt. Und-“
„-hast
du es ernstgemeint?“ Plötzlich war James ernst geworden.
„Was?“
Albus‘ Stimme klang schwach.
„Denkst
du, Tante Hermine ist ein Schlammblut?“ Fast gleichmütig wiederholte James das
Wort, und es jagte Albus einen Schauer des Ekels über den Rücken.
„Nein“,
sagte er tonlos, innerhalb einer Sekunde. „Natürlich nicht. Wie könnte ich?“,
flüsterte er.
„Deshalb
bin ich froh, dass du wieder da bist“, schloss James schließlich. „Ja, du bist
ein Arschloch, Al“, bestätigte sein Bruder seufzend. „Aber… die meiste Zeit bist
du… mein Bruder.“ Es war ein eigenartiges Geständnis. Und Albus wusste nicht,
was ihn ritt.
„James?“
„Ja?“
„Ich…
ich habe Scorpius verprügelt“, entfuhr es ihm angsterfüllt mit weiten Augen.
James blinzelte verblüfft.
„Wann?
Jetzt gerade?“, wollte er verwundert wissen, und Albus zog seine lädierte Hand
aus der Jackentasche. James Augen weiteten sich beim Anblick der blau
geschwollenen Knöchel. „Ach du scheiße“, entfuhr es ihm ungläubig. „Warum?
Wegen Dom? Dein Ernst?“, vergewisserte sich James und war längst stehen
geblieben, und Albus schüttelte den Kopf.
„Nein.
Nicht… nicht wegen Dom“, widersprach er unwillig. James wirkte aufrichtig
verwirrt.
„Warum
dann? Al, was soll das?“ Absolute James-Potter-Verurteilung stand im Blick
seines Bruders, und gerne würde Albus anmerken, dass er, wenn er so guckte,
ihrem Dad ein ganzes Stück ähnlicher war. Dieser unerschütterlich gute
Charakter trieb taube Übelkeit in seinem Körper nach oben.
„James“,
begann er unschlüssig, denn er plante es nicht. Er hatte es keinem sagen
wollen. Er… konnte nur nicht anders.
„Ist…
ist er ok?“, wollte James ungerührt wissen.
„Presley heilt ihn gerade“, erwiderte Albus bitter.
„Merlin,
Al! Wieso verprügelst du deinen besten Freund? Womit hat er das verdient? Klar,
er hat mit Dom Schluss gemacht! Aber – weder du noch ich haben tatsächlich eine
gute Beziehung zu ihr!“, beschwerte sich James kopfschüttelnd.
„James“,
wiederholte Albus müde, und sein Bruder sah ihn verständnislos an. Sah er es
wirklich nicht, oder wollte er es nicht sehen? Albus war sich nicht sicher. Und
dann zog er die Notbremse. „Ich habe überreagiert“, brachte er zähneknirschend
hervor.
„So
wie eigentlich immer?“, ging James ohne weitere Fragen auf seine Worte ein, und
Albus überwand sich zu einem halbherzigen Nicken. Er konnte es nicht. „Hast du
Hugo auch verprügelt?“, erkundigte er sich bitter, denn Albus hatte ihm sehr
kurz von Hugos Auftauchen im Grimmauld Place erzählt.
„Nein“,
räumte Albus ein, wenn gleich auch hier nicht mehr viel gefehlt hätte. Und dann
fing James an, ihm Vorhaltungen zu machen, die nur ein großer Bruder machen
konnte, nur ein Sohn von Harry Potter, der seit Jahren mit der
Gutmensch-Philosophie gefoltert worden war. Und Albus schwieg und ließ die
Worte über sich ergehen. Ein wenig neidvoll betrachtete er den Jungen, der sein
Bruder war. Sie sahen sich kaum ähnlich, wenn man von den Haaren absah. Und
innerlich waren sie so verschieden. Er hörte raus, dass James glaube, Dad
bevorzuge ihn, Albus. Fast wollte er darüber lachen. Dachte James das wirklich?
Er wusste, er kam mit vielem durch, aber letztendlich würde es irgendwann auf
ihn zurückfallen.
Und
sein Bruder betäubte den dumpfen Schmerz mit trivialen Worten, die ihn davon
ablenkten, dass er die zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren
hatte.
Sie
hatte ihren Platz in der Bibliothek verlassen. Dort war sie hin geflüchtet, um
den anderen zu entgehen, um nachzudenken. Über so viele Dinge. Und während sie sich
halbherzig mit Professor Longbottoms wüster Aufgabenstellung für Zaubertränke
abmühte, hatte sie sie aus den Augenwinkeln entdeckt. Fast dankbar war sie
aufgesprungen und hastete nun durch die langen Büchergänge. Am Ende der Reihe
entdeckte sie ihre Cousine, und außer Atem kam sie vor ihr zum Stehen.
„Wir
müssen reden“, flüsterte sie gepresst, denn sie hatte nicht vor, von ihrem Plan
abzuweichen. Sie hatte genug davon, mit den Potters Probleme zu haben. Ein
Schatten legte sich über das schmale Gesicht ihrer Cousine.
„Worüber?“,
entschied sich Lily irgendwann zu erwidern, und die sanfte Verachtung in ihrem
Blick überraschte Rose, aber sie erinnerte sie an Albus. Eigenartig.
„Warum
bist du so abweisend zu mir?“, wollte Rose empört von ihr wissen. „Es geht seit
Wochen so, und ich finde, es reicht langsam!“ Sie klang wütender, als sie
vorgehabt hatte. Unglaube trat in Lilys blasses Gesicht.
„Seit
wann interessiert Rose Weasley, was irgendwer anderes empfindet?“, wollte Lily
so abweisend von ihr wissen, dass Rose stutzte.
„Was?“,
entfuhr es ihr verblüfft, aber Lilys Augen verengten sich.
„Tu
nicht so, als ob du dich plötzlich interessierst!“, fuhr Lily sie an.
„Lily“, entkam es Rose mit großen Augen, „wieso bist du so?“, wollte sie
verständnislos wissen. „Was habe ich dir getan?“
„Getan?“,
wiederholte Lily wütend. „Rose, du hast gar nichts getan! Du tust nie irgendwas
für überhaupt irgendwen, ok?“
„Ich
verstehe dein Problem nicht! Wir haben uns immer verstanden, und-“
„-wir
haben uns nie verstanden, Rose!“, fuhr Lily sie lauter an, und Rose zuckte
zusammen. Jetzt waren sie so laut, dass die Bibliothekarin gleich kommen würde.
Und was war das bitte für eine Aussage?
„Ist
das dein Ernst?“, wisperte Rose ungläubig.
„Du
hast dir doch nie die Mühe gemacht, rauszufinden, was ich mag, wer ich bin!“,
beschwerte sich Lily wütend. „Also komm bloß nicht zu mir, um jetzt zu fragen,
was los ist!“
„Ich
wusste nicht-“
„-natürlich
nicht, Rose! Warum auch?“, blaffte Lily, und Rose hatte nicht geahnt, dass sich
eine derartige Wut angestaut hatte.
„Du
warst doch diejenige, die lieber mit Vic und Dom-“
„-hör
auf, Rose!“, warnte Lily jetzt kopfschüttelnd. „Und ich habe meine Zeit mit Vic
und Dom verbracht, weil du zu arrogant warst, dich jemals mit mir zu
beschäftigen, ok? Dir waren deine eigenen Cousinen nicht gut genug! Unsere
Mütter waren beste Freundinnen, seitdem sie hier her gegangen sind! Und ich
habe Jahre damit zugebracht, zu begreifen, wie das überhaupt sein kann. Aber
weißt du was? Tante Hermine schert sich um Menschen, ist mitfühlend und stellt
andere vor sich! Tante Hermine hätte meiner Mum niemals so etwas angetan!“
„Angetan?“,
wiederholte Rose entgeistert, völlig überfordert. Von was sprach Lily
bitteschön? Beste Freundinnen? Seit wann wollte Lily das? Lily hasste alles,
was Rose mochte! Sie spielte nicht mal Quidditch!
„Ja!“,
knurrte Lily bitterböse. „Wärst du nicht so verdammt selbstbezogen, dann
wüsstest du genau, was du nicht tun solltest, Rose! Komm also nicht zu mir und
verlange, dass ich dir irgendeine Rechenschaft darüber ablege, warum wir uns
nicht verstehen!“
„Ich
habe mich immer mit dir verstanden!“, behauptete sie wütend, denn sie wüsste
nicht, warum-
„Ja,
wenn man sich nie die Mühe macht, Menschen näher kennenzulernen, dann kann man
das sehr leicht behaupten!“, fuhr Lily sie an. Und Rose wusste nicht, zu
welchem Schluss sie gerade gekommen waren. Und dann atmete Lily böse aus.
„Liebst du ihn?“ Die Lautstärke in ihrer Stimme fiel wieder, und Roses Blick
fokussierte. Was? Sie war gänzlich verstummt, aber Lily wartete. „Ich habe dich
gefragt, ob du ihn liebst, Rose?“ Roses Atmung war abgeflacht, und die Hitze
drohte in ihr Gesicht zu steigen.
„Wen?“
„Wen?“,
wiederholte Lily abschätzend. „Richtig, es sind so viele, dass du nicht einmal
weißt, von wem ich rede, oder?“, spuckte Lily fast. „Ich meine nicht Albus, und
ich meine nicht Presley“, ergänzte sie böse, und Rose konnte kaum fassen, was
sie hörte. Lily… wusste es?! Sie wusste es? Woher? Von Albus? Rose musste sie
so grenzenlos empört ansehen, dass Lily wütend ausatmete. „Dass du neuerdings
in der Bibliothek sitzt und ein bis zwei Bücher liest, heißt nicht, dass du
über Nacht unsichtbar geworden bist“, beleidigte ihre Cousine sie scharf. „Ich
weiß, dass…“, kurz zögert Lily, ehe sie sich zwang, weiterzusprechen, „dass du
mit Scorpius im Badezimmer der Vertrauensschüler warst!“, zischte sie. Roses
Kiefer gab nach. Ihr Mund öffnete sich, und es war wie ein Schlag in den Magen.
Merlin, ihre Cousine wusste es tatsächlich! Oh nein. Und sie hatte keine
Ahnung, warum es anders war, bei Lily. Warum es nicht so schlimm war, bei Hugo,
vielleicht bei Albus – aber bei Lily war es… ein ganz anderes Gefühl. Weil sie
ein Mädchen war? Weil Rose glaubte, dass Jungen es nicht weitererzählten, es
für sich behielten? Rose konnte es nicht analysieren, aber sie nahm an, so
etwas empfand sie. „Also“, wiederholte Lily gefasster, und ihr Blick war
niederschmetternd. „Liebst du ihn?“
Rose
konnte nicht. Sie konnte kaum fassen, dass ihre Cousine das fragte.
Sie
hatte sich darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Sie war froh tagsüber
nicht vor Scham zu vergehen, wenn sie an Scorpius dachte, und die Dinge, die er
schon mit ihr getan hatte! Sie war froh, überhaupt noch Dom unter die Augen
treten zu können, so zu tun, als wäre alles ansatzweise in Ordnung! Aber seit
heute – seitdem sie wusste, dass Alby es wusste… war es sowieso alles anders.
Und jetzt… stand Lily vor ihr, eröffnete ihr, dass sie es ebenfalls wusste –
und… Rose konnte einfach nicht. Aber dann sprach Lily weiter, legte es wohl gar
nicht auf eine konkrete Antwort an. „Denn ich liebe ihn“, sagte sie fast
beschämt. „Fall du dich jemals gefragt haben solltest“, ergänzte sie kalt. Und
nein, Rose hatte sich das nie gefragt. Ihr Mund öffnete sich überfordert. Lily
liebte Scorpius? Seit wann das? Seit… immer schon? Oder was wollte sie sagen?
Rose hatte es nicht gewusst, und sie ging davon aus, dass Dom das auch nicht
gewusst hatte. „Und wenn du nur Spiele spielst und einfach alle ausnutzt, so
wie Presley, dann…“ Rose spürte, Lily war kurz davor, ihr ungefragte Ratschläge
zu erteilen. „Mir ist klar, warum Albus sauer auf dich ist“, ergänzte Lily
außerhalb des Kontextes, und Rose konnte sich vorstellen, dass Lily es wusste.
Für Lily ergab es Sinn. „Und vielleicht hast du jetzt genug Leute verletzt,
Rose?“
Und
sehr kurz wollte Rose erwidern. Wollte Lily in ihre Schranken weisen, ihr
sagen, dass es sie überhaupt nichts anging, aber… Lily war ein Mädchen. Hugo
könnte sie so etwas ins Gesicht sagen, aber Lily? Lily würde beleidigt sein,
sauer werden, und Lily würde keine Skrupel haben und zu Dom gehen! Schlimmer
noch – ihrer Mum schreiben. „Und… ich will dich nicht erpressen“, entfuhr es
Lily dann, aber Rose hatte das entschiedene Gefühl, dass genau das Gegenteil
der Fall war. „Aber du weißt selber, wie scheiße es von dir ist.“ Und das…
stimmte leider. Röte sprengte ihr Gesicht mittlerweile. „Jetzt weißt du, was
ich denke, und… ich habe keine Lust, mit dir zu reden. Du willst eine
Rechtfertigung von mir hören, warum ich abweisend zu dir bin? Weil du schon
immer furchtbar warst, Rose. Früher wollte ich unbedingt mit dir befreundet
sein, aber… mittlerweile… bin ich drüber weg. Du interessierst dich für
niemanden. Zumindest für niemanden aus deiner Familie. Merlin, du kannst nicht
mal deinen eigenen Bruder leiden!“
Rose
könnte so etwas sagen, wie, dass Lily ihre eigenen Brüder hasste, aber sie
sagte gar nichts. Lilys Worte taten weh. Und anscheinend war es so, dass ein
Korn Wahrheit zutraf. Denn irgendetwas schmerzte in ihrem Innern. Irgendetwas,
das Lily sagte, traf ins Schwarze. Nicht alles, aber… irgendetwas davon
stimmte. Denn Rose fühlte es. Sie wusste nicht, ob es stimmte, dass sie alle
Leute verletzte oder vor den Kopf stieß, oder ob sie sich für ihre Familie
nicht interessierte, oder ob sie tatsächlich kein tieferes Interesse an
irgendwem hatte. Sie wusste auch nicht, ob Lily ihre beste Freundin sein
musste, weil Tante Ginny die beste Freundin ihrer Mum war. Sie hatte ehrlich
gesagt noch nie darüber nachgedacht. Und hieß das, sie war egoistisch und
selbstbezogen? Hieß das, sie scherte sich nur um sich selbst? Und sie mochte
Hugo. Sie konnte nur… nichts mit ihm anfangen.
Und
Presley…- vielleicht verletzte sie ihn auch. Betroffen schwieg sie noch immer.
„Du
hast nichts zu sagen?“, wollte Lily mir verschränkten Armen von ihr wissen.
„Ich meine, es wundert mich nicht. Du hast mich nicht mal gefragt, wie es mir
ging, als du meinen Bruder geschlagen hattest und er verschwunden war.“ Auch
das stimmte. Und was nervig war, war die Tatsache, dass… Rose es nie so gesehen
hatte. Sie war das Opfer gewesen – hatte sie geglaubt. „Vielleicht solltest du
etwas vorsichtiger mit deinen Affären sein“, schloss Lily kalt. „Und… im
Vergleich zu Dom sind wir alle Trolle, also… kannst du stark davon ausgehen,
dass Scorpius die Lust an dir verlieren wird. Stolz ist dir doch so wichtig,
Rose? Vielleicht solltest du dann genug Rückgrat besitzen, diese Sache… zu
beenden. Und nicht umgekehrt.“ Mit einem letzten Blick aus den dunklen Augen,
die James‘ Augen so ähnlich waren, ließ Lily sie einfach stehen.
Tränen
füllten Roses Augen sehr plötzlich. Sie war kein Monster. Sie war nicht alle Dinge,
die Lily behauptete! Aber wieso… hatte sie dann kein Wort sagen können? Wieso
tat es dann so weh? Rose hatte Gefühle! Sie konnte… sie nur nicht gut in Worte
fassen. Und sie hatte Angst. So schrecklich viel Angst, hinter der Fassade, die
Lily so kalt beschrieben hatte. Stumm verblieb sie zwischen den hohen
Bücherregalen und weinte heiße Tränen der Verzweiflung. Seit wann genau war
Rumer nicht mehr an ihrer Seite und half ihr durch solche Situationen? Seit
wann war Rose auf sich allein gestellt?
Und Lily
hatte Recht. Scorpius wollte keine Beziehung. Er wollte sie benutzen. Es
stimmte. Sie war nicht Dom. Sie war der billige Ersatz. Fast hatte sie das
vergessen. Vielleicht wurde es Zeit, sich daran wieder zu erinnern?
Die letzten Tage waren nur zäh
vergangen. Und dann hatte er sie auch noch mit Presley und Collin verbracht.
Keinen der beiden mochte er sonderlich leiden. Presley hatte ihn ziemlich
gründlich geheilt, deshalb schuldete er es ihm, wohl oder übel. Ein sanfter
lila Schatten hing noch um sein Auge. Wenn man genau hinsah, bemerkte man es.
So wie Scorpius verstanden hatte, hatte Al gelogen, hatte ihn teilweise
gedeckt, hatte nichts verraten. Nicht mal gegenüber Presley. Scorpius hatte auf
die Essen in der Halle verzichtet, war heimlich runter zur Küche, und die Elfen
hatten Mitleid mit ihm gehabt.
So
hatte er keinen der Gryffindors sehen müssen. So hatte er Rose nicht sehen
müssen. Er wusste genau, was Al gesagt hatte. Er erinnerte sich an jedes Wort.
Und Al würde es allen sagen, würde es allen verraten, und dann… wäre Roses
Leben ruiniert. Ihre Cousine würde sie hassen – alle würden sie hassen!
Und
Rose würde Al hassen und ihren Bruder.
Wenn
ihr Vater davon Wind bekäme…, Scorpius schauderte wieder innerlich. Das wäre
wohl das Schlimmste, nahm er an.
Und
das war es jetzt.
Es
war vorbei. Schneller als er geglaubt hatte. Und die Situation machte es
erschreckend einfach für ihn. Er wollte nicht, dass Rose diese Gefühle
durchleben musste. Er kassierte ihretwegen gerne Schläge, nahm sie einfach hin.
Er
würde sie schützen müssen, ganz einfach. Sie zählte mehr als er. Er hatte so
viel begriffen.
Es
änderte nichts an der Tatsache, dass er von ihr träumte. Das nicht. Aber er war
nicht unglücklich über seine Entscheidung, nicht mit ihr geschlafen zu haben.
Das machte es alles noch erträglich. Es machte es nicht ganz so schlimm, ließ
die Sehnsucht nicht übermächtig werden.
Und
jetzt verließ er das Schloss mit der Erlaubnis von McGonagall. Gut, dass sie
von der Prügelei nichts mitbekommen hatte. Presley hatte sein Wort gehalten.
Ätzend, ausgerechnet Presley Ford etwas zu schulden, dachte er bitter. Al hatte
nicht mehr mit ihm gesprochen, und verbittert stand er jetzt draußen, vergrub
die Hände tief in seinen Taschen und wartete unter dem Torbogen, dass sein
Vater das Gelände empor kam. Er hatte keine Lust, im Regen zu warten. Er hatte
nicht mal Lust, das scheiß Haus zu besichtigen. Er wollte einfach… vergessen.
Allein.
Die
Tore öffneten sich. Instinktiv wandte er sich um, und fast erschrak er. Sie
schob sich nach draußen. Alles in seinem Innern versteifte sich. Und sie war
schöner, als er angenommen hatte. Noch immer. Aber sie sah blass aus, ihr
Gesicht verschlossen.
„Hey“,
begrüßte sie ihn unschlüssig, mied seinen Blick, und sofort sah er sich um.
Nach allen Richtungen wanderte sein Blick. Irgendwer würde sie gesehen haben,
oder? Sie waren alle beim Frühstück. Irgendwer würde gleich rauskommen!
Irgendwer würde gleich ihr Leben zerstören, vermutete er mit klopfendem Herzen.
Er war irrational, aber er konnte nicht anders.
„Was
tust du hier?“, entfuhr es ihm gepresst. Kurz hob sich ihr Blick. Sein Ton war
hart gewesen, aber er konnte es nicht ändern. Er musste es tun.
„Ich…
wusste, dass du… heute abreist. Ich… wollte vorher mit dir reden.“ Fast klangen
die Worte eigenartig, und er nahm an, es kostete sie einiges. Und vielleicht
vermisste sie ihn? Er hatte jetzt drei Tage kein Wort mehr mit ihr gesprochen.
Er vermisste sie auch. Aber das sagten sie beide nicht.
„Wir sollten
hier nicht zusammen stehen“, sagte er, obwohl er wissen wollte, was sie ihm
sagen wollte. Dringend. Er wollte ihre Stimme hören. Am liebsten wollte er
hören, dass sie… dass sie…- nicht anders konnte, als ihn zu sehen. Dass sie mit
Al gesprochen hatte – mit allen gesprochen hatte! Dass sie einen Brief nach
Hause schreiben würde. Aber… er machte sich da nichts vor. Ihre Gefühle gingen
nicht so weit. Sie hatte keine Gefühle für ihn. Ungeduld zerrte an ihm. Es war
gefährlich für sie, bei ihm zu sein. „Was möchtest du?“, kürzte er es ab, und
er sah, er verletzte sie. Starr blickte er nach vorne übers Gelände.
„Ich…-
wir sollten… uns nicht mehr sehen“, entkam es ihr fast tonlos. Er sah ihr nicht
mehr ins Gesicht, hielt den Blick geradeaus. Denn er konnte nicht. Konnte sie
nicht ansehen. Er hatte Angst, dass sie es sehen würde. Was er empfand. Es
schmerzte. Zu wissen, dass sie das Vernünftige tun würde – so kurz, nachdem es
erst begonnen hatte, hinterließ ein dumpfes Gefühl in ihm. Kurz fragte er sich,
ob es das wert gewesen war? Die kurze Zeit der verbotenen Küsse, der sinnlichen
Berührungen – ihrer Haut unter seiner, ihrer- Nein. Er bereute es nicht. Nichts
davon! Er zwang sich, hart zu bleiben. Musste sich zwingen.
Es
fiel ihm schwer. Die Worte waren so schwer.
„Gut“,
erwiderte er bitter. „Sehe ich genauso.“
Und
reglos blieb sie neben ihm stehen. Wieso machte sie es so schwer? Verdammt noch
mal! Und er wusste, die Show musste gut sein. Sie sollte ihn verabscheuen,
damit… damit es keine Chance gab, dass… dass sie wiederkam. „Es war ja sowieso
nichts Echtes“, ergänzte er, und sein Gleichmut klang so überzeugend, dass er
sie einatmen hörte. „Wir wussten, das war eine kurze Sache, sie hat nichts
bedeutet, und vielleicht…“ Kurz war er von dem Schmerz überwältigt. Kurz konnte
er nicht sprechen, denn sie hasste ihn jetzt gerade, und es tat so weh.
„Vielleicht sollten wir drüber wegkommen und mit unserem Leben weitermachen“,
schloss er gezwungen, und ihre Haltung war so steif. Aus den Augenwinkeln
konnte er es sehen.
„Ja“,
sagte sie, kläglich um Kälte bemüht. Sie nickte sogar einmal. Und dann wandte
er den Blick, denn er wollte sie ein letztes Mal aus der Nähe sehen. Ihr
schönes Gesicht, ihre verlockenden Sommersprossen, die er küssen wollte, ihre
strahlenden Augen, die leuchteten, wenn er sie zum Kommen brachte. Künstliche
Verachtung überkam seine Züge, und es kostete ihn viel Kraft.
„So
gut war es ohnehin nicht.“ Die Worte waren hohl, und als er den Schmerz in
ihren Augen erkannte, wandte er den Blick wieder ab. Er zielte direkt auf ihren
Gryffindorstolz, und hoffte, er traf einen Nerv. Er hörte sie schlucken. Sein
Herzschlag ging sehr schnell.
„Nein.
Ich bin froh, dass wir es beenden“, knurrte sie praktisch, aber er hörte es.
Ihre Stimme klang belegt. Die Tränen waren nicht mehr weit weg. Er hatte sie
verletzt. Gut. Das machte es leichter. Für alle. Auch für ihn. Auch, wenn er
das jetzt noch nicht sah.
Und
dann näherte sich die Gestalt. Er hob den Blick. Und Rose verharrte neben ihm,
wahrscheinlich aus Überraschung.
„Guten
Morgen“, riss die Stimme seines Vaters ihn harsch aus jeden Gedanken. Dann
fasste er Rose ins Auge. „Rose, richtig?“, erkundigte sich sein Vater mit
gerunzelter Stirn. Und Scorpius hasste, dass sich sein Vater ausgerechnet jetzt
an ihren Namen zu erinnern schien. Er hasste, dass Rose noch immer hier war,
ihn quälte, und dass es so aussah, als… als… bedeute es irgendwas.
„Ja“,
entkam es ihr heiser. „Hallo, Mr. Malfoy“, begrüßte sie ihren Vater steif. Sie
fuhr sich über die verräterischen roten Wangen. „Ich… muss rein“, schloss sie
kühl, und fast lief sie zurück zum Schloss. Sein Herz brach. Ziemlich mittig.
Und die geballten Fäuste in seinen Jackentaschen schmerzten zum Zerbersten. Der
Blick seines Vaters war wie heißes Öl, und es machte ihn wütend. Und es machte
ihn noch wütender, dass sein Vater gar nichts sagte. Dass er ihn ansah, als
könne er auch nur im Entferntesten begreifen, was passierte. Der unwillige
Trotz eines Teenagers stieg in ihm empor, und auch das hasste er unwillkürlich.
„Können
wir?“ Sein Vater sagte nur diese beiden Worte, aber Scorpius hörte ganze Welten
aus diesem Satz.
„Wenn’s
sein muss“, erwiderte Scorpius bissig, und sein Vater atmete lange aus, während
sie nebeneinander durch das scheiß Wetter den fallenden Weg beschritten.
„Wer
hat dein Auge geheilt?“, wollte er dann wissen, und Scorpius hielt unbewusst
die Luft an. Natürlich sah sein Vater es. Ob Rose es gesehen hatte?
„Was?“,
entfuhr es ihm scharf, voller Abwehr.
„Oder
sollte ich fragen, wer hat es dir verpasst?“, ging sein Vater nicht auf seine
Worte ein.
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, blaffte er zornig, senkte den Blick, und er
hasste alles an diesem scheiß Tag.
„Hat
das irgendwas mit Rose Wealey zu tun?“ Und Scorpius nahm an, jedes scheiß Wort,
wäre ein scheiß Wort zu viel. Sein Vater würde sich schon alles zusammenreimen.
Würde Scorpius jetzt Nein sagen, würde er nur die hochgezogene Augenbraue
seines Vaters ernten, und darauf hatte er keine Lust. Aber scheinbar war es
vollkommen egal, was er tat, denn sein Vater seufzte lange auf. „Hast du
gewusst, dass mir deine Exfreundin einen äußerst erheiternd langen Brief
geschrieben hat?“, riss ihn der nächste Satz direkt aus seiner Lethargie. Ohne
es zu verhindern, hob sich sein ausdrucksloser Blick. Und er wurde direkt rot.
Oh Merlin! Hatte sie nicht! Er empfand tiefen Respekt für Dominique. Sie war
unmöglich. „Oh ja“, ging sein Vater mäßig amüsiert auf seinen Ausdruck ein.
„Ich bin höchst beunruhigt zu erfahren, dass du… Potenzprobleme zu haben
scheinst?“, zitierte er scheinbar aus dem Brief, und Scorpius wollte sterben.
Jetzt. Er schloss gequält die Augen. „Ist das… irgendwas, was sich Heiler
Corman ansehen müsste?“, fuhr sein Vater so spöttisch fort, dass Scorpius die
Zähne fest zusammenbiss. „Immerhin kannst du so keine der Weasleytöchter
schwängern, hm?“, machte sein Vater nahtlos weiter, und Scorpius glaubte nicht,
dass er tiefer sinken konnte. Dominiques Rache war unfassbar. Absolut
unfassbar! „Und bitte“, ergänzte er, nicht minder belustigt, „gib mir kurz
Bescheid, wenn ich die Eule zum Duell von Ron Weasley erwarten darf, ja?“,
ärgerte er ihn weiter, und Scorpius glaubte, dass er irgendwann vor Scham
einfach versinken müsste. Er war überzeugt davon. Es war pervers, was für einen
Spaß sein Vater empfand.
„Ich
nehme an, der kleine Potter dürfte dir das Veilchen verpasst haben, was du so
erfolgreich verstecken willst?“, vermutete sein Vater mit neuer Euphorie, und
Scorpius nahm an, heute Abend würde die Standpauke erfolgen, die sein Vater
jetzt mit so viel Humor verzögerte.
Scorpius
sagte kein Sterbenswort und marschierte knallrot neben seinem Vater zum Tor.
Manchmal hasste er seinen Vater. Wirklich. Sollte er ihn anschreien. Das wäre
um einiges hilfreicher als alles andere. Vor allem heute! Gerade heute! Denn
heute durfte er sich auch noch seine Tante Daphne antun und garantiert seinen
scheiß Großvater.
Sie
hatte keine Ahnung, wohin sie hätte gehen sollen. Zuerst hatte sie in den
Schlafsaal gewollt, hatte das Kissen über den Kopf ziehen wollen, aber es war
en Internat! Es war ein Schloss voller Menschen – es war nicht ihr Zimmer
Zuhause, und sie würde nirgendwo alleine sein! Und irgendwann waren ihre
Schritte schneller geworden, als die Tränen ohnmächtig an die Oberfläche
gestiegen waren, und ihr einziges Ziel war gewesen, auszuhalten, bis sie
irgendwo alleine war. Und deshalb war sie höher und höher gelaufen, bis sie den
siebten Stock erreicht hatte.
Und
schwer atmend, mit geöffnetem Mund, brach sie in das nächstbeste Zimmer, was
der Astronomieturm war, und ihr Blick verschwamm, blind vor Tränen. Sie tastete
sich vor, bis sie die tiefen Fenster erreichte, und erschöpft sank sie auf den
kalten Steinboden, und sie fiel praktisch mit dem Oberkörper auf den niedrigen Sims,
bettete ihren Kopf auf ihre Unterarme, und weinte so heftig, wie sie es nicht
von sich kannte. Heftige Wellen der Wut und Trauer schüttelten ihren Körper,
während immer mehr Tränen aus ihren Augen flossen.
Sie
fühlte sich so schrecklich leer. Sie fühlte sich, als hätte er alleine die
Affäre beendet – als hätte sie es überhaupt nicht angesprochen gehabt. Dabei
war es doch ihre Idee gewesen!
Und
wieso fühlte es sich so schrecklich an? Sie hatte darüber nachgedacht, und es
war das einzig Richtige! Sie hätte schon längst darauf kommen müssen. Sie hätte
es längst tun sollen. Sie hätte es gar nicht anfangen dürfen, hätte im Sommer
nicht mit ihm alleine sein sollen – und jetzt lag sie hier und weinte, als wäre
die Welt untergegangen.
Sie
glaubte, der Schmerz würde niemals enden. Niemals. Ihre Augen schmerzten
bereits, aber die Tränen wollten nicht versiegen. Sie hatte mit niemandem reden
können, hatte nicht gewusst, wie – und die Trauer stand ihr gar nicht zu. Sie
war nicht Scorpius‘ Freundin gewesen. Sie war… die heimliche Affäre, und es
durfte nich so wehtun. Es war nicht echt gewesen. Es war falsch gewesen, und
sie hatte so vielen Menschen wehgetan.
Ihr
schwerer Kopf hob sich von ihren Armen, und ihr Gesicht war nass von Tränen,
sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen, und fast zuckte sie zusammen, als sie
den Schatten aus dem Augenwinkel sah.
Sie
war nicht allein. Hastig wandte sie den Blick, aber…- es war kein Mensch. Sie
schniefte überfordert, während der Geist sie mit ernster Miene betrachtete,
keine drei Schritte entfernt. Ihre Brust bebte noch immer unregelmäßig, noch
immer fielen Tränen auf ihre Wangen, und sie wollte ihn nicht sehen. Sie
brauchte seine Anwesenheit, seinen verurteilenden Blick nicht. Was trieb er
hier? Was wollte er von ihr?
„Was?“,
fuhr sie den Geist heiser an, schämte sich nicht, dass sie weinte und die
Tränen ihren Hals hinbrannen. „Was willst du?“, rief sie zornig, und Snapes
Geist wirkte eine Spur unschlüssig. Eine Falte erschien auf seiner Stirn, als
studierte er sie und könnte nicht ganz begreifen, was sie tat. Er wirkte nicht
so hochkonzentriert, nicht so abwesend, nicht in seiner eigenen Welt versunken.
Und sobald Geister vergaßen, sich nur um ihre eigenen Sorgen zu scheren – was
eben die Eigenart der Geister war – wurden sie um einiges menschlicher. Seine
nebelhafte Gestalt näherte sich langsam. Sein Gesicht zeigte nicht die übliche
Verachtung, die verschlossene Herablassung, die sie von ihm kannte. Er tat
nicht so, als könne er sie nicht sehen. Lautlos kniete er sich neben sie, seine
AUfmersamkeit vollkommen auf ihr Gesicht geheftet, und dann hob sich seine
kalkweiße Hand. Fasziniert berührte er tatsächlich ihre nasskalte Wange, und
sie atmete erschrocken ein, als die Kälte sie erfasste. Es war, als stünde
plötzlich eine Tür offen, als zöge ein eiskalter Lufthauch hinein, der aber
wesentlich tiefer ging, als Luft es jemals könnte.
Hastig
zog er die stofflosen Finger zurück, als er wohl begriff, dass er sie nicht
wirklich berühren konnte. Der Geist blinzelte verblülfft, aber Roses Tränen
waren versiegt. Warum war er hier? Warum suchte er ausgerechnet sie? Was wollte
er bloß? Was war es, was unerledigt war, weswegen er noch immer auf dieser Erde
wandelte? Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann verließ das menschlihe
Bewusstsein seinen Blick wieder, er erhob sich abwesend, und sie sah ihm reglos
nach, als er lautlos durch die Wand verschwand.
Was
war gerade passiert? Wieso wurde sie von einem Geist verfolgt? Ihre Beine
schmerzten mittlerweile, und endlich stand sie zitternd auf und setzte sich auf
den Fenstersims. Mit dem Ärmel trocknete sie ihr Gesicht, und immerhin hatte
Snape dafür gesorgt, dass sie nicht mehr weinte. Stattdessen fühlte sie sich
nur noch leer. Wie kommunizierte man mit einem Geist? Hatte sie diese Aufgabe?
Musste sie Snapes Geist helfen? Sie wusste nicht mal, wie.
Sie
wusste nicht mal, wie sie sich selber helfen sollte. Es ging ihr nicht gut. All
das tat ihr nicht gut. Es tat weh. Wieso tat jede Entscheidung so schrecklich
weh? Sie verstand es nicht.
Das Haus war alt. Sehr alt. Und manche
Häuser besaßen einen eigentümlichen Charakter, einen fast menschlichen Zug. Wie
man ein Haus pflegte, wie man in ihm lebte, so zeigte es sich der Außenwelt.
Dieses Exemplar wirkte fest mit der Natur verankert, hatte sich seinen Platz
verdient, unter der alten Sonne, die seine dunklen Dachziegel langsam aber
stetig bleichen ließ.
Es
besaß Geschichte, einen Namen, strotzte vor Tradition und altem Blut, und
selbst in der nachlässigen Verwilderung, erkannte man doch noch den einstigen
Zauber, der es umgeben hatte. Das Haus schien noch immer zu wissen, den Blick
auf sich zu ziehen.
Geduldig
und stur befand sich jeder Stein an derselben Stelle; jeder Strauch, jeder Baum
des wilden Gartens, hatte seinen Platz mit blinder Arroganz verteidigt. Erbaut
im frühen 18. Jahrhundert, thronte es weit über den anderen, hoch auf einer
Anhöhe. Genauso alt wie das Haus, waren die Geschichten, die es erzählen
konnte, und nicht alle waren gut. Nicht jedes Ende ein glückliches. Etwas
altersschwach, aber noch immer imposant, ganz dem italienischen Zeitgeist treu,
stützten die sechs weißen Säulen das mächtige Vordach, was bereits mit wildem
Wein überwuchert war, welcher mit der Zeit die massiven Säulen hinabkroch, von
denen allmählich die Farbe blätterte.
Zwei
Geschosse an hohen Sprossenfenstern zierten die Front, wie dunkle Augen, welche
wissend und kühl hinausstarrten, jeden stumm beobachteten, der sich näherte,
die morschen Fensterläden demonstrativ weit geöffnet. Alte Stufen, geschlagen
in Stein, führten hoch zum Eingang.
Am
Boden der Treppe wachten zwei gefährlich aussehende Mantikore aus gesprungenem
Stein, flankierten die Seiten, überdimensional riesig in ihrer Gestalt. Aber
sie standen nicht aufrecht, lauerten nicht auf Eindringlinge. Die vier Beine
jeweils zur Ruhe gelegt, lagen sie am Fuße, nur die edlen Löwenköpfe in stummer
Wachsamkeit erhoben, den Blick herrschend in die Ferne gerichtet, den
drachenartigen Schwanz um sich gelegt, während auch hier die Jungfernrebe keine
Ausnahme machte und mit geduldiger immergrüner Beharrlichkeit die steinernen
Pranken der Tiere überwuchs.
An
manche Tage erinnerte man sich deutlicher als an andere, beinahe kristallklar,
als wären es keine Erinnerungen, sondern mentale Bilder, die man sich immer
wieder ansehen konnte, und jedes Detail war für immer ins Gedächtnis gebrannt.
Dieser Duft, den die Linden noch schwach verströmten, war derselbe wie damals
auf dem Friedhof, und sein Verstand zog eine direkte Parallele. Fast überkam
ihn Übelkeit, denn es überreizte seine Nerven gänzlich. Seine Fäuste ballten
und entspannten sich immer wieder, versuchten, Blut durch seine steifen Glieder
zu pumpen, denn selbst bei der herbstlichen Kälte, erinnerte er sich an den
drückenden Tag im Sommer. An den Tag der Beerdigung seiner Frau.
„Eine
Menge Arbeit.“ Er wusste, Daphne versuchte nichts anderes, als hilfsbereit zu
sein. Seit drei Wochen versuchte sie nichts anderes. Seine Toleranz schwankte
zwischen bösartiger Ehrlichkeit und eisigem Schweigen. Denn Daphne war alles
Mögliche gewesen, aber eine Hilfe war sie nicht. Er hatte sie eine Weile nicht
gesehen. Das letzte Mal vor fünf Monaten, als Astoria sehr krank geworden
war. Sie war für kurze Zeit bei ihnen
eingezogen, weil es keinen Unterschied machte, ob sie zu viert oder zu acht in
seinem Haus wohnten. Daphnes Blick war mit lähmender Nostalgie nach vorne
gerichtet. Auf das Haus ihrer Ahnen. Er fragte sich unwillkürlich, ob sie
selber daran dachte, dort einzuziehen, ob es in ihrem Kopf als fixe Idee bereits
spukte, seitdem sie seit drei Wochen auf der Suche nach einer neuen Bleibe war,
aber er verwarf den Gedanken. Daphne war keine Hilfe, aber sie besaß auch kein
böses Kalkül. Und fast glaubte er nicht, dass sie dieses Haus jemals als
Alternative ins Auge fasste.
Sie
verband das das Notwendige mit dem Nützlichen, denn bevor sie heute alleine
blieb, kam sie wohl lieber mit ihnen mit. Sie war noch immer aufgewühlt und
verwirrt, wie vor einigen Wochen, als er über Floh mit ihr gesprochen hatte,
denn Blaise hatte sie verlassen. Draco wusste keine Einzelheiten, interessierte
sich nicht für die selbstzerstörerische Ehe seines alten Freundes, aber er
hatte sich außer Stande gesehen, Daphne zu verbieten, herzukommen. Warum auch?
Sie war die Schwester seiner verstorbenen Frau, Scorpius‘ Tante, und sie war
eine bessere Begleitung als sein scheiß Vater. Sie hatte als reiche Reinbüterin
nirgendwo zu sein – also… war sie hier.
Alles,
was Draco sah, wenn er nach vorne blickte, war das Haus, indem der dunkle Fluch
gesprochen wurde, der Tori befallen hatte. Irgendwann, vor hundert Jahren,
hatte irgendeiner ihrer verdammten Ahnen diesen elenden Fluch ausgesprochen,
und es musste schlechtes Karma gewesen sein, weshalb ausgerechnet seine liebe,
wundervolle Frau darunter zu leiden gehabt hatte. Es erfüllte ihn noch immer
mit kalter Wut, und das Haus war so unangenehm wie das seiner eigenen Eltern.
Diese Reinblüterpaläste unterschieden sich in nichts, glichen einander auf
gruselige Weise, und über ihnen schwebte die dunkle Beharrlichkeit. Und sein
Vater begleitete sie, wie ein Vater junge Kinder begleitete, die weder Ahnung,
noch Verstand besaßen. Und dass Daphne gesprochen hatte, schien einfach nur der
unsichtbare Wink an seinen Vater gewesen zu sein, dass es jetzt ok wäre, ebenfalls
den viel zu großen Mund aufzumachen.
„Ihr
hättet längst etwas daran machen können“, entfuhr es Lucius in fast
geschäftlichem Plauderton, als taten sie so etwas. Als machten sie Ausflüge mit
ausgerechnet ihm, und ihm war nicht ganz klar an wen er dieses kollektive ‚Ihr‘
überhaupt richtete. An ihn und Daphne? An ihn und Scorpius? Als läge es auf der
Hand, dass das erste, worauf sie zu sprechen kommen hatten, der Status der
Reparaturbedürftigkeit dieser Abscheulichkeit vor ihnen war. Draco war wieder hin
und hergerissen zwischen Schweigen und Ehrlichkeit. Ihn interessierte dieses
Haus nicht. Nicht im Geringsten.
Es
war angenehm gewesen, dass sein Vater ganze drei Stunden seinen Mund gehalten
hatte. Wirklich angenehm. Merlin.
„Nicht jetzt, Vater“, war alles, was er sagte. Er hörte nicht einmal wirklich
zu. Nur sein Vater konnte ihn wirklich noch zur Weißglut treiben. Niemand
sonst. Nichts sonst. Nicht einmal der blasse Schimmer, der um das linke Auge
seines Sohnes lag, weil er geschlagen worden war. Nicht einmal das. Sie würden
darüber sprechen – aber nicht jetzt.
„Die
Verwilderung erschwert nicht nur den Verkauf, sondern auch-“
„-nicht
jetzt, Vater!“, wiederholte er weitaus deutlicher, und Lucius bekam den bitteren
Zug um seine Mundwinkel, den er immer bekam, wenn er sich überlegen wähnte und
ihm am liebsten über den Mund gefahren wäre. Aber er tat gut daran, heute eine
verdammte Ausnahme zu machen. Und genau das musste in Dracos Blick liegen, mit
dem er ihn direkt strafte, denn heute vor fünf Monaten hatte Draco seine Frau
unter die Erde gebracht. Und es war genauso frisch, als wäre es zwei Stunden
her.
„Ihr
wollt es verkaufen?“ Sein Sohn sprach. Immerhin. Er brach das unangenehme
Schweigen. Auch Scorpius‘ Blick ging direkt nach vorne, sog den Anblick des
alten Hauses auf, und Draco war sich nicht sicher, welche Gedanken, sein Sohn
verfolgte. Seine Stimme klang eigenartig hohl. Er würde heute Abend noch
genügend Zeit haben, herauszufinden, was auf Hogwarts vor sich ging. Nicht,
dass er es unbedingt wollte. Das Leben der jungen Leute, änderte sich rasant
schnell. Er kam sich schrecklich alt vor, im Vergleich zu Scorpius. Und fast
war er froh, älter zu sein. Sich nicht mit diesen Sorgen rumzuärgern, die Scorpius
höchstwahrscheinlich plagten.
„Wir
entscheiden heute gar nichts“, klärte Draco die drohende Auseinandersetzung,
die er in Lucius‘ Nähe immer spüren konnte. Unterm Strich gehörte das Anwesen
tatsächlich Scorpius. Tori hatte es ihm alleine vermacht. Draco hatte daran
nichts auszusetzen, musste er sich doch schon mit der Scheußlichkeit
auseinandersetzen, die seine Eltern für ihn warm hielten. Er konnte sich nicht
vorstellen, dass Scorpius nach Hogwarts irgendein Interesse hätte, in dieses
Monstrum hier zu ziehen. Dann wiederum wusste er aber auch nicht, woran
Scorpius Interesse hatte. Abgesehen von einer weiten Anzahl an Weasley-Mädchen.
Erschreckenderweise.
Es
musste eigenartig aussehen, wie sie hier vor dem alten Anwesen standen.
„Willst
du rein?“, fragte er seinen Sohn, und Scorpius mied seinen Blick, wie es nur
ein bockiger Teenager konnte. Zuerst reagierte er nicht. Und es war auch keine
verlockende Aussicht, nahm Draco an. Es war ein Gemäuer, vielleicht nicht
einsturzgefährdet, aber dennoch war es… nicht unbedingt ein freundlicher
Palast.
„Ich
denke, das ist heute wohl nicht der rechte Anlass, Draco?“ Sein Vater klang
milde empört, und er sprach seinen Vornamen mit Nachdruck, als wolle er etwas
in ihm wachrütteln. Als wäre es nur hinderlich, würden sie sich das Haus heute
ansehen. Heute war ein genauso guter Tag, wie jeder andere.
„Wenn
er rein möchte, gehen wir rein“, schloss Draco recht kompromisslos, und er
hasste wirklich, dass sein Vater mitgekommen war. Dass er keinen guten Grund
gefunden hatte, ihn abzuhalten.
„Ok“,
entfuhr es Scorpius neben ihm, mäßig gleichgültig. Lucius atmete fast knurrend
aus.
„Fein“,
entkam es ihm bitter. Und Daphne wirkte vollkommen aufgelöst. Sie
durchschritten den verwahrlosten Garten.
„Du
kannst auch draußen warten“, informierte Draco seinen Vater trocken, aber
Lucius lachte freudlos auf.
„Das hättest du gerne, nicht wahr?“, entgegnete er knapp, und Draco konnte sich
nicht halten.
„Verdammt
gerne, ja“, erwiderte er und erntete Lucius kalten Blick. Merlin, er hasste
seinen Vater. Mehr als das. So viel mehr als das! Lucius erwiderte nichts
darauf, ignorierte ihn gekonnt, und sie überwanden die letzten Stufen.
Über
den Doppeltüren war ein eisenverziertes Rundbogenfenster eingelassen. Das Glas
der kleinen Scheiben in einem undurchsichtigen Grün. Draco zog den alten
Schlüssel hervor, und es kostete ihn einiges an Kraft, sie nach außen
aufzustemmen. Sie eröffneten den Weg in eine große Eingangshalle, und der Boden
bestand aus steinernen Mosaiken. Kuppelförmig wölbte sich die Decke nach oben
und durch ein blasses Oberlicht fiel milchig weißes Licht auf die dekorativen
Steinfliesen. Es roch muffig und alt. So wie in den meisten Herrenhäusern,
dachte er bitter. Von dieser übertrieben noblen Halle führten die Wege tiefer
ins Haus, über Flure, durch Türen, mittels ausladender Treppenhäuser, und jedes
Zimmer erzählte eine andere schreckliche Geschichte, nahm er dumpf an.
Sein
Sohn sah sich um, schritt mutig voran, und sein Vater entfachte die alten
Kronleuchter mit einem Schlenker seines Zauberstabes.
„Exquisit“,
entfuhr ihm ein belangloses Wort, was Draco zur Kenntnis nahm. Es war alles
eher veraltet und renovierungsbedürftig. Das war, was er sah. Er sah die
hunderttausende an Galleonen, die er hier würde reinstecken müssen, um einen
marginalen Gewinn zu erzielen. Das Dach war alt. Die Wände morsch. Das war es,
was er sah. Nichts davon war ‚exquisit‘. Einfach gar nichts.
„Merlin“,
entfuhr es Daphne mit beschlagener Stimme. „Es ist so lange her“, flüsterte sie
und verschwand ebenfalls in die Tiefen der Halle, begutachtete die Wände mit
nostalgischem Interesse und sah Dinge, die wohl nur Vertraute dieses Hauses
entdecken konnten.
„Scorpius,
sei vorsichtig!“, rief er weiter ins Inneren, denn Scorpius war längst ins nächste
Zimmer verschwunden. „Scor?“, rief er und folgte seinem Sohn. Er achtete, wohin
er trat, denn er traute diesem verdammten Haus nicht.
„Du
wirst ihm doch wohl nicht die Entscheidung überlassen?“ Es war keine echte
Frage, die sein Vater stellte. Sein Vater stellte eigentlich nie echte Fragen.
Es waren mehr Herausforderungen, die Draco nicht annahm.
„Sicher
werde ich das“, erwiderte Draco beflissen. „Es ist sein Haus.“
„Er
ist minderjährig“, sagte Lucius barsch.
„Na und?“ Draco nahm die Herausforderung dieses Mal an. Auch wenn es dumm war.
„Und wenn schon.“
„Ihr
müsst verkaufen“, sagte sein Vater lediglich.
„Wenn er es verbrennen will, dann werden wir es verbrennen, Vater“, widersprach
er eindeutig, und Lucius‘ Blick war düster.
„Witzig,
Draco“, rief er ihm nach, denn Draco ließ ihn bereits zurück. Scorpius war
nicht im nächsten Zimmer, und auch nicht nächsten. Die Petroleumleuchter warfen
ein gruseliges Licht auf den Boden, und Draco sah sich um.
„Scorpius?“,
rief er knapp, und dann sah er ihn durch die gläsernen Türen. Er runzelte die
Stirn. Es schien eine Art Wintergarten zu sein. Er schlüpfte durch die offenen
Türen, und durch die gläserne Decke fiel das kalte Herbstlicht, tauchte den
Raum in stilles Grau. In der Mitte des steinernen Bodens thronte eine Fontäne.
Natürlich. Jeder hatte einen Springbrunnen in seinem Wintergarten, dachte Draco
bitter. Und die Skulptur in der Mitte wölbte die Flügel, wie im nahenden Flug,
als wolle sie abheben. Es war ein riesiger Schwan, ganz aus weißem Marmor.
Majestätisch nahm er den Platz dieses Raumes ein. Der Schwan war das Hauswappen
der Greengrass‘ gewesen. Absolut übertrieben. Absolut. Draco verzog den Mund.
Scorpius‘ Blick schien wie gefangen von dem steinernen Tier.
Damals
musste der Schwan Wasser gespiehen haben, was über seine Flügel seinen Körper
hinab, zurück ins Bassin fließen würde. Aber schon lange Jahre war hier kein
Wasser mehr geflossen.
„Hey“,
sagte Draco jetzt und stellte sich neben seinen Sohn. „Was denkst du?“, fragte
er ihn still und sah sich unbehaglich um. Scorpius folgte seinem Blick, bevor
er zu ihm aufsah. Nicht mehr viel fehlte, dachte Draco manchmal. Vielleicht
noch ein Jahr, dann hätte sein Sohn ihn an Größe eingeholt, wenn nicht schon
überholt. Er würde noch größer werden. Und dann seufzte Scorpius.
„Müssen wir verkaufen?“, fragte er ihn tatsächlich, und Draco runzelte die
Stirn.
„Du
willst nicht?“ Scorpius ruckte unverbindlich mit dem Kopf. Es konnte alles
heißen. Draco dachte knapp nach. „Müssen tun wir gar nichts, Scor“, schloss er
dann.
„Dann…
will ich es noch nicht entscheiden“, sagte er schlicht. Es überraschte Draco
ernsthaft. Hatte sein Sohn wirklich Interesse an diesem Haus?
„Ok“,
gab sich Draco geschlagen. Es war das Haus seines Sohnes. Ganz einfach. Allein
die Renovierungskosten bereiteten ihm schon wieder Magenschmerzen, aber… es
wäre egal. Wenn Scorpius es haben wollte, dann… sollte er es haben.
„Wir
könnten einige Architekten beauftragen“, fing sein Vater voller Tatendrang an,
aber Draco schüttelte den Kopf.
„Wir überlegen noch“, sagte er glatt.
„Was?“
Lucius sah ihn an. „Was überlegt ihr?“
„Vielleicht
behalten wir es“, schloss Draco schlicht, vergrub die Hände in den Taschen, und
sein Vater starrte ihn finster an.
„Wenn
du das tust, um mich zu ärgern, dann spar dir das“, erklärte er, aber Draco
lachte auf.
„Ich
bin vierzig Jahre alt, Lucius“, erklärte er kopfschüttelnd. „Ich habe kein
Interesse, ‚dich zu ärgern‘“, wiederholte er amüsiert. Lucius verzog den Mund.
„Wir denken darüber nach. Akzeptier das, und hör auf, zu planen“, entgegnete er
bitter.
„Darf ich mit Scorpius sprechen?“, versuchte sein Vater es erneut, aber Draco
ging dazwischen.
„Nein“,
widersprach er kalt. „Du darfst deinen Mund halten“, schloss er freudlos, und
Lucius starrte ihn zornig an.
„Draco-“
„-genug“,
sagte Draco kopfschüttelnd. „Es reicht für heute. Sieh dir das verdammte Haus
einfach an, ohne deinen Senf dazuzugeben, ok? Wenn wir es verkaufen wollen,
sage ich dir Bescheid. Aber bis dahin, sei einfach still.“ Es war eine Warnung,
und so sah sein Vater ihn auch an.
„Komm,
wir gehen hoch. Ich zeige dir das alte Zimmer deiner Mum“, flüsterte Daphne,
und Draco war ihr tatsächlich dankbar. Sie war doch für etwas gut.
Mit
dem Arm um seine Schulter, führte sie Scorpius aus dem Wintergarten.
„Du
wirst nicht mehr so mit mir reden“, entfuhr es seinem Vater eisig. „Nicht vor
deinem Sohn, nicht vor deiner Schwägerin!“
„Ich
rede mit dir, wie es mir passt.“
„Astoria
war ein schlechter Einfluss, Draco.“ Und mit diesen Worten wandte sich Draco
gänzlich seinem Vater zu.
„Vorsicht“,
entkam es Draco messerscharf. „Ich würde verdammt vorsichtig sein, was du von
dir gibst, du alter Todesser. Glaub ja nicht, dass du hier willkommen bist. Ich
möchte aber, dass mein Sohn seinen Großvater hin und wieder sieht. Wenn du dich
aber nicht benehmen kannst, dann ist das vorbei. Du brauchst meine Gnade, nicht
umgekehrt, Vater. Garantiert nicht umgekehrt!“, fuhr er ihn zitternd an. Und
Lucius schwieg. Es geschah selten, aber hin und wieder passierte auch dieses
Wunder.
„Du
redest wie deine Mutter“, spuckte er ihm entgegen.
„Ja,
vielleicht hättest du ihr das eine oder andere Mal besser zuhören sollen!“,
zischte Draco zornig.
„Du verziehst
deinen Sohn! Erlaubst ihm alles! Befreundet mit den Potter-Kindern, zusammen
mit einer Weasley!“, entfuhr es Lucius außer sich.
„Und
sei es nur für dein frühes Grab, würde ich eine sofortige Heirat mit jeder
Weasley befürworten!“, knurrte Draco ungehalten. Säuerlich kräuselte sich die
Oberlippe seines Vaters. Und nein, es stimmte nicht direkt. Draco befiel selber
manchmal die stumme Furcht, wenn er an so eine Zukunft dachte, aber jetzt
gerade… jetzt gerade tat es gut, seinem verdammten Vater die Luft aus den
Segeln zu nehmen.
Und
Merlin und Morgana sei Dank, schwieg sein verfluchter Vater endlich. Sie es vor
Schock oder vor Wut – Draco war es herzlich egal.
Seine
Frisur gab auf. Immer wieder fielen die nervigen, etwas zu langen Strähnen in sein
Gesicht, hingen vor seinen Augen, und mit gereizten Griffen kämmte er sie immer
wieder nach hinten über seinen Kopf. Er nahm an, so würden sie verdammt schnell
fettig werden, aber es war unerträglich. Abwesend fuhr seine Hand über seinen
Bart, einerseits, um verirrte Haare wieder zu ordnen, andererseits aber einfach
nur zur Beruhigung. Es war eigenartig, aber über sein behaartes Kinn zu fahren,
brachte ihm eine Ruhe durch Autosuggestion.
Er
beobachtete Hermine seit einer Weile. Es war dumm von ihm gewesen, Amory und
Hermine einzuladen, ausgerechnet heute, wo Scorpius Zuhause war. Er wollte ein
paar Dinge mit seinem Sohn besprechen, bevor es Zeit wurde, ihn ins Bett zu
schicken. Amory und Hermine diskutieren seit einer ganzen Weile. Es war längst
dunkel draußen und beide hatten bereits zweimal Zuhause Bescheid gegeben, dass
es später werden würde. Insgeheim hatte sich Draco bereits eine mentale Notiz
gemacht, niemals wieder während der Kandidaturzeit die Leitung zu übernehmen.
Er hatte geglaubt, es wäre leichte Arbeit, aber tatsächlich bedeutete die
Freistellung von seinen übrigen Aufgaben leider, dass er doppelt und dreifach
viel Zeit in die Kampagnen stecken musste. Die Interne Verwaltung übernahm
nämlich den Wahlkampf beider Seiten, organisierte und strukturierte die Wahl,
und er wusste, Amory und Hermine waren nicht unbedingt schreckliche
Streithähne, aber er hatte die Meinungsdebatte doch unterschätzt.
Sie
beachtete ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit ruhte auf Amory. Sie hatte auch kein
Problem damit gehabt, in sein Haus zu kommen. Sie strahlte eine fast
nervtötende Professionalität aus, dass er den Kopf schütteln wollte. Sie besaß
ein natürliches Talent für Diplomatie und Konfliktlösung. Amory war etwas
aggressiver in seiner Vorgehensweise, aber so wie Draco es bewertete, wäre eine
doppelte Ministerschaft gar keine schlechte Alternative. Eine Koalition, wenn
man so wollte. Aber natürlich interessierten sich weder Hermine, noch Amory für
diesen Vorschlag. Beide wollten ihre Interessen durchsetzen, und die
unterschieden sich unterm Strich doch immens.
„Und
warum nicht?“, fragte Amory wieder, die blauen Augen wachsam, verständnisvoll,
aber die Müdigkeit stand ihm deutlich ins scharfkantige, sehr symmetrische
Gesicht geschrieben. Er machte sich gut auf den Wahlplakaten. Der Stimmfolge
bisher hatte sein Gesicht nur Vorteile gebracht, und die Bevölkerung bevorzugte
Amory zurzeit. Hermine sortierte ihre Gefühle, er sah es deutlich in den
angespannten Linien um ihren Mund.
„Weil
es nicht erste Priorität haben sollte. Alleine vom Gleichheitsgrundsatz her.“
So zivilisiert. So unfassbar freundlich. Draco hielt sich nur mit Mühe ab,
aufzustöhnen.
„Was
hat der Gleichheitsgrundsatz damit zu tun? Es ist doch reine Präferenz.“
„Es
suggeriert aber etwas vollkommen anderes, Amory“, widersprach sie mit sanfter
Ablehnung.
Draco
war sich nicht mal mehr sicher, um was es überhaupt ging. Heiler, die sich eher
auf Reinblüter spezialisierten? Oder Heiler, die eher Muggelpraktiken
bevorzugten? Es waren nur noch unsinnige Details, die ins Wahlprogramm gepackt
werden sollten, aber die passive Politik verlangte, dass nichts Zweideutiges
und anrüchiges oder streitträchtiges Eingang in die Wahlkampagne fand.
Eigentlich lohnte die Ministerwahl seit Jahren nicht mehr. Es war nicht mehr
spannend und schmutzig. Es war weichgespülter Quatsch geworden.
„Draco?“, riss ihn Amorys Stimme scheinbar wiederholt aus den Gedanken. Dracos
Augen weiteten sich überrascht.
„Hm?“, entfuhr es ihm entschuldigend, denn er war längst abgedriftet.
„Eine zweite Meinung wäre hilfreich?“, sagte Amory mehr oder weniger
ungeduldig.
„Muss das sein?“, entfuhr es Draco ablehnend. „Ich bin wirklich nicht geeignet,
diese Uneinigkeiten zu schlichten, Ames“, fuhr er vage fort.
„Dafür
bist du aber da“, erinnerte Amory ihn eindeutig. Draco atmete ergeben aus.
Jetzt spürte er Hermines Blick sehr deutlich, sehr kompromisslos. Und auch
Amory sollte es besser wissen, als sich mit Hermine Weasley anzulegen. Es
brachte nicht viel. Es brachte einem höchsten einen Termin vorm höchsten
Verwaltungsbeamten, um die Unstimmigkeiten auszudiskutieren.
„Passive Politik, Amory“, sprach Draco achselzuckend, was eigentlich immer eine
gute Antwort auf sämtliche Fragen war. Ob man nun zugehört hatte, oder nicht.
„Man
darf also gar nichts mehr sagen? Wenn sich die Parteien nicht unterscheiden –
wofür dann überhaupt Wahlprogramm machen?“, fuhr Amory ihn jetzt an, aber Draco
zuckte die Achseln.
„Mein
Reden seit Jahren“, bestätigte er, aber Hermine atmete gereizt aus.
„Warum
sollte man den Streit riskieren?“, fing sie wieder an.
„Es ist kein Streit! Es ist eine zweite Meinung, Hermine!“, entfuhr es Amory
gereizter als vorher.
„Eine
zweite Meinung, die gegen Nachkriegsgrundsätze verstößt!“, korrigierte sie ihn
wütend.
„Weil der magischen Bevölkerung die Wahl gelassen werden soll, ob sie zu einem
reinmagischen Heiler gehen oder zu einem gemischt magischen Heiler?“,
entgegnete Amory ungläubig, und Draco dankte Amory stumm für die Erinnerung, um
was es gerade eigentlich ging.
„Draco
hat sich geäußert“, erwiderte sie endgültig. Amorys Blick traf ihn kurz, und er
wirkte nicht begeistert.
„Draco
hat überhaupt nichts getan. Draco hört uns nicht mal mehr zu“, entfuhr es ihm
spitz.
„Nichtsdestotrotz
hat er Recht. Passive Politik bedeutet, zwischen Reinblüter und Halbblüter
keine Zwietracht zu scheren.“
„Zwietracht?“,
wiederholte Amory ungläubig.
„Zwietracht“,
bestätigte sie ungerührt. Wieder traf ihn Amorys Blick.
„Und du willst dazu gar nichts sagen?“ Es war eine klare, unmissverständliche
Aufforderung, und Draco gab die Antwort, die er sich seit Monaten angewöhnt
hatte.
„Ich
bin wirklich nur ein neutraler Dritter, Amory“, sagte er glatt, und Amory gab
schließlich auf.
„Fein.
Ihr seid beide dämlich“, kam er zu einem bissigen Schluss, aber Überlegenheit
zuckte um Hermines Mundwinkel.
„Dann
sind wir für heute fertig, nehme ich an?“, wollte sie lächelnd wissen, aber
Amory schüttelte den Kopf.
„Ich bin
für den Rest meines Lebens fertig“, widersprach er lakonisch.
„Stell
dich nicht so an. Dein hübsches Gesicht verträgt die Sorgenfalten nicht
sonderlich gut, Amory“, erntete er von Hermine die Spitze gegen seine
demonstrativen Wahlplakate. Amory verzog den Mund.
„Witzig.
Hör auf zu grinsen, Draco!“, schnappte er in seine Richtung, und sein Bart
verbarg seine Gefühlsregungen wohl doch nicht so gründlich, wie Draco gehofft
hatte.
„Immer
wieder eine Freude die Parteispitzen bei mir willkommen zu heißen“, erwiderte
Draco eindeutig scharf. Endlich standen sie alle auf. Endlich fand dieser Abend
ein ersehntes Ende.
„Wir
sehen uns morgen im Club?“, erkundigte sich Amory versöhnlicher bei ihm. „Dein
Vater hat großes zu verkünden, wie ich hörte?“, ergänzte er lächelnd, und
Dracos Lächeln gefror.
„Mein
Vater gehört ins Irrenhaus, wo sie ihm den verdammten Zauberstab wegnehmen und
ihn unter Strafe zwingen, nach jedem Satz Danke und Bitte zu sagen“, knurrte
Draco zornig. Denn ja, sein Vater hatte Andeutungen gemacht, aber Draco
interessierte es einen feuchten Scheißdreck, was Lucius zu verkünden hatte. Er
sah, wie Hermine den Kopf missbilligend schüttelte.
„Was?“,
entfuhr es Amory lauernd. „Dir gefällt der Club nicht? Es hat nichts mit dem
Wahlkampf zu tun. Wir reden da nicht schon wieder drüber“, warnte er sie, und
Draco war sehr dankbar dafür. Und Hermine erwiderte auch nichts. Sie wirkte
lediglich wieder mal überhaben und betrachtete sie mitleidig. „Also, Isabella
lyncht mich, wenn ich nicht endlich aufbreche. Es war mir eine Ehre, mit dir zu
streiten, Hermine“, verabschiedete er sich mit einem schmalen Lächeln von ihr.
„Bis morgen, Draco. Ich finde raus“, wandte er sich an ihn und verließ das
Büro. Er ließ die Tür offen stehen, und Draco genoss den Stoß kühler Luft, die
vom Flur hineinwehte.
„Er
ist so verbissen. Ich begreife nicht, wie ihr befreundet sein könnt“, entfuhr
es ihr kopfschüttelnd, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. Draco
blickte noch immer zu Tür hinaus, durch Amory längst verschwunden war.
„Wir
reden selten über Muggelpraktiker im Club“, entgegnete er mit einer Spitze
Sarkasmus, und sie atmete resignierend aus. Und dann… standen sie sinnlos und
schweigend voreinander in seinem Büro.
Sie
packte schließlich ihre Unterlagen in ihre arg mitgenommene Ledertasche und
schulterte sie erschöpft.
„Dein
Sohn ist hier?“ Es war eine Frage, die sie stellte. Scorpius war zuvor durch
die Flure geschlichen, und er nahm an, Hermine hatte ihn gesehen. Draco nickte
lediglich, fuhr sich abwesend über seinen Bart und schüttelte die Strähnen aus
den Augen. „Warum?“ Er vergrub die Hände in den ausgebeulten Taschen seiner
Stoffhose und atmete lange aus.
„Astoria hat ihm das Haus ihrer Großeltern vermacht. Ich bin mir nicht sicher,
warum. Ich bin mir nicht mal sicher, warum ihre Eltern versäumt haben, das
Testament zu ändern. Dass sie es überhaupt bekommen hatte, ist verwunderlich.
Und… warum sie glaubte, es wäre eine gute Idee, es Scorpius zu vermachen…
begreife ich nicht. Jedenfalls… haben wir es heute besichtigt.“ Hermine hörte
ihm aufmerksam zu. Es war nicht so, dass Draco keinen Kontakt mit den Weasleys
hatte. Er hatte sich damit abgefunden, Harry öfter als gewünscht zu sehen, und
es war… nur halb so schlimm, wie er angenommen hatte.
Und
tatsächlich waren Hermine und Astoria befreundet gewesen, hatten sich während
des Studiums gut verstanden, hatten sogar Thesen zusammen verfasst. Ab und zu,
wenn es die Zeit und der Zufall erlaubten, trafen sie sich. Sie saßen in der
Ministeriumskantine und tranken Tee zusammen.
Es
war nichts Verbotenes. Es war nichts, weswegen Ron Weasley ihm den Kopf
abreißen musste, aber ihm war nicht entgangen, dass sein Kamin im Wohnzimmer
dreimal aktiviert worden war, denn Ron Weasley hatte tatsächlich dreimal seine
Frau sprechen müssen, um… sicherzugehen, dass sie hier nicht gefoltert und
zerstückelt wurde, nahm Draco bitter an.
Amory
und Hermine waren bisher viermal hier gewesen, und jedes Mal war es endlos und
unangenehm geworden.
„Und?
Will er es behalten?“ Sie stellte die richtigen Fragen. Sie war eine exzellente
Zuhörerin.
„Er
weiß es noch nicht“, erwiderte Draco unschlüssig.
„Oh?“
Es schien sie zu überraschen. „Will er nach Hogwarts ausziehen?“, vermutete sie
lächelnd.
„Garantiert“,
erwiderte Draco, und auch seine Mundwinkel hoben sich. „Amory weiß nichts von…
Rose und Presley?“, vermutete Draco schließlich, und Hermines Lächeln schwand.
Draco war überrascht, dass er sich den Namen des Mädchens merken konnte, aber
dann wiederum… war sie die einzige Weasley von Signifikanz, nicht wahr? Sie war
die einzige, weswegen sein Sohn so dermaßen Ärger bekommen hatte, dass er in
der Schule hatte auftauchen müssen. Sie schien also wichtig zu sein.
Wahrscheinlich war es der einzige Name, den er sich merken müsste, dachte er
dumpf.
„Nein,
denn ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Meine Tochter schreibt mir nicht, und
mein Sohn hat erstaunlich wenig Interesse an den Beziehungen seiner Schwester“,
erwiderte sie mit demonstrativ erhobener Augenbraue. Und kurz war Draco
versucht, zu lächeln, es abzutun, aber… er konnte es nicht ganz verdrängen. Ob
sein Sohn gerade irgendwo lauschte?
Dann
setzte er sich in Bewegung, stieß sich von der Schrebtischkante ab, linste in
den Flur, und schloss dann geräuschlos seine Tür erneut. Er wandte sich um, und
Hermine hatte bereits fragend die Augenbrauen gehoben.
„Eine
Sache wäre da noch“, begann er unschlüssig, und sie wirkte etwas… aufgewühlt.
Etwas… unentspannt.
„Ja?“
Ihre Stimme war flach, etwas atemlos. „Was weißt du?“, entfuhr es ihr stiller,
denn sie schien seinen Blick zu durchschauen.
„Nicht
wirklich viel“, bemerkte er still, für den Fall, dass sein Sohn das Ohr an die
Wand gepresst hielt.
„Aber?“ Sie sah ihn durchdringend an. Merlin, ihre Tochter war ihr sehr
ähnlich. Heute war es ihm deutlich aufgefallen, als er das verschlossene
Mädchen getroffen hatte, die doch erstaunlich häufig in der Nähe seines Sohnes
anzutreffen war. Dasselbe Gesicht, derselbe Blick.
„Scorpius
ist nicht mehr mit Dominique zusammen“, begann er schließlich, und es war
nichts, was ihn mit Verlustschmerzen plagte, denn Bill und Fleur hatten ihn
einige Male zu häufig zum Essen eingeladen und ihn mit genügend französischen
Delikatessen gefoltert, dass er den Tag herbeigesehnt hatte, an dem sein Sohn
ein wenig erwachsener wurde, und über die Veela-Schönheit der jungen Weasley
hinaus erkennen würde, dass mit ihrer Herkunft sehr ekelhaftes Essen
einherging, was Draco auf einer möglichen Hochzeit unerträglich gefunden hatte.
Hermine sah ihn unentwegt an.
„Ich
hörte davon“, erwiderte sie vage. „Gab es… da einen bestimmten Grund für?“
Dracos Mund öffnete sich, ehe er ihn unentschlossen wieder schloss. Und es war
ein durchaus eigenartiger Satz, und bisher hatte er über diese Konsequenz nicht
wirklich ausreichend nachgedacht.
„Ich
glaube, mein Sohn mag dein Tochter“, sagte er, mit Bedacht und ausgewählter
Vorsicht. Und sie wirkte nicht unbedingt überrascht. Nicht wirklich. Sie sah so
aus, als hätte sie darüber nachgedacht. Als käme ihr der Gedanke nicht frisch
und schmerzhaft.
„Hm, ich…“ Sie schien nach geeigneten Worten zu suchen, ehe sie resignierend
aufgab. „Hat Scorpius es dir gesagt?“, fragte sie ihn mit leiser Hoffnung, auf
einen handfesten Beweis, aber Draco musste lächeln.
„Ich
denke, er würde eher seinen Besen verkaufen, als mir so etwas freiwillig zu
beichten“, bemerkte er mit einem trockenen Lächeln.
„Vielleicht
ist es eine Phase“, vermutete sie schließlich. Seine Mundwinkel zuckten.
„Eine
Malfoy-Phase?“, entgegnete er spöttisch.
„Möglich“,
sagte sie bloß. Aber sein Name allein hatte die kurze Auswirkung gehabt, dass
sie das Gesicht schmerzhaft verzogen hatte. „Ich meine, Rose fehlt die
Einsicht, dass Amorys Sohn vielleicht… nicht die beste Wahl ist. Einfach weil…
es mir Magenschmerzen bereitet“, schloss sie kopfschüttelnd. „Also gehe ich
davon aus, dass sie auch nicht großartig nachdenken wird, sollte sie… Scorpius…
leiden können, obwohl…“
„Obwohl?“
Er war interessiert, was so schrecklich an seinem Sohn war, dass es
Herminesolche Probleme bereitete, darüber zu sprechen.
„Obwohl
ihr Vater höchstahrscheinlich einen übertriebenen Tobsuchtsanfall bekommen
würde“, schloss sie sehr eindeutig, und Draco zog die Nase kraus. Ja. Richtig.
„Ich
weiß es nicht, ok? Vielleicht… interpretiere ich zu viel in Scorpius‘ Verhalten
hinein – vielleicht ist es alles harmlos“, ruderte er schließlich zurück. „Es
wäre für keine beteiligte Familie sonderlich… einfach“, ergänzte er dann.
„Ja“,
bestätigte sie müde. „Definitiv nicht einfach“, ergänzte sie, etwas abwesend.
„Ich… sollte wirklich gehen“, wechselte sie anschließend abrupt das Thema. Sie
sah ihn nicht mehr an.
„Sicher.
Willst du über Floh-?“, begann er, aber sie schüttelte den Kopf.
„-ich
appariere. Etwas frische Luft kann nicht schaden, nach diesem endlosen Abend
und Amorys endlosen Tiraden“, entgegnete sie kopfschüttelnd. Draco schritt zur
Tür und öffnete sie wieder. Der Flur lag ausgestorben vor ihnen. Sie traten
hinaus und gingen nebeneinander den Flur entlang zum Korridor, der zur Haustür
führte.
„Ich
denke, du wirst diesen Wahlmpf gewinnen“, sagte er schließlich, als sie die
Haustür erreicht hatten. Sie atmete lange aus.
„Ich
weiß gar nicht, ob ich es wirklich will.“ Fast klang ihre Stimme etwas
verloren. Die Sorge lag sanft über ihrem Gesicht, und Draco konnte sich nicht
vorstellen, dass sie es nicht meistern würde. Er arbeitete lange genug mit
Hermine Weasley, um klar sagen zu können – es gab nichts, was sie nicht konnte.
Absolut gar nichts. Ihr Blickk flackerte etwas, verließ sein Gesicht, und
Dracos Augen folgten ihrem Blick. Tatsächlich druckste sich sein Sohn im
Türrahmen zum Wohnzimmer herum. „Hey“, begrüßte Hermine ihn freundlich.
„Hallo“,
erwiderte sein Sohn tatsächlich einigrmaßen scheu.
„Wir…
haben uns in McGonagalls Büro getroffen. Aber… es war nicht unbedingt der beste
Zeitpunkt gewesen, nicht wahr?“, begann sie das Gespräch so unverfänglich, wie
nur ein Politiker es konnte. Dracos Mundwinkel hoben sich ein wenig, als
Hermine wieder in den Flur trat und seinem missratenen Sohn die Hand reichte.
Immerhin besaß Scorpius genügend Anstand, um ihre Hand zu schütteln.
„Nein“,
bestätigte er einsilbig, wie es Teenager eben taten.
„Das
war heute bestimmt ein anstrengender Tag für dich?“, erkundigte sich Hermine
fast sanft bei seinem Sohn, und Draco würde gerne hinzufügen, dass dieser
anstrengende Tag noch nicht vorüber war, denn er hatte noch die eine oder
andere Frage, die ihm auf der Seele brannte. Scorpius ruckte mit dem Kopf.
„Sprechen
habe ich dir aber beigebracht, oder?“, entkam es Draco eindeutig scharf, und
Scorpius schoss ihm einen kurzen, zornigen Blick zu.
„Ja,
es war anstrengend“, bestätigte er bloß.
„Weißt
du“, begann Hermine sanfter, „wir kennen uns nicht wirklich gut, aber…“ Draco runzelte
die Stirn, aber sein Sohn ließ Hermine nicht aus dem Blick, „… wir sind auch
für dich da, wenn du… mal reden möchtest. Nicht nur Harry und Ginny haben dich
gerne dabei, ok? Deine Mum war ein wunderbarer Mensch, und ich hatte das Glück,
häufig mit ihr zu arbeiten, und… ich kann mir nicht vorstellen, wie es für dich
sein muss, dass sie nicht mehr da ist.“ Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln,
und Scorpius‘ Blick fiel etwas beschämt. „Und ich will dir nicht zu nahe
treten, und du sollst dich auch nicht bedrängt fühlen. Ich wollte nur-“
„-schon
gut“, unterbrach Scorpius sie still. „Danke“, fügte er peinlich berührt hinzu.
Hermine streckte den Rücken wieder durch und kehrte zu ihm zurück.
„Das
erinnert mich daran, dass ich euch einladen wollte“, fuhr sie freundlich fort.
„Wie du es so häufig tust“, bemerkte er spöttisch, aber sie schüttelte den
Kopf.
„Harrys
und Ginnys zwanzigster Hochzeitstag steht an, und Ginny plant eine massive
Feier. Ich denke, die Kinder werden Hogwarts an diesem Wochenende verlassen
dürfen, um mitzufeiern, und Harry hat mich noch beauftragt, dir heute Bescheid
zu geben.“ Dracos Stirn runzelte sich schließlich.
„Das
ist… nett. Wir überlegen uns das“, ergänzte er, aber Hermine verzog den Mund.
„Ich
denke nicht, dass sich Harry Potter mit dieser Antwort zufrieden geben wird. Es
ist das zweite Novemberwochende, und dann haben wir auch kein anstrengendes
Treffen mit Amory, also verzichte auf deinen dämlichen Reinblüter-Club und
lasst euch im Goldenen Drachen blicken.“ Ihr mahnender Blick galt auch
Scorpius. „Der größte Saal ist reserviert, und ich weiß, dass Brautpaar freut
sich gleichermaßen über überteuerten Wein wie auch über verschiedene Sorten an
ekelhaftem Feuerwhiskey“, bemerkte sie mit angewidertem Ausdruck.
„Verstanden“,
gab er sich lächelnd geschlagen. Noch einmal glitt ihr Blick über Scorpius.
„Es
wird dir bestimmt Spaß machen“, versprach sie ihm. „Albus und James werden sich
garantiert besonders daneben benehmen“, ergänzte sie zwinkernd. Sein Sohn
wirkte, als hätte er einen Faustschlag in den Magen kassiert, nickte aber
unbewegt. „Alles klar, dann schönen Abend euch, und ich sehe euch nächsten
Monat!“, warnte sie sie beide. Sie öffnete selbstständig die Tür, und der kalte
Herbst trieb die feuchtkalte Nachtluft ins Innere. Sie winkte ihnen zum
Abschied und zog dann die Tür hinter sich zu.
„Tja“,
begann Draco nach einem langen Seufzer, „sieht aus, als könntest du noch ein
Wochenende-“ Aber Scorpius unterbrach ihn laut und scharf.
„-wieso
bringst du sie hierher?“, fuhr er ihn tatsächlich an. Draco schwieg abrupt und
fixierte seinen Sohn. Aufgebracht hob sich dessen Brust und Wut flackerte in
seinen Augen.
„Bitte?“,
erkundigte sich Draco, denn er glaubte nicht, dass er wirklich verstanden
hatte.
„Mrs
Weasley!“, machte er es deutlich. „Was tut sie hier? Wieso bringst du sie her?“
Scorpius‘ Wut kam von irgendwoher, aber Draco hatte keine Ahnung, was der Grund
war.
„Ich
bringe sie nicht her. Sie war hier, weil Mr. Ford auch hier war. Ich arbeite
mit diesen Menschen, Scorpius. Und ich möchte nicht-“
„-ich
möchte auch vieles nicht!“, blaffte Scorpius zornig.
„Was
ist dein Problem?“, wollte Draco agespannt von ihm wissen.
„Mein
Problem ist, dass du scheiße bist!“, fuhr sein Sohn ihn an, und Dracos Augen weiteten
sich.
„Ich
schlage dir jetzt in aller Freundlichkeit vor, dir genau zu überlegen, wie du
mit mir sprichst, mein Freund“, erwiderte er, gezwungene Ruhe in der Stimme. Zu
viele Schläge seines eigenen Vaters hielten ihn davon ab, diese Erziehungsfehler
zu wiederholen. Scorpius wirkte über alle Maßen aufgebracht und unfassbar
zornig. Zorniger, als Draco es jemals erlebt hatte.
„Ich
will nicht, dass sie über Mum spricht!“, schnauzte Scorpius wütend. „Sie hat
kein Recht dazu!“
„Scor-“
„-nein!“,
blaffte er mit zitternder Stimme.
„Sie
meint das nicht böse“, begann Draco wieder, obwohl noch immer keine wirkliche
Ahnung hatte, ob das wirklich Scorpius‘ Problem war.
„Es
ist mir verflucht egal, wie sie es meint!“, rief er verzweifelt, und jetzt trat
der Glanz in seine Augen. „Sie hat kein scheiß Recht überhaupt über sie zu
reden! Und sie braucht uns auch nicht zu irgendwelchen scheiß VEranstaltugen
einladen!“, dröhnte die Stimme seines Sohnes durch den Flur, und langsam aber
sich dämmerte es Draco. Teenager waren höchstkomplizierte Wesen. Absolut
undurchsichtig.
„Du
achtest gefälligst auf deine Sprache, hast du verstanden?“, fuhr Draco ihn
scharf an. „Und wenn uns jemand einlädt, dann ist es verdammt noch mal höflich,
anzunehmen“, knurrte er und missachtete selber seine Aussprache, denn sein Sohn
war einfach zu anstrengend. „Und dass sie dir anbietet, ein offenes Ohr zu
haben, dass sie dir sagt, dass du willkommen bist, ist vielleicht nicht das
schlechteste Angebot, wenn ich bedenke, dass ich dich noch nicht gefragt habe,
wie du das blaue Auge erklären möchtest, geschweige denn, warum Albus Potter
sich überhaupt dazu genötigt gesehen hat, es dir zu verpassen!“ Seine Stimme
war mit jedem Wort lauter geworden, und die Träne, die aus Scorpius‘ Augen rollte,
schmerzte sein Vaterherz mehr als jedes böse Wort. „Und wenn du sauer bist,
weil du gerade einen Streit mit deinem besten Freund hast – dann schön! Dann
sag das. Oder sag gar nichts, aber Mrs Weasley hat damit nichts zu tun!“,
schloss Draco wütend. Draco wusste, er wäre mittlerweile längst abgezogen,
hätte die Tür ins Schloss geworfen, aber hätte er sich so einen Schlagabtausch
mit Lucius geliefert, hätte er längst den steinharten Gehstock über den Rücken
gezogen bekommen gehabt.
Es
wäre tatsächlich eine rein hypothetische Frage, ob er sich länger mit seinem
Vater gestritten hätte, hätte Lucius davon abgesehen, ihn zu verprügeln, wenn
er mit Worten nicht weiter gewusst hatte.
Sein
Sohn zumindest blieb, wo er war, schien noch nicht fertig zu sein.
„Es
gibt keinen Grund, mit ihnen Kontakt zu haben!“, sagte Scorpius bitter. „Ich
habe keinen Kontakt mehr mit Albus – und auch mit sonst keinem von ihnen! Und
Ron Weasley hat hier heute fünfmal über Floh angerufen! Weil er dich hasst,
Dad!“, knurrte er.
„Dreimal“,
korrigierte Draco überflüssgerweise, aber es ging lediglich nur noch ums
Prinzip.
„Und wenn es fünfzehnmal gewesen wäre!“, schnauzte Scorpius aufgebracht. „Wir
sollten nichts mit ihnen zu tun haben, ganz einfach! Niemand will uns da!“
Anscheinend
stand es um das Herz seines Sohnes ernster, als er angenommen hatte. Und er
durfte sich nicht hinreißen lassen, ihn weiter anzuschreien. Er musste der
Vater sein, den Astoria von ihm erwarten würde, der er war.
„Albus
wird sich wieder beruhigen“, sagte er schließlich.
„Darum
geht es nicht!“, fuhr Scorpius ihn zornig an.
„Ich
denke schon.“
„Dann
liegst du eben verdammt noch mal falsch!“ Röte war in Scorpius Gesicht
gestiegen und zornig wischte er sich die Tränen weg, die Draco nicht kommentierte.
„Es
ist ok“, sagte Draco stiller.
„Nein,
verdammt!“ Scorpius‘ Stimme brach. „Es ist gar nichts ok!“
„Ron
Weasley wird nicht umbringen, Scorpius“, sprach Draco seine Gedanken mit
Bedacht aus. Panik trat tatsächlich in die Augen seines Sohnes.
„Was?“,
entkam es Scorpius heiser vor Schreck. Er wurde ganz blass.
„Du…
magst Rose? Keiner wird dich umbringen deswegen“, schloss er, fast schon
entnervt. „Weder Ron, noch Albus.“ Aber Scorpius wirkte, als hätte er ihm
gerade einen Kessel übergebraten.
„Du
redest… absoluten…!“ Aber die Stimme seines Sohnes besaß keinerlei Substanz
mehr. Die Bösartigkeit war verflogen.
„Es
ist ok“, wiederholte Draco wieder. Und wieder. Bis die Tränen aus seinem Sohn
nur so herausströmten, und es überforderte ihn, mehr, als Draco es sagen
konnte. „Es ist ok…“, flüsterte er nur noch, als er den Abstand schloss, um
seinen unmöglich Sohn in seine Arme zu ziehen. Er erinnerte sich noch, als
Scorpius vier Jahre alt gewesen war. Er hatte ihn ohne Mühe hochheben können,
hatte ihn festgehalten, und mittlerweile konnte er kaum noch seinen ganzen
Körper umarmen, konnte ihn nicht mehr von der Welt abschirmen, wenn er wollte.
Sein Sohn wollte ihn von sich schieben, aber Draco ignorierte das. Denn er
konnte nicht anders. Sein Sohn litt, und es gab wenig, was Draco mehr
bekümmerte als das. Und irgendwann gab Scorpius auf, stoppte seine
Fluchtversuche, und Draco umarmte ihn fest, ohne weitere Worte, während er sich
noch nicht völlig sicher war, was er von dieser neuen Entwicklung halten
sollte. Er nahm an, Ron würde Scorpius tatsächlich nicht umbringen. Aber…
vielleicht würde er persönlich dafür den Zorn einstecken müssen.
Man
sollte sich vielleicht wirklich lieber genau die Eltern seines Partners
ansehen. Aber… er verwarf diesen Gedanken. Dann wäre er höchstwahrscheinlich
für immer alleine geblieben, und hätte niemals seinen Engel gefunden, der ihm
diesen unmöglichen Sohn geschenkt hatte, den er mehr liebte, als sich selbst.
Er
spürte Lorcans Blick seit einer ganzen Weile auf sich, und Hugo wusste, er
leistete keine gute Arbeit. Er war so abgelenkt, dachte an alles andere, aber
nicht an den Aufsatz für Zauberkunst. Aber Lorcan sprach ihn auf gar nichts an,
fragte ihn nicht nach Cara, die er heute hatte versetzen müssen, weil er sich
nicht sicher war, was er wirklich wollte. Rumer hatte ihm ziemlich deutlich zu
verstehen gegeben, dass sie ihn nicht wollte. Wahrscheinlich... küsste er
schlecht. Wahrscheinlich... war er nichts weiter als ein kleiner Junge.
Er hatte sich gänzlich von seinen Gefühlen leiten lassen - etwas, was sonst nur
seine Schwester fertigbrachte. Und wahrscheinlich war das sein größter Fehler
gewesen. Scheiße.
„Was
ist los mit dir?“, fragte sein einziger Freund ihn gereizt. Hugo ruckte bloß
mit dem Kopf. Lorcan atmete lange aus, schien sich zu sammeln. „Ich weiß,
schulische Leistungen stehen zurzeit nicht ganz oben auf deiner Liste, aber
vielleicht solltest du über dein Problem reden, damit wir es hinter uns bringen,
und schulische Leistungen wieder mehr in deinen Fokus rücken?“ Er sah ihn
eindeutig an. Hugo drehte die Feder in seinen tintenbesprenkelten Händen. Er
hatte heute nicht mal auf Sauberkeit geachtet.
„Du
verstehst das nicht“, entfuhr es Hugo kompromisslos, und Lorcans Feder sank
ebenfalls.
„Wirklich?
Das ist dein Argument? Lust, das noch mal zu überdenken, Hugo?“, fragte er ihn
scharf, und ja, es gab wenig, dass Lorcan nicht verstand, aber das hier… war
etwas anderes. Hugos Blick hob sich unwillig.
„Du
stehst nicht auf Mädchen, also…“, erwiderte Hugo schroff, aber Lorcans
Augenbraue hob sich.
„Also bedeutet das, ich bin ein gefühlsloser Bastard, der bei seinem Leben
nicht begreifen könnte, welche komplexen Probleme ihr Heteros habt? Weil
Schwule keine komplizierten Gefühle haben können? Weil du so verdammt schwer zu
durchschauen bist, ja?“ Und mit einem langsamen Nicken schlug Lorcan sein Buch
zu.
„Nein,
so habe ich es nicht gemeint“, erwiderte Hugo, um Ruhe bemüht. Lorcan packte
seine Tasche und erhob sich vom Tisch.
„Für
dich muss es sehr ironisch sein – falls du zurzeit clever genug bist, die
Ironie überhaupt zu erkennen –, dass du vielleicht doch mehr zu deiner Familie
gehörst, als du es immer behauptest. Vielleicht ließen sich deine Probleme eher
mit Albus Potter besprechen?“ Wut zuckte über Lorcans blasses Gesicht. „Ich
habe für dich verdammten Ärger bekommen, Hugo. Du hast meinen Zauberstab
benutzt, für irgendeine waghalsige Weasley-Aktion!“ Bei diesen Worten spürte
Hugo, wie sein Körper sich defensiv verspannte. „Und meine Eltern wurden vom
Ministerium informiert, ok? Meine Eltern haben mir eine seitenlange Beschwerde
geschrieben, wie untypisch und unerfreulich diese Sache war. Und für dich
belüge ich die Schulleiterin. Und warum? Damit ich mir von dir anhören kann,
dass ich deine Probleme nicht begreife, weil ich nicht auf Mädchen stehe!“,
knurrte er wütend. „Wow“, ergänzte er. „Weißt du, wenn das der Grund ist, dann
will ich deine scheiß Probleme höchstwahrscheinlich nicht verstehen, denn es
klingt nach absolut dämlichen Probleme, die wahrscheinlich jeder Potter mit
verbundenen Augen, ohne Hilfe lösen könnte – also… vergiss, dass ich gefragt
habe. Am besten lernen wir alleine“, schloss er kühl, wandte sich ab, und Hugo
konnte ihm nur mit großen Augen nachsehen, als er mit steifen Schritten den
Gemeinschaftsraum verließ.
Zornig
warf er die Feder auf sein halbherzig beschriebenes Blatt Pergament, und sie
verteilte gefächerte Spritzer auf seiner Arbeit. Was für eine Scheiße. Er war
nicht wie seine Verwandten! Immerhin war es spät genug, dass der
Gemeinschaftsraum nahezu verlassen war. Und die wenigen Erstklässler, die sich
noch wachhielten interessierten sich nicht für ihre Gespräche.
„Na?“,
wurde er aus seinen Gedanken gerissen, und er hatte nicht gewusst, dass Sutter
noch hier war. Er war wohl die Treppe runtergeschlendert gekommen und näherte
sich jetzt seinem Tisch. „Streit mit dem festen Freund? Muss hart sein“,
ergänzte er spöttisch.
„Halt’s
Maul, Sutter“, knurrte Hugo, ohne Furcht, und Sutters Mundwinkel zuckten.
Anstatt wütend zu werden, lehnte sich Sutter schließlich gegen den alten Tisch
und verschränkte die Arme vor der Brust. Hugo hob unwillig den Blick.
„Erklär
mir mal, warum Cara nicht mit mir ausgehen möchte? Warum sie sagt, sie hätte
jemand anderen in Aussicht, der heute nur bedauerlicherweise keine Zeit hat?“,
wollte Sutter fast geduldig wissen. Hugo wusste kurz keine Antwort. Ein Mädchen
schlug ein Date mit dem Schulsprecher aus – für ihn. Das war… neu.
„Klingt
wie `ne Ausrede?“, vermutete Hugo freudlos. Aber scheinbar wusste Sutter, dass
er, Hugo, der Grund für die Abfuhr war.
„Ist
es ernsthaft spannender, hier zu sitzen, deine Aufgaben zu beschmieren und dich
mit ‚Loser‘ Scamander zu streiten, als mit Cara Lockhart-Grey auszugehen?“
Hugos Mundwinkel sanken.
„Was
willst du von mir, Huxley?“, kürzte Hugo dieses unerfreuliche Gespräch ab.
„Keine
Ahnung, Weasley“, ahmte Sutter ihn nach, benutzte ebenfalls seinen Nachnamen. „Es
sieht so aus, als wärst du mein Nachfolger, korrekt? Der jetzige Schulsprecher
und der künftige Schulsprecher sollten ein paar Gemeinsamkeiten haben, oder
nicht? Ich könnte dir Tipps und Ratschläge geben“, fuhr Sutter achselzuckend
fort.
„Ach
ja?“, entkam es Hugo glatt, und seine Mundwinkel hoben sich freudlos. „Was
wären das für Tipps? Wie man es schafft, gerade ebenso nicht von der Schule zu
fliegen? Wie man schlechte Zellzauber gegen zu viel Alkohol ausübt? Wie man
Abfuhr nach Abfuhr erteilt bekommt, egal, von welchem Mädchen? Oder wie man
Schulsprecher wird, ohne jemals nennenswerte Leistungen erreicht zu haben?“
Aber tatsächlich lächelte Sutter bloß.
„Weißt
du, was das nächste Jahr für dich bedeuten wird, Hugo?“ Es war eine rhetorische
Frage, also bemühte sich Hugo nicht mal um eine Antwort. Er wartete gereizt.
„Hier? Auf dieser Schule? Die Schüler sehen auf zu dir. Zumindest in einem
kurzen Zeitfenster. Und innerhalb dieses Zeitfensters hast du dich zu bewiesen.
Zu zeigen, was für ein Schulsprecher du sein wirst. Ich werde respektiert.
Niemand wagt, mich scheiße zu behandeln, mich zu erpressen – mich
herauszufordern, in irgendeiner Weise. Die Leute mucken auf, die Leute wehren
sich halbherzig, aber am Ende des Tages, gewinne ich dieses Spiel. Und in einem
Jahr, wo James Potter hätte Schulsprecher werden können – bin ich es geworden.
Und die Leute wissen es auch.“
„Bist
du fertig?“ Hugo war nicht beeindruckt. Sutters Lächeln schwand.
„Du
wirst Schulsprecher sein, in einem Jahr mit Albus Potter. Denkst du ernsthaft,
du wirst den Leuten hier im Gedächtnis bleiben? Die Schüler werden nur wissen,
dass du Schulsprecher bist, weil du das verdammte Abzeichen trägst-“
„-im
Gegensatz zu dir“, unterbrach Hugo ihn mit einem entsprechenden Blick, aber
Sutter zuckte die Achseln.
„Ich brauche es nicht. Mein Ruf eilt mir voraus, Weasley. Dir eilt nur der Ruf
deiner Eltern voraus. Und ich würde vorschlagen, du nutzt dein Momentum weiser,
als du es bisher tust.“
„Was
soll das heißen?“
„Mach
dir einen verdammten eigenen Namen!“, knurrte Sutter jetzt. „Noch nie in der
Geschichte Hogwarts‘ ist es vorgekommen, dass Ravenclaw konsekutiv zwei
Schulsprecher stellt“, informierte ihn Sutter barsch. Hugo war verblüfft, dass
Sutter überhaupt Worte wie ‚konsekutiv‘ kannte, aber er schwieg. „Und
vielleicht können wir diese Tradition aufrecht erhalten“, schloss Sutter
schlicht.
„Seit
wann interessiert dich Tradition?“, wollte Hugo bloß wissen. Und wahrscheinlich
würden sie diese Tradition aber fortsetzen, denn niemand würde klüger sein, als
Lorcan.
„Den
Quidditchpokal werden wir nicht gewinnen, aber der Hauspokal sollte einfach
genug zu bekommen sein.“ Sutter war reflektiert. Bedachte man, dass er
ebenfalls Kapitän ihres Hauses war. Und kein sonderlich guter. „Unser Haus ist
das einflussreichste dieser Schule. Die großen Köpfe im Ministerium besuchten
allesamt Ravenclaw, also warum nicht einfach mal ein wenig Stolz zeigen und den
verdammten Gryffindors beweisen, dass wir generell besser sind?“ Anscheinend
wollte Sutter auf irgendetwas Aktives hinaus.
„Sutter“,
begann Hugo kopfschüttelnd, aber dann legte Sutter ihm die Hand auf die
Schulter.
„Weasley,
es ist Samstagabend – da wartet ein verflucht heißes Mädchen auf dich, und du…-
du sitzt beleidigt am Tisch. Egal, was auch immer vorgefallen ist, was auch
immer deinen nervtötenden Verstand belästigt – scheiß da heute Abend drauf, und
mach dein Haus stolz!“
„Mein
Haus stolz?“, wiederholte Hugo spöttisch.
„Ich
biete dir an, zu apparieren, Weasley.“
„Ich
will nicht in die Drei Besen“, widersprach Hugo sofort und verschränkte die
Arme vor der Brust. Sutter lächelte schwach.
„Hugo,
es ist ganz natürlich, dass das an dir vorbeigegangen ist, aber dank Albus
Potter haben wir allesamt Ausgangssperre für die Drei Besen, noch für ganze
drei Wochen.“
„Wohin
geht ihr dann?“
„Wir
sind Ravenclaws. Es gibt noch wesentlich bessere Orte, als die Drei Besen“,
informierte Sutter ihn nonchalant.
„Ich
glaube nicht, dass-“
„-was
hast du heute Abend zu versäumen? Ernsthaft?“ Sutter sah ihn auffordernd an.
Und Hugo hatte keine gute Ausrede. Abgesehen davon, dass er mit Sutter nicht
weg wollte. Und er wusste nicht, ob es Trotz war – oder was es war. Aber er war
deprimiert wegen Rumer. Er war sauer auf Lorcan, und er hasste den Gedanken an
seinen Cousin. Wahrscheinlich trieb ihn ein Funke, gemischt aus Trotz und
Leichtsinn. Demonstrativ griffen seine Hände um die Tischkante und mit Kraft
schob er seinen Stuhl lautstark zurück.
Er
erhob sich, und tatsächlich überragte er Sutter mittlerweile. Gelassen sah er
ihm entgegen.
„Machen
wir das Haus stolz“, wiederholte Hugo achselzuckend die hohlen Worte, die nicht
sonderlich viel bedeuteten, aber Sutters Mundwinkel hoben sich.
„Exzellente
Form, Weasley.“ Er schlug ihm die Hand auf die Schulter, und mit einem knappen
Seitenblick auf die Standuhr, stellte Hugo fest, dass es bereits kurz vor zehn
war. Aber sein Trotz überschattete seine Sorge. Er hatte nichts zu versäumen.
Keine Freunde warteten auf ihn. Und Rumer machte sich bestimmt schon mental
über ihn lustig.
Besser,
er vergaß diesen Tag so schnell wie möglich.
Es
herrschte gedrückte Stimmung. Es war einer der seltenen Samstage, die sie im
Gemeinschaftsraum verbrachten. Einfach weil sie Ausgangsverbot hatten.
Zumindest für Hogsmeade. Albus und James saßen nebeneinander auf der weichen
Couch, Lily zu Albus‘ linken auf dem alten Sessel. Neben James saß Rumer an
seiner Seite, aber sie starrte genauso selbstvergessen ins Feuer, wie Albus es
tat. Vic saß auf einem Kissen vor dem flachen Tisch und bearbeitete ihre langen
Nägel mit dem Zauberstab, versah sie mit funkelnden Punkten und Facetten,
während Dominique auf dem Sessel Lily gegenüber saß und Roxys Haare kämmte, die
vor ihr kauerte und bereits mehrfach gähnte.
Fred
und Louis fläzten sich auf dem alten Fell vor dem Kamin und spielten irgendein
Kartenspiel, schlugen ab und an auf den Stapel und Funken stoben lautlos in die
Luft.
Es
war ein ruhiger Abend. Allerdings fehlte Rose. Lily wusste nicht, ob sie das
erwartet hatte. Sie wusste, sie hatte ihrer Cousine weitaus mehr an den Kopf
geworfen, als sie geplant hatte. Und sie hatte nicht angenommen, dass… es
irgendetwas ändern würde, dass sie überhaupt zu Rose durchdringen würde, aber…
vielleicht doch. Sie wusste, Scorpius war heute abgereist. Einige Slytherins
hatten in der Halle darüber gesprochen. Sie wusste nicht, warum er gegangen
war, aber dann wiederum würde heute auch niemand darüber sprechen.
Vielleicht
hatte Rose es bereits beendet?
Und warum
fühlte sich Lily dann nicht besser?
Vielleicht,
weil sie nicht sehen konnte, wie Rose sich quälte, wie es sie mitnahm?
Vielleicht, weil Rose sich nun distanzierte, es bevorzugte, nicht mehr bei
ihnen zu sein? Und dann aber wollte Lily überhaupt nicht sehen, dass es Rose
quälte! Sie wollte Demut im Gesicht ihrer Cousine erblicken. Sie wollte sehen,
dass Rose einen Fehler gemacht hatte und es bereute. Sie wollte, dass… ihr
Handeln etwas Gutes bewirkt hatte. Sie wollte nicht, dass die Familie zerfiel.
Und
für das bloße Auge wirkte es heute wie ein gewöhnlicher Potter-Weasley-Abend.
Alle waren da. Alle, bis auf Rose.
Aber
niemand sprach es aus. Sie dachten sicher, Rose wäre nicht hier, wegen Albus.
Und es konnte gut sein. Es war noch immer unangenehm. Ihn zu sehen, zu wissen,
dass er abgehauen war – zu wissen, was er gesagt und getan hatte, und es war
natürlich, dass Rose ihm aus dem Weg gehen würde, oder?
Und
musste sie, Lily, eigentlich an Albus‘ Seite verbleiben? War es das, was sich
für Familie gehörte? Dass sie einfach ertrug, wie scheiße ihr Bruder war?
James
schien es zu tun.
„Wollen
wir noch irgendwas machen?“ Es war Dom, die es fragte. Natürlich. Ihre Cousine
war gänzlich unsensibel für so ziemlich alles Zwischenmenschliche. James hob
den Blick.
„Was
sollen wir machen?“, erwiderte er mäßig lustlos.
„Keine
Ahnung“, rief Dom aus. „Aber hier zu sitzen und depressiv zu sein, zieht die
Stimmung ziemlich runter, oder?“
„Vielleicht
kannst du uns allen die Haare kämmen?“, schlug Louis bitter vor, und Wut zuckte
über Doms Gesicht.
„Ich
finde es ganz angenehm so“, mischte sich Vic eindeutig ein. Roxy gähnte wieder
laut.
„Wo
ist Rose?“, wollte ihre junge Cousine mit fragendem Blick wissen, und Rumer
schien aus freundschaftlichen Gründen antworten zu müssen.
„Ich
denke, sie lernt“, murmelte sie. Roxy zog die Nase kraus.
„Seit
wann?“ Tatsächlich war an ihrer kleinen Cousine das meiste Drama vorüber
gegangen. Sie wusste, dass Albus verschwunden war, aber sonst wusste sie
nichts. Und es war dennoch eine berechtigte Frage.
„Seit…“,
begann Rumer, „seit einer Weile“, schloss sie etwas ratlos. Abwesend fiel
Rumers Blick zurück ins Kaminfeuer, und Roxy verschränkte unzufrieden die Arme
vor der Brust, während Dom mit mehr Kraft als nötig die Spitze des Kamms in
Roxys krause Locken piekste, um sie zu ordnen.
„Sie
ist bestimmt bei Presley“, schloss Dom einfältig, wie sie war. „Wer lernt schon
samstags?“, ergänzte sie bloß.
„Höchstwahrscheinlich
Hugo“, warf Fred konzentriert ein, schlug eher als Louis auf den Stapel an
Karten und stieß einen triumphierenden Pfiff aus, als die Funken sprühten.
„Ja.
Hugo weiß auch nicht, wie man seine Freizeit sonst anders verbringen kann“,
spottete Dom bitter, und Lily merkte, wie Rumers Körperhaltung angespannter
wurde.
„Müssen
wir über Hugo reden?“, entkam es Albus kurz angebunden, und Lily glaubte, es
war das erste, was er heute Abend sagte. Seine Stimme klang genervt.
„Nein,
wir können über deine große Flucht reden“, schlug Louis mit einem feinen
Lächeln vor, und klarer Spott schwang in seiner Stimme mit.
„Mhm.
Oder ich polier dir die Fresse?“, schlug Albus kalt vor, und Louis‘ Mundwinkel
zuckten freudlos.
„Ach,
hört schon auf!“, beschwerte sich James gereizt. „Vielleicht behältst du deine
verdammten Fäuste mal bei dir, zur Abwechslung?“, wandte er sich an seinen
Bruder, Wut in der sonst ruhigen Stimme. Albus‘ Blick fiel tatsächlich auf
seine Hände, und er sagte gar nichts mehr.
Wieder
fiel das depressive Schweigen über ihre Gruppe, nur Dom wirkte etwas zorniger,
als vorher. Merlin, es herrschte ein schreckliche Stimmung. Lag es daran, dass
Rose fehlte? War es wirklich so einfach?
Die
Uhr tickte wieder schrecklich laut, und die meisten Erstklässler
verabschiedeten sich voneinander, verschwanden die Treppe nach oben, und Roxy
löste ihren Schneidersitz, bedankte sich bei Dom und winkte ihnen gähnend zum
Abschied.
Das
Portrait schwang auf, und Lily beobachtete, wie Ginnifer zu ihnen kam. „Vic,
wollen wir hoch?“ Ihre Wangen waren gerötet, und wahrscheinlich gab es wieder
irgendeinen Tratsch und Klatsch zu erzählen. Vielleicht hatte Ginnifers Freund
der Hufflepuff-Kapitän Julien Beckett endlich seine Scheu überwunden und mit
ihr geschlafen? Vic hielt nicht viel davon, Geheimnisse für sich zu behalten.
„Klar“,
sagte Vic schlicht, schien sich von der depressiven Stimmung hier nichts
anzunehmen und schenkte ihnen allen keinen Blick mehr. „Es war so schrecklich
heute Abend, ich dachte, ich sterbe noch“, sagte sie lediglich, als sie sich
erhob, kurz ihre Nägel prüfte und den Zauberstab einsteckte.
„Kann
ich mit euch kommen?“, bat Dom sie, als wäre es auch für sie nichts weiter als
grauenhaft gewesen, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Vic tauschte einen
Blick mit Ginnifer, und diese nickte irgendwann entnervt.
„Wenn’s
sein muss“, räumte Ginnifer achselzuckend ein, und dankbar ging Dom vor.
„Nacht,
Kinder“, verabschiedete sich Vic nachsichtig von ihnen, und vertiefte sich
bereits leise ins Gespräch mit Ginnifer.
„Ich
glaube…, ich gehe auch ins Bett“, sagte Rumer schließlich mit dumpfer Stimme.
James erwachte aus seiner Starre.
„Wirklich?“,
wollte er knapp wissen, aber Rumer nickte bloß und erhob sich. „Ich… ich bringe
dich noch zur Treppe“, bot er hastig an, erhob sich ebenfalls und Rumer
verabschiedete sich nicht von ihnen. Albus sah James beinahe verstohlen nach,
bevor sein Ausdruck grimmiger wurde. Er schien keinen guten Abend zu haben.
Aber Lily wüsste auch nicht, warum er das sollte.
Dann
tat sie etwas, was sie… noch nie getan hatte, im Beisein ihrer Familie. Aus
ihrer Rocktasche holte sie ihre Brille hervor, setzte sie umstandslos auf ihre
Nase und griff sich das Buch, was sie in der Sesselfalte deponiert hatte.
‚Rennbesen und die richtige Pflege‘. Ihr Dad hatte es ihr mal geschenkt. Es war
Jahre her. Aber sie mochte die Bilder der Besen, und ihr gefiel, dass sie bald
genug gespart hatte, um sich eines der teureren Modelle leisten zu können.
Sie
spürte Albus‘ Blick, als sie sich demonstrativ in die ersten Seiten vertiefte.
„Lily
kann lesen“, entfuhr es Louis anerkennend. „Aber vielleicht ist deine
Lesestärke nicht die Beste. Weißt du überhaupt, wie man Quidditch buchstabiert,
Lils?“, wollte er spöttisch wissen. Und ohne aufzusehen, antwortete Lily,
innerhalb einer Sekunde.
„Q-U-I-D-D-I-T-C-H.
Weißt du noch, wie man Tore schießt, Louis? Oder liegt es daran, dass du die
rechte Hanglange deines Besens zu sehr strapazierst, weil du die linke
Flankendeckung auch nach sechs Jahren noch nicht beherrschst?“, entgegnete sie,
und dafür, dass dies ihre ersten Worte heute Abend waren – war sie ziemlich
stolz auf sich. Fred ließ wieder einen Pfiff durch die schmale Lücke seiner
Vorderzähne ertönen, und Lily musste den Blick nicht heben, um zu wissen, dass
Louis‘ Grinsen verflogen war. Niemand kritisierte Louis. Aber ihr war es
herzlich egal.
„Verdammt,
Louis. Die kleine Lily hat dich durchschaut“, lachte Fred rau auf.
„Halt
die Klappe, und spiel!“, verlangte Louis gereizt und schlug härter als nötig
auf den Kartenstapel. Lily verbarg ihr feines Lächeln hinter dem Rennbesenbuch.
Sie spürte Albus‘ Blick deutlich, aber sie sah ihn nicht an. Ihr Herz schlug
schnell. Sie widersprach nie, äußerte sich eigentlich auch nie, aber… seit
einigen Tagen, seit der Aussprache mit Rose, war etwas mit ihr geschehen. Sie
spürte nicht mehr den Drang, sich zu verstecken. Ihre Neigungen… zu verbergen.
Und sie brauchte dringend Ablenkung, denn… sie fühlte sich schlecht wegen Rose.
Aber sie wollte darüber jetzt nicht nachdenken.
Da
las sie lieber in aller Öffentlichkeit Quidditch-Bücher und trug ihre Brille
zur Schau.
Und
das mochte schon was heißen.
Sie
bugsierte seinen riesigen Körper durch das Portrait. Er war ätzend schwer und
lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht auf sie. „Wem wolltest du damit was
beweisen?“, fuhr sie ihn gepresst an, aber er reagierte kaum. „Hugo!“, ermahnte
sie ihn und lehnte ihn neben das Portrait, als sie endlich wieder im
Gemeinschaftsraum waren. Die anderen betrunken Mitschüler strömten ins Innere,
und Sutter hielt neben ihnen an. Das Grinsen in seinem Gesicht entblößte seine
weißen Zähne im fahlen Mondlicht, das durch die tiefen Fenster fiel.
„Kümmer
dich gut um ihn“, sagte Sutter lallend, und verschwand lachend mit dem übrigen
Quidditchteam.
„Hm?“,
entfuhr es Hugo zusammenhanglos, und blinzelnd öffnete er die Augen.
„Du verträgst nicht einen einzigen Shot!“, entfuhr es ihr zornig. „Wieso
musstest du mit ihnen mithalten? Du hattest mir gesagt, du hast überhaupt keine
Zeit, auszugehen“, fuhr sie zornig fort, aber es machte kaum Sinn, denn sie
glaubte nicht, dass Hugo ihr überhaupt zuhörte. „Weasley!“, knurrte sie wütend,
und endlich öffnete er die Augen. Das Blau war sehr dunkel und seine sonst
allgegenwärtige Intelligenz hatte sich über die letzten Stunden komplett verabschiedet.
Die letzten Mädchen verabschiedeten sich kichernd von ihr, schlugen ihr vor,
Hugo auf dem Teppich liegen zu lassen, aber Cara hatte sich nicht so sexy
angezogen, die Haare nicht umsonst stundenlang geglättet und mit Glanz-Zaubern
bearbeitet, um Hugo Weasley auf dem Teppich abzulegen. Sie erwartete eine
ordentliche Verabschiedung von ihm.
Und
dann waren sie die letzten im Gemeinschaftsraum.
„Wieso
lässt du dich von Sutter überreden, so viel zu trinken?“, wollte sie wieder
wissen, konnte ihren Ärger nicht zügeln, denn alles, was sie von Hugo heute
bekommen hatte, war ein flüchtiger Blick, bevor Sutter ihn komplett in Beschlag
genommen hatte.
„Ich werde Schulsprecher“, lallte Hugo, als ergebe es Sinn.
„Aha? Soll das deine Entschuldigung sein?“, fragte sie ihn direkt, und Hugo
blinzelte überfordert.
„Hm?“,
machte er wieder, und Cara schlug ihn vor die Brust.
„Du
sagst unsere Verabredung ab, und dann kommst du doch und betrinkst dich mit Sutter
Huxley!“, fuhr sie ihn wütend an. „Siehst du überhaupt den Aufwand, den ich
betrieben habe?“ Sie hatte geglaubt, auf Hugo Weasley zu setzen, wäre eine
sichere Wahl gewesen. Er wirkte nett, lieb, klug – alles, was diese
Quidditch-Vollidioten eben nicht waren! Und jetzt stellte sich heraus – Hugo
war genauso! Nur dass er nicht mal Quidditch spielte! Er zwang sich, zu
blinzeln, sie näher zu betrachten.
„Du
bist… sehr hübsch“, rang er sich mühsam die Worte ab. Sie verdrehte die Augen.
„Spar
dir das, Hugo“, warnte sie ihn. Betrunken hob er die Hand zu ihrem Gesicht.
Kühl legte sie sich über ihre Wange.
„Du
bist… verflucht heiß“, flüsterte er rau, und jetzt entschied er sich, aktiv zu
werden. Er senkte den Kopf zu ihr hinab, und seine Lippen fielen unbeholfen auf
ihren Mund. Er war zu betrunken, um Dimensionen noch richtig einzuschätzen, und
die scharfe Note des Alkohols traf ihre Zunge. Sie zog die Luft ein, wollte
sich zurückziehen, aber seine Hand schlang sich um ihren Nacken, und schon
öffneten seine Lippen die ihren. Caras Augen fielen zu, als Hugo seine Zunge in
ihren Mund schob. Es zog in ihrer Mitte, und er wirkte mit einem Mal nicht mehr
sonderlich betrunken. Seine Bewegungen gewannen an Fokus und Ziel, und sein Arm
schlang sich um ihre Taille, zog sie näher an sich. Sie trugen noch die
verdammten Umhänge, und Cara wurde merklich heiß.
Mit
Gewalt machte sie sich von ihm los, und seine Augen waren dunkler geworden.
Ohne ihn aus dem Blick zu lassen, öffnete sie ihren Umhang, und kurz fuhr sein
Blick über ihre Gestalt, die er im Mondlicht bestimmt nicht sonderlich gut
ausmachen konnte. Der Alkohol schien ihn aber gänzlich zu enthemmen, und seine
Hand legte sich auf ihre Taille, fuhr über den seidigen Stoff ihres kurzen
Kleides, wanderte höher, und sein Blick fiel auf ihre Körper, als er am Ansatz
ihrer Brüste angekommen war. Ihr Herz schlug mittlerweile schnell, und sie
mochte das Gefühl seiner langen Finger. Sein Atem ging flach, als sie ihn nicht
aufhielt, als sie ihm gestattete, höher zu wandern. Seine Hand legte sich über
ihre Brust, und sie atmete mit geöffnetem Mund.
Sie
griff in seinen Pullunder und zog ihn zu sich, küsste ihn hart, und er stöhnte
unterdrückt in ihren Mund.
Sie
war erfahren genug, um zu wissen, dass sie einen direkten Effekt auf ihn hatte.
Und sie nahm an, er war letztendlich doch nur wegen ihr mitgekommen.
Ihre
Hand legte sich über seine Brust und glitt tiefer, bis sie seinen Hosenbund
erreichte. Hart massierte er mittlerweile ihre Brust, und dann presste sie ihre
Hand flach gegen seine Erektion. Sie pulsierte seit einer ganzen Weile in
seiner Hose, und wieder stöhnte er in ihren Mund, und mit fahrigen Fingern fand
er die Knopfleiste des teuren Kleides. Mit einer Hand öffnete er den ersten
Knopf, während seine andere Hand sie gegen seinen Körper presste.
Er
öffnete den zweiten Knopf und beim dritten war er sehr ungeduldig. Er schob den
Stoff zur Seite, um wieder ihre Brust zu finden. Diesmal schob er zitternd den
Stoff des BH zur Seite, und fast ehrfürchtig fuhr seine Hand über ihre bloße
Brust.
Ihr
Nippel war bereits hart, und es machte sie wahnsinnig, dass sein Daumen wieder
und wieder darüber strich. Sie löste den Kuss, griff in seinen Nacken und
presste seinen Kopf tiefer. Ihr Kopf legte sich zurück, und reichlich spät, schien
er zu begreifen.
Mit
flachen Atemzügen fielen seine Lippen auf ihre Haut, küssten ihr Schlüsselbein,
bevor sie tiefer wanderten und sich zitternd um ihre harte Brustwarze
schlossen. Sie stöhnte leise zur Bestätigung, und zuerst leckte seine Zunge vorsichtig,
bis er begriff, dass es ihr gefiel, und dann biss er sanft zu.
Ihre
Hände hatten mittlerweile seine Hose geöffnet, und sie war bereit, ihm zu
zeigen, was er haben könnte, würde er ihr Freund sein.
Die
Idee, einen Weasley zu haben – und dann noch den intelligentesten der
Heldenkinder – erregte sie immens. Es ging natürlich nicht nur um Ansehen und
den Ruf, aber es half, dass Hugo Weasley große Schuhe füllte.
Nebenbei
war er wirklich niedlich. Und sein Penis war… erstaunlich groß.
Sein
Atem ging unfassbar schnell, und er löste sich von ihrer Brust, als sich ihre
Hand erfahren um seinen Schaft schloss. Sein Rücken streckte sich durch, und
sein Kopf fiel zurück gegen die Wand hinter ihm. Laut gingen seine Atemzüge
jetzt, und mit dem Daumen rieb sie über seine geschwollene Spitze, als der
erste Lusttropfen seinen Schwanz verließ. Presley hatte es gemocht, wenn sie
das tat, und es schien bei Hugo nicht anders zu sein. Er biss sich auf die
Lippe, um sich vom Stöhnen abzuhalten, und mit einem feinen Grinsen ging sie
vor ihm auf die Knie. Das Parkett des Bodens war hart, aber es war nicht
sonderlich schlimm.
Merlin,
es schien ihn die größte Anstrengung zu kosten, nicht laut zu stöhnen. Es war
fast witzig. Und sie genoss seinen animalischen Laut, als sie sich auf den
Knien nach oben reckte, und sich ihre Lippen um seine harte Eichel schlossen.
Sie leckte über die Spitze, und sah, seine Hände schlugen flach gegen die Wand
neben sich.
„Scheiße!“,
entfuhr es ihm rau, und kurz musste sie lächeln, aber es war reichlich schwer,
mit ihm in ihrem Mund. Sie konzentrierte sich stattdessen, griff um seine Länge
und begann, ihn zu verwöhnen, langsam zu pumpen, und sie wechselte ab, zwischen
liebkosen, lecken und beißen seiner Spitze, bis hin zur Aufnahme seiner Länge,
soweit sie konnte. Es klang, als renne er den Marathon, so schnell ging sein
Atem. Seine Spitze stieß gegen ihre Kehle, und fahrig griff seine Hand in ihre
Haare. Seine Bewegungen wurden ruckartig, aber sie arbeitete gegen ihn, so dass
er sich nicht einfach in ihren Mund rammte.
Schneller
saugte sie ihn in ihren Mund, übte mehr Druck aus, und er zitterte über ihr.
Sie wusste, er war kurz davor, und ein letztes Mal, lockerte sie ihren Kiefer
und nahm seine Länge bis zur Kehle auf. Er fluchte unanständig, sie hatte es
noch nie zuvor gehört, dass er solche Worte benutzte, und dann bockte er
unkontrolliert nach vorne, noch tiefer in ihren Mund. Sie schloss die Augen,
atmete durch die Nase, und schluckte die zähen Stöße an dicker Flüssigkeit
direkt.
„Rumer!“,
rief er heiser aus, und Cara hatte Mühe den letzten Rest seines Samens zu
schlucken, bevor sie den Kopf zurückzog. Was hatte er gesagt?! Das war jetzt
nicht sein verdammter ernst!
Vom Boden
her sah sie zu ihm auf, und sein Blick fiel vollkommen befriedigt auf ihr
Gesicht. Zornig kam sie auf die Beine, wischte sich angewidert den Mund ab und
starrte ihn an.
„Was?“,
zischte sie zornig, und er blinzelte überfordert, aber allmählich schien es ihm
zu dämmern. Sein Gehirn schien langsam wieder zu arbeiten. Er stand vor ihr,
absoluter Schock auf seinen Zügen, während sein schlaffer Penis aus seiner Hose
hing.
„N-nein“,
entfuhr es ihm heiser. „Ich… ich…“
„Fick
dich, Hugo!“, entfuhr es ihr wütend und sie bückte sich nach ihrem Umhang.
Hastig verschloss er fluchend seine Hose, und folgte ihr.
„Cara,
warte!“, brachte er verzweifelt hervor, aber sie lief kopfschüttelnd voran.
„Es… es tut mir leid! Ich… wollte nicht…!“ Aber sie bog ab, nahm zwei Stufen
auf einmal, und sie wusste, er konnte ihr ohnehin nicht folgen, sobald sie die
Treppe zu den Mädchenschlafsälen genommen hatte. Sie hörte seine verzweifelte
Stimme, aber sie war zu wütend, um sich umzudrehen. Um überhaupt noch mit ihm
zu reden!
Ja,
manchmal redeten Männer Stuss, wenn sie kamen – aber das? Das war die Höhe! Wie
konnte er! Wie konnte er an Rumer MacLeod denken, während sie seinen Schwanz im
Mund hatte? Während sie ihm einen erstklassigen Blowjob lieferte?! Er hatte an
sie zu denken! Nur an sie! Was für eine Beleidigung!
Wahrscheinlich
bedeutete es nichts, sagte sie sich, während sie sich zwang, nicht zu weinen.
Vielleicht… dachte er einfach nur so an Rumer?
Aber…
sollte er nicht an sie denken? Nur an sie? Vor allem, wenn er kam?
Cara
flüchtete sich ins Bad. Hätte sie sich auf Louis Weasley konzentrieren sollen?
Wäre er erfahren genug, ihren Namen zu stöhnen und nicht den einer anderen?
Aber Cara mochte Hugo. Und deshalb tat es besonders weh. Das hatte sie einfach
nicht verdient.
Sie
war spät ins Bett gegangen und sie war früh aufgestanden. Vor allen anderen. In
der Halle aß sie ein ungestörtes Frühstück. Kein Gryffindor würde jemals um
acht Uhr an einem Sonntag in der Halle sitzen. Alle Tische waren mäßig leer.
Nur am Ravenclawtisch herrschte ein wenig mehr morgendliche Disziplin, aber
Hugo konnte sie auch nicht entdecken.
Sie
hatte es gestern nicht über sich bringen können, mit ihrer Familie, Zeit zu
verbringen. Sie hatte Alby und Lily nicht sehen wollen. Hätte sie nicht sehen
können. Denn sie brach ab und an in eigenartige Heulkrämpfe aus und musste sich
sehr schnell in eine leere Toilette flüchten, um diese Anfälle unbemerkt zu
überstehen.
Großen
Hunger hatte sie nicht. Sie hatte gar nichts wirklich. Sie hatte keine Lust,
mit irgendwem zu reden, wollte nicht mehr lernen, denn es lenkte sie nicht ab.
Es war nur schwer und lästig, und sie konnte schlecht vor ihrer Familie so
aussehen, als befände sie sich in irgendeiner unpassenden Trauer um einen
Jungen, der nicht mal ihr Freund war. Rose wusste nicht, warum es so wehtat,
warum es sie so traf, aber sie hasste das Gefühl.
Sie
schob das Müsli von sich und erhob sich schwerfällig.
„Sehr
früh wach“, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken, und erschrocken wandte sie
sich um. Ihr Blick hob sich zu seinem Gesicht, und er sah gut aus.
Ausgeschlafen, freundlich, und sie fühlte sich gleich noch schlechter.
„Hey“,
brachte sie lächelnd zustande, und Presley fiel in Gleichschritt neben sie, als
sie zu den Türen der Halle schritt.
„Wohin
geht’s?“, fragte er sie interessiert, und sie nahm an, er war gerade erst
gekommen, hatte noch nicht gefrühstückt, und sie draußen auf dem Korridor hielt
sie inne.
„Ich…
denke, ich drehe draußen eine Runde“, wich sie einer konkreten Antwort aus.
„Allein?“,
wollte er mit gerunzelter Stirn wissen.
„Jaah,
ich… habe ein bisschen nachzudenken“, erwiderte sie, so freundlich wie sie
konnte. „Du… solltest frühstücken gehen“, ergänzte sie schlicht.
„Willst
du mich loswerden?“, vermutete er lächelnd, und am liebsten hätte sie genickt.
Aber das tat sie nicht.
„Nein,
will ich nicht“, erwiderte sie lächelnd. „Aber…“, begann sie unschlüssig, und
er vergrub die Hände in den Taschen.
„Aber
ich habe überhaupt keinen Hunger“, wand er ein, und sie wusste nicht, ob er
log. Sie hätte morgens Hunger. Und er garantiert auch.
„Presley“,
begann sie entschuldigend, aber er hob die Hände.
„Wie
wäre es, wenn wir zusammen eine Runde drehen? Und wenn du meine Anwesenheit
absolut verabscheust, dann… verschwinde ich, zwinge mich, zu frühstücken. Wie
klingt das?“, wollte er grinsend wissen, und es klang absolut furchtbar.
„Ok?“,
räumte sie unsicher ein, und er schritt voran zu den Toren. Sie zog ihre Jacke
enger um sich, und hoffte, Presley fror in seinem Pullover nicht. Er wirkte
einigermaßen dick, aber nicht dick genug, um draußen spazieren zu gehen. Er
hielt ihr das Tor auf, und Rose folgte ihm seufzend.
Die
Luft war angenehm kühl, beruhigte ihren Kopf, und wiedermal hatte sie sich
keine Gedanken darüber gemacht, wie sie aussah.
„Es
nimmt dich mit? Die Sache mit Albus?“, wollte Presley verständnisvoll wissen,
und es wäre wohl einfacher, zu lügen. So halbwegs zu lügen.
„Jaah“,
bestätigte sie träge.
„Verstehe
ich. Wenn… wenn du darüber reden willst, dann… können wir das gerne tun“,
schlug er ihr vor. Sie hatten nicht mehr gesprochen, seitdem sie zusammen
ausgegangen waren. Es kam Rose so vor, als wäre es Monate her. Es war so viel
passiert seitdem. Viel zu viel. „Rose?“, erinnerte er sie, und ihr fiel auf,
sie hatte nichts gesagt.
„Ich…
ich muss nicht reden. Danke“, räumte sie ein. Presley blieb stehen, als sie
gerade auf mittlerer Höhe zum Quidditchfeld waren.
„Ich weiß,
ich bin… nicht deine Familie, und mir steht es nicht zu, da eine Meinung zu
haben, aber ich denke, es ist sehr wichtig, dass du über deine Gefühle
sprichst, Rose“, erwiderte er ernst. Sie verzog den Mund. „Und… nicht mal mit
mir!“, ergänzte er hastig. „Mit… mit irgendwem, Rose! Vielleicht mit… Rumer.
Oder mit Lily?“, schlug er jetzt vor. „Sowas kann… sehr schwierig sein. Und
Dinge nicht auszusprechen, macht es selten von alleine wieder gut.“
Er
hatte Recht mit vielen, was er sagte. Aber es ging nicht um Alby. Es war nicht
so ein Problem. Natürlich schon, aber… es belastete sie nicht so sehr, wie es
die Sache mit Scorpius tat. „Rose?“ Wieder sagte er ihren Namen. Sie seufzte
auf.
„Ich weiß, du hast Recht, aber… ich…“
„Aber
du?“, griff er ihre Worte fragend auf, und sie mied seinen Blick.
„Es
geht nicht nur um Alby“, gab sie ihm eine ausweichende Antwort.
„Hat
das… irgendwas mit Scorpius zu tun?“, wollte er wissen, aber er fragte beinahe
vorsichtig. Ihr Blick gefror. Langsam sah sie ihn an.
„Was?
Was meinst du damit?“ Sie hoffte, sie klang nicht defensiv. Er schien kurz zu
hadern. Aber irgendetwas schien ihn ausatmen zu lassen.
„Albus
hat… Scorpius verprügelt. Vor einigen Tagen“, ergänzte er, als sich Roses Augen
weiteten. Sie konnte es gar nicht verhindern. War es ihr aufgefallen? Sie hatte
geglaubt, Scorpius‘ Auge wäre leicht geschwollenen gewesen, aber sie war sich
nicht sicher, ob es stimmte, oder ob es das Licht gewesen war. Sie hatte es
wieder verdrängt. „Ich… habe ihn geheilt, und… Albus sagte mir, er hätte ihn
auf dich angesprochen, aber… es ergibt nicht so viel Sinn. Ich meine…“ Er tat
sich schwer mit den Worten, und unbewusst atmete Rose fast erleichtert aus, bei
dem Gedanken, dass Scorpius schnell geheilt worden war und keine großen Schmerzen
haben musste. „Ich weiß, Albus hat eine kurze Zündschnur, und klar will man auf
seine Laster wohl nicht angesprochen werden, aber…“
Rose
hielt den Atem an. „Es sah für mich nach etwas anderem aus“, schloss er
schließlich, und sein Blick fiel. Sie war sehr schockiert. „Ich meine“, fuhr
Presley unschlüssig fort, kämmte sich durch die dunkelblonden kurzen Haare und
richtete den Blick in die Ferne, „Scorpius macht mit Dom Schluss, und…
plötzlich kommt Albus wieder und… rastet aus. Dann reist Scorpius ab, du… bist
völlig fertig?“ Es endete als Frage, und Rose wusste, sie musste ziemlich
sparsam dreinblicken. „Da… war mehr, oder?“ Er fragte sie so offen, dass sie
schlucken musste. „Mit… mit Scorpius?“, ergänzte er, und ihr Mund öffnete sich
überfordert.
Und
wieder passierte es. Wieder hasste sie sich selber dafür, als sie die
verdammten Tränen spürte. Hastig wandte sie sich ab, kehrte ihm den Rücken zu
und heiße Tränen liefen über ihre Wange. „Rose?“, fragte er behutsam, aber sie
schüttelte stumm den Kopf, hatte die Augen geschlossen und weinte nur heftiger.
Er trat um sie herum, sie hörte es, und dann zog er sie in eine unbeholfene
Umarmung. „Schon ok“, murmelte er bloß. Sie schluchzte gegen seine Schulter,
und sie hasste, dass sie ausgerechnet in Presleys Umarmung weinen musste.
Aber…
es tat so gut. Es tat wirklich gut. Sie wehrte sich nicht dagegen, lehnte sich
gegen seine Schulter, und seine Hand strich zaghaft über ihren Rücken.
„Presley,
es… es tut mir so leid“, flüsterte sie abgehackt, aber er schüttelte über ihr
den Kopf.
„Hey,
es ist ok. Ich…- es tut mir leid, wenn es dir schlecht geht. Bei euch ist
alles… etwas komplizierter, aber… das ist nicht schlimm, Rose“, versicherte er
ihr ruhig. Irgendwann fand sie die Kraft und löste sich von ihm. Sie wischte
sich über die Wangen, und beschämt lächelte sie tatsächlich.
„Sorry“,
wisperte sie leise. Presley schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
„Kein
Problem“, erwiderte er achselzuckend. „Kann… kann ich dich was fragen?“, entfuhr
es ihm dann, und Rose nickte stumm. „Ich… ich will es gar nicht genau wissen,
wirklich“, beteuerte er schnell, „aber… das mit Scorpius…- ist das… vorbei?“,
erkundigte er sich vage bei ihr, einen Hauch Hoffnung im Blick. Schamesröte
kroch wieder in ihre Wangen, aber hastig nickte sie. „Ja?“, vergewisserte er
sich.
„Oh
ja“, bestätigte sie rau, rieb sich energisch die roten Augen, um auch die
letzten Tränen zu verbannen, denn das konnte sie bestätigen. Es tat alles weh,
aber es war alles vorbei! Endgültig! Es hätte niemals sein dürfen!
„Und…
besteht die geringste Chance, dass…“ Er zögerte, wusste nicht, wohin mit seinem
Blick, und sie wusste, was er sie fragen wollte. „Unter Umständen…, dass… dass
du und… ich…?“ Es fiel ihm wirklich schwer. „Ich meine“, begann er erneut, fuhr
sich wieder durch die Haare, und fast war es nett, zu sehen, wie schwer er sich
wirklich tat, „vielleicht hast du auch genug, von dämlichen Slytherins, die
versuchen, dich zu beeindrucken, aber-“
„-Presley“,
unterbrach sie ihn sanft, und er hob angespannt den Blick. Seine blauen Augen
waren warm. Er war nicht perfekt. Er war nicht Alby, er war nicht Scorpius,
aber… vielleicht war das genau das richtige. Vielleicht war es von Anfang an
das richtige. Merlin, als Mädchen hatte sie oft genug seinen Namen heimlich in
ihr armseliges Tagebuch geschrieben, was nicht viele Einträge beinhielt.
Presley war ein hübscher Junge, und dazu war er noch nett und sehr weitsichtig,
was ihre Probleme betraf, und es war die vernünftige Entscheidung.
„Ja?“
Seine Stimme klang atemlos. Und Rose überwand sich. Sie war auf dem Pfad, das
richtige zu tun. Nicht mehr so viele Dummheiten zu begehen, und vielleicht
brauchte sie das jetzt.
„Ich
würde gerne mit dir ausgehen. Wenn du das noch willst“, überwand sie sich zu
sagen, und spürte die Röte erneut. Sie war so unerfahren. Vielleicht nicht mehr
so unerfahren in körperlichen Dingen – Dank Scorpius, dachte sie und Schmerz
erfasste sie wieder. Aber sie war unerfahren in emotionalen Dingen. Darin,
tatsächlich ihre Gedanken und Gefühle zu äußern.
„Ok“,
entfuhr es ihm fast verblüfft. Er schien kaum noch damit gerechnet zu haben.
„Sicher?“, fragte er vorsichtshalber, aber sie atmete tief ein, streckte den
Rücken durch und zwang sich zu einem Lächeln.
„Ich… habe viele Fehler gemacht, und… ich weiß nicht mal, warum. Aber
vielleicht… könnten wir es noch mal versuchen? Ich… mag dich“, sagte sie still,
denn es stimmte. Presley war… wirklich nett. Eine wirklich gute Wahl. Und dass
es ihre Mum vielleicht aufregen würde – war lediglich ein Bonus. Ihr Dad würde
sich nämlich freuen. Vielleicht nicht freuen, aber Presley war ein Hüter, wie
ihr Dad. Und Presley beleidigte sie nicht, ließ sie nicht zurück, und er wusste
alles – und trotzdem… blieb er hier. Sie müsste absolut dumm sein, wenn sie
nicht wahrnahm, Presley die Chance zu geben, die er verdiente. Niemand sonst
bemühte sich um sie, wie er es tat. Niemand sonst.
Es
war früher Abend, als ihn sein Vater absetzte, und Scorpius schämte sich noch
immer für seinen Auftritt gestern. Er hatte sich nicht übermäßig entschuldigt,
auch wenn sein Vater die vielen schlimmen Worte nicht verdient hatte, die er
ihm an den Kopf geworfen hatte. Sie hatten sich freundlich voneinander
verabschiedet, und sein Vater war ohnehin schlecht gelaunt, weil er heute Abend
in den Club musste, und seinem eigenen Vater gegenüber sitzen musste. Scorpius
verstand das. Sein Großvater war ein unangenehmer Mann. Wirklich unangenehm.
Aber
seine Laune sank erst, als er das Schloss betrat, wirklich zu einem ungeahnten
Tiefpunkt. Auch von weitem erkannte er, dass Presley am Gryffindortisch saß.
Und er saß neben ihr. Neben Rose. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber er
sah, sie sprach angeregt mit Presley. Scorpius stand reglos in den Türen zur
Halle und die Schatten schluckten ihn.
Presley
zögerte nicht sonderlich lange. Aber vielleicht suchte Presley Roses
Aufmerksamkeit auch die gesamte Zeit über, und erst jetzt, wo er, Scorpius, mal
nicht im Weg war, funktionierten Presleys Annäherungen.
Wollte
Rose das? War sie drüber weg? Scorpius spürte die bitteren Falten um seinen
Mund. Er hatte keinen Hunger mehr. Der Anblick von Rose und Presley schlug ihm
auf den Magen. Er hasste das. Dabei hatte er kein Recht, sauer zu sein. Presley
hatte ihn geheilt, hatte ihn gedeckt, und er selber hatte nicht mal die
Befugnis, Rose überhaupt anzusehen.
Sauer
überwand er die Stufen nach unten in die Keller, wurde seine Tasche los, zog
sich um, schnappte sich seine Unterlagen und verschwand in die Bibliothek.
Nicht, dass ihn Zaubertränke von seinem Leid ablenken würde, aber dann musste
er nicht im Gemeinschaftsraum sein, wo er hadern konnte, ob er Albus verfluchen
würde oder nicht, und er musste nicht an die Halle denken, wo Presley und Rose
sich einen verflucht netten Abend machten. Ohne ihn.
Er
steuerte auf einen der Arbeitsräume zu, denn er wollte seine Ruhe haben. Und in
der Tür zum äußersten Raum hielt er inne. Der Gurt der Tasche schnitt
unangenehm hart in seine Schulter, aber es störte ihn jetzt gerade nicht.
Hugos
Blick hob sich abwesend, nur um dann zu fokussieren, als er ihn erkannte.
Scorpius‘ Blick musste so eindeutig sein, dass es keiner weiteren Worte
bedurfte. Die Feder sank in Hugos Hand, und Scorpius atmete scharf durch die
Nase aus. Wut erfüllte ihn über Hugo Weasley. Denn Hugo hatte es Al gesteckt,
Hugo war Schuld an all diesen Ereignissen, und dass Hugo selber absolut
beschissen aussah, tat zumindest oberflächlich sehr gut. Und immerhin hatte
Hugo den Anstand, blass um die Nase zu werden.
Scorpius
fragte sich zornig, was er Hugo eigentlich jemals getan hatte? Was genau es
war, weswegen er verdiente, von diesem Idioten bestraft zu werden? Ja. Er hatte
seine Schwester angerührt. Nicht nur das. Er… war verliebt in seine Schwester.
Und verdiente dieses Gefühl eine solche Strafe? Anscheinend schon.
Sie
hatten eine Menge hinter sich, dafür, dass sie keine Freunde waren und sich
nicht leiden konnten. Dann atmete Hugo aus, und Scorpius war sich nicht sicher,
was es bedeuten sollte, aber Hugo legte die Feder auf den Tisch, schob seine
Unterlagen demonstrativ zur Seite, und… machte den Platz neben sich frei.
Scorpius verharrte in der Tür und runzelte die Stirn. Hugo sah ihn eindeutig
an. Und was war es? Klang eine leise Entschuldigung in seinen Augen mit? War es
das, was der unangenehme Junge ihm zu vermitteln ersuchte? Scorpius‘ Kiefer
arbeitete angespannt.
„Der
Platz ist frei, wenn du willst“, sagte Hugo schließlich überflüssigerweise, und
der Klang seiner Stimme kam Scorpius sehr bekannt vor. Sie war rau, wie es
Stimmen für gewöhnlich nur nach Nächten voller Alkohol und schlechten
Entscheidungen waren. Hugo Weasley schien eine rebellische Phase zu durchleben.
Und es war ein eigenartiges Entgegenkommen. Anscheinend bereute Hugo, Albus
Potter in seine kleinen Pläne eingeweiht zu haben. Und Scorpius verzog den
Mund. Er hatte nirgendwo zu sein. Niemand vermisste ihn.
Mit
starrem Blick betrat er den Raum stellte seine Tasche auf den Tisch und setzte
sich schließlich auf den freien Stuhl neben Hugo. Anstatt seine Unterlagen
auszubreiten, stützte er die Ellbogen auf den Tisch, und legte die Hand über
seine untere Gesichtspartie. Seine Gedanken drifteten ab, und er war zu
erschöpft, um sich mit Hugo ernsthaft anzulegen, ihm zu sagen, was er von ihm
hielt. Und auch Hugo schien… darüber hinwegzusehen.
Scorpius
fiel auf, dass Hugo nicht gearbeitet hatte. Alles, was auf seinem Pergament
stand, waren Schimpfworte. Fast war es eigenartig amüsant, aber gleichzeitig
auch sehr verstörend.
„Gutes
Wochenende gehabt?“, fragte Scorpius eindeutig trocken, und Hugo ergriff die
Feder, um weitere selbstgeißelnde Beleidigungen zu Papier zu bringen.
„Mhm.
Ziemlich“, erwiderte Hugo neben ihm, ohne aufzusehen. „Selbst?“, gab er die
Frage rau zurück, und Scorpius atmete lange aus.
„Hätte
schlechter laufen können“, entkam es ihm bitter. Er sah, dass sich Hugos
Mundwinkel freudlos hoben. Und mehr sprachen sie nicht. Scorpius begann, zu
arbeiten, während Hugo selbstvergessen neben ihm verblieb und auf sein
Pergament kritzelte.
Und
fast fühlte es sich… nicht gänzlich furchtbar an. Nicht gänzlich… schlecht. Er
wusste nicht, warum, aber Hugos Anwesenheit bot einen seltsamen Trost. Sei es
auch nur, weil er Roses engster Verwandter war, und manchmal eine sanfte
Ähnlichkeit durchblitzte, die Scorpius genoss. Sie waren keine Freunde, aber er
hatte das Gefühl, sie waren auch keine direkten Feinde mehr.
Er saß
neben Collin. Aber
nur, weil kein anderer Platz frei war. Presley saß zum dritten Mal am
Gryffindortisch diese Woche, und scheinbar fügte er sich nahtlos in die Gruppe.
Es war nett, dass Rose Scorpius schnell ersetzt hatte. Wirklich super. Aber sie
mit Presley zu sehen, fühlte sich genauso scheiße an.
Albus
hatte erwartet, irgendwann die Retour zu bekommen. Irgendwann aufzuwachen,
während Scorpius mit erhobenem Zauberstab über ihm stand. Aber das geschah
nicht. Scorpius ignorierte ihn, als kannten sie sich nicht. Er sprach ab und an
mit Collin, wenn dieser nicht aufhörte, Fragen zu stellen. Sie hatten immer
über Collin gelästert, hatten ihn immer verabscheut, aber jetzt schien Collin
die einzige Verbindung zwischen ihnen zu sein. Jetzt saß er zwischen ihnen.
Albus
gab sich Mühe, nicht auf Scorpius‘ Stimme zu achten, wenn dieser Collin
antwortete.
Und
Albus hasste, dass er oft an Scorpius dachte. Er verbrachte seine Zeit mit
James. Etwas, das er früher nie getan hatte. Nie gewollt hatte. Denn James war…
langweilig. Viel zu nett. Er vermisste Scorpius. Und gleichzeitig hasste er ihn
für so viele Dinge.
Die Eulen
brachten die Post, und er hatte das Glück, mal keinen mahnenden Brief seiner
Eltern zu bekommen – oder seiner Tante Hermine. Aber Tante Hermine antwortete
er seitenlang, denn er hatte ein schlechtes Gewissen. Und er wollte nicht, dass
sie glaubte, er würde sie nicht mögen. Er mochte sie. Sehr gerne. Manchmal
lieber, als seine eigene Mutter.
Und
ein Jagdfalke fiel in einen gefährlichen Sturzflug, stob durch die aufgehetzten
Eulen, die lautstark mit den Schnäbeln klackerten, um einen ziemlich fetten Umschlag
vor Scorpius fallen zu lassen. Er verfehlte sehr knapp das Müsli, und mit
kräftigen Flügelschlängen und einem übertrieben lauten Schrei, verschwand der
Jagdfalke wieder. Albus versuchte, nicht interessiert den Blick zu wenden, aber
es misslang ihm. Collin bestürmte Scorpius mit Fragen, und Scorpius drehte den
großen Umschlag um.
Albus
riskierte einen sehr kurzen Blick in das Gesicht seines ehemaligen Freundes,
und sah, dass sich seine Stirn gerunzelt hatte.
„Holden
& Priestley?“, schien Collin vom Umschlag zu lesen. „Was ist das?“
„Eine
Kanzlei“, entgegnete einer der älteren Slytherins von der gegenüberliegenden
Seite des Tisches. „Mein Vater macht Geschäfte mit ihnen“, ergänzte Vincent
Goyle, eine Spur zu überheblich. Er gehörte zu den Slytherins, mit denen Albus
keinen Kontakt pflegte. Es hatte sich nie ergeben, und er glaubte, so liberal
sein Vater auch war – der Name Goyle käme Zuhause nicht sonderlich gut an. Sein
Dad hatte schon lange gebraucht, den Namen Malfoy zu verdauen. Aber… das war jetzt
ja vorbei, dachte Albus dumpf und versuchte, nicht mehr zuzuhören.
„Warum
schreibt dir eine Kanzlei?“, wollte Collin aufgeregt wissen.
„Halt
den Mund, Collin“, knurrte Scorpius entnervt, und Albus senkte seinen Blick
zurück auf sein halbgegessenes Toastbrot. Aber auch darin fand er keine
Ablenkung.
„Du
solltest ihn öffnen“, legte Goyle ihm interessiert nahe, aber Scorpius
antwortete nicht. Es verging ein kurzer Moment, und dann schien er sich zu
entschließen, den Umschlag aufzureißen. Unauffällig beobachtete Albus ihn
wieder aus den Augenwinkeln, aber Collin lehnte sich jetzt sehr weit vor, um
ebenfalls zuzusehen. Scorpius‘ Brief war wohl heute das aufregendste, was
passierte. Vielleicht erwarteten alle, dass er verhaftet wurde. Oder… oder was
auch immer.
Er
zog einen Stapel an Papier hervor, und alles, was Albus erkannte, waren goldene
Siegel, geschwungene Unterschriften, und eine Menge an kleinen Zeilen.
Scorpius
schien sich zu vertiefen, und unhöflich wie Collin eben war, las er auch mit.
„Woah!“,
entfuhr es Collin plötzlich, ein wenig heiser, und Scorpius zog die Dokumente
hastig an seine Brust.
„Das
Postgeheimnis sagt dir nicht wirklich etwas, oder?“, fuhr Scorpius ihn an, aber
Collin reagierte nicht auf den Vorwurf.
„Was
soll das heißen, du bekommst den Titel?“, wiederholte er scheinbar, was er
gelesen hatte. Scorpius stöhnte gereizt auf.
„Was
weiß ich!“, entfuhr es ihm gereizt. Aber der hilfreiche Goyle schien mehr zu
wissen, als der Rest. Er tauschte einen knappen Blick mit seinen Freunde, die
fast wohlwollend dreinblickten.
„Den
Malfoy-Titel. Sein Vater hatte ihn ausgeschlagen. Und scheinbar bist du jetzt
in direkter Linie dafür.“ Goyle klang so abartig zufrieden. Und Albus konnte
nicht verhindern, zuzuhören, kurz Scorpius einen Bick zuzuwerfen. Denn
anscheinend hörte auch Scorpius diese Dinge zum ersten Mal. Woher Goyle so
etwas wusste, konnte sich Albus nicht erklären.
„Ach
was?“, entfuhr es Collin, der sich gespannt auf die Ellbogen lehnte und quer
über dem Tisch lag, um Goyle zuzuhören. „Da steht, er bekommt
Kontenvollmacht!“, wisperte er begierig.
„Collin!“, fuhr Scorpius ihn zornig an, und immerhin senkte Collin beschämt den
Blick. Goyles Mundwinkel hoben sich.
„Glückwunsch,
Malfoy. Leute“, bemerkte er mit herrschendem Blick nach rechts und links, und
die Siebtklässler, die ihm hörig waren, erhoben sich gleichzeitig. „Wenn du
nach dem Spiel heute Abend nichts weiter zu tun hast, statte uns ruhig einen
Besuch ab.“ Scorpius sagte gar nichts, blickte der kleinen Gruppe an elitären
Wichsern lediglich nach, und Albus verfolgte den kleinen Trupp mit verengten
Augen, als diese stumm die Halle verließen. Es gab eine Handvoll Slytherins in
ihrem Haus, die sich von ihnen unterschieden. Nach dem Krieg waren viele der
alten Reinblüterfamilien ausgewandert. Zumindest diese, die nicht verhaftet
worden waren. Diese, deren Gold nicht für den Krieg zur Unterstützung
Voldemorts draufgegangen war. Albus wusste, Scorpius‘ Großvater war in Askaban
gewesen. Einige Jahre lang. Aber die Familie Malfoy hatte sich… freigekauft,
wie Onkel Ron es nannte. Und sie waren in London geblieben. Ebenso wie die
Goyles, die Dolohows, die MacNairs und die Zabinis.
Seit
dem Krieg besuchten nicht nur Reinblüter dieses Haus, es war… alles sehr viel
lockerer, und Albus war stolz, Teil davon zu sein, aber manchmal… klang die
alte Tradition hier durch. Diese Schüler, die zum Urgestein der ehemaligen
Elite gehörten, hatten ihren eigenen Club. Sie waren in der absoluten Minderzahl,
und Albus konnte ihr Vermögen lediglich schätzen. Er wusste, Scorpius hatte
Gold. Jede Menge davon. Aber Scorpius kehrte es nicht nach außen, hasste es,
sprach nie von seinem Erbe oder von seinem Großvater. Aber scheinbar hatte ihn
Vincent Goyle heute eingeladen, dem elitären Kreis beizuwohnen. Die
Siebtklässler trafen sich im Trophäenzimmer, legten Bannsprüche auf die Tür. Es
war… wie ihr Clubhaus, denn der Gemeinschaftsraum war ihnen zu mondän.
Presley
gehörte nicht dazu. Sein Vater war ein klarer Gegner der Reinen Allianz
gewesen, die vor einigen Jahren eine Partei gegründet hatten. Und auch
Scorpius‘ Vater hatte sich sehr klar dagegen positioniert. Und das war alles,
was Albus darüber wusste. Denn Scorpius interessierte sich nicht für Reinblüter
und nicht für Gold.
„Scheiße.
Die haben dich eingeladen!“, entfuhr es Collin kopfschüttelnd. „Gehst du
dahin?“
„Halt
die Klappe, Collin.“ Und es war Albus, der gesprochen hatte. Eher aus Versehen,
als aus Absicht. Aber die Idee, dass Scorpius tatsächlich in Erwägung ziehen
könnte, sich mit diesen Wichsern aus der siebten Klasse zu treffen, um über
Titel und Gold zu reden, war vollkommen absurd.
„Du
bist nur neidisch, dass sie dich nicht fragen!“, fuhr Collin ihn von der Seite
an. Albus lachte freudlos auf.
„Du
denkst, die Kriegssympathisanten und Söhne der Reinen Allianz wagen es, den
Sohn von Harry Potter zu fragen?“, entkam es ihm herablassend – herablassender,
als er es vorgehabt hatte. Er hörte selber, wie unfassbar hohl und scheiße es
klang.
„Vielleicht
darf ich dir meinen Titel anbieten, Lord Potter?“, sprang Scorpius sofort auf
ihn an, und tatsächlich sprach er mit ihm. Albus‘ Blick hob sich so schnell,
dass er sich mental dafür maßregelte. Scorpius‘ Stimme hatte sich stark
abgekühlt. Aber er antwortete, weil er eben impulsiv war. Und scheiße.
„Als
ob du dich mit diesen elitären Vollidioten treffen würdest!“, knurrte er
praktisch, und sein Herz schlug schnell, weil Scorpius nach dieser ganzen Zeit
mit ihm sprach, obwohl Albus es gar nicht wollte. Obwohl er einfach nur sauer
auf ihn sein wollte.
„Doch
neidisch?“, fragte Scorpius kalt, und Albus glaubte, er tat das mit voller
Absicht. Und nein. Albus war nicht neidisch. Auf keinen von ihnen. Er war der
bessere hier. Er war der Sucher-König dieses Hauses. Er war es, der Gryffindor
und Slytherin verband. Scorpius selbst war mit seiner Cousine zusammen gewesen!
Nein, er war auf nichts und niemanden neidisch! Es war genau umgekehrt. Aber so
etwas sagte man nicht laut.
„Ja,
sicher“, gab er eisig zurück. Scorpius erhob sich geschmeidig und ließ ihn
nicht aus dem Blick. Wow. Absolute Ausgrenzung sprach aus Scorpius‘ kaltem
Blick. Die grauen Augen abschätzend auf ihn gerichtet.
„Vielleicht
ist es lohnenswert, dass ich mich mit ihnen treffe. Alleine um die überhebliche
Visage eines Inzest-Kriegshelden-Kindes nicht mehr zu sehen. Wieso verpisst du
dich nicht einfach an den Gryffindortisch und versteckst dich hinter James? Das
kannst du doch besonders gut, Potter“, sagte er die Worte mit vollstem Ernst, und
Albus biss die Zähne fest zusammen. Er wusste, er hatte Scorpius beleidigt. Und
er wusste, es war nicht ok gewesen. Er hatte ihn beleidigt, ihn geschlagen, und
er… hatte böse Dinge gesagt. Aber dass es ihm leid tat… würde er unter Folter
nicht zugeben! Jetzt nicht mehr.
Albus
erhob sich ebenfalls. Der ganze Tisch hielt den Atem an.
„Jaah“,
entfuhr es ihm gedehnt. „Vielleicht gehe ich besser zu meinesgleichen. Und
vielleicht bleibst du einfach bei deinesgleichen, Malfoy“, benutzte er seinen
Namen so abwertend, wie er es nur von Onkel Ron gehört hatte. „Und ihr plaudert
über die Dinge, über die ehemalige Todesser eben so plaudern, hm?“, setzte er
noch einen drauf, und Wut brannte in Scorpius‘ Augen. Albus war sich nicht
sicher, wer von ihnen schneller war, aber plötzlich standen sie außerhalb der
Bank, und Scorpius hatte ausgeholt. Die Dokumente waren quer auf dem Boden
verteilt, und Albus wehrte den Schlag ab, versuchte Scorpius in den
Schwitzkasten zu nehmen, aber ein Schwall Magie riss sie auseinander.
„Schluss
damit!“, donnerte Longbottoms Stimme zornig. Er kam zügig näher, und eigentlich
war Professor Longbottom ihm freundlich gesinnt. Heute… allerdings wohl nicht.
Sie atmeten beide schwer, funkelten sich an, aber der Protego hielt sie auf Abstand voneinander. „Fünfzig Punkte Abzug
für Slytherin, weil Sie es für angebracht halten, sich in der Halle zu prügeln!
Sie dürfen beide bei mir Nachsitzen. Mr. Malfoy kennt sich ja schon aus“,
ergänzte er bitter. Albus hörte kaum zu.
„Sie…
sind nicht unser Hauslehrer“, brachte Albus wütend hervor, denn er hatte keine
Lust, Dreck zu schaufeln. Professor Longbottom lächelte ein böses Lächeln.
„Mr.
Potter, da uns der unfähige Professor Ginty leider verlassen hat, können Sie
sich glücklich schätzen, dass ich für Sie zuständig bin. Gerne lasse ich aber
die Schulleiterin selber eine Strafe für Sie finden“, bot er ihm gönnerhaft an.
Geräuschvoll knirschte Albus mit den Zähnen. „Nein?“, sagte Longbottom mit
freundlicher Berechnung. „Gut, dann dürfen Sie beide morgen bei mir auf der
Matte stehen. Sonnenuntergang“, ergänzte er warnend, ehe er kopfschüttelnd den
Zauber löste und sich abwandte. Scorpius bückte sich wütend mit hochrotem Kopf
nach seinen Dokumenten, und Albus stand unschlüssig vor ihm. Ihr Tisch schwieg
betroffen. Albus sah Scorpius zu, wie er zitternd vor Zorn die Papiere in seine
Tasche stopfte, und ohne einen weiteren Blick auf ihn aus der Halle stob.
Er
erkannte seinen Bruder von weitem. Und lästigerweise folgte ihm Presley.
Die
anderen mieden den Blick auf ihn, schämten sich höchstwahrscheinlich, und Albus
schämte sich selber schon genug.
„Hey“,
sagte James, sah ihm ins Gesicht, inspizierte ihn knapp, aber Albus sah ihn
unzufrieden an.
„Irgendwelchen
Ärger bekommen?“, wollte Presley sofort wissen. „Bist du suspendiert?“ Es ging
um Quidditch. Bei Presley ging es meistens um Quidditch. Wenn es nicht
neuerdings darum ging, seine Cousine anzufassen. Arschloch. Albus atmete aus.
„Nein,
bin ich nicht.“
„Gut“,
entgegnete Presley, aber sein Blick blieb steinern. „Und der Streit mit Malfoy
findet sein Ende, hast du mich verstanden?“, fuhr Presley ihn ernster an.
Albus‘ Mund öffnete sich protestierend, aber Presley zog ihn am Arm ein Stück
zur Seite. Albus hasste, dass James zuhörte. „Ansonsten suspendiere ich Malfoy
vom Team und sage ihm, es wäre deine Schuld. Also, reiß dich gefälligst
zusammen!“, schloss er zornig, ließ seinen Arm los, und Albus schoss James
einen wütenden Blick zu, denn dieser schien Presleys Verhalten sogar zu
befürworten. Er hasste sie alle! Allesamt! Zornig wandte er sich ebenfalls ab,
griff sich seine Tasche und verließ ohne ein Wort ebenfalls die Halle. Was für
ein scheiß Morgen.
Hugo
verharrte sehr kurz im Türrahmen als er Scorpius‘ unzufriedenem Blick gewahr
wurde, aber dann wandte er sich wieder an Cara, die sich an ihm vorbeischob.
„Cara,
warte!“, sagte er eindringlich, aber das Mädchen drehte sich zornig zu ihm um.
„Ich
will nicht mit dir reden. Das habe ich doch schon klar gemacht, oder?“, fuhr
sie ihn an, aber Hugo ergriff ihren Oberarm, während sich die Schüler an ihnen
vorbei drängten.
„Lass
es mich wenigstens erklären! Ich habe nicht-“
„-ich
möchte gehen, Hugo“, warnte sie ihn ernst. Er atmete aus und ließ ihren Arm
widerwillig los.
„Wir
reden später, ja?“, rief er ihr nach, aber sie blickte nicht zurück. „Cara, ich
finde dich später!“, rief er lauter, und er würde diese Sache klären. Er
musste. Dann fiel sein Blick auf ihn. „Was wird das?“, fragte er Scorpius
gereizt, aber dieser stieß sich vom Fenstersims ab. Seit wann kannte Scorpius
seinen Stundenplan? Wieso fing er ihn nach Astronomie ab? Es störte Hugo, denn
eigentlich wollte er mit Cara reden. Und er hatte heute Morgen die
Auseinandersetzung mit Albus sehr wohl mitbekommen.
„Hast
du kurz Zeit, oder musst du noch andere Mädchen belästigen?“, erkundigte sich
Scorpius grimmig, und Hugo lächelte freudlos.
„Sehr
witzig. Wirklich. Schade, dass Albus keine Lust hat, sich deine Witze
anzuhören.“ Und dann biss sich Hugo auf die Zunge. Ja, und er selber war der
Grund, dass Albus Scorpius verabscheute. Er vergaß es bereits wieder.
„Ja,
bedauerlich“, bestätigte Scorpius sehr kalt. „Wirklich, Weasley.“ Hugo seufzte
auf.
„Ich…
ich hatte wirklich nicht gewollt, dass-“ Aber Scorpius hob warnend die Hand.
„-hör
bloß auf! Spar dir deine Entschuldigungen für Cara auf“, unterbrach Scorpius
ihn kopfschüttelnd. „Kannst du dir das mal ansehen?“ Er zog den ominösen
Umschlag hervor, der heute so viel Tumult am Slytherintisch ausgelöst hatte,
und Hugo konnte nicht verbergen, dass er milde interessiert war.
„Was
ist das?“, fragte er knapp, aber Scorpius setzte sich in Bewegung. Hugo folgte
ihm schließlich, und er wusste, die übrigen Schüler seines Hauses, sahen ihm
skeptisch nach. Ein Ravenclaw und ein Slytherin. Eine unangenehme Verbindung.
Aber er war interessiert.
„Ich
denke, es ist eine Änderung des Testaments meines Großvaters. Es gab… eine
Menge Streit, letzte Woche“, ergänzte er und verdrehte die Augen. In der
nächsten Fensternische hielten sie inne, und Hugo zog den Stapel an Blättern
aus dem Umschlag, setzte sich auf den Sims und überflog die Zeilen. Ach du
großer Hippogreif! Seine Augen schlangen sich um die Zahlen, die Anlagen und
aktiven Posten, die Scorpius unwiderruflich zugesprochen wurden. Und kurz war
er mehr als verlegen, dass Scorpius ihm diese Unterlagen zur Einsicht
anvertraute. Sie hatten in den letzten Tagen viel nebeneinander gelernt, und
ihr Waffenstillstand war angenehm, aber das… war überraschend.
„Ja“,
sagte er dann, mit belegter Stimme, „dein Großvater hat deinen Vater enterbt
und dir das gesamte Erbe zugesprochen“, entkam es ihm heiser.
„Geht…
geht das überhaupt?“, erwidere Scorpius mit weiten Augen.
„Ja.
Bei euch geht das“, ergänzte Hugo fast etwas gedankenlos, während er den
wirklich spannenden Erbvertrag las.
„Bei…
uns?“, wiederholte Scorpius fast verständnislos, aber dann schien er zu
begreifen. „Bei Reinblüter-Arschlöchern, meinst du?“, erläuterte er knapp, und
Hugo verzog abwägend den Mund.
„Bei
reichen Reinblüter-Arschlöchern, mit Titeln und Blutverträgen, ja“, bestätigte
er knapp. Er nahm, dass so etwas bei den Malfoys ebenfalls Gang und Gäbe war.
Ob Scorpius wusste, wie reich seine Familie war? Wie konnte er nachts überhaupt
schlafen? Hugo würde es nicht können.
„Muss
mein Vater es nicht unterschreiben? Kann mein Großvater ihn überhaupt
übergehen? Ich meine-“
„-ich
denke. Vielleicht nicht vollständig, aber… diese Anlagen hier – die…äh, Grundstücke,
die Juwelen, die Verliese – all das, kann er dir vermachen. Dein Vater bekommt
seinen Pflichtteil, mehr nicht. Und hier steht, dein Vater wollte den Titel
nicht, deshalb… kannst du ihn vorzeitig haben.“
„Ich
will ihn nicht!“, entfuhr es Scorpius nahezu sofort.
„Dann…
schlag ihn aus“, entgegnete Hugo achselzuckend. Er kannte sich nicht sonderlich
gut mit magischem Erbrecht aus, aber interessehalber hatte er vorheriges Jahr
mal das eine oder andere Buch dazu studiert, denn es war ziemlich interessant,
was die Reichen alles tun konnten – oder was sie verhindern konnten.
„Ok.
Und… kann ich meinem Vater nicht… einfach alle anderen Sachen überschreiben?“,
fragte er wieder, und Hugo hätte ihm gerne empfohlen, sich direkt an die
zuständige Kanzlei zu wenden, aber er fühlte sich minimal geschmeichelt, dass
Scorpius Malfoy mit buchstäblichen Millionen-Probleme ausgerechnet zu ihm kam.
„Es
gibt… da ein Problem“, bemerkte er vorsichtig, während er an das Ende der
Dokumente blätterte. Er überreichte Scorpius die letzte Seite, und mit
gerunzelter Stirn las der ahnungslose Reinblüter vor ihm die uralte Regelung,
von denen sich Hugo nicht mal sicher war, ob sie vor einem magischen Gericht
noch Bestand haben würden. Aber bestimmt war Malfoy Senior mächtig genug, um so
etwas durchzusetzen.
„Was…
was heißt das?“, wollte Scorpius langsam wissen.
„Na
ja“, begann Hugo unschlüssig, „vor hundert Jahren war es wohl Standard. Das ist
die Stände-Klausel“, erklärte er knapp. Aber Scorpius schien dazu kein Wissen
zu haben.
„Und
was bedeutet das?“
„Das
bedeutet, dass du deinem Stand gemäß heiraten musst“, half Hugo ihm eindeutig
auf die Sprünge. Scorpius‘ Augenbraue hob sich entsprechend. „Ansonsten
verfällt dieser Vertrag“, schloss Hugo.
„Was?“,
entfuhr es Scorpius ungläubig.
„Das
ist Absicherung der Reinblüter – ehrlich, wieso weißt du so was nicht?“, wollte
Hugo von ihm wissen. „Deine Familie ist eine der ältesten, die-“
„-was
soll das konkret heißen?“, unterbrach ihn Scorpius, vollkommen desinteressiert
an Hugos Worten.
„Dein
Großvater will hiermit sichergehen, dass du als Erbe würdig bist.“
„Und…
wenn ich das nicht bin?“, fragte er sofort.
„Dann…“,
Hugo überflog sicherheitshalber noch einmal die letzte Passage, „dann greift
das Recht des Zweiten, und der nächste Erbe in horizontaler Folge bekommt den
Zuspruch. Irgendeiner deiner Cousins, der sich an die Vorgabe hält, also.“
„Was?“,
entfuhr es ihm. „Dann… sind mein Vater und ich enterbt?“, entkam es ihm.
„Theoretisch,
ja. Ihr habt dann nur den Pflichtteil – der aber auch verdammt groß ist“,
ergänzte Hugo knapp. Und dann zuckte er die Achseln. „Du könntest aber einfach
standesgemäß heiraten, und-“
„-ich
will nicht heiraten!“, beschwerte sich Scorpius direkt, aber Hugo verdrehte die
Augen.
„Niemals?“,
erkundigte er sich trocken.
„Was?
Nein, aber nicht-“
„-du
musst nicht nächstes Jahr heiraten, Merlin noch mal. Und denkst du ernsthaft
darüber nach, mit eurer Tradition zu brechen?“ Hugo klang ein wenig ungläubig
dabei. Scorpius runzelte die Stirn.
„Was
soll das heißen?“
„Du…
bist ein Malfoy? Dein Vater hat eine Reinblüterin geheiratet, dein Großvater,
dessen Großvater – na ja…“, schloss Hugo eindeutig. Scorpius‘ Mund schloss sich
entsprechend.
„Mir
ist das egal“, entkam es ihm dann fast kleinlaut. Hugo betrachtete den
Slytherin prüfend.
„Interessant“,
sagte er lediglich.
„Was
soll daran interessant sein?“, fuhr Scorpius ihn fast an.
„Nun,
du… gehörst zu einer sehr schmalen Gruppe an reinmagischen Zauberern, die den Luxus
hat, Multimillionen an Galleonen zu besitzen. Und das ist alleine daran
gebunden, dass du… die Blutlinie aufrechterhältst.“ Scorpius runzelte die
Stirn.
„Wie Voldemort von dir“, entgegnete er spitz.
Hugo verdrehte die Augen.
„Oh
bitte“, sagte er eindeutig. „Nur weil ich das Reinblüter-Konzept verstehe,
heißt es nicht, dass ich es billige. Alles, was ich sage, ist, dass-“
„-dass
du darüber nachdenken würdest?“, beendete Scorpius den Satz für ihn.
„Für Multimillionen?
Ja“, machte Hugo es achselzuckend überdeutlich. „Übrigens wäre Dominique eine
standesgemäße Wahl, nur um das in Perspektive für dich zu setzen“, ergänzte er
mit Bedacht. Scorpius‘ Stirn legte sich in tiefe Falten. „Ihre Eltern kommen
beide aus ahnenlangen Reinbüterfamilien. Es kommt nicht auf die persönliche
Präferenz deines Großvaters an, sondern lediglich auf den Stammbaum.“ Scorpius‘
Gesichtsausdruck war für Hugo nicht zu deuten.
Er
überreichte Scorpius wieder die Unterlagen. „Eigentlich ist eine standesgemäße
Wahl leicht zu finden“, fuhr er nachdenklich fort. „Rumer wäre das. Cara wäre
es übrigens auch-“
„-danke,
Weasley“, entgegnete Scorpius mit Nachdruck.
„Oder
Ginnifer, Destiny Flint, Allegra Fudge“, zählte er weiter auf.
„Ich
habe es begriffen, Hugo“, wiederholte er eindeutig.
„Ok.
Also, bevor du alles ausschlägst, solltest du-“
„-Rumer
MacLeod um ihre Hand bitten?“, unterbrach er ihn, und Hugo verzog den Mund.
„Wirklich?“, ergänzte Scorpius spöttisch. „Ich meine… mit meinen Multimillionen“, benutzte er Hugos Wort
abschätzend, „würde sie vielleicht nicht mal nein sagen, hm?“, ärgerte er ihn
eindeutig. „Ich meine, Pansy ist meine Patentante – es wäre… wirklich
angebracht, wenn ich drüber nachdenke“, fuhr er gedankenverloren fort.
„Witzig“,
sagte Hugo steif. Scorpius lächelte jedoch und steckte die Unterlagen wieder
ein.
„Danke,
Weasley“, wiederholte er dann. Er klang ziemlich aufrichtig. Dann hob sich sein
Mundwinkel.
„Du…
du wirst drüber nachdenken, oder?“ Hugo wusste nicht wirklich, warum seine
Stimme hohler klang. Aber Scorpius vergrub die Hände in den Taschen und zuckte
die Achseln.
„Ich
denke nicht“, erwiderte er tatsächlich achselzuckend. Als wäre die Aussicht auf
Multimillionen nichts Erstrebenswertes. Hugos Kiefer gab nach.
„Du…
du denkst nicht?“, wiederholte er ungläubig.
„Reinblüter-Traditionen
interessieren mich nicht. Wenn mein Dad nichts dagegen hat, schlage ich aus.“
Hugo starrte ihn an.
„Scorpius“,
sagte Hugo entgeistert seinen Vornamen, denn er glaubte nicht, dass Scorpius
gerade rational nachdachte.
„Mein
Großvater kann auf seinen Millionen verrotten“, schloss Scorpius, fast schon
amüsiert. „Ich will dich nicht weiter aufhalten“, schloss er nickend, und Hugo konnte
ihn nur anstarren. Und für den unwahrscheinlich Fall, dass Scorpius solche
Schritte tat, wegen… wegen seiner Schwester – wegen Rose! – dann… konnte Hugo
nicht umhin, gänzlich beeindruckt zu sein. Er hatte sich persönlich schon
Sorgen darüber gemacht, ob Rumer ihm überhaupt weitere Beachtung schenken
würde, gerade weil sie Reinblüterin war und weil ihre Mutter eben sehr streng
was, solche Dinge anging – aber… dass Scorpius ohne zu zögern auf all das
verzichtete – und sei es nicht mal wegen Rose… - macht ihn in Hugos Augen zu
einer vollkommen anderen Person. So hatte er ihn nie wahrgenommen. Scorpius war
selbstloser als alle Potters dieser Welt. Und dabei war die neue Generation an
Potters wohl schon alles andere als das.
„Scorpius“,
rief er dann, und der blonde Reinblüter, ohne jedes Interesse am Reinblütertum,
wandte sich zu ihm um. „Ich… stehe dir nicht mehr im Weg“, entkam es Hugo fast
verblüfft. Scorpius‘ Stirn runzelte sich langsam. „Wenn du… sie noch willst“,
ergänzte er stiller, denn jetzt gerade in dieser Minute, hatte sich Scorpius
Malfoy mehr als würdig erwiesen, seine dämliche Schwester zu bekommen. Sofern
es darum überhaupt noch ging. Und was sein Vater dachte, war Hugo ziemlich
egal. Sein Vater hatte nicht immer Recht, und in Bezug auf Scorpius Malfoy lag
er so weit daneben, wie es nur sein konnte. Und… er wollte, dass Scorpius das
wusste. „Wenn… wenn dir das noch irgendwas wert ist“, schloss Hugo kleinlaut.
„Kommst
du heute zum Spiel?“, fragte Scorpius ihn tatsächlich, und Hugo begriff nicht,
wie er solange so blind hatte sein können. Scorpius hatte sich selbst um ihn
kümmern wollen, als er das erste Vertrauensschülertreffen besucht hatte. Hugo
hatte einen Fehler gemacht. Er sah es jetzt.
„Ich
– ja“, bestätigte er nickend. Er wollte Dinge mit Cara klären. Er hatte ihr
nicht wehtun wollen, vor allem nicht, da sie… da sie so zuvorkommend ihm
gegenüber gewesen war. Und ehrlich gesagt, hatte es ihm mehr als gefallen.
Rumer war nur in seine Gedanken geraten, weil er… betrunken gewesen war.
„Kann
ich dich um einen Gefallen bitten?“, erkundigte sich Scorpius, als fiele ihm
gerade etwas ein. Und Hugo wollte nicht mal ablehnen. Er wusste, wenn er
Menschen etwas schuldig war – und Scorpius war er wohl mehr als nur etwas
schuldig.
„Sicher“,
war Hugos felsenfeste Antwort. Ihm gefiel diese neue Verbindung mehr, als er je
angenommen hatte.
Es
war ihr unangenehm, zu warten. Ausgerechnet vor diesem Zelt. Presley machte es
ihr sehr einfach, war sehr geduldig, wollte sie nicht mal küssen. Er verbrachte
einfach unverbindlich Zeit mit ihr, und seitdem verbrachte sie auch wieder mehr
Zeit mit Rumer und James, mit Fred und Louis, und sogar Lily verhielt sich
freundlicher, als vorher, obwohl Rose damit überhaupt nicht gerechnet hatte.
Mit Alby sprach sie immer noch nicht, genauso wenig wie mit Hugo, aber
ansonsten… heilte sie gerade innerlich. Es tat gut, jemanden zu haben, mit dem
sie gesehen werden konnte. Bei dem es kein Problem war, aus dem
Gemeinschaftsraum zu verschwinden, um ihn zu treffen.
Und
jetzt vertrat sie sich die Beine in der Kälte, da Presley sie gebeten hatte,
vor dem Spiel gegen Ravenclaw noch mal vorbeizuschauen, ihm Glück zu wünschen,
und sie hatte zugestimmt. Es war unschuldig genug. Aber ausgerechnet vor dem
Slytherinzelt zu warten, war hart. Und sie tat es nur, weil Presley immer als
erster umgezogen war, sein Team alleine ließ, damit sie sich ohne ihn
motivieren konnten, über ihn lästern durften – was auch immer – und erst jetzt
sah sie aus den Augenwinkeln, dass noch jemand zu warten schien.
Vor
dem Ravenclawzelt stand… ihr Bruder?! Aber schnell schaltete sie, und glaubte,
er würde wohl auf Cara warten. Sie hatte keine Ahnung, was zwischen beiden
mittlerweile passierte, ob sie… zusammen waren? Wusste ihr Bruder überhaupt,
was man mit einer Freundin zu tun hatte? Sie glaubte es nicht. Aber wer sie
schon, solche Dinge zu denken. Als wüsste sie Bescheid! Dann traf sie sein
Blick, und sie glaubte, sie hatte sich noch nie solange mit ihrem Bruder
gestritten. Früher, in den Ferien hatten sie sich tagelang angeschwiegen, wenn
er mal wieder lieber gelernt hatte, als ihrem Wunsch zu folgen, ihre Eltern zu
überzeugen, dass Quidditchcamp eine super Alternative zu Urlaub bei den
Großeltern war, aber natürlich war Hugo immer auf Mums Seite gewesen. Über so
etwas hatten sie gestritten. Es war nie um etwas Ernstes gegangen.
Der
Wind zerzauste seine Haare, und ehrlich gesagt, hatte sie nie geglaubt, dass
Hugo sich tatsächlich mal um jemand anderen als sich selber kümmern würde. Dass
er sich Mühe mit Cara gab, war… so eigenartig. Und kurz erfasste die Wut sie
wieder, denn… um sie kümmerte er sich nicht. Sie verdrängt, dass sie es gewesen
war, die Hugo ausgegrenzt hatte. Und jetzt erst bemerkte sie, dass er nicht
seine Uniform trug. Das tat sie auch nicht, aber bei Hugo war… es fast schon
eine Seltenheit, wenn er es nicht tat. Nicht mal das Vertrauensschülerzeichen
konnte sie irgendwo entdecken, dabei machte er sich sogar die Mühe, es über
seinen Mantel zu pinnen, wenn er einen trug. Er sah so… normal aus, dachte sie
verwundert. Ihr Blick fiel, als es unangenehm wurde. Sie hatte es noch nie gut
haben können, von Hugos Blick durchleuchtet zu werden.
Und
nach einigem Zögern, setzte er sich tatsächlich in Bewegung und schritt
unschlüssig auf sie zu. Und fast war sie mehr als dankbar, dass der Zeltvorhang
zur Seite stob. Denn sie wollte nicht, dass Hugo den ersten Schritt machte,
dass er ausgerechnet jetzt reden wollte. Aber bedauerlicherweise war es nicht
Presley, der nach draußen trat. Es war Alby, und er sah reichlich wütend aus.
Er war heute Morgen schon wütend gewesen. Sie hatte die Auseinandersetzung sehr
wohl verfolgt, auch wenn sie so getan hatte, als interessiere es sie keinen
müden Knut. Sie hatte heute an kaum etwas anderes gedacht.
Sein
Blick fiel überrascht auf ihr Gesicht, und der Zorn auf seinen angespannten
Zügen, legte sich unwillkürlich. Ihr Mund öffnete sich unschlüssig, und dann
wanderte sein Blick weiter, traf Hugo, der mittlerweile neben ihr stand, und
jedes Wort, was vielleicht Albys Lippen hatte verlassen wollen, gefror
unausgesprochen. Und Hugo hielt Albys Blick stand. Irgendetwas war da
vorgefallen, Rose spürte es.
„Presley
kommt gleich“, sagte Alby schließlich verschlossen. „Ich nehmen an, du wartest auf
ihn?“, ergänzte er, mit dem richtigen Maß an Herablassung. Als warte sie auf
jemand anderen! Als hätte er das Recht, solche Behauptungen zu wagen.
„Ja“,
entkam es ihr zorniger, als sie zunächst beabsichtigt hatte. „Ich warte auf
Presley“, bestätigte sie kalt. „Garantiert nicht auf dich“, sagte sie bitter,
und Alby hob die Augenbraue.
„Super“,
spuckte er ihr entgegen.
„Ja!“,
erwiderte sie giftig.
„Gut!“
Sie
waren lächerlich, und Merlin sei Dank, verschwand Alby mit wütenden Schritten,
Richtung Feld.
„Sehr
erwachsen“, entfuhr es Hugo still, und Rose presste die Lippen aufeinander. Er
sollte nicht so tun, als interessiere es ihn wirklich. Der Vorhang flog wieder
zur Seite, und fast sank ihr Herz in ihren Bauch. Sie hatte ihn nicht
vergessen, aber sie hatte nicht erwartet, dass er als nächstes das Zelt
verlassen würde. Er wirkte gereizt, und fast überrascht, fasste er sie ins
Auge. Seine Lippen teilten sich, und sie konnte nichts anderes tun, als ihn
anzustarren und sofort kehrten die Erinnerungen zurück. Die Gefühle, der
Geschmack seiner Lippen, und ihr Bauch zog unangenehm heftig, als sie an den
Abend im Badezimmer der Vertrauensschüler dachte, wo er vor ihr gekniet hatte,
und-
-bevor
es schrecklich unangenehm wurde, und die Röte ihr ganzes Gesicht beherrschte,
wandte er den Blick von ihrem Gesicht und betrachtete Hugo.
„Hey“,
begrüßte er ihn tatsächlich.
„Hey“,
erwiderte Hugo, nicht mal sonderlich unfreundlich. Was?!
„Du
wartest auf Cara?“, vermutete Scorpius, und woher wusste er so etwas.
„Ja“,
bestätigte Hugo tatsächlich.
„Presley
kommt gleich“, gönnte er ihr leere Worte, ohne sie anzusehen, wie es auch schon
Alby getan hatte.
„Ich
weiß“, erwiderte sie gereizt, und jetzt traf sie sein Blick wieder. Schärfer
als vorher.
„Kein
Grund, mich anzufahren“, bemerkte er bitter, aber sie hatte Gründe genug. Sie
wollte überhaupt nicht mit ihm reden. Es tat ohnehin viel zu weh. Sein scheiß
Gesicht zu sehen, seine verdammte Nähe, die sie wahnsinnig machte. Sie hasste
ihn! Das war das Gefühl. Sie hasste ihn so sehr, dass es wehtat! „Wegen
später-“, wandte er sich nahtlos wieder an Hugo, aber Rose hatte genug davon.
„-seit
wann redet ihr? Was soll das?“ Sie wusste, sprach eigentlich weder mit ihm, noch
mit Hugo, aber es regte sie auf. Zuerst hasste Hugo ihn, drohte ihnen, ihre
Affäre auffliegen zu lassen – und jetzt? Jetzt waren sie beste Freunde? Was zur
Hölle – um es mit den seltenen Worten ihrer Mutter zu sagen!
„Geht
dich das was an?“ Scorpius antwortete schneller, als Hugo es konnte.
„Er
ist mein Bruder!“, spuckte sie ihm zornig entgegen.
„Ach
ja? Und seit wann redest du wieder mit ihm?“, schlug er sie mit ihren eigenen
Waffen. Und sie hatte seine Stimme fast vermisst. Nicht wirklich. Natürlich
nicht wirklich.
„Das
geht dich erst recht nichts an!“, rief sie, und ihre Fäuste zitterten an ihren
Seiten. Oh, er machte sie so wütend! Die Ravenclaws verließen gesammelt das
Zelt, und mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Hugo. Er schien Cara entdeckt
zu haben.
„Ihr
schafft das schon. Bis später“, verabschiedete er sich halbherzig von Scorpius,
und Rose gefiel es nicht.
„Halt
dich von meinem Bruder fern!“, warnte Rose ihn jetzt atemlos. Scorpius
verschränkte belustigt die Arme vor der Brust.
„Weißt
du, wie ironisch das ist?“, erkundigte er sich glatt bei ihr, und sein
Kiefermuskel zuckte in sanfter Anspannung. Roses Augen verengten sich. Ja,
vielleicht war es ironisch, aber sie brauchte jetzt wirklich nicht diese
Verbindung zwischen Hugo und Scorpius. Sie erinnerte sich daran, dass ihr
zweiter gemeinsamer Kuss, keine drei Meter weiter passiert war. Fast verloren
sich ihre Augen in seinem Anblick, in den markanten Zügen seines Gesichts, und
es zog in ihrer Mitte bei dem schlichten Gedanken, dass sie einfach nur ihre
Hand heben musste, um sein Gesicht zu berühren. Und sie sah, dass sein Blick
nicht nur ihre Augen fixierte. Er fiel, ruhte sehr kurz auf ihren Lippen, ihrem
Körper, und ihr Atem ging flacher. Die Stimmung war so greifbar angespannt, sein
Blick lud sich langsam auf, und am liebsten würde sie ihm das verdammte
Quidditchjersey über den Kopf ziehen, und-
„-Rose.“
Jetzt
verließ Presley das Zelt. Verdammt spät. Sie riss mit aller Macht den Blick von
Scorpius‘ Gesicht los. Sie versuchte, sich zu sammeln, ihre Atmung zu
beruhigen, die Röte in ihren Wangen irgendwie zu kontrollieren. „Alles ok?“,
erkundigte sich Presley bei ihr, und kurz sah er Scorpius an.
„Lass
dir hier nicht zu viel Zeit“, bemerkte Scorpius, und sie hörte auch an seiner
Stimme, dass er nicht vollkommen beherrscht klang. Nein, ganz und gar nicht.
Ihr Herz jagte immer noch, und sie zwang sich, Scorpius nicht nachzusehen, als
er Richtung Feld marschierte. Meinte er sie oder Presley, fragte sie sich
dumpf, obwohl sie wusste, seine Worte hatten Presley gegolten. Sein Blick aber
ihr.
„Ist
hier irgendwas passiert?“, wollte Presley sanft wissen, und sofort schoss Roses
Blick in die Höhe.
„Was?
Nein! Es ist gar nichts… passiert! Er ist… er ist einfach ein Arschloch!“,
flüsterte sie tonlos.
„Hey,
schon ok“, erwiderte Presley verblüfft. „Rose, was-?“ Aber sie wollte nicht
reden. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte sich nicht rechtfertigen, und was
sie als nächstes tat, war einfach nur der Katalysator ihrer inneren Gefühle.
Sie schloss den Abstand zu ihm, überraschte sich selber etwas, aber diese
angestaute Spannung, dieses verdammte Gefühl – sie musste es loswerden. Und so
entging sie seinen unangenehmen Fragen. Sie griff in sein Jersey und zog ihn zu
sich hinab, presste sich praktisch an ihn, und in massiver Ungeduld
verschlossen ihre Lippen seinen Mund.
Sie
hatte nicht geglaubt, dass ihr erste Kuss mit Presley geschah, weil sie so
unfassbar sauer auf Scorpius war, aber… so war es jetzt eben. Ihr Herz schlug
schnell, und als sich ihre Augen schlossen, sah sie Scorpius vor sich und
nicht… Presley. Und sie unterband diese Vorstellung mental auch nicht. Nicht
wirklich. Fast genoss sie die Vorstellung, dass es Scorpius war, den sie gerade
küsste – und sie war aber froh, dass er es in Wahrheit nicht war.
Presley
überwand seine Verblüffung nach wenigen Sekunden, erwiderte ihren Kuss, schlang
die Hand um ihren Nacken, und sie klammerte sich an ihn, ignorierte seinen
eigenen Duft und versuchte, sich Scorpius‘ Duft ins Gedächtnis zu rufen. Und
sie verbarg ihre Enttäuschung, denn der erste Kuss mit Presley war nichts, im
Vergleich zu ihrem ersten Kuss mit Scorpius. Oder ihrem zweiten Kuss mit
Scorpius. Oder dem dritten - Sie öffnete ihre Lippen mit aller Macht unter
seinen, und bevor sie seine Zunge spüren konnte, zog er überrascht den Kopf
zurück.
„Wow
– ok, halt!“, flüsterte er rau, aber ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Ich… finde es wirklich gut, dass… dass du mich küssen willst, aber ich brauche
einen klaren Kopf für das Spiel“, entkam es ihm abgehackt, und sie mochte
definitiv, dass er sprachlos und nervös war. Sogar seine Wangen waren eine Spur
gerötet. Und es überraschte sie wieder, dass sie tatsächlich irgendeinen Effekt
auf Jungen haben konnte. Sie hatte es nie geahnt, und noch glaubte sie es immer
noch nicht wirklich, aber… scheinbar schon?
„Aber
danach?“, wagte sie zu fragen, obwohl sie nicht übermäßig großes Interesse
hatte, diesen Kuss fortzuführen. Bis dahin würde sich ihr angespannter Körper
beruhigt haben, und sie würde nicht mehr das Verlangen verspüren, Scorpius
küssen zu müssen, und sich Ausgleich bei Presley zu suchen. Sie würde wieder
normal denken können, nach dem Spiel.
„Absolut“,
war seine sehr klare Antwort. Und vielleicht sollte sie es durchziehen.
Vielleicht musste sie Presley diese Chance geben. Er zog sein Jersey gerade,
streckte den Rücken durch und räusperte sich, etwas nervös.
„Viel
Glück“, sagte sie, ein wenig beschämt, und er schenkte ihr ein Lächeln.
„Brauchen
wir nicht“, sagte er, was er immer sagte, aber er verschonte sie mit dem Rest
des ihr nur zu bekannten Satzes. Sie hatten Albus Potter. Ja, sie wusste es.
Aber ihn konnte sie im Moment auch nicht leiden. Sie sah Presley nach, und fast
war es wie ein Schlag in die Magengrube, denn am Rand des Feldes erkannte sie
Scorpius. Und sie spürte seinen Blick nur zu deutlich. Nur zu verdammt
deutlich. Und sie konnte nicht anders, als ihn zu erwidern. Trotzig reckte sie
ihr Kinn vor. Wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag unpassenderweise.
Er
hatte es gesehen. Er hatte gesehen, dass sie Presley geküsst hatte. Und sie
wusste nicht, warum, aber sie hoffte, es störte ihn.
Sie
war unfassbar albern. Und sie war es, die den Blick als erstes abwandte. Sie
kam sich ein wenig erhaben vor, als hätte sie gewonnen. Was auch immer sie
gewonnen hatte!
Und
dann verzog sie den Mund, als ihr Blick auf Hugo fiel. Er küsste Cara
Lockhart-Grey, und sie nahm an, es war ein siegreicher Weasley-Tag. Dass Hugo
überhaupt wusste, wie man ein Mädchen küsste – es war so abwegig! Ihre Gedanken
taten ihr leid. Nicht viel, aber ein wenig. Sie unterschätzte ihren Bruder
vielleicht. Aber Hugo löste sich schließlich von der hübschen Ravenclaw,
flüsterte ihr etwas ins Ohr, und versöhnlich schien Cara zu lächeln. Dann
verschwand ihr Bruder allerdings wieder Richtung Schloss, und auch Cara zog
sich ihr Jersey zurecht. Sie bemerkte Roses Blick, und ihr Lächeln schwand.
Aber sie nickte ihr zu. Sehr sparsam. Rose fiel wieder ein, dass Cara Presleys
Exfreundin war.
Sie
hatte sich gar keine Gedanken darüber gemacht. Wieso genau wollte Presley noch
mal mit ihr zusammen sein, wenn er jemanden wie Cara gehabt hatte? Vielleicht
würde sie ihn später fragen.
Jetzt
galt es erst mal, zur Tribüne zu gehen, und das erste Mal in ihrem Leben würde
sie das Slytherin-Team anfeuern. Nicht Alby, aber immerhin Presley. Und sie
würde Scorpius nicht einmal ansehen, schwor sie sich.
Aber
kaum begann das Spiel wurde ihr klar, dass sie es nicht konnte, und sie
ertappte sich mehr als zwanzig Mal dabei, dass ihre Augen ausschließlich
Scorpius folgten. Sie konnte am Ende nicht mal sagen, ob Presley irgendeinen
Quaffel abgewehrt hatte, denn wie hypnotisiert verfolgten ihre Augen
widerwillig den grünsilbernen Treiber, der heute besonders aggressiv gegen
Ravenclaw vorging.
Rose
hasste sich selbst ein klein wenig. Aber immerhin bereute sie die Entscheidung
nicht, sich später mit Presley zu treffen, denn mit jedem aggressiven Schlag,
der Scorpius‘ Muskeln spielen ließ, biss sie sich auf die Lippe und konnte
nicht erwarten, dass das Spiel vorbei wäre.
Ihre
Anspannung verflog nämlich nicht, und das anstrengende Gefühl in ihrem
Unterleib blieb.
Und
ihr Ventil, dieses Verlangen loszuwerden, würde heute Abend Presley sein.
Er
wusste nicht, ob Albus sich extra viel Zeit gelassen hatte, den elenden Schnatz
zu fangen, aber Scorpius nahm es an. Sie waren alle durchnässt vom Nieselregen,
als sich Albus endlich erbarmte, aus höchster Höhe hinabzustoßen, und das
scheiß Ding zu fangen. Es war ein unnötig langes Spiel gewesen, und sie gewannen
nur haarscharf.
Müde
landeten sie, wurden von ihrem Haus gefeiert, und Scorpius‘ Blick folgte
Vincent Goyle und seinen Freunden, die bereits hoch zum Schloss marschierten. Und
er wusste, Albus sah ihm zu. Und Albus musste die Idee verabscheuen, dass er
sich womöglich Goyle und seinen Freunden anschließen konnte. Und es gefiel
Scorpius wirklich gut. Was ihm wirklich nicht gefiel, war, dass Rose aufs Feld
gelaufen kam. Sie ignorierte ihn und Albus, um Presley in die Arme zu fallen.
Scorpius hatte gesehen, wie sie Presley vor dem Spiel geküsst hatte. Und er
wollte nicht behaupten, sein aggressives Spiel hatte damit zu tun gehabt –
aber… dann würde er lügen. Kalte Wut hatte ihn erfasst, und immer wieder hatte
er während des Spiels zu den Tribünen geblickt, und mehr als einmal hatte sie
ihn angesehen, seinen Blick erwidert, nur um wieder wegzusehen.
Und
fast glaubte er, sie tat es mit Absicht. Er war sich nicht sicher, aber er glaubte,
auch jetzt lief sie mit Absicht zu Presley, damit er es sah. Er hasste das.
Dieses angespannte Verhältnis. Und vorhin, als sie gestritten hatten – Merlin,
ihre Augen waren nicht so zornig gewesen, wie ihre Worte es vielleicht
andeuteten. Nein, sie hatte ihn anders angesehen. Mit diesem Blick hätte er sie
gerne zurück ins Badezimmer der Vertrauensschüler gebracht, um dort
weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Verdammt. Dass Hugo ihm sein
Einverständnis gab, brachte Scorpius wenig. Denn jetzt hatte Presley gewonnen.
Auch wenn er es Rose nicht abkaufte.
Er
musste diese Gefühle aber erst mal ignorieren. Sonst würde er etwas Dummes
machen, und wahrscheinlich würde Presley ihn dann verfluchen, aus dem Team
werfen – was auch immer. Scorpius machte Kehrt, verschwand zum Zelt und hoffte,
Teil zwei des Plans funktionierte so, wie er dachte. Er hatte keine Lust, Albus
zu verprügeln – Lust schon, keine Frage, aber… es wäre dumm. Heute Morgen hatte
er sich hinreißen lassen, denn er regte ihn auf.
Und
jetzt würde Albus seine Retour bekommen. Und danach… wenn danach alles geklärt
war – dann würde er sich um Rose kümmern.
Er
zog sich um, schnell genug, um früh fertig sein, langsam genug, als dass Albus
ebenfalls fertig wurde. Und er hoffte auf eine ganz bestimmte Frage einer ganz
bestimmten Person. Und er wurde nicht enttäuscht.
„Hey,
gehst du zu ihnen? Zu Goyle und so?“ Collin wirkte sehr gespannt, sah ihn
scheinbar seit heute Morgen mit ganz anderen Augen, und Scorpius hielt sich
davon ab, die Augen zu verdrehen. Er antwortete laut genug.
„Ja“,
bestätigte er überzeugt und spürte Als Blick auf sich. Nahezu sofort.
„Ernsthaft?“,
flüsterte Collin mit großen Augen, und Scorpius zuckte die Achseln.
„Sicher.
Ich gehöre zur Elite“, räumte er überheblich ein.
„Oh, ja. Schon klar“, erwiderte Collin etwas beschämt. „Dann… viel Spaß“,
ergänzte er ehrfürchtig, und Scorpius nickte, schulterte die Tasche und verließ
das Zelt. Presley und Rose standen immer noch draußen, aber immerhin küsste sie
ihn nicht. Scorpius zwang seinen Blick in eine andere Richtung und eilte zum
Schloss. Und aus den Augenwinkeln sah er, dass Albus ihm folgte. Seine
Mundwinkel zuckten. Oh ja, Albus sollte ruhig glauben, Scorpius wäre
übergelaufen. Dieser verdammte Bastard. Es geschah ihm recht! Er wollte Albus
bestrafen. Er wusste, er hatte es damals nicht so gemeint, aber er wollte die
Entschuldigung von ihm. Er bestand darauf. Er würde es ihm nicht einfach
machen.
Er
erreichte müde das Schloss und erklamm die vielen Stufen in genau dem richtigen
Tempo, so dass Albus ihm scheinbar unauffällig folgen konnte.
Endlich
kam er oben an, zum Flur des Trophäenzimmers, und ein sanftes Flimmern lag über
dem Durchgang. Der Zauber war aktiviert. Hinterm ihm erreichte Albus den Flur,
und mit selbstbewussten Schritten durchquerte Scorpius den Flur, hielt vor dem
goldenen, undurchsichtigen Schimmer an und legte probehalber die Hand auf das
Gold. Es gab nicht nach.
„Ich
bin Scorpius Malfoy. Lasst mich eintreten“, rief er dann, und tatsächlich
teilte sich der goldene Schleier keine zwei Sekunden später, und mit
angehaltenem Atem glitt er durch den Bann.
Kurz
befürchtete er, dass der Plan doch nicht funktioniert hatte, aber dann erkannte
er Hugo. Dieser lehnte gelangweilt an einer der Vitrinen. Und neben ihm stand
Lorcan Scamander. Dafür, dass Hugo das Spiel versäumte, um das Trophäenzimmer
vor Goyle und seinen Freunden in Beschlag zu nehmen, um Albus auf die falsche
Fährte zu locken, hatte Scorpius Hugo versprochen, dass er den Abend heute mit
ihm und Lorcan verbrachte. Hugo war ein wenig kryptisch gewesen, aber Scorpius
glaubte, verstanden zu haben, dass Lorcan auf ihn stand.
Aber
um Al eins auszuwischen tat er vieles.
„Na,
gewonnen?“, erkundigte sich Hugo, und Scorpius nickte, warf die Tasche in die
Ecke und streckte sich.
„Ja,
nachdem Albus sich eine Stunde Zeit gelassen hat, das scheiß Ding zu fangen.
Eigentlich müsstest du Cara trösten gehen“, bemerkte er spöttisch und schloss
den Abstand zu den Jungen.
„Später“,
winkte Hugo lässig ab, und fast musste Scorpius grinsen. „Ist Albus dir
gefolgt?“, fragte er gespannt, aber Scorpius musste lächeln.
„Oh
ja. Alles, wie geplant“, bestätigte er, und Hugo grinste ein
Weasley-Lächeln. Wie selbstverständlich
sich Hugo in seinen Weasley-Genen zurecht fand. James wäre so stolz auf ihn.
„Scorpius Malfoy“, stellte er sich anschließend Lorcan vor und reichte ihm die
Hand. „Danke für diesen kleinen Streich“, ergänzte er. Lorcan tauschte einen
knappen Blick mit Hugo, bevor er scheu Scorpius‘ Hand schüttelte.
„Lorcan
Scamander.“
„Du
bist der hochbegabte Scamander aus dem fünften Jahr, richtig?“, vermutete
Scorpius, war aber zuvor von Hugo instruiert worden.
„Also…
keine Ahnung, ob… ich…- aber ja, ich bin aus dem fünften Jahr.“ Schnell zog
Lorcan die Hand wieder zurück und zückte den Zauberstab. Stumm vollführte er
einen wesentlich fortgeschritteneren Trockenzauber aus, und überrascht stellte
Scorpius fest, dass sich seine Kleidung nicht nur knitterfrei an seinen Körper
schmiegte, sondern auch noch nach Minze duftete.
„Wow.
Danke. Nützlicher Zauber“, entfuhr es ihm.
„Nicht
der… nicht der Rede wert“, winkte Lorcan ab.
„Hast
du den Bannzauber auf die Tür gelegt? Das ist wirklich-“
„-ach
halt schon den Mund, Malfoy“, unterbrach Lorcan ihn und verdrehte die Augen.
„Keine Ahnung, was du Hugo schuldest, aber… ich weiß, du stehst auf Mädchen.“
Scorpius tauschte einen Blick mit Hugo.
„Das…
macht es nicht zwangsläufig einfacher“, erwiderte Scorpius nach einer kleinen
Weile.
„Nein,
wahrscheinlich nicht. Und ich bin auch nicht hier, um dich kennenzulernen,
falls du schon Angst vor mir hast“, ergänzte Lorcan bitter, aber diesmal musste
Scorpius lachen.
„Ich
habe keine Angst. Ich glaube, den Abend mit euch zu verbringen, ist um einiges
angenehmer, als woanders“, schloss er bloß.
„Meint
er das ernst?“, erkundigte sich Lorcan spöttisch bei Hugo, aber dieser schien
einigermaßen erleichtert zu sein.
„Keine
Ahnung, Lorcan“, sagte Hugo. „Aber… es gibt da einen Ort, wo wir tatsächlich Spaß
haben könnten“, bemerkte er geheimnisvoll. Und dann sah er ihn direkt an. „Wo
willst du hin?“, fragte er ihn.
„Was?“,
entfuhr es Scorpius verwundert, aber Lorcan musste auch grinsen.
„Ja,
egal, wohin, Malfoy. Such dir was aus.“
„Wie
soll das gehen?“, wollte Scorpius wissen.
„Das
muss deine Sorge nicht sein. Sagen wir, du… möchtest Roses Zimmer Zuhause sehen
– das wäre kein Problem, oder Hugh?“ Er sah Hugo grinsend an. Hugo verdrehte
die Augen.
„Ich
erzähle dir zwar nie wieder ein Geheimnis, Lorcan, aber nein. Es wäre… kein
Problem“, bestätigte Hugo grimmig. Scorpius Mundwinkel hoben sich langsam.
„Ihr
wisst, wo er ist? James und Fred suchen ihn seit Jahren!“, entfuhr es ihm
ungläubig. „Der Raum der Wünsche?“, ergänzte er, und Lorcan nickte beiläufig.
„James
und Fred mangelt es an Intelligenz“, erläuterte Lorcan achselzuckend. Und kurz
dachte Scorpius nach, ehe er die Arme vor der Brut verschränkte.
„Ok.
Dann möchte ich in Roses Kinderzimmer“, bestätigte er lächelnd, und Hugo
stöhnte auf.
„Ausgezeichnete
Wahl“, entgegnete Lorcan. „Komm schon, Weasley“, ergänzte er in Hugos Richtung,
und widerwillig setzte der große Weasley sich in Bewegung. Der Abend wurde doch
noch lustig.
Sie
war ganz froh gewesen, dass James Presley in den Gemeinschaftsraum eingeladen
hatte, und Rose und Presley nichts weiter hatten tun können, als Händchen zu
halten und einen keuschen Gutenachtkuss auszutauschen, als es Zeit für Presley
wurde, zu gehen.
Sie
hätte mehr auch nicht über sich gebracht. Solange Scorpius in Sicht war,
erfüllte sie die verbotene Anspannung, aber wenn er nicht da war, dann… verlor
sie die blinde Sicherheit. Es war krank von ihr. Jetzt stand sie über das Buch
gebeugt, und vergaß beinahe, dass sie Zaubertränke mit den Slytherins hatten.
Dom
neben ihr gähnte, aber Rose war fest davon überzeugt, diesen Trank korrekt zu
brauen. Fast hoffte Rose, dass Snape auftauchte, denn sie wollte ihm beweisen,
dass sie wusste, was sie tat. Ab und an drehte Professor Longbottom eine Runde um
ihren Tisch, und tatsächlich nickte er anerkennend, als er einen Blick in ihren
Kessel geworfen hatte.
„Willst
du Klassenbeste werden?“, wollte Rumer leise von ihr wissen, und Rose wusste
nicht wirklich, warum, aber sie hatte das Gefühl, sie und Rumer hatten sich
weit auseinander gelebt. Vielleicht, weil sie ihr Dinge verschwieg, aber…
vielleicht auch, weil Rumer etwas zu verschweigen hatte? Rose war sich nicht
sicher.
„Nein“,
flüsterte Rose lächelnd. „Ich will Dinge nur richtig machen“, ergänzte sie stiller.
Und selbst bei dieser Aussage, war sie sich mehr als unsicher.
„Oh
nein“, erwiderte Rumer plötzlich, außerhalb des Kontextes, denn die Lampen
hatten begonnen zu flackern. Aber Rose musste lächeln. Ja! Er kam! Anspannung
legte sich über die Schüler. Professor Longbottom zog bereits den Zauberstab,
immer bereit, den Patronus zu rufen. Snape materialisierte aus der
gegenüberliegenden Wand und rauschte zwischen den Schülern durch die Gänge.
„Mal
wieder spät dran“, bemerkte Professor Longbottom gereizt. Snape sah aus wie
immer. Den Blick abweisend, die Kleidung milchig schwarz, und sein Ausdruck
recht mitleidslos. Und Rose nahm ihren Mut zusammen.
„Professor
Snape“, sagte sie laut, und tatsächlich hob der Geist den Blick. „Ist die
Konsistenz in Ordnung?“ Die anderen Schüler starrten sie verständnislos an, und
schließlich schwebte der Geist neben sie, warf einen abschätzenden Blick in den
Kessel, aber Rose konnte ihr Lächeln kaum verbergen.
„Etwas
dünn“, kritisierte der Geist mit rauer Stimme.
„Ich
glaube nicht, Sir“, widersprach Rose selbstbewusst.
„Sie
widersprechen mir, Miss Granger?“ Der alte Blick des Geistes flog über ihre
Erscheinung.
„Ich
denke, Sie wissen, dass ich nicht Granger heiße, Sir“, erwiderte sie still.
„Mein Name ist Rose Weasley.“ Sie mied seinen Blick nicht, sah ihm direkt in
die dunklen Augen, und sein Blick verengte sich prüfend. Ihre Worte schienen
für ihn wenig Sinn zu machen.
„Weasley?“,
wiederholte Snape dann langsam. Sie nahm an, er kannte die Weasleys. Gut genug,
wenn sie den Geschichten ihrer Eltern Glauben schenken konnte. Sie war sich den
Blicken der anderen nicht gewahr. Sie sah nur aus den Augenwinkeln, dass
Professor Longbottom den Zauberstab unschlüssig senkte. „Ich erinnere mich“,
schloss der Geist irgendwann mit gerunzelter Stirn. „Sie weinten“, fuhr er
tonlos fort, und Rose stockte kurz der Atem. Verdammt. Daran erinnerte er sich
jetzt ausgerechnet. Aber sie streckte den Rücken durch.
„Ja“,
wisperte sie fast und nickte knapp. Dann klärte sich sein Blick plötzlich, und
eine ungewohnte Klarheit trat in seine Augen, ließ sie dunkler erscheinen, viel
lebendiger als jemals zuvor. Und als er sprach, klang eine tiefe Traurigkeit
aus seinen Worten, und seine Stimme hatte den ätzend überheblichen Klang
verloren.
„Dann
können Sie mir nicht helfen“, schloss er beinahe ruhig, beinahe resignierend.
Er rauschte durch den Tisch, direkt durch die geschlossene Tür hinaus, und Rose
hatte nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte.
„Was…
was war das?“, zischte Rumer neben ihr. Roses Atem ging schnell. Sie wusste es
nicht. Was meinte er damit?
„Keine
Ahnung“, flüsterte sie. Aber sie würde dieser Sache auf den Grund gehen. Snapes
Geist schien lichte Momente zu haben, und sie brauchte diese Moment, um ihn zu
fragen, was ihn hier hielt und warum… er je geglaubt hatte, dass sie ihm hätte
helfen können! Und warum es jetzt nicht mehr so war!
Sie
wusste nicht, ob es ihre Aufgabe war, aber sie hatte es im Gefühl. Es war
eigenartig und ängstigte sie ein wenig.
„Und
du hast geweint?“, ergänzte Rumer prüfend, aber Rose mied ihren Blick. Darüber
wollte sie jetzt nicht mehr reden. Am besten nie mehr.
„Die
Show ist vorbei. An die Arbeit, Leute“, unterbrach Professor Longbottom das
Gemurmel streng, und alle konzentrierten sich stöhnend auf ihre Tränke.
Auch
als es läutete, ließ sich Rose ein wenig mehr Zeit, als die anderen, falls
Rumer auf die Idee käme, sie ausführlicher zu fragen, weshalb sie geweint
hatte. Außerdem wartete James bereits im Türrahmen darauf, dass Rumer ihre
Sachen packte, also hatte Rose Glück. Mehr oder weniger, denn auch Malfoy ließ
sich lästig viel Zeit. Alby verließ den Klassenraum einigermaßen zornig und
ignorierte sie beständig, und Rose hatte keine Lust mit Malfoy übrig zu
bleiben. Sie beeilte sich, brachte ihren sauberen Kessel endlich zu den
Schränken, aber kaum hatte sie ihn abgestellt und sich wieder umgewandt, stand
er hinter ihr.
Sie
nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen, und sein Kopf legte sich
minimal schräg.
„Du
stehst im Weg“, informierte er sie, und sie schreckte aus ihrer Starre wieder
in Bewegung, schob sich grob an ihm vorbei, ging zu ihrem Gruppentisch zurück,
und die letzten Schüler verließen den Klassenraum. Nur noch sie und Scorpius
blieben zurück. Hastig packte sie ihre restlichen Utensilien in ihre Lederrolle
und stopfte diese in ihre Tasche. Sie spürte ihn deutlich hinter sich, als er
wieder zurückging.
„Wann
hast du geweint?“, fragte auch er sie still, und ein Schauer befiel sie, denn
er stand sehr nahe hinter ihr. Er hatte Snape also auch zugehört. Rumer durfte
das. Er durfte das nicht!
„Habe
ich nicht“, brachte sie nervös hervor und wagte nicht, sich zu rühren, denn sie
glaubte, würde sie sich nur einen Millimeter bewegen, würde sie gegen seinen
Körper stoßen.
„Nein?“,
fragte er sie jetzt, und sie hörte, er glaubte ihr nicht. „Warum hast du
Presley geküsst?“, wechselte er so plötzlich das Thema, dass sie scharf
einatmete.
Und
sie wandte sich zu ihm um. Merlin, war er nahe.
„Was?“,
entfuhr es ihr ungläubig, und sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht.
„Gestern.
Oder stimmt das auch nicht? Hat er dich geküsst?“, fuhr er stiller fort, und
kurz fiel sein Blick auf ihre Lippen. Unbewusst leckte ihre Zunge über ihre
trockene Unterlippe, und sein Blick hob sich langsam wieder.
„Ich…“,
begann sie hilflos, aber sie zwang sich, den Rücken durchzustrecken. „Wir sind
zusammen. Presley und ich“, erklärte sie, so würdevoll sie konnte.
„Glückwunsch“,
entkam es ihm unaufrichtig und kalt. „Und küsst er gut?“, wollte er wissen, den
Hauch an Spott in der stillen Stimme.
„Ja!“,
behauptete sie blind, obwohl es nicht so gut war, wie sie gehofft hatte.
„Ja?“
Es verließ als eigenartige Frage seinen Mund. Fast klang er unsicher, aber nur
fast.
„Ja“,
log sie tonlos. Ihr Herz schlug verräterisch laut.
„Hast
du wegen mir geweint?“, fragte er plötzlich, und sie blinzelte hastig. Wieso
tat er das? Wieso wechselte er das Thema ständig? Wieso glaubte er ihr nicht?
„Nein“,
sagte sie kopfschüttelnd. „Wie du schon sagtest, es war ohnehin nicht
sonderlich gut gewesen“, wiederholte sie seine widerlichen Worte, und seine
Mundwinkel hoben sich tatsächlich. Nicht viel, aber ausreichend, um sein
trauriges Lächeln zu offenbaren.
„Richtig“,
bestätigte er dumpf. Dann machte er einen Schritt zurück, und sie hatte das
Gefühl, endlich wieder atmen zu können. „Nett, mit dir geredet zu haben, Rose“,
verabschiedete er sich von ihr, und sie sah ihm steif nach, konnte ihre Atmung
nur mit Mühe kontrollieren. Sie hasste ihn. Allein für dieses Gefühl! Wo war
Presley, verdammt? Sie musste irgendwen küssen! Jetzt!
Pünktlich
zu Sonnenuntergang hatte er die Gewächshäuser erreicht. Zu seiner Überraschung
war Al schon da. Interessant, wo er doch sonst nie pünktlich war. Scorpius dachte
noch immer an Rose, an die seltsame Zaubertränkestunde, und er hatte schon
überlegt, Snapes Geist aufzusuchen, ihn selber zu fragen, warum Rose geweint
hatte, aber wahrscheinlich wäre das verrückt von ihm.
Und
es war so ein Adrenalinstoß gewesen, zu trödeln, länger im Klassenraum zu
bleiben, sie ein wenig zu ärgern, und zu sehen, was für ein schlechter Lügner
sie war. Er war sich sicher, hätte er sie nach Zaubertränke einfach geküsst –
sie hätte ihn gelassen! Sie hätte es gewollt! Merlin, sie beendete diese Affäre
und überließ es ihm, durchzuhalten. Es war anstrengend. Es half nicht, dass er
sie wollte und nicht haben durfte. Aber er musste sich daran erinnern, dass sie
lieber mit Presley zusammen war, als gegen ihre Familie vorzugehen, sich
einzugestehen, dass sie ihn… mochte – und deshalb konnte er nicht. Er konnte es
ihr nicht antun. Er wusste nur nicht, wie lange er warten konnte.
Als
Ausdruck war tausend Galleonen wert. Scorpius glaubte, Al war noch wach
gewesen, als er gestern in den Schlafsaal zurückgekehrt war. Ob Al dachte, er
hätte den Abend tatsächlich mit Goyle verbracht? Das alleine heiterte Scorpius
allerdings auf. Als er und Hugo und Lorcan das Trophäenzimmer verlassen hatten,
war Al bereits verschwunden gewesen. Wahrscheinlich aus Wut abgehauen.
„Hey
Arschloch“, begrüßte Al ihn tatsächlich, und Scorpius vermied, zu lächeln. Oh
ja, er beachtete ihn. Gut.
„Gleichfalls“,
knurrte er knapp, und schon kam Professor Longbottom aus einem der
Gewächshäuser.
„Super,
dass hier da seid“, begrüßte er sie spöttisch. „Handschuhe anziehen und mir
folgen“, informierte er sie, nachdem er sie knapp betrachtet hatte. „Die
Alraunen ernten sich nicht von selbst“, bemerkte er spitz, und Scorpius bückte
sich nach den Handschuhen, die Longbottom ihnen vor die Füße geworfen hatte. Er
hasste die Alraunen. Sie schrien und bissen und waren generell eher nervige
Geschöpfe. Im Gewächshaus war es allerdings wärmer und sie konnten ihre Jacken
ausziehen. Al warf den zitternden Gewächsen einen prüfenden Blick zu, und Scorpius
hoffte, sie bissen ordentlich zu. Zumindest bei Al.
„Macht
keinen Quatsch, oder ihr könnt euch morgen Abend noch mal hier einfinden, und
den Kröterdünger schaufeln“, warnte Longbottom sie scharf, und Scorpius würde
sich hüten, noch mehr Strafen aufgedrückt zu bekommen. Longbottom ließ sie
allein, und fast stoisch begann Albus die Geschöpfe auszugraben. Scorpius
folgte seinem Beispiel, und stumm erduldeten sie die schreienden Kreaturen, die
um sich schlugen, und nur knapp entgingen sie beide, direkten Attacken ins
Gesicht. Sie arbeiteten sicher eine halbe Stunde und schafften eine ganze
Reihe. Blieben noch drei weitere. Die Alraunen waren still, nachdem sie
umgetopft worden waren, und Scorpius wischte sich über die Stirn, genoss die
kurze Stille, und bevor Albus sich der zweiten Reihe zuwenden konnte, sprach
Scorpius mit Bedacht.
„Ich
hatte gestern ziemlich viel Spaß“, bemerkte er lächelnd, aber Albus‘ Ausdruck
verhärtete sich, ohne ihn anzusehen. Und tatsächlich hatte er Spaß, denn Lorcan
und Hugo hatten tatsächlich den Raum der Wünsche gefunden, und sie waren in
Roses Zimmer gewesen. Es war unordentlich, chaotisch, absolut Rose. Was sie
alles aufbewahrte und sammelte. Er war sich nicht sicher, ob es tatsächlich die
exakte Abbildung von Roses Zimmer gewesen war, aber Hugo hatte ihm versichert,
dass der Raum der Wünsche die Essenz von Roses Zimmer sehr gut widerspiegelte.
Und sie besaß jede Zeitschrift der Sheffield Shooters. Keine alten Schulbücher
hatte er geordnet und sortiert irgendwo stehen sehen – aber eine
Quidditchzeitschriften-Reihe, da behielt sie Ordnung. Auch Roses Tagebuch hatte
Lorcan inmitten des Chaos‘ unter ihrem Bett entdeckt, allerdings hatten sie
alle wenig Lust gehabt, hineinzusehen, um vielleicht höchsten die Auflistung
der letzten Quidditchergebnisse zu finden. Es war nur ein harmloser Ausflug
gewesen. Und Scorpius‘ Herz hatte ihm trotzdem bis zum Hals geschlagen, denn…
sich alleine vorzustellen, im Haus der Weasleys zu sein – mit Mr. Weasley unten
im Wohnzimmer… erfasste ihn mit stummer Furcht. Darüber hatte er nicht
gesprochen. Darüber wollte er noch immer nicht nachdenken.
„Interessiert
mich einen Scheißdreck.“ Als Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.
„Mh“,
machte Scorpius nachdenklich. „Warum bist du mir dann gefolgt?“, wollte er von
ihm wissen, und zornig hob Albus den Blick. Ein unbemerkter Flecken Erde klebte
auf seiner Stirn.
„Das
hättest du wohl gerne. Als ob!“, knurrte er. Er war sehr leicht zu durchschauen.
„Ich
habe dich gesehen“, beharrte Scorpius nachsichtig.
„Schön
für dich! Was stört es dich noch? Du hast deine neuen Freunde, also lass mich
in Ruhe. Ich will hier fertig werden!“, blaffte er zornig.
„Du
denkst das wirklich?“, fragte Scorpius, als Albus zornig in die frische Erde
griff, um die nächsten Alraunen umzutopfen. „Dass ich zu ihnen gehe?“,
vergewisserte er sich ungläubig, aber Albus sah ihn nicht an.
„Warum
nicht? Du bist ein scheiß Arschloch, dass nicht mal-“ Aber Scorpius schloss den
Abstand. Albus zog die Hände aus der feuchten Erde zurück, bereit, zuzuschlagen
und fixierte ihn mit schmalen Augen.
„-anstatt
mich zu beleidigen, könntest du dich entschuldigen“, bot Scorpius ihm ruhiger
an, und Albus fixierte ihn zornig.
„Denkst
du das? Dass ich mich beim arroganten Lord Malfoy entschuldige? Wofür? Dass ich
alleine war und du dich mit Rose vergnügt hast? Dafür, dass du mich
hintergangen hast?“
„Dafür,
dass du mich beleidigt hast.“ Scorpius mied seinen Blick nicht, und Albus
verzog den Mund.
„Ich
hatte nicht Unrecht!“, fuhr Albus ihn an. „Wenn du dich mit diesen Vollidioten
triffst-“
„-habe
ich nicht“, unterbrach er ihn gereizt. Albus schwieg abrupt. „Ich habe Hugo
gebeten, den Raum vor Goyle zu belegen.“
„Hugo?“,
wiederholte Albus ungläubig, und Scorpius verzog den Mund.
„Ja.
Dein Boss?“, machte er es deutlich, Spott auf den Lippen. Albus‘ Ausdruck
verfinsterte sich, aber er schien zu verstehen.
„Er
ist nicht mein Boss! Ich brauche nicht-“
„-Albus!“,
unterbrach Scorpius ihn gereizt. Wütend sah Albus ihn an. Es war so verdammt
schwer. „Schluss damit!“, entfuhr es ihm erschöpft. „Wieso… wieso streiten wir?
Ganz klar stört es dich, würde ich tatsächlich meine Zeit mit Goyle und seinen
Vollidioten verbringen-“
„-tut
es nicht!“, widersprach Albus, aber schon fast halbherzig.
„Und
dir ist klar, dass Rose-“
„-nein!“,
unterbrach Al ihn scharf, wollte ihn am Sprechen hindern, aber Scorpius achtete
nicht auf ihn.
„Dir
ist klar, dass Rose deine Gefühle nicht erwidert!“, beendete er den Satz
trotzdem. „Du weißt das!“
„Fick
dich, Malfoy!“, spuckte er ihm entgegen.
„Al!“,
ermahnte er ihn fast ungläubig.
„Was?“,
entfuhr es Albus verzweifelt. „Was willst du? Dass ich es sage? Schön! Ja, sie
will mich nicht! Ich hab’s kapiert, ok?“, knurrte er.
„Warum
bist du dann-?“
„-weil
es wehtut!“, brüllte Al, ohne Zögern, ohne es verhindern zu können. Seine Augen
glänzten jetzt verdächtig. „Weil es verdammt noch mal wehtut, Scorpius! Rose zu
verlieren! Dich zu verlieren!“
„Du
hast mich nicht verloren! Und Rose ebenso wenig, du blöder Idiot!“, fuhr er ihn
an. „Die Mädchen stehen auf dich, ok? Ich weiß nicht, warum es dir so schwer
fällt, dich für eine andere zu entscheiden. Und du brauchst nicht-“
„-ich
weiß es nicht, Scor! Ok? Ich weiß es nicht! Denkst du, ich… will das? Das
alles?“ Als Atem ging schnell, und Verzweiflung klang in seiner wütenden Stimme
mit. „Ich-“
„-du
hast mich geschlagen!“, erinnerte er ihn zornig.
„Ich
weiß!“ Fast klang er eine Spur beschämt.
„Du-“
„-liebst
du sie?“, unterbrach Al ihn mit flachen Atemzügen.
„Was?“,
entfuhr es Scorpius sofort, und sie sahen sich an.
„Nuschel
ich?“, entkam es Al, und er fixierte ihn genau. „Ob du sie liebst?“,
wiederholte er gnadenlos, und Scorpius‘ Mund öffnete sich hilflos und schloss
sich wieder.
„Am
besten beantworten Sie die Frage, damit Sie hier weiterarbeiten können,
ansonsten dürfen Sie die ganze Woche hier antanzen“, unterbrach Longbottoms
Stimme ihren Streit, und beide Junge zuckten zusammen. Er lehnte in der Tür zum
Gewächshaus. „Wissen Sie, es interessiert mich alles wenig. Anscheinend sind
meine Drohungen allesamt wirkungslos – also beenden Sie diesen dummen Streit
und topfen Sie die verdammten Alraunen um, oder Slytherin darf zukünftig ohne
den Star-Sucher spielen“, warnte er sie bedächtig, bevor er kopfschüttelnd das
Gewächshaus wieder verließ. Ein wenig beschämt standen sie voreinander.
„Ich…
wollte dich nicht schlagen“, entfuhr es Al schließlich tonlos.
„Und
ich wollte dich wirklich suchen“, erwiderte Scorpius schwach. „Damals.
Wirklich!“, beteuerte er still.
„Dann…
warst du nicht bei Goyle?“, wollte Albus schließlich wissen, und Scorpius
schüttelte den Kopf.
„Nein“,
bestätigte er tonlos.
„Und
wirst du… wirst du dich von Rose fernhalten?“ Es klang kaum wie eine Drohung,
und Scorpius antwortete wahrheitsgemäß.
„Wenn
sie das will, ja.“ Kurz huschte ein Schatten über Als Gesicht, und Scorpius
seufzte schließlich. „Und wenn du es willst, dann… dann halte ich mich fern.“
Kurz zögerte Albus, bevor er schließlich seufzend die Augen verdrehte.
„Oh
bitte“, entkam es ihm, und kurz zuckte der Spott um seine Mundwinkel. „Ich bin
kein Arschloch“, entfuhr es ihm. Aber Scorpius legte den Kopf schräg.
„Seit
wann das nicht?“, wollte er mit erhobenen Augenbrauen wissen, und dann hoben
sich Als Mundwinkel. Und fast überkam Scorpius die Erleichterung. Und fast
fühlte es sich an, als müssten sie sich umarmen, aber… so etwas taten sie nicht
wirklich. Stattdessen beugte sich Al über die zweite Reihe an zuckenden Alraunen.
„Könnte
deine Hilfe gebrauchen. Die scheiß Biester beißen“, ergänzte er missmutig, und
mit einem schmalen Lächeln schloss Scorpius den Abstand zu ihm. Nebeneinander
durchwühlten sie die Erde, und es hatte etwas Befreiendes an sich, endlich
wieder zusammenzuarbeiten. Endlich wieder ein Team zu sein. Sei es auch nur,
während sie ächzend und stöhnend, gefährliche, kleine Biester mit
messerscharfen Zähnen umtopften.
Fast
war er gelangweilt. Wirklich nur fast, denn anscheinend tat sich etwas, im
Gefüge seiner unübersichtlichen Familie. Er apparierte quer durch die Halle,
denn… apparieren konnte er längst. Selbst große Distanzen, Merlin noch mal. Er
landete in der Ecke der Slytherins, und Albus zuckte erfreulicherweise
zusammen.
„Hallo
Angeber“, begrüßte Scorpius ihn konzentriert. Hugos Mundwinkel hoben sich.
„Ich
gebe nicht an. Ich kann es einfach“, erwiderte Hugo lächelnd.
„Schön
für dich“, knurrte Albus neben Scorpius.
„Darf
man gratulieren?“, wollte Hugo fast spöttisch wissen. Albus hob grimmig den
Blick.
„Darf
man dir ins Gesicht schlagen?“, konterte sein Cousin böse.
„Ist
der Streit begraben?“, wandte sich Hugo an Scorpius, denn mit Albus zu sprechen
war, wie immer, ermüdend. Scorpius lächelte knapp.
„Keine
Ahnung. Al?“, wandte er sich an ihn, und Albus verdrehte die Augen.
„Mach
da nicht so ein Schul-Drama draus!“, fuhr er Scorpius stiller an, aber Scorpius
grinste und legte den Arm um Albus‘ Schulter.
„Er liebt
mich“, bestätigte Scorpius nickend, aber sofort schubste ihn Albus zur Seite.
„Scor,
ich schlage dich!“, warnte sein Cousin jetzt grimmig, aber Hugo war tatsächlich
erleichtert und gleichzeitig… noch etwas anderes.
„Gut
für euch“, erwiderte er nickend. „Wirklich gut.“ Und dann wandte er sich ab. Er
nahm an, er wurde hier nicht weiter gebraucht. Scorpius hatte seinen besten
Freund wieder, sie hatten sich irgendwie vertragen, und er war… einfach nur
noch überflüssig.
„Bleib“,
hörte er Scorpius‘ Stimme. „Zeig uns, wie man appariert.“ Langsam wandte sich
Hugo ihnen zu. Sein Blick galt Albus, und er wusste nicht sicher, wo sie
eigentlich standen. Albus hatte ihn gedeckt, damals im Haus der Blacks. Er
hatte sich nicht bei ihm bedankt, sie hatten gar nicht mehr gesprochen, und
anscheinend tat Albus Scorpius diesen Gefallen, denn er erwiderte Hugos Blick.
„Bin
ich auch für“, räumte Albus ruhiger ein. „Und dann kannst du uns erklären, wie man
als fünfzehnjähriger Streber ein Mädchen wie Cara Lockhart-Grey bekommt“,
ergänzte er, mit einem Blick durch die Halle, wo seine Freundin ebenfalls
Fortschritte beim Apparieren machte.
Hugo
lächelte still. Eigentlich hatte er kaum damit gerechnet, dass Cara überhaupt
noch mit ihm sprechen würde, und wahrscheinlich tat sie es auch nur noch unter
der Voraussetzung, dass er praktisch jeden Fetzen Freizeit mit ihr verbrachte.
Mädchen waren eigenartig, aber Hugo hatte immensen Gefallen an der physischen Aufmerksamkeit
gefunden, die Cara ihm zeigte.
Und
vor allem… musste er über Rumer hinweg kommen. Eine Sache stand wohl fest:
Rumer wollte ihn nicht. Und dass er sie in seinem Kopf hatte, wenn er mit Cara
zusammen war, war einfach nur traurig. Cara war die bessere Wahl – ganz
einfach, weil sie sich sonst niemand für ihn interessierte. Lorcan hatte ihm
schon gesagt, dass er sich solche Sorgen überhaupt nicht machen sollte, sich
aufs Lernen zu konzentrieren hatte – aber Hugo war nicht wie Lorcan. Er konnte
nicht plötzlich wieder die Augen verschließen, so tun, als wäre er nicht in
ihrem Mund gekommen – es war unglaublich gewesen. Und ja, er hasste das Leben
seiner Cousins und der quidditchspielenden Vollidioten, aber… es hatte seine
Vorzüge ein Idiot zu sein. Definitiv.
„Ich
bin ein kluger Junge. Das ist alles“, beantwortete er Albus‘ Frage ruhig.
„Ja,
sicher“, bemerkte Albus spöttisch. Hugo antwortete darauf nichts.
„Also?“,
sagte er schließlich, die Herausforderung im Blick. „Schaffst du es bis zum
Ende der Halle?“, fragte er Albus, und dieser schien kurz zu überlegen, ob er
sich ernsthaft auf diese Herausforderung einlassen sollte, bevor er ausatmete.
„Mal
sehen“, entgegnete er lediglich, drehte sich um sich selbst und verschwand
tatsächlich. Aber er schaffte nur die Hälfte der Distanz. Trotzdem war es
beeindruckend dafür, dass Albus eigentlich nie lernte, nichts für irgendetwas
tat, und solche Menschen musste es wohl auch geben.
Dann
zuckten er und Scorpius zusammen, aber Scorpius reagierte sehr schnell, denn
eine Person apparierte aus dem Nichts zwischen sie, hatte aber zu viel
Beschleunigung drauf, und geistesgegenwärtig hatte Scorpius ihren Arm ergriffen
und hielt sie davon ab, schmerzhaft zu stürzen.
„Oh!“,
entfuhr es Dominique atemlos und sie rappelte sich hastig auf, um ihre Haare zu
ordnen. Hugo wusste nicht, ob dieser ‚Unfall‘ beabsichtigt war. Aber den Scham
spielte sie sehr gut, denn Dominique wurde tatsächlich rot und ihr Blick fiel.
„Alles
ok?“, fragte Scorpius sie gefasst, und Dominique schien hin und her gerissen zu
sein, wütend zu werden oder gar nichts zu sagen.
„Ja“,
entschied sie sich schließlich für den diplomatischeren Weg, fuhr sich noch
einmal über die glänzend blonden Haare, und scheu hob sich ihr Blick zum
Gesicht ihres Exfreundes. „Danke“, ergänzte sie still, bevor sie sich abwandte
und wieder zu ihrer Gruppe zurücklief.
„Das
war Absicht“, bemerkte Hugo schlicht. Seine Augen folgten seiner verschlagenen
Cousine.
„Was?
Glaube ich nicht“, entgegnete Scorpius, und auch er sah Dominique nach.
Dominique war nicht sonderlich clever, beherrschte nicht viele Dinge sonderlich
gut, aber Hugo nahm an, für so eine Situation würde sogar seine oberflächliche
Cousine ein wenig üben.
„Hm“,
machte Hugo abwehrend. Dominique hatte die anderen Mädchen wieder erreicht und
verbarg kopfschüttelnd den Kopf in ihren Händen, allerdings sah Hugo, dass Rose
zu ihnen sah. Und er nahm an, auch seine Schwester wusste, dass Dominique
solche Dinge mit Absicht tat. Hugo wusste, er tat sich schwer mit zwischenmenschlichen
Ebenen, und deshalb würde er nie wieder mit Rumer auch nur ein Wort über ihren
Kuss wechseln, aber er hoffte, dass seine Schwester anders war. Dass sie ihren
Gryffindor-Stolz irgendwann überwand und… mit Scorpius sprach. Nicht, weil er
diese Verbindung großartig fand, aber… sie war ehrlicher als die Sache, die
Rose mit Presley veranstaltete. Nicht, dass ihm Presley sonderlich leid tat.
Nein. Aber… Scorpius tat ihm leid.
Und
er fürchtete, dass sich sein neu gewonnener… Freund? Bekannter? Dass er sich
vielleicht irgendwann ablenken ließ, und den Trost bei Dominique fand, so wie
Hugo ihn bei Cara suchte.
Es
würde sich zeigen. Albus kam zurück zu ihnen.
„Wieder
Kontakt mit Dom?“, sprach er Scorpius direkt an, und dieser verdrehte die
Augen.
„Nein.
Es war Zufall. Ich bin froh, dass sie nicht mehr weint oder schreit“, ergänzte
er, ein wenig erleichtert.
„Pass
auf mit den Weasley-Mädchen“, sagte Albus schließlich achselzuckend. „Sie sind
den Aufwand nicht wert.“ Hugo sah ihm direkt ins Gesicht, aber Albus erwiderte
seinen Blick nicht. Und Hugo wusste nicht, ob Rose irgendeinen Aufwand wirklich
wert war. Im Moment verhielt sie sich so kindisch, wie Dominique es tat. Wenn
nicht noch kindischer.
Am
Wochenende stand die große Party bevor. Sie dachte häufiger daran, jetzt, wo
der Termin näher rückte.
„Rose?“,
unterbrach Presley ihre Gedanken, und sie schreckte fast aus ihren Gedanken.
Sie saßen nebeneinander auf der Couch im Gemeinschaftsraum, und Presley hatte
begonnen, ihren Nacken zu küssen. „Ich leiste hier beste Verführungsarbeit“,
murmelte er in ihr Ohr. „Und ich habe das Gefühl, es interessiert dich nicht.“
Sie schenkte ihm ein Lächeln, lehnte sich näher zu ihm und küsste ihn sanft auf
die Lippen.
„Sorry“,
murmelte sie lediglich. „Ich… habe nachgedacht.“
„Sehr
gefährlich“, entgegnete er spöttisch. Er hatte ein hübsches Gesicht. Sanfte
Barstoppeln zeichneten sich auf seinem Kinn ab. Es war faszinierend.
„Worüber?“, wollte er dann wissen.
„Am Wochenende feiern Tante Ginny und Onkel Harry ihren Hochzeitstag, und… wir
sind eingeladen, und…“
„Und?“
Er wartete, dass sie weiter sprach.
„Und
meine Mum weiß nicht, dass…“
„Dass
wir zusammen sind?“, schloss er nickend und rückte etwas von ihr ab.
„Ja“,
bestätigte sie scheu.
„Und…
hast du vor, es ihr zu sagen?“, fragte er eindeutig, und Rose seufzte.
„Ich…
schon. Nur…“
„Rose,
rede mit mir.“ Er klang eine Spur gereizt. Und er hatte Recht. Sie konnte über
alles mit ihm reden.
„Ich
meine… ich melde mich schon sonst nie bei ihr. Und ihr ausgerechnet vier Tage
vorher Bescheid zu sagen, dass ich… meinen Freund mitbringen will, den sie
nicht kennt – und wahrscheinlich nicht leiden kann, kommt nicht so gut“,
schloss sie gequält.
„Du
hättest ihr auch wesentlich eher Bescheid sagen können“, entkam es ihm
kopfschüttelnd.
„Ich…-
ja… nein“, widersprach sie. „Es hätte nichts daran geändert, dass du immer noch
du wärst.“
„Wow“,
entfuhr es ihm verletzt. „Was soll das heißen?“
„Das
heißt, dass unsere Eltern im Wettbewerb stehen, und-“
„-na
und? Dann tun sie das halt. Es beeinflusst doch nicht unsere Gefühle. Oder ist
das bei dir anders?“, wollte er knapp wissen, und sie verdrehte die Augen.
„Pres,
meine Mum schickt mir Pyjamas mit Rennbesen drauf!“, entfuhr es ihr peinlich
berührt. „Was denkst du, was sie denkt, wenn… wenn ich sage, dass ich mit einem
Jungen zusammen bin, der nicht nur älter ist, sondern auch noch in Slytherin
und der Sohn von ihrem Konkurrenten?“
„Dass
du verdammt guten Geschmack hast“, bemerkte er etwas eingebildet und grinste
ein schiefes Grinsen. Aber Rose fand es nicht witzig. Gar nicht.
„Ganz
zu schweigen von meinem Dad-“
„-Rose,
ich bin wirklich nicht die schlechteste Wahl, die du treffen konntest, wenn ich
mir dieses Statement erlauben darf“, begann er kopfschüttelnd. „Ich verstehe,
dass es eine große Sache ist, aber wenn du es jetzt nicht machst – wann willst
du es deinen Eltern dann sagen? Wenn du mit Hogwarts fertig bist? Wenn du
ausgezogen bist? An deiner Hochzeit – wann? Deine Eltern denken doch wohl
nicht, dass du immer nur artig in deinem Schlafsaal sitzt?“ Und wahrscheinlich
dachten sie genau das.
„Presley-“
„-ich
zwinge dich zu gar nichts. Und ich habe auch nicht vor, mit dir Schluss zu
machen. Ich weiß, eure Familie ist groß und kompliziert – und es ist eine
absolute Herausforderung, deinen Eltern gegenüber zu treten, aber ich bin
bereit, das zu tun, Rose“, versprach er ihr aufrichtig. „Allerdings nur, wenn
du bereit bist, diese Sache ernstzunehmen. Ich nehme es ernst. Ich… mag dich.
Wirklich sehr“, ergänzte er stiller, und Rose fühlte sich wie eingesperrt in
ihrem Innern. Sie konnte diese Worte nicht mal erwidern. Sie konnte nicht! Sie
fühlte so nicht. Sie mochte Presley, mochte, wie er sich anfühlte, wie er sie
küsste, wie er roch. Sie mochte das, aber… es war nicht das beste aller
Gefühle. Das war es einfach nicht.
„Ok“,
sagte sie. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. Und er hatte Recht. Es war
schäbig von ihr, und es war nicht Presleys Schuld.
„Wenn
du mich nicht dabei haben willst, ist das ok“, sagte er schlicht. „Aber du
solltest dir überlegen, wann genau du weißt, ob es dir ernst ist. Daran ändert
diese Party nichts.“ Und dann wurde er ernster und seine Stimme senkte sich
minimal. „Denkst du an ihn? An Sco-“
„-nein!“,
unterbrach sie ihn scharf. „Nicht alles hat immer nur mit ihm zu tun, ok?“,
fuhr sie ihn zorniger an, als beabsichtigt. „Das ist alles neu für mich,
Presley. Und ich habe keine Lust von meinen Eltern so angesehen zu werden, wie
ich vom Rest meiner Familie immer angesehen werde!“, entkam es ihr wütend. „Als
wüsste ich nichts, als verstünde ich nichts – und es wird hierbei nicht anders
sein! Rose ist ein Mauerblümchen, Rose weiß nichts von Beziehungen, Rose hat
Angst, es ihrer Mum zu sagen – ja! Das stimmt alles“, entfuhr es ihr wütend,
und sie hatte sich erhoben.
„Rose“,
sagte er fast beschwichtigend und erhob sich ebenfalls. „Du brauchst mehr Zeit
– ok! Ich hab’s verstanden!“
„Nein,
hast du nicht!“, entkam es ihr, und sie wusste nicht mal, warum sie so wütend
war. „Ich habe keine Lust mir diese Sache noch mal von dir anzuhören. Dass du
bereit wärst, so viele Hürden zu überwinden, dass du bereit bist, eine richtige
Beziehung zu führen! Ich kann das auch!“, versicherte sie ihm, etwas übereifrig.
„Und ich hasse diesen Druck – also hoffe ich mal, du hast dir gut überlegt, was
du da willst, denn ich werde ihr jetzt schreiben, Presley!“, drohte sie und
entfernte sich von ihm.
„Rose, warte!“, sagte er mit Nachdruck, aber sie ließ sich nicht erpressen.
Nicht emotional und auf keine andere Weise.
„Du willst doch mitkommen, oder nicht? Du willst, dass ich zu dir stehe, weil
du Angst hast, dass ich es nicht tue, wegen… wegen!“ Sie wollte es nicht sagen.
Es lag alles nicht an Scorpius! Tat es nicht! Sie weigerte sich, überhaupt
darüber nachzudenken. Es machte sie so unfassbar wütend!
„Rose,
ich will nicht, dass du das aus Trotz machst, weil du denkst, ich zwinge dich“,
fuhr er sie jetzt ebenfalls wütend an.
„Pech,
Presley!“, entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Willst du mich überhaupt dabei haben?“, wollte er stiller wissen, und sie
antwortete überzeugt, auch wenn sie es eher halbherzig meinte. Jetzt ging es
nur noch ums Prinzip.
„Ich will dich immer dabei haben. Ich brauche nur länger für Sachen, aber damit
du weißt, dass es mir ernst ist – gehe ich diesen Schritt.“ Sie klang
unzufrieden, und er sah ebenfalls merklich unzufrieden aus.
„Du
weißt, dass ich dich nicht dazu zwinge? Auch nicht zwischen den Zeilen?“, wollte
er ungläubig von ihr wissen.
„Fein. Meinetwegen“, erwiderte sie.
„Rose“, begann er gepresst.
„Ich
werde es ihr sagen, und du wirst mitkommen. Ich halte meinen Kopf nicht hin,
damit du absagst!“, warnte sie ihn.
„Deinen
Kopf? Merlin, Rose, es sollte nicht-“
„Wirst
du absagen?“, fuhr sie ihn an, und er verdrehte die Augen.
„Nein,
du Verrückte!“, knurrte er und schloss den Abstand. „Es ist kein verdammter
Wettbewerb, ok?“ Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen
zu sehen. „Ich… ich bin verliebt in dich, und will dich immer sehen“, endete er
fast lautlos, und es waren schöne Worte. Sie würde ihm gerne glauben, und sie
würde es gerne fühlen. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, und verlangend
küsste er sie. Das Kribbeln blieb aus. Es war ein schönes Gefühl, und mehr
nicht. Und sie wusste schon jetzt, es ihrer Mum zu sagen, war ein unfassbarer
Fehler. Wenn sie jetzt diese Pforten öffnete, ihrer Mum schrieb – dann würde es
ihre Mum nur als Aufforderung sehen, ihr öfter zu schreiben, sie ernsthaft nach
ihrem Privatleben zu fragen, und Rose hasste diese Vorstellung schon jetzt. Und
sie tat es Presley zu Liebe, obwohl sie… überhaupt kein ernsthaftes Interesse
an einer langfristigen Beziehung hatte. Aber das sagte sie ihm nicht. Das gestand
sie sich ja kaum selber ein.
Es
wurde verdammt kompliziert, und sie tat Presley damit genauso weh wie sich
selber. Aber sie war stolz, und sie konnte nicht leiden, dass ihr irgendeine
Art von Feigheit unterstellt wurde.
„Nehmt
euch ein Zimmer!“, hörte sie die beleidigte Stimme von Fred aus den Tiefen des
Sessels vorm Kamin, der sich in den letzten Wochen ziemlich ausgeschlossen
fühlte, wie er sagte, denn sogar Louis hatte ein neues Objekt der Begierde
gefunden. Blieb nur noch Albus über. Und Scorpius. Und ihre Laune war auch
deshalb merklich schlecht, weil Dom wieder Kontakt zu Scorpius aufbaute. Es war
offensichtlich, was sie tat.
Aber…
vielleicht würde Rose ja noch ihre tiefe Zuneigung zu Presley finden, wenn ihre
Familie ihn am Wochenende willkommen hieß – und wenn sie Scorpius nicht
ertragen musste, ihm nicht zusehen musste, wie er höchstwahrscheinlich wieder
mit Dom zusammen kam.
Ja,
ihre Laune war unten durch. Blöder Tag. Absolut blöd.
„Dann
bin ich die einzige ohne Date!“, entkam es ihr aufgebracht, und Lily erwähnte
nicht mal, dass sie ebenfalls datelos war. Es wäre Dom ohnehin egal. Und
niemand würde je auf die Idee kommen, dass Lily überhaupt das Verlangen nach
einer Verabredung hatte. So war ihre Familie nämlich. „Ich meine, wie sieht das
aus?“, jammerte Dom, während sie schlecht gelaunt ihre Haare kämmte. Lily war
nur hier oben, weil sie nicht wusste, was sie sonst mit sich anfangen sollte.
Und jetzt wünschte sie schon, dass sie in die Bibliothek verschwunden wäre.
„Wie
soll es schon aussehen“, erwiderte Vic etwas desinteressiert, während sie die
neuen französischen Kosmetikprodukte ausprobierte, die ihre Tante Gabrielle
geschickt hatte.
„Es
sieht so aus, als wäre ich ein kleines Kind! Merlin, sogar Rose hat ein Date!“,
entfuhr es ihr. Vic legte den Pinsel beiseite, betrachtete ihr Werk und wandte
sich dann an ihre Schwester. Lily tat so, als beschäftige sie sich ausgiebig
mit dem magischen Makeup Pinsel, die selbstauftragend waren.
„Du
weißt, die Malfoys kommen?“, sagte sie eindeutig, und Lily hob überrascht den
Blick.
„Was?“ Dom starrte ihre Schwester an.
„Mum
hat mir schon die Gästeliste geschickt? Und Tante Hermine hat sie eingeladen,
und Mr. Malfoy hat bereits zugesagt? Er kommt mit seinem Sohn?“, erläuterte
sie. „Dann kannst du mit ihm deine Zeit verbringen.“
„Oh“,
machte Dom merklich still. „Ich… habe schon überlegt, ob ich ihm noch eine
letzte Chance gebe“, sagte sie fast sanft. „Ich glaube, er will mich immer
noch?“ Und es war das leiseste Geräusch, was Lily von sich gab, aber Doms Kopf
flog herum. „Was? Denkst du nicht?“, wollte sie sofort von ihr wissen, und Lily
hatte lediglich resignierend ausgeatmet. Nichts weiter.
„Was? Nein! Ich… habe nichts gesagt, Dom“, erwiderte sie mit erhobenen Händen.
„Ich
glaube nicht, dass er wirklich nachgedacht hat, als er Schluss gemacht hat!“,
behauptete Dom jetzt überzeugt. „Und außerdem hatte er auch keine andere.
Vielleicht… war er einfach nur verwirrt? Wusste nicht, was er wollte?
Vielleicht hatte er wirklich Potenzprobleme, die er mittlerweile in den Griff –
oh Merlin, Lily, was soll das?“, fuhr ihre Cousine sie wieder an, und Lily biss
sich auf die Zunge. Sie hatte schon wieder übertrieben laut ausgeatmet, aber
sie konnte sich kaum aufhalten. Dom war so… unglaublich oberflächlich! „Ich
meine, was weißt du schon?“, ging Dom direkt zum Angriff über. „Du hast nicht
mal einen Freund!“ Und Lily spürte, wie sich ihr Rücken durchstreckte. Und sie
sprach, ohne es wirklich zu wollen.
„Immerhin
weiß ich, wann mich jemand ersetzt, und wann nicht, Dom!“, fuhr sie ihre
Cousine scharf an, und Doms Augen wurden groß.
„Was
soll das bedeuten?“
„Er
hatte eine andere!“, spuckte Lily ihr entgegen, und selbst Vic schien neues
Interesse an dieser Unterhaltung zu gewinnen.
„Ja?
Wen?“ Ihr Blick war einigermaßen abgeklärt, und Vic war auch nicht so ein
Hitzkopf, wie Dom es immer war.
„Ich…
ich weiß es nicht“, ruderte Lily jetzt stiller zurück.
„Von
wem hast du das gehört? Wer hat das gesagt? Albus?“, entfuhr es Dom
aufgebracht. „Ich will wissen, welches Mädchen es gewagt hat, meinen Platz
einzunehmen! Sie gehört von der Schule geworfen!“
„Weil
sie was mit einem Jungen hatte, der dich nicht mehr wollte?“, erkundigte sich
Lily ernsthaft ungläubig, aber Doms Blick war kalt.
„Es
gibt niemanden, der mich einfach so nicht mehr will! Weißt du eigentlich, wie
viele Liebesbriefe ich bekommen habe, in den letzten sechs Jahren, Lily? Weißt
du überhaupt, was ein Liebesbrief ist?“ Lily schluckte die Beleidigung runter.
Ihre Cousine war einfach nur scheiße. „Wahrscheinlich war es eine von diesen
Slytherin-Goldgräberinnen, die sich überhaupt nicht um Scorpius scheren!“, fuhr
sie zorniger fort.
„Es war eine Gryffindor“, sagte Lily schlicht. „Soweit ich hörte“, ergänzte
sie, und Vics Blick war mittlerweile stechend.
„Eine
was?!“ Dom schrie jetzt praktisch. „Oh, ich werde schon rausfinden, wer das
war! Und Gnade ihr Morgana, wenn ich sie gefunden habe! Das heißt Krieg!“ Sie
warf die Haarbürste zornig auf ihr Bett, bevor sie aus dem Schlafsaal rauschte.
Vic setzte sich wortlos zu Lily aufs Bett und begann, den magischen Effektrouge
auf ihren Wangen zu verteilen. Lily ließ es etwas geschockt über sich ergehen.
„Du
weißt, wer es war, oder?“, vermutete Vic mit ruhiger Stimme, und Lily schluckte
schwer, denn ihr Hals war trocken.
„Nein,
ich-“, begann sie kopfschüttelnd, aber Vic verdrehte die Augen.
„-selbst
wenn er in meinem Jahr gewesen wäre, hätte ich die Finger von Scorpius Malfoy
gelassen“, bemerkte sie bloß kopfschüttelnd. „Und wäre ich Rose“, fuhr sie noch
stiller fort, während sie begann, mit dem Zauberstab Concealer-Punkte auf Lilys
Wangen zu verteilen, „würde ich mir ein sehr gutes Versteck suchen“, schloss sie
seufzend. Lily hatte den Atem sehr plötzlich angehalten. Vic klang völlig
überzeugt, und Lily begriff nicht, wie es sein konnte! Dann hoben sich Vics
klare blaue Augen zu ihren. „Du weißt, dass ich mich in Okklumentik
weiterbilde, oder?“, sagte sie schlicht, und Lilys Mund öffnete sich. „Und
deine Gedanken sind schreiend laut, Lily. Wirklich laut“, ergänzte sie
eindeutig, und Lily konnte vor Schreck nur blinzeln.
„Du…
du kannst es nicht sagen“, entfuhr es Lily tonlos, und Vic verdrehte die
Augen.
„Als
ob ich an euren Kleinkinder-Auseinandersetzungen Interesse hätte. Ich habe
andere Sorgen“, ergänzte sie seufzend. Lily runzelte die Stirn, nachdem Vic mit
ihrem Gesicht fertig war und den Zauberstab senkte.
„Was
für Sorgen? Dein Vater hat doch erlaubt, dass du Teddy heiratest“, flüsterte
sie bloß, und hoffte, Vic konnte nicht aus ihren Worten lesen, wie neidisch
Lily war. Vic lehnte sich zurück.
„Du
behältst doch gerne Geheimnisse, oder?“, erkundigte sich Vic bei ihr, und
strich sich über den Bauch. „Ich bin schwanger“, sagte sie dann mit einem
schmalen Lächeln. „Natürlich von Ted“, ergänzte sie, falls Lily es hatte
anzweifeln wollen.
„Oh
Merlin“ flüsterte Lily schockiert und fand, Vic hatte Recht. Es verlieh Doms
und Roses Problem eine absolute Banalität. „Wissen deine Eltern-?“
„-nein!
Natürlich nicht. Ich sage es ihnen, wenn ich die Utze bestanden habe. Dann… ist
es vielleicht nicht ganz so schlimm“, ergänzte sie achselzuckend. Lilys Blick
fiel automatisch auf ihren Bauch.
„Die
Utze sind im Frühling! Wird man dann nicht schon sehen, dass-?“
„-ich
kenne ein paar Desillusionierungen, die den Bauch verbergen werden. Im Juni ist
der Termin“, sagte sie, aber sie lächelte dabei.
„Wow“,
sagte Lily bloß.
„Ja“,
bestätigte Vic. „Sag es keinem, ok? Erst recht nicht deinen Brüdern!“, befahl
sie ihr, und Lily nickte heftig. Natürlich nicht! Als ob sie nichts Besseres zu
tun hatte. Es setzte alles in andere Perspektiven. Arme Vic, dachte Lily
plötzlich.
„Also?“,
fuhr Vic schließlich fort. „Was will Rose mit Presley?“, erkundigte sie sich,
und Lily konnte nicht verhindern, sich immer wieder zu fragen, ob sie schuld
daran war, dass sich Scorpius und Rose nicht mehr trafen, und ob… Presley ein
billiger Ersatz war? Und sie hoffte, Vic las ihre Gedanken gerade nicht. Sie
zuckte also die Achseln.
„Keine
Ahnung“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.
„Ehrlich
gesagt“, bemerkte Vic ein wenig nachdenklich, „würde ich es meiner Schwester
gönnen, dass sie von ausgerechnet Rose ausgeboten wird“, schloss sie mit einem
feinen Lächeln. „Es hätte was“, sagte sie, und hübsche Grübchen erschienen auf
ihren Wangen.
„Mh“,
machte Lily, denn sie war sich da nicht sicher. Gar nicht sicher. „Vic?“,
fragte sie schließlich, denn jetzt konnte sie diese Gedanken nicht mehr abschütteln,
aber Vic hatte ihre Gedanken wohl gelesen.
„Es
wird ein Mädchen“, beantwortete sie die ungestellte Frage, und zum ersten Mal
seit langer Zeit, strahlte sie übers ganze Gesicht. Und auch Lily konnte nicht
anders, als breit zu lächeln.
„Wie
schön“, flüsterte sie voller Zuneigung, und sie hatte gar nicht gewusst, dass
ihre Cousine doch nicht so übel war, wie sie immer geglaubt hatte.
„Ron,
beruhige dich“, sagte sie wieder, während ihr Mann, die unordentlichen Zeilen
ihrer Tochter wieder und wieder las.
„Ja,
aber… aber was soll das heißen? ‚Sind zusammen‘?“ Er sah sie auffordernd an,
als hätte sie alle Antworten parat.
„Ich
denke, das heißt, sie sind… Freund und Freundin“, schloss Hermine eindeutig,
und Ron verzog den Mund.
„Oh Merlin,
ich weiß, was es heißt!“, entkam es ihm gereizt. Er hatte seine Uniform noch
nicht verschlossen und sah reichlich albern aus, wie er jetzt vor ihr stand,
mit bloßem Oberkörper, während der Overall im halb über den Hüften hing.
„Ron-“,
begann sie wieder, und er schüttelte den Kopf.
„-es
gefällt mir nicht. Wieso… wieso macht sie das? Was soll das auf einmal?“ Wieder
sah er sie an, als wäre sie schuld. „Ich meine, Jungen in dem Alter sind… sie
sind… Schweine!“, entrüstete er sich, fast panisch. „Wenn er sie anrührt-
wenn…“
„Ich
denke, Rose wird nichts tun, was sie nicht tun will“, versuchte Hermine es
erneut.
„Merlin, was soll das heißen? Sie soll gefälligst gar nichts tun! Sie ist unser
kleines Mädchen! Sie spielt Quidditch! Sie… trägt kein Makeup, keine Kleider –
sie ist… überhaupt noch nicht reif genug, um einen Freund zu haben! Und
garantiert nicht so einen Lustmolch aus dem siebten Jahr!“
„Lustmolch?“,
wiederholte Hermine fast amüsiert, aber Ron schien es nicht witzig zu finden.
Er funkelte sie an, was schon beeindruckend war, bedachte man, dass er
halbnackt vor ihr stand.
„Ja!“,
entgegnete er wütend. „Hast… hast du schon zurückgeschrieben? Hermine, du hast
es nicht erlaubt, oder?“, entkam es ihm hastig, und sie verdrehte die Augen.
„Wenn
ich unserem Sohn erlaube, eine Freundin einzuladen, die ein Jahr älter ist als
er, wie würde es aussehen, wenn ich Rose nicht dasselbe erlaube, Schatz?“,
wollte sie nachsichtig von ihm wissen, aber sein Ausdruck wurde finster.
„Weil
es nicht dasselbe ist, ganz einfach“, blaffte er.
„Richtig“,
entfuhr es ihr scharf. „Du bist stolz auf Hugo, weil du schon Sorge hattest,
dass er nie ein Mädchen findet, aber bei Rose ist es ganz anders?“
„Natürlich
ist es anders! Ich will nicht, dass ihr Herz gebrochen wird, von irgendeinem
Slytherin-Vollidioten, der sowieso nur das eine will!“
„Und
wer wäre passend für unsere Tochter?“, entkam es ihr mehr als gereizt.
„Niemand!
Wenn überhaupt - ein Gryffindor! Und garantiert nicht jetzt! Irgendwann, kurz
vor ihrem Abschluss. Oder weit danach, wenn sie in der Ausbildung ist! Dann
vielleicht!“
„Oh
Ron!“, entkam es ihr kopfschüttelnd. Er übertrieb so maßlos. Und dass er
annahm, Rose würde eine Ausbildung machen, war schon gewagt. Sie wusste, Ron
hoffte auf die Aurorenausbildung. Hermine hoffte, sie schaffte Hogwarts in der
Regelzeit. Sie sah allerdings noch nicht, dass ihre wenig ambitionierte Tochter
die schwierige Prüfung zur Aurorin ablegte. Und sie ging stark davon aus, Rose
wollte das gar nicht. Mehr als einmal hatte Hermine schon mitbekommen, dass sie
mit George über ein Langzeitpraktikum im Scherzartikelladen gesprochen hatte.
Aber das war eine ganz andere Baustelle.
„Ich
meine, es ist schlimm genug, dass du die Malfoys eingeladen hast!“, entrüstete er
sich wieder, und darüber hatte er gut und gerne schon zwei Wochen geschimpft.
„Und jetzt arrangierst du Dates für unsere minderjährige Tochter!“
„Rose
ist sechzehn, und höchstwahrscheinlich hätte Albus Scorpius ohnehin
eingeladen“, ergänzte sie achselzuckend.
„Ja,
das ist auch noch so eine Verbindung, über die Harry sich Gedanken machen
sollte. Gott!“, entfuhr es Ron, und es amüsierte sie auch, wenn er Muggel-Worte
benutzte. „Die ganze Sache mit Albus ist schon… eklig genug“, murmelte er
seufzend.
„Ok.
Ich möchte, dass du dich wieder beruhigst. Ich muss los, und ich habe keine
Lust, dass wir uns über Tatsachen streiten, die nicht zu ändern sind. Wir haben
eine hübsche Tochter, und es ist an der Zeit, dass es jemandem auffällt. Und
warum nicht Amorys Sohn? Immerhin ist Presleys Vater engagiert, wir kennen ihn,
und-“
„-und
er ist Reinblüter“, knurrte Ron.
„Du
bist Reinblüter“, erinnerte sie ihn still.
„Nicht
so einer!“, beschwerte er sich. Hermine verdrehte demonstrativ die Augen.
„Wir können diese Sachen nicht kontrollieren. Und sie ist schon lange nicht
mehr dein kleines Mädchen, Ron. Sie ist… eine Frau.“
„Sie
ist keine Frau!“, fuhr er sie an, als hätte sie ihre Tochter soeben aufs
Schlimmste beleidigt.
„Ron-“
„-ich
darf mich darüber aufregen, oder nicht?“, wollte er aufgebracht wissen. „Ich
liebe unser Mädchen, und ich habe Angst, dass sie einen Fehler macht, dass sie…
sich überreden lässt, zu widerlichen Dingen, weil sie es bei ihren Cousinen
sieht!“
„Du
redest von-?“
„-von
wem rede ich wohl? Nur weil Bill eine kranke Erziehungsmethode hat, Malfoys bei
sich willkommen heißt, und Vic nicht schnell genug unter die Haube bekommt,
heißt es nicht, dass ich genauso bin, Merlin noch mal!“
„Hör
auf, mit den Malfoys, Ron!“, entfuhr es ihr gepresst.
„Es
geht mir auch nicht um die Malfoys, verdammt! Mir sind sie völlig egal, ok? Es
geht darum, dass du mir solche Sachen vorenthältst!“, fuhr er sie an, die Hand
mit dem zerknüllten Brief anklagend erhoben.
„Oh, und
du hast auch nicht den blassesten Schimmer, warum ich so etwas tue, ja?“,
wollte sie herausfordernd wissen, und seine Hand sank langsam, aber sein Blick
war kochend.
„Weil
du denkst, dass ich überreagiere, wie meine Mum“, entgegnete er gepresst und zähneknirschend.
„Kaum“,
entgegnete sie trocken und äußerst spöttisch.
„Wie
kannst du für jeden noch so bekloppten Wähler ein offenes Ohr haben und
vollstes Verständnis zeigen, und mich hierbei nicht unterstützen, Hermine?“
„Wobei
genau?“ Langsam reichte es ihr. „Du willst doch überhaupt nicht, dass ich Rose
alles verbiete! Du möchtest, dass ich solche Sachen gezielt vor dir verberge
und alleine löse, damit du dich fünf Minuten aufregen kannst, während du
heimlich froh darüber bist, diese Entscheidungen nicht treffen zu müssen, weil
du verdammt noch mal versagen würdest!“, rief sie unfassbar zornig.
„Du
kommst sofort her!“, knurrte er jetzt praktisch, und bevor sie sich wehren
konnte, hatte er sie in seine Arme gezogen. Sie protestierte halbherzig, als er
sie küsste und ihre Frisur durcheinander brachte. Sie stemmte die Hände gegen
seine bloße Brut, aber sie war ehrlich gesagt nicht wirklich sauer.
„Ron“,
murmelte sie gegen seine Lippen, aber musste bereits lächeln. Er gab sie frei,
behielt sie aber in seinen Armen.
„Ich
liebe dich“, sagte er, wesentlich ruhiger, als noch vor zwei Minuten.
„Weil
ich Recht habe?“, vermutete sie und lehnte sich gegen seine muskulöse Brust.
„Na
ja“, entgegnete er und verdrehte die Augen. „Sie schreibt, dieser Presley ist
Hüter?“, bemerkte er, halb interessiert, und sie musste grinsen.
„Mhm.
Hat deine Tochter da etwa Geschmack?“, neckte sie ihn, und er atmete lange aus.
„Schaden
kann es nicht“, schloss er schließlich. „Kriegen James und Fred das hin?“,
ergänzte er schließlich, die Stimme wieder neutral.
„Apparieren?
Ich denke, sie brennen darauf“, erwiderte sie und kuschelte sich enger gegen
ihn. James, Fred und Vic brachten die übrigen nach Hause, mussten dafür
mehrfach apparieren, aber das war die Art von Verantwortung, die sie übernehmen
mussten, jetzt wo sie volljährig waren.
„Wann
kommen die Kinder?“ Er fragte in einem eindeutigen Tonfall, mit Blick auf die
Uhr auf dem Nachttisch.
„Ron“,
entfuhr es ihr überrascht. „Wir müssen gleich los. Du hast die Sitzung im Team
und ich-“
„-dreißig
Minuten“, unterbrach er sie herausfordernd.
„Was
willst du in dreißig Minuten machen?“, neckte sie ihn und biss sich auf die
Lippe. „Ich meine, fünf Minuten haben wir Sex, weil du keine Ausdauer mehr
hast, und dann was? Willst du Wäsche machen? Die Küche wischen? Vielleicht
noch-?“ Aber mit einem wissenden Nicken unterbrach er sie.
„-keine
Ausdauer, ja? Ich zeige dir, wer keine Ausdauer mehr hat!“, nahm er die
Herausforderung an, und wieder verschloss er ihre Lippen. Ihre Augen schlossen
sich und ihre Arme legten sich automatisch um seinen Nacken. Dann kam sie eben
ein bisschen zu spät…. Ein kleines Bisschen. Es kribbelte in ihrem Bauch, als
er in die Knie ging, sie auf die Arme hob und tatsächlich in Richtung
Badezimmer trug. Sie löste sich hastig von seinen Lippen.
„Ronald,
was hast du-?“
„-ist
eine Weile her, dass wir zusammen geduscht haben“, entgegnete er mit dunklen
Versprechungen im Blick.
„Ron!“,
entkam es ihr mit großen Augen, und überraschte Hitze stieg in ihre Wangen.
Manchmal war er… so unverschämt sexy, dass ihre Knie weich wurden. Sie liebte
ihn noch immer so sehr, wie vor zwanzig Jahren. Und ein wenig Zeit hatten sie
noch, bevor ihre Kinder nach Hause kämen….
Sie
war froh, dass Fred sie absetzte, und nicht Presley. James brachte Rumer nach
Hause, und es machte Sinn. Aber wären ihre Eltern zu Hause und würden durchs
Fenster spähen, dann würde sie im Boden versinken. Das würde sie ohnehin wohl
noch tun. Sie war sich sicher, es würden heute Abend ohnehin noch unangenehme
Gespräche folgen, denn ihre Mutter hatte bestimmt ein Dutzend unpassende
Fragen, und sie sprach noch immer nicht mit Hugo. Und es war erst Freitag.
Morgen würde es noch schlimmer werden.
„Ok.
Dann sehen wir uns morgen“, verabschiedete sich Fred missmutig. Er musste jetzt
noch Hugo holen und dann seine eigene Schwester nach Hause bringen. Es war
schon ein Aufwand, und Rose war froh, noch nicht selber apparieren zu müssen. Vor
allem mussten James und Fred morgen auch Apparierer spielen und alle Eltern
nach Hause bringen. Das war der Deal. So konnten die Erwachsenen trinken.
Nicht, dass Rose große Lust auf Alkohol hatte, aber vielleicht trank sie
heimlich ein Glas Champagner.
Es
war eigenartig, Zuhause zu sein, mitten im Schuljahr. Sie wandte sich an ihren
Cousin. „Danke, Fred“, sagte sie lächelnd. Er zuckte die Achseln. Sie wusste,
er war traurig, weil er kein Date hatte. Und für gewöhnlich hätte sie ihn
aufgeheitert, weil sie auch nie eine Verabredung hatte, aber dieses Mal fiel
sie aus der Norm.
„Kein
Ding. Mach’s gut“, wiederholte er, hob die Hand, drehte sich um sich selbst und
war wieder verschwunden. Ihr waren keine tröstenden Worte eingefallen. Seufzend
verschwand sie ins Haus, bevor er mit Hugo zurückkam, und ihr Bruder wieder
irgendwelche unpassenden Bemerkungen machte, auf die sie nicht eingehen wollte.
Sie hatte keine Ahnung, wie sich dieser Streit lösen sollte, aber den ersten
Schritt würde sie garantiert nicht machen. Sie schritt zur Tür und bückte sich
nach dem großen Blumenkübel, worunter ihre Mum den Schlüssel heute deponiert
hatte. Sie klopfte nicht an, wollte nicht testen, ob irgendwer da war, sondern
schloss auf und platzierte den Schlüssel für Hugo wieder unter dem Kübel.
Sie
ließ die Tür ins Schloss fallen, und atmete den vertrauten Duft ihres Zuhauses
ein.
„Hallo?“,
rief sie in den langen Flur. „Dad? Mum?“ Aber niemand antwortete. Sie war
allein. Gut so. Eilig lief sie in die Küche, griff sich die Packung Bertie
Crispy Flakes aus dem Regal und eine Flasche Apfel Cider ohne Alkohol aus dem
Vorrat, um sich in ihre Zimmer zurückzuziehen, und bis zum Abendessen nicht
rauskommen zu müssen. Sie würde vermeiden, Hugo zu begegnen, egal, wie albern
es war.
Aus dem
Küchenfenster sah sie, wie Fred erneut apparierte, diesmal mit Hugo im
Schlepptau, und eilig, ohne abzuwarten, stürmte Rose die knarrenden Stufen
empor, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen, damit Hugo nicht reinkam. Aber
sie wusste, ihr Bruder war genauso stur wie sie. Es sollte sich kein Gespräch
zwischen ihnen ergeben.
Sie
lehnte sich gegen die Tür und sah, dass ihre Mutter mal keinen Ordnungsfimmel
bekommen hatte, und ihre Zimmer sah ähnlich unordentlich aus, wie vor ein paar
Monaten, als sie gegangen war. Das Bett war gemacht, aber ansonsten wirkte
alles wie immer. Ihr Blick wanderte über die Wände, die mit Quidditchpostern
und Gryffindor-Bannern verhangen waren. Sie runzelte die Stirn. Es kam ihr
alles so kindisch vor.
Sie
stellte ihren Proviant auf dem Schreibtisch ab, und unschlüssig näherte sie
sich dem Cannons Poster, was an den Ecken bereits ausgefranst war. Ihre Hände
hoben sich, lösten den magischen Kleber vorsichtig, und mit einem erschrockenen
Blick sahen ihr die Spieler zu, wie sie das Poster zusammenrollte.
Auch
einige Banner nahm sie ab. Ihr war nicht aufgefallen, wie kindisch ihr Zimmer
war. Aus ihrer Jackentasche holte sie den verkleinerten Beutel hervor und griff
beherzt hinein. Bis zur Schulter verschwand ihr Arm im Beutel, und was sie sich
mitgenommen hatte, waren… Schulbücher. Aber das hatte sie keinem verraten. Sie
wischte die Scherzartikel von ihrem Schreibtisch, um die Bücher dort zu
stapeln. Sie wollte ein wenig nacharbeiten. Nur ein bisschen. Nicht viel, hatte
sie sich versprochen. Sie hatte sich sogar ein Buch über Geisterkunde
ausgeliehen, da sie dieser Snape-Sache auf den Grund gehen wollte, ohne ihre
Mum zu fragen.
Dann
ging sie zu ihrem Kleiderschrank, denn morgen Abend würde sich ein weitaus
größeres Problem stellen. Sie hatte Presley angedroht, dass er sich noch
wundern würde, und dass sie nicht immer nur Jeans und Kapuzenpullis tragen
würde. Er hatte gelacht, behauptet, sie gefiele ihm auch in Schlabbersachen,
aber sie hatte ziemlich viel Aufhebens darum gemacht, dass sie sehr wohl
wusste, wie man sich entsprechend kleidete, und dass sie die bequemen Sachen
nur aus Pragmatismus bevorzugte. Eine Lüge, natürlich. Aber das wusste Presley
nicht, und jetzt hatte er sich ziemlich gespannt von ihr verabschiedet und ihr
versprochen, ihr in nichts nachzustehen, und seinen neuen Anzug zu tragen.
Sie
bereut diese Entscheidung sehr, aber wahrscheinlich würde sie ohnehin etwas
Vernünftiges anziehen müssen, denn zum zwanzigsten Hochzeitstag trug man
bestimmt ohnehin schicke Kleidung.
Sie
zog die Schranktür auf, und die Seite, wo nur die Stange befestigt war, war
sehr übersichtlich, denn Rose besaß nicht viele Sachen, die aufgehangen werden
mussten. Sie besaß eine Handvoll Kleider, und das auch nur, weil Tante Fleur es
sich nicht hatte nehmen lassen, ihr ab und an Couture aus Frankreich
mitzubringen, weil es sich für junge Damen gehörte, mindestens ein Kleid zu
besitzen.
Sie
griff sich das eindrucksvollste, was noch eingepackt am Bügel hing. Es war
blau. Rose hasste Blau. Sie fand, der Kontrast zu ihren Haaren war zu
auffällig, und es lenkte lediglich alle Blicke auf sie. Aber vielleicht war das
genau, was sie morgen brauchte, um Presley zu beeindrucken – oder eben alle zu
beeindrucken, die da waren. Und irgendwo in ihrem Hinterkopf dachte sie darüber
nach, Dom auszustechen. Vielleicht ein einziges Mal eindrucksvoller auszusehen,
als Dom es ständig tat.
Sie
zog es aus dem Schrank, holte es aus der Tasche und legte es auf ihr Bett. Sie
kaute abwesend auf ihrer Lippe. Es war sehr schmal in der Taille. Ob es
überhaupt noch passen würde? Silberne Seidenblumen verteilten sich schwach auf
dem Stoff, aber sie waren magisch und glänzten nur, wenn das Licht sie direkt
traf. Es war ein schönes Kleid. Das Blau war satt und tief, und es war ein Kleid,
was die Schultern frei ließ. Es besaß keine langen Ärmel, hatte lediglich eine
breite Stola, die man sich umlegen konnte, und sie war ebenfalls mit silbernen
Seidenblumen bestickt.
Der
Rock setzte direkt an der Taille an, war lockerer als der Rest und würde ihr
bis eine Handbreit übers Knie reichen. Es war ein kurzes Kleid, allerdings
optional mit einem Wärmezauber versehen, den das magische Garn aktivierte. Es
wäre also geeignet. Das einzige, was sie nicht besaß, waren blaue Schuhe, die
passen würden. Sie stellte sich vor, dass hohe Schuhe wirklich gut aussehen
würden. Aber… sie hatte keine hohen Schuhe. Allein der Gedanke an einen hohen
Absatz ließ ihre Laune sinken.
Ob es
noch passte? Kurzerhand zog sie die Vorhänge ihres Fensters zu, bevor sie sich
langsam entkleidete. Ihre wilden Locken fasste sie mit beiden Händen zusammen
und knotete sie in einen funktionalen Dutt, hoch auf ihrem Kopf. Sie war ein
wenig nervös, obwohl sie alleine im Zimmer war. Nur noch in Unterwäsche
bekleidet stellte sie sich vor ihren Kleiderschrank, um das breite Cannons Tuch
vom Spiegel zu entfernen. Vor Jahren hatte sie den Spiegel ihres
Kleiderschranks verhangen, weil sie keine Lust gehabt hatte, ständig ihr
Spiegelbild sehen zu müssen, wann immer sie sich umzog. Aber heute… änderte sie
ihre Meinung. Und es tat gar nicht so weh, wie sie gedacht hatte, sich von
einigen Quidditch-Dingen zu trennen. Es war gar nicht schlimm. Der Spiegel war
sauber, und sie betrachtete sich prüfend. Ihr Blick fiel auf ihren Oberkörper,
ihren Bauch, glitt ihre Beine hinab, und nein, sie war nicht dick. Nicht im
Ansatz. Und ihre Taille war schmal genug, dass sie vielleicht noch in das Kleid
passen würden. Aber sie wusste, einen BH würde sie nicht tragen können. Dass
das Kleid schulterfrei war, würde sie dazu zwingen, ohne BH zu bleiben.
Sie
öffnete ihren Sport-BH ungeschickt, warf ihn aufs Bett, betrachtete sich noch
einmal kritisch von allen Seiten, bevor sie ausatmete und zum Bett
zurückkehrte. Vorsichtig öffnete sie den verborgenen Reißverschluss, die
wenigen Haken und Ösen, um dann in das praktisch jungfräuliche Kleid zu
steigen. Der Stoff fühlte sich schwer und angenehm kalt an. Er schmiegte sich
an ihren Körper, so eng war das Kleid. Sie hatte gehofft, es würde weiter
fallen, aber es überließ wahrlich wenig der Fantasie. Kurz hatte sie Mühe, den
steifen Reißverschluss wieder zu verschließen, und auch die Ösen wollten nur
widerwillig halten, denn ihr Busen war doch in den letzten Jahren gewachsen. Es
war ihr nie aufgefallen.
Luftig
war das Gefühl ihrer Oberschenkel, denn der zarte Stoff umfloss ihre Beine
locker und bewegte sich geschmeidig bei jeder Bewegung. Sie wandte sich mit
Angst ihrem Spiegelbild zu – und staunte kurz. Sie sah älter aus als sonst, war
das erste, was ihr auffiel. Und.. sie sah aus, wie ein Mädchen. Ihre Figur war
ok. Fast überraschte sie diese Erkenntnis. Sie war keine Veela, aber sie war
nicht hässlich. Gar nicht. Sie trat näher an den Spiegel, fast ungläubig. Ihr
Busen wirkte größer, als sonst. Ihre Beine schlanker, als in den alten
Trainingshosen. Sie störte sich an den vielen Sommersprossen, die sich auf
ihren Schulterblättern verteilten, aber dagegen war nicht viel zu machen, nahm
sie an. Sie drehte sich, und die Schichten des Stoffes ließen es so wirken, als
hätte sie eine hübsche Rundung, wo ihr Po saß. Ein sehr schmeichelhaftes Kleid.
Und die Farbe war auffällig, spiegelte sich praktisch in ihren Augen, und hin
und wieder fing sie den glänzenden Effekt der Silberblüten auf, wenn das
dämmrige Licht sie traf.
Sie
zog die Träger zurecht. Sie waren nicht gerafft, langen recht eng und flach
über ihren Oberarmen und waren etwa Handbreit. Dadurch, dass sie über ihren
Oberarmen saßen, wurde ihr Busen noch ein wenig mehr gefördert, etwas mehr
unterstützt und gepusht, und sie hatte nie gewusst, dass sie einen Ausschnitt
haben konnte.
„Rose?“
Es klopfte laut an ihrer Tür. Es war ihre Mum. „Machst du auf, Schatz?“, rief
sie, und Roses Herz schlug ihr bis zum Hals.
„Mum, einen Moment, ich-“
„-komm
schon, mach auf! Ich will dich begrüßen, Liebling!“, hörte sie die Stimme ihrer
Mum, und Rose schämte sich bis ins Mark, wollte fast den Spiegel wieder
verhängen, aber ihr blieb wohl keine Zeit. Und sie durfte nicht zaubern, konnte
sich also nicht schnell aus diesem Ungetüm an Kleid befreien und sah keinen
direkten Ausweg. „Rose?“, rief ihre Mum wieder, und Rose atmete aus.
„Mum,
erschrick dich nicht, ja?“, rief sie und näherte sich der Tür. Sie hörte die
Sorge in der Stimme ihrer Mum sofort.
„Was ist los?“, fragte sie.
„Ich… ich habe ein Kleid anprobiert, ok?“, entfuhr es Rose, als hätte sie die
Scheibe mit dem Quaffel zerdeppert. Was ihr jetzt gerade lieber wäre!
„Oh“,
machte ihre Mum etwas unschlüssig. „Probierst du es für morgen an?“, wollte sie
überrascht wissen, und ja, Rose wusste, es war untypisch, dass sie so etwas
tat, dass es sie interessierte, aber nun hatte sie einen festen Freund und…
musste wohl oder übel auf ihr Aussehen achten. Hin und wieder zumindest.
„Ja. Aber ich weiß nicht, ob es mir steht“, wich sie aus, und ihre Mum zögerte.
„Darf ich… darf ich es sehen?“, fragte sie, und Rose drehte den Schlüssel um.
Sie öffnete schweren Herzens die Tür und blickte in das erwartungsvolle Gesicht
ihrer Mum. Kurz entglitten ihr die Gesichtszüge. „Oh wow“, entkam es ihr
flüsternd, und ihre dunklen Augen waren weit vor Überraschung. „Rose, das ist…
wunderschön. Du siehst unglaublich aus!“, flüsterte ihre Mum kopfschüttelnd.
„Darf ich dich… überhaupt noch umarmen?“, wollte ihre Mutter vorsichtig wissen,
und Rose verdrehte die Augen.
„Ja,
Mum“, erwiderte sie mit roten Wangen, und breitete die Arme aus, um sie zu
umarmen.
„Mein
schönes Mädchen“, flüsterte ihre Mutter, als sie sie fest an sich drückte.
„Aber die Haare musst du aufmachen“, bemerkte sie, als sie sich entfernte und
schon griff sie nach ihren Haaren. Sie entfernte das Gummi, und Rose schüttelte
unschlüssig die Locken. Ihre Mutter kämmte sie liebevoll mit den Finger und
führte sie zurück zum Kleiderschrank. „Ich hatte fast befürchtet, den Spiegel
gibt es gar nicht mehr“, sagte ihre Mum lächelnd. „Wunderschön“, ergänzte sie
und rieb ihre bloßen Schultern.
Rose
betrachtete sich zweifelnd im Spiegel. Sie sah nicht wirklich, was ihre Mutter
sah. Jetzt fielen ihre roten Locken ihren Rücken halb hinab, und es gefiel ihr
nicht sonderlich.
„Sollte
ich sie glätten?“, fragte sie ihre Mum unsicher, aber diese schüttelte heftig
den Kopf.
„Auf
keinen Fall! Sie sehen perfekt aus so. Merlin, Rose, du wirst morgen das
hübscheste Mädchen sein. Presley kann sich sehr glücklich schätzen, hm?“,
machte ihre Mutter zwinkernd, und Roses Blick fiel.
„Mum,
ich-“
„-schon
gut“, lenkte ihre Mutter ein. „Ich will dich nicht blamieren. Ich freue mich,
dass du wen mitbringst, und wenn du willst, leihe ich dir ein Paar Schuhe?
Merlin, dass wir mittlerweile dieselbe Größe haben ist gruselig, nicht wahr?
Möchtest du hohe oder flache Schuhe?“, fragte sie ihre Mum sie stolz, und Rose
war ohnehin wesentlich kleiner als Presley, also hob sich ihr Blick vorsichtig.
„Hohe?“,
schlug sie leise vor, und ihre Mum grinste.
„Dein
Dad wird ausflippen“, sagte sie bloß.
„Warum?“
Roses sah sie mit großen Augen an.
„Weil er dich nicht wiedererkennen wird“, prophezeite ihre Mum seufzend.
„Oh“,
machte Rose besorgt.
„Nein, das ist eine gute Sache. Ich habe entschieden, dass dein Vater langsam
mal erwachsen werden muss, was seine Kinder angeht.“
„Ich
bin sechzehn, Mum“, entfuhr es Rose kopfschüttelnd.
„Ja, und
sieh dich an, Liebling.“ Wieder drehte ihre Mum sie dem Spiegel zu. „Das ist
ein Kleid für eine hübsche junge Dame, und genau das bist du.“ Rose schämte
sich unfassbar, aber sie konnte nicht anders, als sich geschmeichelt zu fühlen.
Und dann zerstörte ihre praktische Mum den Moment. „Müssen wir über magische
Verhütung reden?“, wechselte sie das Thema abrupt, und Rose wollte umfallen.
Sofort.
„Nein, Mum!“, entkam es ihr gepresst. „Merlin!“, flüsterte sie beschämt.
„Ok. Ich will nur, dass du vorberietet bist, wenn-“
„-Mum!“,
unterbrach sie ihre Mutter mit knallroten Wangen und entfernte sich aus ihrem
Griff. „Du bist unmöglich!“, flüsterte sie beschämt. Denn Rose hatte nicht vor,
mit Presley Sex zu haben! Auf keinen Fall!
„Schon
gut“, entschuldigte sich ihre Mum eilig. Und dann schien ihr Blick auf den
Schreibtisch zu fallen. „Rose, sind das Schulbücher?“ Sie klang absolut
ungläubig. Noch ungläubiger, als vorhin, als Rose ihr gesagt hatte, sie würde
ein Kleid tragen. „Sind das Hugos?“, entfuhr es ihrer Mum entgeistert. Rose
verzog den Mund.
„Nein“, erwiderte sie knapp.
„Merlin,
müssen wir zum Heiler? Was ist los? Steht es so schlecht um die Zags?“, wollte
ihre Mum prüfend wissen, aber Rose stöhnte auf und verdrehte die Augen.
„Nein.
Ich wollte lediglich ein bisschen vorlernen, weil-“ Aber weiter kam sie nicht,
denn mit Tränen in den Augen hatte ihre Mum den Abstand geschlossen und zog sie
in eine so feste Umarmung, dass Rose der Atem weg blieb.
„-oh
Schatz, du glaubst nicht, wie viel mir das bedeutet!“, krächzte ihre Mutter mit
belegter Stimme.
„Mum!“, entfuhr es Rose gepresst, aber ihre Mutter ließ sie nicht los.
„Nein.
Ich bin noch nicht fertig!“, widersprach ihre Mutter stockend. Rose gab auf,
entspannte sich in der Umarmung und ließ ihrer Mutter diesen übertriebenen
Moment. Sie war unmöglich.
Hugo
merkte erst, wie selten er wirklich Zeit mit seinem Vater verbrachte, als er
mit der ungebundenen Krawatte an die Schlafzimmertür seiner Eltern klopfte.
„Ja“, rief sein Vater aus dem Innern, und Hugo schob die Tür auf.
„Dad?“
Er betrat das große Zimmer. Sein Vater stand vor dem großen Spiegelschrank und
knöpfte gerade sein Hemd zu. Er warf ihm im Spiegel einen fragenden Blick zu.
„Alles klar, Hugh? Brauchst du Hilfe mit der Krawatte?“, wollte er ein wenig
abgelenkt wissen, aber Hugo kam näher.
„Dad,
wir tragen in Hogwarts jeden Tag Krawatten“, bemerkte er knapp. Sein Dad
schenkte ihm ein schiefes Grinsen.
„Jaah,
aber ich war nie sonderlich gut im Binden“, räumte sein Dad belustigt ein.
„Nein,
ich… brauche keine Hilfe dabei“, verneinte Hugo still. Er brauchte eigentlich
nie Hilfe bei gar nichts. Dann drehte sich sein Dad gänzlich um.
„Wow.
Sieh dich an!“, entfuhr es seinem Vater anerkennend. „Wie groß du bist.
Weasleys sehen fantastisch in Anzügen aus, nicht?“, stellte er zufrieden fest,
aber Hugo empfand nicht wirklich so. „Was kann ich für dich tun?“, wollte sein
Vater schließlich wissen, und Hugo atmete lange aus.
„Dad,
woher… wusstest du, dass Mum die Richtige ist?“, fragte er ihn schließlich, und
sein Vater zog die Augenbrauen hoch. Dabei brauchte Hugo nämlich Hilfe. Bei
sonst gar nichts.
„Sie
hat es mir gesagt“, erwiderte er ernst, bevor seine Mundwinkel zuckten. Hugo verdrehte
die Augen. „Hugh, du weißt, wer die Rictige ist. Es gibt da… keine Hinweise,
kein Textbuch drüber. Du merkst es einfach.“
„Cara
ist nicht die Richtige“, sagte Hugo dann kopfschüttelnd. Sein Vater wirkte kurz
überrascht.
„Cara?
Das Mädchen, was du heute Abend mitbringst?“, vergewisserte er sich und
verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Vater war viel muskulöser, als Hugo
es jemals sein würde. Fast beneidete Hugo ihn ein wenig. Er streckte den Rücken
weiter durch, und fast war er immerhin so groß wie sein Dad.
„Aber
sie… ist sehr nett. Und hübsch, und…“
„Und?“
Sein Vater betrachtete ihn abwartend.
„Und
sie… tut Dinge“, schloss Hugo ein wenig vage.
„Ach
ja?“ Jetzt wirkte sein Vater merklich interessiert. „Du… passt auf, richtig?
Wenn sie nicht die Richtige ist, dann wäre es nämlich wirklich unglücklich,
wenn sie-“
„-wir
haben keinen Sex, Dad“, unterbrach Hugo ihn schnell.
„Oh“,
entkam es seinem Vater sehr erleichtert. „Ja. Gut. Ich meine, du bist… erst
fünfzehn, und-“
„-schon
klar“, sagte Hugo eindeutig.
„Gut“,
wiederholte sein Dad sichtlich peinlich berührt.
„Aber…
ich kenne die Verghütungssprüche, wenn dich das beruhigt?“, ergänzte Hugo mit
gerunzelter Stirn.
„Super“, erwiderte sein Dad kurz angebunden.
„Ich…“
Hugo war sich nicht sicher, wie er es formulieren sollte. Er war sich nicht mal
sicher, ob sein Vater der richtige Ansprechpartner war. Er wusste nur, seine
Mum war es in diesem Fall nicht.
„Ja?“
Interessiert sah sein Vater ihm ins Gesicht.
„Wie
kommt man damit zurecht, nicht die Richtige zu haben? Ich meine, ich mag ein
Mädchen, aber…“
„Aber
sie mag dich nicht?“, vermutete sein Dad, und er klang mäßig überrascht. Ja,
Hugo verbrachte seine Zeit mit Büchern, aber eben nicht nur.
„Nein“,
bestätigte Hugo bitter.
„Hast
du sie gefragt?“, wollte sein Vater jetzt fast vätlich nachsichtig wissen. Hugo
atmete aus.
„Nein,
ich… habe sie geküsst“, schloss er, und der Mund seines Vaters klappte auf.
„Hugo,
was ist passiert? Auf einmal häufen sich die Mädchen in der Schlange?“, wollte
er lächelnd wissen, aber Hugo schüttelte den Kopf.
„Es
gibt keine Schlange, Dad. Es gibt zwei Mädchen. Eines mag mich, eines mag mich
nicht“, wiederholte er ernst.
„Und
du hast das Mädchen, was du magst, geküsst, aber sie… fand es… nicht gut?“ Sein
Vater schien erraten zu wollen, was das Problem war, und tat sich so schwer,
wie Hugo sich tat, darüber zu sprechen. Aber wenn jemand einen Rat wusste, dann
vielleicht sein Vater. Er war älter, erfahren – er hatte eine Frau.
„Ich…
denke nicht. Sie ist… weggelaufen“, schloss Hugo bitter.
„Oh.
Das… ist ein schlechtes Zeichen.“
„Aber…“
„Aber
was?“ Sein Dad schien Gefallen an diesem Gespräch zu haben.
„Aber…
sie hat auch einen Freund“, schloss Hugo leiser.
„Was?“, entfuhr es seinem Vater ungläubig. „Hugh, was ist los mit dir?“ Aber
tatsächlich schien sein Vater nicht sonderlich schockiert oder ablehnend. „Ich
erkenne dich kaum wieder, mein Sohn“, schloss sein Vater kopfschüttelnd. Hugo
sah ihn eindeutig an. „Ich… ich denke, du weißt die Antwort auf dein Problem,
nicht wahr?“ Sein Dad sah ihn auffordernd an.
„Ich
frage dich, also… nein“, antwortete Hugo überrascht.
„Denk
einfach mal scharf nach. Das… kannst du doch eigentlich am besten von uns“,
ergänzte sein Vater belustigt.
„Du
sagst… sie mag mich wahrscheinlich, aber… sie hat einen Freund.“
„Jaah“,
bestätigte sein Dad jetzt. „Aber… es kann nicht schaden, dass du eine neue
Freundin hast. Mädchen sind… schnell eifersüchtig, und manchmal wollen sie dann
noch dringender, was sie nicht dürfen“, erklärte sein Vater mit hochgezogenen
Augenbrauen. „Wenn du verstehst…?“
„Kaum“,
gab Hugo ehrlich zu, und sein Vater lachte kurz auf.
„Du
solltest Cara nicht an der Nase rumführen. Und was das Mädchen angeht, was du
tatsächlich magst – warte einfach ab. Außerdem bist du fünfzehn. Du hast noch
ewig Zeit, Hugh“, schloss er dann. „Komm her“, ergänzte er, stellte sich vor
ihn, und zum ersten Mal band sein Vater seine Krawatte.
„Ich
denke, ich kann es besser als du, Dad“, bemerkte Hugo still.
„Shht“,
machte sein Vater kopfschüttelnd, während er sich mit dem doppelten Knoten
abmühte. „Wir haben gerade einen Moment, Hugh“, ergänzte er feierlich.
„Ach
ja? Der Moment, wo du meinen Knoten ruinierst, und ich ihn noch mal binden
muss?“, vermutete Hugo spöttisch, und sein Vater schlug ihn scherzhaft gegen
den Arm.
„Dann
mach es besser, Junge“, verlangte sein Vater, bevor sein Blick auf seine eigene
dunkle Krawatte fiel. „Und meine kannst du direkt mitbinden“, ergänzte er und
wackelte mit den Augenbrauen.
„Dad?“,
sagte Hugo jetzt, und sein Vater sah ihn wieder gespannt an.
„Mh?“,
machte er, und bedeutete Hugo fortzufahren.
„Scorpius
Malfoy ist nicht übel“, entfuhr es ihm, um Ruhe bemüht. Sein Vater verengte die
Augen.
„Was?“, entkam es ihm mit schräg gelegtem Kopf.
„Nur…
dass du Bescheid weißt“, ergänzte Hugo knapp.
„Aha“,
machte sein Vater, nicht gerade begeistert. „Seit wann seid ihr… befreundet?“,
wollte er mit Mühe wissen.
„Noch
nicht lange. Aber… er ist in Ordnung.“
„Mh“,
machte er wieder. Aber es klang nicht so, als glaubte er ihm. Und er schien
auch nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Hugo verstand.
„Der
doppelte Knoten ist sehr einfach“, begann Hugo schließlich, wandte sich dem
Spiegel zu, und sein Dad betrachtete ihn mit einem ungläubigen Lächeln. „Du
musst schon mitmachen, Dad. Das ist kein Fernsehen“, bemerkte Hugo eindeutig,
während sein Vater ihm sachte gegen den Hinterkopf schlug.
„Unfassbar
witzig, Hugh. Wirklich.“
„Ginny,
wo bleibt ihr denn?“, rief sein Vater mit lauter Stimme, während sie wie die
Orgelpfeifen im Flur warteten. Albus hasste den Anzug schon jetzt. Er schwitzte
bereits unter dem verdammten Jackett. James war doch tatsächlich seit dem
Sommer noch ein nerviges Stück gewachsen, weswegen ihm die Anzughose ein wenig
zu kurz geraten war. Albus hasste seinen Bruder dafür, so viel größer zu sein
als er es war. Aber immerhin war sein Bruder ein wenig nervös. Es war das erste
Mal, dass er offiziell einer seiner Freundin irgendwo mit hinnahm. Albus hatte
es ihm kaum zugetraut.
„Wir
kommen!“, rief seine Mutter ebenso laut zurück. Sie ließ sich nicht gerne
hetzen. Immer wieder fuhr sich sein Vater durch die widerwilligen dunklen
Haare. Albus hatte seine Haare längst aufgegeben. Sie lagen, wie sie eben
wollten. Da war nichts dran zu machen. Außerdem glaubte er, bei seinem Vater
handelte es sich mittlerweile um einen nervösen Tick.
„Wir
kommen zu spät zu unserer eigenen Feier“, murmelte sein Vater gereizt. Er
wandte sich ihnen zu, inspizierte ihre Haare, ihre Anzüge, betrachtete sie von
oben bis unten und schien mit keinem seiner Söhne ansatzweise zufrieden. „Keine
Späße heute!“, warnte er sie jetzt direkt. „Keine Tricks, keine krummen
Sachen“, fuhr er strenger fort. „Ich möchte einen verdammt fantastischen
Hochzeitstag haben, und keiner von euch, wird sich irgendetwas leisten,
weswegen ich mich bei der Familie entschuldigen muss. Haben wir uns
verstanden?“ Zuerst fixierte er James, dann Albus.
„Glasklar“,
antwortete James, hörig wie immer. Albus‘ Kiefer spannte sich an.
„Albus“,
entfuhr es seinem Dad warnend, und Albus verdrehte die Augen.
„Keine
Sorge, Harry“, sagte er belustigt, aber sein Dad fand es nicht witzig.
„Das
kannst du dir sparen. Ein falscher Blick in Roses Richtung, und James bringt
dich nach Hause, ist das klar?“ Er sah ihn direkt an, und Albus glaubte, ein
wenig rot zu werden. Aus Wut, aus Verlegenheit – aus vielen Gründen. „Antworte
mir-“
„-ja,
verdammt“, unterbrach Albus ihn ungehalten.
„Ich
warne dich!“, sagte sein Vater noch mal, und Albus verdrehte die Augen.
„Ich
hab’s begriffen, ok?“
„Ok“,
räumte sein Vater dann ruhiger ein.
„Ok!“,
wiederholte Albus lauter, und schüttelte fassungslos den Kopf über seinen
Vater. Er konnte so scheiße sein! Wieder fuhr sich sein Dad über die Haare, und
zunächst lagen sie geplättet auf seinem Kopf, bevor sie sich wieder in alle
Richtungen wanden. Endlich vernahmen sie Schritte auf der Treppe, und Albus
wandte den Blick. Seine Mum trug ein grünes, enges Kleid, und sofort löste sich
sein Dad aus ihrer Reihe. Seine Mum gab sich immer Mühe, um-
Er
dachte nicht mehr weiter, denn sein Blick fiel auf das Mädchen oben am
Treppenabsatz. Albus dachte nie viel über Lily nach. Und seine Schwester wurde
von ihm und James lediglich deshalb in Schutz genommen, um sie zu ärgern, aber
heute erkannte Albus, dass es sich vielleicht lohnen könnte, Lily von lüsternen
Blicken zu schützen. Denn heute erkannte er seine kleine Schwester kaum. Ihre
Haare lagen glatt und glänzend. Das Kupfer leuchtete regelrecht. Sie trug
ebenfalls ein grünes Kleid, aber heller als das seiner Mum, und ihm war noch
nie aufgefallen wie ähnlich sie sich sahen.
„Gin“,
entfuhr es seinem Dad sprachlos, und seine Mum lächelte.
„Oh,
meine perfekten Gentlemen“, rief sie aus, als sie sie erblickte, aber ihr
Lächeln gefror. „Keine Streich heute, ich-“
„-Dad
hat uns schon gedroht, Mum“, unterbrach Albus sie lächelnd.
„Na
dann“, entfuhr es ihr. Albus fiel ebenfalls aus der Reihe, schloss den Abstand
zu seiner Mum und reichte ihr seinen Arm.
„Darf
ich bitten?“, fragte er grinsend, und sie hakte sich wohlwollend bei ihm unter.
„Wenn
deine schulischen Leistungen so gut wären wie deine Schauspielerei, hätten wir weniger
Sorgen, Al“, bemerkte sie kopfschüttelnd. Er musste breiter grinsen, während
Dad nahe zu Lily trat, flüsternd mit ihr sprach, aber Albus glaubte die Worte
‚wunderschön‘ und ‚ganzer Stolz‘ zu hören. Natürlich. Aber Albus blieb um einen
frechen Spruch verlegen. Wie auch James.
Und
Albus begleitete seine Mum nach draußen und apparierte mit ihr zusammen. Dad
apparierte mit Lily und James allein. Heute würde sich Albus heimlich
betrinken. Gut, dass sein Bruder apparieren musste. Dann stand ihm der Weg zum
teuren Feuerwhiskey garantiert offen.
Sie
landeten direkt vor den Stufen zum Goldenen
Drachen und Tante Fleur und Onkel Bill waren samt Kindern bereits
eingetroffen sowie die Malfoys. Albus löste sich vom Arm seiner Mutter, die
bereits Glückwünsche entgegennahm.
„Hey“,
begrüßte er Scorpius direkt, und hasste für einen kurzen Moment dieses
verdammte Malfoy-Gen, weswegen Scorpius so aussah, als wäre er bereits im Anzug
geboren worden. Scorpius war ins Gespräch mit Dom vertieft, was Albus zur
Kenntnis nahm. Seine Cousine beachtete er nicht weiter, denn sie sah aus wie
immer: Übertrieben und verzweifelt. Stinkender Blumenduft wehte zu ihm hinüber.
Sie war scheinbar getränkt in billigem Parfüm. Widerlich. Auch Scors Vater sah
eindrucksvoll aus, und Albus erinnerte sich an die Etikette. „Mr. Malfoy, Sir“,
begrüßte er ebenfalls seinen Vater.
„Albus,
schön dich zu sehen“, bemerkte der ältere Malfoy jetzt, bevor er den Weg zu
seinem Dad überwand.
„Wie
ich sehe, bist du schon wieder schwer beschäftigt?“, erkundigte sich Albus
spöttisch, und Scorpius wandte den Blick von Dom ab. Diese schien sich maßlos
über sein Auftauchen zu ärgern und schoss ihm einen zornigen Blick zu.
„Dominique, immer ein Vergnügen“, behauptete er bissig, und Dom verzog den
Mund.
„Ja,
sicher“, knurrte sie praktisch.
„Ihr
seid nicht mehr zusammen – nur so nebenbei“, ergänzte er stiller, und Dom
wandte sich zähneknirschend von ihnen ab. Scorpius sah ihn an.
„Was
wird das?“ Aber Albus zuckte die Achseln.
„Sorry,
aber diese dumme Kuh zu ärgern, wird niemals langweilig, Scor“, entgegnete er.
„Du siehst abscheulich aus heute“, ergänzte er kopfschüttelnd, aber Scorpius
schien zu wissen, dass dies garantiert nicht der Fall war.
„Neidisch?“,
erkundigte er sich, aber Albus war um eine Antwort nicht verlegen.
„Mhm“,
machte er grinsend, „Hugo wird sich direkt in dich verknallen“, ergänzte er.
Scorpius verdrehte die Augen.
„Hugo
ist freundlicher als du“, behauptete er, und Albus musste lachen.
„Oh,
ich weiß.“ Aber ihr freundschaftliches Geplänkel, was Albus sehr genoss, wurde
unterbrochen durch die nächste Ankunft. Unerwünschte Ankunft, ergänzte er in
Gedanken. Die Erwachsenen wandten sich ebenfalls um.
Albus‘
Mundwinkel sanken ein Stück. Presley Ford sah aus, wie nur ein Sohn eines
zukünftigen Ministers aussehen konnte – aalglatt, übertrieben schick, und auch
er war größer als er. Ihm fiel auf, dass auch Scorpius‘ Ausdruck düsterer
wurde.
„Auftritt
Romeo“, murmelte Albus grimmig, als Presley sofort zu seinen Eltern schritt, Hände
schüttelte, übertrieben große Geschenke überreichte, und sein Dad strahlte
regelrecht über den höflichen, scheiß perfekten Presley. Nach endlosen Floskeln
bemerkte er ihn und Scorpius, verabschiedete sich und kam zu ihnen.
„Abend,
Team“, begrüßte er sie mit einem bestechenden Lächeln. Albus mochte ihn immer
weniger.
„Abend,
Pres“, begrüßte immerhin Scorpius ihren Kapitän. „Netter Anzug“, ergänzte er
nickend.
„Ebenso“,
gab Presley das Kompliment zurück, und James erschien mit Rumer. Kurz reckte Albus
den Kopf höher, denn auch Rumer sah verdammt noch mal unglaublich aus. Was war
los mit den Mädchen? Wurden sie über Nacht alle zu Prinzessinnen? Er begriff es
nicht. Rumer begrüßte zuerst Lily und dann Dom und Vic. Louis druckste sich
neben seinen Eltern rum, hielt die Hand seiner neuesten Errungenschaft fest in
seiner, und wahrscheinlich hatte er auch nicht großartig vor, die Schönheit
weiter vorzustellen.
„Ich
wette gute Galleonen, dass Louis den Namen seiner Schnitte nicht mal weiß“,
bemerkte er still, und Scorpius folgte seinem Blick. Er verzog den Mund
nachdenklich.
„Den Vornamen bestimmt“, bemerkte er dann, mit einem flachen Lächeln.
„Ihr
seid scheiße“, entfuhr es Presley, aber seine Mundwinkel zuckten.
„Nicht
jeder kann ein Vorzeige-Muster-Slytherin sein, Pres“, erwiderte Albus
achselzuckend. Presley bedachte ihn mit einem knappen Blick.
„Wir
sollten reingehen“, rief sein Dad schließlich. „Ron und Hermine werden den Weg
schon finden.“
„Immer
zu spät“, beschwerte sich Bill. Bevor sie reingingen tauchten Onkel George und
Tante Angelina mit Fred und Roxy auf, und fast gleichzeitig Onkel Percy und
Tante Penelope. Es wurde langsam aber sicher voller und Albus ging als erstes
die Treppe nach oben, um die Tür aufzuschieben. Ein Kellner begrüßte sie
höflich, und sie mussten nicht mal den Namen äußern. Der Silbersaal war für sie
reserviert, und tatsächlich musste Albus staunen. Es war… unfassbar schön.
Schillernde Girlanden hingen von der Decke, eine silberne Zwanzig verpuffte in
der Luft, nur um am Ende des Saals wieder zu erscheinen, und eine riesige Tafel
stand am Ende des Saal, darum verteilt Stehtische, und überall glitzerte
Dekoration, leuchteten Lampions und nichtssagende Streichmusik ertönte aus den
magischen Lautsprechern.
Sie
durchschritten den Saal, und Albus guckte sich einen Platz aus, der am nächsten
zur Bar war. Kaum waren sie alle versammelt, öffnete sich die Tür wieder. Und
diesmal erhellte sich Albus‘ Gesicht. „Onkel Charlie!“, flüsterte er praktisch.
Auch Scorpius sah sich um. Sein Onkel Charlie war der Beste! Er war so cool,
dass Albus tatsächlich stolz war, mit ihm verwandt zu sein. Onkel Charlie
begrüßte seine Mum und seinen Dad, und nach und nach kamen die letzten. Onkel
Percys Töchter Lucy und Molly kamen zusammen – ohne Begleitung, natürlich –
denn wie sie ihm schon so oft erklärt hatten, ließ die Arbeit als magische
Außenbeauftragte zu wenig Zeit für Beziehungen. – Nicht, dass er jemals gefragt
hatte.
Teddy
Lupin kam ebenfalls zu spät, und ihm folgten Grannie Molly und Granpa Arthur.
Alle Kinder wurden jetzt gedrückt – sogar Presley, und natürlich Scorpius.
Fehlten nur noch… Tante Hermine und Onkel Ron, mit Kindern. Albus behielt die
Tür im Auge. Aber sie tauchten nicht auf. Fast wollte er Presley fragen, aber
er wollte nicht so wirken, als störe es ihn – und als würde er Presley
unterstellen, besser über seine Familie Bescheid zu wissen, als er es tat.
Geschenke
häuften sich auf dem langen Beistelltisch, und wieder standen sie in kleinen
Grüppchen zusammen, aber diesmal trennten sich die Kinder klar von den
Erwachsenen.
„Wow,
ihr seid… verdammt viele“, entfuhr es Presley anerkennend, als sie zusammen in
der Runde standen.
„Es
ist wie in Hogwarts. Eigentlich“, bemerkte Dom, die wieder auffallend nah bei
Scorpius stand.
„Ja.
Eigentlich nicht“, entfuhr es Albus spöttisch. Wieder erntete er Doms wütenden
Blick. Oh, dieses Spiel könnte er den ganzen Abend spielen. Er wusste, was Dom
hier tat. Es war so verflucht offensichtlich.
„Wo
ist Rose?“ Es war Rumer, die es fragte, und sie blickte erwartungsvoll in die
Runde.
„Sie
sind noch nicht da“, stellte Presley achselzuckend fest.
„Wundert
mich nicht“, bemerkte Dom mit verschränkten Armen. „Garantiert ist ihr jetzt
aufgefallen, dass man nicht in Quidditchuniform kommen kann“, lachte sie
glockenhell, und Albus atmete resignierend aus.
„Du
bist nicht witzig, Dom. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“, erwiderte er
laut, und Doms Blick war tödlich.
„Ja?
Immerhin steh ich nicht auf meine Cousine, Albus“, konterte sie wenig intelligent,
aber durchaus effektiv.
„Dom“,
sagte Rumer tatsächlich schockiert, aber Albus nickte lächelnd.
„Keine
Sorge. Ich denke, das war mein Stichwort“, entkam es ihm bitter, und er wandte
sich ab. Scorpius folgte ihm tatsächlich. „Ich hoffe, du fängst nicht wieder
was mit dieser hohlen Nuss an, Malfoy“, knurrte Albus jetzt und schlich sich
hinter die noch leerstehende Bar.
„Habe
ich kein Interesse dran“, sagte sein bester Freund entschieden, lehnte sich
gegen den hohen Tresen, und klammheimlich zog Albus eine Flasche Champagner
unterm Tresen hervor. Kein Feuerwhiskey, aber fürs Erste würde es reichen. Vor
allem, wenn er über Scorpius‘ Worte nachdachte und sich fragen musste, wo dann
sein Interesse lag, wenn nicht bei Dom. Scorpius war allerdings ein guter
Slytherin und warf ab und an Blicke nach rechts und links, aber die Erwachsenen
waren schwer beschäftigt damit, langweilig zu sein. Albus öffnete sein Jackett
und verbarg die Flasche im Innern.
„Bin
gleich wieder da“, versprach er mit einem kühlen Lächeln und verschwand durch
die angrenzende Schwingtür, um die Toiletten aufzusuchen. Der Flur hier lag
leer, und es gingen noch zwei weitere Türen ab. Er linste durch die dunklen
Bullaugenfenster. Ein Zimmer schien eine Art Abstellraum zu sein, und erkannte
blitzendes Porzellan in den Regalen, und der andere dunkle Raum war größer.
Vielleicht war es noch ein kleinerer Saal. Er ging weiter, bis zu den
Toiletten, und schob die letzte Tür auf. Es roch frisch nach Minze, und
Hogwarts könnte sich mal ein Beispiel an diesen Toiletten nehmen, dachte er
dumpf. Blitzeblank.
Er
holte die Flasche hervor, griff beherzt nach dem Korken und zog. Mit einem
lauten Plopp knallte der Korken und schoss ihm in die Hand. Champagner strömte
über seine Finger. Schon schwang die Tür auf, und er zuckte zusammen. Aber
Erleichterung überkam ihn.
„Na?
Was treiben wir denn hier?“, fragte ihn Onkel Charlie mit einem breiten
Grinsen, und seine roten Haare lagen so unordentlich, dass er bestimmt von
seiner Mum schon Ärger bekommen hatte.
„Nichts“,
log Albus halbherzig, und Onkel Charlie streckte ihm die Hand entgegen. Albus
gab ihm die offene Flasche und schüttelte die nasse Hand aus. Onkel Charlie
setzte den Hals direkt an die Lippen und trank einen großen Schluck.
„Gutes
Zeug“, entfuhr es ihm anerkennend. „Dann ist der Abend wohl gerettet“, ergänzte
er. Albus wusch sich die Hände, und sein Onkel tat es ihm gleich. „Ich hasse
Familienfeiern, Al“, fuhr Charlie kopfschüttelnd fort. „Vor allem, wenn Percy
da ist“, ergänzte er bitter. Albus musste lachen. „Wo ist Ronnie?“, fragte
Charlie ihn jetzt, aber Albus zuckte die Achseln.
„Keine
Ahnung“, sagte er wahrheitsgemäß.
„Schade.
Ich ärger den kleinen Hugo so gerne“, bemerkte Charlie grinsend. „Er ist ein richtiger
Percy“, ergänzte er. Charlie mochte Onkel Percy nicht. Das war eigentlich auf
jeder Familienfeier ein riesiges Highlight, denn Charlie ließ Onkel Percy seine
Ablehnung jedes Mal spüren, bis Grannie Molly einschreiten musste. Es war
großartig. Charlie trank einen letzten Schluck und reichte ihm die Flasche
zurück. „Lass dich nicht erwischen, Potter“, verabschiedete er sich von ihm,
und Albus verbarg die Falsche wieder in seinem Jackett. Er hatte einen Plan.
Er
verließ die Toiletten und verbarg die Flasche im angrenzenden Abstellraum,
direkt neben der Tür. Ihm musste nur gelingen, während der Feier immer mal
wieder Alkohol hierhin zu schmuggeln.
Er
verschloss anschließend sein Jackett wieder und marschierte in Richtung
Festsaal zurück. Die Stimmen waren lauter geworden, die Erwachsenen lachten,
und als er die Tür aufschob, erkannte er Onkel Ron direkt. Sein Lachen war am
lautesten. Sein Blick wanderte durch den Saal, und wie angewurzelt blieb er in
der Tür stehen. Sie stand etwas abseits, begrüßte die Familie, ließ sich
begutachten, lächelte höflich und unbefangen, während ihre wilden glänzenden
Locken das Licht fingen und in rotgoldenen Facetten wiedergaben. Er merkte
nicht, dass sein Kiefer locker wurde, dass ihr Anblick direkte Auswirkungen auf
seinen Körper hatte, und für einen Moment vergaß er die Menschen um sich herum,
vergaß, dass scheiß Leute wie Dom heute Abend hier waren.
Rose
war das Schönste, was er jemals gesehen hatte. Sie übertraf seine Schwester –
selbst seine Mum – um Längen. Ihr Kleid war eng und gleichzeitig luftig, und
ihre schlanken Beine steckten ihn verboten hohen Schuhen. Das Kleid schimmerte
in einem Blau, einem Grün, einem Silber, dass er kaum den Blick abwenden
konnte. Und er wusste nicht, ob sie Makeup trug. Von hier aus konnte er es
nicht erkennen, aber… selbst wenn nicht, dann sah sie trotzdem perfekt aus.
Presley
trat neben sie, und er erinnerte sich wieder, wo sie waren. In welcher
grausamen Welt er leben musste.
Und
zu wem Rose gehörte. Und wenn er über den weiteren Verlauf des Abends
nachdachte, nahm er an, dass es eine verdammt dämliche Idee gewesen war, nicht
auch irgendein Mädchen mitgenommen zu haben. Irgendeins.
Sein
Blick fiel, denn er wollte sie wirklich nicht länger ansehen. Vielleicht war
sie auch nur von weitem schön. Aus der Nähe sähe sie garantiert widerlich aus.
Er
hatte das Bedürfnis, noch etwas mehr zu trinken. Er wollte den Abend nicht
depressiv beginnen. Er wollte ihn auch nicht depressiv beenden, aber
wahrscheinlich würde daran kein Weg vorbeiführen.
„Und
als er Weihnachten nach Hause kam“, fuhr Mr. Malfoy mit knappem Blick auf
seinen Sohn fort, der am Ende des Tisches saß und nicht zuhörte, „erklärte er
mir, dass er einen neuen besten Freund hätte. Und… dieser hieß Albus. Und ich
fragte ihn, ob er sich da ganz sicher sei“, ergänzte er, mit einem leisen
Lächeln, und einige der Erwachsenen, vor allem Onkel Harry, schmunzelten über
seine Worte, und er atmete resignierend aus, „-aber es bestand kein Zweifel.
Sein bester Freund war Albus Potter“, beendete er die Anekdote, um deren
Erzählung Grannie Molly gebeten hatte.
Die
Erwachsenen lachten vereinzelt, und ihre Mum schenkte Mr. Malfoy ein warmes
Lächeln.
„Tja,
jetzt gehörst du wohl dazu“, entschied Onkel George achselzuckend. „Mein
Beileid“, ergänzte er grinsend, und Mr. Malfoy lächelte ebenfalls.
Sie
spürte Presleys Blick andauernd auf ihrem Gesicht, und tat ihr bestes, ihn
nicht anzusehen. Sie saß mit Absicht ganz am Rand, ihrer Mum gegenüber. Ihr Dad
saß neben ihr, ließ sie ab und eigenartige Meeresfrüchte probieren, die sie
nicht mal halbeklig fand, und sie gab sich Mühe, den Erwachsenen zuzuhören.
Presley saß Mr. Malfoy gegenüber. Sie ertappte sich zu häufig dabei, wie sie
Mr. Malfoy ansah, einfach, um nicht ihre Mutter oder Presley ansehen zu müssen.
Sie
hatte gemerkt, dass Albus, als er sie gesehen hatte, direkt Kehrt gemacht
hatte. Und es belastete sie. Alle hatten ihr versichert, dass sie wunderhübsch
aussah – Presley sogar mehrfach, und sie fühlte sich geschmeichelt. Aber es
fühlte sich alles ungewohnt und seltsam an. Tante Fleur hatte fast
Freudentränen geweint, vor Glück, aber Rose fand, Rumer und Lily waren ebenso
schön – und Dom…- Dom sah aus, als ginge es darum, einen Wettbewerb zu
gewinnen. Sie sah unglaublich aus! Doms Kleid war schwarz und etwas zu kurz,
aber gerade kurz genug, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Und Dom saß neben
Scorpius.
Rose
nahm an, das tat sie mit Absicht. Mit welcher Absicht auch immer.
Sie war
ziemlich stolz auf sich, denn sie hatte Scorpius heute nicht ein einziges Mal
angesehen. Aber aus den Augenwinkeln wusste sie bereits, dass er verdammt gut
in seinem Anzug aussah. Sie musste nicht mal hinsehen.
Unterm
Tisch griff Presley nach ihrer Hand, die angespannt auf ihrem Knie lag, und
eher unbewusst hob sich ihr erschrockener Blick zu seinem Gesicht.
„Alles
in Ordnung?“, fragte er sie, und sie konnte seinen Blick nicht wirklich deuten.
Sie nickte bloß, während sie hoffte, dass ihr Dad jetzt gerade den Blick
wandte. Sanft entzog sie Presley ihre Hand wieder. Die Begrüßung zwischen ihrem
Vater und Presley war eher kühl gewesen. Rose schämte sich dafür, dass ihre
Eltern hier waren, dass Presley hier war, dass sie immer noch nicht mit Hugo
sprach, und… alles in allem fühlte sie nicht einen Bruchteil der Schönheit, die
ihre Mutter ihr garantiert hatte, als sie zusammen vorm Spiegel gestanden
hatten.
Was
war nur los mit ihr? Fast wollte sie wieder nach Hause. Sie sehnte sich
plötzlich nach Hogwarts, nach dem Quidditchfeld und der Freiheit, die ein Besen
hoch über den Wolken brachte. Und sie wusste, Presley nahm es ihr übel, dass
sie so abweisend war. Er räusperte sich und rückte auf dem Stuhl zurück.
„Entschuldige
mich“, sagte er kühl und erhob sich, um aus dem Saal zu verschwinden und die
angrenzenden Toiletten aufzusuchen. Und hier passierte ihr der verdammte
Fehler, dass sie den Blick hob. Wirklich nur zufällig, absolut unbewusst. Und
er saß einfach direkt in ihrem Blickfeld, sie konnte es nicht verhindern.
Ihre
Blicke trafen sich, und die Sekunden vergingen merklich langsamer. Unbewusst
setzte sie sich gerader auf, streckte den Rücken durch, brachte ihre Brust nach
vorne, und ihre Lippen teilten sich. Fast war sein Blick anmaßend, fast
unverhohlen. Die grauen Augen so schamlos auf sie geheftet, dass sie spürte,
wie sie kurzatmiger wurde. Es war ein Blick, für den ihr Vater ihn verfluchen
und sie in ihr Zimmer einsperren würde, nahm sie an. Scorpius Malfoy sah sie
an, als zöge er in Gedanken bereits ihr Kleid ihren Körper hinab, und Rose
schluckte schwer, denn… diese Gedanken waren so absolut falsch und unpassend,
dass sie übergangslos rot wurde.
Mit
aller Macht wandte sie den Blick wieder nach vorne und starrte auf die weiße
Tischdecke. Es würde ein langer Abend werden….
Er
wusste nicht warum, aber er brauchte eine Pause. Eine… Auszeit. Cara hatte er
gesagt, er würde zur Toilette gehen, aber dort war er nicht angekommen.
Stattdessen hatte er den ungenutzten Saal betreten, durchschritt ihn langsam,
während es ihn in den Fingern juckte, die Lampen mit dem Zauberstab
anzuschnippen, und verengte die Augen, die sich langsam an die Dunkelheit hier
gewöhnten. Nur durch das Bullaugenfenster zum Flur drang fahles Licht hinein.
Es war eine schöne Feier, und er mochte Familienfeiern bis zu dem Grad, wo er
sich irgendwann verabschieden und nach oben verschwinden konnte. Hier ging das
nicht. Und er war auch nicht allein. Er hatte… eine Begleitung dabei, die es
ihm mehr als übel nehmen würde. Es war anstrengend neben den Slytherins zu
sitzen, befand er. Scorpius‘ Laune war mäßig bis schlecht, und Albus war
bereits einigermaßen betrunken. Woher auch immer er den Alkohol nahm!
Er
hörte Stimmen, und bevor er reagieren konnte, schob sich die Tür bereits auf.
Rein instinktiv – was absolut dumm war – zog er sich tiefer in das Dunkel des
Raumes zurück.
„Hier?“,
hörte er ein Wispern und ärgerte sich, dass er die Stimme sofort erkannte. Es
war Rumer.
„Ja.
Hier stört uns niemand“, erwiderte James leise, und Hugo verdrehte entnervt die
Augen. Oh nein. Bitte nicht. Rumer lachte verhalten, und fast wollte sich Hugo
bei dem widerlichen Kussgeräusch übergeben. Scheinbar hatte Fred jetzt die
Musik übernommen. James hatte sich noch gerüstet, einen perfekten Musikgeschmack
zu haben. Zu schade, dass er nicht hinterm Mischpult verblieben war.
„James“,
sagte Rumer jetzt – wieder Kussgeräusche. „James, nicht“, vernahm Hugo ihre
Stimme, und seine Fäuste ballten sich unwillkürlich.
„Warum
nicht?“, flüsterte James enttäuscht.
„Ich…-
nicht hier. Nicht… jetzt, ok?“
„Ist
es nicht romantisch?“, wollte James, der Ober-Primat, enttäuscht von ihr
wissen, und Hugo könnte sich dreitausend Orte und Zustände vorstellen, die
romantischer wären, als der kühle Ersatzsaal im Goldenen Drachen, Merlin noch mal.
„Ich…
bin noch nicht so weit“, räumte Rumer stiller ein, und Hugo konnte nicht
anders, als jedes ihrer Worte aufzusaugen. Und dann atmete James schwer aus.
„Hey,
ich… will dich nicht drängen. Überhaupt nicht“, begann sein dämlicher Cousin,
klang aber nicht wirklich ehrlich. „Ich… frage mich nur, was das Problem ist?
Seit… einer ganzen Weile darf ich dich nicht mal mehr anfassen. Ich dachte, es
wäre ein ziemlich idealer Zeitpunkt heute“, schloss er, etwas beleidigt. Ideal
wofür, dachte Hugo kopfschüttelnd und mochte seinen verdammten Cousin nicht
leiden.
„Ideal
wofür?“, wiederholte Rumer tatsächlich seine mentale Frage, und Hugo spitzte
die Ohren. Ja, wie würde sich James da raus reden wollen.
„Keine…
Ahnung“, wich James ihrer Frage aus. „Ich meine nur… wir sind nicht in
Hogwarts, wir… sind hier ungestört. Es ist ziemlich perfekt, oder?“
„Ich…
werde hier keinen Sex mit dir haben, falls es das ist-“
„-nein!
Merlin, nein!“, fuhr James dazwischen. „Ich… Mann, Rumer, ich will doch bloß –
keine Ahnung!“, schloss er unzufrieden. „Schon gut. Ich gehe wieder rein.
Sorry, dass ich dachte, dass… es dir gefällt.“ Hugo hörte, wie James sich
abwandte.
„James!“,
rief Rumer ihm nach, aber gegen das Licht vom Flur, hob James abwinkend die
Hand.
„Passt
schon, Rumer“, schloss er und verschwand.
„So
eine Scheiße“, hörte Hugo Rumer fluchen. Dann zog sie die Nase hoch und
verblieb, wo sie war. Super. Jetzt stand er hier wie ein Vollidiot im Dunkeln.
Wieder schniefte sie, und Hugo wusste, sie weinte. Er überlegte sehr kurz,
bevor er sich langsam in Bewegung setzte. Sie stand gegen das Licht, und er kam
näher. Der Teppich schluckte seine Schritte.
„Nicht
erschrecken, ok?“, versuchte er, sehr ruhig zu sagen, als er hinter ihr stand,
aber natürlich war das eine saudumme Idee. Rumer zuckte zusammen, schrie auf,
und blind hatte sie die Faust nach oben gerissen. Hugo wich aus – nur leider zu
spät. Hart traf ihn ihre Faust direkt gegen sein Kinn, denn sie zielte blind
und war wesentlich kleiner als er.
„Au!“,
rief er stöhnend, wich zurück und hielt sich sein schmerzendes Kinn. Sein
Kiefer knirschte kurz, als er ihn bewegte, und Rumer wich zurück.
„Hugo?“, entfuhr es ihr ungläubig.
„Mhm“,
machte er schmerzerfüllt, und sie kam wieder näher.
„Oh Merlin, was…? Was tust du hier?“, entkam es ihr heiser.
„Ich…
ich brauchte etwas Ruhe, und dann… kamt ihr, und…“
„Und
du versteckst dich wie ein Perverser in den Schatten?“ Ja. So ungefähr sah es
wohl aus. Noch immer rieb er sich den Kiefer. „Tut… tut es weh?“, fragte sie
ihn, kam noch näher, um ihn anzusehen, aber er nahm an, soweit reichte das
Licht nicht wirklich. Seinen Schatten würde sie ausmachen können.
„Nein“,
log er bloß, und es war das erste Mal, dass sie sprachen. Seit… seit einer
Weile.
„Sorry“,
entkam es ihr zaghaft.
„Mir
tut’s leid“, entgegnete er schließlich.
„Du…
hast alles gehört?“, vergewisserte sie sich vorsichtig, und er nickte – was sie
wohl nicht sehen konnte.
„Ich…-
so ungefähr.“
„Hör
zu-“, begann sie plötzlich, aber er wollte nicht über James reden.
„-du
musst mir nichts erklären. Schon gar nicht, warum du nicht mit meinem Cousin in
einem Saal eines Restaurants schlafen willst. Wirklich nicht“, ergänzte er
eindeutig.
„Nein,
ich…“, widersprach sie unschlüssig und atmete dann aus. Er schwieg. „Wegen…
damals. Wegen…“
„Vergiss
es einfach“, rang er sich ab, denn darüber wollte er auch nicht reden. Nicht
wirklich. Nicht, wenn sein Dad falsch lag. Nicht, wenn…-
„-ich…
kann es nicht wirklich vergessen, Hugo“, flüsterte sie fast. Hugo stand
stocksteif vor ihr. Er blinzelte und wusste nicht wirklich, was sie sagen
wollte.
„Was?“
Seine Stimme war nicht laut, nicht sicher.
„Ich
meine…, ich weiß! Du bist jetzt mit Cara zusammen, und ich… habe James“, begann
sie hastig.
„Ja?“,
warf er lauernd ein, denn… das wusste er. Worauf wollte sie hinaus? Schließlich
schien sie sich zu besinnen, atmete lange aus, und er sah im Halbschatten, wie
sich ihr Kopf schüttelte.
„Ich…
sollte wieder reingehen. Ich sollte… mit James reden.“
„Ja“,
bestätigte er, aber das wollte er nicht sagen. „Oder… du gehst nicht“, ergänzte
er, eine Spur unsicher. Sie verharrte vor ihm. Er spürte eine Gänsehaut über
seinen Körper laufen, denn diese Worte waren nicht unbedingt dazu geeignet, auf
viele Arten ausgelegt zu werden. Fast spürte er ihren Blick, konnte ihre grünen
Augen in seinem Geist deutlich sehen. Er hörte ihre kurzen Atemzüge. Zum ersten
Mal spürte er, dass er tatsächlich kein Gryffindor war. Mut zur Dummheit war
eine Sache, die ihm schwer fiel. Alles auf eine Karte zu setzen und zu hoffen,
dass man richtig lag – das war nicht wirklich eine sichere Entscheidung. Es war
nicht Ravenclaw.
Aber…
sie sagte, sie könne es nicht vergessen. Es war so eine Sache mit der Hoffnung.
Der leiseste Funke konnte ein ganzes Feuer entfachen. Er tat einen unsicheren
Schritt, stand nahe vor ihr, hob langsam seine Hand, und sie ließ ihn gewähren,
rührte sich nicht. Er sollte nicht. Wirklich nicht.
Aber…
er konnte leider nicht anders. Sein Herz schlug so schnell, und bevor seine
heißen Finger ihre Wange berühren konnte, kam sie ihm entgegen, lehnte sich
vor, und sein Mund fiel auf ihre Lippen. Kurz stach sein Kiefer, aber es war
egal. Sie drängte sich seufzend gegen ihn, und dass James älter und stärker
war, rückte in seinem Bewusstsein weit nach hinten. Dass es tausend
romantischere Orte gab, ignorierte er ebenfalls, und sein Arm schlang sich um
ihre Taille, spürte den samtenen Stoff des Kleides, und ihr Duft stieg ihm zu
Kopf. Genau das wollte er!
Ihre Hände griffen zitternd in seine Haare,
zerrten an den Strähnen, und seine Zunge fand ihre, und es war so wie damals in
der Eulerei.
Seine
Hand verließ ihr Gesicht, fiel auf ihre schlanke Taille, und mit beiden Händen
zog er sie enger an seinen Körper, ging etwas in die Knie, um sie verlangender
zu küssen, und es war Rumer, die mit fahrigen Bewegungen, sein Jackett seinen
Schultern hinabschob.
Merlin!
Er würde nicht aufhören können, selbst wenn-
-grelles
Licht entflammte über ihnen, und seine Augen flogen auf.
„Was
zur…?“ Rumer wich vor ihm zurück, und mit offenem Mund blinzelte er gegen die
plötzliche Helligkeit. „Was… soll das denn?“ Fred stand mit offenem Mund in der
Tür, den Zauberstab erhoben, und zum ersten Mal in seinem Leben, war Hugo
absolut sprachlos. Hastig richtete er sein Jackett und wagte einen kurzen Blick
in Rumers Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, die Augen ungläubig weit, und
Schuld stand tief auf ihrem Gesicht geschrieben.
„Fred“,
begann Rumer zitternd, „ich-“
„-du…
bist doch mit James zusammen?“, entkam es seinem Cousin kurz ein wenig
verwirrt.
„Ja,
ich…“
„Wieso…
seid ihr dann…?“ Und tatsächlich betrachtete Fred ihn so, wie er ihn immer
betrachtete. Fred war der einzige, den er tatsächlich am schlechtesten kannte.
Und auch Fred hatte sich die nie die Mühe gemacht, ein Gespräch mit ihm zu
führen. Fast fühlte sich Hugo geneigt, sich vorzustellen, denn Fred sah ihn an,
als erkenne er ihn überhaupt nicht. „Das… ist Hugo“, schloss er, als wäre es möglich,
dass Rumer ein ehrlicher Fehler passiert wäre.
„Ich
weiß“, flüsterte Rumer, jetzt mit Tränen in den Augen.
„Das
glaub ich nicht“, entfuhr es Fred plötzlich mit großen Augen. „Verdammter
Doxymist!“
„Bitte“,
begann Rumer heftig, „sag es nicht James, ok?“ Hugo wusste, es wäre an der
Zeit, den Mund aufzubekommen. Fred ignorierte Rumers Worte und fixierte Hugo
schließlich.
„Du… bist mit Cara hier, oder nicht?“ Hugo atmete angespannt die Luft aus, die
er angehalten hatte.
„Ich – schon“, bestätigte er dann widerwillig.
„Wenn
du… hier mit Rumer bist – darf ich dann mein Glück versuchen?“ Fred schien ein
Kaufmann wie sein Vater zu sein, stellte Hugo milde überrascht fest. Es war
Rumer, die antwortete.
„Nein! Darfst du nicht!“, widersprach sie sofort, und mit roten Wangen starrte
sie ungläubig auf Fred.
„Hey,
ich denke, du brauchst dich gar nicht aufregen! Was ist, Hugo? Die Sache ist
gegessen, oder nicht?“, wollte er zügig wissen, und Rumer schien sein Verhalten
tatsächlich widerlich zu finden.
„Das
ist alles, woran du denkst? James ist dein bester Freund, oder nicht?“, entfuhr
es ihr anklagend, aber Hugo schenkte ihr einen knappen Blick. Anscheinend
verlor sie gerade das Wesentliche aus den Augen, und das schien auch Fred so zu
sehen.
„Hey
– ich werde ihm heute garantiert nicht stecken, dass seine Freundin sich einen
Weasley gesucht hat. Ich… möchte lediglich Cara trösten“, schloss er mit
eindeutigem Blick. „Und… wenn du mich lässt, dann… habe ich nichts gesehen“,
entschied Fred mit eindeutigem Blick, und Rumers Mund schloss sich empört.
„Ansonsten wird das unangenehm. Für uns alle“, ergänzte er stiller.
Rumer
blickte starr auf den Boden, und Hugo hatte sehr schnell erkannt, dass jeder
Ausweg beschissen wäre. Entweder Fred ging zu James und es würde ein
schrecklicher Abend werden, oder… Hugo gab Fred grünes Licht und… es würde ein
schrecklicher Abend werden. Aber immerhin würde die Sache nicht auffliegen.
„Ok“,
rag sich Hugo schließlich zähneknirschend ab.
„Ok?!“,
entfuhr es Rumer tatsächlich, aber Fred reckte den Daumen in die Höhe.
„Fantastisch!“,
entgegnete er. „Dann… viel Spaß noch“, schloss er, löschte das Licht wieder und
hatte sich zügig abgewandt. Sie standen wieder im Dunkeln, und Hugo atmete
lange aus.
„Wie…
konntest du das tun?“, flüsterte Rumer entsetzt.
„Was?
Verhindern, dass James uns lyncht? Ich denke, es war reiner
Überlebensinstinkt“, schloss er, aber Rumer schnaubte auf.
„Du hast Cara aufgegeben! Du gestattest deinem Cousin, sie einfach… zu haben!“,
entfuhr es ihr wütend, aber Hugo verdrehte die Augen.
„Als
ob sie sich auf Fred einlassen würde“, entkam es ihm kopfschüttelnd,
„außerdem“, fuhr er eine Spur gereizter fort, „habe ich deinen Hintern
gerettet!“, bemerkte er bitter, und er konnte ihren Zorn praktisch spüren.
„Oh
wirklich?“, knurrte sie. „Wie großzügig von dir! Du opferst deine Freundin,
damit es nicht auffliegt!“
„Willst
du das?“, fuhr er sie zornig an. „Wenn du möchtest, dass ich da rein marschiere
und James sagen soll, dass du kein Interesse an ihm hast, aber durchaus bereit
dazu bist, mich hier zu küssen, dann-“ Er sah ihre Hand nicht wirklich kommen,
und wieder wich er zu spät aus. Er fluchte unverschämt laut auf, und jetzt
hatte sie ihn das zweite Mal geschlagen! Seine Wange hatte sie knapp verfehlt,
hatte wieder seinen Kiefer getroffen, und dumpfer Schmerz summte wieder durch
sein Kinn.
„Rumer,
verdammt!“, fuhr er sie an, aber sie hatte sich zornig abgewandt. Er stolperte
hinter ihr her, aber zornig fuhr sie herum.
„Lass es, Hugo!“, zischte sie bloß. „Du bist feige und scheiße!“
„Was?“,
rief er empört aus. „Dann sag es mir!“, forderte er plötzlich stiller, und
hielt sie am Arm auf. Ihr Blick hob sich, so viel erkannte er. „Sag mir, dass
ich es allen sagen soll. Sag es mir!“, befahl er, und würde sie es wollen,
würde sie es von ihm verlangen, dann… würde er ein Gryffindor sein. Dann würde
er-
„-mach
dich nicht lächerlich“, flüsterte sie heiser. „Das würde doch niemand glauben“,
schloss sie still, und wie verbrannt ließ er ihren Arm fahren. Was? Aber… er
verstand. Weil er ein kleiner Junge war. Ein Kind, in ihren Augen. Der alberne,
verschrobene Hugo Weasley, den man nicht ernstnehmen konnte. Sie spielte mit
ihm. Und das war alles. Er schritt an ihr vorbei.
„Hugo“, sagte sie qualvoll, aber er schüttelte den Kopf.
„Tut
mir leid, dass ich… dich geküsst habe. Das war dumm von mir.“ Er schob die Tür
zornig auf, hörte Rumers Stimme, aber seine Augen fanden ein anderes Ziel.
„-weil
es anstrengend ist, Rose!“, sagte Presley gepresst. „Weil ich mir Mühe gebe.
Weil ich nichts falsch mache, und du trotzdem so verdammt distanziert bist,
dass es wehtut. Oder irre ich mich?“, wollte er von seiner Schwester wissen,
und Hugo gefror.
„Ich-
nein, Presley. Ich… es tut mir leid, dass-“
„-willst
du mich hier haben?“
„Ja!
Natürlich!“, entkam es seiner Schwester fast flehend.
„Wieso
redest du dann nicht mit mir?“ Seine Stimme war lauter geworden, und Hugo
entschied sich recht spontan, von irrationaler Wut getrieben. Roses Blick war
so offen, so hilflos. Er kannte seine Schwester so nicht. Ganz und gar nicht.
Und ja, sie sprachen nicht, aber… zur Hölle damit!
„Lass
sie in Ruhe“, verlangte Hugo kälter, als er erwartet hatte. Mutiger, als er
erwartet hatte.
„Hugo!“
Rumer war ihm gefolgt, war nun dicht hinter ihm, aber Hugo ignorierte sie.
Presleys verwunderter Blick traf ihn.
„Es
ist alles in Ordnung, Hugo“, behauptete Presley schlicht, aber Hugo war nicht
blind.
„Ach
ja?“, entkam es ihm. „Hör auf, meine Schwester zu bedrängen.
„Ich
bedränge niemanden. Und es geht dich nichts an!“ Die letzten Worte hatte er
lauter geäußert, und Rose war zusammen geschreckt. Hugo verzog den Mund, denn
es löste ein beschissenes Gefühl in ihm aus. Sein Verstand wog ab, wie groß der
Schaden wohl wäre, den er nehmen würde, würde er jetzt tatsächlich ausholen und
Presley schlagen.
Und
es wurde nicht besser, denn langsam wurde es voll im Flur. Albus torkelte durch
die angrenzende Tür zum Saal und blieb verblüfft stehen, als er sie erkannte.
„Na?
Was haben wir denn hier?“, lallte er einigermaßen belustigt. Presley stöhnte
unterdrückt auf. „Witzig, oder? Es ist wie… wie in den Drei Besen, damals.“ Und
Hugo kannte die Details dieses Abends nicht im Einzelnen. Er wusste nur, auch
an diesem Abend war Rose irgendwo mit Presley und Albus gewesen. Allein. Unter
welchen Umständen auch immer.
„Albus,
lass es. Halt dich da raus“, warnte Presley ihn, sichtlich müde.
„Oh!“,
entfuhr es Albus lächelnd. „Es gibt was, wo ich mich raushalten soll? Wie
spannend“, schnarrte seine betrunkene Stimme. Presley verdrehte die Augen.
„Rose,
könntest du deinen Verwandten erklären, dass ich nichts falsch gemacht habe?
Bitte“, ergänzte er gefährlich ruhig. Rose schien sich zu sammeln, und dann
nickte sie.
„Presley
hat nichts falsch gemacht. Es muss sich hier keiner aufspielen“, ergänzte sie,
kurz in Albus‘ Richtung, kurz in seine.
„Warum
weinst du dann?“, erkundigte sich Albus, und sein Lächeln war verschwunden.
Überrascht tastete seine Schwester nach ihren Wangen, und sie schien es
tatsächlich nicht gemerkt zu haben.
„Rose“,
sagte Presley schließlich, senkte den Blick, und schien zu einem bitteren
Schluss zu kommen, „ich werde gehen“, sagte er dann. Roses Augen weiteten sich
panisch.
„Nein! Bitte, Presley! Nein!“ Sie schloss den Abstand, schien Presley
tatsächlich küssen zu wollen, aber dieser hielt ihre Handgelenke fest.
„Nicht“,
verlangte er gepresst. „Es war… absolut dumm von mir. Ich habe mir was
vorgemacht. Ich dachte, du… würdest mich mögen, würdest mich wollen-“
„-das
tue ich, Presley!“, versicherte seine Schwester fast hysterisch. „Das tue ich
auch!“, wiederholte sie.
„Nein, das tust du nicht, Rose. Du willst nicht mich. Mich hast du heute kein
einziges Mal angesehen, Merlin noch mal!“ Und es war wohl eine bittere
Wahrheit. „Und ich habe verdammt lange gebraucht, um es zu sehen.“
„Presley“,
flehte sie unter Tränen, aber Presley schob ihre Hände beiseite.
„Bitte.
Ich stehe dir nicht mehr im Weg, Rose.“ Und Hugo wusste nicht, ob Rose
verstand. Ob sie überhaupt begriff, was Presley sagte. Denn für ihn war es
offensichtlich. Er hatte es heute ein Dutzendmal gesehen. Rose hatte Scorpius
so oft angesehen, dass es fast schon peinlich war.
„Presley!“,
rief sie, aber er wandte sich kopfschüttelnd ab, und tatsächlich setzte sie ihm
nach, und Hugo reagierte geistesgegenwärtig und umfing ihren Unterarm.
„Nicht.
Lass ihn“, sprach er ruhige Worte, aber seine Schwester wehrte sich.
„Nein!
Lass mich! Ich muss mit ihm reden, ich-!“
„-Rose!“,
entfuhr es Hugo ungläubig. „Du willst doch überhaupt nicht mit ihm zusammen
sein!“ Und jetzt funkelte seine Schwester so bösartig zornig zu ihm auf, dass
Hugo kurz den Atem anhielt. Mit grober Gewalt entriss sie ihm ihren Unterarm.
„Woher
willst du wissen, was ich will, Hugo?“, fuhr sie ihn bitter an. „Als ob es dich
einen verdammten Scheißdreck interessieren würde, was ich will und was nicht!“,
blaffte sie ihn an. Und dann fiel sie in einen lächerlichen Laufschritt, denn
ihre Schuhe waren viel zu hoch für sie. „Presley!“, hörte er die verzweifelte
Stimme seiner Schwester, und er hasste, dass sie sich etwas vormachte. Und ihn
fertig machte dafür! Denn er wusste, was seine blöde Schwester eigentlich
wollte. Hugos Kiefer spannte sich schmerzhaft an. Rumer hatte ihn zweimal
geschlagen, Rose ließ sich von ihm nicht helfen – er fühlte sich absolut
beschissen.
„Vielleicht…
solltest du dich etwas mehr um deine Begleitung kümmern, Hugh, denn Fred gibt
sich mächtig Mühe, die arme Cara zu umgarnen. Es ist ein Trauerspiel da drin“,
lallte Albus, und Hugo tauschte einen kurzen Blick mit Rumer, die gänzlich
überfordert wirkte.
Und
vielleicht würde Hugo das, wenn sich Albus auf den eigenen Beinen halten
könnte. Er knickte glucksend ein, und gleichzeitig griffen Rumer und er unter
seine Arme.
„Wir…
sollten ihn ablegen“, brachte Rumer mit eiserner Kontenance über die Lippen,
während sie beide Albus‘ Gewicht hielten.
„Hey!
Ich kann alleine… stehen“, murmelte Albus, aber sein Kopf sank langsam auf
seine Brust.
„Besser
er schläft, als dass er alle hier als Schlammblüter beleidigt“, knurrte Hugo
gereizt, und mit gemeinsamer Anstrengung schleiften sie Albus zurück in den
leeren Saal.
„Ha
ha!“, rief Albus grinsend aus, als wäre es ein fabelhafter Witz gewesen. „Gute
Zeiten…“, lallte er, und Rumer atmete entnervt aus.
„Alby,
du bist so ein Wichser!“, beleidigte sie ihn konsequent, und fast musste Hugo
lächeln. Aber nur fast.
„Verbringst
viel Zeit mit unserm Hugo, hm?“, murmelte Albus und ließ sie sein Gewicht nun
praktisch vollständige alleine tragen. „Ist ´n Süßer, nicht wahr?“, fuhr er
fort, und Hugo wollte ihn einfach schlagen. „Vielleicht… kann er dir von dem
Abend erzählen, als er mich im Grimmauld Place besuchen kam – ganz der Macho,
und mich zwingen wollte, nach Hause zu kommen? Fantastische Geschichte, nicht
wahr, Hugh? Als du mich erpressen wolltest-?“
„-halt
die Klappe, Albus“, unterbrach Hugo ihn eilig, während sie ihn über den Teppich
schleiften, bis sie ihn zu einer Stuhlgruppe bugsiert hatten, wo sie ihn mehr
schlecht als recht ablegten.
„Denn
Hugo weiß so verdammt viel!“, lallte Albus, und im Dunkel war es schwer,
überhaupt noch irgendetwas zu sehen.
„Albus“,
kam es warnend über Hugos Lippen, und mittlerweile glaubte er, Albus tat das
mit blanker Absicht.
„Vielleicht…
ist es mittlerweile ja offensichtlich. Ich meine, der arme Presley weiß es
auch, nicht wahr?“ Die Frage galt wohl ihm, aber Hugo antwortete nicht.
„Was
weiß Presley?“, entfuhr es Rumer jetzt, und Hugo stöhnte auf.
„Gar
nichts, Merlin noch mal. Albus, ich hole James. Vielleicht kann er dich
unbemerkt nach Hause bringen“, schloss er knapp.
„Was
läuft bei euch?“, ignorierte Albus ihn, und seine Worte klangen forsch.
„Gar
nichts.“
„Gar
nichts!“
Er
und Rumer sprachen gleichzeitig, und Albus kicherte albern auf den Stühlen,
bevor er sehr laut gähnte. „Ihr seid doch alle bescheuert“, murmelte er träge,
und Hugo war sehr, sehr dankbar, als das laute Schnarchen den Saal erfüllte.
Merlin sei Dank.
„Was
meint er damit, du warst im Grimmauld Place?“, wandte sich Rumer nach einer
kurzen Stille an ihn.
„Keine
Ahnung, was er meint“, entgegnete er bloß.
„Hugo-“
„-es
ist schon gut, Rumer. Du musst nicht mit mir reden. Du machst dich nur
lächerlich“, wiederholte er ihre Worte scharf und erhob sich. Sie tat es ihm
gleich.
„Ich
habe es nicht so… gemeint“, rang sie sich die Worte ab, und langsam schritt er
durch die Dunkelheit voran. „Hugo!“ Er blieb stehen, und Rumer lief direkt in
ihn hinein. Bevor sie etwas sagen konnte, drehte er sich um, fand ihre
Schultern, und fasste seinen spärlichen Mut zusammen.
„Ich
mag dich, Rumer MacLeod“, sagte er ernst. „Und ich… werde Cara sagen, dass ich…
nicht mit zusammen sein kann. Und wenn… dir das irgendwas bedeutet, dann… weißt
du, dass ich… da bin. Wenn du das willst, und es nicht zu lächerlich für dich
ist“, schloss er stiller, und er hörte sie seufzen. Er ließ ihre Schultern
wieder los.
„Du…
bist Roses kleiner Bruder“, flüsterte sie schließlich.
„Na
und?“, entkam es ihm rau. Er hob die Hand zu ihrer Wange, und diesmal fuhren
seine Knöchel federleicht über ihre Haut. Er hörte, wie sie den Atem anhielt.
„Das stört mich nicht“, schloss er tonlos. „Überleg es dir.“ Schweren Herzens
zog er die Hand zurück und hoffte, dieser Abgang war, was Rumer haben wollte.
Was für ein anstrengender Abend. Und doch… schlug sein Herz sehr schnell.
Sie
hastete durch die Halle, aber es war schwer, ihn einzuholen. Vor allem auf
diesen Schuhen! Sie sah davon ab, noch mal seinen Namen zu rufen. Die
Erwachsenen lachten und tanzten, und sie spürte die verdammten Blicke. Fast war
es sanfte Nachsicht. Als wäre sie ein Kind, und solche Beziehungsprobleme wären
lächerlich, und alle wussten es besser. Sie ignorierte sie alle und eilte
Presley nach, der bereits die Stufen erreicht hatte, die zum Ausgang führten.
Im
Vorbeigehen sah sie Dom und Scorpius ins Gespräch vertieft, und sie hasste,
dass es ihr auffiel. Sie hasste, dass sie selbst unbewusst darauf achtete – und
sie hasste, dass Presley glaubte, er stünde ihr im Weg!
Und
was fiel ihrem Bruder plötzlich ein? Sie war sauer auf Hugo. Und auf Alby. Und
auf Presley. Eilig lief sie die Stufen runter. So schnell sie eben konnte, und
endlich holte sie ihn ein, als er die schweren Türen aufzog, den Kellner
ignorierte, und sie schlüpfte ebenfalls nach draußen.
„Presley!“,
rief sie verzweifelt, und schließlich blieb er stehen. Die kalte Nachtluft ließ
sie zittern. Die Stola lag drinnen über ihrem Stuhl.
„Geh
rein, Rose“, warnte er sie, ohne sich umzudrehen.
„Bitte!“,
flehte sie schlotternd, und zornig wandte er sich zu ihr um.
„Bitte
was, Rose? Warum folgst du mir?“
„Weil
ich nicht will, dass du gehst“, wisperte sie und zitterte heftiger.
„Aber
du willst auch nicht, dass ich bleibe. Und deshalb gehe ich. Bitte, geh wieder
rein.“ Bockig schüttelte sie den Kopf. Genervt zog er den Zauberstab, richtete
ihn auf ihre Gestalt und sprach den Wärmezauber stumm. Sofort entspannte sich
ihr Körper und Wärme erfüllte sie.
„Geh
nicht“, bat sie ihn, mit Tränen in den Augen. Presley sah sie ernst an.
„Was
soll ich da drin? Zusehen, wie du ihn anschmachtest. Ich bin besser als das,
Rose.“
„Es stimmt
nicht!“, wehrte sie sich heftig gegen seine verdammten Worte, aber er lachte
auf.
„Ich
will wirklich nicht derjenige sein, der es dir buchstabiert, Rose, und
vielleicht…“ Er biss sich kurz auf die Lippe. „Vielleicht tust du es auch nicht
mit Absicht, aber… du willst mich nicht wirklich.“ Rose hasste, dass er so
sprach. „Ich wünschte, es wäre anders, aber ich kann nicht mehr so tun, ok? Ich
will nicht mehr dazwischen stehen.“
„Presley“,
flüsterte sie unglücklich, und tatsächlich kam er näher und hielt direkt vor
ihr inne. Dann zog er sie in seine Arme und sie ließ sich von ihm halten.
„Ich…
wäre sehr gerne dein Freund gewesen. Aber… ich komme gegen ihn scheinbar nicht
an“, schloss er seufzend. Dann löste er sich von ihr.
„Aber…
das stimmt nicht“, beharrte sie kopfschüttelnd auf ihren Worten, und Presley
lächelte schwach.
„Es
ist fast beruhigend, dass du gar nicht zu wissen scheinst, warum du mir
wehtust. Es macht es… etwas besser.“ Er war so schrecklich erwachsen. Dann
verließ sein treuer Blick ihr Gesicht, und Rose wollte nicht, dass er ging,
denn dann hatte sie keine Ausreden mehr an die sie sich klammern konnte. „Und
ich denke…, das ist mein Stichwort“, schloss er bitter. Sie wandte überrascht
den Blick.
Scorpius.
Er hatte das Restaurant verlassen und stand nun unschlüssig vor der Tür, sah zu
ihnen hinab, und Presley streckte den Rücken durch. „Kannst es nicht abwarten,
was, Malfoy?“, entkam es ihm grimmig. „Keine Sorge. Ich bin schon weg.“ Rose
konnte nur verzweifelt zu ihm auf sehen. „Und jetzt musst du mich gehen
lassen“, bat er sie still. „Zumindest das schuldest du mir.“ Sie hasste, dass
er Recht hatte. Mit allem, was er sagte. Sie schloss die Augen und rang um
Fassung.
„Es
tut mir so schrecklich leid“, flüsterte sie untröstlich. Presley zuckte
schließlich die Achseln.
„Viel
Glück, Rose.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab, wirbelte um sich selbst und
war verschwunden. Der Geruch von Schnee lag in der Luft, und kaum war Presley
appariert, erfasste sie die beißende Kälte wieder. Und leer starrte sie auf die
Stelle, wo Presley gestanden hatte. Gerne hätte sie etwas Schlagfertiges
gesagt. Etwas Gemeines. Sie hätte Scorpius vorschlagen können, zurück zu Dom zu
gehen, da sie ihn bestimmt schon vermissen würde, aber… sie konnte nicht.
Sie
zitterte unwillkürlich und hasste diesen Abend. Wie lange war Scorpius schon
da? Was hatte er alles gehört? Und was genau wollte er? Wollte er sich lustig
machen? Wollte er ihr schadenfroh erklären, wie erbärmlich sie war? Mit dem
letzten bisschen Fassung, was sie finden konnte, wandte sie sich um. Sie hatte
sich absolut lächerlich gemacht. Sie war Presley nachgelaufen, hatte irgendwo
gehofft, ihn umzustimmen, aber nicht mal ihr Aussehen schien gereicht zu haben.
Nicht, dass sie sich noch in irgendeiner Weise überlegen fühlte. Tat sie nicht
mehr.
„Was
willst du?“, fuhr sie ihn schließlich an, denn er schien gar nichts sagen zu
wollen. Sie zitterte mittlerweile. Der Zauber des Kleides wirkte draußen nicht
mal ansatzweise. Und sein eisiger Ausdruck schmolz irgendwann, und es regte sie
nur noch mehr auf. Er schüttelte sich aus seinem scheiß Jackett, was ihm so
verdammt gut stand, dass sie kotzen könnte. Sie erlaubte sich auch jetzt nicht,
in sein Gesicht zu sehen. Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich brauche dein Jackett
nicht!“, warnte sie ihn, aber er schenkte ihr wenig Beachtung, schloss den
Abstand und hielt es ihr entgegen. Bockig starrte sie auf das Jackett und
schüttelte bloß den Kopf. Sie wollte an ihm vorbei, und er breitete das Jackett
aus und legte es um ihre Schultern. Sehr kurz überlegte sie, es von ihren
Schultern zu schütteln, aber die warmen Fasern taten sofort gut, auf ihrer
unterkühlten Haut.
Dann
machte er auf dem Absatz kehrt und hielt ihr die Tür demonstrativ auf, als er
wieder am Eingang stand.
Sie
hasste, dass es nur diesen Weg gab. Dass sie nicht einfach apparieren oder
sogar zu Fuß nach Hause konnte. Sie hatte keine andere Alternative, als wieder
ins verdammte Restaurant zu gehen. Die Demütigung blieb ihr nicht erspart.
„Rose“,
sprach er sehr erschöpft. Sie biss sich unglücklich auf die Lippe. Sie wollte
nicht rein. Sie wollte nicht, dass der Abend weiterging, dass sie beantworten
musste, wo Presley geblieben war. Sie wollte ihren Eltern nicht sagen, dass er
gegangen war, dass er nicht wiederkommen würde, und dass sie die Schuld daran
trug. Sie wollte nicht von Scorpius ‚gerettet‘ werden. Sie wollte es alles
nicht. Ihre Cousins und Cousinen würden sie verurteilen, und sie war noch nicht
bereit. Und es war ein sehr knapper Kampf in ihrem Innern, und nur mit geringem
Vorsprung siegte ihr Selbsterhaltungstrieb über ihre Bockigkeit. Unwillig ging
sie zurück, stieg vorsichtig die Stufen empor, denn die Schuhe brachten sie um,
und kaum war sie wieder drinnen im Vorraum zum Korridor, zog sie sich sein
Jackett von den Schultern und pfefferte es ihm wieder entgegen. Fast verpasste
er, es zu fangen, aber er bekam es gerade noch mit den Fingern zu fassen. Sie
hatte sich abgewandt, aber sie hörte seine Stimme erneut.
„Warte“,
hielt er sie gepresst auf, und griff tatsächlich nach ihrem Unterarm. Und es
war zu viel. Alleine das war schon zu viel. Ein wenig zu gewalttätig entzog sie
ihm ihren Arm, wie sie es auch schon bei ihrem Bruder getan hatte und funkelte
ihn an.
„Lass
es!“, flüsterte sie hasserfüllt, und sein neutraler Ausdruck wandelte sich. Er
warf das Jackett zornig neben sich auf den Boden, und sie hörte das Lachen der
Erwachsenen von drinnen, hörte, wie sie Spaß hatten und feierten, und sie
begriff nicht, warum sie nicht Spaß haben konnte! Warum es ihr nicht vergönnt
war, irgendetwas Gutes zu haben. Warum alles immer nur böse und falsch und
verboten sein musste! Warum dieser Abend nicht einfach mal zu ihren Gunsten
hatte ausgehen können. Und sie war weit entfernt davon, zu reflektieren! Sie
wollte nicht nachdenken und herausfinden, dass es alles ihre Schuld war – dass
sie ihr eigenes Glück bestimmte. Und sie konnte nicht anders, als ihn
anzusehen. Ihn endlich ungestört zu betrachten.
Merlin,
er war so gutaussehend, dass sie heulen könnte. Und es war nicht so, dass
Presley nicht gut aussah. Aber… aber ihr Kopf wollte es nicht einsehen. Und sie
hasste sich selbst dafür.
„Rose,
warum ist Presley gegangen?“, fragte er sie tatsächlich, aber es klang nicht
wirklich nach einer echten Frage, die er stellte. Es klang so, als wisse er die
Antwort, und das machte sie nur wütender. Zuerst wollte sie nicht antworten,
aber ihr Trotz war schneller.
„Was
weiß ich, warum! Es geht dich nichts an, ok?“, ergänzte sie und bemühte sich um
Ruhe in ihrer Stimme.
„Warum
hast du ihn heute eingeladen?“, stellte er die nächste Frage, ignorierte ihre
Worte, und war dieser arrogante Bastard zu fassen?!
„Weil
er mein Freund-!“, begann sie, begriff aber, dass sie diesen Satz nicht gut
beenden konnte. Er war nicht mehr ihr Freund. Er war… gar nichts mehr für sie.
„Warum
war er sauer?“, entkam es ihm stiller, und er fixierte sie genau aus seinen
grauen Augen, die kein Erbarmen mit ihr hatten. Wirklich? Warum verbrachte er
den Abend mit Dominique? Sie könnte dieselben Fragen stellen! Aber sie tat es
nicht! Wieso machte er das?
„Fick
dich, Scorpius!“, fuhr sie ihn zornig an, und wollte gehen, wollte wieder in
den Saal, denn selbst die dämlichen Erwachsenen mit ihrer blöden guten Laune
wären besser, als Scorpius Malfoy. Aber dieses Mal hatte er ihren Arm mit mehr
Kraft ergriffen, riss sie praktisch zurück, und sie fand sich gegen seinen
Körper gepresst. Schockiert stemmte sie sich gegen ihn. „Lass mich-“
„-was
empfindest du für mich, Rose?“, unterbrach er sie rau, und sie riss die Augen
weit auf. Gar nichts! Sie empfand gar nichts für ihn! Was erlaubte er sich
eigentlich?
„Lass
mich los!“, fuhr sie ihn verzweifelt an, aber er tat nichts dergleichen, hielt
ihren Bemühungen eisern stand.
„Sag
es mir, Rose“, verlangte er dunkel, und sie warf sich praktisch gegen seinen
Körper.
„Ich
will gehen, Scorpius!“, warnte sie ihn und spürte die Tränen deutlich hinter
ihren Augen.
„Willst
du wirklich, dass ich dich gehen lasse?“, fragte er sie, und sie machte ein
empörtes Geräusch. „Hat es dich gestört? Dass ich mit Dom gesprochen habe?“,
fuhr er plötzlich fort, ohne seinen Griff zu lockern.
„Nein!“, spuckte sie ihm zornig entgegen, erwiderte seinen funkelnden Blick,
und es war eine bittere Lüge. Ihr Herz schlug so schnell, Hitze war längst in
ihre Wangen – sogar in ihre Ohren – gestiegen, und sie konnte kaum noch klar
denken, so nahe vor ihm. Mit aller Macht riss sie sich von ihm los, taumelte
einige Schritte zurück, und sie musste mit offenem Mund atmen, denn zu wenig
Sauerstoff versorgte ihr Gehirn. Ihr war beinahe schwindelig.
„Ich
bin jetzt hier, Rose“, sagte er ernsthaft. „Ich weiß, dass Presley gegangen
ist, weil er nicht derjenige ist, mit dem du deine Zeit verbringen willst. Hugo
weiß es. Albus weiß es – Merlin, wahrscheinlich wissen es alle bereits!“, fuhr
er sie an. Und unter Tränen schüttelte sie den Kopf. Nein! Er hatte Unrecht!
„Warum ist es so schwer für dich, verdammt noch mal?“ Sie hasste, dass er sie
beleidigte, dass er all diese Dinge in ihr Gesicht sagte. Und sie wollte nicht
darüber reden. Sie wollte ihm gar nicht sagen müssen, dass er derjenige war,
der sie nur zu gerne hatte gehen lassen! Der nicht einmal versucht hatte, sie
zu behalten. Er hatte sie benutzt! Aber würde sie es sagen, würde er denken, es
mache ihr etwas aus! Er machte ihr keine Zugeständnisse, also wieso sollte sie
es tun? Was wolle er hören? Dass… dass sie ihn wollte? Denn… ja. Vielleicht
wollte sie das, aber… es ging nicht! Es war… viel zu schwer! Es war zu
schmerzhaft und zu kompliziert.
„Ich
kann das nicht“, flüsterte sie tonlos und schüttelte den Kopf mit weiten Augen.
Seine geballten Fäuste entspannten sich. Resignierend sanken seine Schultern.
„Dann
geh“, entfuhr es ihm. „Wenn du mich nicht willst, dann… geh. Verschwinde
einfach.“ Seine Stimme klang hohl, erschöpft, und Tränen fielen auf ihre Wange.
Wieso musste sie diejenige sein, fragte sie sich blind vor Schmerz. Und wieso
ausgerechnet er? Sie nahm an, er hatte gelogen, und die Zeit mit ihr war nicht
schlecht gewesen. Vielleicht hatte er auch gelogen, als sie gesagt hatte, dass
sie keine Affäre mehr mit ihm haben könnte. Und es reichte nicht. Sie war…
gierig. Sie musste es hören, musste es wissen, denn es reichte ihr nicht!
„Wi-willst
du mich?“, entkam es ihr wesentlich schwächer, als sie beabsichtigt hatte. Denn
er sagte es nicht! Mit keinem einzigen Wort! Und vielleicht interpretierte sie
seine Blicke, seine Gesten einfach falsch. Woher sollte sie wissen-
„-wieso
fragst du mich das?“ Er klang tatsächlich ungläubig. Er klang… zornig. Mit ihr!
Als hätte sie – „-was denkst du, warum ich hier bin? Warum ich vor dir stehe?“
Aber es reichte nicht! Es war nicht gut genug. Sie brauchte mehr Klarheit als das.
„Willst
du mich?“ Und jetzt klang ihre Stimme selbstbewusster. Ihr Herz schlug so
unheimlich schnell, dass ihr schlecht wurde. Und fast war sein Ausdruck
schmerzhaft. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig, und als er sich in
Bewegung setzte, machte ihr Herz einen unkontrollierten Satz. Dann stand er vor
ihr, und die Zeit schien stillzustehen.
„Ja,
verdammt“, knurrte er ungehalten, und… es reichte. Das reichte ihr, um Hals
über Kopf den Verstand zu verlieren. Fast verzweifelt drängte sie sich gegen
ihn, griff in seine seidigen Haare, hätte weinen können beim Gefühl seiner
Haare zwischen ihren Fingern, und er kam ihr entgegen. Sie vergaß, wo sie war
und warum sie so unglücklich war. Sie vergaß alles, und es war, als wären die
schlimmen, letzten Wochen überhaupt nicht real gewesen.
Endlich
verschlossen seine Lippen ihren Mund, und geschockt über das Verlangen, was sie
explosionsartig verspürte, schnappte sie nach Luft. Seine Arme schlossen sich
um ihren Körper, pressten sie näher an seine Wärme, und ungeduldig ließ sie
ihre Zunge zwischen seine Lippen gleiten, und es war ein Kuss, der sie ihren
Namen vergessen ließ. Sein Atem ging schneller, heißer, als er den Kuss
erwiderte, ihre Zunge mit seiner verdrängte, sie reizte, und sie wollte, dass
er sie berührte. Sie wollte alles an ihm. Das pochende Gefühl zwischen ihren
Beinen war so unerträglich, dass sie schreien wollte. Und sie lehnte sich in
seine Bewegungen, als sich seine Arme lösten, als seine Hände ihre Seiten auf
und ab fuhren, bis er ihre Brüste fand, und keuchend erwiderte sie den Kuss
heftiger, zeigte ihm, wie sehr es ihr gefiel, und die Erektion in seiner Hose
pulsierte heftig, schien vollständig geweckt, und sie glaubte nicht, dass sie
noch viel länger ertragen könnte, seine Haut nicht zu spüren. Ihre Nägel
kratzten über den Stoff seines Hemdes, und sie rieb sich an ihm, stöhnte
heiser, und seine Bewegungen wurden gröber.
Und
die Person, die sich eilig umdrehte und wieder im Korridor verschwand, hatten
sie nicht wahrgenommen.
Er
hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich angenehm wäre, seinen Abend in
Gesellschaft dieser Menschen zu verbringen. Er hörte Harry zu, und kurz musste
er sich fragen, weshalb er als Junge so viel gegen ihn rebelliert hatte. Er gab
seinem Vater die Schuld. Es war einfacher, als sich einzugestehen, dass er ein
Arschloch gewesen war. Sein Sohn war wesentlich klüger, nahm er an.
Scorpius
war seit einer Weile verschwunden. Er hatte gar nicht mehr drauf geachtet. Auch
Albus hatte er bestimmt seit einer Stunde nicht mehr gesehen.
Und
dann verschob sich seine Aufmerksamkeit, und auch Harry wandte den Blick.
Dominique
hatte sich an den Stehtisch vor ihnen gedrängt. Sie sah sehr hübsch aus.
Scorpius hatte erstaunlich viel Zeit mit ihr verbracht heute. Bill hatte ihn auch
schon darauf angesprochen.
„Onkel
Ron!“, rief sie verzweifelt, und erst jetzt erkannte Draco die Tränen. „Onkel
Ron!“, rief sie wieder, und Ron Weasley näherte sich hastig. „Es ist Rose!“,
vernahm Draco Dominiques gequälte Stimme, und Ron setzte sich sofort in
Bewegung. Innerhalb einer einzigen Sekunde hatte er reagiert und folgte
Dominique. Er und Harry tauschten einen knappen Blick, und erst als Hermine
folgte, erhob Draco sich automatisch. Er wusste nicht, warum, aber er hatte ein
unbestimmt schlechtes Gefühl in seiner Brust.
Auch
Harry erhob sich hinter ihm, und Draco beschleunigte seine Schritte
automatisch. Ron lief die Stufen hinab, Draco beeilte sich, Schritt zu halten
und erreichte Hermine. Sie überwanden die Stufen ebenfalls, und Draco hatte
keine Ahnung, warum sie beinahe rannten.
Und
dann hörte er den Schrei. Kurz stockten sie, und Hermines Gesicht war bleich
geworden, bevor sie nun gänzlich rannte. Draco folgte eilig, Harry dicht hinter
ihm. Sie bogen um die Ecke, und sein Mund öffnete sich. Sein Gehirn brauchte
etwa eine Sekunde, um das Bild zu verarbeiten. Er brauchte noch eine Sekunde,
bis er begriff, dass es Scorpius war, den Ron am Kragen gepackt hatte und von
seiner Tochter wegzerrte. Roses Wangen waren gerötet, die Träger ihres Kleides
hinabgezogen, und Dracos Mund öffnete sich langsam.
„Was
fällt dir ein?“, brüllte Ron seinem Sohn entgegen, und seine Stimme drang wie
durch Watte an Dracos Ohren, und bedauerlicherweise tickte die Zeit weiter, und
Draco löste sich aus der kleinen Gruppe, und in zäher Zeitlupe erreichte er Ron
und seinen Sohn. Und die nächste Reaktion entschied dann wohl über sein
Schicksal in dieser erlauchten Heldenreihe, dachte er dumpf, als sich seine
Hand grob um Rons Arm legte und Kraft ausübte.
„Lass
ihn los!“, befahl er rau, aber Rons Blick war blind vor Zorn.
„Dein
verdammter Sohn hat-!“ Draco wollte es nicht hören. Er war verdammt noch mal
nicht blind!
„-lass
ihn los!“, wiederholte er wieder, und er wollte das nicht. Er wollte diese
Auseinandersetzung nicht. Sein Sohn schaffte nicht, Rons Griff abzuschütteln,
und Draco zählte innerlich bis drei, bevor er mehr Kraft anwandte, seine andere
Hand einsetzte und Rons geballte Faust vom Hemd seines Sohnes löste. Scorpius wich
keuchend zurück, aber Rons Blick folgte ihm zornig.
„Was fällt dir ein?“, schrie er Scorpius entgegen, und Draco blockierte Ron nun
mit seiner gesamten Gestalt, um zu verhindern, dass er auf seinen Sohn losging.
„Dad!“,
entfuhr es Rose aufgelöst, verzweifelt, und Draco hasste, dass sie weinte.
„Lass
mich“, knurrte Ron nun in sein Gesicht, aber Draco dachte nicht im Traum daran.
„Beruhige dich“, verlangte er gepresst, aber Ron stieß ihm hart vor die Brust,
so dass Draco beinahe stürzte.
„Ron!“
Hermine trat neben ihn. „Hör auf damit! Ich bitte dich!“
„Hermine,
er hat sie-!“, begann er außer sich, aber dann überlegte er sich anders, schob
seine Frau beiseite, und Draco reagierte zu spät. Ron hatte seinen Sohn
erreicht, und fast glaubte Draco, dass Scorpius ausholen würde – aber… dann
passierte etwas Seltsames. Rose drängte sich zwischen Scorpius und ihren Vater.
„Nein!
Dad, nein!“, rief sie mit zitternder Stimme. „Lass ihn in Ruhe!“, flehte sie
kopfschüttelnd.
„Rose, geh aus dem Weg!“, blaffte Ron am Rande eines Anfalls, aber seine
Tochter blieb eisern.
„Nein!“,
flüsterte sie und weinte heftiger.
„Nein?“,
wiederholte Ron plötzlich, als hätte ihn eine massive Kraft zurückgeworfen.
Kraftlos sanken seine angespannten Arme an seine Seite.
„Dad,
bitte“, flüsterte Rose tonlos, und sein Sohn stand schwer atmend hinter Rose,
beäugte Ron wachsam.
„Du
wirst dich nicht mit ihm abgeben, Rose“, warnte Ron sie kompromisslos, aber
seine Tochter ballte die Hände zu Fäusten.
„Das…
das ist nicht deine Entscheidung!“, fuhr sie ihn an.
„Rose“,
sagte Scorpius still, legte die Hand auf ihre Schulter, und Ron explodierte
wieder.
„Rühr
sie nicht-!“
„-Dad,
halt den Mund! Lass ihn in Ruhe!“, schrie Rose jetzt fast ängstlich, und Draco
und Hermine bewegten sich gleichzeitig, und Hermine zog Ron zurück, während
Draco hinter Scorpius trat.
„Nein!“,
schrie Ron, riss sich aus Hermines beruhigendem Griff, fuhr sich durch die
Haare und starrte seine Tochter ungläubig an. Ein bitterer Ausdruck trat auf
sein Gesicht, und sein hasserfüllter Blick galt ihm, bevor er auf Scorpius
fiel. Und dann wandte er sich ab, schritt mit zornigen Schritten zur Tür, riss
sie auf und war in die Nacht verschwunden.
„Ron!“,
rief Hermine hastig, öffnete die Tür ebenfalls, aber Ron war bereits appariert.
„Verdammt noch mal“, flüsterte Hermine erschöpft. Sie wandte sich wieder an
Rose. „Bleib einfach hier!“, befahl sie ihrer Tochter. „Und zieh dir was über“,
ergänzte sie ansatzweise gereizt. „James“, wandte sie sich an den ältesten
Potter, und Draco begriff, mittlerweile stand die ganze Familie im Flur, hatte
die Szene mit schockierten Gesichtern verfolgt, und James trat zögernd vor.
„Bring mich nach Hause. Ron hat zu viel getrunken und hätte nicht apparieren
dürfen, und ich habe ebenfalls schon getrunken. Dann kommst du zurück und
bringst Rose und Hugo!“, befahl sie knapp, und James nickte hastig. „Ginny, ich
melde mich morgen“, verabschiedete sie sich schlecht gelaunt, und Ginny nickte
überfordert. James begleitete Hermine nach draußen, und dann kehrte Stille ein.
„Dad“,
begann sein verdammter Sohn beschämt, aber Draco streckte den Rücken durch.
Sein Blick glitt über den Haufen an Weasleys.
„Entschuldige
dich“, befahl er tonlos. Scorpius schien widersprechen zu wollen, schwieg dann
aber. „Entschuldige dich bei den Gastgebern, Scorpius.“
„Es…
tut mir leid“, murmelte sein Sohn verzweifelt, und Harry und Ginny schienen
keine rechte Antwort zu wissen.
„Verabschiede
dich. Wir werden gehen“, fuhr Draco gepresst fort, und sein Sohn schluckte
schwer.
„Auf…
Wiedersehen. Danke für…“ Er brach ab, sein Blick fiel auf Rose, und sie hatte
noch immer Tränen in den Augen. Draco war kurz versucht, seinen Sohn am Arm zu
packen und von ihr wegzuziehen. Aber er hatte das schon geahnt. Er hatte es
längst befürchtet. Und leider hatte er seinen Sohn unwissenderweise belogen. Er
hatte ihm versichert, dass ihm niemand den Kopf abreißen würde, allerdings… war
er auch nicht davon ausgegangen, dass sein Sohn so wenig Taktgefühl besaß und Ron
Weasleys Tochter direkt im Flur ausziehen würde. Merlin. Dracos Kiefer spannte
sich an. Rose nickte schwach, schien nichts mehr sagen zu können, und Draco
setzte sich in Bewegung.
„Wiedersehen“,
sagte er sehr knapp, ergriff Scorpius‘ Arm und gemeinsam verließen sie die
Party, die zu einem sehr plötzlichen Halt gekommen war.
Es
herrschte betretenes Schweigen, während James, Fred und Vic damit beschäftigt
waren, die schlecht gelaunten Erwachsenen nach Hause zu bringen. Lily starrte auf
die Tischdecke, die mittlerweile mit Weinflecken übersät war, und sie verspürte
Wut. Auf ziemlich viele Leute. Es war der Hochzeitstag ihrer Eltern gewesen,
und sie hatte tatsächlich Spaß gehabt.
Und
sie war sauer auf Rose und Scorpius, aber… noch wütender war sie auf Dom. Diese
saß da, als wäre ihr persönlich ein Leid angetan worden! Als wäre sie das
Opfer. Sehr eilig hatte Rumer sie vorhin mit geschleift, um Albus zu wecken,
der anscheinend vollkommen betrunken im Ersatz-Saal eingeschlafen war. Und er
saß ebenfalls neben ihr, den Kopf auf die Arme gebettet, während er wieder
eingeschlafen war.
„Wusstest
ihr das?“, fragte die neue Freundin von Louis gespannt, und Cara schüttelte den
Kopf. Sie waren beide Sechstklässlerinnen aus Ravenclaw, aber Lily glaubte
nicht, dass Louis ernste Absichten verfolgte.
„Ich
hatte keine Ahnung“, erwiderte Cara kopfschüttelnd. „Ich dachte, sie wäre mit
Presley zusammen“, ergänzte sie still.
„Scheinbar
nicht“, entfuhr es Louis mäßig interessiert.
„Sie
ist so unmöglich!“, entfuhr es Dom aufgebracht. „Wie konnte sie mir so etwas
antun? Was habe ich ihr je getan? Sie kann es nicht ertragen, dass ich
glücklich bin!“ Lily spannte den Kiefer an und riss sich zusammen.
„Richtig!“,
entfuhr es Louis‘ Freundin schließlich. „Heute Abend dachte ich auch, dass du
und Scorpius wieder etwas anfangen würdet!“, beteuerte sie nickend.
„Ja!
Ich weiß! Wie kann Rose nur-?“
„-oh
halt die Klappe, Dom!“, entfuhr es Lily zornig, ohne dass sie sich aufhalten
konnte. Die Köpfe wandten sich in ihre Richtung, und Lily schluckte. Es war
selten, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Familie bekam. Dom sah sie
tatsächlich etwas ungläubig an, als hätte sie sich vielleicht verhört.
„Bitte?“,
entkam es ihrer Cousine anklagend. Aber Lily hatte keine Lust mehr, höflich zu
tun. Ehrlich gesagt, war sie ziemlich froh, dass es so gekommen war.
„Tu
nicht so, als wärst du der Mittelpunkt der Welt“, entfuhr es Lily, und Doms
Augen weiteten sich.
„Du
bist absolut unsensibel!“, fuhr Dom sie bestürzt an, aber Lily lachte freudlos
auf.
„Ich? Ich bin unsensibel? Dom, verdammt noch mal, das war nicht dein Abend! Es
ging nicht um dich, auch wenn du dir das nur schwer vorstellen kannst!“,
blaffte sie, so dass Albus‘ Kopf nach oben ruckte, als er wieder aufwachte.
„Heute Abend haben meine Eltern Hochzeitstag gefeiert! Und du mischst dich in
Sachen ein, die dich nichts angehen, schnüffelst Leuten hinterher, mit denen du
nichts zu schaffen hast und regst dich über einen Typen auf, der dich nicht mal
will!“ Albus neben ihr streckte sich gähnend.
„Ich
habe irgendwas Spannendes verpasst, hm?“, mischte er sich mit tiefer
Alkoholstimme ein, und Lily verzichtete darauf, ihm mitzuteilen, dass es eine
ordentliche Standpauke setzen würde, wenn sie Zuhause wären. Das würde Albus gleich
schon noch erleben. Doms Mund stand währenddessen ziemlich weit auf, und Lily
genoss den Anflug von Verständnislosigkeit auf Doms Gesicht.
„Albus,
du hast alles verpasst“, erklärte Lily kopfschüttelnd. „So, wie eigentlich
immer.“
„Presley
weg?“, erkundigte er sich milde interessiert, während er sich gähnend
umblickte.
„Oh
ja“, bestätigte sie finster.
„Mh“,
machte er dann und sah sich um. „Hey – wo sind alle?“ Ihm schien es erst jetzt
aufzufallen.
„Onkel
Ron ist ausgeflippt, weil Scor und Rose Sex im Foyer hatten“, füllte Louis
Albus‘ Lücken mehr schlecht als recht. Albus‘ trockene Lippen teilten sich
verblüfft.
„Echt?“
„Oh
Merlin, natürlich nicht!“, fuhr Lily dazwischen.
„Aber
Onkel Ron ist abgehauen. Und dann… musste Fred Tante Hermine, Rose und Hugo
nach Hause bringen“, mischte sich Louis achselzuckend wieder ein.
„Hugo
auch? Wegen der Sache mit Rumer?“, wollte Albus mit gerunzelter Stirn wissen,
und tatsächlich ruckte jetzt auch Rumers Kopf nach oben, die selber ziemlich
müde zu sein schien. Cara meldete sich wieder zu Wort.
„Welche
Sache mit Rumer?“ Die Aufmerksamkeit wechselte, verließ sie und ruhte nun auf
Albus. Dieser öffnete knapp den Mund, dachte angestrengt nach, und schüttelte
dann den Kopf.
„Nichts“,
entschied er zu sagen.
„Was
soll das heißen?“ Caras Augen waren verengt, schienen Albus‘ Gesicht nach
Hinweisen abzusuchen, aber ihr Bruder hob müde die Hände und schenkte Cara ein
schwaches Grinsen.
„Hab
echt keine Ahnung – interessiert mich auch nicht.“ Cara wirkte reichlich
unzufrieden, als James schließlich an den Tisch zurückkehrte. „Rumer?“, wandte
sie sich direkt an das Mädchen, was ziemlich wenig sagte.
„Es –
ist nichts! Keine Ahnung, wovon er redet, Cara!“, entfuhr es Rumer sehr
defensiv. „Bringst du mich nach Hause?“, wandte sie sich nahtlos an James, der
erschöpft nickte. Er wandte den Blick.
„Cara,
danach bringe ich dich“, informierte er sie, und Cara verschränkte missmutig
die Arme vor Brust. Vic und Fred kehrten ebenfalls zurück.
„Gäste
zuerst. Äh- Brenda?“, sprach Fred Louis‘ Begleitung auffordernd an, und diese
verzog den Mund.
„Mein
Name ist Lauren?“, gab diese absolut gereizt zurück, und Fred verzog mit einem
zischenden Geräusch den Mund, weil er doch ziemlich weit danebengelegen hatte.
„Sorry. Langer Abend“, sagte er schlicht, und Louis‘ Freundin verabschiedete
sich schlecht gelaunt von ihm und dem Rest, und Vic griff sich ihren Bruder vom
Stuhl.
„Ich
glaube, es wird Zeit“, sagte sie vielsagend zu ihm, und wankend erhob sich
Albus.
„Scheiße“,
entkam es James. „Lass es Dad nicht sehen!“, flüsterte er in Vics Richtung,
denn ihr Dad lief noch immer durch den Saal, klärte alles mit dem Personal, und
Lily wollte einfach nur noch nach Hause.
Schade,
dass Vic Dom nicht mitgenommen hatte. Jetzt wurde der Tisch merklich leerer.
„Irgendwas
läuft da“, murmelte Cara böse.
„Frag
Lily. Sie weiß doch scheinbar alles“, bemerkte Dom bitter.
„Lass
es einfach sein“, erwiderte Lily bloß. „Du hast genug Schaden angerichtet“,
ergänzte sie eindeutig, und wieder öffnete sich Doms Mund sehr schockiert.
„Ich?“,
entfuhr es ihr bösartig.
„Ja,
sicher. Wer ist denn zu Onkel Ron gerannt?“ Und dieses Mal schnappte Dom nach
Luft, wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Und zum ersten Mal huschte so etwas
wie Schuld über Doms Züge.
„Was
hätte ich tun sollen? Onkel Ron würde das niemals erlauben, also-“
„-wie
selbstlos von dir, Dom. Wirklich“, unterbrach Lily sie kopfschüttelnd.
„Dominique
hat getan, was sie für richtig hielt“, mischte sich Cara ungefragt ein, und
Lily könnte sich hier und jetzt übergeben, so sehr zum Kotzen waren diese
dummen Tussen.
„Nein.
Dom hat getan, was ihr in den Kram gepasst hat, ohne auch nur eine Sekunde an
irgendjemand anders zu denken, außer an sich selbst.“
„Du
bist so scheiße!“
„Nein,
Dom. Du bist scheiße“, korrigierte Lily müde und gereizt. „Und ich hoffe mal,
dein Vater ist nicht zu nett – wie sonst immer – und zwingt dich, dich bei
meinen Eltern zu entschuldigen, du verwöhnte, dumme Gans!“ Lily schob hart den
Stuhl zurück und erhob sich wütend. Dom sah ihr mit offenem Mund nach, während
Lily aus dem Saal stampfte. Ihr Dad fing ihren Blick, aber sie hob die Hand.
„Ich warte draußen auf James“, rief sie ihm kleinlaut zu, denn sie wollte nicht
länger an diesem Tisch sitzen, wo alle nur an sich selber dachten.
***
Ein
Haus voller Weasleys war nicht das Einfachste. Vor allem nicht, wenn alle
gerade sauer waren. Ron war gestern Abend noch gut Zuhause angekommen,
jedenfalls soweit Hermine es beurteilen konnte, denn gesehen hatte sie ihn
nicht mehr. Sie hatte nur gemerkt, dass das Gästezimmer verschlossen gewesen
war und er wohl sein Bettzeug mitgenommen hatte.
Sie
war auch nicht ins Zimmer eingedrungen, hatte ihn schmoren gelassen, und heute
hatte sie sich mit ihren Kindern angelegt, die dringend nach Hogwarts gebracht
werden wollten, aber Hermine hatte es nicht gestattet. Zuerst würden sie
miteinander reden. Sobald Ron denn wieder ins Haus käme.
Hermine
schlang die weite Strickjacke enger um ihren Körper, als sie in Richtung Garage
stapfte. Der Schnee lag nicht sonderlich hoch, aber er lag. Es sah eigentlich
sehr schön aus, wäre heute nicht so ein furchtbarer Tag. Sie klopfte gegen die
Tür an der Seite, und aus dem Innern hörte sie das magische Grammophon eine
rockige Melodie spielen. Als sie nichts hörte, öffnete sie die Tür und steckte
den Kopf ins Innere. Immerhin hatte er einen Wärmezauber benutzt. Sie betrat
die Garage und sah sich um. Dann sah sie seine Beine auf dem Boden.
Er
lag unter seinem 1965er Shelby Cobra, oder zumindest den Teilen, die er bereits
zusammengeschweißt hatte. Hatte Ron sich vor zwanzig Jahren noch schwer getan,
mit der Idee eines Führerscheins, so hatte er wohl die deutlichste Verwandlung
gemacht. Natürlich besaßen sie eine Garage, und natürlich schraubte ihr Mann an
Oldtimern. Ab und an kam Harry vorbei, der aus seiner Kindheit schließlich
ebenfalls wusste, was Autos waren, aber noch viel begeisterte war Rons Dad. Ein
Oldtimer – oder Hot Rod, oder gerne auch Muscle Car, wie Ron sie immer wieder
verbesserte – war noch eine ganz andere Liga, als ein Toaster. Und Hermine
sagte Ron nicht, dass er sie sehr stark an seinen Vater erinnerte. Ron stritt
solche Thesen immer ab.
Aber
letztendlich war Ron doch von Muggeldingen besessen, wie Arthur auch. Und
tatsächlich war Rose diejenige, die ihm hier in den Ferien Gesellschaft
leistete. Eigentlich, wann immer sie konnte. Das war es, was die beiden taten.
Hermine und Hugo gingen in die Stadt, klapperten Bücherläden ab, bis es dunkel
wurde, und Ron und Rose schraubten an winzigen Einzelteilen, die irgendwann ein
Sportauto sein würden.
„Hey“,
sagte sie also und ging in die Hocke. Er lag auf dem Rollbrett und verschraubte
gerade – wusste Merlin – was.
„Hey“,
erwiderte er monoton, und sie atmete lange aus. Immerhin sprach er noch mit
ihr.
„Wenn
du Frühstück möchtest, musst du schon reinkommen“, sagte sie eindeutig, aber
darauf sprang er nicht an.
„Keinen
Hunger“, drang seine steinerne Stimme wieder an ihr Ohr.
„Ron“,
begann sie sanft, „wir müssen darüber reden.“
„Nein,
müssen wir nicht“, behauptete er entschieden. „Kannst du mir das Achter-Gewinde
geben?“ Hermine erhob sich seufzend wieder und schritt zur Werkzeugbank.
„Er
ist kein… furchtbarer Mensch“, sagte sie laut, während sie mit gerunzelter
Stirn den Tisch absuchte. Stand die Nummer auf den Gewinden, fragte sie sich
dumpf, und Ron antwortete natürlich nicht. Blind griff sie sich eines der
größeren Gewinde vom Tisch und kehrte zu ihm zurück. Sie bückte sich und
reichte ihm das Werkzeug unter die Karosserie. „Hörst du?“, ergänzte sie, und
er griff sich das Gewinde.
„Das
keine Nummer acht, Hermine“, entfuhr es ihm gereizt, und sie verschränkte die
Arme vor der Brust.
„Du
könntest einfach den Accio benutzen, aber
stattdessen beauftragst du mich. Das bedeutet, du möchtest nicht wirklich, dass
ich gehe. Du möchtest darüber reden.“ Sie kam sich sehr clever vor – wie
meistens. Und dann rollte er endlich in ihr Sichtfeld und setzte sich müde auf.
„Ich
benutze den Accio nicht, weil mir die
Scheiße sonst gegen den Kopf fliegt“, klärte er sie mit erhobenen Brauen auf
und kam vorsichtig auf die Beine, um das richtige Gewinde vom Tisch zu holen.
„Wie
dem auch sei – er ist kein furchtbarer Mensch, Ron“, wiederholte sie mit mehr
Nachdruck.
„Wer?“
Er sah sie knapp an, schlug das Gewinde abwartend auf seine flache Hand, zeigte
ihr, wie ungeduldig er war, weiterzumachen, aber Hermine hatte nicht vor,
nachzugeben.
„Scorpius.“
Ron verzog kaum merklich den Mund, ging wieder in die Hocke und setzte sich auf
das Rollbrett. „Ron“, sagte sie wieder, als er in die Rückenlage ging. „Du
musst mit deiner Tochter reden.“ Aber schon war er wieder unter dem Rohbau des
Autos verschwunden. „Ron!“, wiederholte sie streng, aber scheinbar benutzte er
jetzt den Zauberstab, denn magischerweise wurde die Lautstärke der Grammphons
hochgedreht.
Ok.
Er wollte nicht reden? Er hatte noch bis abends Zeit. So lange würde sie ihre
Kinder hier als Gefangene halten. Irgendwann musste ihr sturer Ehemann
schließlich ins Haus kommen. Als sie ging, ließ sie die Garagentür offen.
Sollte er ruhig Ärger mit ihr haben. Sie wusste, warum er sauer war. Aber er
verhielt sich einfach nur kindisch.
Zurück
im Haus wartete Hugo schon. „Mum, wann bringst du uns?“ Er hatte es ziemlich
eilig. Eigentlich war immer Rose diejenige, die sich mit ihr stritt und jede
ihrer Entscheidungen anzweifelte, aber dieses Mal wohl nicht.
„Noch
nicht“, war alles, was sie sagte.
„Wann?“,
wiederholte Hugo ungeduldig, und sie sah ihn überrascht an.
„Hast
du dir keine Lernsachen mitgenommen?“, wollte sie von ihm wissen, aber er
antwortete ihr nicht auf die Frage.
„Ich
will einfach nur wissen, wann wir apparieren. Ansonsten… ansonsten frage ich
James, ob-“
„das
will ich sehen“, unterbrach sie ihren Sohn streng. „Du willst bei den Potters
über Floh anrufen, obwohl ihre Feier wegen uns ein jähes Ende fand, um ihren
Sohn auszuleihen?“ Hugo verzog den Mund.
„Es
war Roses Schuld, nicht meine!“, behauptete er, aber Hermine schüttelte bloß
den Kopf.
„Tut
mir leid, Hugo. Wir bleiben noch.“ Sie nahm an, ihr Sohn wollte seine Freundin
sehen. Das war… mal etwas neues.
„Wo
ist Dad?“, fragte er schroff, und sie atmete lange aus.
„In der
Garage. Kannst gerne dein Glück versuchen. Mit mir spricht er nicht mehr.“ Hugo
biss sich auf die Lippe. Hugo besucht Ron eigentlich nie in der Garage, half
ihm nicht am Auto, und die Welt schien nicht nahe genug dem Untergang zu sein,
stellte Hermine fest, denn wütend stieß ihr Sohn die Luft aus und verschwand
wieder nach oben.
Das
brachte sie zu ihrem zweiten schweren Gang. Sie ging ebenfalls nach oben, an
Hugos geschlossener Tür vorbei, zur Tür ihrer Tochter. Sie klopfte sachte, aber
schon wie bei Ron, bekam sie keine Aufforderung, reinzukommen. Also drückte sie
die Klinke runter.
Sie
linste ins Zimmer, und ihre Tochter lag auf dem Bett, während sie lustlos in
einem Magazin zu blättern schien.
„Na?“,
sagte Hermine und näherte sich ihrer Tochter, die vorhin unten beim Frühstück
weder mit ihr, noch mit Hugo gesprochen hatte. Sie hob kurz den Blick, und
Hermine sah, wie sehr sie sich schämte.
„Nicht
jetzt, Mum“, sagte Rose mit rauer Stimme.
„Wann
dann, Rose? Wenn du weg bist, erreiche ich dich nicht mehr, bis Weihnachten“,
entgegnete sie eindeutig. Ihre Tochter verdrehte die Augen, wie es nur eine
Tochter konnte und warf das Magazin zur Seite.
„Stell
dir vor – ich will nicht drüber reden!“, entfuhr es ihr gereizt. Hermine setzte
sich auf die Bettkante und blickte auf den blauen Bezug.
„Dein…
Dad hatte einfach noch keine Chance, ihn kennenzulernen. Genausowenig wie ich“,
ergänzte sie stiller. Rose mied ihren Blick jetzt. „Das… wird vorübergehen.“
Hermine hatte keine Ahnung, was genau sie sagen sollte. Oder konnte. War ihre
Tochter so? Datete sie Presley Ford, nur um am nächsten Tag ihre Meinung zu
ändern? War es überhaupt wichtig, sich Gedanken zu machen? Und musste Hermine
ihre Tochter maßregeln? Sie war gänzlich überrascht, dass Rose überhaupt Interesse
an Jungs hatte – denn bis vor wenigen Wochen hatte das noch anders ausgesehen.
„Kann ich… dich was fragen?“ Rose atmete zornig aus.
„Nein,
Mum. Einfach Nein.“
„Wieso
hast du Presley überhaupt eingeladen?“ Sie fragte trotzdem – weil sie hier die
Mutter war. Weil sie ein Recht hatte, Dinge zu fragen. Rose stöhnte praktisch
auf.
„Ich
will nicht darüber-“
„-du
hast die Feier deiner Paten verdorben, Rose!“, unterbrach Hermine sie streng.
Roses Augen weiteten sich.
„Nein,
Dom hat-!“
„-ich
bitte dich! Presley war dein Date, Rose! Und dann erwischen wir dich mit
Scorpius Malfoy – mitten im Foyer! Nicht sonderlich clever, oder?” Ihre Tochter
mied stur ihren Blick, und Hermine hasste manchmal, wie ähnlich sie ihrem Vater
war. „Wie lange läuft das schon?“ Und etwas flackerte im bockigen Blick ihrer
Tochter. Draco hatte richtig gelegen, nahm sie dumpf an. Draco hatte ihr
gesagt, dass da etwas vorging. Natürlich hatte Hermine es Ron gar nicht erst
erzählt – warum auch? Warum ihn unnötig aufregen? Und jetzt war es so weit.
„Rose?“
„Merlin,
es geht dich nichts an, Mum!“, fuhr sie sie an, aber Hermine seufzte lange auf.
Es wäre schön, wenn es so wäre.
„Weißt
du, ich darf morgen mit Presleys Vater arbeiten, Rose. Und du kannst dich heute
Abend mit Dom auseinandersetzen. Vielleicht wäre es besser, wenn du irgendwen
an deinen Gedanken teilhaben lässt, bevor du wieder weg bist?“
Wieder
schoss ihre Tochter ihr einen bösen Blick zu. „Ich meine, woher kommt das
plötzliche Interesse? Du… warst doch sonst immer auf der Seite deines Vaters –
nicht immer aus den richtigen Gründen, aber meines Wissens nach, warst du nie
ein Fan der Malfoys?“ Rose stöhnte wieder auf, aber Hermine war es wichtig.
„Rose, ich muss wissen, wie viel Anstrengung es mich kosten wird, ok?“ Jetzt
sah ihre Tochter sie wieder an. „Ich bin auf deiner Seite, Merlin noch mal.
Aber wenn das so eine Presley-Sache ist… - wenn du dich morgen wieder
umentscheidest, dann-“
„-wow!“,
entfuhr es Rose schockiert. „Mum, es geht dich nichts an!“, wiederholte sie
lauter.
„Ja?
Wenn du jetzt mit Scorpius Malfoy zusammen bist, geht mich das ziemlich
deutlich etwas an, Rose Weasley!“, fuhr sie ihre unfassbare Tochter an. „Und
wie es aussah können wir direkt noch über geeignete Verhütungsmethoden reden.
Denn das letzte, was ich will-“ Aber Rose war aufgesprungen.
„-Mum
– geh!“, forderte sie tonlos, mit krebsroten Wangen.
„Rose-“
„-nein!
Geh einfach!“
„Du
wirst mit deinem Vater reden!“, sagte Hermine jetzt gnadenlos, aber der
Weasley-Stolz war unfassbar.
„Nein“,
sagte Rose bloß. „Er will nicht mit mir reden, also rede ich nicht mit ihm!“
„Rose-“
„-Merlin,
nein, Mum! Nerv Hugo! Nerv irgendwen – aber lass mich einfach in Ruhe! Sag mir
Bescheid, wenn wir endlich apparieren können!“ Kopfschüttelnd verließ Hermine
das Zimmer. Zu jung. Vielleicht war Rose einfach noch zu jung für ernsthafte
Gespräche. Sie war nicht wie Vic. Mit Vic konnte man über alles reden! Dann
nahm Hermine an, dass sich diese Malfoy-Sache schnell erledigt haben würde. Als
ob ihre Tochter so etwas lange durchhalten würde. Wusste Rose, was Liebe war?
Hermine hatte keine Ahnung, denn Rose sprach über gar nichts!
In
der Tür wandte sie sich um. „Frag deine Cousine Vic nach geeigneten
Verhütungs-“
-und
schon hatte Rose mit einem schockierten Ausdruck die Tür hinter ihr
zugeschlagen. Hermine hörte noch, wie sie den Schlüssel zweimal im Schloss
drehte. Kopfschüttelnd ging sie über den Flur.
Sie
hatte wirklich nette Kinder gehabt. Bis vor ein paar Wochen hatte sie keine
Ahnung von der Pubertät, mit der Ginny immer zu kämpfen hatte – vor allem bei
Albus. Und auf einmal… konnte Hermine ihr eigenes Lied singen.
Was
ging durch Rons Kopf? Dachte er weiter? Kam sein Verstand über den Nachnamen
des Jungen hinaus? War es für Ron etwas Endgültiges? Und würde er jemals
darüber wegkommen? Die Garage musste er irgendwann verlassen, aber… wann würde
er mit Rose reden? Wenn er es heute nicht tat, sahen sie sich erst an
Weihnachten wieder. Das würde ein sehr unangenehmes Weihnachten werden.
Es klopfte
an der Tür, gerade als sie wieder unten war. Ron hatte einen Schlüssel, oder
nicht? Sie öffnete mit gerunzelter Stirn, und ihr Mund entspannte sich, als sie
ihrer besten Freundin entgegen sah.
„Seit
wann sind deine Kinder spannender als meine, Hermine?“ Ginny wirkte überhaupt
nicht sauer. Sie wirkte milde interessiert. Hermine umarmte Ginny fest,
entschuldigte sich im Namen ihrer gesamten Familie bei ihr und bat sie ins
Haus.
„Ich
habe keine Ahnung, was hier los ist“, sagte Hermine schließlich einigermaßen
verzweifelt. „Mit mir redet keiner…“, seufzte sie, während sie und Ginny in die
Küche verschwanden. Zeit, für ein Gespräch unter besten Freundinnen.
Er
wusste, sein Vater würde darüber reden wollen. Oder vielleicht auch nicht? Scorpius
wusste, dass er sich dieses Mal wirklich einen echten Patzer geleistet hatte.
„Alles
gepackt?“, fragte ihn sein Vater, kurz angebunden, ohne ihn wirklich anzusehen.
„Hatte
nicht viel dabei“, erwiderte Scorpius still.
„Richtig.“
Sie schwiegen, während sie im Flur standen. Sein Vater tat sich schwer. „Hör
zu, wir… haben noch nicht mal über… diese Erbsache gesprochen – und irgendwie
häufen sich langsam aber sicher die Themen, über die wir sprechen sollten,
aber…“
„Ich
will das Erbe nicht“, versicherte Scorpius ihm sofort. Sein Vater lächelte
milde, bevor er wieder ernst wurde.
„Ok,
ich… verstehe das, aber ganz so einfach ist es alles nicht, Scorpius“, begann
er seufzend.
„Ich…
ich habe die Bedingungen gelesen. Hugo hat es mir erklärt“, ergänzte er hastig.
„Hugo?
Weasley?“, ergänzte sein Vater dann – denn scheinbar kannte er mittlerweile die
Namen. „Mit ihm auch befreundet? Äußerst praktisch“, schloss er, fast bitter.
„Dad-“
„-nein,
schon gut. Ich…- ich weiß, dein Großvater-“
„-ich
will keine Reinblüterin heiraten“, entfuhr es ihm. „Ich will nichts
unterschreiben, dass mich zwingt-“
„-Scorpius,
beruhige dich. Das sind soft options. Über so was lässt sich verhandeln. Dein
Großvater versucht seine Tricks. Du denkst doch wohl nicht, er verschenkt sein
Gold an den nächstbesten Verwandten, oder?“ Scorpius schwieg daraufhin. „Ganz
abgesehen davon, habe ich auch eine Reinblüterin geheiratet“, ergänzte er
stiller. Scorpius wusste das. Und trotzdem wollte er nicht zu Dingen gezwungen
werden. Und schon gar nicht zu solchen Dingen. Sein Vater seufzte lange. „Das
sind… alles schwere Entscheidungen, Scorpius. Mit diesem Status kommt sehr viel
Verantwortung.“ Und das kam noch dazu. Er wusste nicht mal, was es bedeuten
würde. Was sollte er mit so viel Gold anfangen? Dass es seinen Großeltern
gehörte – damit konnte er leben. Das erschien sehr weit weg. Aber… wenn er
plötzlich der Erbe wurde – selbst wenn er es seinem Dad schenkte – dann änderte
sich ihr Leben, oder?
„Vielleicht
verschieben wir dieses Thema und reden über gestern Abend?“, schlug sein Vater
jetzt vor, und Scorpius würde dann doch lieber über das viele Gold sprechen,
als darüber. „Scor?“ Abwartend sah er ihn an.
„Ja?“
Er sah seinen Dad an, nachdem er scheu den Blick gehoben hatte. Und er merkte
erst jetzt wirklich, wie sehr er seine Mum vermisste. Mit ihr hatte er über
Dominique sprechen können. Nur mit ihr. Und mit seinem Dad hatte er es nie tun
müssen, und jetzt war es mehr als unangenehm. Nicht, weil er sein Vater war,
aber… einfach weil dies etwas gewesen war, was in den Aufgabenbereich seiner
Mutter gehörte. So empfand Scorpius zumindest. Und vielleicht spürte sein Dad
es auch.
„Möchtest… du dich
erklären?“ Er schoss den Quaffel also auf seine Hälfte des Feldes, nahm
Scorpius an. Aber das konnte er ebenso tun.
„Nein“, erwiderte er
aufrichtig. Sein Vater atmete lange aus.
„War das… etwas…
Ernstes?“, wagte er zu fragen, obwohl er sich die sparsamen Worte gut zu
überlegen schien, bevor er sie äußerte, bemerkte Scorpius. „Oder… nicht?“ Was
für eine dumme Frage.
„Dad-“, begann er
zögernd, aber sein Vater hob knapp die Hand.
„-weißt du, ich… würde
dich gerne anschreien, aber…“ Kurz dachte sein Vater nach, und verzog gequält
den Mund, „aber… von mir aus, brauche ich keine Verbindung zu… ihnen. Den…
Weasleys, den Potters…- ich befürchte nur, dass… du es anders siehst.“
„Du befürchtest es?“,
wiederholte Scorpius stirnrunzelnd, denn sein Vater wusste sehr wohl, wer sein
bester Freund war! Zwar hatte es jetzt kurzfristig eine Pause gegeben, aber es
änderte nichts daran.
„Wir haben nicht…
sonderlich viel über den Krieg gesprochen, aber…“
„Aber sie waren die
Helden und unsere Familie gehörte zu Voldemort. Ich habe das schon verstanden,
Dad.“ Es nervte ihn, dass sein Vater so anfing.
„Hast du das?“, wollte
sein Vater plötzlich recht nüchtern wissen.
„Was willst du damit-?“
„-ich gehe mit unserem
Namen nicht hausieren – Merlin, eher das Gegenteil, wenn möglich, aber diese
Verbindung…- Harry ist ein… ordentlicher Mann, er ist nicht nachtragend, und
dafür bin ich dankbar und einigermaßen… nun – überrascht, aber… Mr. Weasley
scheint es… anders zu sehen.“ Scorpius verstand das. Sein Dad musste es nicht
buchstabieren.
„Du möchtest nicht,
dass ich…?“
„Was ich möchte, ist
egal, oder?“, unterbrach sein Vater ihn kopfschüttelnd. „Du solltest nur…
darüber nachdenken, ob…“
„Ob?“, entkam es ihm
reichlich ungeduldig, denn sein Vater machte das mit Absicht.
„Ob es den Aufwand wert
ist“, schloss er dann. Scorpius verzog den Mund und verschränkte die Arme vor
der Brust. Er verstand, was sein Vater sagte. Er verstand sehr gut.
„Weil du mir damit
sagen willst, du wirst dir keine Mühe geben? Du würdest meine Entscheidung
nicht unterstützen, und du hättest es lieber, wenn wir keinen Kontakt mit den
Weasleys oder den Potters hätten? So ungefähr?“, vergewisserte er sich, aber
sein Vater verdrehte die Augen.
„Merlin, alles, was ich
sage, ist, dass es einfacher gehen würde, aber-“
„-aber? Aber was, Dad?“
„Aber wenn es dein
Wunsch ist, diese… Verbindung… aufrechtzuerhalten, dann… setzte ich mich dafür
ein“, schloss sein Vater zerknirscht.
„Widerwillig?“,
erkundigte sich Scorpius gereizt.
„Scorpius, du hast mir
nicht mal gesagt, ob du es ernstmeinst, oder ob es deine charmante Malfoy-Art
ist, Mädchen mitten an öffentlichen Orten auszuziehen, um weiß Merlin was zu
tun!“
„Malfoy-Art?“, entkam
es ihm mit verengten Augen, aber sehr schnell wiegelte sein Vater diesen
Vorwurf ab.
„Unwichtig – wichtig
ist, ob es dir ernst ist, oder ob du das mit sechzehn Jahren überhaupt noch
nicht beurteilen kannst?“
„Im Vergleich zu dir,
wo du doch mit sechzehn die brillante Entscheidung getroffen hast, dass es gut
wäre, das Dunkle Mal zu tragen?“, entkam es ihm, obwohl er es nicht hatte sagen
wollen. Ein kühler Ausdruck legte sich über das Gesicht seines Vaters, und die
eisgrauen Augen verloren ihren Glanz.
„Eine
Gutenachtgeschichte deines Großvaters, nehme ich an?“, vermutete sein Vater
bitter, denn tatsächlich hatte sein Vater ihm nichts von seinem Mal erzählt.
Der Kiefer seines Vaters arbeitete, er sah die Anspannung unter seinem Bart.
„Wieso sagst du mir
nicht, dass du es nicht willst?“, fuhr Scorpius ihn erschöpft an.
„Weil ich dir nicht
vorschreiben will, was du zu tun hast, Salazar noch mal! Ich will, dass du darüber
nachdenkst! Denn… verdammt noch mal, es wird nicht einfach werden. Und mit
sechzehn hat man die Wahl, sich solche Schwierigkeiten zu ersparen, Scorpius.
Man muss sich nicht mit dem Kopf voran hineinstürzen!“
„Denkst du, ich weiß
das nicht? Ich… suche es mir nicht aus, Dad. Das ist keine… fixe Idee – oder
was auch immer! Es ist keine… Sache, die meine Hormone entscheiden, ok? Denkst
du, ich wollte mit Dom Schluss machen? Denkst du, ich verstehe nicht, dass es
ein Albtraum werden wird? Und dass Mr. Weasley vielleicht niemals mit mir
sprechen wird? Und ja – wenn er Rose vor die Wahl stellt, wenn es darauf
hinausläuft, dass sie sich entscheiden müsste – zwischen mir oder ihrer Familie
– dann gebe ich auf. Keine Sorge. Ich werde dir nicht ein Leben voller Anstrengungen
aufbürgen!“ Sein Atem ging schnell, und sein Vater sah ihn sehr genau an.
„Du dummer Junge.
Natürlich entscheiden deine Hormone. Dein Verstand tut es nicht“, erwiderte
sein Vater bitter. Scorpius‘ Blick fiel, denn es machte ihn wütend. „Ok“, ergänzte
sein Vater dann ruhiger, und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare,
kämmte sie über den Kopf nach hinten und atmete schwer aus. „Ok“, wiederholte
er müde. „Du entschuldigest dich bei den Potters“, schloss er dann. Scorpius‘
Augen hoben sich wieder. „Persönlich. Nicht per Brief, nicht per Floh.“ Sein
Mund öffnete sich langsam. „Und das tun wir heute. Ich habe keine Lust, dass
unser Name immer zu und überall nur Zorn hervorruft“, knurrte sein Vater.
„Aber-“
„-oder möchtest du
direkt zu den Weasleys?“, unterbrach er ihn scharf, und Scorpius‘ Mund klappte
augenblicklich zu. Denn – nein. Wenn das das Ultimatum war, dann wählte er die
Potters. „Hast du alles?“, erkundigte sich sein Vater steif, und Scorpius
starrte ihn an.
„Jetzt? Sofort?“ Er fühlte
sich minimal elend.
„Nein. Wir warten bis
Mitternacht – natürlich jetzt sofort. Weißt du, ich habe noch mehr Sorgen am
Hals, Scorpius. Du darfst heute wieder nach Hogwarts verschwinden, während ich
mir morgen Amorys vorwurfsvollen Blick antun darf, weil mein Sohn seinen
ausgestochen hat – warum auch immer!“, ergänzte er zornig. Kurz fühlte sich
Scorpius verletzt, denn… wieso sollte sein Vater denken, Presley wäre besser?
Weil er älter war? Weil er Kapitän war? Weil… die Fords nicht im Krieg involviert
gewesen waren? Deshalb? Erbarmungslos ergriff sein Vater seinen Unterarm und
zog ihn mit nach draußen. „Und noch etwas“, begann sein Vater warnend, „wenn du
sie schwängerst, sage ich es deinem Großvater!“, schloss er knurrend, und
Scorpius‘ Mund öffnete sich im Protest, bevor sein Vater sich zu drehen begann,
und die Magie beide verschluckte.
***
Es klopfte an er Tür, und Harry schob die Brille
seine Nase höher, als er sich einen Weg durch den Flur bahnte. „Wieso liegt
euer Mist immer im Weg rum? Selbst, wenn ihr nur zwei Tage hier seid?“, rief er
wütend die Treppe nach oben, während er zornig nach der halbleeren Sporttasche
trat, die er vage James zuordnete. Oben rumorte es, irgendetwas fiel zu Boden,
und seine Söhne gaben sich nicht die geringste Mühe, ihn zu beachten. Er sah
nicht durch den Spion und zog die Haustür auf. Er vergaß seinen Zorn, denn
Draco Malfoy stand mit eisiger Konatance auf seiner Fußmatte, seinen Sohn im
Schlepptau, der reichlich mitgenommen wirkte.
„Ah – hallo“, begrüßte
Harry die beiden überfordert, und überlegte, ob er nach Albus rufen sollte,
denn für gewöhnlich pflegte sein jüngster Sohn den Kontakt zu Reinblütern.
„Guten Tag“, erwiderte
Malfoy konstieriert und schob Scorpius mit Gewalt voran. „Mein Sohn möchte gerne
mit dir und deiner Frau sprechen“, ergänzte er, und Harry nahm an, es war eine
Lüge, denn… Scorpius sah eher so aus, als wolle er rennen.
„Ähm, das…- Ginny ist
gar nicht da“, fiel ihm wortkarg ein. Kurz schien Malfoy darüber nachzudenken.
„Das macht nichts.
Dann wird Scorpius sich zweimal entschuldigen müssen“, schloss er kalt. Und
Harry begriff. Seine Augen weiteten sich.
„Oh – ich…, das muss
wirklich nicht-“, begann er, aber Malfoy schien es anders zu sehen.
„-doch, das muss
sein“, widersprach er. „Scorpius“, ergänzte er auffordernd, und sein Sohn hob
langsam den Blick.
„Mr. Potter, es tut
mir wirklich aufrichtig leid“, sagte er gequält. „Ich hätte eine bessere
Entscheidung treffen müssen und es gibt keine Rechtfertigung für mein Verhalten
gestern.“ Harrys Mund zuckte knapp. War es diese verdammte Reinblütererziehung,
die aus sturen Teenagern so eloquente junge Männer machte? Wenn Albus nur
einmal so vernünftig sprechen würde! Leider färbte Scorpius nicht auf seinen
Sohn ab, dachte Harry dumpf.
„Das ist schon in
Ordnung, Scorpius“, rang sich Harry milde Worte ab. „Ihr seid jung…- so was
passiert“, ergänzte er seufzend. „Und ehrlich gesagt… müsste ich mich wohl für
Ron entschuldigen“, schloss er kopfschüttelnd. „Er trägt ebenfalls sehr viel
Schuld an dem Ausgang des Abends“, fuhr er fort. Scorpius‘ Blick war
herzerweichend.
„Scor!“ Albus hatte
anscheinend die Treppe gefunden und war endlich unten angekommen. Sein
verdammter Schluckspecht von Sohn.
„Hey“, begrüßte
Scorpius seinen Sohn scheu. Harry erinnerte sich wieder an simple
Höflichkeiten.
„Wollt… wollt ihr
reinkommen?“, fragte er, etwas unsicher, und er sah die instinktive Antwort auf
Malfoys Zügen sehr genau. Mehr als das.
„Du kannst mir packen
helfen“, kürzte sein Sohn die unangenehme Stille ab und zog Scorpius bereits
ins Innere. „Dad ist ausgerastet gestern“, hörte er seinen Sohn murmeln, als
dieser Scorpius die Treppe hochzog.
„Wirklich, Al?
Vielleicht weil du zwei Falschen verdammt teuren Champagner vernichtet hast und
deine Mutter deine Alkoholvergiftung heilen musste?“, knurrte ihm Harry nach,
und sein Sohn besaß die Dreistzigkeit zu lachen, bevor sie oben imn Flur
verschwanden. Harrys Zähne malten aufeinander, während er den Blick zu Malfoys
Gesicht hob. „So war ich nie“, entkam es ihm bitter. Und tatsächlich lächelte
Malfoy sanft. „Komm rein“, schloss Harry und verdrehte die Augen.
Malfoy folgte ihm.
„Kann ich dir was zu trinken anbieten? Scotch, Wein, Ale?“, erkundigte er sich
trocken bei ihm, und jetzt lachte Malfoy auf.
„Tee wäre
angebracht.“
„Ja, wahrscheinlich“,
räumte er ein. „Das… war ein überraschendes Ende gestern“, fuhr er fort, denn
er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Mhm“, machte Malfoy
lediglich, und Harry konnte praktisch an seiner Stimme hören, dass er sich unwohl
fühlte. Er wandte sich zu ihm um.
„Ron hat
überreagiert“, begann Harry schließlich. Anscheinend mussten sie darüber
sprechen.
„Hat er das?“,
stellte Malfoy mit erhobener Braue die Gegenfrage, und Harry stutzte.
„Hat er nicht?“,
wollte er verwirrt wissen. „Ich denke, es war nicht nötig, auszuflippen und zu
apparieren. Ich meine – gut, dann haben sie sich geküsst. Davon geht die Welt
nicht unter, oder?“ Er sah Malfoy aufmerksam an.
„Von was geht sie
dann unter?“, entkam es Malfoy ein wenig abwesend, während sein Blick über die
Bilderrahmen im Flur glitt. Harry deutete auf das Wohnzimmer, das vor ihnen
lag, und Malfoy setzte sich schließlich auf einen der Sessel. Harry holte noch
eine weitere Tasse aus der Vitrine und goss Malfoy einen heißen Earl Grey ein.
Er nahm ihm gegenüber Platz und griff sich seine Tasse, die bereits abgekühlt
war. Er zückte den Zauberstab und heizte sie wieder auf – auch wenn magisch
erwärmter Tee nicht sonderlich gut schmeckte.
„Muss hart für dich
sein“, bemerkte er lächelnd. Malfoy trank einen Schluck und sah ihn dann
fragend an. „Ich meine, Bill ist um einiges unkomplizierter als Ron es ist,
aber… der Geschmack deines Sohnes erscheint eindeutig.“ Fast musste Harry
lächeln.
„Mal sehen“, murmelte
Malfoy bloß.
„Ginny ist… gerade
bei Hermine“, ergänzte Harry seufzend, und Malfoys Blick hatte sich bei
Hermines Namen gehoben. „Sie… sagt, ihr geht ab und an in der Kantine was
trinken?“, ergänzte er, und kam sich so vor, als spräche er mit Albus, dem er
auch alles aus der Nase ziehen musste. Sofort huschte ein defensiver Ausdruck
über Malfoys Gesicht.
„Das ist nichts“,
sagte er hasrch. „Sie… sie kannte Astoria, deshalb-“
„-schon gut“, lenkte
Harry ein. „Schon gut. Ich… wollte dir nichts unterstellen, ok?“, versicherte
er mit gerunzelter Stirn. Malfoy atmete angestrengt aus. „Ron…“, begann er
zögernd, verharrte dann aber. Ron mochte Malfoy nicht. Egal, wie Harry es
drehte. Ron tolerierte ihn lediglich. Weil Harry es tat. Weil Harrys Familie
mit den Malfoys verbunden war. Und zunächst war es ihm auch schwer gefallen,
und er hatte nicht begriffen, was Albus mit einem Malfoy zu schaffen hatte,
aber Scorpius war… er war ein guter Junge. Ganz im Gegensatz zu Albus, dachte
er bitter. Aber Harry wüsste nicht, was er davon halten würde, würde Scorpius
Malfoy mit seiner eigenen Tochter ausgehen. Kurz drifteten seine Gedanken ab.
Er würde es nicht gut finden. Es wäre… zu kompliziert. Und nicht mal wegen
Scorpius, Merlin, nicht mal wegen Draco Malfoy. Eher… wegen Lucius. Wegen des
Namens. Wegen… vielen Dingen. „Weißt du“, begann Harry plötzlich, „wenn Rose
deinen Sohn mag, dann… wird Ron sich schon gewöhnen. Er liebt seine Tochter.
Über alles.“
„Nur weil ich Dinge
rationaler sehe und gegenüber den Kriegshelden Demut zeige, bedeutet das nicht,
dass ich große Lust habe, mich zu gewöhnen“, erwiderte Malfoy äußerst kühl.
„Scorpius ist… das Beste, was ich habe. Er ist… das Einzige, was ich habe, und
ich bin dankbar, dass er mehr nach Astoria kommt, als nach mir“, ergänzte
Malfoy, ohne ihn anzusehen. „Scorpius findet… Toleranz und Respekt gegenüber
Menschen, bei denen es mir mehr als schwer fallen würde. Er ist… nicht wie ich,
und ich weiß wirklich nicht, wie ich mit dieser Entwicklung umzugehen habe, ob…
ich es nicht im Keim ersticken sollte. Ich… hatte schlaflose Nächte, als er
angefangen hat, mit Dominique auszugehen, und Astoria war es, die mich beruhigt
hatte. Die mir sagte, es mache keinen Unterschied, wen er mag. Woher das
Mädchen kommt. Wie sie mit Nachnamen heißt.“ Malfoy machte er eine Pause,
starrte in die schwachen Flammen des Kamins, und Harry hörte ihm lediglich zu.
„Und jetzt…- jetzt ist sie nicht mehr da. Und alles in mir sträubt sich gegen
diese… Verbindung. Der Nachname ist derselbe, aber… die Ausmaße sind ungleich
größer.“
„Weil es Hermines
Tochter ist?“, entfuhr es Harry, denn er konnte nicht anders.
„Weil es ihre Tochter
ist?“, wiederholte Malfoy verständnislos. „Nein“, widersprach er
kopfschüttelnd. „Es ist nicht…- sie ist-“
„-sie ist Hermines
Tochter“, sagte Harry schlicht.
„Es macht keinen
Unterschied, ob sie-“, entrüstete er isch jetzt, aber Harry blieb völlig ruhig.
„-Malfoy“, unterbrach
er ihn fast sanft, und Malfoys unruihger Blick traf seine Augen. „Ich bin mir
nicht sicher ob du Sorge hast, dass Scorpius erfährt, wie häufig und oft du
Hermine beleidigt hast, oder ob du es für eine Art Refelktion hältst, und dass
Ron denken müsste, alle Malfoys wollen die Frauen seiner Familie haben – aber
weder das eine noch das andere sollte dich jetzt noch belasten“, sprach er fast
ruhige Worte, und Malfoys weiter, schockierter Blick verriet ihm beinahe, dass
seine Worte in irgendein Ziel trafen. „Es hat Krieg geherrscht. Dein Vater hat
dich zu vielen Dingen gezwungen – du hattest keine Wahl. Ich nehme an, du
bereust einiges, und dass dein Sohn Hermines Tochter mag, ist kein Ausdruck
deiner Gefühle – oder deines Versagens.“
Malfoy schwieg,
starrte ihn an, und Harry betrachtete ihn genau. Es waren Tehorien, die er und
Ginny in langen Sommernächten zur reinen Unterhaltung hin und her gesponnen
hatten. Und er hatte das Bedürfnis, sie zu äußern. Malfoy einfach… zu fragen.
„Du… mochtest Hermine? Irgendwann mal?“, wagte er zu sagen, und reglos saß
Malfoy im Sessel, gänzlich abweisend. Und dann atmete er aus.
„Nein“, erwiderte
Malfoy merklich gefasst. „Ich habe Astoria geliebt, und das tue ich noch. Und
davor hat es nur den Krieg gegeben. Nichts sonst.“ Harry atmete aus. Malfoy
log. Malfoy log, wie er immer schon gelogen hatte. Es war wohl einer der sehr
vielen Gründe gewesen, weswegen Harry mit ihm schon im ersten Jahr nichts zu
tun gehabt haben wollte. Malfoy hatte vieles verborgen, hatte gelogen, wenn er
nur den Mund aufmachte.
„Ich sage auch nicht,
dass du sie bekommen hättest. Dass sie die Gefühle erwidert hätte. Ich sage
lediglich-“
„-lass es“,
unterbrach er ihn tatsächlich sehr still. Harry atmete knapp aus.
„Es gibt keinen
Grund, Ron und Hermines Tochter anders zu behandeln, als Bills Tochter. Das ist
alles, was ich sage.“ Harry verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weasley wollte mich
schlagen. Er wollte Scorpius schlagen“, entfuhr es Malfoy scharf, und dass er
in alte Muster fiel, hatte fast etwas Nostalgisches an sich, fand Harry.
„Nicht weil Scorpius
seine Tochter geküsst hat“, erwiderte Harry kopfschüttelnd, und Malfoys helle Augenbraue
hob sich entsprechend.
„Sondern weil er ein
Malfoy ist?“ Es verließ als Frage seine Lippen, und Harry konnte nicht anders,
als die Achseln zu zucken.
„Es war der erste
Schock. Das wird vergehen.“
„Wird es das?“,
entfuhr es dem blonden Hünen, der ihm gegenüber saß, aristokratische Arroganz
auf den Reinblüterzügen, die Harry jedes Mal schaudern ließen.
„Hermine wird es
richten. Sie mag dich“, ergänzte Harry beinahe spöttisch, und Malfoy verdrehte
gereizt die Augen. Er erhob sich und strafte Harry mit einem kühlen Blick.
„Diese kleine
Sozial-Romanze, die du dir da zusammenreimst, ist reine Fantasie. Ich hoffe, du
weißt das?“, informierte Malfoy ihn mahnend, aber Harry lächelte lediglich,
während er sich ebebfalls erhob.
„Lass mir meine
Fantasie“, bemerkte er lächelnd. „Es hilft mir, mir vorzustellen, dass du
früher einfach nur ein Arschloch warst, weil du deine Gefühle unterdrücken
musstest.“ Malfoy schüttelte resignierend den Kopf. „Hast du vor, Ron auch noch
einen Besuch abzustatten?“, erkundigte sich Harry fast unschuldig bei ihm, und
Malfoy verzog den Mund.
„Ich nehme an, um
seine Frau auszuspannen?“, entkam es sardonisch trocken Malfoys Lippen, und
Harrys Mundwinkel zuckten.
„Nein. Keine Chance,
Malfoy“, erwiderte Harry mit halb ehrlichem Bedauern. „Eher um mit gutem
Beispiel voranzugehen und es Scorpius leichter zu machen?“, schlug Harry
eindeutig vor, und Malfoy verzog fast gequält die Mundwinkel.
„Danke“, erwiderte er
knapp. „Ich verzichte.“ Jetzt verdrehte Harry die Augen.
„Ich kann mich nicht
mehr ganz entsinnen, Malfoy, aber du kannst fliegen, oder?“ Jetzt blieb Malfoy
komplett stehen und drehte sich um. „Zwar wirst du kein besserer Sucher sein,
als ich, aber… auf einem Besen kannst du dich halten, nicht wahr?“
„Warum fragst du das?“
Sanfte Abwägung und Vorsicht waren in seine Stimme getreten.
„Wir bräuchten einen
Jäger. Einen passablen Jäger“, ergänzte er. „Das Ministeriumsteam verliert
jedes Jahr. Und-“
„-und du wärst so
selbstlos, mir einen Platz in deinem feinen Aurorenteam anzubieten?“, beendete
er spöttisch den Satz.
„Du arbeitest im
Ministerium, du kannst fliegen. Ich komme dir entgegen, denn auch mich
betreffen diese Entwicklungen in euren Familien.“
„Danke, aber nein.“
Verschlossen stand der blonde Mann in seinem Wohnzimmer, und Harry würde am
liebsten stöhnen über so viel Sturheit. Eigentlich sollte sich Malfoy
hervorragend mit seinem besten Freund verstehen, überlegte Harry bitter. Beide
waren so unverbesserlich stur und uneinsichtig – es könnte eine wunderbare
Freundschaft daraus entstehen.
„Wir trainieren
montags und donnerstags, siebzehn Uhr, in der Trainingshalle im dritten
Untergeschoss“, fuhr Harry unbeirrt fort. „Und ich weiß, eure sinnlosen
Clubtreffen kollidieren nicht mit diesen Zeiten, denn auch Preston McGraw
fliegt für unser Team.“
„Potter-“, begann er,
aber Harry unterbrach ihn einfach.
„-komm einfach mal
vorbei. Geh etwas unter Leute, Malfoy. Wer weiß, vielleicht gefällt es dir
sogar?“, neckte er ihn spöttisch, und Malfoy atmete aus.
„Dad, wo bleibt Mum?
Bevor es dunkel wird, sollten wir-“ James unterbrach sich, als er das
Wohnzimmer durch das Esszimmer betrat. „Oh, hallo, Mr. Malfoy, Sir“, begrüßte
sein Sohn den Mann, und Malfoy war es sichtlich unangenehm.
„Mr. Malfoy ist
unserem Quidditchteam auf der Arbeit beigetreten“, begann Harry jetzt lächelnd
zu erzählen. Und James taute etwas auf.
„Ja? Vielleicht
schafft ihr ja nächstes Jahr den Sieg? Wäre mal was Neues“, sagte sein Sohn
grinsend.
„Musst du gerade
sagen“, erwiderte sein Vater scherzhaft, aber James verzog den Mund.
„Witzig“, murmelte
James kopfschüttelnd. „Was für einen Besen fliegen Sie?“, wandte er sich
interessiert an Malfoy, und dieser wirkte tatsächlich überrumpelt.
„Ich – einen
Feuerblitz 3000“, schloss Malfoy knapp.
„Ernsthaft? Dad, ihr
habt denselben Besen! Das ist ein teures Modell. Zu teuer für den Schulsport“,
ergänzte er bedauernd, und Harry tauschte mit Malfoy einen Blick. „Aber so
einen will ich mir nächstes Jahr auch besorgen.“ Sein Sohn hatte keine
Schwierigkeiten mit Malfoy. Und auch Malfoy schien zu wissen, wie man sich
verhielt.
„Wirst du dem Team
deines Vaters beitreten?“, erkundigte er sich höflich, und James ruckte mit dem
Kopf. Harry horchte interessiert auf, denn noch wusste er nichts von den
zukünftigen Plänen seines Sohnes. Noch hatte sich James nicht geäußert.
„Keine Ahnung“,
murmelte er bloß. „Auroren brauchen… gute Noten“, rang er sich ab. Malfoy
runzelte die Stirn.
„Auroren brauchen
Ausdauer, einen guten Zauberstab und das richtige Gespür. Ich denke, eine paar
Heldengene können auch nicht schaden“, ergänzte er sogar mit einem knappen
Zwinkern in James‘ Richtung, und tatsächlich hoben sich die Mundwinkel seines
Sohnes.
„Ich weiß, dass Albus
überlegt, die Ausbildung zu machen“, sagte James daraufhin. „Aber ich-“
„-Albus überlegt, die
Ausbildung zu machen?“, entfuhr es Harry, ohne dass er sich halten konnte.
„Albus? Unser Albus?“, vergewisserte er sich verständnislos. James sah ihn
verblüfft an.
„Ja, er meinte vor
ein paar Wochen-“
„-die Ausbildung zum
Auror?“, vergewisserte sich Harry noch mal, und James runzelte die Stirn.
„Ja?“, bestätigte er
langsam und runzelte die Stirn. Harrys Mund hatte sich geöffnet.
„Wow, das…- ok“,
schloss Harry, und konnte nicht verhindern, Stolz zu empfinden.
„Vielleicht passt zu
mir etwas weniger… aktives besser“, sagte James in Malfoys Richtung, und Harry
zwang sich zuzuhören, auch wenn es ihm schwer fiel. Albus Potter wollte Auror
werden.
„Wenn es dich
interessiert, kann ich dir ein Praktikum in der Finanzverwaltung besorgen“,
sprach Malfoy weiter, und jetzt war Harry wieder dabei. „Es ist deutlich
passiver, aber die Bezahlung ist um einges höher als das Auroren-Gehalt“,
versprach Malfoy lächelnd. James erwiderte das Lächeln.
„James wird noch mal
darüber nachdenken“, antwortete Harry anstatt seiner und erntete James‘
wütenden Blick.
„Ich kann es selber
entscheiden, Dad. Danke, Mr. Malfoy“, sagte er dann und verließ kopfschüttelnd
das Zimmer wieder. Malfoy lächelte noch immer.
„Sie können nicht
alle Auroren werden“, bemerkte er knapp. Harry verzog den Mund.
„Mh“, machte er bloß.
„Scorpius“, rief
Malfoy im Flur, und Harry folgte ihm. „Wir müssen los“, sagte er, aber Albus
erschien am Treppenabsatz.
„Dad, können wir ihn
mitnehmen?“, rief er, unhöflich wie er war, nach unten, und Harry verdrehte die
Augen.
„Du könntest auch
runter kommen, um zu fragen!“, rief er zurück, aber Albus lehnte sich weit
übers Geländer.
„Was?“, brüllte er
praktisch, und Harry fluchte innerlich.
„Ja, können wir!“,
schrie er, und Albus reckte den Daumen in die Höhe.
„Das ist nett,
aber-“, begann Malfoy, aber Harry unterbrach ihn gereizt.
„-Montag, siebzehn
Uhr. Und besser fliegst du verdammt fantastisch, wenn du meinen ältesten Sohn
schon in die Reinblüterabteilung locken willst“, entgegnete er finster, und
Malfoy lächelte tatsächlich breiter. Und dann kam Scorpius die Treppe runter,
um sich, wie ein guter Junge von seinem Vater zu verabschieden. Harry verzog
wieder den Mund. Was machte er bloß falsch.
„Sind… sind wir ok?“,
hörte Harry Scorpius leise fragen, und Malfoy betrachtete ihn ernst.
„Immer“, sagte er
dann seufzend, und Malfoy legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir sehen uns
Weihnachten. Mach keinen Unsinn, ja?“ Dann wandte er sich an ihn. „Und bedank
dich, hörst du?“
„Danke, Mr. Potter“,
sagte Scorpius gehorsam, und Harry atmete aus.
„Das ist schon in
Ordnung, Scorpius“, wiegelte er ab. „Bis Montag, Malfoy“, ergänzte er mit
eindeutigem Blick, und kurz zögerte Malfoy, ehe er antwortete.
„Bis Montag, Potter“,
verabschiedete er sich nickend und verließ das Haus wieder.
„Nicht einfach, dein
Dad“, bemerkte Harry schließlich seufzend, als er und Scorpius alleine waren.
Unschlüssig nickte Scorpius. „Sag mal, was willst du nach Hogwarts machen?“,
erkundigte sich Harry prüfend bei dem blonden Jungen, der verblüfft den Blick
gehoben hatte.
Sie starrte blind nach vorne in die
aufkommende Dämmerung, auf die Stelle, wo ihre Mum gerade verschwunden war.
Jetzt überkam Rose doch der Anflug eines Gewissens, was sie sonst auch gekonnt
verdrängen konnte. Es hatte keine Aussprache gegeben. Sie hatte darauf
verzichtet, ihrem Dad noch mal unter die Augen zu treten, und erst jetzt
begriff sie, dass ihre Mutter nicht Unrecht gehabt hatte. Jetzt ging Hogwarts
weiter, und Dom kochte bestimmt vor Wut. Bei Tante Ginny hatte sie sich
entschuldigt, aber nicht mehr großartig mit ihr gesprochen.
Auch mit Rumer nicht – oder gar mit Scorpius. Oder
Albus! Alle wussten Bescheid, und Rose hatte keine Ahnung, was sie erwarten
würde, wenn sie gleich das Schloss betrat.
Hugo hatte sich abgewandt und stapfte in der
Dämmerung den Weg nach oben, ohne auf sie zu warten. Auch mit Hugo sprach sie
nicht. Immer noch nicht. Auf der Party hatten sie kurz gesprochen. Aber es
zählte nicht wirklich. Und dann bekam sie Magenschmerzen, wenn sie bloß an
Presley dachte.
Sie würde einfach hier bleiben. Vor den Toren von
Hogwarts, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Sie zuckte zusammen, als
Hugo neben sie trat. Er war zurückgekommen, aber sie ließ sich gar nichts anmerken.
Schließlich seufzte er auf. Er schien zu warten. Wartete er, dass sie sprach?
Bockig starrte sie weiter geradeaus.
„Hast du Angst?“, fragte
er sie schließlich, und sie konnte nicht sagen, ob er genervt klang oder nicht.
Sie jedenfalls hatte keine Lust, zu antworten. „Rose?“, sagte er jetzt, und
jetzt hörte sie seinen gereizten Tonfall deutlich. Abfällig wandte sie den
Blick.
„Geh einfach“, spuckte
sie ihm entgegen, und für eine kurze Sekunde wusste sie nicht mehr, warum sie
überhaupt stritten. Aber dann fiel es ihr wieder ein. Hugo war undankbar und
uneinsichtig, und sie hatte ihn schützen wollen, aber er war so selbstgerecht
und wusste immer alles besser. Deshalb war sie sauer.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er lediglich den
Kopf schüttelte, und dieses Mal ging er wirklich.
Rose Weasley hatte
Angst. Wie lächerlich.
Unschlüssig drehte sie
sich irgendwann um, als sie sicher sein konnte, dass Hugo längst verschwunden
war, und mit schweren Schritten näherte sie sich dem Schloss, was beinahe
bedrohlich in der Dämmerung vor ihr thronte. Es war fast an der Zeit fürs
Abendbrot, aber Hunger hatte sie nicht wirklich. Der Wind pfiff durch ihre
Haare, die sie hoch im Zopf trug, und es war, als wolle er sie ärgern. Sie
hatte sich keinen Schlachtplan zurechtgelegt, und generell war ihr Kopf einfach
nur leer. Sie dachte an ihren Dad. Die ganze Zeit über, auch wenn sie sich
weigerte, es sich selber einzugestehen. An ihn und Scorpius. Ihr Dad war sauer,
mehr als das. Und Rose wusste nicht, wie man es lösen sollte. Der dumme
Vorschlag ihrer Mum, dass sie ‚reden‘ sollten, löste das Problem nicht. Was
sollte sie bitteschön sagen? Dass es ihr leid tat, aber gleichzeitig tat es das
nicht? Denn sie könnte sich nicht für etwas entschuldigen, was sie immer wieder
tun würde, oder? Ihr Dad würde erwarten, dass so etwas nie wieder vorkäme,
aber… Rose machte sich da nichts vor. Sie hatte sich ziemlich klar zwischen
ihrem Vater und Scorpius Malfoy positioniert, und sie hatte einmal nicht den
feigen Ausweg genommen.
Ihr Dad war die Spitze
des Eisbergs, aber eigentlich war es nur ihr Dad, bei dem sie sich wirklich
Sorgen machte. Denn… sie konnte es nicht wiedergutmachen. Das ginge nur, wenn
alles so wäre, wie immer. Und so war es nicht mehr.
Rumer… Rumer würde sie zur Rede stellen, sich
vielleicht ein wenig hintergangen fühlen, aber Rose nahm an, sie würde ihr
verzeihen, vor allem, weil sie ja ihre Zeit nur noch James und nicht ihrer
Freundschaft gewidmet hatte. Rose wusste, das war unfair. Aber… so dachte sie
jetzt gerade. Denn neben Dom wirkte Rumer wirklich wie ein
Leichtgewichts-Problem. Dom war… etwas anderes. Denn Rose wusste, bei Dom gab
es keine Entschuldigung. Es war wie eine Aufgabe, ohne Lösung. Wüsste Dom, wie
lange es schon lief, dann… dann…- Rose schluckte. Sie begriff, wie scheiße sie
tatsächlich war. Es war nicht nett von ihr gewesen. Sogar der Gedanke an
Presley war angenehmer, als der Gedanke an Dom.
Sie konnte nur hoffen, dass Albus nicht so eine
riesige Sache daraus machen würde. Dass er Scorpius in Ruhe ließ. Wäre ihre
Familie ihr gänzlich egal, dann…- aber selbst wenn sie das wäre! Dann wäre es
trotzdem immer kompliziert.
Sie seufzte schwer, als
sie halb erfroren den Eingang erreicht hatte. Hell erleuchtet strahlten ihr die
hohen Fenster entgegen, und Rose wäre gerne woanders. Irgendwo. Selbst im
Verbotenen Wald wäre sie lieber. Immerhin fühlte sie sich wieder wohl in ihrer
Haut. Sie trug wieder Hosen, eine dicke Jacke – sie stand nicht mehr im
Mittelpunkt. Viel besser so. Sie betrat das Schloss, atmete mit mehr Kraft, tat
so, als wäre sie mutig, als wäre sie eine echte Gryffindor – und schon umfing
sie die Wärme, die aus der Großen Halle strömte.
Es näherten sich
schnelle Schritte, und Rose war schon regelrecht paranoid, als sie ihren Blick
hastig hob. Es war Cara, die sich zornig im Gehen ihre Jacke übergezogen hatte.
Ihr Blick war reichlich wütend, und anstatt raus zu gehen, bog sie ab, um
runter zu den Kellern zu gelangen. Immerhin schien sie nicht mit Rose sprechen
zu wollen, schenkte ihr lediglich einen kochenden Blick, und Rose runzelte
verblüfft die Stirn. Was war los? Hatte sie Streit mit Hugo? Rose konnte das
nachvollziehen. Sie hatte häufig Streit mit Hugo. Und was wollte Cara unten?
Rose beschloss, dass es eine schlechte Idee wäre,
hier zu verweilen. Slytherin war zu nahe. Albus, Scorpius, Presley…- alles war
von hier nicht weit, und alle auf einmal würde sie nicht ertragen können. Aber
der Gedanke an den Gryffindorgemeinschaftsraum trieb ein taubes Gefühl in ihre
Arme und Beine. Sie würden sie alle anstarren. Und vielleicht würden sie sich
lustig über sie machen? Vielleicht würden sie auch in Gelächter ausbrechen –
zumindest bestimmt James und Fred und Louis. Ihr wurde jetzt erst klar, wie
absolut lächerlich sie sich gemacht hatte!
Genau wie vor einer Viertelstunde
stand sie unbeholfen an derselben Stelle, und wusste beim besten Willen nicht,
was sie tun sollte. Sie müsste verdammtes Glück haben, wenn alle sie ignorieren
würden, so wie Cara es gerade tat.
Sie würde jetzt gerade am liebsten alles dafür geben,
Rumer irgendwie Bescheid zu geben! Und sie wüsste zu gerne, ob sie in ihrer
besten Freundin noch eine Allianz hätte.
Wieder vernahm sie
schnelle Schritte. Sie kamen diesmal von unten. Kam Cara bereits wieder? Roses
Blick hatte sich gehoben, und fast erstarrte sie komplett. Es war nicht Cara.
Er wirkte etwas gehetzt, als wäre er ziemlich schnell gerannt. Und jetzt
versuchte er wohl, den letzten Rest an Coolness zurück zu gewinnen, in dem er
sich lässig die Haare nach hinten strich, aber sie sah immer noch, wie schnell
sich seine Brust hob und senkte. Ihr Mund öffnete sich überfordert.
„Hey“, begrüßte
Scorpius sie eine Spur atemlos, aber er räusperte sich hastig. „Hast du…?“ Er
unterbrach sich, schien nicht wirklich zu wissen, was er sagen sollte, aber er
kam näher. Vorsichtig, langsam, und sie spürte, wie Herz schneller ging. Sie
sah ihn wieder! Sie hatte sich die gesamte Zeit über kaum mit dem Gedanken an
ihn befassen können, weil sie an ihren Dad und an Dom und Presley und Albus
gedacht hatte. Aber… jetzt kehrten die Erinnerungen und Gefühle zurück.
„Hey“, flüsterte sie
tonlos. „Woher wusstest-?“
„-Cara“, beantwortete
er zügig die Frage, und sie nickte bloß. Ja, es machte Sinn. Dann war Cara
unten bei den Slytherins. Was tat sie da?
„Warum ist sie bei
euch?“, fragte Rose ein wenig abwesend, aber Scorpius ruckte nur mit dem Kopf,
ließ sie nicht aus dem Blick.
„Keine Ahnung. Ist… ist
das wichtig?“, entkam es ihm rau, und Rose schüttelte träge den Kopf.
„Nein. Nicht wichtig“,
entkam es ihr kurzsilbig. Ihre Augen flogen über sein Gesicht. Er war so nahe.
Er würde sie küssen. Er würde sie küssen!! Ihr Herz jagte plötzlich. Sie hatte
ihn vermisst. Ernsthaft vermisst. „Warum bist du gerannt?“, flüsterte sie jetzt
praktisch, als sie jeden hellen Funken in seiner grauen Iris ausmachen konnte.
„Bin ich nicht“, log er
atemlos, direkt vor ihrem Gesicht, und langsam hoben sich ihre Mundwinkel. Er
hatte garantiert Sorge gehabt, sie wäre weggewesen, wenn er sich nicht beeilte.
Er hatte sie sehen wollen. Er hatte… sie vermisst. Das zumindest nahm sie an.
Das zumindest hoffte sie.
„Du… lügst“, erwiderte
sie stockend, als seine schlanken Finger ihre Hände fanden, sich mit ihren
Fingern verbanden, und er zog sie sanft näher. Ihr Kopf legte sich in den
Nacken, und er atmete sie ein, als seine Lippen auf ihren Mund fielen. Ihre
Augen schlossen sich automatisch, und sie lehnte sich näher zu ihm, genoss den
Kuss, der sehr schnell leidenschaftlicher wurde, und kaum öffnete sie ihre
Lippen unter seinen, lösten sich seine Finger von ihren, und seine Hände hoben
sich, umfassten ihr Gesicht, und brachten sie noch näher an sich. Gierig und
ungehalten drang seine Zunge vorwärts, und schon wieder befanden sie sich nicht
gerade an einem sonderlich privaten Ort – aber diese Gedanken hinterließen
wenig Eindruck in ihrem leeren Verstand. Stattdessen legten sich ihre Hände um
seine warmen Handgelenke, hielten sie fest, und erst, als er seine Hand
befreite, und sie um ihre Taille legen wollte, unterbrach sie den Kuss.
Ihr Atem ging schnell,
und sie erkannte wie groß seine Pupillen geworden waren, als er ebenfalls die
Augen öffnete. „Wir… sollten… reden“, zwang sie sich, zu sprechen. Er schien
anderer Meinung zu sein, löste sich aber schließlich von ihr und machte einen
Schritt zurück.
„Ok“, bestätigte er
rau.
„Wir… wir können nicht
einfach… irgendwo rumstehen und… und uns küssen. Es… es ist gefährlich“,
murmelte sie anklagend, und er versuchte, schuldbewusst auszusehen.
„Mhm“, sagte er bloß,
und sie nahm an, er hatte nicht genügend Blut in seinem Kopf.
„Malfoy“, entkam es ihr
eine Spur gereizter, und er schloss kurz die Augen, atmete aus, und nickte
schließlich.
„Worüber willst du
reden?“, fragte er sie seufzend. „Über… über deinen Dad?“, begann er
vorsichtig, und sie verzog hastig den Mund.
„Nein!“, entkam es ihr
ablehnend. Nicht jetzt. Garantiert nicht jetzt, wenn sie das angenehme Ziehen
in ihrer Mitter spürte.
„Über Dom?“, fuhr er
fort, und sie blickte verzweifelt zur Seite. „Worüber, Rose?“
„Was… was passiert
jetzt? Mit uns?“, flüsterte sie mit weitem Blick und suchte Antworten in seinem
Gesicht. „Ich… ich meine – hast du Albus schon gesehen? Hast du-?“
„-ja“, bestätigte er
bloß.
„Und?“ Sie sah ihn
auffordernd an. Er zuckte die Achseln.
„Er hat mich nicht
geschlagen“, gab er zurück. Sie verdrehte die Augen.
„Weiß er es? Das… das
mit uns?“
„Er weiß es seit einer
Weile“, entgegnete er mit gerunzelter Stirn, und er frustrierte sie gerade
ziemlich.
„Nein! Ich meine, das
jetzt! Diese… neue Entwicklung!“, fuhr sie ihn praktisch an.
„Ich denke schon“,
erwiderte er langsam.
„Und… er ist ok damit?
Es macht ihm nichts aus?“ Sie musste es wissen. Interessierte es Scorpius
überhaupt nicht? Er atmete lange aus.
„Glaube nicht“,
entgegnete er, und sie stöhnte auf.
„Merlin, Scorpius!“
„Was genau fragst du
mich, Rose?“, fuhr er sie jetzt lauter an.
„Ich frage dich, ob du
Albus gesagt hast, dass wir zusam-“ Sie unterbrach sich, denn… - genau das
hatten sie noch nicht definiert. Genau dieser Punkt stand jetzt gerade zwischen
ihnen, und wie ein dummer Idiot plapperte sie drauf los. Seine Augenbraue hob
sich lauernd.
„Dass wir was?“,
wiederholte er gespannt, und ihr Mund schloss sich hastig.
„Ich meine…, ich meine
bloß, dass…“
„Willst du mit mir
zusammen sein?“, griff er ihre Worte wachsam auf, und sie kaute auf ihrer
Unterlippe. „Rose?
„Willst… du das?“,
flüchtete sie sich in die Gegenfrage, aber er gab nicht nach.
„Wenn du das willst“,
sagte er prüfend, und sie atmete stockend aus.
„Ich meine, ich bin
nicht diejenige, die sich fast die Beine gebrochen hat, um hier hochzurennen“,
bemerkte sie stiller und fasste ihn wieder ins Auge, aber das Pokerface ruhte
jetzt auf seinen hübschen Zügen.
„Du küsst mich,
obwohl dein Vater einen Anfall bekommen hat, beim letzten Mal. Also, so
dringend wie du-“, begann er, und mit geröteten Wangen fiel ihr Bick wieder.
„-ok!“, unterbrach
sie ihn gepresst, und er schwieg. Sie sah sein Lächeln aus den Augenwinkeln.
„Ok bedeutet, du…
willst mit mir zusammen sein?“ Sie hasste dieses Spiel. Trotzig hob sie den
Blick wieder, schob das Kinn vor, und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ok bedeutet, dass du
ein Idiot bist“, gab sie kopfschüttelnd zurück, und sein Lächeln verblasste
langsam. „Wenn du das nicht ernstnimmst-“
„-glaub mir, ich
nehme es ernst“, unterbrach er sie hart.
„Gut, denn… ohne dich
schaffe ich das nicht“, entkam es ihr ruhiger. „Gegen meine Familie anzukommen
ist… nicht gerade… leicht“, sagte se vorsichtige Worte. Seine Stirn legte sich
in Falten. „Niemand wird es gutheißen, und das ist anstrengend“, murmelte sie
erschöpft.
„Willst du mich
trotzdem?“, fragte er rau, und sein Blick alleine schickte ein Schwächegefühl
in ihre Knie.
„Ja“, wisperte sie
praktisch und sah ihn schlucken. Er nickte knapp.
„Dann lass uns gehen“,
schloss er ernst, ergriff ihre Hand und zog sie weiter. Stolpernd setzte sie
sich in Bewegung.
„Warte! Wohin…? Du
willst in den Gemeinschaftsraum?“, entkam es ihr fast panisch.
„Sicher. Da ist doch
deine Familie, oder nicht? Du musst das nicht alleine tun, Rose“, sagte er
bloß, und sie entzog ihm ihre Hand.
„Warte, ich kann
nicht-“
„-sicher kannst du!“,
unterbrach er sie verständnislos.
„Ich sollte… alleine
gehen“, widersprach sie nervös. Auch wenn das gerade noch etwas gewesen war,
was sie tunlichst hatte vermeiden wollen.
„Warum? Sie haben uns
alle gesehen, Rose. Es ist kein Geheimnis mehr.“ Sie schluckte schwer.
„Ich weiß, aber…“
„Aber?“ Ungeduldig
sah er sie an.
„Was… sollen wir
sagen?“ Verzweifelt blickte sie ihm entgegen. „Ich kann dich nicht einfach…
mitnehmen! Dom wird ausflippen – und… Louis wird dich vielleicht schlagen! Ich
meine-“
„-Rose, du hast mich
gebeten, da zu sein. Ich bin da.“ Völlig bereit stand er vor ihr. Aber sie
schüttelte langsam den Kopf.
„Das kann ich so
nicht“, flüsterte sie. „Ich kann ihnen nicht allen vor den Kopf stoßen. Sei…
einfach da für mich, wenn… es soweit ist, ok?“ Sein Mund öffnete sich
überfordert. „Bitte?“, ergänzte sie zaghaft, und er kam zu ihr.
„Ich will dir
helfen“, sagte er nur, und sie nickte daraufhin.
„Ich weiß. Danke“,
ergänzte sie versichernd. „Lass mich sehen, wie… die anderen drauf sind.“
„Und wenn sie wütend
sind? Was dann? Dann muss ich mich in den Kellern verstecken? Wir vereinbaren
geheime Orte an Mitternacht, damit wir uns sehen können?“ Er klang nicht
zufrieden. „Das haben wir schon getan, Rose“, erinnerte er sie grimmig. „Das
brauchen wir nicht mehr. Wenn du mich willst, dann-“
„-dann ändert es
nichts daran, dass es Menschen verletzt. Und das will ich nicht. Nicht so!“,
entfuhr es ihr. Er verdrehte die Augen.
„Ich habe dich
vermisst! Ich… will dich sehen. Ich will dich… spüren, Rose!“, machte er es
schmerzlich deutlich, und seine Worte lösten Schauer in ihr aus. „Ich will,
dass es weitergeht. Ich habe lange genug gewartet, habe dich diese Sache mit
Presley ausprobieren lassen, und-“
„-du hast es mich…
ausprobieren lassen?“, wiederholte sie ungläubig und eine Spur verwirrt, aber
er machte eine wegwerfende Handbewegung. Die positiven Gefühle verschwanden
langsam.
„Du weißt, wie ich es
meine“, fuhr er ungeduldig dazwischen, aber sie sah ihn herausfordernd an. Was
genau meinte er damit?
„Nein. Ehrlich gesagt
nicht. Es klingt so, als wäre es alles dein Plan gewesen. Als wäre ich ein
dummer Bauer, den du übers Schachbrett schicken könntest. Es hing nicht von
deiner Gunst ab! Ich habe unsere Affäre beendet!“, erinnerte sie ihn bitter,
aber er wirkte nicht sonderlich beeindruckt.
„Weil ich dich
gelassen habe“, erklärte er überheblich. Ihre Augen weiteten sich.
„Du hast was?“, entfuhr
es ihr empört.
„Weil ich wusste,
dass du es nicht packst. Es war zu viel für dich. Und das ist ok gewesen. Du
hast Zeit gebraucht, ich habe das verstanden. Ich meine, deine Familie hat es
nicht leicht gemacht. Albus war-“
„-Albus ist dein
bester Freund! Dass ich irgendetwas für dich getan habe, ist scheinbar völlig
unmöglich, ja?“ Ihr war nicht aufgefallen, wann sie angefangen hatten zu
schreien, aber plötzlich befanden sie sich im handfesten Streit.
„Ich habe mit Dom
Schluss gemacht!“, fuhr er sie an. „Ich habe die Opfer gebracht! Und du hast-“
„-Opfer? Ernsthaft
jetzt? Das nennst du Opfer? Du nutzt meine Cousine aus, küsst mich im Urlaub,
um dann mit ihr zu schlafen, und mir dann hier zu erzählen, dass du eine
bedeutungslose Affäre mit mir haben möchtest, weil es alles sowieso nichts
werden kann? Und jetzt hast du mir den Gefallen getan, und hast mich mit dir
Schluss machen lassen, damit ich mit Presley zusammenkommen kann?“ Sie konnte
nicht fassen, dass er ernsthaft glaubte, er wäre der Gönner, der Held dieser
Geschichte. Und er verdrehte die Augen über sie! Der Mistkerl!
„Du hattest keine
Erfahrung!“, begann er jetzt gedehnt, und sie machte ein zorniges Geräusch.
„Wow. Du bist so-“
„-und deshalb“,
unterbrach er sie gepresst, „kannst du jetzt auch nicht verstehen, dass ich dir
diese Zeit gegeben habe.“
„Es ging mir
hundsmiserabel wegen dir!“, fuhr sie ihn an.
„Es ging dir
miserabel, weil du dir nicht eingestehen konntest, dass du mehr wolltest, als
eine Affäre!“, blaffte er sie ungehalten an. Wie… wie konnte er das wagen? Wie
konnte er ihr so was unterstellen? Und selbst… wenn es stimmte, dann war sie
garantiert nicht die einzige gewesen, die das gewollt hatte! Und das würde sie
jetzt erst recht nicht mehr zugeben!
„Das stimmt nicht!
Ich habe gar nichts davon gewollt! Du hast die ganze Zeit-“
„-du bist mir ins
Zelt nachgelaufen! Nicht umgekehrt! Ich habe dich nicht dazu gezwungen, habe
dich nicht mal motiviert, irgendetwas zu tun!“, beschwerte er sich wütend.
„Als ob!“, entkam es
ihr entrüstet. „Du hast mich doch ständig aufgesucht! Du hast doch geheime
Treffen arrangiert, als du und Dom noch zusammen wart!“, fuhr sie ihn wütend
an.
„Dein Bruder hat mich
bedroht! Für mich war es alles wesentlich schlimmer. Meine Freundschaften
standen alle auf dem Spiel! Ich wollte, dass es aufhört! Garantiert nicht, dass
es mehr wird!“ Als die Worte seinen Mund verlassen hatten, schwiegen sie beide
sehr plötzlich, und Rose war es, die bitter weitersprach.
„Tja, dann hast du
dich jetzt verdammt dumm angestellt!“, knurrte sie, eine Spur verletzt. Er
stöhnte auf.
„Das habe ich nicht
gemeint! Damals! Damals war es anders, ok?“, entgegnete er zornig, und sie
funkelten sich hasserfüllt an und keiner kam dem anderen entgegen. Keinen
Zentimeter. „Wieso verdammt noch mal streiten wir?“, rief er jetzt genervt aus,
und ihre Mundwinkel sanken.
„Keine Ahnung.
Anscheinend weil du ein Arschloch bist?“, entkam es ihr bitter, und sie sah,
wie sich sein Kiefer anspannte. „Weil du denkst, ich bin ein unerfahrenes
kleines Mädchen, dem du seinen Willen lassen musstest, damit ich erkennen
konnte, was für ein verdammt nobler, liebenswürdiger Kerl du bist? Weil ich
Gefühle nicht erkenne und Angst vor meiner eigenen Familie habe? Ungefähr
deshalb vielleicht?“ Ihre Stimme war lauter geworden, und seine Schultern waren
gesunken.
„Rose“, begann er, um
Kontenance bemüht, hatte eine Hand beschwichtigend gehoben, aber jetzt gerade
war sie verletzt.
„Nein, schon gut“,
fuhr sie ihm dazwischen. „Ich bin dumm und impulsiv und unerfahren – ich habe
deine Beziehung zu Dom zerstört, weil ich es ja auch war, die diese Sache
damals am Strand begonnen hatte!“, entkam es ihr lakonisch. „Alles meine
Schuld! Dass mein Cousin auf mich steht, dass mein Vater dich hasst –
garantiert auch meine Schuld, richtig?“, entkam es ihr bissig. „Und zu
behaupten, Presley würde sich für mich interessieren, weil du es erlaubst, weil
du es zulässt…! Und weil ich so phlegmatisch bin, ist es sicherlich auch meine
Schuld, dass Hugo nicht wollte, dass du mich anrührst, oder? Es könnte nicht
eine Sekunde lang an dir liegen, oder? Es könnte nicht sein, dass du dich
irrst, richtig? Und selbst wenn nicht! Du hattest kein Recht, mir wehzutun!
Mich glauben zu lassen, du würdest mich nicht wollen! Du hättest einfach ehrlich
sein können! Es ist nicht alles meine Schuld! Wenn du mich wolltest, dann
hättest du es Albus sagen müssen – einfach weil es deine Aufgabe gewesen wäre!
Und du hättest mit Dom im Sommer Schluss machen müssen, anstatt mit ihr zu
schlafen und diese Sache in die Länge zu ziehen, weil du zu feige warst!“
„Und warum?“, wollte
er bitter wissen. „Warum wäre es meine Aufgabe gewesen? Warum hast du es nicht
getan? Warum bist du im Sommer nicht zu Doms Vater gegangen und hast mich
verpetzt? Warum nicht? Du wolltest es alles so! Du hattest keine Lust auf diese
Konfrontation! Du schaffst es ja jetzt nicht mal! Du redest nicht mal mehr mit
deinem eigenen Bruder!“, schrie er praktisch, und sie zuckte zusammen. „Und
wieso sagst du mir das alles jetzt und nicht schon vorher?“
„Weil ich nicht
wusste, was du willst!“, schrie sie zurück. „Du wolltest Dom! Du hast… mich
benutzt. Und…-“
„-das habe ich
nicht!“, widersprach er resolut.
„Das hast du wohl!“
Er schloss gequält
die Augen. Als er sie öffnete, erkannte sie milde Erschöpfung in seinem Blick.
Er kam einen Schritt näher. „Du wusstest genau, was ich wollte“, sagte er sehr
ernst. „Und mein Name allein sollte nicht der Grund dafür sein, dass ich alle
Hürden überwinden muss. Wenn du das hier willst“, fuhr er fort, deutete auf
sie, dann auf sich, „dann funktioniert es nicht, versteckt auf Korridoren. Dann
reicht es nicht aus, dass du mich vertröstest. Ja, ich habe mich falsch
verhalten, ich… konnte mir nicht eingestehen, dass ich dich wollte, weil mir
die Freundschaft zu Albus wichtiger war! Weil ich nicht wusste, was du für mich
empfindest, ob es…- genau dieselben Gefühle sind, oder ob du… bloß Erfahrungen
sammeln wolltest! Das im Sommer, das war… Zufall! Ein glücklicher Zufall, aber
ich hatte Angst. Ich…- alles aufs Spiel zu setzen, für ein Mädchen, deren
Familie mich teilweise verabscheut – das war schwer. Und jetzt sind wir hier.
Jetzt… wissen es alle. Es sollte dir… einfach ausreichen, Rose! Es muss dir
genug Sicherheit geben, dass ich da bin, dass ich… keine Angst habe, vor deiner
Familie, vor… deinem Vater.“ Sein Blick war so… offen. Fast tat es weh. Und sie
hatte ihm noch nicht verziehen, dass er ihre Unerfahrenheit ausgenutzt hatte,
dass er glaubte, er hätte die Fäden in der Hand gehabt, aber sie erkannte eine
wichtige Sache.
„Ich bin nicht Dom“,
entkam es ihr traurig. Er blinzelte kurz.
„Was? Ich habe
nicht-“
„-wir können jetzt
nicht einfach… zusammen sein“, unterbrach sie ihn still. „Zusammen irgendwo
auftauchen. So… bin ich nicht. Und vielleicht bist du es so gewöhnt – oder
vielleicht ist Dom es so gewöhnt – aber das ist nicht richtig, Scorpius.“ Sie
sah ihn an, versuchte, zu erkennen, ob er sie verstand. „Wir haben Fehler
gemacht und Menschen wehgetan.“ Sein Mund hatte sich geschlossen. „Und man
verhält sich so nicht.“
„Sie wissen es
doch!“, entrang es sich ihm verzweifelt.
„Na und?“, erwidere
sie verständnislos. „So zeigt man keine… Demut“, ergänzte sie deutlicher, und
kurz hatte sie das Gefühl, er wusste gar nichts mit diesem Wort anzufangen.
Sanfte Verständnislosigkeit flackerte in seinem Blick. „Man… walzt nicht über
Gefühle der anderen, man stellt sich nicht einfach dahin, ist zusammen, und
lässt die anderen spüren, dass man einfach genau das macht, was man machen
will. Ohne jede Rücksicht.“ Und tatsächlich begriff er nicht eines ihrer Worte.
„Was… was soll das
heißen?“, fragte er stattdessen, und sie atmete aus.
„Dass… ich wissen
muss, ob es ok ist. Ich brauche“, sie dachte angestrengt nach, über passende
Worte, „Absolution. Ich brauche, die Erlaubnis, dass-“
„-Erlaubnis?“,
unterbrach er sie empört, denn dieses Wort schien er zu kennen. „Wieso solltest
du irgendwen um Erlaubnis bitten?“ Und sie wusste nicht, ob es eine Eigenart
der Slytherins war, oder ob es einfach seinen ganz persönlichen Charakter zeigte,
dass er so etwas nicht mal im Ansatz nachvollziehen konnte, und sie konnte nur
antworten, was sie glaubte. Was sie wusste. Was jeder Gryffindor sagen würde.
„Weil es richtig
ist.“ Er wirkte so komplett überfordert damit, dass er nicht mal mehr schrie.
„Das verstehe ich
nicht“, entkam es ihm sehr offen.
„So bin ich aber.“
„Das ist… feige“,
entkam es ihm verblüfft, und fast musste sie lächeln.
„Man nennt es
einfühlsam. Wahrscheinlich etwas, was Dom nicht unbedingt begreift“, ergänzte
sie bitterer. „Oder du“, schloss sie, mit einem knappen Blick in sein Gesicht.
„Das heißt, es bleibt
geheim“, subsumierte er ablehnend, und sie verdrehte die Augen.
„Nein, das heißt, ich
zeige Reue und Verständnis und verschone die Gefühle der anderen, in dem ich mich
nicht an öffentlichen Plätzen auf dich stürze.“
„Das… das ist so…“
Seine Stirn war gerunzelt, und er hatte größte Probleme mit diesem Konzept.
„Und ich bin einfühlsam!“, griff er ihre Worte auf, die er wohl als Beleidigung
empfand. „Ich lasse mich nur nicht von anderen bestimmen und unterdrücken“,
entkam es ihm hart, aber ihr Lächeln vertiefte sich nur.
„Weil du ein
arroganter Idiot bist?“, vermutete sie grinsend, und er wirkte gänzlich
schockiert.
„Ich… ich bin nicht
arrogant!“, entkam es ihm tonlos, fast zögernd.
„Doch, ziemlich“,
widersprach sie, und es machte wirklich Spaß, ihn so überfordert zu sehen.
„Das… das ist so
scheiße von dir!“, entrüstete er sich. „Sogar Albus‘ Eltern mögen mich lieber
als ihn! Für einen Slytherin bin ich absolut höflich und angenehm und-“
„-sehr bescheiden von
dir“, unterbrach sie ihn scheinheilig, und sein Mund klappte zornig zu. „Ich
denke, du kannst nichts dafür“, behauptete sie achselzuckend. „Wahrscheinlich
ist es der Malfoy-Charakter, oder-“ Schnell hatte er den Abstand geschlossen
und baute sich vor ihr auf.
„-auf die Reue und
das Verständnis gegenüber deinem Bruder bin ich verdammt gespannt, Weasley“,
unterbrach er sie knurrend, und seine Nähe war wieder einmal einfach nur
toxisch für ihren Verstand. „Und wahrscheinlich ist es einfach nur witzig,
zuzusehen, wie du versuchst, einfühlsam zu sein. Also, bitte!“, behauptete er
herausfordernd. „Ich bekämpfe einfach das Bedürfnis, absolut ehrlich zu sein,
und meine Gefühle nicht zu verbergen, für deine dämliche Idee von ‚Demut‘“,
wiederholte er ihr Wort äußerst herablassend, „und ich-“ Aber sie unterbrach
ihn, in dem sie auf die Zehenspitzen ging, und ihn von weiteren Tiraden
abhielt, und verlangend seine Lippen verschloss. Überrascht verstummte er,
taute widerwillig auf, bevor er sie mit einem unterdrückten Stöhnen näher an
sich zog. Sanft legten sich ihre Arme um seinen Nacken, und ihre Finger
spielten mit seinen weichen Strähnen. Sie spürte, wie er eine Gänsehaut bekam,
und mit einem leisen Schmatzen lösten sich ihre geschwollenen Lippen von
seinen, und er war ziemlich atemlos.
„Ich bin unerfahren,
ja?“, flüsterte sie lächelnd, und sein Ausdruck war von Hunger und Verlangen
gezeichnet.
„Oh, halt die Klappe,
Rose“, entgegnete er rau, nur um sie noch einmal zu küssen. Sie quietschte
gegen seine Lippen, als er sie hart an sich zog, und einige Schüler wichen
ihnen aus. Langsam füllte sich der Korridor vor der Halle mit jüngeren
Schülern, die gerne pünktlich aßen, und wahrscheinlich konnten sie wirklich
froh sein, dass niemand ihrer Familie diese Auseinandersetzung mitbekommen
hatte. Sie war sich ihrer Lage nun wieder sehr bewusst, und löste sich mit
aller Macht von ihm. Sie spürte die Hitze in ihren Wangen, und er bedachte sie
mit einem überheblichen Lächeln. „Na? Wieder am Schämen?“, vermutete er
spöttisch, und sanft stieß sie ihn von sich. Er ließ von ihr ab. „Dann sitzen
wir wohl beim Essen nicht nebeneinander“, fuhr er mit gespieltem Bedauern fort.
„Aber… das willst du ja so, richtig?“, ergänzte er, und sie verdrehte die Augen
über ihn. Er war so kindisch. Sie standen mitten im Fluss der Schüler, die die
Treppenhäuser hinabgeflutet kamen, und dann lehnte er sich zu ihr hinab,
wisperte heiß in ihr Ohr, und seine Nähe war betörend. Er tat das mit Absicht,
dachte sie dumpf. „Noch eine Sache, die dir bei deiner Demut-Show eine
interessante Perspektive bringen sollte“, flüsterte er, und sie hörte sein
Lächeln förmlich. „Zwischen Hugo und Rumer läuft was“, schloss er still, und
sofort wich sie zurück, um ihn ungläubig anzustarren.
„Was?“, entkam es ihr
zischend, und die Geräusche im Korridor waren viel zu laut, als dass sie diese
Information in Ruhe hätte verarbeiten können.
„Jaah, wir könnten da
noch ausgiebig und in Ruhe drüber reden, würden wir einfach nebeneinander sitzen
– aber hey“, sagte er entschuldigend, hob die Arme, als könne er es nicht
ändern, „am besten, wir sehen uns erst wieder, wenn sich der Abend beruhigt
hat, hm?“ Sie starrte ihn an, während sich ihr Kiefer gelockert hatte. Die
Schüler brachten sie weiter und weiter auseinander, aber sie sah ihn unverwandt
an. „Albus hat sie erwischt“, schenkte er ihr noch das letzte Bisschen an
Wissen, und sie war versucht, ihm nachzulaufen, als er bedauernd die Hand hob
und sich mit einem feinen Lächeln von ihr abgewandt hatte.
Was?! Hugo und…
Rumer? Das konnte nicht-! Wie konnte er ihr so etwas einfach sagen? Stimmte
das? Rumer hatte seit Monaten von James geschwärmt! Nicht von ihrem kleinen
Bruder! Rose wusste nichts über Hugo, aber… sie glaubte, Rumer ziemlich gut einschätzen
zu können. Und das war… das war einfach…! Scorpius war so ein Arsch! Sie war
sich nicht mal sicher, ob sie alle Differenzen jetzt beigelegt hatten. Sie war
immer noch sauer, aber… nicht mehr wirklich. Es war eine dumme Lage gewesen,
damals. Und jetzt… ging es einfach um eine saubere Abwicklung. Dass sie wütend
mit ihm war, änderte wenig an der Tatsache, dass er ihre Knie in Pudding
verwandeln konnte.
Sie wusste, ihr Plan war der bessere, aber jetzt
gerade… wollte sie Hugo anschreien. Demut hin oder her. Sie hasste, dass
Scorpius sie so gut einschätzen konnte. Und… war Cara deshalb gerade in die
Keller geflohen? Weil sie auf Hugo gewartet hatte und dieser… Schluss gemacht
hatte? Und fast fand sie es erschreckend, wie ähnlich sie und ihr Bruder mit
Beziehungen umgingen. Denn… wenn es stimmte, dann… hätte er Cara so benutzt,
wie sie es bei Presley getan hatte. Sie verzog angewidert den Mund. Rumer und
Hugo? Das konnte nicht sein!
Sie ließ sich von der
Menge an den Rand drängen, wartete, bis die erste Flut an Schülern abebbte, um
dann mit zielsicheren Schritten ihren Weg fortzusetzen. Das Gespräch mit
Scorpius hatte ihr die Augen geöffnet. Sie wusste, was sie tun wollte. Und die
Angst war mäßiger Ungeduld gewichen. Der Gemeinschaftsraum kam ihr mit einem
Mal nicht mehr so erschreckend vor. Sie wollte Klarheit. Und sie gestand es
sich ungerne ein, aber sie wollte Scorpius wiedersehen. Denn selbst, mit ihm zu
streiten, war, auf eine absolut beunruhigende Weise, sehr erregend.
Fast hatte Lily schon nicht mehr damit gerechnet,
obwohl es natürlich Unsinn war. Rose würde nicht Zuhause bleiben, nur weil sie
auf einer Party erwischt worden war, wie sie einen Jungen küsste. Und doch
hatte eine gewisse unsichere Spannung in der Luft gelegen. Sei es auch nur,
weil Dom trotzig auf der Couch gesessen hatte, und mit niemanden hatte sprechen
wollen. Aber natürlich zog Dom es vor, alle an ihrer schlechten Laune teilhaben
zu lassen, anstatt einfach rücksichtsvoll zu sein, und im Schlafsaal auf ihrem
Bett zu liegen, um schlecht gelaunt zu sein.
Dass Rose jetzt also tatsächlich durch das Portraitloch den Gemeinschaftsraum
betrat, war… doch überraschend. Lily war sich nicht sicher gewesen, wie Rose
mit dieser Situation umgehen würde, und fast hätte sie ihre Cousine eher so
eingeschätzt, als würde sie sich verstecken, sich in der Bibliothek verbergen
und nie wieder ein Wort mit keinem von ihnen reden. Aber Lily hatte sich
geirrt. Und sie sah sofort, wie Rose sich wappnete, wie sie sofort Dom
erkannte. Und diese schien auch nicht mit einer direkten Konfrontation
gerechnet zu haben, denn ihr Bick hatte sich beiläufig gehoben und hing nun an
Roses Gestalt. Dom wirkte sehr unschlüssig und reagierte für die nächsten
Sekunden gar nicht.
Rumer setzte sich gerade auf, machte aber keine Anstalten, die Sitzgruppe zu
verlassen, und nach kurzem Zögern, kam Rose näher. Sie sah aus, wie eigentlich
immer. Sie trug ihren hohen Zopf, aus dem die roten unbändigen Wellen quollen,
eine Jeans, mit der sie garantiert keine Formschönheit beweisen wollte, ihre
grüne Kapuzenjacke, und ihren Rucksack auf dem Rücken, aber ihr Blick war
eindeutig konzentriert. Sanfte Müdigkeit lag auf ihren Zügen. Sie war also
tatsächlich gerade angekommen. Lily fragte sich automatisch, ob sie und Scorpius
sich schon gesehen hatten. Es war Rose nicht anzusehen. Aber… eigentlich war
Rose nie irgendetwas anzusehen.
Vor der Sitzgruppe blieb sie also stehen, und da niemand sprach, und da wohl
niemand Doms Ehre verteidigen wollte, musste Dom es wohl oder übel selber
machen. Wankend kam sie auf die schlanken Beine. Lily sah, dass es Dom
Überwindung kostete. Sie sah Rose entgegen, und Roses Ausdruck gab nach, zeigte
den Hauch von Schuld, vielleicht die winzige Spur von Angst.
„Seit… seit wann?“, fragte Dom also, und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Du…
willst anscheinend nichts sagen, also beantworte mir wenigstens die Frage“,
verlangte Dom, aber tatsächlich ruhiger, als Lily erwartet hatte. „Seit wann
läuft das?“ Roses Mund öffnete sich unschlüssig, bevor er sich wieder schloss.
Sie atmete lange aus und setzte den Rucksack ab. Dann öffnete sie ihre Jacke,
zog sie aus, und Lily kam es so vor, als bereite Rose sich auf eine physische
Auseinandersetzung vor, anstatt auf eine verbale. Rose war nicht sonderlich
verbal, aber Lily glaubte nicht, dass Dom sich auf sie stürzen würde. Mit
mäßiger Verwirrung glitt Doms Blick zornig über den gestrickten
burgunderfarbenen Pullover, den Rose trug, mit dem goldenen R in der Mitte. Ja,
es musste bitter für Dom sein, ihren Exfreund an ein Mädchen zu verlieren, die
mit Stolz die Stricksachen ihrer Großmutter trug, die Dom jedes Jahr keine
vierundzwanzig Stunden später in den Müll warf. Wirklich bitter. Und Lily war
sich nicht sicher, was Dom erwartet hatte, oder ob Dom es überhaupt wusste.
Rose war nicht irgendein Mädchen. Sie war… ihre Cousine. Sie war Familie. Ging
so etwas durch Doms Kopf? Wahrscheinlich eher nicht, oder? Machte Dom diesen
Unterschied? Aber Lily hatte ehrlich gesagt erwartet, dass Dom schrie. Nicht,
dass sie… so passiv war. Aber… vielleicht kam das noch? Und ganz klar gefiel es
Rose nicht, vor allen darüber zu reden, aber… wahrscheinlich hatte sie schon
kalkuliert, dass sie nicht darum herum kommen würde. Dom würde nicht zulassen,
dass dieses Gespräch ein privates sein würde. Nicht, wenn die Chance bestand,
dass Dom von der gesamten Welt Mitleid bekommen könnte – was sie zurzeit nicht
mal bekam. Davon abgesehen. Und Lily war fast schon gespannt auf die Antwort.
Ob Rose lügen würde, oder ob-
„-seit dem Urlaub“, sagte Rose plötzlich und unterbrach Lilys Gedanken. Und
tatsächlich schien Dom damit nicht gerechnet zu haben, denn ihr bösartiger
Ausdruck brach zusammen. Schock trat auf ihr Gesicht.
„Seit…-? Was?“, zischte sie überfordert, und Rose vergrub die Hände in den
ausgebeulten Taschen ihrer Jeans. Sie gab keine weitere Erklärung, holte nicht
aus, und Lily musste kurz die Zeit überschlagen, in ihrem Kopf. Seit dem
Urlaub? Das war… drei Monate her! Fast… vier! „Was meinst du damit?“ Doms
Stimme klang tatsächlich tonlos, fast kleinlaut. Und auch die Jungen, die es
absolut nicht interessierte, schienen begriffen zu haben, dass die Sache mit
Scorpius also schon am Laufen war, als dieser sich noch in einer Beziehung
befunden hatte. Louis hatte den Blick gehoben, so auch Fred. Das hätte Lily
Rose nicht zugetraut.
„Ja, was meinst du damit?“, entfuhr es jetzt auch Rumer, die gänzlich verstört
wirkte. Roses Blick galt ihr nur sehr kurz, und etwas flackerte auf ihren
Zügen, was Lily nicht ganz zuordnen konnte, aber es war nichts Freundliches.
Roses Blick fiel wieder auf ihre Turnschuhe, und Lily konnte förmlich spüren,
wie Doms Frustration wuchs. Rose ließ sich nicht auf laute, wilde Streitereien
ein. Sie war… eher passiv, eher zurückgezogen, deshalb war diese
Auseinandersetzung umso spannender, denn… Dom und Rose waren so verschieden.
Und zu Dom passte Scorpius wirklich gut, bedachte man das Aussehen, den
Charakter – einfach alles. Und Rose…? Rose hatte immer eher unscheinbar dagegen
gewirkt. Das war eine interessante Wendung. Rose wirkte nicht so, als würde sie
kaltherzig ihre Cousine hintergehen, aber scheinbar…- war genau das passiert.
„Es tut mir leid. Es… ist einfach passiert.“ Das waren Roses Worte, und Dom
wirkte ganz und gar nicht zufrieden.
„Was… was ist einfach passiert?“, flüsterte sie fast. „Wie… wie kann das
sein?“, entfuhr es ihr ungläubig. „Ihr konntet euch nicht leiden! Ihr habt euch
gehasst! Ihr…!“ Dom unterbrach sich verzweifelt. „Wie konntest du…?“, flüsterte
Dom jetzt nur noch schockiert. „Wie konnte er dich wollen, wenn er mich
hatte?!“, fuhr sie Rose mit tonloser Stimme an, und Lily war schon fast besorgt
gewesen, denn Doms Taktik war grundsätzlich immer, dass alle anderen ihr
unterlegen waren, und sie dies auch laut äußerte. Aber Rose war nicht wie Dom, ging
Lily schlagartig auf. Denn Rose zuckte tatsächlich die Achseln.
„Ich weiß es nicht. Es… kam einfach so“, wiederholte sie bloß, und vielleicht
hatte Dom erwartet, dass Rose darauf anspringen würde, auf diese…
offensichtliche Beleidigung.
„Sieh dich an!“, zischte Dom jetzt, im weiteren Versuch, Geschehenes
ungeschehen zu machen, Tatsachen zu verdrehen, Dinge zu neutralisieren, indem
sie sich herablassend äußerte. „Ich begreife es nicht!“ Dom schrie noch immer
nicht, aber trotzdem galt ihrer Runde die gesamte Aufmerksamkeit des
Gemeinschaftsraums. „Scorpius sieht unfassbar gut aus, und du-!“ Dom musste um
Fassung ringen, während sie krampfhaft nach einer Beleidigung zu suchen schien.
„Du…!“, begann Dom wieder, und ihre Brust hob und senkte sich schneller. „Du
bist keine Konkurrenz!“, entfuhr es ihrer Cousine verzweifelt. Und Lily wusste,
Dom griff nach Strohhalmen, denn sie alle hatten gesehen, wie Rose aussah, wenn
sie sich die Mühe gab, die Dom sich mit Äußerlichkeiten gab – und am Samstag…
hatte Rose Dom in Schönheit um nichts nachgestanden. Sie hatte unglaublich
ausgesehen. Rose sah… immer unglaublich aus, fand Lily. Gerade weil ihr
Äußerlichkeiten nichts bedeuteten.
„Es ging nicht ums Aussehen“, entkam es Rose ernst, und Dom schnaubte auf.
„Nein, es ging darum, mir das Messer in den Rücken zu rammen, richtig?“, wollte
sie wütend wissen. „Ich… ich habe mich dir anvertraut! Rose, ich habe dir…
vertraut. Ich…- die ganze Zeit über!“ unterbrach sich Dom plötzlich und konnte
nur den Kopf schütteln. „Er hat wegen dir mit mir Schluss gemacht? Wegen dir?
Was kannst du ihm bieten? Was, Rose?“, wollte sie bitter wissen, schien sich
nicht damit abfinden zu können. „Wie konntest du mich hintergehen? Was habe ich
dir getan, dass du so widerlich und gemein bist? Wieso sollte er so eine
widerliche Person wollen?“ Rose schwieg, und Lily setzten Doms Worte mehr zu,
als es bei Rose der Fall zu sein schien.
„Es tut mir leid“, sagte Rose wieder, und allein das Verständnis in ihrer
Stimme, schien Dom um den Verstand zu bringen. Sie verließ die Sitzgruppe und
stoppte direkt vor Rose.
„Entschuldige dich nicht bei mir!“, zischte Dom zornig. „Du kannst das nicht
wiedergutmachen, Rose!“, warnte Dom sie zitternd.
„Ich weiß“, erwiderte Rose schuldbewusst, und Lily hätte Dom wahrscheinlich
schon längst eine Ohrfeige verpasst.
„Ich hasse dich dafür!“, flüsterte Dom unter Tränen. Rose nickte gefasst. „Ich
hoffe, dein blöder Vater verstößt dich dafür!“, rief sie schlussendlich aus,
schob Rose grob beiseite und verließ fluchtartig den Gemeinschaftsraum. Onkel
Ron zu beleidigen, war wohl Doms letztes Mittel gewesen. Und tatsächlich
starrte Rose ins Leere, die Hände zu Fäusten geballt, bevor sie in einer
zornigen Geste über ihre feuchten Wangen wischte. Rose schämte sich, Gefühle zu
zeigen – zeigte sie auch nie, und deshalb versetzte es Lily einen mächtigen
Stich. Und Vic war schneller, als sie, hatte sich erhoben, schloss den Abstand
und zog Rose in die Arme.
„Das war sehr tapfer von dir“, hörte sie Vic murmeln, während Rose sich zunächst
widerstrebend in ihren Armen bewegte, aber Vic strich ihr sanft über den
Rücken, und Lily sah, wie Rose aufgab, wie sie gegen Vic sank, sich halten
ließ, und Lily wusste nicht, ob Vic mittlerweile mütterliche Instinkte
entwickelte, aber ihre Zuneigung wirkte so natürlich, dass es rührend war. Und
es schien eine Art eigenartiges Pflichtbewusstsein zu sein, was Louis handeln
ließ. Er erhob sich ebenfalls, ging auf die beiden zu, stellte sich vor sie und
legte ebenfalls den Arm um Roses Rücken. Er sagte nichts Bestärkendes,
beleidigte seine Zwillingsschwester nicht, aber Roses heftige Reaktion allein
zeigte, wie viel es bedeutete, dass selbst Louis sich die Mühe machte.
Fred hingegen weinte mittlerweile, erkannte Lily, als dieser ebenfalls auf die
Beine kam. Er schloss den Abstand schneller, legte die langen Arme um alle
drei, und Louis machte ein gereiztes Geräusch, aber Fred hielt alle fest. Lily
musste fast lachen, als auch sie aufstand und zu ihnen eilte. Fred reagierte
und legte den Arm auch um sie, und auch Roxy, die vielleicht nicht alles
verstand, kam ebenfalls angelaufen. Lily hörte irgendwann Rumers beruhigende
Stimme, die sich ebenfalls der Gruppenumarmung angeschlossen hatte, und
natürlich war es James, der einfach nur albern war, sich praktisch gegen sie
alle warf, und mit einem überraschten Laut, kippten sie alle zur Seite, fielen
übereinander, und James lag lachend über ihnen.
„Familienhaufen!“, rief er laut, und Louis beschwerte sich heftig, und alle
strampelten sich wieder frei. Es hatte die Stimmung um hundert Prozent
gelockert, der Gemeinschaftsraum lachte über sie, und sie lagen alle am Boden,
mehr oder weniger beschämt, aber Rose weinte nicht mehr. Sie hatte sich
aufgesetzt und verdrehte mit glasigem Blick die Augen.
„Keine Angst“, sagte James jetzt lächelnd, „Onkel Ron wird dich nicht
verstoßen“, versicherte er ihr zwinkernd, und Lily nahm an, weil ihr Bruder der
älteste war, musste er die Stimmung auflockern. Wahrscheinlich sah er es als
seine Pflicht an.
„Danke, James“, entkam es Rose kopfschüttelnd.
„Ich meine, wer soll dann die Familienehre hochhalten? Hugo?“, wollte er
belustigt wissen, und Rose schüttelte den Kopf über ihn. James stutzt kurz, als
er nachdachte. „Na ja, gut, wenn er Schulsprecher wird, dann… ist er wohl besser,
als wir alle – aber…“ Er kratzte sich kurz am Kopf.
„Danke, James“, wiederholte Rose mit Nachdruck, aber ihre Mundwinkel hoben sich
langsam wieder. James schenkte ihr ein schiefes Grinsen.
„So. Genug geheult jetzt. Ich hab Hunger. Lasst uns essen gehen. Dom beruhigt
sich schon wieder“, beschloss er achselzuckend, und Lily musste Jungs
zugutehalten, dass sie sich nie sonderlich lange mit dem Gefühlschaos
befassten. Allerdings streckte ihr Bruder Rumer liebevoll die Hand entgegen,
und fast widerwillig, ließ sich Rumer von ihm helfen. Irgendetwas war anders
hier, hatte Lily festgestellt. James hauchte einen Kuss auf Rumers Handrücken,
legte den Arm um ihre Schultern, und gemeinsam gingen sie zum Portraitloch.
Auch Rose blickte beiden mit einem eigenartigen Ausdruck nach. Vic half Rose,
aufzustehen, und die Familie lächelte sich einigermaßen verlegen zu.
„Was findet ihr alle an Malfoy?“, warf Fred kopfschüttelnd ein. „Wirklich“,
ergänzte er und hob demonstrativ die Augenbrauen.
„Er ist sexy!“, sagte Roxy jetzt grinsend, und sofort wurde sie von Fred in den
Schwitzkasten genommen.
„Ach ja?“, wollte er warnend wissen, rieb mit der Faust hart über Roxys Kopf,
und diese jaulte praktisch auf. „Ich will nichts hören, verstanden? Du weißt
überhaupt nicht, was sexy ist, klar?“, verlangte er und kitzelte seine kleine
Schwester jetzt, bis diese ganz außer Puste war, vor Lachen und sich ergab. Er
wandte sich zum Gehen. „Louis kommst du mit, oder… musst du deine Perle noch
abholen?“, erkundigte sich Fred spöttisch bei ihm, aber Louis zuckte die
Achseln.
„Ist längst vorbei“, erwiderte er schlicht, und Fred hob die Augenbraue.
„Jaah, ich meine… es läuft ja auch immerhin schon drei Tage, hm?“, entgegnete
er eindeutig, aber Louis schenkte ihm ein Lächeln.
„Man sollte sich nicht festlegen“, behauptete Louis achselzuckend und folgte
Fred und Roxy nach draußen. Lily und Vic nahmen Rose in die Mitte, und die
Erleichterung, die Rose umgab, war fast spürbar. Es fühlte sich gut. Es fühlte
sich richtig an. Nach langer Zeit, tat es das, stellte Lily fest.
„Ich weiß, was du tust“,
bemerkte Hugo mit eindeutig erhobener Augenbraue. Scorpius Malfoy war kein
Genie, wirklich nicht. Und Hugo war sich nicht mal völlig sicher, warum er dem
Slytherin den Gefallen tat. Vielleicht wollte er es unbewusst, konnte es aber
nicht wirklich zugeben.
„Davon bin ich ausgegangen, Weasley“, entgegnete Scorpius gedehnt. „Nett, dass
du mitspielst“, ergänzte er lächelnd.
„Ich brauche deine Hilfe dabei nicht, weißt du?“, erinnerte Hugo ihn dennoch,
und Scorpius zuckte unschuldig die Achseln.
„Gut“, sagte Scorpius bloß und begann bereits, seine Sachen zu packen.
„Wirklich gut“, wiederholte er. „Ich habe festgestellt, es ist besser, sich mit
ihr auszusprechen, als sich anzuschweigen“, schloss er vielsagend, und Hugo
verdrehte den Blick.
„Sag sowas nicht“, entgegnete Hugo lakonisch. „Sie ist meine Schwester. Ich bin
mir bewusst, dass sich Dinge nicht in Luft auflösen, wenn man sie ignoriert“,
ergänzte er zähneknirschend, aber Scorpius schenkte ihm weiterhin bloß ein
blödes Lächeln.
„Dann tu uns allen den Gefallen und rede mit ihr. Ich bin es leid“, schloss
Scorpius.
„Sie ist die ältere“, entkam es Hugo fast trotzig. „Eigentlich sollte sie
genügend Verstand und Verantwortungsbewusstsein besitzen, um zu mir zu kommen,
und nicht-“
„-ja, wir können da stundenlang drüber philosophieren, aber Rose wird absolut
gar nichts tun.“ Hugo seufzte auf. Ihm gefiel tatsächlich, mal mit jemandem
über seine Schwester reden zu können, mit dem er nicht verwandt war. Ihm gefiel
die Verbindung zu Scorpius, egal, wie sehr sein Dad es hassen würde. Fast
musste Hugo grinsen bei diesem Gedanken. Denn selten war er es, der irgendwas
Verbotenes tat. „Ich meine, wir könnten auch über Cara reden, die heute in den
Gemeinschaftsraum kam und sich direkt bei Presley ausgeweint hat?“, schlug
Scorpius unverschämt frech vor, und Hugo verzog den Mund.
„Nein, danke.“
Und in diesem Augenblick betrat Rose den Arbeitsraum, und tatsächlich wirkte
seine Schwester ernsthaft überrascht, ihn hier zu sehen. Sofort glitt ihr Blick
zu Scorpius.
„Was wird das?“, wollte sie ein wenig angriffslustig wissen, aber gleichzeitig
klang sie sehr erschöpft.
„Bevor wir den Abend beginnen und du mir alles erzählst, was vorgefallen ist“,
begann Scorpius mit einem warmen Blick in ihre Richtung, „möchte ich, dass du
diese Sache auch noch klärst. Wo du doch gerade dabei bist, alles im Alleingang
zu klären“, ergänzte er lächelnd. Und Rose wirkte überrumpelt. Und Hugo
interessierte tatsächlich auch, was im Gemeinschaftsraum passiert war. Er hatte
mit Scorpius kurz gemutmaßt, ob Dom Rose wohl zerstückelt hatte, aber… Rose
wirkte unverletzt. Und schlecht gelaunt.
„Malfoy-“, entfuhr es ihr warnend, aber Scorpius schüttelte den Kopf.
„-du weißt, ich habe recht, Rose“, widersprach er knapp. „Komm schon“, ergänzte
er mit Nachdruck. „Und dann erzähle ich dir, was ich über Snapes Geist
rausgefunden habe“, lockte er sie mit eigenartigen Informationen, die für Hugo
keinen Sinn ergaben. Kurz wirkte Rose abgelenkt.
„Was meinst du damit?“, entkam es ihr.
„Ich habe eine Theorie, basierend auf deiner Lektüre“, erwiderte er. „Aber
zuerst…“ Feierlich deutete er auf ihn, Hugo. Und Roses Ausdruck wurde finster.
Und Hugo wusste nicht, warum er immer noch saß, warum er nicht ging, denn ganz
klar, war Rose nicht erwachsen genug, um ein vernünftiges Gespräch zu führen.
„Ich habe ihm nichts zu sagen, Scorpius. Vielleicht solltest du dich weniger
einmischen, und-“ Aber bevor Scorpius noch ihren kindischen Zorn zu spüren bekam,
unterbrach er sie lächelnd.
„-gar nichts, Rose? Sicher? Nicht mal eine einzige Kleinigkeit, die du ihn
fragen möchtest?“ Und anscheinend verfügten beide hier über geheimes Wissen,
denn Roses Mund klappte zu. Wacher Zorn trat in ihren Blick, und ihre Arme
verschränkten sich. Hugo hatte keine Angst vor seiner Schwester, aber jetzt
gerade sah sie aus, wie vor jedem Quidditchspiel. Wilde Entschlossenheit, sich
in Gefahr zu begeben, stand auf ihren Zügen.
„Du hast was mit Rumer?“, fuhr sie ihn tatsächlich an, schien es über die Sache
mit Dom vergessen zu haben, aber anscheinend – wusste seine Schwester das? Sein
Mund war unspektakulär aufgeklappt. Kurz glitt sein Blick zu Scorpius, denn
anscheinend hatte ihn sein neuer Freund in die Pfanne gehauen.
„Ich muss los“, entschuldige sich Scorpius, mit einem feinen Lächeln. Auf Roses
Höhe hielt er inne. Er erntete ebenfalls ihren zornigen Blick. „Ich sehe dich
später?“ Es klang wie eine Frage, aber Hugo glaubte nicht, dass es eine Frage
war. Und es war eigenartig, beide zusammen zu sehen. So… vertraut. Er erinnerte
sich lebhaft an den Nachmittag am Strand, hatte nicht glauben können, was er
sah, aber mittlerweile… machte es mehr Sinn. Roses Körpersprache wurde weicher,
ihre Schultern lockerten sich, und als Scorpius ihre Hand ergriff, sah Hugo
praktisch, dass sie den Atem anhielt. Scorpius hob ihre Finger zu seinen
Lippen, und der Drang, den Blick zu senken, war übermächtig, aber wie schon
damals am Strand, konnte er nicht wirklich. Er musste sehen, ob sich seine unnahbare
Schwester wirklich verwandelte, wann immer Scorpius Malfoy in der Nähe war –
und tatsächlich. Fast huschte Friedfertigkeit über ihr Gesicht, als Scorpius
ihre Fingerknöchel küsste.
„Ok“, bestätigte Rose beinahe atemlos, sah Scorpius nach, als er ging, bevor
ihr eisiger Ausdruck zurückkehrte und Hugo schmerzhaft daran erinnerte, dass er
nicht der unbemerkte und versteckte Beobachter war, wie sonst immer, sondern
tatsächlich auf dem Präsentierteller hockte. Er schluckte kurz.
„Rose-“, begann er in Erklärungsnot, aber seine Schwester unterbrach ihn
kurzerhand.
„-ich kann nicht fassen, dass du mich immer von oben herab behandelst, wenn du
kein Stück besser bist, als ich!“, fuhr sie ihn wütend an. Sein Mund schloss
sich unzufrieden.
„Das stimmt nicht! Ich-“
„-Rumer? Wirklich, Hugo? Du hast immer behauptet, wir wären dir beide zu dumm.
Anscheinend nicht mehr? Und war es deine Idee, dass sie es mir nicht sagen
soll?“, wollte sie wütend wissen, aber sie brauchte gar nicht so zu tun!
„Du hast ihr auch nichts von Scorpius gesagt, oder?“, fuhr er sie an, aber
seine Schwester verschränkte wütend die Arme vor der Brust.
„Das ist etwas anderes!“
„Es ist gar nichts anderes!“
„Doch! Denn Scorpius war mit Dom zusammen!“ Hugo verdrehte die Augen.
„Wenn sie es dir nicht gesagt hat, wird sie ihre Gründe haben!“
„Ja, du bist mein kleiner Bruder, und es ist eklig!“, entrüstet sich Rose und
schüttelte sich praktisch. „Und sie ist mit unserem Cousin zusammen – also was
zur Hölle, Hugh?“, kürzte sie es ab.
„Es war nicht geplant“, entfuhr es ihm schließlich. „Schon“, ruderte er dann
zurück, denn geplant hatte er es schon, „aber ich… hätte nicht gedacht, dass…
dass sie mich will, also…“
„Sie ist immer noch mit James zusammen, falls es dir entgangen ist!“, widersprach
Rose angewidert.
„Noch“, entfuhr es ihm, selbstbewusster, als er sich fühlte.
„Noch?“, wiederholte Rose, ein wenig aus der Bahn geworfen.
„Ja“, bestätigte er. Rose schloss kurz die Augen.
„Unsere Verwandten hassen uns, Hugo“, sagte sie stiller. „Wir… wir sind
emotional so komplett unfähig!“, entfuhr es ihr frustriert, und Hugo wollte
widersprechen, aber ehrlich gesagt… hatte Rose nicht unrecht.
„Dads Schuld“, fasste er es knapp zusammen, und Rose sah ihn wütend an.
„Ernsthaft? Du gibst Dad die Schuld? Mit dir wird er auch nicht mehr reden“,
prophezeite sie freudlos.
„Wirklich? Denkst du ernsthaft, unser Vater wird uns für immer mit Schweigen
strafen, weil wir nicht mit den Leuten verkehren, die er für richtig hält? Er
wird sich abfinden“, schloss er achselzuckend. Kurz schwiegen sie beide. Und
kurz war sich Hugo nicht sicher. Er wusste, Malfoy und ursprünglich wohl
Parkinson waren nicht unbedingt die Namen, die seine Eltern mit Liebe im Herzen
äußerten, wenn sie es überhaupt taten, aber… war es nicht einfach Pech? Es war,
wie es eben war. Ändern konnte er es nicht.
„Liebst du sie?“, wollte Rose leiser wissen, fast ungläubig. „Ich meine, du
bist fünfzehn“, ergänzte sie, als erkläre sie ihm, er wäre ein wilder
Hundewelpe, der keine Liebe empfinden konnte. Er rümpfte knapp die Nase.
„Ich denke, ich bin um einiges reifer als du, und ja, tut mir leid, dich
enttäuschen zu müssen, aber ich liebe sie. Soweit ich es in meinem schmalen
fünfzehnjährigen Kopf beurteilen kann“, ergänzte er spöttisch.
„Tut mir leid wegen…“, begann sie und tat sich schwer, so wie Dad sich immer
schwer tat, mit Zugeständnissen. Und Hugo verstand, denn so gerne er
behauptete, er wäre durch und durch seine Mum – so sehr konnte er eben auch
nicht leugnen, dass ihm Zugeständnisse genauso schwer fielen, wie Rose. Ein
wenig Weasley steckte auch in ihm. Überwiegend Granger, aber… einen Hauch
Weasley gestand er sich zu.
„Ich weiß“, erwiderte er bloß.
„Nein, ich hätte dich nicht-“
„-schon gut, Rose.“
„Du bist mein Bruder, und auch wenn ich es nicht oft sage – oder überhaupt,
ich… liebe dich schon“, würgte sie praktisch hervor, und sein Mundwinkel hob
sich langsam über dieses verkorkste Geständnis.
„Merlin, ich hoffe, du tust dich bei Scorpius nicht so schwer“, bemerkte er lächelnd,
und Roses Wangen färbten sich ins tiefste Rot, was ihr Dad stets als niedlich
titulierte.
„Du bist so ein Arsch, Hugo“, knurrte sie, aber Hugo fühlte, wie er sich
bewegte, wie seine Beine entschieden, aufzustehen, und er umrundete den
Arbeitstisch und kam auf seine dumme Schwester zu, die ihn alle Nerven kostete,
die er hatte. Fast etwas angstvoll blickte sie ihm entgegen. Wieder verdrehte
er die Augen, aber ohne Worte zog er seine komplizierte Schwester in die Arme.
Sie wehrte sich, wie ein Haustier, das man für die wöchentliche Dusche in die
Wanne setzen wollte, dachte belustigt.
„Wer sind wir? Die Potters?“, murmelte sie abwehrend und wand sich in der
Umarmung, aber er musste grinsen.
„Gott sei Dank, nicht“, benutzte er Mums Worte, obwohl er keiner Muggelgottheit
irgendetwas abgewinnen konnte. Er hörte, wie Rose auflachen musste, bevor sie
sich ergab. Plötzlich spürte er ihre feste Umarmung, und er glaubte, dass
letzte Mal hatte sie ihn so umarmt, da war er fünf gewesen. Es rührte etwas in ihm.
„Dann… haben wir uns vertragen?“, wollte sie spöttisch wissen.
„Weiß kaum noch, warum wir gestritten haben“, log er sanft, aber wieder lachte
sie auf, denn sie kannte ihn besser, als er es ihr zugestand. „Du solltest Mum
öfters schreiben“, nutzt er die Gelegenheit, sie emotional ein wenig unter
Druck zu setzen. Rose stöhnte kopfschüttelnd gegen seine Brust. Grinsend legte
er das Kinn auf ihren Haaransatz und begriff erst jetzt, wie viel größer er als
seine Schwester war. Er hielt sie noch eine Weile fest, denn er konnte sich
ziemlich gut vorstellen, was seine Cousine Dominique für widerliche Dinge
gesagt haben musste. Und er hoffte zumindest, dass Rose ihn auch ohne Worte
verstand.
Es
war ihm egal, dass er wie ein Idiot vor dem Gemeinschaftsraum wartete, dass
alle wussten, wie erbärmlich er war. Aber sein Herz ging schnell, und er konnte
nicht erwarten, dass sie zu ihm kam. Und als er sie im Gang erkannte, setzte er
sich in Bewegung. Das Konzept Coolness war an ihm vorbeigegangen. Er erinnerte
sich an seine früher Teenagerzeit, und dass sein Vater ihm mal erklärt hatte,
dass es sich lohne, auf das Gute zu warten, aber Scorpius hatte keine Geduld.
Er hatte Rose erkannt, und sein Körper entschied ohne seinen Verstand.
Und
er hatte sich schlecht gefühlt, Samstagabend. Er wusste, sein Vater war
stinksauer gewesen, war wahrscheinlich immer noch stinksauer, aber
nichtsdestotrotz hatte er nicht anders gekonnt, als in seinem Zimmer zu
verschwinden, lediglich seine Krawatte zu lösen, um dann seinen Reißverschluss
zu öffnen, und so hart zu onanieren, wie noch nie zuvor in seinem Leben, denn
Roses Anblick hatte sein geistiges Auge nicht verlassen, nicht für eine
Sekunde, und seine Erektion war unnachgiebig gewesen.
Wie sie
ausgesehen hatte! In diesem Kleid! Mit den offenen, wilden Haaren, diesem
sehnsüchtigen Blick, und arrogant, wie er war, hatte er geglaubt – gehofft –
sie hatte das Kleid nur für ihn getragen, hatte nur für ihn so ausgesehen.
Und
er nahm an, vielleicht hatte er sogar Recht.
Alles
in seinem Innern hatte nach ihr verlangt, nach ihr geschrien, sich komplett
verzerrt. Und als er sie gespürt hatte, war er gestorben.
Es
war so verdammt perfekt gewesen, und selbst… als sie aufgeflogen waren, selbst
dann! Er würde diesen Augenblick um nichts in der Welt tauschen wollen.
Und
jetzt hatte er sie erreicht. Und er fand, er hatte sich tapfer geschlagen,
hatte sie nicht direkt im Flur zu Großen Halle ausgezogen und auf den kalten
Fliesen, genommen, wie sein Verstand es ihm dringend geraten hatte, nein. Er
war… cool gewesen. Er war so wahnsinnig gewesen, sich mit ihr anzulegen, sich
zu streiten, nur, um sie dann alleine abziehen zu lassen, auf dieser
Schreckensmission, sich Dominique zu stellen. Scorpius wusste, wie unangenehm
es war. Aber… er hatte nachgegeben. Demut…. Er erinnerte sich an dieses Wort,
an Roses verständnislosen Blick, als er ihr nicht zugestimmt hatte, und selbst
dann hatte er sie einfach an sich reißen wollen.
Und
dann, vor dem Essen, hatte er auch noch dafür gesorgt, dass sie sich mit ihrem
Bruder aussprach, hatte ihr zwar gesagt, er würde alleine in der Bibliothek
warten, aber es war nur halb gelogen gewesen, und er hatte das verdammte
Geisterbuch gelesen, was sie ihm in die Hand gedrückt hatte, obwohl es wirklich
grenzwertig um sein sexuelles Seelenheil stand. Fast bekam er schon
Schweißausbrüche, denn… er wollte sie. Er wollte sie wirklich dringend! Er
hatte nicht essen können – hatte es auch gar nicht gewollt, denn er musste ihre
Familie nicht unbedingt direkt heute Abend wieder sehen. Es reichte ihm, Als
Grinsen zu ertragen, seine Stichelleien, aber Scorpius ertrug es, denn er
wusste, es fiel Al schwer. Und das war das Äußerste.
„Alles
geklärt?“, wollte er sehr kurz angebunden wissen. Sehr kurz. Sein nötiges Blut
dümpelte in tieferen Regionen. Und das war ok.
„Ja“,
räumte sie kleinlaut ein. Er mochte, wenn sie scheu war. Er mochte es lieber,
wenn sie ihn anfunkelte und ihn einen Idioten schimpfte, aber… scheu war auch
mal in Ordnung. Dann zeigte sie diese andere Seite von sich, die stille Rose,
die neu für ihn war, und die überhaupt erst sein Augenmerk auf sie gezogen
hatte, in diesem fatalen Sommer.
„Rose“,
begann er atemlos, denn er wusste, ihr wäre es lieber, es ruhiger angehen zu
lassen, geheimer. Dass sie… sich Zeit ließen, dass er-
-aber
scheinbar irrte er sich! Sie hatte den Abstand geschlossen, hatte in seinen
Pullover gegriffen und hart zog sie ihn zu sich. Die Tasche rutschte ihre
Schulter hinab, und achtlos ließ sie sie auf den Boden fallen. Und Scorpius
wollte ihr vorschlagen, in Gintys Räume zu verschwinden, es war nicht weit! Er
wollte wirklich. Wollte vernünftig sein, wollte nicht nachgeben – nicht sofort
zumindest – aber was machte er sich wirklich vor? Seine Lippen teilten sich,
seine Zunge stieß in ihren heißen Mund, und ihr Stöhnen brachte ihn um jeden
Verstand. Er drängte sie nach hinten, und sie stießen gegen die kalte Wand. Er
presste sich gegen sie, drückte seinen harten Schwanz gegen ihren Schenkel, und
vor Erleichterung grollte er in ihren geöffneten Mund, spürte sie schaudern,
und ihre Fingernägel kratzten über seine Kopfhaut.
Vielleicht
waren sie die Art von Menschen, die gerne erwischt wurden, überlegte er dumpf,
als sie an seinem Pulloversaum zog, ihn seinen Bauch empor schob. Vielleicht
waren sie… exhibitionistisch veranlagt?
Aber…
er wollte wirklich nicht, dass irgendwer der Slytherin-Idioten sie hier unten
womöglich nackt sah. Um ihn war es nicht schade, aber… Rose gehörte ihm – und
absolut keiner brauchte sie länger ansehen, als nötig! Er löste sich schwer
atmend von ihr.
„Gintys
Räume?“, schlug er rau vor, und sie nickte heftig, die Lippen geschwollen, die
Wangen gerötet – Merlin, fuck! Er wich zurück, taumelte rückwärts, bückte sich
grobmotorisch nach ihrer Tasche, und sein Blick war auffordernd genug, dass sie
sich ebenfalls wankend in Bewegung setzte. Er wusste, was sie taten, war laut
Schulordnung strikt verboten, aber… es war ihm so scheiß egal. Fast musste er
grinsen, so leicht fühlte er sich, so vollkommen zufrieden, dass das Blut
angenehm in seinem Körper summte, denn ihm kam es vor, als hätte er Jahre auf
diesen Moment gewartet. Es überraschte ihn angenehm, dass sie ebenso aufgeregt
war, wie er, bei Merlin, sie ließ es sich sonst auch nicht anmerken, aber sie
stieß Gintys Türen auf, wartete ungeduldig auf, sperrte hinter ihm zu, und
Scorpius war McGonagall sehr, sehr dankbar, dass sie noch keinen passenden
Ersatz gefunden hatte! Er ließ ihre Tasche achtlos fallen, hinterfragte nicht
mal, warum sie sie hatte – oder brauchte.
Rose
hatte bereits nach seinen Händen gegriffen und zog ihn mit, zu den privaten
Unterkünften. Er fragte sich instinktiv, ob sie nicht reden müssten. Ob Rose
nicht über das Wochenende sprechen wollte, über ihren Vater, über… Dom? Er wusste,
sie war so nicht, aber… aber…
„Zieh
mich aus, Malfoy“, befahl sie ihm rau, die klaren, ozeanblauen Augen fordernd
auf ihn geheftet, und er gehorchte so ergeben, so schnell, als hätte er einen
magischen Impuls bekommen. Nein, definitiv wollte sie nicht reden. Definitiv
nicht! Sie half ihm bei ihrer Jacke, und fast zitterten seine Finger, als er
den Pullover über ihren Kopf zog. Es brachte ihren Zopf durcheinander, aber
ungefragt griff er nach ihrem Haargummi und zog es langsam den Zopf hinab.
Seine Faust ballte sich um den schmalen Stoffring, als Rose ihre wellige Mähne
aufschüttelte und ihn unter ihren Wimpern auffordernd anblickte. Merlin! Fast
musste er schmunzeln über ihr altes Trainingsshirt, was er ebenfalls über ihren
Kopf zog, aber dann verging ihm jedes alberne Lächeln, denn sie trug nur noch
Jeans und BH, und ihr BH war blau – wie ihr Kleid gewesen war.
Und
beinahe vorsichtig streckten sich seine Finger nach ihr, sehnten sich nach dem
Gefühl ihrer bloßen Haut, und er spürte die Gänsehaut auf seiner Kopfhaut, als
er sie endlich berührte, ihren brennend heißen Körper.
Er
zog sie an sich, denn er musste sie küssen, und ihre Arme schlangen sich um
seinen Nacken. Dass sie tatsächlich mit Presley zusammen war! Wenn auch nur
kurz, wenn auch…- er hasste es plötzlich! Diesen Gedanken, dass Presley sie
hatte anfassen dürfen! Dass er, Scorpius, so verdammt passiv gewesen war und es
gestattet hatte – auch wenn Rose es anders sah! Oh, aber sie würde verstehen!
Sie würde begreifen, dass das nicht mehr vorkommen würde! Dass sie nichts
anderes wollen würde, als ihn.
Er
löste sich grob von ihr. „Kein anderer wird dich anrühren“, entfuhr es ihm.
Halb Befehl, halb Warnung, und verblüfft hatte sich ihr Mund geöffnet, aber
seine Finger öffneten die Knöpfe ihrer Jeans, zogen sich herrisch ihre Beine
hinab, und nachdem sie mit fragendem Blick, die Schuhe von den Füßen getreten
hatte und ihm half, die Hose loszuwerden, schob er sie Richtung Bett. „Keiner“,
wiederholte er dunkel, und als sie wohl protestieren wollte, schubste er sie
nach hinten, und mit einem überraschten Laut fiel sie auf die Matratze. Schnell
war er über ihr, lag zwischen ihren Beinen, und Röte sprengte ihre Wangen. „Du
kommst nur noch für mich, Rose Weasley“, wisperte er, als er ihre Beine weit
spreizte, und den Stoff ihres Höschens beiseiteschob. Ihr Protest wandelte sich
in einen kehligen Laut, und seine Erektion sprengte fast die Enge seiner Hose,
als seine Zunge begann, ihre Klitoris zu reizen.
Sie lagen nebeneinander auf dem Bett, wie
schon damals mal, und starrten an die gesprungene verputzte Decke. Nur war sie
jetzt absolut unzufrieden.
„Sorry“,
wiederholte er dumpf, und sie verdrehte die Augen. Dann wandte sie den Kopf in
seine Richtung und sah ihn an.
„Ich
hatte angenommen, Männer würden eher ziemlich wortkarg sein, kurz vor dem Sex,
mit Erektion und so…“, erläuterte sie bitter.
„Rose,
es tut mir-“
„-hey,
schon gut! Vielleicht können wir vorher noch über alle unangenehmen Dinge
reden, Scorpius, wie wäre das? Das erste Weihnachten, das du nicht bei den
Weasleys verbringst, weil du verstoßen bist – muss furchtbar sein“, knurrte sie
böse, bereute es aber sofort, denn ein Blick in seine überraschten Augen sagte
ihr, dass er darüber wohl noch nicht nachgedacht hatte. „Tut mir-“, begann sie
hastig, aber er winkte mit der Hand ab.
„-schon
gut“, grollte er nur. „Ich nehme an, das habe ich verdient?“, verließ es als
gedehnte Frage seine Lippen, und sie atmete lange aus.
„Nein,
hast du nicht, ich…“ Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Aber… sie
wusste es doch. „Ich… dachte nur, wir würden einen unvergesslich schönen Abend
haben, und nicht… endlose Diskussionen über meine Familie“, entkam es ihr. Sie
wusste nicht, was passiert war, oder was in seinem Kopf wirklich vorging. Er befriedigte
sie, und keine Sekunde später, platzte aus ihm raus, dass das hier jetzt echt
wäre, dass es kein Zurück mehr für sie gab, dass sie sich darüber Gedanken
machen sollte, und dass sie über ihren Vater sprechen sollte. Und viel mehr als
solche Worte, brauchte es wohl nicht, um jeden erotischen Moment verpuffen zu
lassen. Er atmete lange aus.
„Das…
das haben wir auch, aber-“
„-aber
du willst vorher noch über meinen Vater reden? Malfoy, das ist widerlich“,
ergänzte sie gepresst.
„Rose,
Sex ändert Dinge, macht sie… wahr und-“
„-oh
Merlin, Scorpius! Meine gesamte Familie hat uns erwischt! Dinge sind bereits
wahr und echt und unumkehrbar!“
„Sind
sie nicht“, widersprach er beinahe ruhig. „Jetzt bist du noch Ron Weasleys
reine, liebe Tochter, die keinen Sex mit irgendeinem Slytherin gehabt hat, ok?“
„Oh
mein Gott!“, entfuhr es ihr verzweifelt. Sie stützte sich auf die Ellbogen und
sah ihn demonstrativ an. „Danach bin ich immer noch seine Tochter, ok? Immer
noch rein und lieb“, ergänzte sie spöttisch. „Ich dachte, du willst das?“
„Ich
will das!“, rief er aus. „Ich… will nur, dass du… dir Gedanken machst, und dass
du nicht aus Trotz handelst, Rose!“
„Weißt
du, es hat mir besser gefallen, als wir nicht geredet haben“, murmelte sie kopfschüttelnd.
Wieder schloss er die Augen, presste sich die Handflächen vors Gesicht, und
frustriert blickte sie nach vorne in den spärlich eingerichteten Raum.
Irgendwann fielen seine Hände, und er richtete sich ebenfalls auf.
„Es
ist mir wichtig, das ist alles“, erwiderte er seufzend.
„Warum
ausgerechnet jetzt?“, wollte sie unzufrieden wissen, und sein Blick war
einigermaßen aufrichtig.
„Weil…
weil es mir ernst ist, weil ich mit dir zusammen sein will, weil ich dich
liebe.“
Sie
hatte die Luft angehalten, und er war sehr schnell, sehr blass geworden. Er war
ohnehin ziemlich blass, aber jetzt gerade wirkte er noch eine Nuance heller.
„Das… habe ich nicht gemeint!“, brachte er mit krächzender Stimme hervor. Sie
blinzelte schwerfällig. Er – was? Was?! Noch immer hielt sie die Luft an, und
pure Verzweiflung trat in seinen Blick. „Rose, ich meinte nicht… Liebe, wie…“
Er rang krampfhaft nach Worten, und sie wusste nicht, was er vorhatte, wie er
diese Kurve überhaupt noch kriegen wollte! „Ich… meine nur, ich bin… verliebt
in dich. Nicht viel mehr, ok? Nicht… echte Liebe, sondern einfach nur…“ Er
schwieg, Horror in den grauen Augen, und zitternd atmete sie aus.
„Du…
du liebst mich?“, flüsterte sie ungläubig.
„Nein!“,
rief er sofort aus. „Ich –nein!“, wiederholte er ernsthaft. „Verliebt, ok? Ich
bin… verliebt.“
„Wo…
wo ist der Unterschied?“, flüsterte sie überfordert, und kurz öffnete sich sein
Mund, nur um sich tonlos wieder zu schließen.
„Keine
– keine Ahnung, aber ich bin sicher, es gibt einen Unterschied“, endete er
lahm.
„Wieso…
wieso sagst du das, und dann… nimmst du es zurück?“, wollte sie verstört
wissen, und sein Atem ging schneller.
„Weil… weil ich nicht will, dass… dass du aufspringst und wegläufst, dass du…
Angst vor mir hast und nie wieder ein Wort mit mir sprichst“, erwiderte er,
ohne sie direkt anzusehen.
„Deshalb
der Stress?“, flüsterte sie plötzlich. „Deshalb… befriedigst du mich, nur um
dann panisch zu werden, dass ich mit meinem Vater sprechen soll – und am besten
gleich noch mit Dom? Du… willst nicht mit mir schlafen, weil du in mich
verliebt bist und denkst… ich renne weg, wenn du es laut sagst?“, schloss sie
ungläubig, und unglücklich sah er sie an.
„Rose-“,
begann er, aber sie setzte sich vollständig auf.
„-nur
damit du Bescheid weißt, du Idiot“, begann sie kopfschüttelnd, „ich stelle mich
meinem Vater bestimmt nicht aus Spaß in den Weg, ok? Ich… riskiere die Prügelei
mit Dom nicht einfach nur so! Und ich spreche mich garantiert nicht mit Hugo
aus, wenn ich nur lauwarme Gefühle für dich hätte, Merlin noch mal.“ Sie konnte
ihn nicht fassen. So schwer war sie doch wohl nicht zu lesen, oder?! Was dachte
er? Dass sie sich von ihm hier hin lotsen ließ, bis zum Äußersten gehen wollte,
wenn… wenn sie ihn nicht wollte? Seine Gefühle nicht erwiderte? Vielleicht
färbte ihr Bruder auf sie ab, der heute seine Gefühle auch so unerschrocken und
völlig ernsthaft geäußert hatte?
„Was…
meinst du da-?“
„-ich
bin in dich verliebt, Scorpius“, unterbrach sie ihn eindeutig, denn wozu sollte
sie lügen? Wieso sollte sie ihm diese Information vorenthalten? Wieder öffnete
sich sein Mund, ohne dass er sprach. Er sah selten dämlich aus, wenn er sie so
ansah.
„Du…
liebst mich?“, fragte er sie schließlich tonlos, aber sie hob die Augenbraue in
die Höhe und schüttelte den Kopf.
„Nein“,
erwiderte sie spöttisch. „Ich bin bloß verliebt in dich. Liebe wäre zu viel
gesagt, nicht wahr?“, wollte sie bitter von ihm wissen, aber langsam hoben sich
seine Mundwinkel. Er wollte den Abstand schließen, aber geistesgegenwärtig
hielt sie ihn auf Abstand. „Oh nein!“, rief sie aus. „Wir reden zuerst noch
über meinen Dad! Vielleicht noch über Hugo! Warum nicht über Alby oder James?“,
schlug sie ihm vor, und jetzt warf er sie mit seinem Gewicht um.
„Bist
du dir sicher?“, fragte er sie atemlos, und sie sah zu ihm auf. Kurz wollte sie
etwas Spöttisches erwidern, aber ihr Herz ging viel zu schnell. Sprach er von
ihren Gefühlen oder ihrem Wunsch, mit ihm zu schlafen? Seine frostig hellen
Strähnen hingen ihm ins Gesicht, und er hatte noch nie so schön ausgesehen.
Stattdessen
nickte sie nur und sah hoch in seine Augen. Er hatte wieder Farbe bekommen,
Merlin sei Dank. Sie hob die Hände zu seinem Gesicht, umfing seine samtigen
Wangen und zog ihn zu sich. Dieser Kuss war so anders.
Er
schien über gar nichts mehr reden zu wollen, schien nicht mehr diskutieren zu
müssen, als hätte sie ihm genügend Sicherheiten gegeben, dass sie nicht
verschwinden würde, nach dieser Nacht. Sie konnte sein typisches
Selbstbewusstsein so deutlich spüren, und es reizte sie ungemein.
Ungeduldig
half sie ihm aus seiner Kleidung, und ihr Blick verfing sich an seinem
Zauberstab, als er den Verhütungsspruch auf seinen Penis legte, und dann trafen
sich ihre Blicke wieder. Es passierte, ohne Worte. Er entschuldigte sich für
nichts, und sie brauchte auch keine Entschuldigung. Er sollte sich nicht
entschuldigen, für etwas, das sie beide unbedingt wollten.
Ihr
Atem ging flacher, und sie spreizte die Beine weit für ihn, als er sich über
sie legte. Seine Finger berührten sie wieder, schienen zu testen, ob sie bereit
war – was sie war, Merlin! – bevor er drei Finger in sie gleiten ließ.
Anspannung stand auf seinen Zügen, und sie konnte ihn nur beobachten, während
ihr schrecklich heiß wurde. Sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um kein
Geräusch zu machen, als er sie dehnte, die Finger zurückzog, nur um es zu
wiederholen. Er ließ sie nicht aus seinem hungrigen Blick, und fast wäre sie
gekommen, einfach weil sein Blick allein sie so erregte. Und dann, als sie fast
um seinen Penis betteln wollte, hörte er auf. Er zog die Hand zurück, legte sie
um seinen Schaft, pumpte einige Male selber auf und ab, bevor sie die feuchte
Spitze an ihrem Eingang spüren konnte.
Sie
schluckte schwer, sah ihn aber unverwandt an
Sein Atem
verließ stoßweise seine Lippen, und schlagartig kam sich Rose sehr erwachsen
vor, als er langsam in sie eindrang. Er glitt durch ihre feuchte Hitze, bis…
bis es wehtat. Bis sie schlucken musste, aber mutig hielt sie seinen Blick.
Wenn sie sich schon in Unerfahrenheit in nichts von den anderen dummen
Jungfrauen unterschied, dann wollte sie ihm wenigstens keine Angst zeigen,
sondern ihm signalisieren, dass es ok war.
Sie
wusste nicht, ob er in ihrem Blick gelesen hatte, aber sie wollte nicht, dass
er verharrte. Dass er stockte. Vic hatte so häufig von ihrem ersten Mal mit
Teddy Lupin erzählt, dass Rose es auswendig wusste, und sie wusste deshalb,
dass es wehtat, aber dass es auch aufhörte. Und deshalb richtete sie sich auf,
fing seine Lippen ein, küsste ihn verlangend, und küsste ihn auch durch den
Schmerz, als er sich völlig willenlos tiefer in sie schob, und scheinbar war er
so tief in ihr, wie er nur konnte, als er sich schwer atmend von ihren Lippen
löste. Er füllte sie aus, und sie wusste, es waren nur dumme männliche Sprüche,
als er meinte, dass niemand sonst sie anrühren würde, niemand sonst sie zum
Kommen brachte – aber… jetzt gerade wünschte sie es sich tatsächlich. Dass er
der eine wäre.
„Du…
du bist so unglaublich schön“, flüsterte er gäznlich neben sich, sanfter
Schweiß auf seiner Stirn, und ihre Mundwinkel hoben sich. Der Schmerz klang
langsam ab, und sie war stolz auf sich, dass sie nicht geweint hatte. Mit den
Fingern strich sie sanft seine hellen Strähnen über seinen Kopf.
„Küss
mich, Scorpius“, bat sie ihn rau, und seine Lippen fielen wieder auf ihren
Mund. Er bewegte sich in ihr, zunächst mit langsamen Zügen. Er zog sich zurück,
glitt wieder tiefer, und je mehr er sie dehnte, je schneller sie sich gewöhnte,
umso deutlicher spürte sie das Verlangen, die stumpfe Luft nach mehr! Sie
begegnete ihm, ahmte den Rhythmus nach, seine Bewegungen, fand das perfekte
Tempo, und seine Muskeln kontraktierten, seine Atmung beschleunigte sich, und
als sie sich wünschte, dass es zu keinem Ende kommen würde, schlug die Lust
über ihr ein, als sie überraschend heftig kam. Ihr Kopf fiel zurück, sie
stöhnte laut, und scheinbar konnte er jetzt nicht länger aushalten, rammte sich
ein letztes Mal in sie, grollend und zitternd, und sie schlang ihre Arme um
ihn, als er über ihr zusammenbrach. Heiß traf sein unregelmäßiger Atem ihre
Halsbeuge, und ihre Augen schlossen sich zufrieden.
Er
stemmte sich schließlich erschöpft in die Höhe.
„Wow“,
flüsterte sie mit weiten Augen.
Sie
liebte das schiefe Lächeln, das er ihr schenkte. Sie… liebte ihn. Wow….
Es war unangenehm, aber sie vergaß alle
paar Minuten, dass er da war. Fast wie mit einem stillen, depressiven Haustier,
nahm sie an. Und immer, wenn sie sich in den Zeilen verlor, erinnerte er sie daran,
dass er immer noch da war.
„Was
liest du jetzt?“, fragte er sie wieder, nachdem sie das Buch gewechselt hatte,
und langsam hob sich ihr Blick.
„Bennett’s
‚Fakten für’s Übersinnliche‘“, antwortete sie freundlich, und James betrachtete
den Stapel an Büchern erneut.
„Warum?“
Er fragte das erste Mal, warum sie die Bücher las.
„Um
Snape zu helfen“, erwiderte sie, und unauffällig blickte sie auf die Uhr im
Arbeitsraum. Sie verstand, dass er hier her kam und sie aufsuchte, denn er
würde nicht im Gemeinschaftsraum sein wollen, hatte bestimmt keine Lust auf die
anderen, und sein Bruder, als auch Scorpius hatten noch Training. James war…
aufgeschmissen. Rumer hatte mit ihm Schluss gemacht, und Rose tat es wirklich
leid. Sie war gespannt wie ein Regenschirm, ob Rumer jetzt was mit Hugo
anfangen würde, aber… sie hielt sich zurück. Eigentlich hatte sie längst mit
Rumer sprechen wollen, denn… Rose hatte ihr erstes Mal erlebt und wollte es
Rumer erzählen! Aber Rumer war zurzeit… etwas abwesend und wehmütig, und Rose
hatte Angst, dass sie mit ihr über Hugo reden wollte. Rose war noch nicht so
weit. Aber… der Tag schien zu nahen.
„Snape?“,
wiederholte er, genauso desinteressiert, wie er neugierig klang.
„Scorpius
und ich glauben, er hat etwas Unerledigtes und sucht unbewusst Hilfe, es zu
erledigen und weiterzugehen“, schloss sie, um Geduld bemüht. Wie lange
trainierte das verdammte Team ihres Freundes bitteschön? Und könnte sich Alby
endlich um seinen Bruder kümmern? Jetzt?
„Der…
Geist?“, wiederholte James verständnislos, und tatsächlich lenkte es ihn von
seiner Trauer ab, die er für Rumer empfand.
„Ja“,
bestätigte sie lächelnd. Er schwieg wieder, legte seinen Kopf auf seine Arme,
und Rose vertiefte sich wieder in die Lektüre. Soweit hatten Scorpius und sie
beschlossen, dass Snape sie zwar nicht für ihre Mum hielt, dass ihr aber eine
Intelligenz unterstellte, die ihm helfen könnte. Und Rose wollte ihm
helfen. Er tat ihr leid. Sie sah es als
ein Zeichen, als ihre Aufgabe. Und sie wollte den Geist nicht enttäuschen.
„Ich
mochte sie. Wirklich“, riss James sie wieder aus ihren Gedanken, und seufzend
ließ Rose auch dieses Buch sinken.
„Ich
weiß, James“, bestätigte sie sanft.
„Ich
wollte mit ihr zusammen sein. Ich… habe ihr alle Zeit der Welt gelassen. Und
jetzt… jetzt sägt sie mich ab! Für wen auch immer!“, entfuhr es ihm bitter.
„Hat sie es dir gesagt?“, wollte er wissen, und Rose verzog den Mund.
„Nicht
direkt, nein.“ Sie überlegte, ob es schaden würde. Sie hatte mittlerweile ihre Erfahrungen
gemacht, mit Lügen und Intrigen, mit Geheimnissen – mit schwierigen
Beziehungen. Und sie glaubte, dass Rumer sehr unehrlich mit James war. „Du
musst mir was versprechen“, begann sie also und legte das Buch zur Seite.
„Was?“,
fragte er lustlos, aber sie schüttelte den Kopf.
„Versprich
es mir“, bat sie ihn.
„Was
soll ich dir versprechen?“ Er runzelte die Stirn.
„Dass
du Hugo nicht umbringst.“ James sah sie gänzlich entgeistert an.
„Hugo
wen? Hugo Weasley?“, vergewisserte er sich. „Was hat das mit Hugo zu tun?“,
wollte er kopfschüttelnd wissen.
„Ich
denke, dass… da was läuft“, schloss sie, und James sah sie ungläubig an.
„Ich
denke nicht“, entgegnete er schlecht gelaunt.
„James,
glaub mir. Deshalb hat er mit Cara Schluss gemacht. Deshalb… hat Rumer mit dir
Schluss gemacht“, erklärte sie es deutlicher, und James setzte sich aufrecht
hin. Noch immer wirkte er verwirrt.
„Woher…
weißt du das?“, wollte er tonlos wissen.
„Hugo
hat mir gesagt, dass er… sie liebt“, schloss sie stiller. James‘ Augen wurden
groß.
„Dass…-
er liebt sie?“, entfuhr es ihm ungläubig. „Dein Bruder ist ein kleines Kind!“,
entrüstet er sich aufgebracht.
„Er
ist fünfzehn“, korrigierte sie ihn.
„Ja,
eben! Rumer macht Schluss mit mir für Hugo Weasley?“, entkam es ihm schockiert,
und Rose hob die Augenbraue.
„Du
sprichst von meinem Bruder, James.“ James blinzelte knapp.
„Ich…
ich bin James Potter“, wisperte er mit großen Augen. „James Potter!“,
wiederholte er hilflos.
„Ich weiß,
Jamie“, erwiderte sie mit einem traurigen Lächeln.
„Aber…?“
Er wirkte gänzlich überfordert. „Ich… ich habe sie nicht betrogen, sie nicht
schlecht behandelt – ich… habe dieses Mal alles richtig gemacht!“, beschwerte
er sich entgeistert. „Wie kann sie…?“
„Ich
weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich hätte Hugo nicht genommen“, beschwichtige
Rose ihn, aber James verzog angewidert den Mund.
„Ja.
Er ist auch dein Bruder.“ Rose verdrehte die Augen.
„Ich
meine, wäre er es nicht. Niemals. Er ist ein Streber und nervtötend. Vielleicht
ist Rumer… einfach sowieso nicht die Richtige für dich gewesen?“ Sie versuchte
wirklich, auf James‘ Seite zu sein. Auch wenn das schwierig war. Aber sie tat
es für Hugo, denn sollte James sich doch dazu entscheiden, ihn zu verprügeln,
hätte sie ihr Bestes getan.
„Sie
ist deine beste Freundin, oder nicht? Ich weiß, was du tust, Rose!“, fuhr er
sie beleidigt an.
„James,
ich meine es nur gut. Es… es ist richtig, dass ich es dir sage, oder? Du willst
nicht so überrascht werden, wie… wie ich Dom überrascht habe. Das ist… nicht
richtig“, reflektierte sie ihre eigenen Erlebnisse, und James stöhnte auf.
„Ich
– keine Ahnung, Rose. Ich schätze nicht, aber…“
„Du
wirst eine andere finden, wirklich“, versicherte sie ihm. Er lachte freudlos
auf.
„Muss
dir doch gerade recht sein. Dir hat es doch sowieso nicht gefallen, dass ich
mit Rumer zusammen bin!“, fuhr er sie jetzt an.
„Das ist nicht fair!“
„Aber
mit Hugo ist es kein Problem, ja?“ James hörte nicht richtig zu.
„Weißt
du, mein Vater kann Rumers Eltern nicht leiden. Genauso wenig, wie er Scorpius
und seinen Vater nicht leiden kann“, begann sie ernst. „Wahrscheinlich klappt
es sowieso nicht mit Hugo und Rumer, weil unser Dad sich einmischen wird.
Wahrscheinlich wird Scorpius mich auch verlassen, sobald mein Dad die
Gelegenheit bekommt, alles zu ruinieren. Also… warte einfach ab, dann… kannst
du über uns Weasleys lachen, ok?“ Und James schwieg. Nach einer Weile atmete er
unglücklich aus.
„Ich will
nicht über euch lachen“, räumte er ein. „Ich… wünschte nur, sie hätte es mir
gesagt.“
„Wahrscheinlich
hatte sie Angst, dass du Hugo verprügelst, weil du wesentlich stärker und
gutaussehender bist, als-“
„-oh
halt den Mund, Rose“, unterbrach James sie seufzend, aber er wirkte nicht mehr
völlig wütend. „Weißt du, es… war eine Wette. Ursprünglich“, ergänzte er
abwesend. „Fred hatte mit mir gewettet, dass ich kein Mädchen wie Rumer
bekommen könnte – und… ich hatte angenommen. Und dann… mochte ich Rumer mehr,
als ich für möglich gehalten hatte, aber… ich wusste, dass… eine Beziehung
nicht halten kann, die auf einer Wette basiert“, schloss er dumpf.
„Wir
sind noch jung“, tat Rose es achselzuckend ab und schlug das Buch wieder auf.
„Hugo wird nicht mit ihr zusammen bleiben, ich werde nicht mit Scorpius
zusammen bleiben-“, log sie gepresst, aber sie wurde unterbrochen.
„-gut
zu wissen“, vernahm sie die herablassende Stimme ihres Freundes, und Röte stieg
in ihre Wangen, als sie hastig das Buch wieder senkte.
„Scorpius,
ich-“, begann sie, aber James unterbrach sie.
„-nimm
sie nicht ernst. Sie versucht mehr schlecht als recht, mich aufzuheitern“,
beschwerte er sich bitter. Mit geschulterte Tasche betrat er den Arbeitsraum,
warf die Tasche neben den Tisch und beugte sich zu einem Kuss zu ihr hinab.
„Das
hoffe ich“, raunte er ihr eindeutig zu, aber ein Lächeln zerrte unwillkürlich
an ihren Mundwinkeln, und sie kam ihm für einen liebevollen Kuss entgegen.
„Hast
du… das gewusst? Mit Rumer und Hugo?“, wollte James jetzt von Scorpius wissen,
und dieser tauschte einen knappen Blick mit ihr.
„Hat
Rose mich schon in die Pfanne gehauen?“, erkundigte er sich, und James
verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein,
noch nicht“, entgegnete er trocken, und Scorpius seufzte auf.
„Ja,
ich wusste es. Aber ich weiß es von Al!“, rechtfertigte er sich hastig, und
James wirkte wirklich schlecht gelaunt.
„Ernsthaft?“
Jetzt erhob er sich.
„Aber
Al weiß es von Fred!“, sagte Scorpius hastig, und Rose verbarg das Lächeln
hinter ihrem Buch.
„Mein
bester Freund und mein Bruder?“, vergewisserte sich James mittlerweile kalt,
und Scorpius wechselte einen hilfesuchenden Blick mit ihr.
„James,
wir lieben dich alle“, begann Rose beschwichtigend, aber James sah sie
eindeutig an.
„Mhm.
Am allermeisten Fred und Albus, richtig?“, vermutete er bitter.
„James“,
sagte sie warnend, aber James hob die Hand.
„Keine
Sorge, Rose. Ich bringe Hugo nicht um“, versprach er ihr dunkel. „Aber Albus
und Fred können sich verdammt warm anziehen“, knurrte er böse.
„James!“,
rief sie ihm nach, aber er hatte den Arbeitsraum verlassen. „Das haben wir
super hingekriegt“, seufzte sie, und Scorpius lehnte sich an den Tisch und
verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wir?“,
wiederholte er mit erhobener Augenbraue. „Du hast praktisch mit mir Schluss
gemacht“, fuhr er sie kopfschüttelnd an. Rose erhob sich grinsend.
„Ich
musste James aufheitern“, versicherte sie ihrem Freund. „Unser Leid ist seine
Freude“, schloss sie.
„Ach
ja?“, erkundigte sich Scorpius spöttisch, und Rose schob sich zwischen seine
Beine, legte die Arme um seinen Nacken und zog einen Schmollmund.
„Es
tut mir leid, wirklich“, beteuerte sie, und ihr gefiel, dass er noch nicht
geduscht hatte. Sie mochte seinen herben, eigenen Geruch gerne. „Ich tue alles,
was du willst, als Wiedergutmachung“, versprach sie ihm, und seine Augenbrauen
hoben sich anerkennend. „Wenn du magst, können wir gleich ins Badezimmer der
Vertrauensschüler gehen“, schlug sie ihm vor, und seine Mundwinkel hoben sich.
„Das
sollten wir so oder so tun, aber… alles, was ich will? Wirklich?“,
vergewisserte er sich lauernd, und sie spürte die Röte in den Wangen.
„Was
schwebt dir vor, du böser Slytherin?“, erwiderte sie lächelnd, und dann wurde
er ernst.
„Komm
zu uns. Am zweiten Feiertag“, bat er sie. Rose wurde übergangslos ernst. „Wenn…
deine Eltern es erlauben“, ergänzte er stiller. Rose atmete abrupt aus.
„Scor-“
„-es
würde mir alles bedeuten“, unterbrach er sie.
„Ich…
frage meine Mum, ok?“, erwiderte sie seufzend, und er fuhr sanft über ihre
Wange. „Ich meine, zurzeit redet nicht mal mein Dad mit mir, aber… wenn Mum es
erlaubt, dann… komme ich zu euch.“
„Perfekt.
Es wäre absolut wunderbar“, sagte er strahlend. „Es ist nur mein Dad, Tante
Daphne… und ich“, schloss er, und dann verwischte seine Freude langsam. Sein
Blick fiel, und Rose spürte, etwas war anders.
„Was
– was ist los?“, fragte sie ihn vorsichtig.
„Nichts“,
entfuhr es ihm kopfschüttelnd, und er schob sie sanft zurück. „Hast du die
Bücher weiter durchforstet?“, wollte er wissen, wechselte sehr plötzlich das
Thema, und Rose wusste nicht, ob sie auf einer Antwort beharren sollte. Aber
sie kannte ihn wohl gut genug, um zu wissen, dass er wahrscheinlich nicht darüber
reden würde.
„Ja“,
erwiderte sie still. Ihr Blick fiel und sie setzte sich wieder. Blind starrte
sie auf die Bücher. Er dachte an seine Mum, sie war sich sicher. Und bisher
hatte sie ihn noch nicht darauf angesprochen, hatte ihn noch nicht drängen wollen,
in den letzten vier Wochen, wo alles einfach gut für sie lief. Jetzt näherte
sich Weihnachten, und sie wurde nervös. Ihre Mum hatte nicht mehr geschrieben,
ihr Dad sowieso nicht. Mit Rumer hatte sie wenig gesprochen, und da sie jetzt
mit James Schluss gemacht hatte, verstand Rose, dass es Rumer nicht gut
gegangen war. Hugo und sie hatten gelernt, aber über nichts Wichtiges
gesprochen.
Und
es tat gut, einfach nur zu leben. Der Kontakt zu Alby war schwierig, aber
allmählich alberten sie wieder miteinander. Dom sprach nicht mit ihr, nicht mit
Scorpius – und es war gar nicht so schlimm.
Und
Lily hatte sie vor zwei Wochen gefragt, ob sie mit ihr heimlich auf dem Feld
trainieren würde, und Rose hatte sofort zugesagt. Lily hatte ihre vierte Stunde
hinter sich, und Rose wusste, sie war unfassbar begabt. Dass, was Alby hatte –
das besaß auch Lily! Das verrückte Potter-Quidditch-Gen! Sie hatten einige
Positionen geübt, aber Lily war ein begnadeter Sucher. Sie würde ohne Probleme
das Team im nächsten Jahr schaffen! Besonders, wenn Rose Kapitän werden würde.
Und
alle Probleme, die sich langsam aber sicher anstauten, würden bald zur
Explosion führen. In wenigen Tagen begannen die Weihnachtsferien, und Rose
hatte Bauchschmerzen. Und natürlich wollte sie Scorpius den Gefallen tun, ihn
an den Feiertagen zu sehen – aber… sie wusste nicht, ob ihre Eltern es erlauben
würden. Sie würde eher schätzen, nein. Soweit sie ihren Vater einschätzte. Und
das konnte sie für gewöhnlich ganz gut.
***
Mit einem Schrei beförderte Ron
Weasley, seinen perfekt angeschnittenen Quaffel aus dem Torring und schlug ihn
hart in seine Richtung zurück, so dass Draco auf dem Besen gefährlich steil
ausweichen musste.
„Ron!“,
brüllte Potter quer über das Feld. „Verdammt noch mal! Noch so eine Aktion, und
du setzt aus!“, informierte er seinen besten Freund, und Weasley zog sich den
Helm vom Kopf. Jetzt konnte Draco den hasserfüllten Blick nicht nur erahnen,
sondern direkt begutachten. Weasley hasste ihn. Aufrichtig, wie nur ein Feind
es konnte. Es war… wie früher, stellte Draco ratlos fest.
Die
letzten Minuten flogen alle unangenehm berührt über das Feld, und keiner wagte,
noch einen Angriff auf die Torringe zu starten. Das dürfte auch sein gutes
haben, im nächsten Spiel gegen die Mannschaft des Tagespropheten, überlegte Draco dumpf, denn wenn Weasley es
schaffte, diese Aura aufrechtzuerhalten, würde niemand auch nur einen Sturm auf
die Torringe versuchen.
Potter
beendete das Training schließlich gnädigerweise mit einem gereizten Pfiff, und
sie landeten dankbar.
„Was
ist sein Problem?“ Preston McGraw sprach still mit dem Treiber aus der
Abteilung der Liegenschaften, und Wyatt Cunningham lehnte sich näher zu ihm.
„Hast
du es nicht mitbekommen?“, wisperte Wyatt verschmitzt zurück, bemerkte aber Dracos
Blick, und änderte seine Meinung. „Wir reden später“, ergänzte er hastig, und
Preston wirkte nur noch gespannter.
Draco
wusste nicht, weshalb er hier immer noch auftauchte. Es war seine achte
Trainingseinheit, und kein einziges Mal war es friedlich verlaufen. Oder
freundlich. Er genoss, dass sich Potter für ihn einsetzte, etwas, das schon
alleine seltsam genug war, soweit es Quidditch betraf, und wahrscheinlich
schuldete er es seinem Sohn, dass er sich wenigstens ansatzweise Mühe gab, mit
Ronald Weasley auf eine soziale Ebene zu steigen, auf der sie einander nicht
mit dem Quaffel vermöbeln wollten.
Aber
– ganz ehrlich – er wusste nicht, wie.
Er
war sich nicht mal sicher, wie er beginnen sollte. Was sollte er sagen? Gutes Spiel?
Super Form? Warum hasst du mich so dermaßen? Weil mein Sohn mit deiner Tochter
zusammen ist? Weil deine Frau und ich Tee trinken? Weil Potter mich ins Team
gelassen hat? Und er nahm stark an, der Jackpot befand sich hinter allen drei
Möglichkeiten. Er lehnte seinen Besen gegen die Bank und freute sich nicht
unbedingt auf die gemeinsame Dusche. Für gewöhnlich verschob er die Dusche auf
später, aber heute konnte er nicht nach Hause, gleich drohte ihm noch ein
Treffen mit Amory und Hermine, und es sah merkbar schlechter aus. – Für Amory.
Und das ließ er ihn auch spüren. Draco hatte es nicht leicht zurzeit. In den
Umkleideräumen erreichte er gedankenverloren die Bank und kramte in seiner
Tasche nach seinem Duschgel, wurde er aber beiseite gedrängt.
„Mach
dich nicht so verdammt breit hier“, knurrte Weasley ungehalten, nicht einmal
darauf bedacht, falsche Höflichkeit vorzuschützen, und Draco schluckte allen
Ärger runter und schob seine Tasche unwirsch beiseite. Er sagte nichts,
verlangte keinen Respekt, keine Entschuldigung – gar nichts. Er hatte überlegt,
ob Gewalt die rechte Methode war – Weasley schien nicht abgeneigt. Aber er war
seine Möglichkeiten durchgegangen, und bedauerlicherweise würde er wohl
keinerlei Rückendeckung bekommen.
Das
Wasser wurde angedreht. Wyatt und Preston blieben zum Duschen. Keine der beiden
Frauen blieb. Potter befand sich bereits in den Gruppenkabinen, und Draco
hasste, dass das Ministerium nicht mal genug Gelder dafür locker machen konnte,
um getrennte Duschkabinen hier unten zu haben. Er war kein Snob, er war einfach
nur… jemand der unglücklich genug gewesen war, in eine scheiß Familie geboren
worden zu sein, denn die eine Sache, gegen die die Desillusionierung immun war,
war Wasser.
Und
gleich würde das verdammte Mal in all seiner Schönheit erstrahlen.
Aber
er hatte keine Wahl. Er konnte unmöglich zwei Stunden zwischen den
Ministerkandidaten sitzen und nach Schweiß stinken.
Und
deshalb schluckte er den Scham und den Stolz runter, denn niemand hier hielt
ihn für einen Helden, für einen Kriegsveteranen. Jeder wusste, wer er war. Und
ja, er hätte das Mal entfernen lassen, wenn Astoria ihm nicht gesagt hätte,
dass er es einfach als Mahnmal behalten könne, um sich immer wieder an diesen
Fehler zu erinnern, anstatt lebenslange Phantomschmerzen zu haben, die jede
Entfernung mit sich bringt.
Ohne
Scheu zog er also seinen Jersey aus, dachte einfach an Astoria, schälte sich
aus den nassen übrigen Sachen, und mit aller Macht ignorierte er die nackten
Männerkörper, die er nie so genau hatte in Augenschein nehmen wollen und
konzentrierte sich auf die freie Dusche, bewaffnet mit seinem Duschgel.
Scheiße.
Seine
Nervosität zerrte ein wenig an seinen Nerven, aber er stellte das warme Wasser
an, schloss die Augen und brachte hinter sich, was unvermeidbar war. In
Rekordzeit duschte er, wusch seine Haare, und schlug dann das Wasser wieder
aus. Nass hingen ihm die Strähnen ins Gesicht. Sein Bart tropfte beständig, und
er wusste nicht, ob ihn jemand ansah, denn er bemühte sich, keinen Augenkontakt
zu halten. Aber er ging stark davon aus. Ehemalige Todesser waren eine Rarität
im Aurorenteam des Ministeriums.
Aus
den Regalen griff er sich sein Handtuch, was er hier deponiert hatte, trocknete
sich ab, und Weasley schien ebenfalls fertig zu sein, zog sein Handtuch
ebenfalls aus einem der Fächer, und Draco spürte seinen Blick. Eilig rieb er
sich den Kopf trocken, hing das Handtuch auf, und zog dann seinen Zauberstab
aus dem Fach.
Stumm
vollführte er den Trockenzauber und anschließend die Desillusionierung, und aus
den Augenwinkeln sah er, wie Weasley ihn beobachtete. In Sekundenschnelle war
die schwarze Abscheulichkeit wieder verschwunden. Draco trug die
Desillusionierung vierundzwanzig Stunden am Tag, abgesehen von den täglichen
Duschen, wo ihn die Realität daran erinnerte, dass er das verdammte Mal auf
seinem Arm trug.
Manche
alte Ehemalige trugen es mit Stolz – oder mit was auch immer sein Vater
rechtfertigte, es nicht zu verbergen – aber er trug es mit Abscheu. Wie
eigentlich schon immer. Sein ganzes Leben lang.
Er
hob den Blick, nachdem er wieder Shorts und Hose trug. Weasley sah ihn immer
noch an, das Handtuch mittlerweile um seine mittlere Partie geschlungen. Draco
erwiderte den Blick ruhig, abwartend. Was kam jetzt? Der Showdown? Weasley war
erschreckend größer als er. Erschreckend breiter.
„Alles
ok hier?“, mischte sich Potter ein, ebenfalls ein Handtuch um den Körper
geschlungen, und auch Potter schien die angespannte Stimmung zu spüren. Aber
Potter tat nichts anderes, als zu schlichten. Seit vier Wochen, mehr oder
weniger offensichtlich. Draco wusste nicht, ob Weasley sich auch zwischen den
Trainingseinheiten von Potter anhören musste, dass es alles kein Weltuntergang
war, aber nach Weasleys schlechter Dauerlaune zu urteilen, nahm Draco es ganz
stark an. Und ja, er verstand. Draco machte es auch keinen Spaß, hier zu sein.
Er konnte sich bessere Dinge vorstellen, als zwischen Gryffindors und Auroren
zu duschen, sich betrachten zu lassen, die Gerüchte und das Geschwätz
ignorieren zu müssen. Er wollte nicht, dass sich seine Familie mit ausgerechnet
den Weasleys paarte! Merlin, er mochte liberaler sein, als Lucius, er mochte
seinen Sohn bedingungslos lieben und auf seiner Seite stehen, aber er blieb ein
Malfoy, und die natürliche Abneigung gegen die Weasleys steckte, soweit es ihn
betraf, tief verankert in seinen Wurzeln – und wusste Morgana, weshalb Scorpius
immun gegen diese Abneigung war. Was Weasley fühlte – er fühlte es auch! Nur
genoss er nicht den verdammten Luxus, es tagtäglich raushängen lassen zu
können! Er hatte keine Frau, die es durchgehen ließ, keinen besten Freund, der
die Scherben kittete! Würde er den Kontakt zu Scorpius einstellen, weil er
sauer war, dann…- wäre er nicht besser, als Lucius es war. Und vielleicht war
das eine Sache, die Ronald Weasley gefehlt hatte – ein Arschloch-Vater. Denn
dann würde er nicht so verdammt rücksichtslos sein, seine Meinung und Gefühle
über alles andere stellen, und sich abfinden, mit Dingen, die außerhalb seiner
Handlungsmacht standen.
Dracos
Kiefer war hart angespannt, während er und Weasley sich beäugten.
Draco
griff nach seinem Hemd, zog es angespannt über und verschloss die Knöpfe, einen
zorniger als den nächsten. „Was macht ihr gleich?“, warf Potter betont munter,
wenn auch ein wenig befehlsgewohnt ein. Draco sagte nichts, aber Weasley war so
freundlich zu antworten.
„Ich
mache gar nichts“, bemerkte er eisig. „Aber Malfoy hier, trifft sich gleich mit
meiner Frau“, schloss er kalt, und Dracos Blick hob sich wieder. Seine
Mundwinkel sanken.
„Ich
treffe mich nicht mit ihr“, knurrte er lediglich. „Wir-“
„-ihr
arbeitet zusammen, ja. Verdammt passend“, bemerkte Weasley, und Draco konnte
nicht fassen, dass Weasley ernsthaft eifersüchtig war!
„Du
bist-“
„-was?“
Weasley unterbrach ihn schnell, und wieder starrten sie sich hasserfüllt an.
„Was bin ich, Malfoy?“, wiederholte er herausfordernd, und Draco fielen
erstaunlich viele Adjektive ein, aber er biss die Zähne zusammen. Enttäuscht
hoben sich Weasleys Augenbrauen. „Was? Nichts auf Lager?“, reizte er ihn
bitter. „Komm schon, ich weiß, dass du tausend Beleidigungen für mich im
Hinterkopf hast.“ Und Weasley genoss sichtlich, dass Draco vorzog, zu
schweigen.
„Ron“,
sagte Potter schließlich erschöpft.
„Ja,
Harry?“, erwiderte Weasley, ohne den Blick von ihm zu wenden.
„Du
kannst nicht-“, begann Potter, und Draco wusste es zu schätzen, dass sich
Potter in die Mitte begab, auch wenn er es nicht musste, aber Weasley schien
seine Laune jetzt kundtun zu wollen. Die beiden übrigen Männer verabschiedeten
sich eilig von Harry, und jetzt waren sie nur noch zu dritt.
„-sag
mir nicht, was ich kann und was nicht, ok?“, fuhr Weasley seinen besten Freund
an. „Sein Sohn schläft mit meiner Tochter, Harry!“, knurrte er zornig, und
Dracos Fäuste spannten sich an. Potters Bick fiel seufzend. „Und woher weiß ich
das? Weil dein Freund Malfoy sich zum gemütlichen Tee mit Hermine trifft, um
die Beziehung unserer Kinder zu diskutieren!“
Scorpius
hatte ihm geschrieben. Er schrieb mittlerweile öfters, länger, glücklicher. Er
nannte Rose Weasley jetzt seine Freundin und wollte sie für Weihnachten
einladen. Und ja, zwischendurch hatte er Hermine getroffen, für einen ihrer
verbotenen Nachmittage in der Kantine und hatte ihr berichtet, was er wusste.
Er hatte ihr auch gesagt, dass er annahm, dass sich physisch mehr zwischen Rose
und Scorpius entwickelt haben musste, denn er hatte seinen Sohn an dem Abend
dem Abend des Hochzeitstags gesehen. Wusste, wie er Rose ansah, und er ging
einfach davon aus, dass sein Sohn nichts von Verzicht oder Anstand verstand. Er
wusste es einfach. Das schrieb Scorpius natürlich nicht in seinen Briefen, aber
Draco war nicht dämlich. Wenn Scorpius mit Dominique schlief, ging er davon
aus, dass er bei Rose Weasley keine Ausnahme machte, und es war ein
ohnmächtiges, falsches Gefühl. Und er wusste, dass Rose nicht mehr mit ihrem
Vater sprach. Und umgekehrt.
„Und
du bist genauso schuld!“, fuhr Weasley jetzt Potter an, was Draco überraschend
fand. Potter ebenso.
„Was?“,
entfuhr es Potter ungläubig.
„Du
hast deinem Sohn erlaubt, mit Scorpius Malfoy befreundet zu sein! Du hast jede
Grenze, jede nötige Distanz verwischen lassen! Du bist absolut nicht unschuldig
daran, und das weißt du auch!“, fuhr er Potter zornig an, und dieser atmete
wütend aus.
„Ron,
ich verbiete meinem Sohn nicht, mit wem er befreundet sein kann. Scorpius ist
höflich, zuvorkommend – er hat dir nie etwas getan!“
„Ja?“,
knurrte Weasley. „Wir werden sehen, wie zuvorkommend er ist, wenn er fertig mit
Rose ist, um sich die nächste in der Reihe zu nehmen. Wer bleibt noch, nach Dom
und Rose? Richtig, Lily dürfte noch ins Schema passen. Und dann will ich sehen,
wie ruhig du bleibst, Harry!“, schloss Weasley in tonloser Rage. „Und weißt du,
es ist mir egal!“, brauste er schließlich auf. „Es ist mir egal, ob es der Sohn
eines Todessers ist, ok?“ Dracos Mund öffnete sich, aber Weasley ignorierte
ihn. „Es ist mir egal, ob es ein Malfoy ist“, ergänzte Weasley eindeutig. „Sein
Sohn ist kein Gentleman, ganz einfach! Er arbeitet sich durch unsere Nichten,
unsere Töchter, mit keinem bisschen Anstand! Er hat Albus benutzt, um in unsere
Familie zu kommen – und das habe ich dir schon vor Jahren gesagt!“
„Denkst
du das ernsthaft?“, entfuhr es Draco absolut ungläubig, die Stimme so laut wie
Weasleys.
„Ja,
Malfoy! Das denke ich ernsthaft! Was wäre besser für deine Familie, als euren
Ruf reinzuwaschen und ausgerechnet mit uns anzubändeln? Nicht viel, oder? Dass
dein Sohn den Verstand besessen hat und jetzt der beste Freund von einem Potter
ist, war das Beste, was dir in deiner jämmerlichen Existenz hatte passieren
können! Und glaub mir, die Ironie geht an mir nicht vorbei, dass jemand wie du,
der Hermine aufs Schlimmste beleidigt hat, jetzt einen Sohn hat, der
ausgerechnet mit meiner Tochter zusammen sein will!“
„Am
besten hältst du deine-!“
„-Scorpius
ist der einzige, der dafür sorgen kann, dass du eine angenehme Zukunft haben
wirst! Dass du nicht verdammt bist, bei deinen Eltern zu sitzen, wo ihr in eurer
Todesservergangenheit schwelgen könnt, bis ihr verreckt! Und ja, das hast du
gut gemacht! Das streite ich nicht ab. Scorpius ist ein fähiger, kleiner
Slytherin, der es gut versteht, die richtige Seite zu wählen – etwas, was du
niemals geschafft hast!“, donnerte Weasleys Stimme ungnädig. „Aber es wird
nicht halten, und das ist bedauerlich für dich. Und für deinen Sohn. Er ist
untreu, wankelmütig – absolut nicht zuverlässig. Und hätte Albus einen
stärkeren Charakter, würde er Dominiques Ehre verteidigt haben! Er würde nicht
auf meine Tochter stehen und wegen dieser Fehler auch nicht den Kontakt zu
deinem Sohn aufrechterhalten, damit sich beide besser fühlen, weil sie beide
falsche Entscheidungen treffen. Diese
Freundschaft ist absolut toxisch, und wärst du nicht absolut besessen von der
Idee, endlich die Seiten wechseln zu können, in unserer Familie als der
gutherzige Witwer aufgenommen zu werden, und ausgerechnet meine Frau mit deinem
fragwürdigen Charme zu beeindrucken, würdest du die Augen aufmachen und
verhindern, dass dein Sohn das Herz meiner Tochter zerschmettern wird!“
Dracos
Kiefer hatte sich gelockert, und auch Potter sagte überhaupt nichts mehr.
Weasley nackte Brust hob und senkte sich sehr schnell. Draco konnte ihn nur
anstarren. „Ich habe nichts gegen dich, Malfoy“, rang sich Weasley tonlos hab.
„Ich habe speziell auch nicht wirklich etwas für dich übrig, aber du hast keine
Tochter. Du verstehst nicht, wie es sich anfühlt. Es tut mir leid, dass du
deine Frau verloren hast, und gut, dass dein Sohn nicht von Grund auf schlecht
ist, wirklich. Aber ich kann meine Tochter nicht riskieren, wenn ich mir
ziemlich sicher bin, dass diese giftige Beziehung niemals halten wird. Hermine
sieht es nicht, und vielleicht willst du es nicht wahrhaben, aber das kann
nicht gut gehen. Und wenn du mir nicht einmal dieses Zugeständnis machen
kannst, dann wird es niemals anders sein, als wie es jetzt gerade ist!“
Weasley
atmete schwer aus, fuhr sich durch die nassen Haare, und Draco schloss
blinzelnd die Augen. „Na los“, forderte Weasley ihn erschöpft auf. „Hermine
wartet auf dich“, schloss er ernst, und Draco hatte eine Frage.
„Und
wenn du dich irrst?“, wollte er wissen. „Wenn er sie nicht verlässt?“ Er wusste
nicht, warum er fragte, warum es wichtig. Warum er selber die eigenartige
Vorstellung hatte, dass sein Sohn mit sechzehn Jahren wusste, was er wollte.
Denn Weasley hatte wohl mit vielem Recht – und dennoch wollte Draco es wissen,
als wäre er ein dummes Mädchen, was es nicht besser wüsste.
„Dann…
gut für ihn. Er bekommt das beste Mädchen, was es auf dieser Welt nur geben
kann, denn sie ist Hermines Tochter. Ich denke nur nicht, dass es das Beste für
sie ist. Tut mir leid“, entkam es Weasley tatsächlich, und Draco wusste darauf
keine Antwort. „Und ich kann nicht unbefangen mit dir reden, mit dir Quidditch
spielen, dich zum Grillen einladen, oder was Harry alles an ‚Dates‘ für uns
geplant hat“, bemerkte er lakonisch, mit Blick auf den sehr schweigsamen
Helden. „Es ist zu viel passiert, und du wirst niemals mehr für mich sein, als
Draco Malfoy, der arrogante Slytherin, der mich Blutsverräter schimpft und
meine Frau als Schlammblut beleidigt.“ Dracos Blick fiel, denn er konnte diese
Vergangenheit nicht leugnen, konnte sie nicht abschütteln und hatte auch nie
viel dafür getan, es zu ändern. „Und es hilft nicht, dass du deinem Vater zum
Verwechseln ähnlich siehst“, ergänzte Weasley bitter, und Dracos Blick
schnappte wieder hoch. „Und dass auch dein Sohn in diese Linie fällt.“ Es war
die schlimmste Beleidigung.
„Scorpius
ist Astoria“, behauptete er gereizt.
„In
deinen Augen vielleicht“, bemerkte Weasley, und sie schrien nicht mehr. Es
hatte sich in ein tragisches Gespräch gewandelt. „Aber in meinen Augen ist das
alles eine finstere Zukunft“, räumte Weasley ein. Draco schulterte die Tasche,
verabschiedete sich nicht, und wusste, er käme bestimmt eine Viertelstunde zu
spät. Er machte Kehrt, ohne Potter noch mal anzusehen, und ehrlich gesagt
wünschte er sich, Weasley hätte den Mund nicht aufgemacht, hätte weiter das passiv
aggressive Spiel gespielt, denn was hatte Draco schon erwartet?
Er
hatte keine Freundschaft erwartet, kein gutes Klima. Merlin, er wusste das
alles. Er wusste, was Weasley dachte – Merlin, er sah es ähnlich, wenn er
ehrlich war. Weasley hatte auch nicht mit allem Recht. Draco brauchte Weasleys
Familie nicht, um sich besser zu fühlen. Er spielte keine Show, mimte keinen
tragischen Witwer, der Anschluss suchte, wirklich nicht. Es mochte so aussehen.
Scorpius mochte diesen Anschein vermitteln, aber Dracos Leben war angenehm,
ohne jeden Weasley.
Und
mit Glück lag Weasley richtig, und Scorpius würde sich langweilen. Und
vielleicht war es so vorherbestimmt. Vielleicht hatte Scorpius keine andere
Wahl, als eine bequeme Reinblüterverbindung einzugehen, damit er nicht konstant
für die Fehler seiner Eltern und Großeltern büßen musste. Draco wollte das
nicht für ihn. Und vielleicht war das einfach die bittere Wahrheit?
Und
wahrscheinlich musste Scorpius sich nicht mal langweilen. Wahrscheinlich
reichte es aus, dass Weasley so einen Druck auf seine eigene Tochter ausübte,
sie mit Schweigen strafte, und ihr so klarmachte, wie dunkel und boshaft diese
Zukunft sein würde, sollte sie in Erwägung ziehen, mit Scorpius zusammen zu
bleiben. Er holte seinen Besen aus der Halle, nur um dann mit grimmiger Miene
in den vierten Stock zu fahren.
Er
hatte keine Lösung für das Problem. Er brauchte es nicht mal versuchen. Es
stand einfach nicht in den Sternen für Scorpius. Und es tat ihm ehrlich leid.
Nach endlosen Überredungen hatte Ron
die Garage verlassen und folgte ihr endlich zurück ins Haus. Hermine war
gänzlich erschöpft von diesen verdammten Streitereien und Diskussion über die
Familie Malfoy. Es war ermüdend, wirklich. Bevor sie die Haustür erreichten, um
sich drinnen weiter anzuschreien, erschien eine Gestalt aus dem Nichts. Hermine
wandte überrascht den Blick. Sie rechnete noch nicht mit Hugo und Rose, denn
für gewöhnlich ließen sie sich Zeit, und sie glaubte nicht, dass es
ausgerechnet heute anders wäre. Wenn Rose überhaupt auftauchte, dachte sie
verzweifelt.
Eine
Frau näherte sich, die Hermine äußerst selten sah. Unter dem langen schwarzen
Mantel wippte ein eleganter grüner Rock in seidigen Falten, und ihre schulterlangen
dunklen Haare trug sie in einer lockeren Frisur. Sie war stark geschminkt, und
die Diamantohrringe blitzten im kühlen Licht des kalten Dezembertages. Es
fehlte nur noch eine Leine, an der Pansy einen armen Hauselfen hinter sich
herschleifen konnte, dann wäre das Reinblüterbild perfekt. Pansy stellte stets
zur Schau, wie reich sie waren und zu welcher Gesellschaftsschicht sie
gehörten. Ron neben ihr atmete hörbar aus, denn auch Pansy gehörte nicht zu
seinen liebsten Gästen.
„Pansy“,
begrüßte Hermine die Frau widerwillig freundlich. „Alles… in Ordnung?“, fragte
sie vorsichtig, aber sie nahm an, wenn Pansy MacLeod solche Längen ging und
hier auftauchte, dann war gar nichts in Ordnung.
„Nicht
direkt. Können wir reden? Drinnen?“, ergänzte sie mäßig unzufrieden, und es
folgte keine Begrüßung, keine Floskeln, und Ron verzog den Mund. Er tauschte
einen Blick mit ihr, und Hermine zuckte kaum merklich die Achseln. Sie betraten
das Haus, und Hermine hatte das plötzliche Bedürfnis, sich für den Wäschekorb
im Flur zu entschuldigen, aber Pansy ignorierte die Unordnung.
„Ich
kann eine Kanne Tee aufsetzen?“, schlug Hermine vor, aber Pansy schüttelte den
Kopf.
„Ich
habe nicht viel Zeit, aber ich… denke, wir sollten reden.“ Hermine war dankbar,
denn sie hatte gar keine Lust, Tee aufzusetzen.
„Geht…
geht es um Rumer und Rose?“, wollte sie wissen, denn sie hatte keine Ahnung,
was Pansy trieb. Ron hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sie schritten
ins Wohnzimmer, wo sich Pansy den äußersten Platz am Esstisch aussuchte und
nicht mal den Mantel auszog.
„Nein“,
erwiderte Pansy schlicht. Und Hermine war ernsthaft überrascht. Sie hatte fast
angenommen, es wäre eine Art Dreiecks-Fiasko zwischen Rumer, Rose und Scorpius.
Es würde Sinn ergeben, in ihrem Kopf zumindest.
„Nicht?“
Es war Ron, der sprach.
„Nein“,
wiederholte Pansy konsterniert. „Rumer liegt Zuhause im Bett und weint sich die
Augen aus dem Kopf.“ Hermine und Ron tauschten wieder einen Blick. Pansy schien
zu begreifen, dass sie beide keinen Schimmer hatten, wovon sie sprach. „Wegen
eurem Sohn?“ Kurz schwiegen sie beide ehrlich entgeistert.
„Wegen…
wegen Hugo?“, vergewisserte sich Ron äußerst ungläubig. „Aber… deine Tochter
ist mit James Potter zusammen?“, entfuhr es Ron, fast mit Nachdruck, fast mit
Sorge.
„Oh,
diese kleine Phase scheint vorbei zu sein. Nein, Rumer sagte mir, sie hätte
James verlassen, wegen… Hugo Weasley. Ist das nicht fantastisch?“, erkundigte
sich Pansy bitter. Kein Hauch der Freude zierte ihr Gesicht. Hermines Mund
hatte sich stumm geöffnet, und Ron wirkte einem Zusammenbruch sehr nahe. Oh ja,
das musste für ihren Mann wirklich bitter sein, begriff Hermine dumpf.
„Und…
Hugo will sie nicht?“ Hermine versuchte, nicht zu hoffnungsvoll zu klingen,
denn auch sie begrüßte diese Entwicklung nicht wirklich. Pansy verzog den Mund.
„Anscheinend
schon“, zerschoss sie pikiert Hermines Hoffnungen. „Allerdings…- nun“, druckste
Pansy herum, „Booker und ich sind nicht begeistert. Offen gesagt…“ Sie tat sich
schwer, und Hermine sank überfordert auf ihren Platz. Ron blieb stehen und
legte lediglich die Hände um die Stuhllehne, vielleicht um sich abzustützen,
bevor er noch ohnmächtig werden würde. „Hugo ist zu jung“, schloss sie mäßig
diplomatisch. „Ich habe Rumer untersagt, ihn zu sehen. Und ich weiß, dass das
sinnlos ist, es sei denn, ich bekomme da eure Unterstützung“, entfuhr es ihr
eindeutig auffordernd. Hermines Blick hob sich zu Rons Gesicht, und blankes
Entsetzen spiegelte sich darin. „Ich weiß, dass es zurzeit nicht einfach ist.
Ich hörte, Scorpius Malfoy ist mit eurer Tochter zusammen? Natürlich ebenfalls
eine unmögliche Verbindung“, ergänzte Pansy einigermaßen bitter.
„Unmöglich?“,
wiederholte Hermine ein wenig verständnislos und erntete Rons Seitenblick. Es
klang sehr übertrieben.
„Nun“,
sagte Pansy wieder und atmete knapp aus, „aus offensichtlichen Gründen“,
erklärte sie stiller.
„Die
da wären?“ Hermine ließ es nicht auf sich beruhen, und Ron atmete müßig aus.
„Hermine“,
begann er gereizt, aber Hermine hob die Hand.
„Nein,
Ron. Lass Pansy erklären, warum unsere Tochter nicht gut genug für Scorpius
Malfoy ist. Ich bin wirklich interessiert“, sagte sie mit einem Lächeln.
„Hermine,
ich bitte dich“, sagte auch Pansy jetzt. „Ich meinte damit nicht-“
„-ich
weiß, was du damit meinst, Pansy“, zischte Hermine gereizt. „Es wäre dir
wahrscheinlich lieber, würde Rumer mit Scorpius zusammen sein, nicht wahr?“
„Es
geht hierbei nicht ums Gold, Hermine.“
„Aber
schon ein wenig, oder?“ Hermine verschränkte die Arme vor der Brust. „Es kann
ja wohl nicht um den Blutstatus gehen?“, reizte sie Pansy ein wenig mehr, bis
diese die Augen verdrehte.
„Vor
allem geht es mir um Rumer. Ich meine, was für eine unangenehme Situation das
jetzt ist! Sie macht sich zum Gespött, und natürlich kann sie dieses Jahr nicht
zu euren Großeltern in den Fuchsbau!“
„Gespött?“,
wiederholte Hermine entrüstet.
„Hermine-“,
begann Ron wieder, aber ihr reichte es.
„-nein!
Wenn du sie so reden lassen möchtest, bitte! Es reicht mir schon, diese ganze
Malfoy-Sache stets und ständig mit dir diskutieren zu müssen! Aber ich lasse
mir nicht vorwerfen, dass sich Rumer zum Gespött macht, sollte sie eine
Beziehung mit meinem Sohn wünschen!“, fuhr Hermine ihn wütend an. „Ich nehme
an, James war im Nachhinein doch eine angebrachtere Wahl, Pansy? Ein wenig
scharf auf den Potter-Ruhm?“, warf sie ihr böse vor, und Pansys Mund öffnete
sich empört.
„Das…
das ist eine bodenlose Frechheit! Ich weiß, dass ihr sehr darauf bedacht seid,
dass Rose die Beziehung zu Scorpius beendet. Draco hat darüber gesprochen. Ich
begreife also nicht, wieso es bei Rumer anders sein soll! Wir wollen alle
nicht, dass sich die Kinder auf diese Weise… mischen“, schloss Pansy, wohl in Ermangelung eines besseren Wortes.
„Natürlich
wollen wir das nicht!“, mischte sich Ron schließlich ein, bevor Hermine sich
hatte echauffieren können. „Aber was sollen wir dagegen ausrichten?“
„Ihr
verbietet Hugo, Rumer zu sehen, ganz einfach.“
„Ron?“
Hermine wandte sich an ihn, sah ihn erwartungsvoll an, und ihr Mann schien doch
sehr schnell zu begreifen, dass sich hier ein Ungleichgewicht entwickeln
könnte. So wie er Rose behandelte, so musste er zwangsläufig Hugo behandeln. Es
funktionierte anders nicht. Denn wenn Ron Hugo erlaubte, zu sehen, wen er für
richtig hielt, dann… dann konnte es keine Doppelmoral geben.
„Hugo
ist jung, er hat keine Ahnung, was er will, und noch ist hier kein Schaden
eingetreten. Rumer wird traurig sein, aber letztendlich wird sie mir dafür
danken, sie bewahrt zu haben, vor diesem massiven Fehler.“ Pansy versuchte
scheinbar, vernünftig zu klingen. Und selbst Hermine sah, dass die Worte
‚massiver Fehler‘ auch in Rons Ohren nachzuhallen schienen, und dass er sie
ganz und gar nicht in Ordnung fand. Selbst Pansy schien es zu merken. „Und
bitte, ich hege keinen Groll. Natürlich können Rose und Rumer befreundet sein.
Merlin, damit habe ich mich abgefunden, ich denke nur, dass es nicht zuträglich
ist, für keine Familie, wenn man den hormonellen Neigungen der Kinder
nachgibt“, gab sie zu bedenken. „Ich habe Rumers Wünschen nachgegeben, was
James Potter anging, weil sie mich regelrecht belästigt hat. Aber man sieht,
wohin solche Verbindungen führen. Zu gebrochenen Herzen, und zu nichts sonst.
Rumer ist zu höherem bestimmt, und es soll nicht anmaßend klingen. Es wäre
einfacher, für alle Beteiligten, wenn wir uns in der Gesellschaft bewegen, in
die wir geboren worden sind, nicht wahr?“ Sie klang recht gnadenlos. „Es ist zu
kompliziert. Merlin, und Booker und ich sind nicht mal die Malfoys!“, entfuhr
es ihr kopfschüttelnd. „Man muss die Kinder manchmal führen und lenken. Ich
verlange keine unmögliche Aufgabe von euch“, fuhr sie beide an. „Verbietet Hugo
einfach die Beziehung zu Rumer, lebt mit der Auflehnung, die nur von kurzer
Dauer sein wird – und niemand nimmt bleibenden Schaden.“
Ron
schien mäßig sprachlos zu sein. „Und was für eine Botschaft vermittelt ihr
euren Kindern sonst?“, fuhr Pansy unbeeindruckt fort. „Die Verbindung zu den
Malfoys ist verboten, aber die Verbindung zu uns ist erlaubt? Was soll Rose
denken, wenn ihr Bruder alles darf?“ Und es war Hermines Punkt, oder so ähnlich
zumindest.
„Die
Verbindung zu den Malfoys ist nicht verboten“, sagte Hermine gereizt, aber
Pansy winkte ab und erhob sich.
„Nenn
es, wie du möchtest, aber ich weiß, ihr hofft auf ein schnelles Ende dieser
unmöglichen Beziehung. Also lasst uns die höflichen Spiele sein lassen, und
einfach ehrlich beschließen, dass die Beziehungen unserer Kinder eher früher
als später zum Scheitern verurteilt sind, ja? Rumer hat die unwahrscheinliche
Chance mit James Potter bekommen – es hat nicht funktioniert, und ich müsste
wahnsinnig sein, sie noch einmal dasselbe Fiasko mit Hugo Weasley durchleben zu
lassen! Ich bitte euch also ausdrücklich, redet auf Hugo ein und setzt diesem
Theater ein Ende. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende,
nicht wahr?“ Hermine hasste diese Worte. Sie hasste alles, was Pansy von sich
gab.
„Wir
reden mit Hugo“, lenkte Ron schließlich gepresst ein, und Hermine hatte von
ihrem Mann letztendlich nichts anderes erwartet. Sie strafte ihn mit einem
zornigen Blick.
„Ich
danke euch. Frohe Weihnachten“, schloss Pansy. „Ich finde den Weg“, ergänzte
sie kühl, verließ das Wohnzimmer und hinterließ nichts weiter, als die feine
Note ihres teuren Parfüms. Ron hob träge den Blick zu ihrem Gesicht.
„Ich
wünsche dir viel Spaß dabei, mit Hugo zu reden und ihm zu erklären, was für ein
unglaubliches Arschloch du bist!“, entkam es ihr zitternd. Rons Mund öffnete
sich perplex, Schock trat auf seine Züge. „Und ich bin sehr gespannt, wie du es
erträgst, wenn keines deiner Kinder auch nur ein Wort mehr mit dir spricht!“
„Hermine-“
„-und
wag es nicht, mit mir zu reden! Ich kann dein Gesicht heute absolut nicht mehr
ertragen und werde abreisen, um den Abend bei meinen Eltern zu verbringen. Ich
erwarte, dass du den Kindern Essen machst und auch sonst alles weitere
erledigst, denn ich habe die Nase voll von deinen Launen, deinen Ansichten und
deinem mangelnden Rückgrat!“, knurrte sie und zitterte vor Zorn. Seine Augen
weiteten sich, aber sie wandte sich ab und verließ kochend mit zornigen
Schritten ihr eigenes Wohnzimmer, um ihre Tasche zu packen.
Merlin,
war sie wütend! Noch nie zuvor hatte sie das Bedürfnis verspürt, solche
Schritte zu ergreifen, hatte Ehen immer bemitleidet, die in solchen Maßnahmen
resultierten und hatte auch nie verstanden, dass Menschen Dinge nicht
vernünftig ausdiskutierten, aber Hermine hatte das Ende ihrer Geduld erreicht.
Sie hatte keine Lust, sich irgendwelche fadenscheinigen rassistischen Ausreden
anzuhören, weshalb unschuldige Kinder nicht ein wenig Spaß haben durften! Wie
konnte man so verbohrt und widerlich sein? Pansy und Ron trieben es auf die
Spitze, und sie hoffte ernsthaft, dass Ron sich jetzt besser reflektieren
konnte, wo er und Pansy doch so ähnliche Gedankengänge hatten! Scheiß
Reinblüter!
Während
sie wütend wahllose Kleidungsstücke in ihre Tasche warf, erkannte sie seine
Gestalt im Türrahmen.
„Hermine,
was soll das?“ Seine Stimme klang herablassend, fast nachsichtig, aber sie
ahnte den Zorn, hörte ihn unterschwellig. „Du willst doch nicht ernsthaft
gehen?“, vergewisserte er sich ungläubig, aber sie nickte ihrer Tasche zu.
„Ja.
Sonst werde ich dich nämlich mit sämtlichen unangenehmen Flüchen belegen, die
mir in den Sinn kommen, und das möchte ich vermeiden.“ Er lachte freudlos auf.
„All
das wegen der Kinder? Wirklich?“, fuhr er sie an, und ihr Blick schoss nach
oben.
„Nein.
All das, weil du deine Wut nicht unter Kontrolle hast, verdammt noch mal!“,
schrie sie außer sich.
„Ich?“,
erwiderte er entsprechend spöttisch.
„Ja,
du! Dass du es nicht gut sein lassen kannst! Dass du ernsthaft seit fünf Wochen
nicht mehr mit deiner eigenen Tochter sprichst, weil sie Gefühle für einen
Jungen hat, der dir nicht passt! Und wenn unser Haus mit Malfoys und Parkinsons
überläuft, es ist verdammt noch mal egal!“, rief sie verzweifelt aus. „Komm
drüber weg, Ronald!“ Er starrte sie fassungslos an.
„So
einfach, wie du es dir machst, ist es nicht, Hermine! Verflucht noch mal, stell
die Tasche ab!“, rief er zornig.
„Es
ist verdammt einfach, Ron! Es ist so einfach, und du siehst es nicht mal! Hast
du alles vergessen? Weswegen wir Krieg geführt? Weswegen alles furchtbar war?
Dass Menschen wie Malfoy und Parkinson mich Schlammblut genannt haben?“ Und
jetzt schien Ron auszurasten.
„Ja!
Ja, eben deswegen, Hermine!“, schrie er.
„Ja, und genau deshalb ist es so verdammt wichtig, dass wir offen sind, dass
wir Dinge nicht nachtragen, dass wir Menschen vergeben, die bereit dafür sind,
Dinge zu verändern! Diese Kinder, diese Nachfahren dieser schrecklichen
Generation, sind bereit, alles zu verändern, und du stellst dich dagegen mit
deiner kleinbürgerlichen, scheiß rückständigen, reaktionären Meinung – und das
ist genau der Grund, weshalb ich mich zur Ministerwahl habe aufstellen lassen!
Um noch mehr gegen diese elenden Vorurteile zu arbeiten! Um sie abzuschaffen,
aber ich schaffe es nicht mal in meiner eigenen Familie, nicht wahr? Ich
schaffe nicht mal, dass mein Mann die Augen öffnet, und begreift, was selbst
seine Kinder längst begriffen haben!“ Rons Schultern waren gesunken, und sein
Mund hatte sich sanft geöffnet. „Und deshalb muss ich gehen“, schloss sie
gepresst. „Denn sonst verlasse ich dich noch hier und heute, und das will ich
nicht. Also gib mir diese Freiheit, Ronald“, fuhr sie ihn wütend an, und wie
verbrannt wich er zur Seite, als sie das Zimmer verließ. „Du weißt, dass ich
Recht habe, und ich habe dir deine Launen zu lange durchgehen lassen. Und das
weißt du auch!“, zischte sie zornig in seine Richtung.
Er
sagte gar nichts, aber sie spürte seinen Blick deutlich im Rücken.
Scheiße.
Jetzt würde sie ernsthaft zu ihren Eltern verschwinden, und konnte sich sonst
was für eine Ausrede ausdenken, die ihre Muggeleltern verstehen würden, denn
bei Merlin, all das, was Hermine gerade erklärt hatte, ergab in dieser Welt
Sinn, nur leider nicht in der Welt ihrer Eltern. Verdammte Scheiße.
Gott,
sie hasste Ron dafür, dass er ihr das antat. Und sie hasste Rose und Hugo
gleich mit. Einfach nur, weil sie gerade wütend auf ihre Familie war, die es
ihr so verdammt schwer machte.
***
Es war dunkel, als sie den Fuchsbau
erreichten. Viel gesprochen hatten sie nicht, denn ihr Dad war so wütend, dass
er überhaupt nicht mehr sprach. Nicht nur nicht mit ihr. Hugo bekam seinen Zorn
ebenfalls ab. Mit gepackten Taschen standen sie vor der Tür, und irgendwann
öffnete ihre besorgte Großmutter. Grannie Molly sah sie mitleidig an, und
scheinbar hatte ihr Dad Bescheid gegeben, als sie ihre Taschen gepackt hatten.
Rose
wusste nicht, was für einen Streit ihre Eltern hatten und wie ernst es wirklich
war, sie wusste nur, es war ihre Schuld. Und wahrscheinlich Hugos.
„Kommt rein, kommt rein, meine Lieben“, rief Grannie Molly mit offenen Armen,
drückte zunächst ihren ‚Goldschatz‘ Hugo an sich, bevor Rose geschnappt wurde.
„Das wird alles wieder, keine Sorge“, flüsterte sie zuversichtlich. „Am besten
bringt ihr eure Sachen hoch, und dann gibt es etwas Gutes zu essen für euch.
Das wird euch ablenken.“ Hugo und Rose stiefelten die Treppe nach oben, während
ihr Dad flüsternd mit Grannie Molly in der Küche verschwand.
Sie
erreichten den zweiten Stock, und Rose und Hugo tauschten einen knappen Blick.
Dann schlug Hugo den Weg zur mittleren Tür ein, stieß sie auf und wandte sich
um. Rose folgte ihm, ohne Zögern. Es war das Zimmer der Zwillinge, und hier
standen zwei Betten. Eines hatte Onkel George gehört und eines Onkel Fred, den
sie nie hatten kennenlernen dürfen. Sie kannten Fotos, und er sah genauso aus
wie Onkel George. Aber Grannie Molly erzählte nie zu viel von ihrem Sohn Fred,
denn es schmerzte sie zu sehr.
Und heute
würden sie und Hugo sich dieses Zimmer teilen, denn anscheinend wollte Hugo
genauso wenig alleine sein, wie sie.
Sie
waren angekommen und hatten geglaubt, dass ihre Eltern endlose Diskussionen mit
ihnen führen wurden, aber stattdessen hatte ihr Vater auf sie gewartet, sie
informiert, dass ihre Mum heute woanders schlafen würde und sie in den Fuchsbau
gingen, denn er hatte absolut keine Lust, sich um das Essen zu kümmern. Viel
mehr hatte er nicht gesagt. Aber viel mehr hatte er nicht sagen müssen, denn
Rumer hatte nicht viel später eine Eule geschickt.
Sie
und Hugo waren tatsächlich zusammen gekommen, und an diesem Tag hatten die
Weihnachtsferien begonnen, und Rumer hatte geschworen, es sofort ihrer Mum zu
sagen. Und das… war so ziemlich nach hinten losgegangen. Hugo war erschüttert
gewesen, von Rumers Nachricht und dem Wunsch ihrer Mutter, dass sie Hugo am
besten nie wieder sah, und dass Mrs MacLeod auch noch zu ihnen nach Hause
gekommen war, um es deutlich zu machen. Und Rose wusste nicht, ob sich Hugo
fühlte wie sie, aber sie nahm es an.
Sie
hatten ihre Eltern auseinander gebracht. Sie und ihre Beziehungen. Ihre Mum war
gegangen. Rose nahm an, sie war bei Grandpa und Grandma Granger. Das hoffte sie
zumindest. Und sie hoffte, sie würde morgen wiederkommen. Denn… bald war
Weihnachten. Rose hatte automatisch Onkel Freds Bett genommen. Sie wusste
nicht, warum.
Im
Dunkeln saßen sie jetzt auf den Betten, während draußen der Schnee in dichten
Flocken zu fallen begonnen hatte. Dann wurden die Stimmen unten lauter, und sie
hörten nicht nur ihren Dad und ihre Großmutter, sondern auch Grandpa Arthur
schreien. Sie verstanden keines der Worte, aber irgendwann knallte die Haustür
ins Schloss und Stille trat ein.
„Was
machen wir jetzt?“, flüsterte Rose in die Dunkelheit, denn ihr Bruder wusste
alles. Hugo wusste jede Antwort auf jede Frage, kannte jede Lösung zu jedem
Problem, aber unglücklich hatte er den Blick gehoben.
„Ich
weiß es nicht“, murmelte er tonlos. Eine Träne rollte über Roses Wange, und
Hugo erhob sich schwerfällig, um sich neben sie zu setzen. Er legte den Arm um
sie, und Rose lehnte den Kopf an seinen Körper und schloss die Augen. Es war
alles ihre Schuld. Sie wusste nicht, warum sie so fühlte, aber sie glaubte,
hätte sie anders reagiert, hätte sie etwas anderes getan, dann wäre es alles
gewesen.
Ihre
Eltern stritten, weil sie mit Scorpius zusammen war.
Sie
weinte nur heftiger, denn sie wollte Scorpius nicht aufgeben, aber… sie hatte
das Gefühl, es wäre das einzig richtige, was sie tun konnte, um ihre Eltern
wieder zusammenzubringen.
Aber…
wie könnte sie? Sie liebte Scorpius. Sie liebte ihn so sehr.
„Worüber reden die?“, flüsterte Lily
aufgeregt, aber Albus machte eine zornige Geste. Die verdammten Langziehohren
reichten nicht bis in die Küche, und er konnte nur streckenweise verstehen, um
was es ging. Onkel Ron war vorhin hier aufgetaucht, und – er hatte geweint!
Und
das war erst mal alles gewesen. Ihre Mum hatte sie nach oben verscheucht, und
jetzt waren die Erwachsenen in der Küche verbunkert.
„Tante
Hermine ist abgehauen“, sagte Albus gereizt und versuchte, mehr zu verstehen.
„Was?“,
entkam es Lily schockiert. „Weswegen? Wegen Rose?“, wollte sie wissen, und
Albus‘ Kopf fuhr zu ihr herum.
„Keine
Ahnung, red doch noch lauter, damit ich garantiert nichts hören kann!“,
schnappte er wütend.
„Sorry“, murmelte sie gepresst. James war aufgestanden und lehnte sich weit
über das Treppengeländer.
„Es
hängt garantiert damit zusammen“, mutmaßte sein blöder Bruder jetzt, und Albus gab
es auf, irgendetwas über das Ohr zu verstehen. Er zog an der langen Schnur, und
das Ohr unten rollte sich wieder nach oben auf.
„Vielleicht
hat er sie betrogen“, sagte Albus jetzt finster, aber seine Geschwister
schenkten ihm einen ungläubigen Blick.
„Onkel
Ron betrügt Tante Hermine nicht!“, behauptete Lily gereizt.
„Ach
ja? Es passiert oft genug!“, sagte Albus jetzt.
„Ja?
Bei wem?“, wollte James ungläubig von ihm wissen, und Albus verdrehte die
Augen.
„Bei
unserer Familie jetzt nicht, aber bei Außenstehenden passiert es! Bei den
Zabinis“, nannte er das nächstbeste Beispiel, was ihm einfiel. Lily schüttelte
den Kopf.
„Nein,
es liegt an Scorpius. Deswegen ist Onkel Ron doch auch abgehauen von der
Party!“
„Es
trennt sich kein Ehepaar wegen Scorpius“, sagte Albus kopfschüttelnd, denn so
wichtig konnte Scorpius nicht sein.
„Und
was machen wir jetzt?“, wollte Lily wissen, und Albus sah sie an.
„Gar
nichts. Was sollen wir machen?“
„Ja,
aber – das geht doch nicht. Tante Hermine kann nicht einfach gehen. Bald ist
Weihnachten!“, entfuhr es ihr schockiert.
„Was
sollen wir dagegen machen? Ist nicht unsere Entscheidung.“
„Wir…
wir müssen mit Onkel Ron reden!“, beharrte Lily jetzt, und Albus lachte leise
auf.
„Bist
du wahnsinnig? Der reißt uns den Kopf ab! Wahrscheinlich gibt er uns auch noch
die Schuld – und mich kann er sowieso nicht leiden!“, ergänzte er hastig,
während James den Kopf schüttelte.
„Ich
versuche, die beiden über Floh zu erreichen“, sagte er schließlich.
„Der einzige
offene Kamin ist im Wohnzimmer!“, entfuhr es Lily mit weiten Augen.
„Das
weiß ich“, erwiderte James gereizt. „Ihr müsst Schmiere stehen, gute Weasleys
sein“, ergänzte er mahnend.
„James,
wenn die aus der Küche kommen und sehen, dass wir mit Rose und Hugo reden-“,
begann Albus warnend, aber James unterbrach ihn rigoros.
„-dann
was? Dann streichen sie auch noch Lilys und meine Geschenke? Und wenn schon!
Wir haben ein Recht zu wissen, was passiert. Das ist auch unsere Familie.“
Albus kaute auf seiner Lippe. „Was ist? Auf einmal feige geworden?“, wollte
James ungläubig von ihm wissen, und Albus atmete wütend aus.
„Nein!“, behauptete er bitter.
„Gut. Dann setz dich in Bewegung. Keine Ahnung, wie lange die noch in der Küche
bleiben“, sagte James, und die drei Geschwister schlichen die Treppe runter,
übersprangen alle die knarrende Stufe, und das Wohnzimmer war nur eine Tür von
der Küche entfernt.
„Ok“,
flüsterte Albus, als James das Pulver in die Flammen geworfen hatte und auf die
Knie ging. „Wenn die Tür aufgeht, reiß ich dich zurück, und dann rennen wir!“,
warnte er James, und dieser verdrehte die Augen.
„Ja,
ja, meinetwegen“, erwiderte er, sagte die Adresse des Fuchsbaus und verschwand
mit dem Kopf in den Flammen.
Lily
rieb nervös ihre Hände, aber sie blieb direkt neben ihm stehen, betrachtete
lauernd die Tür, ehe sie näher schlich.
„Lily!“, zischte Albus, aber Lily winkte ab.
„Ich
gehe näher“, flüsterte sie. „Dann höre ich, worüber sie reden, und ob sie
aufstehen!“, ergänzte sie, und ihr Mut war beachtlich, dachte Albus dumpf. Dann
hörte er James unterdrückte Stimme sprechen. Scheinbar war er im Fuchsbau
durchgekommen. Albus war mehr als angespannt. Er hatte die letzten Wochen
keinen Ärger mehr bekommen, und es war ganz nett, einfach mal keine Probleme zu
haben. Aber heute Abend hatte die ruhige Zeit wohl ein Ende gefunden. Und er
redete viel und machte sich lustig, aber tatsächlich hatte er echte Sorge. Er
konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Tante Hermine Onkel Ron
wirklich verlassen würde. Er wollte es sich auch nicht vorstellen.
Die
Zeit verging, und Lily hatte mittlerweile das Ohr gegen die Küchentür gepresst.
Sein Atem ging flach, aber es schien alles zu funktionieren. Die Erwachsenen
blieben in der Küche, und James Stimme sprach angeregt dumpf durch die Flammen.
Die
Standuhr tickte laut, aber Albus hatte kein Zeitgefühl. Es waren Minuten
vergangen, aber wie viele konnte er nicht schätzen. Plötzlich stieß sich seine
Schwester mit gehetztem Ausdruck ab. Sofort reagierte Albus, drehte sich um und
zerrte James an den Schultern zurück. Mit einem überraschten Laut plumpste
James nach hinten.
„Sie
kommen!“, raunte Albus panisch, und James kam auf die Beine. Zu spät hatten sie
sich in Bewegung gesetzt, und die Stimme seines Vaters hielt sie auf.
„Was
treibt ihr hier?“, wollte er wütend wissen. „Wir hatten euch nach oben
geschickt! Wieso könnt ihr nicht ein einziges Mal hören, wenn euch was befohlen
wird, Merlin noch mal!“, fuhr er sie an. Lily hatte schuldbewusst den Kopf gesenkt,
aber sie sprach trotzdem.
„Weil… weil wir uns Sorgen machen, Dad“, sagte sie beschämt, und sein Vater
atmete lange aus.
„Das müsst ihr nicht, ok?“, erwiderte er bloß. „Es… wird schon alles wieder
gut.“
„Was ist
mit Onkel Ron?“, mischte sich James jetzt ein. „Wieso ist er vom Fuchsbau
weggegangen?“, wollte er wissen, und der Blick seines Vaters fiel kurz auf den
flackernden Kamin hinter ihnen.
„Mit
wem habt ihr gesprochen?“, wollte er gereizt wissen.
„Mit –
niemandem“, erwiderte James hastig, aber sein Dad sah ihn eindeutig an. „Mit
Hugo“, schloss James dann lahm. Sein Dad seufzte auf.
„Es…
ist kompliziert, ok? Aber Grannie Molly und Grandpa Arthur sind da. Rose und
Hugo sind nicht alleine. Und… Ron wird… heute hier bleiben. Keine Fragen, es
wird nicht mehr gelauscht – es geht euch nichts an! Und wenn ich sage, es wird
alles wieder gut – dann wird alles wieder gut. Und jetzt ab nach oben! Es ist
spät, ich will euch nicht mehr hier unten sehen, verstanden?“ Seine Stimme ließ
keine Widerworte zu, und schließlich nickten sie alle, mehr oder weniger
widerwillig. „Ok. Dann los. Ich kontrolliere gleich!“, warnte er sie, schritt
zum Weinregal und zog eine der Flaschen aus dem Regal. Die Geschwister
tauschten einen Blick. Es wurde getrunken. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Nicht heute zumindest.
„Ich weiß was!“, entfuhr es Lily
schließlich, und sie schraken zusammen. Es war weit nach Mitternacht, und ihr
Dad hatte schon zweimal kontrolliert, ob sie schliefen. Aber immer wieder
hatten sich Lily und Al wieder in sein Zimmer geschlichen. Al ruckte aus seinem
Dämmerschlaf.
„Mh – was?“, machte er erschrocken, und James wartete, was seine Schwester zu
verkünden hatte.
„James,
du müsstest apparieren“, sagte sie eindringlich, und er runzelte die Stirn.
„Das ganze Problem liegt einfach nur darin, dass keiner mit keinem spricht“,
faselte seine Schwester, aber sie war hellwach.
„Das
Problem liegt darin, dass Onkel Ron blöd ist“, murrte Albus gähnend, aber Lily
fuhr ihm über den Mund.
„Quatsch! Onkel Ron ist unser Pate, und der beste Pate der Welt, ok? Und er hat
Stress mit Scorpius‘ Vater und Rumers Mum. Und deshalb müssen Scorpius und
Rumer mit ihm reden“, schloss sie, als wäre es simpel.
„Äh –
du erinnerst dich an den Hochzeitstag? Ich dachte, er reißt Scorpius den Kopf
ab!“, mischte sich Albus kopfschüttelnd ein.
„Ja,
ja. Die Situation war scheiße“, räumte sie ein.
„Lily-“
„-nein, ich meine das ernst! James, du holst Scorpius ab, bringst sie zu Onkel
Ron nach Hause, und dann holst du Rumer und bringst sie auch dorthin.“ James
sah seine Schwester zweifelnd an.
„Nein,
danke“, sagte er kopfschüttelnd. „Weißt du, was für enormen Ärger wir kriegen?“
„Wenn
wir Onkel Ron und Tante Hermine wieder zusammen bringen? Nein? Dann kriegen wir
doppelt und dreifach Geschenke.“
„Und
dann was?“, wollte Albus mittlerweile wacher wissen. „Er holt sie, und dann
was?“
„Dann
erzähle ich Onkel Ron irgendeine Geschichte, dass er dringend nach Hause muss –
und dann stehen Rumer und Scorpius vor seiner Tür. Alleine, mitten in der
Nacht.“
„Wow“,
schloss James kopfschüttelnd.
„Und dann reden sie“, erklärte Lily, als wäre es eindeutig.
„Ja, oder, was wesentlich wahrscheinlicher ist – Onkel Ron ruft Scorpius‘ Dad
über Floh und Rumers Mum, und dann gibt es erst richtig Ärger.“
„Nein,
Rumer und Scorpius müssen natürlich gut argumentieren. Onkel Ron ist nicht
böse. Er versteht es nur nicht. Rumer und Scorpius sind fabelhafte Menschen!“,
sagte sie gereizt.
„Es geht so“, bemerkte James bissig, aber Lily sah ihn eindeutig an.
„Sei
doch einfach mal ein Potter und komm drüber weg, James“, beleidigte sie ihn
entnervt, und er öffnete empört den Mund.
„Hey, ich soll diese ganzen Leute abholen und wegbringen, ok? Also vielleicht
überlegst du dir besser, wie du mit mir sprichst!“ Aber Lily schien nicht
beeindruckt von seinen Worten.
„Und
wie sollen wir das organisieren?“, mischte sich Al zweifelnd ein
„Ich
rufe bei Rumer durch – ich bin sicher, sie ist noch wach“, erwiderte Lily,
„und… Scorpius – keine Ahnung.“
„Zu
gefährlich. Ich gehe mit James. Ich kenne das lose Dielenbrett, wo Scorpius den
Ersatzschlüssel versteckt. Du kümmerst dich um Onkel Ron“, schloss Albus
grimmig, und James konnte nicht fassen, dass seine Geschwister ernsthaft
annahmen, dass das klappen sollte.
„Ok“,
willigte Lily nickend ein. James schüttelte bloß den Kopf.
„Es ist spät, es ist gefährlich. Und wir-“
„-komm
schon, James!“, fuhr sogar Albus ihn an. „Das ist unsere Familie. Wer soll sich
um Rose und Hugo kümmern, wenn nicht wir Potters? Irgendwer muss doch
vernünftig sein!“
„Vernünftig?
Oh, das ist also die vernünftige Entscheidung?“, wollte James kopfschüttelnd
wissen.
„Du wärst
unser Held, James“, sagte Lily nun einschmeichelnd, und James verdrehte die
Augen.
„Die
ganzen Sommerferien über bekomme ich euer Taschengeld“, forderte er knapp.
Albus‘ Mund klappte auf.
„Nicht
sonderlich heldenhaft, James“, beschwerte er sich, aber James zuckte die
Achseln.
„Das
ist der Preis, wenn ich meine Exfreundin abholen soll, damit alles rund läuft,
in ihrer neuen blöden Beziehung“, meckerte er trotzig, und Albus und Lily
tauschten einen Blick.
„Fein. Den ganzen Sommer lang, du Arsch“, knurrte Albus. „Jetzt zieh dich an.
Es wird immer später.“
„Ich
kann nicht fassen, dass wir das machen“, murmelte James lediglich, als er in
seine Hose stieg.
Dann
ging alles ziemlich schnell. Sie apparierten zuerst zu Scorpius‘ Haus. Alles
war dunkel, wie sie antizipiert hatten. James wartete im Gebüsch, beobachtete
Al, der auf der Veranda im Dunkeln tastete, bis er das Brett gefunden hatte,
und tatsächlich öffnete er nur wenige Sekunden später die Haustür, ohne ein
Geräusch. Dann war er im Innern verschwunden, und James wusste, ging nur eine
Kleinigkeit schief, rakte Albus nur eine Lampe um, wäre Mr. Malfoy wach, und
dann gäbe es Ärger. Und James hoffte doch so dringend auf den Praktikumsplatz,
den Mr. Malfoy ihm besorgen würde. Er hatte es seinem Dad noch nicht gesagt und
auch Mr. Malfoy per Brief gebeten, es vor seinem Dad geheim zu halten, und
jetzt hatte er die Zusage bekommen, auf ein bezahltes Praktikum in den
Osterferien. Mr. Malfoy hatte ihm gesagt, dass nichts dagegen sprechen würde,
in der Abteilung übernommen zu werden, wenn er seine Utze abschloss.
Und
jetzt hing alles davon ab, dass Albus keinen Mist veranstaltete und einfach
schaffte, unentdeckt zu bleiben. Aber sein Bruder war ein Slytherin, und
tauchte fünf Minuten später wieder auf. Mit Scorpius im Schlepptau. Unfassbar,
dass sich die Leute darauf einließen! James glaubte nicht daran, dass sein
Onkel Ron ein solcher Gutmensch war. Er kannte ihn. Und er wusste, er hasste
die Malfoys innig.
Sie
schlichen zu ihm. Scorpius wirkte aufgewühlt, und nicht so, als hätte er
geschlafen.
„Hey“,
begrüßte James ihn flüsternd.
„Hey“,
erwiderte Scorpius etwas außer Atem.
„Bring
ihn zum Haus“, verlangte Al mit weiten Augen, und James ergriff Scorpius‘ Arm.
Er würde nicht gerne in seinen Schuhen stecken wollen.
„Bereit?“,
fragte er den blassen Jungen, und Scorpius ruckte mit dem Kopf. Gut genug für
ihn. Dann verschwanden sie in der Nacht.
James
war etwas außer Atem, als er letztendlich alleine vor Rumers Haus ankam. Es war
größer als das von Scorpius, und er war erst einmal hier gewesen. Letzten
Monat, als er Rumer zur Feier abgeholt hatte. Er hatte Albus wieder Zuhause
abgesetzt, hatte gesagt, sie müssten nicht beide auffliegen. Und dann ging er
zu den Eingangstoren und schob sie schwerfällig auf. Sie waren nicht
verschlossen, und er war dankbar dafür. Vor ihm erstreckte sich die Auffahrt,
aber er bog in den weiten Garten ab. Er wusste, hier stand eine Hütte, in der
Rumer einen Ersatzbesen hatte. Ihre Mutter hatte ihr verboten, den Besen im Haus
zu haben, und James hoffte einfach, dass auch diese Hütte nicht verschlossen
war. Er fand schnell, was er suchte, rüttelte an der Brettertür, aber sie gab
nicht nach.
Mist.
Musste er wohl oder übel doch einbrechen. Mit dem Alohomora gab die Tür nach, und er leuchtete den Lumos in die
schmale Hütte. Mit Besorgnis stellte er fest, dass Rumers Vater anscheinend
Interesse an magischer Großwildjagd hatte, denn es häuften sich einige massive
Felle in einer Ecke sowie ein hässlicher Kopf eines monströsen
Büffelgrasochsen. Dann erkannte er, was er suchte an der Wand. Er griff sich
den alten Besen. Er würde für seine Zwecke ausreichen. James verschloss die
Hütte wieder und bestieg den Besen.
Lautlos
stieg er in die Luft. Das riesige Haus besaß bestimmt zwanzig Zimmer. Er wusste
nur, Rumers Zimmer war im ersten Stock, und sein Atem kondensierte in der
höheren Luft. Er umflog die Westseite, hielt vor einem offenen Fenster und wich
hastig in der Luft zurück, als er eine Gestalt im Innern erkannte, die
garantiert nicht Rumer war. Anscheinend kam Rumers Vater gerade aus dem
Badezimmer zurück, und hastig stieg James höher, bis er außer Sicht war. Er
wechselte die Hausseite Garantiert lag Rumers Zimmer nicht auf dem Flur des
Schlafzimmers ihrer Eltern. Die Südseite hatte einen vielversprechenden Balkon,
auf dem er landete. Er linste durch den schmalen Spalt zwischen den Vorhängen,
und Lily hatte Unrecht. Niemand war wach. Es war stockdunkel im Zimmer, aber
James schöpfte Mut, als er den Gryffindorbanner schwach an der Wand gegenüber
erkannte. Es war das richtige Zimmer. Sanft klopfte er gegen die Scheibe.
Solange, bis endlich das Licht im Innern entfacht wurde.
Die
Vorhänge wurden zur Seite gezogen, und Rumers Augen brauchten eine Sekunde, ehe
sie ihn in der Dunkelheit erkannten. Erschrocken wich sie zurück, bevor sie
begriff, wer er war, und hastig die die Flügeltüren öffnete.
„James?“, entkam es ihr ungläubig, und ihr Blick fiel auf ihren Besen in seiner
Hand.
„Hey“,
begrüßte er sie und musste schlucken. Sie trug ihre Trainingsklamotten, hatte
darin wohl geschlafen. Ihre Augen waren gerötet. Sie hatte geweint, und er
fragte sich unwillkürlich, ob sie auch für ihn die Tränen vergoss. Er glaubte
es nicht. Und es tat tatsächlich weh, egal, ob er sich geschworen hatte, Hugo
und Rumer nicht böse zu sein. Er war es doch. Er mochte nicht, zu denken,
besser als Hugo zu sein, und er tat es trotzdem. Er war kein Held.
„Was…?“,
begann sie, aber er atmete tief ein.
„Onkel
Ron ist bei uns, und… Tante Hermine ist nicht mehr da – und wir…- Lily hatte
den Plan, dass du und Scorpius mit Onkel Ron reden müsst, weil… alles nur daran
liegt, dass keiner mit keinem redet.“ Und jetzt, wo er es wiederholte, klang
der Plan… lahm. Rumer blinzelte verblüfft.
„Was?“,
wiederholte sie verwirrt, und James fuhr sich durch die Haare, nachdem er ihren
Besen gegen den Balkon gelehnt hatte.
„Scorpius
ist vor Roses Haus und wartet auf dich. Dort würde ich dich hinbringen, sofern
du… überhaupt alles für Hugo riskieren willst“, räumte er bitter ein, und sah,
dass sie fröstelte. „Darf ich… rein?“, erkundigte er sich bloß, und schließlich
wich sie zur Seite und ließ ihn rein. Er rieb sich die kalten Hände.
„Du…
hast Scorpius abgeholt und… jetzt willst du mich abholen, damit wir Mr. Weasley
überzeugen können, dass… wir mit seinen Kindern zusammen sein können?“
„Ja,
so ziemlich“, bestätigte er.
„James“,
begann sie mitfühlend, aber er winkte ab.
„Familie
kommt zuerst, und… ich will nicht, dass meine Paten sich trennen, weil… sie
nicht wissen, wie großartig du eigentlich bist.“ Er war erbärmlich. Manchmal
beneidete er Albus um seine Coolness. Albus hätte ein Mädchen wie Rumer halten
können, nahm er bitter an. Dann wiederum – stand Albus auf andere Dinge.
„Wow“,
flüsterte sie.
„Hugo
also?“, vergewisserte er sich, vielleicht mit ein klein wenig Hoffnung, und
beschämt fiel ihr Blick.
„Es…
tut mir wirklich leid.“ Sie sagte es schon wieder. Als sie ihn abserviert
hatte, hatte sie sich tausendmal bei ihm entschuldigt, ihm allerdings nicht
gesagt, dass es um Hugo ging.
„Vergiss
es“, murmelte er bloß. Was dachte er? Dass er hier hinkam, wegen Hugo, aber
vielleicht doch noch Chancen bei ihr hatte? Leider funktionierte es so nicht.
Und Hugo war auch noch zwei Jahre jünger als er. Gerne würde er sie fragen, was
genau dieser unscheinbare, nervtötende Weasley an sich hatte, aber, wenn er
ehrlich war, wollte er es gar nicht so genau wissen. „Also…?“ Er sah sie
abwartend an.
„Ich
ziehe mich an“, sagte sie, mit einem Mal wach.
„Äh,
ich… warte auf dem Balkon“, erwiderte er und verschwand wieder nach draußen.
Mehr als einmal wollte er sich umdrehen, und vielleicht einen Blick auf sie
erhaschen, aber er zwang sich, kein Arsch zu sein. So schwer das auch war.
Dann
kam sie nach draußen und verschloss ihre Jacke. „Denkst du, das klappt?“,
wollte sie besorgt wissen, als er ihren Arm sanft unter seinen hakte.
„Sag
du es mir“, erwiderte er und sah ihr tief in die Augen, zog alle Register
seines Potter-Charmes. Sie schien es nicht mal zu merken und kaute abwesend auf
ihrer Lippe.
„Für Hugo muss ich es versuchen“, flüsterte sie traurig, und James blies
besiegt die Luft aus.
„Für
Hugo“, murmelte er bitter. Dann apparierten sie in die Nacht.
Er
hatte Rumer abgesetzt, und jetzt warteten sie und Scorpius nervös auf das, was
kommen würde. James war endlich wieder Zuhause gelandet, und Lily wartete
bereits an der Tür.
„Alles
geklappt?“, wisperte sie, und James nickte erschöpft.
„Ja“, bestätigte er still.
„Ok,
das ist der Plan“, fuhr sie fort. „Ich wecke Onkel Ron, sage, dass Hugo über
Floh angerufen hat, und dass Rose abgehauen ist“, begann sie, und James‘ Mund
öffnete sich. „Und dann vermute ich, dass sie denkt, Tante Hermine wäre wieder
Zuhause, und dass er dorthin apparieren muss!“
„Denkst
du, das kauft er dir ab?“, wollte James unsicher wissen, aber Lily zuckte die
Achseln.
„Das
muss er. Ansonsten… ansonsten überlege ich mir was“, murmelte sie. „Also,
verschwinde. Ich gehe rein“, verkündete sie, und James schlich die Treppe hoch,
während Lily den Flur entlang zum Gästezimmer lief. Oben traf er auf Albus, der
sich vors Treppengeländer gekauert hatte und lauschte.
Sie
hörten, wie Lily klopfte, und auch James duckte sich runter zu Albus.
Dann hörten
sie ihre aufgelöste Stimme. Sie erzählte die Geschichte so, wie sie James
gesagt hatte. Es folgte ein kurzes Gespräch, was sie nicht verstehen konnte,
dann wieder Lilys gequälte Stimme, wie sie davon sprach, Rose schlecht
behandelt zu haben, dass es alles ihre Schuld war, und dass sie nicht mit sich
leben könnte, würde Tante Hermine nicht wiederkommen, und dass Rose bestimmt
etwas Dummes anstellen würde, wenn sie vor dem leeren Haus stand, wo niemand
war, wo sie doch so schlecht apparieren konnte.
Erfolgreich
hielt Lily Onkel Ron davon ab, im Fuchsbau Bescheid zu geben, oder ihre Eltern
zu wecken. Lily redete solange auf ihn ein, versprach, ihren Eltern zu sagen,
wo er war, bis Onkel Ron hastig in seine Jacke stieg und die Haustür aufzog.
Und
kaum war die Tür ins Schloss gefallen, entflammte das Licht unten im Flur.
„Was
genau veranstaltet hier, mitten in der Nacht?“, wollte ihre Mum gänzlich
gereizt wissen, und Lily war erschrocken zusammen gefahren. „War das Ron? Ist
er gegangen? Was er hat gesagt?“, wollte sie von Lily wissen, und James erhob
sich hastig.
„Er…
wollte zurück in den Fuchsbau, weil… er Rose und Hugo nicht länger alleine
lassen wollte.“ Seine Mum hob verwirrt den Blick nach oben zum Geländer, und
auch Albus kam auf die Beine.
„Was?“,
sagte sie entgeistert.
„Lily
hat ihm gesagt, dass es wichtig wäre, mit seinen Kindern zu sprechen und ihnen
zu vertrauen, und er wollte zurück“, bestätigte Albus seine Geschichte, und
seine Mum sah Lily an.
„Stimmt
das?“, entfuhr es ihr äußerst ungläubig, und Lily nickte stumm, bevor sie so
waschechte Tränen weinte, wie nur ihre Schwester es konnte. „Oh, meine Kleine,
nicht weinen“, rief ihre Mum sofort aus, und Albus streckte ihm unauffällig die
flache Hand entgegen. Blind schlug James leise ein – und verdammt, sie waren
ein schrecklich gutes Team.
Blieb
nur noch zu hoffen, dass Scorpius und Rumer sich nicht dumm anstellten.
Es waren zehn Minuten vergangen, und
Scorpius blies sich warme Luft in die gefalteten Hände. Auch Rumer fror neben
ihm in ihrer dünnen Jacke.
„Hat
James versucht, bei dir zu landen?“, wollte Scorpius still von ihr wissen, und
Rumer schoss ihm einen wütenden Blick zu, aber er hatte das dringende
Bedürfnis, die Situation aufzulockern, sonst würde er sich übergeben.
„Witzig,
Scor“, gab sie genervt zurück. Er nahm an, das bedeutete Ja. Sie war
schrecklich nervös. So wie er. Nur hoffte er, ihm sah man es nicht so deutlich
an, wie Rumer.
„Hast
du Angst vor ihm?“, wollte er ernsthaft wissen, und Rumer zuckte die Achseln.
„Vor
Mr. Weasley?“, vergewisserte sie sich leise. „Immer ein bisschen“, räumte sie
schließlich ein. „Du?“ Scorpius hatte verdammte Panik. Das letzte Mal hatte er
geglaubt, Mr. Weasley würde ihn erwürgen. Und dieses Mal…- wer wusste, was
passieren würde, wo Rose nicht da war, um sich dazwischen zu stellen…?
„Hab
meinen Zauberstab dabei“, erwiderte er lediglich, auch wenn das keine direkte
Antwort war. Rumer sah ihn mit großen Augen an.
„Er
ist Auror“, informierte sie ihn, als wisse es Scorpius nicht. Merlin, er wusste
das! Er würde den Zauberstab vor Nervosität wahrscheinlich nicht mal halten
können, käme es zum Äußersten.
„Wenn…
wenn er mich erwürgt, kann ich mich wehren“, entkam es ihm tonlos, und offen
gesagt glaubte er, nicht mal dann könne er sich wirklich wehren. Seiner Stimme
fehlte jede Überzeugung.
„Er
wird dich nicht erwürgen“, murmelte sie, klang aber nicht gänzlich überzeugt.
„Wir
können uns darauf einigen, dass du es leichter haben wirst“, beschloss Scorpius
bitter.
„Und warum das bitteschön?“, entfuhr es Rumer gereizt, aber Scorpius schenkte
ihr einen eindeutigen Blick.
„Du
bist ein Mädchen, du gehst nach Gryffindor, du bist Roses beste Freundin, und
du hast keinen Schwanz“, schloss er finster, und Rumers Mund schloss sich
knapp.
„Er
hasst meine Mum, wie er deinen Dad hasst, ok?“ Scorpius wusste, sein Dad war
Rumers Patenonkel. Und langsam stiegen Zweifel in ihm auf, ob das wirklich der
beste Schlachtplan war, ob sie wirklich auf die Potters hören konnten – denn
Mr. Weasley war deren Patenonkel, nicht ihrer. Immer wieder waren Scorpius in
den letzten Wochen massive Zweifel gekommen.
„Wüsste
Hugo, was wir hier tun, würde er uns Vollidioten schimpfen“, murmelte sie, fast
mit einem Lächeln.
„Jaah.
Aber… das würde er so oder so“, schloss Scorpius nickend.
„Er
hätte das niemals zugelassen“, fuhr Rumer versonnen fort.
„Ja,
ich glaube auch, Rose hätte eher mit mir Schluss gemacht, als erlaubt, dass ich
mich in solche Gefahr begebe.“ Er wusste, es bestand durchaus die Gefahr, dass
Mr. Weasley ihn verfluchen würde. Er war sich absolut sicher.
„Weißt
du, ich… denke, es könnte helfen, mit ihm zu reden. Wirklich“, beteuerte Rumer.
„Ich
glaube, wir handeln überstürzt“, sagte Scorpius kopfschüttelnd, aber Rumer
widersprach.
„Nein,
Scorpius. Jetzt ist der Zeitpunkt richtig. Mr. Weasley ist verletzlich, seine
Frau ist nicht da, er ist müde und verzweifelt“, schloss sie düster.
„Sicher,
dass die erste Wahl des Hutes Gryffindor gewesen ist?“, wollte er mit
gerunzelter Stirn von ihr wissen, und tatsächlich schenkte Rumer ihm ein
schmales Lächeln.
„Nein“,
bestätigte sie seine Vermutung. „Es war nicht mal seine zweite Wahl.“ Scorpius‘
Mund öffnete sich. „Aber nach den all Geschichten, die meine Mutter über das schreckliche
Haus Gryffindor erzählt hatte – gab es für mich keine andere Wahl, als das.“
„Dann…
hast du ihr nicht richtig zugehört?“, vermutete Scorpius mit einem feinen
Lächeln, aber Rumer zuckte die Achseln.
„Oh doch. Waghalsige, idiotische Helden, die Mut nicht von Leichtsinnigkeit
unterscheiden können. Arrogante Gutmenschen, die Kriege nicht durch Strategie,
sondern ein gutes Herz meistern, doch. Ich habe zugehört“, schloss sie
zufrieden.
„Wow.
Was war die zweite Wahl?“, wollte er interessehalber wissen.
„Ravenclaw“,
sagte sie achselzuckend.
„Verdammt,
Rumer. Du hättest zu den Klügsten gehen können und hast dich für die
Wahnsinnigen entschieden“, bemerkte er kopfschüttelnd.
„Tja,
hab ich kein Problem mit.“
Still
hingen sie ihren Gedanken nach, und als er fast vergessen hatte, warum sie vor
dem Haus der Weasleys standen, apparierte eine Gestalt in der Nacht, und beide
zuckten zusammen. Mr. Weasley war mit der jahrelangen Präzision und Übung eines
Aurors gelandet, die Scorpius unbewusst direkt beneidete, und näherte sich
ihnen mit schnellen Schritten, bevor er verblüfft innehielt, als er sie
erkannte. Sein Mund hatte sich geöffnet, und perplex starrte er ihnen entgegen.
Sein
Gesicht war blass, Scorpius erkannte so viel, und langsam schloss er den
Abstand.
„Was…
was tut ihr hier?“, entkam es dem Mann vor ihnen entgeistert, und sehr schnell
stellte Scorpius fest, dass er größer war, als in seiner angstvollen Erinnerung.
„Wo… wo ist Rose?“ Die Frage galt ihm, aber Rumer antwortete.
„Mr. Weasley, Rose ist im Fuchsbau“, begann sie, aber Mr. Weasley schüttelte
den Kopf, hinterfragte wohl zunächst nicht einmal, weshalb sie beide hier waren
und sah sich um, sanfte Panik im Blick.
„Nein!
Nein, ist sie nicht! Lily sagte, sie sei dort abgehauen, sie-“
„-Lily
hat gelogen“, unterbrach sie ihn tonlos, und jetzt verstummte Mr. Weasley
abrupt. Kurz trat Stille ein, und Mr. Weasleys Ausdruck war gänzlich
entgeistert. „Wir… wollten mit Ihnen reden? Sir?“, ergänzte sie vorsichtig, und
ausdruckslos starrte der Mann sie jetzt an. Er war erstaunlich breit gebaut, ging
es Scorpius dunkel durch den Kopf. Es war ihm letztes Mal gar nicht
aufgefallen. Sanfte Ungeduld verzerrte seine Züge, und auch wenn die Hälfte
seines Gesichts durch den hochgeschlagenen Kragen seines Mantels verborgen
blieb, erkannte Scorpius die Wut langsam deutlicher.
„Was?“,
fuhr er Rumer jetzt an. „Was soll das heißen? Wie… wie seid ihr überhaupt hier
her gekommen?“, wollte er jetzt wissen. „Ihr seid minderjährig, ihr könnt
nicht-“
„-James
hat uns geholt“, gab Rumer sofort preis, und Mr. Weasley verstummte wieder,
schien es nicht fassen zu können. Er schloss kurz die Augen, bevor er sie
kopfschüttelnd wieder öffnete.
„Nein“,
sagte er fest, als wäre es die Antwort auf eine Frage. „Ich bringe euch nach
Hause. Es ist spät, es ist kalt, und-“, begann er warnend, aber Rumer schien
seltsamen Gryffindor-Mut gefunden zu haben.
„-wir wollen nicht nach Hause“, widersprach sie eilig, und Scorpius konnte sich
nicht anschließen. Noch lebte er. Noch hatte niemand geschrien. Aber Rumer
wirkte wild entschlossen. „Wir wollen mit Ihnen reden.“
„Rumer“,
begann Mr. Weasley müde, „es gibt nichts zu reden.“ Seine Stimme klang recht
erbarmungslos, aber das schien Rumer nicht aufzuhalten.
„Es
gibt sehr viel zu reden!“, rief sie aus. „Ich… ich mag ihren Sohn. Sehr sogar.
Und… ich will mit ihm zusammen sein, egal, wie widerlich meine Mutter ist! Und
Scorpius liebt Rose!“, riss sie ihn direkt mit in den Abgrund, und frische Wut
flackerte über Mr. Weasleys erschöpfte Züge. „Und… ich weiß, Sie haben etwas
dazu zu sagen. Ich weiß, dass es… schwierig ist und Sie das nicht wollen,
aber-“
„-ich
werde euch nach Hause bringen“, wiederholte Mr. Weasley ernster und Rumer
schwieg endlich. Sein Blick fiel jetzt auf sein Gesicht, und Scorpius wusste,
er musste seinen verdammten Mund aufkriegen – oder nie wieder etwas sagen. Wenn
es heute Abend sein musste, dann… würde es heute Abend eben zu Ende gehen. Dann
würde er sich opfern. Für Rose Weasley.
„Sir“,
begann er steif, und scheinbar reizte Mr. Weasley schon die eine Silbe aus
seinem Mund, denn er wirkte noch angespannter. „Ich… ich liebe Ihre Tochter“,
brach es aus ihm hervor, und seine Stimme zitterte. Mr. Weasley reagierte
zuerst nicht, bevor er schließlich die Augen verdrehte.
„Scorpius“,
begann er tatsächlich, sprach seinen Namen widerwillig, aber um Ruhe bemüht –
vielleicht auch eine Spur angewidert, aber Scorpius wollte nicht zuhören. Er
wollte nicht wissen, warum es Mr. Weasley nicht interessierte, warum er ihn
wegbringen wollte.
„Ich
weiß, Sie hassen mich und meinen Dad“, sagte er kurzerhand, und Mr. Weasley
schwieg daraufhin. „Ich weiß, Sie denken, wir sind alle Todesser, sind alle
Abschaum und werden niemals irgendetwas anderes sein“, entfuhr es ihm, und Mr.
Weasleys Mund öffnete sich protestierend, aber Scorpius sprach weiter. „Mein
Dad… war ein Arschloch, wie sein Vater eines war. Ich weiß das. Ich weiß auch,
dass Voldemort nicht die Entschuldigung für alles sein kann. Mein Dad hat
widerliche Dinge zu Ihnen und Ihrer Frau gesagt, und er zwingt mich seit
Jahren, mich mit Vorurteilen auseinanderzusetzen und zu begreifen, warum es
falsch war. Warum Ideologien falsch sind. Und Sie wissen, dass ich anders bin!
Sie wissen das!“, warf er ihm jetzt vor. „Sie wissen, wer meine Freunde sind.
Und wäre meine Mum noch hier, wäre nicht mein Dad das einzige, was Sie von mir
kennen, dann würden Sie nicht meinen Dad in mir sehen“, schloss er zitternd.
„Denn meine Mum war gut, Mr. Weasley. Sie war… wirklich perfekt, und sie hat
mir die Heldengeschichten von Ihnen und Mr. Potter einhundert Mal vorgelesen“,
rief er aus. „Ich will Auror werden, wie Sie und Mr. Potter, ich… will nichts
weiter, als die eine Chance. Ich weiß, ich war mit Dominique zusammen, aber… es
war nicht das richtige, das weiß ich jetzt. Was ich für Rose empfinde,
übertrifft alles vorherige, Mr. Weasley, und es tut mir leid. Wirklich. Ich… komme
aus einer schrecklichen Familie, aber… mein Dad gibt sich wirklich Mühe, Dinge
zu ändern. Er… ist kein Arschloch mehr, Mr. Weasley, und ich bin kein Arschloch“,
beteuerte Scorpius schwach und wusste schon nicht mehr, was er gerade alles
gesagt hatte. Aber er zitterte, und plötzlich fielen Tränen auf seine Wange, so
sehr zehrte es an seinen Nerven. Mr. Weasley starrte ihn vollkommen entgeistert
an. Niemand schrie. Rumer neben ihm schluchzte ebenfalls.
Schließlich
atmete Mr. Weasley lange aus, und Scorpius wagte nicht, den Blick zu senken,
wagte nicht einmal zu atmen. Dann schloss Mr. Weasley die Augen, rieb sich das
Kinn, bevor er gereizt stöhnte.
„Wir
gehen rein, und dann sage ich euren Eltern Bescheid, dass ihr hier seid“,
informierte er sie kopfschüttelnd, und dann ließ er sie stehen und öffnete die
Haustür. Rumer tauschte einen unglücklichen Blick mit ihm und sie folgten ihm
ins Haus, wo Mr. Weasley das Licht entfachte. Mit einem Schlenker seines
Zauberstabs machte er Feuer im Kamin, und Scorpius und Rumer zog es wie manisch
zu der angenehmen Wärme. Überall hingen bewegte Fotos der Familie. Rose
strahlte ihm entgegen, zog verspielt an ihren Haaren, und Hugo streckte ihm die
Zunge raus, auf einem Foto, wo er vielleicht fünf Jahre alt war.
Ein
eigenartiges Gefühl befiel Scorpius. Er… fühlte sich nicht fremd hier, fühlte
sich nicht falsch. Es konnte nicht sein, dass Mr. Weasley ihm verbot, bei Rose
zu sein. Es durfte nicht sein. Er wollte hier sein.
Mr.
Weasley warf das Pulver in den Kamin.
„Ich
flohe deinen Vater an“, informierte er Scorpius, und Scorpius wusste, Mr.
Weasley kannte die Adresse. Er hatte seinen Dad schließlich schon häufiger über
Floh erreicht. Mr. Weasleys Kopf verschwand im Kamin, und irgendwann vernahm
Scorpius die besorgte Stimme seines Vaters, die er nicht verstehen konnte. Dann
zog Mr. Weasley den Kopf zurück, und es vergingen unangenehme Sekunden, in
denen Scorpius krampfhaft überlegte, wie er Mr. Weasley noch umstimmen konnte,
aber ihm fiel nichts ein. Sein Kopf war leer. Dann loderten die Flammen grün,
und sein Vater trat vom Rost des Kamins. Er hatte lediglich seinen Morgenrock
übergeworfen. Er wirkte blasser als sonst.
„Scorpius!“,
rief er aus, erkannte die Tränen auf seinen Wangen und zerrte ihn näher. „Alles
ok? Bist du in Ordnung?“, wollte er wissen, und Scorpius nickte, unfähig zu
sprechen, und mehr Tränen fielen auf seine Wange und sein Vater schloss ihn in
die Arme. „Was… was passiert hier? Wie seid ihr hier her gekommen?“, entfuhr es
seinem Vater überfordert, und Scorpius hörte Mr. Weasley ausatmen.
„James
hat sie gebracht“, erklärte er bitter.
„James?
Potter?“, wollte sein Vater ungläubig wissen.
„Ja“,
bestätigte Mr. Weasley tonlos. „Scheinbar… haben die Kinder über Floh
gesprochen, und-“ Kurz unterbrach er sich und schwieg, bevor er sich zu sammeln
schien. „Hermine hat mich heute verlassen.“ Scorpius hörte ihm gebannt zu und
spürte, wie sich sein Vater versteifte.
„Was?“,
wisperte er fassungslos. Mr. Weasley schwieg daraufhin. „Sie… sie hat was?“,
wiederholte er bloß und Mr. Weasley entfuhr ein unglücklicher Laut.
„Scheiße“,
flüsterte er zornig. „Keine Ahnung, was… was passiert ist!“, entfuhr es ihm,
und sein Dad löste sich von ihm. Wütend sah Mr. Weasley seinem Vater entgegen,
bevor die angespannten Züge langsam wieder verschwanden. „Pansy war heute
hier.“ Sein Blick galt Rumer, und diese schluckte schwer.
„Pansy?“,
wiederholte sein Dad ungläubig, und wandte sich an Rumer. „Alles ok mit dir?“,
erkundigte er sich knapp bei seiner Patentochter, und diese nickte bloß. „Was
bei Merlin wollte Pansy hier?“, fuhr sein Dad fort, und Mr. Weasley legte kurz
den Kopf in den Nacken.
„Ich
bin jetzt mit Hugo zusammen“, erklärte Rumer es still, aber sehr deutlich, und
sein Vater blinzelte verblüfft, bevor er lange ausatmete.
„Oh“,
entkam es ihm, passend knapp, und Mr. Weasley öffnete die Augen wieder. „Das
Gespräch lief also entsprechend schlecht?“, vermutete sein Vater seufzend.
„Scheinbar
bin ich ein Rassist und ein Arschloch, weil ich Sorge habe, dass…“ Aber Mr.
Weasleys Blick glitt über ihn und Rumer, und er wandte den Blick schließlich
ab. „Ich weiß nicht mal mehr, warum ich Sorge habe“, entkam es Mr. Weasley
resignierend, und sein Blick fiel. Bevor sein Vater etwas erwidern konnte, sah
Mr. Weasley ihn wieder an. „Sag du es mir“, verlangte er müde. „Was soll ich
verdammt noch mal tun?“, wiederholte er ratlos.
„Geben
Sie uns eine Chance“, antwortete Scorpius anstelle seines sprachlosen Vaters
jetzt rau. Sein Vater sah ihn überrascht an. „Bitte“, ergänzte er beinahe
tonlos. Zuerst dachte er, Mr. Weasley würde nicht mehr mit ihm reden, aber dann
brach Sorge durch die zornige Maske auf seinem Gesicht.
„Und
wenn du ihr wehtust, was dann?“, entfuhr es Mr. Weasley völlig ernst. „Wenn du
sie verlässt? Ihr Herz brichst? Wenn… sie mir die Schuld gibt, sie nicht
geschützt zu haben?“ Er fragte es mit so einer Überzeugung, dass Scorpius
schlucken musste.
„Das
werde ich nicht!“, behauptete Scorpius sofort, fast verzweifelt, und er wusste,
es klang wie eine leere Versprechung.
„Nein?
Kannst du mir das versprechen?“, wollte er schärfer wissen. „Kannst du es
schwören? Auf das Grab deiner Mutter?“ Sein Vater regte sich, aber Scorpius
reagierte schneller.
„Nein,
das kann ich nicht, Mr. Weasley. Aber ich… liebe Rose. Jetzt, in dieser
Sekunde. Mehr als mich“, ergänzte er mit zitternder Stimme. „Und ich werde ihr
nicht wehtun. Niemals. Das zumindest schwöre ich Ihnen“, schloss er, und die
Hände seines Vaters hatten sich zu Fäusten geballt.
„Tja.
Das scheint mehr zu sein, als ich meiner Frau versprechen kann, also…“, schloss
Mr. Weasley bitter.
„Also?“,
griff Scorpius lauernd das Wort auf, und Mr. Weasley seufzte.
„Also
gut“, sagte er widerwillig, und Scorpius‘ Mund öffnete sich verblüfft. Mr.
Weasley schenkte ihm einen neutralen Blick. „Solange… diese Beziehung hält,
werde ich mich bemühen, dich zu akzeptieren, Scorpius Malfoy. Das verspreche
ich dir“, räumte er offen ein. Scorpius entwich die angehaltene Luft.
„Danke“,
sagte er rau.
„Und
Rumer“, fuhr Mr. Weasley fort, „ich hoffe, Hugo ist der richtige für dich. Und
all der Ärger ist es wert“, schloss er mit erhobenen Augenbrauen. Rumer
schluchzte auf, bevor sie Mr. Weasley in die Arme fiel. Gänzlich erschrocken
legte er irgendwann die Arme um Rumer und streichelte beruhigend ihren Rücken.
„Schon gut, Rumer“, murmelte er kopfschüttelnd, und Scorpius konnte nicht
fassen, dass Rumer richtig gelegen hatte. Wahrscheinlich war genau heute der richtige
Zeitpunkt gewesen.
„Du
weißt, dass wir deine Gnade garantiert nicht brauchen, ja?“, informierte sein
Dad Mr. Weasley nun äußerst angespannt, und Scorpius befürchtete fast, dass
gleich jeder Fortschritt dahin wäre, sollten sich beide Männer duellieren oder
prügeln, oder sonst was Dummes anstellen. „Und niemand muss auf die Gräber von
irgendwem schwören“, ergänzte er bitter.
Mr.
Weasley löste sich seufzend von Rumer. „Ok“, räumte er müde ein. Sein Vater
verzog knapp den Mund, sagte aber nichts mehr.
„Onkel Draco?“, begann Rumer jetzt, „bitte sag meiner Mum nicht Bescheid, ok?
Sie benutzt ohnehin Schlafzauber und würde niemals merken, dass ich nicht da
bin! Du weißt, wie schrecklich sie ist, wenn sie ihren Schönheitsschlaf
versäumt!“, bat sie ihn sofort, und Draco verdrehte die Augen.
„Es
war eine sehr dumme Aktion von euch“, bemerkte er gereizt, gab aber schließlich
nach. „Aber ich habe heute Abend auch keine Lust mehr auf Pansys Geschrei,
also…“ Der Wind heulte laut um das Haus, rüttelte an den Fensterläden, und der
Schnee trieb nun in dichten Schwaden vorbei. „Du kannst bei uns schlafen, Rumer“,
schloss sein Dad dann, bevor er lange ausatmete, weil er begriff, was jetzt
gerade nicht zu ändern war. „Sobald wir apparieren können“, ergänzte er finster,
und Mr. Weasleys Blick glitt ebenfalls nach draußen ins Schneetreiben vor dem
Haus. Sie mussten apparieren, denn über den Kamin konnten sie nicht zurück ins
Haus, ging Scorpius auf. Niemand war da, um es zu gestatten.
„Bleibt“,
sagte Mr. Weasley dann, aber sein Dad schoss ihm einen kalten Blick zu.
„Danke,
eher schlafe ich im Schnee“, erwiderte sein Vater recht eindeutig.
„Du
willst also am Fenster warten, bis womöglich die Sonne aufgeht, um zu
apparieren, ja?“, entgegnete Mr. Weasley spöttisch, aber sein Vater blieb
eisern.
„So
ungefähr“, bestätigte er bitter. „Wieso interessiert es dich?“, fuhr er
abschätzend fort. „Zuerst willst du uns loswerden, um uns jetzt zu nötigen, zu
bleiben?“ Sein Vater schien es anders zusehen, als Scorpius es tat. Scorpius
fühlte Erleichterung, aber er wusste, sein Vater nahm Mr. Weasley den Kommentar
über das Grab seiner Mutter übel. Sehr, sehr übel. Mehr, als Scorpius es tat. „Angst
allein, Auror Weasley?“, vermutete sein Vater, gefährlich sarkastisch, und Mr.
Weasley betrachtete ihn fast ruhig.
„Bleibt“,
wiederholte er, fast neutral, fast resignierend.
„Weißt
du was, Weasley?“, begann sein Vater, nahe dran, ausfallend zu werden, Scorpius
spürte es.
„Wieso
guckt ihr nicht was? Rumer, du weißt, wie der Fernseher funktioniert,
richtig?“, unterbrach Mr. Weasley die sehr wahrscheinliche Beleidigung seines
Vaters sehr demonstrativ, und Rumer reagierte sofort.
„Ja,
sicher! Komm, Scor“, sagte sie hastig, denn wahrscheinlich wollte auch sie
diesem Streit nicht beiwohnen. Scorpius war mäßig überfordert, aber Rumer schob
ihn zur Couch, und er ließ sich mit sanfter Gewalt in die Kissen zwingen,
während Rumer die flache schwarze Scheibe ohne Magie zum Leuchten brachte. Scorpius
konnte diese Muggel-Magie bloß anstarren, während er mehrere Menschen in einer
Küche erkennen konnte. Gelächter drang aus dem flachen Kasten, und sein Vater
und Mr. Weasley verließen das Wohnzimmer.
Kurz
hatte Scorpius Sorge, dass sie sich verfluchen würden, aber dann musste er weit
gähnen. Gegen seinen Willen sank er tiefer in die Kissen, während Rumer auf
eine Box drückte, und das Bild auf der Scheibe wechselte.
„Oh
ja“, murmelte sie zufrieden. „Alte Glücksradfolgen“, entkam es ihr erfreut, und
Scorpius Augen schlossen sich blinzelnd, während er Rumer nicht mehr wirklich
zuhörte. Er war so erschöpft. So schrecklich müde. Es war so verdammt
anstrengend, sein Herz auszuschütten. Wirklich… anstrengend.
Dracos Blick fiel wieder auf die
Flasche Scotch, und er wusste, es handelte sich um eine regelrechte Seltenheit.
Bestimmt siebzig Jahre alt, unfassbar teuer – etwas, was sich vielleicht in
Lucius‘ Vorrat oder im Club finden ließ. Garantiert nicht im billigen
Küchenschrank der Weasleys. Und Weasley hatte zwei Gläser auf den Tresen
gestellt. Zwei. Aber Draco war sauer, wirklich sauer.
Was
erlaubte sich dieser Wichser eigentlich?
„Willst
du da stehen bleiben?“, erkundigte sich Weasley erschöpft, und Draco wollte
fast erwidern, dass er auf keinen Fall am selben Tresen mit Weasley sitzen
würde, aber er wusste, es wäre albern und trotzig.
„Du
hast keine Ahnung, wie es ist, seine Frau zu verlieren“, knurrte er zornig.
„Jetzt
gerade kann ich es mir ausmalen, Malfoy“, gab Weasley gereizt zurück, und Draco
atmete zornig aus.
„Fick
dich, Weasley“, entfuhr es ihm scharf, und Weasleys Blick hob sich langsam.
„Deine Frau braucht eine Auszeit, das ist alles. Meine Frau kommt nie wieder.
Und deine dämlichen Sprüche, deine unfassbare-“
„-es
tut mir leid“, sagte der rothaarige Mann mit ruhiger Stimme, und Draco schwieg
abrupt.
„Du
kannst dir dein Mitleid sparen. Ich will nicht-“
„-ich
weiß“, unterbrach ihn Weasley erneut. „Es tut mir leid, Malfoy. Ich… hatte es
nicht so gemeint.“
„Mir
scheiß egal“, entfuhr es Draco unwillig.
„Ok“,
sagte Weasley schlicht, füllte das zweite Glas mit goldener Flüssigkeit und
schob es über den Tresen. Dracos Kiefer arbeitete unschlüssig.
„Waffenstillstand?“, fragte Weasley knapp, und halb zornig, halb gereizt
schloss Draco den Abstand, setzte sich auf den Hocker, und griff sich das Glas.
Der teure, vollendete Duft des fabelhaften Getränks stieg in seine Nase, und er
konnte nicht fassen, wie satt der Geschmack allein in seiner Nase zu erkennen
war.
„Du
solltest eine solche Flasche nicht offen stehen haben“, entfuhr es Draco, ohne
dass er sich halten konnte.
„Die
halten nie lange vor, also macht es nichts“, entgegnete Weasley achselzuckend.
„Was
meinst du damit?“, wollte er wissen, und hatte noch nicht gewagt, zu trinken.
„Was
ich damit meine?“, wiederholte Weasley verständnislos. „Ich habe vier Brüder
und einen besten Freund, die regelmäßig zu mir kommen und meine Vorräte
austrinken – von meinem Vater ganz zu schweigen. Diese Flaschen kaufe ich
praktisch jeden Monat neu“, schloss er eindeutig. Draco sah ihn ungläubig an.
„Diese
Flasche allein kostet rund zweitausend Galleonen“, sagte er, mit milder
Ehrfurcht in der Stimme.
„Ja.
Ist mir klar“, sagte Weasley bloß, und Draco konnte den entgeisterten Blick
nicht verhindern. Weasley lächelte ein nachsichtiges Lächeln. „Wir sind nicht
arm, Malfoy. Wir haben uns lediglich für ein einfaches Haus entschieden. Zwar liegen
Welten zwischen deinem Reichtum und unseren, aber wie ich meine Kriegsabfindung
anlege, entscheide ich. Und mit wem ich sie teile ebenfalls“, ergänzte er mit
eindeutigem Blick.
Und
Draco nickte schließlich. Er trank einen Schluck und musste kurz die Augen
schließen, so gut war es. „Das Gold gehört Lucius, nicht mir“, fühlte er sich
gehalten, klarzustellen. „Oder… vielmehr wird es Scorpius gehören. Was mir auch
recht ist.“ Beinahe gierig trank er noch einen köstlichen Schluck. „Ich wusste
nicht, dass die Kinder so etwas geplant haben“, sagte er schließlich und zwang
sich, das Glas zurückzustellen, sich noch etwas aufzuheben. Angenehme Wärme
erfüllte seinen Körper. Er hob den Blick und betrachtete den Mann vor sich, der
immer wieder über die polierte Fläche des Tresens strich.
„Ich…
bin nicht wie Harry“, entkam es Weasley bitter. Bevor Draco diese Worte
bestätigen konnte, sprach Weasley weiter. „Ich… dachte immer, ich wäre es.
Zumindest… im Ansatz“, schloss er kopfschüttelnd. „Aber… wie Harry mit Dingen
umgeht…- dass Albus nach Slytherin kam, dass Albus sich mit deinem Sohn
angefreundet hat – Harry hat… es einfach hingenommen. Es war kein Problem.
Merlin, weißt du, wie anstrengend das ist? Und meine Frau…“, fuhr er
unglücklich fort, „meine Frau will diese Welt mit aller Macht verbessern und
hat Mitleid mit ehemaligen Todessern, verflucht noch mal. Wie soll man da mit
halten? Wie?“ Er hob den Blick und sah ihn an. „Ich versuche es. Wirklich. Aber…“
„Aber
es ist einfacher, Vorurteile zu haben. Schon klar“, schloss Draco, mit dem
rechten an Maß an Vorwurf.
„Und
das sagst gerade du“, bemerkte Weasley freudlos.
„Ich
muss meinem Sohn ein Beispiel sein“, erwiderte er ernst.
„Du
bist wirklich ätzend“, entfuhr es Weasley nickend, als hätte er es sich die
ganze Zeit über gedacht. Draco musste fast lächeln.
„Pansy
hat mir so oft vorgeschlagen, dass Scorpius Rumer heiraten soll, wenn sie Hogwarts
verlassen, ich weiß nicht mal mehr, wie oft ich abgelehnt habe“, entgegnete
Draco nachdenklich. „Vielleicht hast du Recht, und ich bin ein erbärmlicher
Witwer, der Anerkennung auf der anderen Seite sucht“, vermutete er schließlich.
„Das
ist meine Vermutung, ja“, bestätigte Weasley nickend. „Weißt du, ich hasse es,
wenn sie nach Hause kommt und mich ansieht, wie einen Wahnsinnigen, wenn ich
auch nur ansatzweise behaupte, dass du ein Arschloch wärst, was seine Show
abzieht“, schloss er düster. Draco musste lächeln. Weasley hob den Blick. „Sie
kann dich leiden. Und sie kann deinen Sohn leiden. Und das ist ok. Ich bin
nicht eifersüchtig, ich bin… einfach genervt.“
„Ach
ja?“, wollte Draco skeptisch wissen, denn für ihn klang es nach Eifersucht.
„Du
bist kein schlechter Mensch – mehr“, ergänzte Weasley gereizt. Fast entglitten
Dracos Gesichtszüge, bei diesem unverhofften Geständnis. „Und für diese
Erkenntnis muss Hermine mir androhen, mich zu verlassen. Es ist zum Kotzen“,
murmelte er kopfschüttelnd.
„Wir
müssen nicht befreundet sein, nur weil unsere Kinder zusammen sind“, entgegnete
Draco schlicht.
„Ja,
ich weiß“, bestätigte Weasley dunkel. „Aber sie werden dich einladen“, fuhr er
warnend fort. „Sie werden dich weiterhin einladen. Bill wird nicht die Muße
besitzen, sauer auf dich oder Scorpius zu sein, und Hermine wird sich ein Bein
dafür ausreißen, euch zu integrieren – also… so einfach, wie du es dir mit dem bequemen
Hass vorstellst, ist es nicht.“ Weasley verzog den Mund. „Und Harry hat ein
scheiß Helfer-Syndrom und wird mich wahnsinnig machen. Und irgendwann… merke
ich nicht mal mehr, dass du zum dritten Mal mit in Urlaub gefahren bist. Ich
werde dich einladen, ohne dass Hermine mich zwingt, und wenn die Kinder
heiraten, werden wir anstoßen, und mein Hass wird so mürbe sein, dass ich nicht
mal mehr weiß, warum ich Menschen wie dich verabscheue.“ Trist starrte Weasley
auf den Tresen und Draco atmete lange aus. Weasley malte ein trauriges Bild von
der Zukunft.
„Du
hast einen kranken Humor, Weasley“, bemerkte Draco, und dann zuckten Weasleys
Mundwinkel. Er hob den Blick und sah ihn an.
„Weißt
du, für Hermine würde ich alles tun. Sogar deine Anwesenheit tolerieren. Wenn
es denn sein muss.“
„Ich
kann mir vorstellen, dass ich künftig viel vorhaben werde, einige
Auslandsaufenthalte annehme – einfach… keine Zeit habe für eure Weasley-Familientreffen“,
erwiderte Draco vielsagend, und Weasleys Lächeln vertiefte sich.
„Klingt
gut“, entgegnete er nickend, beinahe dankbar. „Ich werde dich dran erinnern.“
„Und…
danke“, räumte Draco schließlich widerwillig ein. „Dass du Scorpius die Chance
gibst“, schloss er stiller. Weasley seufzte auf.
„Es
gibt Dinge, die tue ich für Hermine, und es gibt Dinge, die tue ich für Rose.
Also, bedank dich nicht. Ich… habe nicht wirklich die Wahl, wie es aussieht.
Und… er glaubt, er liebt sie. Wie oft erlebt man das in diesem Alter? Ich habe
Lavender Brown nachgestellt“, schien Weasley mit reuendem Ekel einzufallen.
„Sein Geschmack ist besser.“ Draco nickte, bevor er nachdenklich wurde.
„Und…
wie geht diese Nacht aus? Was ist mit deiner Frau?“, wollte Draco wissen, aber
Weasleys Ausdruck wirkte gequält.
„Keine
Ahnung“, erwiderte er ehrlich. „Ich hoffe, dass… sie mich nicht verlässt. Das
ist erst mal alles.“ Draco nickte daraufhin nur. Er konnte es sich nicht
vorstellen. Hermine Weasley gab nicht so einfach auf, soweit er es beurteilen
konnte.
Mit
so einer Nacht hatte er nicht gerechnet. Wirklich nicht.
Genüsslich
trank er seinen Whiskey und war schwer damit beschäftigt, seinen Verstand von
der Tatsache abzulenken, dass Ronald Weasley nicht der unerträglichste Mensch
auf dieser Erde war. Er war nicht sein Favorit, aber er rangierte gerade höher
als sein eigener Vater. Nicht, dass es eine Kunst war, aber immerhin.
Sie hatte nicht viel geschlafen, und
tausend Hippogreife hätten sie nicht dazu bewegen können, zum verurteilenden
Frühstück zu bleiben. Der Schnee war liegen geblieben, aber es stürmte nicht
mehr. Es war noch früh am Tage, aber immerhin kam sie so unbemerkt Zuhause an.
Es hatte einen Vorteil gehabt, bei ihren Eltern zu bleiben, neben den achtzig
Moralpredigten, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Magisch war sie
von der Welt abgeschnitten gewesen, hatte sich nicht mit Anrufen über Floh ärgern
müssen, hatte niemanden gesehen – und sie hatte einfach die Zeit gehabt, sich
zu sammeln. Und das war wichtig.
Jetzt
fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss und sie lehnte sich erschöpft dagegen.
Sanft hörte sie das Geräusch des Fernsehers aus dem Wohnzimmer. War Rose schon
wach? Hugo interessierte sich nicht sonderlich für das Fernsehprogramm. Sie
fragte sich, wie sauer ihre Kinder wohl waren. Sie stellte ihre Tasche ab und
schlich auf leisen Sohlen ins Wohnzimmer.
Sie
blieb im Bogen der Wand stehen und hatte für eine Sekunde das beklemmende
Gefühl, in ein falsches Haus eingebrochen zu sein, denn… ihre Familie war nicht
im Wohnzimmer.
Sie
brauchte eine geschlagene Sekunde, bevor sie Rumer erkannte, und… neben ihr lag
Scorpius Malfoy, halb eingerollt in der bunten Patchworkdecke, während er leise
schnarchte. Im Fernsehen liefen Cartoons, und als sie mit gerunzelter Stirn das
Wohnzimmer betrat, stockte sie erneut.
Draco
Malfoy war in eine liegende Position auf der kleinen Couch gerutscht, und
schlief tief und fest. Er trug… einen Morgenrock?! Ihr Blick wanderte weiter,
und sie erkannte ihren Mann auf dem Sessel, zusammengesunken, ebenfalls im
tiefen Schlaf versunken, während seine Hand in einer offenen Bertie Botts
Mini-Snacktüte hing.
Was
in Merlins Namen war hier passiert? Wieso sammelten sich in ihrem Wohnzimmer
diese fremden Leute – und… wo war ihre echte Familie?
Und
sie räumte ihm diese Chance ein, sich zu erklären und trat nahe an den Sessel.
Sie beugte sich hinab, und tippte ihm sachte auf die Schulter.
„Ron“,
flüsterte sie leise, und er bewegte sich träge im Schlaf. „Ronald“, wiederholte
sie eindringlicher, und seine Augen öffneten sich verschlafen. Es verging ein
kurzer Moment, bis er sie erkannte.
„Hermine!“,
entkam es ihm rau. Und praktisch sofort sprang er aus dem Sessel, nur um den
Mund zu verziehen, denn anscheinend schmerzte sein gesamter Körper durch die
Nacht auf dem Sessel. „Du bist hier!“, entfuhr es ihm, und Rumer bewegte sich
auf der Couch. Ron ergriff sanft ihren Arm und zog sie in die Küche.
„Was
soll das?“, fuhr sie ihn leise an. „Versteckst du Pansy auch noch irgendwo?“,
wollte sie verständnislos wissen, aber er schüttelte den Kopf und sah sie
weiterhin an, als hätte er sie Jahre nicht gesehen.
„Ich
liebe dich“, entkam es ihm hilflos, und sie schluckte schwer. Er sollte das
jetzt nicht tun. Sie waren noch lange nicht fertig. Sie hatten diesen Streit
noch nicht überwunden, aber sein wunder Blick kratzte an ihrer Kälte.
„Ich
hatte dich gebeten, dich um die Kinder zu kümmern. Und jetzt komme ich nach
Hause, und wildfremde Menschen liegen in unserem Wohnzimmer. Wo sind unsere
Kinder?“, erkundigte sie sich gefährlich ruhig bei ihm.
„Bei
meiner Mutter“, erwiderte er beschämt. „Hermine, ich… konnte nicht- ich…“
„-und
wieso bist du nicht dort? Wieso bist du-?“
„-es
ist… ziemlich kompliziert“, wich er einer Antwort aus.
„Ron, wieso liegt Draco Malfoy auf unserer Couch? Im Morgenmantel?“
„Das…
kann ich erklären“, behauptete er, milde überfordert.
„Ja?
Ich bin gespannt.“
„Die
beiden – also… Rumer und Scorpius – standen vor unserer Tür. Gestern. Mitten in
der Nacht, meine ich“, begann er eilig. „Lily sagte, es wäre Rose, aber… es war
nur…- ist auch nicht wichtig, jedenfalls kam ich hier an, und… sie haben
geweint, und…“ Hermine begriff kein einziges Wort. „Und Scorpius liebt Rose,
und Rumer mag Hugo – und… dann habe ich Malfoy gerufen, und… irgendwie… haben
wir verpasst, dass der Sturm nachgelassen hat“, fiel Ron mit Blick auf die
Flasche Scotch ein. Hermine folgte seinem Blick.
„Merlin, ihr habt die ganze Flasche getrunken?“, entfuhr es ihr schockiert.
„Hermine-“
„-wieso
sind diese Menschen hier?“, wiederholte sie ungeduldig.
„Weil
ich sie gebeten habe, zu bleiben“, erwiderte er kleinlaut. Er hatte was? Ihr
Mann hatte was?! „Es tut mir leid. Du hattest Recht, ich war ein Arschloch,
und-“
„-nein“,
unterbrach sie ihn mit leisem Zorn. „So funktioniert das nicht!“
„Wie
funktioniert es dann?“, entkam es ihm hilflos. „Ich liebe dich. Ich will dich
nicht verlieren. Nicht wegen… nicht wegen so etwas! Es tut mir leid, Hermine.
Ich… war überfordert. Es… tat so schrecklich weh. Ich meine, Rose zieht einen
Malfoy vor, und du… du verbringst viel Zeit mit Draco Malfoy – und… ich weiß,
das ist ok!“, sagte er sofort, als sie anfangen wollte, zu schreien. „Ich liebe
dich zu sehr, um ernsthaft eifersüchtig zu sein. Und… Scorpius liebt Rose,
also…“, schloss er hilflos. „Und wenn ich das akzeptieren muss, dann… ist das
so. Aber es hatte mich… einfach kalt erwischt. Ich bin nicht so klug wie du“,
schmeichelte er ihr sehr offensichtlich, und sie verzog den Mund.
„Ich
habe dir noch nicht verziehen, Ron“, warnte sie ihn still.
„Ich
weiß. Sag mir, was ich tun kann, um-“
„-erst mal kannst du den Mund halten. Ich hatte dich gebeten, hier zu bleiben,
vernünftig zu sein, keinen Stress zu machen, die Kinder zu versorgen, und-“
„-ich
hole die Kinder!“, versprach er sofort. „Ich… appariere sofort. Und ich besorge
Frühstück, ich mache Rührei – bleib einfach, geh duschen, und-“
„-und
die Menschen im Wohnzimmer?“, wollte sie gereizt wissen.
„Sie
schlafen noch. Die Nacht war lang. Sie können zum Frühstück bleiben. Ich…
bitte, Hermine“, flehte er praktisch. Sie atmete lange aus.
„Hol
die Kinder. Ich mache Frühstück“, sagte sie ernst. Er schenkte ihr ein Lächeln.
„Ok.
Mach ich. Sind… sind wir ok?“, fragte er vorsichtig, aber sie konnte das nicht.
Nicht so schnell. Sie wusste nicht wirklich, was sie waren.
„Nein“,
flüsterte sie still. „Noch sind wir… gar nichts. Noch weiß ich nicht mal, ob
Draco Malfoy tatsächlich schläft, oder ob du ihn nicht doch geschockt hast“,
entfuhr es ihr verzweifelt. „Noch sind es Worte, Ron.“ Deprimiert sah er sie an.
„Ich
liebe dich“, sagte er wieder, und sie schluckte schwer.
„Ich
liebe dich auch, aber… du hast es mir so schwer gemacht. Du-“
„-ok“,
unterbrach er sie, und seine Augen waren glasig. „Ich hole die Kinder, und… sei
einfach hier, wenn ich wiederkomme“, bat er sie, und ihr Herz schmerzte so
sehr. Aber dann wandte er sich ab, und keine Minute später hörte sie, wie die
Haustür ins Schloss fiel. Überfordert stand sie in der Küche, aber sie wusste,
sie hatte immerhin genügend Vorräte im Schrank. Zuerst würde sie wohl Pansy
Bescheid geben müssen. Sie nahm nicht an, dass Rumer zuvor um Erlaubnis gefragt
hatte.
***
Sie wachte auf, weil sie den Windzug
der offenen Tür spürte und das plötzliche Gewicht auf der Bettkante.
„Morgen,
Rosie“, hörte sie die vertraute Stimme, und Tränen füllten ihre Augen so
augenblicklich, noch bevor sich ihre Lider geöffnet hatten. Es war ein Traum,
nahm sie an. Ein eigenartiger Traum. Und er wirkte so real. Sie sah ihm
blinzelnd entgegen. Der Morgen graute erst, und es war noch nicht viel Licht im
Zimmer, aber sie erkannte ihren Dad deutlich. Was für ein wunderbarer Traum! Er
lächelte ihr entgegen, ebenfalls Tränen in den Augen, und ohne nachzudenken,
streckte sie die Arme nach ihm aus, und er zog sie fest an seinen Körper. Sein
Duft war, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Und ihre Augen schlossen sich. Sie
weinte stumm an seiner Schulter, und langsam aber sicher wurde ihr klar, dass
es kein Traum war.
Das
hier… war echt.
„Dad“,
flüsterte sie heiser, und er drückte sie nur fester.
„Ich
liebe dich so sehr, Rosie“, murmelte er zitternd, und sie schluchzte auf.
„Ich
liebe dich auch, Daddy“, erwiderte sie stockend, und so saßen sie eine ganze
Weile, bis er sich von ihr löste.
„Ich
bringe euch nach Hause. Eure Mum ist zurück“, erklärte er lächelnd.
„Mum
ist zurück?“, flüsterte sie mit weiten Augen. „Wirklich? Ist… alles ok?“ Aber
sein Gesicht wirkte traurig und verschlossen.
„Ich
– nicht wirklich, nein. Aber… ich arbeite dran, ok?“, sagte er hastig, und sie
sah ihn unschlüssig an. Ihr fiel ein, weswegen sie stritten.
„Wegen
Scorpius, Dad-“, begann sie, aber winkte ab.
„-du
musst nicht…- es ist ok. Du… magst ihn?“, fragte er sie, und sie sah, wie
unangenehm es ihm war. Sie nickte beschämt. „Ok“, entfuhr es ihm seufzend.
„Dann… mag ich ihn auch“, schloss er, als wäre es so einfach.
„Du…
magst ihn?“, vergewisserte sie sich mit großen Augen, und er atmete knapp aus.
„Na
ja, nicht… wie du, aber… ich versuche es, Rosie“, versprach er ihr still.
Wieder füllten Tränen ihre Augen.
„Weiß
Mum, dass du-?“
„-ja,
sie weiß es, aber sie ist immer noch sauer, also…“
„Oh“,
entfuhr es ihr. „Wie lange ist sie sauer?“, wollte sie leise wissen, und ihr
Dad zuckte die Achseln.
„Ich
hoffe, nicht lange.“ Er klang so traurig, und Rose hatte so viel Mitleid mit
ihm, dass sie ihn wieder umarmte. Hugo schnarchte laut im Bett nebenan, und ihr
Dad löste sich wieder von ihr.
„Zeit,
den Langen zu wecken“, bemerkte er knapp. Er erhob sich, und Rose wischte sich
die nassen Wangen trocken. Ihr Dad legte sachte die Hand auf Hugos Arm, und ihr
Bruder erwachte schlagartig, saß aufrecht im Bett, blickte sich desorientiert
um, und erkannte ihren Dad ebenfalls.
„Dad?“,
krächzte er, und ihr Dad nickte.
„Hey,
Hugh“, begrüßte er ihn sanft.
„Was…
was ist los?“ Hugo klang direkt panisch, direkt ängstlich.
„Wir
gehen nach Hause“, erklärte ihr Dad. „Mum ist da“, sagte er mit warmer Stimme,
und Hugo atmete erleichtert aus. „Deine Freundin hat mich gestern Nacht
regelrecht überfallen“, fuhr er eindeutig fort, und Hugos Mund öffnete sich.
„Rumer?
Rumer war… da?“
„Ja“,
bestätigte er knapp. „Sie ist… was Besonderes, Hugh, also… versau es besser
nicht“, ergänzte er bloß, und auch Hugo hatte Tränen in den Augen, als er Dad
in die Arme fiel. Rose krabbelte aus dem Bett, nur um sich hinter ihren Dad zu
setzen, um ihn ebenfalls zu umarmen. Sie liebte ihn so sehr. Und sie wusste,
wie schwer es für ihn sein musste, und dann war Mum immer noch sauer. Es tat
weh, und sie war einfach nur dankbar, dass er wieder da war.
Sie
hatten nicht lange gebraucht, ihre Sachen zu packen, und verabschiedeten sich
von ihren Großeltern, die weitaus weniger besorgt waren. Sie erklärten, sie
hatten sowieso gewusst, dass es sich einrenken würde, und dass sie alle an
Heiligabend hier erwarteten. Ihr Dad gab ihnen diese Bestätigung, und dann
apparierte er mit Hugo. Rose wartete in der Tür, dass er zurückkam, und ihre
Großmutter strich ihr über die Haare.
„Keine
Angst, Rosie“, versicherte sie ihr. „Das ist nicht der erste Streit deiner
Eltern, und es wird garantiert nicht der letzte sein.“ Sie lächelte dabei,
obwohl Rose es nicht gerade als zuversichtlich empfand. „Wer streitet, liebt
sich“, ergänzte sie nickend, und Rose wusste nicht, ob das stimmte. Aber dann kam
ihr Dad zurück, und sie konnte gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Sie
wusste nicht, ob es unangenehm sein würde, ob ihre Mum sprechen würde, aber sie
wollte nach Hause.
„Mach‘s
gut, Grannie“, verabschiedete sie sich, und dann verschwanden sie und ihr Dad
im fahlen Morgenlicht. Sie schlugen sicher auf, und Hugo wartete vor der Tür,
schien ebenfalls Angst zu haben, reinzugehen, und ihr Dad schloss schließlich
die Tür auf.
„Oh,
und… wir haben Besuch“, ergänzte er vielsagend, und Rose und Hugo tauschten
einen verständnislosen Blick. Im Innern hörten sie bereits fremde Stimmen.
Geschirr klirrte, und der Duft von Brötchen, Tee und Ei stieg in ihre Nase. Mum
hatte Frühstück gemacht. Waren Onkel Harry und Tante Ginny hier? Sie betraten
langsam den Flur, stellten ihre Taschen ab, schälten sich aus den Mänteln, und
folgten ihrem Dad dann ins Esszimmer. Für gewöhnlich aßen sie in der Küche,
nicht im Esszimmer, also waren sie mehr als vier, schloss Rose dumpf.
Sie
blieben wie angewurzelt stehen.
Sie
erkannte Scorpius nahezu sofort. Er half ihrer Mum mit der Teekanne, und sein
Blick traf ihren. Seine Mundwinkel hoben sich scheu, und sie erwiderte das
Lächeln sofort. Auch Rumer war hier, stellte sie fest, denn Hugo war sofort zu
ihr gegangen und war weitaus weniger zurückhaltend, als sie es war, denn er
umarmte Rumer, ohne Zögern.
Rose
hingegen wandte den Blick zu ihrer Mum. Sie wirkte nicht ausgelassen, nicht
sonderlich fröhlich, aber schließlich schenkte sie Rose ein schmales Lächeln.
Roses Blick fiel, denn sie stritt noch immer mit Dad, und es gefiel ihr gar
nicht.
„Morgen“,
vernahm sie die nächste fremde Stimme, und sofort schoss ihr Blick nach oben.
Scorpius Vater war hier? Er… trug einen Morgenmantel, und seine Haare lagen
durcheinander, wie sie es nicht kannte. Was tat er hier?
„Morgen“,
erwiderte ihr Dad die Begrüßung etwas steif, und sofort musste Rose an den
Abend der Hochzeitsparty denken. Merlin, es war unangenehm gewesen, und jetzt
war es nicht zwingend anders. Dass Hugo den Mut besaß, einfach zu Rumer zu
gehen. Unfassbar. Ihr Bruder war ein stilles Wasser, aber dafür unheimlich
tief.
„Wir
wäre es, wenn wir uns setzen? Die Eier sind fertig, die Brötchen frisch“, sagte
ihre Mum schließlich, und dann setzten sie sich. Scorpius setzte sich neben sie
und ergriff ihre Hand unter dem Tisch. Schweigend begann ihre Mutter die
Brötchen zu verteilen, Tee einzuschenken, um sich schließlich an Rumer zu
wenden. „Ich denke, deine Mum wird dich bald holen, also…“
„Also
beeile ich mich“, beendete Rumer den Satz seufzend. Rose warf ihr einen Blick
zu, und Rumer lächelte ihr entgegen, bevor sie ergeben die Achseln zuckte,
während sie einen Seitenblick auf Hugo warf. Rose musste grinsen, denn Rumer
schien keine gute Erklärung zu haben, warum sie Hugo mochte. „Werden die
Potters Ärger bekommen?“, wollte Rumer schließlich ein wenig besorgt wissen,
und Rose hatte sich noch nicht getraut zu fragen, was überhaupt passiert war
letzte Nacht. Die Erwachsenen tauschten kurze Blicke, bevor ihre Mum ausatmete.
„Ich…
denke nicht“, sagte sie anschließend, und Rumer lächelte wieder.
„Sie
sind die Beste, Mrs Weasley“, erwiderte sie erleichtert. „Und Sie auch, Mr.
Weasley!“, ergänzte sie eilig, aber ihr Dad winkte ab.
„Nicht
wirklich“, räumte er stiller ein. „Scorpius, du willst Auror werden?“,
erkundigte sich ihr Dad absolut neutral, den Hauch Interesse auf den Zügen.
„Ich…
- ja!“, entgegnete ihr Freund vorsichtig.
„Du
willst Auror werden?“, wollte sein Vater überrascht wissen.
„Na
ja, ich… habe schon länger darüber nachgedacht, und-“
„-ok“,
unterbrach sein Vater ihn schlicht. „Darf ich dabei sein, wenn du es deinem
Großvater sagst, oder…?“ Scorpius‘ Blick verfinsterte sich. „Ich meine, er wird
begeistert sein, garantiert“, neckte ihn sein Dad, aber ihr Vater mischte sich
ein.
„Wir
könnten garantiert mal ein paar Schnupper-Tage arrangieren“, bot ihr Dad
unverfänglich an, aber Scorpius‘ Augen leuchteten.
„Das…
das wäre wirklich super, Mr. Weasley, Sir!“, entfuhr es ihm begeistert.
„Nenn
mich Ron, ok? Dieses ‚Mr. Weasley, Sir‘ ist mir sehr unangenehm“, bemerkte ihr
Dad kopfschüttelnd.
„R-ron?“,
wiederholte Scorpius entgeistert, und ihr Dad zuckte die Achseln.
„Wenn
das ok ist?“, erwiderte er mit erhobenen Brauen und Scorpius verschluckte sich
fast, an seinem gekauten Bissen.
„Sicher!
Sicher, Mr. We- Ron!“, korrigierte er sich hastig.
„Hast
du Ahnung von Sportwagen?“, wollte ihr Dad wissen, und Rose musste sich
wirklich auf die Zunge beißen, um nicht zu lachen. Scorpius fing regelrecht an
zu schwitzen. „Höchstwahrscheinlich nicht“, ergänzte ihr Vater, mit Blick auf
Scorpius‘ Dad.
„Nein,
Sir- Ron. Ich… nein“, schloss Scorpius, fast verzweifelt.
„Kein
Problem. Wenn du Lust hast, zeige ich dir gleich, woran Rose und ich arbeiten.
Sofern dein Dad-“
„-bitte,
macht was ihr wollt. Ich habe ehrlich gesagt, eine Menge zu tun“, unterbrach
Mr. Malfoy ihren Dad. „Auslandsaufenthalte… und so was…“, sprach er recht
kryptisch, und ihr Dad musste fast lachen.
„Richtig.
Hab gehört, die können wirklich lästig sein.“
Jaah“,
bestätigte Mr. Malfoy, und sie sah, dass er unter seinem Bart lächeln musste.
„Was
genau geht hier vor?“, wollte ihre Mum kopfschüttelnd wissen.
„Mum“,
sagte Rose mahnend, denn sie mochte nicht, dass ihre Mutter wirklich mit aller
Macht zerstören wollte, was die anderen versuchten. Es war ein Anfang, und ihre
Mutter war unmöglich. Ihre Mutter seufzte auf.
„Macht,
was ihr wollt“, räumte sie schließlich entnervt ein. „Macht einfach, was ihr
wollt…“
Dass Mr. Malfoy bei ihnen war, schien
sogar Rumers Mum etwas besänftigt zu haben, und tatsächlich saßen die
Erwachsenen noch immer im Esszimmer um den Tisch und sprachen. Nicht sonderlich
laut, aber das bedeutete immerhin, dass sie nicht schrien.
Unfassbarerweise
saßen sie nun zu viert im ordentlichen Zimmer ihres Bruders, was mehrere
Sitzgelegenheiten bot, als Roses Zimmer. Sie saß mit Scorpius auf der schmalen
Couch, seine Hand fest in ihrer, ein Lächeln auf dem Gesicht, während Hugo und
Rumer auf seinem Bett saßen. Für einige feierliche Sekunden sagte keiner
irgendwas, und es war nicht mal unangenehm.
Immer
wieder betrachtete Hugo Rumer von der Seite, bis diese schließlich aufseufzte.
„Ja?
Spuck’s aus. Ich weiß genau, dass dir irgendwas nicht passt“, bemerkte sie mit
wissendem Blick, und Rose musste fast lächeln. Ja, sie kannten Hugo beide gut,
und auch Rose spürte, dass sich Hugo lediglich zurückhielt.
„Es
ist gar nichts!“, behauptete ihr Bruder. „Wirklich. Gar nichts. Ich… meine
nur…“, begann er schließlich, und Rumer stöhnte auf.
„Was,
Hugo?“ Lauernd sah sie ihn an.
„Das…
war ziemlich gefährlich. Und James wird noch richtig viel Ärger bekommen“,
beschwor er das Unheil herauf. „Und ganz nebenbei – hat er… dich abgeholt? Ich
meine… nachts? Hat er dich…?“
„Hat
er mich, was?“ Rumer sah ihn sehr eindeutig an. Rose bemerkte, wie Scorpius‘
Mundwinkel amüsiert zuckten, und Rose tat Hugo fast leid. Ihr dummer Bruder
konnte nicht einmal die Klappe halten, selbst wenn es um sein Leben gehen
würde. „Ernsthaft, Hugo? Ich komme hierher für dich, riskiere alles, und du
machst dir Sorgen, dass James mich in meinem Bett überrascht hat? Ernsthaft?“,
vergewisserte sie sich, und fast erahnte Rose die Röte in Hugos Gesicht.
„Ich
– nein“, log er sofort. Und sehr schlecht. Aber Rose würde ihn retten. Dieses
Mal.
„Rumer,
seit wann stehst du auf meinen kleinen Bruder?“, wollte Rose dreist wissen, und
jetzt wurde Rumer rot.
„Ok,
wir… können darüber garantiert wann anders sprechen, oder?“, wollte ihre beste
Freundin unglücklich wissen, bevor sie selber den Finger zeigte. „Ich meine…,
das hier! Die Sache mit Scorpius – das hättest du mir auch sagen können, oder
nicht?“, ergänzte sie entsprechend anklagend, und Rose musste lächeln.
„Vielleicht“,
räumte sie beschämt ein. Rumer atmete lange aus und zuckte dann die Achseln.
„Dann…
Schwamm drüber?“, schlug sie grinsend vor, und Rose nickte dankbar. „Meine Mum
ist sehr lange bei euch“, bemerkte sie schließlich.
„Mhm,
mein Dad auch“, ergänzte Scorpius, fast besorgt. Dann schwiegen sie. Vielleicht
wagten sie alle kaum zu hoffen, dass ihre Eltern tatsächlich noch Freunde
werden konnten. Es wäre… ein wenig zu perfekt, nicht wahr?
Und
dann kam Rose eine Idee.
„Hey!
Ihr seid doch alle hochbegabte Vertrauensschüler, nicht?“ Sie war aufgestanden
und hatte das Zimmer verlassen, um ihre Tasche aus ihrem Zimmer zu holen.
Hastig kehrte sie zu den entsprechend fragenden Blicken der anderen zurück und
holte ihre Notizen aus der Tasche. „Dann lösen wir jetzt das Snape-Problem!“
„Snape-Problem?“,
wiederholte ihr Bruder sofort.
„Ja!
Snapes Geiste hat mir nämlich-“
„-ich
weiß, was Snapes Geist tut. Dass er in der Bibliothek nicht auf deinem Schoß
sitzt, ist auch schon alles“, bemerkte Hugo mit gerunzelter Stirn. Rose verzog
den Mund.
„Uägh,
Hugo. Ekelhaft“, erwiderte sie gereizt. „Jedenfalls denke ich, dass es wichtig
ist, herauszufinden, was ihn hält. Was er… tun muss. Kein Geist will bleiben,
richtig?“, warf sie die Frage in die Runde und schlug ihr vertrauenswürdiges
Geisterbuch auf. Hugos Blick war äußerst kritisch. „Was? Was jetzt?“, fuhr sie
ihren Bruder an, denn – er war immer noch ihr Bruder.
„Nichts,
es ist nur… du hast ein Buch in den Händen. Es ist so neu für mich“, neckte er
sie mit einem Lächeln, und fast hätte Rose das Buch nach ihm geworfen.
„Nicht
witzig!“, entgegnete sie, aber die anderen grinsten breit. „Also?“ Sie sah ihn
auffordernd an.
„Was?
Du denkst, ich habe alle Lösungen auf Geister-Fragen?“, entfuhr es Hugo
ungläubig.
„Sicher,
warum nicht?“, sagte sie achselzuckend, aber Hugo stöhnte auf.
„So
einfach ist nicht“, beschwerte er sich. „Und erst mal – nicht alle Geister
wollen gehen. Der fast kopflose Nick will nirgendwohin. Er will einfach nur an
der kopflosen Reitergesellschaft teilhaben.“
„Sowas
will Snape nicht!“, entfuhr es Rose gereizt.
„Woher
willst du wissen, was er will?“, entgegnete Hugo mit gerunzelter Stirn, und
Rose bemerkte die amüsierten Blicke nicht, die sich Scorpius und Rumer
zuwarfen.
„Oh,
ich bitte dich! Als ob er extra mich aufsucht, weil er unbedingt der kopflosen
Reitergesellschaft beiwohnen möchte!“, entfuhr es ihr wütend. Aber bevor Hugo
etwas Entsprechendes erwiderte, schwieg er schließlich.
„Er
nennt dich Granger“, sagte er schließlich, und Rose konnte förmlich spüren, wie
sein Gehirn in den klugen Modus wechselte, und er die Informationen ordnete.
„Er denkt, du wärst Mum“, schloss er nickend. „Er denkt, du wärst klug“, kam er
nickend zu einem Schluss.
„Sehr
nett von dir“, bemerkte sie knapp, aber Hugo achtete kaum auf sie, stand auf
und griff sich ihr Buch vom Schoß. Er blätterte wahllos durch das
Inhaltsverzeichnis. „Geister haben ein sehr geringes Erinnerungsvermögen. Das
Langzeitgedächtnis ist nahezu durchgebrannt.“
„Das
hier?“, mischte sich Rumer ein und deutete auf eine Zeile im Verzeichnis.
„Hilfesuchung durch den Verstorbenen?“, fragte sie, und Hugo nickte abwesend,
während Scorpius sich gähnend zurücklehnte und den Arm um ihre Schulter legte.
Es interessierte ihn alles herzlich wenig.
„Danke
übrigens“, murmelte sie ihm zu, und er erwiderte ihren Blick überrascht.
„Danke?
Wofür?“, wisperte er zurück, und sie schenkte ihm ein Lächeln.
„Dass
du todesmutig hier aufgetaucht bist, um meinem bösen Vater die Stirn zu
bieten“, erwiderte sie sanft, und er lehnte sich näher zu ihr.
„Alles
für dich“, sagte er so aufrichtig, dass ihr Herz schneller schlug. Sie lehnte
sich vor und küsste seine Lippen verlangend, traute sich erst jetzt, und er
erwiderte den Kuss sofort.
„Äh –
hallo?“, unterbrach Hugos Stimme sie gereizt. „Wir erledigen nicht deine
Arbeit, Rose, während du-“ Aber grinsend lösten sie und Scorpius sich
voneinander, und mit roten Wangen, richtete Rose ihre Aufmerksamkeit wieder auf
ihren Bruder.
„-schon
gut“, entkam es ihr heiser.
„Snape
sucht Hilfe bei dir, weil er denkt, du kennst die Lösung“, erläuterte Rumer
wohl ihren Fund.
„Die Lösung? Auf was?“
„Was
du sagtest“, erwiderte sie eindeutig. „Bestimmt will er nicht bleiben, aber
seine Erinnerung ist wohl so lückenhaft, dass er lediglich dich als Hermine
Grangers Tochter erkennt – wie Geister sowas auch immer schaffen – aber… das
ist erstmal alles“, schloss sie achselzuckend.
„Es
ist einfacher…“, murmelte Hugo, und Rose hatte gewusst, dass das ein Rätsel
war, dem sich Hugo wohl nur schlecht verschließen konnte.
„Snape
war… Zaubertränkelehrer, richtig?“, versuchte er sich zu erinnern.
„Severus
Snape war Zaubertränkelehrer, hätte aber lieber die Stelle als
Verteidigungslehrer gehabt, aber Dumbledore hatte Sorge, weil Snape als
Doppelagent für Voldemort gearbeitet hat, nachdem er voller Reue nach Hogwarts
zurückkehrte, als er Voldemort die Prophezeiung gedeutet hat, dass Harry Potter
der Auserwählte war, und nicht Professor Longbottom“, schloss er vielsagend,
und Rose starrte ihn an. „Was?“, entfuhr es ihm. „Als ob Albus diese Geschichte
nicht schon dreitausendmal von seinen Eltern gehört hat! Er heißt schließlich
so!“, rechtfertigte er sich kopfschüttelnd.
„Und das sagst du jetzt?“ Professor Longbottom hätte der eine Junge sein
können? Rose fiel es nicht schwer, sich das vorzustellen.
„Ihr
wisst das doch!“, entfuhr es ihm kopfschüttelnd.
„Nicht
mehr… so genau“, rechtfertigte sich Rose, die sich nie sonderlich für Albys
seltsame Vornamen interessiert hatte, geschweige denn für die gesamte
Potter-Saga. James und Albus waren regelrecht investiert mit den
Heldengeschichten von Onkel Harry, aber sie persönlich hörte lieber die
Geschichte ihrer Eltern. Wieder und wieder. Wie sie sich gefunden hatten, sich
nicht hatten leiden können, und letztendlich doch ein unsterbliches Paar
geworden waren. Auch wenn sie zurzeit eher… Probleme bekämpften. Es verursachte
ein beklemmendes Gefühl in ihrem Innern. Aber Hugo hatte sich interessiert
vorgelehnt.
„Warum hat er es Voldemort verraten? Warum hat er die Potters gewählt?“ Er
fragte Scorpius direkt.
„Ich
– keine Ahnung?“, entfuhr es Scorpius achselzuckend. „Weil er sie kannte? Weil…
er sie nicht mochte?“
„Er
mochte sie nicht, verrät es Voldemort – und Onkel Harry benennt seinen Sohn
nach ihm? Das glaube ich nicht.“ Rose zog die Stirn kraus.
„Tja,
vielleicht müssen wir Mr. Potter fragen? Oder Albus?“, schlug Rumer vor, ehe
sie den Mund verzog. „Ich sollte vielleicht nicht unbedingt Kontakt mit den
Potters haben, aber…“
„Was
soll das heißen? Du kommst doch Weihnachten, oder?“, entfuhr es Rose, aber
Rumer blickte zur Seite.
„Rose,
ich weiß nicht, ob… das klug wäre.“ Dann fiel Rose ein, dass Scorpius ein
ähnliches Problem hatte.
„Aber… du kommst, richtig? Ich…- ihr könnt doch nicht beide wegbleiben!“, rief
sie aus.
„Wenn
du Dom und James fragst, ob es ok ist?“, schlug ihre beste Freundin vor, und
jetzt verzog Rose gequält den Mund.
„Vielleicht
komme ich auch nicht“, murmelte sie seufzend, und Hugo atmete gereizt aus.
„Wenn
ich mit ihnen rede, fragst du dann Mum nach Severus Snape?“, fragte er sie
direkt, aber sie sah ihn gequält an.
„Du
willst mit Dom sprechen?“, erkundigte sich Scorpius zweifelnd, aber Hugo zuckte
ergeben die Achseln.
„Bin
mir zwar nicht hundertprozentig sicher, ob Dom mich verstehen kann, aber ich
kann mich so dumm wie möglich stellen, wenn es hilft.“ Kurz glitten die Blicke
zu Scorpius. Kurz hatte Rose das Gefühl, als müsse Scorpius Dom verteidigen –
schließlich war sie lange Zeit seine Freundin gewesen, und gleichzeitig… war es
immer noch unangenehm an Dom zu denken. Sie wechselte kurzerhand das Thema, um
Scorpius nicht in Verlegenheit zu bringen.
„Ich
will nicht mit Mum sprechen. Sie ist immer noch sauer auf Dad!“
„Und
du willst auch noch mit James reden?“, vergewisserte sich Rumer jetzt achtlos
bei Hugo, denn beides waren einfach unwahrscheinliche Dinge. Hugo seufzte auf.
„Ich
denke, es lässt sich nicht wirklich vermeiden, oder? Wenn du es willst, dann
mach ich es. Das weißt du“, ergänzte er nachdrücklich, und es war so seltsam.
Es war seltsam, Hugo dabei zuzusehen, wie er tatsächlich Gefühle für jemanden
hatte, und es war seltsam, Rumers verträumten Blick zu verdauen. Und ohne Scheu
schloss Rumer den Abstand und küsste ihren Bruder. Und Rose überkam dasselbe
Schockgefühl wie schon damals auf dem Quidditchfeld, als ihr Bruder Cara
geküsst hatte. Nur jetzt hielt er sich wirklich nicht sonderlich zurück, zog
Rumer nahe an sich, und Rose erhob sich übergangslos. Es war einfach nur
beängstigend, dass ihr Bruder keine fünf Jahre alt mehr war, und sie war sich
nicht sicher, wann er ein Junge geworden war, der tatsächlich Wert auf
Freundinnen legte – und dann gerade auf Rumer!
„Ok! Ok, ich rede mich Mum!“, schrie sie fast, und Scorpius hatte sich
ebenfalls erhoben. „Aber hört auf damit! Merlin, noch mal!“ Aber das taten sie
nicht. Rumer lachte gegen Hugos Lippen, und Rose machte direkt kehrt, um aus
dem Zimmer zu verschwinden. Draußen auf dem Flur schüttelte sie sich kurz.
Scorpius trat vor sie.
„Ich
liebe dich, Rose Weasley“, sagte er still, und der Ekel verschwand sofort, als
ein Lächeln ihr Gesicht erhellte.
„Ich
liebe dich auch, Scorpius Malfoy“, flüsterte sie zurück, und grinsend kam er
näher, umfasste ihre Taille, nur um sie sanft gegen die Flurwand zu drängen,
direkt neben das große, gerahmte Hochzeitsbild ihrer Eltern, um sie hungrig zu
küssen. Schnell verlor sich Rose nur zu willig im Spiel seiner Zunge, und ihre
Hände griffen in seinen Pullover, zogen ihn enger an sich, und schwer atmend,
zwischen zwei Küssen, löste er sich einen Zentimeter von ihren Lippen. Er
ruckte mit dem Kopf nach rechts.
„Dein
Zimmer?“, schlug er heiser vor, und sie runzelte kurz die Stirn.
„Du… weißt, wo mein Zimmer ist?“, entkam es ihr außer Atem, und kurz stahl sich
ein schulbewusster Zug auf sein Gesicht.
„Lange
Geschichte“, murmelte er lediglich, und sein Blick fiel wieder auf ihre Lippen.
„Erzählt Hugo dir später“, ergänzte er zwinkernd, und Rose hatte viele Frage,
würde sie aber verschieben. Still zog sie ihn mit sich, öffnete leise ihre
Zimmertür und schob ihn ins Innere. Er griff nach ihrem Gesicht, brachte es
wieder näher zu sich und sie manövrierten beständig Richtung Bett.
Und
es war, als hätte ihre Mum einen nervigen Radar, denn keine Sekunde später
klopfte es bereits an ihre Zimmertür, und sie vernahm ihren Namen. Hastig
fuhren sie auseinander, und Rose hatte gerade noch genug Zeit, ihren Pullover
glatt zu streichen, bevor ihre Mum ungefragt öffnete. Sie mussten ein wenig
ertappt aussehen, denn ihre Mutter hielt in der Bewegung inne. Sie musterte
zuerst Scorpius, bevor ihr Blick auf ihr ruhte.
„Die
Zimmertür bleibt offen, Rose“, entkam es ihr ausgewählt vorsichtig.
„Ok“,
erwiderte Rose, verräterisch atemlos. Ihre Mutter schien kurz die Nase rümpfen
zu wollen, überlegte es sich aber wohl doch noch anders.
„Hast
du dich um Geschenke gekümmert? Oder ist es dasselbe wie jedes Jahr?“,
erinnerte sie ihre Mutter an die leidige Aufgabe, die Rose immer wieder vergaß.
Vor allem im Moment.
„Ach,
verdammter Eulendreck“, entfuhr es Rose gereizt.
„Dann
sollten wir vielleicht noch mal los?“ Sie stand abwartend in der Tür, und Rose
hob den Blick zu Scorpius‘ Gesicht.
„Ich…
ich kann mitkommen“, bot er sofort an. Das schien etwas zu sein, was ihre Mum
hatte verhindern wollen.
„Ich
dachte, du wolltest dir Rons Auto ansehen?“, erkundigte sich ihre Mutter direkt
bei ihrem Freund, und Scorpius‘ Mund schloss sich wieder.
„Richtig“,
bestätigte er.
„Das…
das kann er doch danach noch machen, oder Mum? Ich meine, es wäre wirklich
toll, wenn Scorpius mitkäme“, bettelte sie praktisch, aber dann bewegte sich
Scorpius. Von ihr weg. Zur Tür.
„Rose,
wie wäre es, wenn ihr das klärt, und dann könntest du direkt noch etwas
fragen“, erinnerte er sie knapp, aber eindeutig. Rose begriff nicht wirklich.
„Fragen?“,
wiederholte ihre Mutter, ein wenig nervös. Als wäre es etwas Unangenehmes. Dann
verstand Rose.
„Oh.
Nein. Das muss jetzt nicht-“
„-sicher.
Frag einfach, ja? Ich bin… da, wo das Auto steht“, schloss er, denn anscheinend
kannte er das Wort Garage nicht. Rose atmete ergeben aus, als er sich mit einem
Nicken an ihrer Mum vorbeistahl, und sie schließlich alleine waren.
„Was
für eine Frage soll das sein?“ Ihre Mutter klang so furchtbar besorgt. Wahrscheinlich
nahm sie an, Rose wollte irgendwelche ekligen Sex-Fragen stellen. So sah ihre
Mum aus. Es war peinlich.
„Es
geht um… Severus Snape“, rückte Rose mit der Sprache raus. „Aber… können wir
zusammen in die Stadt?“, wollte sie gleichzeitig mit dem treuesten Dackelblick
wissen, und ihre Mutter verdrehte die Augen.
„Wenn
ihr es keine Sekunde ohne einander aushaltet – bitte.“ Und Rose musste lächeln.
„Und was… meinst du damit, es geht um Severus Snape?“
„Um
seinen Geist“, erwiderte Rose etwas beschämt. „Ich… ich will ihm helfen.“
„Ich
glaube nicht, dass ihm zu helfen-“
„-ich
denke schon. Ich weiß nur nicht, was er zu erledigen hat“, warf sie ein, aber
ihre Mum seufzte auf.
„So
einfach ist es nicht.“ Sie sprach wie Hugo. Sie war wie Hugo. Es war
nervtötend.
„Vielleicht
ja doch“, widersprach Rose barsch. „Warum heißt Albus wie Snape, wenn… wenn
Snape Onkel Harrys Eltern… praktisch ausgewählt hat?“, wiederholte sie, was
Scorpius gesagt hatte.
„Ausgewählt?“,
wiederholte ihre Mutter mit gerunzelter Stirn.
„Na
ja, wegen ihm sind sie tot, oder nicht?“ Es klang kaltherziger, als Rose
beabsichtigt hatte, und so in etwa sah ihre Mutter sie jetzt an.
„Lily
und James Potter starben durch Voldemort, nicht durch Severus Snape.“ Rose fand
es sehr seltsam, dass Onkel Harry seine Kinder so genannt hatte, wie seine
Eltern hießen, aber das war wohl gerade unerheblich.
„Ja,
aber-“
„-Severus
Snape war ein guter Mann, Rose. Ein Held.“
„Wirklich?
Was war so heldenhaft an ihm, wenn er Anhänger Voldemorts gewesen ist?“ Und
ihre Mutter hatte diesen verdammt überheblichen Blick drauf, den Rose von den
Wahlplakaten bereits kannte.
„Du
weißt, dass Scorpius‘ Vater ebenfalls ein Anhänger war?“, wollte sie ruhig von
ihr wissen, und nein, das hatte Rose nicht wirklich gewusst.
„Trägt…
trägt er…?“
„Das
Mal?“, beendete ihre Mutter den Satz, ehe sie seufzte. „Ja. Er trägt das Mal“,
bestätigte sie schließlich ernst, und Rose musste schlucken. Das hatte sie
verdrängt. Absolut verdrängt. „Und Severus Snape hat für all seine Fehler
gesühnt, und er starb als aufrichtiger, guter Mann“, ergänzte sie eindeutig.
„Was
fehlt ihm dann? Seinem Geist?“, ergänzte sie unzufrieden. „Was hat ihm im Leben
gefehlt?“, verlangte sie zu wissen, und ihre Mum seufzte wieder einmal.
„Liebe,
nehme ich an.“ Ihre Mutter war wirklich klug.
„Liebe?“,
wiederholte Rose verblüfft. „Wen hat er geliebt? Hat er-“
„-Harrys
Mutter, Lily“, offenbarte ihre Mum bereitwillig.
„Oh“,
entfuhr es Rose, denn… wie bitter war das denn? Severus Snape war in Onkel
Harrys Mutter verliebt gewesen und hatte sie dann quasi verraten? Die
Prophezeiung einfach… gedeutet, wie es ihm gefiel?
„Er
mochte Harrys Vater nie“, ergänzte ihre Mutter kopfschüttelnd.
„Ohhh“,
machte Rose, denn sie verstand. Es hatte viel mit Eifersucht und Wut zu tun. „Oh“,
entfuhr es ihr, als es sie begriff, dass es vielleicht unter Umständen nie zum
Tod von Onkel Harrys Eltern hätte gekommen sein müssen, hätte Snape die
Prophezeiung nicht gedeutet. Kein Wunder, dass sein Geist –
Sie
hatte eine Idee! Sie musste Hugo fragen! Wieso eigentlich platzte ihre Mum nie
in Hugos Zimmer? Er hatte dort ebenfalls jemanden, den er küsste! So eklig es
auch war!
„Danke,
Mum! Ich… ich bin gleich wieder da!“, versprach sie, und verließ ihr Zimmer.
„Rose!
Was ist mit den Geschenken?“, rief ihre Mutter ihr gereizt nach, aber Rose
hatte gerade andere Gedanken.
Sie
wusste nur nicht, ob sie etwas taugten. Sie war noch nicht sonderlich
bewandert, im Ideen haben. Deshalb musste sie mit Hugo sprechen.
Hermine hatte keine Probleme mit der
Familie. Sie war eine liebevoller Ehefrau, eine Vorzeigeschwiegertochter, eine
ausgeglichene Mutter, nicht zu streng, nicht zu gleichgültig, und mit einem
Mal, innerhalb weniger Wochen, hatten die grausamen Hormone zugeschlagen und
ihre beiden lieben Kinder erwischt.
Erst
vor wenigen Stunden hatte sie Schnappatmung bekommen, bei dem Gedanken, dass
Hugo durchaus in der Lage sein könnte, Rumer zu schwängern – und das wäre…
absolut furchtbar. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war Rons
Aufgabe.
Aber
zurzeit war sie keine liebevolle Ehefrau, denn sie zeigte Ron eine äußerst
kalte Schulter, denn sie war noch immer sauer, obwohl ihr Mann tatsächlich die
Kurve bekommen hatte. Merlin, er bastelte mit Scorpius Malfoy in seiner Garage.
Hermine wusste nicht, warum sie ihm nicht vergeben konnte. Warum sie bockig
war.
Und
es hatte Einfluss auf ihr ganzes Sozialgefüge. Molly war ein wenig gereizt, als
Hermine mit jetzt mit hochgekrempelten Ärmeln neben ihr in der Küche stand, und
half, die Teigrollen in perfekte Form zu bringen, damit Molly kleine Pasteten
backen konnte. Und das war nicht alles! Nicht nur ihr perfekter
Schwiegertochter-Status begann, dahinzuschwinden – nein! Sie wurde ersetzt. –
Durch ausgerechnet Fleur!
Hermine
hatte kein Problem mit Fleur. Hermine hatte mit niemanden je irgendein Problem!
Abgesehen von jetzt. Denn Fleur war ebenfalls sauer auf sie.
Weil
ihre Tochter jetzt mit dem Exfreund ihrer Tochter zusammen war.
Es
war kompliziert, und es warf generell kein gutes Licht auf Hermines Familie.
Das nächste Problem war Harry, der sich ganz klar auf James‘ Seite geschlagen
hatte, wohingegen Ginny das Beziehungsproblem mit Rumer und James bereits
achselzuckend abgetan hatte.
Harry
schien irgendeinen neugewonnen Zweifel gefunden zu haben. Nicht nur war Albus
in Rose verliebt gewesen, sondern jetzt war auch sein ältester Sohn durch Hugo
seiner Freundin beraubt worden. Und tatsächlich sah man James eine gewisse
Niedergeschlagenheit an.
Er
gab sich Mühe, es zu verbergen, was es nur schlimmer machte.
„Isch
würde dir vorschlagen, du machst nischt so dicke Rollen, ja?“, unterbrach Fleur
Hermines Gedanken beinahe bissig. Ihr Blick fiel auf ihren perfekt geformten
Teig, aber Hermine würde sich hüten, zu diskutieren.
„Ach
Fleur, du bist so aufmerksam, Liebes“, bestätigte Molly mütterlich, und Hermine
verzog den Mund. Die Küchentür schwang auf. Hermine atmete innerlich auf.
„Schwer
beschäftigt?“, wollte Ginny mit gewissem Abstand zum Küchentresen wissen, und
Molly hob direkt das Nudelholz.
„Du
bleibst schön weg von meinen Zuckerpasteten!“, warnte ihre Mutter sie sofort.
Ginny war… keine sonderlich gute Köchin, und Backen war noch so eine Sache, die
Ginny äußerst selten – wenn überhaupt – in Angriff nahm. Hermine konnte sich an
keinen selbstgebackenen Kuchen für auch nur eines von Ginnys drei Kindern
erinnern. Es war vielleicht besser so.
„Alles
gut hier?“, erkundigte sich Ginny, und stellte sich direkt neben sie, tauchte
den Finger in einer unbemerkten Sekunde in die Teigschüssel und leckte die
Spitze genüsslich ab. „Mhh“, entfuhr es ihr still.
„Es
geht“, gab Hermine murmelnd zurück. Fleur war nahe an Molly gerückt, und Molly
lachte über Fleurs leise Worte, und sie waren die besten Freundinnen.
„Ich
sehe schon“, bemerkte Ginny und verdrehte die Augen. „Dom hat sich oben
eingeschlossen“, fuhr sie noch stiller fort. Hermines Blick hob sich müde.
Hermine kritisierte ihre Verwandten nicht. Bill nicht, für die Laissez-Faire
Erziehung, und natürlich Fleur nicht, auch wenn sie ihre Kinder verwöhnte und
verzog, und oberflächliche Kommunikation der Disziplin vorzog.
„Warum?“,
wagte Hermine leise zu fragen, und Ginny schenkte ihr ein Lächeln und tat
ahnungslos.
„Ach
du, einfach nur weil Rose hier ist“, erwiderte sie, fast belustigt.
„Grundgütiger“,
knurrte Hermine praktisch. „Wie geht es Harry?“, wollte sie anschließend
wissen, während sie den nächsten Brocken Teig mit etwas zu viel Kraft
bearbeitete.
„Ich
glaube, Harry ist betroffener als James“, entgegnete Ginny und lehnte sich
entspannt an den Küchentresen und sah Hermine zu. „Mach dir keine Vorwürfe,
ja?“, ergänzte Ginny sehr leise. „Sie sind alle ein bisschen verrückt.“
„Hm“,
machte Hermine unzufrieden. Sie kandierte als Ministerin für Zauberei und
konnte nicht mal für Frieden in ihrer Familie sorgen. Und es war nicht mal ihre
Schuld! Es waren ihre Kinder! Und ihr Mann! Das brachte sie zum nächsten
Gedanken. „Wo sind die Kinder?“
„Lily
und Rose spielen Quidditch mit Fred, Louis und Roxy“, erwiderte Ginny mit
entsprechend eindeutigem Blick, und auch Hermine war überrascht. Lily spielte
Quidditch? Seit wann das? „James und Albus polieren alte Besen mit Harry“, fuhr
sie fort, „obwohl Albus keine Lust dazu hat“, ergänzte sie grinsend, „Vic und
Teddy sind im Wohnzimmer und führen vernünftige Gespräche mit Angelina und
George.“
Hermine
nickte nachdenklich. „Wo ist Hugo?“, wollte sie dann wissen, und Ginny dachte
nach.
„Keine
Ahnung, ehrlich gesagt“, gab sie zurück.
„Liest
bestimmt irgendwo“, nahm Hermine seufzend an. „Und Ron?“, ergänzte sie leiser.
„Ist
mit Dad im Schuppen“, bemerkte Ginny sehr eindeutig, und Hermine verdrehte die
Augen. Der jüngste und der älteste Weasley waren immer noch ständig damit
beschäftigt, alle möglichen Kleinigkeiten zu reparieren, um sich regelmäßig
mittelschwere Stromstöße zu verpassen. Zurzeit reparierten sie eigentlich einen
alten Aufsitzmäher. Hermine wusste nicht, ob dies immer noch das Objekt der Weasley-Begierde
war. Zurzeit war ein Rasenmäher nämlich absolut nutzlos, denn der Boden war
nahezu gefroren. Aber sie maßregelte sie nicht. „Hast du ihm schon vergeben?“,
wollte ihre Freundin behutsam wissen, und wieder verzog Hermine den Mund.
„In
meinem Kopf schon“, murmelte Hermine unglücklich. „Aber… laut sagen kann ich es
nicht.“
„Ich
weiß, es tut ihm leid.“
„Ja,
das weiß ich auch. Ich…“
„Du
lässt ihn einfach etwas leiden?“, vermutete Ginny jetzt, und Hermine hob
schrecklich schuldbewusst den Blick, aber Ginny grinste versöhnlich. „Das mache
ich mit Harry jeden Monat so“, wisperte sie lächelnd. „Hält die Ehe frisch“,
ergänzte sie zwinkernd. Hermine fühlte sich schrecklich. Sie wollte Ron
überhaupt nicht leiden lassen. Sie konnte nur nicht anders. Sie war noch immer
verletzt. „Aber erzähl mir von morgen“, fuhr Ginny gespannt fort. Hermine sah,
wie Fleur die Ohren spitzte. Hermine griff sich ein Küchentuch, trocknete ihre
Hände ab, denn sie hatte keine Lust, dass Fleur wieder selbstgerecht und
überzogen urteilte.
„Komm,
wir drehen eine Runde. Ich mache hier ja sowieso alles falsch“, ergänzte sie in
Richtung Molly und Fleur, die ihr sparsame Blicke zuwarfen und sofort die Köpfe
zusammen steckten, als Hermine mit Ginny die Küche verließ. Es war, als könne
sie endlich wieder atmen. Im Wohnzimmer lachten Teddy und Vic über etwas, das
George erzählte, und Hermine konnte kaum erwarten, dass alle Kinder erwachsen
und vernünftig waren. Hugo kam letztendlich die Treppe runter und spazierte
Richtung Küche. Aber Hermine warnte ihn nicht. Molly liebte Hugo. Er würde
niemals Ärger bekommen. Es bestand keine Gefahr.
„Also?“,
wollte Ginny wissen, nachdem sie über die Tür zum Garten den Fuchsbau
verließen.
„Ach,
was weiß ich“, entfuhr es Hermine wirklich überfordert.
„Was,
die zukünftige Ministerin weiß nicht, ob ihre Kinder ihre Freunde einladen
dürfen?“, neckte Ginny sie, und Hermine warf ihr einen bösen Blick zu.
„Du
hast viel zu viel Spaß daran“, zischte Hermine jetzt.
„Oh ja! Immerhin einmal geht es nicht um Albus“, entfuhr es Ginny fast
erleichtert. Hermine verzog den Mund. Es stimmte. Für gewöhnlich musste Ginny
alle Scherben kitten, während Harry immer vollkommen überrascht war, dass sein
kleiner Engel von mittlerem Sohn überhaupt Fehler machen konnte. Harry vergaß
sehr schnell….
„Ich
weiß es nicht. Fleur ist sauer, Dom schließt sich ein. James hat Liebeskummer –
wie könnte ich da erlauben, dass Scorpius und Rumer kommen? Ich meine, die
Familie geht doch wohl vor, oder nicht?“ Sie war überfordert damit.
„Hm“,
machte Ginny. „Wenn das so weitergeht, dann wird es einen Keil zwischen die
Kinder treiben“, vermutete sie. Hermine lachte hart auf.
„Das
ist sowieso schon passiert. Und es nicht so, dass Hugo direkt akzeptiert wird“,
bemerkte Hermine, und zwar definitiv an Ginny gerichtete, denn Albus war der
Meinungsführer ihrer kleinen Gruppe an Kindern. Immer schon gewesen. Und es lag
in seiner Hand, ob Hugo mit einbezogen wurde, oder ob er – wie immer – alleine
irgendwo seine Zeit verbrachte.
„Nicht
das schon wieder“, jammerte Ginny. „Hugo ist klug, Albus ist dumm. Es tut mir
leid“, sagte sie verzweifelt. „Dumme Hunde lernen keine Tricks mehr“, benutzte
sie das Sprichwort falsch, wie auch Ron, und fast musste Hermine lachen. „Sei
froh, dass du Hugo hast, und dass er nicht zu viel Zeit mit der verkorksten
Familie verbringt, wirklich“, entfuhr es Ginny versöhnlich. „Es kann nur gut
für ihn sein. Einer muss sich ja später um Albus kümmern“, beschwor sie
wohlweislich herauf. „Lily und James werden es nicht tun. Hugo hat ein gutes
Herz.“ Hermine lachte auf.
„Deine
Hoffnungen für Albus sind ja immens“, entfuhr es ihr, aber Ginny zuckte die
Achseln.
„Dieser
Junge wird ein Albtraum für jeden Vorgesetzten sein. Ich bin nur froh, wenn er
dann nicht mehr Zuhause wohnt und ich jede Kleinigkeit klären muss. Das ist
alles, was ich sage“, schloss sie feierlich, mit erhobenen Händen. Es fühlte
sich so gut an, einfach zu lachen, einfach für einen Moment zu vergessen. Aber
Ginny zerstörte auch diesen Moment sehr schnell. „Denkst du, sie haben Sex?“
Und dass Hermine schon nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob Ginny Rose oder
Hugo meinte, brachte ihr erneute Übelkeit.
„Was?“, entfuhr es ihr gequält.
„Rose und Scorpius“, machte Ginny es deutlicher. Hermines Mund öffnete sich, um
sich schlecht gelaunt wieder zu schließen. „Hast du mit ihr gesprochen?“
„Ich
habe es versucht“, bemerkte Hermine sparsam.
„Und?“
Ginny war viel zu gespannt.
„Ach, was denkst du bitte? Dass Rose offen und erwachsen mit dem Thema
umgeht?“, fuhr sie Ginny beschämt an.
„Wieso?
Bist du ihr direkt mit irgendwelchem Verhütungsquatsch gekommen?“, erriet Ginny
Hermines vorhersehbare Methode, und Hermine wandte den Blick nach vorne.
„Bestimmt hatten sie schon Sex“, nahm Ginny nickend an, und Hermine verzog
wieder den Mund.
„Kannst du aufhören, es ‚Sex‘ zu nennen?“ Angewidert sah Hermine ihre Freundin
von der Seite an. Ginny lachte auf.
„Ich meine“, bemerkte sie, und ihre Augenbrauen hoben sich eindeutig, aber
Hermine starrte dumpf zurück.
„Was?“,
entfuhr es ihr gereizt.
„Sieh ihn dir an. Rose hat Augen im Kopf, garantiert“, bemerkte Ginny, und
Hermine wurde wieder schlecht.
„Was
genau soll das heißen?“, verlangte sie entsetzt zu wissen, und Ginny amüsierte
sich köstlich über Hermines Ekel.
„Scorpius
Malfoy ist ein sehr attraktiver Junge, das ist alles“, schloss sie vielsagend,
und Hermine schloss entnervt die Augen. „Hübsche Kinder werden das, wenn sie
heiraten und schwanger werden…“, ergänzte Ginny lachend, und Hermine schlug
blind nach ihr, und Ginny lachte nur noch lauter.
„Sie
werden nicht heiraten“, entschied Hermine, nachdem sie sich besonnen hatte. Sie
sind sechzehn. Dass sie… ‚Sex‘ haben, das… kann ich schlecht verhindern – und
ich will es auch nicht wissen!“, entfuhr es ihr scharf. „Aber… heiraten…, das…
das wird sich keiner der beiden auch nur im Entferntesten ausmalen können.“
„Richtig“,
entkam es Ginny trocken. „Das mit dir und Ron, das war auch nur lauwarm, ja?“
„Das
war was anderes!“, konterte Hermine streng. „Es hat Krieg geherrscht, und… wir
waren für einander bestimmt!“, beschloss sie arrogant.
„Ja“,
sagte Ginny, mehr oder weniger ernsthaft.
„Was?
Siehst du das anders?“, wollte Hermine fast herausfordernd wissen, aber Ginny
hob wieder abwehrend die Hände.
„Nein.
Es… ist ein wahrhaftiges Märchen, wie Hermine Granger und Ron Weasley
zueinander gefunden haben“, entfuhr es ihr, äußerst trocken. Wieder zuckten Hermines
Mundwinkel.
„Mum!
Mum!“, hörten sie Lily rufen, und mit hochroten Wangen kam das hübsche Mädchen
um die Ecke geflitzt, Rose dicht hinter ihr. „Ich habe den Schnatz gefangen!
Nach zehn Minuten! Zehn Minuten, Mum!“ Ganz klar wollte Lily Lob hören, und das
bekam sie auch.
„Um Jahre besser als James“, sagte ihr Mutter stolz. „Und sogar schneller als
Albus!“, ergänzte sie dann vielsagend und drückte ihre Tochter kurz an sich.
„Ja,
ich weiß!“, entkam es Lily atemlos. Und dann wandte sich das Mädchen an sie.
„Tante Hermine, darf Scorpius morgen kommen?“, wollte sie mit weiten Augen
wissen. „Es wäre so toll! Für Rose und fürs Spielen!“ Hermines Mund öffnete
sich knapp. Rose sah überall hin, nur nicht in ihr Gesicht.
„Lily,
Schatz, das kann ich dir noch nicht sagen.“
„Warum
nicht, Tante Hermine? Wegen Dom? Du wirst doch wohl nicht auch noch auf ihre
dumme Show reinfallen, oder? Wieso weist sie keiner in ihre dämlichen
Schranken? Wir kriegen immer Ärger, und Dom nicht?“, wollte sie wütend wissen,
und leise sprach Rose auf sie ein.
„Ja,
eigentlich hat sie Recht, oder?“, mischte sich Ginny lächelnd ein, und Hermine
schenkte ihr einen gereizten Blick.
„Das ist wirklich die Angelegenheit von Tante Fleur und Onkel Bill, Lily“,
versuchte Hermine es mit Diplomatie.
„Aber-“,
begann Lily, und Hermine seufzte auf.
„-es
ist Heiligabend. Ich möchte wirklich nicht noch mehr Familienstreit
hervorrufen, und wenn ich Rose gestatte, Scorpius einzuladen, dann muss ich es
Hugo gestatten, und willst du wirklich, dass dein Bruder James morgen traurig
ist? Manchmal müssen wir schwere Entscheidungen treffen, zum Wohle der anderen.
Auch wenn die anderen sich genauso rücksichtslos verhalten.“ Hermine hasste
solche Ansprachen eigentlich. Vor allem, wenn es nicht ihre eigenen Kinder
waren, aber Ginny stand lediglich feixend neben ihr und tat gar nichts.
„Es
ist ungerecht“, behauptete Lily bitter. Seit wann Rose und Lily überhaupt Freundinnen
waren, wusste Hermine nicht, aber es gefiel ihr tatsächlich sehr gut.
„Vieles
ist ungerecht, Lily, Schatz“, erwiderte Hermine sanft. „Dom ist
niedergeschlagen. Und es fühlt sich für sie bestimmt schrecklich an, dass Rose
nun mit ihrem Exfreund zusammen ist. Und ich will nicht dafür verantwortlich
sein, dass eure Cousine ausgerechnet am Weihnachtsmorgen so unfassbar traurig
ist. Genau dasselbe gilt für James“, ergänzte sie nachsichtig. „Rose, verstehst
du das?“, wollte sie jetzt von ihrer Tochter wissen, aber Lily stampfte zornig
mit dem Fuß auf.
„Und
dass wir dafür gesorgt haben, dass Onkel Ron nach Hause kommt, dafür, dass
Scorpius und Rumer alles riskiert haben, damit Onkel Ron nicht mehr wütend ist
– dafür bekommen wir nichts?“, wollte sie wütend wissen, und jetzt richtete
sich Ginny zur vollen mütterlichen Größe auf, denn Hermine wusste darauf keine
Worte, keine Rechtfertigung, denn ja, diese Sache stand noch im Raum. Und es
lähmte sie, dass die Kinder von ihrem Streit mit Ron wussten, dass sie wussten,
worum es ging.
„Lily,
es reicht. Diese Sache haben wir noch nicht abschließend geklärt, und glaub
mir, dafür gibt es auch noch Strafen! Es war nicht eure Angelegenheit-“
„-aber
Onkel Ron hätte sonst-!“
„-genug!“,
unterbrach Ginny ihre Tochter scharf.
„Wir
machen alles richtig, und nur weil Dom eine blöde, selbstbezogene Ziege ist,
müssen alle nach ihrer Pfeife tanzen! Sie ist überhaupt nicht traurig! Sie ist
drüber weg, ok? Sie macht es nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen – und selbst
wenn!“, fuhr Lily wütend fort. „Selbst wenn sie traurig ist, dann sollte sie
sich lieber für Rose freuen, so wie ich es tue! Ich war auch in Scorpius
verliebt, Mum! Aber ich sehe ein, wenn andere Leute besser zu einander passen!
Und ich verstehe nicht, wieso Dom nicht einfach wie alle anderen auch, drüber
weg kommen muss!“, blaffte sie, und Ginny atmete hart aus.
„Du
gehst sofort ins Haus, kein Quidditch mehr für dich. Du wirst dich umziehen,
dein bestes Kleid tragen, und wenn deine Cousine heute Abend runter kommt,
erwarte ich, dass du nett und freundlich zu ihr bist, hast du das verstanden?“,
wollte Ginny streng wissen. Lilys Blick sprühte praktisch Funken und zornig
machte sie Kehrt und stürmte davon. Rose stand wie ein begossener Pudel vor
ihnen. Hermines Mund öffnete sich überfordert.
„Ich versteh schon, Mum“, sagte sie still. „Ich will auch nicht, dass Dom
leidet“, schloss sie mit einem traurigen Lächeln, und es brach Hermines Herz,
zu sehen, wie vernünftig Rose geworden war, wie rücksichtsvoll, und es tat ihr
alles so schrecklich leid. „Aber… Rumer ist auch meine Freundin. Lange bevor
James sie kannte. Und es ist auch für mich nicht leicht. Nicht nur für Hugo
oder James“, ergänzte sie ruhig, und Hermine hatte es fast verdrängt. Rumer
gehörte eigentlich zu Rose, und sie wusste nicht, wann alles so furchtbar
kompliziert geworden war.
„Ich
weiß, Liebling“, entfuhr es ihr entschuldigend. „Es tut mir wirklich leid“,
ergänzte sie fast machtlos, und Rose zuckte die Achseln.
„Ja,
ich weiß“, schloss sie und wandte sich ab. Sie und Ginny blieben zurück, und
Ginny seufzte lange auf.
„Wann
genau ist es dazu gekommen, dass die Kinder vernünftiger sind, als wir? Wäre
Dom meine Tochter, dann hätte sie von mir rechts und links eine Ohrfeige
bekommen“, knurrte Ginny zornig.
„Hätte
sie nicht“, bemerkte Hermine kopfschüttelnd, denn Ginny mochte vielleicht
streng wirken, wenn sie sprach, aber sie konnte sich nicht entsinnen, dass
Albus oder James jemals auch nur einen Klapser auf den Po bekommen hatten,
nicht mal, als sie den Schuppen in Brand gesetzt hatten. Also wusste sie sehr
genau, dass Ginny Dom nicht mal mit dem Finger gedroht hätte, wäre es ihre
Tochter.
„Aber
ich hätte drüber nachgedacht!“, entfuhr es Ginny schlecht gelaunt. „Mehrfach“,
beteuerte sie bitter, und Hermine legte lächelnd einen Arm um ihre beste
Freundin.
Ron
und Arthur verließen den Schuppen, zufrieden, im Gespräch vertieft, und Ron war
über und über mit Schmieröl verdreckt. Seine Hände waren praktisch schwarz,
sein Arbeitsshirt besaß unzählige Flecken und sogar sein Gesicht wies Spuren
auf, weil er sich wohl abwesend die Haare aus der Stirn gewischt hatte, mit den
schmutzigen Händen.
„Kinder“,
begrüßte Arthur sie zufrieden, und es beruhigte Hermine, dass Arthur immerhin
nicht böse mit ihr war. Molly hatte einfach damit gerechnet, dass Hermine nicht
nachtragend war, wo doch ihr Goldjunge Ron so artig wieder nach Hause
zurückgekehrt war, aber Arthur war da realistischer. „Ich denke, ich mache mich
fürs Essen fertig, sonst jagt mich meine Frau noch mit dem Nudelholz“, erklärte
er zwinkernd, und Hermine wusste, das war eine echte Wahrscheinlichkeit.
„Und?“,
wollte Ginny von ihrem Bruder wissen. „Läuft das Ding?“ Scheinbar meinte sie
den Rasenmäher.
„Zündkerze
fehlt“, erwiderte Ron bedauernd, und Hermine musste schmunzeln, denn Ginny
schien mit dem Wort nicht viel anfangen zu können.
„Ah“,
machte sie. „Wir haben Kerzen im Haus“, sagte sie dann etwas ratlos, und
Hermine liebte praktisch den nachsichtigen Blick, den Ron seiner Schwester zuteilwerden
ließ. Als wäre es ein großes Muggel-Geheimnis, was seine Schwester nie
begreifen würde.
„Jaah“,
erwidert er lächelnd, „hol mir eine, und wir schauen, ob das funktioniert,
Gin“, schloss er frech, und Ginny schüttelte nur den Kopf.
„Witzig,
Ron“, sagte sie. „Vielleicht verfliegt deine fabelhafte Laune, wenn deine Frau
dich über den neuesten Streit der Kinder aufklärt. Hermine, ich suche Harry.
Zeit, dass sich die Jungs umziehen. Wenn ich sie denn dazu kriege, die Jacketts
überhaupt überzuziehen“, beschwerte sich Ginny erschöpft, und es wäre wirklich
das erste Mal, denn Hermine hatte weder James noch Albus – oder Harry – jemals
im Jackett im Fuchsbau gesehen. Harry nur zur Hochzeit.
„Viel
Glück“, behauptete Ron lächelnd, und Ginny verschwand so gereizt, wie ihre
Tochter es getan hatte. Seufzend sah ihr Mann sie an. „Was habe ich verpasst?“,
wollte er müde wissen, aber Hermine konnte plötzlich nicht anders. Sie liebte
ihren ölverschmierten Mann. Sie schloss den Abstand fast ungeduldig, drängte sich
an ihn, und ihre Hände griffen in seine alte offene Strickjacke, die er trug,
und überrascht senkte sich sein Kopf instinktiv, als sie ihm entgegenkam.
Seine
Überraschung währte zwei Sekunden. Höchstens. Dann hoben sich seine warmen
Hände zu ihrem Gesicht, umfassten es fest, und er vertiefte den Kuss
sehnsüchtig, als wären sie Jahre getrennt gewesen. Sie schmiegte sich an ihn,
und dann schlang er die Arme um ihren Körper, presste sie an sich, küsste sie
heftiger, und seine Zunge schob sich vor. Sie schlang die Arme um seinen
Nacken, und genoss jede Sekunden. Sie war nicht mehr sauer.
Denn
sie hatten dafür gesorgt, eine liebe und verständnisvolle Tochter zu haben, und
einen Sohn, der sich nicht mit den Streitereien der anderen abgab.
Sie
hatten wirklich Glück. Sie waren ein gutes Team.
Glücklich
löste sich Hermine ein Stück von ihm, und grenzenlose Überraschung leuchtete in
seinem Blick. „Wo-wofür war das?“, wollte er atemlos wissen, und Hermine musste
lächeln. Sie zuckte die Achseln.
„Ich
liebe dich, du unmöglicher Idiot“, erklärte sie scheu, und er schenkte ihr ein
strahlendes Lächeln. Alle Schwere, alle Sorgen waren von ihm abgefallen, und er
zog sie nur wieder an sich. Dieser Kuss war sanfter, liebevoller, und
schließlich löste er sich wieder und ergriff ihre Hand.
„Komm,
wir gehen rein. Es ist kalt, und… vielleicht könnten wir eine Dusche
vertragen?“, schlug er scheinheilig vor, aber Hermine hatte schon gespürt,
welche Art ‚Dusche‘ ihr Mann wohl meinte. Sie hatte auch Sehnsucht nach ihm.
Mehr als das. Sie betraten den Fuchsbau über die offene Eingangstür, und George
und Angelina hoben den Blick. Es war allerdings Teddy, der anerkennend den
Daumen in die Höhe reckte.
„Wieder
vertragen?“, erkundigte sich der junge Mann eindeutig, und Hermines Blick fiel
abwesend in den Garderobenspiegel gegenüber. Ihr Gesicht war ölverschmiert, wie
auch ihr Pullover. Schamesröte kroch in ihre Wangen. Manchmal war sie auch noch
ein junges Mädchen. Aber Ron neben ihr grinste ungeniert.
„Sieht
so aus“, bestätigte er, und George und Angelina wirkten ebenfalls erleichtert.
„Na
los“, raunte Ron ihr zu und zog sie Richtung Treppenhaus, „ich will dich jetzt,
ziemlich dringend, Hermine“, erklärte er rau, und Hermine musste den Blick
senken, so unanständig war es von ihm. Aber sie konnte nicht lügen.
„Ich
dich auch“, erwiderte sie leise, und dass sie nicht zwei Stufen auf einmal
nahmen, war auch schon alles.
Es war unangenehm, so viel stand fest.
Ihre Eltern verhielten sich fast kindisch, denn Rose sah genau, wie ihr Vater
unter dem Tisch die Hand ihrer Mutter in seiner hielt. Sie hatten sich wieder
vertragen, und das war das einzige, was Rose wirklich freute. Hugo hatte es
auch schon bemerkt, und die Geschwister tauschten wissende Blicke. James
stocherte auf seinem Teller rum, wirkte gänzlich abgelenkt und mied Hugos
Blick. Rose wusste, er gab sich Mühe, aber scheinbar hatte James Potter das
erste Mal Liebeskummer. Es war wohl nicht so einfach für ihn.
Albus
war unhöflich und laut wie eh und je, und Tante Ginny hatte alle Hände voll
damit zu tun, ihn zu maßregeln und Strafen anzudrohen.
Vic
hatte sich schon zweimal entschuldigt und den Tisch verlassen, und Dom saß
bockig gegenüber auf der anderen Seite und hatte noch keinen Bissen gegessen,
egal, wie oft und bestätigend Tante Fleur ihr über die seidig glänzenden Haare
strich.
Lily
saß neben ihr in einem hübschen Kleid, und Lily hasste jede Sekunde hier unten,
Rose spürte es.
„Tja“,
entfuhr es Grandpa Arthur schließlich ein wenig unbeholfen, „schön, dass wir alle
wieder zusammentreffen, nicht?“, sagte er, um etwas zu sagen, um sich dann an
Grannie Molly zu wenden. „Wirklich wunderbar gekocht, Liebes“, ergänzte er, und
auch ihre Großmutter war wieder besser gelaunt, denn auch sie schien zu sehen,
dass Mum und Dad sich vertragen hatten.
Aber
sie schien auch zu merken, dass sich die Familie zurzeit nicht wirklich gut
verstand. Das Essen hatte sich in stille Längen gezogen, und schließlich legte
Grannie Molly ihre Serviette zur Seite.
Rose
sah genau, dass sie sprechen würde. Sehr genau. Und ihr Blick war streng, wie
eigentlich immer.
„Meine
Lieben“, begann sie, aber ihre Stimme klang nicht halb so freundlich, wie ihre
Worte. Die Erwachsenen hoben die Blicke quer über den Tisch. Grannie Molly saß
immer am Kopf des großen Tisches. Immer schon. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass
es Uneinigkeiten unter euch gibt.“ Sie sprach mit den Erwachsenen, als auch mit
den Kindern. „Und ich weiß auch, dass es schwieriger geworden ist. Seit einigen
Jahren empfange ich Rumer MacLeod und Scorpius Malfoy als Gäste in meinem Haus,
Rose und Albus zu Liebe“, ergänzte sie scharf. „Und ich habe mir erlaubt, die
beiden für morgen ebenfalls einzuladen, da es Tradition geworden ist und es
unhöflich wäre, es nicht zu tun“, schloss sie streng, und Rose konnte zusehen,
wie Doms Kinnlade offen fiel. „Ich weiß, dass es für euch vielleicht nicht
vollkommen ideal ist, aber… ich habe dieses Jahr für beide Pullover gestrickt.
Es wäre wirklich schade, wenn sie diese nicht zu Weihnachten bekämen, nicht
wahr?“, wollte sie streng wissen. „Außerdem ist es das erste Weihnachten für
Scorpius ohne seine liebe Mutter, und ich kann mir nicht vorstellen, wie das
für eine Familie sein muss. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, Draco
Malfoy und seine Schwägerin ebenfalls für morgen einzuladen.“
Es
war, als detonierte eine stille Bombe. Alle Geräusche am Tisch waren mit einem
Mal verstorben. „Wir sind eine offene, liebevolle und berüchtigte Familie. Und
berüchtigt sind wir nicht dafür, Feindschaften zu halten oder nachtragend zu
sein! Wir sind berüchtigt für unsere Gastfreundschaft, und diese gedenke ich
auch dieses Jahr aufrechtzuerhalten. Wer ein Problem damit hat, kann sich gerne
direkt an mich wenden. Je mehr, desto besser, meine ich. Es ist mein Haus, und
jeder ist willkommen, der gerne kommen möchte.“
Grandpa Arthur hatte die Hand seiner Frau ergriffen und nickte
bestätigend.
Ihre
Ansprache war vorbei, und Rose sah sehr genau, wie Hugo versuchte, das Grinsen
zu verbergen. Dann fing er Roses Blick, und hob kurz die Augenbrauen. Ihr
Bruder war ein verdammtes Genie, ging ihr schockiert auf. Er war nicht zu James
gegangen oder zu Dom. Er war direkt zu der Quelle gegangen, die den größten
Erfolg versprach. Dort war er also heute Nachmittag gewesen! Denn, wenn Hugo
Grannie Molly sein Leid klagte und es damit würzte, dass Scorpius auch noch
ärmer dran war, als ihre Familie, dann gäbe es für Grannie Molly keine andere
Wahl.
Hätte
sie einen Hut, würde sie ihn ziehen. Vor ihrem Bruder, dem Genie.
Es
würde das beste Weihnachten der Weasley-Geschichte werden!
Er war so nervös, als wäre er noch nie
im Fuchsbau gewesen. Dabei war es mittlerweile sein fünftes Jahr. Er kannte den
Fuchsbau, er kannte die Weasleys, aber es war das erste Mal, dass sein Dad ihn
begleitete. Scorpius wartete bereits ungeduldig am Treppenabsatz, denn er
wollte los. Sein Vater kam endlich die Treppe runter, aber Scorpius‘ Kiefer
lockerte sich.
„Was soll das denn?“, entfuhr es ihm, und sein Vater verharrte abrupt auf den
Stufen.
„Was?“, entkam es ihm defensiv, bevor sein Blick fiel. „Zu viel?“, wollte er
überfordert wissen, und Scorpius nickte ungläubig.
„Äh – ja? Wir gehen nicht ins Theater, Dad“, erwiderte er fassungslos. Sein Vater
trug seinen besten Anzug, die teuerste Seide, lächerlich glänzende Schuhe – und
das ging nicht. Die Weasleys waren… gemütlich, unbefangen, und sein Dad tat so,
als wäre es ein Staatsempfang.
„Woher soll ich das wissen?“, schnaubte sein Vater gereizt. „Fein“, ergänzte er
dann, und Tante Daphne kam aus dem Gästebad. Ihre Augen wurden groß.
„Gehen wir vorher noch auf eine Beerdigung?“, erkundigte sich seine Tante
Daphne, die seiner Mutter nur manchmal sehr ähnelte, aber ihr Humor erinnerte
Scorpius immer schmerzlich und gleichzeitig liebevoll an seine Mum.
„Witzig, Daphne“, knurrte sein Dad wütend. „Wir kommen zu spät, wenn ich mich
jetzt noch umziehen muss“, ergänzte er warnend.
„Vielleicht kannst du dich ja gerade noch davon abhalten, die beste Robe mit
Seide und Spitze anzuziehen, hm?“, erkundigte sich Tante Daphne mit
verschränkten Armen, während sie den Kopf schüttelte. Tante Daphne, die sich
eigentlich ausschließlich in höherer Gesellschaft bewegte, sah wesentlich
präsentabler aus als sein Dad. Sein Vater war immerhin nervöser als er. „Dein
Dad hat Angst“, bemerkte Tante Daphne wohlweislich, als sein Vater außer
Hörweite war.
„Wovor?“, wollte Scorpius ein wenig ratlos wissen.
„Vor Harry Potter, nehme ich an.“
„Sie trainieren zusammen im Ministerium“, widersprach Scorpius kopfschüttelnd.
„Unerheblich. Wir alle fürchten Harry Potter ein klein wenig“, sagte sie
lächelnd.
„Mr. Potter ist wirklich nett“, beteuerte Scorpius lediglich.
„Ich zumindest bin sehr gespannt“, sagte Tante Daphne. Ihr ging es mittlerweile
schon besser, und sie sprach auch nicht mehr über Onkel Blaise. Zumindest nicht
mehr sehnsüchtig und traurig. Sie nannte ihn mittlerweile ‚den Arsch‘, was
Scorpius sehr witzig fand. „Auch auf deine Freundin“, ergänzte sie wohlwollend.
Scorpius wurde nicht rot, aber unangenehm war es trotzdem. „Hermine Grangers
Tochter, nicht wahr?“, erkundigte sich Daphne, die gut informiert war. Scorpius
ruckte mit dem Kopf, obwohl der Nachname nicht mehr passte. „Deiner Mutter
hätte das gefallen. Sie und Hermine haben sich damals gut verstanden“, ergänzte
sie. Scorpius wusste darüber nicht viel, ruckte aber wieder mit dem Kopf. Er
hatte sich ziemlich unmöglich gegenüber Mrs Weasley verhalten, fiel ihm wieder
ein. Er hoffte, sie wäre nicht nachtragend. „Weiß dein Großvater
Bescheid?“, wollte sie probehalber wissen, die Lippen angespannt.
„Oh ja“, bestätigte Scorpius, denn gestern Abend war kein guter Abend gewesen.
Heiligabend ohne seine Mum war schon schlimm genug, aber dann gegenüber seinem
Großvater zu sitzen, während er ihm hundert Gründe aufzählte, besser nichts mit
den Weasleys zu tun haben, war noch anstrengender. Als Scorpius sich dann
wirklich handfest gestritten hatte, hatte sich sein Vater erhoben und
angekündigt, dass sie jetzt besser nach Hause gingen. Scorpius hatte völlig
haltlos geschrien, seinem Großvater eröffnet, dass er weder Gold noch Titel
haben wollte, und seine Großmutter hatte Tränen der Bestürzung vergossen.
Typisches Malfoy-Weihnachten, nannte er es. Dass sie sich nicht stritten wäre
eine absolute Seltenheit.
Und deshalb freute er sich auf den Fuchsbau, auch wenn Dom es garantiert nicht
einfach machen würde. Wenn er ehrlich war, dann zählte sowieso nur Rose.
Niemand sonst.
Er hatte ihr Geschenk schon lange, und er war nervös, es ihr zu geben. Wirklich
extrem nervös. Es war… ziemlich persönlich, und fast hoffte er, sie hätte
nichts für ihn, denn er würde sich nur schämen.
Fast merkte er nicht, wie Tante Daphne die Hände von hinten auf seine Schultern
legte. Sie seufzte leise auf, und dieses Geräusch erinnerte ihn so stark an
seine Mum, dass er kurz schlucken musste und die Augen schloss.
Denn wenn er die Augen schloss, sich vorsichtig an sie lehnte, ihre warmen,
schmalen Hände auf seinen Schultern spürte, dann… konnte er sich vorstellen, es
wäre seine Mum. Nicht seine Tante.
Die Tränen kamen sehr plötzlich, und es war nicht so, dass er nicht umarmt
wurde. Sein Dad umarmte ihn ständig, aber… von einer erwachsenen Frau bekam er
keine Zuneigung. Vielleicht war es das.
Er wusste, sein Dad hatte sich Mühe gegeben. Das Haus war geschmückt, aber
nicht so detailreich, wie es seine Mutter sonst gemacht hatte. Dad hatte die
verzauberten Schlittenfahrer nicht aufgehangen, hatte den Spruch nicht
gesprochen, damit das Wohnzimmer nach Minzstangen roch, und Scorpius hatte es
ihm nicht sagen wollen.
„Komm her, mein Liebling“, murmelte Tante Daphne mit beschlagener Stimme,
drehte ihn zu sich herum und schloss ihn sanft in ihre Umarmung. Mit
geschlossenen Augen fühlte sie sich an, wie Mum. Er presste sich fest an sie,
und liebevoll strich sie über seinen Kopf. „Ich vermisse sie auch, Scor“,
flüsterte sie. Tante Daphne war wesentlich angenehmer, ohne Onkel Blaise. Sie
war nicht so aufgedreht und ungeduldig. Sie hatte keine Kinder, und manchmal glaubte
Scorpius, dass das für sie auch furchtbar sein müsste. Er wusste es nicht. Er
wusste nicht, was sie und Onkel Blaise all die Jahre aneinander gefunden
hatten. Seine Tante war sehr schön. Etwas größer als seine Mum, die Haare etwas
dünner als die seiner Mum, die Gesichtszüge etwas länglicher, aber ansonsten
hatten sich die Schwestern immer sehr geähnelt. Sie war schlank, sie roch sehr
gut, und für einen Moment genoss Scorpius diese Nähe. Je länger es dauerte,
umso mehr erinnerte er sich an seine Mutter und merkte, wie verschieden die
Schwestern doch waren. Zuerst hatte er gedacht, es wäre genau dasselbe, und
fast war er erleichtert, zu sehen, dass er seine Mum doch nicht vergessen
hatte, dass er sofort alle Unterschiede hätte aufzeigen können.
Seine Mum hätte ihn irgendwann gekitzelt, hätte sich gelöst, hätte ihn
geärgert. Tante Daphne tat das nicht. Sie hielt ihn fest, und Scorpius löste
sich selbst von ihr. Er lächelte zu ihr auf. Sie hatte selber ein paar Tränen
geweint. Energisch streckte sie den Rücken durch, lächelte die Tränen fort, und
fuhr ihm mit beiden Händen über die Wangen, wischte auch seine Tränen weg.
„Jetzt wird nicht mehr geweint, oder dein Dad wirft mich raus“, prophezeite sie
besorgt, aber Scorpius schüttelte den Kopf.
„Tut er nicht“, widersprach er grinsend. Er glaubte, seinem Das gefiel Tante
Daphnes Anwesenheit, auch wenn er viel schimpfte. Niemand war gerne allein.
„Würde er gerne. Ich weiß, was er von mit denkt“, entkam es ihr eindeutig, mit
erhobenen Augenbrauen.
„Er mag dich, Tante Daphne“, sagte Scorpius freundlich. „Ich mag dich auch“,
ergänzte er, und wieder glänzten ihre Augen.
„Wenn… wenn du irgendwas brauchst, ja? Egal, was – dann… ruf durch, ok? Sag
einfach Bescheid, dann… komm ich! Versprochen“, erklärte sie ihm, etwas
überfordert, aber er verstand schon. Er lächelte breiter.
„Ok. Danke“, sagte er nickend.
„Wie sehe ich aus?“, fragte sie dann, wechselte das Thema, machte einen Schritt
zurück, um sich zu präsentieren, und das war wieder typisch seine Mum. Das
hätte sie ihn auch gefragt. Tante Daphne deutete auf ihre schmale Figur. Sie
trug einen eleganten Rock, darüber eine luftige hellblaue Bluse, die gut zu
ihren dunklen Haaren passte, und sie sah wesentlich besser aus, als noch vor
ein paar Wochen. Sie wirkte jünger, fröhlicher. Sie war wirklich hübsch.
„Fantastisch“, sagte Scorpius, mit etwas belegter Stimme, denn dasselbe hatte
er zu seiner Mum gesagt, wenn sie ihn gefragt hatte. Tante Daphne nahm das
Kompliment mit einem Lächeln an.
„Charmeur“, behauptete sie kopfschüttelnd. Dann seufzte sie auf. „Draco, du
bist nicht die Prinzessin des Balls, beweg dich endlich!“, rief sie die Treppe
nach oben, und Scorpius musste des Lachen verbergen, als er die gereizte Stimme
seines Vaters vernahm.
Rose war nervös. Sie standen alle im Wohnzimmer, wie die Orgelpfeifen.
Trotz aller Wut und Trauer hatte Dom es doch tatsächlich geschafft, alle
Register zu ziehen. Sie sah unglaublich aus. Die goldenen Haare leuchtend und
weich, das Gesicht strahlte vor Schönheit, und Rose wurde fast übel bei ihrem
Anblick. Sie sah viel zu gut aus. Dom machte sehr gute Miene zum bösen Spiel,
und Rose konnte nicht erwarten, dass Hogwarts vorbei wäre, und Dom endlich –
endlich – weg zog! Weit weg! Vielleicht irgendeinen Grafen in Frankreich
heiratete. Das wäre das Beste für alle. Ihre Schwester hingegen war merklich
blasser als sonst. Vic schien es nicht so blendend zu gehen. Aber auch James
und Albus wirkten nicht sonderlich begeistert. Albus wahrscheinlich, weil er
keine Geschenke bekam, und James… na ja, weil er Liebeskummer hatte.
Hugo stand neben ihr, groß und unnahbar, und Rose hätte für tausend Galleonen
nicht sagen können, was er denken mochte.
Alle wirkten ein wenig angespannter. Die Malfoys waren bereits fünf Minuten zu
spät, und Grannie Molly bestand aber darauf, dass sie auf die Ankunft der Gäste
warteten.
Bevor es tatsächlich unangenehm wurde, und sie alle darüber nachdachten, wo sie
sonst sein könnten, klopfte es an der Tür. Es war Grannie Molly, die öffnete,
und Rose beherrschte sich, nicht auf die Zehenspitzen zu gehen. Grannie Molly
begrüßte die Gäste ausgiebig, umarmte sogar Scorpius‘ Vater und seine Tante,
und dann traten die Gäste ins Wohnzimmer.
Und ihr Dad löste sich als erstes, begrüßte die Gäste ebenfalls, so wie ihre
Mum nach einer kurzen Sekunde. Sie hatten Rumer direkt mitgebracht. Sie
steuerte sofort auf sie und Hugo zu, umarmte Rose heftig, und Hugo schien so
viel Taktgefühl zu besitzen, Rumer lediglich die Hand zu reichen. Rose spürte
James‘ Blick auch von hier aus.
Scorpius begrüßte ihren Vater unangenehm lange, und Rose wusste bei Merlin
nicht, worüber beide sprachen. Endlich kam er zu ihr, aber sein Blick glitt
durch die Runde, und sie wusste, er hatte Dom erkannt. Er nickte ihr sogar zu,
und Dom nickte kühl und tapfer zurück.
Rose war mäßig übel, und endlich stand er vor ihr.
Und er besaß nicht Hugos Taktgefühl. Bevor Rose knallrot werden konnte, hatte
er sich zu ihr gebeugt und küsste ihre Lippen sanft.
„Frohe Weihnachten“, murmelte er, und er roch fantastisch. Er trug einen
dunklen Blazer, und seine hellen Haare lagen dicht und ordentlich, und sie
liebte ihn so sehr, dass es albern war. Ihre Mundwinkel hoben sich.
„Frohe Weihnachten“, wiederholte sie atemlos.
„Ich würde vorschlagen, wie beginnen mit den Geschenken, nicht wahr? Wir haben
lange genug ausgehalten“, beschloss Grannie Molly laut, und es lockerte die
Stimmung tatsächlich. Innerhalb weniger Minuten, war das Wohnzimmer ihrer
Großeltern in einem regelrechten Geschenkechaos versunken. Rose könnte sie
nicht mal zählen. Es waren achtzig Geschenke? Vielleicht mehr? Und alleine
davon bekam sie bestimm fünfzehn auf den Schoß gestapelt. Sogar Dom vergaß kurz
ihre schlechte Laune, als sie die monströse Schminkkommode auspackte, die Schubladen
prall gefüllt, mit tausend verschiedenen Beauty Produkten.
Hugo bekam bestimmt zehn Bücher geschenkt und war bereits in einen großen
Wälzer zusammen mit Rumer vertieft.
Alby saß etwas abseits von ihr und blickte ziemlich missmutig drein, aber dann kam
Onkel Harry aus der Küche zurück. Er hatte ein einzelnes Paket auf dem Arm.
„Ginny und ich haben nachgedacht“, begann er laut, und Alby hob vorsichtig den
Blick. „Und… vielleicht ist ‚kein Geschenk‘ etwas zu hart“, schloss er dann
lächelnd. „Also… gibt es zumindest ein einziges Geschenk für dich, Al“, fuhr er
fort und reichte seinem Sohn das Paket. Alby biss sich auf die Lippe, bevor er
das Papier zurück schlug.
„Oh verdammt!“, entfuhr es ihm ungehalten, als er die Box erkannte, und Grannie
Molly schürzte missbilligend die Lippen, aber auch James hatte sich erhoben.
„Der Silver 5000!“, entfuhr es James mit weiten Augen, und Rose und Scorpius
erhoben sich praktisch automatisch sowie auch Louis, Rumer, Fred und Lily. Sie
standen dicht gedrängt um Alby, der mit fahrigen Bewegungen, die Box öffnete
und einen Rennbesen offenbarte, der Stiehl aus Koboldmetall gefertigt, die
Borsten glänzend und gefettet zusammengefasst, und eingraviert lasen sie die
drei verschnörkelten Zeichen der Koboldsprache. Das Markenzeichen dieses
Besens. Das Wort für Koboldsilber. Ihr Vater drängte sich unauffällig zwischen
sie.
„Das nenn ich einen Besen“, bestätigte er anerkennend.
„Er ist gebraucht“, sagte Onkel Harry sofort, die Warnung in der Stimme. „Und
es ist ein Probebesen. Solltest du dir irgendeine, noch so kleine Missetat
leisten, kommt er zurück in die Box“, schloss er eindringlich, aber Alby sah
ihn selig an.
„Danke Dad!“, flüsterte er, überließ den anderen seinen Besen, um seinen Vater
zu umarmen. Onkel Harry musste grinsen.
„Ach, hör schon auf“, sagte sein Vater und zerstrubbelte seine Haare. Auch
Grannie Molly schob Alby unauffällig ein paar verborgene Geschenke zu und
zwinkerte verschwörerisch.
Es war ein wirklich schöner Weihnachtstag bisher. Auch wenn Rose Scorpius sein
Geschenk noch nicht gegeben hatte. Sie hatte auch keines von ihm bekommen, aber
von seinem Vater und seiner Tante hatte sie ein wunderschönes, in Leder
gebundenes Tagebuch bekommen sowie Quidditchhandschuhe mit ihren Initialen. Sie
war begeistert.
Die Erwachsenen plauderten ausgelassen, während die Kinder das Wetter
inspizierten, und nur darauf warteten, nach draußen zu können, um den Besen
auszuprobieren.
Es war Rumer, die aushandelte, das Essen noch ein wenig zu verschieben, und
Grannie Molly gefiel Rumers direkte Art so gut, dass sie ihnen erlaubte, noch
eine Stunde nach draußen zu gehen. Onkel Harry, ihr Dad, Onkel George, Tante
Angelina und Onkel Bill folgten ihnen direkt nach draußen.
Alby konnte kaum erwarten, den Besen zu besteigen und stieß sich glücklich vom
kalten Boden ab. Es roch nach Schnee, aber noch war keine Flocke zu entdecken.
Scorpius verschloss seine Jacke, und Rose setzte die Mütze auf. Im Schuppen
standen genug Ersatzbesen, so dass sie alle spielen konnten. Sie spürte plötzlich
Scorpius Hand. Er schob etwas in ihre Jackentasche. Sofort fuhren ihre Finger
ins Innere der Tasche und schlossen sich um ein sehr kleines Geschenk. Sie hob
den Blick zu seinem Gesicht. Er lächelte etwas scheu.
„Pack es später aus“, raunte er ihr zwinkernd zu, und ihr Herz machte einen
Satz. Er hatte ein Geschenk für sie! Sie knöpfte die Tasche zu, damit das
Geschenk nicht rausfallen konnte, und Vic hatte mal gesagt, die besten
Geschenke sind in der kleinsten Verpackung. Rose war vollkommen nervös. Denn…
es wäre Schmuck, nicht wahr? Ihr Freund schenkte ihr Schmuck. Sie besaß keinen
Schmuck, denn sie legte keinen Wert darauf, aber… allein der Gedanke daran,
dass Scorpius sich die Mühe gemacht hatte, ihr etwas Kostbares zu besorgen,
ließ ihre Knie weich werden.
Es war der beste Nachmittag. Sie verspürte keinen Hunger, und ihrer Familie
schien es ähnlich zu gehen. Sie spielten ausgelassen miteinander, und Lily flog
fantastisch, und Rose war so stolz auf sie. Sie selber musste ein wenig
vorsichtiger fliegen, aber Scorpius würde noch früh genug erfahren, warum.
Schnell verschwand die Sonne, und die Kälte kroch durch ihre Jacken, lag schwer
in der Luft, und irgendwann riefen sie ihre Eltern nach drinnen, und endlich
verspürte Rose den Hunger.
Sie fühlte sich so leicht, fand den weg an Scorpius‘ Seite schnell und ohne
Zögern, und selbst Hugo holte Rumer von draußen ab, küsste sie innig, und
selbst James war nicht mehr vollkommen verbissen und traurig.
Drinnen schälten sich die Kinder aus ihrer klammen Kleidung und versammelten
sich um den großen Tisch, der fast barst, mit all den Köstlichkeiten. Kerzen
standen einladend in der Mitte, und sie genossen alle die wohlige Wärme. Und
nicht mal Doms Anwesenheit störte Rose noch sonderlich. Sie versammelten sich um
den Tisch, nahmen Platz, und nur noch Vic und Ted fehlten, stellte Rose fest.
Unter dem Tisch hatte Scorpius ihre Hand ergriffen, und Rose dachte nur noch an
die kleine Schachtel in ihrer Jackentasche. Sie war völlig aufgeregt.
Und dann betraten Vic und Ted das Esszimmer, die Hände fest ineinander, die
Finger verschränkt. Und Vic wirkte merklich blass, hielt den Blick aber
aufrecht, in Richtung ihrer Eltern.
„Mum, Dad“, begann sie mit belegter Stimme, und die Gespräche verstummten
langsam.
„Vic, Liebling, setz disch“, forderte ihre Mutter sie lächelnd auf.
„Was ist los, Vic?“, wollte Onkel Bill etwas wachsamer wissen, und Vic atmete
knapp aus.
„Wir sind schwanger“, sagte Vic, ohne Angst, ohne Scheu, und die Erwachsenen
verstummten gänzlich. „Das Kind werde ich nach den Utzen bekommen, also werde
ich einen Abschluss haben, keine Sorge, Dad“, fuhr sie fort. „Ted hat seine
Ersparnisse bereits angelegt, und wir haben uns ein nettes, kleines Haus in
Hogsmeade angesehen, das wir uns leisten können. Ich weiß, dass es nicht ideal
ist, aber… so ist es jetzt“, schloss sie, um Kontenance bemüht.
Tante Fleur wirkte vollkommen erschlagen, genauso wie Dominique, die ihre
Schwester ungläubig anstarrte. Niemand sagte etwas. Rose wandte unauffällig den
Blick, aber es schien für jeden hier eine Neuigkeit zu sein. Außer vielleicht…
für Lily, denn diese hatte ein warmes Lächeln auf den Lippen.
„Wir waren bei der Heilerin. Es ist alles in bester Ordnung. Und es wird ein
Mädchen“, schloss Vic, und sehr kurz hoben sich ihre angespannten Mundwinkel in
stiller Vorfreude, bevor sie wieder sehr ernst wurde. „Wir hoffen, ihr könnt
damit umgehen. Verzeiht, dass wir euch das Fest verdorben haben, aber… ich
wollte es nicht länger geheim halten.“
Die beiden standen recht verloren nebeneinander, und schließlich erhob sich
Grannie Molly und schloss den Abstand zu Vic und Ted.
„Meine Liebe, das ist wundervoll“, sagte ihre Großmutter mit warmer und
liebevoller Stimme. „Keine Angst! Wir werden uns kümmern!“, versprach sie fest,
als sie beide in die Arme schloss. Und dann erhoben sich auch Onkel Bill und
Tante Fleur, bis schließlich alle aufstanden, um eilig zu Vic zu gehen. Tante
Fleur weinte sogar, und Onkel Bill schien zu schwanken zwischen Wut Freude,
aber letztendlich drückte er auch Ted an sich, gratulierte beiden und versprach
ihnen, dass es nicht das Ende der Welt war, und Rose hatte zwar keine Ahnung,
was sie Vic sagen sollte, aber auch sie drückte ihre Cousine, und war froh,
dass es kein Familiendesaster gegeben hatte. Vic weinte vor Erleichterung, und
alle mussten aufrücken, damit Vic und Ted neben Grannie Molly sitzen konnten.
Dom konnte gar nicht aufhören, davon zu erzählen, dass sie Tante werden würde,
und Rose und Scorpius tauschten ein Grinsen.
Es wurde ein lautes, unverwechselbar lustiges Essen, und alle wurden satt. Rose
bemerkte auch, dass sich Scorpius‘ Tante sehr ausgiebig mit Onkel Charlie
unterhielt und selbst über seine schlechtesten Witze lachte. Sie nahm an, Onkel
Charlie war ziemlich froh, dass er die Einladung von Grannie Molly doch nicht
ausgeschlagen hatte. Allerdings entschuldigten sich die Kinder schließlich,
denn die Erwachsenen hatten begonnen über langweilige Themen zu reden, und vor
allem Roxy wollte mit ihren Geschenken spielen. Aber Dom kam nicht mit ihnen.
Sie blieb bei ihrer Schwester, rückte ganz nahe an sie heran und hatte nur noch
Augen für Vic. Es war so seltsam, dass Rose fast versucht war, mit Dom zu
sprechen. Aber sie wusste, sie sollte lieber dankbar dafür sein, dass Dom ihr
keine Vorwürfe machte.
Die anderen liefen plaudernd nach oben, aber Rose und Scorpius blieben zurück.
Die anderen schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, und im halbdunklen Flur
blieben sie stehen. Als hätte Scorpius schon viel zu lange gewartet und als
könne er sich kaum noch beherrschen, drängte er sie gegen die dunkle Flurwand.
Ihre Lippen fanden sich auch im Halbdunkeln. Damit kannten sie sich schon aus.
Sie legte sanft die Arme um seinen Nacken, und sein Drängen schickte neue
Erregung durch ihren Körper.
„Möchtest… möchtest du dein Geschenk sehen?“, fragte sie ihn zwischen zwei
Küssen, und er lehnte schwer atmend den Kopf gegen ihre Stirn.
„Du hast ein Geschenk für mich?“, erkundigte er sich rau, und sie nickte still.
„Du hast doch auch eins für mich“, erwiderte sie mit leiser Empörung, und er
ruckte mit dem Kopf.
„Na ja, das heißt nicht, dass-“
„-möchtest du es haben, oder nicht?“, unterbrach sie ihn herausfordernd, und er
schwieg.
„Sehr gerne“, sagte er still, und dann löste sie sich von ihm, holte zunächst sein
kleines Geschenk für sie aus ihrer Jackentasche und ergriff seine Hand, als sie
wieder zu ihm schlich.
„Lass uns ganz nach oben. Dort werden die anderen nicht sein“, ergänzte sie
vielsagend, und sie erkannte sein schneeweißes Grinsen auch im Dunkeln.
Ihr Herz schlug schnell. Denn ihr Geschenk für ihn war… etwas anders, als
konventionelle Geschenke. Und sie war sich nicht völlig sicher, ob es ihm
überhaupt gefallen würde.
Und vor allem war sie gar nicht diejenige gewesen, die es besorgt hatte. Sie hatte
Lily beauftragt, denn Rose hatte gar nicht wirklich gewusst, was sie einem
Jungen schenken könnte, der sich alles ohne weiteres kaufen konnte – und der
wahrscheinlich auch schon alles hatte.
Endlich erreichten sie den dritten Stock, waren still und leise an den übrigen
Zimmern vorbeigeschlichen, und die anderen waren im ehemaligen Zimmer der
Zwillinge und lachten und erzählten irgendwelche Hogwartsgeschichten.
Oben öffnete Rose die Tür zum Zimmer von Tante Ginny. Es war ein schmales
Zimmer, und die anderen kamen selten hier hoch, eben weil es zu eng war. Rose
verschloss vorsorglich die Tür und wusste, sie hatten kein sonderlich großes
Zeitfenster.
Sie entfachte die Lampen per Hand, und es dauerte einen Moment. Scorpius
wanderte durch das kleine Zimmer, betrachtete die alten Bücherregale voller
uralter Quidditchzeitschriften, und dann standen sie sich gegenüber, Rose ein
wenig atemloser als er.
„Pack deins zuerst aus“, forderte er sie auf, und in seiner typisch unsicheren
Geste, kämmte er sich die Haare über den Kopf. Sie löste mit fahrigen Fingern
das schmale Band, schlug das Papier zur Seite, und wusste, sie hatte recht. Es
war eine Samtschachtel. Etwas abgegriffen, etwas älter. „Ok, es… es ist nicht,
was du denkst“, sagte er hastig, als sie mit großen Augen den Deckel öffnete.
Ihr Mund öffnete sich stumm. „Ich weiß, es sieht so aus, aber… es ist nicht,
was du denkst“, wiederholte er heiser, und ihr Blick war auf den bildhübschen
Ring gefallen.
Er war filigran und unbeschreiblich schön, und sie konnte nur raten, dass der
funkelnde Stein ein Diamant war. Ihr Blick hob sich ängstlich wieder. Er kam
näher, nahm ihr die Schachtel ab und zog den Ring heraus. „Es… es war der
Verlobungsring meiner Mum“, erläuterte er kleinlaut. „Und… ich habe ihn für dich
neu gravieren lassen – und ich weiß, ein Verlobungsring ist nicht wirklich…
passend, da ich dir keinen Antrag machen will, aber… zumindest hast du ihn
einfach schon, für den Fall“, schloss er nervös.
„Für… für den Fall?“, wiederholte sie mit piepsender Stimme. Sie sahen sich in
die Augen.
„Für den Fall, dass wir… zusammen bleiben und… du mich tatsächlich behalten
willst. Für den Fall eben“, erläuterte er leiser. Sie nahm den Ring vorsichtig
entgegen und betrachtete die Innenseite. Tatsächlich! Auf der einen Hälfte
standen die Initialen A+D in feinster Kalligraphie, und auf der anderen Seite
erkannte sie etwas deutlicher die Buchstaben R+S. Sie starrte ihn wieder an.
„Nicht gut?“, vermutete er tonlos, aber sie schloss kopfschüttelnd den Abstand
und küsste ihn sofort. Überrascht schlossen sich seine Augen und er zog sie
sofort an sich. Der Kuss war lang und nervenaufreibend, und sie löste sich mit
knallroten Wangen wieder.
„Jetzt… jetzt komme ich mir wirklich doof vor“, murmelte sie beschämt. „Ich
habe… ein komplett anderes Geschenk für dich“, schloss sie bitter. Er sah sie
an.
„Rose, ich weiß, das… ist ein gewagtes Geschenk. Aber… meine Mum hat mir
gesagt, ich soll den Ring dem Mädchen geben, was die Eine für mich ist. Und,
egal ob wir zusammen bleiben und heiraten, oder ob du nächstes Jahr deine
Meinung änderst und mich verlassen willst – du bleibst die Eine, Rose“, sagte
er mit fester Stimme, und es trieb ihr die Tränen in die Augen.
„Oh Scorpius! Ich liebe dich so sehr!“, entkam es ihr mit belegter Stimme und
sie warf die Arme um seinen Nacken.
„Ich liebe dich auch“, flüsterte er in ihre Haare und hielt sie fest. Dann
löste sie sich wieder und er nickte ihr auffordernd zu. „Willst du probieren,
ob er passt?“ Als bekäme sie jeden Tag Diamantringe geschenkt! Ihr Vater würde
höchstwahrscheinlich einen Schock kriegen, würde er den Ring sehen. Aber Rose
schob ihn mit roten Wangen auf ihren Ringfinger, und er passte perfekt!
„Wow“, flüsterte sie, als sie auf den funkelnden Stein an ihrem Finger blickte.
Ihre Hand sah direkt edler aus.
„Du musst ihn nicht tragen, wenn du-“
„-ich werde ihn nie wieder absetzen“, versprach sie blind, und begriff nicht
mal, was diese Worte letztendlich bedeuteten. Scorpius lächelte ein schönes
Lächeln.
„Gut“, erwiderte er. „Mein Geschenk?“ Seine Augen funkelten frech, und Rose
musste sich erst wieder beruhigen. Sie biss sich auf die Lippe und kam sich
lächerlich vor.
„Vielleicht sollte ich ein anderes Geschenk besorgen und es dir wann anders-“
„-oh komm schon, Rose!“, unterbrach er sie ungläubig.
„Ok“, entkam es ihr unzufrieden. „Aber… du darfst nicht lachen“, warnte sie
ihn, und er sah sie mit erhobener Braue an.
„Ist es lustig?“, wollte er spöttisch wissen, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nein“, erwiderte sie. „Eher peinlich, glaube ich. Nach diesem Geschenk“,
ergänzte sie, und er verdrehte die Augen.
„Ich hätte es dir nicht geben sollen, richtig?“, vermutete er, und sie
schüttelte sofort den Kopf.
„Nein! Der Ring ist wundervoll! Er ist das Schönste, was ich je bekommen habe.
Ich liebe ihn!“, entfuhr es ihr sofort, und er zuckte die Achseln.
„Und ich werde lieben, was auch immer du für mich hast, Rose. Versprochen“,
sagte er, und sie verdrehte die Augen, als sie die Knöpfe ihrer Bluse öffnete.
Sofort gefror er vor ihr. „Rose?“, entkam es ihm, einigermaßen unsicher, aber
er folgte ihren Fingern mit seinem Blick.
„Dann halt die Klappe, setz dich hin und… frohe Weihnachten“, erwiderte sie
streng, und gespannt setzte er sich auf Tante Lilys altes Bett. Sie war fertig
mit den Knöpfen der Bluse und zog sie aus. Achtlos ließ sie sie hinter sich
fallen. Sie spürte die Röte in den Wangen. Sie trug ein weißes Trägershirt, und
sein erwartungsvoller Blick ließ sie schlucken. Ok. Jetzt oder nie.
Sie griff in den Saum und zog das Shirt über ihren Kopf. Und es hatte sehr gut
verborgen, was sich darunter befand. Zwar war ursprünglich nicht ihr Plan
gewesen, ihn ausgerechnet hier zu verführen, aber… da hatte sie noch nicht
gewusst, dass Grannie Molly die Familie einfach zwingen würde, Rumer und
Scorpius einzuladen.
„Woah“, entfuhr es ihm rau. Er konnte den oberen Teil der Korsage bereits
erkennen. Sie war aus dunkelblauer Seide, und tatsächlich hatte ihr Lily
geholfen, sie heute einzuschnüren. Rose war ziemlich begeistert davon, wie
wenig ihr dieses Kleidungsstück beim Quidditchspielen ausgemacht hatte – dann
wiederum hatte sie heute auch wirklich passiv gespielt. Sie knöpfte die Hose
auf und schob sie vorsichtig ihre Beine hinab, denn das ganze Spektakel ging
unten noch weiter. Sehr vorsichtig hatte sie die Strumpfbänder befestigt, und
auch diese hatten den Quidditchnachmittag gut überstanden. Sie stieg aus der
Hose und richtete sich auf. Sein Kiefer hatte sich gelockert, und mit Mühe hob
er den Blick zu ihren Augen.
„Verdammt, Rose“, entkam es ihm heiser.
„Gefällt es dir?“, flüsterte sie unsicher, und er nickte ziemlich unbewegt.
„Das… das ist…- ich…“ Ihm schienen immerhin die rechten Worte zu fehlen, und
das gab ihr den Mut näher zu kommen. Ihre Taille war straff eingebunden, ihre
Brüste wurden in die Höhe gepuscht, und er biss sich unbewusst auf die Lippe.
Sie neigte sich vor, ergriff seine kühlen Hände und legte sie sanft auf ihre
Taille. Angespannt entwich die Luft seinen Lungen.
„Viel besser, als mein Geschenk“, wisperte er mit weiten Augen, und mit einem
anzüglichen Lächeln setzte sie sich rittlings auf seinen Schoß.
„Auf keinen Fall“, entgegnete sie, fuhr sich durch die Locken, um sie
aufzulockern, und hungrig schlang sich seine Hand um ihren Nacken, zog sie zu sich,
und dieser Kuss war wesentlich fordernder. Sie half ihm, seine Sachen
auszuziehen, und er fluchte gegen ihre Lippen, weil es verdammt lange dauerte,
sein Hemd zu öffnen.
„Wir… haben nicht viel Zeit“, murmelte sie erregt, „also… sollten wir es schnell
machen“, ergänzte sie, und alleine diese Worte schienen seine Erregung noch zu
steigern. Seine Hände fuhren über ihren Körper, berührten jede Stelle, und sie
öffnete seine Gürtel und ging hoch auf die Knie, als er die Hose samt
Boxershorts tiefer zog. Seine Finger schoben das winzige Stück Seide beiseite,
das ihre Weiblichkeit verdeckte, und er stöhnend stieß er zwei Finger tief in
sie.
Sie brauchte kein Vorspiel. Alleine, dass sie sich vor ihm ausgezogen hatte,
hatte sie feucht werden lassen. Und sie küsste ihn verlangend, als sie sich
langsam niederließ, und er ihr half, seinen Penis genau richtig zu
positionieren, und sie genoss jede Sekunde, als er langsam in sie glitt, sie
dehnte, sie ausfüllte und an ihre engen Grenzen stieß.
Ihr Kopf fiel seufzend zurück, und sie begann, sich zu bewegen, hob ihr Becken,
und seine Atmung ging unfassbar schnell. Sie nahm an, es würde nicht lange
dauern, und sie bezweifelte, dass sie bei ihrer Nervosität kommen, würde, also
konzentrierte sie sich auf ihn, und nur auf ihn. Sie bewegte sich schneller,
ließ ihre Hüften kreisen und er bockte mit harten Stößen auf, kam ihr entgegen,
und dann biss er sich hart auf die Lippe, um nicht laut zu stöhnen.
Sie musste lächeln, denn sie fühlte sich gut. Wirklich gut, und sie liebte ihn.
Zitternd bockte er ein letztes Mal nach oben, krallte sich in ihre Hüften, und
sie genoss seinen erdbebenartigen Orgasmus. Sein Kopf sank gegen ihre Brust.
„Das war… unglaublich“, flüsterte er nach einer Weile, und sie küsste seine
Stirn. Sie war ein wenig von Schweiß benetzt, und er schlang seine Arme um
ihren Körper. „Sorry, dass es so schnell ging“, murmelte er bloß, aber sie
schüttelte den Kopf.
„Es war genau richtig“, erwiderte sie stolz.
„Ich möchte, dass du das von jetzt an immer anziehst“, erwiderte er mit
hungrigem Blick, als er den Kopf wieder hob. Rose musste grinsen.
„Immer?“
„Jeden Tag, denn wir werden jeden Tag Sex haben“, versprach er ihr dunkel, und
sie lachte leise auf. Sie war erleichtert, dass es ihm gefiel. Wirklich. Er hatte
sie nicht ausgelacht. Er hatte sie sofort haben wollen. Und das war, was sie
bezweckt hatte. Sie wollte ihm zeigen, dass sie nicht immer nur unerfahren war.
Sie wollte ihm zeigen, dass sie auch sinnlich mit ihm sein konnte.
Der Abend war perfekt gewesen. Irgendwann in den nächsten Minuten hatten sie
sich angezogen und Rose hatte den Verhütungstrank nachträglich getrunken, den
sie extra vorsorglich mitgebracht hatte, und dann gingen sie Hand in Hand die
Treppe wieder runter.
Sie betraten das Zimmer der Zwillinge, und die anderen waren dabei, ihre
Geschenke zu vergleichen und machten sich nur kurz über sie lustig, und dass
sie peinlich waren und nicht die Hände voneinander lassen konnten, und Rose war
es herrlich egal. Sie ließ sich von Scorpius auf seinen Schoß ziehen und liebte
jede Sekunde des Abends, bis Scorpius‘ Vater irgendwann nach ihm rief und sie
gehen mussten.
Sie schämte sich nicht, ihn unten vor ihrer Familie zu küssen, und sie war so
glücklich, wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Lily war nervös. Rose hatte sie
gebeten, zu warten, aber Lily sah jetzt ihre Chance, und sie wusste nicht, wann
sie die nächste bekommen würde. Vielleicht hätte sie die Zeit, Hugo zu finden,
aber auch darauf verzichtete sie.
Mit
zügigen Schritten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, lief sie zwischen
den Regalen der Bibliothek entlang, legte die gefunden Bücher achtlos zurück,
den Blick fest geradeaus geheftet.
Der
Geist schwebte gedankenverloren voran, durch dieses Regal, dann durch das
nächste, und Lily folgte, bog um sämtliche Ecken und sah ihn gerade noch auf
die Außenwand zu schweben.
„Severus!“,
rief sie hastig, und sie befanden so weit hinten in der Bibliothek, inmitten
der Kräuterbücher, wo sowieso nie ein Schüler war. Der Geist hielt inne, bevor
sich seine milchige Gestalt orientierungslos umwandte. Traurigkeit zeichnete
seine Züge, und Lily schluckte schwer. Er kannte sie nicht, so viel sah sie in
seinem Gesicht. Er musterte sie ausdruckslos, und sie kam näher. Langsam.
Vorsichtig.
„Severus,
ich bin Lily Potter“, sagte sie ruhig, und kurz fokussierten seine Augen,
glommen schwach, im Lichte einer uralten Erkenntnis, bevor sie wieder jeden
Glanz verloren und Vergessenheit ihn überkam. Er wollte sich abwenden, aber sie
stellte sich in seinen Weg. „Ich weiß, du hast Rose aufgesucht, wolltest, dass
sie dir hilft, weil du vergessen hast, was es ist, was du suchst!“, informierte
sie ihn, und es war das, was Hugo und Rose ihr erklärt hatten. Der Geist
betrachtete sie prüfend. „Ich bin Lilys Enkelin. Du erinnerst dich an sie?
Lily?“, wiederholte sie mit klopfendem Herzen.
„Ich
kenne dich nicht“, sagte er mit verlorener Stimme, und sie nickte.
„Ich
weiß, aber du kennst meinen Dad. Harry Potter?“ Wieder glomm etwas in den
grauen Augen des Geistes auf, und Lily sprach hastig weiter. „Und ich bin seine
Tochter? Harrys Tochter? Lilys Enkelin?“, wiederholte sie. „Und ich weiß, wie
mutig du warst, was du riskiert hast, und egal, welche Schuld du dir auferlegt
hast – du hast sie erfüllt, Severus“, sagte sie fest. Er blinzelte plötzlich,
als durchbreche sie allein mit Worten seine Trance. „Du hast meinen Vater
beschützt, du hast ihn gerettet, unzählige Male, und Lily dankt es dir. Ich
weiß es. Sie vergibt dir deine Fehler, und du musst nicht mehr hier sein. Du
musst nicht mehr in Hogwarts umherstreifen und nach einer Lösung suchen. Du
bist erlöst“, flüsterte sie, und plötzlich wurden seine Augen glasig. „Ich
erlöse dich, Severus Snape“, schloss sie mit bebender Stimme, und plötzlich
trat Erkenntnis in seinen todtraurigen Blick, eine seltsame Wachsamkeit, die
einem Geist nur selten anzusehen war.
„Lily“,
sagte er ihren Namen voller Zuneigung, und sie sah die milchige Träne, die auf
seine Wange fiel. „ich… wollte ihn beschützen“, flüsterte er verloren, und Lily
trat näher.
„Du
hast ihn beschützt. Du hast dich für ihn geopfert, du stehst in keiner Schuld.“
Und er wirkte plötzlich schmaler und Erkenntnis überkam ihn. Lily spürte, wie
das massive Erbe ihrer Großmutter, die sie nie gekannt hatte, auf sie überging,
wie sie die Macht hatte, einem Geist seine Erlösung zu bringen, weil es ihre
Worte waren. Ihr Blut. Ihre Unscheinbarkeit fand zumindest gegenüber dem Geist
von Severus Snape ein Ende, und tatsächlich fiel der Geist lautlos auf seine
Knie vor ihr. Sein Kopf senkte sich, und Lily handelte instinktiv, trat vor und
legte die Hände auf seine Schultern. Fast glaubte sie, sie würden durch die
stofflose Gestalt sinken, aber tatsächlich spürte sie die Materie unter ihren
Fingern. Ihr stockte der Atem, denn Severus Snape materialisierte für wenige
Sekunden. Das Grau verschwand, wechselte in echte Farbe, und für den Bruchteil
einer Sekunde hauchte ihre Berührung dem Geist wieder Leben ein. Dunkel
brannten die traurigen Augen auf, sanfte Überraschung in ihnen, und dann hoben
sich seine Mundwinkel zu einem unfassbar erlösenden Lächeln, und er nickte ihr
voller Dankbarkeit zu.
Und
niemand sonst sah, wie ihre Hände plötzlich durch seine Schultern sanken, wie
Severus Snape sich mit einem Mal auflöste, in tausend funkelnde Atome, wie das,
was seine Seele und seinen Geist ausmachten, höher stieg, die Bibliothek praktisch
erleuchtete, und wie die schimmernden Reste seines Daseins mit seinem
erlösenden Seufzen verschwanden.
Lily
spürte die eigenen Tränen auf ihren Wangen.
Die
Stille lag nicht schwer um sie herum, denn sie war erfüllt mit Leichtigkeit und
Sorglosigkeit. Severus Snape hatte Ruhe gefunden, und sie war die einzige
gewesen, die dafür hatte sorgen können. Und vor einigen Monaten hätte sie es
niemals für möglich gehalten, aber etwas hatte sich verändert. Sie hatte sich
verändert. Und sie wollte nie wieder zurück, wollte nie mehr die unscheinbare
Lily Potter sein, die alle kannten. Sie wollte mehr sein als das. Sie wollte
gesehen werden. Sie würde in den Fußstapfen ihrer Brüder folgen. Hogwarts würde
sie sehen. Hogwarts würde sich noch wundern, versprach sie sich, und verließ
die Bibliothek, um im kühlen Januarnachmittag ihren Besen zu besteigen, um zu
trainieren. Um besser zu werden, um das Team zu schaffen.
Sie
war Lily Potter. Es wurde Zeit, dass die Welt es auch erfuhr.
***
Rose stand vor dem Haus und konnte sich
kaum sattsehen. Scorpius‘ Vater hatte sie abgeholt und war mit ihnen
nacheinander appariert. Scorpius hatte ihr versprochen, ihr das Haus zu zeigen,
und dieses Wochenende hatte sich endlich die Gelegenheit ergeben. Es war kühl
heute, und der Garten schlief noch. Nichts blühte, alles zeigte noch die
harsche Kälte des Winters, aber dennoch thronte das uralte Haus stolz auf der
Anhöhe.
„Es
ist wunderschön“, flüsterte sie entzückt. Sie bemerkte Mr. Malfoys Seitenblick
nicht, denn ihr Blick war gefangen von dem Anwesen.
„Es
ist recht baufällig“, sagte Mr. Malfoy schließlich, als sie näher traten.
„Kann
man es nicht renovieren?“, wollte sie sofort wissen, erklomm die Stufen,
nachdem sie die Mantikore begutachtet hatten, die das Haus bewachten und konnte
sich kaum sattsehen, an all den wunderbaren Details.
„Kann
man schon“, erwiderte Mr. Malfoy vage, und Rose tauschte einen Blick mit
Scorpius, der ihr ein aufforderndes Lächeln schenkte.
„Willst
du rein?“
„Sehr
gerne“, sagte sie lächelnd. Sie trug seinen Ring. Sie trug ihn jeden Tag, und
vielleicht sah es Mr. Malfoy, aber fast wollte sie, dass er es sah. Dass er
wusste, wie ernst es ihr war. Dass sie niemanden außer Scorpius haben wollte,
jemals. Sie wollte, dass er es begriff.
Scorpius
öffnete die Tür, und Rose verliebte sich direkt in die weite Halle, sah nicht
die Baufälligkeit, das Alter, die Gefahren. Sie sah die Chancen, die
Möglichkeiten und die Liebe, mit der das Haus errichtet worden war. Sofort
schritt sie voran, sah die Blicke nicht, die Vater und Sohn tauschten, und
verzückte Laute verließen ihre Lippen, als sie Zimmer um Zimmer erkundete,
nachdem Mr. Malfoy Licht gemacht hatte.
„Ich
hoffe, du willst es niemals verkaufen, Scorpius!“, rief sie aus der nächsten
Halle, und dann stockte sie, als sie den Wintergarten sah. Sofort
beschleunigten ihre Schritte, und Scorpius und sein Vater folgten ihr.
„Wie
wunderschön“, flüsterte sie, als sie den majestätischen Schwan betrachtete, der
die Flügel gestreckt hatte, bereit, zu fliegen. „Führt er Wasser?“, wollte sie
an Mr. Malfoy gewandt wissen, und dieser zuckte die Achseln.
„Höchstwahrscheinlich
ist es gefroren“, bemerkte er, aber ihr Blick war so auffordernd, dass er
wortlos den Zauberstab zog und eine stumme Bewegung vollführte. Tatsächlich
hörte sie das Gluckern, hörte, wie der Brunnen zum Leben erwachte, wie die
Rohre und Leitungen nicht zerstört waren, und dann brach ein klarer,
wunderschöner Wasserstrahl aus dem höchsten Punkt des Schwanenkopfes, und mit
dem Wasser erwachte die Magie des Brunnens. Der Schwan schüttelte sich, wie
nach einem langen Schlaf, und Wasser perlte über seine eleganten Flügel, floss
zurück in den Brunnen, und der Vogel badete sich ausgelassen, und Rose glaubte,
nie etwas Schöneres als diesen außergewöhnlichen Brunnen gesehen zu haben. Der
Schwan wandte sich ihr zu, betrachtete sie, und seine riesige Gestalt war sehr
eindrucksvoll. Schließlich neigte er den mamorartigen Kopf tief, und Rose
musste lächeln. Er begrüßte sie. Er dankte ihr, für das frische Wasser. Das
nahm sie an.
„Der
Brunnen mag dich“, stellte Scorpius spöttisch fest, ergriff ihre Hand und
drückte sie fest.
„Ich
liebe das Haus“, sagte sie, auch wenn sie wusste, dass ihre Meinung wenig
zählte, dass es ihr wohl nicht zustand, und dann hob Scorpius den Blick zum
Gesicht seines Vaters. Mr. Malfoy stellte sich neben sie und betrachtete den
Schwan mit abwägendem Blick.
„Ich
denke, dann werden wir zusehen, dass die Renovierungen dieses Jahr beginnen,
und dann wäre das Haus bestimmt nächsten Sommer bezugsfertig“, schloss er
vielsagend, und Rose sah Scorpius in die grauen Augen. Er erwiderte ihren
Blick, und seine Mundwinkel hoben sich.
„Nächsten
Sommer klingt gut“, bestätigte er bloß, und Roses Herz klopfte schnell.
Vielleicht würde sie hier wohnen? Mit Scorpius? In diesem Palast mit dem
märchenhaften Brunnen? Vielleicht würde sie hier heiraten? Vielleicht würde sie
hier ihre Kinder großziehen? Und sie sah es beinahe vor sich. Sie konnte sehen,
wie der Wintergarten geschmückt wäre, wie selbst der Schwan eine Blumenkrone
tragen würde, wie wunderbar alles im Sommer aussehen musste, und was für üppige
Blumenbeete sie anlegen könnten, um die Schönheit noch klarer aufzufangen. Wie
sie die noch unscheinbare Schönheit dieses Hauses wieder in vollem Glanz
erstrahlen lassen könnte!
„Ja“,
erwiderte sie mit einem scheuen Lächeln. „Nächsten Sommer klingt perfekt“, schloss
sie glücklich und lehnte sich an ihn.
Sie
versprach sich, ihn glücklich zu machen. Ihn so sehr zu lieben, wie sie nur
konnte, damit sich seine Mutter, wo auch immer sie war, keine Gedanken machen
musste. Nicht um ihren Sohn.
Und
irgendwann verließen die drei das Anwesen wieder. Mr. Malfoy hatte das Wasser
abgestellt und der Zauber des Schwans versagte, und steif verfiel er wieder in
die eindrucksvolle Pose. Er löschte das Licht und sie verschlossen wieder alle
Türen.
Mit
leichten Schritten verließen sie das Grundstück wieder, und Rose beschloss,
ihren Eltern davon besser nichts zu sagen. Sie hatte das Gefühl, Scorpius würde
ihr wenig verweigern, und wenn sie mit ihm hier leben wollen würde, dann… würde
er nichts lieber tun, als das. Sie war sich nur nicht sicher, ob ihre Mutter es
sonderlich gut auffassen würde.
Sie
war zurzeit ohnehin nicht ganz so gut auf sie zu sprechen. An Silvester hatte
sich Rose dazu entschieden, vielleicht doch kein Langzeitpraktikum in Georges
Laden zu machen. Der Beruf des Aurors bot wesentlich mehr Abwechslung und
Spannung. Dafür lernte sie jetzt sehr viel mit Hugo, Rumer, Alby und Scorpius,
um ihre Noten in den nächsten zwölf Monaten in einen Ohnegleichen-Bereich zu
bekommen, und bisher lief es gut. Wirklich gut. Das Lernen fiel ihr leichter,
als sie all die Jahre über geglaubt hatte.
„Ich
bringe euch zurück. Der Tag ist noch lang“, bemerkte Mr. Malfoy mit einem
Lächeln in ihre Richtung. „Deine Mutter wartet bestimmt schon.“ Er klang nicht
sonderlich begeistert, aber er lächelte trotzdem. Rose schenkte ihm einen
mitleidigen Blick.
Ihre
Mutter hatte die Wahl mit großer Mehrheit gewonnen, und hatte am ersten Januar
den Ministerposten entgegengenommen. Mr. Malfoy hatte seinen ursprünglichen Posten
im Ministerium daraufhin verlassen, um mit ihrer Mutter zusammen gerechte
Politik für Halbblüter und Muggel zu entwickeln und eine Stärkung der Gesetze
zur Gleichbehandlung von magischen Wesen ins Leben zu rufen.
Ihr
Dad war ziemlich froh, dass er sich dafür nicht engagieren musste, und Mr.
Malfoy war diesen Monat schon bestimmt achtmal von ihrem Vater zum Essen
eingeladen worden.
Scorpius‘
Tante war nicht bei ihm und seinem Dad eingezogen, wie Scorpius befürchtet
hatte, denn sie und Onkel Charlie waren letzte Wochen zusammen nach Rumänien
verreist. Onkel Charlie wollte ihr die Drachen zeigen, mit denen er arbeitete.
Wenn das nicht Liebe war, wusste Rose es auch nicht.
Sie
bat Mr. Malfoy, Scorpius zuerst zu bringen, und die beiden Männer verschwanden.
Rose wandte sich um und betrachtete den verschlafenen, weiten Garten vor sich.
Sie trug die Haare offen. Das tat sie jetzt häufiger, verzichtete auf den
Pferdeschwanz, und Vic hatte ihr den schönen langen, grünen Mantel vermacht,
der ihr nicht mehr passte. Rose freute sich auf den Frühling, und sie freute
sich noch mehr auf den Sommer, den kommenden und den folgenden. Vielleicht
würde das Haus hier auf sie warten. Vielleicht sah sie jetzt gerade in dieser
Sekunde ihrer Zukunft ins Auge.
Und
vielleicht war es ein wenig beängstigend, aber überwiegend hatte sie einfach
nur ein fantastisch aufregendes Gefühl in ihrem Innern.
Es
war ein anstrengendes Jahr gewesen, aber dennoch war es das beste Jahr für sie
gewesen. Sie hatte Scorpius Malfoy gefunden, sie war ehrlich zu sich selbst,
und sie konnte kaum erwarten, erwachsen zu sein. Sie lächelte voller Glück und
Zuversicht. Egal, was kommen würde – sie wäre bereit.
– The End –